Die Walpurgisnacht endete in Berlin mit Prügeln und 61 Festnahmen. Polizisten wurden mit Bier übergossen, beschimpft, mit Flaschen beworfen - und Hunderte Schaulustige standen außenrum, als wären sie auf der Fanmeile. Die Polizei ist trotzdem zufrieden.Berlin - Alle finden es ruhig in diesem Jahr. Die Punks, die Bier trinken, finden es ruhig. Auch die Polizeisprecher vor ihrem Einsatz-VW-Bus.
Aber es ist keine Ruhe, wie man sie hier am Boxenhagener Platz sonst kennt, mit friedlichem Ramschflohmarkt und kiffenden Musikern. Es ist jene Art Ruhe, in der die Luft knistert und man froh ist, dass keine Autos brennen, keine Fensterscheiben der umliegenden Bars zerstrümmert werden.
"Zieh deine Uniform aus", brüllt ein betrunkener Punk einen Polizisten an. Er schimpft und flucht. Der Polizist läuft rot an unter seinem Helm - bleibt aber ruhig. Er gehört zu einem Trupp von zehn Beamten, die offensichtlich unterschätzt haben, wie schnell die Stimmung kippen kann.
Erst standen sie in loser Formation und plauderten sogar mit den feiernden Menschen am "Boxi". Jetzt drängen sie sich zum Selbstschutz Rücken an Rücken. Eine Menge aus Typen in Lederjacken hat sich zusammengedrängt, mit bunten Irokesenschnitten oder Kapuzenpullis. Sie hämmern wie Fußballfans mit ihren Fäusten in die Luft und skandieren Beschimpfungen, in denen ziemlich oft das Wort "Nazi" vorkommt. Bier regnet auf die Beamten nieder, ab und zu fliegt eine Flasche oder ein Becher.
Ohne die Polizisten sähe es aus wie auf der Fanmeile23.30 Uhr an jener Ecke des Boxhagener Platzes, an dem eben noch Bands wie "Pestbeulen" oder "Oi-Polloi" ihren Punk in die Mikrofone gebrüllt haben. Der Organisator des Konzerts (Motto: "Gegen Yuppisierung und Umstrukturierung - G8 verhindern") hat die Veranstaltung für beendet erklärt, ist mit seinem Konzertwagen abgefahren und trägt keine Verantwortung mehr. Am "Boxi" bleiben drei Gruppen: die betrunkenen Krawallmacher; ein Haufen Mitmacher, die aus der zweiten Reihe mitgrölen und vereinzelt Flaschen oder Böller werfen; und der große überwiegende Teil an Konzertbesuchern und Kiezbewohnern, die sich das ganze Spektakel fasziniert anschauen oder schlicht genervt sind von der alljährlichen Randale.
Wenn nicht gerade ein Trupp Polizisten durch die Menge walzt, um gezielt Rädelsführer festzunehmen, sieht es fast aus wie auf einer Fanmeile. Leere Bierbecher und Flyer verkleben die Straße, in den angrenzenden Imbissen und Kneipen gibt es Pizza, Bier in Becher, Falafel oder Schawarma zu kaufen. Man steht mampfend auf dem Gehsteig und schaut Krawall.
Logenplätze haben die Bewohner der Wohnungen darüber. Mit Rap und Reggae beschallen sie die Grünberger Straße. Dort gibt es immer wieder Stimmen der Enttäuschung: "Normalerweise geht's hier mehr ab", sagt ein beleibter Punk mit Pestbeulen-Fan-Lederjacke, auf der ein Punk-Skelett zu sehen ist, das einen Molotowcocktail wirft.
Der Trupp Polizisten ein paar Meter vor ihm hat es mittlerweile geschafft, sich in geschlossener Formation zu anderen Polizisten zurückzuziehen. Die Meute bejubelt ihren Sieg. Allerdings nur kurz.
