Autor Thema: Aufklärer gegen Satanist  (Gelesen 1410 mal)

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Aufklärer gegen Satanist
« am: 28 Januar, 2010, 13:00 »
Da ja hier sonst keiner was macht ... 

Der Antipragmatist: Guy Ritchies "Sherlock Holmes" ist ein James Bond des 19. Jahrhunderts - und Robert Downey Jr. fast zu gut

Rauchen verboten! Das gilt auch für Sherlock Holmes, der hier alles darf, sich aber den Ritualen der Körperpolitik des 21. Jahrhunderts doch sklavischer als erwartet zu fügen hat: Koksen geht schon, Rauchen nicht, und regelmäßiger Sport ist im Zweifel auch wichtiger als tägliche Lektüre. Dies  ist der "Sherlock Holmes" für die postmoderne Blockbuster-Ära, ein Film, der lärmend ist und berechnet, immer etwas zu aufgeblasen, und der aus lauter Einzelteilen besteht, die nicht ganz zusammenpassen. Wenn man dies alles aber mal außer Acht lässt, dann ist der Film keineswegs doof und macht überraschend viel Spaß.

Zitat
My life is spent in one long effort to escape from the commonplaces of existence. These little problems help me to do so.
Sherlock Holmes in Arthur Conan Doyle: "The Red-Headed League"

Man hat ihn möglicherweise einfach ganz lange missverstanden: In Wahrheit ist Sherlock Holmes ein Decadent, drogensüchtig, gelangweilt, verspielt; ein Großbürger, der sich abgestoßen fühlt von der Durchschnittlichkeit seiner Zeit, die er fliehen will; er hat auch psychotische Züge, und bei aller Begabung wäre er ohne Watson im viktorianischen London des hochmodernen Zeitalters der Massen nahezu lebensunfähig - ein Antipragmatist jedenfalls, ein Eskapist und Abenteurer.


All diesen Elementen der Vorlage bleibt Guy Ritchie ganz treu, und der Regisseur von so ansehnlichen, aber doch bei allem Charme ästhetisch wie intellektuell eher dürftigen Werken wie "Lock, Stock And Two Smoking Barrels" hat sich hier selbst übertroffen.

Nackte Jungfrauen in einer Abtei, mit Kerzen, Blut…

Zu spät kommen darf man nicht, denn rasant, mit einer Art Film im Film, geht es los: Eine Kutsche wird verfolgt, in atemloser Hatz, mit berauschendem, den Betrachter dezentrierenden und bewusst täuschendem Schnitt, mit wechselndem Film-Tempo, zu dem auch Zeitlupeneinlagen gehören - durch eine Londoner Nacht, die sich aus Düsternis, Nebel, Regen, Trottoir und gesichtslosen Zylinderträgern zusammensetzt. Es fehlte einzig noch, dass gleich um die Ecke auch Jack the Ripper auftauchte.

Ein anderer Serial-Killer ist es dann, der hier alle in Atem hält. Lord Blackwood heißt er und will gerade seinen sechsten Ritualmord begehen - nackte Jungfrauen in einer Abtei, mit Kerzen, Blut und was sonst zum Schwarze-Messe-Rundumpaket gehört -, als ihm Holmes und Watson zuvorkommen: Zwei durchtrainierte, gutaussehende Männer, Kampfsporterprobt, wie sie schon in den ersten Szenen unter Beweis stellen, wenn sie Blackwoods Schergen außer Gefecht setzen.

Guy Ritchies "Sherlock Holmes" ist fraglos eine modernisierte - manche würden sagen: postmodernisierte - Version des Stoffes. Inspiriert wurde sie nicht allein von der Story-Vorlage von Arthur Conan Doyle, sondern auch von den Comicbüchern, den "Graphic Novels" von Lionel Wigram. Trotzdem bleibt sie auch ihrer Original-Vorlage durchaus treu, die zu den meistverfilmten der Kinogeschichte gehört, wenn sie auch selbst mit Basil Rathbone, der in den 1940er-Jahren nicht weniger als 14-Mail als Sherlock Holmes auf der Leinwand stand, sogar gegen Nazis kämpfte und bald Teil der Sherlock-Holmes-Ikonographie wurde, nie so erfolgreich war wie zum Beispiel James Bond oder Graf Dracula, die ja beide auch aus London stammen.


