DVB-Cube <<< Das deutsche PC und DVB-Forum >>>

Info Corner / Internet-via-Sat, Datendienste / IPTV / Videoportale / Internet TV & Radio => # News diverses ... => Thema gestartet von: SiLæncer am 22 Mai, 2007, 18:41

Titel: Der ironische Großinquisitor
Beitrag von: SiLæncer am 22 Mai, 2007, 18:41
Adenauer, Brandt, Kohl - keiner war vor ihm sicher. Er ist Deutschlands einflussreichster politischer Kabarettist, und er hat die Republik verändert. Morgen wird Dieter Hildebrandt 80. Hommage an eine Instanz.

Ist der Mann, über den Edmund Stoiber sagte: "Ja gut, man kann ihm nicht den Vorwurf der absoluten Ausgewogenheit machen", nicht schon immer und ewig da gewesen? Mit seinem improvisiert abgezirkelten Gestotter, mit den abgebrochenen Halbsätzen? Und den verzögerten Pointen, die nach kurvenreichem Anlauf dann umso zielgenauer einschlagen?

Ist er nicht sowieso alterslos und unsterblich?

Dass Dieter Hildebrandt, der bedeutendste und einflussreichste politische Kabarettist der Bundesrepublik, am kommenden Mittwoch seinen 80. Geburtstag feiert, möchte man nicht wirklich glauben. Man hätte eher auf den 100. getippt. Hildebrandt ist eine Art Johannes Heesters des deutschen Kabaretts, ein Brettl-Dino, das ewig tagende Reichs-, pardon: Republikgericht der deutschen Nachkriegspolitik. Adenauer, Erhard, Kiesinger, Brandt - er hat sie alle in Grund und Boden gestammelt - und überlebt.

Andererseits wirkt er immer noch jugendlicher als einige aus der neuesten Spaßmachergeneration von Pocher & Co., deren eher brüllende als komische Fernsehauftritte schon Sekunden später verzischen wie ein abschrumpelnder Luftballon auf einem Kindergeburtstag.

Seit mehr als einem halben Jahrhundert steht Dieter Hildebrandt nun auf der Bühne, und die Liste seiner Kabarettprogramme, Texte, Bücher, Schallplatten, CDs, Filme, TV-Sendungen, Lesungen und Preise füllt Seiten. Nur die beiden anderen großen Mitglieder des Satire-Dreigestirns am Humorstandort Deutschland, der verstorbene Hanns Dieter Hüsch und der gerade 65 Jahre alt gewordene Gerhard Polt, können da annähernd mithalten.

Wir können auch anders

Als der geborene Niederschlesier und Wahlbayer Hildebrandt 1956 zusammen mit Sammy Drechsel, Klaus Havenstein, Ursula Herking, Hans-Jürgen Diedrich und anderen die "Münchner Lach- und Schießgesellschaft" gründete, konnte niemand ahnen, dass sie bis in die achtziger Jahre hinein zu der Instanz und Institution des politischen Kabaretts werden würde, das Alpha und Omega der satirischen Gesellschaftskritik im Land der Dichter und Denker.

"Denn sie müssen nicht, was sie tun" - schon der Titel des ersten von Dutzenden Programmen formulierte anspielungsreich das Leitmotiv der "Lach- und Schieß": Wir können auch anders. Scharfe, polemische und sarkastische Kritik an Personen und Zuständen, oft in Form chorisch einstudierten Bänkelgesangs, war hier erste Bürgerpflicht, auch wenn sie nicht wie heute im mehr oder weniger verschwitzten T-Shirt, sondern in Anzug und Krawatte vorgetragen wurde, Seitenscheitel inklusive. So viel Ordnung musste sein.

Nachdem zu Beginn der sechziger Jahre das Fernsehen jede Premiere aufzeichnete und sendete, sah man immer häufiger Minister und andere Notabeln im Publikum. Vor allem die Silvesterübertragungen wurden zum Hochamt. Dieter Hildebrandts Sottisen-Gewitter schien wie eine reinigende Dusche, wie ein Ersatz-Purgatorium über die politische Klasse zu kommen. Man konnte süchtig danach werden.

