Der Mann, der Mythos, die Musik: An den Doors und ihrem zerquälten Frontmann Jim Morrison kam Ende der Sechziger niemand vorbei. Die Kino-Dokumentation "When You're Strange" zeigt mit unveröffentlichtem Filmmaterial, wie die Rockband zum Symbol für das Scheitern der Hippie-Bewegung wurde.Jim Morrison steht auf der Bühne des Dinner Key Auditorium in Miami, einem riesigen, ausgebauten Flugzeughangar voller aufgedrehter junger Leute. Es ist der erste März 1969, und The Doors sind in der Stadt. Sie sind die heißeste Rockband der USA, von der Presse werden sie als die "amerikanischen Rolling Stones" gefeiert, Sänger Morrison ist gleichzeitig ein Sex-Symbol der Massen und eine poetisch-zerquälte Galionsfigur der Alternativkultur. Es ist die erste große US-Tournee der Band, aber Morrison, aufgedunsen, vollbärtig und betrunken, hat keine Lust zu singen.
Statt der Musik macht er mal wieder sich selbst zum Spektakel, brabbelt wirr vor sich hin, wankt über die Bühne und steigert sich schließlich in eine Art persönliches Bekenntnis hinein: Er sei nicht politisch, er wolle nur eine gute Zeit haben - und geliebt werden. Los, liebt mich, zeigt mir eure Liebe, ruft er ins Publikum. Und dann zeigt er seine ganze Verachtung für all die Schaulustigen da draußen, die nur noch zum Konzert gekommen sind, um zu sehen, wie sich Morrison zum Kasper macht. "Was ihr in Wahrheit sehen wollt, ist doch das hier", brüllt er und deutet an, seinen Hosenschlitz zu öffnen, um seinen Penis herauszuholen. Zeigt mir eure Liebe - und lutscht meinen Schwanz: Treffender konnte Morrison sein zutiefst ambivalentes Verhältnis zu Ruhm, Erfolg und Superstarstatus nicht zeigen. Ob er sich jemals entblößt hat, bleibt offen. Eine Strafanzeige kassierte der Sänger trotzdem. Miami war der Anfang vom Ende eines Rock'n'Roll-Traums.
So zumindest deutet es Tom DiCillo in seiner Kino-Dokumentation "The Doors - When You're Strange" an, die diese Woche in deutschen Kinos anläuft. Für seinen ersten nicht-fiktionalen Film schnitt der anerkannte US-Independent-Regisseur ("Living In Oblivion") bisher unveröffentlichte Konzertszenen (darunter der Auftritt im Dinner Key) und Filmaufnahmen von Morrison und den Doors zu einer streng heldenverehrenden, aber dennoch erhellenden Collage über eine Rockband, die den widersprüchlichen Geist der späten Sechziger wie kaum ein anderes Pop-Phänomen verkörperte.
"All the children are insane"Es gibt keine rückblickenden Interviews mit Ray Manzarek, Robby Krieger und John Densmore, den heute noch lebenden Mitgliedern der Doors. Es gibt auch keine küchenpsychologischen Deutungen über Jim Morrisons innere Dämonen und sein mysteriöses Ableben in Paris am 3. Juli 1971, mit denen Oliver Stone seinen spekulativen Spielfilm von 1991 überfrachtete. DiCillo und sein nüchtern historisierender Off-Erzähler Johnny Depp wollen den Mythos, zu dem Morrison dank vielerlei ins Kraut geschossener Verschwörungstheorien und nostalgischer Verklärung geworden ist, wieder auf das Maß eines menschlichen Schicksals in außerordentlicher Zeit bringen. Sie lassen dafür die Bilder sprechen. Und die Songs der Doors, die schon damals fast alle Antworten auf die Fragen enthielt, die der rätselhafte Selbstzerstörungsdrang Morrisons aufwarf.