Früh schon gab es Parodien und Umdefinitionen, die das Original zum Spielmaterial machten, ob die Nazi-Schmonzette "Der Mann, der Sherlock Holmes war" - man darf diese Feier zweier Underdog-Betrüger und ihr Lied "Jawoll meine Herren" als Metapher aufs Nazi-Regime lesen -, oder Billy Wilders "Das Privatleben des Sherlock Holmes", der Homes als Kokainsüchtigen und Schwulen karikiert. Hier rückt der schwule Subtext noch starker in den Vordergrund.

Portrait eines Rationalisten

Einflussreich ist Sherlock Holmes eher indirekt: Als Archetyp des Detektivs, des Privatermittlers in Kriminalgeschichten. Vorbild für zahllose Detektive der Popkultur von Hercule Poirot bis Nick Knatterton. Denn während der karierte Tweed-Regenmantel und die Kappe eher spätere Utensilien sind, die in den Geschichten von Holmes-Erfinder Sir Arthur Conan Doyle allenfalls vereinzelt und nur am Rande vorkommen, kommt keine Sherlock-Holmes-Geschichte ohne mindestens zwei Aspekte aus, auf die auch dieser Film sehr viel Gewicht legt: Zum einen ist Holmes ein Privatermittler. Das heißt, er wahrt immer eine sehr gesunde Distanz zur Obrigkeit, bleibt skeptisch gegenüber ihrer Tendenz zur Überwachung. Für ihn gibt es keinen Zweifel: Geht es um Polizei und Staat, ist Misstrauen angesagt, aus Erfahrung und aus Gerechtigkeitssinn. Holmes arbeitet stattdessen als Detektiv, den jedermann mieten kann.


Zum anderen sein Blick auf die Welt: Der Detektiv à la Conan Doyle ist nämlich ein Philosoph, seine Methode ist die archetypische Erkenntnisweise der Moderne. Er ist ein Flaneur, der Empirismus und Beobachtungsgabe mit Rationalität verbindet - ein klassischer Aufklärer.

Und es ist ja kein Zufall, dass das Wort Aufklärung für das Projekt der Moderne seit dem 18. Jahrhundert genauso gilt wie für die Tätigkeit von Kriminalermittlern. Die Vor- und Gegenmoderne ist das eigentliche Verbrechen und die Scham der Menschheit, die der dringenden Aufklärung bedarf. Und darum ist der Blick des Verbrecherjagenden auch immer ein - fast soziologischer - Blick auf die Gesellschaft, ein Blick hinter ihre Masken und auf ihre Widersprüche, in ihre Abgründe.

Modern ausgedrückt bedient sich Holmes der Methode der Profiler: "The little details are the far most interesting." Er sammelt Indizien. Er beobachtet. Dabei ist Holmes aber eben gerade nicht so pragmatisch wie CSI und andere fernseh-polizeiliche Leichenfledderer, der Unterschied zwischen seiner Analyse und dem DNA-Beweis ist wie derjenige zwischen kritischer und traditioneller Theorie. Mit nichts kann man ihn so wenig identifizieren wie mit dem Biedersinn des "gesunden Menschenverstandes", der allenfalls Watsons Attribut ist. Vielmehr ist er ein Hyper-Sensualist, und Ritchies Stil ist für diese Interpretation eines produktiv-überempfindlichen Holmes genau der richtige Regisseur: Die Welt ist hier alles, was CGI ist, folglich kann man in ihr herumwandern, an sie heranzoomen, sie aufblasen oder einschrumpfen, hinter sie treten oder von oben auf sie herabschauen.


So wie der Regisseur mit der Multiperspektivität - "ein Houdini der Orientierung im Raum" lautet die so schöne wie wahnsinnig treffende Formulierung Bert Rebhandls in der FAS - experimentiert, spielt auch Holmes und entfesselt selbst die Wirklichkeit. Er ist dynamisch, schnell gelangweilt, sein Verstand hält Nichtstun nicht aus: "I want problems. I want work." Und seine Beobachtung ist aktiv, subjektiv… "How did you see that?" fragt ihn Watson einmal: "Because I was looking for it." Genie und Wahn. Aber ist es auch Wahnsinn, hat es doch Methode. "Sherlock Holmes" ist das Portrait eines Rationalisten.

