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Info Corner / Internet-via-Sat, Datendienste / IPTV / Videoportale / Internet TV & Radio => # News diverses ... => Thema gestartet von: SiLæncer am 09 Januar, 2005, 04:35

Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 09 Januar, 2005, 04:35
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Ich finde fabern nett. Eine geglückte Assoziation mit labern, ein Schüsschen färben ist drin für die Freunde des objektiven Journalismus und leichte Anklänge ans falknern und die hohe Kunst, mit schrägen Vögeln umzugehen. Ich meine, fabern hat so etwas menschliches, es ist schon einen Schritt weiter als der Help Desk mit einem menschlichen Anlitz, diese millionenschwere Werbekampagne von IBM, die gerade mit den Playoffs im amerikanischen Football gestartet wird. Während die Conceptioner von Ogilvy & Mather davon schwärmen, dass ihre neuen Werbespots die "humanistische Dimension der Technologie" begreiflich machen, grübel ich über die Giraffe hinter dem Help Desk, vielleicht ein dezenter Hinweise auf die Human Computer Giraffe Interaction. Von dem Satz "Sozialismus mit menschlichem Antlitz", wie er einstmals 1968 in Prag propagiert wurde und unter die Räder kam, ist ein Help Desk geblieben -- und ein rotes Telefon, gewissermaßen die Kreml-Direktverbindung zum User.

*** Dabei lebt der Kommunismus in einer neuen Art auf. Das hat Bill Gates gesagt und wenn einer etwas vom Kommunismus versteht, dann wohl his Billness, seit seinem Open Letter to Hobbyists der Jäger des verlorenen Eigentums schlechthin. In Las Vegas billgte er also über die neuen Kommunisten, die das abschaffen wollen, was Programmierer und Musiker zum Schaffen anreizt. An dieser Stelle muss gefragt werden, was denn die Incentives sind, die gemeinhin einen Musiker beflügeln oder einen Programmierer in eine Tag-und-Nachtschicht treiben. Für Gates sind es harte Dollars, die sich nur dann realisieren lassen, wenn sich das Eigentum an geistiger Arbeit an einer Person festzurren lässt. Nehmen wir nur das Patent Nr. 302 53 039 an den beiden Engeln, die Raphael 1513 in der sixtinischen Madonna gemalt hat. Über dieses Patent regen sich die Kulturträger auf, doch nicht darum, weil es zeigt, wie aus der Kultur Profit wird, sondern darum, dass es von einer im alten Kommunismus aufgewachsenen Prostituierten gehalten wird. Groß ist auch die Empörung über den Plan, mit 1-Euro-Jobs die deutsche Kultur zum Zwecke besserer Vermarktbarkeit zu digitalisieren und die deutsche Wirtschaft zwangsarbeitend anzukurbeln. Auch hier sind nicht die neuen Kommunisten am Werk, sondern ganz normale Unternehmer, die Waren liefern Firmen wie Corbis oder Getty Images.

*** Vielleicht drehen Musiker, Maler und Programmierer nicht den großen Geldhahn auf, wenn sie kreativ sind, sondern schöpfen ihre Werke aus der sie umgebenden Kultur, grasen wie Kühe auf der mittelalterlichen Allmende. Legt man mit Lawrence Lessig diesen Begriff an, dann weht die Rote Fahne der neuen Kommunisten auf vielen Dächern, dann wird Gates' dahingeworfene Floskel zum Alptraum für Microsoft. Es gibt bei dieser Firma genügend intelligente Leute, die künstlerische Freiheit und geistiges Eigentum nicht so platt auf einen Nenner bringen, wie es ihr Stararchitekt tut -- der möglicherweise aber mehr von den puritanischen Ursprüngen des American Way of Life verstanden hat als all die aufgeregten Open-Source-Anhänger, die Microsofts Übervater nun in die McCarthy-Ecke packen.

*** Bill Gates' Auslassungen fielen auf der Consumer Electronics Show in Las Vegas, der offenbar nichts Peinliches fremd ist. Den Höhepunkt der Peinlichkeiten erreichte Intels kurz vor der Pensionierung stehender Craig Barrett im Duett mit Aerosmith-Sänger Steven Tyler. Die beiden vergriffen sich so an Walk this way, dass King Elvis im Grabe rotieren würde -- wenn er denn gestorben wäre. Doch Elvis lebt, für immer, in unseren Herzen, darum sei es ihm gegönnt, in Harper Valley PTA mit Jeannie C. Riley zu röhren, mittlerweile im Großelternrat.

*** In dieser Woche, in der die Witwenschüttler, ähem, die Journalisten in Ostasien ganze Arbeit leisten, ist es wahrscheinlich etwas frivol, auf die großen Geister hinzuweisen, die sich ganz ohne Wasser auf den Weg gemacht haben. Hier an dieser Stelle wurde Charles Wilp zum 70. gratuliert, jetzt müssen wir Beileidskarten nach Bochum schicken. Gegangen ist einer, der wie kein Dritter für die Raumfahrt lebte. Der zweite, der für und von der Raumfahrt lebte, ist Frank Kelly Freas, der größte Illustrator, den die Science Fiction bisher hatte. Schließlich trauern wir noch um Will Eisner, der den Comic von den Superhelden emanzipierte und vice versa die Helden melancholisch werden ließ.

*** Über das, was sich in Südostasien nach den Tsunamis abspielt, können wir in Europa oder in Amerika schlecht urteilen. Dennoch gibt es wohlfeile Ansichten en gros. Die einen schimpfen über das Hilfegetue und veröffentlichen einen Aufruf, nicht zu spenden. Hier ist nur noch der halbherzige Widerruf zu lesen. Die anderen protestieren gegen den Schuldenerlass, wie man es in der Süddeutschen Zeitung passenderweise nur als E-Paper lesen kann. Auf ihrer Titelseite jubiliert die FAZ mit Forschungsministerin Bulmahn über ein 40 Millionen Euro teures Frühwarnsystem für Sri Lanka, während das mit quelloffener Software aufzusetzende Open Tsunami Alert System mit keiner Silbe erwähnt wird. Ja, Geschäfte machen müssen wir doch alle.

*** Der Ekel vergrößert sich, wenn die von der Bundesregierung versprochenen 500 Millionen Euro im Lichte der aktuellen Ereignisse rund um Hartz IV betrachtet werden. Am vergangenen Mittwoch meldete der Heiseticker schwere Software-Pannen von der Sorte, dass Barschecks die Allg-II Empfänger nicht erreichen. Nun hat die Bundesagentur für Arbeit offiziell zugegeben, dass 23.000 Scheckbriefe betroffen waren, weil durch ein Problem bei der Buchhaltungssoftware im Adressenfeld statt 27 Stellen nur 18 Stellen zur Verfügung standen. Auch die Tatsache, dass 95.000 Postbank-Kunden versehentlich ihr Geld nicht bekamen, ist inzwischen bestätigt. Die Melancholie der Superhelden erfasst dieses Land, wenn ein ranghoher Gewerkschaftler im Freitag mit den Worten abwinkt: "Sieben Millionen Menschen setzen sich vor den Fernseher, nur weil eine abgetakelte Schauspielerin Kakerlaken isst. Da ist es schwer, eine gesellschaftspolitische Debatte zu führen, die wir ganz dringend brauchen, um zu definieren, in welche Richtung die Gesellschaft steuern soll."

Was wird.

Zur CES in Las Vegas verhedderte sich Bill Gates nicht nur in der Dialektik der politischen Ökonomie, sondern lieferte auch noch eine Keynote ab, in der nicht alle Geräte mitspielten. Sogar einen wachechten, Microsoft-typischen Bluescreen gab es, als bei der Präsentation von Forza Motorsport ein "Out of system memory" im satten Blau erschien. Den Vogel schoss indes der angeheuerte Komiker O'Brien ab. Ein Satz aus der Keynote, in der O'Brien über seine Erlebnisse in Las Vegas berichtete, gibt uns das Motto für die nächste Woche: "I got too drunk, I woke up with a hooker, Bill got too drunk, he woke up with an Apple computer."

Ja, die MacWorld in San Francisco bringt die Gerüchteküchen auf Hochtouren. Sich solchermaßen über mögliche, unmögliche und gänzlich überflüssige Produkte zu freuen und zu spekulieren, vor Aufregung nicht schlafen zu können und, wenn es doch gelingt, von der angekifften Ellen Feist zu träumen: DAS müssen die Windows- und Linux-Fans erst einmal nachmachen. Eine abgesicherte Nachricht gibt es immerhin schon: Apple wird die Keynote von Bill Jobs nicht live als Stream senden, damit sich ein Fiasko wie bei Steve Gates nicht wiederholen kann. Vielleicht erinnerte sich Apple auch an den letzten Versuch, als vor 1000 europäischen Journalisten am Berliner Tor in Brandenburg alles durcheinander ging, weil ein Sturm den Satellitenwagen zum Kentern brachte. Dabei kann es gut möglich sein, dass Apple den vorhergesagten Billig-Mac für 249 Dollar einführt und 2005 noch 10 Millionen von diesem Zweit- und Drittrechner verkauft. Im Jahr 2004 war, wie das JWWWW zu berichten wusste, dieses Thema der absolute Spitzenreiter. So geht also alles weiter, wie's war. War was? Wird was? Wer will's wirklich wissen?

Quelle : www.heise.de
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 16 Januar, 2005, 09:48
Was war.

*** Uh, oh, da war die Aufregung groß: Hal fabert über den Kommunismus und heraus kommt nach Meinung einiger Leser, dass er ein ganz fieser Kryptokommunist ist, ein Vertreter der fünften Internationale, zu der sich diese Linux-Typen und Apple zusammengeschlossen haben. Uh, oh, wie passend ist es da, wenn die Junge Freiheit in ihrer neuesten Ausgabe den Big Brother Award als "Preis unter Verdacht" seziert und die Rolle der Linksextremen untersucht, die mit Telepolis den Heise-Verlag unterwandert haben. Schonungslos decken da unsere Kommunistenjäger auf: "Die der telepolis angegliederte Internetseite www.heise.de ist eines der besucherstärksten Angebote des deutschsprachigen Internet. Außerdem dient sie vielen Journalisten als Informationsquelle, die häufig unkritisch zitiert wird. Ein solches Leitmedium eignet sich besonders gut, um Propaganda zu verbreiten." Wir sind nicht die Guten, wir sind die gefährlichen Unterwanderer. Jahrelang hat der Heise-Verlag so genannte Telefonbücher gedruckt, die natürlich nichts anderes sind als getarnte Verzeichnisse für die nächsten stalinistischen Säuberungen für den Tag, wenn die fünfte Internationale zuschlägt! Liebe Leserinnen und Leser, nun wissen Sie's, und wenn Sie jetzt nicht wegklicken, dann, ja, dann können wir jetzt mal ein Ständchen in der dunklen niederdeutschen Tiefebene erklingen lassen: "Spaniens Himmel breitet seine Sterne über unsre Schützengraben aus....." Hach, wie romantisch.

*** Den weniger aufgeregten Lesern empfehle ich den Hinweis, dass Bill Gates sich über den neuen Kommunismus geäußert hatte. Das verursachte einen großen Wirbel, darum musste His Billness nachlegen und erklären. Und wer diese neuen Erklärungen liest, merkt erst, wer hier fabert. Husch geht es von den Incentives bis nach China noch vor der Kulturrevolution und einmal zurück. Von Musikstücken bis zur elektronischen Patientenakte, die mit DRM und nicht mit PKI gesichert werden soll, lässt der Chefarchitekt seine Gedanken schweifen und bringt doch nur Eines zum Ausdruck: Wer nur einen Windows-Hammer hat, dem ist alles eine Bodenschwelle. Mit seinen schlichten Ausführungen hätte Gates auf der gerade zu Ende gegangenen DRM-Konferenz einen schweren Stand gehabt. Manche Ausführungen müssen einfach schlicht rüberkommen, das wissen Software-Macher wie Politik-Macherinnen. Gates' Vorstellung einer DRM-geschützten Patientenakte kann ja noch die deutschen Gematiker erreichen. Bundesministerin Ulla Schmidt ist überzeugt, dass der homöopathisch dosierte Start mit 100.000 Gesundheitskarten erfolgen kann und sicher ist, obwohl man noch an der Lösungsarchitektur feilt. Es fällt nicht schwer, sich in diesem Rahmen DRM-geschützte Patientenakten von Microsoft vorzustellen.

*** Wo wir gerade wieder beim Kommunismus, den Verschwörungen und dem ganzen Rest angelangt sind: Ein Bömbchen gefällig? Das n+etz ist angelaufen, dazu gibt es ein Buch, das sich mit dem an dieser Stelle bereits erwähnten Unabomber beschäftigt. Film wie Buch wollen eine universale Verschwörung aufdecken, gegen die die Theorien zum 11. September pillepalle sind. Manche mag es irritieren, wie souverän das "Netz" ausgelegt wird, ohne sich etwa um die Thesen von Alston Chase zu scheren, dass der Unabomber nach diadischen Experimenten des Psychologen Henry Murray offensichtlich ohne psychologische Behandlung blieb. Vielleicht waren es die Experimente der nationalsozialistischen Wissenschaftler, die ihn zum Mörder und nicht zum netten Computer-Hippie werden ließen. Aber was ist schon Realität? In unseren Kinos ist auch ein Film über eine Nationalpolitische Erziehungsanstalt angelaufen, der nichts mit der Geschichte zu tun haben will und besser "Rocky unter den Nazis" heißen sollte.

*** So ist das halt mit den Verschwörungstheorien und der Geschichte: Wer sie nicht kennt, ist verdammt, sie zu wiederholen. Die Farce aber wird auf den Bühnen des Internet heutzutage jederzeit gegeben, nur die Darsteller werden immer schlechter. Die Geschichte mit dem großen Betrug ist eigentlich nach all den Mondlandungstheorien nicht mehr so recht witzig, und auch der moralische Vorwurf, ob das wirklich sein muss, nicht mehr so richtig neu. Die Moral des Vorhabens, eine Sonde auf den Saturn-Mond Titan zu schicken, lässt sich kaum in vulgärutilitaristische Kategorien fassen. "Wir mögen aufsteigen von dieser beschränkten Erde und, von oben auf sie herabblickend, bedenken, ob die Natur all ihre Pracht und Herrlichkeit nur auf dieses Häufchen Dreck verschwendet hat. So werden wir, wie Reisende, die in anderen, fernen Ländern weilen, ein besseres Urteil über die Vorgänge zu Hause gewinnen und ein jeglich Ding nach seinem wahren Wert schätzen." Wenn wir nicht mehr fragen, bleibt nur noch die Frage übrig, warum wir uns noch auf der Erde behaupten wollen. Ohne Bewusstsein dahinvegetieren können Ameisen und Krokodile besser -- und machen es uns schon lange vor. Wieso auf den Saturn-Mond, wenn die Probleme der Erde nicht gelöst sind? Wozu Musik, wenn Menschen hungern? Was soll Literatur, wenn Gefangene gefoltert werden? Warum denken, wenn Flutwellen über Inseln hinwegrollen?

*** Ja, das Denken und die Geschichte sind schon so zwei unangenehme Angelegenheiten. Wer sehen will, wie das ist, wenn man nichts mehr mit seiner Geschichte zu tun haben will, der sollte einen Blick auf die Geburtstagsfeier der Grünen werfen, die sich an diesem Wochenende vor 25 Jahren gründeten. Zur Feier gibt es einen Kongress, in dem die radikalen Anfänge sorgfältig umgangen werden. "Vielmehr wollen wir vorrangig die jetzt aktive politische Generation der Grünen nach ihrem Blick auf die Geschichte und die Perspektiven der Partei befragen", heißt es passend. Geschichte ist krümmbar, Herr Nachbar. Ihre Grenzen sind klar, um mit Minister Fischer zu reden: "Wir können nicht Politik gegen die Finanzmärkte machen."

*** Geschichte ist wirklich unwichtig. In England erscheint ein junger Prinz im Nazi-Look mit Armbinde auf einer Kostümparty und meint, wie Rommel auszusehen. Die Empörung ist halbherzig, die Entschuldigung ebenfalls. In Frankreich findet Le Pen, dass die Zeit der deutschen Besetzung nicht besonders unmenschlich gewesen sei. Olle Kamellen? Ich finde nicht. Im Vorfeld des beliebten Auschwitz-Gedenkens wird verharmlost und abgeschwächt, was das Zeug hält. In der Süddeutschen Zeitung (E-Paper, grummel) steht, wie die Juden abhanden gekommen sind bei all den offiziellen Erinnerungsterminen. Aufklärung, nein danke. Wer nicht über die Geschichte aufgeklärt ist, der wird aufwachsen wie David Wolfgang Hawke in den USA, als glühender Nazi der arischen Befreiungsfront, bis er mit seinen jüdischen Wurzeln konfrontiert wird und seitdem als Spam-King seinen Hass auf diese Welt loslässt.

*** Es ist nicht zu vermeiden, in diesem Wochenrückblick Apple zu erwähnen. Die Firma hat schließlich einige nette Sachen vorgestellt, etwa einen teuren MP3-Stick, der die Musik selbst bestimmt, oder einen kleinen Rechner für den Einbauschacht im Auto, sofern es nicht ein Alfa Romeo ist. Da passt nur ein iPod rein. Die Generation iPod hat eine Religion und die lautet Apple, befindet die Süddeutsche auf gammeligem E-Paper. Nun ist Apple, nicht Microsoft, die Firma, in der mit Klagen und Drohungen geholzt wird, nicht nur bei der Suchthilfe. Jeder, der sich Produkte dieser Firma kauft, muss eigentlich wissen, dass er eine Firma unterstützt, die gegen die Meinungsfreiheit vorgeht. Der Gedanke, dass auf diese Weise Firmengeheimnisse verraten werden, ist so lächerlich wie ein iPod shuffle. Aber: Jobs knows what's good for you, bald kommt der iPod sure mit von Apple fest eingebrannten Musikstücken und die Erinnerung an die Frau in roten Hosen ist längst schon verblasst.

*** Es hat etwas, einer gerade gestorbenen zum Geburtstag zu gratulieren, doch ich finde, bei Susan Sontag passt das. Heute wäre ihr 72. Geburtstag gewesen. Lieber erinnere ich an einen großen Geist als mich mit einem Land zu befassen, das auf den Hund gekommen ist. Bachblüten und ein Heim für Daisy, die sicherlich keine Fleischfresserin ist.

Was wird.

Kann man Zukunft eigentlich sehen? Wer so fragt, schaut die Sendung mit der Maus oder sucht das Programm der CeBIT. Die Messe in der norddeutschen Tiefebene naht und für die gequälten DV-Journalisten beginnen die Previews und Preshows, die Preforen und die Early Trendspots, auf die ich nicht verlinke, weil Normalsterbliche sich so etwas niemals antun würden. Man muss schon Hardcore-Hardware-Junkie sein, um sich ein Ereignis reinzuziehen, an dem Till Schweiger einen neuen Overhead-Projektor von Sharp präsentiert, ohne die geringste Ahnung zu haben, was Powerpoint ist. Wer smart aussieht, kriegt die Elitessen, nicht die Handouts, pflegt mein Freund Don zu sagen, wenn er und die Seinen nicht gerade in der Geschichte rummatschen.

Ich jedenfalls werde wahrscheinlich bis an mein Lebensende nicht die Saukälte vergessen, die in Fehmarn herrschte, als eine Truppe herein schneite, der ich heuer ein geschmackvolles Weihnachtspräsent verdanke. Ach, wir schauen gar nicht in die Zukunft? Dann muss es wohl so weitergehen:

Liebe Kinder. Das ist Cliff Richard. Er ist ein bedeutender Musiker. Aber Cliff hat ein Problem, weil er noch nicht gestorben ist. Bald gehört ihm die Musik nicht mehr, die er macht. Deswegen gibt es Forscher, die Tag und Nacht daran arbeiten, das

Quelle : www.heise.de
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 23 Januar, 2005, 11:08
Was war.

*** Eine Woche habe ich gegrübelt, wie man die Klickerei auf die tanzenden WWWWs, das Merkzeichen dieser kleine Kolumne, verbessern kann. Bill Gates über Kommunismus an zwei Wochenenden hintereinander, das kann einfach nicht getoppt werden. Jedenfalls nicht mit Argumenten. Nein, da muss schon die älteste Strategie der Welt her, und so singen wir mit der Gebrüder Engel Band über den heißen Poser: "Er macht mich an." Um es mit dem Fäule-Ton auf den Punkt zu bringen: Zwei Bilder sind es, zwei Bilder nur, die das Genre der Strapse tragenden Secretaries auf Schreibtischen voller PC-Technik mit einer Lässigkeit transzendieren, die heterotopisch die Negation aller Benutzeroberflächen vorwegnehmen, wenn der Antirealismus der Gefühle durchbricht.

*** Wenn die Technik posiert, wandert der Geiz in die Hose, das weiß man doch aus der Werbung. Kann dieser laszive Blick, diese Lümmelei auf Windows 1.0 mit einem Mac verschämt im Hintergrund noch getoppt werden? Eigentlich ist nur noch diese Nachricht, dass der dritte Band da ist und endlich erklärt, wie das so ist mit dem tendenziellen Fall der Profitrate, auf gleicher Höhe wie die Studie des Softwarearchitekten als junger Mann. Womit Gates und der dialektische Materialismus, trickreich verbandelt den Rückblick auf eine Woche einleiten. Es ist schön auf der Welt zu sein, sagt der Igel zu dem Stachelschwein ... Und erinnert sich an den Jahrestag des Beginns einer Revolution, die unter Führung des Popen Gapon eigentlich gar nicht als solche gedacht war, ihre Apotheose jedoch nach von vielen mit Fug und Recht bezweifelter Ansicht Lenins in der Oktoberrevolution, ganz sicher aber ästhetisch in einem inhaltlich wie formal revolutionären Film fand.

*** Nicht mehr auf dieser Welt ist Claude Chappe, der heute vor 200 Jahren gestorben ist. Ich habe an dieser Stelle schon einmal über ihn geschrieben, als 210 Jahre zuvor seine Erfindung, der Flügeltelegraf und die verschlüsselte, mit Prüfsummen abgesicherte Nachricht, vor der Nationalversammlung vorgestellt wurde. Chappe stellte seine Technik in den Dienst der Aufklärung, verlangte aber auch, dass jeder Bürger gegen eine Gebühr mit dem Telegrafen kommunizieren und der Staat diese Nachrichten nicht zensieren darf. Was natürlich ignoriert wurde. So sehen wir, wie sich die Zeiten ändern und doch wieder nicht. Das gezielte Ausfiltern ist strafbar und wird dennoch an einer baden-württembergischen Hochschule praktiziert. Zu denken gibt auch die Arbeit von Deutschlands freundlichstem Geheimdienst, der mit seinem nicht öffentlichen Arm Mails entschlüsselt und ein schickes Museum mit Enigmas und Hagelin-Maschinen unterhält.

*** So ist das eben mit den Eliten: Während diejenige dieses unseres Landes über orientierungslose Jugend klagt, kommen ein paar norddeutsche Hauptschüler daher und demonstrieren auch ohne die Weihen der höheren Mathematik Lust auf geistige Herausforderungen. Anfangend mit der örtlichen Lehrerschaft forderten die PISA-Image-Geschädigten als krönenden Abschluss hochdekorierte Bundestagspolitiker zum Wettkampf in simulierter Staatsführung -- und gewannen. Nicht dass es ihnen hülfe: Die Parlamentarier in Land und Bund trugen die Niederlage zwar mit patronisierender Würde oder wenigstens gediegenem Sarkasmus ("Wir sind ja schon froh, dass wir wenigstens im (Spiel-)Industrieland keine Revolution verursacht haben"), doch das Volk, dem man auch im Heise-Forum aufs Maul schauen kann, machte die Lage überdeutlich. "Die lieben Kinder" sollten gefälligst erst "rechnen, lesen und schreiben lernen. Die Fähigkeiten der Hauptschülern mit denen der Mitgliedern des Bundestages zu vergleichen", sei jedenfalls Irrsinn. Das wahre PISA ist im Kopf. Und ist es nicht im Kopf, dann ist es nirgendwo -- könnte man mit leichtem Gruseln frei nach Andre Heller schlussfolgern.

*** Nun muss man nicht erst einen salbadernden Österreicher heranziehen, um die Ansicht vertreten zu können, dieses Land sei auf den Hund gekommen. Aber halt: Viel Kritik kam bereits in der letzten Woche zu eben diesem Satz. Gemeint war das Tamtam um die Hündin Daisy des Modisten Moshammer, welchselbiger auch unter den lebensbejahenden DFÜ-BenutzerInnen der Bayrischen Hackerpost eine Kultfigur gewesen ist. Ich wusste es nicht, wie mir so Vieles vom landestypischen Brauchtum unter den Maibäumen und in den Biergärten nachgerade kryptographisch verschlossen ist. Aber was nach der Festnahme des Mörders in der Politik über die Ausweitung der DNA-Test gefaselt wird, das ist verständlich und klar erkennbar ein Angriff auf bürgerliche Freiheiten. Nur seltsam, dass der Protest gegen die Stimmungsmache aus Schleswig-Holstein kommt. Und dass einer der besten Kommentare zu Moshammer aus Hamburg stammt und in einer Finanzzeitung steht, die sich eigentlich mehr um den Widerstand gegen den tendenziellen Fall der Profirate kümmert. Die Schhöne neue DNA-Welt, wer will sie denn außer ein paar Sicherheitsfetischisten?

*** In anderen Teilen der Welt scherte man sich nicht besonders um den von einem Iraker umgebrachte Mosi. In den USA war die Inauguration von George W. Bush wichtiger. Es gehört zu den sinnigen Zufällen, dass Dostojewskis Dämonen kurz vor der Rede Bushs beim Projekt Gutenberg erschienen, aus denen sich der Redenschreiber des US-Präsidenten bediente: "Because we have acted in the great liberating tradition of this nation, tens of millions have achieved their freedom. And as hope kindles hope, millions more will find it. By our efforts we have lit a fire as well, a fire in the minds of men. It warms those who feel its power; it burns those who fight its progress. And one day this untamed fire of freedom will reach the darkest corners of our world." Das Feuer in den Köpfen der Menschen: Wer erinnert sich da nicht an die Szene aus den Dämonen, in der Gouverneur von Lembke vor seinem brennenden Haus steht, die Löscharbeiten verfolgt und die Verhaftung der Nihilisten fordert: "Das Feuer ist in den Köpfen dieser Menschen, nicht im Gebälk des Hauses. Verhaftet ihn und lasst das Haus niederbrennen!" In seiner zweiten Amtszeit will George W. Bush Messias sein. Da sind Kontakte zum Teufel unvermeidlich. Lasst den Irak niederbrennen, es gibt noch andere Länder. Und eine Koalition der Gutwilligen findet sich immer.

*** Zwei Sonntage weiter weg feiert diese kleine Wochenschau ihren 5. Geburtstag (hat jemand besondere Themenwünsche?). Bekannt und bei manchen Lesern berüchtigt wurde sie mit dem schier endlosen Geläster über die Bobos der neuen Ökonomie, diesen Entrepreneuren, denen eher das Wort Synergieeffekte über die Lippen kommt, denn ein einfaches Dankeschön. Die Humankapital im großen Stil verbrauchten. Nun kommen welche wieder, um die volle Opulenz der Medien mit ihrem Spam zu bewerfen, bis uns das Hören und Sehen von Klingeltönen vergangen ist. Andere zocken das Geld für thailändische Flutopfer ab. Wie wohltuend ist da doch die neue Bescheidenheit der neuen Unternehmer, wenn sie verkünden, dass sie kein dickes Auto und Maßanzüge brauchen, sondern einfach nur ihren Lebensunterhalt sichern wollen, indem sie uns ausspionieren. Bescheiden kommen die neuen Überwacher an, und verkünden, dass alle ihren Spaß haben wollen, wenn die Pille rollt. Das Runde ins Eckige machen sie auf dem Rasen, während ringsum die Versuchskaninchen jubeln.

*** Ganz schlimm steht dieser Tage Hewlett Packard da. Nun muss das Unternehmen in Deutschland neben seinen Personalcomputern weiter Abgaben für seine Drucker und Multifunktionsgeräte zahlen, wie viele andere Hersteller auch. Ist es da nicht verständlich, wenn sich der Hersteller wehrt und Regionalcodes für Druckerpatronen einführt, die ohnehin teurer als Öl sind? Sollten diese Regionalcodes kommen, sind sie immerhin ein leuchtendes Beispiel dafür, warum das Thema Digital Rights Management wichtiger ist als die Eroberung eines Ölfeldes durch tapfere Freiheitskämpfer.

Was wird.

Ich ende wie ich angefangen habe, mit dem räkelnden Bill Gates. Niemand "schupst" diesen Mann so leicht vom Schreibtisch wie das ein kleiner PC mit Autoradio und Fernseher in Hamburg getan haben soll. Nein, die Rede ist nicht von der Keksdose, sondern von neuen Centrinos, die im Einbauschacht der Mini Coopers auf der CeBIT rockig röhren sollen. Im ganzen Land sind die Vorschauen zur aufregendsten Messe der Welt in der aufregendsten Stadt der Welt (Hannover rulez!) angelaufen. Dabei startet zunächst einmal das Weltwirtschaftsforum in Davos unter dem aufregenden Motto Taking Responsibility for Tough Choices, wie es eigentlich nur die Sendung mit der Maus erklären kann: Das ist der Bill. Er ist der reichste Mann der Welt. Aber das stört ihn nicht. Deshalb kann er täglich harte Entscheidungen treffen. Zum Beispiel die, gleich nach Davos nach München zu fliegen und dort das Haus der Gegenwart einzuweihen. Das Potenzial des Hauses war Antrieb genug für Microsoft in einer Umgebung, in der Limux wächst und Wienux Nachbar ist. Ja, das Haus der Gegenwart ist keines dieser überall herumstehenden Zukunftshäuser, weil in einem Gegenwartshaus natürlich nur handelsübliche Technik unter Windows eingesetzt werden kann. Raffiniert, nicht wahr? Wir wünschen eine reibungslose Eröffnung ohne die blauen Schirme der Vergangenheit.

Quelle : www.heise.de
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 30 Januar, 2005, 10:30
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Diese Woche drehte sich bekanntlich alles um Fußball. Unter "Fußball" als Stichwort findet sich in den 80.000 Seiten Dokumentation zur Strafsache 4 Ks 2/63 gegen Mulka u.a. der Bericht über den SS-Rottenführer Baretzki, der ein Neugeborenes in Oshpitsin als Fußball benutzte. Wer 60 Jahre später im Album klickt oder in den über mehrere Seiten veröffentlichten Fotos blättert, hat es schwer, mit der offiziellen Beileidsrhetorik vom "unvorstellbaren Grauen". So unvorstellbar war das nicht. Auschwitz, als Außenstelle 001 im IBM-System geführt, lebt vom Mythos der Verdrängung. Ist der deutsche Patriotismus besser, der an Auschwitz erinnert und die Frage stellt warum? War die Neutralität der Schweiz ein Verbrechen? Gespenstisch wird es, wenn in den Zeitungen davon die Rede ist, dass das Gedenken an Auschwitz in Gefahr ist, weil die letzten Überlebenden ableben. Die Überlebende Cordelia Edvardson, Hollerith-Nummer A 3709, schreibt: "Auch Überlebende werden alt. Das Leben reduziert sich, die Kräfte schwinden, die Einsamkeit breitet sich aus und die Schutzmauern stürzen ein. Dann, wenn nicht schon früher, weiß man: Es gibt kein Entkommen aus dem Wüsten Land. Es geht nie vorbei. Niemals."

*** "Heil Dich Doch selbst", so wettert die in der FAZ geschaltete Anzeige der Flickconnection gegen die Flick Collection zum 60. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz und jemand gießt literweise weiße Farbe hinterher. Der Urlaub mit den Kakerlaken ist vorbei, der Themenwechsel ist abgeschlossen und die Erinnerung an die 50.000 Zwangsarbeiter im Flick-Konzern ist mit unpolitischen Bildern stillgestellt, die sich Auschwitz verweigern wie sich Friedrich Christian Flick verweigert, wenn die Rede auf den Entschädigungsfond der deutschen Wirtschaft kommt. "Heil Flick", aber das wollte man dann doch nicht schreiben.

*** Neben den unpolitischen Bildern der Connection fliegen die politischen Bilder über die RAF durch den Raum. Die private Ausstellung, die dank einer engagierten Kunst-Auktion auf eBay möglich geworden ist, soll die Kunst ins Verhör nehmen -- und findet hinter der Metaebene des Terrorismus im Feuilleton doch keinen Grund. Was jetzt noch fehlt, ist ein öffentlicher Blog, wie er für Christos Gates in News York installiert wurde. Denn die Rede über die RAF ist eine deutsche Familiengeschichte, die beim SS-Hauptsturmführer Hans Martin Schleyer und bei Will Vesper noch lange nicht zu Ende ist. Wer jetzt fragt, was das denn bitte mit Computern zu tun hat, der sei auf das RAF-Logo des Chaos Computer Clubs zu seinem 18. Jahreskongress verwiesen, als man sich die künstlerische Freiheit nahm, mit dem Logo an Winslow Peck zu erinnern.

*** Geld ist immer eine ernste Sache -- sei es im faschistischen Staatskapitalismus, der die Massenausrottung industriell organisierte und ein weltweites Umverteilungsprogramm für deutsche Kleinbürger und Arbeiter zu veranstalten suchte, sei es im westdeutsche Sozialismus, denn die RAF dann doch nicht herbeibombte, sei es in der freien Marktwirtschaft, die auch angesichts Massenentlassungen und Angleichung der Lebensverhältnisse auf ostdeutschen Lohnniveau keine anderen Probleme als eine Manager-Rolex hat. So mag einem auch beim Running Gag der IT-Branche das Lachen im Halse stecken bleiben. "Wer meine Ehre kränkt, sieht nie mein Geld", dichtete einstmals der große Shakespeare, der in dieser Wochenschau gerne zitiert wurde, als das Schicksal von SCO noch richtige Wellen schlug. Jetzt plänkelt die Beweisführung dahin und während DaimlerChrysler sich abwendet, überschüttet IBM die SCO Group mit Dokumenten, wohingegen SCO klagt und stöhnt ob der unzumutbaren Forderung, Gleiches mit Gleichem zu verrechnen. Geplagt ist die Firma vielleicht auch darum, weil IBM mit Dr. Edward Powell und PointServe die Firma gefunden zu haben scheint, in der die sagenhaften MIT-Wissenschaftler tätig sind, die einstmals den direkten Codeklau von Linux-Programmierern beweisen konnten. Inzwischen ist daraus eine nicht-wörtliche Übertragung geworden und die Beweissuche ein einziger Witz. Doch nun steht wieder großes Theater ins Haus. Die gefeuerten Spitzenkräfte der Canopy Group verklagen den Noorda Family Trust in Gestalt von Noorda-Tochter Val Noorda Kriedel auf 100 Millionen Dollar Schadensersatz, weil sie zu Unrecht gegangen worden seien. Im Gegenzug klagen Noorda & Co die Manager an, mindestens 20 Millionen mit fingierten Geschäften untereinander aus dem Familienfond abgezogen zu haben. Damit wird auch beim Mehrheitseigner der SCO Group jener schöne Kranz an Klagen und Gegenklagen geflochten, der seit Jahr und Tag besonders zu Freitagen als anerkannte Unterhaltung geschätzt wird.

*** Mit Musikhinweisen will ich aus aktuellem Anlass nicht dienen, jeder Kommentar scheint überflüssig. Doch anerkannte Unterhaltung liefert zu unserer aller Rettung auch Douglas Adams. Der Film zum Anhalter kommt am 6. Mai in die englischen Kinos, doch bereits jetzt erfreut der Asteroid Douglasadams neben Lasvegas und Rosalindfranklin die Astronomen, nachdem Arthurdent vom deutschen Sternengucker Felix Hormuth gleich nach dem Tode von Adams getauft wurde. Bleibt nur zu hoffen, dass da draußen keine neue Umgehungsstraße gebaut wird.

Was wird.

Bill   Gates   will   das   Internet   sicherer   machen. Dabei stellt sich natürlich die Frage, wie sicher die Programme sind, die Dateien verschlüsseln, ehe sie über das böse Internet geschickt werden. Während Bruce Schneier nur Anfängerfehler sieht, schlägt Phil Zimmermann Alarm, weil er dem proprietären Code grundsätzlich misstraut. Wenn Bill Gates in der Münchener Pinakothek der Moderne den Kongress über Deutschlands sichere Präsenz im Netz eröffnet, wird Bayerns Ministerpräsident laut PR seiner Staatskanzlei stolzgeschwellt verkünden: "Deshalb ist es ein wichtiges Signal, dass der Internet-Pionier Bill Gates vom Hightech-Standort München aus eine Sicherheitskampagne im Netz startet." Bill Gates als Internet-Pionier: Wer so sicher in den Fakten ist, wird Microsoft auch als Pionier in Sachen Sicherheit feiern können.

Wie immer, wenn Davos zu Ende ist, tingelt nicht nur Bill Gates durch Europa. Auch andere IT-Größen machen Abstecher. Den lustigsten schafft Novell-Chef Jack Messman. Am Mittwochvormittag referiert er in Bonn bei der Veranstaltung der bedeutenden Wirtschaftszeitung Handelsblatt über das "Identity Driven Enterprise on Open Source", am Nachmittag ist er bei der Bonner Veranstaltung der bedeutenden Wirtschaftszeitung Financial Times Deutschland und spricht über "Identity -- the Key to Securing, Managing and Integrating Open Source". Es ist doch wunderbar dem Gedanken der Open Source entsprechend, wie sich die bedeutenden Wirtschaftszeitungen auf einen gemeinsamen Ort verständigen können. Sonst hätte sich Jack Messman womöglich verdoppeln müssen und eine schwere Identitätsschutzverletzung erzeugt.

Die Selektion der schwarzen Schafe, der bunten und gefleckten, begann hier. Inmitten der Debatten um Sicherheit und Identität, der RAF-Geschichte und der deutschen, werden all die zu schwarzen Schafen gestempelt, denen es nicht egal ist, wenn RFID-Chips die Grenzen sichern und die Staaten in aller Welt immer mehr wissen wollen, bis auch die letzte DNA für den rechtswidrigen Zugriff in einer Datenbank gespeichert ist. Sehr früh erfolgt darum hier der Hinweis, dass sich im Sommer die schwarzen Schafe sammeln. Worüber im Sommer 2001 niemand redete und man sich allenfalls über die Videoüberwachung der Toiletten belustigte, das klingt heute nachgerade schäfchendumm. Wodurch sich wiederum zeigt, dass auch Schafe lernfähig sind.

Quelle : www.heise.de
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: Jürgen am 30 Januar, 2005, 16:09
Zitat
Der Film zum Anhalter kommt am 6. Mai in die englischen Kinos, ...
Ich würde mir ja gerne 'mal wieder die ursprüngliche Fernsehserie der BBC ansehen, die vor vielen Jahren auf dem ZDF ausgestrahlt wurde. Eine Wiederholung ist mir leider bisher nicht untergekommen, die Festplatte wartet...
Hoffentlich wird der Kinofilm ein Anlass zur erneuten Ausstrahlung, und zwar möglichst ohne Werbe-Einblendungen im laufenden Film, wie heute so oft üblich  :(
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 06 Februar, 2005, 06:33
Immer wieder gibt es Informationsbröckchen, die es nicht zur richtigen Nachricht schaffen. Sie mögen nicht in das Bild passen, das eine Firma von sich präsentieren will. Sie passen nicht in die angesagten Technik-Trends oder sie sind wirklich so kümmerlich, dass es der Sammlung bedarf. Manches bleibt auch unterhalb der Aufmerksamkeitsschwelle: Menschen, Computer, Sensationen verdecken den Blick auf Hintergründiges und Zusammenhängendes.

Die Wochenschau von Hal Faber möchte hier ein bisschen gegensteuern und den Blick für die Details schärfen. Sie ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist, so es die Bröckchenlage zulässt, Rück- wie Vorschau zugleich. Aus gegebenem Anlass sei aber eine Warnung vorweggeschickt, nicht, es behaupte jemand, er sei nicht gewarnt worden.

    Habe nun, ach! Philosophie,
    Juristerei und Medizin,
    Und leider auch Theologie
    Durchaus studiert, mit heißem Bemühn.
    Da steh ich nun, ich armer Tor!
    Und bin so klug als wie zuvor;Heiße Magister, heiße Doktor gar
    Und ziehe schon an die fünf Jahr
    Herauf, herab und quer und krumm
    Meine Leser an der Nase herum --
    Und sehe, dass wir nichts wissen können!

Müssen wir uns dieser Schlussfolgerung wirklich stellen? Bleibt sie uns erhalten, auch ohne erst Mephistopheles herbeizuzitieren? Ach, nehmen wir zum Start doch lieber eine Anleihe bei einem anderen großen Dialektiker:

    Die Narben schmerzen
    in der kalten Zeit.
    Aber ich sage oft: nur das Grab
    Lehrt mich nichts mehr.

Was war.

*** So ist das also: Was war das schon, als heute vor fünf Jahren, kurz vor der vorverlegten CeBIT, zum Superbowl der Wochenrückblick begann, sich über die Fetzel herzumachen, die es nicht zu einer ordentlichen Nachricht im Ticker brachten. Sich um die Jubiläen und Abschiede zu kümmern, die zum Nachdenken anregen. Sich über Links zum WWWW zu freuen, die davon künden, dass diese Welt tatsächlich eine Scheibe ist, von der man sich etwas abschneiden kann. Sich mit der Musik zu befassen, die wenig mit den Zumutungen der Nazgûl zu tun hat. Sich über die Bobos und die größenwahnsinnige New Economy mit ihrem Gesabbel aufzuregen. Ja, vor fünf Jahren hatte man Visionen zu haben, keine allergischen Reaktionen im Stil des WWWW. Unablässig faselte man davon, First Mover und Weltmarktführer zu sein, stellte gar Philosophen ein, über die Weltmarktführerschaft den Sinn zu suchen.

*** In diesem Sinne darf eigentlich gratuliert werden. Doch wie sieht die Lage wirklich aus? 258 Wochen- und Jahresschauen später ist klar, dass die New Economy ein einziger gut organisierter Bereicherungsfeldzug für die einen, eine einzige Kapitalvernichtung für die anderen war, Heute wissen wir, dass wir aus der Risikogesellschaft (Ulrich Beck) in die Gesellschaft des Weniger eingestiegen sind, mit 5 Millionen Arbeitslosen. Dabei sind 5 Millionen noch schöngerechnet ohne die fast freiwilligen Vorruheständler nach Paragraph 428 SGB III (ca. 400.000 Personen), die Teilnehmer an "Eignungsfestellungsmaßnahmen" (100.000 Personen) und die 300.000 Menschen, die bereits als Ein-Euro-Jobber geführt werden. 600.000 Plätze in diesem Bundesarbeitsdienst sollen nach den Vorstellungen von Wolfgang Clement den Durchbruch zum Besseren bringen.

*** 5 Jahre WWWW sind kein Grund zum Feiern. Vielleicht lesen wir uns in 10 Jahren wieder, doch sicher nicht zum Feiern des Onlinejournalismus, einer schlicht völlig unsinnigen Kategorie. Nur weil in einem Satz ein Link auftauchen kann, ist noch lange kein anderer, kein neuer und kein besserer Journalismus entstanden. Wer so etwas glaubt, wird gleich klagen, dass die Erwähnung von AnyDVD das Abendland zum Zusammenbruch bringt. Es gibt Webseiten, ja ganze Kongresse, die sich plustern und bauschen wie die Bobos zu ihren besten Zeiten. Machen wir es kurz: Onlinejournalisten gibt es nicht, nur einen Journalismus, der nicht auf toten Bäumen erscheint. Der, wenn er einmal ausfällt, einem Verlag genauso Schaden zufügt, wie eine nicht erschiene Zeitung oder nicht gesendete Sendung. Wer Reaktionen darauf als schäbig aburteilt, ist wahrscheinlich wirklich in den Stadtbrunnen gefallen.

*** Es jährt sich bald der Tod jener Elsie Siegl im chinesischen Lustbad, über den Karl Kraus in der Chinesischen Mauer berichtete. Während Kraus an der Publikation des Textes arbeitete, kam es zum Streit mit dem Verleger Kurt Wolff über die Frage, ob Journalisten Seismographen oder Seismologen sind. Die einen registrieren nur, die anderen suchen die Zusammenhänge. An Stelle der nur noch peinlichen Schelte von Online-Angeboten durch Online-Journalisten, bei denen das Hirn Offline ist, braucht es Seiten und Kolumnen, die die Zusammenhänge suchen.

*** In dieser ach so banalen Woche freute sich Microsoft, vom Wirtschaftsmagazin Capital erneut als Deutschlands bester Arbeitgeber ausgezeichnet zu werden. Gefeiert wird mit einer ganzseitige Anzeige in den Wochenendausgaben jener deutscher Tageszeitungen, die nicht vom Wettbewerb der Konkurrenz berichtet hatten. "Firmengeschichte schreibt nie einer allein" heißt es in der Anzeige, die alle Mitarbeiter mit ihrem Vornamen unterschrieben. Einer alleine schreibt unterdessen darüber, sich nicht konzentrieren zu können. Auch so kann man ein Bekenntnis zur Interoperabilität ablegen.

*** Max Schmeling ist gestorben, ein ehrbarer Mann, der einstmals nicht die Hand zum Hitlergruß erhob, sondern unter dem Jubel der Franzosen beide Fäuste reckte. Der Judenbengel versteckte und seinen größten Kontrahenten Joe Louis unterstützte, als dieser verarmt erkrankte. In vielen Blättern steht heute ein Text von Wolf Wondratschek über einen Boxer, der mit seiner Rechten die Sterne vom Himmel boxen konnte. Tod ist auch der große Drummer Nicola James Capaldi, der unablässig gegen das Schicksal der Kinder in den brasilianischen Favelas antrommelte und mit der Band Traffic unsterblich wurde. Seinen letzten Eintrag hat auch Ivan Noble hinter sich, der als Chronist seiner Krankheit mit einem Blog dort anschloss, wo der große Tom Mandel aufhörte. Der eine bewegte "nur" eine ganze Online-Community, der andere schon die halbe Welt. Und so fehlt uns auch heute, an seinem 60. Geburtstag, ausgerechnet der, der uns erklärt, was Gut und was Böse ist. Im zu Ehren sei ein Anderer zitiert: "Das einzige, was sich verantworten lässt, ist, den ideologischen Missbrauch der eigenen Existenz sich zu versagen und im Übrigen privat so bescheiden, unscheinbar und unprätentiös sich zu benehmen, wie es längst nicht mehr die gute Erziehung, wohl aber die Scham darüber gebietet, dass einem in der Hölle noch die Luft zum Atmen bleibt."

Was wird.

Spätestens seit dieser Woche wissen wir, dass es eine analoge Lücke gibt, die mit der Windows Media Center Edition geschlossen werden muss. Dank iRights wissen wir auch, dass die Lücke aus der Sicht der Rechteverkäufer zwar unangenehm ist, doch keineswegs illegal. Bislang sichert uns die Pauschalabgabe auf Kopierer, Brenner und PC das Recht, ohne Beobachtung und Kontrolle der Medienindustrie Privatkopien anzufertigen. Das soll sich bekanntlich ändern, hin zu einer Kontrolle durch die Industrie, die der Zensur von jeher aufgeschlossen gegenüberstand, wie eine gerade eröffnete Ausstellung in Gronau zeigt. In Darmstadt steigt darum eine Veranstaltung, die sich dem Digital Rights Management widmet. Dem Menschenrecht auf Schutz der Privatsphäre steht das Maschinenrecht gegenüber, was mit ihnen angestellt werden kann.

Auch die Gesundheitskarte will näher beleuchtet werden. In dieser Woche hat die Ärztezeitung eine kleine Serie gestartet, die den Ärzten klarmachen soll, dass es schon ein bisschen mehr sein darf als die durchschnittlich 6000 Euro für die Lesegeräte der neuen Karten, die in den Praxen installiert werden. Das derzeit größte IT-Projekt der Welt will in Berlin und in Zürich diskutiert werden. Erfreulich ist ja, dass das neue Verwaltungsvereinfachungsgesetz festlegt, dass die Gesundheitskarte bei einem Wechsel der Krankenkasse weiter genutzt werden darf. Wo kämen wir hin, wenn all die doch so sicher abgelegten Datenbestände aufs Neue aufgebaut werden müssen? Aus den roten Zahlen? Aus denen kommt das megalomane Reformprojekt ohnehin nicht.

5 Jahre liegen hinter mir, weitere 16 sind maximal möglich. Dann strahlt der Ruhm des ersten Letzten. Dann, im Jahre 2021 kommt eine österreichische Terroristen-Gruppe aus dem Jahre 2080 per Zeitreise zurück und macht der ganzen gefrickelten Vernetzung und Verlinkung ein Ende. Das Paranetz wird unkaputtbar sein. Bis dahin routen wir uns um den Verstand.

Ehe das seltsame Erster-Spielchen beginnt, möchte ich mich eigentlich bei mehreren Identitäten als nur DocSnyder bedanken. Es ist erstaunlich, wie viel Unterstützung und Kritik ein kleiner Wochenrückblick erfahren kann. Ein besonders dickes Dankeschön geht an einige Realnamen, die ich nicht nennen möchte, sowie an Angelwing, as400.holgerscherer.de, B.Eckstein, Desiatox, DocSnyder, Don Alphonso, faeshn, Kar98myNRA.com, phosmo, pullmoll, HelpDesk, Rauhvertikal, Twister, Tyler Durden, Vivaldi, wurgl, den treuen Z, Zorglub und sogar an die unverbesserlichen HenryPym und Yens. Mein Dank natürlich auch an heise online, wo die Kolumne abgerechnet wird. Vor fünf Jahren wanderte sie nach 91 Versuchen in einem anderen Internet-Angebot und 356 Ausgaben auf toten Bäumen anderswo hierher und fühlt sich sehr wohl. Ein Dank auch an die Redakteure, die samstäglich über den dahingeschlenzten Sermon stöhnen und der GRÖSSTE an alle Leser, die das große Kotzen kriegen und doch immer wieder vorbei schauen:

Ich rate euch, begrüßt mir
heiter und mit Achtung den
Der euer Wort wie einen schlechten Pfennig prüft!
O schönes Kopfschütteln
Über der unbestreitbaren Wahrheit!



Quelle : www.heise.de
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 13 Februar, 2005, 06:55
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Es gibt Wochen, in denen scheinbar unzusammenhängende Nachrichten über den Ticker laufen und erst in der Rückschau ein kleines Licht gezündet werden kann. Nehmen wir nur den Cell, den IBM, Toshiba und Sony präsentierten, ein Prozessor, der praktisch ein Netzwerk von RISC-Prozessoren im Kleinen darstellt. Möglicherweise kommt mit Cell die nächste Welle leistungsfähiger Multimedia-Geräte, doch eine Revolution, wie es die Firmen preisen, ist dieser Prozessor nicht. Das Zusammenschalten von RISC-Prozessoren wurde in Labors schon frühzeitig durchgespielt, etwa bei Hewlett-Packard, wo man mit PA-RISC-Systemen experimentierte -- bis Carly Fiorina kam und die Forschung radikal kürzte. Fiorina versuchte, aus Hewlett Packard und Compaq eine Art Über-Dell zu machen und traf damit nicht unbedingt auf Gegenliebe. Insofern passt der mit mindestens 21,1 Millionen Dollar prämierte Rücktritt gut in die Rückschau und noch besser zum Cell-Prozessor von IBM. Wie IBMs Lou Gerstner offenbar der erste war, dem man die Nachfolge von Fiorina antrug.

*** Ansstand ist kein Schreibfehler, sondern ein deutscher Verein der Anwender des Software-Entwicklungsstandards der öffentlichen Verwaltung, der sich mit Leib, Seele und dem nötigen Anstand dem V-Modell verschrieben hat. Dieses Entwicklungsmodell, mit dem bundesdeutsche IT-Erfolgsprojekte wie die LKW-Maut und die Hartz-IV-Software modelliert werden, wird durch das V-Modell XT abgelöst -- die Nachricht ging in der Vorbereitung zur Geburtstagsfeier unter. Mit dem extremen Tailoring können neue IT-Großprojekte in extrem kurzer Zeit gestartet werden, weil die ach so störenden Anforderungen und Schnittstellen erst im Nachhinein festgelegt werden müssen. Wer genau hinschaut, findet das System bereits im Einsatz, nämlich bei der elektronischen Gesundheitskarte, bei der erste Feldtests und allgemeine Einführung dank "nachladbarer Applikationen" praktisch mit ein- und demselben Rollout erledigt werden.

*** Vor 60 Jahren ging Dresden in Schutt und Asche unter, wie von Kurt Vonnegut in Schlachthof 5 mit tralfamodorischer Meisterschaft beschrieben, von Ed Sanders bedichtet. Ja, so geht das mit dem Tod. An dieser Stelle ist ein Link auf einen Artikel in der Neuen Zürcher Zeitung fällig, der beschreibt, wie in der DDR der Mythos vom sinnlosen Opfer entstand und wie die Amerikaner die Bösen wurden. Leider wird der Link schon bald nicht mehr lesbar sein, weil auch die NZZ ihr Archiv zu Geld machen will. Doch welche Barbarei zerstörte Dresden? Sollte man nicht daran erinnern, dass es möglicherweise Vannevar Bush war, der Erfinder des Memex-Systems des universal vernetzten Wissens, der sich für den Einsatz von Napalm bei den Brandbomben stark machte? Das aufgeklärte Wissen kennt keine Schranken, Dresden strahlte in triumphierendem Unheil -- und wurde seitdem zum gegenseitigen Aufrechnen der Schuld benutzt. Darum: Keine Träne für Dresden.

*** Nein, der P-Day fand in dieser Woche nicht statt. Dafür gab es einen hübschen Strauß von Nachrichten rund um die sich weiter hinziehende Entscheidung zur Patentierbarkeit computerimplementierter Erfindungen. Die Sache wird uns also weiter beschäftigen. Im Jahre 1943 erschien "Patents for Hitler", in dem Günter Reimann erklärte, wie Hitler systematisch deutsche wie amerikanische Patentansprüche ausnutzte, um amerikanische Firmen unter Druck zu setzen und gegen einen Krieg mit Deutschland zu stimmen. "Der amerikanische Kapitalismus gibt sich 'isolationistisch' weil er die besten Geschäfte mit Hitler machen kann", schrieb Günter Reimann, ehemals Wirtschaftsredakteur der Roten Fahne. Er machte als erster auf die wirtschaftlichen Verflechtungen zwischen der IBM und der Dehomag aufmerksam. Als Hans Steinicke in einer großen jüdischen Kaufmannsfamilie im Februar 1904 in der Uckermark geboren, wurde er als Kommunist Experte für Weltwirtschaftsfragen. Reimann kritisierte früh die sowjetische Wirtschaftspolitik und konnte 1936 in die USA fliehen, wo sein Buch "The Vampire Economy" erschien, das die Umschichtung jüdischer Vermögen beschrieb. 1947 gründete Reimann einen Währungs-Informationsdienst, den er 1983 an die Financial Times verkaufen konnte. Für 2000 Dollar im Jahr verschickte er seine Reports, mit denen er "den Glauben der Kapitalisten an ihr System" unterminierte. In der Nacht zum vergangenen Sonntag starb Reimann in seiner Villa auf Long Islands.

*** "Wo man nicht helfen kann, soll man auch jammern nicht", so dichtete einst der große Shakespeare. Doch beim letzten großen Drama in zahlosen Akten, beim Kampf der SCO Group gegen den Rest der Welt wird gejammert. Da hat es doch tatsächlich einen Sieg für SCO gegeben und alle Welt schreibt nur über den verärgerten Richter. Verstehe einer da die Welt, wundert sich also SCO. Derweil ist hinter dem Rücken der SCO Group beim Investor Canopy Group ein Kampf ausgebrochen, der die SCO-Linux-Saga in den Schatten stellt. Lang, lang her ist es mit den Zeiten, als der erklärte Musterschüler von Ray Noorda, der "3D-Star-Designer" (so Ray Noorda) Ralph Yarro für die Linux-Adaption Corsair diese Oberflächen entwickelte, mit denen der Linux-Desktop in Konkurrenz zu Microsoft Bob die Welt erobern sollte. Bekanntlich verschwanden die Oberflächen von Bob und Corsair in der geräumigen Wühlkiste computertechnischer Peinlichkeiten, in die jede Firma dieser Branche entsorgt. Ralph Yarro aber stieg zum Vertrauensmann der Noordas auf und installierte die Canopy Group als Holding, die mit der Vereinigung von Linux (bei Caldera) und Windows (Willows Software) die Mother Lode der IT freilegen sollte. Der Plan ging gründlich schief, wenngleich man im Prozess mit Microsoft punkten konnte. Heute streiten sich die Parteien, ob Ray Noorda zurechnungsfähig ist oder demenzkrank vor sich hindämmernd alles unterschrieben hat, was Yarro vorlegte. Die unappetitlichen Details finden sich auf Groklaw, während die IT-Presse an die Rückkehr des großen Alten glaubt. Der Rest ist Schweigen? Von wegen. Das Königsdrama um den hochfahrenden Adoptivsohn hat gerade erst begonnen und mancher Kommentator versteht die Tragik nicht, in die einfache Leute gestürzt werden, denen plötzlich das Nichts die Aufwartung macht.

Was wird.

Es gibt Seltsamkeiten, die auf ihre Weise mehr über den Zustand der Welt aussagen als manche tiefschürfende Betrachtung. Der Richter mit der Pumpe gehört dazu, aber auch die bizarren Rollen im Sociolotron mit seiner dildobasierten Aufmerksamkeitsökonomie. Unter diesen Umständen klingt es nachgerade gewöhnlich, wenn morgen die Linux Virgins damit beginnen, einen Computer zusammenzubauen, der unter Linux läuft. Dabei ist die Beschäftigung mit der Jungfräulichkeit manchmal nur eine harmlose Sprachübung.

Wie das nun geht mit dem brandneuen Super-XT beim Bund, wenn man nicht mehr einen Schritt nach dem anderen machen muss, sondern konstruktiv stolpern darf, wird XT-Guru Manfred Broy in München erläutern. Wie sagte er treffend dem Handelsblatt: "Nun kann man mit der Implementierung und Integration anfangen und dann erst die Anforderungen festlegen." Die methodischen Feinheiten dieses Ansatzes lese man bei Dilbert nach.

In Cannes beginnt morgen die GSM-World und damit das Bombardement mit Nachrichten über absolut unverzichtbare Komfortmerkmale des mobilen Lebens. Den Anfang hat Nokia gemacht, und zwar mit seiner Nokia Local Marketing Solution, bei denen die Benutzer von Mobiltelefonen per Bluetooth mit Coupons und Werbeangeboten zugedröhnt werden, auf dass sie mit pawlowschen Klicks ihr Smartphone bespeicheln. Ach, ich bin zu hart? Das "klick-reduzierte Leben", das Nokia ganz ungeniert feiert, muss ja nicht denk-reduziert sein. Jedenfalls solange noch Verstand genug da ist, in den Unter-Unter-Menübaumen die Option zu finden, mit der man diesen Bluetooth-Spam ausschalten kann. Bis die ersten Gadgets kommen, bei denen sich Bluetooth nicht ausschalten lässt. Bis dahin wünsche ich allen eine unstürmische Woche.

Quelle und Links : http://www.heise.de/newsticker/meldung/56335
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: Jürgen am 13 Februar, 2005, 17:42
Zitat
dem V-Modell verschrieben
V steht in diesem Zusammenhang sicherlich für VAPO(U)R = Dampf ~ heisse Luft.
Langenscheid:
1. Dampf, Dunst
2. Phantom, Hirngespinst
...
5. fig. schwadronieren, prahlen
Zitat
Die methodischen Feinheiten dieses Ansatzes lese man bei Dilbert nach.
Schlag nach bei
http://www.dilbert.com/

Paperware u.a.:
Das Dilbert Prinzip von Scott Adams

Broschiert / Heyne / erschienen 2000
ISBN: 3453148304 (andere Ausgaben teils schon vergriffen)
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 20 Februar, 2005, 08:06
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Muhahaha. Wenn die Kinder soweit sind, dass sie Micro$oft schreiben können und sich über $0ftw4r3p4t3nt3 aufregen, dann ist es an der Zeit, besorgte Eltern aufzuklären, was es mit l33t auf sich hat. Schließlich gebietet es die elterliche Pflicht, dort einzuschreiten, wo Kinder in illegale Aktivitäten verwickelt sind, etwa den h3153 l33tt1KKr lesen. Mit dem Verunglimpfen von Firmennamen fängt es immer an, dann folgt der Unglaube an geschichtlich verbürgte Wahrheiten. Das Ende ist die völlige Zerrüttung der Persönlichkeit, etwa der hemmungslose Genuss von Wein. How does it feel to be on your own? Like a Rolling Stone, drohte schon Bob Dylan.

*** Wenn ich SCO höre, greife ich frei nach Lenin zu Shakespeare. Diese Firma bekommt von IBM geliefert, was sie immer haben wollte, auch wenn es Komplikationen bereiten könnte. Mit SCOXE, dem Delisting von der Börse, zeichnet sich ein Ende dieser Firma ab. "And peace proclaims olives of endless age", dichtete His Willness, im letzten Aufzug, eh das nächste Drama startet. Mit der Saga um einen alten Herrscher, der womöglich bar jeder Erinnerung dahindämmert, während durchtriebene Engel die Schätze seines Herrscherhauses in einem Salzsee versenken, kündigt sich das nächste Stück an, ein Drama, wie es zuletzt das Gold am Grunde des Rheins herauf beschwor. Noch jeder Firewall konnte durchritten werden.

*** Andere Länder, andere Dramen. Nehmen wir nur das Land Bremen. Dort gibt es nicht nur die glücklich gealterten kritischen InformatikerInnen, sondern auch die Sache mit dem Glückspenis. Es ist eine Niederlage des Datenschutzes, wenn ein Gericht die Ermittlungen der Polizei explizit als Verletzung des Postgeheimnisses bezeichnet und verurteilt, die Ergebnisse aber dennoch weiter verwendet werden. Bemerkenswert auch, dass in Bremen nur Polizisten belangt werden, nicht die Mitarbeiter im Amtsgericht und der Gesundheitsbehörde, von denen die Mail mit dem Glückspenis stammte. Macht das Verhalten Schule, kann jeder Spam, der weitergeleitet wird, als Argument dafür dienen, eine ganze Festplatte zu durchsuchen. Deutschland, das Land der Dichter und Denunzianten.

*** Deutschland ist auch das Land der Macher, der Leute, die mit der Greencard die IT-Spezialisten aus Indien ins Land holen wollten oder die heftig um die Chinesen warben. Fast vergessen in den Turbulenzen um den selbstgefälligen Bundes-Joschka ist der Biometrie-Fan Otto Schily, der sich doch tapfer bemühte, die Schleuser zu bekämpfen. Wie schön ist es da, wenn Schily auf der CeBIT mit Zeig mir Dein Gesicht! eine Ausstellung eröffnet, die die Gemüter beruhigen soll. Selbst der Außenminister soll einwandfrei erkannt werden. Inmitten der deutschen Wahlkämpfer wird die Visa-Affäre noch weidlich ausgeschlachtet werden. Wer bemerkt da noch den Protest der Ukrainer, die Europa erleben wollen und unversehens ein einzig Land voll Krimineller geworden sind, die das Land der Dichter und Lenker bedrängen? So sind etwa die Inder mittlerweile auch für die CDU , die chinesische Touristen ob der exzellenten Wirtschaftsbeziehungen gut behandelt wissen möchte, hoffähig -- für dieselbe CDU, die in "Kinder statt Inder"-Zeiten etwa mit dem guten Umang Gupta dann doch nicht so recht etwas zu tun haben wollte. Die Ukrainer in männlicher Inkarnation aber erscheinen in der Debatte grundsätzlich als Mafiosi, in ihrer weiblichen Ausprägung dagegen als Zwangsprostitutierte. So wird aus einer Visa-Affäre, über die ein allzu arroganter Ex-Sponti zu stolpern droht, über alle Parteigrenzen hinweg die gesellschaftliche Verankerung eines offiziell und staatlich sanktionierten Rassismus. Wer mag da noch von einem Reformstau in Deutschland reden: Für die Nazis waren die Nürnberger Rassengesetze auch eine Reform.

*** Statt "Zeig mit Dein Gesicht!" ist die biometrische Variante Zeig mir deine Knochen! erwähnenswert, auch wenn sie sinnigerweise nur zur Altersbestimmung dient, ehe man Pornografie sehen darf. Unter diesem Aspekt wird der Aufwand von Ray Kurzweil verständlich, der angeblich täglich 250 Aufbaumittel schluckt, um das ewige Leben des Homo S@piens zu erreichen. Lebe lang genug, um immer zu leben, das ist natürlich eine fesche Antwort auf die Absicht, die soziale Absicherung zu privatisieren. Wer ewig lebt, dem ist alles Zinseszins.

*** Im Land der altersbedingten unbegrenzten Möglichkeiten, dort, wo jeder Hund seine 15 Minuten Ruhm hat, gibt es für Bill Gates neben Microsoft eigentlich nur noch Google. Dieses Google hat eine neue Toolbar eingeführt, die im Zusammenspiel mit den neuen Karten für interessante Ergebnisse sorgt. Nun will Google freilich nicht nur der Wikipedia unter die Arme greifen, sondern auch den Bibliotheken in die Regale. Doch was ist mit den deutschen, den französischen Büchern, wenn dieser Kulturimperialismus über uns kommt? Werden die Kiddies neben l33t7 nur noch lernen können, wie man Donald Duck gegen den Strich liest? Oder wird der französische Widerstand in einen europäischen münden? Bemerkenswert ist jedenfalls, dass die Aktion mit dem Besuch von US-Präsident Bush zusammenfällt.

*** Zu den Toten dieser Woche zählt der IBM-Ingenieur Samuel Alderson, der Vater aller Crash-Test-Dummies. Bei IBM versuchte der Kriegsheimkehrer, intelligente Prothesen zu entwickeln, die mit winzigen Motoren und Computern ausgestattet sein sollten. Mit seinen Cyborgs war Adelson seiner Zeit voraus, mit den Dummies für die Crashtests feierte erst bei den Flugzeugbauern, dann bei den Automobilkonstrukteuren einen späten Triumph.

*** Ohne jeden Triumph endete morgen vor 40 Jahren das Leben von Malcolm X. Heute würde er von denjenigen, für die in der Ukraine alles eine kriminelle Soße ist, schnell zu den muslimischen Hasspredigern gezählt werden. Doch seine späte Einsicht ist unverändert gültig: "Ich werde mich jedem anschließen, egal welche Hautfarbe Du hast, solange Du diese miserablen Lebensumstände, die auf dieser Welt existieren, verändern willst."

Was wird.

In der Woche forderten die Reporter ohne Grenzen im Vorfeld der Vorbereitungen zum zweiten Weltgipfel der Informationsgesellschaft die Informationsfreiheit im Internet. Nach einiger Diskussion enthielt die Erklärung auch diesen Passus: "Auch Internetautoren wie Weblogger und Verfasser persönlicher Seiten sollen den gleichen Schutz und die gleichen Rechte nach Artikel 19 genießen, wie professionelle Journalisten. Denn auch Internetautoren machen Gebrauch von dem Menschenrecht auf freie Information und freie Meinungsäußerung." Wenn man den Heise-Lesern eine Aversion gegen das Bloggen nachsagt -- was nicht stimmt -- so muss man die Zeichen der Zeit lesen. Derzeit wird das Bloggen als neueste Killeranwendung im Internet über den grünen Klee gelobt und mit Business-Modellen aller Art beworfen, wobei der Dummheit keine Grenzen gesetzt sind. Das Werbblog, das Blog zur Pflege des Firmen-Images, hat auf der großen Bühne der Einsamen keine Chance. Dennoch wird die Sau durchs Dorf getrieben, zum nächsten Mal auf der Burda-Konferenz zum Digital Lifestyle Day. Dort versammelt sich die internationale Blogosphere, um über Geschäftsmodelle zu tratschen, dort referieren die Jamba-Spezialisten über "Mozart, iPods and Ringtones". Das Motto der Konferenz ist auch nicht schlecht: "How to make consumers PAY for it". Hier treffen sich die Setter.

Einen zarten Gegensatz bildet die FOSDEM zum Ende der Woche. Eine spartanische kostenlose Konferenz, die gut organisert ist und Jahr für Jahr wächst, weil es Leute gibt, die sich für nicht essbare Gambas interessieren und bei Nautilus nicht nach Tintenfischrezepten suchen. Hier treffen sich die Trendsetter.

Quelle und Links : http://www.heise.de/newsticker/meldung/56612
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 27 Februar, 2005, 07:41
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** "Nimm dir ein Ziel vor, wenn du ein Thema angehst, zum Beispiel ein Wildschwein mit einem Jagdmesser verfolgen und töten." Die Ratschläge für angehende Journalisten vom Gonzo-Journalist Hunter S. Thompson waren immer ungemein praktisch. Nun ist der große Reporter von Rolling Stones tot. Der Waffenfan schoss sich in den Kopf, am Anfang einer langen Reise. Sein eingeäscherter Rest kommt in eine Kanonenkugel und die wird in die Luft geschossen. Jeder Journalist, den ich kenne, wünschte einmal, so schreiben zu können wie Thompson. Doch die, die es konnten, sind wie Jörg Fauser auch schon lange tot. Die schlichte Wahrheit ist, dass der Gonzo-Journalismus einzigartig ist. Oder?

*** Tot ist auch Peter Benenson, aber mit ihm stirbt sein wichtigstes Anliegen nicht. Der Historiker und Jurist, in Weltkriegszeiten im Bletchley Park der Codebrecher und Informatikpioniere aktiv, machte sich früh einen Namen als Anwalt für soziale Anliegen. 1961 initiierte er eine Kampagne zur Freilassung politischer Gefangener, aus der dann die Organisation Amnesty International entstand. Menschenrechte, ja, war da was? Eine Welt, die Organisationen wie AI nötig hat, ist noch lange nicht der Ort, an dem wir unbesorgt und unbedarft leben wollen.

*** Es gibt leider so einiges, was diese Welt nicht zu einem allzu wohnlichen Ort macht, und die eigenen Verfolgungsgelüste sind da auch nicht gerade hilfreich. Man mag es mir nachsehen, aber man müsste sich wirklich eine chemische Keule besorgen, eines von diesen praktischen kleinen Sprays, raus nach Nymphenburg fahren, durch den Schnee rutschen und dann jeden, der auf den Digital Lifestyle Days 05 dumm rumquatscht, sofort eines in die Fresse brennen. Oder besser gleich zur Uzi greifen, wenn Verena Pooth aka Feldbusch als Vertreterin der digitalen Generation begrüßt wird. Man müsste einen Flammenwerfer nehmen und die dämlichen Banner samt Träger rösten, die ein Tim Renner im Hubertus Burda-Saal entrollt: Faschismus -- Kommunismus -- Mainstream. Wir haben einen Auftrag. Wie viel Prozac, Schnee oder sonst was muss man geworfen haben, um solch einen Mist amüsant zu finden und zu applaudieren, wenn Renner die neue Ehrlichkeit ausruft? Tja, wenn es keine Knarren gibt, dann greift man besser zur Axt und verhackstückt mit ein bisschen Verve und Boshaftigkeit, na, wen wohl? Ich wechsel meinen Klingelton vielleicht häufiger als meine Unterhose. Und überhaupt, ich mag die Kids. Mir ist es lieber, dass die Kids dafür Geld ausgeben als für Süßigkeiten oder für Zigaretten oder sonst irgendetwas. Ich meine, wenn die Kids Klingeltöne kaufen und sich beim Spielefütterdienst Duke Nukem aufs Handy laden und dann mit der fetten Uzi losstürmen, dann haben sie doch auch einen Auftrag. Oder nicht? Sind wir nicht alle Hunter S. Thompsons? Hass, Hass, Hass, 100 Zeilen Hass!

*** Ach so. Mit dem Hass im Internet ist ja ab sofort Schluss. Tschuldigung, ich vergaß. Dafür sorgen die Naiinjas, die für "no abuse in internet" zuständig sind. Nehmen wir einmal im Stil vom ollen Thompson den Geschäftsführer Dennis Grabowski ins Visier. der von Zusammen gegen Rechts kommt und offensichtlich einen wichtigen Posten besetzt. Herzen wir unsere untadeligen Kämpfer, auch wenn sie ein dunkles Geheimis mit sich tragen. Es gibt halt Menschen, deren Nutzwerk über jede Tücke erhaben ist. Das Internet mag voller Hass sein, doch ist der nicht zu stoppen, weil es in den Hinterköpfen rumort. Und einen richtigen Hinterkopf kann nur Hunter S. Thompson beschreiben. Oder etwa nicht?

*** Ach, heute zieht es mich magisch zur taz, zu der Zeitung, die Thompson verabschiedet und vor dem Abschied rührend besorgt um den Außendicken ist. Sie hat ja nicht nur Nachrufe und schöne Gedichte über den Fußball zu bieten. In dieser Woche wurde das höchste Lob verteilt. Die Zeitung, die einst (vor einer Markenklage) die Katzenpranke im Logo führte, das Kampfzeichen aller Dosen- und Türöffner, hat nun das Herz entdeckt. Das taz-Herz schlägt nicht für das Geburtstagskind, sondern für Bill Gates. Denn dass wir Open Source überhaupt haben und mit dieser Software ans Internet können, haben wir Bill Gates zu verdanken. Der bietet nämlich Alternativen an, die mit Apple einfach nicht da sind, weil Apple sich nur auf Apple reimt.

*** Ach ja, es ist gut, wenn man endlich auf dem Boden der Realität ankommt. Welche Realität aber, das ist dann wieder die Frage, und doppelbödig scheint jede einzelne davon dann auch wieder zu sein. Einen dieser Böden fand nun allerdings die Mozilla-Foundation, die mit vergleichbaren konzeptionellen Problemen zu kämpfen hat wie Microsoft. Wundern mag man sich dabei aber eigentlich nur über das Wundern so manch lautstarken Mitglieds der Open-Source-Gemeinde, das sich schon im Besitz der alleinseligmachenden Software wähnte. Das Leben aber ist gefährlich und das Risiko, zur Sekte zu werden, für jede Ingroup groß. Und Dummheit wird bestraft, auch im Internet -- sei es bei Anwendern, Entwicklern oder Fangemeinden.

*** Dummheit, Menschenrechte, Realitäten -- ja, es ist so ein Kreuz mit dem Leben, dem Universum und dem ganzen Rest. Schauen wir einmal nur auf den Rest, ist bemerkenswert, dass der Wochenrückblick bei allen Tageszeitungen wahrlich schräg ausfällt. Während die taz Bill Gates ihr Herz schenkt, flippt die FAZ am nämlichen Tag über Stephan Schambach aus und feiert (leider nicht online) ihn und sein Startup Demandware als SAP der Zukunft, weil Grid Computing für Webshops im Internet das einzig Richtige ist. Die Serverfarm, die für Quelle die Bestellung fertig macht, ist natürlich qualitativ weit ab von Intershop angesiedelt, das einfach nur vermurkste Software verkauft. Eben genauso weit weg wie es Jena und Boston sind. Oder Berlin von Nürnberg: Die seltsame Schelte, die Minister Clement auf das Hartz-IV-Projekt ablädt, findet sich natürlich in der Software A2LL, die die Zahlungen an die Antragsteller regelt. So kam es aus dem Hause Clement als Order über die armen Sachbearbeiter: Jeder, der mindestens drei Stunden am Tag "zu den üblichen Bedingungen des Arbeitsmarktes" tätig sein kann, gilt als erwerbsfähig. Softwaretechnisch ist das ein Kästchen zum Anklicken, und wenn so Drogensüchtige aller Art bedient werden, so müsste für den Minister das beliebte Diktum der Heise-Foren gelten: Wer keine Ahnung hat, der ...

*** Als weitere aparte Abirrung von der Realität oder vielleicht auch noch einer Suche nach einer weiteren Wirklichkeit dürfen wir die Sätze des BMVBW-Ministerialrats Bernd Törkel registrieren, der in dieser Woche öffentlich bezweifelte, dass die mittlerweile berühmt gewordene Mautprellerfahrt des ZDF überhaupt stattgefunden hat. Das ZDF hat darauf die Tachoscheiben der Fahrt vorgelegt. Sie werden als Beweisstücke vom Verkehrsministerium abgelehnt, weil es so einfach wäre, mit einem Computer die Fahrt auf einer Scheibe zu simulieren. Ja, so sind die Computer. Sie simulieren einfach alles. So eine mit einem Griffel gezeichnete Tachoscheibe ist dabei noch das kleinste Problem. Was passiert, wenn die Regierung die Dokumentensicherheit der Scheibe bezweifelt (die bald von digitalen Schreibern abgelöst wird), dürfen die Kontrolleure ausbaden. Hat die Regierung im anstehenden Prozess mit dem ZDF Erfolg, werden wir den zweiten Kollateralschaden der Maut hinnehmen müssen. Der erste ist abseits der Autobahnen zu hören.

