Der sympathische Untertan
Humor und Deutschland, das passt nicht zusammen. Dabei gab es lange vor Blödelbarden und Berufszynikern einen Konsenskomiker und Kleinbürger-Poeten, der dem Volk mit leichtem Witz und onkelhaftem Charme die schwere Nachkriegszeit erleichterte: Heinz Erhardt. Eine Ode zum 100. Geburtstag.
Dass Deutsche keinen Humor haben, gehört zu den liebsten Vorurteilen, die im Rest der Welt kursieren. Der humorlose deutsche Spießer ist auch unter Deutschen eine äußerst beliebte Redefigur, ein rhetorischer Small-Talk-Snack auf jeder besseren Gesellschaftsparty. Natürlich ist dabei immer der andere gemeint, der Spießer von nebenan, der Nachbar, Onkel oder Arbeitskollege.
Merkwürdigerweise hat sich an dieser nationalen Selbsteinschätzung im Laufe der Jahrhunderte wenig geändert. Weder Heinrich von Kleist noch Heinrich Heine, weder Georg Christoph Lichtenberg, Thomas Mann noch Kurt Tucholsky, weder Karl Valentin, Gerhard Polt noch Loriot, auch nicht Hanns Dieter Hüsch, Otto Waalkes oder Harald Schmidt gelten als glaubwürdige Zeugen wider das beherrschende Historiengemälde vom tiefdeutschen Ernst der Dichter-und-Denker-Nation.
Selbst die gigantische Comedy-Welle, die das wiedervereinte Land seit Anfang der neunziger Jahre überschwemmt und aus den schwergängigen deutschen Problembären zeitweise eine leichtlebige "Spaßgesellschaft" zu machen drohte, konnte der jahrhundertealten Identität nicht an den altgermanischen Seelenpanzer. Motto: Gelacht wird drinnen, draußen nur Kännchen. Alles andere regelt der Reichshumorbeauftragte.
Komisch eigentlich, wenn man bedenkt, dass es schon in den frühen Tagen der Bundesrepublik einen Humoristen wie Heinz Erhardt gab. Der am 20. Februar 1909 im lettischen Riga geborene Sohn eines baltischen Kapellmeisters und einer Deutschen passt so gar nicht in die notorisch ambivalente Tradition teutonischer Selbsteinschätzung.
Noch heute hat der Paradekomiker der fünfziger und sechziger Jahre, der 1979 starb, eine große Fangemeinde - 2007 landete er bei der ZDF-Show "Unsere Besten" auf Platz zwei - hinter Loriot. Vielen gilt er als Kultfigur nachkriegsdeutscher Blödelkunst, als Kalauer-Jongleur und absichtsloser Chaos-Reimer, bei dem auch die kritischsten Geister das tiefenhermeneutische Interpretationsbesteck in der Aktentasche der Frankfurter Schule ließen.
Klar doch: Das "Butterblumengesicht" (so der Theaterkritiker Friedrich Luft) mit der schwarzen Hornbrille und dem schütteren Seitenscheitel meinte es gar nicht ernst - sondern ganz und gar unernst. Das aber konsequent und bis ins kleinste Detail ausgefeilt. So heftete er auch sämtliche Rezensionen seines Schaffens in Magazinen, Zeitungen und Zeitschriften sorgfältig ab. So viel Akkuratesse musste sein.
Zugleich war er bis in die Fettfalte seines Doppelkinns hinein die kalorienfrohe Verkörperung des deutschen Wirtschaftswunders nach dem Krieg - der "typische" Deutsche eben, der Hitler nicht widerstanden, ihn aber überlebt hatte und es sich jetzt bei Schwarzwälder Kirsch und Bohnenkaffee mit Sahne möglichst gut gehen lassen wollte.
Bei der NS-Reichsmarine war der überzeugte Nichtschwimmer glücklicherweise nicht über die Grundausbildung hinausgekommen. Danach hat er nie mehr einen Schuss abgefeuert. Der Rest seiner persönlichen Kriegsbeteiligung bestand in Truppenbetreuung mit Musik und Unterhaltung. Höchstwahrscheinlich hat dabei das Lied vom "Fräulein Mabel" ("Beine hat sie krumme wie ein Säbel") nicht gefehlt, das er schon 1938 in Berlin und in seiner späteren Nachkriegskarriere insgesamt weit mehr als tausend Mal zu Gehör brachte.
Mit ihm konnten sich Millionen identifizieren, mit ihm konnten sie lachen, manchmal sogar über sich selbst. Als akribischer, überkorrekter Finanzbeamter "Willi Winzig", in Filmen wie "Der letzte Fußgänger" und "Natürlich die Autofahrer" bot er ausreichend Projektionsfläche für die ethnologische Selbstspiegelung. Noch heute liefern die Wiederholungen im Fernsehen ästhetisch-soziologisches Material par excellence.