"Death is only the beginning"

Das alles verbindet nun den klassischen Sherlock Holmes mit Guy Ritchies Holmes für das 21.Jahrhundert. Denn der kämpft mit dem Verstand gegen den Fundamentalismus, er klärt auf. Und so legt er dem Mabuse-haften Magier und Geisterbeschwörer Blackwood und seinen faschistoiden Allmachtsträumen - "I will create an empire which will stay for millennia." - das Handwerk. Diese Konfrontation ist ganz interessant: Welcher Gegensatz wird in ihr verhandelt? Was ist die tatsächliche Antithese? Aufklärung vs. Fundamentalismus? Nein, dies nur an der Oberfläche. Auch unter der Maske der Esoterik und der evangelistischen Erlöser-Massenbewegung, des elitären Kults, den Blackwood kreiert, um sich seiner dann zu bedienen, verbirgt sich der "gesunde Menschenverstand" einer technischen Intelligenz, die Religion als "Opium fürs Volk" gebraucht, mit der sich notfalls sogar Panik entfesseln lässt.


Ob das nun auch als eine Analyse der Taliban taugt, wie zumindest im Film mitschwingt, ist die Frage. Eine These ist es immerhin: Der religiös Beseelte ist ein Trickser, der alles vermeintlich Irrationale dann doch technisch rational mittels Maschinen, Geld und psychologischer Manipulation produziert. Der Religion ist ihm Zitatenschatz, Einschüchterungsmittel und Zeichen: Als Holmes und er sich im Todestrakt treffen, zitiert dieser zunächst einmal die "Offenbarung" des Johannes:

Zitat
"And I stood upon the sand of the sea, and saw a beast rise up out of the sea, having seven heads and ten horns, and upon his horns ten crowns, and upon his heads the name of blasphemy./ And the beast which I saw was like unto a leopard, and his feet were as the feet of a bear, and his mouth as the mouth of a lion: and the dragon gave him his power, and his seat, and great authority./ And I saw one of his heads as it were wounded to death; and his deadly wound was healed: and all the world wondered after the beast./ And they worshipped the dragon which gave power unto the beast: and they worshipped the beast, saying, Who is like unto the beast? who is able to make war with him?"

Dann sagt dieser zu Holmes: "Wir nehmen einen langen Weg zusammen. … drei weitere Menschen werden sterben. Du hast das alles möglich gemacht." Und bei der Hinrichtung: "Death is only the beginning." Er wird recht behalten. Der wahre Schurke bleibt hier ganz im Hintergrund: Nur Uninformierte können fragen, was denn wohl bloß "dieser komische Professor Macchiato oder so" soll, der alles unübersichtlich macht. Auch hier ist der Film ganz bei seiner Vorlage: Professor Moriarty ist der große Gegenspieler von Holmes.

Hypermodernes Actionkino

Der Film verbindet also ähnlich wie die letzten "Batman"-Folgen Elemente des hypermodernen Actionkinos - Martial-Arts, Coolness, Kinetik, dazu Schnittgewitter und und eine Fülle digital hergestellter Effekte - mit dem Reiz des Viktorianischen, zu dem London-Accessoires, wie die gerade im Bau befindliche "Tower Bridge" (fertiggestellt 1894, also muss die zeitlich nicht exakt verortete Handlung des Films vor diesem Datum spielen), wie Matsch, Schmutz, Elend, Bobbys und Scotland Yard, die Lebensweisen der damaligen Zeit, ebenso gehören, wie gewisse Manierismen, mit denen man noch im deutschen "Edgar-Wallace-Film" das "typisch Englische" garniert.


Im Grunde, das ist der eine Wermutstropfen, hätte man daraus noch viel viel mehr machen können. Dieser Film gehört - wie manches von Tim Burton (z.B.: "Sweeney Todd: The Demon Barber of Fleet Street", "Corpse Bride", "Sleepy Hollow"); wie "V For Vendetta", wie "From Hell"  - von seinem Aroma her ins Zeitalter der Massen, in die Hochmoderne zwischen 1880 und 1930.

