Adenauer, Brandt, Kohl - keiner war vor ihm sicher. Er ist Deutschlands einflussreichster politischer Kabarettist, und er hat die Republik verändert. Morgen wird Dieter Hildebrandt 80. Hommage an eine Instanz.Ist der Mann, über den Edmund Stoiber sagte: "Ja gut, man kann ihm nicht den Vorwurf der absoluten Ausgewogenheit machen", nicht schon immer und ewig da gewesen? Mit seinem improvisiert abgezirkelten Gestotter, mit den abgebrochenen Halbsätzen? Und den verzögerten Pointen, die nach kurvenreichem Anlauf dann umso zielgenauer einschlagen?
Ist er nicht sowieso alterslos und unsterblich?
Dass Dieter Hildebrandt, der bedeutendste und einflussreichste politische Kabarettist der Bundesrepublik, am kommenden Mittwoch seinen 80. Geburtstag feiert, möchte man nicht wirklich glauben. Man hätte eher auf den 100. getippt. Hildebrandt ist eine Art Johannes Heesters des deutschen Kabaretts, ein Brettl-Dino, das ewig tagende Reichs-, pardon: Republikgericht der deutschen Nachkriegspolitik. Adenauer, Erhard, Kiesinger, Brandt - er hat sie alle in Grund und Boden gestammelt - und überlebt.
Andererseits wirkt er immer noch jugendlicher als einige aus der neuesten Spaßmachergeneration von Pocher & Co., deren eher brüllende als komische Fernsehauftritte schon Sekunden später verzischen wie ein abschrumpelnder Luftballon auf einem Kindergeburtstag.
Seit mehr als einem halben Jahrhundert steht Dieter Hildebrandt nun auf der Bühne, und die Liste seiner Kabarettprogramme, Texte, Bücher, Schallplatten, CDs, Filme, TV-Sendungen, Lesungen und Preise füllt Seiten. Nur die beiden anderen großen Mitglieder des Satire-Dreigestirns am Humorstandort Deutschland, der verstorbene Hanns Dieter Hüsch und der gerade 65 Jahre alt gewordene Gerhard Polt, können da annähernd mithalten.
Wir können auch andersAls der geborene Niederschlesier und Wahlbayer Hildebrandt 1956 zusammen mit Sammy Drechsel, Klaus Havenstein, Ursula Herking, Hans-Jürgen Diedrich und anderen die "Münchner Lach- und Schießgesellschaft" gründete, konnte niemand ahnen, dass sie bis in die achtziger Jahre hinein zu der Instanz und Institution des politischen Kabaretts werden würde, das Alpha und Omega der satirischen Gesellschaftskritik im Land der Dichter und Denker.
"Denn sie müssen nicht, was sie tun" - schon der Titel des ersten von Dutzenden Programmen formulierte anspielungsreich das Leitmotiv der "Lach- und Schieß": Wir können auch anders. Scharfe, polemische und sarkastische Kritik an Personen und Zuständen, oft in Form chorisch einstudierten Bänkelgesangs, war hier erste Bürgerpflicht, auch wenn sie nicht wie heute im mehr oder weniger verschwitzten T-Shirt, sondern in Anzug und Krawatte vorgetragen wurde, Seitenscheitel inklusive. So viel Ordnung musste sein.
Nachdem zu Beginn der sechziger Jahre das Fernsehen jede Premiere aufzeichnete und sendete, sah man immer häufiger Minister und andere Notabeln im Publikum. Vor allem die Silvesterübertragungen wurden zum Hochamt. Dieter Hildebrandts Sottisen-Gewitter schien wie eine reinigende Dusche, wie ein Ersatz-Purgatorium über die politische Klasse zu kommen. Man konnte süchtig danach werden.
Gefahr, zum Hofnarren zu werdenNur zur Erinnerung für Jüngere: Damals gab es keine "Titanic", keinen Harald Schmidt, keinen Matthias Richling - nur Peter Alexander, Vico Torriani, o sole Millionen und Lou van Burgs "Der Goldene Schuss" mit den reizenden "Assistentinnen". Zugegeben: Heinz Erhardt brillierte im deutschen Spielfilm als Finanzbeamter Winzig.
Als Bundeskanzler Ludwig Erhard, der Zigarren rauchende "Vater des Wirtschaftswunders", die erfolgreichen Münchner Kabarettisten 1964 sogar zum Tee empfing, blitzte die Gefahr auf, zur staatlich anerkannten Hofnarrentruppe zu werden.
Doch Dieter Hildebrandt & Co. verstanden es immer wieder, sich den allzu freundlichen Umarmungen des "Feindes", Teil des klassischen Berufsrisikos, zu entwinden - dafür sorgte schon das Fernsehpublikum mit Einschaltquoten von mehr als 50 Prozent, das es genoss, wenn "die da oben" ihr Fett abkriegten.
In dieser Dialektik der Anerkennung lag aber auch schon die stupende Lektion der jungen deutschen Demokratie: Protest integriert - und wird integriert. Ein Kampf auf Gegenseitigkeit. Auch der schärfste Witz, die polemischste Gemeinheit stumpfen ab, weil und insofern sie Wirkung zeigen.
