Der Irak am Abgrund, Taliban-Offensive in Afghanistan - jetzt der Todesschuss auf die pakistanische Oppositionsführerin Bhutto: Für die westlichen Demokratien ist 2007 ein Jahr der Fehlschläge und Enttäuschungen. Drei Lektionen.
Washington - Der nun folgende Satz ist das bitterste Kompliment, das sich überhaupt denken lässt: Der Todesschuss auf Benazir Bhutto ist ein großer, ein unerhörter, ein im schlimmsten Falle historischer Triumph für die Feinde der Demokratie. In einem ohnehin für sie erfolgreichen Jahr haben sie den grausamen Schlusspunkt gesetzt.
Als gestern um 18.15 Uhr Ortszeit in Rawalpindi die Frau mit dem weißen Kopftuch in sich zusammensackte, starb mit ihr auch die Hoffnung, die islamische Welt würde in absehbarer Zeit von allein zur Ruhe kommen.
Auch der Westen ist aufgewühlt wie lange nicht mehr. Das Entsetzen in den Regierungszentralen und Präsidentenpalästen ist echt; die karge, kaum eine Minute lange Erklärung des US-Präsidenten liefert ein beredtes Zeugnis seiner Sprachlosigkeit. Selten stand die Weltmacht so ohnmächtig da. Fast ist man versucht, diesem Unglückspinsel im Weißen Haus "herzliches Beileid" zuzurufen.
Nun wird in Amerika wieder - wie immer, wenn etwas schief läuft auf der Welt - über den Einsatz von Gewalt nachgedacht. Pakistan, das ist der Krieg, den wir gewinnen müssen, sagt seit längerem schon der demokratische Präsidentschaftsbewerber Barack Obama. George W. Bush hat sich ohnehin in seine Metapher vom "Krieg gegen den Terror" verliebt.
Dabei legen die Erfolglosigkeiten des Jahres 2007 ein Umdenken nahe. Für Freunde wie Gegner der bisherigen US-Strategie ließen sich drei Lektionen lernen.
Bush geht - die Auseinandersetzung mit dem Islam bleibtLektion eins: Die Auseinandersetzung mit dem radikalen Islam ist kein Hobby eines wild gewordenen US-Präsidenten. Spätestens im November kommenden Jahres wird es der Letzte begreifen: Bush geht, die Auseinandersetzung mit dem Islam bleibt. Sie spitzt sich sogar eher noch zu. Das immerhin hat der Mord an dieser außergewöhnlich mutigen Frau dem Westen gebracht: ein hohes Maß an Klarheit. Die radikalen Islamisten dulden keine Demokraten, auch wenn sie aus den eigenen Ländern stammen. Sie suchen die Machtprobe, offenbar um jeden Preis. Sie nehmen dabei sogar in Kauf, das ein so großes und stolzes Land wie Pakistan zum failing state wird, zum zerfallenden Staat.
Lektion zwei: Bush wird zur Lösung der Auseinandersetzung nicht mehr viel beitragen können. Er ist ein Präsident des Krieges, des erfolglosen Krieges noch dazu. Selbst wenn er von Diplomatie spricht, riecht es nach Kriegsvorbereitung. Seine Partner in Berlin, Paris und London müssen sich in dieser schwierigen Situation klug verhalten. Jedes Auftrumpfen verbietet sich, will man der westlichen Position nicht insgesamt Schaden zufügen. Dieser waidwunde Präsident muss, so merkwürdig das klingt, mit Anstand in Richtung Ruhestand begleitet werden.
Lektion drei: Was es jetzt statt einer Militärintervention brauchtLektion drei: Die klassische militärische Intervention - Bushs Rezeptur gegen die Terrorgefahr - war bisher nicht erfolgreich und wird es auch in Zukunft nicht sein. Wer auch nur daran denkt, im Atomwaffenstaat Pakistan einzumarschieren, sollte zum Arzt gehen. Er ist nicht ganz bei Troste.
Was aber dann? Die größte Waffe im Kampf gegen Eiferer und Zerstörer ist, so merkwürdig es klingt, eiserne Gelassenheit, auch wenn nichts schwerer fällt als das. Die inneren Widerspüche der islamisch regierten Staaten sind übergroß. Ihre ökonomische Aufbauleistung für breitere Bevölkerungsschichten ist gering (mit der Ausnahme Iran). Zum Lebenselexier gehört bisher auch die Reflexhaftigkeit, mit der der Westen sich zu Feindseligkeiten in Wort und Tat hat hinreißen lassen.