Der zweite Wermutstropfen ist der, dass dieser Holmes zwar sehr sehr unterhaltsam und spannend ist, aber irgendwie auch wirkt wie ein James Bond des 19. Jahrhunderts. Immerhin darf Robert Downey Jr. den jetzt auf diese Weise spielen und ist hier streckenweise fast zu gut für den ganzen Film. Gründe also sich auf diesen Holmes zu freuen und auf seine bereits sicheren Fortsetzungen.

Quelle : http://www.heise.de/tp/
« Letzte Änderung: 28 Januar, 2010, 16:40 von SiLæncer »

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Sir Arthur Conan Doyles Krieg der Geister
« Antwort #1 am: 30 Januar, 2010, 07:03 »
Sherlock-Holmes-Autor Doyle kämpfte vehement um die Anerkennung des Spiritismus - gegen einen Zauberer

Wenn dieser Tage der aktuelle Sherlock Holmes-Film anläuft, in welchem der legendäre Meisterdetektiv gegen einen Okkultisten kämpft, der den Lauf der Welt verändern möchte, so war es in der historischen Realität genau umgekehrt: Während Dr. Watson "autobiographisch" seinen Freund Holmes als kühlen Logiker beschrieb, der Irrationalem skeptisch gegenüberstand, führte Watsons alter ego Sir Arthur Conan Doyle die damals populäre spiritistische Bewegung an und erwartete in naher Zukunft eine Art Apokalypse. Sein Versuch, den Star-Magier Houdini zum Anhänger zu bekehren, führte im Gegenteil zu einem erbitterten Privatkrieg des Zauberers gegen die Spiritistische Bewegung.

Arthur Conan Doyle

Der Krimi- und Science Fiction-Autor Sir Arthur Conan Doyle (geboren 1858) war einer der erfolgreichsten Schriftsteller seiner Zeit. Der aus ärmlichen Verhältnissen stammende Schotte war katholisch erzogen worden, hatte jesuitische Schulen besucht, entwickelte zur Kirche jedoch bereits früh eine kritische Einstellung. Während seines Medizinstudiums befasste sich Doyle mit spiritistischen Praktiken, telepathischen Experimenten sowie mit der aufgekommenen Theosophie. 1889 erlebte er seine erste Séance, die ihn völlig von der Realität des Phänomens überzeugte: Die menschliche Seele konnte außerhalb des Körpers existieren, war unsterblich!

Spiritistische Bewegung

Die spiritistische Bewegung hatte ihren Ursprung im Jahre 1849 genommen, als die Geschwister Fox landesweit Schlagzeilen mit dem Anlocken von Geistern machten, die sich über Klopfzeichen mitteilten. Bis dahin pflegten Geister nur in begabte Personen zu inkarnieren, um durch diese als "Medien" zu sprechen, was jedoch voraussetzte, dass man dem Medium vertraute. Die Existenz der Klopfzeichen jedoch konnten selbst Ungläubige nicht leugnen. Überall in den USA begann es plötzlich zu klopfen, es bildeten sich etliche spiritistische Zirkel, schließlich wurde sogar im Kongress eine Gesetzesvorlage eingebracht, Spiritismus sei als Wissenschaft anzuerkennen. Der neue Glauben war von der neuen Welt auch in die alte gebracht worden. Im Viktorianischen Zeitalter machte insbesondere der schottische Geisterbeschwörer Daniel Dunglas Home von sich reden, der die berühmtesten Wissenschaftler seiner Zeit unter Testbedingungen davon überzeugen konnte, Gegenstände durch Geister zu bewegen oder gar zum Schweben zu bringen. Die Hochstaplerin Madame Blavatsky bereicherte das Geisterklopfen um fernöstliche Mystik, die in theosophischen Gesellschaften Verbreitung fand.

Madame Blavatsky

Nach dem Ersten Weltkrieg, in welchem viele Familien Opfer zu beklagen hatten, mit denen sie Kontakt aufnehmen wollten, befand sich die gut organisierte Bewegung in stetem Aufwind. Auch Doyle hatte viele Verwandte im Krieg verloren, darunter einen Bruder und einen Sohn. Nachdem sich der Schriftsteller lange der Fiktion und mit dem Burenkrieg den weltlichen Themen gewidmet hatte, wurde seine Begeisterung für den Spiritismus schließlich zur Berufung. Eine wichtige Rolle hierbei spielte seine zweite Ehefrau Jean  Leckie, die er für ein begabtes Medium hielt. Lady Doyle vermittelte ihm den Kontakt zu seinem persönlichen Geist "Pheneas", der als steter Ratgeber fungierte. Sie vermochte in Trance Geistern wie Pheneas ihre Hand zu leihen, mit der diese Antworten auf Fragen aufschreiben konnten, sog. "automatic writing". Durch Pheneas vermochte Lady Doyle ihren Geister-begeisterten Mann zu kontrollieren, wobei Pheneas nicht vergaß, stets Lady Doyles Wert zu betonen.

