Stromleitung ohne Widerstand - und das bei Zimmertemperatur? Das ist das ultimative Ziel bei der Forschung an Hochtemperatur-Supraleitern. Wissenschaftler aus Deutschland und der Schweiz zeigen nun, dass das bisherige physikalische Modell des Prozesses komplett überarbeitet werden muss.Der wundersame Effekt hilft im - derzeit defekten - Teilchenbeschleuniger LHC, den Teilchenstrahl auf Kurs zu halten. In Kernfusionsreaktoren sorgt er dafür, dass das extrem heiße Plasma nicht die Wände zerstört. Aber auch, wer sich in einem Krankenhaus einer Kernspintomografie unterziehen muss, kann von ihm profitieren: Bei der Supraleitung verlieren Materialien unter bestimmten Bedingungen ihren elektrischen Widerstand, was zum Beispiel die Erzeugung besonders starker Magnetfelder mit Hilfe supraleitender Spulen möglich macht.
Kristallstruktur eines eisenbasierten Supraleiters: Die Eigenschaften der Schicht aus Eisenatomen (goldene Kugeln) wurden mit Hilfe von Myonen (weißer Pfeil) untersucht.
Normalerweise passiert das bei Temperaturen in der Nähe des absoluten Nullpunkts (- 273,15 Grad Clesius). Doch in den vergangenen Jahren wurden immer mehr sogenannte Hochtemperatur-Supraleiter entdeckt, bei denen sich der Effekt auch bei höheren Temperaturen zeigt. Weltweit arbeiten Forscher daran, diesen Prozess bis ins Detail zu verstehen. In einer neuen Studie haben Wissenschaftler aus Deutschland und der Schweiz nun gezeigt, dass das bisherige physikalische Modell überarbeitet werden muss. Sie haben sich einen ganz besonderen Hochtemperatur-Supraleiter aus eisenbasiertem Material angesehen, der erst im vergangenen Jahr von japanischen Wissenschaftlern entdeckt wurde.
Mit den bis dahin bekannten Hochtemperatur-Supraleitern auf Kupferbasis hat die neue Materialklasse vieles gemeinsam: Die Kristallstruktur ist in Schichten aufgebaut, in denen der Strom fließt. Gleich ist auch, dass beide Substanzen aus einem nicht-supraleitenden Ausgangsmaterial entstehen, in dem die Menge an elektrischen Ladungen durch den gezielten Einbau bestimmter Atome gezielt verändert wird.
Doch es gibt auch entscheidende Unterschiede: Der Ausgangsstoff für die Kupfer-Supraleiter ist ein magnetischer Isolator. Er verliert bei wachsendem Gehalt an Fremdatomen zunächst allmählich seinen Magnetismus und wird schließlich supraleitend. Dieser Ablauf galt bisher als Standard für die Vorgänge in Hochtemperatur-Supraleitern - und war damit auch die Basis für die gängigen Theorien zur Entstehung des Effekts. Doch die neuen Eisen-Supraleiter stammen von einem Metall ab. Und vor allem: Bei einer bestimmten Menge von Fremdatomen wechseln sie schlagartig vom magnetischen Zustand zum Supraleiter.
Anders ausgedrückt heißt das, dass der magnetische Zustand die Supraleitung unterdrückt. Die gewünschte Eigenschaft stellt sich aber sofort ein, wenn der magnetische Zustand, der mit einer Störung im Kristallgitter der Substanz einhergeht, zerstört wird. "Das ist eine ganz neue Klasse von Hochtemperatur-Supraleitern", sagt der Festkörperphysiker Hans-Henning Klauß von der Technischen Universität Dresden im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE. Er ist einer der Autoren der neuen Studie, die im Fachmagazin "Nature Materials" veröffentlicht wurde.
Ihre Erkenntnisse haben die Forscher mit Hilfe von Myonen gewonnen. Das sind instabile Elementarteilchen, die in einem Schweizer Teilchenbeschleuniger gezielt in das Innere der untersuchten Substanz geschossen wurden. Dort zerfielen sie nach zwei Mikrosekunden. Aus der Flugrichtung des dabei entstehenden Positrons konnten die Forscher die magnetischen Eigenschaften der Probe errechnen - und damit Entscheidendes über die Supraleitung im Inneren des Materials lernen.
Die Forscher hoffen darauf, dass die Supraleitung in Zukunft auch bei noch höheren Temperaturen funktioniert. Dazu müssen sie herausfinden, wie die Störung im Kristallgitter gezielt verhindert werden kann. Speziell in die Probe eingebaute Atome wären eine Möglichkeit, oder hoher Druck von außen.
Zwei Eigenschaften sind wichtig für die praktische Anwendung der Supraleitung. Da wäre als erstes die Temperatur: Für viele praktische Anwendungen liegt eine magische Grenze bei minus 195,80 Grad Celsius. Das ist die Temperatur, bei der Stickstoff flüssig wird. Wer supraleitende Verbindungen kreiert, die bei diesen Temperaturen noch funktionieren, kann sie vergleichsweise einfach kühlen. Für eisenbasierte Hochtemperatur-Supraleiter ist das noch nicht gelungen.
Doch noch eine weitere Eigenschaft ist wichtig: die Verarbeitbarkeit. Und hier sieht Forscher Klauß große Vorteile für die neue Materialklasse - vor allem, weil sie auf einem Metall basiert: "Wir hoffen, dass das technologisch viel einfacher zu verarbeiten ist als die bisher bekannten, sehr spröden keramischen Supraleiter."
Quelle :
www.spiegel.de