Auch wenn er es selbst nie sagen würde: Natürlich hat auch Dieter Hildebrandt die Republik verändert. Das zeigte sich nicht zuletzt während der Kanzlerschaft von Helmut Kohl. Einerseits war er als "Birne" und bräsig brabbelndes "pfälzisches Gesamtkunstwerk" (Joschka Fischer) ein Gottesgeschenk für alle Imitatoren und Kabarettstrategen, andererseits biss man sich an ihm auch die Zähne aus: "Wir wollten ihn niederparodieren, aber es hat sich herausgestellt, dass Lächerlichkeit nicht tötet", sagt Hildebrandt im Abstand der Jahre.
Er vergisst hinzuzufügen: Die Ära Kohl war eben auch schon viel liberaler, wer will: linker, ökologischer und weltoffener als die fünfziger und sechziger Jahre. Kohls "geistig-moralische Wende" ging in der Epoche von Techno und Greenpeace, Love Parade und Christopher Street Day buchstäblich baden. Gerne auch im String-Tanga mit "Arschgeweih" und Nabelpiercing.
Schon nach der Wahl des sozialdemokratischen Nazi-Emigranten und Antifaschisten Willy Brandt im Herbst 1972 begannen die echten Probleme fürs linke Kabarett: Wo steht der Feind, wenn der Freund an der Macht ist? Nicht zuletzt wegen dieses Dilemmas löste sich die alte Truppe der "Lach und Schieß" 1972 auf.
Zu viel fürs ZDFDieter Hildebrandt machte natürlich weiter - als Textschreiber für die Nachfolger, als eine Hälfte des neuen Kabarettduos mit Werner Schneyder, und von 1973 bis 1979 als Präsentator der legendären "Notizen aus der Provinz" im ZDF. Er nahm sich unverschämt viel heraus in den insgesamt 66 Sendungen, für ihn eine Art "speaker's corner" als konkurrenzlose Ein-Mann-Satire im deutschen Fernsehen.
Dem ZDF aber war es schließlich zu viel der Freiheit & Unverschämtheit geworden, so wörtlich hatten sie es gar nicht gemeint - und Hildebrandt ging zur Konkurrenz. Sein "Scheibenwischer" im Ersten lief und lief und lief von 1980 bis 2003, oft mit Konstantin Wecker am empörungsbereit gestimmten Klavier, geschlagene 23 Jahre, 144 Folgen lang, auch mal ohne Beteiligung des Bayerischen Rundfunks.
Noch einmal avancierte er, im Kreise wechselnder Berufskollegen, zum ironischen Großinquisitor, erregten Chefkommentator und Conférencier des Zeitgeists, der der Gummibärchen kauenden "Generation Golf" zeigte, wie sehr sich ein älterer Herr noch über den Lauf der Dinge echauffieren kann. Manchmal zerrte er einen zerknüllten Zeitungsausschnitt aus der Jackentasche und las wortwörtlich vor.
Das Publikum verzieh allesImmer wieder blamierte sich die Wirklichkeit, aber sie wollte es einfach nicht wahrhaben. Irgendwann zog er schließlich ein, jener Virus der Verknöcherung und Beharrung, der auch in der Logik steter Wiederholung ein und derselben Anklage stecken mag. Wer immer "die Politiker", gerade jene in der dramatisch absteigenden Linie von Willy Brandt zu Kurt Beck, von Konrad Adenauer zu Ronald Pofalla für alles und jedes verantwortlich macht, verpasst schon mal den echten Wandel der Zeit. Der geht nicht selten an beiden vorbei, an Politikern wie Kabarettisten. Aus präziser Gesellschaftskritik mit schön gebügelter Lachfalte wurde so immer häufiger bemühte Besserwisserei, die zum Gähnen ist: Leitartikel als Humorersatz.
Doch weil selbst Texthänger bei Hildebrandt spannender sind als die brav aufgesagten Sprüche minderbegabter Nachwuchskräfte, verzieh das Publikum auch das. Eigentlich verzieh sie ihm alles.
Nicht zuletzt deshalb, weil es immer auch einen ganz anderen Dieter Hildebrandt gab: Zum Beispiel den begabten Schauspieler, der schon 1965 in der Heinrich-Böll-Verfilmung "Dr. Murkes gesammeltes Schweigen" den Wahnsinn des Rundfunkalltags auf die Spitze trieb und in Helmut Dietls famoser Fernsehserie "Kir Royal" an der Seite von Klatschreporter Baby Schimmerlos alias Franz Xaver Kroetz den schmierigen Fotografen Herbie spielte, der sich für keinen auflagensteigernden "Sensations-Abschuss" im Reich der Intimsphäre von Stars und Sternchen der Bussi-Gesellschaft zu schade war.
"Nie wieder achtzig" lautet der Titel seines jüngsten Buches. Haben wir's doch gleich gewusst: Der Mann kennt kein Alter.
Also doch irgendwie unsterblich.
Quelle :
www.spiegel.de