Jean Leckie Doyle

Für seine Kampagne für die Akzeptanz der umstrittenen Geisterwissenschaft bemühte sich Doyle um die Freundschaft zu einem Mann, der laut einem George Bernhard Shaw zugeschriebenen Bonmot mit Jesus Christus und (Doyles) Sherlock Holmes zu den drei bekanntesten Männern seiner Zeit gehörte: Houdini.

Der Zauberer

Der als Erich Weisz 1874 in Ungarn geborene Artist Houdini hatte sich früher in allerhand Jahrmarktskünsten versucht, war mit seiner Frau Bess als telepathisches Wunder getingelt, hatte sogar hellsehend Geister beschworen, bis er schließlich die Publikumswirksamkeit der Entfesslungskunst entdeckte. Nach Achtungserfolgen in den USA war Houdini zur Jahrhundertwende nach Europa gereist, wo er über Nacht in den Varietés zum absoluten Superstar avancierte. Eine gewisse Ironie bot die Tatsache, dass die Tricks der Entfesslungskünstler eigentlich aus dem Repertoire von betrügerischen Geisterbeschwörern stammten. Diese nämlich ließen sich bei "Dunkelsitzungen" zu Kontrollzwecken fesseln, um nicht in den Verdacht zu geraten, selbst Klopfgeräusche oder kinetische Phänomene manipulativ zu produzieren. Tatsächlich jedoch waren raffinierte Scharlatane in der Lage, den versiegelten Fesselungen unbemerkt zu entschlüpfen und diese nach dem Effekt wieder anzulegen.

Harry Houdini

Zu den interessantesten Houdini-Anekdoten zählt eine 1914 auf einer Ozeanüberquerung abgehaltene Séance, bei der Houdini Ex-Präsident Teddy Roosevelt davon überzeugte, ein Geist berichte ihm in Trance Einzelheiten über Roosevelts gerade absolvierte Weltreise. Die vom "Geist" mitgeteilten Informationen hatte Houdini vor der Abfahrt schlicht ausspioniert. Als Roosevelt ernsthaft Houdini um übersinnlichen Rat fragte, musste der Magier unter gegenseitiger Peinlichkeit einräumen, dass der Ex-Präsident einen Zaubertrick für bahre Münze genommen hatte.

Nachdem Houdinis Märkte in Übersee aufgrund des Ersten Weltkriegs weggebrochen waren, konzentrierte er sich auf den amerikanischen Markt, inszenierte spektakuläre PR-Stunts, produzierte aufwändige Zaubershows und wurde in eigenproduzierten Filmen einer der ersten Stummfilmstars.

Wie Doyle hatte auch Houdini ein enges Verhältnis zu seiner Mutter, deren unerwarteter Tod ihn schwer getroffen und zum Grübler gemacht hatte. Houdini entwickelte eine bizarre Faszination für das Thema Tod, die etliche Psychologen beschäftigt hat. So besuchte er die Orte von Morden und tödlichen Unfällen, sammelte allerhand Morbides und erwarb das Original des ersten elektrischen Stuhls. Er verbrachte viel Zeit auf Friedhöfen und pilgerte zu Gräbern verstorbener Zauberer. Zudem sammelte er alles, was irgendwie mit Magie zusammenhing. Seine Entfesslungsnummern, die er meistens unter scheinbarer Todesgefahr zeigte, werden nicht selten als verkappte Selbstmorde gedeutet.