"All the children are insane", singt Morrison in "The End", jenem psychedelisch mäandernden Manifest der Angst und unterdrückten Wut, das bereits auf dem ersten Doors-Album von 1967 enthalten war. Man kann diese Zeile als Selbstgespräch lesen, denn zumindest Morrisons Verhältnis zu seinem Vater, einem Marine-Offizier, war angespannt bis feindselig. Später im Song geht ein "Killer" im Morgengrauen ins Schlafzimmer seiner Eltern: "Father, yes son, I want to kill you". Aber es steckt noch mehr in dieser einzigen Zeile, denn die "children", das können auch die Blumenkinder, die Hippies sein, die im "Summer of Love" von einer besseren Welt träumten, ohne Krieg in Vietnam, ohne Ungerechtigkeit und Repression, ohne Rassismus und Korruption: Freie Liebe, freier Sex und viele, viele Drogen, um das Bewusstsein vom restriktiven Konformismus in neue Dimensionen menschlicher Evolution zu katapultieren.
Nicht nur Glückseligkeit, sondern auch GewaltVielleicht ahnte Morrison, ein eher schüchterner, pummeliger Typ, der sich gern und oft in seine Gedichte - und Drogenkonsum jeglicher Art - flüchtete, dass die Utopie der Hippies sich nie erfüllen würde. The Doors nannte der Fan von Rimbaud und Elvis Presley seine Band, nach einem Zitat des britischen Poeten William Blake: "If the doors of perception were cleansed every thing would appear to man as it is, infinite" heißt es darin - wenn der Mensch es, ob nun mit Meskalin, LSD, Hasch oder Quaaludes, schaffen würde, die engen Grenzen seiner Wahrnehmung zu erweitern, wird er die Unendlichkeit der Dinge erkennen. So zumindest deutete es der Schriftsteller Aldous Huxley, der Blakes biblisch-romantische Zeile in einen moderneren, revolutionären (und drogengeschwängerten) Zusammenhang setzte.
Doch in der Unendlichkeit von allem liegt eben nicht nur Schönheit, sondern auch Ennui und Frustration, so dass durch die mit viel Chemie geöffneten Türen nicht nur Glückseligkeit strömte, sondern auch Gewalt. Ende 1969, nur zwei Jahre nach dem fröhlichen Aufbruch der Flower-Power-Generation, waren die Blumen verwelkt: Die Attentate auf Martin Luther King und Robert Kennedy, der anhaltende, immer surrealer werdende Krieg in Fernost, das Unglück von Altamont, die Schießerei von Kent State, das Massaker der Manson-Familie. Jim Morrisons körperlicher Verfall, sein wiederholtes Zusammenbrechen auf der Bühne, sein Taumeln zwischen Ekstase und Übelkeit, das DiCillo immer wieder zeigt, werden zu Sinnbildern für den Niedergang eines Traums, der zu schön war, um wahr zu werden. Als Morrison tot in der Badewanne aufgefunden wird, hat die alte Gesellschaft, das Regime der Prüderie, Trieb-Unterdrückung und Gewalt längst wieder die Herrschaft in den Köpfen und Herzen der Menschen übernommen. Seine Verurteilung wegen öffentlicher Unzucht erlebt er nicht mehr.
Doch natürlich lebt Morrison als Ikone der Unangepassten, der Außenseiter, der stillen Grübler weiter. DiCillos Film beginnt und endet mit Szenen-Outtakes aus dem Experimentalfilm "HWY", den Jim Morrison 1969 drehte. In einem Ford Mustang durchquert der Sänger auf dem endlosen Highway eine heiße Wüstenlandschaft, ein einsamer Drifter auf der Suche nach, ja wonach? Im Radio hört er die Nachricht seines eigenen Todes. Er nimmt sie gelassen hin. Es ist der einzige künstlerische Kniff, den sich DiCillo in seinem Filmdokument erlaubt, eine leise Verbeugung vor der Möglichkeit der Bewusstseinserweiterung, wenn man so will.
In einer anderen Szene aus "HWY" liegt am Straßenrand ein überfahrener Coyote. Quälend lange hält die Kamera den hechelnden, erbarmungswürdigen Todeskampf des halb zerfetzten wilden Tieres fest, das beherzt die Straßenseite wechseln wollte - und scheiterte. "Break on through to the other side", heißt es in einem frühen Doors-Song. Viele blieben beim Versuch auf der Strecke.
Quelle :
www.spiegel.de