Das Chaos beim HSV ist perfekt: Nach Pöbeleien, Presseausschluss und Aufschub der wichtigsten Abstimmungen hagelt es Kritik an der Führung des Bundesligisten. Die mächtigen, weil zahlreichen Fördermitglieder werfen dem Club schlampige Organisation vor, Uwe Seeler fordert Wiedergutmachung.Es waren bizarre Szenen, die sich im Saal 1 des Hamburger Congress Centrums gestern Abend abspielten. Der HSV hatte zur Mitgliederversammlung geladen, doch am Ende erinnerte das chaotische Treffen eher an eine Mischung aus Heidi Kabels Ohnsorg-Theater und dem Komödienstadl. Im Mittelpunkt standen die rund 1600 Mitglieder, die, teilweise angetrunken, von den Rängen pöbelten.
Dabei war die Bilanz des Abends eher ernüchternd: Erst wurden die Medienvertreter aus dem Saal geschmissen, dann ließen zahlreiche Anhänger ihren Frust an dem hilflosen Vorstand um Präsident Bernd Hoffmann ab. Am Ende dauerten die sogenannten Aussprachen so lange, dass alle wichtigen Abstimmungen vertagt werden mussten.
Stets im Zentrum der Ränkespiele waren die mächtigen HSV-Supporter. Die Fördermitglieder, die beim HSV die große Mehrheit stellen, sorgten erst für den Presseeklat und drückten in der Nacht den Antrag auf Vertagung durch. "Ohne Medien würde ein Spiel HSV - Nürnberg in Ottensen auf der Wiese stattfinden, mit 30 Zuschauern", sagte Erich Laaser, Präsident des Verbandes Deutscher Sportjournalisten, im Fernsehsender N24 zu dem einmaligen Vorfall in der 119-jährigen Geschichte des Clubs.
Als hätte die chaotische Versammlung das Image des Vereins nicht schon genügend ramponiert, legten die Fördermitglieder heute nach: "Die alljährliche Mitgliederversammlung des Hamburger Sport-Verein e.V. gestern Abend im CCH war durch eine vollkommen unzureichende Organisation bei der Durchführung der Veranstaltung geprägt", hieß es in der heutigen Erklärung der Supporters.
Die Mitglieder warfen den Verantwortlichen eine "komplette Fehleinschätzung der Anzahl der zu erwartenden Mitglieder" vor, zudem habe es "lange Schlangen bei der Registrierung und zu wenige Stimmkarten" gegeben. " Die Vielzahl der offensichtlich aufgetretenen Fehler bei der Organisation und die daraus resultierende chaotische Form der Ausrichtung dieser Mitgliederversammlung ist dem Hamburger SV schlichtweg unwürdig", hieß es in der Erklärung weiter.
HSV-Vorstand Christian Reichert räumte auf Nachfrage von SPIEGEL ONLINE ein, die "Anzahl der Teilnehmer falsch eingeschätzt zu haben", spielt den Ball aber sogleich an die Abteilung zurück, für die er im Vorstand des Traditionsclub sitzt: "Wir haben im Vorfeld Gespräche mit allen Abteilungen, also auch mit Supportes geführt, die Zahl 1600 ist nicht gefallen. Alle anderen kritisierten Punkte weise ich zurück", so Reichert, der "von einem unangenehmen Abend" spricht.
Seeler peinlich berührtAuch HSV-Idol Uwe Seeler war der Abend peinlich: "Mit Pöbeln und Schreien hat man noch nie etwas bewirkt. Dieser Imageverlust muss schnellstens wieder gutgemacht werden", sagte Seeler heute der dpa. In der Tat erinnerten laut Augenzeugen zahlreiche Wortmeldungen eher an einen Auftritt des TV-Komikers und bekennenden HSV-Fans Oliver "Dittsche" Dietrich als an ein Treffen des höchsten Vereinsgremiums eines Bundesligisten, der im Jahr über 100 Millionen Euro umsetzt.
So wedelte ein Mitglied mit seiner Eintrittskarte vom Endpsiel des Europacups der Landesmeister aus dem Jahr 1983, das der HSV in Athen gegen Juventus Turin gewann, um dann Hoffmann und seinem sichtlich verdutzten Sportchef Dietmar Beiersdorfer vorzuwerfen, im Fall Daniel van Buyten versagt zu haben, "weil ihr ihm nicht gesagt habt, dass er noch Vertrag bis 2008 hat". Der Verteidiger war vor der Saison für zehn Millionen Euro zum FC Bayern gewechselt.
Ein anderes Mitglied, der die Versammlung Jahr für Jahr mit der Begrüßungsfloskel "Hallo Klopfers" anspricht, hatte dagegen einen denkbar kurzen Auftritt. Weil er mit seinen Mitgliedsbeiträgen offenbar im Rückstand war, schmiss in die Verwaltung vom Rednerpult. Dabei wollte der treue HSV-Fan gerade ausführlich begründen, dass zwei verschiedene Konten bei einer großen Hamburger Bank für die missliche Lage verantwortlich seien.
Während Hoffmann um Schadensbegrenzung bemüht war ("Wir sind ein demokratischer Verein"), zeigten sich die ehemaligen HSV-Präsidenten Peter Krohn und Wolfgang Klein entsetzt. "Das ist in der Tradition des HSV einzigartig, ein bitterer Abend", formulierte Krohn. Klein sagte resigniert: "Ahnungslose bestimmen jetzt, wie es in Zukunft läuft. Das war nicht einmal Zweitliga-Niveau, damit würde man alle Zweitligisten beleidigen. Das ist nicht mehr mein Verein".
Fortsetzung folgtZudem forderte Klein eine Ausgliederung der Profi-Abteilung, um solche Zustände in Zukunft zu verhindern. Denn solange sich die Lizenzspielerabteilung im eingetragenen Verein befindet, ist und bleibt die Mitgliederversammlung trotz aller Pöbeleien und Ausfälle das höchste Beschlussgremium. Hoffmann war bereits im vergangenen Jahr mit dem Versuch, die Lizenzspielerabteilung in eine eigene Rechtsform zu überführen, am Veto der Mitglieder gescheitert.
Ein anderer honoriger HSV-Repräsentant, Aufsichtsrats-Boss Bandow, ahnt bereits, dass seine Zeit unter den neuen Vorzeichen beim HSV schon fast abgelaufen ist. "Bis 2008 bin ich als Vorsitzender des Aufsichtsrats gewählt. Was dann kommt, ich weiß es nicht. Selbst kandidieren werde ich auf keinen Fall mehr", äußerte der in der Hansestadt hoch angesehene Bankier bekümmert. Im Januar wird der 74-Jährige aber noch die Fortsetzung abgebrochenen Mitgliederversammlung leiten müssen, denn wegen der fortgeschrittenen Zeit wurden Aufsichtsrat und Vorstand noch keine Entlastung erteilt. Auch anstehende Neuwahlen mussten verschoben werden.
Ein gutes Gespür für die emotional aufgeladene Stimmungslage bewies Trainer Thomas Doll. Der wegen der sportlichen Talfahrt des HSV bis auf den vorletzten Tabellenplatz umstrittene Coach hatte seinen Spielern verordnet, der Veranstaltung fernzubleiben. Und entgegen eigener Ankündigung, folgte er kurzentschlossen dem Beispiel seiner Schützlinge. Eine kluge Entscheidung.
Quelle :
www.spiegel.de