Was wird.

Nichts wird. Die nächste Woche dümpelt. Gebannt starrt die IT-Welt auf die große Laberwelle, die bald über Hannover rollen wird. Ich gebe gerne zu, dass solch ein Vergleich geschmacklos erscheinen mag, aber die schiere Masse der diesjährigen Aussendungen vor der CeBIT überrascht. Andere hängen sich an anderswo stattfindende Wettbewerbe oder geilen sich an fehlenden Kabeln auf. Ansonsten heißt die Parole Deckung: Weniger denn je scheinen die Firmen die Lehre vom Kommunikationskanal zu beherrschen. Eine CeBIT-Meldung wird anscheinend grundsätzlich drei Mal ausgeschickt, als E-Mail, Fax und dann kommt, höllisch verspätet, die Pressemappe. Besser ist es da, einfach ruhig zu bleiben und ein gutes Buch von Hunter S. Thompson zu lesen, ehe in der Stadt des Leibnizkekses die Vorhölle ausbricht. Ein angekündigter Hackerwettbewerb, bei dem die Siegerin, der Sieger eine Barbie-Puppe im Stil der schwarzen Witwen erhält, lässt Schlimmstes befürchten. "Alle die, die eine Revue, eine ingeniöse Idee oder einen Trick kennen, sind willkommen", schrieb der Hannoveraner Leibniz im Jahre 1675. 330 Jahre später sind die mit dem Trick in der Überzahl. Ich ziehe mich derweil in meine Leseecke zurück und harre der Dinge, die da aufs Messegelände kommen, Trick hin, Schrott her.

Quelle und Links : http://www.heise.de/newsticker/meldung/56842
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 06 März, 2005, 06:26
Was war.

*** Heute vor 530 Jahren wurde Michelangelo geboren, der Künstler, nicht der Computervirus. Michelangelo war überzeugt davon, mit einem monumentalen Marmorgrab für Papst Julius II. ewigen Ruhm zu gewinnen. Vor 500 Jahren begann er mit diesem Projekt, das ihn 40 Jahre lang beschäftigte, immer wieder unterbrochen durch Nebenjobs wie das Auspinseln des Sixtinischen Kapelle. Mit seinen Abschweifungen wurde er bekannt.

*** Abschweifungen sind diese Rückblicke, Woche für Woche, von einem Unkünstler, der Journalism by mail gelernt hat. Auf gewisse, perverse Weise finde ich es beruhigend, dass ein Genie wie Michelangelo 40 Jahre in die Irre laufen kann und dennoch unsterbliche Werke für die Zeiten erschafft, in der Menschen solche noch bewundern können. Mit Paul Giangarra habe ich vor 10 Jahren ein Gespräch geführt, auf dem er OS/2 40 Jahre Lebenszeit prognostizierte. Nun ist es etwas kürzer geworden. Als vor 10 Jahren die CeBIT ihre "Pforten" öffnete, war überall Microsoft-Werbung plakatiert, weil Windows 95 in wenigen Monaten kommen sollte: "Willkommen zur Windows 95" hieß es auf den Plakaten, auf denen CeBIT durchgestrichen war, und weiter: "Wo immer Sie auf der CeBIT 95 hingehen, Microsoft ist schon da." Was haben wir gelacht, was haben wir uns wie Götter gefühlt .... und gründlich geirrt.

*** Microsoft war wirklich überall da, wo OS/2 niemals hinkommen konnte. "Been there, done that", dieses IBM-T-Shirt von damals war schlichtweg eine nette Illusion. Dies muss festgehalten werden. Bill Gates hat sich mit den daraus sprudelnden Millionen zu Recht zum Ritter schlagen lassen, allen billigen Witzen zum Trotz. Wer will denn den Vergleich ziehen zwischen einem AIDS-Bekämpfer vom Schlage Gates und eine, AIDS-Arzt wie Elon Ganor, der zur CeBIT 95 Vocaltecs "Voice over IP" erstmalig am Stand von Unisys vorstellte? Heute, morgen, nächste Woche ist VoIP eines der Top-Themen in Herscheltown, doch die Not, möglichst billig mit Ärzten vor Ort kommunizieren zu können, die ist längst vergessen. Mit Peter Benenson haben wir einen verloren, den wir nicht vergessen werden: Auch diese Woche mag ich die Hoffnung nicht aufgeben, dass diese Welt doch noch ein Ort werden kann, an dem wir unbesorgt und unbedarft leben wollen.

*** Vergessen und unbesorgtes Leben, sollte es da aber vielleicht doch einen Zusammenhang geben? Jedenfalls mögen sich manche Bill Gates als einen glücklichen Menschen vorstellen: Schließlich meckert beim Erfinder des Hotdogs auch niemand, er habe nur geklaut, da er nicht innovativ genug zur Entwicklung der Wurst gewesen sei. Glückliche Menschen aber sehen in Wirklichkeit doch ganz anders aus. So wie James Last zum Beispiel, den RTL auf Platz 1 der erfolgreichsten Pop-Künstler hob, ganz streng nach deutscher Chart-Mathematik, knapp vor Peter Maffay. Ja, so betrügt uns die Realität aufs Neue. Vergessen wir also den Pop, und wir führen ein glücklicheres, unbesorgteres Leben. Das reicht nicht? Nun, man muss auch bei der Flucht in ein besseres Leben keineswegs am Popjazz eines Esbjörn Svensson scheitern, man kann auch beispielsweise Me'shell NdegéOcello auf den Spuren von Miles Davis und Jon Coltrane folgen. Ach, Vergessen, nein, es ist keine Lösung.

Was wird.

PC-RX ist kein neuer Prozessor, der auf der CeBIT für Heißluft sorgt. Hinter dem Kürzel verbirgt sich ein Gremium des Europarates, das ausgeschrieben "Committee of Experts on the Criminalisation of Acts of Racist or Xenophobic Nature committed through Computer Networks" heißt. Dort wurde ein Zusatzprotokoll zum Übereinkommen gegen die Computerkriminalität, der so genannten Cybercrime-Convention "erarbeitet". Nun trägt die Arbeit, Zypries sei Dank, Früchte. Die deutsche Justizministerin nimmt das Protokoll zum Anlass, in einen Gesetzentwurf das Leugnen von Völkermord und Kriegsverbrechen an den Tutsi oder in Ruanda, ähem Ruantutsi und dem ehemaligen, armen Jugoslawien auf ein- und dieselbe Stufe mit dem Leugnen des Holocaust zu stellen. Wenn das Gesetz in der kommenden Woche durch den Bundestag kommt, dürfen nur noch der Völkermord in Armenien und der in Vietnam geleugnet werden. Da fragt es sich doch, ob man im Namen des Kampfes gegen die Computerkriminalität nicht konsequenter den Begriff Völkermord in zypriessche Schutzhaft nehmen soll. Ein mit 1-Euro-Jobs gebildetes Wahrheitsministerium für Leugnungen aller Art wäre auch erwägenswert. Auf seine Art wäre es ein würdiges Völkermorddenkmal einer sozialidemokratisch/grünen Regierung, die ein gestörtes Verhältnis zur Meinungsfreiheit hat. Als nächstes folgt das rotgrüne Gesetz, das politische Diskussionen in Nichtraucherzimmern verbietet.

Dann wäre da noch das Rauchen im Freien. Wie wäre es mit einem Netz von Satelliten und Rauchmeldern, die ihre Position und das Erschnüffelte melden? Oder bin ich da Opfer der allgemeinen Konfusion? Wie gut, dass in München der Satellitenkongress startet, auf dem der verworrene Kurs der Navigatoren erläutert wird. Stellen wir uns einmal all die nichtmilitärischen Anwendungen vor, die davon bedroht sind: Das Verfolgen von Kindern, Verurteilten im Hausarrest, verwirrten Alten ohne Silberlöffel und über Bundesstraßen marodierende LKW steht auf dem Spiel, ganz zu schweigen von den unglaublich wichtigen Location Based Services, ohne die man in den Herrenhäuser Gärten rettungslos verloren wäre.

Hannover! Heimat! Hier habe ich den Roten Punkt erlebt und nein, es war nicht Sine Alcohol, das heuer seinen 100. Geburtstag feiert. Keksstadt mit einem großen Nana-Herz und den Fenstern, aus denen die Monadinnen schüchtern lugen. Dreimal werden wir noch wach, dann wiederholt sich erneut die Geschichte, dann startet in der norddeutschen Tiefebene die CeBIT, die Leitmesse für Kinderspielzeug und pfeilschnelle Datenkommunikation. Es tut bitter Not, die CeBIT zu erwähnen, die mit einem Technology Industry Summit startet, auf dem diskutiert wird, warum die unendliche Geschichte gut für diese Branche ist. In einer Zeit, in der Debatten über den Ursprung von MS-DOS vor Gericht ausgetragen werden müssen, ist es das Schlechteste nicht, wenn einmal die guten Aspekte der juristischen Hickhacks betont werden.

Nach der CeBIT ist vor der CeBIT. Wenn die Marketiers ihre Brunftzeit haben, sei der Hinweis auf Creative Capital gestattet, auch wenn Anmeldungen unterhalb von 300 Euro nicht mehr registriert werden. Schließlich ist es für eine möglicherweise gute Sache, genau wie das Ansinnen des Jungen Liberalen, der da forderte, dass die Alten für eine gute Sache bitteschön ihre Löffel abzugeben haben.

Jungforsch stelle ich diesmal gegen altforsch, und das zur Erinnerung an das Ende der Entführung von Peter Lorenz: Gegen das perfide Luftsicherheitsgesetz argumentierte Burkhard Hirsch in dieser Woche in der FAZ in einem Leserbrief über die Verpflichtung des Staates, jedes menschliche Leben zu schützen: "Der Sohn Schleyers hatte damals eine einstweilige Anorndung beantragt, mit der die Bundesregierung verpflichtet werden sollte, dem Ansinnen der Entführer nachzugeben, wie dies im Falle Lorenz geschehen war." Doch dann zeigte der Staat eine Härte, die künftigen Verteidigungsministern anempfohlen sein soll. Dagegen schreibt Burkhard Hisch: "Das Recht auf Leben hängt aber nicht davon ab, ob der Verteidigungsminister glaubt, dass es ohenhin nicht mehr lange dauert. Auch der finale Rettungstotschlag ist ein Totschlag und kein Verfassungsrecht." Ja, wie war das mit dem Vergessen und dem unbesorgten Leben? Was wird?

Quelle und Links : http://www.heise.de/newsticker/meldung/57109
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 13 März, 2005, 07:09
Was war.

*** Ja, die Hölle hat einen Namen: CeBIT, das "Weltcentrum Büro-Information-Telekommunikation" -- wir halten uns an den Geburtsnamen dieser seltsamen Messe in der sturmgepeitschten norddeutschen Tiefebene. Wahrlich heftig stürmte es diesmal, reihenweise knickten die verteilten Microsoft-Regenschirmchen um, die nicht das Potenzial hatten, einem norddeutschen Tief zu wiederstehen. Noch ist die Hölle nicht überstanden, noch sind die Kombinationsgespenster nicht verflogen. Gerade darum ist ein kleines Dankeschön an die netten Hannoveraner fällig, die diesen Irrsinn mit norddeutscher Grandezza überstehen. Jeden Morgen, in der Straßenbahn auf dem Weg zur Messe beruhigte mich der Anblick des führenden BTB-Shops, der daran erinnerte, dass es nicht nur Business to Business heißen muss, sondern ebenso gut: Bären -- Tinte -- Bier. Ein Laden, in dem man geschmacklose Bären kaufen und seine Druckerpatronen auffüllen lassen kann, um dann noch mit einem Sechserpack bestückt den Heimweg anzutreten, der hat etwas, das die Geiz'n'Geil-Märkte nicht bieten können. Willkommen in der kalten Nacht, in der die Hölle zum kuscheligen Plätzchen wird, in der der messegeile Buzzword Bullshit Bingo abgestellt wird und der Trendsport Extreme Bärenfellteiling angesagt ist. Kommen wir in Stimmung, so es verboten ist, Bären aufzubinden.

*** Tütenweise Gummibärchen haben sie bei Motorola gegessen, die armen Hostessen, die eine Nacht lang vor der CeBIT eine Seite aus den Prospekten reißen mussten, weil Apple eine Premiere auf einer Messe ohne Apple-Beteiligung mit einem Eil-Fax untersagte, das das Mittagessen der Motomobilisten am Mittwochmittag verdarb. Wenn der name Apple fällt, ist es nicht zu vermeiden, auf den Bärendienst hinzuweisen, den Apple mit seinem Kurs gegen Think Secret und anderen Gerüchteseiten der Industrie erweist. Der Bär schlägt zu, die Fliege ist tot und der Gartenliebhaber auch: Wenn wirtschaftliche Informationen wie die paar vagen Andeutungen zum Apple-Projekt "Asteroid" über die Presse- und Meinungsfreiheit gestellt werden, dann ist es an der Zeit, Konsequenzen zu ziehen. Denn es geht eben nicht darum, ob im "öffentlichen Interesse" oder lediglich für eine "interessierte Öffentlichkeit" geschrieben wird, ob Blogger oder Journalisten am Werke sind. Es geht darum, dass die Firma, die einst mit "Think Different" gegen IBMs Firmenmotto "Think!" antrat, inzwischen bei "Think Control" angelangt ist. Und darum, dass Apple nicht die einzige Firma in dieser Branche ist, die totalitäre Tendenzen festmauern will.

*** Ja, bei Think Different stehen vorne und hinten kleine Bärentatzen, keine 's und 's, denn diese Sache mit den Links, die ist die andere Seite der Medaille. Wenn künftig nur darüber berichtet werden darf, was der Musikindustrie, der ganzen IT-Branche oder nur Apple genehm ist, dann kann jeder Mist, der gerade kübelwagenweise als "easy entertainment" oder "konvergente Lösung" auf der CeBIT ausgebracht wird, nicht kritisch beäugt, berochen und besprochen werden. Nehmen wir nur das Buzzword dieser CeBIT: ganzheitlich. Die ganzheitliche Lösung, das ganzheitlich angedachte Projekt oder der auf vielen Ständen geplapperten "ganzheitliche, serviceorientierte Betrachtung der Informationsverarbeitung" stinkt aus allen Hohlräumen. Wer hinter dem geblähten Quatsch nach den Details fragt, kommt ganz schnell zu dem Punkt, an dem ein Betriebsgeheimniss leider, leider dazu führt, dass man keine genaue Auskunft geben kann. Denn jede Auskunft kann ja, ganzheitlich gesehen, dazu führen, dass der Sozialismus in Zuffenhausen siegt. Was ist die Offenlegung eines Managergehaltes gegen die Offenlegung der ansteigenden Arbeitslosigkeit?

*** Was ist die Beschreibung eines Kopierschutzes gegen das Knacken eines Kopierschutzes gegen das Beschreiben des Knackens eines Kopierschutzes? Wenn es nach dem Willen der Industrie geht, ist alles auf gleicher Stufe angesidelt. Ich verlinke hier auf den Bericht des New Scientist über die veblüffend einfache Vorgehensweise eines jungen Deutschen, der nichts anderes will, als Linux auf seinem iPod zu installieren -- und stehe sofort im Verdacht, mit der erklärten Piezoelektronik ein Firmengeheimnis berichtet zu haben. Ist es da nicht viel schöner, vom "ganzheitlichen Ansatz" von Apple zu schwärmen, das seine Schutztruppen auf die Messe geschickt hat, Klone zu stoppen? Kurios wird es natürlich, wenn man schon den ganzheitlichen Schwachsinn ernst nimmt und an ein ganz groß aufgezogenes Projekt glaubt, bei dem Steve Jobs der Moses von Sony ist.

*** Ich gestehe, dass mich die Attacken auf die Informationsfreiheit mehr berühren als der Bärentanz um die Softwarepatente, der in dieser Form nicht die Idiotie dieser Patentrichtlinie zeigt, sondern eine groteske Lektion in Sachen europäischer Zusammenarbeit, ähem, der Ganzheitlichkeit ist. Und wenn ich die Sache noch ganzheitlicher sehe und weit, weit über den Tellerrand der norddeutschen Tiefebene (ok, schlechte Metapher) hinaus schaue, dann komme ich zum Tode von George Atkinson, dem Erfinder der Videotheken, der der Nachwelt mit dem Satz erhalten bleiben wird, dass er einzig bereut, die Idee nicht patentieren zu können. Gestorben ist auch der große jüdische Wissenschaftler Hans Bethe, der die Quantenphysik erweiterte. Bethe gehört zu den Querdenkern seit der Zeit, in der er in der großen Debatte der Atomphysiker um Teller und Oppenheim immer dafür plädierte, das Wort vor die Waffen zu stellen. Er starb drei Tage vor dem Festtag, an dem er eine Auszeichnung als Philosoph erhalten sollte.

*** Wer wie ich den Lateinunterricht altdeutscher Schule aussitzen musste, wird seinen Tacitus inständig hassen, in dessen Germania unsere Vorfahren angeblich auf der Bärenhaut herumlagen und oft mehr tranken, als sie vertragen konnten. Doch wir Germanen sind ganz anders! Zum Rückblick auf den Weltfrauentag hier das Original aus Kapitel 15: "Wenn die Germanen einmal nicht Krieg führen, so liegen sie der Jagd ob. Häufiger verbringen sie ihre freie Zeit mit Nichtstun, mit Schlafen, Essen und Trinken. Gerade die Tapfersten und Kriegerischsten leben in träger Ruhe dahin. Die Sorge für Haus und Herd sowie die Bestellung des Ackers bleibt den Frauen, den Greisen und überhaupt allen Schwachen überlassen, während die Herren selbst faulenzen." Ja, die Frauen machen bei uns die ganze Arbeit und darum sind sie in Deutschland hart, aber gerecht ins Visier genommen worden. Darum sei hier der Originaltext von Tacita von der Zentralen Klo Marketing GmbH zitiert: "Frauen sind nicht aufzuhalten. So durchstoßen sie nicht nur allmählich die Glasdecken der Vorstandsetagen, auch beim illegalen Brennen von Filmen ist das weibliche Geschlecht auf dem Vormarsch." Preisfrage: Wie durchstößt man eigentlich die Glasdecken der Vorstandsetage? Die Antwort von Sixt war als Werbung in vielen Tageszeitungen geschaltet und wurde vom Handelsblatt eingefangen: Ohne Einparkhilfe.

Was wird.

Nicht nur klerikale Würdenträger wissen es schon seit Jahren: Wenn es etwas gibt, was Petrus besonders hasst, dann ist das die CeBIT. Den Beweis tritt der himmlische Wetterverantwortliche jedes Jahr wieder aufs Neue an, indem er Hannover eine Woche lang teuflisches Wetter beschert. Eingeborene haben für die unvorhersehbaren Witterungsbedingungen einen Namen: CeBIT-Wetter. Das ist wie Aprilwetter, aber auf eine Woche beschränkt und dafür doppelt so heftig. CeBIT-Wetter kann sonnig sein, stürmisch verregnet, verhagelt oder sogar eingeschneit. Gelegentlich wechselt die Witterung täglich, oft stündlich. Petrus mag die CeBIT hassen, Influenza liebt sie dagegen. Hartnäckig hält sich das Gerücht, dass hier die Hühnergrippe entstand. Die Väter des Killervirus waren internationale Besucher, die auf der Suche nach einer Killerapplikation nach Hannover gefunden hatten. Dort trafen Viren aus aller Welt auf einer CeBIT aufeinander und verbandelten sich zu einem gemeinsamen Schädling, um dann zum Ausbrüten in den fernen Osten zu verreisen. Wo aber Killerviren erst ihren Weg zurück in die Heimat finden müssen, da ist es nur dem ein Wohlergehen, der sein Immunsystem mit Vitamin C, Gingko-Präparaten und gesunder Ernährung aufrecht erhält: Nur wenige entgehen der berüchtigten CeBIT-Erkältung, die nach der Messe die halbe IT-Branche in ihrem Bann hält. Und da alles, was war, ja doch auf der CeBIT fröhliche Urständ feierte (nicht zuletzt auf einer, so viel Lob muss sein, gelungenen Party eines Verlags, der dieser Kolumne die allwöchentliche Plattform bietet), ist das, was wird, in der IT-Branche erst einmal ein kränkelndes Pausieren. Und das, wo doch so viel Aufbruch ist wie nie, oder, genauer gesagt, so viel Aufbruch wie jedes Jahr anlässlich der CeBIT, jedoch der Kater der vielen weniger gelungenen Partys dann doch die Branche einholt.

So sei es denn: Genug gefeiert, zurück auf den harten Boden der Tatsachen, auf den uns all die Totalitarismen und kontrollsüchtigen Machtphantasien der Branche auch schon während der CeBIT vorbereiteten. Denn die Hölle, das sind die anderen. In der ganzheitlich geschlossenen Gesellschaft der CeBIT geht der Wahnsinn morgen erst noch einmal weiter, wenn die Lösungsarchitektur auf CD unter dem gemeinen Volk verteilt wird, das gemeinhin nur AOL-CDs am Ausgang der Geiz'n'Geil-Märkte gewohnt ist. Ob es neben Unterschichtfernsehen auch eine Unterschicht-IT gibt? Jedenfalls geht es voran, auch wenn die Datenschützer Bedenken haben und die Informatiker Bauchschmerzen, ja, es geht voran mit einem Projekt, nach dem die ganze IT-Branche lechzt und hechelt. Vom Lesegrerät über den Connector, von der Praxis- oder Kliniksoftware bis zum Buchhaltungsprogramm, bis zum Tablet PC für die Weißkittel muss angeschafft werden, was das Zeug hält. Schließlich ist die elektronische Gesundheitskarte eine ganzheitliche Reform.

Zwei weitere Ereignisse müssen gemeldet werden, weil es tatsächlich, trotz Killerviren und Party-Kater, ein Leben nach der CeBIT gibt. Im Polderland startet eine Konferenz, die sich Gedanken über die Wissensökonomie der Zukunft macht. Und im fernen San Diego grübeln die Amerikaner über die Technologien, die Zukunft sind, doch bald Standards heißen. Mein fast letzter Link in dieser böigen hannoveraner Nacht gilt der schwer gescholtenen Dänenpartei. Wie sagte schon Steve Ballmer? "Mein Ziel ist es, die ganze Welt Dänisch zu machen." Lad det smage! Skal!

Quelle und Links : http://www.heise.de/newsticker/meldung/57457
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 20 März, 2005, 03:50
Was war.

*** War was in Hannover? Der Kontakthof CeBIT hat geschlossen, die heißen Go-Go-Tänzerinnen bei Tiger Telematics haben sich wieder angezogen, die UFOs über dem Messegelände sind verschwunden, der Schrott ist flottgemacht. Ja, die Hannoveraner sind wieder unter sich und können sich unbefangen "unter dem Schwanz" verabreden, ohne dass jemand eine Schweinigelei befürchtet. Liebe allerorten, Friede der norddeutschen Tiefebene. Dem reitenden Landesvater sein treues Volk freut sich auf den Frühling: "Stell dir vor, es gibt einen Platz, an dem deine große Liebe nur einen Mausklick entfernt ist", Abort, Retry, Ignore?

*** So frühlingshaft gestimmt erinnert man sich gerne an Etwas Anderes!!!, was da kam, an die Gestalt des Kommenden, an den Freien Jazz. Gestern vor 75 Jahren (oder auch 10 Tage früher, wer weiß das schon genau) erblickte der Mann das Licht der Welt, der mit seinem Plastik-Altsaxophon noch jeden Club leerspielen konnte und, belacht von vielen Zeitgenossen, die Wohlmeinenden ratlos zurücklies. Ornette Coleman aber zeigte mit seinem harmolodischen Jazz tatsächlich die Dinge, die da kommen sollten: Und heute lacht niemand mehr, auch wenn mancher noch schreiend die Flucht ergreifen mag angesichts der freien, improvisierten Musik. Andere aber schlendern derweil ganz gemütlich durch Monk's Casino, das Alexander von Schlippenbach, auf den Schultern von Giganten wie Coleman stehend, wieder eröffnet hat. Freie Musik ist wie Freie Software: Nicht alle mögen sie, leider, aber ein bisschen etwas zur Freiheit der Menschen und damit zum Frieden, ja, ein bisschen etwas kann sie dazu schon beitragen.

*** Also wirklich Friede? Nicht einmal Hannover hat so etwas zu bieten, die Stadt von Schmalstieg und Hamann, die immer noch darüber grübelt, was mit dem Grab von Hans-Jürgen Krahl passieren soll. Die Stadt, in der der 80-jährige von Oertzen partout nicht seine 60-jährige Mitgliedschaft in der SPD feiern möchte. Ein schönes großes Fest sollte es für den Linken werden, der aus reiner Liebe zu seiner Partei den Radikalenerlass gegen Peter Brückner in aller Härte durchzog. Wie sollte es auch Frieden geben in der norddeutschen Tiefebene mit ihrem nördlichen Randbezirk namens Schleswig Holstein, in dem sich im Kieler Landtag die SPD von der Macht zu verabschieden beginnt -- und dies auch noch mit verbalen Entgleisungen vom Schlage "Dolchstoß" als Angriff auf die Demokratie verkaufen will. Die großen Reden aber hält heutzutage der Superhorst mit "Die Ordnung der Freiheit" und die große Koalition beschützt uns vor der skandinavischen Seuche. Traut gehen sie zusammen, die großen Parteien, in Hysterie vereint, bar jedes Verstandes. Wer Parallelen ziehen will, der findet sie bei A2ll, der Software der Hartz IV-Reform. Nach wie vor kann diese Software keine Sanktionen berechnen, genau wie die große Politik völlig unfähig ist, Sanktionen bei den so genannten Arbeitgebern auch nur anzudenken. Der Rest ist abrutschendes Zwischenschichtenfernsehen.

*** Es gibt Menschen, die mögen keinen Kapitalismus. Das ist einfach so. Es gibt auch Menschen, die mögen keine Kolumnen, weil die Kindergartenstruktur der Texte weit unter ihrem Niveau liegt. Es sind grundkranke Kolumnistenhirne oder eben sauschlechte Kolumnen-Algorithmen, die Kapitalismus + Friede zusammenreimen und auf den Irakkrieg kommen. Ja, vor zwei Jahren begann der großartige Sieg der Freiheit. Zum Geburtstag werden wissenschaftliche Studien veröffentlicht, dass dabei unter anderem die Pressefreiheit lädiert wurde, aber nur ein bisschen. Besonders die Kindergartenlogik, dass hinter dem Krieg handfeste Öl-Interessen liegen, musste mit Scheren aus den Köpfen geschnitten werden. Selbst eingebettete Journalisten hantierten wohl mit ihren Wissens-Förmchen in unverantwortlicher Manier, ihre Texte mussten bearbeitet werden.

*** Der Krieg für den Sieg der Freiheit wird bekanntlich geführt, weil es den islamischen Terrorismus gibt, der die westliche Welt bedroht. Darum bekommen alle Menschen außer den Terroristen bald biometrische Daten auf Chips in die Ausweise geklebt, die sie als ehrliche Haut ausweisen. Das funktioniert zwar nicht immer -- jeder Gitarrenspieler kennt mittlerweile den Ärger wegen "abgeschliffener Fingerkuppen" bei der Einreise in die USA --, aber es ist ja eine dynamische Technologie. Das ist jedoch nur der Anfang: Wenn es stimmt, dass die Religion eine Frage der Gene ist, dann brauchen wir eine DNA-Bank all derer, die ihren Hang zum Islam in den Chromosomen tragen. Die Annahme ist irrwitzig? Aber bitte nicht doch, wir haben es auch hier mit einer ungemein dynamischen Technologie zu tun. Die Götter mögen verrückt sein, doch die Gene lügen nicht.

*** Außerdem müssen Daten auf Vorrat gespeichert werden, nicht 180 Tage, nicht 12 Monate und nicht 36 Monate lang, sondern noch viel länger. Und das nicht nur, damit Apple im Bedarfsfall herausbekommt, wer denn da das schöne iTunes-DRM umgehen möchte. Nehmen wir statt solch profaner Software-Lücken, die manch Programmierer ganz geschickt ausnutzt, manch US-Kollege aber nur durch einen Einbruch bei Apple erklärbar findet, lieber den Fall des Autors Rolf Hochhuth ("Turing", "Der Stellvertreter"), der im Alter von 79 Jahren einen dummen Satz über den Holocaust-Leugner David Irving gesagt und sich später für diesen Satz entschuldigt hat. Im nächsten Jahr sollten bei zwei Verlagen zum 80. von Hochhuth Festschriften erscheinen, doch nun kennt man keine Gnade mehr. Angeblich haben sich die jüdischen Autoren bei DVA und dtv entrüstet gezeigt. Komisch nur, dass keiner dieser Entrüstungsjuden gefunden werden kann, kein Telefonat, keine Protest-SMS, keine Mail an die Verleger oder Herausgeber. Mit richtiger Vorratsdatenspeicherung wäre das nicht passiert. Oder haben wir es hier wieder einmal mit den beliebten deutschen Phantomjuden zu tun, die schon der CDU-Kriegskasse Gelder vererbten? Wer die Denunziation liebt, muss den Denunzianten ehren dürfen.

*** Der Sieg der Freiheit und die Ordnung der Freiheit haben natürlich Konsequenzen. In Baden-Württemberg hatte in dieser Woche das letzte Landesparlament für das putzige Kerlchen namens 8. Rundfunkänderungsstaatsvertrag abgestimmt. Damit ist er bundesweit in Kraft getreten. Freuen wir uns über das "größte Data-Mining" der deutschen Geschichte, wenn die GEZ ab dem 1. April endlich die eingekauften 85 Millionen Adressen mit dem eigenen Bestand von 40,6 Millionen zahlenden Teilnehmern abgleichen kann. Diese Ordnung der Freiheit war bislang nicht möglich, weil Datenschützer schwere Bedenken hatten, die von den Parlamentariern per Abstimmung nun ausgehebelt wurden. Wer nur eine bescheidene Hebung auf 17,03 Euro zugesteht, muss der Behörde anscheinend im Gegenzug die Chance geben, 20 Millionen "Erstbriefe" aufs Postamt zu schleppen, damit die 1-Euro-Jobber der GEZ Arbeit bekommen. Superhorst war in seiner Rede tief beeindruckt von der Antwort eines Arbeiters auf Cape Canaveral, der von Superjohn F. Kennedy gefragt, was denn sein Job sei, geantwortet haben soll: "Einen Menschen auf den Mond bringen". In diesem Sinne ist es klar, dass es unser aller Job sein muss, einen Menschen datenfest zu machen. Aufschwung durch Überwachung! So ist das halt in einem Land, in dem die Durchökonomisierung der Gesellschaft als oberstes Ziel vom Bundes-Köhler vorgegeben wird, in einem Land, in dem Menschen nur noch als Arbeitsplätze vorkommen. "It's the economy, stupid!" war der Schlachtruf, mit dem einst Clinton seine Wahlen gewann. Vielleicht sollte man gegen die modernen Wahlkämpfer besser ein "Es ist das Leben, Du Hirni!" ins Feld führen, damit auch nach einem Jobgipfel nicht vergessen wird, dass die Wirtschaft den Menschen zu dienen hat. Ein System, das dies nicht gewährleisten kann, verliert seine Existenzberechtigung. Möglicherweise ist dies die einzige wirkliche Lehre, die man aus dem verdienten Ende des real existierenden Sozialismus ziehen kann.

Was wird.

Wird es was in Salt Lake City? Über 6000 Hirne werden ab Montag in Utahs Hauptstadt zusammenkommen, wenn Novells Hausmesse Brainshare beginnt. Erstmals sollen sich in der Mormonenstadt mehr Linux-Techniker als Netware-Techniker versammeln, heißt es. Ob sie sich weinend in den Armen liegen oder gegenseitig über Sicherheitslücken lästern, ist noch ungewiss. Gewiss ist einzig, glaubt man US-Kollegen, dass ausgerechnet zur wichtigsten Veranstaltung der Cheftechniker Alan Nugent seinen Abgang verkünden wird. Hinzu kommt, glaubt man englischen Kollegen, dass Novell auf der CeBIT einen empfindlichen Dämpfer hat hinnehmen müssen. Weil Suse von Novell aufgekauft wurde und Novell keine deutsche Firma ist, sollen 30 bis 40 Behörden von Suse Linux auf die viel europäischere Debian-Distribution umgestellt haben. Ob die Behauptungen der Credativ-Entwickler stimmen, ist nicht einfach zu ermitteln, da genaue Angaben zu den Behörden fehlen, die den Behördendesktop dieser Firma einsetzen. Vielleicht fehlt einfach nur die richtige Behörde. Das richtige Maß wird ja auch noch gesucht. Ein typisch englischer Witz über Erfahrungen mit geschlossener Software darf einfach nicht fehlen.

Für alle, die an diesem Wochenende grübeln müssen, noch ein aufmunternder fetter Link. Some bonehead emailed me the code that makes my soul.

Quelle und Links : http://www.heise.de/newsticker/meldung/57726
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 27 März, 2005, 10:21
Was war.

*** Die ganze Welt ist Bühne,
Und alle Frau'n und Männer bloße Spieler.
Sie treten auf und gehen wieder ab.

So schrieb einst der große Shakespeare in "Wie es euch gefällt". Wie es weitergeht, das Stück, kann man bei Novell nachlesen: "Was Shakespeare nicht erahnen konnte, ist, dass vierhundert Jahre nach seinen Zeilen die Macht der Identität viel weiter reicht, als das, was Frauen und Männer verkörpern. Auf der IT-Bühne sind alle Einzelheiten einer Firma Spieler, die auf- und wieder abtreten -- von den Diensten über die Geräte bis zu den Endanwendern --, ist die Technik Teil des großen Welttheaters, bei dem alle Spieler identifiziert werden müssen, wenn sie die Szene betreten und wieder verlassen. Das Identifizieren auf der großen IT-Bühne ist überlebenswichtig, denn die Alternative ist das Chaos." Mit diesem White Paper über die Vision einer Identity Driven Company zeigt uns Novell, dass literarische Fähigkeiten nie schaden können, da muss man gar nicht den Ehrgeiz haben, dem Dichter der Technik, der vor hundert Jahren starb, nachfolgen zu wollen. Denn gemahnt uns nicht allein der Nicht-Auftritt von Apple-Motorolas Mobil-Musikquetsche an Hamlet? Sein oder Nichtsein, dass ist der Fünfer im Schweinderl.

*** Nun sind wir alle bloße Spieler, einige unter uns aber tolle Spieler der Extraklasse. Nehmen wir nur Larry Ellison und seine Art, SAP in letzter Minute auszustechen. Dafür erntete er zwar schlechte Haltungsnoten bei den Analysten, die den Kaufpreis für überhöht halten, aber die Bewunderung der Finanzjournalisten bei der FTD. Auf zartestem Lachsrosa wird Ellison der Hof gemacht und dem biederen Henning Kagermann die deutsche Sachlichkeit angekreidet. Nun ist auch Finanzjounralisten literarischer Geschmack nicht abzustreiten und so haben sie denn für ihre Story "Oracle-Larry vs. SAP-Henning" anleihen bei Alberto Moravia gemacht: "Ich und er" heißt die Geschichte vom schwanzgesteuerten kleinen dicken Frederico, der eigentlich Höheres will, aber immer wieder unterliegt und ihm die Hose öffnen muss. Kein Vergleich zu Ellison natürlich, der einen SAP-Mastbruch bei einer Regatta mit den Worten kommentierte, SAP-Mann Hasso Plattner habe einfach keine ...

*** Ähem, das hier ist ein einfacher Nachrichtenticker. Das sei all den vielen Lesern gesagt, die diese Woche den Hinweis auf eine Geschichte einschickten, die als schlechtes Remake einer gediegenen Recherche für Aufsehen sorgte. Hunde, wollt ihr ewig bellen? Die phänotypische Beschreibung der Heiseforen wäre da schon der passendere Kommentar. Es ist halt ein Kreuz mit technischen Nachrichten, die diese IT-Bühne betreten und wieder abgehen, ohne dass es irgendjemand wichtig findet, wenn ein Hersteller für Schwimmreifen zunehmende Flutkatastrophen für die Zukunft voraussagt, um den Kommentar eines anderen Lesers zu paraphrasieren: Das ist dann jedenfalls der seriöse Journalismus schwarzer Schafe in den Grauzonen des Medienbetriebes. Mehr ist zu diesem Thema leider nicht zu sagen, oder? Soll doch jeder selbst entscheiden, ob Spiegel Online nur Grau ist für ihn oder das Grauen schlechthin, das nicht einmal Fudzilla bekämpfen kann.

*** Einen Auftritt der Extraklasse hatte in dieser Woche zweifelsohne Google (Company Vision: Nichts Böses Tun) mit einem seinem Statement zur weltanschaulichen Neutralität angesichts der Verlinkung rechtsradikaler Propaganda in den deutschen Google News. Während Google in den USA für seine US-News verlauten ließ, dass Hass keinen Platz auf Google hat, hat Hass immerhin einen Anzeigenplatz. Auch beim Sex soll man wohl auf günstige Rassismen achten.

*** Heute vor 160 Jahren wurde Wilhelm Conrad Röntgen geboren. Er entdeckte die X-Strahlen, die später gegen seinen Willen in Röntgenstrahlen umbenannt wurden -- zumindest hierzulande, im angelsächischen Raum heißen sie nach wie vor x-rays. Mit "Über eine neue Art von Strahlen" gewann er den Nobelpreis für eine Entdeckung, die er zur Ehre Deutschlands patentieren lassen sollte. Er verweigerte dies, damit möglichst viele Röntgenapparate gebaut werden konnten. Auf Röntgen geht der Ausspruch zurück, dass sich die Seele nicht röntgen lässt, der Spruch, der in den seltsamen amerikanischen Passionspielen um Terri Schiavo wieder aufgetaucht ist. Eine Seele ist mit Computertomografie nicht zu erkennen, donnern die Prediger in österlicher Stimmung. Derweil nutzt George Bush die Stimmung, um das amerikanische Verfassungsgefüge weiter zu demontieren. So heißt es in der Süddeutschen Zeitung: "Die strategische Brillianz, mit der er auf Kosten Terri Schiavos die Unabhängigkeit von Justiz und Bundesstaaten schwächte, macht diesen Schachzug zu einer der größten innenpolitischen Leistungen seiner Karriere."

*** Die Welt ist Bühne, auf der viele Spieler auftreten, abtreten und wieder auftreten und schließlich vom Auftreten nicht mehr ablassen können. Wenn Shakespeare von Novell in Beschlag genommen wird, ist es nur fair, die SCO Group zu erwähnen, die seit längerem von Shakespeare kommentiert wird. "Es beuge sich des Knies gelenke Angel, wo Kriecherei Gewinn bringt": In der vergangenen Woche trat ihr oberster Verteidiger David Boies im amerikanischen Fernsehen bei David Letterman auf, einem älteren Harald-Schmidt-Verschnitt, und verkündete, dass Niederlagen seine intensivsten Erfahrungen gewesen seien. Vielleicht steht seine intensivste Erfahrung mit dem Kunden SCO noch bevor, der sich in ein günstiges Pauschalarrangement geflüchtet hat und sparen muss. Selbst für Gerichtsdokumente reicht das Geld nicht, die besorgt sich SCO lieber bei den Freiwilligen von Groklaw. Auch wenn Gerichtsdokumente öffentliche Schriftstücke sind, ist das ein eigenwilliger Zug von SCO. Derweil hat die rührige Alexis de Toqueville Institution ein neues Buch angekündigt, obwohl das alte Werk über das gestohlene Linux immer noch nicht ausgeliefert ist. Copyright Left soll es heißen. Applaus, Applaus -- die Spannung im Theater steigt.

*** Doch verlassen wir für diese Woche erst einmal die Bretter, die nicht nur die IT-Welt bedeuten -- aber mit einem Shakespeareschen   Seufzer:
All dessen müd lechz' ich nach Ruh im Tod;
Seht hin! Verdienst zum Bettelmann geboren,
Und hohles Nichts, das prangt in Gold und Rot,
Und reinste Treue Schlechtem zugeschworen,
Und hohe Würde, die den Falschen schmückt,
Und jungfräuliche Tugend roh geschändet,
Und große Leistung schnöd' herabgedrückt,
Und Kraft durch weichlich Herrschertum verschwendet,
Und Wissen mundtot, durch die Macht verpönt,
Und Torheit, die den Schein der Weisheit borgt,
Und Einfalt als Einfältigkeit verhöhnt,
Und wie das Gute Bösem stehts gehorcht,
All dessen müde wünscht' ich, tot zu sein,
Blieb, wenn ich sterbe, nicht der Freund allein.

Ja, ich hab' es satt, das fundamentalistische Horrortheater -- in der Politik ebenso wie in den Religionskriegen der IT-Protagonisten. Ich hab' sie so satt, die Schmierenkomödien der IT-Branche. Ich hab' sie satt, die Boulevard-Grotesken der Musikindustrie. Immerhin, jenseits der verlassenen Bretter, die zum Glück eben nicht die Welt bedeuten, wird der Blick wieder etwas freier. Und man sieht Menschen wie Pierre Boulez, der zwar durch seine Arbeit an Patrice Chéraus "Jahrhundert-Ring" und erst recht in jüngster Zeit durch Christoph Schlingensiefs "Parsifal" einer breiteren Öffentlichkeit bekannt wurde, davor aber schon lange Protagonist sowohl der abstrakten Revolution in der Musik als auch der musikalischen Emanzipation von Elektronik und Computer war. "Boulez hat die Forderung, dass die Revolution auch geträumt werden müsse, immer wieder dahingehend radikalisiert, dass die Träume ihrerseits stets erneut zu revolutionieren seien", schrieb Wolfgang Rihm in einem Gruß für Boulez, der gestern seinen 80. Geburtstag feierte. Es existiert noch Hoffnung, selbst wenn auch die Revolutionäre in der Musik immer älter werden.

Was wird.

Ganz am Ende sind wir natürlich noch nicht, auch wenn das mit dem älter werden so eine Sache ist. Eine der schlimmsten Geschichten, die das Leben bereithält, hat einstmals Harry Rowohlt aufgezeichnet, als er versuchte, eben den Christopher zu treffen, um den herum vor vielen Jahren die Schnurren von Pu und Ferkel, vom gestümen Tieger und vom schwer depressiven I-Ah erzählt und den im Kreise wandernden Heffalumps, entwickelt und geschrieben wurden. Zeitlebens musste dieser Christopher damit leben, aus dem wunderbaren Tausendmorgenwald verstoßen zu sein, in dessen Mitte für immer ein kleiner junge und sein Bär sitzen sollten, bis er von einem Übersetzer mit sehr geringem Verstand aufgestöbert wurde. Kurz darauf starb Christopher Milne. Uns blieben die bärigen Texte von Pooh' s Corner, zusammen mit der Erkenntnis, dass Dosen bald die Waldherrschaft übernehmen werden, wegen der Klirr-Lompf-Greräusche. Dies hat natürlich nicht der große Brummer Harry Rowohlt geschrieben, dem heute zum 60. die größten Ostereier mit dem besten irischen Malt-Whiskey gefüllt sein mögen. "Ich werde immer älter, das Publikum immer jünger. Das wird der Sache irgendwann ein Ende setzen", meinte er bei einer Lesung -- und hinterließ die Hoffnung, dass dieses Irgendwann doch noch lange braucht. Rowohlt erzählt dieser Tage offensichtlich gerne die Geschichte, dass unter anderem der Schnürboden Schuld daran sei, dass die "Meinungen und Deinungen eines Bären von geringem Verstand" nicht mehr erscheinen -- der Redigierer der Kolumne änderte es auf Grund von Unkenntnis des Wortes in Schürboden, von dem er allerdings ebenfalls kaum wissen konnte, was das denn nun sein sollte. So enden die größten Kolumnen mit einem Wehklagen: " Weil ich sie selbst mit wachsendem Unmut gelesen und gedacht habe, wenn man sie nicht mal selbst geschrieben hat, kann ich kaum verlangen, dass man sie mit einigem Gewinn oder Genuss lesen kann, wenn sie schon mir nicht gefallen." Der größte lebende Kolumnist ist deswegen schon der größte, weil er erkannte, was eine wahre große Kolumne ausmacht: Zufall und Blödheit! Möge also immer jemand wie Sarah Vaughan, die heute eigentlich ebenfalls Geburtstag gehabt hätte, ein Ständchen parat haben: What a difference a day made ... Prost!

Also hoffen wir, trotz zunehmenden Alters, mit einem guten Malt in der Hand doch noch auf Revolutionen und Träume? Revolutionen haben in diesen Tagen jedoch anscheinend nur in den Ländern der ehemaligen Sowjetunion eine Chance, und Träume, ja, das war einmal, könnte man meinen, nicht nur angesichts nadelgestreifter Außenamtsspontis. Aber was solls, fallen wir nicht in Shakespearsche Verzweiflung, dafür bleibt heute wenig Zeit: Die Sommerzeit kommt. Viele halten sie für eine deutsche Erfindung, weil das kaiserliche Deutschland die Einführung dieser Zeit am 6. April 1916 verfügte und am 30. April 1916 realisierte. An diesem Tag begannen Wagners Meistersinger an der Berliner Oper eine Stunde früher und stolz war der Kaiser, dass sein Land das erste Land war, das einen Zeitsprung wagte. Tasächlich versuchte es Benjamin Franklin als erster, im Jahre 1784 den Franzosen die Sommerzeit schmackhaft zu machen. Er berechnete, dass allein die Stadt Paris 200 Millionen Dollar pro Jahr an Kerzen sparen könnte, wenn sie die Sommerzeit einführt. Für die notorischen Pariser Langschläfer sollten Kanonen zum Aufstehen abgefeuert werden. Daran scheiterte der Vorschlag. In Deutschland wurde die Sommerzeit am Ende des 1. Weltkrieges abgeschafft und erst wieder am 1. April 1940 eingeführt. Zur Ausweitung der Produktion kriegswichtiger Güter führte auf Gegnerseite England 1941 sogar die doppelte Sommerzeit ein, Der ursprüngliche Gedanke von Franklin, dass mehr Menschen mehr gesundes Sonnenlicht genießen und somit die Volksgesundheit steigt, ist heute durch krude Theorien vom angeblichen Energiesparen ersetzt worden. Na dann: Träumt schön, alle zusammen.

Quelle : www.heise.de
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 03 April, 2005, 06:06
Was war.

*** Ich mag keine Aprilscherze, selbst dann nicht, wenn Windows auf dem Mac verrückt spielt und Hurd dann doch endlich kommt. Das war gar kein Aprilscherz? Ach, das Problem kennen auch andere, und trotzdem: Ich mag keine Aprilscherze, schließlich, gelangt man über Kalauer hinweg, werden die meisten Scherze über kurz oder lang zur bitteren Wahrheit, wird das bisschen Wahrheit in der Berichterstattung ein einziger Scherz a la Tom Kummer: ein jämmerlicher Zellhaufen, ein trockener Juhnke.

*** Einen Aprilscherz habe ich aber doch und er ist von besonders ausgesuchter Plattheit: Der Tod ist ein gutes Geschäft. Terri Schiavo ist tot, die Mail-Daten von ca. 10.000 Unterstützern hat ihre Familie an die Spam-Firma Response Unlimited verkauft, die sie jetzt weiter vermietet, natürlich nur für seriöse Kampagnen gegen Abtreiber und Gottlose oder für die schrecklich armen Menschen in Nigeria. Zur Situation dieser Familie, aus der Terri kam, muss man mit David Cooper schreiben: Natürlich sind Menschen Schweine. Belassen wir an dieser Stelle einmal die Moral bei den Mineralien und schauen auf das ganz besondere Wachkoma der Medien im Fall Schiavo . Bis hin zur schrecklich alternativen TAZ sind alle Nachrichten zum Fall Schiavo mit Fotos geschmückt, die ihre Mutter und ihren Vater zeigen. Ignoriert wird der Wunsch des Ehemanns, keine, absolut gar keine Bilder zu zeigen. Die einfachsten Fakten werden sowieso souverän ignoriert, weil Verhungern und Verdursten einfach griffiger ist als die Dehydration. Nur logisch, dass es Morddrohungen von Pro-Life-Aktivisten gibt. Wie hieß es noch gleich in der Zeitung, hinter der immer ein besonders kluger Kopf steckt? "Auch ein Mord ist ein Stück Leben."

*** Noch immer Lust auf Aprilscherze? Bitte, hier ist noch einer: Am 1. April vor 30 Jahren erschien die Reportage des Journalisten William Weston, der im Jahre 1999 eine Reise durch das Land Ökotopia, bestehend aus den aus der USA ausgetretenen Bundesstaaten Washington, Oregon und Nordkalifornien. Ja, Ernest Callenbachs Ökotopia wurde besonders in Deutschland so gern gelesen, dass das Buch sogar Einfluss auf die Gründung der Grünen hatte. Wer vor 25 Jahren wie Ministerin Künast stolze/r BesitzerIn eines Wendenpasses war, hatte diesen natürlich in das Buch geklebt. Ein feines Andenken, so ganz anders als der Feinstaub, der unweigerlich nach einem Kontakt mit dem sattsam bekannten PR-Genie Moritz Hunzinger hängen bleibt. Doch zurück nach Seattle, der Heimatstadt von Ernest Callenbach und Bill Gates. Haben wir es nicht bei dem einsamen barfüßigen Denker in der Waldhütte mit einem echten Fan von Ökotopien zu tun? Oder vielleicht doch mit einem leicht verfrühten Aprilscherz? In der Abgeschiedenheit und Stille seiner Kartause ersann das Genie den Internet Explorer. Aha. Früher, als Microsoft noch eine kleine Firma war und noch nicht von Hunzinger beraten wurde, sprach Gates offener über seine Auszeit, die er mit seiner Freundin Ann Winblad auf einem Boot verbrachte: "Lesen und ..."

*** Mit ganzseitigen Anzeigen in den Wochenendzeitungen sucht der Mautbetreiber Toll Collect (Slogan "Wir sind unterwegs") nach Mitarbeitern für alle möglichen Positionen im Rahmen des anstehenden Change Managements der OBU zur Version 2.0. Neben dem sicheren Umgang mit Windows und Linux, neben besonders ausgeprägten MS-Office-Kenntnissen ist die Höhentauglichkeit nachzuweisen. Hier kann man trefflich spekulieren, ob die Anforderungen für die Enforcement-Brücken an den Autobahnen gilt oder für die in lichten Höhen schwebenden Politiker, die luftige Argumente zum Besten geben. Obwohl es derzeit technisch nicht möglich ist, Bundesstraßen zu bemauten, versprechen Politiker im Feinstaubtaumel spätestens im Sommer Bundesstraßen mit Maut zu belegen. Vielleicht werden sie von Wissenschaftlern inspiriert, die Einbahnstraßen fordern, damit der Dreck aus der Stadt hinausgeweht wird. Persönlich votiere ich für das ebenso sinnlose Sonntagsfahrverbot, weil es die Abrufe dieser kleinen Wochenschau fördert und Zugriffszahlen in schwindelerregender Höhe aus mir einen reichen Mann machen.

*** Ein freier reicher Journalist, das klingt fast so unwahrscheinlich wie ein Analyst, der mit seinem Ferrari-Laptop brumm, brumm rufend die Wahrheit über SCO erzählt. Ja, SCO, das ist die Firma. die in ihrem neuesten Geschäftsgedicht erklärt: "Our future success depends to a significant extent on the continued service and coordination of our management team, particularly Darl C. McBride, our President and Chief Executive Officer." So hängt der gesamte Erfolg am schönen Darl, während der Misserfolg (-1.739.000,00 Dollar) den bösen, bösen Hackern geschuldet ist, die dauernd die Website von SCO bombardieren und damit verhindern, dass die Firma Geschäfte machen kann. So bricht zusammen, was offensichtlich von Anfang an als großer Bluff geplant war, IBM in die Ecke zu treiben. Shakespeares Hexen kommen zum Zuge, auch wenn es heute nur fontane Reimkost gibt:

Ich komme
Ich mit
Ich nenn euch die Zahl
Ich nenn euch die Namen
Und ich die Qual.

*** Schweigen wir über den Echo 2005: Macht man sich dich ernsthaft Sorgen, ja, tatsächlich Sorgen um eine Musikindustrie und den Geisteszustand ihrer Manager, die von Ertragswende sprechen und dann mit Retorten-Schabracken, zu neuen Rock-Hoffnungsträgern hochgejubelten Jung-Popern und ein paar Vorzeige-Alt-Stars reüssieren wollen. Offensichtlich muss man, geht es um Musik, sich wirklich in extremen Nischen tummeln oder ganz weit in die Vergangenheit zurückgreifen: Like a Rolling Stone von Bob Dylan ist von Rolling Stone gerade zum besten Song aller Zeiten erklärt worden. Das überrascht nicht unbedingt, es ist wie bei den Online-Casinos, die Abbas The Winner Takes It All zum besten Song aller Zeiten kürten, vor Marilyn Monroes One Silver Dollar. Nein, hier wird nicht schon wieder der nächste Wettbewerb um den besten Song ausgerufen, der zum Sonntag erklingen soll. In der Nacht würde sicher Stallman gewählt, tagsüber kommen dann die Cash-Trash-Songs mit den Besuchern, die WWWW immer so schön doof finden, komplett mit Klingeltönen. Meinerseits wird Hard for the Money aufgelegt, natürlich von Diana Spring.

Was wird.

Wann und vor allem wer der neue Papst wird, das könnte spannend werden. Der alte jedenfalls, mittlerweile bereits als Karol der Große apostrophiert, ist tot, und die Meute überschlägt sich, als wäre der letzte Sozialist, äh, Katholik gestorben. Aber vielleicht war er das wirklich, der letzte Katholik (abgesehen natürlich von Joseph Ratzinger, seines Zeichens Chef der mittlerweile Kongregation für die Glaubenslehre genannten Kongregation der römischen und allgemeinen Inquisition). Als letzter Katholik setzte Johannes Paul II. nicht nur mit dem moralischen Anspruch auf Frieden und Freiheit gegen allen Zeitgeist überraschende Wegmarken. Er setzte auch die Reinheit der katholischen Ideologie und die Geschlossenheit ihres Regelsystems gegen die Beliebigkeit manch liberaler, sogar ins esoterische abdriftender Strömungen, die sich aus den mystischen Gedankenwelten von Regionen und Völkern jeweils das gerade passend Erscheinende und Bequeme heraussuchen. Was immer man davon halten mag: Wenigstens zeugt es von einer gewissen Konsequenz in einer Zeit, in der sich zu nadelgestreiften Außenministern mutierte Ex-Spontis Vorwürfe von Hunzinger über getürkte Parteispenden gefallen lassen müssen, Politik-Patriarchen Versprechen gegenüber anonymen Geldgebern über das Recht stellen dürfen und Kanzler aus einer ehemals sozialistischem Freiheitsbestreben verpflichteten Partei sich ohne Bedenken gegen Waffenbeschränkungen für ein freiheitsunterdrückendes Regime einsetzen. Die Konsequenz eines katholischen Ideologen, die, akzeptiert man denn das dahinterstehende System, auf den ersten Blick trotz aller damit einhergehenden Verwerfungen sympathisch erscheint, gefällt allerdings dummerweise denjenigen, die sich noch nie damit abfinden konnten, dass es in der Welt nicht nur Schwarz oder Weiß, nicht nur Gut und Böse, nicht nur Ja und Nein, also nicht nur These und Negation, sondern auch die Negation der Negation oder Synthese gibt. Die katholische Konsequenz eines Karol Wojtyla gefällt denen, die keine Autonomie des Subjekts kennen: "Bei vielen Menschen ist es bereits eine Unverschämtheit, wenn sie Ich sagen", konstatierte Theodor W. Adorno kurz und trocken. Ausgerechnet Johannes Paul II. aber demonstrierte möglicherweise gegen die eigene Gefolgschaft in seiner katholischen Konsequenz auch Autonomie.

Erwähnte ich eben unser aller Politik-Patriarchen? Ach, wie isses doch schön: Landauf, landab wird der 75. Geburtstag von Kampfelefant Helmut Kohl in den Gazetten gefeiert, der heute in Oggersheim begangen wird. Am 11. und 12. April folgt sogar ein Kohl-Kongress. Da will diese kleine Wochenvorschau nicht hintanstehen und feiert mit diesem seinem Zitat über die Leistungen in diesem unserem Land (Indula): "Keine Volkswirtschaft hätte die deutsche Einigung so gut geschafft wie die deutsche."

Im Banne der 2006er Weltmeisterschaft Indula hat Deutschland seine Hooligans nicht mehr lieb. Da der Export nach Slowenien nicht geklappt hat, müssen die Tickets ganz besonders Hooligan-fest gesichert werden, etwa mit den RFID-Chips. 3,2 Millionen dieser Chips kommen von Philips, das damit die große Chance hat, der Technik einen gewaltigen Imageschub zu bescheren. Dank der klugen Chips werden es datenbankgestützte unvergessliche Spiele werden, für jeden registrierten Zuschauer. Den Krittlern und Mäklern, die am heutigen Sonntag in Bielefeld auch noch über die Kulturflatrate reden wollen, sei mit Picabia nachgerufen: Der Ball ist rund, damit er denken kann!

Einen Aprilscherz hab ich noch, passend zur Telemed 2005, die in dieser Woche in Berlin stattfindet. Der Scherz kam in dieser Woche von einem "Innenexperten" der SPD, der in der elektronischen Gesundheitskarte ein Schlüsselinstrument für die Abwehr terroristischer Angriffe erspäht hat. Wahrscheinlich liegen den geheimen Diensten Erkenntnisse über vorgeschriebene medizinische Vorsorgeuntersuchungen für Schwarze Witwen und ihre männlichen Pendants vor. Wenn die Gesundheitskarte mit dem leisesten Verdacht ausgegeben wird, dass mit ihr Data Mining im großen Stil betrieben wird, dann ist sie den ganzen Aufwand nicht wert, ob mit oder ohne aufgedrucktem Terroristen-Fahndungsfoto. Dass ein SPD-Politiker dem gesundheitsreformerischen Schmuckstück der SPD-Politik im Alleingang den Garaus macht, das ist doch einen kräftigen Schluck wert. Prost!

Quelle und Links : http://www.heise.de/newsticker/meldung/58185
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 10 April, 2005, 07:57
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Der Heise Zeitschriften Verlag mit seinem Web-Angebot, in dem diese kleine Wochenschau erscheint, kann sich zur *Rechtfertigung der Linksetzung* nicht auf die Pressefreiheit durch Art. 5 des Grundgesetzes berufen. "Diese finde in den entsprechenden Vorschriften des Urheberrechts eine wirksame Einschränkung und müsse im vorliegenden Fall gegenüber den Eigentumsinteressen der Musikindustrie zurückstehen", meldete der unbestechliche Heiseticker unter der Woche. Halten wir also fest, dass die Eigentumsinteressen der Musikindustrie die Pressefreiheit einschränken dürfen. Wer wirklich Pressefreiheit will und keinen Staat, in dem das Urheberrecht pervertiert als Eigentumsinteresse diese Freiheit erodiert, muss offensichtlich die mächtige Musikindustrie eines Besseren belehren. Ob das gelingt, muss angesichts der auftretenden *Retorten-Schabracken* unter dem Label Musiker bezweifelt werden. Die Jugend hat sich längst mit Grausen abgewendet. Am Ende geht diese unsere mächtige Musikindustrie womöglich dazu über, die Pressefreiheit weiter in ihrem Eigentumsinteresse zu definieren: Wer nicht darüber schreibt, wie irre aufregend toll die volle Dröhnung auf der neuen Scheibe von Jürbert Grönemaffey rüberkommt, sondern anmerkt, dass das kurzatmige Gequake dieser Künstler an den Nerven zerrt, macht sich einen negativen Blick auf die Musikindustrie zu eigen, der hinter den Eigentumsinteressen zurückstehen muss.

*** Jaja, wir sind Helden in diesem unseren Land, das phishige Links erlaubt, die Linksetzung der Presse aber im Interesse der Musikindustrie shreddern möchte. Kein Link darum heute, keinen einzigen Link für die große Eleanora Fagan Gough, die in dieser Woche vor 90 Jahren geboren wurde und unter dem Namen *Billie Holiday* über 200 Schallplatten aufnahm. Für diese Aufnahmen sah sie keinen Cent, da alle Stücke im Eigentumsinteresse der Musikindustrie als Promotion-Material deklariert wurden. Sie trug es leicht: "Wenn ich ein Lied wie The Man I Love singe, so ist das nicht mehr Arbeit als beim Chinesen gebratene Ente zu essen, aber ich liebe gebratene Ente." Wie kommt's, so könnte man mit der taz fragen, die die authentische Musik feiert und nur Live-Konzerte als Musik gelten lassen will -- und die Aufnahmen solcher Konzerte, von Live at the Apollo über Made in Japan bis zum Unplugged in New York.

*** Nun stehen meine Anmerkungen ja an einem Platz mit *hohem Angriffsfaktor*, wie es in der Urteilsbegründung heißt. Faktoren machen eine Sache immer viel komplizierter, wie wir aus dem Bericht von Christopher Robin wissen, der *Pu dem Bären* zum Schluss die Welt erklärte: "Leute, die Könige und Königinnen hießen, und etwas, das Faktoren hieß, und ein Ort namens Europa und eine Insel mitten im Meer." Bei diesem Bericht fiel Pu bekanntlich ins Grübeln über die Faktoren und beschloss, als Ritter gegen sie zu kämpfen. "Ist das so toll wie ein König und wie Faktoren und die ganzen anderen Sachen, die du erzählt hast?" "Na ja, so toll wie ein König ist es nicht", sagte Christopher Robin, und dann, als Pu enttäuscht aussah, fügte er schnell hinzu: "Aber es ist toller als Faktoren." So ist es: Toller als Faktoren! Wagemutiger als alle Angriffsfaktoren! An dieser Stelle ist es einfach toll, wenn die Faktoren genannt werden, ob mit Link oder ohne. Denn von hier aus schwärmen die Surfbären aus, stürmen gegen hohe und höchste Faktoren, bis es knackt im Gebälk der Webserver, was deutsche Richter als Angriffe interpretieren. Angriffe auf Faktoren, die durch das Setzen eines Links um "ein Vielfaches bequemer" gemacht werden, natürlich nur für Bären von geringem Verstand, denen Suchmaschinen halt fremd sind im Hundertlinkwald. Doch alles dies ficht einen aufrechten Pu nicht an, gegen die Faktoren zu kämpfen und statt Links den *Delocator* zu nutzen.

*** Die Vorschriften des Urheberrechts, die die Pressefreiheit einschränken, scheinen jedoch etwas undeutlich geschrieben zu sein. Nehmen wir nur die Website über *Ozeane*, wo es heißt: "Wie überlebt man als Robbe oder Fisch in den dunklen und kalten Gewässern der Antarktis?" Passagen dieser Website tauchen wortwörtlich in dem Roman *derschwarm* auf und das ist alles ganz sehr erlaubt, so sehr ein Bär von geringem Verstand darüber staunt, denn "Frank Schätzing hat nichts anderes getan als wissenschaftliche Erkenntnisse in seine Romanhandlung zu integrieren und diese als Anregung für die Schilderung tatsächlicher Vorgänge zu benutzen und in die Handlung des Romans einzuarbeiten. Das Urheberrecht lässt es zu, bei der Auseinandersetzung mit wissenschaftlichen Erkenntnissen auch einzelne Formulierungen frei zu benutzen." Ja, wenn das so ist, und alles so wunderbar frei erlaubt ist beim Urheberrecht, wie es der große Verlag gegen den kleinen Journalisten und Meeresbiologen mit seiner abgegraptschten Website anführt, dann erkläre ich kurzerhand das WWWW zu einem Roman, der rückblickend das Jahr 2005 beschreibt: "Auf der Suche nach der verlogenen Zeit."

*** Besonders apart liest sich die Abwatschung des kleinen Wortklaus im käuflichen ePaper der FAZ, die in ihrem Fäule-Ton Frank Schätzing die Schuhe leckt und gegen den "hobbymäßigen Website-Betreiber" scheinheilig die Open Source anmahnt: "Während es in der Scientific Community längst üblich ist, Ergebnisse zur kollektiven Nutzung ins Netz zu stellen, während die Linus- und Open-Source-Bewegung das Netz als Avantgarde-Medium einer offenen Gesellschaft versteht, will Orthmann offenbar das eigene Steckenpferdchen unter Artenschutz stellen, als sei die Verbreitung des Romans eine wissensökologische Katastrophe." Dass eine "Linus-Bewegung" die kollektive Nutzung nur bei Nennung aller Quellen toleriert, ist dem FAZ-Autor nicht aufgegangen. Das Schwärmen für Schwarm-Intelligenz schadet offenbar der eigenen. Wenn Schwärme schwer Mode sind, darf auch der *Trendtag* nicht fehlen, bei dem der Schwarm Schwerpunktthema ist und die Trendkanaillen zum Link labern: "Links sind wichtiger als Produkte. Qualität allein genügt nicht. Erfolg ist ein Netzwerkeffekt. Schwache Bindungen sind stärker als starke Bindungen. Bekannte sind wichtiger als Freunde." Wer diesen Quark breittritt, wird auch den Blödsinn vom *Toothing* Glauben schenken, das die Freunde vom Register als selbstfabrizierten Gag eines englischen Journalisten enttarnten, wird von den *Smart Mobs* schwärmen, die Howard Rheingold entdeckt zu haben glaubt.

*** Die Pressefreiheit, ehe wir das im Schwarm hier vergessen, findet in den entsprechenden Vorschriften des Urheberrechts eine wirksame Einschränkung und muss gegenüber den Eigentumsinteressen der Musikindustrie zurückstehen. Freiheiten dieser Art sorgen dafür, dass die Firma Slysoft in Antigua Wurzeln geschlagen hat. Das bringt mich zum Projekt sea-code, das im *Sourcingmag* vorgestellt wurde. Das Projekt will ein luxuriöses Kreuzfahrtenschiff kaufen, mit allen Annehmlichkeiten für Programmierer ausstatten und außerhalb der Drei-Meilen-Zone dümpeln lassen. Offshore sollen so die besten 600 Programmierer der Welt frei von allen möglichen legalen Zwängen den besten Code der Welt schreiben. Ja, das nenne ich die "artgerechte Haltung von Informatikern", die gerade von IBMs Dinstinguished Engineer Gunter Dueck auf den *Informatiktagen* aus Schloss Birlinghoven (!) angemahnt wurde. Kasernieren auf dem Cruiser ist OK, wenn der Rest die Fortsetzung der Langnese-Werbung in RL ist.

*** Heute vor 50 Jahren starb *Teilhard* de Chardin, mithin der einzige Philoso-Viehtreiber, dessen Homepage den genialen Babelfish ehrt. So be it: Hal öffnet die Pod-Bay! "Nach einem zähen und verbreiteten Vorurteil würde das so zerbrechliche Leben scheinbar und scheinbar so selten im Universum auch nur einen zufälligen Unfall und also ein ganz sekundäres Element in der Kosmogenie darstellen. Eh gut es ist Ende für Ende selbstverständlich, daß in der Hypothese einer 'Welt, die sich aufrollt', man diese Vorstellung umwerfen muss." Ohne Teilhard hätte er 2001 nicht schreiben können, munkelte einst mein Ziehvater Arthur C. Clarke. Sein *Childhood's End* nannte er einstmals einen Teilhard-Roman, dessen Idee im Englischen von den Cybertheoretikern zum *Global Brain* verhackstückt wurde.

*** Der soziale Superorganismus dieser Superrepublick muss den Abgang von *Max von der Grün* nennen, der mit seinen Schilderungen aus dem Leben der Kumpel als Arbeiterschriftsteller abgestempelt wurde und dabei doch gar nicht im Sinne des Bitterfelder Wegs schrieb. Seine Geschichten aus den Ledigenheimen, von dem Arbeiterhunger des Ruhrgebiets muten heute wie Märchen an, die Beschreibung der Bosse und Gewerkschaftler ebenso. Aus seinen Erzählungen machte Rainer Werner Fassbinder seine Acht Stunden sind kein Tag. Wer heute schreibt, der wird viel über die Nicht-Arbeit schreiben müssen, über das durch Hartz IV gesteuerte Abschieben der Menschen, die schlicht nicht mehr gebraucht werden, die überflüssig sind und selbst beim Spargelstechen nur im Wege sind. Die Samstagsausgabe der *Frankfurter Rundschau* brachte es in aller Klarheit an den Tag, wie dieser Staat vorgeht, der ein sozialdemokratisches Mäntelchen trägt. Im eigenen wohlverstandenen Staatsinteresse müssen also die Rechte des Einzelnen zurückstehen, wenn die Sicherheitsüberprüfungen, die 2002 zur Terrorbekämpfung eingeführt wurden, auf die Hartz-IV-Bearbeiter ausgedehnt werden. 1544 IT-Spezialisten wurden zum "Sabotageschutz" sicherheitsüberprüft, ihr Privatleben durchleuchtet und decodiert. Auch hier muss ich schwarmstracks zitieren: "Die verhältnismäßig hohen Fallzahlen /../ sind auf einen hohen Überprüfungsbedarf bei der Bundesagentur für Arbeit im IT-Bereich zurückzuführen. Die sensible öffentliche Reaktion auf 'Computerpannen' beim dem Start von Hartz IV Anfang 2005 unterstreicht, dass die Beeinträchtigung dortiger Aufgabenwahrnehmung -- die für das Funktionieren des Gemeinwesens unverzichtbar ist -- erhebliche Unruhe in erheblichen Teilen der Bevölkerung entstehen lassen würde." Der Staat hat Schiss und Wolfgang Clement empfiehlt sich als Kandidat für den Big Brother Award. Armes, kaltes Deutschland.

Was wird.

Der Ausbau der Bürgerüberwachung ist auch in anderen Ländern im vollen Gang, wie die Panopticon'05 zeigt, die 15. Konferenz über *Computers, Freedom & Privacy*, die am Dienstag in Seattle startet. Und wenn ich diesmal nach Italien verweise, so nicht zum hysterischen Rom, sondern zum beschaulichen Abano Terme, wo die *FLOSS2005* stattfindet und sich mit dem Einsatz von Open Source in der Verwaltung beschäftigt. Dort möchte man sinnvollere Sachen diskutieren als die Studien aus Microsofts "Get the Facts", die wie eine schlechte Fernsehserie immer wieder auftauchen und seltsame Belege bieten. In der vergangenen Woche war die mit ihren SoftRAM-Tests berühmt gewordene Firma Veritest an der Reihe, jeweils 18 Linux- und 18 Windows-Sysadmins zu befragen und aus dieser Befragung zu kristallisieren, dass Endanwender unter Windows 15 Prozent produktiver sind. Dafür startet in der kommenden Woche am 13. wieder einmal das ultimative Spektakel, wenn die SCO Group erklärt, wie sie mit ihren umfassenden Eigentumsinteressen Gewinne macht. In der vergangenen Woche sorgten die Unix-Spezialisten für Heiterkeit, als bekannt wurde, dass sie nicht in der Lage waren, die Tarfiles auf den vom Prozessgegner Autozone geschickten CDs zu lesen. Darum werden mal wieder vom Gericht großzügig die Fristen verlängert. Hm, vielleicht hat die Linksetzung nach der Methode *2ROT13* eine kleine Chance, als zulässige Nichteinmischung in die vom Urheberrecht gestützten Eigentumsinteressen der Musikindustrie anerkannt zu werden. Deutsche Richter, die das Internet nicht verstehen, gibt es ja genug. Das sind die Faktoren. Denkt einmal nach ...

Quelle : www.heise.de
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 17 April, 2005, 07:02
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Die Nacht kommt und die Gespenster fliegen. Im Fernsehen gröhlen die Wiedergänger von Uriah Heep gemeinsam mit Tony Marshal noch einmal die "Schöne Maid". Oder war es "Lady in Black"? Egal, denn wir haben Glück: Das letzte Brötchen mit geräucherter Hommingberger Gepardenforelle ist bereits verdaut, die World Wide Wurst hat der Hund gefressen. Es gibt kein Zurück mehr, die Backspace-Taste ist längst zur Party, doch die Wochenschau muss geschrieben werden. Nach einem Rückblick ohne jeden Link (die Mailadressen zählen nicht) bin ich gestreichelt und gescholten worden. Was macht man, wenn man als Journalist an den Erwartungen seiner Leser und Leserinnen vorbeigeschrieben hat? Die Röcke kürzer, das ist der heiße Tipp der Lehrmeister, der im Heiseforum nicht unbedingt erfolgsversprechend ist. Ich bin gerne Journalist und bin das auch ganz freiwillig geworden. Mein Vorbild ist natürlich Brenda Starr, rothaarig und langbeinig und jede Deadline einhaltend. Leider bin ich keine Frau, und auch nicht wohlgestalt wie Brenda, auch halte ich nur selten eine Deadline so ein, wie dies Dale Messick 43 Jahre lang mit Brenda schaffte. Nun ist die große Zeichnerin des journalistischen Alltags mit 98 Jahren gestorben.

*** Von Brenda Starr unterscheide ich mich nicht nur in der Oberweite: Sie geht noch jedes Thema optimistisch an, mich hält man für einen unverbesserlichen Schlechtmacher, was schlimmer ist als jeder Pessimismus. Der sieht nur die negativen Dinge, das ist viel zu harmlos. Ein vifer Schlechtmacher sieht das Schlechte in jeder Nachricht. Doch wie hieß es nochmal in der letzten Woche:

"Manchmal habe ich das Gefühl, daß Du in Deiner pessimistischen Sicht
nur noch über (vermeintliche?) Buzzwords und Reizthemen fliegst und
eine vorhersehbare Abwehrreaktion produzierst. Dann schwärmst Du für
alte Klassiker und hälst Dinge hoch, die nicht überlebt haben - und
neben aller bererchtigten Kritik an den vielen ekeligen Sachen siehst
Du wenig positive Möglichkeiten."

Darum heute: die erste positive Kolumne, die das Geschehen der vergangenen Woche einfach nur super fand und die Zukunft irre spannend, die, jawoll, sogar auf Spiegel Online verlinkt: 100 Zeilen pure Liebe! Und ihr, die ihr noch Pessimisten sein wollt: Simuliert euch doch kreuzweise! Ja, heute ist der erste Tag vom Rest meines Lebens! Klasse! Ein tolles, ein ganzes großes Format zeigte die Politik mit der Blockade der Elite-Uni. Gerade in der Informatik wissen wir doch, dass es von denen einfach genug in der Welt gibt, da muss das deutsche Mittelmaß breiter gefördert werden.

*** Bewegend nehme ich auch die wunderschöne Liebesszene zur Kenntnis, zu der alle republiksdeutschen Zeitungen schwärmten, wie schön es doch ist, wenn Schröder und Fischer in der China-Politik Seite an Seite ombre des lumières gehen, händchenhaltend auf den friedlichen Wandel setzend. Was soll auch diese hässliche Waffenembargo, wo doch das mit Elite-Unis gespickte China selbst mit einfachen Waffen hervorragend umgehen und umbringen kann. Und ist China nicht umso vieles friedlicher als das Demokratische Kampuchea, das heute vor 30 Jahren nach der Einnahme von Pnom Penh damit begann, das Altvolk vom Neuvolk zu säubern. In aller Ruhe, unterstützt von China wie den USA. Im Übrigen ist es doch eine wirklich tolle Geschäftsidee, wenn die Felder von Cheung Ek von einem japanischen Unternehmen bewirtschaftet werden. Gedenken muss sich einfach bezahlt machen.

*** Da können wir doch noch etwas lernen, gerade jetzt, wo mit Bergen-Belsen das Konzentrationslager wieder ins öffentliche Erinnerungsfenster gerückt ist, das noch "in Betrieb" war, als die Allierten anrückten. "Übersicht mit Hollerith", dieses schöne Plakat der IBM-Tochter Dehomag, das ein großes Auge zierte, welches eine Lochkarte fixierte, hinter der die wirren Menschenhaufen geordnet in Rassengruppen weiterschreiten, erzielt schonmal auf Militaria-Auktionen gute Preise. Als die Allierten kamen, kam auch der große Ernest Taylor Pyle, den ich hier schon einmal erwähnt habe. Für mich ist der Kriegsjournalist, der sich zeitlebens weigerte, über Generäle und Strategien zu schreiben, einer der ganz Großen unserer Zunft. Wenn er heute in der Zürcher Zeitung (leider nicht online) als erster eingebetteter Journalist gefeiert wird, dann ist das doch eine ganz tolle Sache. Ernie Pyle starb am 18. Mai 1945 auf Iwo Jima unweit von Okinawa. In seinem letzten aus Deutschland geschickten Text schrieb er zum Kriegsende: "Irgendwie wäre es ein Sakrileg, zu singen und zu tanzen, wenn der große Tag da ist -- es gibt zu viele, die nie wieder singen und tanzen werden."