Gefahr, zum Hofnarren zu werden

Nur zur Erinnerung für Jüngere: Damals gab es keine "Titanic", keinen Harald Schmidt, keinen Matthias Richling - nur Peter Alexander, Vico Torriani, o sole Millionen und Lou van Burgs "Der Goldene Schuss" mit den reizenden "Assistentinnen". Zugegeben: Heinz Erhardt brillierte im deutschen Spielfilm als Finanzbeamter Winzig.

Als Bundeskanzler Ludwig Erhard, der Zigarren rauchende "Vater des Wirtschaftswunders", die erfolgreichen Münchner Kabarettisten 1964 sogar zum Tee empfing, blitzte die Gefahr auf, zur staatlich anerkannten Hofnarrentruppe zu werden.

Doch Dieter Hildebrandt & Co. verstanden es immer wieder, sich den allzu freundlichen Umarmungen des "Feindes", Teil des klassischen Berufsrisikos, zu entwinden - dafür sorgte schon das Fernsehpublikum mit Einschaltquoten von mehr als 50 Prozent, das es genoss, wenn "die da oben" ihr Fett abkriegten.

In dieser Dialektik der Anerkennung lag aber auch schon die stupende Lektion der jungen deutschen Demokratie: Protest integriert - und wird integriert. Ein Kampf auf Gegenseitigkeit. Auch der schärfste Witz, die polemischste Gemeinheit stumpfen ab, weil und insofern sie Wirkung zeigen.

Auch wenn er es selbst nie sagen würde: Natürlich hat auch Dieter Hildebrandt die Republik verändert. Das zeigte sich nicht zuletzt während der Kanzlerschaft von Helmut Kohl. Einerseits war er als "Birne" und bräsig brabbelndes "pfälzisches Gesamtkunstwerk" (Joschka Fischer) ein Gottesgeschenk für alle Imitatoren und Kabarettstrategen, andererseits biss man sich an ihm auch die Zähne aus: "Wir wollten ihn niederparodieren, aber es hat sich herausgestellt, dass Lächerlichkeit nicht tötet", sagt Hildebrandt im Abstand der Jahre.

Er vergisst hinzuzufügen: Die Ära Kohl war eben auch schon viel liberaler, wer will: linker, ökologischer und weltoffener als die fünfziger und sechziger Jahre. Kohls "geistig-moralische Wende" ging in der Epoche von Techno und Greenpeace, Love Parade und Christopher Street Day buchstäblich baden. Gerne auch im String-Tanga mit "Arschgeweih" und Nabelpiercing.

Schon nach der Wahl des sozialdemokratischen Nazi-Emigranten und Antifaschisten Willy Brandt im Herbst 1972 begannen die echten Probleme fürs linke Kabarett: Wo steht der Feind, wenn der Freund an der Macht ist? Nicht zuletzt wegen dieses Dilemmas löste sich die alte Truppe der "Lach und Schieß" 1972 auf.

Zu viel fürs ZDF

Dieter Hildebrandt machte natürlich weiter - als Textschreiber für die Nachfolger, als eine Hälfte des neuen Kabarettduos mit Werner Schneyder, und von 1973 bis 1979 als Präsentator der legendären "Notizen aus der Provinz" im ZDF. Er nahm sich unverschämt viel heraus in den insgesamt 66 Sendungen, für ihn eine Art "speaker's corner" als konkurrenzlose Ein-Mann-Satire im deutschen Fernsehen.

Dem ZDF aber war es schließlich zu viel der Freiheit & Unverschämtheit geworden, so wörtlich hatten sie es gar nicht gemeint - und Hildebrandt ging zur Konkurrenz. Sein "Scheibenwischer" im Ersten lief und lief und lief von 1980 bis 2003, oft mit Konstantin Wecker am empörungsbereit gestimmten Klavier, geschlagene 23 Jahre, 144 Folgen lang, auch mal ohne Beteiligung des Bayerischen Rundfunks.

Noch einmal avancierte er, im Kreise wechselnder Berufskollegen, zum ironischen Großinquisitor, erregten Chefkommentator und Conférencier des Zeitgeists, der der Gummibärchen kauenden "Generation Golf" zeigte, wie sehr sich ein älterer Herr noch über den Lauf der Dinge echauffieren kann. Manchmal zerrte er einen zerknüllten Zeitungsausschnitt aus der Jackentasche und las wortwörtlich vor.

