Die Entschädigungsklage der Preußischen Treuhand gegen Polen sorgt für diplomatisches Durcheinander. Außenministerin Fotyga hatte mit einer Äußerung den Eindruck erweckt, ihre Regierung wolle den deutsch-polnischen Grenzvertrag neu verhandeln. Am Abend dementierten die polnische Botschaft in Berlin und das Außenamt in Warschau.Warschau/Berlin - Helle Aufregung innerhalb der polnischen Regierung. Außenministerin Anna Fotyga hatte als Reaktion auf die Klage der Preußischen Treuhand beim Europäischen Menschenrechtsgerichtshof angekündigt, es müssten "sehr klare Reaktionen" folgen. Im Rundfunksender Trojka sagte sie dazu ausdrücklich auf die Frage, ob damit eine Neuverhandlung des deutsch-polnischen Grenzvertrages von 1990 gemeint sein könnte: "Ja, das ist genau das."
Die Ministerin sagte zugleich, dass für eine Änderung des Abkommens beide Seiten eine entsprechende Entscheidung treffen müssten. Warschau untersuche derzeit die Lage. "Wir müssen das Problem bei ranghohen bilateralen Treffen besprechen, das tun wir bereits. Danach müssen wir Verhandlungen auf Expertenebene beginnen."
Die Aussagen der Außenministerin relativierte die polnische Botschaft in Berlin. Gegenüber SPIEGEL ONLINE teilte das Büro mit, Fotyga habe nicht den Grenzvertrag von 1990 gemeint, sondern das Nachbarschaftsabkommen von Juli 1991.
In einer Erklärung des polnischen Außenministeriums ließ die Ministerin am Abend wissen, es sei nie die Intention der polnischen Seite gewesen, den deutsch-polnischen Grenzvertrag von 1990 in Frage zu stellen. Dies sei auch jetzt nicht der Fall. Von ihren Äußerungen gegenüber dem Rundfunksender Trojka wollte sie nichts mehr wissen. Stattdessen rüffelte sie die Medien. "In manchen deutschen Massenmedien" seien "falsche Informationen" erschienen.
Angesichts der Klagen der Preußischen Treuhand müssten Berlin und Warschau gemeinsam daran arbeiten, Polen künftig vor Schadensersatzforderungen deutscher Bürger zu schützen, forderte Fotyga in einer Verlautbarung weiter. "Eine solche Sicherheit könnte im Rahmen des deutsch-polnischen Vertrags über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit vom Juni 1991 geleistet werden."
Auch Polens Ministerpräsident Jaroslaw Kaczynski hatte Konsequenzen aus der Klage der Preußischen Treuhand gefordert. Er kündigte eine "blitzschnelle Aktion" an. Danach forderte er das Parlament in Warschau auf, das Recht der Polen auf die Güter der nach dem Zweiten Weltkrieg vertriebenen und enteigneten Deutschen zu bekräftigen.
Das Auswärtige Amt in Berlin hatte zuvor versucht, die "langjährige, enge und freundschaftliche Zusammenarbeit beider Länder auf der Basis des deutsch-polnischen Vertrages" hervorzuheben. Ein Sprecher verwies auf die Stellungnahme der Bundesregierung vom Montag, die sich von der Klage der Preußischen Treuhand distanziert hatte.
Die Bundesregierung teile das Vorgehen "in keinster Weise", hatte Vize-Regierungssprecher Thomas Steg gesagt. Die Organisation belaste damit "das uns am Herzen liegende gute Verhältnis zu Polen". Die Preußische Treuhand sei in der deutschen Öffentlichkeit völlig isoliert.
Im deutsch-polnischen Grenzvertrag von 1990 war die Oder-Neiße-Grenze als endgültige Grenze festgelegt worden, beide Länder verzichteten auf jegliche Gebietsansprüche. Polens Regierungschef Jaroslaw Kaczynski sagte, gegen mögliche Entschädigungsforderungen deutscher Vertriebener müssten legale Maßnahmen ergriffen werden.
Er erwäge ein Gesetz, das die Besitzrechte von Polen bekräftige, die ehemals Deutschen gehörende Güter besäßen, sagte Kaczynski dem öffentlich-rechtlichen Sender Jedynka. "Wir brauchen eine klare Deklaration, dass Polen kein Urteil anerkennen wird, das die Rechte Polens in dieser Frage anzweifeln könnte."
Der am 14. November 1990 unterzeichnete Vertrag bestätigte die im Görlitzer Abkommen von 1950 zwischen DDR und Polen sowie im Grundlagenvertrag zwischen der Bundesrepublik und Polen von 1970 festgelegte Oder-Neiße-Grenze als endgültige Grenze zwischen beiden Ländern. Die Regierungen in Berlin und Warschau verzichteten in dem Abkommen auch für die Zukunft auf jegliche Gebietsansprüche. In einem 1991 nachfolgenden Vertrag verpflichteten sich Deutschland und Polen ferner zu einer weitreichenden Zusammenarbeit, die unter anderem regelmäßige Regierungsgespräche und Jugendaustausche vorsieht, der von Fotyga eigentlich gemeinte Nachbarschaftsvertrag. Nicht vertraglich geregelt wurde dagegen der Umgang mit sogenannten Individualklagen.
Die Preußische Treuhand hatte am Freitag beim Europäischen Menschenrechtsgerichtshof in Straßburg 22 Klagen deutscher, nach dem Zweiten Weltkrieg Vertriebener auf Rückgabe ihres früheren Eigentums oder Entschädigungszahlungen eingereicht.
In den letzten Monaten waren die Beziehungen zwischen Warschau und Berlin unter anderem auf Grund des auf deutscher Seite diskutierten Baus eines Vertriebenen-Zentrums angespannt.
Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Karl Lehmann, verurteilte die Klagen der Preußischen Treuhand. "Das ist für alle, die jahrzehntelang für eine Aussöhnung gekämpft haben, ein Schlag ins Gesicht", sagte Lehmann in einem Interview der Deutschen Welle. Er fügte hinzu: "Das muss viel Unmut und Zorn in Polen erwecken und ich sage klar, dass ich sehr bedaure, dass diese Klagen eingereicht wurden." Die deutsch-polnischen "Irritationen auf Regierungsebene" wertete er als eine "vorübergehende Erscheinung".
Quelle :
www.spiegel.de