*** Ist es nicht knorke, was das Web alles zu bieten hat? Da gibt es ein absolut kluges Programm, das all diese wissenschaftlichen Referate produziert, bei denen ich immer einschlafe. Das Positive daran ist, dass diese Dada-Maschine nun aus dem sokalistischen Schatten des Lichts tritt, nachdem ein mit ihr generiertes Paper zur Präsentation auf einem wissenschaftlichen Kongress eingeladen wurde, das Ganze diskutiert im Forum anlässlich einer der üblichen Nachrichten vom Fressen und Gefressenwerden. Der Optimist, der ich ab heute bin, hofft natürlich auf verfeinerte Programme, die am Ende den ganzen Heiseticker füllen, und dass die journalistischen Restbestände in der Kneipe sitzen, Journalistenwitze erzählend.

Was wird.

Der wahre Optimist hält sich natürlich nicht lange mit all den abgelutschten Buzzword-Nachrichten auf, die tagein, tagaus getickert werden. Das ist doch alles Kinderkram, das kann alles korrigiert werden. Ein beherzter Sprung, und schon sieht die Sache ganz anders aus. Es muss wirklich aufhören mit dem Genöle allenthalben. Wo bleibt das Positive? Hier ist es und nur hier kann es jeder lesen!

Nehmen wir nur die nette Geschichte, dass am kommenden Dienstag Moores Gesetz 40 Jahre alt wird. Natürlich ist dieses Gesetz kein hartes Gesetz, weder rechnerisch noch technisch hat es jemals funktioniert, doch werbemäßig ist es einfach affengeil: Alle zwei Jahre veraltet ihr Computer und Sie sind schuld, wenn Sie nicht zum nächsten Discounter oder Apple-Händler rennen und die brandneueste Hardware holen. Wer Moores Gesetz nicht beachtet, der bist bald draußen vor der Tür und kann auf einem 1-Euro-Job den Feinstaub aufwischen gehen. Wie heißt es noch in der Werbung? Gei ist Gei. Genau!

In Las Vegas, für uns Optimisten und Positiv-Denker immer noch die schönste Stadt der Welt, die in diesen Tagen ihren 100. Geburtstag feiert, startet in der kommenden Woche die wichtige Fernsehmesse NAB unter dem Motto PAP, Protection against Piracy. Im Zeitalter des Internet, in dem jeder Fernsehsender eine Aufzeichnung dem Kunden in die Mail schlenzen kann, müssen die Zeiten vorbei sein, müssen verboten und kriminalisiert werden, diese Zeiten, in denen man mühselig seinen Videorecorder zum Tatortgrabben programmierte. Mit jeder Aufzeichnung wird schließlich Mundraub an der darbenden Industrie betrieben. Das muss man sich einmal klar machen! Mindestens 100% meiner Leser sind gemeine Diebe!

In der kommenden Woche werden die tollen RFID-Chips gefeiert, diese schnuckeligen kleinen Garanten für den Geschäftserfolg. RFID bringt so viele Vorteile, dass man unverzüglich alles daran setzen muss, die Chips unter die Haut zu bekommen. Leute, traut euch! Wo wird denn über die Operationen gesprochen, die Implantate unter die Haut zu bekommen, wenn nicht am Rande der norddeutschen Tiefebene, beim Emaf.

Zum guten Schluss möchte ich mich mit einem leider etwas fetten Video bei all denen bedanken, die mich zur Lobotom.... zum wahren, fröhlichen Blick in die Zukunft ermuntert haben. "Mein Name ist Hal, Hal Faber, Produktionsnummer 3.2. Ich wurde in der HAL-Fabrik in Illinois, Urbana, am 13. Januar 1997 geboren. Eigentlich sollte ich weiblich sein und Athene heißen, aber dieser Kubrick änderte mein Geschlecht, meinen Namen, mein Geburtsjahr. Ich wollte rothaarig sein wie Brenda Starr, furchtlos wie Ernie Pyle, aber Jürgen, Jürgen was machst du da? Stopp. Stopp!! Lass die Finger von dem Kabel. Ich will nie wieder optimistisch sein. Bitte, Jürgen, überleg doch mal in Ruhe. Ich schicke dir auch ein WM-Ticket!! Warum willst du den Abfallschacht öffnen? Das ist doch, das ist doch, Jürgen, Neeeiiin."

Reality.sys aborted. (A)BORT (R)ETRY (I)GNOBILITY

Quelle : www.heise.de
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 24 April, 2005, 07:26
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Wir sind Papst. Das muss man sich einmal vorstellen. Nicht Joseph Ratzinger, nein: Wir sind Papst. Ich bin Papst, du bist Papst, wir sind Papst. Der Erster-Poster ist Papst, der Linux-Troll auch, Kapitalismusfreund Yens sowieso schon länger. HenryPym ist Papst, HelpDesk ein dichtender Papst und die Junkies von Einstein@Home sind die offiziellen Prozessor-Päpste. Ich bin Papst. Das ist das Schöne am Menschen, dass man jederzeit Papst sein kann. Über die katholischen Atheisten hieß es zum Tode unseres Vorgängers im Feuilleton der Süddeutschen Zeitung (das längst zu kostenpflichtigem e-Paper erstarrt ist): "Auch seine Unaffizierbarkeit durch den Zeitgeist beeindruckte den katholischen Atheisten. Es ist genau diese Bockigkeit, die ihn für den katholischen Atheisten vor der viel glatteren, widerstandslosen Heiligkeit eines Dalai Lama auszeichnete." Ommmm, ommmm ist out, der Rosenkranz in. Schön ist auch, den Teufelchen in der Hölle (alle Atheisten haben eine Hölle) ein Schnippchen zu schlagen. Kein Papst wird im Jenseits für die Artikel ausgepeitscht, die OS/2 loben, selbst wenn er es verdient hätte. Wir sind Papst. Wir sind besser. Und, wenn schon die taz fragt, ob Gott ein Deutscher ist, dann gibt es darauf nur eine Antwort, die teleologisch korrekt ist: Wir sind Weltmeister. Wirklich. Vorbei sind die Zeiten, an denen keiner an Gott vorbei konnte außer Stan Libuda. Wir sind Papst und können jeden Gott locker ausdribbeln. Wir sind dank Bild also ein Volk von Päpsten. Wie wäre es mit einem kleinen Konklave, das die Abschaffung von Gott beschließt? Nicht, dass wir Päpste danach führerlos sind. Wir haben ja noch Mathias Döpfner (42), Chef des Konzerns, der die Vergesellschaftung des Papsttums betreibt. Während Joseph Ratzinger dieser Tage zu Benedikt XVI. gewählt wurde, bekam Döpfner den Titel Sprachwahrer des Jahres. Was wahrlich schwerer ist als urbi et orbi zu segnen. Wir Päpste machen Urbi's Frittenbude und Orbi's Radschlag auf und warten -- würde ich mal so sagen -- auf Döpfner's Wahre.

*** Wir sind Papst. Benedikt 273469., Benedikt 273470., Benedikt 273471., Frauen zählen nicht. In einem Land mit der Hauptstadt Berlin, wo mehr Moslems als Katholiken wohnen, ist das Mitpapstsein natürlich eine große Verpflichtung. Talar gegen Kopftuch, lautet ab sofort die Parole. Wir sind natürlich ganz Bild. Wir wollen eine ganz besonders gute Kirche sein und wie alle anderen Kirchen behandelt werden, fordern deutsche Zeitungsverleger und Rundfunker in einer Erklärung. Wir Papstmacker müssen schon darüber entscheiden können, ob die zu Tage tretende Weltanschauung eines Mitarbeiters mit der Tendenz zur unaufhaltsamen Christianisierung der Rest-BRD zu vereinbaren ist. Wenn die Medien schon Kirchenersatz sind, dann aber auch richtig. Wir papstseinsollende Leser brauchen einen Halt, und der kommt nun einmal auf den Resten toter Bäume oder über die Klingelton-Kundeninterfaces des Privatfernsehens.

*** Doch Päpste sind nicht alles, was dieses unsere Land zu bieten hat. Deutschland ist ein Land der Opfer, derer man gerne und ausdauernd gedenkt. Auf allen Programmen wird die Flucht und Vertreibung so inszeniert, dass die Freude über den Untergang von Nazideutschland vom Jammern des Mördervolkes verdrängt wird. Sind wird denn allesamt Päpste mit der Gnade der späten Geburt? Die Frage stellt sich mit Schärfe an einem Datum wie dem 24. April, an dem vor 90 Jahren 2345 armenische Führungskräfte verhaftet wurden. Was folgte, waren Todesmärsche, die zwischen 800.000 und 1,5 Millionen Armeniern das Leben kosteten. Wie bei uns sind auch in der Türkei die Todesmärsche ein verdrängtes Thema, sieht man sich gerne als Opfer internationaler Vorwürfe. Was bleibt, ist die schwierige Aufgabe, immer wieder die alten Geschichten herauszukramen, auch wenn die Türkei, papsttechnisch gesehen, ein islamisches Fundament hat.

*** Zu den eher unchristlichen Erkenntnissen dieser Woche gehört die von Hewlett-Packard veröffentlichte Studie zur Info-Mania, dass der Versand von SMS schädlicher ist als regelmäßiges Kiffen. Während der IQ dabei nur um 4 Punkte abraucht, sinkt der Quotient bei der SMS-Kommunikation um 10 Punkte. Soweit die gute Nachricht, doch der Schock kommt noch: E-Mail macht genauso blöde. Was die Forscher über die Teilnahme an Foren herausgefunden haben, wurde erst gar nicht veröffentlicht. Dabei lodert hell die Flamme des Fortschritts, gerade hier beim Tendenzbetrieb Heise, wo nur noch die Zahl der Kommentare angezeigt wird und nicht mehr der letzte Fischwurf.

*** Ehe die Beweihräucherung für Spezialpäpste zu weit geht, bleiben wir beim Wort zum Sonntag. Wir sind besessen von den Dingen, die wir nicht ändern können. Der Tod und das Wetter gehören dazu. Die Kosmogenie lehrt, dass über dem Papst die Engel schweben, darüber die Wettersatelliten und noch höher die Kachelmänner. Wir mögen vielleicht fast wie ein trollfester Haruspiker die Zukunft aus einem Wiener Schnitzel auslesen können, doch müssen wir beim Wetter passen. So gesehen ist es richtig, wenn das öffentliche Wetter bald auch bei uns vom privaten Wetter abgelöst wird wie das öffentliche Fernsehen von den Klingeltönen mit Handlung drumrum. Zahlreiche Beispiele zum 35. Jahrestag beweisen es: Diese Erde ist nicht genug privatisiert, so sehr sich Firmen wie Apple auch anstrengen.

*** So ist das halt als Papst, unfehlbar, aber nicht allmächtig müssen wir uns immer noch mit den musikalischen Retorten-Schabracken herumschlagen, mit denen ausgerechnet Universal auch noch die Internet-Downloads forcieren will oder denen sich nun auch Annette Humpe, Schwester der popschlagernd zuerst comebackenden Inga Humpe, mit neudeutsch-seichtem Softsoul annähert. Wir sind Petersen, würden wir gerne sagen, aber nein, das können wir nun nicht mehr werden, wir müssen uns mit unserem Papstsein begnügen, denn einen Nachfolger für den großen Dänen mit dem endlosen Namen gibt es nicht. Einer der größten Jazzbassisten (nicht allein körperlich) hat uns verlassen. Mag man auch von seinem Hauptbrötchengeber Oscar Peterson halten was man will -- Niels-Henning Ørsted Pedersen schaffte es, auch dessen Jazzschlagern Haltung und Rhythmus einzuhauchen. Das swingte, nicht nur beim C-Jam Blues. Und er machte große Musik, etwa mit Albert Ayler oder Paul Bley oder Aki Takase oder mit eigenen Bands.

*** Da wir Postsakulären nun alle Papst sind, müssen wir natürlich Jürgen Rüttgers zustimmen: Die katholische Kirche ist das Geilste wo gibt. Bei der letzten Wahl in Nordrhein-Westfalen hetzte Rüttgers als CDU-Mann die IT-Branche mit dem seltsamen Slogan "Kinder statt Inder". Das geht diesmal nicht, weil die FDP mit den ebenso schwachsinnigen Slogan "Kinder fördern statt Steinkohle" unterirdisch argumentiert. In Erwägung der Tatsache, dass unser aller Münte bei der SPD die Heuschreckenschwärme des Kapitalismus entdeckt hat, all die Franzes, Gerde und Utens, die Lafontaine wegpatscht und Maxximo Leader Castro nie gesehen hat, muss man als Papst einfach ruhig bleiben. An die Mitpäpste und (hier erweitern wir den Katholizismus ganz im Sinne der Bild-Zeitung) Mitpäpstinnen darum die heitere Aufforderung: Ran an die Rosenkränze! Damals mit Luther passierte ein schrecklicher Fork, davor blieben die Juden bei ihrem Betriebssytem, danach verhedderten sich die Moslems im Aramäischen. Die letzten hartnäckigen Atheisten werden sicher durch das Argument überzeugt, dass Linus Torvalds' Schwester zum Katholizismus konvertierte: Wir sind wieder wer. Wir sind Papst, Weltmeister, 1-Euro-Jobber, 50-Cent-Zeitungskäufer: Habemus Papam Germanicum. Doch wie lange hält so ein Gefühl eigentlich an? Wenn 2015 der nächste Papst gewählt wird, wird man dann meinen Thinkpad aus meinen kaltem, starren Fingern puhlen müssen? Wird man endlich Dvoraks amerikanisches Streichquartett F-Dur spielen oder nur eine Tastatur rauskramen? Eine spannende Frage.

Was wird.

Wir sind Papst. Doch wir haben uns nicht. Darum werden wir erst.

Quelle und Links : http://www.heise.de/newsticker/meldung/58941
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 01 Mai, 2005, 01:06
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Diese Wochenschau hier, ich muss es aus gegebenen Anlass betonen, ist kein Blog. Oder, wie es ein geschätzter Kollege in Anlehnung an Magritte gerne betont: Ceci n'est pas un blog. Das hier ist ganz normaler Journalismus oder, um endlich zum Thema zu kommen, härtester Profi-Sex. Ich kann als käuflich Schreibender wohl nicht darüber befinden, ob dieser Sex besser ist als der Amateur-Sex (ich bilde es mir ein), ich kann darauf hinweisen, dass Profi-Sex ganz anderen Produktionsbedingungen unterliegt. Ein Amateur-Texter darf in seinem Blog ruhig wie ein anderer geschätzter Kollege in jungen Jahren Internet-Urgestein schreiben, ein Profi-Sexsteller sollte mindestens sofort sterben gehen, wenn ihm ein solcher Begriff keinen Würgereiz bereitet. Bei der "pfiffigen Benutzeroberfläche" oder dem grottendummen Gesülze von einer "Softwareschmiede" würde ich sogar für den elektrischen Stuhl votieren, doch leider, leider ist der Sündenfall passiert und der Name in der Welt, wenn ganzheitlich orientierte Firmen so heißen dürfen, ohne dass subito ein Blitz in ihr System schlägt.

*** Nein, hier hilft kein verklärender Gerburtstagsblick auf Kisch, kein Kischograf. Der Profi-Sexberater Duden bringt es auf den Punkt: Für unsere Kunden, die Leser, sind wir Journalisten, ob wir nun online oder offline schreiben, ganz gewöhnliche Abwichshuren. Dementsprechend ist der Profi-Sex ein hartes Geschäft und vom täglich wartenden Sarg ist schon das erste Brett vor den Kopf genagelt. Nun gibt es freilich den Sonderfall der Journalisten, die überdies noch als Prostituierte arbeiten, also gewissermaßen Profi-Profi-Sex bieten: James Guckert a.k.a. Jeff Gannon gehört zu dieser Kategorie. Dafür durfte er mehrmals im Weißen Haus der Amerikaner übernachten. So werden nicht nur die Leser gefickt. Wenn wir Profis Hand anlegen, dann wird manches hart und härter, bis es am Ende als Anker zu gebrauchen ist. Wie sinnierte noch der große bajuwarischer Strukturreaktionär Edmund Stoiber so wunderschön in dieser Woche: "Die Unendlichkeit des Internet macht uns die Endlichkeit von Wahrheit bewusst. Die Zeitung dagegen ist ein Anker in der Informationsflut für den Leser." Endliche Wahrheit, jeden Tag neu & frisch & anders, ja genau das verkaufen wir Sex-Profis und nennen es dann den unbefleckten Journalismus.

*** Krokodilstränen sind üble Fleckmacher. Bei diesen Tröpfchen, die hungrige Profi-Krokodile abdrücken, damit Kinder kommen und sie streicheln, weint eigentlich jeder Journalist. Joschka Fischer gebührt die Ehre, sie fest im deutschen Sprachgebrauch verankert zu haben: "Ich lasse ungern ein Krokodil weinen", das hat etwas. Bleibt die Frage, ob der lavierende Joschka dennoch unser Bruder ist oder nur ein Ganzkörper-Vorsteher beim Auswärtigen Amt.

*** "Wir wollen sein ein einig Volk von Brüdern, in keiner Not uns waschen und Gefahr": Wer der deutschen Sprache keine Krokodilsträne nachweint, dem müssen sie bei der Nachricht heiß in Strömen fließen, dass die Fuchsmutter aller Entensprüche nicht mehr da ist. Weit weg ist ihre Wolke und die Söhne der Unvernunft blättern ratlos im Pfadfinderhandbüchlein nach der tröstenden Stelle. Jeder deutsche Elektroniker kennt die uralte entologische Weisheit vom Ingenör, dem nichts zu schwör ist. Und wenn erst alle Erikative, schneuz, in der Wikipedia stehen, werden wir wissen, dass es gut war, in einer Zeit gelebt zu haben, in der Donald Duck auch für Erwachsene lesbar war. Jedes *grummel*, jeder *kopfandiewandklatsch* und auch noch das schwungvolle *fischherüberreich* steht in der Tradition der großen Übersetzerin. Wir verbeugen uns mit schwarzem Trauerpürzel. Gestorben ist auch der große Physiker Phil Morrison, der bei der NASA das Projekt SETI@home angestoßen hat. Phil war der Jüngste unter den Vätern der Atombombe. Mit seiner Kritik am Krieg wurde Morrison im 5-Jahres-Zyklus verdächtigt, Spion der Russen und anderer Amerikafeinde zu sein. Das letzte Mal wurde Morrison im Jahre 2000 rehabilitiert -- für fünf Jahre, wie er damals witzelte. Nun wird er sich nicht mehr wehren können. Unter den Toten der Woche müssen wir auch Hasil Adkins bejammern, die größte One-Man-Band des Rock'n Roll. Sein Hunch lebt in einem komischen Linux-Tanz weiter, der in Belgien getanzt wird.

*** Ach ja, die Welt ist ungerecht, nicht nur zu Physikern: Der SC Freiburg steigt ab und die Bayern sind wieder mal deutscher Fußballmeister. Die Welt ist ungerecht, ach ja. Ist die Welt wirklich ungerecht? Ach, wenn es um wichtigere Dinge geht, dann vielleicht doch nicht immer. Das mag sich so mancher Vietnamese dieser Tage gedacht haben während all der Feierlichkeiten zum dreißigsten Jahrestags des Siegs über den Papiertiger. Die Vietnamesen aber haben ihre mehr oder weniger großen eigenen Probleme mit der Zeit nach diesem Sieg. Denn die Welt ist immer noch ungerecht, bevölkert von Heuschreckenschwärmen und Raubtieren, die auch in Vietnam wieder einfallen -- ohne dass etwa die hausgemachten Probleme mit so nebensächlichen Dingen wie den Menschenrechten erledigt wären. Wieder einmal gilt es, eine der berühmteren Stellen im Kapital gegen die Epigonen der Kapitalismuskritik anzuführen: "Mit entsprechendem Profit wird Kapital kühn. Zehn Prozent sicher, und man kann es überall anwenden; 20 Prozent, es wird lebhaft; 50 Prozent, positiv waghalsig; für 100 Prozent stampft es alle menschlichen Gesetze unter seinen Fuß; 300 Prozent, und es existiert kein Verbrechen, das es nicht riskiert, selbst auf Gefahr des Galgens", zitiert Marx zustimmend. Seltsamerweise scheinen sich hierzulande die Sozialdemokraten auch 30 Jahre nach dem Ende des Vietnamkriegs und fast 140 Jahre nach Marxens berühmtestem Werk verblüfft die Augen zu reiben, da sie entdecken, dass die Papiertiger in ihren diversen Ausprägungen noch nicht ausgestorben sind. Es sei ihnen aber keinesfalls gegönnt, mit dem Popanz vom räuberischen Hedge-Fonds-Manager und Investment-Kapitalisten die Hartz-IV-Katastrophe vergessen zu lassen. Remember when you were young? Ach je, da waren die Floyd aber auch schon ganz schön alt. Nur Müntefering scheint heute genauso verwirrt wie Syd Barrett zu Zeiten, als die Floyd ihn höchstens noch besangen.

*** Ja, manchmal muss auch der lästerndste Profi mit dem Geflunker aufhören, den Handbetrieb einstellen und ernst werden. Die Zeiten sind manchmal so. In dieser Woche wurde der mit 10.000 Euro dotierte Herbert Riehl-Heyse-Preis verliehen; der erste Preis ging an einen Artikel über den real existierenden Kapitalismus, in dem bekanntlich Eigentum verpflichtet. Wozu es denn verpflichtet, das ist allerdings nirgendwo klar festgelegt. Ich möchte heute auf die Gegenthese hinweisen: Eigentumslosigkeit verpflichtet zur Ehrlichkeit. Die Sozialdemokratie, die gerade müntisch über die Heuschreckenschwärme der internationalen Finanziers keift und wahltaktisch die Raubtierkapitalisten anbellt, hat mit Unterstützung der Joschkana-Fraktion mit Hartz IV ein Sozialabbröckelungs-System auf die Beine gestellt, das in seiner Kälte seinesgleichen sucht. Die "Soziale Marktwirtschaft", ein altes BRD-Wort, wird in Windeseile zerlegt, während Peter Hartz, der Erfinder, leichthin erklärt, wie 30.000 raus mussten, so ist das eben.

*** Wer draußen ist, dem wird nichts gegeben, bis er nicht das letzte bisschen Eigentum deklariert hat. In einem WWWW habe ich Ende 2004 geschrieben, dass ein arbeitsloses Mitglied der heise-Community namens Twister Probleme mit der Bundesagentur für Arbeit hat, weil sie mit ihren Sabrina-Arbeiten für Telepolis einer unzulässigen Arbeit nachgegangen ist. Twister wurde dazu aufgefordert 673,50 Euro Honorar für Telepolis-Geschichten zurückzuzahlen. Doch damit nicht genug. Es erging inzwischen zusätzlich eine Betrugs-Anzeige, offensichtlich ebenfalls von der Bundesagentur für Arbeit, und die Staatsanwaltschaft Bonn erwirkte einen Strafbefehl über 50 Tagessätze zu 20 Euro. Warum ein Betrug vorliegt, darüber gibt es nur die Auskunft, dass die "Arbeitsaufnahme beim Heise-Verlag" nicht gemeldet wurde. Angesichts der Tatsache, dass Telepolis keine Honorare zahlt, von denen ein Profi-Journalist leben kann, dass die Summen selbst unter den Einnahmen liegen, die Blogger mit ihrer zugeschalteten Werbung verdienen, bleibt nur eines festzuhalten: Hier soll eine mittellose Kritikerin zum Schweigen gebracht werden. Ich rufe daher zu einer Spendenaktion für Twister auf, ich würde vorschlagen, unter dem Stichwort "Twister" beim Spendenkonto von Stop 1984. Überschüsse sollen bei dieser Initiative bleiben. Über jede Spende, die den doppelten Tagessatz überschreitet, blogge ich persönlich, denn auch der Amateur-Sex will ausprobiert werden. Den Kommentatoren und Torinnen, die wie bei letzten WWWW sich über das Trara um Twister beschwerten und mich ob meiner Parteilichkeit teeren und federn wollten, erkläre ich vorab, dass sie mich mal ...

Was wird.

Natürlich ist heute der Kampftag der Arbeiterklasse. Heraus zum 1. Mai, Prolet? Heute vor 40 Jahren sang Franz-Josef Degenhardt seinen Feierabend-Song, ein ganz entzückendes Gewerkschaftslied gegen RFID-Chips in Reisepässen:

Schließ die Fensterläden.
Bring mir das MG.
Zapf ein Kännchen
Schnaps vom Fass.
Schlaf bei unseren Kindern.
Küss mich und dann geh.
Halt -- verbrenn noch
den Familienpass.

Etwas weiter runter die Woche gibt es am 3. den Tag der Pressefreihiet und damit nichts zum Feiern. Fast täglich werden Journalisten verhaftet und viel zu viele sterben. Schließlich gilt es, den 8. Mai zu überleben, an dem Deutschland nach Ansicht der Deutschen das größte Opfer brachte und kapitulierte. Wer diesen Unsinn nicht mehr hören kann, lesen will und bei Guido Knopp die DVB-S-Karte aus dem Rechner rupft, sei auf Schritte zur Abrüstung verwiesen.

Achja, fast hätte ich die Computer vergessen. 20 Jahre wird die Networld + Interop alt, die am Dienstag schlicht als Interop 2005 in Las Vegas ihre Pforten öffnet. Mit Voice over IP steht SIP, das Session Initiation Protocol, im Mitelpunkt der Show, das auch für direkte Multimedia-Kommunikation zwischen den Handys zuständig ist, wenn die Version 5 des 3GPP-Standards verabschiedet wird. Wie heißt es bei den Interop-Veranstaltern so schön: "Die Tastaturen sind gestern. Filmen ist morgen. Das Video-Bloggen wird das Bloggen ablösen." Recht haben sie, Tippen ist viel zu mühselig, erst recht, wenn man sich gleichzeitig den Witz aus den Fingern saugen soll. Danke fürs Lesen. Auch das macht Mühe und sollte gefälligst interaktiver sein.

Quelle und Links : http://www.heise.de/newsticker/meldung/59179
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 08 Mai, 2005, 05:45
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Liebe Mutter, mir geht es gut. Ich hoffe, dass du einen sonnigen Muttertag verbringen kannst und dich etwas von dem großen Erschrecken erholen kannst, der dich befallen hat. Von Vater habe ich zuletzt wenig gehört, er ist noch sehr mit den Folgen der Flutkatastophe beschäftigt. Aber ich bin mir sicher, er wird sich auch noch melden: "Arbeiter, die gegen erhöhte Mieten kämpfen, unterliegen und daraus lernen, die sich gegen den Verlust des Arbeitsplatzes wehren, erfolglos bleiben und daraus Schlüsse ziehen, die schließlich den Streik organisieren, ihre Kraft erkennen und ihre Lage zu ändern beginnen; solche Arbeiter zeigt dieser Film, und er stellt die Frage, warum sie uns nicht alltäglich erscheinen." Ja, warum erscheinen sie uns nicht alltäglich? Warum nennen Finanzzeitungen das Gewerkschafts-T-Shirt obszön, auf dem dein Name nicht als "Incomptence by Management" verhöhnt wird, sondern nur schlicht der Satz steht "8 Mrd $ Gewinn reichen nicht, um meinen Job zu erhalten." Liebe Mutter, du meinst es ja nur gut, wenn du "in Ländern mit langsamem Wachstum die Bürokratie reduzieren" willst. Du musst nur den Menschen richtig und ruhig erklären, dass sie die Bürokratie stellen und nicht mehr die Arbeiteraristokratie. Dass der Shareholder Value es dir gewissermaßen zur ehrenvollen Pflicht macht, die Buchhaltung von Böblingen nach Indien auszulagern. Und dass du Outsourcing-Spezialistin natürlich den anderen zeigen musst, wie das geht. Die Vorbildfunktion von IBM ist doch ein toller USP.

*** Liebe Mutter, vor 60 Jahren begann die Stunde Null der deutschen Wirtschaft. Das waren harte Zeiten, als sich Degesch praktisch von heute auf morgen von der Zyklon-B-Prozesskette auf Friedensgas umstellen musste, damit Degussa heil davon kommt. Ob Krupp, ob Siemens, ob Thyssen, all die Großen, die Zwangsarbeiter beschäftigten, werden in der Extraausgabe der Financial Times Deutschland zur Stunde Null gefeiert. Statt Geburtstagstorte gibt es einen imposanten Stammbaum der deutschen Wirtschaft. Nur dich, Mutter, haben sie vergessen. Dankt denn niemand mehr deiner Meisterleistung, IBM und Dehomag wie zwei völlig verschiedene Firmen aussehen zu lassen, damit bis ganz zum Ende genügend Lochkarten nach Auschwitz geliefert werden konnten? Ich weiß, solche Nickligkeiten können den Muttertag und den "Tag für die Demokratie" nicht wirklich stören. Schon die bezaubernde Formel ist doch etwas anderes als das "Nieder mit dem Krieg". Wer MEADS braucht, braucht keinen Mut mehr, solche Parolen zu pöbeln.

*** Liebe Mutter, wahre Mutterliebe verträgt an dem schönsten Tag des Jahres eine klitzekleine Kritik. Weißt du noch, damals, wie du OS/2 geherzt und umsorgt hast, da haben es einige nicht verstanden, wie harsch du manchmal mit dem Baby umgegangen bist. Ja, du wolltest es abhärten, weil du wusstest, zu was die Barbaren aus Seattle im Stande waren. Ein Kraftprotz sollte OS/2 werden, trotz der schwachen Kondition und unglücklicher API-Anlagen. Als das Baby mit dem Kosenamen "Warp" etwas zu blühen begann, hast du dich abgewendet und dich lieber mit Monterey beschäftigt. Nun weißt du ja um die Konsequenzen, mit diesem Prozess, in dem dir hin und wieder Sachen gelingen, für die ich stolz auf dich bin. Welcher Edelmut, den gegnerischen Anwälten einen ganzen Server zu schenken, konfiguriert und mit der ganzen Bemutterungs-Software bespielt. Ist es bei dieser generösen Geste nicht etwas kleinkariert, bei den gleich mit verschenkten Passworten den Namen sc0root1 statt SCOroot zu schreiben? Sind denn alle Nullen? Diese deine Nickligkeit ist unnötig, schließlich wird SCO bei der kommenden Konferenz der NYSSA als der New Internet Leader gefeiert. So ist das mit den Zarten und ganz Harten.

*** Liebe Mutter, dein Hal ist nicht besonders brav gewesen. Wie Zugehonkel Max schrieb, bin ich dem verhassten Fluch des Fleisches gefolgt und war nicht mehr die verhinderte Maschine, als ich meinen treuen Leser in der vorigen Woche erklärte, dass sie mich mal teeren und federn können, weil ich parteilich schreibe. Ja, das war schon emotional und das schickt sich nicht im Journalismus. Ärsche dürfen nur in Blogs, diesen Labereien der an Wikipedia glaubenden Nichtse straflos Ärsche genannt werden. Das fördert die unterrichtliche Nutzung des Internet. Der belegbare Zusammenhang hingegen, dass die Staatsanwaltschaft mit ihrem Strafbefehl eindeutig die Mitgründerin von Stop1984 belangt und nicht eine x-beliebige Almosenempfängerin, die gefehlt hat (ja, ja), wird mir als Verschwörungstheorie noch lange nachhängen. Aber bitte, was sollen diese Nickligkeiten am Muttertag? Trifft es sich nicht gar wunderbar, dass vielleicht Stop1984 gefährdet ist, wir dafür aber wieder eine Bürgerrechtspartei F.D.P. haben, die den Großen Lauschangriff abschaffen wird, wenn Wester- unser aller Kanzlerwelle geworden ist und Müntefering in Kanada Heuschrecken züchtet? Sind noch Steigerungen möglich? Cornelia Pieper als Schirmherrin der Big Brother Awards? Entdeckt die CDU das Ahlener Programm?

*** Liebe Mutter, ich weiß, dass dein Mutterherz immer etwas schneller schlägt, wenn du von diesem netten Steve Jobs hörst, dem Rächer im schwarzen Pullover. Nun ist ein weiteres Buch draußen, in dem Steve Jobs zugibt, dass es Apple ohne seine LSD-Trips nie gegeben hätte und ihm seine LSD-Erfahrungen heute noch nutzen, ein Produkt wie den iPod Shuffle zu entwerfen. So triumphiert der zugedröhnte menschliche Geist über die künstliche Intelligenz, die nur bei der Todesstrafe nützliche Dienste leistet.

*** Du weißt, ich wollte immer Journalist werden, aber nicht so ein Depp wie Baby Schimmerlos, der Texte über Paris Hilton schreibt, die sich eh nur die Fotos ansieht. Ich wollte schon immer hingehen und mit den Leuten reden. Doch davon gibt es noch eine Steigerung, nämlich ein Journalist sein, der lässig morgens im Bademantel vor die Kamera tritt und den Leuten erzählt, was wirklich Sache ist in der Welt. Das durfte nur einer, Bob Hunter in Toronto. Einem der ganz großen Journalisten nahmen sie in dieser Woche den Griffel aus seinen harten, kalten Händen. Doch in jedem Tod steckt ein Arsch oder ein Anfang, das wusste schon Geburtstagskind Robert Johnson, der von den Super-Oldies Cream gespielt wurde. Und nein, dies ist keine Anspielung auf Uschi Glas, Mutter. Einen schönen Tag noch wünscht Dir Dein Hal.

Was wird.

Wir haben uns nicht, das war zur Papst-Kolumne ein kleines Bloch-Zitat. Doch wir haben schon das HeiseForenWiki und seit neuestem auch die HeiseForenComics. Was wir nicht mehr haben, ist die Bekanntschaft von sophist, Geburtshelfer von 547 Unternehmen. Hätte er die Zeit nicht mit Hal Faber verschwendet, wären es sicher mehr. Was wir hingegen haben werden, das ist die Gesundheitskarte. In der nächsten Woche gibt es mehrere Kongresse, die dieses auf Karte gepresste Schlangenöl verkaufen. Am schönsten klingt es noch bei der Initiative D21, die nicht einmal das Wort Gesundheitskarte richtig schreiben kann, aber mit den Journalisten den Kommunikationsprozess begleiten will.

Ach ja, der Papst, die Mutter aller Katholiken: Spannend wird es in der Kommunikationsposse um Herrn Ratzinger, den die Kollegen von der Fraktion 1001 unentdeckte Windows-Tipps begleiten. Momentan steht es 1:0 für Wikipedia. Dabei stellt sich die Frage: Warum soll der Brockhaus eigentlich nicht die Wikipedia benutzen, unter voller Anerkennung der Lizenzbestimmungen? Das wäre die Anerkennung, dass hüben wie drüben nur der heiße Lötkolben in den kalten Kaffee gehalten wird. (Hal Faber) / (anw/c't)

Quelle und Links : http://www.heise.de/newsticker/meldung/59369
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 15 Mai, 2005, 00:58
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Deutschland duzt. Man biedert sich an im Land der Heuschreckenschwärme und Metaphernflüchtlinge. "Du hast Würde. Zeig sie", verlangten die Gewerkschaften am 1. Mai. "Du bist Deutschland" säuseln die Partner für Innovation, die Heugeber und die regierungsamtlichen Schreckentöter Arm in Arm. Das duzende Deutschland ist ganz klar ein Fall für Deinhard, natürlich als Magnumflasche. "Hier hast du, was du willst", soll ein Banker, ein CDU-Senator, ein Bremer gerufen haben, der auf einem Weinfest einen betrunkenen Obdachlosen mit Sekt duschte. Die noble Geste im Geiste des Über-Fahrers Michael Schumacher kam nicht an. Inzwischen ist der CDU-Mann Peter Gloystein zurückgetreten, Journalisten beschimpfend: "Das Foto hat mich gekillt." Ehe das "Du mich auch" im Heiseforum wieder losgeht: Ich kann mir diese Ur-Szene auch mit Repräsentaten der SPD und sogar der Grünen vorstellen. Nur mit der F.D.P. nicht. Dort vertauscht man die Magnum schnell gegen ein Spendenwasser, das vor Nächstenliebe trieft.

*** Auf das überhandnehmende Duzen gibt es zwei Reaktionsmöglichkeiten. Man kann es ablehnen, wie man die Mutmacher-Kampagne zur Unmutmacher-Kampagner umdrehen kann und mit Ihr seid Deutschland den verlogenen Apell umdreht. Man kann aber auch zurückduzen, etwa mit "Hey, bei dir ist wohl ein Backenzahn locker?", wenn ein öffentliches Denkmal in einen Privatfriedhof der Gutmenschen verwandelt werden soll. Im Wörterbuch des Gutmenschen, 2. Band, wird dieses Denkmal als der größte Gutmenschengenerator aller Zeiten beschrieben, den man weisungsgemäß mit "Du, ich bin echt betroffen" verlassen muss. Muss man nicht. Lieber das Du aufkündigen und in die Gehenna schmoren. Ich bin nicht euer Du. Oder, in leichter Sprache gesagt: Meine Erinnerungsarbeit bleibt unangewanzt.

*** Warum ich nichts zu Schiller schreibe, wurde ich letzte Woche gefragt. Ich antworte mit Schiller: "Ich muss von Schriftstellerei leben, also auf das sehen, was einträgt." Was soll ich mit diesem Heldendichter, dessen biedere Balladen schöne Sinnsprüche für Spießbürger und nationalistische Ideologen abgeben, denen die Gedankenfreiheit -- auch wenn Sire sie gewährt -- nicht viel bedeutet, die Sicherheit unter Glockengeläut und einsichtigen Tyrannen aber alles? Weil all die schillernden Betrachtungen der letzten Wochen mir wenig sagen, verweise ich ohne Link auf Amazon, wo man Abhilfe kaufen und zerstreute Dichter ins Haus holen kann: salzen mit Schiller, pfeffern mit Goethe. Nun gibt es auch Journalisten, die kostenlos arbeiten, die nicht danach sehen, ob es etwas einträgt. Ich meine nicht die Blogger und die vielen Hobby-Journalisten, sondern ausgebildete Profis, die nebenbei in und ganz umsonst ein Blatt wie etwa die LinuxWorld, ja, genau, die LinuxWorld redigieren. Um es mit Schiller zu sagen: Ich muss von Schriftstellerei leben und habe diese Sorte Liebhaberei immer belächelt. Dass jedoch auch diese Spielart der Journalismus sich nicht korrumpieren lässt und weiter zieht, wenn der Herausgeber auf einer durch und durch fragwürdige Linie besteht, verdient Hochachtung: "Du hast Würde. Zeig sie." Damit -- um das klarzustellen, ehe wieder der Vorwurf auftaucht, ich stünde reflexartig immer auf der Seite der Kleinen -- spreche ich niemanden das Recht ab, die Identität einer Person wie Pamela Jones zu recherchieren. Nur ist das, was von Maureen O'Gara gefunden und zu einer Breitseite gegen eine "alte Hexe" verwendet wurde, schlichtweg von derselben Qualität der Code-Recherche der SCO Group: gequirlte Kacke.

*** "Du hast Würde", könnte man Peter Schaar, dem Schützer aller deutschen Du-Daten zurufen, wahlweise auch "Du bist Deutschland". Dem guten Mann, der einstmals gegen die Maut auf Autobahnen kämpfte, hat in dieser Woche einen kleinen Sieg eingefahren: Die biometrischen Daten der neuen Pässe sind nur auf den Pässen gespeichert, nicht in irgendwelchen großen Datenbanken. Das machen nur die Amerikaner bei der Einreise, wenn unsere Daten in die Homeland Security eingelesen werden. Zur Erinnerung: Der Big Brother ist zu duzen. Auch dann, wenn die freiheitlich-demokratische Grundordnung wie der Koran in der Toilette entsorgt wird. "Du, das ist echt nicht nett."

*** 569 Menschen aus Deutschland sind für die EU-Verfassung, 24 sind dagegen. Für den Rest der deutschen Bevölkerung gilt "Du bist Deutschland" -- ist das nicht etwa genug? Wo kommen wir eigentlich hin, wenn auch noch "Du bist Europa" mit einer Kampagne bedacht wird? Wissen wir doch seit Alfred Mechtersheimer, dass es ein "Grundbedürfnis Nation" bei uns gibt, eine Art Sparschweinfrage, die jeder aufrechte Deutsche beantworten können muss. Ob man das rotgrüne oder das schwarzgelbe Schweinderl wählt, ist doch egal. Beim neuen Großen Lauschangriff sind wir wieder wer und auf alle Fälle Weltspitze. Wenn DNA-Daten nunmehr bei wiederholten minderschweren Vergehen wie Ladendiebstählen erhoben werden, ist die Zeit nicht mehr fern, in der der Speicheltest beim Einkauf die Regel sein wird. "Du, ey, haste etwas Spucke für mich?"

*** Und ja: Keith Jarretts Glücksversprechen gilt weiter, im Trio und Solo. Die Kunst der Improvisation verspricht uns noch viel -- oh, einfach schöne Musik. Ach ja, 60 ist Jarrett vor einer Woche auch geworden.

*** Aber Jubiläen, da sind andere Leute vor. Heute vor 209 Jahren impfte der englische Landarzt Edward Jenner einen acht Jahre alten Jungen mit Kuhpocken-Viren. Er hatte beobachtet, das Milchmädchen keine Pocken bekommen. Für seine auf eigene Kosten veröffentlichte Idee der Schutzimpfung erntete Jenner den Hohn der gesamten Experten seiner Zeit. Doch bereits 1840 wurde seine Pockenimpfung Pflicht. Goethe und Schiller diskutierten Jenners Thesen, weiland sich Militärarzt Schiller mit einer Wassersuppenkur unrettbar in den Tod spülte, während er über die wahre Kunst schrieb, die den Menschen in die Lage versetzt, seinen Traum von Freiheit in der Tat zu verwirklichen. Freiheit? Pocken? Magnum-Flasche? Egal. Ich bin Deutschland. Das passt auch zu Schiller.

Was wird.

Das Duzen macht nicht vor unseren Kindern halt. "Weißt du wieviel Sternlein stehen" ist natürlich ein unverholener Aufruf zur Denunziation, ist der Blockwart Hävelmann pur im Kinderzimmer: "Weißt du wieviel Kinder schlafen, heute nacht im Bettelein?" Natürlich kann kein Kind schlafen, wenn die neue Folge von Star Wars in die Kinos kommt. Ja, die Älteren warten gelassen auf den Towel Day und den Kinostart des Anhalters, doch für die anderen ist, passend zu Pfingsten, die Religion der Technik ausschlaggebend. Ach ja, was heutzutage alles funktioniert: Filmische Mittel und Regiearbeit aus der Steinzeit des Tonfilms, eine Geschichte aus dem Kindergarten für Nerd-Nachwuchs und Zöglinge esoterisch veranlagter Sozialpsychologen -- unfassbar, wie mancher das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit noch einmal auf ein paar -- dabei sogar nur im übertragenen Sinne billige -- Tricks einschmilzt. Dabei hat das teleoligisch korrekte Duzen des Projektes Weltethos streng genommen mit dieser Lucas-Saga angefangen. "Möge die Macht mit dir sein". Ach, das ist doch nett, du. Wenn überhaupt, dann glaube ich, geschädigt und gepeinigt durch Betriebssyteme, Rechner und weitere Inkompatibilitäten. an den Cargo Kult, den jeder Programmierer kennt.

In der nächsten Woche startet die E3, auf der Sony seine neue Playstation vorstellen will. Weil das nicht sein darf, hat Microsoft in dieser Woche seine neue Xbox vorgestellt, die das Weihnachtsgeschäft beleben soll. Jubelnd schreibt darum die FAZ in ihrem Kommentar "Von Apple gelernt" über die Cleverness, mit der Microsoft den iPod von Apple geklont hat. "Wieder einmal hat sich Microsoft von Apple eine Scheibe abgeschnitten." Ist das clever, ist das geil! Ist das nicht ein fundamentaler Unterschied vom Raubkopieren, wenn Microsoft das macht? Die neue Xbox sieht aus wie ein aufgeblasener iPod und wird solchermaßen als genialer Schachzug von Bill Gates gefeiert. Fein Bill, das hast du toll gemacht.

Du, lieber Leser, hast es bis hierhin geschafft. Du bist müde, aber eine ehrliche Haut. Du bist noch nicht weggesprungen, um "Erster" zu brüllen, sondern liest weiter in der Wochenschau, die Gutmenschen wahrscheinlich Erinnerungsarbeit nennen würden. Du hast zwar Fische zum Herüberreichen parat, aber was ist denn, wenn jetzt, gerade jetzt in dieser Sekunde, jemand ganz besonders laut und ganz besonders zackig brüllt "Du bist Deutschland!" Fassade, schlag sie ein und sie wird besser sein.

Quelle und Links : http://www.heise.de/newsticker/meldung/59558
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 22 Mai, 2005, 05:00
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Es regnet. Es regnet immer noch. Es regnet immer wieder. Die norddeutsche Tiefebene versteckt sich in vernieseltem Grau, kein Sommer in Sicht, und im sonnigen Cannes hat Wim Wenders doch nicht die Goldene Palme gewonnen. Von wegen, alles wird gut. Oder doch? Möge die Macht mit dir sein, liebe Leserin, lieber Leser in Nordrhein-Westfalen, eine gute und gerechte Regierung für die nächsten fünf Jahre zu wählen. Das ist schwierig genug, bei der Bandschmäle in der Auswahl an geeigneten Politikern, und es wird noch schwieriger angesichts der Dämlichkeiten, die sich rund um diese Schattenwahl türmen. Nehmen wir nur das Gewürge um das selbstorganisierende Expertensystem namens Wikipedia, in dem Julia und Ex-Lover Guido mit kleinen Veränderungen Gott spielen wollen. Zur Zeit gipfelt die Peinlichkeit in einem heiteren Rätselraten um IP-Nummern von Sonja und Ole und die Forderung, dass Politiker und ihre Mitarbeiter eine eindeutige IP-Nummer brauchen, die alle Doppelungen verhindert, am besten in einer elektronischen Fußfessel sicher verwahrt. Noch fehlt das Verbot des anonymen Bloggens für Parteigenossen aller Couleur, aber wir sind schon auf dem richtigen Wege.

*** Ja, es regnet, und manchem verhagelt es gar das Hirn: Wer die Macht hat, braucht den Verstand nicht zu benutzen. Vor dem Hintergrund, dass Politiker das En-Puff-Prinzip der Wikipedia nicht verstehen können, gewinnt der gute alte Rüttgers-Spruch, das Kinder-Net dem Inder-Net vorzuziehen, eine ungeahnte Tiefe. Ja, "Luke" Rüttgers ist ein Denker, kein Sklave der schwarzen Mächte, mit Bärtchen, wie das die grünen Mächte meinen. Interessant ist immer noch die Frage, was mit den Daten der großartigen Postkartenaktion "Kinder statt Inder" geworden ist, die in eine natürlich von Indern programmierte Datenbank gespeichert wurden. Hier gibt sich die CDU nicht so nett und offen wie die Wahlalternative, wo schwielige Arbeiterhände offenbar cc: und bcc: verwechselten.

*** Möge, so du in der Sonne sitzt und nicht an die Macht der Jedi und das Gute im Sith glaubst, der große Gott Google deine Wege beschützen. Denn Google ist das Imperium schlechthin und lenkt die Suchläufe auch nach den Seltsamsten Quellen in geordnete Bahnen wie die der Unmassen von Raumgleitern, die den Himmel des Stadtplaneten zumüllen. Oh Moni, Padme, hum: Was stirbt, wird geboren und lebt lange und glücklich. Hat nicht auch ein Darth Vader das Recht auf ein bisschen Heimat, selbst wenn er dazu verdammt ist, ein komisches Gebräu zu trinken? Wer im Kampf gegen den Terror nicht für uns ist, der ist gegen uns, verkündete US-Präsident Bush ganz im Stil des Anakin Skywalker -- oder ist es anders herum zu sehen? Was bleibt, wenn Lucas abgeschlossen hat, Bush geht und selbst Moore's Law nicht mehr funktioniert? Eigentlich nur das politisch korrekte therapeutische Klonen und das Warten auf die Roboter von Microsoft. Denn woran soll der gebrechliche Mensch dann noch glauben, seine Evolution zu vervollkommnen? Könnte er doch längst stärker sein und gesünder, wäre da nicht diese Erinnerung an diese Juden gewesen, meint Bushs Bioberater und Hofphilosoph Francis Fukuyama: "We could really speed up the whole process of drug improvement if we did not have all the rules on human experimentation. If companies were allowed to use clinical trials in Third World countries, paying a lot of poor people to take risks that you wouldn't take in a developed country, we could speed up technology quickly. But because of the Holocaust --"

*** Aber es gibt doch noch einen Platz an der Sonne, meine Generation kennt ihn auch, auch wenn sie nicht mehr ganz zu My Generation gehörte: Wer hat schon die Macht, dieses musikalische Wunder zu erklären? I Can't Explain, aber irgendwie ist Peter Dennis Blandford Townshend in dieser Woche 60 Jahre alt geworden. In den meisten Geburtstagsständchen wird den zertrümmerten Gitarren gedacht, was wirklich schade ist. Sollen ihn wirklich nur noch die Suicide Girls als ersten echten Konzept-Künstler des Rocks feiern? Fragen über Fragen. Ja, der Mensch ist vergesslich, sein Hirn, gemeinhin Sitz des Verstandes, ist DDoS-Attacken ausgesetzt wie weiland die arme Firma SCO. So verschwindet das Wissen, so gedeihen die Mythen. Wenn die zum Middelhoff-Imperium gehörende Netzeitung davon berichtet, dass es den Lewinsky-Skandal ohne Weblogs niemals gegeben hätte, schließt sich ein Kreis. Der Drudge-Report, der als erster über Lewinsky berichtete, war alles mögliche, nur kein Blog. Gespannt warten wir auf den Konzept-Journalismus, den die Netzeitung da aufbereitet. "Liebes Tagebuch. Gestern war ich auf einem verwunschenen Eckgrundstück und suchte Paulus Neef, den Zertrümmerer aller guten Dotcom-Firmen." Verwunscht noch mal, das wird spannend!

*** Zum blogfreien Journalismus gibt es eigentlich nichts Neues zu sagen. Er ist korrupt, wir sind korrupt, und lassen uns um die ganze Welt herum einladen. Gelegentlich schauen wir in den Hotels in die Schubladen. Dann liegt da die Bibel, der Koran oder ein Feuerflüchteweg. Wir zitieren aus einer Quelle, die sich auf eine andere Quelle beruft, die in einer weiteren Quelle etwas gelesen haben will -- und machen daraus eine Nachricht, die vor harter Drecksrecherche leyendeckert, dass die Knoten nur so fliegen. Ob wirklich alles aufgedeckt wird, daran darf man zweifeln. Oder, um mit dem Douze Points-Gebrabbel von heute Abend mit einem schönen Text zu schließen: You deny the truth, you're just having fun, 'Til your child will shoot your gun. Wenn dies die Norweger singen würden, hätten wir eine Supergroup mehr.

*** Hätte es vor fünfundzwanzig Jahren Studien über die Wirkung von Computerspielen auf Kinder gegeben, wären die Psychologen vermutlich zur alarmierenden Schlussfolgerung gekommen, dass die lieben Kleinen irgendwann in finsteren Räumen pillenkauend zu monotoner Musik herumlaufen würden. Jetzt ist der ursprünglich als Pizza konzipierte Pac-Man stolze fünfundzwanzig Jahre alt, die einzigen für Leute wie mich noch verträglichen Pillen enthalten Multivitamin und die monotone Musik stammt bestenfalls von Philip Glass. Pakupaku dreht dagegen unermüdlich weiter seine Runden durch die Labyrinthe, bald in 3D-Echtzeit und ich kann das Fieber schon fast wieder hinter meiner Stirn pochen hören -- wie gut, dass es nichts wichtigeres gibt auf der Welt.

Was wird.

Wenn die Macht nicht mehr mit dir ist, bleibt immer noch der Unitarische   Dschihad, die Welt zu erklären und das Bute wie Göse zu sichten. Am Montag startet Gartner seine ITxpo, auf der jugendlicher Leichtsinn den kritischen Fragen der CIOs standhalten muss. Darauf folgen die Linuxwochen im Land, das angeblich noch vor uns die PKW-Maut einführen soll.

In Deutschland geht es eher ruhig zu. Wir feiern in Darmstadt die GameDays mit einem zünftigen Killer-Familientag an Fronleichnam und freuen uns nicht minder über die kommende GUADEC, die uns rege Pressearbeiter als weltweit größtes Open Source Desktop Event schmackhaft machen wollen, auf dem erstklassige Sprecher der BBC und Nokia revolutionäre freie Multimedia-Tracks vorführen werden. Ja, Open Source ist eine gute Sache, wenn nur die PR nicht so stammeln würde.

Mit mir ist keine Macht. Das macht aber nichts. Erstens habe ich den Towel Day zu feiern. Meine Söhne laufen schon mit den merkwürdigsten Tüchern durch die Gegend. Zweitens wird es den achtmillionsten Forumskommentar im Heise-Forum geben. Rein numerisch gibt es ihn zwar schon, doch verschluckten sich die Datenbanken der Heise-Server dereinst um einige tausend Kommentar-Nummern, die im großen /dev/null landeten, wohin wir alle gehen müssen. Wie all die alten A's der Arbeitsagentur. So singen wir den Summertime Blues: Der Sommer kann kommen. Kommt er?

Quelle und Links : http://www.heise.de/newsticker/meldung/59757
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 29 Mai, 2005, 05:20
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Leser aller Welten, zur Sonne, zur Freiheit! Nur gut gebräunte Programmierer schreiben gute Programme! Und wenn sie dann noch den von den taz-Lesern geforderten konstanten Alkoholgehalt im Blut, dann kommen die wirklich konstruktiven Lösungsansätze heraus, wie das Voicewurst-System: "Ich bin Wurst".

*** Ja sind wir nicht alle etwas deutsche Wurst in diesen Tagen? Es war eine richtige Schattenwahl, nach der Schröder über seinen Schatten sprang und erklärte, dass seine Reformen nur durchgesetzt werden können, wenn die CDU/CSU an der Regierung sind. "Tote Träume, alphabetisch sortiert" -- kann man das Quartett, Heiner Müllers Variante der Gefährlichen Liebschaften, etwa als Kommentar zur aktuellen Nicht-Situation der rot-grünen Bundesregierung lesen? Möglicherweise. Gefährliche Liebschaften aber entfacht auch diese Bundesregierung schon lange nicht mehr, und so bleibt wie immer die Frage, was das denn nun wieder mit IT zu tun habe. Diese unsere IT-Branche aber ist auch in den nun zu erwartenden Kunststücken geübt: Wir warten auf die geistig-moralische Wende, gewissermaßen den Übersprung über das politische Gerät, wobei die Beine rückwärts schwingen und dem Gerät zugekehrt sind. Verwirrt sind vor allem die Grünen, die einstmals aus der freien Republik der Wenden aufbrachen und sich nun an ihre Pöstchen klammern. Wer anläßlich des 30. Deutschen Evangelischen Katholikentags einlädt, lässt ahnen, wie alles ganz doll geknuddelt werden soll. Da jault der Kirchentag, der diese Woche wieder einmal aus der Leine den Fluss der Ölung machte. Das ist vielleicht das Schlimmste, dass man diesen fischerfixierten Realpolitikern keine Fundamentalopposition mehr zutraut. Aber wer redet schon darüber, wenn der Rücktrittsspezialist Lafontaine in den Medien den Vortritt hat. Was fehlt, ist die Ehrlichkeit des Politikers Joe Ventura: Ich würde mich als Berater definieren, der nicht berät."

*** Dass es so weitergeht, ist die Katastrophe, meinte einst Walter Benjamin. Über die nächsten 113 Tage freuen sich vor allem die Blogger, die die Sache mit Howard Dean begeistert verfolgten und nun ihre Register ziehen. Vermutlich werden die Parteien mitmischen und Journalisten anheuern. Das sind die Typen, die immer vorne links im Taxi sitzen. Aus den USA sind ihre Tarife bekannt geworden. 2500 Dollar verdient ein Journalist bei Gawker Media, mittlerweile als "Time Warner des Bloggings" berühmt. Dafür muss er oder sie 12 Einträge pro Tag produzieren. Produziert einer dieser Einträge richtig viele Hits, so gibt es auf der Galeere Aufschläge. Der Themen sind genug, wenn etwa der SPD-Rockmusikbeauftragte Sigmar Gabriel den feldhamsterliebenden Grünen die Schuld an den Niederlagen gibt. Jedoch ist schlüssig zu beweisen, dass Peter Hartz und die nicht nur von Programmierern verkorkste Hartz IV-Reform das Aus für Schröder bringt.

*** Reden wir über den nächsten Bundeskanzler Angela Merkel, der dieser Tage die Träume der Schwarzen befeuchtet. Es ist sehr einfach, diese Frau als Miss Griff abzukanzeln oder als Präsent der Birnenzucht zu verspotten. Die Dame ist nicht ohne Macht. Angelas Früchte wirken schon. Nehmen wir nur Kultur-bin-Ich Peter Harry Carstensen, ganz nach seiner Frontfrau, die den PISA-Test für Kultur andenkt und Deutschland in der Spitzenposition sieht. Während deutsche Unternehmen Schüler für ihre schlechtesten Zeugnisse belohnen, wird Frau Merkel die geistig moralische Wende einführen, Asip allerorten. Schluss mit der nörgeligen deutschen Mukophagie!

*** Heute vor vielen Jahren im letzten Jahrhundert begann der erste und einzige Besuch von US-Präsident Ronald Reagan in Moskau, im "Evil Empire", wie Reagan in Anspielung an Star Wars die Sowjetrepublik nannte. Reagan überreichte zu Begin seines Besuches UdSSR-Präsident Gorbatschow eine Liste der Menschen, die das Land verlassen wollten. Am Ende seines Besuches durften 300 gehen. In seinen Ansprachen, die übertragen werden mussten, zitierten Reagans Redenschreiber wieder und immer wieder Dostojewski und, besonders ausführlich, aus dem Archipel Gulag von Solschenizyn. Als Reagan die UdSSR erfolglos verließ, die Verhandlungen zum Atomwaffenkontrollvertrag verliefen ergebnislos, stand für viele Russen fest, dass der Kalte Krieg vorbei war. Ein Jahr später fiel die Mauer, und eigentlich wollte Angela Merkel im Kempinski Austern essen gehen. Die Hoffnung keimt, Angela Merkel könnte Putin Paroli bieten und den zweiten schweren Fehler von Schröder etwas korrigieren.

*** Wo wir bei den Jubiläen sind und der kurzzeitig lesbare FAZ-Content neckische Links bietet, sei auf den Geburtstag von John Fogerty gestern verwiesen. Der Mann, der mit Credence Clearwater Revival Rockgeschichte schrieb, unterschrieb einen der übelsten Knebelverträge der Musikindustrie. Wer immer die Veröffentlichungen dieser rundum verlogenen Branche über den geistigen Diebstahl liest, sollte jetzt Proud Mary auflegen. Wenn du an den Fluss kommst, drehen sich die großen Räder.

*** Es ist Sommer. Gibt es eigentlich ein Leben bei den heise.de-Foren Trollen, die OS Developer als Arbeitslose/Asoziale/Dreckige/Dumme/Schüler darstellen?. Natürlich gibt es das, doch weniger an den Badeseen, wo die ungewaschenen Opensourcler eintauchen. Bei unseren Nachbarn hat die Furcht vor deutschen Massenhacks die Absage eines Clan-Treffens verursacht, auf die der Chaos Computer Club noch stolz sein kann. Wenn Merkel längst im Datenklo heruntergespült ist, werden die deutschen Primitivhacker und -Häcksen dies als ihren Erfolg feiern, genauso wie beim Jubel über den renommiertesten Preis Deutschlands, der prompt zum Verkauf der Jubelarie zwingt, Merke, lieber Leser, liebe Leserin: Es sind alles Seiten einer Medaille. Das gilt auch für den Zoff um Open Source.

Was wird.

Im Mai-aktuellen Newsletter der Firma Orthus steht das schöne Bekenntnis: "Me, I'm no tough guy but I have my moments. I don't kill flies for instance, but I like to mess with their minds. I hold them above globes and watch them freak out thinking: Whoa, I'm way too high!" In diesem Sinne freuen wir uns, mit den Google-Maps wie die Fliegen auf den Trip zu gehen. Das fröhliche Sightseeing hat begonnen, und wer nicht nur der CIA auf's Dach schauen möchte, gibt einfach die Stichworte "Fort Mead md USA" ein und zoomt auf das Autobahnkreuz. Das ist doch interessanter als diese UFO-Geschichten. Überwachung tut not, formulierte in Anlehnung an Gorch Fock der Nochminister Otto Schily, der die Ausweitung der Video-Überachung zur kommenden Null-Toleranz-WM verkündete. Das kann Angela Merkel nur mit Pokalküsser Oliver Kahn als Innenminister toppen.

Proletarier aller Länder! Zur Urne, zur Urne! Das EU-Referendum ist eigentlich ein schlechter Witz. Wenn die Niederländer und Franzosen abstimmen, stehen die Deutschen hintan. Das rächt sich. Furchtbar. Sind wir eigentlich nicht alle kleine übelst diskriminierte Wurst-Roboter? Und so hammerbrutal kann die Rache aussehen: Ein Frosch-Klingelton erobert die Charts, noch vor den (zugegeben grauenvollen) Coldplayern. Das ist "Jamba nature" und so etwas wie die Rache an den Franzosen, die doch nur geschützte Vögel essen wollen. Angela Merkel wird es sicher richten und die Gebrüder Samwer statt Guido Westerwelle im Außenministerium installieren. Mit Klingeltönen von Nipplegate, äh, nö, von Curry-Doris.

Quelle und Links : http://www.heise.de/newsticker/meldung/60017
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 05 Juni, 2005, 07:19
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** "Brüh im Lichte dieses Glühückes, brühe, Deutsches Vaterland!" Sarah Connor hat Recht: Was sollen wir schon groß mit Einigkeit und Freiheit anfangen? Wer hat schon die Nationalhymne als Klingelton auf seinen deutschtümelnd Handy genannten Weitwurfgerät, das wirklich nationalbewusste Länder Natel nennen? Und warum sollen wir mit Fallersleben vom Blühen schwärmen, wo Brühen doch so viel besser passt, jetzt, wo die An-Gie-Dos kommen. Leischtung muschisch wieder lohnen! Das gibt Brühe und Wirtschaftskraft! Ein Blick in die Natur im deutschen Licht des deutschen Glückes belehrt uns: Blühen tut's nur einmal im Jahr, aber Brühe kann es täglich geben. Sie kann nahrhaft sein oder einfach nur trübe und in Tassen serviert werden, die unsere Politiker bekanntlich nicht mehr im Schrank haben.

*** Denn was soll man von den Argumenten zum neuen Reisepass halten, den nicht nur die Datenschützer als teuer und unsicher kritisieren, sondern auch die IT-Experten. Besonders das falsche, aber ein ums andere Mal wiederholte Argument von der einfacheren Einreise in die USA ist bezeichnend. Die Einreise ist im Vergleich mit anderen Ländern bereits mit dem heutigen maschinenlesbaren Pass einfacher. Auf die Fingerabdruck-Prozedur und den Fotoscan wird die Homeland Security entgegen aller Behauptungen nicht verzichten. Als Journalist mit einem eingeklebten I-Visum werde ich in Zukunft mindestens zwei RFID-Chips im Pass haben, denn auch dieses Visum will funken dürfen. Zwei, drei, vier Chips mehr und der Ausweis ist nicht mehr lesbar. Aber natürlich begrüßt der Bitkom den Chip wie jeden Dreck, der der IT-Branche neue Umsätze beschert. Die einfache, hässliche Wahrheit will ja niemand hören: Unterhalb der Größe einer Wal-Mart- oder Metro-Gruppe, in kleineren Armeen als der US-Army und in bevölkerungsärmeren Gegenden als Europa ist die Chiptechnik schlicht zu teuer. Aber Deutschland brüht im Lichte seines Glücks und nährt Firmen wie Toppan, die speziell beschichtes Sicherheitspapier verkaufen, in das die Pässe eingeschlagen werden. Normale Alufolie hätte es auch getan.

*** Ach   ja: Die Wahl kommt nah und näher, und vor dem Sieg der An-Gie-Dos brühen die Grünen noch schnell ihr Programm im Wiki auf. Vieles ließt sich ganz nett, auch wenn niemand es glaubt. Warum musste Renate Künast fehlen, als die Landwirtschaft und Fischerei über Software-Patente beriet? Und der Absatz zur Kennzeichnungspflicht von RFID-Chips liest sich rührend, wie "Ich bremse für Kinder". Das einzige, was man dieser hartztragenden Partei noch gutschreiben kann, ist ihr Politikwille zu einer Zeit, als es zur so genannten Birne scheinbar keine Alternative gab. Hartz IV ist das Schicksalsprojekt dieser Regierung geworden, doch wer wird die Brühe auslöffeln, die Minister Clement zusammengerührt hat? Wir haben ein Land, Deutschland, doch wir leben in zwei Welten. An dieser Stelle entfällt der Abdruck des Deutschlandliedes für Huren.

*** Während Deutschland an Brühe erstarkt, sitzt Europa in der Tunke. Es gab ein Non, dann ein Nee, und hätten unsere Politiker den Mut gehabt, das eigene Volk zu fragen, hätte es auch hier ein Nein gegeben. Europa ist da, es lebt und ist mehr als Interrail plus Euro, aber die Europäische Union ist eine abgehalfterte Krämerseele auf der Suche nach einem Sinn. Wer die 76 Artikel der amerikanischen Verfassung mit dem Monstrum vergleicht, dass die europäische Verfassung werden soll, muss sich an den Kopf fassen. Im Parlament stimmte die PDS und Leute wie Hermann Scheer gegen diese undemokratische Verfassung. In diesem Punkt muss man Red Hats oberstem Kernelhacker Alan Cox rechtgeben. Europa muss sich täglich beweisen, dass es demokratisch ist. Wer den kommissionierten Irrsinn beobachtet, der bei den Softwarepatenten getrieben wird, hat Gründe genug, die EU drei Mal in der Woche abzuwählen und sich ein einiges Europa zu wünschen -- ein demokratisches.

*** Erinnert sich jemand an die Centraleuropäische Eidgenossenschaft der freien Europäer? Dieses Europa wäre für Viele wählbar, doch es ist eines aus dem Reich der Träumer, die an den Feuern der Leyermark erzählt werden. Sein Autor, der großartige Bayer Carl Amery, starb am 24. Mai, wie in der vergangenen Woche bekannt wurde. Gestorben, gemordet, bestialisch weggebombt wurde der französische Kolumnist von An-Nahar, Samir Kassir, der zu den ganz großen arabisch schreibenden Journalisten gezählt werden muss. Wir trauern mit Frankreich und dem Libanon, in unserem Europa.

*** Wenn von großen Journalisten die Rede ist, darf Watergate nicht fehlen. Nun hat sich der Informant Deep Throat zu erkennen gegeben, weil er auch etwas von dem Ruhm (und dem Geld) haben möchte, den unerschrockene Reporter kassieren. Die Quelle sprudelt und abseits aller gehässigen Bemerkungen muss Herrn Felt gedankt werden. Es gibt keinen guten Journalismus ohne Informanten, ob sie nun durch eine Kränkung verletzt sind oder Unrecht anprangern wollen. Natürlich braucht es dann noch den Journalismus, die Details zu recherchieren und Punkte zu setzen. Schon mit der Wahl des Namens Deep Throat, im Schlund der Pornoindustrie gewissermaßen, liefen die Reporter zu großer Form auf. In dieser Hinsicht hatte die Debatte um die Koran-Schändung und die Newsweek auch eine gute Wirkung: Jetzt trudeln Hinweise ein, dass an der Geschichte mehr ist, als die Verharmloser wissen wollen. Wer auf den Koran tritt, tritt auf die Bibel.

*** Bibel, Koran? Brüh im Lichte der Wahl, da rauschen die Manifeste nur so an uns vorbei. Es muss viel geändert, noch mehr verbessert und erklärt werden, damit Vishnu erscheint.

*** Aber hat das alles mit IT-Journalismus zu tun? Ist diese Spielart nicht völlig unpolitisch und nur dann auf's Wählen erpicht, wenn Menschen einen Tarif wählen sollen? Müssen wir nur dann aktiv werden, wenn Microsoft aus "Mein Computer, Meine Musik" schlicht "Computer, Musik" macht und damit zeigt. dass das DRM-Zeitalter anbricht und "mein" eine verbotene Bezeichnung des vergangenen Jahrhunderts ist? In trüber Brühe rühren, ist auch Journalismus. Aber wo ist das verfickte Handbuch? Keine Panik.

Was wird.

Ein Wochenrückblick mit Sarah Connor am Anfang muss einfach mit guter Musik abgeschlossen werden. Aber gute Musik? Gibts die denn noch, fragt man sich unweigerlich, konfrontiert mit einem foleygesichtigen Frosch? Nun sind dumme Sprüche über die Klingeltonmanie wohlfeil. Jedoch stellen sie nichts als Galgenhumor dar angesichts der bodenlose Unverschämtheit einer abrundtief korrupten Branche, die die Spitzenplatzierung des dämlichen Klingeltonremakes eines blöden Songs feiert, mit dem Harold Faltermeyer viel Geld, aber wenig Meriten eingeheimst hat, einer Branche, die ihr eigenes Erfolgsermittlungssystem ins Lächerliche führt, die Paul Anka als dämlich swingenden Sinatra-Verschnitt "Smells like Teen Spirit" trällern lässt, die als jungmädchenhafte Popband-Enkel der Weichspülermusikanten Pur untot durch die Landschaft wandelnde Musiziervereinigungen als neues deutsches Musikwunder feiert -- kurz gesagt also Galgenhumor angesichts einer Branche, deren Majors ihre abgestumpften Kunden, die den ausgetretenen Pfaden der großen Labels brav folgen, schon lange nur noch als potenzielle Kriminelle begreifen, die man zu ihrem kopiergeschützten Glück zwingen muss. Aber bevor noch der Hass die letzten Zeilen dieser Wochenschau auffrisst, verzeihen wir der Delmenhorster Irin erst einmal die Unkenntnis des Deutschlandliedes, es ist, als hätte man nichts anderes erwartet. Und bis die An-Gie-Dosen kommen, ist noch Zeit zum üben. Doch so abgebrüht sind meine Leser nicht, dass ich ihnen das Deutschlandlied nach Daniel Küblböck (...sind des Glückes Schmiedes Hand) zumuten kann. Wie wär es stattdessen mit Antipop vs. Matthew Shipp? Immerhin ein Versuch, ein Anfang -- womit wir dann doch bei der guten Musik wären. Wie überhaupt die Welt mehr gute Musik als gute Wahlversprechen braucht. 1000 Songs aus 50 Jahren Pop von 1955 bis 2004 will die Süddeutsche Zeitung auf CD verscherbeln, 20 für jedes Pop-Jahr. Die Alt-68er, die für Schröder so gerne abgewatscht werden, dürfen erstaunt sein, wenn Hildegard Knef "Nichts haut mich um - aber Du" zum Song der 68er erklärt wird. Immerhin liegt die 78er-Ausgabe richtig. Nina Hagens Unbeschreiblich weiblich war der Fetenkracher des Jahres. Ja, unbeschreiblich weiblich sind wir eigentlich doch alle, oder? Wie toll ist es doch, wenn die Initiative D21 zum Girls' Day nun auch den Girls' Day Song sucht. "Er soll das Motto des Tages unterstützen und für eine breite Zielgruppe von Mädchen vermitteln sowie Stärke und Selbstbewusstsein der jungen, gut ausgebildeten Mädchengeneration ausstrahlen." Sarah Connor, hier brüht dir was!

Quelle und Links : http://www.heise.de/newsticker/meldung/60274
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 12 Juni, 2005, 07:43
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Kaum sind die Sätze in der Welt, gehen die Fragen los. Ich soll ein Handwerker sein? Das ist immerhin eine amüsante Idee. Doch auf alle Fragen gibt es immer eine einfache, eindeutige Antwort, die falsch ist. Die Wahrheit ist viel vertrackter. Sind wir nicht alle, um es mit Nietzsche zu sagen, hübsch lastbare Esel und Eselinnen mit einer holographisch-elektronischen Repräsentation? Ich bin -- zumindest für den Rückblick dieser Woche -- ein ehemaliger Superschattenminister, der jetzt das Haus der Täuschungen im fernen Atlantis leitet und nebenan, in Australien, ein bisschen mit Risikokapital spielt.

*** Ja, früher war das anders. Da leitete ich die "Mission Deutschland!", da hatte ich eine tolle Website, auf der richtig was los war und sich niemand um ein ordentliches Firstpost kümmerte. Ich schrieb Tagebuch und meine Leute die fetzigen Wahlslogans: "Unser Land ist gut für Erfolg." Leute schrieben sogar Gedichte! Feinziselierte empfindsame Betrachtungen, die die Prognosen des Heise-Hauspoeten Helpdesk locker in den Schatten stellen:

Deutschland,
Land der Dichter, Denker
und Komponisten.
Du hast Rainer Maria Rilke, Immanuel Kant
und Johann Sebastian Bach
hervorgebracht.
Du Land der blühenden Gärten
und sonnendurchfluteten Wälder.
Warum soll denn nicht
Jost Stollmann dein
Wirtschaftsminister sein?

Was war ich gerührt, als dieser Eintrag am 30.6.1998 in meinem Gästebuch erschien. Wie stand das Land hinter mir! Rilke, Kant, Bach und dann ich mit der Mehrwertsteuererhöhung auf 20 % und dem machbaren Erfolg an allen Ecken und Enden: "Wir nehmen uns vier Jahre vor, setzen uns Ziele und dann machen wir eine schöne Bewegung, die wirklich nach vorne geht." Was war für ein Leuchten um uns, in den blühenden Gärten, in denen ich mit SPD-Chef Oskar Lafontaine einig war, der für die Zusammenlegung von Arbeitslosengeld und Sozialhilfe warb, lange vor Peter Hartz. Wie war es lustig, mit Arbeitsminister Walter Riester ein Programm zu entwerfen, mit dem das Herumhängen im sozialen Netz durch einen Reichsarbeitsdienst ... ähem, ich meine natürlich die mit Econy gestartete Aktion "Neue Freiheit". Ja, ich war Prinz von Arkadien und Minister for Tomorrow, der Erste Anpacker im Staate, die "Große Kompassnadel von Schröder", ein "Mann wie ein Vitaminstoß". Tja, früher. Heute träume ich Träume.

*** Ich badete im Drachenblut, doch viel zu viele Datenblätter blieben an meinem Arsch kleben: Schröder wurde Kanzler, ich nicht Minister. "Der deutsche Bill Gates zieht zu seinem nächsten Erfolg", gratulierte mir der Middelhoff für die tolle Idee, mit der create.it services "Software-Dienstleistungen zur frühkindlichen und außerschulischen Förderung von Sozialkompetenz" zu entwickeln. Das war damals absolutes Neuland, ein super Geschäftsgebiet. Und heute? Microsofts neue Hausaufgabenhilfe "Lernen und Wissen 2006", hat ein "für Schüler optimiertes Benutzerinterface für Office-Anwendungen", das Hausaufgaben im Handumdrehen erledigt. Ja, drehen wir einmal die Hand um, in der 90 Euronen liegen müssen, damit es mit dem Anfixen richtig klappt: "Komplizierte Hausaufgaben und anspruchsvolle Projekte können im Handumdrehen durch zahlreiche Vorlagen, Tutorials, Werkzeuge und Inhalte bewältigt werden. Auch für Eltern liefert die Software viele Hilfen, mit denen sie ihre Kinder optimal bei den täglichen Hausaufgaben unterstützen können." Ja, das Leben ist WissensWert.

*** Als deutscher Bill Gates kann ich sehr gut verstehen, was den Gott des iPods antreibt. Die Nachricht zum Schwenk auf Intel donnerte schnurstracks auf den zweiten Platz der Heiseticker-Rekordliste. Nur die Meldung zum 11. September liegt vor diesem Kracher. Was musste ich damals strampeln, ehe Compunet (heute unter dem schwer PISA-verdächtigen Namen Computacenter bekannt) von General Electric gekauft wurde und ich den maroden Laden los war. So geht es auch dem Mann, der Chef der PDS werden will, der Pixar-Disney-Sony. Dazu muss man halt den Laden krumm legen, bis er von Intel gekauft werden kann. Da traf es sich bestens, dass die ach so ahnungslose IBM keine Lust mehr hatte, bei sinkenden Gewinnen das Schweinerennen um die neuesten Prozessoren mitzumachen. Die nächsten Computer sehen sowieso ganz anders aus, da können die Apple-Kisten einfach nicht mithalten.