Das Publikum verzieh alles

Immer wieder blamierte sich die Wirklichkeit, aber sie wollte es einfach nicht wahrhaben. Irgendwann zog er schließlich ein, jener Virus der Verknöcherung und Beharrung, der auch in der Logik steter Wiederholung ein und derselben Anklage stecken mag. Wer immer "die Politiker", gerade jene in der dramatisch absteigenden Linie von Willy Brandt zu Kurt Beck, von Konrad Adenauer zu Ronald Pofalla für alles und jedes verantwortlich macht, verpasst schon mal den echten Wandel der Zeit. Der geht nicht selten an beiden vorbei, an Politikern wie Kabarettisten. Aus präziser Gesellschaftskritik mit schön gebügelter Lachfalte wurde so immer häufiger bemühte Besserwisserei, die zum Gähnen ist: Leitartikel als Humorersatz.

Doch weil selbst Texthänger bei Hildebrandt spannender sind als die brav aufgesagten Sprüche minderbegabter Nachwuchskräfte, verzieh das Publikum auch das. Eigentlich verzieh sie ihm alles.

Nicht zuletzt deshalb, weil es immer auch einen ganz anderen Dieter Hildebrandt gab: Zum Beispiel den begabten Schauspieler, der schon 1965 in der Heinrich-Böll-Verfilmung "Dr. Murkes gesammeltes Schweigen" den Wahnsinn des Rundfunkalltags auf die Spitze trieb und in Helmut Dietls famoser Fernsehserie "Kir Royal" an der Seite von Klatschreporter Baby Schimmerlos alias Franz Xaver Kroetz den schmierigen Fotografen Herbie spielte, der sich für keinen auflagensteigernden "Sensations-Abschuss" im Reich der Intimsphäre von Stars und Sternchen der Bussi-Gesellschaft zu schade war.

"Nie wieder achtzig" lautet der Titel seines jüngsten Buches. Haben wir's doch gleich gewusst: Der Mann kennt kein Alter.

Also doch irgendwie unsterblich.

Quelle : www.spiegel.de
Titel: HEINZ ERHARDT ZUM 100.
Beitrag von: SiLæncer am 19 Februar, 2009, 18:55
Der sympathische Untertan

Humor und Deutschland, das passt nicht zusammen. Dabei gab es lange vor Blödelbarden und Berufszynikern einen Konsenskomiker und Kleinbürger-Poeten, der dem Volk mit leichtem Witz und onkelhaftem Charme die schwere Nachkriegszeit erleichterte: Heinz Erhardt. Eine Ode zum 100. Geburtstag.

Dass Deutsche keinen Humor haben, gehört zu den liebsten Vorurteilen, die im Rest der Welt kursieren. Der humorlose deutsche Spießer ist auch unter Deutschen eine äußerst beliebte Redefigur, ein rhetorischer Small-Talk-Snack auf jeder besseren Gesellschaftsparty. Natürlich ist dabei immer der andere gemeint, der Spießer von nebenan, der Nachbar, Onkel oder Arbeitskollege.

Merkwürdigerweise hat sich an dieser nationalen Selbsteinschätzung im Laufe der Jahrhunderte wenig geändert. Weder Heinrich von Kleist noch Heinrich Heine, weder Georg Christoph Lichtenberg, Thomas Mann noch Kurt Tucholsky, weder Karl Valentin, Gerhard Polt noch Loriot, auch nicht Hanns Dieter Hüsch, Otto Waalkes oder Harald Schmidt gelten als glaubwürdige Zeugen wider das beherrschende Historiengemälde vom tiefdeutschen Ernst der Dichter-und-Denker-Nation.

Selbst die gigantische Comedy-Welle, die das wiedervereinte Land seit Anfang der neunziger Jahre überschwemmt und aus den schwergängigen deutschen Problembären zeitweise eine leichtlebige "Spaßgesellschaft" zu machen drohte, konnte der jahrhundertealten Identität nicht an den altgermanischen Seelenpanzer. Motto: Gelacht wird drinnen, draußen nur Kännchen. Alles andere regelt der Reichshumorbeauftragte.