Enthaltsamkeit ist schmerzhaft, unerträglich – politisch klugErinnern wir uns an den Ost-West-Konflikt, der ja wahrlich nicht arm an Provokationen war. Schauen wir nach Ost-Berlin im Jahre 1953, hören wir, wie die Bauarbeiter auf der Stalinallee gegen die DDR-Regierung rebellierten: "Ab mit Bart und Brille, das ist Volkeswille", wurde skandiert. Nicht wenige in der sowjetisch besetzten Zone wünschten sich, der Westen würde ihnen im Kampf gegen den Bart- und Brillenträger Ulbricht beistehen. In Westberlin schaltete man den US-Propagandasender Rias auf schrill – und ließ es dabei bewenden.
Im Budapest des Jahres 1956 kam dieselbe disziplinierte Gelassenheit zum Tragen. Die bewaffneten ungarischen Studenten, mein Vater war einer von ihnen, rebellierten gegen die Marionettenregierung von Moskaus Gnaden. Sie hofften auf westliche Hilfe, aber sie hofften vergebens. Die Studenten haben das als Verrat empfunden. Zehntausende, mein Vater unter ihnen, blieb am Ende des Ungarn-Aufstandes nichts anderes als die Flucht vor den heranrollenden sowjetischen Panzern.
Die Enthaltsamkeit des Westens war schmerzhaft, sie war eigentlich unerträglich – aber sie war politisch klug.
Diese Herausforderungen wiederholten sich bis zum trostlosen Höhepunkt, dem Militärputsch des Sonnenbrillen-Generals Wojciech Jaruzelski im Warschau des Jahres 1981. Und wieder blieb die westliche Militärmaschinerie in der Kaserne. Der Sowjetkommunismus ist wenig später an sich selbst zerbrochen.
Mehr Maß, mehr Geduld statt auftrumpfender PolitikAuch George W. Bush wäre besser gefahren, wenn er sich den Irak-Feldzug verkniffen hätte. Er hat den USA nur menschliche und politische Verluste in hohem Ausmaß zugefügt, ohne dass auf der anderen Seite der Bilanz ein Gegenwert erkennbar wäre. (Was nicht bedeutet, dass man das Land jetzt mir nichts, dir nichts wieder verlassen kann). In Afghanistan wäre die Nato klug beraten gewesen, sich ausschließlich auf den Skalp von Osama Bin Laden zu konzentrieren, anstatt Brunnen zu bauen, Schulen zu errichten und eine Steinzeitgesellschaft mit Gewalt in Richtung Demokratie zu stoßen.
Das nutzt niemandem, am wenigsten der Demokratie. Gegen die militärische Intervention spricht vor allem eines, ihre Erfolglosigkeit. Der Kraftaufwand lohnt nicht. Auch der Einsatz von Menschenleben bringt nicht im Mindesten die erhoffte Verzinsung.
Aber ist das nicht gleichbedeutend mit Kapitulation?
Mitnichten.
Soll der Westen also zuschauen und Tee trinken?
Wohl kaum.
Er muss sich und seine Bevölkerung schützen – mit allem, was moderne Technik zu bieten hat. Er sollte gesprächsbereit sein gegenüber allen, die das Gespräch suchen, auch wenn sie Strolche sind. Das Militär und die Geheimdienste wird man ebenfalls weiter brauchen. Sie müssen umschulen und in dieser Auseinandersetzung zu gezielten Operationen gegen die Brutstätten des Terrorismus geführt werden. Nur die Intervention alten Typs hat sich als wirkungslos erwiesen.
Vielleicht sind diesmal wieder die europäischen Politiker gefordert, den Amerikanern eine neue Sicht der Dinge zu eröffnen. In der Auseinandersetzung mit dem Sowjetkommunismus ist das gelungen.
Viele in Amerika wollten es krachen lassen, in Europa sprach man früh schon von Entspannung. Es war der englische Premierminister Winston Churchill, der bereits acht Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges davon überzeugt war, dass eine maßvolle, geduldigere, weniger auftrumpfende, dafür wo immer möglich ausgleichende Politik der Welt etwas zu bieten habe - "vielleicht noch nicht Weltfrieden, aber Weltentspannung", so drückte er sich aus.
Den Männern im Weißen Haus jedenfalls traute es Churchill nicht zu. Seine Erkenntnis damals: "Amerika kann es nicht. Amerika ist sehr mächtig, aber sehr tollpatschig."
Quelle :
www.spiegel.de