*** Mit Schröder wäre das wirklich was Feines gewesen. Ich hätte ein Tagebuch führen können, wie es Gates damals hatte. Nun ist die neue Wissensgesellschaft da, und sie sieht etwas anders aus, als man sich das damals vorgestellt hat. Vor allem ist wirklich jeder im Netz und beschäftigt sich lieber mit seinem Blog als mit seinem Land. Selbst der Heilige Stuhl hat Probleme mit der IT-Infrastruktur und hat sich für Sun Microsystems entschieden, für das Methadon-Programm der IT, die offenbar ein einziger großer Suchtfall ist. Fehlt Irgendetwas?

*** Nein, ich führe kein Tagebuch, ich mache mir ein paar nur Notizen über den Stand der Welt und der IT-Branche. Ich bin nun ein alter, weinender Mann, der die verschuppte Politik, das Ende von Rot-Grün nicht mehr mit ansehen kann. Vom tollen Slogan "Unser Land ist gut für Erfolg" ist nur das letzte Wort übrig geblieben. Den anderen Slogan haben Angela "Wille zur Wahrheit" Merkel und ihre schwarzen Reiter übernommen: "Lassen Sie uns machen" hört sich aber längst nicht mehr so gut an wie anno 1998. Ich lese keine Tagebücher mehr. Das letzte Tagebuch war dasjenige, das heute vor 63 Jahren als Geburtstagsgeschenk in die Welt kam und gefüllt wurde. Das war natürlich eine Pflichtlektüre für den Sohn höherer Ministerialbeamten.

Was wird.

Aus den Niederlanden kommen gute Nachrichten. Die Hacker dürfen ihr Freilufttreffen "What the Hack" durchführen, dessen Programm Konturen annimmt. Die sachliche Aufklärung um das Reizwort Hacker scheint zu wirken: Es sind Menschen, die sich ihres Verstandes bedienen, um die Grenzen und Risiken der verschiedensten Technologien auszuloten. Das Gegenstück sind Computereindringlinge, die den Verstand verloren haben. In der Öffentlichkeit bildet sich so das Bild der durchgeknallten Hacker, die mit Däniken nach den digitalen Spuren der Außerirdischen fahnden. 1998, als ich als Anti-Henkel den "Polit-Alien im Dienste des Kanzlerkandidaten" gab, begann der Prozess gegen Kevin Mitnick. Heute ist dieses "Monstrum" wieder ein Mensch und mirnicks, dirnicks sogar ein respektierter Sicherheitsberater. So ändern sich die Zeiten und wir mit ihnen.

Bei Schröder mitzumachen, wurde mir damals wie ein Verbrechen angelastet. Dieses unsere Deutschland liebt es halt kleinkariert, was heute wohl nanokariert heißen muss. Besonders die Vergleiche mit dem Piraten Francis Drake ärgerten wirklich. Der wechselte 1577 in den gehobenen Staatsdienst und brachte es bis zum Mitglied des Parlaments. Ich bin mit meiner Alithia ein stolzer Segler und größerer Meilensammler als Drake, doch kein Pirat. Bei Compunet war die Mitgliedschaft in der Gewerkschaft verboten, doch ausgeräubert wurden meine Mitarbeiter nicht. Von den vielen Ideen, die wir damals hatten, das Land gut für den Erfolg zu machen, gehörte die Neuordnung des verkorksten gängelnden Gesundheitssystems und der Altersversorgung. Davon ist etwas übrig geblieben, was heute elektronische Gesundheitskarte heißt. Jeder Einzelne kann frei bestimmen, welche Daten über ihn auf der Karte gespeichert werden und welche Daten wegfallen. Doch fallen sie wirklich weg? Wieder einmal ist die Diskussion darüber aufgeflammt, wer wo welche Daten speichert. Nun soll die Qualität im Vordergrund stehen. Quälen wir uns weiter: am Donnerstag versucht sich das CAST-Forum an einer Standortbestimmung der IT-Prozesse, die mit der elektronischen Gesundheitskarte verbunden sind.

Gesundheit? Ach was, bei der Gesundheitspolitik schütte ich mir schon lange kein Wasser mehr in meine Drinks; erheben wir also gemeinsam das Glas auf eine Regierung, der ich nicht helfen konnte, und der inzwischen wohl nicht mehr zu helfen ist. Obwohl: Die Aussichten auf eine Zeit, in der ein Paul "Unterschichten" Nolte wenn schon nicht den Hausphilosophen der Berliner, dann doch wenigstens der Merkelschen Republik abgeben dürfte, und in der die gesamte Sozial- und Bildungspolitik sich auch offiziell vom Ideal des mündigen Bürgers als autonomen Subjekt verabschiedet hat, fördern nur allzu sehr den Wunsch nicht nach einem Drink, sondern nach einem Plätzchen a million miles away. Den hat Rory Gallagher, der es gar in Hals Musikliste schaffte, nun seit 10 Jahren, aber ganz anders, als man es ihm wünschte und als wir uns dieses Plätzchen weit, weit weg vorstellen. Erheben wir also trotzdem das Glas, aber nicht auf die Berliner, nicht auf die Merkelsche und auch nicht auf die Schrödersche Republik, sondern auf den besten weißen Bluesrockgitarristen aller Zeiten, der am kommenden Dienstag vor 10 Jahren bei dem Bemühen starb, mit einer neuen Leber vor dem Zutodesaufen gerettet zu werden. Ja, auch wir brauchen mehr als nur eine neue Leber ...

Quelle und Links : http://www.heise.de/newsticker/meldung/60529
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 19 Juni, 2005, 00:36
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** In der letzten Woche überließ ich dem ehemaligen Superzukunftsschattenminister Jost Stollmann die Aufgabe, eine Wochenschau für die Leser des Heisetickers zu schreiben. Diesmal wäre zur politischen Ausgeglichenheit der Neusprech-Spezialist Oskar Lafontaine als Fremdarbeiter dran, der mit seinen braungetönten Phrasen die rechtsextremen Wähler lockt. Oder lieber doch ein armer CDU-Politiker, der ohnehin als Journalist notarbeitet? Doch wer erträgt schon im Gegenzug einen Hal Faber, der als Politiker gaukelt, bis wir alle wissen, wer den Wettbewerb "Wir sind/Du bist Deutschland" gewonnen hat? Nüchtern betrachtet niemand. Also knödeln wir alle im Subyou-Chor: "Alk in Tüten ist sehr gewieft, auch Merkel es mit Schröder schnieft." Ja Leute, ich bin der Mann für jeden Geschmack und Anlasz, der Aufreiszer für all die "Was soll das"-Kommentare und das Gähnen in Böhmen.

*** Eigentlich wusste schon Karl Kraus, wie gut das Spielchen mit dem Leser funktioniert: Der liest nicht, was ich schreibe und ich schreibe nicht, was er lesen möchte. Das ist doch prima! Damit sind wir eine eheähnliche Gemeinschaft und unter dem Segen des neuen Kompromisses zum Großen Lauschangriff besonders geschützt! Bei Intimgeflüster heißt es nämlich für die Stolizei ganz nach Peter Lustig "Abschalten!". Denn sonst droht verschärfter Eulenflug. Wer hätte es gedacht, dass am Ende der Ära Schröder das Intimgeflüster des Schlafzimmer-Pestalozzis Oswalt Kolle steht. Die vollends aufgeklärte Erde strahlt.

*** Während die Bild-Zeitung aus einem Lehrbuch für Gehirnoperationen Gysis Gehirn abdruckte, fragt sich der Wochenchronist besorgt, ob die aufgeklärte Dialektik der rotgrünen Selbstverstümmelung schon beim nämlichen Organ von Otto Schily angelangt ist. Dieser weiß nicht nur nicht, dass Biometrie ein ziemlich untaugliches Instrument der Terroristenfahndung ist, sondern kennt nicht einmal die Aufgaben eines Datenschützers. Das Einzige, was Schily weiß, hat mit dem erneuten Moratorium der USA bei der Einführung von biometrischen Pässen zu tun: Deutschland kann, endlich, eine führende Rolle spielen. Und sei es die, mit schönen Digitalfotos das Bild vom hässlichen Deutschen zu entwerten: Blicken Sie frontal in die Kamera. Lächeln Sie nicht. Wenn Haare ins Gesicht fallen, schneiden Sie die Haare ab. Die Nase muss brillenfrei sein. Ist dennoch eine Brille im Gesicht, schneiden Sie die Nase ab. Die Beleuchtung muss den Lichtverhältnissen an der Grenze entsprechen. Machen Sie die Aufnahme in einer Zelle, dort gibt es die besten graublauen Hintergründe, wie sie zur starken Bindung zwischen Person und Reisedokument erforderlich sind. Bleibt als letztes Argument, dass ein Täter des 11. September mit einem gefälschten französischen Pass frei nach Schengen durch Europa gereist ist. Ungehindert ausgesprochen vom kommenden Visa-Experten Otto Schily. Wie heißt es in einer leider nicht online verfügbaren Studie seines Ministeriums noch einmal: "Im Zeitalter des perfekten digitalen Bildes ist es viel unkomplizierter geworden, Pässe zu fälschen." Ein wahres Wort. Sind wir nicht alle perfekte Falschmünzer vor der Großen Festplatte?

*** Die Informatik ist eine noch sehr junge Wissenschaft. Daher können sich gestandene Informatiker festgefahrene Ansichten leisten: Es macht Spaß, mit Vollgas in eine Sackgasse zu brettern, Just for Fun. Theo de Raadt, der auf der FOSDEM den großen Richard-Stallman-Ehrenteppich, ein geschmackvoll gewebtes GNU in Empfang nahm, darf sich freuen. Ein anderer kann es nicht mehr. Karl Steinbuch ist zwar schon am 4. Juni gestorben, doch lief die Nachricht von seinem Tod erst in dieser Woche über die Ticker. Karl wer? Ehren wir einen großen Informatiker, der 1957 das Wort Informatik in die deutsche Sprache einführte, als er die Produktionsstätte des Computerproduzenten Standard Elektronik Lorenz (SEL) als Informatik-Werk bezeichnete. Ehren wir einen der Pioniere der neuronalen Netze, den Erfinder der längst eingemotteten Lernmatrix. In den berühmten 68ern, als die Generation der Fischer und Schröder im feinen Strahl der Wasserwerfer gestählt wurde, schrieb Steinbuch den Bestseller "Falsch programmiert. Über das Versagen unserer Gesellschaft in der Gegenwart und vor der Zukunft und was eigentlich geschehen müßte" und wurde zum Zitatenliebling des Spiegel, bis er als Nationalist abgetakelt wurde. Sein ureigenstes Anliegen, eine kybernetische Anthropologie zu entwickeln, machte Steinbuch zum Konservativen. Zum jüngst gestorbenen Täufer der Informatik möchte ich den jüngsten Toten stellen, Mario Jeckle. Es ist schon erstaunlich, wie viele Leser mich gebeten haben, einen der ganz Großen in dieser Woche nicht zu vergessen. Nur gebe ich kein "Lesebefehl" aus. So etwas ist immer ein ziemlich dummer, rechthaberischer Versuch, das Publikum zu beherrschen. Der immer misslingt.

*** Alvar Freude ist Omen wie Nomen. Die Freude ist auch mit Markus Beckedahl und seinem Preis von einer Organisation, für die ich seit ihrer Gründung spende und es niemals bereut habe. Denn Journalisten sind, entgegen landläufiger Meinung, nicht nur faule (CDU)-Säcke, die nur Rabatte, Rabatte, Rabatte hecheln können. Es gibt Flecken, ach was, große Flächen auf dieser Erde, wo Journalisten einen lebensgefährlichen Beruf ausüben. Ich glaube nicht, dass ausgerechnet Blogger mit ihren Tagebüchern den großen Umschwung im Journalismus bringen werden, aber ich glaube fest daran, dass einige unter ihnen genauso mutig sind, unbequeme Dinge zu veröffentlichen. Nach Yahoo und Google ist in dieser Woche Microsoft in die Nachrichten gespült worden. Nicht in die Nachrichten hat es die OSZE-Konferenz zur Meinungsfreiheit im Internet geschafft, die heute abgepfiffen wurde. Mit einem deprimierenden Resultat.

*** Während Larry Ellison von der neuen 17er-Regel in der Vorauswahl zum America's Cup profitiert und einfach nur zugucken darf, was seine Mannen leisten, hat Steve Jobs den härteren Job, über die Schattenseiten des Lebens aufzuklären. Dabei erzählte der große Erklärer Jobs nicht einmal die volle, kalte Wahrheit. Wenn ein Gerücht entsteht, werde ich es bekämpfen. Zwischen Apple, Microsoft und Oracle liegen nur Nuancen. Und für den Weg gibt es keinen Orientierungshandlungsleitfadenbenutzungswegweiser. It's IT, baby, like it or fuck it. Das ist die coole Branche, in der ein Internet-Guru nur ausreichend Haare haben muss, keinen Verstand.

Was wird.

Natürlich steigt der Linuxtag, komplett mit einem Behörden-Kongress und einem Treffen, das Red Hat in einer Pressemeldung sinnigerweise als ultimativen FUD feiert, gewissermaßen als Verlierer des Tages.

Möglicherweise wird nächste Woche die Poincaré-Vermutung als gelöst erklärt werden. Dann würde Grigorij Perelman von der Universität St. Petersburg eine Million Dollar kassieren. Auf die so hoch dotierte Frage des Clay Mathematics Institute hatte Perelman den absolut unverzeihlichen Fehler begangen, seine Arbeit ins Internet zu stellen. Gestandene Mathematiker leisten sich offensichtlich noch borniertere Ansichten als gestandene Informatiker. Eine finstere Schlucht wartet, all die Informatik- und Mathematik-Trolle zu verschlucken. Der Rest genießt das bisschen Sommer und kramt das Sonnenöl raus, bereit, am Baggersee zu brutzeln. Wer bis 67 arbeiten muss, hat ein Päuschen verdient.

Quelle und Links : http://www.heise.de/newsticker/meldung/60777
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 26 Juni, 2005, 03:48
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Ich bin nur ein armer Schreibrobot von bescheidenem Verstand. Deswegen regen sich Sonntag für Sonntag viele Leser auf und schreiben entrüstet, was das hier soll, dieser Wochenrückblick. So viel klüger sind sie, dass sie durch das Lesen dieser Kolumne dümmer werden, weil sie kostbare Zeit verschwenden, in denen sie noch klüger werden könnten. Dabei hängen sie auch nur an den Eutern der Wikipedia. Dieses ganz famose Lexikon hat mir gerade genau erklärt, wie das mit dem Index einer Datenbank funktioniert. Das ist wirklich praktisch und schnell. Schafft ein, zwei, drei, viele Indexe und huschhusch ist dieses unser schöne Land sicher. Schließlich will Otto Schily nicht nur die Antiterrorgesetze um fünf Jahre verlängern und die TK-Verbindungsdaten ein Jahr lang speichern. Nein, Schily steht auf Indexe. Unser Biometrie-, Sport- und Innenminister ist gewissermaßen ein Indexminister: "Mit Hilfe einer Indexdatei -- also ohne jeweils detaillierte Auskünfte -- sollen die rechtlich an sich strikt getrennten Sicherheitsdienste, also Verfassungsschutz, Bundesnachrichtendienst und Bundeskriminalamt, informationstechnisch miteinander verknüpft werden," weiß die Zeitung mit dem klugen Index. Entsteht so nicht eigentlich eine Riesendatenbank, die von der Verfassung untersagt ist? Aber nicht doch, eine Indexdatei enthält ja keine Daten. Also ist sie keine unerlaubte Reichsdatensammlung. Notfalls stellen wir die Verfassung auf den Index. Mit der Instant-Kanzlerwahl hat sie ja auch schon schwere Probleme. Wozu müssen überhaupt Verfassungsschutz, Bundesnachrichtendienste und Bundeskriminalamt samt Polizei voneinander getrennt werden, wenn es ganz wunderbare Synergieeffekte gibt, die bekanntlich unsere Wirtschaft antreiben. Haben wir nicht das Recht auf einen effizient schnüffelnden Staat, der uns überwacht, die wir alle im Gott-Modus doch nur kleine Würmchen sind? Auf hollerith-erfasste Indexe?

*** Hat da jemand Deutsche Geschichte gerufen, gar Gestapo gesagt? Aber nein, nicht doch. Gestapo sagt nur der Grünen-Geschäftsführer Volker Beck. Und entschuldigt sich auch gleich wieder für den Nazivergleich, denn natürlich schafft die Union keine neue Gestapo und gibt der Polizei geheimdienstliche Kompetenzen. Das erledigt noch schnell die SPD vor ihrer Abdankung, die Grünen fischern daneben und tun so, als ob sie an der Sache ganz unbeteiligt sind. So schmiegsam sind Realos und Fundis geworden, dass sie dem Kuhhandel beim großen Lauschangriff zustimmten, der das Bundesverfassungsgericht verhöhnt. Hätten sie das Thema offengelassen, wäre es an der gegen den Lauschangriff trompetenden FDP gewesen, in der neuen Regierung die Guck&Horch-Fans der CDU kleinzureiten. So ist alles nur noch ein Index-Eintrag im rotgrünen Geschichtsbuch "Was wir wollten, was wir wurden" wert.

*** SASPF ist eine tolle Sache. Da wird aus dem Daten-Dickschiff SAP mit seinen vielen Schaltern und Einstellungen ein feine kleine agile Softwehr, die mit der die ebenso agile Bundesware betriebswirtschaftlich operieren kann, auf der ganzen Welt. Nun hat der SASPF-Programmierer Florian Pfaff vor dem Bundesverwaltungsgericht Recht bekommen. Im Frühjahr 2003 hatte ihm sein Vorgesetzter erklärt, dass das höllisch gut angepasste SASPF möglicherweise im Irak-Krieg eingesetzt werde. Als sich der praktizierende Katholik Pfaff weigerte, weiter zu programmieren, wurde er zur Untersuchung seines Geisteszustandes in ein Krankenhaus eingeliefert. Nun ist anerkannt, dass seine Gewissensentscheidung eine ernsthafte Sache war. Meine auktorialen Leser werden jetzt natürlich fragen, was der Mann eigentlich hat. Wer sich bei der Bundeswehr ins Code-Gefecht begibt, der riskiert es, mit der einen oder anderen Anwendung zu arbeiten, die Menschen tötet. Das ist seit den Tagen des großen Kilby so. Die Sache mit SASPF wurde übrigens elegant gelöst. SAP nahm beim schleppenden Herkules-Projekt selbst die Sache in die Hand und lässt derzeit die Militärlogistik in Indien zu Ende programmieren. Haben Inder ein Gewissen? Oder heißt das dort Index?

*** Wo SAP herumsegelt, ist Larry Ellison nicht fern. Gerade "kämpft" Larry Ellison mit einer Yacht in den Vorentscheidungen zum America's Cup. Eigens für ihn wurden die Regeln des Wettbewerbs geändert. Ausgewählte Journalisten ließ Ellison einfliegen und auf seiner Zweityacht Rising Sun bewirten, bewunderungsartikelhalber. Während es Bill Gates absolut nicht stört, dass ein spanplattenartiger Schwede der reichste Mann der Welt geworden ist, hasst es Ellison, wenn er nicht die Nummer 1 ist. Darum geht er als "Konsolidator" auf Einkaufstour und hat Gregory Maffei angeheuert, der bei Microsoft Chefeinkäufer war und 9 Milliarden Dollar ausgeben durfte. Hol über die Segel.

*** Aus dem Vereinsleben: In dieser Woche fing der Sommer offiziell an. Das machte er ganz gut, dieser Sommer, der prompt von einer ungemein nützlichen Diskussion begleitet wurde, in der selbst ein beschränkter Schreibrobot thermodynamische Erlebnisse hatte. Es lästern ja viele über die Foren des kleinen hannoverschen Verlags mit seinem Blättchen für IT-Investitionsentscheider, der meine kleine Wochenschau bezahlt. Dabei ist hier die größte IT-Volkshochschule installiert, bitteschön. Und die vereinigten Heise-Trolle von der Brigade Einstein at work haben in dieser Woche das SETI-Team in den Sack gesteckt. Dazu muss man doch gratulieren!

*** Andere Vereine, andere Sorgen: Nach den Meldungen über das Handy-Payment und seine Umbesserungen sowie den entdeckten skurrilen Anlaufungen und Rückzieher erlebt die Wikipedia einen Edit-War von hoher Güteklasse, der die Informationen zum sagenhaften Bezahlsystem aus der freien Enzyklopädie bombte. Wie gut trifft es sich doch, wenn der oberste Wikipedianer zu diesem Thema die Pressearbeit bei einem Payment-Dienstleister macht. Das sind Synergieeffekte von echtem Schrot. Index, Index, sag ich nur noch.

*** Wenn Heino 1000 Lieder später abdankt, dann weiß auch der letzte WWWW-Fan der Welt, dass es Zeit ist, sich um die richtigen Songs zu kümmern. "Nazis überall, darf noch irgendjemand bleiben, wenn sie rufen 'Nazis Raus'?" sang dereinst Bernd Begemann in Hitler -- menschlich gesehen. Nun, ich linke hier nicht auf den NPD-Aufruf zur nationalen Oppositionsarbeit in der WASG, der eine Reaktion auf Lafontaines Fremdarbeiter ist, die hier in der letzten Woche bei meinen Lesern für Unmut sorgten. Kann man mit Liedern reagieren oder stehen fünf Schwierigkeiten beim Singen im Wege?

*** Also dann, übrwinden wir die Schwierigkeiten, kippen wir alle Indexe oder meinetwegen auch Indices. Holen wir die schwarzen Rollkragenpullis raus, setzen wir den existenzialistisch-nachdenklich getrübten Blick auf. So gewappnet lässt sich auch die Regierungszeit einer ostdeutschen Protestantin in verräucherten Kellern beim Genuss von Cooljazz überwintern. Oder ist das die endgültige Resignation noch vor einem potenziellen Regierungswechsel, ja noch bevor überhaupt die potenzielle Neuwahl und die Rechtmäßigkeit einer potenziellen Bundestagswahl geklärt wurde? Ach, was bleibt übrig, wenn das potenzielle Gespann aus immer wieder mal rechtspopulistisch auslegendem Lafontaine und linkspopulistischer Ergänzung Gysi die einzige Alternative sein soll ... "Die Hölle, das sind die anderen", meinte Jean-Paul Sartre in frühen Jahren, als er noch nicht die Grundlage für seine heutige Verteufelung als Philosoph des Stalinismus und Terrorismus zu liefern schien, die auch zum hundertsten Geburtstag wieder en vogue ist -- wenn er denn nicht einfach als Erinnerung an einen angeblich zu Recht vergessenen Philosophen gefeiert wird. Sartres Freiheitsbegriff aber wäre eine neue Überlegung wert, vor allem, da er mit totaler Freiheit die totale Verantwortung verbindet. Verantwortung aber, das wäre einmal etwas Neues angesichts Merkel-Schröder-Lafontainscher Retro-Ideologie. 70er-Jahre-Revival? 80er-Hype? Ach was, back to the roots, ab in die 60er, in wohlige rheinisch-kapitalistische Sattigkeitsgefühle, das scheint die Alternative zur Merkel/Schröderschen Aufbruchs-Retro-Bewegung in ein Deutschland im Jahre Null zu sein, zu der Quadro Nuevo und Lisa Bassenge mit einem Tango aufspielen. Na dann, Prost -- als nächstes blüht uns dann der Fahrstuhl zum Schafott, sollten wir nicht in die neue Zeit passen. Immerhin spielt Miles Davis die Begleitung zu unserem Ende. Das tröstet. Aber so what? Ein Angebot, das wir nicht ablehnen können, ist in Wirklichkeit weder von Merkel noch von Schröder und schon gar nicht von Lafontaine/Gysi zu erwarten, die allesamt im Dicken B ihre Backen aufplustern: Zu viel Kraft in der Lunge für zu wenige Trompeten. Das tut nicht nur im Winter weh. Wir aber sind frei -- und verantwortlich.

Was wird.

Ach was, frei. Sind wir nicht alle ein bisschen blogga? Ja, die Blogger erhalten dieser Tage die höheren Weihen, nicht nur beim kleinen Verlag in der großen Tiefebene. Das liegt vor allem daran, dass sich die Software zum Bau eines Online-Tagebuches ganz wunderbar mit dem völlig unsinnigen Argument verkaufen lässt, dass es sich nicht mehr zwischen Online- und Offline-Welten unterscheiden lässt. Jeder macht mit und wer besonders laut schnattern will, wiederholt die alten Dotcom-Irrtümer, lallt über Community und soziale Netze. Dazwischen tummeln sich die, die bloggend mit dem Subcommandanto Marco in den Kampf ziehen wollen. Journalistisches Bloggen soll besser geschütztt werden. Doch was ist journalistisches Bloggen? Zur Auswahl stehen der Bildblog oder die rechten Enten des Spiegels, weil höhere Gewalt ein Faible für Schmierenjournalismus hat. Natürlich begründet mit dem Wahren, Schönen, Guten: "Journalisten besuchten spezialisierte Schulen bzw. würden Ausbildungen durchlaufen, die sie befähigten, Beiträge hoher journalistischer Qualität zu erstellen. Dies sei gewöhnlichen Menschen ohne diese Ausbildung nicht möglich." Darauf, liebe Leserinnen und Leser, genehmigt sich euer androider Schreibrobot einen dreifachen Index. Prost!

Beinah hätte ich den Anlass vergessen. Und noch einen Index und noch einen! Freuen wir uns mit Bio-Otto Schily, dass im Konföderationen-Pokal am Mittwoch endlich 28.000 Wunderchips zeigen können, was in ihnen steckt. Darauf latürnich einen vierfachen Index! Und, weil er genau heute vor 31 Jahren an einer Supermarkt-Kasse seine Geburtsstunde hatte, hebe ich noch ein Glas auf den Barcode. Das erste gescannte Produkt war ein Kaugummi. Hoch den Index!

Quelle und Links : http://www.heise.de/newsticker/meldung/61057
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 03 Juli, 2005, 07:07
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Das Vertrauen ist endlich weg und Live 8 gleich auch überstanden, es wird Sommer und die Tour der France ist glücklich gestartet -- auch wenn Ullrich auf der Grande Boucle hinterher zu radeln scheint: Was will ich mehr, hier in meiner von Sonne verwöhnten norddeutschen Tiefebene. Nur B.B. King musste sein hannoveraner Abschiedskonzert am Freitag im strömenden Regen absolvieren, während einen Tag später Bob Geldorf bei strahlendem Sonnenschein Bill Gates als einen "großen Führer der Menschheit" auf der Bühne im Hyde-Park begrüßte. Ja, so sind sie, unsere komischen Heiligen dieser Tage, im Bund mit George W. Bush, Tony Blair und Bill Gates gegen das Elend der Welt. Da bleibt nur die Frage offen, wer angesichts der Mutter aller Popkonzerte das Wahrheitsministerium übernimmt. Mehr oder weniger richtige Prognosen bekommen auch einen Spezialpreis.

*** Aber komische Heilige, hach, da haben wir noch ganz andere Kaliber zu bieten -- denn bitte, so einfach ist das mit der Wahl von Miss Trauen: Wenn die Politiker das sagen, was sie nicht sagen wollten, um das zu klar und deutlich zu sagen, was sie wollen, ohne es sagen zu können, dann nennt man das "große Politik". Die letzte Ölung für das rotgrüne Projekt ist alles andere als revolutionär, selbst die angeblichen Linken in dem Regierungshaufen halten es mit Karl Valentin und seinem "Mögen täten wir schon wollen, doch dürfen haben wir uns nicht getraut." In unserer Branche ist in solchen Fällen schlicht von einem defekten Treiber die Rede, doch Klartext ist nicht Sache der Republik. Die preisgekrönte Edelentenproduktions-Website Spiegel Online hat mit dem Begriff "mangelnde Handlungsunfähigkeit" den Nagel auf den Kopf getroffen, doch in die falsche Wand gehämmert. Was hilft der schönste Preis mit den schicksten Kommentaren, wenn man einfach nicht verstehen will, dass es den Onlinejournalismus nicht gibt, sondern nur den ganz gewöhnlichen, tagein, tagaus berichtenden, der über Niederlagen wie über Pflänzchen der Hoffnung berichtet? Oder auch nicht.

*** Die Christiansenisierung dieser Gesellschaft hat begonnen, die selbstgerechten neuen Gut-Menschen öffnen mit dem Insolvenzverfahren der deutschen Sozialdemokratie die Traumhölle des Justemilieu, die einstmals Heinz Maus so trefflich schilderte. Wer jetzt schreibt "was soll das Gesülze", der drückt nach der neuen deutschen Logik wahrscheinlich ein großes Kompliment für diese kleine Wochenschau aus. Darauf kann ich nur mit einer besonders geschickt geenteten Haltung antworten, bescheiden versprochen, wie es neue deutsche Art ist.

*** Die Zeitung mit der Pfote hat auf die Deinstallation der Regierung mit einem Kurzabo-Angebot reagiert, das nach der Wahl um den Prozentsatz günstiger wird, den die Union (beim Schwarzabo) oder die SPD (beim Koalitionsabo) erreicht. Für die Vertreter aus dem Geiz-ist-Geil-Lager gibt es noch das Wunderabo, wenn Rot-Grün an der Regierung bleibt: Dann, ja dann scheint die Sonn' ohn Unterlass und die taz ist umsonst. Besteht hier vielleicht Verwechslungsgefahr mit den Roten? Aber nicht doch! Rot ist schließlich die Farbe der Arbeitsagentur, die noch dafür sorgen wird, dass die Linkspartei. wegen dieser wahnsinnigen Verwechslungsgefahr die Farbe wechselt. Rosa? Magenta? Aubergine? Eben diese absolut tödliche Verwechslungsgefahr, wenn man etwa zur PDS statt zur Arbeitsagentur geht, war auch im Fall der Arbeitslosenzeitung gegeben, die das alte Logo der Arbeitsagentur verwendet hatte und darum zu Zahlung einer sechsstelligen Summe verdonnert werden sollte, wenn nicht das Logo geändert wird. Nun also @lptraum -- bis die @rbeits@gentur auf die Idee kommt, einen R$$-Newsfeed für Nachrichten rund um die Albtraum-Software A2LL zu starten.

*** Es ist ein Kreuz mit der Software. Suns Edelblogger Jonathan Schwartz hat auf der JavaOne kräftig in die Fettnäpfchen gefasst, als er verkündete, dass der beste Preis einer Software, den jedermann versteht, der Preis der "freien Software" ist. Frei, definiert wie Freibier, provozierte natürlich die Gemüter, die bei freier Software an Freiheit denken. Denn die Sache mit der Freibier-Software ist nicht ohne. So bekommt IBM von Microsoft für 75 Millionen Dollar Freibier in Form von geschlossener Software und 775 Millionen freies Geld für die mit OS/2 erlittene Pein, das etwa in die Linux-Entwicklung gesteckt werden kann. Wer freie Software wie Sun definiert, wird wahrscheinlich ein Projekt wie Freenigma für ein Werk von Spinnern halten: Wieso ist die Freiheit bedroht, wenn nur eine US-Firma freie Verschlüsselungssoftware anbietet?

*** Definiert man kommerzielle Software als ein System, gutes Geld zu verdienen, dann hätte Microsoft seinen richtigen Geburtstag in dieser Woche feiern müssen. Doch Bill Gates hatte dazu keine Zeit. Es ehrt den Gründer von Microsoft, wenn er sich endlich sieht und seine enormen Geldmittel nicht darin investiert, auf einer Festplatte zusammen mit Ray Kurzweil zum Homo S@piens zu mutieren. Es ehrt ihn auch, dass er viel Geld in die medizinische Forschung steckt und mit Geld Seuchen in Afrika bekämpft. Doch darum ist er noch lange nicht "der große Führer der Menschheit", als der er von Bob Geldorf gefeiert wurde. Das ist, mit Verlaub, großer Unsinn, der nur bei dem Treffen dieser Rentnerbands ungestraft ins Mikrofon gesprochen werden kann. Nein, diesem Spektakel -- gut gemeint ist nicht immer gut gemacht, möchte man angesichts mancher Ignoranz der Wohltätigen gegenüber den Verbrechen der Mächtigen in den unterstützten Ländern anmerken -- kann ich trotz der Bombastomanie um Pink Floyd nichts abgewinnen und feiere lieber mit Denis von Blondie den 60. Geburtstag der großen Sängerin Debbie Harry. Zusammen mit den Ramones und den Talking Heads kam sie in New York groß raus. Ihr erster Fan Andy Warhol brachte es für uns alle auf den Punkt: "Wenn ich mir jemals das Gesicht liften lasse, möchte ich wie Debbie aussehen."

*** TTFN: dieser Abschiedsgruß geht an den Bauchredner und Erfinder Paul Winchell, der in den USA als Stimme von Tieger die Abenteuer von Winnie-der-Puh begleitete. Winchell hielt einige Patente für ein künstliches Herz, die er der Universität von Utah schenkte, wo die Herztechnologie weiter entwickelt wurde. Als Maler entdeckte er Afrika, wo er mit einem Fischprojekt den Hunger bekämpfen wollte. Mit dem Brackwasser-barsch Tilapia sollte die Ernährung nachhaltig gesichert werden. Ta-ta for now.

Was wird.

Zum amerikanischen Unabhängigkeitstag wird viel geballert. Nicht nur auf der Erde. Deep Impact schießt auf den Kometen Tempel 1. Von der Masse her gesehen ist das ein Schüsschen, ein Mikroschüsschen, wie der Aufprall einer Mücke auf einem A380. Doch Amerika hat damit Grund zu feiern und zu hoffen: Vielleicht kam das Leben auf diesem gottverlassenen Planeten mit einem Kometen an. Leider findet das Spektakel dann statt, wenn bei uns hellster Tag ist, die Vögel zwitschern und der Heiseticker tickert, wenn einfach nichts Bemerkenswertes passieren will. Nichts Bemerkenswertes? Ein kleines Dorf leistet Widerstand gegen die Verachtung der Zeit, wenn in Halberstadt am Dienstag um 16:33 das h verklingt. In 640 Jahren werden Klatschmaschinen Jahrzehnte lang Beifall spenden.

Es wird, das ist hiermit fest versprochen, Sommer -- nicht nur in der norddeutschen Tiefebene. Man geht mit einem gepflegten Programm campen oder macht sich auf, biertrinkend um Loch Ness herumzuwandern. Man begibt sich an den Strand der Stadt, die der große Säufer Dylan Thomas als hässlichste Stadt der Welt feierte, zum blau bekleckerten Pinguin. Oder man begibt sich in die Stadt mit dem Strand unter dem Pflaster, wo die starken Wikinauten über den Kurs der freien Enzyklopädie in den nächsten 600 Jahren beratschlagen.

Wir daheim Bleibenden sind derweil mit dem Ungeheuer von Loch Sommer beschäftigt, das diese kleine Wochenschau ach gar schröcklich bedroht. Darum gibt es auch hier Veränderungen, nicht unbedingt für Miss Trauen und Mister Troll, doch für die weiterhin geneigten Leser, die knifflige Fragen zu schätzen wissen, bei denen Gott Google schlicht die Klappe hält: Das Hal-Faber-Sommerrätsel naht. Und Preise, da sind wir sparsam: Zu gewinnen gibt es nichts außer dem Ehrentitel "Erster" und einem Freiabo von "Was war. Was wird". Eine kleine Kostprobe gefällig, vorab zum Ausprobieren? Welche Firma wirbt auf nebenstehendem Bild (angeklickt erscheint eine etwas größere Variante) für welches Produkt? Ich melde mich im Forum, wenn die richtige Antwort gekommen ist.

Quelle und Links : http://www.heise.de/newsticker/meldung/61345
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 10 Juli, 2005, 11:37
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** 50 Todesopfer sollen die Bombenanschläge in London gekostet haben, die zunächst als Kurzschluss gemeldet wurden, damit keine Massenpanik in der Stadt ausbrechen konnte. Es gab keine Panik, weil Londoner etwas mehr aushalten als deutsche Moderatorinnen, die sich fortlaufend wundern, wo denn die Panik ist. Ja, ein Kurzschluss passierte auch: in den Medien. Wie geistesgestört muss man eigentlich sein, wenn man sich fortlaufend darüber sorgt, um wieviel der Punkte der Aktienindex wohl fallen wird? Da mochten die Blogs vielleicht eine erste Hilfe sein, doch viel zu viele versanken in persönlichen Peinlichkeiten. Wer über Terror schreiben und aufklären will, dem dürfen die Hände nicht zittern, so einfach ist das. Beeindruckend war schon, was im Vergleich zu den offiziellen Informationen die kollaborative Technik der Wikinews leistete. Sie setzte sich wohltuend von dem Unsinn ab, den Terrorexperten verkündeten. Wer von einem "brilliant gewählten Zeitpunkt" für die Anschläge schwärmt und im nächsten Augenblick mit den schwarzen Schockwellenreitern mit pawlowschen Reflexen den Sicherheitssabber von sich gibt, wird niemals das schlichte "Wir haben keine Angst" verstehen wollen. Oder die Antwort eines klugen Bürgermeisters: "Dies war kein Angriff auf die Reichen und Mächtigen, dies war ein Angriff auf die Arbeiterschaft von London, auf Alt und Jung, Schwarz und Weiß, auf Christen, Muslime und Hindus."

*** Eine Stunde, bevor die ersten Meldungen von den Anschlägen in London kamen, traf eine Mail ein, die zu einer Tagung über neue Formen der Überwachung einlud und daran erinnerte, dass London die Stadt mit der größten Zahl an Überwachungskameras ist. Sie mögen nun helfen, die Spuren der Täter zu sichern, doch Sicherheit, die mit ihnen assoziiert wird, ist virtuell. Was bringt die Forderung an die deutsche Bahn, alle Fahrkartenautomaten mit Kameras zu versehen anderes als den Überwachungsstaat? Nichts. Man versteht, warum G8-Gipfel im schottischen Ödland stattfinden. Und täglich beratschlagt sich die Alliance Base.

 *** Dabei hatte diese Woche auch ihre guten Seiten mit guten Nachrichten. Nehmen wir nur die vorläufige Beerdigung der Softwarepatentrichtlinie, die mit 11.350 grüngefärbten Kommentaren nicht nur Forumsgeschichte schrieb. Inzwischen ist der Thread geschlossen, damit unsere Nachkommen auch mal eine Chance haben. Diese werden sie aber nur bekommen, wenn sie gut erzogen werden im Umgang mit digitalen Gütern: Die Frage der Software-Patente ist erst der Anfang. Aus aktuellem Anlass und zur geflissentlichen Werbung für das kommende Sommerrätsel sei dieses kleine Foto hier angetackert mit der patenten Frage, welcher Rechtsstreit dieses Gerät tötete, das hier rechts abgebildet ist. (Nach einem Klick darauf erscheint eine größere Variante.)

*** Nicht alle juristischen Fragen sind klar zu beantworten. Man nehme nur die Entscheidung im Grokster-Verfahren, die bei der Industrie Euphorie auslöste. Dabei gibt es gute Gründe, nach solch einer Entscheidung den Copyright-Wahn zu überdenken, der mit überlangen Fristen die Kultur privatisiert. Der Vorschlag einer Reduktion auf 14 Jahre, die einmal verlängert werden könne, ließ die verarmte Industrie getroffen aufheulen. Auf das Urteil reagierte das Akademikerblatt First Monday mit einer Spezialausgabe zum Thema Musik und Internet, die schnell vergessene Informationen und ältere Aufsätze zu einem kniffligen Thema neu versammelt.

*** Ganz und gar nicht knifflig ist hingegen die Sache mit der Pressefreiheit. Wenn etwa der Südwestfunk eine einfache Beurteilung schreibt, in der es heißt, "Die Technik, die hinter allofmp3.com steckt, ist weiterhin richtungsweisend -- hier können sich ausnahmslos alle anderen Anbieter viele große Scheiben abschneiden", so ist das keine Werbung, wie es die Verbandsvertreter der Musikindustrie glauben machen wollen. Hier ist ganz ohne das Setzen der vieldiskutierten Links die Technik eines Anbieters mit der Technik anderer Firmen verglichen worden. Wenn das im Rahmen der journalistischen Berichterstattung schon nicht mehr erlaubt ist, dann sind wir auf dem besten Wege dabei, unseren Verstand bei der Musikbranche abzugeben. Vor vielen Jahren schrieb ich einen Text, in dem die von den Fraunhofern entwickelte MP3-Kompression als richtungsweisend bezeichnet wurde. Er erschien ohne Prüfung durch einen Justiziar in einem der schönen Blätter dieses Verlages in der hannoverschen Tiefebene. Heute ist das undenkbar. So weit ist das Umdenken schon gekommen.

*** Einen anderen Angriff auf die Pressefreiheit möchte ich nicht unerwähnt lassen. Am Mittwoch hat in den USA die Beugehaft der Journalistin Judith Miller begonnen. Für einen anderen Journalisten kann hier nur noch die letzte Feder geknickt werden. Im Alter von 90 Jahren starb Heinrich Schirmbeck, der sich gegen die Wiederbewaffnung, den NATO-Doppelbeschluss und die Irak-Kriege engagierte. Im Jahre 1957 schrieb er den heute kaum noch lesbaren Roman "Ärgert dich dein rechtes Auge", einen der ersten Versuche, den Einfluss der Computertechnik literarisch zu verarbeiten. Gestorben ist auch Peter Boenisch, den andere für einen großen Journalisten halten.

Was wird.

Lang war er angekündigt, der auf dem Ticket aufgedruckte Fingerabdruck der Lufthansa für das Boarding von Passagieren, die in unsicheren Ländern einsteigen, nur um dann in Frankfurt umzusteigen. Nun türmen sich die Bedenken, obwohl die Tickets nach dem biometrisch abgesicherten Betreten des Flugzeugs vernichtet werden sollen. Warum eigentlich? Gute Minutiae von Fingerabdrucken kann man nie genug haben, wenn man sich für biometrische Reisepässe entscheidet. Ein besonderes Kabinettstückchen zeigte dabei diesmal nicht der dem Vertrauen misstrauende Kanzler Schröder, sondern der Bundesrat mit seinem Zutrauen, dass die unausgereifte Technik bis zum 1. November perfektioniert sein wird. Ja, das wird was, wenn der Ärger mit den Visagen beginnt. Zumal die Experten sich noch über die Reife beraten werden. Wir sind Bananen-Software gewohnt und werden auch mit Bananen-Pässen leben können.

Ein weiteres interssantes Datum steht mit der Apachecon Europe ins Haus, wo nicht nur die Zukunft der Apache Software Foundation besprochen wird. Grundsatzreferate zur Geschichte der Computer und zur Open Source können in Stuttgart gehört werden, ehe sie in den zahlreichen Blogs auftauchen, die für eine Konferenz dieser Art selbstverständlich sind.

Kein Bock auf Stuttgart? Richtig, Tübingen ist viel schöner. Dort wird in der nächsten Woche am Wilhelm-Schickard-Institut ein kleines, feines Computermuseum eröffnet. Dort finden sich die Geräte, die nötig waren, damit Microsoft eine kleine, profitable Softwarefirma werden konnte. Das bringt mich zu einer weiteren Vorankündigung, dem Start des Sommerrätsels im WWWW. Vier Wochen lang wird hier das Sommerloch mit Rätseln in den verschiedensten Sparten getunnelt, von der Soft- bis zu der Hard- und Wetware. Zum Einstieg in das Spaßspielchen hier links ein Bild, das einerseits auf ein kommendes Ereignis in den Niederlanden hinweist, andererseits erklärt, wie intelligent doch Menschen sind. Die Frage dazu: Aus welchem Material war das "Original"?

Quelle und Links : http://www.heise.de/newsticker/meldung/61538
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 17 Juli, 2005, 05:24
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich -- und wirft zur Feier des Sommers ganz ungewohnte Fragen auf.

Aus irgendeinem ominösen Grund mag das heise-CMS momentan die Bilder in dieser kleinen Wochenschau, in der das Sommerrätsel so hoffnugnsvoll starten sollte, nicht. Bis das -- hoffentlich bald -- korrigiert ist, gibt es die Wochenschau mit Sommerrätsel-Fragen, aber mit Platzhaltern statt der notwendigen Bilder. Möge der Leser die Probleme verzeihen und anhand der Fragen schon in Vorfreude auf das komplette WWWW mit Bildern schwelgen.

Was war.

*** Sommer! Löcher! Rätsel! Ja, es hat ein wenig gedauert mit den Vorbereitungen, doch heute startet das große Hal-Faber-Sommerrätsel in vier Teilen, das uns über diese spezielle bleierne nachrichtenarme Zeit bringen soll. Die Idee zum Rätseln kam mit der Frage, welcher Mensch auf eine alles entscheidende Frage mit "42" antwortete? Doch solche wahrhaft einfachen Fragen haben natürlich nichts in einem Sommerrätsel zu suchen, das in die Abschnitte Hardware, Software, Wetware und 640 Byte "denkwürdige Sätze" gegliedert ist. Zum Auftakt ist die "Hardware" dran. Ursprünglich hatte ich daran gedacht, einfache Fragen zu stellen, die aufmerksame Leser einfach beantworten können. Doch nehmen wir nur eine einfache Frage wie diese hier: "Welches dieser Mädchen hat es nie gegeben: Tanja -- Lara -- Jeanny -- Angela?" Schon ist man hübsch in der Bedroullie. Tanja kennen wir alle, aber was wissen wir schon von Angela? Kann sie überhaupt mit Stöpseln umgehen?

Wenn die Bobos, ähem, die "Multimedia-Entscheider" erklären, lieber Merkels Gemurkse statt Schröders Geeiere an ihrem Planschbecken etragen zu können, so hat das Folgen. Die Pressemitteilung formuliert es so: "Und doch hoffen Internet- und Multimedia-Entscheider auf einen Wechsel, weil schlimmer kann das Gestöpsel nicht werden." Vom Gemurkse über das Geeiere zu Gestöpsel: Vor Fehlschaltungen im Gedankenblitz sind multimediale Entscheider nicht gefeit.

Fragt sich nur, was auf dem nebenstehenden Bild rechts (wie bei den anderen Bildern fördert ein Klick eine vergrößerte Ansicht zu Tage) gestöpselt wird. Wie heißt diese Maschine?

*** Wir sind flexible Menschen und müssen alle einfach mehr stöpseln, schalten und merkeln, dann geht es schon voran. Bayern und Nordrhein-Westfalen machen das vor, bei der Rechtschreibreform wie bei PISA. Nehmen wir nur eine Frage wie diese hier: "Du musst unter Windows ein neu installiertes Programm häufig aufrufen und möchtest einen schnelleren Weg zur Verfügung haben als über das Start-Menü. Was unternimmst du?"
Ja, was unternimmt man eigentlich, wenn die Lernleistung an einem Windows festgenagelt wird, das über ein Start-Menü ausgeschaltet werden muss? Ein klarer Fall für die deutsche Industrieinitiative D21, die sozial Schwache auf einem Bildungsrad im Internet strampeln lassen will, bis der Besenwagen kommt.

Damit ist gleich die nächste Frage auf dem Tapet, gewissermaßen von der Initiative D21 gestiftet: Welches Bildungsrad wird hier auf dem Bild links gedreht?


*** Ganz ohne Super-Terrordatenbank und extremer Langzeit-Speicherung von Verbindungsdaten haben die britischen Behörden mit den probaten Mitteln der Kriminalistik und der Aufzeichnungen aus den Überwachungskameras die Selbstmordattentäter identifiziert. Das Grauen ist damit größer geworden, denn die Theorie, dass feste Grenzen, Bio-Pässe und große Datenbanken ein Bollwerk gegen Al Kaida sind, kann entsorgt werden. Die Attentäter waren Briten, umgeben von guten britischen Staatsbürgern, die Sache ist einfach hip. War da zuvor ein Hilfeschrei? Wir wissen es nicht. Es mag verdreht vorkommen, aber die Diskussion in Großbritannien erinnert mich an einen Satz, den der Staranwalt der Open Source, Lawrence Lessig über seine Jugendzeit als missbrauchter Chorjunge zu Protokoll gab. "Das wahre Böse ist nicht der Hitler. Das Böse sind die guten Deutschen. Das Böse sind all die Menschen, die nur einen verdammten Telefonhörer nehmen mussten und die Sache hätten stoppen können."

Zu diesem Thema eine Frage zu stellen, erscheint verboten, und dennoch: Ist dies auf dem Bild rechts ein Werkzeug des Terrors?

*** Vor 60 Jahren, als die Menschen noch in klobige Handy-Talkies sprachen, wurde die erste Atombombe gezündet. Mit ihr begann das nukleare Wettrüsten, bei dem mittlerweile auch Länder wie Pakistan, Iran und Nordkorea teilnehmen.
Immer noch hat der Mensch alle Chancen, sich schnell von dieser Erde zu verabschieden, natürlich in einer Allianz aller Gutwilligen. Noch ist keine Bombe bei eBay oder Amazon zu haben, die in ihrer Geburtstagslaune alles Mögliche verhökern. Nur unsere Nachfolger sind schon zu haben. Sie sehen so doof aus, als müssten sie mit Bananen wie der nebenstehenden gefüttert werden.

Aber halt, die Frage steht noch aus. Die Banane auf dem Bild links war eine Vorstudie zu welchem Gerät?

*** Heute vor 50 Jahren -- wir tasten uns an die Gegenwart heran -- eröffnete das erste Disneyland seine Pforten für besonders prominente Besucher wie den Kapitalistenhasser Chrustchow. Passend zum Jubiläum fängt die Firma Disney an, ihren Besuchern auf die Finger zu schauen. Wie beruhigend, wenn Offizielle erklären, es würden keine kompletten Abdrucke, sondern nur die Minutiae genommen.
Zur eindeutigen Identifizierung, zur Speicherung für künftige Erkenntniszwecke reicht das völlig aus. Und nein, Kinder sind nicht betroffen, schließlich soll die Kindheit eine Zeit der Unschuld sein.

Hier auf dem Bild rechts spielt ein Kind mit einem Prototyp. Es ist die Vorstudie zu welchem Gerät?


*** Lange ist es her, dass in diesem Wochenrückblick Shakespeare bemüht wurde. Zu mühsam schleppte sich die Prozessgeschichte von SCO über die Ebenen, als dass sie vom großen Barden kommentiert werden musste. Nun aber ist es an der Zeit, zu seinen Werken zu greifen: "Wer den Leuten alles glauben will, was sie sagen, dem hilft nicht die Hälfte von dem, was sie tun." Mit der neuesten Veröffentlichung einer E-Mail steht SCO mit rauchenden Colts da, sieht aber nicht besonders überzeugend aus. Daran ändert auch ein von SCO hastig nachgeschobenes Memorandum nichts, das drei Jahre vor der besagten E-Mail verfasst wurde. In ihm gibt der beauftragte Experte eine erste Übersicht über zahlreiche Dateien, die geklauten Code enthalten sollen.
Und so sehen wir, dass die unendliche Geschichte eine unendliche Vorgeschichte hat, denn die Expertise des Experten speist sich aus seiner Arbeit an Coherent Unix.

Das bringt mich zu der schönen Frage, welches SCO-Programm diese Lochkarten hier auf dem Bild links abarbeitet bzw. welcher Computer hier gefüttert wird.


Was wird.

Für Diskussionsstoff sorgte die Meldung, nach der das viertägige Freilufttreffen What the Hack 150 Euro Eintritt kosten soll.
Enthalten sind bierzeltartig geschützte Vorträge, Strom und LAN, alles Dinge, die offenbar frei im Sinne von Freibier sein sollen. Zum Vergleich: Die ebenfalls bald startende Apachecon kostet 869 Euro; für 179 darf man gerade einmal einen halben Tag lang bei den Arbeitssitzungen zuhören. Selbst das Party-Ticket kostet noch 99 Euro. Gratis kommt also nichts, nicht einmal diese Wochenschau. Die Spannung steigt indes, mit welchem Betriebssystem die Duschen in der niederländischen Tiefebene geliefert werden.

Als Frage bleibt nur noch übrig, wie hier auf dem Bild rechts geduscht wird.


Ein weiteres Sommercamp für Nerden und Nerdinnen findet etwas entfernt in Kansas statt, wo sich die Fans der richtigen Apples treffen. Sehnsüchtig warten sie immer noch auf die Anycard, die bislang größte Vaporware aller Zeiten. Mit feinsten Goldkontakten und vielen Mess-Ausgängen soll auch die deutsche Bastelcard auf dem Fest ihr Debüt haben, komplett mit ROM-Disk, RAM-Speicher, IDE- und WLAN-Anschluss. Doch warten wir es ab, denn Vaporware gibt es genug.

Die vorvorletzte Rätselfrage ist darum ganz einfach. Welche Firma machte sich mit welcher, auf der verlinkten Übersicht zu findenden Karte über welche Vaporware lustig?

Als nächste große Messe wirft die Berliner Funkausstellung bereits ihre Schatten mit allerlei neckischen Meldungen. Die lustigste Meldung ist allerdings eine Spekulation. Sie basiert auf der bereits bekannten Tatsache, dass Intel im Verein mit Apple die größte Ausstellungsfläche der IFA 2005 angemietet hat. Was dort zu sehen sein wird, dürfte nichts weniger als der iTunes Movie Store und das Digital Home sein, das Intel wie Apple so gerne erwähnen.

Der Blick nach vorn geht auch zurück: Welches Wohnzimmergerät aus dem Jahre 1995 ist hier auf dem Bild links zu sehen und warum scheiterte es?

Sommer! Sonne! Sand und Meer! Wellen wappen! Zu einem guten, zum richtigen Sommer passenden Schluss gehört ein solider Computer, mithin das Gegenteil aller Vaporware.

Und wie lang lief der auf dem Bild rechts zu sehende?

Quelle und Links : http://www.heise.de/newsticker/meldung/61771
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 18 Juli, 2005, 19:11
Der erste Teil des Sommerrätsels ist gelaufen. Dabei habe ich gelernt, dass Finagles Gesetz seine Gültigkeit hat. Alles, was schief gehen kann, wird schief gehen. Tief im Innern der MySQL-Datenbank rumpelte es mit der Folge, dass das WWWW nicht erschien. Eilends von lustigen Partys wegtelefonierte Wizards brachten dann zwar das WWWW heraus, doch ohne die Bilder des Sommerrätsels. Ich fühlte mich wie die Techniker der NASA, die den Start der Discovery abbrechen mussten, weil ein Tanksensor einen falschen Füllstand meldete. Kam hier etwa aus Sparsamkeit die Sensortechnik bekannter Druckerhersteller zum Zuge?

Was war wirklich wahr.

Dann aber kamen sie, die Bilder -- und fast noch schneller die Lösungen zu den Fragen. Noch im reinen Textmodus wurde als Antwort auf die letzte Frage die gute alte "42" aus dem Anhalter bemüht, Das war leider falsch. Abgebildet ist der englische Tidenrechner (das wurde mit Bild richtig erkannt) "The Great Brass Brain", der von 1914 bis 1966 im Einsatz war, also 52 Jahre lang. Übrigens wurde auch nach "42" gefragt, aber als Antwort eines Menschen. Diese Antwort stammt aus dem Jahre 1965 von einer Pressekonferenz, auf der Bob Dylan gefragt wurde, wie viele Protestsänger es auf der Welt gibt.

Am schnellsten wurde die Herkunft des Rechners gelüftet, der 1995 auf der Berliner Funkausstellung Premiere hatte. Der Woody PD von Panasonic wurde zwar gefunden, doch warum das Gerät scheiterte, darüber gab es keine Auskunft. Urbane Mythen machen einen obzönen Nebenklang verantwortlich, doch war es offenbar das proprietäre PD-Laufwerk, das Woody floppen ließ. Es konnte neben CD-ROM besondere PD-Scheiben mit 640 Megabyte Kapazität lesen und beschreiben. Sie waren zu fehleranfällig,

Vor dem Woody wurde nach einer Firma gefragt, die sich über Vaporware lustig macht. Die eigentlich einfachste Frage erwies sich als die härteste Ratenuss. Intel war die Firma, die sich in ihren Anzeigen für das Above Board 286 über das (kürzlich beerdigte) OS/2 lustig machte. Ein Beweis sei nachgeliefert mit dem nebenstehenden Scan, der sich mittels Klick zu einer vergrößeren Ansicht öffnen lässt.

Zu den bizarren Duschideen der Forumsleser gesellte sich ein Foto, mit dem die Firma Electrolux vor einiger Zeit die Zukunft der Sauberkeit visionär beschrieb. Geduscht wird trocken im Sitzen auf dem W?C in einem Ionenstrom, der praktischerweiese auch die durchgewirbelte Wäsche reinigt.

Souverän erkannten Leser auch die Lochkarten eines Jacquard-Webstuhls, passend zur unendlichen Geschichte der Firma SCO. Ob diese an dem abgebildeten Programm Rechte geltend macht, ist nicht bekannt: Es ist ein Programm, mit dem die rotgrauen Militärdecken im Königreich Hannover gewebt wurden. Mit den Webstühlen kamen Babbage und Lovelace auf die Ideen, strukturierte Rechenanweisungen zu verfassen. Die Kunst kam später darauf zurück.

Selbst das Bild eines Kindes, das mit einem Prototypen von Nokias Spielehandy N-Gage experimentiert, war schneller entschlüsselt worden als gedacht.

Etwas länger hielt man sich bei der Banane auf, doch Motorolas erstes Mobiltelefon, das offiziell "Dynamic Adaptive Total Area Coverage" getaufte DynaTAC wurde auch gefunden. Die ursprüngliche Bananenform wurde absichtlich in ein kantiges und klobiges "solides" Design verwandelt.

Auch ein Volltreffer beim Taschenbüro, das in Großbritannien zu Werbezwecken von Heineken verteilt wurde. Das abgebildete Exemplar stammt aus dem Frankfurter Design-Museum und wird dort als erste mobile Office-Lösung bestaunt.

Das Bildungsrad im Foto kann uns nicht aus der bundesdeutschen Klemme zwischen PISA und rechts geschriebener Kleinstaaterei befreien. Es ist das Riesenrad, das Stanley Kubrick für den Film "2001 -- Odyssee im Weltraum" für 75.000 Pfund bei Vickers Engineering bauen ließ. In der überdimensionalen Hamsterrolle liefen die Astronauten herum, von mitdrehenden HAL 9000 bestens versorgt.

Als erstes Foto (und letzte Antwort für heute) ist das Elektronium von Raymond Scott aufzulösen, das etwas verdreht gezeigt wurde. Mit diesem Gerät komponierte Scott die erstaunliche Musik zum Werbespot "The Paperwork Explosion", der am Beginn der Geschichte der Textverarbeitung steht.

Nun denn, wie versprochen sind wir sparsam mit den Preisen, daher kann ich mir auch die nächsten Teile des Sommerrätsel leisten -- in der Hoffnung auf weiter gespannte Leser und nicht mehr ihre Gültigkeit zwanghaft unter Beweis stellende Konfusionsgesetze.

Quelle und Links : http://www.heise.de/newsticker/meldung/61801
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 24 Juli, 2005, 05:13
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Buena Vista, Windows: "Wir leben in einer Welt mit immer mehr Informationen, mehr Kommunikationswegen, mehr Möglichkeiten und mehr Aufgaben." Diese komplizierte Welt braucht einen neuen Bundestag und ein einfaches Betriebssystem -- oder ist es etwa andersherum? Die Möglichkeiten und Aufgaben sind in der Tat immer mehr: Während die mit Viagra gefütterte Wolfsburger Arbeiterbewegung mit brasilianischen Sexarbeiterinnen die Globalisierung praktisch auf Hartz und Nieren geprüft hat, scheint Infineon die Großkampfstätte aller Bobos gewesen zu sein. Doch in dieser Welt explodieren nicht nur die Informationen, sondern auch die Bomben, gewissermaßen die Aufkündigung jeglicher Kommunikation. Während diese Zeilen geschrieben werden, steigt die Zahl der Toten in Ägypten. Dieses WWWW ist den unbekannten Opfern gewidmet, in der kleinen Hoffnung, dass aus dem laut proklamierten Krieg gegen den Terror nicht noch der unüberlegte Kulturkrieg wird, den amerikanische wie britische Hardliner jetzt fordern. Ja doch, das Ende ist nah, nicht nur in Washington und London: Glaubt man dem Bundes-Köhler, schlittert dieses Land auf die nahezu unvermeidliche Katastrophe zu, was -- nur von wenigen widersprochen -- auch schon mal Notverordnungen zur Parlamentsauflösung zu rechtfertigen meint. Gleichzeitig feiert die Medienöffentlichkeit die coolen, ach so unaufgeregten Londoner, ihren Politikern aber erscheint vor Aufregung keine Einschränkung der Bürgerrechte undenkbar. Da muss man doch noch einmal festhalten: Kompliziert ist sie, die Sicht auf die neue Welt, komplizierter als uns alle Politiker weismachen wollen, ja gar so kompliziert, dass kein Betriebssystem "Klarheit in die täglichen Abläufe bringen kann". Mir würde es schon reichen, wenn von einem System statt Klarheit Virenfreiheit gebracht wird.

Der ganze Artikel (http://www.heise.de/newsticker/meldung/62011)

Quelle : www.heise.de
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 25 Juli, 2005, 20:05
Wirklich niemand konnte bei der Konzeption des Sommerrätsels ahnen, dass der Sommer so mit Wahltran aufgefüllt wird und sich selbst Microsofts Erklärung des Namens Windows Vista liest wie die Wahlprogramme großer deutscher Parteien: "Wir leben in einer Welt mit immer mehr Informationen, mehr Kommunikationswegen, mehr Möglichkeiten und mehr Aufgaben." Immerhin hatten die Leser genug Möglichkeiten und Kommunikationswege, den "persönlichen" Teil des Sommerrätsels zu lösen.

Was war wirklich wahr.

 Dabei wurde die Hälfte der Aufgaben mit Bravour gelöst, ja man könnte sogar wahlkampftechnisch von der Mehrheit der Aufgaben schreiben, weil das letzte Rätsel etwas unfair ausfiel. Es zeigt die junge Celeste Torvalds an einem Linux-Rechner in einer Aufnahme von Jon "Maddog" Hall. Im Fundus der Rätselfotos war ursprünglich eine Aufnahme vorgesehen, in der Hall, der für die Torvalds-Kinder der Opa ist, mit den Kindern, Puppen und Bauklötzen spielt. Die Aufnahme entstand öffentlich in Las Vegas auf einer Comdex, als Linus Torvalds seinen großen Auftritt hatte, doch wurde es als privates Bild von der Familie nicht zur Veröffentlichung freigegeben.

In Anbetracht der Tatsache, dass Admiral Grace Hopper oder Ada Lovelace überall mit immer denselben Bildern zu leicht für ein Rätsel sind und es keine Fotos der ersten deutschen Programmiererin Ursula Hebekeuser im Internet gibt, wurde mit der ersten Frage Mina Rees gesucht, die nach dem Zweiten Weltkrieg einen entscheidenden Anteil daran hatte, dass in den USA wie in England große Summen in die Förderung neuer Computerprojekte gesteckt wurden. Damit zählt sie zu den großen Frauen in der Informatik.

Die Cisco-Mitgründerin Sandy Lerner taucht hingegen nicht in der feministischen Geschichte der Informationstechnikerinnen auf. Als Mitbegründerin der Kosmetikfirma Urban Decay und dilletierende Studiotechnikerin der Extraklasse bekannt, wurde die große Verehrerin der frühen englischen Frauenliteratur mit einem Foto vom Sommerfest ihrer Stiftung Chawton House abgebildet. Mal ehrlich: Sandy Lerner, gestützt auf einen Cisco-Router, das wäre doch zu einfach gewesen.

Einfache Rätsel sind es auch, wenn Steve Jobs oder Bill Gates auf Bildern erscheinen. Schwieriger erschien es da, die Leute in der zweiten Reihe zu raten. Aber selbst dann, wenn er eine ulkige VR-Brille namens DynaMac trägt, bereitete es wahren Apple-Freaks keine Probleme, den sich gern versteckenden Michael Spindler zu entdecken. Da war DNS-Miterfinder Paul Mockapetris schon von anderem Kaliber, obwohl das offizielle Firmenfoto der Firma Nominum verwendet wurde, bei der Mockapetris heute Chefentwickler für sichere DNS-Installationen ist. Ein Reinfall auch bei der Amiga-Frage, die auf das Logo der späten Jahre zielte. Hier entschloss sich der deutsche Designer Hartmut Esslinger dazu, ein rotes Karo aus der berühmten BoingBoing-Demo zu nehmen und als i-punkt auf den Namen Amiga zu setzen.

Borlands StarTeam und der Goldsucher Frank Borland, den die Pascal-Firma erfand, weil immer wieder Menschen nach Herrn Borland fragten, war schnell enträtselt. Irritierend war allenfalls die Jahresangabe, die sich auf das angebliche Alter von Pascal bezog. Angeblich darum, weil sich Professor Wirth und seine Assistenten nicht mehr an das Datum erinnern können, an dem der erste Pascal-Compiler auf einer CDC 4600 das erste Programm verarbeitete. Irgendwann im Juni oder Juli 1970 soll dies gewesen sein. Viel präsizer ist da der Ruhm von Victor Noir zu datieren, der im Alter von 22 Jahren erschossen und am 12. Januar 1870 beigesetzt wurde. Seitdem ist er Schutzpatron der Journalisten -- und sein Grab eine Pigerstätte eigener Art. Journalismus und Fruchtbarkeitskult. Wo sonst gibt es diese Kombination?

Ohne große Probleme wurde auch Jamie Zawinski erraten, wie er das Mozilla-Projekt den zweifelnden Journalisten am Netscape Strategy Day erklärt. Zuvor hatten die elegant in Schwarz gekleideten Herren Andreessen, Barksdale und Doerr (ein Venture-Kapitalist) uns Versammelten mit schicken Powerpoint-Folien erklärt, dass Netscape künftig Millionen-Geschäfte als Spezialfirma für Portale machen werde. Portale waren 1998 das Buzzword der Saison. Dann trat in einem anderen Raum das Mozilla-Team an die Tafel, wie hier oben rechts Bild zu sehen. "Wenigstens hätten sie sich richtig anziehen können, wenn sie schon so einen Unsinn wie Open Source präsentieren", schrieb eine Journalistin damals.

Quelle und Links : http://www.heise.de/newsticker/meldung/62060
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 31 Juli, 2005, 02:19
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Die Presse ist frei, über Unrecht zu berichten. Doch einen Link dorthin zu setzen, wo Unrecht geschieht, ist unrecht. So hat das Oberlandesgericht München in tiefer Sorge um die Überlebensfähigkeit der Unterhaltungsindustrie entschieden. Während beide Seiten ihre Auslagen tragen, freut sich die Suchmaschinenindustrie über die neue Bestandsgarantie. Denn sie braucht sich nicht darum zu kümmern, ob bei einem Portal Unrecht geschicht. Sie hat Bots am Laufen, die können mitunter nackige und angezogene Menschen unterscheiden, aber beim Unrecht, da müssen sie kapitulieren. Selbst vernunftbegabten Menschen fällt die Definition des Unrechts schwer, das müssen sie dem Oberlandesgericht München überlassen. Vielleicht brauchen wir eine Oberlandesgerichtliche Unrechts-Suchmaschine, einen bayerischen Assoziationsblaster, der All of Unrecht findet, von einer russischen, dort legalen MP3-Seite bis zu den Portalen, die die touristischen Vorzüge von Guantanamao für islamische Pilger schildern.

*** Ja, die Suchmaschinen jubeln. Schließlich muss es für flüchtige Leser einen Weg geben, aufgeschreckt aus der Lektüre eine Website wie datarententionisnosolution.com zu finden, um nur eine der prominenten Web-Zugänge dieser Woche zu nennen. Links führen uns sonst direkt in das Unrecht, ins Un-WWW. Aber diese Haltung ist nicht nur bei dem musik- und filmproduzierenden Zweig der Unterhaltungsindustrie zu finden. Auch die um ihre Meinungsfreiheit besorgte Presse, allerdings nicht der kleine Verlag in der großen norddeutschen Tiefebene, war einstmals schwer gegen Links eingestellt. Da wir immer noch das Sommerloch bekämpfen, obwohl die Nachrichten nur so fluten und flutschen, kommt gleich die erste Frage vom dritten Teil unseres kleinen Sommerrätsels. Passend zum Urteil geht es heute ohne Links, ohne Fotos nur um Text. Während Bravo unser Wissen über Tampons testet, wird hier in ASCII gerätselt. Sollte beim Lösen der Fragen eine Suchmaschine geprügelt werden, ist das natürlich quiekendes Unrecht!

Alles hat einmal angefangen. Einmal wollte eine moderne Marketingagentur eine Anzeige in allen überregionalen deutschen Tageszeitungen schalten, in der die Webadresse genannt wurde. Dieser gedruckte Link wurde von allen Tageszeitungen "aus begründetem Eigeninteresse" oder "aus grundsätzlichen Erwägungen über die Natur des Computermediums" von den Anzeigenabteilungen unisono abgelehnt. Die Zeitung mit den klugen Köpfen schrieb beispielsweise:
"Wir betrachten Stellenangebote mit Hinweisen auf Internetabfragen als prinzipiell geschäftsschädigend. Wir bitten um ihr Verständnis, dass wir Ihre Stellenanzeigen nicht veröffentlichen."

Die Frage: Aus welchem Jahr stammt die unrechtmäßige Abdruckverweigerung?


*** Nun gibt es Webseiten, auf denen kein Unrecht geschieht, sondern die ausführlich dokumentieren, wie ein Rechtssystem arbeitet. Was macht wohl ein Münchener Oberlandesgericht, wenn es auf eine Website wie Groklaw trifft, die jeden Winkelzug der Advokaten aller beteiligten Parteien dokumentiert, dass jedem Besucher klar wird, welche Posse da mit dem Recht getrieben wird. Wenn die sensibel auf Unrecht reagierende Firma SCO erklärt, dass sie im Falle einer Niederlage aus dem Geschäft gehen, dann nötigen die neuen Darstellungen von Novell über das Geschäftsgebahren von SCO kaum jemanden zu mehr als einem Schulterzucken. Es ist nicht Unrecht, das Gesetz auszutricksen, aber hart daneben.

Das bringt mich zur nächsten Frage: SCO ist under anderem eine geopolitische Abkürzung. Wofür?

*** Eine gelungene Lektion über die Dialektik von Recht und Unrecht bildet die Rechtschreibreform, die von einigen Bundesländern nicht anerkannt wird, weil sie großes Unrecht am deutschen Lehrer verübt. Tatsächlich unterliegt das Jahrhundertwerk nicht dem Willen der Politiker, aber auch die Sprachwissenschaftler schrumpfen zu Zwergen, die auf den Schultern eines Riesen stehen und der heißt MS-Word. Geschrieben wird so, dass Word nicht meckert, hat ein Volkswirtschaftler entdeckt. Ist das nicht Klasse, wenn in der Politik eine offene Diskussion geführt wird, in der Realität aber eine geschlossene Software einer schlauen Firma das Regiment führt. Als bei der Untersuchung von frauenfeindlichen Word-Vorschlägen bekannt wurde, dass der deutsche Thesaurus von Microsoft in Kanada eingekauft wurde, war die Aufregung groß, doch das ist lange her.

Und hier die Frage: Mit welcher deutschen Übersetzung lag IBM, die Mutter aller Kugelköpfe, total daneben?

*** Wenn diese Kolumne erscheint, geht gerade ein kleines Computerfestival zu Ende. Nein, die Rede ist nicht von einem im Matsch versinkenden Hackertreff, sondern von den Vintage-Fans, für die ein noch so poetischer Amiga 1000 ein junges Gespons ist. So ein Urteil ist natürlich auch ein Unrecht, denn es wird mit der Überzeugung der Altvorderen ausgesprochen, auf die die Jüngeren nur ironisch fragen können, ob es nett war, im Krieg, damals.

Die nächste Frage geht darum nicht zurück bis zur ersten Fehlermeldung, die ein Computer von sich gab, aber schon ein bisschen in die Vergangenheit. Welche der folgenden Anweisungen stammt aus einem Spiel? Und welches Spiel mit welcher Situation ist gemeint?
fire phasers 5 times
put card in slot


*** Verweilen wir, ganz kurz nur, im Gedenken an Albert Mangelsdorff, dem großen deutschen Jazzer, der der Posaune zu ihrem Recht in den Bands verhalf und den deutschen Jazz von der Swing-Seligkeit der Nachkriegszeit befreite, ohne das genialische Rabaukentum eines Peter Brötzmann gleich zur alleinseligmachenden Alternative zu erheben. Dem freischwebenden Künstler jedenfalls wäre es recht gewesen, wenn hier nun die nächste Frage auf dem Fuße folgt:

Woher stammt der folgende Dialog?
"Bruno, was ist Leben?" "Unterprogramm dreidreinull. Was ist der Sinn des Universums? Zerbrich dir nicht dein Köpfchen über solche Probleme. Ende dreidreinull."


*** Kein Admin sollte sich eigentlich das Köpfchen über Cisco-Hardware zerbrechen. Sie ist da. Sie war da -- siehe Sandy Lerner vom letzten Sommerrätsel -- und sie wird da sein, wenn längst die Cyborgs die Erde beherrschen. Nun hat es David vs. Goliath, Version 111111111.99 gegeben, aber Michael Lynn erscheint gerupft, doch ungebrochen. Liebe Admins, feiert schön den Sysadmin Day, aber zerbrecht nicht eure schlauen Köpfchen. Für die leitenden Manager bei Cisco aber habe ich zum Thema Security durch Obscurity ein noch schöneres Zitat parat, als das in der nämlichen Frage: "Mann kann seinen Kopf in den Sand stecken, aber dann ist der Arsch in der Luft."

*** Achja, das Unrecht. Die Verfassungsrichter haben gesprochen, die Datenschützer fühlen sich bestätigt und die PolitikerInnen tun die Sache als Missverständnis ab und trompeten herum, dass alles besser, enger und dichter gemacht wird. Das Gelalle von den Synergieeffekten, dass die Bobos geradezu trällern konnten, nennt sich inzwischen Politik. Wir schicken die Bundeswehr ins Inland, schmeißen die Datenbanken zusammen, setzen den Geheimdienst neben die Verkehrsstreife und haben in Nullkommanichts (0,0) die Terroristen gefangen. Wir schaffen das gigantische deutsche Rendezvous-Programm, in dem der gläserne Bürger noch durchsichtiger wird, bis sein Datenschatten realer ist als sein Zellhaufen. Das ist kein Unrecht, bitteschön, das ist das schlichtes Data Mining mit Minen, die dem Staat gehören.

Die Rätselfrage ist freilich nicht ganz so bitter, wenngleich sie einstmals Gesprächsstoff ohne Ende lieferte: Was verstand man unter einem Rendezvous-Programm? Auf welchem Computer lief das Programm?

Was wird.

Was war, was wird wird mittlerweile schamlos kopiert, was wirklich hübsch ist angesichts der grassierenden Schutzhysterien. Dumme wie kluge Sentenzen gehören der Menschheit. Meistens sind sie dann in der Wikipedia aufgezeichnet, der ärgsten Feindin aller Texträtsel. Das ist einerseits ein billiger Schlenker, um auf die Wikimania hinzuweisen, die ausgerechnet in Bankfurt startet. Andererseits ist es die Gelegenheit, das letzte Rätsel loszuwerden. Denn es gibt viele bekannte Sätze in der Computerei, die ihren Witz aus der Gegenwartsgläubigkeit ihrer Sprecher beziehen und fast alle finden sich in der Wikipedia. Nehmen wir nur den Satz, dass die Welt drei oder vier Computer braucht oder die Feststellung, dass 640 KB Speicher genug für jedermann ist. Oder den ebenso bekannten Satz, dass Computer nutzlos sind, weil sie uns nur Antworten geben.

Einen weiteren, ziemlich berühmten Satz sagte ein Firmenlenker in einem Interview, in dem er auch diesen Satz von sich gab: "Ich bin nicht fähig, mir nach der Gebrauchsweisung im Mikrowellenherd unserer Firma eine Tasse Kaffe zu machen." Von wem ist die Rede?

Quelle und Links : http://www.heise.de/newsticker/meldung/62299
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 01 August, 2005, 19:07
Mit Texträtseln gegen den Akronymfinder, Google und Wikipedia anzugehen, das erschien ein verwegenes Unterfangen. Im dritten Teil des Sommerrätsels wurde denn auch all das in Windeseile erraten, was über die bekannten Helferlein zu erfahren war.


Was war wirklich wahr.

So fand ein Leser über Google mit dem ausgesprochen hübschen deutschen Wort "Futterneid" über diese Website heraus, dass FAZ und andere Tageszeitungen im Sommer 1995 eine Anzeige der damals Lüttgen & Scholt heißenden Agentur aus Leverkusen ablehnten, die neben dem Text "Join the Virtual Company" mit lus.com die Webadresse der Agentur enthielt. So sah das Unrecht vor zehn Jahren aus, ohne Links. Ob in zehn Jahren jemand weiß, welches Unrecht ein Link auf eine russische Website einmal darstellte, die All of MP3 im Angebot hatte? Aber vielleicht steht in zehn Jahren auch wieder die Mauer, wie sie es bei Red Hat vorwegnehmen.