Er passte zum Zeitgeist wie der Wurm zum Fisch
Heinz Erhardt trieb es allerdings nie zu weit. Er war kein Kabarettist, kein schneidender Satiriker, keiner, der etwas "bewirken" wollte jenseits des eigenen Erfolgs und der Unterhaltung seines Publikums. Er wollte nur spielen. So war er nicht mehr und nicht weniger als ein außergewöhnlich begabter Vortragskünstler irgendwo zwischen Kabarett und Theater, Showbühne und Film, über den sogar britische Besatzungssoldaten lachen konnten, obwohl sie kaum ein Wort verstanden. Nicht zuletzt waren es die Umstände der Zeit, die ihn zum idealtypischen Stand-up-Komiker der Adenauer-Ära werden ließen. Er passte zum Zeitgeist wie der Wurm zum Fisch. Apropos: "Am Fuß von einem Aussichtsturm / saß ganz erstarrt ein langer Wurm" - so beginnt das Gedicht vom Regenwurm.
Erhardts Lieder und Gedichte verbreiteten genauso wie seine rund 40 Kinofilme und unzählige Fernsehauftritte jene ironisch grundierte, zugleich heimelige Leichtigkeit des Seins, die nach der Katastrophe von Weltkrieg, Nazi-Terror und Völkermord an den Juden einer tiefen Sehnsucht der Deutschen entsprach. Wunderbar "unschuldig" kamen seine Vierzeiler daher, die nicht nur im alltäglichen Sinn entlastend und befreiend wirkten, sondern wohl auch im verschämten Rückblick auf die Verbrechen der Vergangenheit.
So ist es auch kein Zufall, dass Heinz Erhardts Komik mit dem heute so gefürchteten Genre des Heimatfilms kompatibel war. Hier verband sich die Erleichterung, noch einmal davon gekommen zu sein, mit dem Wunsch nach einer möglichst heilen Welt, in der jede unnötige Schärfe nur von Übel gewesen wäre. Ob "Drillinge an Bord", "Witwer mit fünf Töchtern" oder "Drei Mann in einem Boot" - Erhardt war eine Ikone des beschwingten Neuanfangs, ein sympathischer Untertan, der niemanden mehr anbeten wollte außer der hübschen Apothekertochter von gegenüber. So wurde er die historisch-cineastische Gegenfigur zu Heinrich Manns gänzlich humorfreier, dafür fanatisch "kaisertreuer" Romangestalt Diederich Heßling aus der wilhelminischen Gründerzeit, 1951 von Wolfgang Staudte in einer ostdeutschen Defa-Produktion mustergültig verfilmt.
Verklemmt und verklebt
Dass der westdeutsche Neuanfang aber durchaus auch verklemmt und verklebt war, zeigen manche Erhardt'sche Sottisen ebenfalls, etwa dieses noch nicht gendermäßig gemainstreamte Wortspiel:
"Frauen sind wie Juwelen. Man muss sie mit Fassung tragen."
Das Wiehern der glattrasierten, perfekt gescheitelten Männer in Reihe sieben war garantiert, und die hochtoupierte Dame in der zweiten Reihe machte gute Miene zum Pralinenschachtel-Kostüm.
Der Herrenwitz in seiner sublim gepflegten Form war unzweifelhaft Teil des kulturell-gesellschaftlichen Wiederaufbaus. Doch diese Form übergriffiger Witzigkeit verriet zugleich viel über den Zustand der Nachkriegsrepublik. Da war noch viel Verschwitztes und Verschwiegenes, Verdruckstes und Verdrängtes.
Immerhin übte man schon mal ein bisschen die neue Freiheit der westlichen Demokratie, die mit dem klirrenden Kommandoton der nationalsozialistischen Volksgemeinschaft gebrochen hatte.
Während man vor wenigen Jahren noch lautstark mitgesungen hatte, als es hieß "Ihr Sturmsoldaten, Jung und Alt, nehmt die Waffen in die Hand / Der Bolschewist, der dringt ganz fürchterlich in das deutsche Vaterland", so klang es nun schon ganz anders, wenn Heinz Erhardt das Gedicht von der Made vortrug:
Hinter eines Baumes Rinde / Wohnt die Made mit dem Kinde / Sie ist Witwe, denn der Gatte, den sie hatte / Fiel vom Blatte / Diente so auf diese Weise / Einer Ameise als Speise"
Kein Zweifel: Heinz Erhardt gehörte zu den ersten Zivilisten der zweiten deutschen Demokratie, in der es kein Verbrechen mehr war, von Maden und Ameisen zu reden, von Blättern und Bäumen. Womöglich hat er es ganz nebenbei vielen alten Volkskameraden, die in der Nazizeit geformt wurden, ein bisschen leichter gemacht, sich in der neuen Freiheit ohne Führer zurechtzufinden - eine nicht zu verachtende historisch-humoristische Gesamtleistung.
Der Mann mit dem Gesicht eines Postbeamten war der Wohlstands-Ringelnatz der Nachkriegsära, der der verwundeten deutschen Seele die Kompressen einer neuen Lachkultur anlegte. In ihr versöhnte sich das Schwere mit dem Leichten, das Ernste mit dem Lustigen: Lockerungsübungen am gebeutelten Volkskörper.
So wurde er zur Integrationsfigur in einer Zeit, in der ein Eheratgeber aus dem Jahre 1959 jeder deutschen Frau dringend riet, "ihrem Mann ein Heim zu schaffen, in das er nach des Tages Arbeit gern zurückkehrt".
Keine Frage, Heinz Erhardt hat sich um den Humorstandort Deutschland verdient gemacht.
Quelle : www.spiegel.de