Geisterjäger

Seit ein bekannter Spiritist in einem Zuschauer-Komitee die Requisiten Houdinis für dessen "Unterwasser-Entfesslung" untersucht und jeglichen Trick ausgeschlossen hatte, galt Houdini vielen in der Spiritisten-Bewegung als echter Magier. Doyle hingegen sah in ihm zunächst einen Zauberkünstler und begann Anfang der 20er Jahre eine Korrespondenz mit Houdini, den er nach seiner Meinung zu den Davenport-Brothers fragte. Diese ließen die sich in einem Schrank fesseln, brachten jedoch durch Geister Musikinstrumente zum Spielen. Höflich hatte Houdini geantwortet, er wünsche sich nichts sehnlicher als einen Kontakt zur Mutter, auch er suche nach Wahrheiten und würde an ein echtes Medium glauben, wenn er denn einem begegne. Doyle, der prominente Mitstreiter für die gute Sache suchte, bemühte sich um die Freundschaft des populären Magiers. Nachdem er sich nun in Bristol dessen Show angesehen hatte, war er so beeindruckt, dass er ernsthaft an übersinnliche Fähigkeiten Houdinis glaubte, welche dieser nur seine Rolle als Zauberkünstler tarne.

Davenport-Brothers

Doyle berichtete Houdini von den spektakulären  Fotos, auf denen in Cottingley 1915 von Mädchen angelockte Feen zu sehen waren, worüber er auch ein Buch verfasste. Wie sich erst Jahrzehnte später nach Doyles Tod herausstellen sollte, waren die "Feen" aus Illustrationen aus einem Kinderbuch ausgeschnitten und für für einen Streich für die Kamera drapiert worden. Das Kinderbuch enthielt ausgerechnet auch eine von Doyles Geschichten. Der Spiritismus-Enthusiast stellte Houdini in England einige Geisterbeschwörerinnen vor, die den Magie-Experten jedoch mit ihrer allgemeinen Orakelei nicht beeindrucken konnten. Im gleichen Jahr hatte Houdini sein Enthüllungsbuch "Miracle Mongers" veröffentlicht, in dem er - leicht unkollegial - die Tricks der Fakire, Feuerspucker, Schwertschlucker, Kraftartisten, Dompteure usw. enthüllte, die ihm aus seiner frühen Artistenzeit vertraut waren. Houdini galt daher der Presse als der richtige Mann, um vor den betrügerischen Methoden von Hochstaplern unter den Geisterbeschwörern zu warnen, eine damals höchst lukrative Branche. Er wurde Mitglied eines akademischen Komitees zur Untersuchung entsprechender Phänomene.

Lady Doyles Séance

1922 überquerte Doyle den Atlantik, um auf einer Vortragsreise an der Ostküste der USA für Spiritismus zu werben. Er war Gast in Houdinis Haus, die Familien verstanden sich gut und verbrachten ihre Freizeit miteinander. Um Houdini von den Kräften seiner Frau zu überzeugen, ließ er sie in einer spiritistischen Sitzung den Geist von Houdinis Mutter beschwören, der durch ihre Hand Antworten auf Houdinis Fragen aufschreiben sollte. Die Mutter grüßte ihren Sohn, malte für ihn ein Kreuz. Zwar soll sich Houdini während der Séance, in welcher er erstmals nach neun Jahren ein Zeichen seiner Mutter bekam, gerührt gezeigt haben. Später jedoch ließ er auf Nachfrage Dritte wissen, der Geist könne kaum seine Mutter gewesen sein. Diese hätte nämlich kein englisch gesprochen, auch hätte sie als Jüdin kaum ein christliches Kreuz gemalt. Außerdem schien der Geist der Mutter vergessen zu haben, dass diese gerade Geburtstag hatte, den Houdini stets besonders aufwändig beging.

Auch Houdini versuchte sich in der Kunst des automatic writing, wobei er jedoch bewusst den Namen eines Freundes "Powell" schrieb. Doyle aber erkannte hierin den zufällig identischen Nachnamen einer britischen Spiritistin, was er als untrügerischen Beweis für Houdinis Kräfte bewertete.

Scherzvogel Doyle

Um Doyle davon zu überzeugen, wie täuschend auf Taschenspielertricks beruhende Illusionen wirken können, ließ der routinierte Magier von Doyle frei gewählte Gedanken unter scheinbar unmöglichen Umständen auf einer Tafel erscheinen. Ein paar Wochen später lud er den gefragten Autor zum jährlichen Dinner der Magier ein, wo Kollegen ähnliche Phänomene simulierten. Doyle begrüßte ausdrücklich die Bemühungen der Trickexperten, betrügerische Medien zugunsten von echten zu demaskieren, hielt jedoch nichts von pauschaler Diskreditierung aller Spiritisten. Doyle selbst lieferte an diesem Abend einen den Zauberern ebenbürtigen Beitrag, in dem er eine scheinbar ernste Filmdokumentation zeigte, bei der auf wundersame Weise Dinosaurier zu sehen waren, ohne dass Doyle eine Erklärung hierfür gab. Tatsächlich handelte es sich um erste Bilder des auf Doyles Roman "The Lost World" basierenden Trickfilms.