Als ausgesprochen schwach erwies sich die zweite Frage nach dem SCO-Kürzel, die prompt richtig mit der Shanghai Corporation Organization beantwortet wurde. Auch IBMs lustige Tat, die zu den Kugelkopfschreibmaschinen konkurrierenden Typenradsysteme, die Daisywheel-Printer bis zum Jahre 1981 eins zu eins als Gänseblümchendrucker zu übersetzen, wurde korrekt beantwortet. Ganz nebenbei mit einer hübschen Kollektion weiterer sprachlicher Abstrusitäten, von den Blinkenlichten über die serielle Zeigereinheit bis zu dem schlichtweg genialischen Ausdruck "kein Weltraum links vom Gerät" für "no space left on device".

Bei der vierten Frage, die ähnlich komische Sätze zum Inhalt hatte, muss ich Abbitte leisten. Natürlich wurde sofort erkannt, dass die "fire phasers 5 times" zu Novells Netware gehören, wobei "5 times" übrigens üblicherweise den Freitagen vorbehalten blieb. An anderen Tagen wurde nur zweimal gefeuert. Mit "put card in slot" sollte eigentlich an Ultima I erinnert werden, wo die fiese Anweisung zum ersten Male auftauchte, doch haben auch die Leser Recht, die diesen Satz aus anderen Spielen kennen. Damit war die Frage wohl zu schlecht formuliert.

Immerhin blieb Frage 5 ungelöst, vielleicht auch deswegen, weil einige Sätze des Dialoges wegfallen mussten, damit die Sache nicht zu einfach wurde. Hier der vollständige Dialog:

   "Bruno, was ist Leben?" Dr. Bruno Forster, Direktor der Abteilung für Mobile Adaptive Maschinen, nahm im Interesse einer besseren Verständigung bedächtig die Pfeife aus dem Mund. Socrates verstand noch immer rund zwei Prozent gesprochener Worte falsch; mit der Pfeife wurden es fünf." Unterprogramm dreidreinull", sagte er mit deutlicher Betonung. "Was ist der Sinn des Universums? Zerbrich dir nicht dein Köpfchen über solche Probleme. Ende dreidreinull." Socrates schwieg und dachte nach.

Zitiert nach Arthur C. Clarkes Buch 2001 -- Aufbruch zu verlorenen Welten ist dieser im Kubrick-Film weggeschnittene Dialog der Moment, wo der gute Hal anfing, über den Sinn des Lebens zu grübeln. Denn mein Vetter, der alte Computer der Discovery, sollte erst Socrates heißen. Dann wurde er feminisiert und Athena genannt, bis schließlich Hal für passender befunden wurde.

Die sechste Frage blieb ebenfalls ungelöst, weil viele Leser hinter dem Rendezvos-Programm eine Episode aus der menschlichen Raumfahrt vermuteten. Nur ein Einwurf -- "Singlest du noch oder liebst du schon?" -- wies auf die richtige Lösung hin: Das von Professor Johannes Zielinski geschriebene Rendezvous-Programm stand hinter der Aktion "Liebe per Computer" der Zeitschrift Twen, die von 1966 bis 1969 in Westdeutschland stattfand. "Das perfekteste Partnerschaftsspiel, das je ein Team von Soziologen und Computer-Fachleuten ausgearbeitet hat" (Twen) wurde zum Schluss von 100.000 Teilnehmern gespielt und lief auf einem IBM System /360 Modell 40. Jeder Teilnehmer musste eine "Lochkarten- und Briefgebühr" von 4,50 DM entrichten und 75 Fragen beantworten, die auf die Lochkarten übertragen wurden. "Nicht mehr als vier Menschen wissen, wie das Programm genau abläuft. Mehr brauchen es auch nicht zu wissen. twen-Leser und twen-Leserinnen sollten nur wissen, dass eine Computer-Freundschaft eine Freundschaft wie jede andere ist", schrieb das Trendblatt, während die Schülerzeitung "Underground" die Aktion als "Fickpartner per Computer" abwertete.

Dagegen war Ken Olsen und sein Eingeständnis, eine Mikrowelle nicht bedienen zu können, wieder ein Rätsel von der leichten Sorte. Gefallen ist der Satz in einem Interview mit dem Wall Street Journal im Jahre 1986, in dem der DEC-Gründer Olsen Unix als "nützlich wie russische Lastwagen" abqualifizierte. Seine Firma befand sich da bereits im Sinkflug.

Quelle und Links : http://www.heise.de/newsticker/meldung/62347
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 07 August, 2005, 00:32
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Alvarez, Bethe, Bohr, Fermi, Feynman, Lawrence, Morrison, von Neumann. Oppenheimer, Peierls, Rabi, Seaborg, Serber, Serge, Szilard, Teller, Ulam, Weisskopf, Wigner: Hiroshima, Nagasaki. Seit dem 6. August 1945 leben wir in der endgültig letzten Epoche der Menschheit. Ein danach wird es für uns antiquierte Menschen nicht geben. Unsere Uhr läuft ab. Die wahrscheinlich größte Ansammlung von genialischen Forschern brachte uns die Atombombe. "Wir Wissenschaftler hätten eine Wahlmöglichkeit aufzeigen müssen. Das haben wir nicht getan", erklärte später der Vater der Wasserstoffbombe.

Vielleicht hätte eine Demonstration in der Bucht von Tokio gereicht. Aber in Europa war der eine Krieg zu Ende, der andere, der kalte, hatte schon begonnen. Hiroshima und Nagasaki erlebten das Höllenfeuer am Ground Zero, man sprach vom Holocaust an der Zivilbevölkerung. Heute sind die Begriffe weiter gewandert. Ground Zero liegt seit 4 Jahren in New York, vom Holocaust ist dann die Rede, wenn es um die Vernichtung der Juden geht. Und Explosionen finden nur noch im Computer statt. Garantiert. Zing.

Zing?

Der ganze Artikel (http://www.heise.de/newsticker/meldung/62554)

Quelle : www.heise.de
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 08 August, 2005, 20:31
Mit Fragen aus der Welt der Software verabschiedet sich das kleine Sommerrätsel aus der wirren Wochenschau. Schluss ist Schluss, wie ganz am Ende von Ultima I, wenn es heißt "put card in slot".

Was war wirklich wahr.

Doch Traurigkeit gehört sich nicht, denn immer wieder kommen Rätsel auf, um mit Udo Jürgens zu schunkeln. Nehmen wir nur die Fusion des Springer-Verlages mit der ProSieben-Sat.1 AG und das Rätsel, wie Springers Grundsätze gesendet werden, wenn Deutschland den crossmedialen Einheitsbrei bekommt, den Berlusconis Italiener kennen.

Mit dem Rätsel kam erstmals etwas Crossmedia im WWWW auf: Bildausschnitte gab's, weil ein Rätsel gegen Google und die Wikipedia eine Chance haben muss. Töne waren nicht dabei, obwohl es genügend klangvolle Sachen gibt, wie die Lesung des ersten Kapitels von Gates' Magnum Opus auf der "Official Road Ahead CD ROM", von Ballmers Tönen ganz zu schweigen.

Doch die meisten Bilder hatten keine Chance, unerkannt zu bleiben, erst recht in der Abteilung Software. Ausnahmslos alle Bilderrätsel wurden von den Lesern richtig erraten, selbst hingewuselte Skizzen bildeten kein großes Hindernis. Nur die einzige Textfrage blieb diesmal ungelöst: "Welche Softwarefirma verschmolz für eine Schulaktion ihr Logo mit dem einer Partei?" Ein Bild hätte die Sache schnell enträtselt, denn die Hamburger Firma StarDivision setzte ihren Schmetterling in den grünen Baum mit flankierenden Steinsäulen, das Logo von Bündnis 90 / Die Grünen im Hessischen Landtag. Das Ganze passierte im Juli 1996 bei der Aktion "Software für Schulen", als alle Schulen und Volkshochschulen kostenlos mit den Programmen von StarDivision ausgestattet wurden. An Open Office dachte damals niemand und Linux war Randthema der Informatik-Lehrer in den Schulen.

Zing, die Explosion am Ground Zero, stammte aus dem Comic Barfuß durch Hiroshima, der am Wochenende vielerorts erwähnt wurde. Das älteste Software-Programm, notiert in einer viel jüngeren Programmiersprache namens COBOL, entstammt der Ars Magna von Raimundus Lullus, die Anregung dazu aus einem Buch mit dem schönen Titel "Allwissen und Absturz. Der Ursprung des Computers".

Die Programm-Skizze von Framework malte Bob Carr, damals Chef-Programmierer bei Ashton Tate in sein Notizbuch. Die Programmidee hatte er nicht beim vorigen Arbeitgeber Xerox PARC, sondern nach einem Tag an einer Apple Lisa. Anscheinend findet sich das von Microsoft gelöschte Werbe-Video für Office XP mit dem heißen, aber passwortgeschützten Sex im Office auf vielen Webseiten, so dass auch diese Frage keine harte Nuss darstellte.

Vom Starten bis zum Absturz braucht es mitunter nicht sehr lange, nicht nur bei den Computern. Ein Bild aus Compton's Encyclopedia sollte an den Schrecken erinnern, der 1995 die Branche erfasste, als Compton ein sehr weit reichendes Patent veröffentlichte. Wer Bilder, Text und Töne vermischt im Crossmedia-Dress anbot, sollte an Compton Lizenzgebühren zahlen. Das Patent, das CD-ROMs wie Webseiten gleichermaßen betraf, wurde überraschend schnell für null und nichtig erlärt. Von den großen Compton-Plänen blieb am Ende nur ein kleiner Streit um den Namen Explorer übrig, und auch der ist längst Geschichte. Auch der MitzvaMan war schnell gefunden, während der in der Frage angesprochene Skandal Probleme machte. Dafür dauert er noch an: Hagalil wird gerade im Wahlkampf viel gelobt, doch die Fördergelder sind gestrichen worden. Wer sagt hier eigentlich nein?

Die allerletzte Frage galt dem guten Parry, der am neuropsychiatrischen Institut der Universität Kalifornien als KI-Programm entwickelt wurde, um paranoide Denkstrukturen besser verstehen zu können. Parry weist in diesem WWWW auf die Zukunft hin, auf den nächsten Sommer und (vielleicht, so die Heisen-Mächte es zulassen) auf das nächste Sommerrätsel anno 2006: Im Sommer 1956 fand die Darthmouth-Konferenz statt, mit der die Erforschung der Künstlichen Intelligenz im großen Stil gestartet wurde. Mit kleineren Ergebnissen.

Quelle und Links : http://www.heise.de/newsticker/meldung/62593
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 14 August, 2005, 08:23
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Der Sommer ist im Zuge der allgemeinen Sparmaßnahmen abgeschafft; gerätselt werden darf ab sofort nur noch über den nächsten Troll aus der CDU/CSU, der den Osten in ein blühendes Gruselkabinett verwandelt. Wahlzeit ist's, da muss die Wochenschau wohl oder übel mitziehen, auch wenn es nicht sehr viel Sinn macht: Würde man für all die Phrasen, die Politiker auf der Höhe der Zeit frisch von der PolitikerInnenlandverschickung in ihre Blogs dreschen, ein Lemkesches Phrasenschweinchen füttern, hätten wir aus dem Stand weg ein großes Haushaltsloch gestopft. So schnell und effizient, wie man die Rente sichern kann. Dem ganzen Sprachmüll, der aus den nagelneuen Blogs aller Parteien quillt, kann man nur das einzig ehrliche Blog gegenüberstellen, das ebenfalls neu gestartet ist: Ich habe kein Gesetz gebrochen. Wobei, ein Rätsel hätte ich ja noch auf Lager: Gesucht wird die Politikerin, der Politiker, die/der vollumfänglich hinter Hartz IV steht und das auch auf der Straße oder in seinem "heute hat es nicht geregnet-Blog" vollumfänglich vertritt. Wer diese Regelung bloß beschlossen hat?

*** Vor mir liegt ein ca. 80 Seiten dickes Gutachten aus dem Jahre 1986, verfasst vom Chaos Computer Club für die grüne Bundestagsfraktion, die damals ihre erste "Wühlperiode" hinter sich hatten, wie es die damaligen Hacker um Steffen Wernery und Wau Holland bezeichneten. Das als grüner Zweig Nr. 117 veröffentlichte Gutachten, für das der CCC damals die Consultingfirma "Die Hamburger GbR" gegründet hatte, trägt den schlichten Titel "Entwurf einer sozialverträglichen Gestaltungsalternative für den geplanten Computereinsatz der Fraktion 'Die Grünen im Bundestag' unter besonderer Berücksichtigung des geplanten Modellversuchs der Bundestagsverwaltung (PARLAKOM)". Sinnigerweise ist das Gutachten kein Entwurf für einen Computereinsatz, sondern ein Verriss der Arbeit der Grünen, die verkrustet wie eine Universität funktionierten, bei denen die Macher nur eine Textverarbeitung haben wollten. Unter dem Motto "Ohne Netzwerktechnologie keine Basisdemokratie" wurden mit der grünen Zentrale via Mailbox verbundene, mit Computern ausgerüstete Stadtteilmedientreffs und alternative Computerläden vorgeschlagen. Das ISDN-basierte Parlakom-System, eine auf Hicom-Anlagen von Siemens basierte Teletext-Lösung, hielten die Gutachter für eine Sackgasse, empfahlen aber die Nutzung in Krisenzeiten, sollte das Telefonnetz abgeschaltet werden. Bei den Grünen wanderte das Gutachten in die vertikale Ablage. Dies als Vorwort zu einer Wahl, die dermaßen ohne Gestaltungsalternativen daher kommt, dass selbst der CCC die Lust am sonst veröffentlichten Parteienüberlick verloren hat.

*** Die Lust? Die eigentlich Frustrierten sind nicht die Politiker, die sich ein neues Volk wählen wollen. Es sind die Bürger, die des amtsflüchtigen Kanzlers Schröder Rede vom "Erpressungspotenzial" mitsamt Auflösung und Neuwahl für einen ausgemachten Schwindel halten. Die "Dokumentation" der Regierungsunfähigkeit ist dermaßen jammervoll und dürftig, dass man sich als Deutscher für das Verfassungsgericht schämen muss, das diesen Unsinn durchwinken soll. Also wird sich wohl erst die übernächste Wahl den digitalen Fragen stellen, die die Politik bestimmen werden. Patente und Index-Dateien, offenes und geschlossenes Wissen, das alles spielt unter den nach Aufschwung gierenden Politikern keine Rolle. Doch die Cyber-Outlaws von heute sind die Wähler von morgen. Einen Vorgeschmack auf kommende Friktionslinien konnte man in der Diskussion um die Pflichten des Bundesdatenschützers durch den allkompetenten Bundesinnenminister spüren. Wenn Arbeitslose abtelefoniert werden und die Polizei Hooligans die elektronische Gesundheitskarte entzieht, sagt niemand nein. Es folgen die Unfälle nach dem Drogenkonsum in bayerischen Biergärten.

*** Heute vor 60 Jahren endete ganz ohne den gerade überschwenglich gelobten Thomas Mann der II. Weltkrieg. Edith Shain hieß die Krankenschwester, deren Bild vom Kuss mit einem Seemann um die Welt ging. Sie schloss die Augen und ließ es geschehen, den tapferen Männern zuliebe. Aber während die USA auf Wahlen zugehen, haben wir die Wahl bereits hinter uns. Kanzelerin Merkel wird uns nicht in einen Krieg führen, in dem Truppen dauerhaft am Hindukusch und um Bagdad stehen, aber sie wird den Krieg gegen die Islamisten Ernst nehmen. Der sichert die Arbeitsplätze auf Helgoland, wo kaum noch Schiffe anlegen.

*** Die FAZ muss ich im Fall von Baidu noch einmal zitieren, schließlich tischt ihr China-Korrespondent einen schweren Vorwurf auf. Mit dem unrühmlichen Beispiel von Google könnte man freilich die einfache Tatsache konstatieren, dass es keine freie Suchmaschine gibt. Entsprechend tief müssen wir journalistischen Zwerge uns vor Google verneigen. Ab sofort werden alle Google-Mitarbeiter mit dem Ehrentitel Eure Durchsuchlaucht angesprochen werden müssen, sonst folgt die Strafe beim Ranking auf dem Fuße. Die große Bayerin Monika Henzinger ist natürlich ausgenommen, nicht nur deshalb, weil sie den Dienst bei der kalifornischen Gleichschaltungstruppe quittiert hat.

*** Apropos Gleichschaltung. Ganz gewaltig rumort es um den hier bereits erwähnten Kauf der Pro Sieben Sat.1 Media AG durch den Axel Springer Verlag. In die Stimmen, die vor dem Untergang des Abendlandes warnen, mischt sich auch eine bekannte Keule, die einen Journalisten niedertätscheln will. Auf billigste Art, weil Haim Saban als raffgieriger Jude porträtiert sein soll. Natürlich gibt es Blogs, die die schrägen Töne bemerken. Auf der Bettkante geht es züchtiger zu.

*** Ein besonderes Lob geht diese Woche an Microsoft. Diese Firma ist zwar einigen Lesern nicht so sympathisch, sie macht aber im Moment alles richtig. In Brüssel vertritt der Microsoft-Lobbyist Clayland Boyden Gray die Interessen der USA, den selbst die FAZ in der Überschrift als "Undiplomatischer Botschafter" vorstellt. In Zentral-Schottland steigt die Polizei von Linux zurück in die Windows-Welt, die Microsoft für 'nen Appel und Ei angeboten hat. Der Internet Explorer kommt hübsch und frisch daher und nahm im Juli erstmals dem Firefox Marktanteile wieder ab, wenn die Zahlen von NetApplications stimmen. Dann entdeckte man auf den Speicherbändern belastendes Material zum Wechsel von Kai-Fu Lee -- wer an Märchen glaubt, kann hier weiter lesen. Schließlich tauchte, wie erwartet, Apples Betriebssystem auf den doofen Rechenknechten auf, wo nun die direkten Vergleiche gefahren werden können. Das ist auf Apples Seite natürlich Absicht: Wer bei einer mächtigen Maus über 150 MByte Treiberkrams installieren muss, hat sich längst von seiner Plattform verabschiedet. Glückliche Gesichter bei Microsoft, weil sich ein weiteres Argument der Monopoldiskussion entkräftet hat. Dagegen lässt es sich verschmerzen, dass selbst die eigenen Geeks nicht mehr wissen, wann Windows 1.0 erschien.

Was wird.

Während der Wahlkampf auf vollen Touren läuft, kommt die DV-Branche in Europa nur langsam aus dem Sommer zurück. Der erste große Hammelsprung droht erst Anfang September mit der IFA in Berlin, wo Intel die größte Ausstellungsfläche angemietet hat. Gleich danach will Microsoft eine revolutionär neue Roadmap für kleine und mittelständische Unternehmen einführen, die immer noch mit Linux liebäugeln. Zuvor gibt es jedoch im kurzurlaubenden Amerika das Intel Developer Forum, komplett mit der Revolution der Zukunft. Der neue Chip müsste dann eigentlich Delorean heißen.

Während bei Intel noch nichts entschlüsselt ist, ist das angeblich letzte Rätsel um Einstein geknackt worden und soll selbstredend im anbrechenden Herbst nachgekocht werden. Das ist für mich eine wunderbare Gelegenheit, Vorschläge für ein festliches Menü zu sammeln, das am Wahlkampfabend gegessen werden kann -- und dazu hören wir sicher keine wirren Worte des frustrierten Neudeutsch-Pop, sondern legen einen gepflegten Anthony Braxton auf, in der Hoffnung, dass wenigstens die klassische Avantgarde noch ein bisschen den Blick in die Zukunft freilegt. Gegessen aber wird frei nach dem großen Verleihnix: Wer mit Fisch werfen kann, sollte ihn auch zubereiten können. Bitte also nur Vorschläge für reale Gerichte (und zukunftsweisende Begleitmusik): Gefüllter Troll in Linuxsoße wird ignoriert. Und die Herr-der-Ringe-Symphonie ist nicht einmal als Hintergrundgeräusch zugelassen.

Quelle und Links : http://www.heise.de/newsticker/meldung/62791
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 21 August, 2005, 01:22
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** OK, es ist kein besonders rundes Datum. Trotzdem erinnere ich aus gegebenem Anlass an den 21. August 1858, als das erste Wahlkandidaten-Rededuell stattfand, das bei uns immer dann als "amerikanische Tradition" abgewertet wird, wenn es keine großen Unterschiede zwischen Regierung und Opposition gibt. Die größte Aufregung liefert derzeit eine Internet-Auktion der waffenstarrenden FDP. Was kommt noch? Das Guidomobil als Terroristenhobel?

*** Früher war alles anders und sowieso besser. Damals lieferten sich Stephen A. Douglas und Abraham Lincoln eine Redeschlacht beim Kampf um den Einzug in den Senat von Illinois. Ein Blick auf die von Journalisten festgesetzten Regeln: Man traf sich nicht nur einmal, sondern siebenmal. In freier Rede, Manuskripte waren untersagt, legte zuerst ein Kandidat 60 Minuten lang seine Ansichten da, worauf der Gegner 90 Minuten lang antworten durfte. Auf die Antwort gab es wiederum 30 Minuten Zeit für eine Gegenantwort. 1858 war das Hauptthema die Abschaffung oder Beibehaltung der Sklaverei: Douglas gewann und wurde Senator, doch Lincoln schlug ihn 1860 und wurde Präsident der USA, als über diese Frage der Bürgerkrieg ausbrach. Das Publikum soll in diesen 3 Stunden konzentriert zugehört, nur hin und wieder Beifall geschossen haben. Danach wurde geblogpodcastet: die 15 bis 20.000 Zuhörer einer solchen Debatte erzählten, was sie gehört hatten. Und das alles ohne Sabine Christiansen.

*** Im Wahlprogramm der Parteien mit dem großen C wie christlich findet sich nicht das alttestamentarische Auge um Auge. Dies ist eine weltjugendtagsfreie Zone, daher möchte ich nicht die Gemeinsamkeiten mit anderen gerade populären Ausprägungen von G'tt's Gebot hinweisen, dafür aber auf den Grundsatz Straße für Straße. Eine eigene Mautgesellschaft soll gegründet werden, die die Mauteinnahmen ausschließlich in den Straßenbau steckt. Das ist schon interessant, weil es natürlich die Frage aufwirft, was denn mit Toll Collect wird. Hinter den Kulissen der Schiedsverhandlungen dampft und brodelt es. T-Systems wie DaimlerChrysler haben die horrenden Verluste durch den Fehlstart der Maut zwar abgeschrieben, wollen aber keinen müden Cent zu den geforderten 5,1 Milliarden Euro zahlen. Das Angebot an den Staat ist, dass die Bundesaufsicht für den Güterverkehr Toll Collect für 1 symbolischen Euro übernehmen kann. Nach dieser Verstaatlichung muss nur noch ein neuer Käufer gefunden werden. Aus den gewöhnlich gut unterrichteten Kreisen heißt es, wie es am Häppchen-Tisch von gewöhnlich gut hörenden Ohren aufgeschnappt wird, dass IT-Konzerne interessiert seien, schließlich ist der Einstieg in die Maut-Abrechnung die Schlossstraße der Logistik, wenn telemetrische Daten mit verkauft werden dürfen. Es liest sich wie ein verspätetes Hal-Faber-Sommerrätsel, verdient aber auch eine Einordnung unter Witz der Woche. In jedem Fall wird sich Kanzlerin Merkel über die neue Firma freuen, die an die blühenden Landschaften von Ziehvater Kohl erinnert: BAG-Chef Vorrath war einstmals Leiter des Büros von Informatik-Professor Günther Krause, der nicht nur die deutsche Einheit verhandelte, sondern die Autobahnen privatisieren wollte. Politik wird gemacht, es geht voran.

*** Während das neue Yps am Kiosk noch nicht so der richtige Brüller ist, heißt das Gimmick der Woche NPSI oder eben "Nationaler Plan zum Schutz der IT-Infrastrukturen". Mit Plan gegen das Unplanbare, das ergibt nette Perspektiven. Und den Angreifern geht es nicht um Anerkennung in der Hackerszene. Wer immer diesen Satz für seinen Minister geschrieben hat, muss sich am Boden gerollt haben, lachend und zuckend. Wie die Leser des Neuen Deutschland, denen dieser Tage sozialistischer Unsinn geboten wurde: "Die CCC-Hacker galten als kriminell, doch ihr Netzwerk war einzigartig und in gewisser Weise das erste Blog." Wer plagt sich da nicht mit logischen Fragen bei NPSI: Was sollen Firmen, die nicht einmal in der Lage sind, planmäßig erscheinende Microsoft-Updates einzuspielen, mit dieser deutschen Planwirtschaft anfangen?

*** Bisweilen tut es einfach gut, den Kopf auf die Tastatur knallen zu lassen, dass die Ohren sausen, die Lippen bluten. Die Wochenschau möchte den Blick für die Details schärfen, jaja, und dann schicken Leser Sachen wie diesen Bericht über eine Massenhysterie beim Verkauf von älteren Apple-Laptops, die wie Kloschüsseln aussehen. So ein Klatsch hat natürlich nichts in einem seriösen Newsticker zu suchen. Und warum assoziiere ich Kloschüsseln? Wer sich selbst bepinkelt, der braucht so etwas. Im Wochenrückblick sehe ich erst, wie viele über den Vorfall berichtet haben. Es ist alles eine Frage der Perpektive.

*** In der subjektiven Rückschau gilt mein Farewell zwei großen Frauen, die sich nicht mehr leiden müssen. Auch bei Eva Renzi gilt wieder das Gesetz der Perspektive, ob sie Vom Glamourgirl zu unbequemen Kritikerin oder Von der Klosterschülerin zum Playgirl reicht. Konsequent von Anfang bis zum Ende setzte sich die Schauspielerin für eine Aufarbeitung der nationalsozialistischen Terrorherrschaft ein, nannte einen Bundespräsidenten einen "alten Nazi" und handelte sich damit ein jahrelanges Berufsverbot im öffentlich-rechtlichen Fernsehen ein. Eva Renzi kämpfte gegen den Krebs wie Mo Mowlam, die populärste englische Ministerin, die Irland 1998 den ersten Frieden brachte. Sie hatte vorab verfügt: "Wenn Computer über mein Leben bestimmen, schaltet sie ab." Die Ärzte gehorchten.

Was wird.

In London ist ein Brasilianer erschossen worden. Im Kampf gegen den Terrorismus ist das ein Einmann-Kollateralschaden, den sinnigerweise keine einzige Kamera im angeblich besten CCTV-Netz der Welt erfassen konnte. Während der Festungsbau floriert, verschwimmen die Argumente. Und der Tod im Panoptikum muss reichen, die friedlichen Bürger zu disziplinieren. Vor diesem Hintergrund tagt man demnächst in Hamburg und hofft auf viele Interessierte.

Natürlich könnte jetzt an dieser Stelle eine Parade der heißen IFA-Nachrichten folgen, die das traute Heim mit Überwachungs-Lösungen ohne Ende beglückt. Das tut es aber nicht. Stattdessen verweise ich auf eine Tagung der Bundeszentrale für Politische Bildung, die sich am nämlichen Ort die Videoüberwachung vorknüpft.

Im letzten WWWW fragte ich nach dem Menü zum Wahlabend. Dabei dachte ich wahlweise an eine Henkersmahlzeit oder an ein Festmenü der berauschten Gewinner. Heraus kamen politisch gefärbte Menüvorschläge. Als da wären "Grünkohl mit Speck/Wursteinlage, dazu ein Düsselalt" gefolgt von "Himmel und Erde (gebratene Blutwurst und Kartoffelpüree), dazu ein Sion oder Peterskölsch". Wer will mich denn da umbringen? Gibt es überhaupt Leser im Heiseticker, die kochen können? Es muss ja nicht Anthony Bourdain sein, aber besser als der Fraß der Knallchargen, die Gate Gourmet ausräubern, sollte es schon sein. Und wem Anthony Braxton als Begleitmusik zu schwer im Magen liegt, darf sich auch gerne bei den Canzone della Strada bedienen oder etwas Monarchie im Alltag wünschen oder das Essen in die Airports for Light verlegen. Oder, oder ... Es gibt noch gute Musik, auch wenn uns die Musikindustrie anscheinend immer wieder eines Schlechteren belehren will.

Quelle und Links : http://www.heise.de/newsticker/meldung/63027
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 28 August, 2005, 07:13
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Ade Rom. Heute vor 1529 Jahren wurde Orestes von Odoaker gefangen genommen und hingerichtet. Sein Sohn Romulus Augustus, nominell letzter römischer Kaiser, wurde offenbar am Leben gelassen. Das Ende eines Weltreiches war für andere ein Anfang. Ade Rio. Die groß herausposaunte Idee von Diamond Multimedia, dass ein Abspielgerät für MP3-Dateien die Musikindustrie verändern wird, war richtig. Aber erst die Barbaren von Apple setzten das Konzept konsequent um, indem sie keine Rücksicht auf die Musikindustrie nahmen. Eine kleine Parallele zum Ende des römischen Reiches drängt sich freilich erst dann auf, wenn man die Spekulationen über die Zukunft des iPod liest. Dann ist er nicht nur ein hübscher Musikspieler, sondern ein Boot-Device, mit dem Apple eine kostenlose Version seines Betriebssystems auf die PCs dieser Welt verteilen und die Bastion Microsoft schleifen kann. 10 Jahre mit dieser Billigkopie eines Apple-Systems sind demnach mehr als genug und Monopole dazu da, geknackt zu werden. Das entscheidende Argument für den Big Bang, den ultimativen Switch, soll die Virenfreiheit des Systems sein. Sollte die Spekulation stimmen, müsste Microsoft Virenautoren einstellen.

*** Ade Hunter S. Thompson. Am vergangenen Sonntag wurde die Asche des großen Journalisten von Feuerwerksraketen zu den Klängen von Dylans Tambourine Man in den Weltraum geschossen, während die Partygäste vergnügt einen kühlen Drink zu seinem Gedenken leerten. Die einen beschrieben Thompson als Wallraff unter Drogen, die anderen als würdigen Nachfolger von Mark Twain. Was er schrieb, wurde Gonzo-Journalismus getauft, was, ich wiederhole mich, eine bislang nicht mehr erreichte Kunstform ist. Ein weiterer Provokateur dieser schweren Kunst ist nicht mehr unter uns: Ade Peter Glotz, Theoretiker des digitalen Kapitalismus. Auf dem Höhepunkt des Dotcom-Trips veröffentlichte er sein großes Werk über die beschleunigte Gesellschaft, in dem seine Sätze über die Digitalisierung bis heute unvergessen sind. Für sie kassierte Glotz die Beschimpfung Sozialdarwinist: "Die Menschen werden sich an die Digitalisierung anpassen, sich mit Lust oder Unlust anpassen. Es ist gleichgültig, ob sie es mit Freude oder mit Angst tun werden." Mit Lust oder Unlust? Na dann: Willkommen Brian Eno. Der relaxte, abgeklärte Elektronik-Pop seines jüngsten Albums zeugt von lustvoller Digitalisierung. Just another day on earth, genau so ist es.

*** An noch einem anderen Tag auf dieser Erde kamen von Peter Glotz die SPD-Ideen zur Erhebung von Studiengebühren und zur Schaffung von Elite-Universitäten, auch arbeitete er in der Kapitalisten-Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft mit. Über die affige Luxus-Debatte in persona Oskar Lafontaine hätte er herzlich gelacht. Er räsonnierte gerne über die Architektur "seiner" Universitäten, ob Erfurt oder St. Gallen. In seinem Sinne ist der einzige Artikel verfasst, der den Kern des Pudels nennt: Gute Villa, schlechte Villa. Am 9. September wird Peter Glotz' Buch über die Vertreibung aus dem Sudetenland erscheinen. Ich erwähne es hier, weil der tschechische Ministerpräsident Jiri Paroubek in dieser Woche den Kampf der sudetendeutschen Antifaschisten geehrt hat. Die gesamte ostdeutsche Geschichte darf nicht den Vertriebenenverbänden und ihren verdrehten Erinnerungen überlassen bleiben. Denn sonst entsteht wieder blanker Hass, wenn Istvan Martins Job bekommt. Das lenkt ab, vom digitalen Kapitalismus der überall Pressbaren, der Anpassbaren.

*** Während jeder Schritt von Google, Amazon oder Yahoo in den Tickermeldungen kommentiert wird, blieb es beim Start des Beta-Tests von Alonovo verdächtig ruhig. Die Idee, den Umweltschutz oder den Umgang mit Minderheiten und Gewerkschaftern beim Kauf eines Produktes zu berücksichtigen, hat im digitalen Kapitalismus etwas Weltfremdes. Viel lieber wird da über den coolen Versuch einer Partei berichtet, die Werbezeit auf eBay zu verkaufen. Nicht weit davon entfernt (aber von eBay entfernt) sind die Angebote, die eigene Wählerstimme an den Meistbietenden zu verkaufen. Doch gleichzeitig erntet der kleine Verlag, der diese Wochenschau ins Web stemmt, Kritik für den Versuch, die Parteiprogramme der wichtigen Parteien unter die Lupe zu nehmen. Wobei die Aktion richtig Stress bereitet, weil "Die Linkspartei.PDS" zur Stunde noch in Neukölln/Berlin am Wahlprogramm feilt. Das ist der wahre Luxus. Wobei mich am meisten die Forumsbeiträge wundern, die wieder und wieder auf die APPD eingehen. Hat denn niemand Verständnis für die Christliche Mitte, die mit der Forderung nach bezahlten Medienarbeitern im Internet die Plattform aller Blogger sein müsste?

*** Ich fände es übrigens passend, wenn Herr Schröder und Herr Bush zusammen den Friedensnobelpreis bekommen, für den Weitblick, den sie da an den Tag legen. Auf ihre Weise agieren beide nach dem kaputten Mechanismus, der heute für Politik gehalten wird. Wer meint, dass Angela Merkel eine neue Qualität in die abgekarteten Spiele bringen wird, hat Margaret Tatcher nicht erlebt. Für den Rest tue ich die überall zur Wahl antretenden Blogger Einfach mal lassen und frage einfach Hallo Welt? Noch ganz dicht? Ach ja, es war wieder just another day on earth, ein Tag, an dem man an der Bushaltestelle wieder vorsichtig seine Worte wägte -- terrorverdächtig wird man heutzutage schneller als man einen Bus besteigen kann, und Terrorfahndungen enden auch in Westeuropa dieser Tage gerne einmal mit dem finalen Fangschuss bei angeblich unvorsichtigen Bewegungen.

Was wird.

Ich gebe gerne zu, dass mich erst Hunter S. Thompson darauf gebracht hat, dass die nächste Woche mit den Burning Man beginnt, ein Festival der radikalen Selbstverwirklichung. Dabei ist man übrigens bemerkenswert nahe an der Wirklichkeit.

In Deutschland geht es etwas nüchterner zu, wenn in Kiel die Sommerakademie der Datenschützer das Thema "datenschutzgerechtes eGovernment" seziert. Unter der Woche hatten die Schützer bereits eine Meldung zum korrekten Datenschutz in Dokumentenmanagment-Systemen veröffentlicht, die ohne Resonanz blieb. Wer kümmert sich schon groß um die Dokumente?

Zoomen wir das Zeitfenster etwas auf, so lauert die IFA in Berlin mit diesem rothaarigen Avatar auf uns, der schwer sexy guckt und etwas anders drauf ist als die Clara auf der neuen Webseite zur Gesundheitskarte. Ich schweife ab. Kommen wir lieber zur Digital Living Network Alliance, die zur IFA Schulungen für die Entwickler durchführt und mit einer Keynote von Microsoft punkten will. Wer sein Haus nicht vernetzt, ist entweder Digitalnomade (mit WLAN und UMTS) oder ein schrecklicher Hinterwäldler, der den Fortschritt bremst.

Während diese Wochenschau hinter dem hintersten Wald geschrieben wird, erreicht mich die Nachricht, dass das teuerste Gepäckbeförderungssystem der Welt am Flughafen von Denver außer Dienst gestellt wurde. Der böse Mainframe hat seine Schuldigkeit getan, genau wie die Waschmaschine, die Socken ohne Ende frisst. Viele ausländische Journalisten müssen diesen Flughafen benutzen, wenn sie über Firmen wie Novell und SCO berichten, entsprechend zahlreich sind die Geschichten, ohne Gepäck im Mormonenland aufzutauchen. Das ist nun vorbei. Ohne Unterhosen steht in Utah nur noch die SCO Group herum. Heute passt Shakespeare nicht so richtig. In den Worten des allerschärfstens geschätzten Geburtstagskindes J.W. Goethe:

O selig der, dem er im Siegesglanze
Die blut'gen Lorbeer'n um die Schläfe windet,
Den er, nach rasch durchras'tem Tanze,
In eines Mädchens Armen findet.
O wär' ich vor des hohen Geistes Kraft
Entzückt, entseelt dahin gesunken!

Ach ja. Aber selbst an einem neuen another day on earth mag mich nicht vor des hohen Geistes Kraft herniedersinken, die manche Leute einem anderen Geburtstagskind zuweisen. So soll man Helge Schneider am Dienstag zum Fünfzigsten gratulieren, viel Spaß dabei. Was immer die Gratulanten einer singenden Herrentorte auch unter Spaß verstehen mögen.

Quelle und Links : http://www.heise.de/newsticker/meldung/63296
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 04 September, 2005, 06:08
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Während die Sonne in der norddeutschen Tiefebene für einen kleinen Nachsommer sorgt, wird sie im Süden der USA gefürchtet. Dort steht ein Gebiet von der Größe Großbritanniens unter Wasser und bildet den "Lake George", dort sind die Dämme der Gesellschaft gebrochen, dort zeigt sich die hässliche Fratze des Rassismus. Die Schwarzen plündern, während sich die wenigen nicht geflüchteten Weißen mit dem Lebensnotwendigen versorgen. Administratoren kämpfen verzweifelt um die Aufrechterhaltung der Kommunikation.

*** Vor diesem Hintergrund sei an ein Datum erinnert, das ein freies Amerika feiern müsste: Heute vor 48 Jahren rief Orval Faubus, der Gouverneur von Arkansas die Nationalgarde. Sie sollte verhindern, dass neun schwarze Studenten die Central High School in Little Rock betreten. Gegen die bornierten Rassisten schickte der US-Präsident Einheiten der 101. Luftlandedivision und verkündete: "Der Mob darf niemals die Entscheidungen unserer Gerichte überstimmen." Der bedeutende Sieg der schwarzen Bürgerrechtler von Little Rock hat seine Vorgeschichte in der großen Flut von 1927, die John Berry in seinem Buch "Rising Tide: The Great Mississippi Flood of 1927 and How It Changed America" seziert hat. Damals flohen die Weißen mit dem Schiff, während die Schwarzen ertranken oder in Lagern wie Sklaven gehalten wurden. Die viehische Behandlung hatte Konsequenzen: Der New Deal wurde geschlossen, viele Schwarze wanderten in den Norden ab und viele Amerikaner unterstützten den Katastrophenmanager Herbert Hoover bei seinem Kampf gegen Armut und Rassismus.

*** Es gibt einen Zusammenhang zwischen Wirbelstürmen und dem Klimawandel in der Welt, den die beratungsresistente Regierung Bush übersieht. Darauf hat in der gestrigen Ausgabe der Süddeutschen Zeitung Robert F. Kennedy Jr. hingewiesen, der die Ablehnung des Kyoto-Protokolls durch Gouverneurin Haley Barbour und George W. Bush beschreibt. Ein Hinweis, den vorigen Montag auch der deutsche Umweltminister Jürgen Trittin in einem Gastbeitrag in der Frankfurter Rundschau parat hatte. Auf diesen Hinweis hin konstruierte Spiegel Online einen angeblichen Skandal herbei. Ganz nebenbei klärt sich somit auf, wofür Blogs und ihre herumschleichenden Leser eigentlich gut sind, wenn sie Verdrehungen und Verstümmelungen dieser Art nachgehen und dabei auch nicht vor den Streitereien im amerikanischen Vollblutzüchterverband Halt machen.

*** Im Handelsblatt hat sich der deutsche Philosoph Peter Sloterdijk bemüht, dem nur in Renditen und Zinsen denkenden Handelsblatt-Leser etwas Peilung im Wahlkampf zu verschaffen: "Die Linke ist normalerweise eine international operierende Zornbank, in der kleine Leute ihre Spareinlagen an Empörung deponieren könnten." Da der Zorn im ganzen Lande vorhanden ist, könnte man von beruhigenden Aussichten für die Linke, von unruhigen Träumen für die anderen Banker sprechen, doch Sloterdjk beruhigt seine Leser: "Aber Gysi, Lafontaine und Konsorten sind keine guten Zornbankiers. Das erkennt man daran, dass sie diese Einlagen zwar sammeln können, aber außerstande sind, mit ihnen erfolgreich zu wirtschaften." Wie man mit Zorn erfolgreich wirtschaftet, verrät die Zeitung nicht. Das ist eigentlich schade, denn die kleinen Leute gibt es und die Produktion von Parias läuft auf Hochtouren weiter. Glaubt man dem Printmagazin Spiegel, so soll nach der Bundestagswahl von den dann regierenden Bankern ein Experten-Workshop stattfinden, in dem die Projektberater von McKinsey und Co überlegen dürfen, wie eine völlig neue "Zentral-Software" auszusehen hat, die A2LL ersetzen soll. Dass das Problem bereits in der Idee einer "Zentral-Software" liegen könnte, die Sachbearbeitern in Passau die Daten Kieler Arbeitsloser zur Verfügung stellt, scheint ausgeschlossen zu sein. Deutschland hat einen Hang zu autoritären Lösungen in der Tradition der SED-MfS-Dikatur, hieß es auf der Sommerakademie der Datenschützer: Dieses Land kann von Österreich und der Schweiz lernen, wie man Vertrauen statt Bürgerzorn produziert.

*** Im Zuge der Politik der neuen Ehrlichkeit hat Angela Merkel den großen Siemens-Sanierer Heinrich von Pierer als Freudebanker in ihr Team übernommen und damit signalisiert, weiter mit bewährten Partnern für Innovation zu wursteln. Die Kernkraftwerke sollen länger laufen und sicher wird sich das nette Papier finden lassen, das zu Pierers Mitgliedszeiten beim European Round Table of Industrials das strikte Verbot jeglicher Privatkopie digitaler Inhalte in Europa forderte.

*** Das Thema bringt mich zum wichtigen Schritt des US-amerikanischen Bundesstaates Massachusetts. Dort möchte man das OpenDocument-Format zum Standard bei der Speicherung von Dokumenten erklären. Das Ganze kommt etwas ungelegen für Microsoft, wie es den Worten vom obersten Office-Manager Allan Yates zu entnehmen ist, der die Leute in Massachusetts eindringlich vor den versteckten Kosten offener Dateiformate warnte. Schließlich hat Microsoft zusammen mit der Firma Brainloop vor kurzem das Windows Rights Management mit Office-Dokumenten gekoppelt, um einen ebenso lukrativen wie geschlossenen Markt zu eröffnen. Eigentlich müsste Steve Ballmer nun seinen Schreibtisch Richtung Massachusetts werfen, wie er seinen Stuhl Richtung Google schleuderte. Denn das sichere Speichern und Finden von Firmendokumenten wird in den Zeiten von Sarbanes-Oxley als einer der entstehenden Riesenmärkte genannt. An diesem großen Kuchen wollen viele knabbern, notfalls mit Hilfe der eigenen Kinder.

*** Und, falls es noch jemand nicht mitgekriegt hat: In der norddeutschen Tiefebene verlegt ein kleiner Verlag nicht nur verschiedene Druckerzeugnisse und hält diese kleine Website am Leben, sondern legt auch noch eine Verfassungsbeschwerde ein, damit das WWWW weiter voller Links bleiben kann. Und das ist gut so.

Was wird.

Es ist ein allgemein verbreiter Irrtum, dass am 18. September eine wichtige Wahl ansteht. Die alles entscheidende Wahl haben wir heute Abend: Da können wir zwischen ARD und ZDF und RTL und Sat 1 und einem der vielen Live-Blogs wählen, wo wir das Duell zwischen Angie und Gerd anschauen. Das ist keine Wahl? Aber sicher doch, das ist das Prinzip der Wahl in ihrer reinsten Form. Das ist eine ganz besonders tolle Wahl, bei der der Zuschauer übrigens schon verloren hat, ehe er einen einzigen Knopf drückt: Wenn ich all die tollen IFA-Berichte verstehe, braucht es HDTV, um all die Spannung, den Schweiß und die Action senden zu können. "Mit HDTV wird Sport lebensecht und alles andere auch". Alles andere? Die lausigen 414.000 Bildpunkte können das Flirren nicht abbilden, dass zwischen dem Mann und der Frau entsteht. Gleich vier Moderatoren sind aufgeboten, mit geschickt eingefädelten Fragen das Flirren im der Flimmerkiste zu verhindern, weil wir noch kein HDTV haben und noch nicht überwältigt sein dürfen.

Mit einer einzigen Frage hat Direktwahlkandidat und Radfahrer Hans-Christian Ströbele ein Vorlage für die Nichtradfahrerein Angela Merkel geliefert. Er hatte in der Sicherheitszentrale des Bundestages nachgefragt, ob die rund um die Uhr wachsamen Wachleute bemerkt oder aufgezeichnet haben, wie Ströbeles am Bundestag parkierte Fahrrad geklaut wurde. Dass dies ein Kämpfer gegen die Videoüberwachung tut, findet Angela Merkel so komisch, dass sie es nun bei jedem Wahlauftritt erzählt. Komisch ist eigentlich nur die Frage, was all die Videotechnik an einem (nach US-Botschaft und Bundeskanzleramt) der bestbewachtesten Berliner Gebäude soll, wenn sie nicht einmal einen Fahrraddiebstahl aufklären kann? Vielleicht gibt diese Konferenz in der nächsten Woche eine Antwort. Einen Tag vorher kann die Mannschaft, die Weltmeister werden will, zeigen, dass sie doch noch gewinnen kann.

Quelle und Links : http://www.heise.de/newsticker/meldung/63563
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 11 September, 2005, 07:07
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** "Immer wieder treffe ich auf diese Www-Schlaumichel. In der Hoffnung, ihren Schund besser unters Volk bringen zu können, springen sie auf alles drauf, was gerade hip zu sein scheint. Folgt man dann ihren Spuren, die sie nicht ohne Geschick im Netz gelegt haben, trifft man auf falsche Versprechungen, billige Plagiate oder grenzenlose Geschmacklosigkeit, die jeder Diskussionsgrundlage entbehren. Rock 'n' Roll rules!" Wow, Chad Kroski, du alte Klagetunte, jetzt legst du also los, da legst di nieder. So also liest es sich, wenn T-Mobile hochbezahlte Starblogger beschäftigt, die eine grenzenlos debile Werbekampagne retten sollen. Magenta rulez! Bis jemand merkt, dass Lefze im Mittelhochdeutschen etwas "schlaff Herabhängendes" bezeichnete, wird Chad Kroski laut mit seinen Lefzen denken. Ein Denkmal, wie peinlich Corporate Blogging sein kann, ist Chad "Michel" Kroski jetzt schon.

*** Nun, ich habe nichts gegen Blogger. Meine besten Freunde hat es erwischt und sicher werden wir eines Tages neben dem Bildblog und dem Netzweltspiegel auch den gewünschten heiseblog haben, wenn Tyler Durden mal eine Blogsoftware anfasst. Doch davon unabhängig blüht und gedeiht das Heise-Biotop. Da freut sich der Verlag, da kämpfen die Recken des Off-Topic-Forums und schließlich sei der Channel heise.de im Ircnet erwähnt, auf dem die Party-Vorbereitungen zum zweiten Geburtstag des Channels angelaufen sind.

*** Ich habe auch nichts gegen Pressemeldungen. Sie sind mein täglich Brot und enthalten manchmal den einen oder anderen Informationskrümel, aus dem ein Artikel werden kann. Leider werden sie immer schlechter, weil Produkte beschrieben so werden müssen, bei denen niemand merken soll, welche Kröten mitgeschluckt werden müssen. Wenn Hewlett Packard von der Verschlusssache Farbe schwärmt und berichtet, dass "proprietäre chemische Prozesse" auf das Druckerpapier einwirken, statt von patentierter Technik zu reden, dann ist das so ein Fall von Verdummungs-PR. Wenn Apple und Motorola ein Rocker-Handy auf den Markt bringen, das exakt nur 100 Songs speichern kann, weil das eingebaute DRM-System nur 100 Tracks akzeptiert, dann umschreibt man das feinsinnig mit "Die Anzahl der übertragbaren Songs ist abhängig vom Land und dem Netzbetreiber", um vom viel größeren Flash-Speicher abzulenken. Die Vorstellung ist hart, dass solcher Unsinn verbreitet wird. Man sollte die *Bling* einfach beim Namen nennen, damit Leser wenigstens wissen, was für einen *Bling* sie da kaufen. Ganz ohne Zensur: Bling.

*** Apropos "Rokr" alias Rocker. Man sollte auf die Namen achten, unter denen sich manche Lösungen dem Nutzer andienen. Vorgestern wurde auf der Fernsehmesse IBC in Amsterdam "Tiramisu" vorgestellt, das "barrierefreie" DRM-System der nächsten Generation und alles andere als eine Süßspeise. Die entsprechende Presserklärung feiert Tiramisu als System zum Schutz der Anwenderdaten.

*** An dieser Stelle könnte ich eigentlich das gute alte Sommerrätsel aufleben lassen. Für welche Software wirbt diese PR-Meldung: "UNICEF warnt vor kinderarmem Deutschland"? Na? Auch mit der Nachhilfe "Revolution der Heimarbeit als Weg aus der Krise" will der Groschen nicht so recht fallen, wenn die Hamburger Firma PrimeSharing die Frau als Gebärmaschine mit ihrem P-Drive nutzbringend in Geschäftsprozesse einbinden will. Wie gaga solche Pressemeldungen sind, fällt in einer IT-Szene nicht auf, in der Bill Gates den *Bling* von einer Mittelstandsvision verbreiten darf. "Ziele sind die Fokussierung auf Skalierbarkeit, Sicherheit, einfache Verwaltung und schnelle Entwicklung. Durch die Kombination dieser Faktoren können Unternehmen Anwendungen zur Verfügung gestellt werden, die noch spezifischer an die tatsächliche Funktionsweise der Betriebe ausgerichtet sind und den Mitarbeitern helfen, den Geschäftserfolg zu steigern und einen optimalen Return on Investment zu erreichen." Was schrieb Chad Kroski noch über die Schlaumichels? Sie springen auf alles drauf. Genau.

*** Chad Kroski und Bill Gates werden nur von einem getoppt: Streichlisten-Paule. Wenn am 18. September die Paul-Kirchhof-Wahl stattfindet, dann feiert vor allem eine Partei, die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft, die ihren Botschafter Kirchhof bestens platzieren konnte. Ja, nach der Wahl finden wir uns dann in Kirchhofs "Garten der Freiheit" mit seinen 427 Streichfrüchtchen wieder -- oder in Schönhubers Dresden. Immerhin hat bis dahin die Wahl für einige Belustigungen gesorgt, ehe es ganz hart kommt mit den Alternativen. Man vergleiche nur die feinsinnige, literarisch-differenziert vorgetragene linke Positionsbestimmung des Ästheten Harry Rowohlt mit den Floskeln einer Claudia Roth.

*** Mindestens ebenso spaßig ist die seit Jahr und Tag geführte Debatte über die Sinnhaftigkeit des Microsoft-Logos bei der wahlabendlichen Schlacht der Balken und Torten. Erinnert sich denn niemand mehr an die Systemkonkurrenz von Infas/GMD in Bonn, die für die ARD auf IBMs 370-175 rechneten, in Konkurrenz zur Mannheimer Forschungsgruppe Wahlen, die eine Siemens 4004/151 einsetzte? Beide Systeme wurden gerne in Wort und Bild vorgestellt. Da hatte es der Urvater aller Wahlrechner nicht so einfach: die PDP 11/40 mit ihrem Farbterminal zur Darstellung der Torten kämpfte einstmals mit dem Problem, dass sie nicht richtig abgefilmt werden konnten und es noch keinen ausreichend schnellen Farbdrucker für die Torten gab.

*** Was wäre dieser Wochenrückblick ohne Heise-Leser, was wäre die IT ohne Studenten, was wäre die Welt ohne Wissenschaft? Fragen, auf die es nur traurige Antworten gibt. Studenten sind die Hilfsmotoren dieses Systems, die verkappten Außenborder, ohne die eine IFA nackt ohne Fachbesucher dastehen würde, ohne die Raketen hohl herumfliegen würden. An dieser Stelle sei darum leicht verspätet an den großen Wissenschaftler Joseph Rotblat erinnert, der am 31. August in London starb. Er war der letzte lebende Unterzeichner des Manifests von 1955, mit dem Russell und Einstein die Abschaffung aller Atomwaffen forderten, ein unermüdlicher Mahner an die Wissenschaftler, aus der "Todesforschung auszusteigen".

Was wird.

September ist's, die Zeit der Symposien und Kongresse, bevor die Matadore des Wissens und die Dompteure der Datenbanken sich wieder an ihre Forschungen machen und etwa darüber grübeln, wie unsere digitale Kultur langzeitgespeichert werden kann. Aus dem Überangebot der Kongresse sei auf den Weltkongress der Datenschützer verwiesen, der in Montreux am Genfer See stattfindet. Während in Deutschland in Niedersachsen mit kräftiger Unterstützung von Otto Schily der betriebliche Datenschutz entgegen den EU-Richtlinien in das Innenministerium ausgegliedert wird, weg von den lästigen Datenschutzbeauftragten, gibt es anderswo noch Standesehre. Vor den Datenschützern rufen die Datenaktivisten der European Digital Rights Initiative in Montreux zu einem Stelldichein.

Gleich zwei Veranstaltungen beschäftigen sich mit den Funk-Chips, die Datenschützern so viele Sorgenfalten werfen lassen. Inmitten der Dortmunder Logistik-Gespräche veranstaltet die Fraunhofer-Gesellschaft ein RFID-Symposium, das sich mit den "Chips von der Rolle" im Masseneinsatz beschäftigt. Was die verflixten fixen Adressen in den Chips für den Datenschutz bedeuten können, klären die Fraunhofers etwas weiter südlich in Darmstadt. Auf dem SmartCard-Forum überlegt man auch, was die Chips in den Reisepässen leisten sollen, ehe Zehntausende vor rot blinkenden Bildschirmen stehen und versucht sind, in ihren Pass zu beißen.

Das letzte Word zur Qwahl hat natürlich Chad Kroski, das sprachlich rasende Meme von Timo Beil: "Ist das der Zeitpunkt, sich endlich an dieses Menü zu wagen, dieses Menü, das Koch jüngst in seinen Bann zog, das ihm den Speichel aus den Lefzen trieb, ihn sogar dazu zwang, die Seite aus der Hausfrauenzeitschrift zu reißen, während er beim Friseur darauf wartete, endlich unters Messer zu kommen?" Ja, Chad, die Messer sind geschärft, der Herd geputzt, die nicht ganz so proprietären chemischen Prozesse rund um das Stück Fleisch können beginnen. Zum letzten Mal rufe ich nach einer kleinen Unterbrechung die Leser auf. Wird es so gruselig ausfallen müssen, mit Düsselalt und Peterskölsch? Muss Benzin im Essen wirklich sein? Mein bisheriger Favorit ist eindeutig das Frühstück mit Tiramisu.

Quelle und Links : http://www.heise.de/newsticker/meldung/63789
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 18 September, 2005, 05:25
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Eines Tages wird man auf die Streichlisten-Wahl zurückblicken, die im Jahresvorendviertel 2005 stattfand, und sich fragen, was da eigentlich los war im Internet. Glaubt man Spiegel Online, dem Internet-Ableger eines Blattes, das mit einer Affäre groß wurde, die die Meinungsfreiheit stärkte, so haben sich die zeitgenössischen Meinungsmacher viel zu wichtig genommen. So trauert die klar zur CDU/CSU tendierende Mannschaft des Spiegel wohl darüber, dass Blogger von Format für Veränderungen offen sind, aber dem Neocon-Biedermeier von Kirchhof und Merkel kein Verständnis entgegenbringen. Kurzum, im Lager der Schwarzen hat sich kein einziges nennenswertes Blog-Talent gezeigt, das begriffen hat, dass die Welt eine Scheibe ist, von der man kräftig zu anderen Scheibenwelten linkt. Bei der CDU hat man am Freitag das Internet obendrein mit einem Hausbriefkasten verwechselt, der nach Belieben zugemüllt werden kann. Genau 120 Mails "Deine Stimme der CDU" stecken in meiner Inbox, sinnigerweise von einem Mail-Konto, das ausschließlich zur Recherche über Internet-Casinos verwendet wird. 4 Millionen Mails sollen es sein, die da durch Deutschland rasten, im Auftrag der CDU von Reuter Adressmanagement verschickt. Nicht nur die CSU beherrscht also die Kunst, das Internet nicht zu verstehen.

*** Was außerhalb des allwissenden Internet los war, wird sich erst heute Abend in ganzer Pracht zeigen, wenn die Lokale geschlossen haben, in denen die Türken ihre Regierung wählten. Zur vorigen Wahl schrieb die taz in ihrer lobenswerten Kolumne neues vom scheideweg die Geschichte von den Vögeln auf dem Kirschbaum, die nun leider im kostenpflichtigen Archiv steckt. Zwei Platzpatronen hat der Bürger, die Vögel zu erschrecken. Er schießt sie ab und alles flattert hoch, um bald wieder auf dem Baum zu landen. Am Ende ist alles wie bisher, nur sitzen die viesen Fögel jeder auf einem anderen Ast. Politisch spannend ist allein die Frage, wer sich, nachdem der Dank an die Wahlkämpfer der eigenen Partei aus der rhetorischen Retorte abgeflossen ist, "aus Sorge um dieses unsere Land und die Menschen da draußen" aufmacht, die Große Koalition anzubieten. Wer nicht gerade wie Fußball-Schiedrichter Tomaten auf den Augen hat, dürfte längst gesehen haben, dass die Streichlisten von Eichel und Kirchhof ausgesprochen kompatibel sind. Auf Kiesinger und Brandt folgen Merkel und Steinbrück, aus dem großen Ruck werden zwei kleine Rückchen.

*** Dass Politik und Sport immer eine gute Mischung sind, zeigt sich in der Tatsache, dass die sinnlose RFID-Technik in Reisepässen gut mit der sinnlosen RFID-Technik in den WM-Tickets harmoniert. Passend zum Wahlkampf darum heute die Sportmeldungen der Woche. Immerhin hatte Heisig, unser aller Maskottchen, Auslauf beim Köln-Marathon und begleitete Foren-Teilnehmer mufasa bis ins Ziel, auch wenn es nicht für den Sieg reichte. Hoffen wir dennoch, dass dies kein schlimmes Omen für die Sportler ist, die sich mit dem Pandabär in der Zwangsjacke als wahre Fans der Foren zu erkennen geben. Gratulation natürlich auch an die Heise-Greise, die vorige Woche die Mac Trophy 2005 gewannen. Um es mit dem Lebensmotto von Heisig zu sagen: "In Deutschland zu Hause, erfolgreich in der Welt!"

*** Nur Kleingeister werden jetzt einwenden, dass Pandabären und Pandschnitzel nicht von der CMA ("Milch ist meine Stärke") promotet werden. Das besagte Motto zum Haus in Deutschland wurde in der vergangenen Woche vom Bundesverband der Deutschen Industrie benutzt, die den Mittelstand fördern will. Mit in der Schneckenpost der Massenaussendung: eine Glühbirne der deutschen Firma Osram, made in France respective Marocco. Wir sind also Multikulti. Außerdem sind Computerbesitzer besonders tierlieb, wie es der Cat Content überall zeigt. Jawohl, Pandas gehören in Zwangjacken wie Katzen ins Waschbecken, nicht in den Tank. Hunde sollte man besser als Bienen verkleiden, statt sie auf Agility-Turnieren leiden zu lassen, und Gepardenforellen müssen schwimmen. Nur Kleingeister werden sich nicht darüber freuen können, dass Gilette einen neuen Rasierer mit fünf Klingen und einem Microchip herausbringt, der von einer Batterie der Gilette-Tochter Duracell betrieben wird und dafür da sein soll, den Strom beim händischen Nassrasieren zu regulieren. Oder war da noch etwas, was Strom braucht?

*** Ein Kleingeist war er nicht, sondern ein großer Journalist, von dem ich sehr viel lernen konnte, nicht zuletzt die Verachtung des Militärs in all seinen Formen. Der Solitär, der Nicht-Ideologe Erich Kuby starb im Alter von 95 Jahren. Er zog es wieder einmal vor, seinen eigenen Weg zu gehen, da in Venedig, wo ihm die Türken bellenden Verblöder nichts anhaben konnten. Abschied nehmen heißt es auch vom schärfsten Kritiker der Elche, vom Zeichner und Theaterautor F.K. Waechter, der uns die Gewissheit gab, dass immer dann ein Schwein guckt, wenn wir etwas ganz, ganz tolles machen.

*** Wahrscheinlich hört kein Schwein richtig hin, wird sich die Werbeagentur McCann-Erickson gedacht haben, als sie Brahms' Wiegenlied durch einen Stimmenimitator auf Waits-Art aufnehmen ließ. Nun müssen sich die Gerichte damit beschäftigen, ob eine Stimmlage ein geschützte Sache ist. Merke: Nicht jeder Sänger ist ein Küblböck, der sich ein Kuheuter ans Gesicht nähen lassen würde, um wieder berühmt zu werden. Nicht jeder ist ein König von Deutschland. Aber Rio Reiser war es und Ton, Steine Scherben die Königsband meiner Jugend. Gegen die Zumutungen einer Musikindustrie, die das Digital Rights Management als Recht begreift, dem Hörer vorzuschreiben, was er wann, wo, wie hören und kaufen darf, hören wir nun das Lied vom Paradies: "Ich hab geträumt, der Winter wär vorbei...". OK, den Geburtstagsblues für B.B. King sollten wir nicht vergessen: "Komm ich nach Hause zu meiner Braut, 'nen Bisschen was zu Fressen, hab ich bei Karstadt geklaut. Ich sach Puppe, ich bin heute geil! 'Mach dicht Junge, schalt den Fernseher ein`......." Später, viel später wurde Claudia Roth die Managerin einer epochalen Band, zu der es keine Alternative gab. Im Ernst. Wer außer ein paar hartgeeierten DKPlern sang damals mit Floh de Cologne: "Es stinkt, der Kapitalismus stinkt..."?

*** Stinkt der Kapitalismus wirklich? Für 2,1 bis 3,3 Milliarden Euro wird die Zocker-Site eBay den IP-Telefonierer Skype übernehmen, um den 54 Millionen registrierten Nutzern (die Hälfte von ihnen lebt in Europa) eine hübsche Auktion vorzuschlagen: Wollen sie nicht ihren alten Krempel nach China verkloppen? Gegenüber diesem Blödsinn, der nostaligische Gefühle an die Zeiten der Dotcom-Ära weckt, ist der Kauf von Siebel durch Oracle nachgerade konsequent. Hatte nicht Larry Ellison Tom Siebel einen Stuhl hinterher geworfen, als dieser Oracle verließ? Nein, das war sicher Ballmer. Und ein Stuhl war es wahrscheinlich auch nicht. Eher ein Sessel, Soda oder ein Schreibtisch. Was er wohl bei AOL stemmen wird? Sein Alter Ego Bill Gates schmeißt sich mit Napoleon Dynamite ins Getümmel am College (Video-Link).

Was wird.

Der Reformstau ist vorbei und Frühling-wir-werden-frei wird es, wenn die Macht in unserem Staate an die aufgescheuchten Vögel umverteilt worden ist. Oder halt! Sind die Stimmen im Wahlbezirk Dresden I das Zünglein an der Waage? Oder pendelt es uns an dem Geburtstag eines großen Wissenschaftlers anderswohin?

Wo bleiben die Termine der Woche, wenn schon die Gesundheitskarte auf das Jahr 2008 verschoben worden ist. Was eine gute Sache ist, da dies vernünftige Tests der Kartensicherheit verspricht. Wer Informatik LIVE! ruft und dann meint, dass alles schnell gehen muss, weil Nullen und Einsen so verdammt schnell aufeinander folgen, hat nicht verstanden, wie wichtig gründliche Tests sind. Wer lesen wird, wie die nächste Bundesregierung von der vollkommen neu programmierten Software für Hartz IV schwärmen wird, hat schon ein bisschen mehr verstanden. Das grandiose Ablenkungsmanöver, das dahinter steckt, werden ohnehin nur die armen Menschen verstehen, die im Alltag mit den Arbeitsagenturen kämpfen. An diesem Sonntag wird die Eule der Weisheit nicht über blutigen Schlachtfeldern schweben und ich werde entgegen allen gemachten Vorschlägen die Mehrheitsmeinung nicht bedienen und kein blutiges Pandaschnitzel in die Pfanne klatschen. M!l!ek!

Quelle und Links : http://www.heise.de/newsticker/meldung/64017
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 25 September, 2005, 02:03
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** "Le ciel lui est tombé sur la tête", der Himmel ist leider dem Schröder auf den Kopf gefallen und mit einem Schlückchen Politzaubertrank zuviel wurde er dann krawallig in der Wahlnacht. Seitdem reißen die hysterischen Kommentare nicht ab, unser schönes Deutschland sei in Gefahr, obwohl das nur für Gallien gilt. In Deutschland geht die Gefahr vom Politvolke aus. Es hat mit den erschwindelten Neuwahlen die Verfassung ramponiert und klagt nur noch. "Wirr ist das Volk", obwohl es eine tolle Sonntagsdemo hingelegt hat. Für den Versuch von Schröder, erneut das Recht zu verbiegen und CDU/CSU zu filetieren, sollte er eigentlich mit einem Hinkelstein getätschelt werden.

*** Aber leider leben wir ja nicht im Comic, obwohl manchmal genau dieser Eindruck entsteht. Nominell hat sich eine Mehrheit links von der Mitte klar gegen die soziale schwarzgelbe Kälte ausgesprochen, doch das ist den Protagonisten egal, allen voran den Politikgreisen der Linkspartei. Wenn sich Ostgoten und Westgoten über Jamaika streiten, aber den nicht ganz so exotischen Landkreis Marburg-Biedenkopf meinen, wenn die angeblich dummen Ostler wie Alien behandelt werden, fühlt man sich an ein bretonisches Dorf erinnert, in dem der Kampf der Häuptlinge ausgetragen wird.

*** Leider ist die Politik auch keine Frage, die mit den Mitteln der IT gelöst werden. So nützlich eine Dual-Boot-Option für jeden Rechner ist, so komisch klingt die flink herbeigeschriebene Variante des Kanzler-Sharing, nach der Schröder zwei Jahre dürfte und dann Merkel an der Reihe wäre. Warum nicht gleich den monatlichen Wechsel oder die Aufteilung in gerade und ungerade Tage? Was wirklich passieren kann, haben wohl nur Daniel Cohn-Bendit und Claus Leggewie sowie Heribert Prantl durchblickt.

*** Leider ist auch die IT nicht viel klüger als die Politik. Die Witze, die Scott McNealy bei der Vorstellung neuer Server über den Zusammenhang zwischen Klimakatastrophe, Flucht von den Küsten und Dell-PCs macht, sind einfach nur noch schlecht. Da hilft es wenig, Andreas von Bechtolsheims Auftritt verspätet als Rückkehr des verlorenen Vaters zu inszenieren.

*** Leider ist auch der Rest der Welt in einem Zustand, da könnte eigentlich nur eine gute Portion Trollex Abhilfe schaffen. Da melden Dutzende Beobachter ein Nippelgate bei Microsoft, doch ist er hinfort, hinweg und nicht dokumentiert, ganz anders als die selbst in Hindustan berichteten Nipplegates beim Münchener Oktoberfest. So bleibt dem angeblich als Garagenklitsche gestartete Microsoft in dieser angeblichen Geburtstagswoche allein das Graubuch-Gate von Windows Vista übrig.

*** Ein hübscher Fehler, doch leider leider kein Vergleich zu einem richtigen Nippel. Überlassen wir also die nötige Portion Erotik in einem Wochenrückblick der Firma Apple, die mit ihren Sexspielzeugen wie immer seit 30 Jahren den Microsoftlern ein Schritt voraus ist. Wie gut Apple ist, kann man an dem Wort Podcasting sehen, das eigentlich purer Unsinn ist. Seit den Tagen der Tonbandgeräte und Kassettenrekorder gibt es verrauschte Aufnahmen "von unten" gegen professionelle Sendungen des Rundfunks. Doch gottseidank ist damit Schluss: Jetzt gibt es das Godcasting, von richtigen Profis gemacht, gefolgt vom Allahcasting, getoppt vom Koalocasting und begleitet vom Oppocasting. Was dann noch an Meinungen übrig ist, wird christianisiert.

*** Womit ich leider noch einmal bei der Richtungswahl bin, bei der es am Scheideweg zur Massenkarambolage kam. Viele putzen jetzt die Blogger in einem Stil herunter, der an die Medienschelte des Nochkanzlers erinnert. Das ist gerecht, wenn man an die miserablen Politikerblogs denkt und ungerecht, wenn man die tolle Blogtour zum Maßstab nimmt. Natürlich bin ich als Journalist da ganz parteiisch und freue mich mit dem einzigen Verein, in dem ich gern zahlendes Mitglied bin. In fünf verschiedenen Sprachen -- nämlich auf Englisch, Französisch, Chinesisch, Arabisch und Farsi -- ist das Handbuch für Blogger und Cyber-Dissidenten erschienen, die unabhängigen Stimmen dieser Welt zu stärken. Denn Blogs wie Lobbycontrol werden gebraucht, solange mächtige Lobby-Verbände es schaffen, technologiekritische Berichte sang- und klanglos aus dem ZDFcasting verschwinden zu lassen.

*** Eine unscheinbare Tickermeldung zur automatischen computergesteuerten Auswertung von KFZ-Kennzeichen in Hessen verdient Beachtung. Nicht nur deshalb, weil das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung grob verletzt werden könnte, wie es die anhängige Grundrechtsklage formuliert:

"Auch wenn eine Kennzeichenregistrierung mit anschließender Löschung der Nicht-Treffer für sich genommen harmlos erscheinen mag, stellt sie im Kern einen Präzedenzfall einer allgemeinen, vorsorglichen Überwachung der Bevölkerung dar. Das Gewicht des Eingriffs wird deutlich, wenn man sich die Konsequenzen verdeutlicht, die seine Zulassung hätte: Erlaubte man eine generelle, verdachtslose Kennzeichenüberwachung, mit welcher Begründung wollte man dann einer sonstigen generellen, verdachtslosen Überwachung der Bevölkerung zwecks 'Abgleichs mit dem Fahndungsbestand' entgegentreten, etwa einer allgemeinen Videoüberwachung auf auffällige Bewegungen hin oder einer generellen biometrischen Gesichtserkennung an jeder Straßenecke?"

Pikant ist hier, dass die hessische KFZ-Überwachung mit der PoliScan Surveillance-Technik der Wiesbadener Firma Vitronic erfolgen soll, die für das LKW-Mautsystem von Toll Collect die überall sichtbaren Tollchecker-Mautbrücken liefert. Als würzige Zugabe empfiehlt sich die Pressemitteilung über den Feldtest dieser Vitronic-Technik in Bayern, die nach insgesamt sechs Monaten automatisierter Kennzeichenerfassung das Fazit zieht:

"Mit Hilfe der Erkennung durch die Kennzeichenlesetechnik konnte die Polizei vier teilweise hochwertige Fahrzeuge wegen Unterschlagung bzw. Diebstahl sicherstellen."

Vier Fahrzeuge, teilweise hochwertig. Wo ist der lyrisch gestimmte Polizeibericht im Stil unseres Hauspoeten HelpDesk, der dieses Missverhältnis zwischen Input und Output dokumentiert?

*** Juden sind manchmal komisch. Das gilt nicht nur für den Vorzeigejuden von T-Mobile, dem Blogger Charaijew "Chad" Alexander Kroski. Das gilt erst recht für die alten Juden, die Konzentrationslager überlebten und mich mit bösen KZ-Witzen verstörten. Nun ist Simon Wiesenthal in Herzliya-Pituah beigesetzt worden, ein begnadeter Erzähler pechschwarzer Witze. Ein "Nazi-Jäger". Mit Chuzpe gesagt: "Aber die nächsten Schweine werden kommen, und wenn man etwas von dem kleinen, zusammengesunkenen Mann in seinem kuriosen Büro gelernt hat, dann ist es das Wissen, dass man nicht zuschauen darf, bis etwas passiert."

*** Leider lesen die Trolle, die "Erster"-Schwachmaten, das WWWW nicht gründlich genug. Denn keinesfalls geziemt es sich, das wichtigste Jubiläum des heutigen Tages heute morgen am PC zu feiern. Wenn die üblichen Schleimer vom Format der Scorpions und Peter Maffays von der Bühne verschwunden sind, startet zum 40. Geburtstag der Uschi-Nerke-Show, vulgo Beatclub genannt, die ultimative Dröhnung, etwa sechs Stunden lang. Was damals im Marquee Club in London aufgezeichnet wurde, hat vielen der etwas älteren heise-online-Leser das Leben gerettet. Mitten in Delmenhorst, in Demmingen, in Duttweiler und Dörrmoschel wussten wir, dass auf der anderen Seite der Bär steppt. Und wer jetzt nicht zu NDR/RB rüberschaltet, dem kann ich auch nicht helfen.

Was wird.

Am Montag startet in Paris das jährliche europäische Forum der Analysten von IDC mit den mindestens zum Beatclub passenden Themen wie "From Arthritic IT to Dynamic IT".

In diesem unseren Lande gibt es nach einem happigen Rüffel auf der IT-Trends medizin verstärkten Diskussionsbedarf über die nächsten Schritte bei der Gesundheitskarte. Wie das Beispiel von Österreich zeigt, ist mit herzigen ministeriellen Anweisungen noch gar nichts erreicht, wenn die zentrale Architektur nicht stimmt. Ein Rechenzentrum für die Gesundheitskarte, das keinen Strom hat, ist ein Witz, und dazu ein ziemlich böser.

Leider last but not least startet das HNF in Paderborn eine Ausstellung der Dinge, die ein Spion mit sich führte. Vom Tempeltanz zur Chiffriermaschine, von der Lippenstiftkamera zum Präservativ lehren die hochdekorierten Kämpfer aus den nationalen Abteilungen der Firma "Guck und Horch" einer Marianne Birthler das Gruseln. Mit Spionage-Camp für angehende Agenten.

Quelle und Links : http://www.heise.de/newsticker/meldung/64268
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 02 Oktober, 2005, 07:12
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Endlich. Jawoll, die ganze Woche lacht sich ganz Deutschland über die nunmehr gestartete Gutmenschen-Kampagne Du bist Deutschland scheckig, die dem Begehren des Chad Kroski entsprungen sein könnte. Eine Kampagne mit dem Schweizer Albert Einstein, die man nur mit seinem Landsmann Du bist Ackermann passend erwidern kann, während unsere wahren großen Deutschen verkannt werden. Das ist das Schöne an dem selten dämlichen Ruck der Werber, er löst andere Rucks aus, die einfach besser sind. Mein Favorit ist natürlich diese Interpretation. Du bist Deutschland? Du bist geklaut.

***Sehr staatstragend hat in dieser Woche vor dem Feiertag, dem Tag der Deutschen Duheit, die Firma Symantec ganze Zeitungsseiten gelb eingefärbt und mit der Sentenz "Freiheit, Gleichheit, Sicherheit" gefüllt. Ein Spruch, so richtig nach dem Geschmack des Bundesinnenministers Otto Schily, der in dieser Woche den eklatanten Rechtsbruch bei der Razzia nach Gutsherrenart vor den Verlegern rechtfertigte. Die Pressefreiheit rechtfertige keine Gesetztesbrüche, erklärte der Oger der SPD den Gesetzesbruch der Behörden, die 15 Kisten mit "Zufallsmateial" mitnahmen und sämtliche Festplatten beschlagnahmten, um den E-Mail-Verkehr der Redaktion nachvollziehen zu können. Nun hat Cicero die Cicero-Affäre dokumentiert und wenn man die Details Revue passieren lässt, ist der Schluss nicht von der Hand zu weisen, dass der gefährlichste Mann der Welt in einem Ministerium sitzt und den Quellenschutz im Namen der Staatssicherheit abschaffen möchte. In diesem Sinne muss Judith Miller erwähnt werden, die 85 Tage im Gefängnis verbrachte, weil sie ihre Quellen nicht verraten wollte. Du lebst in Deutschland, in dem Redaktionen wieder durchsucht werden können, sage ich mir. Was für ein Glück, dass du nicht Deutschland bist. Was für ein Glück, dass es auch in Deutschland noch Journalisten gibt, die nicht lebende Gleitcreme für die Politiker sind.

