Frankreichs Wähler haben Nicolas Sarkozy mit großer Mehrheit zum Nachfolger von Jacques Chirac gewählt. Das Land rückt damit nach rechts. Der Konservative gibt sich als Einiger - doch seine politisch-moralische Radikalkur könnte schwere soziale Konflikte heraufbeschwören.Es ist vielleicht kein Erdrutsch, aber auf jeden Fall ein eindeutiges Ergebnis: Mit überwältigender Mehrheit und mit Rekordbeteiligung haben sich Frankreichs 44 Millionen Wähler für den starken Mann der Regierungspartei UMP entschieden - und für dessen Vision einer radikalen Runderneuerung der Republik und der Rückkehr zu den patriotischen Grundfesten der Nation. Sarkozys deutlicher Sieg ist der Triumph des politischen Voluntarismus über den Gegenentwurf der Sozialistin Ségolène Royal und deren Vorstellungen einer "partizipativen Demokratie", die sich zu oft in unscharfen Beteuerungen verloren.
Eine Wende für Frankreich: Nach den bleiernen Zeiten von zwölf Jahren "Chiraquie" haben sich die Bürger damit hinter den Kandidaten gestellt, der den Aufbruch, den Wechsel, ja sogar den "Bruch" mit verfestigten Traditionen angekündigt hat. Im Hinblick auf chronische Arbeitslosigkeit, galoppierende Staatsverschuldung, Globalisierung und die Abwanderung ganzer Industriezweige setzen die Franzosen jetzt auf einen Politiker, der immer gelobt, durchgreifend und rasch die historischen Hypotheken Frankreichs zu liquidieren - den wasserköpfigen Beamtenapparat etwa, die Privilegien von Lehrern oder Sozialarbeitern, den Einfluss von Gewerkschaften.
Die Botschaft konnte verfangen, weil die Malaise über Stagnation, steigende soziale Spannungen und den Niedergang der Mittelklasse nicht nur rund um die Metropolen, sondern auch in den ländlichen Regionen greifbar ist. Zudem wusste Sarkozy seine neoliberale Rosskur, die den Aufschwung über Steuererleichterungen für die Wirtschaft und Finanzhilfe für Investoren anschieben will, mit einer lindernden Beigabe von Protektionismus zu verbinden. Steuern auf unfaire Importe, Hilfen für Klein- und Mittelbetriebe und Kredite für den Erwerb von Eigenheimen - zusammen mit den vollmundigen (und kostspieligen) Versprechen für Schule, Forschung, Krankenhäuser, für Wirtschaftsaufschwung, Wohnungsbau und Umwelt eine offenbar unwiderstehliche Rezeptur.
Hoppla, Moment, und die letzten fünf Jahre? Hatte da nicht die Partei des siegreichen Sarkozy das Heft in der Hand? Saß der künftige Präsident nicht als Haushalts-, Wirtschafts- und Innenminister mit am Kabinettstisch? Trug er - Nummer drei in der Regierung - keine Verantwortung für den langsamen Niedergang der Nation? Das ist das eigentliche perfekte Kunststück dieser Kampagne: Mit bestechender professioneller Strategie hat das "Team Sarkozy" den langjährigen Minister von Jacques Chirac zum "Newcomer", zum Außenseiter, ja, beinahe zur Oppositionsfigur umfrisiert. Seine Manöver und Machenschaften zum Aufstieg in der Partei, sein Paktieren mal mit, mal gegen Chirac, seine gesamte berufliche Karriere einzig und allein als Rädchen, Rad und Lenker im Staatsapparat - alles vergessen.
Balsam für die geschundene Seele Die Retusche gelang mit einem Griff in den politischen Handwerkskasten der amerikanischen Neokonservativen. Denn angesichts einer beunruhigenden, ja, gefährlichen Zukunft, der sich die Franzosen beinahe wehrlos ausgeliefert fühlen, unterfütterte Sarkozy seine Ankündigung des kategorischen gesellschaftlichen Umbaus mit der ideologischen Rückkehr zu den Werten der Vergangenheit: Sein populistisches Bekenntnis zu Moral, Autorität und zu Verantwortung, der Hinweis auf die zivilisatorischen Errungenschaften der Nation und die Vision von einem international erstarkten Frankreich - welch Balsam für die geschundene Seele der Republik.
Und die hat einen erkennbaren Ruck nach rechts gemacht: Ohne jede Scheu und mit demagogischem Geschick konnte Sarkozy - schon beim ersten Wahlgang - die Anhänger des extremistischen "Front National" (FN) für sich gewinnen. Mit seinen nur wenig verklausulierten Attacken gegen die Zuwanderer aus dem Maghreb und Schwarzafrika, mit der Ankündigung eines "Ministeriums für Immigration und Nationale Identität" machte er die rechten Parolen von FN-Führer Jean-Marie Le Pen salonfähig und versammelte damit das rechte Protestpotential - die Franzosen stimmten diesmal für die Kopie, nicht für das Original.
Die präsidialen Ambitionen sind nicht nur für den knarzigen FN-Boss damit beendet. Auch Ségolène Royals Karriere als Spitzenpolitikerin der Sozialisten steht vor einer neuen Herausforderung: Die PS-Kandidatin, die die ergrauten Hierarchen im eigenen Lager mit herablassender Schärfe bedachte, muss sich darauf gefasst machen, jetzt politisch von den "Elefanten" gelyncht zu werden. Dabei stünde bei den Sozialisten statt neuer Grabenkämpfe jetzt eher das ideologische Großreinemachen an; eine Art "französisches Bad Godesberg" und damit die überfällige Neuausrichtung, nach sozialdemokratischem Vorbild. Innerparteiliche Guerillakämpfe, so viel ist sicher, würden der PS - nach der Niederlage im Rennen um den Élysée-Palast - auch bei den Parlamentswahlen am 10. Juni eine weitere Schlappe bescheren.
Er wird sich umsichtig und mitfühlend geben - zunächstDann wäre Sarkozy der Triumphator: Die Gefahr besteht, dass der künftige Präsident auf der Welle seines Wahlerfolgs dann mit der ihm eigenen Härte sein Reformprojekt durchzieht. Immer nur aufs Tempo drückend, beratungsresistent und ohne Rücksicht auf eine dezimierte Opposition, ohne Rücksprache mit gesellschaftlichen Gruppen, ohne Rückversicherung an der Basis. Die für eine Demokratie einzigartige Machtfülle des Amtes ist für einen Charakter wie Sarkozy gewiss verführerisch.
Doch ein brachiales Vorgehen würde nicht nur in den Vorstädten der Metropolen brisante Konfrontationen provozieren, es könnte letztlich den politischen Konsens für Sarkozys Projekt gefährden. Kommt also nach dem noch amtierenden Staatschef, einst als "Bulldozer Chirac" charakterisiert, jetzt "Sarkozy Terminator"?
Bis zu den Parlamentswahlen wird sich der designierte Präsident umsichtig und mitfühlend geben: Wenn der UMP-Chef seinen ganz persönlichen Erfolg ummünzen will in einen Gewinn für die amtierende Mehrheit der Konservativen, wird er sich den Wählern der Mitte, die erstmals landesweit unter dem geschlagenen Francois Bayrou als "Demokratische Bewegung" ins Rennen gehen, vor allem als Mann des Ausgleichs empfehlen.
Die Nagelprobe auf präsidiale Toleranz, auf politische Einfühlsamkeit, vielleicht sogar auf Weisheit, folgt erst im Herbst. Sieger Sarkozy ist zu schlau nicht zu wissen: Nach der Wahl ist vor der Wahl.
Quelle :
www.spiegel.de