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Titel: HARALD SCHMIDT BEIM "HEUTE- JOURNAL" - Demut vor dem Teleprompter
Beitrag von: SiLæncer am 20 April, 2007, 09:55
Eine starke Prise Siegloch, ein Schuss Peter Kloeppel und eine Baguettespitze Ulrich Wickert: Chef-Zyniker Harald Schmidt moderierte das "heute journal" gestern Abend so inbrünstig wie ein richtiger Nachrichtenprofi. Bleibt die Frage: Was sollte das eigentlich?

Harald Schmidt, der Doyen der vereinigten deutschen Ironie-Innung Gag & Grinsen (IGG) und inoffizieller Dachverbandspräsident des Humorstandorts Deutschland, wird am 18. August 50 Jahre alt.

In diesem sensiblen biographischen Augenblick geht es für Männer, die schon alles erreicht haben und deshalb nur noch lustlos am Schreibtisch herumlungern, noch einmal darum, sich richtig auszuprobieren: Back to the roots, offroad again, was ganz ganz Verrücktes machen.

Die einen werfen sich noch einmal in ihre alte Motorradlederjacke, brettern in einem Rutsch bis Reggio di Calabria und verbringen die Nacht ganz allein irgendwo am Strand - so wie früher. Andere gehen für vier Wochen ins Kloster zum Schweigen, jagen jungen Frauen hinterher oder besteigen noch einmal das Matterhorn.

Harald Schmidt ist das alles viel zu anstrengend. Lieber moderiert er ein bisschen im ZDF beim "heute journal" als exklusiver Seniorpraktikant, so wie gestern Abend Punkt 22.05 Uhr.

Zuletzt hatte er schon beim ARD-Politmagazin "Report" ausgeholfen, bei den Olympischen Winterspielen 2006 ("Waldi und Harry") und während der "Bambi"-Gala. Demnächst werden die Zuschauer ihn an Bord des "Traumschiffs" sehen und als Obdachlosen im kritischen Dialog mit dem Fernsehserienaffen Charly.

"Ich habe viel Zeit, ich bin nicht ausgelastet mit dieser kleinen Sendung hier" hatte Schmidt unlängst in seinem Kölner Studio gesagt und sich als "Urlaubsvertretung" fürs Mainzer "heute journal" beworben.

Da sich Ironie, Witz und tiefere Bedeutung inzwischen flächendeckend im ganzen Land ausgebreitet haben, nahm das ZDF die Offerte dankend an, was nicht einmal die ARD störte. Nur Tom Buhrow konnte sich gestern am Ende der "Tagesthemen", beim Hinweis auf den folgenden "Scheibenwischer", einen kleinen Seitenhieb nicht verkneifen: Nun kämen Kabarettisten, die nicht woanders Nachrichten moderierten. Hört, hört!

Bedauerlicherweise war der "Scheibenwischer" dann, mit Ausnahme einiger Lichtblicke von Mathias Richling, sturzlangweilig und biederer als jedes "heute journal" am Ostersamstag, aber irgendwie ist das alles ja doch ein einziges mediales Gesamtkunstwerk.

Leider kam Schmidts einmaliger Auftritt ein paar Tage zu spät. Wie gerne hätte man ihn im Schwäbisch-Oettingerschen Stallhasen-Stakkato bei der Anmoderation zum eingesprungenen Nazi-Rittberger rückwärts einwärts gehört und gesehen.

Egal. Spät dran war "Schnuppermoderator" Harald Schmidt sowieso. Erst gegen Ende der Sendung, bis dahin seitwärts dekorativ neben Claus Kleber auf dem traditionellen "Terrorismusexpertenstuhl" verharrend, durfte er den letzten Beitrag ankündigen - den allerdings wortreich, eloquent und absolut fehlerfrei im Stile eines intellektuellen TV-Fastenpredigers irgendwo zwischen "Kulturzeit" und "RTL exclusiv" mit einer starken Prise Klaus-Peter Siegloch, einem Schuss Peter Kloeppel und einer Baguettespitze Ulrich Wickert.

Ein bisschen rau klang die Stimme schon, etwas angespannt und weniger geschmeidig als zu Hause in Köln-Mülheim, dafür seriös und dem ZDF-Publikum 50 plus perfekt angepasst. Eine Art "Essen auf Rädern" für den Bildschirm.

Zufall, Gemeinheit oder eigener Wunsch: "Die Hochstapler" hieß der Dokumentarfilm des Regisseurs Alexander Adolph über vier verurteilte Betrüger, dem Schmidts fachgerecht gedrechselte Einführung galt, die nicht zuletzt eine gründliche Peter-Hahne-Lektüre ("Schluss mit lustig!") verriet. "Demut, Ehrlichkeit, Bescheidenheit" - dies seien Werte, die heutzutage offenkundig nur noch unter dem Aspekt naiver "Gutgläubigkeit" der Älteren unter uns wahrgenommen würden.

Aber auch die ergriffen hier und da "die kalte Hand der Versuchung" durch das Böse. Wie schnell erwerbe man da völlig arglos von einem "armen Studenten" an der Haustür statt der versprochenen Waschmaschine einen Lebenspartner frei Haus! Oder eine Villa auf Mallorca, die dem lügnerischen Verkäufer gar nicht gehörte! Oder einen Flug zum Mond für fünf Millionen, der niemals stattfindet.

Man hätte Fernsehprediger Schmidt noch stundenlang zuhören können, doch schon nahte das Wetter. Aber auch in die letzten Worte legte der angebliche Zyniker so viel gefühlte Metaphysik des Abschieds - "Morgen dann wieder wie gewohnt und vertraut Claus Kleber und Gundula Gause!" -, dass man sich wünschte, das lustige Rotationsprinzip im Fernsehen - Experten reden hier auch gerne von der "Selbstreferentialität des Massenmediums" - würde künftig noch häufiger angewandt.

Welche große Herausforderung bleibt dem bald 50-jährigen Medienjunkie Schmidt jetzt eigentlich noch? Die Fernsehansprache des Bundespräsidenten zur Begnadigung von Christian Klar? Der Live-Kommentar des DFB-Pokalfinales zwischen dem VfB Stuttgart und dem 1. FC Nürnberg, schon idiomatisch ein wahrer Leckerbissen mit fränkischen und schwäbischen Steilvorlagen zuhauf?

Oder doch einmal im Leben Johannes B. Kerner sein, mit eigenem Schreibtisch im ZDF und den Talkgästen Ralph Siegel, Dieter Bohlen, Kurt Beck, Professor Hademar Bankhofer, einer ostanatolischen Ordensschwester und Knut, dem Eisbären mit Pfleger?

Quelle : www.spiegel.de