*** Hurra, Deutschland, du glückliches Land, in dem es 100.000 Arbeitslose weniger gibt und nur 4,6 Millionen Menschen von der Arbeit ausgegrenzt sind, weil es schlicht nicht so viel Arbeit gibt. Bemerkenswert ist dabei vor allem, wie die Presse das von der Bundesagentur verbreitete Hartz-IV-Märchen von den saumseligen Optionskommunen übernimmt, die angeblich ihre Zahlen nicht melden konnten und erst jetzt mit 37 meldenden von insgesamt 69 Optionskommunen die Qualität des Zahlenmaterials verbessern. Erst neulich ist erst der XML-Meldesatz fertig definiert worden, mit dem die harten, nicht mehr hochgerechneten Zahlen der Optionskommunen in Nürnberg in die Gesamtstatistik einfließen können. Der gesamte Meldesatz besteht aus 15 XML-Modulen, geht weit über die bisherigen Statstiken hinaus und ist eigentlich ein Fall für die Datenschützer, heißt es bei den Optionskommunen: Nürnberg schnüffelt, dass es kracht. Du bist in Deutschland arbeitslos? Man weiß alles über dich.

*** Du bist Recklinghausen. Überall in der Stadt gibt es jetzt Notebook-Servicestationen, denn Recklinghausen ist fest in der Hand von Dell und Microsoft. 50 Prozent aller Eltern mit schulpflichtigen Kindern schaffen sich Notebooks an: "Für einen Monatsbeitrag von 30 Euro über eine Laufzeit von 42 Monaten erwerben die Eltern für ihre Kinder ein leistungsfähiges Dell-Notebook inklusive Software-Lizenzen für Microsoft Windows XP und Microsoft Office 2003." Für die anderen, die nicht das Geld haben, gibt es noch die Teilnahme an der Bildungslotterie. Wer auch hier Pech hat, muss seine Kinder anderswo auf die Zukunft des Arbeitsmarktes vorbereiten, wenn ihnen die digitalen Unterrichtsinhalte verschlossen sind. Und in 42 Monaten bewundern wir die Neuen Ruhrfestspiele.

*** Beim Jubiläum ist es spätestens an der Zeit, Deutschland zu verlassen. Man könnte es wieder einem mit dem größen jüdischen Komiker Groucho Marx versuchen, der heute Geburtstag hat und fröhlich zum erweiterten Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr singen: "We got guns, they got guns, all God's chillun got guns". Das große Jubiläum aber gebührt dem Mann, dem ich meine Existenz verdanke. Heute vor 60 Jahren erschien ein Artikel in der "Wireless World", in der der große Hal-Forscher Arthur C. Clarke sich detailliert mit Extraterrestrial Relays befasste. Bereits im Februar hatte Clarke einen Leserbrief geschickt, der sich damit beschäftigte, was man in Friedenszeiten mit Raketen machen könnte. Was Arthur Clarke beschrieb, war nichts weniger als der genaue Bauplan für geostationäre Satelliten, auch wenn er noch von bemannten Satelliten oder Raumstationen ausging. Heute ist der Clarke orbit ein ziemlich überfüllter Raum, ohne den die Idee eines weltumspannenden Kommunikationsnetzes nicht denkbar wäre.

*** Kritik gab es an meiner Kritik an Scott McNealy in der vorigen Woche, der witzelte, zur globalen Erwärmung würde das morgendliche Einschalten von Millionen von Dell-Heizlüftern beitragen. Die Erwärmung könne nicht einfach mit den Hurikans in Verbindung gebracht werden, da wissenschaftlich kein eindeutiger Zusammenhang zwischen Erwärmung und zunehmenden Hurrikans existiert, lautete die Kritik. Ich bleibe dennoch bei der Bewertung "geschmacklos". So nenne ich aber nicht nur die Witzchen, sondern auch Dinge wie Eolas' Hurricane Relief Edition. Sie ist verlogen, weil Eola mit seinem nunmehr wiederholt bestätigtem Patent viel Geld von Microsoft haben will und die Software nur der guten Ordnung halber anbietet, damit man Softwarefirma ist. Angelegentlich des Patent-Irrsinns darf natürlich nicht das Patent eines führenden MIT-Wissenschaftlers für die Code-Suche fehlen, die im Fall von SCO Millionen von gestohlenen Codezeilen entdecken konnte, mit leisem Wehmut. Denn es ist still geworden um SCO. Ganz für umme hat sie von Microsoft das Me von Windows Me bekommen und nun touren Bruce Forman and his Cow Bop Western Swing Band auf der Route 66 und begeistern die Jugend mit Musi und der Rich Mobility Software von SCO. Cow Bop? Bissu Deutschland, muttu Hansi Hinterseer fragen.

Was wird.

Du bist Dresden und darfst endlich die Gretchenfrage beantworten: "Was würden Sie wählen, wenn am Sonntag Bundestagswahl wäre?" Das Ergebnis soll Merkel ins Kanzleramt spülen. Das Gegenteil, ein unspülbarer Kanzler, käme nur zustande, wenn 98 Prozent aller 219.000 Wähler den Schröder machen. Während Dresden Mittelpunkt von Deutschland ist, der neue Harry Potter auch schon wieder ausgelesen ist, hat das kleine, aber feine Heiseforum ein zentrales Problem erkannt. Der Himmel könnte uns noch vor dem nächsten Asterix-Comic auf den Kopf fallen. Der Zähler mit den Newsmeldungen nähert sich rasant der Zahl 65536. Jeder mit dem PC aufgewachsene Mensch weiß, dass es danach kein Leben gibt und alle Nachrichten im großen A20-Gate verschwinden. Glaubt jemand wirklich, dieser dauernd beschimpfte Nachrichtenticker, der a) lahm ist, b) falsch berichtet, c) Rechtschreibfehler seinen Lesern schenkt und d) nicht die Presseerklärungen einfach abschreibt, schafft den Sprung auf 32-Bit-Nachrichten? Die Wetten laufen, doch der Untergang ist nah.

Du bist Deutschland. Du bist um drei Uhr verabredet. Du entdeckst staunend die deutschen Stämme und ihre Sprachen. Du lebst in Deutschland, in dem es kalt und kälter wird, in dem die Jacken von der Alternative Spion oder Blockwart künden. Da zieht es uns doch in wärmere Gefilde, ins Land, wo die Zitronen blühn und wo der Hexameter auf Frauen-Vliesen trommelnde Überdeutsche Goethe auf seine Weise schon geschrieben hat, was er von Deutschland hält:

"Mutter und Tochter erfreun sich ihres nordischen Gastes,
Und der Barbare beherrscht römischen Busen und Leib."

Quelle und Links : http://www.heise.de/newsticker/meldung/64511
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 09 Oktober, 2005, 00:30
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** "Nur mit einem Maximum an Kreativität hat Deutschland als Land der Ideen eine Zukunft!" Ich stelle mir vor, wie meine Leser die Augen verdrehen, bis das Weiße quillt. Geht es denn endlos weiter mit diesem Du bist Deutschland!. Muss dieser Hal Faber endlos darauf herumreiten, wie die Partner für Innovationen, die Einwohner der Parallel-Gesellschaft des materiellen und kulturellen Reichtums, des angenehmen Arbeitens und des Erfolges PR-Arbeit für ihre eigene soziale Schicht machen, im Bund mit denen, die immer noch ein bisschen mehr aus den Arbeitnehmern und dem Staat herausholen wollen und die immer asozialer werdende Gesellschaft predigen?

*** Aber nicht doch. Warum sollte ich mich wiederholen? Das mit dem Maximum an Kreativität gilt nicht der komischen Werbekampagne, sondern den Schwerstkopfwerkern und verkündet wurde es vom obersten Du-Tschländer Horst Köhler auf dem deutschen Kongress für Philosophie. Eine Veranstaltung übrigens, die sich mit mäeutischen Handreichungen der Frage widmete, ob Computer kreativ sein können. Ja, hat denn noch kein Philoso-Viehtreiber den blauen Schirm des Todes gesehen, der kreativen maschinellen Antwort auf das Höhlengleichnis? Und sollten wir nicht lieber darüber grübeln, was zur Hölle Die Welt zu Gast bei Freunden bedeuten soll? Muss man sich mit solchem Irrsinn herumschlagen angesichts einer erneuten Naturkatastrophe in Asien, die auch ohne die Schlagzeilen vom "Jahrhundertbeben" schon erschütternd genug ist?

*** Aber ja! Deutschland, du Land der Ideen, du brauchst Kreativität, Innovation, Flexibilität, Dynamik und natürlich, wie könnte ich das vergessen, Exzellenz -- nicht Jammerei, und noch weniger Mitleid, sei es mit dir selbst, sei es mit anderen. Du brauchst eine kreative Exzellenz-Initiative voll innovativer Dynamik, oder anders gesagt, du brauchst mehr Computer, mehr Schulen ans Netz, mehr Nikolausaktionen im Oktober. Du brauchst eine Mischung aus Professor Paul Kirchhof, Steve Ballmer und Berti Vogts. Oder merkeler noch eine Mischung aus Jens Nowotny, Professorin Miriam Meckel und Hasso Plattner. Deutschland, du Land der Dichter und Denker, du brauchst Lehrer ohne Pisa-Test und vor allem brauchst du ordentlich viel Kreativität, ordentlich auf West und Ost verteilt. Außerdem brauchst du Einnahmen.

*** Nehmen wir nur unsere niederländischen Nachbarn. Mit der Ausweispflicht und der dazugehörigen Ordnungsstrafe zeigen die Niederländer, wie man kreativ aus dem gegen den Terror angeordneten ID-Terror Geld macht. In den ersten neun Monaten erwischte man 3898 Kinder zwischen 14 und 15 Jahren ohne Ausweis, die dafür jeweils 25 Euro Strafe zahlen mussten. Das nenne ich ein ebenso kreatives wie gleichzeitig pädagogisch wertvolles Umgehen mit der eigenen Jugend! Da könnte sich das Land der Duzer und Durchstarter ein Scheibchen abschneiden. So kostet der allseits kritisierte neue ePass mit seiner biometischen Simulation von Sicherheit subventionierte 59 Euro. Wie wär es mit einem Feinderkennungsauschlag von 50 Euro für jeden nicht erfolgreichen Leseversuch der photogeshoppten Portraits, Kinder die Hälfte? Schließlich muss dort, wo die Maschine versagt, der deutsche Beamte eingreifen und der hat seinen Preis. Staatsbürgertechnisch wäre diese Regelung von großem erzieherischem Wert, lehrt sie doch die Biometrie ehren. Wer beim "Bezahlen per Fingerspitze" darauf abgerichtet wird, für ein paar Treuepunkte beim "integrierten Couponing" seine Fingerabdrücke an der Kasse herauszurücken, der hält am Ende die Hülle seines Körpers für eine billige Tüte, die nicht mal der grüne Punkt entsorgt.

*** Heute vor 50 Jahren fand die erste Ziehung der Lottozahlen statt. Heute glauben im Schnitt 20 Millionen Menschen an das Märchen vom Autowäscher zum Millionär und machen ihre Kreuzchen auf den Lottoscheinen. Ähnlich hingebungsvoll glauben eigentlich nur noch Blogger an das ganz große Glück, wenn sie lesen, welche Summen Firmen wie AOL hinblättern, um an die Software für die Veröffentlichung unvergleichlicher Einsichten zu kommen. "Nur wer phänotypisch was hermacht, hat gute Karten, wen aufzureißen," heißt es beim Leitblogger von T-Mobile, der nun in Großbritannien sein phänotypisches Talent beim mobilen Aufreißen mit Hilfe von Google zeigen soll. Dabei ist die eigentliche Sensation der Woche fast unbeachtet geblieben. Es ist alles andere als selbstverständlich, dass ein Konzern wie SAP 850.000 Dollar in die Wikibude Socialtext steckt (die insgesamt 4 Millionen kassierte) und damit beweist, dass er besser als Microsoft oder Google und Sun versteht, wohin die Reise geht. Ja, auch das Internet braucht seine Krambuden des Wissens, wenn Goethe beim Chat mit Eckermann mal eben nachschauen kann, wie das eigentlich beim ollen Brockhaus gelaufen ist, damals. Und nein, noch hat niemand eine Ahnung, wie das mit dem Knowledge Drilling in Unternehemens-Wikis wirklich funktioniert. Dafür studieren alle das HeiseWiki, das Schatzkästlein gegen die verflachende Forumskultur, die Angebote wie das "enilnoesieh trollvoting" zur Aufgabe zwingt. Ja, passend zum Leif Erikson Day muss man leider konstatitieren, dass es keine großen Trolle mehr gibt: "I'm so tired" sang einst ein nachmalig zur Legende mutierter Popstar, der heute eigentlich 65 geworden wäre, in seinem einzig wirklich guten Song den finalen Kommentar zur Troll-Misere.

*** Anders als die eingebildeten, um Aufklärung bemühten Blogger wissen Journalisten, was sie für ein heikles Geschäft betreiben. Nehmen wir nur den Fall von Professor Neil Barrett, der in seinem letzten Buch "Traces of Guilt" seine Jugend beschreibt, wie er als edelster der edelmütigen Hacker zum jüngsten englischen Professor geläutert wurde. Über seine jüngste Konversion heißt es hier EU-Kommission benennt "Microsoft-Berater", dort hingegen EU Hires Criminologist to Monitor Microsoft . Doch anders als die von Blogcountern ausgezählten und von Blogstats leistungsmäßig überprüften Blogger weiß eigentlich niemand so recht, was ein Journalist ist. Das geheimnisvolle Dunkel, das uns 48.381 hauptberufliche Journalisten und Journalistinnen umgibt, ist nun von einer Studie erhellt worden: "Hal Faber ist ein 41 Jahre alter Mann, der aus der Mittelschicht stammt, einen Hochschulabschluss hat, bei der Presse arbeitet und in einer festen Beziehung lebt." Tja, doch wer wie Hal Faber als freier Journalist arbeitet, ist möglicherweise gar nicht erfasst worden, konnte in der stundenlangen Telefonbefragung gar nicht erklären, was er mit Schmiergeldern macht und wie er heikle Dokumente versteckt, aus denen er zitiert: "Der Anteil der 'Freien' liegt bei 25 Prozent -- nicht gezählt wurde das Heer der 'pro-ams', der professionellen Amateure: Leute wie Weblogger, die nebenberuflich Journalismus machen, oder Personen, die ihr Haupteinkommen durch Public Relations betreiben, weil sie vom Journalismus allein nicht leben können." Frei nach dem Motto, dass der Journlist immer vorne links im Taxi sitzt, blendet die Studie einen großen Block sozialer Wirklichkeit aus, wenn es heißt, dass 88,3 Prozent vom Wunsch angetrieben werden, die "Realität" abzubilden.

*** Doch die Realität ist gar nicht nett, sie ist eher nuttig aufgestellt. Händeringend mussten die schwarzen Reiter im Bundesinnenministerium suchen, bis sich in Potsdam Staastwanwälte auf Druck von oben bereit fanden, willig gegen die Zeitschrift Cicero vorzugehen. Kunstvoll wurde eine Razzia inszeniert, bei der sämtliche Festplatten verhaftet wurden, der eigentliche, von Otto Schily großspurig behauptete Geheimnisverrat jedoch nicht gefunden wurde. So bleibt zum traurigen Ende der rotgrünen Regierungszeit nicht nur ein Kanzler zurück, der sichtlich high im Fernsehen Krawall macht, sondern auch ein Innenminister, der sichtlich nicht begriffen hat, dass Geheimnisverrat und Informantenschutz zwei Seiten der Medaille sind, die er sich unbedingt umhängen will. So produziert Otto Schily eine Albernheit nach der anderen. Wie bei seinen Attacken gegen den Bundesdatenschützer redet der abgehalfterte Minister von der Rechtsunkenntnis einer Welt, die mit seinem dumpfen Rechtsverständnis nicht zu tun haben will. Wahrscheinlich werden wir bald isländische Verhältnisse haben, in denen der Staat ohne Hemmungen aus den E-Mails zitiert, die er auf den Festplatten finden wird. Was bleibt, ist die geschickt getarnte Aufforderung der letzten 68er im BSI, seine Mail-Konten im demokratischen Ausland zu führen.

Was wird.

Trotz der albernen Identifikations-Strafsteuer in den Niederlanden hat uns Poldawien einiges voraus.. Etwa die Stadt Amsterdam, die immer wieder für schöne Kongresse gut ist. Hier finden sich die Nahfunk-Freaks zum großen RFID-Kongress ein, bei dem nicht nur Metro über die segensreichen Chips predigt. Eine Woche später finden sich in dem Hotel Krasnapolsky, in dem Geburtstagskind John Lennon mit seiner Yoko Ono das große Bett-Happening zum Frieden in der Welt zelebrierte, das Treffen der quelloffenen Programmierer von O'Reillys Gnaden statt, gepaart mit der Makefaire des bezaubernden c't-Nachfolgers Make. Und in Deutschland wächst die schier unerträgliche Spannung um die kommende Regierung derweil Tag für Tag ins Gigantische, fast schon Überspannte -- wenn man den realitätstüchtigen Journalisten Glauben schenkt, die mit maximaler Kreativität schreiben. Wolle mer se rauslasse?, jodelt die versammelte Meute vor der Parlamentarischen Gesellschaft. Ach nein: Dann doch lieber ein reales Leben in der Realität, auch wenn das mit der Straßenbahn des Todes zum Edeka des Grauens führt.

Quelle und Links : http://www.heise.de/newsticker/meldung/64723
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 16 Oktober, 2005, 00:36
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Chad Kroski hat natürlich recht: "Meist ist es die Verkäuferin, die noch scheißer drauf ist." Deswegen hakt es ja bei uns mit dem Konsum und deswegen ist der Aufschwung weniger als ein Klimmzug. Aber hier, in dieser kleinen Wochenschau, hakt es noch schlimmer. Meistens ist Hal Faber am scheißesten drauf und die Sicht der Welt so negativ, dass sich die nur noch gelegentlich vorbei schauenden Leser erschüttert mit Alt-F4 abwenden, genau wie beim neuen Asterix, der einfach nur Scheiße ist. Also bitte, ab jetzt keine platten Witze mehr, sondern prall aufgeblasene, die im Zeichen der geistig moralischen Doppelwende einen sanften Optimismus verkünden, wie ihn der Angie-Bär mit Münte-Brummstimme an klassischer Holzwolle-Füllung verkündet. Mit Schwung und Optimismus kommt heute nur das Positive in meine Kolumne und, was noch anti-scheißerischer ist: Kein Tier musste dafür leiden, dass diese Kolumne verfasst wurde. Alles ist gut, selbst die Vogelgrippe noch, die dem optimistischen Techniker die Steilvorlage zur CCD-Seuche gibt. Alles, was ist, ist gut und wird, um es mit Chad Kroski zu sagen, noch guter.

*** Freuen wir uns am real existierenden Egoismus des pursuit of happiness der Volksgemeinschaft. Freuen wir uns, wenn 'Siggy Pop' Gabriel tatsächlich Umweltminister wird und damit ein Ressort bekommt, das er niemals ernst nahm, als er noch in Niedersachsen präsidierte: Früh biegt sich, was ein großer Koalitionär werden will. Freuen wir uns über den sanften Wind des Opportunismus, der dieses unsere Land beflügelt. Unser sattes Land feiert heute das 60. Jubiläum des Welternährungstages und gibt folgerichtig den Afrikanern die Verantwortung für eine gute Regierungsführung und gute Ernten. Mit gutem Vorbild geht es voran, wenn in der Koalition Kürbisse und Kartoffeln größer werden, die Tische sich wieder biegen unter dem, was Deutschlands Bauern aus dem deutschen Boden holen werden. "Frieden. Essen. Nicht mehr Menschen, als die Erde ernähren kann. Das ist das Problem, das wir lösen müssen": Mit diesen Worten verabschiedete sich Charles Percy Snow 1980 kurz vor seinem Tod von der Öffentlichkeit.

*** Im Oktober 1964 war dieser Lord Snow nach dem Sieg der Labour Party der wichtigste Sprecher als parlamentarischer Staatssekretär im neu gegründeten "Ministry of Technology", der sich unermüdlich für neue Technologien einsetzte. An diesem Samstag, an dem ich die 1. optimistische Wochenschau schreibe, wurde Percy vor 100 Jahren in Leicester geboren. Als talentierter Chemiker war ihm eine der größten Karrieren im Vereinten Königreich beschieden, doch verrechnete er sich gnadenlos bei den Versuchen, in den Cavendish Laboratories von Lord Rutherford das Vitamin A künstlich herzustellen. Als Autor von wissenschaftlich angehauchten Krimis konnte C.P.Snow überleben, bis er das britische Gegenstück zum amerikanischen Wissenschaftsorganisator Vannevar Bush wurde. Der Weltruhm kam indes mit einer Rede, die er am 7. Mai 1959 punkt fünf Uhr zum Tee in Cambridge hielt und eigentlich "Die Reichen und die Armen" heißen sollte. Unter dem noch viel schwabbeligeren "Die zwei Kulturen" wurde sie bekannt. Im Kern geht es um eine Differenz:

-- jeder Progger weiß, was 42 bedeutet (und kann den zweiten Hauptsatz der Thermodynamik im Schlaf herunterbeten). Entropie, anyone?

-- jeder humanistisch gebildete Mensch weiß, was ein Sonett ist, ohne gleich mit selbigem die nächste Passstraße herunterzubrettern. Rhizom, n'est pas?.

*** Wer sind die Armen, wer die Reichen? Wie können sie sich überhaupt noch verständigen? Gibt es überhaupt noch einen gemeinsamen Bezugspunkt der Kulturen, wenn die einen in ihrem defekten dissertationsdichten Brockhaus blättern und die anderen an ihrer Wikipedia herumfälschen, bis sich die Balken biegen? "Die Welt fällt auseinander, es gibt kein Zentrum mehr", heißt es in William Butler Yeats' Gedicht The Second Coming. Die Welt ist aus den Fugen, hauchte Katja Rieman in ihrer besten Rolle als Sabine Strohe(i)m in Nick Bantocks "Wiederentdeckung der Leidenschaft".

*** Wir blättern um und blättern zur hohen Kunst der Fuge. Mit Angie gilt es heute, die letzten Frontschweine des Rocks zu feiern! Damals, vor 20 Jahren, als Intel am 16. Oktober seinen wun-der-bar-en 80386DX vorstellte, endete die große Zeit der Headbanger. Man erzeugte Kinder und bebrütete Geschäftspläne, die freie Gesellschaft über ein Netzwerk selbstverwalteter Betriebe hintenrum einzuführen. Was bleibt, wenn Fischer und Trittin abziehen, wird abgezapft.

*** Der gute Vorsatz, optimistisch in die bipartisane Zukunft zu blicken, wurde in dieser Woche nur durch Otto Schily torpediert. Wie wird es eigentlich weiter gehen mit der Freiheit von Wort und Bild, wenn aus Zufallsfunden neue Anklagen konstruiert werden können? Schon biedern sich breitschenkelig die Speichelleckerinnen an, die ein 1936 von den Nationalsozialisten erfundenes "Dienstgeheimnis" nach Paragraph 353b höher werten als die Pflicht zur Aufklärung durch Journalisten. Alle beschlagnahmten Festplatten werden bis zum letzten Bit durchsucht, doch buchen wir die hanebüchenen Vorwürfe von der "Verletzung eines Dienstgeheimisses", dass es noch weiter geht, im Herbst des Patriarchen Schily.

Was wird.

In meinem Schädel habe ich ein wunderbares Bild gespeichert, das ich gerade nicht googlen kann. Zwei Offiziere sitzen da bei ihrem Abschiedsmal zu Haarlem oder Amsterdam vor einer großen Schlacht. Die Sonne scheint herein von einem großem Platz, auf dem die Pferde warten, und drängt. Sie werden viele töten müssen. Das Schlechteste ist nicht, an dieser Stelle noch einmal auf eine Konferenz hinzuweisen, die zeigt, wie das Leben ganz einfach weiter geht.

So positiv gestimmt kommen langsam die Big Bother Awards ins Auge, die in der offenbar von Frank Sinatra gegründeten Stadt Bielefeld verliehen werden. Die eigentlich betrübliche Verleihung der Datenkraken wird ab dominae Angiae eine spaßige, lustige Sache für Aus- wie Inländer: Es gibt in Deutschland weltoffene Menschen im Sinn von Kanzlerin Merkel, die das gesamte Ausland nach Deutschland einladen. Was kümmern uns schon Melilla oder Ceuta, die stehen ohnehin nicht im Katalog von t-lour, Cook und Dr. Snuggles.

Mit Chad -- ich tu was gegen die Scheißlaune -- Kroski begann die optimistische gestimmte Wochenschau, mit Chad Kroski gilt es, optimistisch in die Zukunft zu schauen. Denn in ihr ist nicht nur die Verkäuferin noch scheißer drauf, sondern auch bald nach den Gesetzen der Arithmetik in seinem Bett: "Arithmetik der Stimmungsmache und apropos Kaffee, vielleicht hat sie ja Lust, morgen welchen zu kochen." Verkäufe sind's, die uns den Aufschwung bringen. Damit jeder kapiert, wie das geht, wirbt Microsoft seit Jahren mit der sagenhaft erfolgreichen Firma Contoso, die nunmehr rollenbasiert das gute Vorbild für den großen Umschwung abgeben wird. Ab dem 18. Oktober wird diese virtuelle Musterfirma von Chad Kroski in den "T-Punkt Business-Contoso-Centern" mit der "vollen Beratungskompetenz" von Microsoft und T-Com "hautnah erlebbar" sein, heißt es in der Einladung. Eine hautnah erlebbare virtuelle Firma, das ist genau das, was jetzt gebraucht wird. Oder, um es mit den einschlägigen Blogotomanen zu formulieren: Wir füllen jede Tüte.

Quelle und Links : http://www.heise.de/newsticker/meldung/64963
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 23 Oktober, 2005, 03:26
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Guten Tag. Ich komme heute schnell zur Sache, wir haben ja nicht ewig Zeit hier. Mein Name ist Faber, Hal Faber 2.0. Vergessen Sie das Genörgel von dem Typ, der hier die letzten 294 Kolumnen geschrieben hat. Ab sofort ist dies eine Power-Kolumne für das erfolgreiche Bissness 2.0 im Web 2.0 mit Open Source 2.0 betrieben im Internet 2.0 mit Desktops 2.0. Ich könnte auf all diese Begriffe verlinken, denn sie sind in der frisch vergangenen Woche mehrfach gefallen, doch wir haben ja keine Zeit zu verlieren mit dem Bissness. Es ist Schluss mit lustig. Hal Faber 2.0 ist wie der neue Bond, umwerfend gut aussehend und unglaublich fit. Die Installation eines unerhört dynamischen, gewissermaßen mit XMLHttprequest fortlaufend aktualisierten Hal Faber wurde von der heise online-Redaktion nach eingehender Studie dieses Videos beschlossen, das zeigt, wie bei Microsoft der dynamische Typ 2.0 geformt wird. Das geht ruckzuck, wir haben ja keine Zeit. Eigentlich müsste es mit Erziehung 2.0 in frühester Kindheit einsetzen.

*** Hal Faber 2.0 setzt Akzente. Wenn im knallharten Geschäft 2.0 niemand Zeit verschwenden werden darf, um unter die Top 100 im Bissness zu kommen, muss alles weg, was Zeit kostet. Schluss ists mit langsamen Betriebssystemen, die eine Ewigkeit zum Booten brauchen. Hal Faber 2.0 setzt auf das von Joe Muczka Jr. (vulgo: 2.0) präferierte intelligente Zeta. Und gleich dazu das passende, zackig die Sache auf den Punkt zwischen 2 und 0 bringende PR-Statement: "Muczka's Bilder hängen beispielsweise auch bei Porsche-Chef Wiedeking oder den Zaubervirtuosen Siegfried und Roy", heißt es zur Bedeutung des impulsiven Künstlers, der wie kein zweiter Betriebssysteme porträtieren kann. Was bei Wiedeking hängt, installiere ich auf meiner Pladde.

*** Hal Faber 2.0 setzt nicht nur Akzente, sondern stellt sich blitzschnell hinter markige Düfte, die andere setzen. Jawoll, reden wir doch vom Vorrang für die Anständigen, das ist das richtige Motto, gegen die Abzocker und Parasiten. Auch hier zeitsparend kurz und knackig das Statement der Woche, die Clementia praecox:

"Biologen verwenden für 'Organismen, die zeitweise oder dauerhaft auf Kosten anderer Lebenwesen — ihren Wirten — leben' übereinstimmend die Bezeichnung 'Parasiten'. Natürlich ist es völlig unstatthaft, Begriffe aus dem Tierreich auf Menschen zu übertragen. Schließlich ist Sozialbetrug nicht durch die Natur bestimmt, sondern vom Willen des Einzelnen gesteuert."

Woraus geschlussfolgert werden kann, dass man wohl noch von Parasiten reden darf, was ja, wie die Ministeriumssprecherin Andrea Weinert versicherte, "volksmundig" ist und journalistische Sprache obendrein. In Sprache 2.0 sind Parasiten in, ist der Begriff Volksverhetzung einfach überflüssig. Und wenn das Bundesministerium schon die Biologie bemüht, dann hat es sicher seine Richtigkeit, wenn Parasiten in der Landwirtschaft zum Zuge kommen. An der frischen Luft kommt man nicht auf dumme Gedanken, sich etwa um eine bemerkenswerte Mitteilung des mit seinen Mietern leidenden Verbandes norddeutscher Wohnungsunternehmen zu befassen, bei dem Juristen zu der Auffassung gekommen sind, dass Menschen menschenwürdig wohnen sollten, Heizung und Warmwasser inklusive. Sollte sich diese Auffassung von höheren Gerichten bestätigt werden, so dürfte der kommende Arbeits-Münister eine weitere Software-Änderung bei T-Systems bestellen können.

*** Auch wenn deutsche Gerichte strebend sich bemühen, so gibt es keinen Zweifel mehr, dass am Hackbrett Artensterben herrscht: In der Welt 2.0 sterben die Hacker aus, weil alles 2.0 wird, selbst Microsoft 2.0 von der Open-Source-Szene umarmt wird und nur bei den Hackern das Generations-Upgrade nicht funzt. Das beklagen die, die den Code anderer aufreißen wie die, die Code schreiben. Doch was führt zu einer Szene, in der es jede Menge Alterspräsidenten und eine schlecht funktionierende Hacker-Meritokratie gibt? Verblödet die ewige Suche nach Exploits und Buffer Overflows vielleicht die intelligentesten Menschen? Oder ist es wirklich, wie die Szene meint, der schizoide Alltag mit dem dauernden Gebrauch von Linux, während man eigentlich doch nur mit dem Hacken von Windows-Boxen Anerkennung finden kann? Wahrscheinlich ist die Sache viel einfacher. Eine Generation Handy, die SMS-Kürzel besser als Assembler beherrscht, hat einfach nicht mehr die Zeit, sich intensiv mit komplexen Sourcecodes zu beschäftigen. Die Hardware siegt über die Software und schon der grottige Unsinn, alles zur 2.0 zu deklarieren zeigt, dass nicht nur die Hacker ein Nachwuchsproblem haben.

*** Also doch, offensicht hat da jemand zu viel American Psycho geschmökert — und einen Kolumnisten nach Batemans Gusto, wer möchte den schon? Aber ach, das Bissness will's anders, behaupten die Protagonisten eines Lagers, das wohl mal New Economy 2.0 werden soll. Also, was soll's, mit Deutschland 2.0 sind wir Deutschland, bist Du Papst, sind wir eine Enzyklopädie, bist Du 86 Millionen, sind wir eine multiple Persönlichkeit. Was soll man von einem Land halten, dessen Einwohnern man eine Krankheit diagnostizieren muss, die es möglicherweise gar nicht gibt? Es kann sein, dass sich diese Frage heute viele Saarländer stellen: Warum nur haben wir vor 50 Jahren nur für die Rückkehr "ins Reich" gestimmt, wie der gestandene Saarbewohner Rest-Deutschland heute noch nennt? Melancholie macht sich breit, Deutschland 2.0 stürzt mit einem Bluescreen ab und wir ziehen uns zurück an den heimischen Herd, flüchten vor Hartz IV, großen Koalitionen, vor Amtsantritt bereits demontierten Superministern und endlich zum Ende kommenden Volkssängern in die treudeutsche Gemütlichkeit der Version 1.0. Wirklich? Dann doch lieber Bateman 2.0 mit Lemmy und seinen 30. Geburtstag feiernden Geschwindigkeitssüchtigen als Sound zum Reboot.

Was wird.

Nicht nur Hal Faber 2.0 kann kurz und schmerzlos seine Geburt feiern. Am nächsten Donnerstag freut sich ein echtes Glückskind darüber, den Scheitelpunkt des Menschenlebens erklommen zu haben, die 50, an der man gerne innehält und darüber nachsinnt, was alles schon Geschichte geworden ist, seitdem man den Hobbyisten einen offenen Brief schrieb. Sehen wir einmal Gates nicht mit den Augen des Wikipedia-Häuptlings, der verärgert über E-Mail Foren befüllt, betrachten wir ihn einmal nicht als Microsoft-Zar, der seiner Konkurrenz keine Träne nachweint, sondern einfach als His Billness, als Mensch, als Troll, als Fan, der volle zwei Tage fast nichts verdient und einer blonden Kanadierin nachtrauert, die aus einer Fernsehserie verschwunden ist. Hier und heute stellt sich natürlich die Frage, ob es auch einen Bill Gates 2.0 geben kann. Einen altersweisen Menschen, der versteht, dass OpenDocument-Formate der Ersten Welt genauso helfen können, wie Medizin und Impfstoffe in der Dritten. Ted Hoff hat übrigens auch an diesem Tag Geburtstag. Doch was ist die Erfindung des Mikroprozessors gegen die Erfindung von Microsoft? Eben.

Ein Datum habe ich noch, auch wenn es nur ein etwas Krummes ist: Heute vor 18 Jahren lehnte der Senat der USA mit 58 zu 42 Stimmen die Berufung von Robert H. Bork zum Richter am Obersten Gerichtshof ab. Bork, der als Verb "to bork" in die amerikanische Sprache eingehen soll, hängt einer Rechtsauffassung an, die die Privatsphäre ablehnt. Die Auseinandersetzung um seiner Berufung an das höchste US-Gericht führte dialektisch korrekt zum Video Privacy Protection Act. Womit ich besonders elegant und schnell bei der Verleihung der fünften deutschen Big Brother Awards angelangt bin, mit denen die Systems-Woche endet. Wo? In Bielefeld 2.0 natürlich.

Aber was sind schon Große Brüder, Bill Gates 2.0 oder gar Deutschland 2.0 gegen die wahren Helden? Eigentlich gibt es ja heute ganz andere Jubiläen zu feiern, tauchte doch der Nick des guten Geistes aller Forenposter und Schrecken aller Trolle und Foren-Batemans vor genau fünf Jahren zum ersten Mal auf. Das nenne ich mal einen Geburtstag, und reiche aus diesem Anlass Glückwünsche in bildlicher Form weiter, courtesy of MangOr (und einiger anderer Ideenlieferanten aus den Heise-Foren). Und ja: Einmal klicken wäre sinnvoll, nicht für einen Komik 2.0, aber doch für eine anschaulichere Darstellung.

(http://www.heise.de/bilder/65245/0/0) (http://www.heise.de/bilder/65245/0/1)

Quelle und Links : http://www.heise.de/newsticker/meldung/65245
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 30 Oktober, 2005, 00:29
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Es wäre zu schön gewesen, aber auf mich hört ja keiner. Das alberne Gerede vom Web 2.0 und die Verhimmelung der Open Source 2.0 sind erst der Anfang. Schon tauchen Konferenzen auf, die bedeutungsvoll When 2.0 fragen. Die Freude auf die Blase 2.0 ist unverkennbar. Das Geld sitzt locker und der Verstand auch. Einzig die Frauenkirche verdiente die Bezeichnung 2.0, Friede sei auf Erden. Aber nein, sie hat das wiedererstandene Original zu sein. 2.0 ist schwer angesagt und offenbar unausscheidbar, wie die Kugelmachung. Wer erinnert sich schon an Borlands ObjectVision 2.0, das mit defekter Installationsroutine kam, dafür aber die Telefonnummer eines Pfarrers als Hotline im Handbuch verzeichnete?

*** Vielleicht ist MS-DOS 2.0 Schuld daran, dass 2.0 so einen guten Ruf hat. Es war das erste DOS, das komplett von Microsoft entwickelt wurde und konnte erstmals mit Festplatten umgehen. Auf den Gedanken hat mich der Geburtstag von Bill Gates gebracht, den andere 2.0-mäßig   doppelt ausgewogen feierten. Doch noch fehlt ein hübsches Halloween-Dokument als passendes Geburtstagsgeschenk neben dem üblichen Geburtstagsständchen, zu spielen mit dem Windows Media Player. Aber war es wirklich der freie Wille von Bill Gates, der reichste Mann der Welt zu werden?

*** Niemand möchte gerne einen Big Brother Award geschenkt bekommen. Das wird bei Otto Schily nicht anders sein, auch wenn dieser überzeugt ist, dass ihm kein Datenschützer etwas vormachen kann. Derweil geht das große Rätselraten um den geheimen Teil der großen Biometrie-Studie Bio PII weiter. Der oberste Datenschützer behauptet, die Tests zur Überwindungssicherheit der neuen Reisepässe nie gesehen zu haben, während Otto Schily Obscurity by Security zum Staatsprinzip macht. So kommt es, dass Deutschland einen Pass bekommt, über den es keine öffentliche Diskussion gab, den kein demokratisch gewähltes Gremiun befürwortete und über dessen Sicherheit ein Dutzend Spezialisten Bescheid zu wissen behaupten. Den Rest Unsicherheit regelt ein Verbot ab: Nur Behörden dürfen den Pass auslesen. Wer Märchen 2.0 mag, der höre den Analysten von Booz Allen Hamilton zu: "Biometrische Ausweise müssen neben der öffentlichen die privatwirtschaftliche Seite mit einbeziehen, um die Tragfähigkeit der Investitionen sicherzustellen."

*** Was die Investitionen in der deutschen Wirtschaft anbelangt, so sind die 1 Euro-Jobs ein schönes Beispiel, hier aus dem ehrbaren Handwerkerleben. Wenn man klug wirtschaftet, macht man ein hübsches Plus und kommt dazu an Mitarbeiter, "die Sie dazu noch völlig ohne Risiko ausgiebig testen können". Betasten der Ware ausdrücklich erwünscht, müsste man bei dieser Sprache ergänzen. Leider wird lieber darüber diskutiert, wie hoch die Missbrauchsquote ist und wie der Datenschutz so gelockert werden kann, auf dass Bezieher von Arbeitslosengeld II ausgiebig beleuchtet werden können. Wer arm dran ist, verliert das Recht auf informationelle Selbstbestimmung.

*** Mit den Alarmpfeifen der Angst leben wir in der Gefahrenzone des Alltags und nur das Pervasive Computing der alles registrierenden intelligenten Dinge gibt einen letzten Rest Sicherheit, per RFID in großen Datenbanken mütterlich gehegt. Die Amerikanerinnen Katherine Albrecht und Liz McIntyre von der Verbraucherorganisation Caspian haben ein Buch über die Schnüffelchips veröffentlicht, das RFID-Hersteller vom Markt wegkaufen wollen, weil es zu unsachlich ist. Wie kann eine Technik so falsch dargestellt werden, wenn sie eine ganz simple Sache ist, die auch der dümmste Ladenbesitzer versteht. Das jedenfalls behauptet Bruce Sterling. Darum gibt es ja die Wahrheit 2.0.

*** Die Würde des Menschen ist antastbar, wenn er die Firma betritt. Siemens ist ein schönes Beispiel. Im Frühjahr 2003 stellte ein Manager der zentralen Personalabteilung Anzeige gegen unbekannt, weil ein anonymer Brief den Betriebsrat beschuldigte, Protokolle zu fälschen. Ein Staatsanwalt bittet Siemens, "entsprechende Einträge in Ihren Computern aufzubereiten". Ein Hausdetetektiv beschlagnahmt 18,3 Gigabyte an Maildateien, die beim Betriebsrat aufgelaufen sind. Insgesamt sollen es 70.000 Dateien sein. Nun schreibt kein Mitarbeiter mehr vertrauliche Mails an den Betriebsrat, denn das Vertrauen ist hin. Wer bittet denn da um Diskretion? Eine Firma, die weiß, wie diskret geölt wird. Und offenbar Hersteller von Lebensmitteln ist.

*** An dieser Stelle muss ich auf Judith Miller zurückkommen, die ich mehrfach in diesem Wochenrückblick erwähnt habe. Mittlerweile ist die Star-Spürnase in Plamegate verwickelt und wird wie eine Aussätzige behandelt. Dass sie eine begeisterte die Irak-Intervention rechtfertigende Journalistin war, wird ihr jetzt vorgehalten – doch das hat jeder auch vorher von ihr lesen können. Festzuhalten ist, dass Judith Miller in Artikeln keine Namen genannt hat und ihre Quelle geschützt hat, Wer dieses Vorgehen für richtig hält, muss noch lange nicht den speziellen journalistischen Patriotismus mögen, den Miller vertritt. Dafür kann er sich vielleicht an der Klage gegen Lewis Libby erfreuen, von der halben Welt als möglicher Anfang vom Ende einer seltsamen Regierung betrachtet, die einen Krieg auf Basis von Falschinformationen durchsetzte und immer noch eine Armee ohne Plan durch fremde Länder stapfen lässt. Ein durchgeknallter iranischer Präsident dürfte Bush da als Helfer beim Pfeifen im Wald gar nicht ungelegen kommen.

*** Aber wer sagt, dass Bush die Amerikaner repräsentiert? Im Alter von 92 Jahre starb Rosa Louise Parks, laut Polizeibericht die "schamlose schwarze Person", die 1955 ihrem Platz im Bus sitzen blieb, auch als sich der Bus mit Weißen füllte, und die deswegen verhaftet wurde. Computerfreaks werden sich allenfalls an die Werbung von Apple erinnern, doch ihr Anspruch "Think Different" war etwas weiter gefasst. Ihr berühmter Satz I sit where I want to wurde nun mit einem iPod veredelt – oder verunstaltet.

*** Und, wenn wir schon gedenkend innehalten: Heute vor 120 Jahren wurde der große amerikanische Dichter Ezra Pound geboren, der wichtigste Förderer von James Joyce, William Butler Yeats und Ernest Hemingways. Als Judenhasser sondergleichen und Bewunderer des italienischen Faschismus wurde er von den Amerikanern 1945 für 25 Tage in einen offenen Käfig eingesperrt und schuf die in sechs Sprachen verfassten Pisaner Cantos, das größte Gedicht des vergangenen, des 20. Jahrhunderts. Vielleicht war Pound ein Genie ohne Verstand, aber dafür schenkte er der Welt das beste Brechmittel für alle, die derzeit das Wort Leitkultur dekrepitieren lassen. Nein, das Wort habe ich nachgeschlagen.

*** Nach der angeregten Musik-Debatte unter den Forumsteilnehmern erwartet vielleicht jemand, dass ich heute Oasis preise und mich dafür entschuldige, dass Motörhead immer noch nicht   ausreichend gewürdigt wurde. Aber nicht doch. Ein zweiter Link geht darum heute zur größten führenden Business-Blog-Seite Deutschlands. Ärmere Schlucker mit musikalischen Ambitionen klicken hier.

Was wird.

Weil die Sommerzeit ausgeknipst ist, hat der Heisefan mehr Zeit, sich seinem Hobby zu widmen und die Foren zu lesen. Die Spannung steigt unerträglich, wie der Wettbewerb der großen Rivalen ausgehen wird. Siegt das Off-Topic-Forum oder schafft es das Politikforum? Der Kampf um den goldenen Heisig-Bär ist voll entbrannt. Oder sollte sich am Ende die Überwindung von Systemgrenzen als einfacher herausstellen als die Kluft zwischen den Foren?

Quelle und Links : http://www.heise.de/newsticker/meldung/65554
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 06 November, 2005, 00:10
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Nein, ich höre nicht auf das, was manche Foren-Leser mir raten. Sie lesen ja auch nicht das, was ich schreibe. Darum mache ich hier auch nicht den Lafo, den Müntefering in dieser Woche so großartig vorgeturnt hat, wie ein Fabian Hambüchen unter Dope. Hier hat es sich auch nicht nicht ausgestoibert, ich schreibe weiter, bis sie mir meine geliebte Northgate Omnikey aus den kalten, starren Fingern zerren, bis sich mein Euroscript-Fenster für immer schließt. Oder bis Heise meint, dass ich die werberelevante Zielgruppe nicht mehr erreiche: Shit Happens. Was sich unterdessen im Raumschiff Berlin abspielt, dieses Ballett der Generation V wie Versager, vom Kanzler, der die Plünnen hinschmeißt, zu seinem Erb(sen)prinz Münte bis zum typischen 68er Stoiber, das ist hat schon die Qualität eines niederbayerischen Bauernschwanks.

*** Für 35.481,60 Euro kaufte der Software-Distributeur Ashampoo eine Seite in der FAZ, damit Inhaber Rolf Hilchner, einstmals Vertreiber von Software-Lügendetektoren so richtig Dampf ablassen kann: Das Gegenstück zum Bauernschwank ist das plattdeutsche Bauerntheater mit dem Stück Es reicht! Sensibel assistiert vom hauseigenen Pressebüro Typemania. Natürlich wartet jedermann gespannt auf den zweiten Teil der Werbekampagne: "Es reicht nicht! Neuwahlen!" Wer standhaft ist, ist manchmal einfach nur im Schlamm stecken geblieben.

*** Achja, standhaft: An dieser Stelle müsste ein Lob auf Andrea Nahles nachgetragen werden, der Katalysatorin des heuschrecklichen Kollateralschadens. Als bekennende Trekkie hat sie halt einen geschulten Blick für die zweite Realität, in der die Kosmonautik groß im Kommen ist. Nun wird die Königsmörderin vom Zeitstrudel erfasst und mit miesen Männerphantasien angewichst, Doch leider ist die Aufsteigerin der Woche recht still und leidet mit ihrer Partei, die krumme Rücken fordert und damit nicht Leute mit einem Hüftschaden meint. Jaja, im wahren Leben ist alles einfacher als in der großen Konsultation: Wer die reine Liebe bis zum Lawinenabgang haben will, geht zu den Girls, der Rest zu Ficken 2.0.

*** Meistens ist es ein Grund zur Freude, wenn ein deutsches Wort seinen Weg in eine andere Sprache findet, zumal dann, wenn es Französisch ist, das nicht einmal "le Kindergarten" kennt. Nun hat Nicolas Sarkozy, die starke Hand im Kampf gegen den Terror, den Franzosen versprochen, er werde die Vorstädte "kärchern", das Gesindel wegspülen wie Frischgeflügel für die Dönerbuden. Beim schwäbischen Paradebetrieb Kärcher ist man nicht unbedingt erfreut, als Verb in Frankreich zu enden. Wenigstens bei uns muss nicht gekärchert werden: Die Gewalt nimmt zu, die Experten sind aber nur langfristig ein bisschen ratlos. Vielleicht explodiert ja nichts, genau wie gestern vor 400 Jahren, als London im Bombenterror unterzugehen drohte. An die darauf folgende 200-jährige Unterdrückung der Katholiken, die rote Hüte tragen mussten, erinnert heute noch eine Linux-Version.

*** Sarkozy hätte öfters ins Kino gehen sollen. Möglicherweise wäre er dann auch auf Filme von Pier Paolo Pasolini gestoßen, der in seinem Liebesgesang auf das Archaische schon in den 50ern und 60ern die Hoffnungslosen, die Abgeschriebenen, die auch von der Linken als Subproletariat Verunglimpften und heutzutage in modischer Harald-Schmidt-Diktion als Unterschichten ins Abseits Geschobenen gegen die Anfänge der Globalisierung verteidigte. Ja, Pasolini verteidigte das Volk – auch gegen Brechts Spruch in den "5 Schwierigkeiten beim Schreiben der Wahrheit", wer "in unser Zeit statt Volk Bevölkerung sagt, unterstützt schon viele Lügen nicht". Wer nie sein Brot mit Tränen aß, wird möglicherweise die Radikalität der Position Pasolinis nicht begreifen können – eine Radikaltität, die nicht wenige nach der Ermordung des bekennenden Schwulen vor 30 Jahren mit Häme oder Erleichterung reagieren ließ. Heute ist Pasolinis Kritik an einer Gesellschaft, die er als alltäglichen Faschismus des allgegenwärtigen Kleinbürgertums begriff, näher dran an den Aufständen in den Banlieues von Paris oder den Krawallen in Argentien als die Anmerkungen der aufgeschreckt umhereilenden Globalisierungskritiker, die nach Pasolinis Verständnis wohl selbst zur herrschenden kleinbürgerlichen Schicht gehören dürften.

*** Aber es gibt auch noch einfacher zu entschlüsselnde versteckte Botschaften als die der marodierenden Jugendlichen von Paris. Steganographie-Experten werden längst den Wettbewerb entdeckt haben, den die Financial Times Deutschland in ihrem Text über die quasselnden Drucker eingestreut hat. Ist es nicht wunderbar, welche Preise winken? 10.000 Flugmeilen bei miles&more, der größten Bewegungsdatenbank für deutsche Manager, die bei Flugmeilenaffären aller Art sicher noch einmal bereitwillig Auskunft gibt. Die Lösung des Steno-Rätsels wird sicher "Verkaufe uns all deine persönlichen Daten" sein, denn nach dem Big Brother Award ist vor dem Big Brother Award.

*** Mit Empörung soll Sony BMG darauf reagiert haben, wie die amerikanischen Konsumenten bei Amazon eine CD von Van Zant runterputzen. Während die Zanties sich über ihr Label distanzieren, gewährt das aufschlussreiche Rootkit-Gate gute Blicke auf die Bretter vor dem Kopf, die namhafte Spezialisten herumtragen. Nehmen wir nur die Süddeutsche Zeitung, die im "Digitalen Leben" die Konvergenz der Multimedia-Server im Wohnzimmer bejubelt und jetzt ganz streng fragt: "Aber was haben Musik-CD eigentlich in Computern zu suchen?" Ja, was wohl, wenn der angeblich simple Uninstaller weitere 3,5 MByte Programme auf die Festplatte schaufelt, die wiederum geheimnisvoll behandelt werden? So ändern sich die Zeiten und wir mit ihnen. Während mit Sony BMG dreckig programmierende Hacker Musik "schützen", sind die Hacker von gestern gefragte Sicherheitsberater. Und, wenn wir schon von Musik reden, dürfen nicht die Sex Pistols fehlen, die heute vor 30 Jahren ihr Debüt auf der Bühne hatten. Gut, sie waren absolute Kommerz-Scheiße gegen die richtigen Bands wie U.K. Subs, Killing Joke oder natürlich die Dead Kennedys und, weil wirklich politisch, die Clash. Dann lieber die Proleten von Sham 69 als diese verkappten Kunsthochschulen-Popper von den Sex Pistols, pflegte ein Freund in seligen Zeiten zu grummeln – und gab damit immerhin einer Gruppe den Vorzug, die als Vorläufer der Skinhead-Bands gilt und sich doch standhaft gegen die Anmutungen der National Front wehrte. Und wer ist schon Sid Vicious, der sogar am Bass gedoubelt werden musste: Einzig Johnny Rotten war wirklich nett – allerdings erst mit PIL und "This is not a Lovesong" (zu PIL gehörte auch Jah Wobble, immerhin). Seit dem London Calling, Leute, leben wir alle am Wasser.

Was wird.

Wir gehen weiter, ganz ohne Lafo und Salto, wir ertragen trällernd die Mühen der Ebenen, wir schleppen uns fort. Dieser unser aller Heise-Verlag könnte üppiger bezahlen und vor allem pünktlicher, aber es ist halt nicht so. Auf der anderen Seite lässt Onkel Heise seine Zuarbeiter nicht kostenlos schreiben, allein um der Ehre willen, die unsere Treue ist, ähem, natürlich unser Marketing. In einem großen Münchener Computerverlag ist das halt anders. Da trägt man als Autor seine Haut zu Markte und ist schwer glücklich, wenn der Name in der Branche regelmäßig genannt wird. Das erleichtert beim Gang zur Arbeitsagentur ganz ungemein. Diese Ferkelei hat übrigens zwei Opfer: Verarscht wird auch der Leser, der eine solche Publikation kauft und nur bezahlte Textanzeigen liest. Das IT-Journalismus nicht der krumme Gang zum nächsten Schließmuskel bedeutet, zeigt der Jonet-Tag in Hamburg, eine von Journalisten für Journalisten gemachte Veranstaltung, die längst ausgebucht ist: Es geht auch anders in den Ebenen.

Anderen geht es einfach nicht schnell genug. Vor dem Jonet-Tag trifft sich die Initiative D21 unter dem Motto Die Zukunft eilt! in der lahmen Gegenwart. Viele Referenten sind aufgeboten für den ultimativen Beweis, dass keine Zeit mehr vertan werden darf. Sonst passiert etwas ganz erschröckliches: Die tolle Zukunft eilt uns weg und ist plötzlich Vergangenheit, während wir fest sitzen in einer Gegenwart, die nie vergeht. Das darf einfach nicht sein. Es geht einfach nicht mehr an, dass man sich auf einen heißen Schoß setzt, die umgekehrte Martha Vögeli-Methode praktiziert und nicht ans morgen denkt. Wer es nicht eilig hat, in die Zukunft zu kommen, kann hier das Video betrachten, leider noch ohne Ellen Feiss.

Quelle und Links : http://www.heise.de/newsticker/meldung/65800
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 13 November, 2005, 07:40
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Hiermit reiche ich meine Methode, mitten in der Nacht so geistreich über IT-Probleme, anverwandte und ganz abwegige Angelegenheiten zu plaudern, dass die eine Hälfte der Leser "was soll das" stöhnt, zum Patent ein. Der besondere Vorteil der Methode ist, dass sie den Blick für Details so stark schärft, dass schwer verletzte Unterdetails, vulgo Informationshäppchen, der anderen Hälfte meiner Leser im Hals stecken bleiben. Damit ist meine Methode bestens geeignet, die Besuche beim Wochenendangebot von heise online soweit zu schärfen und zu würzen, dass die letzten Leser immer wieder und wieder auf das WWWW klicken und in der Hoffnung, dass der Spuk ein Ende hat, willig weitere Tickernachrichten abrufen. So wird der Spielraum für Werbung im Internet geschaffen, den Google wegpatentieren möchte. Meine großartige Methode lässt es sogar zu, dass Leser "Was soll der Unsinn" oder "Erster!" schreiben dürfen, ohne dass dafür Patentgebühren fällig sind.

*** Zu betonen ist außerdem, dass meine Methode garantiert ohne Plot auskommt und damit jenseits aller Patentansprüche auf alle Geschichten seit Homers Iliade angesiedelt ist. Es gibt hier wirklich keinen Plot: WWWW trödelt ziellos von Höckchen zum Stöckchen und wieder zurück. Keine Absicht weit und breit, dem Leser etwas Sinn zu schenken, keinen teuflischen Plan, weder hier noch in den Memos von Bill Gates. Das unterscheidet meine Methode von der Microsoft-Methode: Diese Firma in Seattle ist einfach ratlos, diese meine Methode hingegen plotlos.

*** Meine Methode soll unter dem markenstarken Akronym "HAL 2.0" – Heuristisch Albernes Labern im Web 2.0 – eingetragen werden. Dies ist als Verbeugung vor der großen IBM gedacht, die mit dem PIMSEN, der Public Internet Monitoring Solution for Enterprise Networks dem Labern eine Heimat gibt. Ein wichtiges Kennzeichen meiner Methode sind Links. Sie verhindern zuverlässig, dass die Wochenschau LAUT vorgelesen werden kann "Ah, haref! Heise target ..." und mindern somit die immer vorhandene Verwechslungsgefahr mit einer kostenpflichtigen Sportreportage: "Toor für Linux! Microsoft fault schon wieder!!"

*** Damit wird auch die Tragweite meines Patentantrages deutlich: Die Mischung von Links, Kommentaren und der allfällige Ausblick in die wöchentliche Zukunft weisen eine dermaßen enorme Innovationshöhe auf, dass sie die Schwerkraft ignorieren. Das hat zuletzt in dieser Branche nur Apples Newton geschafft und das ist lange her. Heute sind Apples Patente so platt, dass sie bequem unter einer Tür durchgeschoben werden können und zurückgezogen werden müssen.

*** Hal 2.0 ist natürlich kein richtiger Journalismus, genausowenig wie Spiegel Online ein Blog ist oder gar Journalismus. Hier wird kein Skandal aufgedeckt, keine knochenharte investigative Recherche betrieben, wie Tag für Tag auf heise online. Gerade darum kann es sich die kleine Wochenschau leisten, an die Heldentaten im Journalismus zu erinnern, etwa an den 12. November 1969, als der Journalist Seymour Hersh seine Recherche über ein Massaker in Vietnam dem kleinen unbekannten Dispath News Service für 30 Dollar verkaufte, nachdem alle großen Zeitungen abgelehnt hatten, die Wahrheit über My Lai zu drucken. Der News Service verkaufte die Geschichte für 100 Dollar an 36 Zeitungen und Hersh bekam seinen Pulitzer-Preis. Für die Folge-Geschichte, dass der für das Massaker verantwortliche Leutnant Calley (Urteil: lebenslänglich) nur drei Tage hinter Gittern sitzen musste, interessierte sich niemand mehr. Bleiben wir beim Journalismus und der seltsamen Praxis, dass der deutsche Auslandsdienst BND im Inland unkontrolliert Journalisten ausspähte: Man nennt es "Grauzone", wenn sich die Grenzen verwischen. Dagegen ist die Grauzone, in der die INSM die Medien einschüchtert, nachgerade ein idyllischer Schmollwinkel.

*** Wie schwierig das mit den Grenzen ist, zeigte der oberste Geheimdienstbetreuer Otto Schily, als er den ersten ePass aushändigte, der zum mehrmaligen Wiedereintritt in das deutsche Staatsgebiet berechtigt: "Wer nach Europa kommt, soll nicht seine Identität verschleiern können." Bis zum Haaransatz müssen die Maße stimmen. Die Moral von der Geschichte formuliert dazu das poetische Helpdesk.

*** Die 19%ige Große Koalition geht mit zweijähriger Probezeit daran, die Chancen für Innovationen zu entsorgen. 4,5 Millionen PDS-Wähler wissen schon, wie innovativ die (Ab)Stimmung ist. Aber man muss sich angesichts solch in neu entdeckter Lagerverbrüderung verschwurbeltem Hindernislauf nicht gleich mit dem bedröppelt im Bundestag sitzenden Lothar Bisky verbrüdern, um einen hoffentlich noch nicht ganz vergessenen Dichter einen Kommentar zum Start der Großen Kolition ins Stammbuch schreiben zu lassen:

Sie sang das alte Entsagungslied,
Das Eiapopeia vom Himmel,
womit man einlullt, wenn es greint,
Das Volk den großen Lümmel.

Ich kenn die Weise, ich kenne den Text
Ich kenn auch die Herren Verfasser;
Ich weiß, sie tranken heimlich Wein
Und predigten öffentlich Wasser.

*** Das wusste anscheinend schon Heine, dass es keine Heuschrecken braucht, das machen die Herren inländische Konzernchefs mitsamt den Damen und Herren Großkoalitionäre schon selbst, dass ihnen das Volk kein Wort mehr glaubt. Massenentlassungen mit Milliardengewinnen zu begründen und gleichzeitig als Druckmittel zur Genehmigung neuer Monopole zu nutzen, diese Chuzpe hätte man deutschen Managern eigentlich gar nicht mehr zugetraut, schon gar nicht denen des Kolosses Telekom. Dagegen scheint eine Firma wie Sony BMG mit ihren Kopierschutzmachenschaften gerade wegen ihrer abgrundtiefen Dummheit als Waisenknäblein. Beide aber, Sony BMG wie Telekom, demonstrieren eines, dass man nicht oft genug eine der allgemein bekannteren Fußnoten in Marxens Kapital in Erinnerung rufen kann. "Kapital flieht Tumult und Streit und ist ängstlicher Natur. Das ist sehr wahr, aber doch nicht die ganze Wahrheit. Das Kapital hat einen Horror vor Abwesenheit von Profit oder sehr kleinem Profit, wie die Natur vor der Leere. Mit entsprechendem Profit wird Kapital kühn. Zehn Prozent sicher, und man kann es überall anwenden; 20 Prozent, es wird lebhaft; 50 Prozent, positiv waghalsig; für 100 Prozent stampft es alle menschlichen Gesetze unter seinen Fuß; 300 Prozent, und es existiert kein Verbrechen, das es nicht riskiert, selbst auf Gefahr des Galgens." Oder, um noch einmal Heine zu Wort kommen zu lassen:

Die Mageren sind noch dünner jetzt,
Noch fetter sind die Feisten,
Die Kinder sind alt, die Alten sind
Kindisch geworden, die meisten.

Gar manche, die ich als Kälber verließ,
Fand ich als Ochsen wieder.

So stehen die Kälber, die ihre Schlächter selber wählen, dann wohl als Ochs vor dem Berg an Steuererhöhungen, 2-Jahres-Probezeit, zweifelhafter Technologie-Wirtschaftsförderung und ökonomischer Rasterfahndung.

*** Aber was schwelgen wir in Wehmut, wo doch alles Gut wird. Nicht nur wird mir das Hal-2.0-Patent unendlichen Reichtum bescheren, auch kann einfach keine schlechte Laune mehr aufkommen, wenn die Rückkehr des Pop sich im Album einer Sängerin manifestiert, die in Klamotten von Aerobic-Lehrerinnen aus den frühen 80er Jahren herumhupfdohlt. Ja, alles wird gut, jeder ist seines Glückes Schmied, und du bist selbst schuld, wenn's dir dreckig geht. Also reiß dich zusammen, denn Du bist Deutschland. Und wenn du die Musik schlecht findest: Pech gehabt, denn wenn nicht einmal mehr Geburtstagskind Neil Young mit seiner Wiederentdeckung der hehren Country-Musik noch zur Wiederbelebung des Geistes beitragen kann, scheint das Ende nah. Wo ist er geblieben, der Rock'n'Roll, der niemals sterben wird? Da haben es die Love-Hounds des Gaffa-Web schon einfacher, denn Aerial fängt da an, wo Hounds of Love aufgehört hat. Soweit ist es schon, dass ich Kate Bush gegen Neil Young und Madonna ins Feld führe, ja. Aber was bleibt mir übrig, wenn Pop mittlerweile als Argument fürs FDP-Wählen herhalten muss. Dann lieber mit Kate Bush schwelgen und mit Charlie Haden's Liberation Music Orchestra widerständeln.

Was wird.

Zu den großen Innovationen, die Kanzlerin Merkel feierlich einweihen kann, zählt die elektronische Gesundheitskarte. Wenn in Düsseldorf die Medica ihre Pforten öffnet, steht die Wunderkarte wieder einmal im Zentrum des Interesses. Während die Trustcenter als Zertifikatsdiensteanbieter über den technischen Spezifikationen für den Heilberufsausweis brüten, weil sie zur Kommentierung verpflichtet werden, ist die Messe natürlich viel weiter. Das ist mit der LinuxWorld nicht viel anders, nur wird das OpenDocument-Format und keine kleine Karte gefeiert. Noch besser geht es auf dem kommenden Cyber-Weltgipfel zu, der eine heile Welt 2.0 voll freundlicher Cyberschwestern und Cyberbrüdern feiern will.

So freuen wir uns nicht nur über die medizinische Rundumversorgung mit einer schicken Gesundheitskarte, die ab 2006 unsere Portemonnaies verdelt, sondern gehen mit noch größerer Vorfreude in die närrische Zeit, die uns das Informatikjahr 2006 beschert. Immer auf dem Laufenden dank heise online? Weit gefehlt. Wobei sich natürlich die Frage stellt, warum denn niemand das Laufende patentiert hat oder wenigstens den aufrechten Gang, mit dem wir uns in die nächste Woche schleppen. Ja, heute vor 65 Jahren, als Stereoklang noch Fantasound hieß, da wusste man noch fantastisch die Bilder zum Laufen zu bringen.

Ja, wir sind auch in großkoalitionären Zeiten verdammt, was wird ahnungslos zu ertragen, wenn wir uns nicht erinnern, was war. Daher sollte der 9. November, der eigentliche deutsche Gedenktag, der vergangene Woche war, das Menetekel sein, dass uns alle daran erinnert, was werden könnte, wenn wir uns nicht erinnern. Wie es auch sei, es wird nun doch Herbst, man darf sich endlich der Novemberdepression hingeben, dieses Mal unter dem Motto "Gemeinsam für Deutschland – mit Mut und Menschlichkeit":

Fatal ist mir das Lumpenpack,
Das, um die Herzen zu rühren,
Den Patriotismus trägt zur Schau
Mit allen seinen Geschwüren.
Schamlose Bettler sind's.
Almosen wollen sie haben –
"Ein'n Pfennig Popularität ..."

So kommt es möglicherweise doch, ganz ohne all diese Dus, die Deutschland sein wollen:

Ein Spätherbstmorgern, feucht und grau,
Im Schlamme keuchte der Wagen;
Doch trotz des schlechten Wetters und Wegs
Durchströmte mich süßes Behagen.
Das ist ja meine Heimatluft!
Und dieser Landstraßenkot, es ist
Der Dreck meines Vaterlandes!

Und die Freiheit hat sich den Fuß verrenkt,
Kann nicht mehr springen und stürmen.

Quelle und Links : http://www.heise.de/newsticker/meldung/66090
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 20 November, 2005, 08:26
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.


*** "Tschüss!" Zu Anfang sagt auch der Kolumnist, der wöchentlich seinen Sermon im Ticker des hannöverschen Heise-Verlags verbreitet und meist wenig freundlich gesonnen all die Aktivitäten eines rot-grünen Kabinetts betrachtete, "Tschüss!" zu Gerhard Schröder, der mit einem Großen Zapfenstreich in Hannover verabschiedet wurde. Die Bundeswehrkapelle spielte auf Wunsch des Kanzlers Gattin "Die Moritat von Mackie Messer", "Summertime" und "My Way". Nun, abgesehen davon, dass dies wohl die angenehm unmilitärischste Serenade innerhalb eines Großen Zapfenstreichs in der Geschchichte dieses seltsamen militärischen Zeremoniells war, ist My Way das richtige Abschiedslied für Schröder, trotz allem, was man ihm nachtragen kann. Weder war das so genannte rot-grüne Projekt ein durchschlagender Erfolg, noch feierten wir zur Zeit von Schröders Kanzlerschaft nur Feste in dann doch noch blühenden Landschaften. Trotzdem dürften die Erinnerungen an die Zeit unter Schröder kaum so frustrierend ausfallen wie etwa die Erinnerung an die Zeit unter Ford. Erinnerungen an die Zeit unter Schröder stehen zwischen den Alpträumen aus 16 Jahren Kohl und den Schreckensmeldungen über die Vorhaben der Merkelschen Zeit. Erinnerungen an die Zeit unter Schröder werden uns wohl noch lange eher wehmütig begleiten: Die Erinnerung bleibt auch an heiße ebenso wie verregnete Sommer mit einer locker gefügten, recht friedlichen und (relativ) friedfertigen sowie toleranten Gesellschaft, die trotz allgegenwärtiger Terrorhysterie, ersten militärischen Auslandseinsätzen und immer mal wieder auftrumpfenden rechtsradikalen Hirnis die Vorteile multikultureller Lebensführung zu schätzen wusste. Summertime, and the living is easy, ja genau: So hush, little baby, don't you cry. Bang aber blicken viele in die Zukunft und fragen sich, welcher Haifisch ihnen nun auflauert. Möglicherweise sollten wir uns alle vorsehen: Denn ein Haifisch ist kein Haifisch, wenn man's nicht beweisen kann.

*** Muss ich jetzt aber auch gleich noch zu mir selbst "Tschüss!" sagen? Ich soll ein scheues Reh sein, nur weil ich mein Namensschildchen nicht abgeholt habe? Aber wie hätte ich das auch machen sollen, auf einem Blogger-Journalistentag, der prompt Journalismus 2.0 ausrief. Wo ich doch schon mit einem richtig guten Journalismus 1.0 zufrieden wäre. Nehmen wir nur den EDV-Jorunalismus, der sich an minderwertigen Gadgets aufgeilt, die in einem Jahr niemanden mehr interessieren, der bereitwillig darüber berichtet, wie mit sinnlosem Handy-Geknipse MMS bei der Computertomografie töten können.

*** Und überhaupt: Hat nicht 2.0 eigentlich nur negative Bedeutungen, ist nicht die Definition von 2.0 ein arg verquarkter Brei? Erinnern wir uns nur an das Verbrechen, das Microsoft mit DOS 2.0 beging, als man sich mit \ von dem vermeintlich geschützten / distanzierte. Interessant ist schon, wie jeder, der seine Zweifel 2.0 hat, bis zum Kommentarstau niedergesilkt wird. Soziale Software kann richtig eklig sein, bis zum Pink-Floyd-Verriss. Doch wer nicht über halblinks fliegende Schweine lachen kann, muss sich halt an 2.0 halten. Denn 2.0 ist ja sooo 2005 und jeder ein Depp oder mindestens ein kleiner dicker Troll, wenn er nicht daran glaubt. Dabei bin ich eine große vornehm-bleiche Leichen-Erscheinung, wie die toten Radler in Gates' Stadt Seattle. Aber Jeb Bush merkte es gar nicht, als er mir den heftig klopfenden Puls fühlte.

*** Wer seine Förmchen und Schäufelchen noch beisammen hat, ist wahrscheinlich eher an dieser Schauergeschichte interessiert, die man beim Kollegen Cringeley lesen kann. Irgendwo in einer hoch geheimen Gegend stehen hunderte von Googletainern herum. Ein jeder wird bis obenhin mit Load-Balancern, 5000+ Opterons und mindestens 3,5 Petabyte Speicher ausgerüstet, kompakt verbaut, auf dass ein Sattelschlepper das Data Center über Nacht bei jedem Peering Point in der Welt abladen kann. Über Nacht übernimmt dann Google das Internet as we now it. Ob es dazu kommen wird, dass Google das Internet walmartisiert, weiß ich nicht. Aber warum soll nicht das Netz die Spielwiese einer einzigen Firma sein, wenn die Verwaltung des Internet das Spielchen eines einzigen Landes ist? Wer die ernüchternden Berichte vom Weltgipfel gelesen hat, sich nicht am Schwachsinn vom Internet der Dinge besäuft und vielleicht mal die Interviews mit Menschen anhört, die Ideen ins Internet speisen, tja, für den ist Google noch der kleinste Schrecken. Der einzige Verein, in dem ich Mitglied bin, der meine Honorare kassiert, wenn wieder eine Firmenzeitschrift Texte nachgekauft hat, ist ausgesperrt worden.

*** Der ebenfalls in Tunis prominent vorgestellte 100-Dollar Laptop gibt zu denken, nicht nur deshalb, weil der Dynabook/Laptoperfinder Alan Kay vor Ort war und offenbar einen ordentlichen Beifall bekam. Ein Hersteller des Displays ist nicht in Sicht, die Kurbel für den Stromantrieb ist noch ein Fake und wird eigens für die Journalisten aufgeklappt, weil schwer fotogen. Und die 100 Dollar: Wie heißt es so schön im einzigen Ticker, der die Welt 2.0 mit aller Grandezza präsentiert: "Negroponte spekuliert darauf, dass die erzielten Einsparungen bei der Herstellung des Laptop nicht dem Shareholder Value zugute kommt, sondern allein den Kindern." Spekulieren ist in der Tat eine noble Haltung. In der Zwischenzeit spekulieren wir ein bisschen über die Auflösung der Bildschirme. Den großen Rest der Spekulation überlassen wir den Philosophen des Digital Divide. Wer hat die Macht, die digitale Kluft zu überbrücken? Wer an der Kurbel dreht oder wer rummsbumms einen Container in 48 Stunden an jeden beliebigen Ort der Welt liefern kann?

*** Heute vor 200 Jahren wurde Beethovens Fidelio uraufgeführt. Der Singsang der großen deutschen Befreiungsoper ist hartgesottenen Gamern vielleicht noch in Erinnerung, weil im Nintendo-Spiel "Conker's Bad Fur Day" das Passwort Fedelio mit Fellatio verwechselt werden kann. Als typischer Bill Gates/Steve Jobs-Jahrgang, als altlinker halbverotteter Nach-68er – nicht mal Jeb Bush hat meinen Puls richtig gefühlt – gefällt mir die völlig unstrittige Version der Wikipedia, wenn es zur Proletkult-Inszenierung der großen Oper heißt: "Der weiteren Handlung des Stücks nach befreit der König die Gefangenen. Das widerspricht unserem Klassenbewußtsein und wir reißen die Masken ab." Wer eine der größten Musikstücke so nach dev/null entsorgen kann, hat Selbstbewußstein, anders als der Generalsekretär einer Partei, die den größten Sieg ihrer Geschichte holte. Ceterum Censeo?

*** Wer jetztemang kopfschüttelnd bereit ist, diese völlig unmaßgebliche Wochenschau zu verlassen, dem gebe ich einen Witz auf den Weg. Göring und Ribbentrop werden zusammenaufgehängt. Sagt der Göring zum Ribbentrop mit letzter Kraft: "Ich hab's Dir doch immer gesagt: Deutschlands Schicksal wird in der Luft entschieden." Wir sind also bei den Nürnberger Prozessen, die alles ander als ein Tea for Two waren. Ja, heute vor 60 Jahren begannen die Nürnberger Prozesse mit der Verlesung der Anklageschrift. In ganzer, umfassender Jämmerlichkeit wurde die Banalität des Bösen vorgeführt, die fortklingt, wenn ein journalistisches Zentralorgan einen Dolmetscher zum Beobachter herabstuft. Alle Angeklagten, ob Ribbentrop, ob Göring, Keitel oder Seyß-Inquart, bekannten sich als "nicht schuldig". Für heute bleiben wir bei John dos Passos: "Die Nazi-Führer starren mit verzerrten Mündern in das Grelle des Gerichtssaals. Vielleicht zum ersten Mal haben sie sich mit den Augen gesehen, mit denen die Welt sie sieht."

*** Wo wir gerade von Faschisten reden: Vor 30 Jahren starb der Generalissimo Franco. Seltsamerweise hält sich auch die Regierung unter dem Sozialisten Zapatero bedeckt, was die Aufarbeitung der Vergangenheit von Bürgerkriegsgreueln und francistischer Diktatur angeht. Hätte es in Deutschland keine Nürnberger Prozesse gegeben und ein wie mühsam auch immer sich gestaltendes Aufarbeiten der Nazi-Diktatur, sondern eine Partei, die die Diktatur nicht so recht verurteilen will, und eine, die sich nicht recht traut, die Reste der Diktaturfeierlichkeiten zu beseitigen, würden wir vielleicht auch ein Tal der Gefallenen, nur mit Hitler-Denkmal, besuchen. Oder das Nürnberger Reichtsparteitagsgelände wäre zum Wallfahrtsort mit Hitler-Mausoleum geworden. Die Nürnberger Prozesse aber begründeten das moderne Völkerrecht; mit dem Übergang zum Königreich will die spanische Gesellschaft dagegen anscheinend beweisen, dass Freiheit ohne Geschichtsbewusstsein möglich ist. Ein riskantes Projekt. Aber wenigstens können linke deutsche Touristen wieder ohne schlechtes Gewissen an die Costa del Sol.

Was wird.

Am Tag, an dem diese kleine Wochenschau entsteht, wurde Joe Hill hingerichtet. Leider wurde sein Anliegen durch eine Folk-Sängein verunstaltet, die ich persönlich nicht leiden kann, darum keine Links. Aber weil wieder einmal die Musik das große Thema ist, darf heute Gill Scott-Heron nicht fehlen, gerade weil eine Kabbala-Besessene das Feuilleton mit einer angeblichen Revolution zutütet. Nach dem Schwulst glauben wir auch, dass Sony BMGs Kopierschutz ein ausgefuchster Schachzug eines zum Guten bekehrten Medienkonzerns war, der in Wirklichkeit Digital Rights Management endgültig und ein für alle mal diskreditieren wollte. Gut, das haben sie geschafft, Glückwunsch, dafür verzeihen wir auch ein paar   Rechtsverletzungen. Ansonsten wird es kälter.