Komisch eigentlich, wenn man bedenkt, dass es schon in den frühen Tagen der Bundesrepublik einen Humoristen wie Heinz Erhardt gab. Der am 20. Februar 1909 im lettischen Riga geborene Sohn eines baltischen Kapellmeisters und einer Deutschen passt so gar nicht in die notorisch ambivalente Tradition teutonischer Selbsteinschätzung.

Noch heute hat der Paradekomiker der fünfziger und sechziger Jahre, der 1979 starb, eine große Fangemeinde - 2007 landete er bei der ZDF-Show "Unsere Besten" auf Platz zwei - hinter Loriot. Vielen gilt er als Kultfigur nachkriegsdeutscher Blödelkunst, als Kalauer-Jongleur und absichtsloser Chaos-Reimer, bei dem auch die kritischsten Geister das tiefenhermeneutische Interpretationsbesteck in der Aktentasche der Frankfurter Schule ließen.

Klar doch: Das "Butterblumengesicht" (so der Theaterkritiker Friedrich Luft) mit der schwarzen Hornbrille und dem schütteren Seitenscheitel meinte es gar nicht ernst - sondern ganz und gar unernst. Das aber konsequent und bis ins kleinste Detail ausgefeilt. So heftete er auch sämtliche Rezensionen seines Schaffens in Magazinen, Zeitungen und Zeitschriften sorgfältig ab. So viel Akkuratesse musste sein.

Zugleich war er bis in die Fettfalte seines Doppelkinns hinein die kalorienfrohe Verkörperung des deutschen Wirtschaftswunders nach dem Krieg - der "typische" Deutsche eben, der Hitler nicht widerstanden, ihn aber überlebt hatte und es sich jetzt bei Schwarzwälder Kirsch und Bohnenkaffee mit Sahne möglichst gut gehen lassen wollte.

Bei der NS-Reichsmarine war der überzeugte Nichtschwimmer glücklicherweise nicht über die Grundausbildung hinausgekommen. Danach hat er nie mehr einen Schuss abgefeuert. Der Rest seiner persönlichen Kriegsbeteiligung bestand in Truppenbetreuung mit Musik und Unterhaltung. Höchstwahrscheinlich hat dabei das Lied vom "Fräulein Mabel" ("Beine hat sie krumme wie ein Säbel") nicht gefehlt, das er schon 1938 in Berlin und in seiner späteren Nachkriegskarriere insgesamt weit mehr als tausend Mal zu Gehör brachte.

Mit ihm konnten sich Millionen identifizieren, mit ihm konnten sie lachen, manchmal sogar über sich selbst. Als akribischer, überkorrekter Finanzbeamter "Willi Winzig", in Filmen wie "Der letzte Fußgänger" und "Natürlich die Autofahrer" bot er ausreichend Projektionsfläche für die ethnologische Selbstspiegelung. Noch heute liefern die Wiederholungen im Fernsehen ästhetisch-soziologisches Material par excellence.

Er passte zum Zeitgeist wie der Wurm zum Fisch

Heinz Erhardt trieb es allerdings nie zu weit. Er war kein Kabarettist, kein schneidender Satiriker, keiner, der etwas "bewirken" wollte jenseits des eigenen Erfolgs und der Unterhaltung seines Publikums. Er wollte nur spielen. So war er nicht mehr und nicht weniger als ein außergewöhnlich begabter Vortragskünstler irgendwo zwischen Kabarett und Theater, Showbühne und Film, über den sogar britische Besatzungssoldaten lachen konnten, obwohl sie kaum ein Wort verstanden. Nicht zuletzt waren es die Umstände der Zeit, die ihn zum idealtypischen Stand-up-Komiker der Adenauer-Ära werden ließen. Er passte zum Zeitgeist wie der Wurm zum Fisch. Apropos: "Am Fuß von einem Aussichtsturm / saß ganz erstarrt ein langer Wurm" - so beginnt das Gedicht vom Regenwurm.

Erhardts Lieder und Gedichte verbreiteten genauso wie seine rund 40 Kinofilme und unzählige Fernsehauftritte jene ironisch grundierte, zugleich heimelige Leichtigkeit des Seins, die nach der Katastrophe von Weltkrieg, Nazi-Terror und Völkermord an den Juden einer tiefen Sehnsucht der Deutschen entsprach. Wunderbar "unschuldig" kamen seine Vierzeiler daher, die nicht nur im alltäglichen Sinn entlastend und befreiend wirkten, sondern wohl auch im verschämten Rückblick auf die Verbrechen der Vergangenheit.

