Deutschland ist ein Zweiklassenstaat, das Gesundheitssystem ungerecht, ausbeuterisch, armenfeindlich. Das behauptet SPD-Gesundheitsexperte Lauterbach in einem neuen Buch und attackiert "die Privilegierten" - vor allem die Beamten.Berlin - Karl Lauterbach (SPD) ist bei den Leuten zu Gast, die er am meisten kritisiert. Er sitzt im Konferenzsaal des Deutschen Beamtenbundes in Berlin. Er ist gekommen, um zu kritisieren. Den deutschen Staat, die Privilegierten, das Gesundheits- und Pflegesystem im Land. Mit den Privilegierten meint Lauterbach vor allem die Beamten.
Seine Kritik haben nun alle schriftlich vor sich: "Der Zweiklassenstaat. Wie die Privilegierten Deutschland ruinieren", heißt sein Buch, das heute erschienen ist. Allerdings nicht ganz vollständig. Ein Zitat aus einem Facharzt-Forum im Internet, in dem Ärzte über Kassenpatienten auf übelste Art lästern, ist geschwärzt.
Das Facharztforum hatte gegen das Zitat geklagt, weil Lauterbach nicht berücksichtigt hatte, dass der Verfasser es als Satire gekennzeichnet hatte. Das Landgericht Hamburg hat eine einstweilige Verfügung gegen Lauterbach erwirkt und das Zitat aus dem Internetforum vorläufig untersagt. Seine Anwälte gehen nun dagegen vor.
Das, was Karl Lauterbach, 44, zu sagen hat, wird nicht nur Ärzte ärgern. Sein "Befund", wie der Medizinprofessor und Bundestagsabgeordnete sein Buch nennt, beschreibt den deutschen Sozialstaat als ausbeuterisch für die Armen und verschwenderisch für die Privilegierten. Schon der Titel klingt drastisch, aber Lauterbach meint: "Das ist keine Überhöhung. Ich bin fest davon überzeugt, dass es so ist."
Sein "Befund" bezieht sich auf vier Politikbereiche: Das Bildungs-, Gesundheits-, Renten-, und Pflegesystem. Er beschreibt sie und startet gleich seinen Angriff auf diejenigen, die ihm einen Konferenzraum zur Verfügung gestellt haben: "Beamte nehmen für sich in Anspruch, dass ihre Kinder automatisch aufs Gymnasium kommen", sagt er. 85 Prozent der Beamtenkinder gehen nach Lauterbachs Angaben aufs Gymnasium, auch wenn viele von ihnen gar nicht dafür geeignet seien. Gleichzeitig würden Migranten- und Arbeiterkinder gar nicht gefördert, auch nicht die Talentierten. Das Bildungssystem verspiele Potential.
Privatversicherte versus SolidarsystemFürs Gesundheitssystem zeichnet Lauterbach ein ähnlich schwarzes Bild. Im vergangenen Jahr saß er noch in der Verhandlungskommission für die Gesundheitsreform. Letztendlich hat er gegen sie gestimmt, weil er sie ungerecht fand. Jetzt will er die Ungerechtigkeiten im System offenlegen, nicht in einer Bundestagskommission, sondern für die Öffentlichkeit.
"Gesetzlich Versicherte haben nur eine geringe Chance auf eine Visite bei einem Spezialisten, wenn sie schwer krank sind", sagt er. Privatpatienten hingegen würden oft gleich mehrere Experten konsultieren. Den Unikliniken wirft er vor, dass sie aus Geldgier überproportional viele Privatpatienten behandeln.
An der Pflegeversicherung kritisiert er, dass die Beiträge für gutverdienende gesetzlich Versicherte viel höher seien als die für gutverdienende Privatversicherte. "Und das, obwohl die Wahrscheinlichkeit, pflegebedürftig zu werden, bei den Geringverdienern viel höher ist", argumentiert er. "Ein absurdes System", findet er und prangert an, dass sich die Privatversicherten nicht am Solidarsystem beteiligen.
Die SPD soll es richtenAus diesen Ungerechtigkeiten zieht Lauterbach apokalyptische Schlüsse: "Wir erleben einen letzten wirklich großen Aufschwung", prophezeit er. Die Baby-Boomer -Generation erlebe den Höhepunkt ihrer Leistungsfähigkeit, aber was käme danach? Die Geburtenjahrgänge seien nur halb so groß wie 1964, die Hälfte von ihnen seien durch das Bildungssystem benachteiligt. Von daher gebe es nur ein Viertel des Potenzials von 1964.
Ein Patentrezept hat Lauterbach indes nicht in der Tasche. Aber - und da wird der Mediziner dann wider politisch - er sieht es als "historische Aufgabe der SPD" an, sich dem Thema anzunehmen. "Wir müssen eine Gesellschaft werden, wo Leistung Herkunft trumpft", sagt er. Und er glaubt, dass die SPD gemeinsam auf dem richtigen Weg ist. Wenn es nach ihm geht, dann wird sein Zweiklassenstaat Wahlkampfthema.
Quelle :
www.spiegel.de