Angesichts hoch verschuldeter Regionen in Westdeutschland haben Politiker einen Stopp der Ost-Förderpolitik in der heutigen Form gefordert. Inzwischen habe der Westen einen Nachholbedarf bei den öffentlichen Investitionen. Ostdeutsche Politiker warnten dagegen vor Änderungen am Solidarpakt.Hamburg - Westdeutsche Politiker haben den Solidarpakt in Frage gestellt und einen massiven Investitionsstau in den alten Bundesländern beklagt. Die nordrhein-westfälische SPD-Vorsitzende Hannelore Kraft verlangte in "Bild am Sonntag", die gesamte Ost-Förderung neu zu überdenken.
Kraft sagte: "16 Jahre nach der Einheit müssen wir endlich davon wegkommen, Unterstützung nach der Himmelsrichtung statt nach der Bedürftigkeit zu verteilen." Es gehe nicht an, dass das schuldenfreie Dresden jährlich 300 Millionen Euro Fördermittel erhalte, während Städte im Ruhrgebiet nicht mehr wüssten, wie sie ihre Kindergärten bezahlen sollten. Trotzdem müssten sie weitere Schulden machen, um Geld in Boom-Regionen im Osten zu überweisen.
Der bayerische Innenminister Günther Beckstein (CSU) kritisierte, im Westen seien die Investitionen in den vergangenen Jahren zu stark gekürzt worden. "In den alten Bundesländern ist ein Nachholbedarf entstanden, der muss nun ausgeglichen werden", sagte der CSU-Politiker dem Blatt
Bundesbauminister Wolfgang Tiefensee (SPD) forderte als Konsequenz einen so genannten Investitionspakt. "Unsere öffentlichen Bauten sind vielerorts in einem beklagenswerten Zustand", bestätigte der SPD-Politiker. "Deshalb brauchen wir einen Investitionspakt zwischen Bund, Ländern und Gemeinden, um Kindergärten, Schulen und Turnhallen zu sanieren." Dies werde den vielerorts bestehenden Investitionsstau auflösen.
Der Minister bekräftigte, dass schwache West-Regionen künftig gezielter gefördert würden. "Im Osten gibt es einige wenige Städte und Regionen, die mithalten können und das ganze Umland mitziehen müssen", sagte Tiefensee. "Im Westen ist es genau umgekehrt: Neben vielen prosperierenden Städten und Regionen gibt es einige, die den Anschluss verlieren. Hier müssen wir helfen." Deshalb seien bereits die ursprünglich nur für den Osten gedachten Stadtumbauprogramme auf den Westen ausgeweitet worden: "56 Millionen Euro stehen jährlich zur Verfügung."
Geld fehlt auch in westdeutschen KommunenVielen Kommunen dürfte das nicht weit genug gehen. Peter Demnitz, Oberbürgermeister von Hagen in Westfalen, kritisierte: "Seit Jahren pumpen wir Geld in den Osten, das uns hier dringend fehlt. Wir haben 700 Millionen Euro Schulden, einen Investitionsstau von fast 90 Millionen, zahlen aber immer noch an den Osten. Dabei bräuchten eigentlich wir Geld aus dem Solidarpakt." Harald Fichtner, Oberbürgermeister der nordbayerischen Stadt Hof, ergänzte: "Ein Großteil der Bevölkerung hat wenig Verständnis, dass wir unseren eigenen Verwaltungshaushalt nicht mehr finanzieren können, aber gleichzeitig verpflichtet sind, die Solidarmittel für den Osten zu zahlen."
Ostdeutsche Politiker wiesen die Forderungen zurück. Der sächsische Wirtschaftsminister Thomas Jurk (SPD) sagte der "Leipziger Volkszeitung": "Der Solidarpakt II hat seine Berechtigung." Er erklärte: "In 17 Jahren können die Folgen von 40 Jahren Diktatur nicht gänzlich beseitigt werden, bei allem, was vor Ort schon geleistet wurde." Sachsens Ministerpräsident Georg Milbradt (CDU) sagte der Zeitung, er halte sich an die Vereinbarung, dass der Solidarpakt 2019 ende. "Aber bis dahin muss auch das gelten, was vereinbart ist." Der Osten komme ohne eine wirkliche Unterstützung nicht aus.
Der Vorsitzende der thüringischen SPD, Christoph Matschie, kritisierte in der "Thüringer Allgemeinen" seine nordrhein-westfälische Genossin Kraft: "Wer die bis 2019 garantieren Gelder für den Osten in Frage stellt, schießt sich selbst ins Knie." Die Fördergelder für die neuen Länder würden ohnehin bereits abgesenkt, "weitere Einschnitte gefährden den Aufbau Ost", meinte Matschie. Angesichts eines Querschusses wie von Hannelore Kraft sei zu überlegen, "ob wir im Parteivorstand nochmals einen deutlichen Beschluss zu diesem Thema fassen sollten". Noch halte er die Position Krafts für eine Einzelmeinung innerhalb der SPD.
Der Generalsekretär der thüringischen CDU, Mike Mohring, sagte derselben Zeitung: "Bis 2019 ist der Solidarpakt II unantastbar, dabei bleibt es."
Quelle :
www.spiegel.de