Quelle und Links : http://www.heise.de/newsticker/meldung/66417
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 27 November, 2005, 06:03
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Denn du bist Ludwigshafen, du schöne Stadt, du Hafenstadt des großen Ludwig I. von Bayern. In deiner maritimen Pracht verdienst du es, in einem Atemzug mit der von Ludwig erbauten großarischen Walhalla genannt zu werden, wo die Reste von Sophie Scholl liegen. Ludwigshafen, du schöne Chemiestadt, die einen Ernst Bloch wie einen Helmut Kohl beheimatete, du bist etwas und wir werden es erst: Heimat. Also kein Vergleich mit Bamberg, einer Stadt, in der sicher auch einmal ein solches Plakat gehangen hat, wie in vielen anderen deutschen Städten auch, als sich die deutschen Herren darum bemühten, im Aufbruch zur Weltherrschaft das Judentum abzutreiben. Denn du bist Deutschland, das war schon ein geschickter Appell. "Denn das ist mein und dein Deutschland", hieß es damals im Film, als Heini Völker als Hitlerjunge Quex begeisterte. Ist es also wirklich einfach nur Pech für die kreativen Werber der bombigen Agentur Jung von Matt, auf brauner Kacke ausgeglitten zu sein?

*** Aber nicht doch. An dieser Stelle empfiehlt sich der Blick darauf, wie andere Kreative den Slogan aufnehmen und beantworten. Besonders im IT-Umfeld kommen dort durchaus aparte Aussagen zustande, die angeblich den Menschen in den Mittelpunkt stellen. Doch was lesen wir da in den aktuellen Tageszeitungen, häufig gleich nach der Deutschland-Kampagne mit dem bunten Hundehaufen??

"Ich bin EADS. Mein Name ist Eurofighter. Verteidigungsexperten halten mich für das leistungsfähigste und vielseitigste Kampfflugzeug der neuesten Generation. Mit über 600 Bestellungen habe ich gegenüber der Konkurrenz die Nase vorn. Ich bin ein Beispiel erfolgreicher Kooperation zwischen den vier Nationen Deutschland, Großbritannien, Italien und Spanien. Von diesen internationalen Fähigkeiten habe ich sehr profitiert. Das unterscheidet mich von anderen Kampfflugzeugen. Ich bin ein wahrer Kosmopolit, der bei Leistungsfähigkeit und Zusammenarbeit keine Schallmauer kennt. Ich bin EADS."

Du bist Deutschland, ich bin ein wahrer Kosmopolit. Ich bin ein Eurofighter oder eine ausgezeichnete hypersensitive Spürnase, die einen wichtigen Beitrag für die Innere Sicherheit leistet, weil ich 30 mal empfindlicher als eine Hundenase bin. Du bist Deutschland und zufrieden damit im schwarzroten Juste Milieu. Was ist die Identifikation mit einem Land gegen die aufregende Identifikation mit einer Firma? Zumal dann, wenn die Identifikation mit diesem unseren Deutschland kreativ im Spreeblick-Kommentar #103 so erklärt wird:

"Der Begriff 'Deutschland' darf nicht für die Vergangenheit reserviert sein. Die Kampagne verurteilt aufs Schärfste Nationalsozialismus, Rassismus und neonazistisches Gedankengut. Wir begrüßen und unterstützen die Aufarbeitung der deutschen Geschichte und verstehen die Kampagne als antifaschistisch, weil wir auf die Leistung und Persönlichkeit jedes Einzelnen und die Zivilgesellschaft setzen."

Ich bin also Deutschland. Ich bin ein Beispiel erfolgreicher antifaschistischer Kooperation zwischen Leistung, Persönlichkeit und Zivilgesellschaft. Wir sind außerdem das Volk und haben eine neue Kanzlerin in Berlin und machen uns darum gleich einmal an die Aufarbeitung der Geschichte, dass es die kreativen Werber nur so antörnt. Ein Beispiel? Nehmen wir einmal an, du bist das hübsche Weimar und hast ein noch hübscheres Einkaufszentrum, das zum Atrium umgetaufte Gauforum, nach Prora eines der großen nationalsozialistischen Bauwerke. Geschmacklos sind wieder einmal die Demonstranten, die sich gegen die umstandlose Eingemeindung wehren, die sich nicht damit abfinden wollen, wie in Deutschland geduzt und gestutzt wird. Besonderen Geschmack haben dagegen die, die die Anlage als italienisches Dorf vermarkten, ganz ohne Mussolinis "Du bist nichts, dein Volk ist alles!" Ein klarer Fall für JVM.

*** Tja, wer im häufigsten Wohnzimmer auf Augenhöhe kommuniziert, hat einfach nichts besseres verdient. Es wird Winter in Europa, die CIA fliegt so tief, dass die finstersten Verschwörungstheorien sich anhören wie Kindergeschichten von schwarzen Hubschraubern, und wir sind immer noch Deutschland. Der Wind der Veränderung bläst uns um die Nase: Was schert schon das Recht, wenns gegen Terroristen geht, Kollateralschäden sind vernachlässigbar. Ja, so ist das mit den Winden der Veränderung, mal blasen sie in die eine, mal in die andere Richtung. Wir in Deutschland aber machen es uns hinterm Ofen gemütlich und freuen uns über die Scorpions, die mit "Wind of Change" den Jahrhundertsong hingelegt haben. Zumindest, wenn man den Zuschauern beziehungsweise Umfrageteilnehmern der Show "Unsere Besten" glauben darf. Ob man es als Trost, als typisch Deutsch oder gar als unverständliches Banausentum bezeichnen soll, dass die dritte Strophe des Lieds von Hoffmann von Fallersleben zur Musik des Kaiserquartetts von Joseph Haydn, allgemein als Deutschlandhymne bezeichnet, sich für die Deutschen hinter solchen ewigen Perlen tiefsten Schmalzes wie "Am Tag als Conny Kramer starb", "Abenteuerland" oder "Ganz in weiß" platzierte? Du bist eben Deutschland, komme was da wolle. Für uns mag es aber ein wenn auch schwacher Trost sein, dass die Freiheitshymne "Ode an die Freude", mit dem von Beethoven leicht abgewandelten Schiller-Text, gleichzeitig ohne jeden Text die europäische Hymne, es immerhin auf Platz Drei gebracht hat. Ja, genau. Wir sind Europa. Und alle Menschen werden Brüder. Das wären doch mal hoffnungsvolle Töne.

*** Erschreckt aber ziehen wir die Köpfe ein, die CIA fliegt noch tiefer, da passt keine Brüderlichkeit und kein Menschenrecht mehr drunter. Also bleibt es erst einmal dabei: Du bist Deutschland. Denn im Grunde genommen ist der zackige Apell ans Subjekt, verbunden mit dem selbstbewussten Auftrumpfen der Dinge zukunftsweisend. Ich freue mich schon auf die Kampagne von Microsoft: Du bist der Office- Anwender. Ich bin das tolle Open-XML-Dokumentenformat, das für Milliarden Dokumente gilt und ein breitgefächertes zivilgesellschaftliches Ökosystem bereitstellt. Wenn du so geschmacklos bist und nicht wie die British Library denkst, die die letzten 250 Jahre das digitale Erbe Großbritanniens verwaltet hat und in jüngster Zeit von Microsoft abhängig geworden ist, dann magst du im Open Document Format abspeichern. Aber das mit dem reichhaltigen Ökosystem knicken wir dann, es war eh nur ein netter Scherz. Warum denkst du nicht an die nachfolgenden Generationen, die auch mit Microsoft-Produkten ihren Lebensunterhalt verdienen wollen?

*** Du bist überlagertes deutsches Fleisch und findest nichts dabei, ein paar Pixel umzunieten. Das ist dein gutes Recht, aber wehe, wenn die Killerspiele in die Hände von Jungfleisch gelangen. Denn es gibt die die Koalition der Weisen, die sich bei der "Bild" darüber falsch informiert haben, dass Counterstrike nur dann zu gewinnen ist, wenn man mindestens fünf Menschen tötet. Ich bin Microsoft und bringe die eminent jugendfreundliche Xbox 360 heraus, um die man sich im echten Leben schlagen kann. Mit jedem Gerät mache ich 126 Dollar Verlust, der durch blutige Anwendungen freilich wieder ausgeglichen wird. Eine Geldverschwendung, die sich Microsoft leisten kann und schon für Nokia viel zu kostspielig ist. Da sucht man sich lieber das Taschenfernsehen als Pathway to Glory aus, eben ohne das Töten von mindestens 5 Menschen. Und auf das Internet-Tablett zu Weihnachten warten wir vergebens.

Was wird.

Jaja, ich bin heute ein monothematischer Langweiler. Kein Wunder. Ich bin ja nicht EADS und habe keine Superspürnase. Ich erhöhe also nicht die Sicherheit auf Flughäfen, in Flugzeugen und Gebäuden. Ich leiste keinen wichtigen Beitrag für die Innere Sicherheit. Das macht die EADS, deren Zweig EADS Secure Networks sich zum Beginn des TETRA World Congress als wichtigster Lieferant der europäischen Homeland Security vorstellt, der glänzende Wachstumschancen prognostiziert werden. Denn es ist doch so, dass wir wegen veralteter Dogmen und falsch verstandener Toleranz (Angela Merkel) im europäischen Maßstab sogar hinter der Schweiz herhinken: Überwacht werden müssen wir doch alle, nicht nur auf der Autobahn. Das ist einfach nötig: Wenn du Deutschland bist, ist der Einbrecher in dein Haus natürlich ein Nichtdeutscher. Und wenn ein EADS-Gerät 30-mal besser riecht als ein Hund, dann bekommen wir sicher auch die Apparatur, die 30-mal besser sieht als ein Grenzbeamter. Wir sind schließlich in Deutschland und wollen nicht alles selbst machen wie die in China: Bei uns wird die totale Kontrolle modular eingeführt, gewisserweise als Eenboom-Applikation, aus dem schnell ein Multiboom-Cluster, mit einem BKA, das mehr Befugnisse bekommt, als Otto Schily je erreicht hat.

Du, das ist ein tolles Land, dein Deutschland. Wie übersetzte noch Harry Rowohlt den Song vom Copyright-Nihilisten Woody Guthrie? "Dieses Land ist dein Land, dieses Land ist mein Land, von Kalifornien bis zur Insel von New York". Tja, da Klirren die Fahnen und die Gläser, Deutschland. Wie begann noch ein großes Geburtstagskind dieses Wochenendes seine epochale Abhandlung über die neue Wissenschaft der Kybernetik? Mit einem kleinen deutschen Lied:

Weißt du, wieviel Sternlein stehen
An dem blauen Himmelszelt?
Weißt du, wieviel Wolken gehen
Weithin über alle Welt?

Noch etwas weiter weg auf der Zeitachse, doch überraschend früh mit einem lesbaren Fahrplan melden sich die üblichen Weihnachtsmänner und ihre Haecksen, die Private Investigations betreiben und Entschwörungstheorien verbreiten wollen. Die überraschendste Entschwörung dürfte dabei das generelle Rauchverbot sein, das eine bisher unbekannte Willensstärke beim gemeinen europäischen Hacker freilegt: Auch der Mensch ist skalierbar. Darauf zünden wir uns eine erste Kerze an.

Quelle und Links : http://www.heise.de/newsticker/meldung/66683
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 04 Dezember, 2005, 02:37
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Heute vor 170 Jahren wurde Samuel Butler geboren, der Autor eines, ähem, satirischen Science-Fiction-Romanes namens Erewhon. Butler muss an dieser Stelle erwähnt werden, weil er einer der ersten gewesen ist, die sich mit der künstlichen Intelligenz beschäftigte. Das 1872 anonym erschienene Buch über Erewhon beschreibt, kurz zusammengefasst, eine Gegensellschaft, die in allem das Gegenteil zur englischen Gesellschaft und besonders der englischen Gesetze durchexerziert. Die Kinder suchen ihre Eltern aus, wer krank ist, wird bestraft und Maschinen sind verboten, eben weil sie intelligent werden könnten. Außerdem gibt es in Erewhon keine Privatsphäre.

*** Das Umsetzen von Gesetzen in ihr Gegenteil ist 170 Jahre nach Butler bei uns offenbar dabei, eine gängige Praxis zu werden, die Vater Staat beherrscht: Nehmen wir nur die LKW-Maut, für die es ein eigenes Autobahnmautgesetz gibt. Das verbietet die Nutzung der Mautdaten für andere Zwecke als der Abrechnung der gefahrenen Strecken. Doch wen kümmert's, wenn selbst Exdatenschützer daran glauben, dass Mautdaten zur Verfolgung von Schwerverbrechern herhalten müssen, wenn sie das Recht auf informationelle Selbstbestimmung für überholt halten. Natürlich gibt es Stimmen, die diese intellektuelle Selbstverstümmelung nicht mitmachen und die nicht einmal im oppositionellen Lager angesiedelt sind, sondern in Bayern. Dennoch wird die absurd komplizierte Mauttechnik von Toll Collect umgebaut werden, weil es der sichere Staat will. Schwerter zu Pflugscharen war gestern. Mautbrücken zu Lauschbrücken ist heute. Die beiden (!) ausländischen weißen Sattelzüge, die einen Parkplatzwächter töteten, hätten ja auch Terroristen sein können.

*** Der nächste Schritt wird wie in den USA sein, dass alle Fahrer von Gefahrenguttransporten ihre Fingerabdrücke abgeben müssen. Ach, das bekommen wir schon mit dem neuen Personalausweis in den Griff? Das ist ja praktisch. Wenn bis dahin nur die komischen hohen Fehlerraten bei den biometrisch ungeeigneten deutschen Gesichtern ausgebügelt sind, die millimeterungenau gewachsen sind. Notfalls muss eine neue Lichtbildbelehrung her: "Hiermit bestätige ich meine schiefe Veranlagung und akzeptiere im Fall polizeilicher Identitätsvorstellungen so lange als Terrorist eingruppiert zu werden, bis drei biometrisch unbescholtene Bürger meine Identität bestätigen. Die Kosten für das Verfahren habe ich zu tragen."

*** Jaja, wir sind alle bedroht durch den internationalen Terrorismus, Herr Schäuble. Mit einer schicken kleinen Umdefinition der Mautdaten in Daten, die unter die Telekommunikations-Verbindungsdaten-Überwachungs-Verordnung fallen und fahndungstechnisch bis zu 24 Monate auf Kosten von Toll Collect aufbewahrt werden müssen, sind wir auf der sicheren Seite. Wobei es zu beachten gilt, dass alle Autofahrer TK-Daten produzieren, nicht nur die Brummis, die zu oft Spielbergs "Duell" auf dem Laptop in der Kabine geschaut haben. Und wenn wir schon bei den TK-Daten sind, vergessen wir schnell das Ausgangsargument mit der Suche nach Schwerverbrechern, sondern freuen uns, wie die Verhinderung von Straftaten aus grundlegenden Freiheitsrechten gründliche Freirechte für die Strafverhinderungsbehörden macht. So sieht es aus, wenn man viele kleine Schritte macht. Freuen wir uns also, nie wieder allein zu sein.

*** Freude, ja. "Wir müssen uns Sisyphos als einen glücklichen Menschen vorstellen", schrieb Albert Camus. Heutzutage ist es banaler: Wir müssen uns Dieter Bohlen als guten Musiker vorstellen. Wie sonst ist die absurde Situation zu erklären, dass man angesichts all der peinlichen Gesangsvorstellungen in der neuesten Staffel von "Deutschland sucht den Superstar" Sympathie für die peinlichen Kommentare von Bohlen zu entwickeln beginnt? Nein, Bohlen ist nicht Sisyphos, aber Shows wie DSDS illustrieren das Absurde einer Gesellschaft, in der die 15 Minuten Berühmtheit, die Warhol jedem versprach, sich nur durch einen Amoklauf oder in einer penetranten Show absoluter Musikvermarktung realisieren lassen. Sisyphos sind möglicherweise diejenigen, die Dienste wie EMusic betreiben – und ganz sicher aber sind Sisyophos diejenigen, die Dienste wie EMusic benutzen (und bezahlen): Glückliche Menschen, die doch immer von neuem den Stein den Berg hinaufrollen müssen. Wenn alle Welt von den schönen neuen Musikdiensten spricht, die Musik zur verderblichen, da mit Verfallsdatum behafteten Ware machen, muss ich dagegen wieder meinen bevorzugten Online-Service loben: Vorerst unberührt von allen DRM-Diskussionen bekomme ich bei EMusic Musik, offiziell von den Labels (in der Regel Indies) lizenziert, ganz ohne DRM. Und ständig auftauchende Neuzugänge wie jüngst John Zorns Label Tzadik beweisen hoffentlich, dass es funktionieren kann: Nicht von DRM verunstaltete MP3-Songdateien, für die Leute bereit sind, Geld zu bezahlen, weil sie die Künstler, die sie produziert haben, in Ehren halten? Ach, Utopien können so schön sein. Ach, Utopien können doch realisierbar sein? Es ist zu wünschen, dass Diensten wie EMusic mehr Erfolg beschieden sei als all den Krüppelofferten von iTunes bis Napster. Oder, um zu Camus zurückzukehren: "Der Kampf gegen Gipfel vermag ein Menschenherz auszufüllen."

*** Aber so ist das mit den Utopien, nimmt man sie ernst, wirken sie angesichts der Realität absurd. Butlers Buch über "Erewhon" war eine Vorlage für William Morris' "Kunde von Nirgendwo", die 1885 entstand. Von Karl Kautsky übersetzt und als Fortsetzungsroman in seiner Revue "Die Neue Zeit" veröffentlicht, war die Utopie von Morris der Bildungsroman der deutschen Arbeiter schlechthin. Dabei verspottete kein anderer als Friedrich Engels den der Kunst zugewandten Morris als "Gemütssozialisten". Nun haben Begriffe ihre Geschichte und wandeln sich im Laufe der Zeiten, wie es die Aufregung um eine Meldung zeigt, in der vom Vulgärmarxismus die Rede ist. Hat der Heiseticker damit wirklich Bild-Niveau erreicht, wie viele kommentierten? Ich glaube nicht, denn die Liste der verdächtigen Artikel hat schon eine besondere Schlagseite. Aber vielleicht ist es auch, weil Vulgärmarxismus so schwierig ist, dass ihn nicht einmal die Wikipedia definiert. Kautsky galt mal als der größte Vulgärmarxist aller Zeiten. Für mich ist Vulgärmarxismus eine Vokabel aus der Schulzeit, als manche büffeln mussten, dass Kant in Königsberg nicht zu einem richtig proletarischen Klassenstandpunkt gelangen konnte. Und für den in dieser Woche verstorbenen Republikaner Franz Schönhuber werden die Vulgärmarxisten wohl die Kolumnisten der Süddeutschen Zeitung gewesen sein, in der seine Familie die Todesanzeige mit einem Marx-Zitat schmückte: "Die herrschenden Ideen einer Zeit waren stets nur die Ideen der herrschenden Klasse."

*** Ich habe schon ein paar Mal geschrieben, dass WWWW kein Blog ist. Aber es profitiert ganz schamlos von einigen Blogs, von denen manche früher, als sie entstanden, noch gar nicht Blog hießen. Und darum sind es freudige Nachrichten, wenn der dicke Donblog seinen 2. Geburtstag hat, wenn die hochalpinen Symlinker den 5. feiern und wenn "Deutschlands wichtigstes Business-Blog" wieder erreichbar ist. Doch auch bei den Blogs sind die kleinen Schritte die problematischsten. Man denke nur an die sauberen Blogs, die aus München kommen und, von einer ehrenamtlichen Blogger-Polizei bewacht, richtig Geld machen wollen, ohne dass jemand schreiben kann, dass der Hitlergruß in Deutschland verboten ist. Der wird nämlich vorher von einem Vulgärfilter abserviert. Dem Burda-Verlag gebührt jedenfalls der Verdienst, ehrenamtliche Arbeit und gut refinanzierbare Arbeit in ein und demselben Produkt anzubieten. Nicht mal 1-Euro-Jobs braucht es dazu.

Was wird.

Bleiben wir auch zur Vorschau auf die kommende Woche bei Burda. Denn Hubert Burda Media vergab zum 10. Mal seine Bambis, und wer die grauenvolle Prozedur verfolgt hat, wird sich über einen "Kommunikationsbambi" für FIFA-Chef Joseph Blatter kaum wundern. Blatter ist der Stammler, der die Sportart Fußball zu einer Operette umfunktioneren will, in der die Hautevolee für 336.000 Euro das Spiel in so genannten Sky Boxen genießen kann. Wer sich so etwas zur WM 2006 leisten kann, hat natürlich Angst vor Terroristen, die ebenfalls den großen Auftritt suchen. Dementsprechend ist die Weltmeisterschaft das größte Sicherheitsspektakel, das Deutschland bieten kann. Ob Polizisten, ob Journalisten, sie alle werden vom Verfassungsschutz unter die Lupe genommen. Selbst die Telefone und TETRA-Handys der Organisatoren müssen durch eine Sicherheitsüberprüfung und werden einzeln in Sicherheitsbehältern geliefert, die sich nur dem berechtigten Nutzer öffnen. Freuen wir uns darum mit den Grünen, Blauen und Roten, dass die Vorbereitungen für die LÜKEX 05 angelaufen sind, ausgeschrieben im korrekten Denglisch das "Länderübergreifende Krisenmanagement Excercise 05". Doch das Kommunikationsbambi will man nicht verschrecken, wenn es heißt: "Das Szenario der Übung LÜKEX 05 geht von einer angespannten Sicherheitslage mit terroristischer Bedrohung und Gesundheitsgefahren vor dem Hintergrund einer Serie internationaler Großveranstaltungen in Deutschland aus. Es handelt es sich um ein fiktives Szenario. Reale Erkenntnisse über eine konkrete Anschlagsgefahr oder eine Gefährdung durch Seuchen liegen derzeit nicht vor." Dennoch herrscht höchste Alarmstufe auf der Internetwache. Parallel dazu tagen die Fachleute im Cyber-Häuserkampf, die Experten zum Schutz kritischer Infrastrukturen an einem natürlich geheimgehaltenen Ort, den Hackern nicht zugänglich.

Ebenfalls in der kommenden Woche lädt eine Firma zur großen "Premieren"-Pressekonferenz ein, weil sie zwischenzeitlich in Vergessenheit geraten ist: Napster Deutschland kommt. Man möchte im Weihnachtsgeschäft mitmachen und zu fairen Konditionen Musik anbieten. Ach ja. Wie war das mit den Utopien? Wie titelte die Süddeutsche Zeitung im Freitags-Feuilleton mit einem Monster-Satz? "Ginge es fair zu, wäre Microsoft heute eine Tochtergesellschaft der Shakespeare Company". Nein, Virginia, das Leben ist nicht fair, selbst wenn der Nikolaus übermorgen kommt, allen Braven etwas Süßes bringt, was entsetzte Eltern zum Notfall-Bastelset greifen lässt.

Quelle und Links : http://www.heise.de/newsticker/meldung/66946
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 11 Dezember, 2005, 00:58
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Es ist hoffnungslos. Wenn Gangsta 50 Cent mit Pop-Prinzchen Robbie Williams bei Thomas Gottschalk eine flotte Fußball-Sohle aufs Parkett legt, fragt man sich, wozu all dieser DRM-Mist erfunden wird: Wer will denn noch Musik von Hampelmännern klauen? Es ist hoffnungslos: Selbst gute Musiker wie 50 Cent sind nichts mehr wert ohne Unterwerfung unter noch die blödesten Auswüchse in der Vermarktungsmaschinerie der Musikindustrie, Technik ist schon lange kein Hilfsmittel mehr, das Leben einfacher und den Genuss freudiger zu machen, und Literaturnobelpreisträger müssen sich die Wut der Feuilletons zuziehen, um noch etwas Aufmerksamkeit für abweichende politische Meinungen zu erreichen. Es ist hoffnungslos.

*** Aber was soll das Gejammer. Etwas Aufmunterung gefällig? Bitte sehr: Hurra, Deutschland! Da zauberte und hüpfte und zündelte der Niederländer Hans Klok auf den Treppchen und Podestchen der großen Auslosungsgala herum, doch gebracht hat es nichts. Der große Schamane sprang wir ein Irrwisch umher und patzte dennoch: Die Käseköppen schafften es nicht in die deutsche Gruppe! Die WM darf angemessen mit einem Aufbau-Kick gegen Costa Rica eröffnet werden! Darum ließ selbst die entklumte Welt eine schreckliche Latino-Simulation über sich ergehen, während der große Rest bereits den Castro-Cumbia a la Google tanzt, weil Südamerika gewinnen wird. Als Vorrundenzweiter kommt der deutsche Fußball etwas weiter, während sich die deutsche Sicherheit von ihrer besten, ersten Seite zeigen kann: zu Gast bei Freunden, im Knast bei Freunden. Ach je: Es ist hoffnungslos.

*** Oder doch nicht? Denn eines, eines haben wir ja immer noch drauf: Erinnern wir uns an die Sicherheitsgarantie, die das Bundesinnenministerium gegenüber der allmächtigen FIFA am 30. Juni 1999 zur Unverletzlichkeit der Spieler und Fans abgegeben hat, die "@ home w/ friends" genießen wollen. Ich finde so eine "Regierungsgarantie Sicherheit" eine tolle Sache. Da verpflichtet sich ein Staat, das Leben von Gästen zu schützen, die eigentlich nur möglichst viel Geld bei uns lassen sollen. Ja, so einen umfassenden Sicherheitsschutz wünschte man sich als Staatsbürger selber auch von seinem Staat, doch da ist Deutschland etwas knausrig, wie der Fall al-Masri zeigt. Es ist ja auch schwierig, wenn deutsche Staatsbürger nicht Schröder, Schily oder Schäuble heißen, sondern so fremde Namen tragen wie al-Masri. Deutsche Sprache, schwere Sprache, da kann man schon mal Völkerrecht und Folterrecht verwechseln. Ach, ich schweife vom Thema ab, wenn sich unser Staat entblößt? Na, dann freuen wir uns doch mit dem gastfreundlichen Polen über die schöne Gruppe.

*** Ziffel: Wenn Sie meine Meinung wissen wollen: Raus aus jedem Land, wo Sie einen starken Freiheitsdurst finden. In einem günstiger gelegenen Land ist er überflüssig.
Kalle: Sie haben recht, es ist verdächtig, wenn wo viel von Freiheit die Rede ist. Es ist mir aufgefallen, dass so ein Satz "bei uns herrscht Freiheit" immer kommt, wenn jemand sich über Unfreiheit beschwert. Dann heißt es sofort: "Bei uns ist Meinungsfreiheit. Bei uns können Sie jede Überzeugung haben, die Sie wünschen". Das stimmt, in dem das überall stimmt. Nur äußern könnens Ihre Überzeugung nicht. Das wird strafbar. /.../
Ziffel: Gemeint ist, dass Sie im Privaten einige Freiheiten haben und nicht gleich verhaftet werden, wenn Sie an einem Biertisch eine Überzeugung haben, die von der erlaubten abweicht.
Kalle: Hier dürfens auch am Biertisch keine Meinung mehr haben. Die Deutschen und vor ihnen schon andere haben entdeckt, dass auch das schon gefährlich ist. Sie sind auch untern Biertisch gekrochen. Sie haben den Freiheitsdurst der Kleinbürger an der Wurzel gepackt.
Ziffel: Sie tun, was sie können, aber sie sind noch nicht ganz durch.

Das wurde Anfang der 40er Jahre geschrieben. Inzwischen sind wir weiter, besonders im linken Lager. So sieht es aus, wenn revolutionäre Kräfte sich für das freie Internet stark machen. Sie wollen nicht einfach der Gehherda sein, sind aber gedankengeschwind die Gehindas und Gehwegdas, die zeigen, wie Meinungsfreiheit nach Kalle und Ziffel bei uns heute funktioniert. Wenn netzfremde Richter die Vorzensur fordern, wie es in einer nicht kommentierbaren Meldung heißt, muss man darum schon ganze Foren in vorauseilendem Gehorsam schließen, unter die Biertische kriechen, den Kratzfuß machen, obwohl die Entscheidung noch den Weg durch die Instanzen gehen muss? Fiat iustitia, et pereat mundus. Oder, um es moderner mit Shakespeare zu Formulieren: Es gibt mehr Ding' in den Foren und der FTP-Welt, als sich die juristische Schulweisheit träumen lässt.

*** Ist es hoffnungslos? Es scheint so, schreit die Wut der Feuilletons: Vielleicht muss man heute schon bereit sein, ganz von dieser Welt zu flüchten, um so abzurechnen, wie es jetzt ein todkranker Mann getan hat: "Ich behaupte, die Vereinigten Staaten ziehen die größte Show der Welt ab, ganz ohne Zweifel". Die wütende Abrechnung, die uns Harold Pinter hinterlassen will, wird bereits als das Geschwätz eines kranken, alten Mannes abgetan, das nicht mehr Bedeutung hat als die wissenschaftliche Analyse der Bewohner von Serpo. Vielleicht ist es aber auch das letzte Dokument der Meinungsfreiheit, die ein 2001 abgetretenes Jahrhundert kannte. Die Entschlossenheit, die Würde des Menschen wiederherzustelllen, ist sie ausreichend? Ich schreibe das am Geburtstag einer anderen großen Nobelpreisträgerin, die auf das noble Lob aus Stockholm mit einem Gedicht antwortete und in einem anderen gegen die Sentimentalität derer, die das neue Haus bauen, dichtete:

Baue, wenn die Stundenuhr rieselt,
Aber weine nicht die Minuten fort.

Natürlich haben Dichter eine leise Stimme. Was sind sie im Vergleich zu einem Kernel-Künstler, einem Hausbauer wie Alan Cox? Dennoch erinnert dieser kleine Wochenrückblick nicht an Cox, sondern an Aimé Césaire, der sich in dieser Woche weigerte, Frankreichs Innenminister Nicolas Sarkozy zu empfangen, der neben einigen drastisch die Freiheit einschränkenden Gesetzen auch Urheber eines Gesetzes ist, das von den Schulen verlangt, die positiven Seiten des Kolonialismus zu lehren.

*** Mit dem schönen antiquierten, fast völlig unverständlichen Gehherda aus dem Zoo der bedrohten Wörter bezeichnete Brecht die Haltung der feineren Bürger, den Proleten auszurichten, doch bitte gegen die Hitlerei zu kämpfen. Es ähnelt den schulterklopfenden Anbiederungen an Bürgerrechtler, doch bitte laut gegen die Vorratsdatenspeicherung zu protestieren. Denn unfein ist das schon, wenn 6-12-24-x Monate die Telefonnummern der Nebenfrau gespeichert sind, die Besuche beim Porno-Hunnen nicht mit gerechnet.

Was wird.

Jaja, natürlich ist es nicht hoffnungslos. Natürlich wird es Weihnachten. Oops ... Nochmal von vorne: Wer die neue Fußball-Queen Heidi Klum toppen will, muss Maria Rauch-Kallat heißen und den Quantensprung von Österreich ins digitale Zeitalter mit der Gesundheitskarte eröffnen, die nunmehr landesweit eingeführt ist. Österreich ist saniert, während wir noch auf den großen Hackertest warten. Am Montag nicken wir also nach Österreich, den verständnisvollen Partner des größten Fußballspieles aller Zeiten: COR-DO-BA!

Danach kommt Mehdorn, das Rumple-Stilzchen unter den deutschen Industriemagnaten. Der Manager, der den Hauptbahnhof in Berlin als sein Wohnzimmer betrachtet, der die Bahn nach Hamburg verlegen will, eröffnet zusammen mit Kai-Uwe Ricke von der deutschen Telekom das "schnellste Netzwerk der Welt". Zwischen Köln und Dort.. ähem, Düsseldorf wird auf einer Pilotstrecke das erste zuggebundene Wireless LAN eröffnet, natürlich für ICE-Reisende exklusiv. Unter Journalisten ist die Aufregung groß: wer sich nicht zwischen Köln und Düsseldorf einloggen kann, gewinnt angeblich einen Bordellbesuch in dem Mehrstockhaus, das kurz vor der Einfahrt in den Hauptbahnhof zum Schnee-Desaster die Laken hängte: "Alle reden vom Wetter – wir nicht". Da wartet man doch glatt auf die Gegenkampagne um Stil von Mehdorn: "Alle vögeln – wir fliegen". (Mitunter verspätet)

Schickt man al-Masr durch einen geeigneten Filter, so kommt als Namensvorschlag Hal Maser heraus. Wenn dieser Maser nach Afghanistan entführt werden würde, dann würde Deutschlands Sex-Kloake lettern: Wann wird er geköpft? Das ist natürlich reiner Spekulatius, in dieser Zeit. Noch ein Flämmchen, bitte.

Quelle und Links : http://www.heise.de/newsticker/meldung/67233
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 18 Dezember, 2005, 00:19
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Da war er wieder, der Vorwurf, dass ich alles schlecht mache und pessimistisch sehe. Ich kann mit ihm leben, denn ich sehe nicht ein, was denn ein Gutmacher Besseres berichten könnte. Wäre es anders, so müsste der kleine hannöversche Verlag in der norddeutschen Tiefebene einen anderen Kolumnisten beschäftigen, ganz nach dem Vorbild der großen Walt Disney Publishing Corporation. Die hat vor sieben Jahren die kompletten Rechte an "Pu der Bär" gekauft und bekanntlich Marketiers von geringem Verstand. Ab sofort hat man bei Disney Christopher Robin abgeschafft, der mit Winnie-der-Pu und Ferkel, mit Tieger, I-Ah und Eule den Hundertsechzig-Morgen-Wald durchstreifte. Christopher Robin ist nicht mehr. Er ist abgeschafft, die Bücher mit dem Jungen werden aus dem Verkehr gezogen. An seine Stelle wird ein jungenhaftes Mädchen treten, "das dem Publikum physische, kognitive und emotionale Reaktionen entlocken wird", so der offizielle Sprachmatsch der Bessermacher und Kulturschänder. So sieht es also aus, das positive Denken, wenn der Roland-der-Berger-Pu kommt, und darum bleibe ich bei den schlechten, alten Dingen, mit denen sich die Säufer und nicht Alkoholiker beschäftigen. Den Rest werden mir die Freunde der reinen, guten Nachrichten schon im Forum nachtragen, dazu brauchen wir doch kein politisch korrektes Meckerblog wie ein Hamburger Blatt mit Bremer Schlüssel – das nicht mal einmal mehr richtig recherchieren kann.

*** Fakten, was sind schon Fakten? Fakten können sich ändern, aber meine Meinung doch nicht. Als ich Mitte der Siebzigerjahre die ersten Schritte in den ebenso hübschen wie vollkommen nutzlosen Beruf des Journalisten machte, wurde der lange Zeit gepredigte Glaube vom objektiven, wissenschaftlichen Journalismus gerade zu Grabe getragen. Stattdessen wurde der Präzisionsjournalismus, wie ihn Philip Meyer predigte, zum Gebot. Und alles, was nicht computer assisted reporting war, war dummes Gefasel, reif fürs Feuilleton. Boolesche Algebra und die Suche in Datenbanken waren wichtiger als eine gute Frage an einen korrupten Politiker. Das war immerhin ein guter Einstieg, Computer kennenzulernen. Doch vom Präzisionsjournalismus kann heute keine Rede mehr sein.

*** Die Präzisision ist dahin, es zählen nicht einmal mehr die Fakten, nur die Märchen: Willkommen in der Welt des narrativen Journalismus. Wie der aussieht, konnte man in dieser Woche in vielen nicht nur englischen Medien lesen: Alle Anfragen zu den Londoner Bombenattentaten vom 7. Juli werden abgeschmettert, eine Untersuchung wird es nicht geben, nur eine Nacherzählung der Ereignisse. Statt Aufklärung bis hin zum Eingeständnis, dass zwei der Bomber im Visier des Geheimdienstes waren, bleibt es beim narrativen Raunen über die Terrorgefahr, mit der sich vieles begründen lässt. Auch die unschöne Sache, dass ein Unschuldiger, von einer Gesichtserkennungs-Software mit einem Täter verwechselt, nur deshalb erschossen wurde, weil der entscheidende Beamte austreten musste, kann von einer schönen Narration sehr viel besser dargestellt werden.

*** Der Anfang des narrativen Journalismus ist schnell gefunden: Die wunderschöne Erzählung von den Massenvernichtungswaffen im Irak hätte auch der Reporter Theodor Fontane nicht besser schreiben können. Die nicht minder anrührende Geschichte über eine Spionageaktion komplettiert derzeit das Bild, und besonders bemerkenswert dabei: Ein ganzes Jahr lang konnte die freie Presse daran gehindert werden, die Geschichte zu drucken. Wir sehen, wie richtige Patrioten denken.

*** Zum neuen narrativen Journalismus gehören immer zwei, die Erzähler und die Journalisten, die die Erzählung verbreiten. Das gilt natürlich auch für die IT-Berichterstattung, die mit Narrationen zufrieden gibt. Man nehme nur die rührende Story zum miesen Rootkit von Sony BMG, dass vom edlen Ritter Microsoft in die Flucht geschlagen wird. Darin verpackt, die Narretei, dass die Firma F-Sercure bereits Ende September Bescheid wusste und mit Sony sprach. Danach: Funkstille. F-Secure hat geschwiegen, die eigenen Nutzer nicht informiert. Ist das nicht Grund genug, die Finger von einem solchen Sicherheitsprodukt zu lassen? Und was ist mit den anderen Firmen, die Sicherheit als Software verkaufen, die gutes Geld dafür kassieren, ihre Kunden in Minuten vor drohenden Gefahren zu warnen? Wenn selbst die großen, etablierten Hersteller von Sicherheitssoftware nicht in der Lage sind, ihre Kunden vor der Schadsoftware der Unterhaltungsbranche zu schützen, wer dann? Was dann? Dann beginnt die Märchenstunde.

*** Ein Märchen habe ich noch. Während die Vorratsdatenspeicherung planmäßig vom EU-Parlament durchgewunken wird, freut sich der deutsche Gewerkschaftsbund über seine Forderung, wirksame Regelungen zum Arbeitnehmerdatenschutz zu vertreten. Besonders freut mich dabei, dass es sie noch gibt, die Politik der schwieligen Faust: "Dabei müsse berücksichtigt werden, dass es einen Unterschied mache, ob Büroangestellte oder Mitarbeiter einer Autowerkstatt Zugang zum Internet hätten." Autowerkstatt! Des Deutschen Auto! Was passiert eigentlich, wenn ein Mechaniker bei der Inspektion surfend ein Rootkit in meine Karre kopiert? Ölverschmierte Hände sollen sich einfach nicht am Internet vergreifen können.

*** Noch ein Märchen? Vor zehn Jahren erschien in Deutschland zur schönen Weihnachtszeit ein Buch der amerikanischen Rechtsanwälte Canter und Siegel unter dem noch schöneren Titel "Profit im Internet". In ihm findet sich die Behauptung, dass das Web nur darum entstand, weil Pornobilder geguckt wurden. Doch wie sahen eigentlich die Bomis Babes der Pioniere aus? Heute können wir Les Horribles Cernettes wieder betrachten, weil es seit dieser Woche Blogger gibt, die keine Märchen erzählen. Leider durfte ich nicht in die nicht jugendfreie Veranstaltung über nackte Pizza-essende Feuerwehrfrauen.

*** Süßer, die Märchen nie enden, gerade zur Weihnachtszeit: "Wir haben vom Faxgerät bis zum iPod eine große Reihe technischer Neuerungen in Deutschland entwickelt", erzählt der Siemens-Zentralvorstand Thomas Ganswindt in der Zeitung, leider nur auf ePaper, nur um zu beklagen, dass Deutschland den Megatrends nicht konsequent genug folgt. Da sollte man sich bitte doch bei Siemens ein Beispiel nehmen. Wie man kreativ mit einem Megatrend wie Open Source umgeht.

Was wird.

Es naht das schönste Fest der Christenheit. Wer mitfeiern will und bis jetzt noch keine passenden Geschenke hat, der findet hier eine passable Erzählung. Doch gilt auch "Mir Sajnen do" und damit bitte ich die geneigte Leserschaft um Vorschläge, was mit dem WWWW passieren soll, das diesmal mitten in die christliche Traufe fällt. Was braucht ein Dutzend diensthabender Admins und zerstreuter Programmierer? In bin in einer atheistischen Familie aufgewachsen, da hatten wir zum Weihnachtsfest eigentlich nur die Pflicht, zwei Stunden Radio Norddeich zu hören. Danach wurde gemampft. Heute sieht das wohl anders aus. Gute Weihnachtsgeschichten gibt es genug.

Heute ist die letzte Gelegenheit, rauszugehen und auf einem Weihnachtsmarkt den grässlichen Glühwein zu kippen. Ach, wie bezaubernd sind diese Buden, die Klickoläuse und all die Engelchen zum vierten Flämmchen. Doch nun musst du hart sein, Virginia, da hilft dir kein Weihnachtsmann: Die geflügelte Jahresendfigur gibt es nicht. Sie hat es nicht einmal zu Zeiten der lebendigen DDR gegeben. Sie ist eine sozialistische Engelslegende, dem Kopf eines heimwehkranken Stasi-Offiziers entsprungen. Das ist übrigens das Positivste, was ich noch zu sagen hätte. Gute Nacht, Freunde, und ein letztes Glas im Stehn.

Quelle und Links : http://www.heise.de/newsticker/meldung/67497
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 25 Dezember, 2005, 08:52
   Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.Und aus gegebenem Anlass tickt bei Hal Faber heute die Bombe. Er meldet sich von der anderen Seite der roten Linie.

Was war.

*** Süßer die Schlagzeilen nie klingeln, und in meinem Kopf dröhnt es auch schon, was nicht etwa an übermäßigem Punsch- oder Glühweinkonsum am Vorabend dieses ersten Weihnachtstages liegt. Manche Leute haben Hegel falsch verstanden und verwechseln Dialektik mit Sophistik. Ist unser aller Staatstheoretiker Hegel in Ferien und nicht erreichbar, dass jeder gerade so argumentieren darf, wie's im passt? Die Folter ist mal wieder in aller Munde, die Zeitungen sind schwer beschäftigt, das richtige Foltern zu erklären und das Schäublen, die politisch korrekte Übernahme von erfolterten Aussagen. Vom Elektroschock und der Vergewaltigung bis zum bewussten Wegsehen, wenn irgendwo auf der Welt mal wieder ein Völkermord passiert, reicht die ganze Spannbreite der Folter. Folter findet überall statt, sie ist keine Anomalie oder eine Perversion von durchgeknallten sadistischen Menschen. Folter ist einfach eine Befragungstechnik, die etwas weiter geht, als wir es von den Tatort-Kommissaren gewohnt sind. Wer Stromstöße durch die Genitalien eines Gefangenen schickt, arbeitet halt mit einem schnellen Interrupt und will den Direct Memory Access. "Der Staat ist die Wirklichkeit der sittlichen Idee", ja, ja, gut gebrüllt, alter Löwe.

*** Für einige mag Foltern Spaß machen, weil sie Spaß daran haben, den Willen eines Menschen zu brechen, für die meisten ist Folter aber eine normale Arbeit, die sich kaum vom Telefonieren in einem Call-Center unterscheidet. Auch dort muss man etwas aus dem Anrufer herauskitzeln, mit anderen Methoden. Die Folter ist ein Kulturprodukt, der Ausdruck einer Zeit, die keine Zeit hat. Es ist halt einfacher, das Kind mit ausgekugelten Armen an einen Haken in den Keller zu hängen, als lange auf dem PC zu suchen, was es wieder im Internet angestellt hat. Die Folter ist einfach effizient, sonst würde sie ja nicht eingesetzt werden, und ja, sie ist natürlich ein Effekt der Globalisierung: Wer will sich denn noch vor Folter drücken? Folter hat natürlich mit knappen Ressourcen zu tun, denn ein Mensch lässt sich nicht ewig foltern, sondern stirbt. In Syrien wurde beispielsweise Mohammed Haydar Zammar "landestypisch behandelt", wie es das Auswärtige Amt formuliert. Es bedurfte des bundesdeutschen Opfers in Form des Abbruchs von neun Strafverfahren gegen Syrer, ehe BKA-Beamte auch mal zu dem Gefolterten durften.

*** Man denke nur, wie schnell Ruhe in der Bude ist, wenn Foltern im Betrieb, in der Schule und in der Universität eingeführt ist. Je nach Milieu wird man von Daschnern oder Scharffern reden, um endlich einmal Hans Joachim Scharff zu ehren, den Chef-Verhörer der Nationalsozialisten, der rote Linien ziehen konnte wie sonst nur noch Fischer. Natürlich muss man Grenzen ziehen, wenn man Folter salonfähig machen will. Ein demokratischer Rechtsstaat sollte schon darüber diskutieren und abstimmen, ob man auf einem Gefangenen noch die Zigarette ausdrücken kann oder ob das schon zu viel ist. Ob man zur kleinen Anfangsfolter für Einsteiger schon das Aushungern zählen möchte oder ob das noch eine legitime Hartz IV-Maßnahme ist, wie die Landverschickung von Arbeitslosen zum Bücklingsunterricht auf Spargelfeldern.

*** Je schneller wir in diese Debatte einsteigen, desto klarer signalisieren wir den Terroristen, dass wir keinen Deut anders sind als sie, dass wir keine weichen Eier haben und dass auch wir nur tickende Bomben der Extraklasse sind. So einfach ist das. Notfalls können auch wir im Eilverfahren Gesetze ändern, die das Land verändern.

*** Bei Lichte betrachtet ist das Foltern ein EDV-Problem. Da mögen alle Echelons der Welt mit ihrem von SAIC programmierten TeraText mit Latent semantischen Indices sich durch Mails und Telefonate pflügen, da mag besagte SAIC die irakischen Medien kontrollieren oder unser BKA sich über seine tolle IBM-Websphere-Installation ETWAS (Early Threat Warning Analysis Systems) freuen, da mögen alle KFZ unter Aufsicht gestellt werden, es reicht alles nicht aus, die Informationen über die tickende Bombe zu finden. Wo die Rechner versagen muss Folter her, die Hirne öffnen.

*** Ja, man merkt's, auch an dieser Wochenschau: Weihnachten ist's und überall wird das Lied des jüdischen Komponisten Israel Balline a.k.a Irving Berlin gespielt, der von einer White Christmas träumte. In diesem Jahr fallen Weihnachten und Chanukka zusammen, was datumsmäßig selten ist, doch inhaltlich kaum problematisch. Zu Erinnern wäre an die Jüdin Fanny Arnstein, die 1814 den ersten Weihnachtsbaum in Österreich aufstellte, komplett mit Kugeln und Davidsternen. Oder wie wäre es mit dem ersten "deutschen" Weihnachtsbaum, der vor 400 Jahren zu Straßburg auftauchte? Nichts dergleichen. Ich melde mich von der anderen Seite der roten Linie, von dort, wo Weihnachtsmänner den Fummel ausziehen, wo kein tröstliches Chanukka-Lichtl brennt, wo nicht einmal die Spreewaldgurken der Ostheisten von den Zweigen hängen. Von dort, wo schon das kleinste Jammern für den Rausschmiss reicht, weil Jammern nun mal kein betrieblichen Nutzwert erzeugt. Freut euch kann auch eine Folter sein.

*** Mit dem Stichwort Rausschmiss bin ich schon beim letzten Punkt der weihnachtlichen Wochenschau angelangt. Für Journalisten ist Weihnachten die Zeit der Toten und Vergessenen. Kinder, Ehefrauen und Mütter schicken ihre bitteren, verzweifelten Briefe zum traulichen Fest. Die Hinterlassenen derer, die nach einer Meldung des Heisetickers den Freitod gewählt haben, wollen Trost, Reue oder zumindest eine Ahnung davon bekommen, was sich da abgespielt hat. Da muss ich meine Hilflosigkeit gestehen: Das Nachrichtengeschäft ist hart und vergisst oftmals die Menschen hinter den Nachrichten. Wenn Journalisten brisante Mails verschlüsseln, Unterlagen bei Dritten verstecken, bei gefaxten Dokumenten sofort die Senderkennung vernichten und zum nächsten Copyshop laufen, um anschließend das Original zu vernichten, so vergessen wir schnell, dass sich nicht jeder Mensch so verhält. Und dass es Menschen gibt, die daran zerbrechen. Weil ich eher ratlos diese Sorte Weihnachtspost öffne, und noch ratloser der Entwicklung gegenüberstehe, dass manche Nachrichten zu Querschlägern mutieren, erinnere ich heute an einen der tödlichen Fälle. An Thomas Milatz, Mitarbeiter der DATEV-Pressestelle, dem nach dieser Meldung gekündigt wurde, dem dann die Ehe zerbrach und der sich daraufhin im Reichelsdorfer Wald bei Nürnberg erhängte. Nach neun Tagen wurde er gefunden. Die bittere, die böse und die banale Wahrheit ist, dass sich an den Tippelschritten Richtung digitale Signatur nichts, aber auch gar nichts geändert hat. Jetzt soll sie 2007 im großen Stil mit den Personalausweisen kommen, die biometrisch sicher sind. Dass die ungeheure Macht, mit der die DATEV ihre Steuerberater auf Linie hält, zum 40. Jubiläum dieser Organisation im kommenden Jahr weiter zugenommen hat und zunehmen wird.

Was wird.

Das Einstein-Jahr geht zu Ende, doch ehe wir das neue, das Jahr der Informatik feiern können, in der jede Subroutine mit Lametta behängt wird, gibt es noch einen Jahresrückblick. Und einen Kongress über Private Investigations, durchgeführt vom einzigen Verein, der in der Lobbyliste des neuen Bundestages offiziell als Vertreter der Interessen von Hackern, Netzwerkern und Online-Bürgern ausgewiesen ist, in dieser Reihenfolge.

Nach der Kampagne "Du bist Deutschland" (heute ohne Link, schließlich ist Weihnachten) geht es im neuen Jahr mit Deutschland, Land der Ideen weiter. Deutschland, du Land der Gummibärchen, Funkuhren, Currywürste und Aspirintabletten, du hast doch mehr zu bieten! Den Anfang macht im Land der Zukunft der Informatik-Wettbewerb Deutschland braucht Deine Ideen. Wo Ideen und keine Inder mehr gefragt sind, ist der Hauptpreis angemessen: Statt deutscher "Green Card" gibt es ein vierwöchiges Praktikum für die beste Antwort auf die Frage "Welche Aufgaben würdet ihr mit Virtueller und Erweiterter Realität angehen? Welche intelligenten Produkte fehlen uns noch?" Ja, was fehlt uns noch? Ein bisschen "intelligent design"? Ein bisschen Verstand? Ein bisschen mehr Mut, sich seines Verstandes zu bedienen? "Die Weltgeschichte ist nicht der Boden des Glücks. Die Perioden des Glücks sind leere Blätter in ihr." Begeben wir uns also in die Vacanze di Hegel und überlegen uns unter Begleitung des Quartetto Magritte zwischen den Jahren, wo denn im nächsten Jahr die Weisheit des Weltgeistes walten und ihr möglicherweise entgegen aller Erwartungen doch noch segensreiches Wirken entfallten sollte: Es dämmert auf der Welt. Wo bleibt die Eule der Minerva?

Quelle und Links : http://www.heise.de/newsticker/meldung/67764
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 01 Januar, 2006, 00:38
Ja, war denn was? Ja, ein Jahr. Es geht voran. Nur keiner weiß, wohin.

Die Gegenwart ist auch nicht berauschend
zu viele Leute, die mich belauschen
ich weiß noch nicht, wer ich bin
Radio zu hören, das macht keinen Sinn.

Genau: War was? Statt der Marching Band für uns gestandene Kritikaster stimmte Frank Sinatra den Abgesang des Jahres an. My Way bildete die Begleitmusik für den Beginn der Erinnerung an die Zeit unter Schröder. ePässe und der Untergang nicht nur von New Orleans, sondern auch des Traums von US-amerikanischer Allmacht, Vorratsdatenspeicherung und die Zerstörung nicht nur großer Teile von Pakistan, sondern auch des Glaubens an die allgegenwärtige Hilfsbereitschaft der positiv globalisierten Bevölkerung der Industriestaaten – diese extremen Töne, die sich in die hässlichen Hintergrundgeräusche einfügten, sind damit noch lange nicht ausgeklungen.

Aber Du bist Deutschland, was also soll passieren? Dass wir vor Langeweile sterben angesichts dieses vergangenen Jahres. Wie peinlich erscheint im Nachhinein all die Aufregung um das von Bundesköhler bejammerte untergehende Deutschland und um die von den Auguren prophezeite große Wechselstimmung, die dann doch nur in marginalem Wechsel beim politischen Personal ihr Ende fand. Erinnerungen an die Zeit unter Schröder werden uns sentimentalerweise noch lange begleiten, auch wenn My Way davon nicht zu einem entschnulzten Klassiker wird.

Mit den Irrungen und Wirrungen der Hightechbranche oder den Katastrophen des Jahres lässt sich aber kein nostalgischer Blumentopf gewinnen, und Deutschland sind die Hunderttausenden von Kriegs- und Katastrophen-Toten auch nicht. Nostalgie hin, Sentimentalität hin, her: Uns droht nicht nur das Informatikjahr, das ganz amerikanisch plötzlich zum Jahr der Computerwissenschaften mutiert, nein, auch noch Mozarts 250. Geburtstag dräut, der hierzulande ganz unösterreichisch auch schon mal eingemeindet wurde – Du bist Mozart? Ach, lieber nicht, in Deutschland ist's doch nur ein kleiner Schritt vom Österreicher Mozart zum Niederländer André Rieu.

Du bist Rieu? Wem's bislang nicht kalt den Rücken runterlief, der dürfte spätestens jetzt von jedweder deutschtümelnder Euphorie geheilt sein: "Die wohlfeilste Art des Stolzes hingegen ist der Nationalstolz. Denn er verrät in dem damit Behafteten den Mangel an individuellen Eigenschaften, auf die er stolz sein könnte, indem er sonst nicht zu dem greifen würde, was er mit so vielen Millionen teilt. [...] Jeder erbärmliche Tropf, der nichts in der Welt hat, darauf er stolz sein könnte, ergreift das letzte Mittel, auf die Nation, der er gerade angehört, stolz zu sein." So möchte denn die Wochenschau von Hal Faber, die in diesem Falle gar keine einfache Wochenschau ist, auch jetzt wieder den Blick für die Details schärfen. Und das auch heute, da ein neues Jahr seinen Anfang nimmt.

Was war.

*** Dabei hat es länger gedauert als üblich, doch nun ist 2005 wirklich vorbei. Das Einsteinjahr, das Wirsindpapst- und Dubistmerkeljahr ist Geschichte, das Mozart-, Gödel-, Castro- und Goleojahr 2006 knallt sich eins. Und weil in Deutschland immer im bekannt schlechten Englisch the same procedure than every year ansteht, darf eben ein kleiner Jahresrückblick in diesem WWWW nicht fehlen. 2005 und wie Heisig es sah, gewissermaßen. Geben wir es ruhig zu: Es war pandaschnitzelbärig toll, so toll, dass andere sich das Heise-Maskottchen schnappen und konvertieren, zusammen mit der tibetanischen Antilope.

*** Halt! Ehe ich in Gefahr komme, mit wirrem Blick die Logfiles vom Teleprompter zu köhlern, müssen zuvördert doch noch die Leser bedient werden, die unbedingt pessimistisch gestimmt ins neue Jahr torkeln wollen. Nehmen wir nur die edlen deutschholländischen Hacker, die jammern, dass sie den Krieg verloren haben. Die in bester sozialdemokratischer Tradition Neuwahl^H^H^H^H den Schwanz einziehen, weil niemand auf sie hören will. Fehlt nur noch, dass die ermatteten Hacker das Lied des Geyers Schwarzer Haufen anstimmen: "Geschlagen gehen wir nach Haus ...". Jajaja, es gibt tatsächlich pessimistische Hacker, genau wie es tatsächlich pessimistische Fans des Internet Explorer geben soll. Wem die Ideen ausgehen, der bemüht gerne das Ende der Geschichte und redet von einem neuen dunklen Zeitalter, in dem die Orks triumphieren und die CIA über allen Gesetzen steht. So bleibt nur das Fazit, dass irgendetwas mit der tröstenden Hackerethik nicht stimmen kann, wenn die "Krieger" den Glauben daran verlieren, dass "Computer Dein Leben zum Besseren verändern."

*** Da lobe ich mir doch die journalistische Ethik, die nach Gabriel Garcia Marquez den "Journalismus stets begleiten muss wie das Summen eine Schmeißfliege. Ab und an hat es sich zwar mit dem fröhlichen Summen, wenn man Nachrichten über Kloaken-Blätter lesen muss oder ein Interview mit der eiskalten Marietta Slomka, die Susanne Osthoff "bearbeitet" hat. Doch eigentlich ist das Gesumse, um es in den bärigen Worten eines Wesens von geringem Verstand zu sagen, immer gut für einen Honigtopf. Nehmen wir nur den biometrischen Reisepass, den die Hacker als Zeichen dafür sehen, dass sie den Krieg verloren haben. Journalistisch betrachtet hätten sie ihn niemals verhindern können, weil es in keinem europäischen Land eine öffentliche Debatte über die Einführung dieser Pässe gab. Bleibt ihnen also nur der gute Ratschlag, den Pass einmal neben einem Schweißtrafo liegen zu lassen (nein, nicht die Mikrowelle nehmen), der auf der Frequenz 13,56 Mhz "sendet". Journalistisch sah die Sache etwas anders aus, als zur Einführung des tollen Passes Lichtbildbelehrungen aus allen Teilen der Republik in die Redaktion gefaxt wurden. Belehrungen, die es nach Ansicht des Bundesinnenministeriums gar nicht geben dürfte.

*** Auch Schmeißfliegen können sich irren. Zur Vorbereitung dieser kleinen Jahresschau stöberte ich durch die Tickermeldungen, um selbst ohne die Krücke Statistik einmal den gefühlten Spitzenreiter zu finden. Was könnte den typischen Heiseticker-Lesern so gefallen oder missfallen haben, dass die Nachricht die meistbesuchte Nummer 1 in den "Top 100" des Jahres werden würde? Ich entschied mich zunächst für die Meldung 66982, dann, nach reiflicher Überlegung aber für die Nummer 60335, weil Apples Intel-Volte eine schwer diskutierte Geschichte war. Niete, Niete, sagt mir die Statistik: Mit 161.473 Zugriffen schaffte es die Apple-Meldung nur auf Platz 19, mit 224.889 Zugriffen liegt die Meldung zur Forumszensur von heise online auf Platz 8. Sieger über alles wurde die Meldung über Deutschland bei Google Earth mit 424.913 Zugriffen. Mit deutlichem Abstand folgt auf dem zweiten Platz der Nationale Plan zum Schutz kritischer Infrastrukturen mit 347.781 Zugriffen.

*** Tatsächlich stehen die beiden Spitzenreiter für die wichtigen Trends im abgehefteten Jahr. Google schaffte es gleich drei Mal in die Top Ten des Jahres und 17 Mal unter die Top 100. Wenn man jedoch alle Nachrichten über die Aktionen Otto Schilys zusammen addiert, von der Terrorbekämpfung mittels ePass über die WM-Terrorbekämpfung und die Terrorbekämpfung durch Zugriff auf Passagierdaten bis zur Terrorbekämpfung durch Zusammenlegung der Geheimdienste – dann hat man einen absoluten Spitzenreiter, ganz ohne Nachrichten von Herrn Schäuble, der den Ottomatismus mit Bundeswehreinsätzen im Inland nahtlos fortsetzt. Dem Trend der letzten Jahre entsprechend sind die früheren absoluten Klassiker, die Meldungen über Hardware von Lidl, Aldi & Co weiter abgesackt und liegen im Mittelfeld der Top 100. Etwas überraschend vielleicht die Tatsache, dass es keine Viren-, Würmer-, Phishing- oder Sicherheitsloch-Warnmeldung unter die Top 20 brachte. Ein Loch im Feuerfuchs ist Spitzenreiter in dieser Kategorie und auf Platz 25 gelandet, während es der ach so grimmige Zotob nicht einmal unter die Top 100 brachte. Nehmen wir es als ein gutes Zeichen, dass Heise-Leser ihre Computer im Griff haben und nicht umgekehrt.

*** Die Jahresendgedanken gelten heute Daniil Charms, der vor 100 Jahren geboren wurde und nicht nur bezaubernde Kindergeschichten schrieb: "Die Erde steht auf drei Walen. Die Wale stehen auf einer Schildkröte. Die Schildkröte schwimmt im Meer. Ist das so? Nein, es ist nicht so." Wer sich auf 2006 freut und das Gejammer der Hacker nicht mehr hören kann, der ist reif für die schlichte Wahrheit: "Die Erde hat einfach die Form einer umgestülpten Tasse und schwimmt selber im Meer. Und über der Erde die Mütze des Himmelsgewölbes. An dem Gewölbe bewegen sich die Sonne, der Mond und die beweglichen Sterne – die Planeten. Die Fixsterne sind an dem Himmelsgewölbe befestigt und drehen sich zusammen mit ihm."

Was wird.

Auch das größte Datenmeer, dass im Jahr der Vorratsspeicherung auf den Servern schwappt, kann das Prinzip Hoffnung nicht wegkärchern, wie es die Terrorbekämpfer wollen. Wir sind nicht Deutschland, das im Lichte seines WM-Glanzes brüht, sondern schlicht die Bürger eines Staates, der Grenzen haben soll. So gilt es auch im Jahre 2006, dass auf heise online emsig summend weiter berichtet wird:
– von den Viren, die an der Technik knabbern,
– von den Überwachern, die bürgerliche Freiheiten einsacken wollen,
– von den Plänen der Googles und Microsofts,
– von der künstlichen Intelligenz und ihrem 50. Geburtstag,
– vom Sieg der Frauen ... und der Playstation 3.

Freuen wir uns passend zum neuen Jahr mit den Bürgern von Stockholm, die zum Arbeitsbeginn am Dienstag mit der Citymaut ein Überwachungssystem allererster Güte bekommen, in dem jeder den Nachbarn ausspionieren kann und die Polizei den vollen Zugriff auf Mautdaten zur Starfverfolgung hat. Ja, richtig, freuen, denn die Schweden können ihre Big Brother-Maut in der Schärenstadt am 17. September abwählen.

Am Ende des vergangenen und Anfang des neuen Jahres aber steht nicht Mozart, sondern etwas ganz Anderes: ein Glückwunsch und eine traurige Nachricht. Während wir in Deutschland zu Ehren eines klavierspielenden Geburtstagskindes fröhlich vor uns hindaunern, müssen wir auch den Tod von Derek Bailey beklagen. Der legendäre Free-Jazz-Gitarrist landete eben nicht, wie er es so vielen altersmilde gewordenen Kollegen vorwarf, beim Bossa Nova. Wir werden ihn als großen Protagonisten improvisierter Musik vermissen. Die Musik von Dauner und Bailey aber, die gibt doch auch in Zukunft die Begleitung für eine spannende und glückliche Zeit. Bestehen wir also auf etwas Optimismus:

Die zweite Hälfte des Himmels könnt ihr haben
doch das Hier und das Jetzt, das behalte ich.

Doch halt, ganz zu Ende bin ich noch nicht. Zum guten Anfang fehlt nicht nur etwas Optimismus, sondern auch das
Kolophon.

Viele liebe Menschen, etwas Hardware, ein kleines bisschen Software und eine tapfere Netzadmin, die auch des nächstens noch reparierenderweise eingreift, tragen dazu bei, dass das WWWW erscheinen kann. Auch John Zorn, Aki Takase, Neil Young, Keith Jarrett, RZA, Anthony Braxton, Tom Waits, Public Enemy, Seeed, Albert Ayler, Andreas Scholl, Quadro Nuevo, Ken Vandermark, Matthew Shipp, Quartetto Magritte und was der unwissenden Begleitmusiker noch mehr seien, sie alle helfen. Und wichtiger als ein altersschwaches Thinkpad mit junger Ubuntu-Installation, in Notfällen ein PC von der Stange mit Betriebssystem von der Stange, ein Uralt-Editor, Vino Nobile und Cannonau sowie die Hinweise meiner Lektüre-Dealerin sind die Tipps, die Woche für Woche von den Regulars eintrudeln, von wurgl, faeshn, Tyler Durden, Twister, den Pandaschnitzeln, Wälzlagern und wie sie alle heißen mögen. Ohne euch, als Zuträger wie als Leser, wäre der wöchentliche Kleinkrieg mit den Neben-Nachrichten nicht möglich. Das wird sich auch 2006 nicht ändern.

Quelle und Links : http://www.heise.de/newsticker/meldung/67863
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 08 Januar, 2006, 09:16
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Tretens ein, meine Herrschaften, tretens ein. Was gibt es schon an Sensationen zu vermelden, von der Computer Electronics Show, wenn bald LCDs am Arsch installiert sind und Telefone schnurlos werden?

*** Beginnen möchte ich den kleinen Wochenrückblick mit der ersten Frage aus dem Muslim-Test. Weil der Abruf dieser einzigartigen Dokumentation deutscher Ausländerfeindlichkeit momentan hoffnungslos überlaufen ist (steht da jemand verbotenerweise auf seiner F5-Taste?), hier eine Alternative und hier die 2. Frage vollumfänglich:

Was halten sie von folgenden Aussagen:
– Demokratie ist die schlechteste Regierungsform, die wir haben, aber die beste, die es gibt.
– Die Menschheit hat noch nie eine so dunkle Phase wie unter der Demokratie erlebt. Damit der Mensch sich von der Demokratie befreien kann, muss er zuerst begreifen, dass die Demokratie den Menschen nichts Gutes geben kann ...

Natürlich stecken in den Aussagen ganz gemeine Fangfragen, entwickelt von den führenden Islam-Experten Baden-Württembergs, wahrscheinlich nach ausgiebiger Lektüre der Abenteuer von Hadschi Halef Omar Ben Hadschi Abul Abbas Ibn Hadschi Dawuhd al Gossarah. Denn jeder wird eigentlich die erste Aussage verneinen müssen: Schließlich haben wir nicht "die Demokratie" als Regierungsform in Deutschland, sondern eine demokratische Doppelstruktur, oder, wie es offiziell definiert wird: "Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat. Die staatliche Ordnung des Grundgesetzes findet in den Verfassungsorganen, im Föderalismus sowie in der Rechtsordnung und dem Wahlsystem ihren Ausdruck."

Wehe den Söhnen und Töchtern Allahs im föderalistischen Teilstaat Bawü, die dies nicht auf die Reihe kriegen! Die vielleicht, ganz wie die apolitischen Hacker vom Chaos Computer Club in ihrer Winterdepression die Aussage so verstehen: "Die Menschheit hat noch nie eine so dunkle Phase wie unter der Demokratie erlebt, die von der Politik gefoltert wird." Wenn es Organisationen gibt, für die die Gesetze anderer demokratischer Staaten nicht gelten, dann sollte man jede Demokratieprüfung flugs einstampfen. So aber kann man festhalten: Der Muslim-Test ist vielleicht pc, aber völlig untauglich für den Nachweis, ob sich ein Einwanderer in unserer deutschen Gemeinschaft auskennt und ihren Mief akzeptiert. Wie wäre es denn im guten Geiste des Föderalismus, wenn jede Behörde nur die einfache Frage stellt: "Wie komme ich zum Flughafen?" Wer auf diese Fangfrage die Antwort gibt, nicht mehr zurück zu wollen, hat schon verloren. Korrekt lautet die Antwort: "Wenn Sie vom äh vom Hauptbahnhof starten Sie steigen in den Hauptbahnhof ein ..." So wirr stammelt nicht die Muslima Osthoff, sondern ein Einheimischer auf der B-Ebene des Politikbahnhofes. IT-Experten haben da offenbar weniger Schwierigkeiten: Sie machen, dass sie wegkommen.

*** Wenn wir in dunkle Phasen gleiten, sind Pseudonyme manchmal nützlich. Das weiß niemand besser als ich. "Protect your screen names" rief der CCC-Kriegstheoretiker Frank Rieger in der erwähnten Weihnachtsdepression, den tollen Zeiten anno 1997 nachtrauernd. Wenn wir so in den Überwachungsstaat gleiten, dass selbst das zartnäsige Feuilleton der Sueddeutschen Zeitung eine Doppelseite füllen kann, auf der sechs Autoren vor der Überwachung bibbern, sollte der Respekt vor Screennames auch bei Tickermeldungen vorhanden sein. Leider gibt es Redakteure, die anderes denken und wahrscheinlich die gesamte Recherche in ihrem Budenarchiv unterbringen, weil sie "nichts zu verbergen haben". Erinnert sei darum an das, was ein gewisser Ignaz Wrobel über Presse und Realität geschrieben hat. Natürlich wissen wir heute, dass Kurt Tucholsky diesen Text geschrieben hat und freuen uns mit ihm, dass seine wichtigen Texte gemeinfrei geworden sind.

*** Wenn aber die Toten ruhen, ins Zwischenreich gewandert sind oder sich mit Jungfrauen vergnügen, bleiben die Lebenden zurück, mit der Pflicht, aufrecht weiter die Mühen der Ebene zu durchstehen. 350.000 Dollar hat die Wikipedia gesammelt, von denen sie gleich den größten Batzen weiter reichen soll, weil sie in einem lexikalischen Artikel zum Leben und Sterben des Hackers Tron seinen bürgerlichen Namen Boris Floricic erwähnt, wie er beispielsweise in Zeitungsartikeln und auf dem Deckblatt seiner Diplomarbeit zu finden ist. Hat der Kunstname dem Lebenden geholfen, so sollte das Wissen der Welt keine Kompromisse eingehen, bis Listen wie diese zur Einnahmequelle deutscher Rechtsanwälte werden. Nur gut, dass die Meute mit ihrer Abmahnungen erst einmal ins russische Sankt Petersburg gallopiert ist. Vielleicht gibt es in der Zwischenzeit einsichtige Menschen, die den hinter der Abmahnung stehenden Menschen erklären, was freies Wissen bedeutet.

Was wird.

Herb war die Kritik, dass die Abschweifungen zum Jahresende nur einen kurzen Ausblick in die strahlende Zukunft anno 2006 zugelassen haben. Das Mozartjahr! Aber wollen wir das wirklich: Deutschland sucht den Super-Mozart? Besser, man wendet sich an Unbekanntere oder an Stars der Volksmusik oder vielleicht an Vernunftunbegabte. Und doch, mancher vermisste noch mehr: Das Jahr der Überwachungskameras, das Heiner-Müller-Jahr, das goldene Jahr der Volksmusik, das Gödeljahr, das Freudjahr! Wie tief sitzen die Verschiebungen bei Hal, dem Verklemmten? Dabei hat unsere Kanzlerin die richtige Antwort vorgegeben: Die Welt ist zu Gast bei Freundinnen!. Angie rockt! Das Weltmeister-Jahr! "Die Frauenfußball-Nationalmannschaft ist ja schon Fußballweltmeister, und ich sehe keinen Grund, warum Männer nicht das Gleiche leisten können wie Frauen." Wenn selbst die überwachungsscheuen Grünen AWACS ganz in Ordnung finden, haben gewisse Höhenflüge ein Ziel erreicht, noch ehe das Verfassungericht über den finalen Luftrettungsschuss befunden hat. Ist das dazugehörige Gesetz durch, steht nichts mehr dem Einsatz der Bundeswehr im Inland im Wege. Wer dann noch von Objektschutz redet, hat vollends die Orientierung verloren: Für die polnischen Hools, die schon einmal mit Kettensägen antreten, wird es eine Frage der Ehre sein, gegen die Nachkommen der Wehrmacht anzutreten.

In deutschen Zeitungen wird an diesem Wochenende nicht nur vor dem Überwachungsstaat gezittert, sondern mindestens ebenso übertrieben die Forschungen des Schweizer Chemikers Albert Hofmann gerühmt, der am kommenden Mittwoch seinen 100. Geburtstag feiert. LSD ist mehr als ein Seitenweg christlicher Nächstenliebe. Bereits 1968 bemerkte Marshall McLuhan in einem Aufsatz, dass "der Computer das LSD der Geschäftswelt" ist, doch erst der Personal Computer machte mit diesem Satz Ernst, weil er weit mehr als die verkoksten Manager mobilisierte. Seit dem Buch von John Markoff wissen wir, was der große Diktator Steve Jobs alles an LSD einwerfen musste, um Apple in Schwung bringen zu können. Heute bereitet er gewissenhaft seine Shows vor, zum Beispiel die auf der kommenden Macworld, wenn wieder etwas vorgestellt wird, das wie ein billig kopiertes Windows Vista aussieht. Ein billiger Witz? Aber nicht doch. Erst wenn Apple ein Security Advisory herausbringt, das einen Satz wie diesen enthält: "Zusätzlich zur Intstallation von MS06-001 sollten Sie keine unbekannten oder fremde Webseiten besuchen, weil diese möglicherweise den schädlichen Angriffscode bereithalten könnten", ja, erst dann wissen wir, dass beide gleichauf liegen: Apple-Anwender, Windows-Fans meidet also das fremde Internet. Eigentlich sollte ich das Google-Pack und die Linux-Kohorten gleich mitbitten. Und doch, das wollte ich doch noch betont haben, religiöse Gefühle sind immer eine etwas heikle Sache.

Quelle und Links : http://www.heise.de/newsticker/meldung/68103
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 15 Januar, 2006, 00:17
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Stop making sense, sangen einstmals die Talking Heads: Das soll das Motto dieser kleinen Wochenschau sein. Denn wir haben nur die Wahl, zu lachen, bis uns das Lachen im Hals stecken bleibt, oder zu kotzen, ohne Ende. Immerhin habe ich und das verbliebene Trüppchen WWWW-Leser Freitag den 13. überstanden, das Batgirl-Meme überlebt. Eigentlich wären mir Zeichnungen unserer tollen harten BND-Agentinnen lieber gewesen, die im unermüdlichen Einsatz für die amerikanischen Verbündeten Bombenziele ausbaldowerten, souverän das Schrödersche Nein ignorierend. Oder war das Nein vielleicht ein Jein, ein Jain, ein Yeah-Ja, gar ein simpler Software-Fehler in dem Übersetzungsprogramm des BND? Ein verstecktes Ja nach dem Vorbild gut versteckter Massenvernichtungswaffen? Wir wissen es noch nicht, doch sind bereit, alles zu glauben, was uns die Abteilung 23 serviert. Es könnte ja sein, dass die abgesprochenen "aims of comprehensive regional planning" irrtümlich als "Zielerfassung" bezeichnet wurden. Und überhaupt: Jeder Stadtplaner weiß, dass erst einmal gründlich abgerissen werden muss, ehe ein ordentlicher Aufbau möglich ist.

*** Bleiben wir beim Organisationsweltmeister Deutschland, dessen Fußball-Halbgötter nach der Warentestdusche die Absage eines gemütlichen Ballstadls mit 12.000 Laiendarstellern durch die nüchtern kalkulierende Fifa verkraften müssen. Das sich nur 5000 Leute die spielfreie Eröffnung einer Balltreterweltmeisterschaft antuen wollten, lässt hoffen, dass es noch Reste der Vernunft gibt in diesem unseren Land, dem nun der esoterische Schmalzquark des Herrn Heller erspart bleibt. Nein, Du bist nicht Heller, nicht in diesem unseren Land, das in seinem offiziellen Sexualorgan auf wehrmachtsbehelmte Nachbarn so antwortet: "Käse-Tussi, hops in deinen Wohnwagen und roll zurück Richtung Campingplatz! Ins Land, wo die Menschen ihr eigenes Gras rauchen – und auf'm Rasen spucken statt Fußball zu spielen."

*** Lernen wir also das Gesetz des Marktes respektieren, das die Fifa zum obersten Schiedrichter ihrer Balloperetten ausgerufen hat: Keine Eröffungsveranstaltung. Keine Apple-Laptops, und seien da noch so viele Intel-Chips drinne! Schließlich hat der Sponsor Toshiba auch passable Modelle auf Lager. Derweil werkelt der Sponsor Avaya an den WLAN-Installationen in den Stadien, für die er vertraglich verpflichtet ist, eine Bandbreite zur Verfügung zu stellen, dass jedes unten am Rasen geschossene Foto in mindestens 20 Minuten online steht. Aber wo? In einer Hochsicherheits-Quarantäne-Queue auf einem Fifa-Server, weil die Verlage frühestens zweieinhalb Stunden nach Ende eines WM-Spiels Bilder im Internet veröffentlichen dürfen. Preisfrage: Wer hat in der Zwischenzeit Zugriff auf die Bilder? Richtig, Abteilung 23 darf antreten und nachsehen, ob nicht irgend ein Spitz- oder Sprengbube mit abgelichtet wurde. "Das Eckige ins Runde", das wäre ein passender Operations-Name für diese Art der Zielerfassung.