Jede Festnahme wirkt aus der Ferne wie StarrummelDann pflückt sich eine andere Einheit jenen, den sie für den Rädelsführer hält: Sie hat den Tumult umgangen, von hinten kommen die Polizisten im Laufschritt, der erste packt den Anführer. Andere Polizisten bilden einen Kreis um die Eingreiftruppe, die unter Beschimpfungen und Bierduschen den Festgenommenen gebeugt im Polizeigriff zu ihren Mannschaftsbussen bringen, die an allen vier Ecken des Platzes stehen.
61 Menschen werden im Laufe des Abends festgenommen. Von weitem sieht es jedesmal so aus, als trete ein Hollywood-Star auf: Wie magnetisiert läuft eine Menge Schaulustiger zusammen, in der Mitte die Polizei und der Festgenommene, Kameras sind dabei, Blitzlichtgewitter. Die Presse filmt und fotografiert wegen der Berichte, die Polizei wegen der Beweise, Schaulustige fürs Fotoalbum und Demoerfahrene wegen der Gegenbeweise.
"Anti-Konflikt-Team" steht auf den gelben Westen der Beamten geschrieben, die zunächst vermitteln, wenn Gewalt zu eskalieren droht. Als nächste Option steht die neuen Spezialtruppe der Polizei bereit, die Mitglieder sind in zivil unterwegs, kennen die Szenen und versuchen noch einmal, mit Schlagstock unter der Jacke etwas bedrohlicher wirkend, die Kraft des Wortes einzusetzen. Erst dann kommen die Hundertschaften von Beamten zum Einsatz.
"Die Krawallmacher geben immer allen anderen die Schuld"5000 Polizisten sind rund um den Maifeiertag in Berlin eingesetzt. "Wir haben Gefühl und Härte gezeigt", sagt Bernhard Schodrowski, nachdem die Polizei die Lage am Boxhagener Platz wieder unter Kontrolle hat. Es sei ein gutes Konzept, das auch in der Nacht darauf aufgehen solle - für den Abend des 1. Mai sind mehrere Demonstrationen angesagt, am "Mayfest" in Kreuzberg und im Berliner Mauerpark. Vor allem der baldige G8-Gipfel in Heiligendamm lässt es unsicher erscheinen, ob Autonome nicht dann die Gelegenheit zu heftigeren Krawallen nutzen wollen.
Bemerkenswert ist in jedem Fall, wie ruhig es in der vergangenen Nacht im Rest der Stadt geblieben ist. Im Prenzlauer Berg am Mauerpark tummeln sich am Vorabend des 1. Mai Polizisten in Grüppchen, Kiezbewohner ziehen mit Plastikbechern und Bier in den Park. "Es ist fast schon ein bisschen langweilig hier", sagt Studentin Lavinia. Aber trotzdem besser als in Friedrichshain, wo Steine fliegen: Hinter den Ausschreitungen dort gebe es doch sowieso keine politische Motivation mehr. "Die Krawallmacher, die geben doch immer allen anderen die Schuld", sagt Erik.
Vor drei Jahren waren am Mauerpark noch Wasserwerfer, die Polizei sperrte das ganze Viertel ab. "Heute sind die Polizisten für Berliner Verhältnisse sehr freundlich", sagt Daniel. "Für mich ist es ein Ritual, ich komme seit acht Jahren zur Walpurgisnacht in den Mauerpark", sagt ein Mädchen mit Palästinensertuch, das seinen Namen nicht sagen will. Nur eins stört sie heute: "Der ganze Park ist doch in Scheinwerferlicht getaucht, damit gute Kamerabilder gemacht werden können." Wenn die Polizei nicht wäre, dann wäre alles eine größere Party - wie früher.
Ein Tourist mit Leihfahrrad und Rastalocken fährt vorbei. "This is boring", ruft er mit enttäuschtem Blick, "das ist langweilig."
Quelle :
www.spiegel.de