Dreimal drücken für einen Buchstaben? Selbst alte Schreibmaschinen sind komfortabler. Aber Simsen macht Spaß - und blöd, arm und süchtig. Vor 15 Jahren begann das Elend, als in England die erste SMS verschickt wurde.
Ein deutschlandweites SMS-Verbot ab Weihnachten, das wäre der perfekte Abschluss für das Jahr 2007. Wenn zu Christfest und Jahreswechsel allen wieder besonders heftig die Finger zucken - sie dürften nicht. Es wäre der Höhepunkt all dessen, was in den zurückliegenden Monaten an zukunftsweisenden Verboten erreicht wurde: Deutschlands Raucher zittern in zugigen Unterständen und verkürzen ihr Leben durch grippale Infekte. Deutschlands Koma-saufende Kids haben schlechte Laune, weil ihnen der Onkel in der Kneipe nichts mehr gibt. Und die Raser der Bundesrepublik bereiten sich seelisch darauf vor, dass ihnen pünktlich zur Einführung des Tempolimits der Bleifuß amputiert wird.
Höchste Eisenbahn also für alle Simser dieses Landes, aufzustehen und sich zu outen: Auch wir brauchen Hilfe! Gebt uns endlich die gesellschaftliche Ächtung, die uns zusteht und ohne die wir es nicht lassen können! Oder schiebt uns wenigstens ab in die Eckkneipe, damit wir wissen, wo wir hingehören. Oh, ihr Großkoalitionäre, bedenkt etwa den Schaden, der per SMS der Volksgesundheit zufügt wird! Denn Simsen kann tödlich sein, wenn man es beim Fahrradfahren tut. Auch die Bildung der Bundesbürger leidet, denn Simse machen Orthographie und Grammatik kaputt. Wann kamen schließlich die ersten schockierenden Pisa- Ergebnisse? Genau: Kurz nachdem Ende der neunziger Jahre die SMS in Deutschland massenhaft Verbreitung fand.
Teures TippenEs geht hier nicht um Kommunikation. Von Trinkern behauptet ja auch keiner, dass die in der Kneipe stehen, um zu reden. Es geht um tragische Abhängigkeit, den unwiderstehlichen Drang zu schizophrenen Tätigkeiten. Denn wie sonst erklärt sich, dass normal begabte Sterbliche knapp 200 Jahre nach Erfindung der Schreibmaschine bereit sind, eine einzige Taste drei- oder gar viermal zu drücken, bis endlich ein Buchstabe auf dem Display erscheint? Oder Wörter so lange zu
verstümmeln und zu ersetzen, bis die zu sendende Nachricht in 160 Zeichen passt - dafür aber ohne Spezialkenntnisse in Verschlüsselungskunde nicht verständlich ist? Und das alles, obwohl ein kurzes Inlandstelefonat in der Regel billiger ist als eine SMS, selbst wenn man fünfmal so viele Zeichen spricht wie man tippen würde?
In der SMS müssen Suchtstoffe enthalten sein, denn nur wenige können der Versuchung widerstehen, nicht sofort zu antworten. Und wenn der Sims-Partner genauso süchtig ist, heißt das: Noch eine und noch eine und noch eine und... Simser im fortgeschrittenen Stadium der Sucht schauen drei- oder viermal am Tag nach, ob nicht doch vielleicht ein klitzekleines Simschen angekommen ist - in Phasen erhöhter Gefährdung, etwa Verliebtsein, wahlweise sogar stunden- oder minutenweise.
Dabei kann das Argusohr des Abhängigen das eigene Handy
unter tausend anderen Haupt- und Nebengeräuschen herausfiltern, wenn wirklich eine SMS eintrifft.
Schluss mit dem Schönsimsen!Ja, manchmal zucken sie sogar und greifen zur Brusttasche, weil sie auf der Strasse oder in der U-Bahn die SMS-Sounds längst abgelegter und verschrotteter Vorgänger-Handys hören. Dann werden sie melancholisch und denken an schöne Simsereien von früher, und zack! - schon müssen sie es wieder tun, obwohl sie selbst gar keine Nachricht bekommen haben.
Macht dem ein Ende! 15 Jahre legales Simsen sind genug. Wen die fatalen Folgen des kollektiven Sims-Unwesens für Gesundheit, Bildungsstand und seelisches Gleichgewicht der Bundesbürger nicht überzeugen, der wird sich wenigstens volkswirtschaftlichen Argumenten nicht entziehen können. Denn natürlich stiehlt Simsen kostbare Arbeitszeit. Und wenn sich Untergebene aufgrund des überfälligen SMS-Verbotes endlich nicht länger langweilige Sitzungen schönsimsen können, steht vielleicht auch mal jemand auf und sagt dem Herrn oder der Dame am Kopfende des Tisches, wie unerträglich sein oder ihr Geschwafel ist.
Dann geht endlich ein Ruck durch dieses Land. Und das wollen wir doch alle.
Quelle :
http://einestages.spiegel.de