So ist es auch kein Zufall, dass Heinz Erhardts Komik mit dem heute so gefürchteten Genre des Heimatfilms kompatibel war. Hier verband sich die Erleichterung, noch einmal davon gekommen zu sein, mit dem Wunsch nach einer möglichst heilen Welt, in der jede unnötige Schärfe nur von Übel gewesen wäre. Ob "Drillinge an Bord", "Witwer mit fünf Töchtern" oder "Drei Mann in einem Boot" - Erhardt war eine Ikone des beschwingten Neuanfangs, ein sympathischer Untertan, der niemanden mehr anbeten wollte außer der hübschen Apothekertochter von gegenüber. So wurde er die historisch-cineastische Gegenfigur zu Heinrich Manns gänzlich humorfreier, dafür fanatisch "kaisertreuer" Romangestalt Diederich Heßling aus der wilhelminischen Gründerzeit, 1951 von Wolfgang Staudte in einer ostdeutschen Defa-Produktion mustergültig verfilmt.

Verklemmt und verklebt

Dass der westdeutsche Neuanfang aber durchaus auch verklemmt und verklebt war, zeigen manche Erhardt'sche Sottisen ebenfalls, etwa dieses noch nicht gendermäßig gemainstreamte Wortspiel:

"Frauen sind wie Juwelen. Man muss sie mit Fassung tragen."

Das Wiehern der glattrasierten, perfekt gescheitelten Männer in Reihe sieben war garantiert, und die hochtoupierte Dame in der zweiten Reihe machte gute Miene zum Pralinenschachtel-Kostüm.

Der Herrenwitz in seiner sublim gepflegten Form war unzweifelhaft Teil des kulturell-gesellschaftlichen Wiederaufbaus. Doch diese Form übergriffiger Witzigkeit verriet zugleich viel über den Zustand der Nachkriegsrepublik. Da war noch viel Verschwitztes und Verschwiegenes, Verdruckstes und Verdrängtes.

Immerhin übte man schon mal ein bisschen die neue Freiheit der westlichen Demokratie, die mit dem klirrenden Kommandoton der nationalsozialistischen Volksgemeinschaft gebrochen hatte.

Während man vor wenigen Jahren noch lautstark mitgesungen hatte, als es hieß "Ihr Sturmsoldaten, Jung und Alt, nehmt die Waffen in die Hand / Der Bolschewist, der dringt ganz fürchterlich in das deutsche Vaterland", so klang es nun schon ganz anders, wenn Heinz Erhardt das Gedicht von der Made vortrug:

Hinter eines Baumes Rinde / Wohnt die Made mit dem Kinde / Sie ist Witwe, denn der Gatte, den sie hatte / Fiel vom Blatte / Diente so auf diese Weise / Einer Ameise als Speise"

Kein Zweifel: Heinz Erhardt gehörte zu den ersten Zivilisten der zweiten deutschen Demokratie, in der es kein Verbrechen mehr war, von Maden und Ameisen zu reden, von Blättern und Bäumen. Womöglich hat er es ganz nebenbei vielen alten Volkskameraden, die in der Nazizeit geformt wurden, ein bisschen leichter gemacht, sich in der neuen Freiheit ohne Führer zurechtzufinden - eine nicht zu verachtende historisch-humoristische Gesamtleistung.

Der Mann mit dem Gesicht eines Postbeamten war der Wohlstands-Ringelnatz der Nachkriegsära, der der verwundeten deutschen Seele die Kompressen einer neuen Lachkultur anlegte. In ihr versöhnte sich das Schwere mit dem Leichten, das Ernste mit dem Lustigen: Lockerungsübungen am gebeutelten Volkskörper.

So wurde er zur Integrationsfigur in einer Zeit, in der ein Eheratgeber aus dem Jahre 1959 jeder deutschen Frau dringend riet, "ihrem Mann ein Heim zu schaffen, in das er nach des Tages Arbeit gern zurückkehrt".

Keine Frage, Heinz Erhardt hat sich um den Humorstandort Deutschland verdient gemacht.

Quelle : www.spiegel.de