The Lost World

Einen ähnlich skurrilen PR-Gag hatte sich Doyle bereits ein Jahrzehnt zuvor in England geleistet, der ebenfalls nie offiziell aufgelöst worden war: So war ein menschlicher Schädel auf dem Skelett eines Orang Utans aufgetaucht, der den Wissenschaftlern Rätsel aufgab, jedoch als "Missing Link" von patriotischem Interesse war, da in England bislang noch keine Steinzeit Menschen gefunden worden waren. Doyles Rolle in dieser als Piltdown-Man  bekannten Posse wurde erst später bekannt. Manche Inszenierung war Doyle sogar unfreiwillig gelungen: viele Leser hielten etwa Holmes und Watson, der scheinbar autobiographisch schrieb, für authentische Personen, was zahlreiche Briefe aus aller Welt an die Bakerstreet 221b bewiesen.

Bakerstreet 221b. Bild: Kjetil Bjørnsrud. Lizenz:  CC-BY-SA-3.0

In seinem aktuellen Film The  Man From Beyond baute Houdini eine Anspielung auf Doyle ein, der wiederum den Film in der Öffentlichkeit pries. Doyle selbst war es, der Houdini vorschlug, wie Doyle Vorträge über Spiritismus zu halten, wo er Fälschungen von echten Phänomenen abgrenzen sollte. Die Freundschaft der beiden Männer war nicht zuletzt deshalb ungewöhnlich, weil diese kaum hätten verschiedener sein können. Doyle war ein großgewachsener, gebildeter Literat mit britischem Understatement, Houdini ein kleiner, proletarischer und großspuriger Choleriker mit krauser Sprache. Vor seiner Abreise nach England ebnete Doyle Houdini den Zugang zu begabten Geisterbeschwörern, die den als forsch bekannten Geisterjäger ansonsten nicht empfangen hätten.

Pressefehde

Doyle erhielt von seinem persönlichen Geist "Pheneas" durch die Hand seines geehelichten Mediums den Auftrag, erneut den Ozean zu überqueren und der Westküste vom Spiritismus zu künden. Außerdem stünden bald apokalyptische Veränderungen bevor. In den USA erreichte Lady Doyle durch Radio und Zeitungen die Massen, denen sie über die Lebensweise der Menschen in der Zukunft prophezeite. Als der Ägyptologe Lord Carnavon unter mysteriösen Umständen verstarb, orakelte Autor Doyle, der Grabjäger sei bösen Geistern der Mumien zum Opfer gefallen. Fachleute hielten jedoch eine durch Insektenbiss hervorgerufene Blutvergiftung für die ungleich wahrscheinlichere Ursache.

Arthur Conan Doyle, Harry Houdini

Der von den Doyles rekrutierten Armee an Spiritismus-Gläubigen stand diesmal eine nicht minder skurrile Streitmacht gegenüber: Die Armee der Zauberer. Die Society of American Magicians, der Houdini vorsaß, bezog nun offen Stellung und kündigte an, jeden von Spiritisten demonstrierten Effekt genauso überzeugend nachzuahmen. Die Presse hob die Kontroverse in die Schlagzeilen und titelte, Doyle fordere Houdini mit einer Wette über 5.000,- Dollar heraus, er könne nämlich die Toten zurückbringen. Doyle suchte Houdini persönlich auf, um ihm mitzuteilen, dass ihn die Presse falsch zitiert hätte. Medienprofi Houdini ließ Doyle großzügig wissen, die Presse berichte immer falsch - ging jedoch zur Redaktion und behauptete, Doyle sei korrekt worden. Houdini, der in seiner harten Kindheit und Jugend das Gesetz der Straße verinnerlicht hatte, kannte im Umgang mit Gegnern keine Gnade - schon früher hatte er Konkurrenten mit ähnlichen Intrigen aus dem Felde geschlagen. Houdini stellte Doyles Leichtgläubigkeit in der Presse bloß und überführte bekannte Geisterbeschwörer des Betrugs. Während Doyle an seiner "History of Spiritualism" arbeitete, recherchierte Houdini an seinem Enthüllungsbuch "A Magician Among the Spirits". Hatten sich die Kontrahenten bislang noch respektiert und korrespondiert, so ignorierte Doyle nunmehr die Schreiben des rechthaberischen Zauberers.

Houdini erkor den Kampf gegen die Spiritisten zu seiner Lebensaufgabe. Er führte eine Reihe öffentlicher Aufklärungs-Veranstaltungen mit Prominenten durch, infiltrierte spiritistische Gesellschaften mit Gewährsleuten und Detektiven und nahm selbst verkleidet an Séancen teil. Die von Doyle protegierten Geisterbeschwörer enttarnte Houdini einen nach dem anderen, was ihm in der gut florierenden Branche Hass einbrachte. Houdinis Aufklärung über Spiritistentricks wurde sogar regulärer Bestandteil seines aktuellen Show-Programms. Der Autorität des PR-bewussten Magiers wurden nur zwei Geisterbeschwörer gefährlich: Zum einen der bereits erwähnte Daniel Dunglas Home, für dessen Effekte bis heute Fachleute keine befriedigenden Erklärungen gefunden haben, und die auch Houdini entgegen seiner großspurigen Ankündigung tatsächlich nie zu kopieren vermochte. Doch Home war angenehmer Gegner, war er doch bereits vier Jahrzehnte zuvor in eine andere Dimension übergewechselt. Der bei weitem gefährlichste Gegner Houdinis war jedoch äußerst lebendig - eine junge, attraktive und lebenslustige Frau namens Mina Crandon, genannt "Margery".

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Sir Arthur Conan Doyles Krieg der Geister - Teil 2
« Antwort #2 am: 06 Februar, 2010, 15:58 »
Die Hexe von Boston: Mina "Margery" Crandon

In dem vehement ausgetragenen Glaubenskrieg zwischen Doyle und Houdini geriet die attraktive Geisterbeschwörerin Margery zwischen die Fronten, die sich schließlich einem mit Wissenschaftlern besetzten Komitee stellte. Nach monatelanger Untersuchung war man davon überzeugt, sie habe die Existenz eines Geistes bewiesen. Doch Doyles vermeintlichem Triumph stellte sich Houdini in den Weg. Selbst über den Tod hinaus setzten die beiden Kontrahenten ihre Fehde fort.

Die Authentizität der so populären Geister war in den 20er Jahren von erheblichem Interesse. Die Gattin des US-Präsidenten Coolidge veranstaltete etwa Séancen im Weißen Haus, auch der kanadische Ministerpräsident King hing heimlich dem Spiritismus an. Die spiritistischen Organisationen schickten sich an, in Konkurrenz zu den etablierten Glaubensgemeinschaften zu treten. In Deutschland formierten sich ariosophische  Zirkel, die Okkultismus und Politik verbanden.

American Society for Psychical Research

Auch die Zeitschrift "Scientific American" lobte einen Preis für den Nachweis von Geistern aus, worüber die "American Society for Psychical Research" befinden sollte. In das entsprechende Komitee berief man den Harvard-Psychologen und Eugeniker Dr. William McDougall, den Erfinder von Technicolor Dr. Daniel Frost Comstock, den Psychologen und Geistlichen Dr. Walter Franklin Prince sowie den bekannten Geisterforscher Hereward Carrington, der die verstorbene Geisterbeschwörerin Eusapia Palladino gemanagt hatte. Als Sekretär der Jury fungierte der Wissenschaftsjournalist und Mathematiker Malcolm Bird, der zuvor mit Doyle in England vergeblich nach einem echten Medium gesucht hatte. Bird führte die Recherchen durch, um dem Komitee geeignete Kandidaten zu präsentieren, was zunächst kaum gelang. Houdini setzte sich beim Herausgeber erfolgreich dafür ein, ebenfalls diesem Komitee angehören zu dürfen. Doyle protestierte vergeblich aus der Ferne, ein derart voreingenommenes Mitglied sei ungeeignet.

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