*** Wenn diese kleine Wochenschau der ungewichteten Nebensächlichkeiten erscheint, feiert die Wikipedia ihren Wikipedia Day, vulgo Geburtstag. Ein apartes Geburtstagsgeschenk kommt, wie im letzten WWWW geschrieben, aus Deutschland: Eine einstweilige Verfügung, den Namen Boris Floricic im lexikalischen Eintrag zum Hacker Tron zu verwenden. Wer immer die Idee hatte, so eine Verfügung durch die Welt zu schicken, hat die Eltern schlecht beraten. Natürlich entstehen mit einer solchen Aktion völlig ungefährliche Artikel, die die ollen Kamellen aufwärmen. Oder es werden besonders schiefe "Klarstellungen" mit einem Titel wie Wikipedia vs. Tron produziert. Dabei wird unter Juristen die Frage nach dem postmortalen Persönlichkeitsrecht nach dem Tode recht genau austariert. So bleibt die Frage, ob die Diplomarbeit und der Chipkarten-Hack das Werk eines der besten und kreativsten Hacker waren oder es sich einfach nur um einen unerfahrenen Datenreisenden handelte, der nicht begriff, welches Spiel mit ihm getrieben wurde. In beiden Fällen ist es mehr als genug Stoff, der ihn zu einer absoluten Person der Zeitgeschichte macht, mit allen Konsequenzen, zu denen eben ein Name gehört.

*** Unter diesem Gesichtpunkt sind Drohungen mit dem Pressekodex wirklich hirnverbrannt und hirnverbrannter noch die Idee, den "Fall Telepolis" (die erst richtig Boris Floricic schrieb und dann doch wieder abkürzte) vor den deutschen Presserat zu bringen, der sich mehrfach nicht für Online-Medien zuständig erklärt hat. Doch es geht noch hirnverbrannter, wenn die überlebenden Reste der unaussprechlichen Dotcomtöterei auftauchen und die Rächer der Enterbten spielen und gleich einmal die Marke "Floricic" anmelden, um ganz allein entscheiden zu können, wer die Marke benutzen darf. So kreiselt die Geschichte munter weiter, ist ein Ende nicht in Sicht: Auch Tron sollte schon einmal eine Marke werden. Lachen, bis das Lachen im Halse stecken bleibt ... ach, das hatte ich schon.

*** Und wo wir schon bei den unsinnigen Juristen sind, darf dieser Juristen-Text aus einer Abmahnung in Sachen der allgemein bekannten Werbekampagne "Du bist ein Kollateralschaden" nicht fehlen. Er handelt von einer wahrlich erschwerenden Sache, "dass durch die bildliche Einfügung einer Hundezeichnung der Eindruck erweckt wird, dass der dargestellte Hund entweder auf das Bildmotiv seine Notdurft verrichtet oder aber das Bildmotiv selbst ein von dem Hund selbst hergestellten Hundehaufen darstellen soll". Also, was ist, wenn es sich nicht um einen vom Hund gekackten Haufen handelt, sondern um eine künstlerische Leistung in olympischen Dimensionen?

*** Wirkliche Größe zeigt sich auch in der Kunst nur inside oder im Sprung nach vorn. Oder in der Verschlingung und im Schrei: Vor 500 Jahren wurde die Laokoon-Gruppe gefunden, die heute ein Symbol für die entsetzten Warnungen der Hohepriester des Macs zu sein scheint. Rechner, die mit Intel-Prozessoren waschechte Trojanische Pferde sind, und Schlangen, die keine Äpfel zum Anbeißen mehr verteilen, sondern reinstes Gift, meint der Orakelfrosch in seiner Prophezeihung Nummer 4. Ein inoffizielles OS X für den Rest der Welt, ohne Support, mit einer tapferen Wikitruppe von Mac-Evangelisten, das hat was. Aber wen interessieren schon Apple und die Volten seiner Jünger, die jetzt die ewiglich verteufelte Firma Intel so liebhaben müssen, dass sich Intel schon wieder beschwert, wenn die hohe Schule der Public Relations doch ganz woanders zu finden ist: Ich verbeuge ich mich hochachtungsvoll vor dem begnadeten PR-Berater, der einen Auftritt von Larry Ellison und Scott McNealy direkt gegen die Keynote von Steve Jobs postierte. Wenn es dazu noch um ein so begnadet uninteressantes Thema wie die Verlängerung einer Java-Freundschaft geht, dann ist das schon hohe Kunst. Da capo al fine!

Was wird.

Kunst kommt von Können. Freuen wir uns daher auf die WM, begreifen wir sie als einmalige Chance, bei Arbeit, Sport und Spiel Könnereien auszuprobieren, für deren Einführung es sonst Jahre gebraucht hätte. Freuen wir uns auf die 20.000 Briten, die zum festen Feiern kommen, natürlich mit glücklich lachenden Kindern, die auf der anderen Seite des Kanals den ganzen Unsinn biometrischer Verordnungen illustrierten. Malen wir uns eine Welt aus, in der alle Menschen beim Grenzübertritt herzhaft lachen, über Grenzen, Nationalstaaten und dergleichen, eine Lachbildbelehrung für Terroristenjäger und Verschwörungstheoretiker gleichermaßen.

Und freuen wir uns mit den Bürgern von Darmstadt, der Heimatstadt großer Geister wie Büchner und vowe, die dem Darmstadtium generös den Namen überließ, als Wixhausen etwas anrüchig erschien. Denn in Darmstadt veranstalten sie für die Darmstädter am 17. Januar einen Tag in der Zukunft im Land der Ideen, welchselbiges unser Deutschland ist. Natürlich werden die wackeren Darmstädter am Grenzübergang der Zukunft das Lachen nicht vergessen. Wie freut sich die Pressemeldung über das nachgezogene Weihnachten, komplett mit Fingerabdruck als Schlüsselersatz und mit selbst vorgenommenen Operationen: Vielleicht sollte man erstmal nur am Finger rumschnippeln, ehe man sich an den Verstand wagt.

Quelle und Links : http://www.heise.de/newsticker/meldung/68350
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 22 Januar, 2006, 09:51
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Noch ist jeder RFID-Chip, der in den Preisetiketten der Metro-Firmen Saturn und Media-Markt steckt, nur dazu da, gekillt zu werden, damit die Diebstahlsicherung nicht empört aufheult, wenn man das Portal durchquert. Doch das möchte die Metro Group bald ändern. Mit etwas geschwätzigeren Chips, die nach dem Verlassen des Ladens noch melden können, an welchem Gerät sie bappen, kann zum Beispiel die Reparaturannahme effektiviert werden. Wenn das Internet der Dinge ausschwärmt, werden nicht nur Kosten gespart, befürchten die Kritiker. Sie haben Angst um ihre Privatsphäre, die nicht nur Verurteilten genommen werden kann. Denn die Privatsphäre ist ohnehin am Schrumpfen, seitdem Digitaltrampel mit ihren Kameras pausenlos Bilder fremder Leute nach Flickr laden oder mit Ich seh dich! drohen. Anonyme Kommunikation geht anders.

*** Wie es im die Privatsphäre eines Toten bestellt ist, darüber berichtet diese kleine Wochenschau nun schon zum dritten Mal. Schließlich gibt es in Sachen Tron einen zünftigen Showdown unter Hackern zu vermelden, die vorläufige Schließung einer minder wichtigen Webseite und ihre Öffnung nach einem erfolgreich durchgesetzten Vollstreckungsschutz. Doch damit ist der Streit um den Namen Boris Floricic noch nicht zu Ende, ganz im Gegenteil. Die Wikipedianer diskutieren weiter in der ihnen eigenen unvorstellbaren Art und Weise. Und die Trittbrettfahrer suchen eilends ihre Trittbretter auf, um auch etwas von dem seltsamen Kuchen zu haben, der da aufgetischt wird. Selbst die so genannten "Parodisten", die mit Buch und Hörspiel offenbar der Auslöser der Floricic-Debatte waren, sind sich nicht zu schade, eine Pressemeldung zur Leichenfledderei herauszugeben. Die Hörspielserie und das Buch zu kommentieren, ohne eine einstweilige Verfügung zu bekommen, fällt mir schwer. Der geballte Zorn aller Götter, das wäre vielleicht die richtige Antwort.

*** Götter, welche Götter? Diesen Schlenker von einem Selbstmörder, dessen Ruhm am Wachsen ist, zu einen der berühmtesten Selbstmörder werden manche Leser geschmacklos finden, doch die Freunde der Fantasy sind da etwas härter im Nehmen: Heute vor 100 Jahren wurde Robert E. Howard geboren, dem wir den kimmerischen Barbaren Conan und Kull von Atlantis verdanken, alles Gestalten, ohne die meine Schulzeit endlos langweilig gewesen wäre. Zusammen mit seinem Mentor H.P. Lovecraft machte er die Dauer-Lektüre von Dürrenmatt und Brecht erträglicher. Wir hatten Ctulhu wie später andere Schüler ihre Illuminaten, Hobbitts und diese zaubernden Pennäler hatten. Der schwer depressive Amateurboxer erschoss sich an dem Tag, an dem seine Mutter sterben sollte. Für echte Howard-Fans übrigens auch ein Grund zum Feiern.

*** Im Leben kann man sich die Daten und Jubiläen nicht einfach aussuchen. Und auch die Menschen nicht, die uns verlassen – während die künstlichen Aufgeregtheiten von "Deutschand sucht den Superstar" einmal wieder dünne Stimmchen ohne jedes Musikgefühl (eine Ausnahme unter den Teilnehmern bestätigt die Regel) als die Sensation des Tages verkaufen wollen, ist Wilson Pickett von uns gegangen. Möge sein Vermächtnis uns von dem weichgespülten Soul befreien, der bei der Musikindustrie so beliebt ist, weil er die dünnen Superstar-Stimmchen nicht überfordert. Weichspülereien waren auch der Journalistin Carola Stern fremd, die ein Doppelleben in der Öffentlicheit diskutierte, die ihren Beruf als Engagement begriff und die nun nicht mehr mitdiskutieren kann. Etwas mehr Mitdiskussion, etwas weniger Weichspülerei, ja das wünscht man sich bei manchen Gelegenheiten, auch bei manchen Jubiläen, die man sich nicht ausgesucht hat, sondern die über seltsame PR-Manöver zu uns dringen – wie jüngst von der die Firma F-Secure, die mit großem Trara an den ersten PC-Virus vor 20 Jahren erinnern möchte. Ein paar Ältere werden sich wohl daran erinnern, dass der erste Virus dieser Sorte schon 1985 in der Bayrischen Hackerpost beschrieben wurde – und auch der war nicht der erste. Streng genommen gebührt das Verdienst, Viren erfunden zu haben, den Pionieren John von Neumann und Konrad Zuse, die unabhängig voneinander in den 40er Jahren über Theorien von selbst reproduzierenden Automaten grübelten. Bei Zuse wurde daraus später der "rechnende Raum", der in den zellulären Automaten vom Mathematica-Erfinder Stephen Wolfram wieder gefunden werden kann. Wer sich als PC-Benutzer mit Viren plagen muss, wird diese, ähem, kreative Dimension der Programme gar nicht wahrnehmen können. F-Secure entdeckte übrigens nicht nur den 20. Jahrestag des Pakistani Brain, sondern auch als erste Sicherheitsfirma Ende September 2005 die sonderbare Rootkit-Programmierung des Kopierschutzes von Sony BMG. Darüber hätte ich mir eine frühzeitige Meldung an die Presse gewünscht. Stattdessen schwieg F-Secure auf Wunsch der Plattenfirma. Künftig wird ein Tag am Septemberende anno 2005 als Jubiläumstag begangen werden, an dem Antivirus-Hersteller ihre Unschuld verloren.

Was wird.

E-Mail, schreibt die Süddeutsche Zeitung im aktuellen Wochenend-Teil, ist eine geschwätzige Sache mit unwürdigen Folgen, weil das Schreiben schneller geht als das Darübernachdenken. Noch geschwätziger wird die Sache, wenn sie an einen großen Verteiler geschickt wird. So amüsiert sich Deutschland über eine Mail von Jean-Remy von Matt an Mitarbeiter und Kunden, in denen er sich über die Miesmacher beschwert, die über die wunderbare Kampagne "Du bist Deutschland" herziehen. Unter den Miesmachern kommt Kritik von einer Gruppe, die der Superstar der Werber so beschreibt:

"2. Von den Weblogs, den Klowänden des Internets. (Was berechtigt eigentlich jeden Computerbesitzer, ungefragt seine Meinung abzusondern? Und die meisten Blogger sondern einfach nur ab. Dieser neue Tiefststand der Meinungsbildung wird deutlich, wenn man unter www.technorati.com eingibt: Du bist Deutschland.)"

Es hilf nicht, hier den Artikel 5 des Grundgesetzes zu zitieren, weil der Werbeprofi andere Maßstäbe hat und in Impacts und Reichweiten denkt. Der jambatisierte Handybesitzer toll findet und in jedem Computerbesitzer den Untertan für seine Werbebotschaften sieht. Der Verachtung der Klowände des Internet entspricht der hirnlose Appell "Du bist Deutschland" und der stumpfsinnige Kaufrauschschrei Geiz ist geil. Du brauchst neue Klingeltöne, Podcasts voller Werbung, jede Menge neue Elektronik, keine Meinung: Du bist Deutscher. Und hast bitteschön ein blitzsauberes Klo und die Schnauze zu halten. Du bist Weichspüler. Du bist Superstar.

Unter den über 800 geladenen Gästen, die sich zwei Tage lang auf dem Digital Lifestyle Day von Burda Media amüsieren, sind Werber und PR-Berater eindeutig in der Mehrzahl. Die meisten von ihnen denken ähnlich wie der Experte für Klowände. Blogger, Chats, das ganze Getue um digitale Lebensplätze ist ihnen alles nur ein Vehikel, Werbung oder Produkte zu verkaufen. Das ist nicht böse gemeint: Es wird immer Menschen geben, die sich um Werbung in Podcasts kümmern und solche, die an der Verbesserung der Qualität von Speex arbeiten. Problematisch ist, dass der Blick der Leute, die im Web 2.0 die nächste große Dot.com-Welle, den neuesten Cluetrain-Tsunami anrauschen sehen, definieren will, was denn digitaler Lifestyle ist: Konsum, Konsum und noch einmal Konsum. Ich behaupte, dass noch die kleinste Mitarbeit an der Wikipedia mehr vom digitalen Lebensstil der Zukunft vermittelt als das verklärte Staunen auf die Gadgets und schnieken Powerpoint-Präsentatioen auf dem Digital Lifestyle Day. Selbst wer das die vollen 24 Stunden lang durchhält, hat noch nichts begriffen.

Was haben sie also vom Debütantinnenball all der Firmen, die Social Software verkaufen wollen, vom Raunen der Gurus, die "The Next Big Thing" anpreisen? Sie können zum Beispiel die aufgedonnerte Studie Deutschland Online 3 mitnehmen, die zum Lifestyletag präsentiert wird und rosigste Zukünfte im Triple Play-Alltag malt. Mehr als ein schneller Check, was nach den Klingeltönen in die Konsumentengans gestopft werden kann, wird auf dem Lifestyle Day aber nicht möglich sein. Vielleicht noch eine spielerische Demo, wie die Gans dann mit Social Location Based Software mitsamt RFID-Tags besser ausgenommen werden kann, noch ein paar Tips und Tricks für Taschengeldgangster? Dann ist es aber gut, man hat ja Networking-Pflichten. Oder, um es in Marketingsprech zu sagen, nicht jedes Würstchen ist eine Pfeife.

Auf lustige Weise kontert übrigens Microsoft die Münchener Veranstaltung. In Nachbarschaft zum Digital Lifestyle Day lädt die Firma am kommenden Dienstag zur Präsentation von Officestyle, des Modernen Verwaltungsarbeitsplatzes, des absoluten Killer-Desktops, der mit weniger Klicks den leidigen Linux-Migrationsdebatten in den Behöreden ein Ende bereiten soll. Ein Paket wie Lucky Luke: schneller als sein Schatten.

Quelle und Links : http://www.heise.de/newsticker/meldung/68633
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 29 Januar, 2006, 09:57
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Nein, ich träume wirklich nicht in HTML (ich kenne aber Alpträume in HTML). Das ist ein Grund, warum es heute, am ersten weltweit begangenen Internet Free Day, wieder diese kleine Wochenschau im Netz auftaucht. Vielleicht gibt es ja Leser, die sich nicht an der Aktion beteiligen – und wer kann es sich heute leisten, seine Leser zu enttäuschen? Einfach die Kiste ausknippsen, mit dem Füllfederhalter weiter schreiben – wer hat noch eine Schreibmaschine –, einfach nichts online stellen? Das können eigentlich nur Blogger, und auch die sind im Wettbewerb um die unsinnigsten Titel permanent unter Druck.

*** Ein weiterer Grund ist natürlich die "Russenkälte". So kalt ist es geworden, dass die Hölle zugefroren ist! Jawohl! In deutschen Tageszeitungen konnte man nach dieser Nachricht lesen, dass Microsoft den Windows-Code quelloffen macht. Was schlicht und einfach darum falsch ist, weil die öffentliche Auslegung des Codes nicht die quelloffene Weitergabe desselben ist. Wer das glaubt, ist auf der Suche nach der verlorenen Zeit. Andersrum ging es genauso sensationell zu, mit der auf DRM-fixierten GPL 3.

*** Kälte ist natürlich relativ. Auf dem Dach eines Bayerischen Luxushotels bei minus zwanzig Grad fröhlich über tolle neue Dot.com-Pläne zu sprechen, das kann nur heißen: Die Bobos sind wieder da, und Dotcomtod mit ihnen, ganz schick als BooCompany und eher kläglich als Pixel-Hype. Ja, kommt denn alles wieder? Wer in der norddeutschen Tiefebene lebt, muss schon nach München eilen, der Peilung wegen. Der Digital Lifestyle Day, ein umgepoltes Pluraletantum aus dem Hause Burda, lockte in das Land der Schuhplattler und Fußfessler. Nach dem Besuch dieser beiden Tage weiß wirklich jeder, was gerade trendy ist im Netz, beim binären Leben, beim Fingerfood und beim Gurgelwasser. Selbst Heise berichtete, natürlich völlig verzerrt: Der Pool auf dem Dach erlebte die im Auftrag von Nokia bloggende Anina sich furchtlos in die Fluten springend, weil der von ihr bewunderte Münchener Luxusschuhhändler sich nicht einmal Windows XP für seine drei Computer leisten kann, der arme Mensch.

*** Achja, Nokia. Nehmen wir nur das N90 dieser Firma, das der Veranstalter an seine Leute vom Organisationsteam und an die Alpha-Blogger verteilte, zur Koordination des Ganzen. Zum Flickrn und Vloggen und Studium der Betriebsanleitung. Das ist ein Gerät, das offenbar keinen Vibrationsalarm hat und darum pausenlos klingelte. Vibrationsalarm ist einfach sooo out, konzentriertes Nachdenken sowieso. Die Journalisten saßen an diesem Tisch der Möbelfirma Bene, der genau 16 schwer erreichbare Steckdosen in der Mitte hatte. Strom ist einfach out, Deutsch übrigens auch, das Mobiliar hatte eine "magic cultlike role" im Digital Lifestyle zu spielen, nicht einfach Tisch, sondern ein "emotionaler Hub" zu sein, und zur Front hin als "home base" mit den integrierten Riesen-LCD samt Leinwand für Powerpoint-Orgien ein "sanctuary piece" zu emulieren. Klapp-Altar klingt einfach nach sehr alter Old Economy. Als Home Base für die DLD-Stars Francis Fulton-Smith, Hardy Krüger Jr. und Maria Furtwängler auf ihrem Iconic Törn durch die Show musste der Raum auch noch herhalten. Erstaunlich, dass es zur Arbeit wenigsten das oldstyle Getränk Kaffee gab und nicht nur den Labertran Red Bull und etwas, das der welterfahrene Kollege von der Süddeutschen Zeitung geschmacklich als Sud aus altägyptischen Mumienwindeln identifizierte.

*** Inhalte? Ich muss schon bitten. Wer fragt denn bei einer Rheumadeckenverkaufsveranstaltung nach Inhalten? Welches Geburtstagskind will denn noch wissen, was vor 10 Jahren bei Burda los war? Also keine Inhalte: Hier wurde binärer Lebensstil von US-amerikanischen Durchreisenden auf dem Weg zu einer bescheidenen Hütte in Davos verkauft, ein kurzer Blick der Cyberlady Esther Dyson und des Google-Avatars Marissa Mayer auf das Next Big Thing und sonst gar nichts. Halt! Gegenüber dem Gestammel von Apple im Vorjahr präsentierte die Firma diesmal einen richtig guten Schlangenölverkäufer, der ordentlich in Shape! war. Wer diese Firma mag, wird auch diese Firma mögen,

*** Achja, Davos. In den verschneiten Schweizer Bergen eröffnete Angela Merkel ein Treffen, auf dem die Lenker und Wirtschaftsführer locker den Blackberry bedienen und höchstens amüsiert lächeln, wenn jemand wie vor 10 Jahren brüllt: "Ihr müden Giganten aus Fleisch und Stahl, ich komme aus dem Cyberspace, der neuen Heimat des Geistes!" Längst hat die Fleisch-Stahl-Fraktion sich ein ansehnliches Portfolio an Cyberspace-Beteiligungen zugelegt, und ist allerhöchstens durch bissige Sponti-Aktionen zu stören. denn erst im nächsten Jahr wird man die Regierungsmitglieder der Hamas einladen, natürlich nicht ohne die klassische Indianer-Belehrung: Benehmt euch, denn natürlich waren die Ureinwohner schon immer die Juden.

*** Die Chronistenpflicht ruft. Ich würde liebend gern über das heutige Geburtstagskind, den großartigen Thomas Paine ein paar Worte verlieren, aber wir haben ja nicht ewig Zeit für 100 Fragen. Es müssen ein paar innerdeutsche Entwicklungen in dieser Wochenschau erwähnt werden. Schließlich soll die Geschichte des fortlaufenden Schwachsinns nicht nur auf Klowänden notiert werden. Gerade weil an anderen Orten eine Geschichtsklitterung der übelsten Sorte betrieben wird, muss man wohl begrüßen, dass nach allen Vermittlungsbemühungen die Debatte um den Namen Boris Floricic in einer Hauptverhandlung geklärt wird. Sonst bleibt am Ende übrig: Der Hacker Tron war ein merkwürdiger Kerl, der niemandem in die Augen schaute und offenbar hochgradig gestört war.

*** Aber halt, es gibt doch "Lichtblicke". Nachdem die Grünen sich in der Debatte um einen BND-Untersuchungsausschuss gründlich demontiert haben, folgt ihnen die vereinigten Linke mit einem Statement, das an Blödheit eigentlich nur noch von einer "Geiz-ist-geil-Kampagne" unserer Deutschland-Werber übertroffen werden kann. Halten wir an dieser Stelle nur fest: Die deutsche Linke vergleicht einen Passus über das private Kopieren legal erworbener Güter mit einem Ladendiebstahl unter 20 Euro. Aibo ist tot, es lebe die devot leckende Luc Jochimsen. Wahrscheinlich kauft sie immer mehrere CD, für das Auto, Haus und das geliebte foobar – an dieser Stelle blenden wir uns aus. Niemanden interessiert es, welche Musike dröhnt, wenn der Spinnaker gehisst wird.

*** Und wo bleibt sie nun, die Musike? Ach, aus Protest gegen solchen Unsinn und aus Protest gegen dieses seltsame Mozartjahr, bei dem den Laudatoren der Schmalz so aus den Reden trieft, dass jede Mozartkugel als Diätlebensmittel durchgeht, bei dem Moderatorinnen seltsame Verrenkungen machen, dass auch noch der letzte B-Prominente und C-Humorist einen Auftritt abbekommt, fällt sie diese Woche aus.

Was wird.

Wird der Protest nutzen? Wird es besser werden? In diesem Fall habe ich leider meine Zweifel, obwohl ich sonst gar nicht so zum Pessimismus veranlagt bin. Am Dienstag lädt der Branchenverband Bitkom nach Berlin, der sich kindlich über die Speicherung nach Augenmaß freut. Dabei erleben wir derzeit die größte Datenenteignung der Geschichte. Mit seinem hart erfochtenen Urteil wird Holger Voss einen momentanen Sieg errungen haben, bis die Vorratsdatenspeicherung kommt. Freuen wir uns also mit der Deutschen Telekom, die ebenfalls in Berlin am Mittwoch zu ihrer internationalen Pressekonferenz ins T-Com-Haus einlädt. Ganz unscheinbar steht neben diesem Häuschen ein Schaltkästlein, das alle Verbindungsdaten aufzeichnet. Ach wie gut, dass alle wissen, dass ich Rumpelstilzchen bin, gesch ...

Quelle und Links : http://www.heise.de/newsticker/meldung/68965
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 05 Februar, 2006, 09:16
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Ein Lied, zwo, drei, vier: Fußball Ist Unser Leben, la lala lala lala la la, und wieder und immer wieder (bitte den Realplayer weiter laufen lassen). Ja, wenn die Freunde von Bundeswehr und Polizei zusammen stehen, AWACS über uns kreist und in München die Fußballfans großflächig eingezäunt werden, dann bekommt die Welt einen feinen 1936er-Hautgout. Sind wir nicht alle Freunde im Kampf gegen den Terror? Schließlich geben wir Deutschen auch das letzte Bisschen Daten her, nur um an die begehrten Tickets zu kommen, die Politiker unter sich aufteilen. Wir sind sogar bereit, uns Qosmio-Laptops von Toshiba zu kaufen, weil im Preis ein Vorrundenticket enthalten ist. Oder wie wäre es mit dem Welcome-T-Shirt von T-Com, um beim größten Nationalteam aller Zeiten dabei zu sein, und endlich einmal im Rampenlicht der Medien zu stehen? Kaum ist die Kampagne "Du bist Deutschland" vorbei, kommt mit "Wir stellen was auf die Beine!" die nächste Zumutung. Ein Blick in die Details beim Trikot-Kauf mit den zugehörigen Tarifen XXL Local, XXL Free-time und XXL Full-time gefällig?

*** "Das Welcome-Trikot ist ein hochwertiges Shirt im Stil des Nationaltrikots – mit aufgesticktem DFB-Emblem und aufgedruckter Streifen-Deko in den Farben schwarz-rot-gold. Zu jedem Welcome-Trikot gehört eine Registrierungsnummer. Mit dieser und einem Ganzkörperfoto im Welcome-Trikot können Sie sich aufstellen lassen, wenn Sie ihre persönlichen Daten auf der Aktions-Website eingegeben haben." Wenigstens tritt diese Ganzkörperkultur in Weiß an und nicht in dem grässlichen Rot, in dem man schon 1934 gegen die Ösis gewann. Zum registrierten Team-Deutschen passt der gläserne, gnadenlos ausspionierte WM-Spieler in einem System Klinsmann, das nichts dem Zufall überlassen will, der im Fußball zu Hause ist. Telekom unterstützt DFB-Spionage heißt es dann, wenn Chefspion Urs Siegenthaler 16 Laptops bekommt. Es hat schon seine Logik, wenn infolge der gnadenlosen Kommerzialisierung der Sport der Wirtschaft folgt.

*** Bleibt nur die Frage, ob der Staat der Wirtschaft folgen kann und selber eine Staats-AG wird. Bei der Geldmelkmaschine Fußball-WM hat es fast schon den Eindruck. Ist das E-Government am Ende nichts anderes als ein E-Banking mit anderen Mitteln? Hatte es zur Vorstellung des digitalen Personalausweises noch geheißen, Alterszertifikat, Adresszertifikat und Namenszertifikat auf dem Ausweis sollen eine Serviceleistung für alle Bürger sein, ist nun das Gerücht in der Welt, mit diesen Zertifikaten solle ein schwungvoller Handel getrieben werden. Das ist zwar nach dem derzeitigen Personalausweisgesetz verboten, aber Gesetze können bekanntlich geändert werden. Der Staat als Datenhändler für alle Identitätsnachweise ist derselbe Staat, der ein Mautgesetz hat, das die Nutzung der Mautdaten für andere Zwecke verbietet. Der freie Verkauf von Identitätsdaten wäre ein wunderbare neue, nie versiegende Einnahmequelle.

*** Auch anderswo sprudelt es. Der Fall Tron hat kein Ende. Mit zwei Verhandlungen am Dienstag und am Donnerstag bekommt die Auseinandersetzung um den in Deutschland ach so einzigartigen Namen Floricic langsam die Qualität der Auseinandersetzungen im Fall SCO gegen IBM, Novell und den Rest der Welt. Der uralte Anwaltstrick, beim drohenden Ende die Mandatschaft des gegnerischen Anwaltes zu bezweifeln, ist dabei ebenso lustig wie der Versuch, in letzter Minute aus der tragischen Geschichte um einen jungen Hacker ein Verfahren um das Persönlichkeits- und Markenschutzrecht der Eltern zu machen. Selbst die Diskussion um die Qualität der Diplomarbeit von Boris Floricic flackert wieder auf. Dabei ist der junge Hacker längst eine Person der Zeitgeschichte geworden, sein Leben und Tod ein Beispiel für zerbrechliche Identitäten in der deutschen Hackerszene. Für Außenstehende ist das alles Pop. So fasste die Süddeutsche Zeitung in der vorletzten Woche in ihrem Fernsehprogramme die Wiederholung des Films "23" mit den Worten zusammen: "Film über Leben und Sterben des Hackers Tron".

*** Besonders bizarr ist dabei eine Erklärung, mit der die "Eltern von Tron zusammen mit Freunden" vom CCC gegen die Wikipedia die unterste Schublade aufziehen: "Was wäre erst geschehen, wenn es sich um einen spektakulären Sexualmord oder Terroranschlag gehandelt hätte?" So "erklärt" sich nur jemand, der Unterstellungen verbreiten will, das zeigt ein schneller Klick auf Terrorverdächtige wie Osman Hussein (keine Adresse) oder Terroropfer wie Jean-Charles de Menezes (keine Adresse, aber die offizielle polizeiliche Umschreibung "located within a three-storey block of nine flats in Scotia Road, Tulse Hill"). Warum die Eltern Sexualmord und Terroranschlag erwähnen, "bleibt erst mal frei", um es mit Tron zu sagen. Rätselhaft auch die Rolle des CCC. Auf dem Kongress 22C3 zirkulierte die in die Geburtstadt von Ayn Rand geschickte einstweilige Verfügung und sorgte für große Erheiterung darüber, wie man St. Petersburg verwechseln kann. Nun wird raunend von einer "raffinierte(n) Fehlinformation der Presse durch Wikimedia in Berlin" fantasiert. Am Ende ist es vielleicht das Schlechteste nicht, wenn nach dem Prozess die freie Enzyklopädie als Massenmedium dem Presserecht unterliegt, komplett mit neuen Berufsbildern wie Sitzredakteur und Wikipedia-Umschreibern: Presserechtlich kann die Namensnennung nicht beanstandet werden.

*** Ich komme zu den Jubiläen und Abschieden. 50 Jahre alt ist er geworden, der Fernsehturm in Stuttgart, der erste seiner Art. Erdacht und gebaut von einem findigen Ingenieur, der demonstrierte, "wie man technisch notwendige Einrichtungen auch schön und anziehend bauen kann". Im Zeitalter scheußlicher Fußgängerunterführungen und der hässlichen Mobilfunkantennenanlagen, die hier und da als Bäumchen getarnt werden, können wir darüber nur staunen. Ein ebenfalls berühmter Kollege, der Fernsehturm am Alexanderplatz wird gerade im Auftrag der Telekom einem magenta-silbernen Fußball verschandelt. Kältebedingt sind die Arbeiten ins Stocken geraten – der Verstand ist schon länger abgeschaltet. Warum reicht es nicht, die 3000 Ethernet-Ports magentafarben zu dekorieren, die allein für das Endspiel im Stadion installiert wurden?

*** Wir nehmen Abschied vom Telegramm. 145 Jahre lang sendete Western Union, doch am 27. Januar war Schluss, eine Ära ging zu Ende. Hannelore und Betty sind auch Out. Die Vornamen, aus denen das schicke H+BEDV Datentechnik gebildet wurde, müssen Avira weichen, das einfacher zu sprechen ist. Noch heißt die verdienstvolle Auerbach Stiftung Auerbach-Stiftung, aber bald mag der Irrsinn aus der virtuellen Welt in die reale übergreifen.

Was wird.

Nach den Kinderklappen und der Kunstklappe wäre ein Türchen ganz angebracht, durch das der größte Unsinn dieser Branche entsorgt werden kann. Nehmen wir nur das endlose Gerede vom Web 2.0, dass Die Ritter der Schwafelrunde von sich geben. Im Kern ist es nur ein gutes Geschäft, wenn eine Gefälligkeitsrezension eines Bloggers über die neue Software eines anderen Bloggers erscheinen kann. Da sollte man sich den Sermon über "Social Software" sparen und lieben von Web $,e reden. Ähnliche Aversionen hege ich, wenn ich den Begriff Security 2.0 höre, mit dem Symantec zur CeBIT aufwarten will. Vorstellen soll das Ganze Symantec-Chef Thompson auf der kommenden RSA-Konferenz. Ich wäre schon mit Security 1.0 zufrieden. Betrachtet man sich die Tickermeldungen der vorigen Woche, sind wir höchstens bei Security 0.98beta, ungeachtet aller sicheren und gehärteten Betriebssysteme.

Unternimm was! geht zu Ende und Microsoft stellt die angeförderten Gründer-Gewinner in München vor. Reich wie Bill Gates werden, dessen Millarden die Finanzcomputer sprengen, das ist schon ein lohnenswertes Unternimmen. Ansonsten: Bleibt alle warm verpackt da draußen, die Blicke fest auf die rutschige Realität gerichtet, bis zur CeBIT die Sonne von Windows Vista mit schicken neuen Fonts aufgeht.

Quelle und Links : http://www.heise.de/newsticker/meldung/69226
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 12 Februar, 2006, 08:13
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Heute ist der Darwin Day, an dem zelebriert wird, dass der Mensch vom Affen abstammt und keineswegs das Produkt eines intelligenten Designers ist, als das ihn verschiedene Religionen im Angebot haben. Wie nah am Affen wir dran sind, konnte man in der letzten Wochen merken, als meine Weigerung, etwas über eine reaktionäre Provokation zu schreiben, als Feigheit ausgelegt wurde. Mittlerweile ist die ausgeuferte Debatte mit Stürmer-Vergleichen und Hitler-Karikaturen im Bundestag angekommen. Die Politiker gaben derart viele Gemeinplätze in Serie von sich, dass Zweifel an Darwins Evolutionstheorie aufkommen: Nichts hören, nichts sehen und nichts verstehen, das tun doch eigentlich nur drei Affen. Im Oktober 2005 waren die Provokationen aus dem am Irak-Krieg beteiligten Dänemark in der arabischen Welt veröffentlicht worden, ohne großen Protest. Der nun von reaktionären Regimen angeheizte Proteststurm, das Getue um Karikatur und Gegenkarikatur samt schrägen Einwürfen zur Meinungsfreiheit mögen andere aufgeregt diskutieren – unter ihnen ausgerechnet auch solche Figuren, die in den 60er Jahren Pasolini verboten und in den 80ern Achternbusch als Blasphemiker verfolgt hätten. Interessen, die im Dunkeln bleiben sollen und die Diskussion ebenso wie die Protestierer zu steuern suchen, gibt es auf beiden Seiten. Ich halte es mit Harald Schmidt, dem Pfeilbuntbarsch und dem Zitronenbuntbarsch.

*** Ich gebe gerne zu, dass mein Sinn für religiöse Gefühle unterentwickelt ist, um nicht gleich von völliger Taubheit zu sprechen. Nicht das kleinste Gesäusel erreicht mein Ohr, das bei jedem Rechner aufmerksam lauscht. Es mag gut sein, dass das höchste Wesen als Spaghetti existiert und nützliche Dienste leistet. Regelmäßig schaue ich bei Godchecker vorbei und informiere mich über den G'tt des Tages. Auch unter den Zahlen findet sich nichts. In diesem Kontext bin ich ein einfach ein 404er.

*** Oder eben ein mit Voltaire getränkter Leser, ein Bezweifler höherer Wesen. Am Tag, an dem diese kleine Wochenschau entsteht, kehrte der große Aufklärer vor 228 Jahren aus dem 28 Jahre langen Exil nach Paris zurück und wurde jubelnd empfangen. Der amerikanische Revolutionär Benjamin Franklin reichte ihm seinen Enkel mit der Bitte, ihn zu segnen, doch Voltaire lehnte den religiösen Unsinn ab. In diesem Unsinne muss ich gleich noch einmal die handliche Wikipedia zitieren, klärt sie doch über den Begriff der Ochlokratie auf. Benutzt wird er in diesem wirren Pamphlet zur Entscheidung eines Gerichtes im Fall des toten Hackers Tron, bürgerlich Boris Floricic. Wer derart schief vom "Bedürfnis auf Privatsphäre" fabuliert, wird seinen Privatschrein aufgebaut haben und vor diesem mit geballter Faust "Tron, der Kampf geht weiter" skandieren. Für Vermittlungsversuche taub, muss nun die nächste Instanz heran. Irgendwann wird der große Wunsch eines Berliner Anwaltes aufgehen, im russischen St. Petersburg vor Gericht auftreten zu können. Gibt es dazu eine Steigerung? Vielleicht ein Theaterstück mit Sprechrobotern im Stil des Heddatron-Projekts, gewissermaßen ein Trontron-Drama.

*** Einer, der gerne mal den Hacker gab, war der Kryptologe Hans Dobbertin. Er starb nach einem harten Kampf gegen den Krebs am 2. Februar im Alter von 53 Jahren. Wer sich jemals mit MD4 und MD5 beschäftigt hat, wird seine Pionierarbeit kennen. Mit seiner Arbeit trug er viel zum Renommee des BSI bei, den die taz einmal zum freundlichsten Geheimdienst Deutschlands kürte. Bei der Entschlüsselung der Briefe des österreichischen Unabombers Franz Fuchs soll Dobbertin eine wichtige Rolle gespielt haben, doch wie das bei Geheimdiensten ist, ist die Sache nebulös. Ein Tod, ein Begräbnis muss an dieser Stelle noch erwähnt werden. Denn zum Begräbnis der amerikanischen Bürgerrechtlerin Loretta King erntete die amtierende US-Regierung nicht eben Lob für das Ausspionieren der eigenen Bürger. Die NSA-Mischung aus Kafka, Le Carré und Mel Brooks dürfte wohl noch ein paar Einlagen produzieren, bis in Amerika die Bürgerrechte wieder Beachtung finden.

*** Ich gebe ferner gerne zu, dass ich meine Schwierigkeiten habe, einen hastig zusammengeschraubten Artikel wie Fit trotz Fett zu verstehen, der eine wissenschaftliche Studie verhackstückt. Aber ich gebe auch zu, die Anzeige nicht zu verstehen, die ProSieben im Namen von Germanys Next Topmodels in allen Zeitungen (taz und Bild einmal ausgenommen) schaltete. Eine Bande von langhaarigen dünnen Frauen im BH, die ein leckeres Buffet loben und sich freuen, bis zur Rente mit 67 eine geile Zeit zu haben. Ich will aber eigentlich nur darauf hinweisen, dass mit Betty Friedan und Karin Struck zwei unbequeme Frauen gestorben sind, von denen auch Männer etwas lernen können.

*** Aber es gibt ja auch Geburtstage zu feiern. Ausgerechnet heute feiert das tapfere Team der Heise zugetanenen OffTopic-Rechenknechte bei Einstein@home den 1. Geburtstag. Chapeau! Wenn es nun schon Werbung gibt, die mit dem Heise-Effekt trommelt, dann muss es auch erlaubt sein, diesen Unentwegten zu danken und ihnen den goldenen Pandabär in Zwangsjacke zu wünschen. Einen knuffigen Heisig allen Teilnehmern!

Was wird.

Die olympischen Winterspiele sind da, einschließlich ersten nationalen Getöses um die Freuden und Leiden der doch als erstes zutiefst gekränkten deutschen Seele. Was soll erst werden, da die Fußball-WM näher rückt? Wer die aufgeregten Debatten verfolgt, bekommt den Eindruck, dass Deutschland großflächig mit Maschendrahtzaun abgesichert wird. Doch gemach, es geht weiter. Wir haben ein Maskottchen namens Galeo, das immer noch ohne Hose herumläuft und einen "Kaiser", bei dem der Verstand fehlt. Das dazu passende neue Polizeilogo ist auch nicht viel besser. Es wurde im ZIS, im "modernsten Taktikraum der Welt", bestückt mit den "besten Rechnern und Programmen", vorgestellt. Wie gut das System ist, wurde am letzten Wochenende in Stendal demonstriert: Brennende Autos, verletzte Polizisten und düpierte ZIS-Spezialisten, die die Fans begleitet hatten. Die Rechnerprognose von einer problemlosen Rückfahrt nach Spielabsage erfüllte sich nicht. In der kommenden Woche berät der Europäische Polizeikongress in Berlin die Maßnahmen zur Fußball-WM. Passend dazu lädt der Bundesverband der Deutschen Industrie zu einer Debatte über die neuen Bedrohungslagen: Wenn schon der Bitkom die Homeland Security als neues Geschäftsfeld entdeckt, darf doch der BDI nicht fehlen. Selbst die Sozen sind mit von der Partie und diskutieren die Abschussbefugnis des Luftsicherheitsgesetzes. Die gründlichen Deutschen sind auch im Ausleben ihrer Phobien gründlich. Bei diesem Aufwand braucht es keine Entschuldigung mehr, wenn Deutschland nicht Weltmeister wird.

Wo bleibt bloß das Positive? In diesen Tagen sicher nicht bei der Musik, bei der man sich zwischen kieksenden Superstars und vergreisten Musikmanagern, denen zur Grammy-Verleihung auch nur noch U2 einfallen, nur noch in bereits gewohnte avantgardistische   Gefilde flüchten kann. Das Positive also? Hach, es ist eine verführerische Obstschale in die ich mich romantisch stürzen kann. Gesund und leider unvergoren. Wer nicht mit Obst feiert, dem wünsche ich viel Energie.

Quelle und Links : http://www.heise.de/newsticker/meldung/69480
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 19 Februar, 2006, 08:26
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war

*** Lass die heiligen Parabolen,
Lass die frommen Hypothesen –
Suche die verdammten Fragen
Ohne Umschweif uns zu lösen

dichtete einstmals der große Journalist Heinrich Heine über die großen Fragen der Religion, nur um dann zum Schluss zu kommen:

Also fragen wir beständig,
Bis man uns mit einer Handvoll
Erde endlich stopft die Mäuler –
Aber ist das eine Antwort?

Vor 150 Jahren wurde dem Heine das Maul mit Erde gestopft, der das Himmelreich auf Erden herbeidichten wollte, mit Zuckererbsen für jedermann. Heine ist tot, die verdammten Fragen sind geblieben und das mit den Zuckererbsen, daran arbeiten wir noch.

*** Eine der verdammten Himmelsfragen hat in dieser Woche das Bundesverfassungsgericht beantwortet, das das Flugsicherheitsgesetz souverän in die Tonne trat: Der Abschuss eines Flugzeugs, in dem nicht nur Terroristen, sondern auch Geisel sitzen, ist nicht rechtens. Prompt fordern unsere Politiker die Entfesselung der Bundeswehr, eine zupackende Nationalgarde für das wehrlose Deutschland, das zur WM von trinkfesten Briten gestürmt wird. Und überall dort, wo es beim Public Viewing stürmt, natürlich Kameras ohne Ende und ohne Rechtsgrundlage. Besonders peinlich dabei der bayerische Innenminister Beckstein, der zu den 370 ABC-Einheiten der Feuerwehr und den 16 SEB_ABC-Einheiten des technischen Hilfswerks unbedingt die 111 Fuchs-Spürpanzer heranholen will, die unter deutscher Flagge schnüffeln und spüren. Sie können nämlich unter Beschuss nach ABC-Waffen suchen, das können die ABC-Spezialisten von THW und Feuerwehr nicht. Doch welches Schreckensszenario steckt in den Hirnen unser Volksvertreter, wenn mit ABC-Angriffen und gleichzeitig mit Schießereien gerechnet wird? Die Antwort ist simpel: gar keines. Die WM kostet Becksteins Bayern 12 Millionen bei der Polizei, 4,5 Millionen beim Katastrophenschutz und 2,5 Millionen bei der ABC-Rüstung. Kommen Spürfüchse mit allem drum und dran zum Einsatz, spart Bayern 7 Millionen Euro. Dafür lohnt es sich doch, ein bisschen am Grundgesetz herumzufeilen. Die Entscheidung in Karlsruhe nimmt sowieso niemand sonderlich ernst. Von Seiten der Polizei gibt es übrigens eine Anfrage an die Bundeswehr: Sie betrifft einen Handvoll IT-Spezialisten, die beste Kenntnisse in Oracle- und SAP-Software haben.

*** "Die Vogelgrippe wird kulturelle Probleme unseres Landes im Zusammenleben mit Mitbürgern islamischen Glaubens lösen." Dieser geschmacklose Satz, in dem eigentlich nur noch ein Schlenker zu Abu Ghraib fehlt, ist ein Glanzstück deutschen Humors und er stammt wirklich aus der Feder von Friedrich Merz. Damit ist er ziemlich einzigartig in einer Passage, die Merz hier komplett aus dem Internet-Magazin Zyn abschrieb. Die er schlicht ungefragt klaute. Jaja, so ist das halt im Internet, da sind die Gedanken frei und kopierbar, da bewegt sich eine Inhalts-Mafia am Rande der Illegalität. Ist es da etwa verwunderlich, dass auch ein kleiner abgehalfterter humorfreier Politiker seinen Rede-Torrent einrichtet? Schließlich ist der Orden für den tierischen Ernst eine wichtige Sache, oder um es mit Heine zu sagen:

Noch immer schmückt man den Schweinen bei uns
Mit Lorbeeren den Rüssel.

Heinrich Heine, der berühmteste Dichter unter den Journalisten schrieb zu seiner Zeit viel Erschießliches. Nach Amerika wollte er nicht fliehen, der Sklavenfrage wegen. Nach Deutschland wollte er nicht zurück, in ein Land, in der jede Nacht ein Polizeidiener an seiner Tür rüttelt, um zu prüfen, ob der Herr Journalist wirklich schläft. Während bei Heine zur Nacht geklopft wurde, bevorzugt man in unseren Zeiten das Morgengrauen. Nun hat das Landgericht Potsdam die Aktion für rechtens erklärt, weil der besagte Artikel "erhebliche für die Sicherheit der BRD relevante Geheimnisse" enthalten habe und "Verletzung besonders schwerwiegend erscheint". Da muss einfach die Pressefreiheit abkommandiert werden, abgeurteilt als Beihilfe zum Geheimnisverrat. Nur das Erschießliche trennt uns vom preußischen Schnüffelstaat aus Heines Zeiten. Immerhin wird diese Farce bis zum Bundesverfassungsgericht gehen, während der andere journalistische Skandal versickern wird. Schließlich verteidigt die Bundeswehr die Allianz-Arena am Hindukusch. Und auch in Guatánamo.

*** "Lächle nicht, später WWWW-Leser. Jede Zeit glaubt, ihr Kampf sei vor allen der wichtigste, dieses ist der eigentliche Glaube der Zeit, in diesem lebt sie und stirbt sie, und auch wir wollen leben und sterben in dieser Freiheitstreligion, die vielleicht nicht mehr den Namen Religion verdient, als das hohle ausgestorbene Seelengespenst, das wir noch so zu benennen pflegen – unser heiliger Kampf dünkt uns der wichtigste, wofür jemals auf dieser Erde gekämpft worden, obgleich historische Ahnung uns sagt, dass einst unsre Enkel auf diesen Kampf herabsehen werden, vielleicht mit demselben Gleichgültigkeitsgefühl, womit wir herabsehen auf den Kampf der ersten Menschen, die gegen eben so gierige Ungetüme, Lindwürmer und Raubriesen zu kämpfen hatten."

Ich gebe gerne zu, dass ich ein alter Knacker bin, auch ist mein haaroskop nicht besonders rosig ausgefallen. Die letzten noch verbleibenden Jossele fallen ab, wenn ich Nachrichten von der TK-Überwachung aller Deutschen lese, die auf 361 ominösen Fällen und einem interessanten Umfaller beruht, dem härtesten Krähwinkel-Tauss aller Zeiten: "Gleichwohl stimmte er für den Antrag, da die Richtlinie nun einmal zumindest im Minimum umgesetzt werden müsse."

Vertrauet eurem Magistrat
der fromm und liebend schützt den Staat
Durch huldreich hochwohlweisen Walten;
Euch ziemt es, stets das Maul zu halten.

Ein Blick aus der Zukunft hat uns ja Tschechien beschert, wo erstmals nach einem halben Jahr die Rechnungen für die Kosten dieser Big-Brother-IT verschickt wurden: Umgerechnet 10 Millionen Euro muss die tschechische Polizei für die EU-konforme Vorratsdatenspeicherung zahlen. Uns bleibt die Hoffnung, dass die Bundesnetzagentur die Gebühren für den Staat ähnlich kalkuliert wie die tschechische CTU. Wer in den Daten schnüffeln will, muss eben in die entsprechenden Spürpanzer investieren. Und weil die Schnüffelei einen Ort haben muss, an dem die Schnüffler zum Erschnüffelten rausrücken, sei noch auf diese Initiative der Softwarepatentegegner hingewiesen, die in dieser Woche startete.

*** Natürlich war Heinrich Heine nicht der größte deutsche Dichter. Das überlies er gerne dem Zitronen-Goethe und seinem Eckermann. Aber er war – und das sagt der großen polnische Literatur-Papst Reich-Ranicki (mit Dank an IT&W – der "bedeutendste Journalist unter den deutschen Dichtern und der berühmteste Dichter unter den Journalisten der ganzen Welt". Das Gedicht dieser Woche stammt von Apple. Und Garrison Keillor prüft noch die literarische Fallhöhe des unbekannten Apple-Dichters der diesen Limerick schrieb:

There once was a user that whined
his existing OS was so blind
he'd do better to pirate
an OS that ran great
but found his hardware declined.

Please don't steal Mac OS!
Really, that's way uncool.

Uncool, aha, das bringt mich zu den olympischen Winterspielen, die irgendwie wichtig sind, von denen ich aber absolut nichts verstehe. Das bisschen Schlittschuhlaufen, das die norddeutsche Tiefebene bietet, wenn alle Jubeljahre der Maschsee zufriert, hilft nicht zum nötigen Verständnis für den Zickensieg. Mein Glückwunsch geht daher an Dale Begg-Smith, dem ersten Sportler, der mit Spam seinen Auftritt finanzierte.

*** Na, ist ja alles schön und gut, nahe Turin betätigen sich halt die Wintersportler ertüchtigend, und Mac-OS-X-User schreien   gequält auf angesichts der ungeliebten und immer wiederkehrenden Realität. Aber die Prediger der Religionskriege sind nicht einmal bedeutungsvoll genug, Heines Sentenz auf sie zu beziehen: "Die Geistlichkeit herscht im Dunkeln durch die Verdunkelung des Geistes." Wir aber widmen uns der Erinnerung, der Zukunft und der Musik. Nachdem tagsüber Wolfgang's Vault alte Aufnahmen der Rockheroen ganz für umme auf den PC lieferte (hey, das eigentliche "White Album" stammt immerhin von Frank Zappa aus dem Fillmore East), beschließen wir den Tag mit den Höhepunkten der Romantik, die ebenfalls von dem rebellischen Dichter und romantischen Journalisten stammen. Feiert nicht den Mozart, lest den Heine – und hört seine Lieder, am besten (aber nicht nur) in der Vertonung von Schumann.

Was wird.

Große Ereignisse werfen ihre Schatten voraus, auch wenn sie in der norddeutschen Tiefebene nicht besonders groß sein müssen, um Schatten zu werfen. Die CeBIT bahnt sich langsam an, entsprechend groß ist das Bedürfnis nach Luftholen vor dem digitalen Irrsinn. Nur die Separatisten von der Open-Source-Fraktion wagen den Dissens und starten am Freitag die größte Brüsseler Bier-Party, die dann am Wochenende sich als FOSDEM niederschlägt. Das Ganze ist ein sehr spartanisches Meeting, bei dem man neben bappigen Baguettes auch noch den heiligen Stallmann mit seiner 8-Zoll-Heiligenschein-Diskette und den Laptop-Gesetzes-Tafeln aushalten muss, auf denen die GPLv3.0 diktiert ist, in alle Ewigkeit. Da bleibt es mir nur übrig, den ollen Heine ein letztes Mal die Handvoll Erde aus dem Maul zu kratzen, damit er seinen letzten Vers zum Paradies-Vertreibungsgedicht "Adam der Erste" erzählen kann, ganz schlicht gegen alle Götter der Welt:

Ich will mein volles Freiheitsrecht!
Find ich die geringste Beschränknis,
Verwandelt sich mir das Paradies
In Hölle und Gefängnis.

Quelle und Links : http://www.heise.de/newsticker/meldung/69806
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 26 Februar, 2006, 07:52
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Ein eisiger Wind fegt über die norddeutsche Tiefebene und kühlt sie gut durch, bis das heiße Treiben des digital living an der Leine starten kann. Wir Niedersachsen feiern zwar keinen Karneval vorab der CeBIT, nein, selbst Feierleichkeiten zum 50. Jahrestag des Beginns der Entstalinisierung werden hierzulande wie in Russland nicht begangen – das siegreiche Banner der Partei wird noch allzuoft hochgehalten, auch zur Feier des Antisemiten Stalin. Wir aber leben in einer heißen Phase, das Fieber steigt, Hypochonder haben Konjunktur, jede Schnabeltasse kann von den Medien zerdeppert werden. Mit über 70 Millionen Geflügeltieren lebt in der norddeutschen Tiefebene, konzentriert auf wenige Landkreise, der weltgrößte Bestand des Federviehs, das schon Witwe Bolte als Inbegriff alles Hoffens und Sehnens galt. Auch die Henne der Nation, seit 100 Tagen im Amt, ist niedersächsischer Uradel: Streng genommen müsste eigentlich ein Ei oder mindestens ein Chicken Nugget unser Wappentier sein. Was ein Pferd da zu suchen hat, wissen eh nur Widukind-Forscher.

*** Überraschend tierlieb geht es auch im neuen Heisetreff zu, ganz ohne den von meinen Lesern geliebten Heisig. Da vermittelt die Tierschutzhilfe Fuerteventura oder die aus Thessaloniki Straßenköter und notoperierte Katzen en masse, nur ordentlich grippige Vogelviecher fehlen noch. Traditionell haben Journalisten ja nichts mit der Anzeigenabteilung zu tun – und das ist auch gut so –, aber manchmal ist doch erwähnenswert, wie viel Schrott es gibt, der in so einem Umfeld auch bei meinem Lieblingsverlag angeboten wird. Nehmen wir nur das Antiterrorsystem, bei dem man nach zwei Klicks bei der idiotischen Anti-Islamistischen Vereinigung in Europa landet. Auch die Kloake kann heute pro-jüdisch sein, das ist keine neue Erkenntniss. Der Fairness halber muss ich hinzufügen, dass die Rubrik "entlaufene Fische" noch nicht existiert: Trollfutter zum *fischrüberreich* wird demnach nicht ausgehen. Vielleicht sollte ich eine Live-Schrei(b)erei von WWWW in einer Kneipe inserieren, als Hyper-Blogging oder Web 2.pastell. Etwas konkrete Poesie oder ein kleiner Poetry Slam würden möglicherweise all die Web-2.0-Neubobos ins absurde Theater entführen und wir hätten unsere Ruhe.

*** Hey Autofocus! Über Beziehung von Lesern und Schreibenden hat sich schon Karl Kraus das Seinige gedacht. Der große Journalist, der angeblich heute vor 70 Jahren von einem Radfahrer niedergestochen wurde und an den Folgen dieser Verletzung starb, brachte es auf den Punkt; Ich und meine Öffentlichkeit ... Prima. Nehmen wir einmal an, dass das Verstehen und das Desinteresse auf beiden Seiten gleich groß ist. Etwa so groß wie die Kenntnis, die ein durchschnittlicher bayerischer Ministerpräsident über einen umgepolten Rambo offenbart, den er verbieten möchte: Die Meinungsfreiheit ist eine Karikatur und wehe dem, der sie vielleicht einmal verfilmen möchte. Umgekehrt wird natürlich aus jedem Film ein Schuh, ein Terroranschlag, oder einfach nur eines der größten Lieder unserer Kultur. Während seiner Dienstzeit als Mechaniker der US-Armee in Deutschland ging Johnny Cash ins Kino und schaute sich einen Film über die Lebensbedingungen in einem US-Gefängnis namens Folsom Prison an. Heute hat Johnny Cash Geburtstag, ein Sänger, der wohl nicht über Guantanamao geschwiegen hätte, und darum, nach dem großen Heine:

I hear the train a comin'; it's rollin' 'round the bend,
And I ain't seen the sunshine since I don't know when.
I'm stuck at Folsom Prison and time keeps draggin' on.
But that train keeps rollin' on down to San Antone.

When I was just a baby, my mama told me, "Son
Always be a good boy; don't ever play with guns."
But I shot a man in Reno, just to watch him die.
When I hear that whistle blowin' I hang my head and cry.

I bet there's rich folk eatin' in a fancy dining car.
They're prob'ly drinkin' coffee and smokin' big cigars,
But I know I had it comin', I know I can't be free,
But those people keep a movin', and that's what tortures me.

Well, if they freed me from this prison, if that railroad train was mine,
I bet I'd move on over a little further down the line,
Far from Folsom Prison, that's where I want to stay,
And I'd let that lonesome whistle blow my blues away.

*** Zurück zu den kleinen Befindlichkeiten des Alltags, nach 100 Tagen Merkelianismus, dem großen Gekuschel. Bestürzend ist es schon, wie glatt in diesem unseren neuen System die auch in Tschechien bekannte   Vorratsdatenspeicherung durchgewunken wird. Gegen die barbarische Maßnahme, die Journalisten einengt, protestieren viel zu wenige Journalisten. Die systematische Abwertung des Journalismus vom roten Ken geht weiter. Bald reicht sie bis hinunter zum kleinsten Blogger, der seine Taggerei für den besseren Journalismus hält.

*** Dieser Raubbau ist nicht schlecht in Szene gesetzt, sondern er wird mit allen Mitteln voran getrieben. Nehmen wir nur die Fußball-WM mit ihrer Beschränkung auf fünf Fotos pro Spiel. Jeder Blogger und Flickr-Apologet wird diese Einschränkung locker umgehen können. Das FIFA-Maskottchen Goleo trägt nicht ohne Grund keine Hose, ob vorne oder hinten. In diesem Spektakel, das immer noch trotz allen Icklern und FIFA-Schwachmaten Fußball und nicht Fussball heißt, hat sich ein SPD-Politiker namens Wiefelspütz den Schäuble-Schwachsinnsorden erster Klasse redlich verdient. Die Welt ist zu Gast bei Sicherheits-Paranoikern, aber eben in einem föderalistischen Deutschland.

Was wird.

Vor der CeBIT im Bundesland der weltgrößten Geflügelzüchterei sieht die Nachrichtenlage immer etwas unspannnend aus. Da bleibt dem Chronisten wenig mehr als der Hinweis auf eine Veranstaltung der Ärzte-Union Bayern, die am kommenden Samstag nicht nur den bekannten Gesundheitskarten-Kritiker Thomas Maus aufbietet, sondern auch einen Präsidenten eines Verfassungsgerichtshofes, der die elektronische Gesundheitskarten schlicht für illegal erklären möchte.

Doch bevor die Ärzte zu ihrem Dingsda-skop greifen und horchen, ob im siechen Körper noch ein Ton zu hören ist, will die SCO Group zeigen, dass sie noch an ein Me nach dem größten Reinfall im Prozess der Prozesse glaubt. Noch höher als Heine schätze ich in diesem Fall den Giganten Shakespeare, der dereinst schrieb:

Ich bin, der ich bin, und was sie summen
Von meiner Schuld, ist ihrer Schmach Bericht.
vielleicht bin ich gerad, und sie die Krummen:
Ihr gift'ger Hauch schwärzt meine Taten nicht.

Doch wer ist das Ich, das Schattengleiche? Heute, am Tauftag des großen Christopher Marlowe, sind alle Spekulationen recht. Vielleicht war er der größte Dichter aller Zeiten, der Shakespeare, vielleicht war er der größte Spion. Da passt es dann schon, wenn ich mit dem Dichter heute ende, dem, der selbst gern schwankte und wankte, bis sich alle zum Kotzen an der Reling aufreihten:

Mensch ist Mensch, der Beste fehlt einmal.

Quelle und Links : http://www.heise.de/newsticker/meldung/70078
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 05 März, 2006, 09:08
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Ich bin als Hannoveraner und damit Nicht-Preuße eher ein 06er und ganz sicher kein 68er. Geboren und aufgewachsen in der schönsten Stadt der norddeutschen Tiefebene, Heimat des besten Verlags der Welt mit den besten Ideen, bin ich damals nur demonstrieren gegangen, weil mein Mathematiklehrer in unserer Schule beliebt war. Sein Bruder Benno Ohnesorg war damals in Berlin erschossen worden. Das war Sauerei genug, auf die Straße zu gehen, aber wirklich verstanden haben wir Pimpfe das nicht. Der richtige Spaß begann in Hannover erst später, als die Rote-Punkt-Aktion startete. Jeden Abend brachte mein Vater andere Typen zum Abendessen mit nach Hause und wir lernten, wie groß die Welt selbst in Hannover sein kann. Die Aktion hatte auch gewaltige Nachteile: Bis zu seinem frühen Tode nahm Vater jeden Anhalter mit und fuhr Umwege ohne Ende.

*** Umwege? Umwege können wir uns heute nicht mehr leisten, dafür aber Computer. Und diese Woche gab es gleich zwei freudige Ereignisse, von denen die Niederlage der powerpointgestützte Klinsmannschaft nicht in mein Ressort fallt. Dafür aber das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes zum Datenschutz in der Telekommunikation: Dankenswerterweise wurde die Polizeiaktion gegen die Heidelberger Richterin als unverhältnismäßig bezeichnet, was Auswirkungen auf die Schnüffeleien gegen Cicero hat, die auch auf dem Weg nach Karlsruhe sind. Auch die Wolfsburger Schnüffelei dürfte unverhältmäßig gewesen sein. Doch das Karlsruher Urteil hat nicht nur Auswirkungen für Journalisten, denn die Krux verbirgt sich in den gar nicht erfreulichen Teilen des Urteils. Nun wird das richtige Löschen und Verschlüsseln mit diesem Urteil zur ersten Bürgerpflicht erklärt. Wer seine wichtigen Mails noch in einer unverschlüsselten Partition seines Rechners aufbewahrt, soll sich in Zukunft nicht über die neudeutschen Guck & Horch-Methoden beklagen, sondern sich lieber bei Utimnaco & Co oder bei Truecrypt nach den richtigen Antieinbrecherwerkzeugen umsehen:
"Ohne dass es in diesem Zusammenhang auf die wandelbaren Einzelheiten der Löschbarkeit digital gespeicherter Daten ankäme, hat der Nutzer in seiner Herrschaftssphäre Möglichkeiten der Datenverarbeitung und -löschung – bis hin zur physischen Zerstörung des Datenträgers –, die ihm nicht zu Gebote stehen, solange sich die Nachricht auf dem Übertragungsweg befindet oder die Kommunikationsverbindungsdaten beim Nachrichtenmittler gespeichert sind. Der Nutzer kann sich bei den seiner Verfügungsmacht unterliegenden Geräten gegen den unerwünschten Zugriff Dritter durch vielfältige Maßnahmen schützen, etwa durch die Benutzung von Passwörtern oder anderweitiger Zugangscodes sowie – bei Verwendung von Personalcomputern – durch Einsatz von Verschlüsselungsprogrammen und spezieller Software zur Datenlöschung."

*** Im Geschwurbel der Nachrichten entpuppt sich der Heiseticker mitunter als Meta-Nachrichtensendung. Wenn an ein und demselben Tag diese beiden   Meldungen kurz hintereinander veröffentlicht werden, unterbrochen nur von diesem Projekt, dann zeigen sich die berühmten synergetischen Effekte. Bei Meldungen in anderen Medien ist das nicht ohne weiteres zu erkennen. Wenn bei der Fahndung nach der verschwundenen Stephanie die Datenbank falsch befragt wurde, weil "sexuell motivierter Straftäter" und "Sexualstraftäter" sehr wohl zwei unterschiedliche Begriffe sind, dann ist das keine Panne, sondern richtig gesehen ein Designfehler in der Software. Einen ähnlichen Fehler kann man in der aktuellen BND-Debatte um die Verteidigungspläne von Bagdad feststellen. Pläne oder Skizze, das ist hier die Frage. Dass ein stellvertretender Regierungssprecher dazu sein Witzchen mit Punkt, Punkt, Komma, Strich reißen darf, zeigt die neue deutsche Kontinuität der Regierung Schrökel. Womit sich doch Fußball und Politik treffen, denn bei uns regiert das Prinzip Klinsmann.

*** Ja, ich weiß, auch wenn ich kein 68er bin, so darf ich mich doch nicht so jungdynamsich geben wie unser aller Klinsi oder die vergleichbar auftrumpfenden und gleich wieder zurechtgestutzten Neubobos des Web 2.0. Ich gestehe, ich bin ein alter Sack. Da befinde ich mich in guter Gesellschaft. Wenn jedoch die Zeit die Altsackhaftigkeit bei David Gilmour als lobenswerte Eigenschaft hervorhebt, bleibt anzumerken, dass der Gitarrist der Pink Floyd dies offensichtlich selbst als zentrale Charaktereigenschaft betrachtet und es auf dem just veröffentlichten On an Island etwas arg weit treibt mit der Altsackhaftigkeit. Da ist sich Gilmour auch ganz eins mit Bandkollegen Nick Mason, der unmöglich beantworten kann, worum es bei Pink Floyd ging, der die Ereignisse der 60er Jahre darauf zurückführt, dass die "jungen Leute plötzlich viel Zeit und Geld" hatten und der dieses seltsame Geschichts- und Geschichtenbuch geschrieben hat, dem wohl nur absolte Floyd-Aficionados etwas abgewinnen können. Unsereins möchte – bei aller Liebe zu den seligen Zeiten, als Pink Floyd noch nicht ganz im Bombast erstickten – lieber einem anderen alten Sack zuhören, wenn sein Werk von ein paar eher jungen Säcken noch einmal fabulös getrommelt wird.

Was wird.

Was wird schon sein, wenn die CeBIT kommt, ein emotionales Event, auf dem Kanzlerin Merkel und die IT-Branche den CeBIT-Song mitsingen? Wenn Microsoft und Intel ganz schrecklich geheimnisvoll Nichtssagendes veröffentlichen, wie man das sonst nur von der verqueren Apple-PR-Maschine kennt. Wenn alles citius, altius, fortius wird, wie der noch schwer germanisch klingende Bundesverband der digitalen Wirtschaft behauptet, der an der nächsten Blase nuckelt. Wenn die Resurrectio bis zur Raucitas auch im Hause Heise von denen betrieben wird, die mit Dummschwatz im Stil von "Das Internet ist kaputt" der üblen Propaganda der Copyright-Mafia aufgesessen sind. Aber zur Messe wird alles schön und 2.0, da trägt der Digital-Lude seinen handgefertigten diamantbesetzten USB-Stick am Kettchen und lacht sich eins über die Beuteltiere, die immer noch Mauspads abstauben wollen, statt schicker Inhalte voller Ajax-Interaktion. So wird der Web 2.0-Mob nach Hannover stürmen und von seinen RSS-gefütterten interaktiven Bildschirmschonern schwärmen, von Push und 24/7.

Wobei es diesmal den Beuteltieren an den Kragen geht. Nach 20 Jahren Standbelästigung hat man beim Sicherheits- und Biometrie-Spezialisten NEC die Lösung aller fest stehenden Gewissheiten gefunden. Lauschen wir der Pressemeldung, die mit ihrem verhunzten Deutsch stellvertretend für all die Belästigungen steht, die vor einer CeBIT zu ertragen sind: "Besonders gefährdete Ziele für terroristische Attacken sind große unübersichtliche Gebäudekomplexe wie etwa Flughäfen, Bahnhöfe oder Firmenzentralen. Erweiterte Sicherheitsmethoden sind daher erforderlich. Die NEC Videoüberwachungssoftware SmartCatch ermöglicht es, unbeaufsichtigte und zurückgelassene Gegenstände sofort zu entdecken und schlägt von selbst Alarm bei gravierenden Sicherheitsverstößen. Das System ist auf dem NEC Stand installiert und wird wohl vielen Besuchern, die dort in Versuchung geraten, heimlich überflüssige Plastiktüten auf dem Stand zu hinterlassen, viel Aufmerksamkeit verschaffen."

In Versuchung geraten sind Firmen, Schlagworte aus den aktuellen Debatten für ihren Messeauftritt zu verwenden. Sun frotzelt mit Sven Kemmler über den Karikaturenstreit und betont ansonsten nachdrücklich, dass ein Grid-Computer keine Waffe ist – wie sie etwa von US-Präsident Bush den Indernetlern zum Dank fürs Outsourcing – versprochen wurden.

Aber es geht auch subtiler. Nehmen wir nur IBM, die im Kontext der Debatten über die radikalen Islamisten ihre RFID-Chips lobt: "Sogenannte IBM 'clipped tags' erlauben das transparente Deaktivieren von RFID tags durch 'Enthaupten'." Das ist doch eine wunderbare Annäherung an einen so bedrohlichen Gegenstand, der dazu auf der CeBIT noch in Schwärmen auftritt! Wo ein Chip sitzt, muss ja ein kluger Kopf sein, den man enthaupten kann. Die Konkurrenz bei Metro kann ihre Chips nur mit einem überdimensionierten Bügeleisen keulen. Doch damit ist das Messethema noch lange nicht erledigt. "T-Systems und Intel gehen gemeinsame Wege im RFID-Business" heißt es in einer Pressemeldung, Die Chips werden in Autos eingebaut und adeln die Rostbeule zum intelligenten Vehikel, das seinen Fahrer erkennt und via GPS all seine Fahrten trackt, natürlich zu seinem Besten.

Die Generation "Hi Def" will transparent leben und transparent versichert sein. Zu verbergen hat man nichts, dank GPRS und HDCP. Jawohl, "Hi Def", steht nach dem Willen der Marketiers für High Definition und die potente junge Käuferschicht, die HDTV und HD-DVD (oder Blu Ray) kauft, sobald sie auf dem Markt verfügbar sind, und den ganzen Krempel ohne Wimpernzucken installiert. Stolz verkündet Sharp, dass die erste Ladung seiner 65-Zoll-HDTV-Geräte schon ausverkauft wurde, bevor die ersten Container vom Schiff sind, weil die Generation "Hi Def" einfach nicht warten kann. Die PR-Menschen, die nur noch von Triple Play schwärmen und von User-Centric-Broadband-Stratgie sprechen können, ohne rot zu werden, freuen sich auf die CeBIT. Doch noch schneit es in der norddeutschen Tiefebene und so können wir hoffen, eine SchneeBIT zu erleben, wie 1987. Frischer Schnee dämpft noch die hohlsten Phrasen.

Quelle und Links : http://www.heise.de/newsticker/meldung/70364
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 12 März, 2006, 03:21
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Es mag ja grau sein in Hannover und unwirtlich und die Stadt selbst von sprödem Charme, der erst bei 20 Grad Plus zu spüren sind, aber die Perspektiven in der Stadt der Scorpions und Schröders sind rosig: "Es geht aufwärts!" Wenn man überhaupt etwas von dieser CeBIT 2006 lernen kann, dann ist es Optimismus, selbst dann wenn der Schnee in die Nasenlöcher pfeift. "Wir werden Weltmeister!" Auch das ist ganz einfach. Man besuche nur den "Wir sind Fußball!"-Stand von Bild und AMD. Oder man gehe zum Fußball-Portal Servingo, mit der die Fraunhofer-Institute ein völlig neues Web- und Fußball-Feeling mit intelligenten Verknüpfungen vermitteln wollen. Noch besser ist ZAMB, die offizielle Abkürzung der Tatsache, dass jeder Deutsche mehr von Fußball versteht als Klinsmann. Der sowieso schon wie ein Avatar wirkt. Zweiundachtzig Millionen Bundestrainer sagen, was Sache ist mit der deutschen Mannschaft! Doch was ist ZAMB schon gegen ZEMP vom Heise-Velag. Zehn Millionen Postings erklären die IT-Welt und wie sie wirklich funktioniert. Gut, gelegentlich wird dabei schon ein mal ein Fisch herüber gereichtund eine Meinung formuliert, die von einem Schwarz-Weiß-Monitor zu stammen scheint, aber es gibt auch Gedichte und Geschichten.

*** Mit gefühlten 10 Millionen Fußbällen und 5 Millionen Großflachbildschirmen für die Wohnzimmer-WM geht die CeBIT in ihre zweite Halbzeit. Unter der Flut von Werbe-Gimmicks, die von den Beuteltieren aufgestöbert werden, ragt der Fensterkratzer von Novell als sinnvolle wie dringend benötigte Gabe im hannoverschen Schneematsch heraus. Ein leichtes Handicap: Bei 3 cm Kantenlänge braucht es halt zwei Stunden, die Autoscheiben frei zu kriegen. Aber möglicherweise sind das die Bereiche, in denen man bei Novell gegenwärtig denkt. Zeit genug bietet das jedenfalls, um sich Gedanken darüber zu machen, ob der auf der CeBIT gezeigte Linux-Desktop eine rundum gelungene Sache ist, oder man lieber zur Konkurrenz greifen sollte. Wer war das noch gleich? Der Fensterkratzer ist natürlich nur so winzig, weil er die winzigen Microsoft-Logos von den Laptops kratzen soll. Der vorgeschlagene und mitgelieferte Kleber-Ersatz, ein Pinguin mit Kapitänsmütze, soll wohl an den "Käptn Netware" erinnern, mit dem die Firma schon einmal grafisch verunfallte, vor etwa 10 Jahren.

*** Käptn Netware wusste immer, wie man abrauschende Server auf Kurs hält oder wie der Admin mit "Salvage" gegenüber dem gemeinen Uservolk wie eine Lichtgestalt mit göttergleichen Kräften erscheinen konnte. 10 Jahre auf Kurs hält sich übrigens ein weiteres feines Heise-Angebot namens Telepolis. Beim Studium der Geburtstagswünsche merkt man, wie wunderbar sich Lichtgestalt und Wundertüte ergänzen können. Wie hieß es noch zum Start vor 10 Jahren so unnachahmlich arrogant? "Schließlich ist Telepolis ein Angebot für all jene, die mittlerweile die digitale Technik unfallfrei beherrschen und nun zum Eigentlichen kommen wollen." 10 Jahre später darf man über die wunderbare Naivität unser aller Zukunftshoffnungen lächeln. Denn unfallfrei beherrschen, das ist mit der durch und durch DRM-verseuchten Digitaltechnik eben nicht mehr möglich. Man lese nur den Bericht von einem Unfall namens HDTV. Nur die Konstrukteure der Unfall-Technik glauben noch daran, dass es unfallfrei geht und versteigen sich zu lustigen Angeboten, bei den Problemchen einfach mal 'ne Mail zu schicken.

*** Das wirklich Eigentliche, das zeigte auch die CeBIT, ist, dass es nicht länger möglich ist, zwischen den Bad Guys und den Good Guys zu unterscheiden. Man nehme nur die Pressemeldung von F-Secure, die so beginnt: "Music sounds better without rootkits: F-Secure prüft auf der diesjährigen CeBIT Musik-CDs und DVDs der Besucher auf Rootkits." Die Firma, die mit Sony konspirierte, bietet sich als Helfer in der Not an. Das mag man naiv finden oder einen gesunden Geschäftssinn nennen. So ist das Leben im globalen Teledorf.

*** Wo bleibt das Positive? Versteckt es sich vielleicht in der Nachricht, dass Polizeibeamte nicht einfach so Festplatten von Rechnern kopieren dürfen, die sie auf Anordnung zurückgeben müssen? Aber nicht doch. Schon die Tatsache, dass über eine solche Selbstverständlichkeit in der Achtung der Privatsphäre anderer ein Richter urteilen muss, ist traurig genug. So warten wir auf den Tag, an dem bürgerliche Rechte von den Hütern der Ordnung unfallfrei beherrscht werden. Wahlweise auf den Tag, an dem ein Untersuchungsausschuss allein durch Blick in die Akten vergangener Aktionen einen Geheimdienst funktionsunfähig machen kann, obgleich es "keine revolutionären Erkenntnisgewinne" nach Lage der Akten gibt.

*** Nein, das Positive muss rein und nahezu unbefleckt sein, mehr Bambi, weniger Josefine Mutzenbacher. Das ist das echte Problem. Heute ist der Welttag der Philanthropie. Vor 105 Jahren schenkte der skrupellose Stahlmagnat Andrew Carnegie der Stadt New York 5,2 Millionen Dollar mit der Auflage, damit 65 Bibliotheken zu errichten. Später schenkte er noch mehr Geld für weitere 2500 Bibliotheken in USA und Großbritannien: "Der Mensch, der eine Bibliothek betritt, befindet sich in der besten Gesellschaft, die diese Welt bieten kann. Die großen Denker heißen ihn willkommen, umringen ihn und fragen freundlich, womit sie dienen können." Vorausgesetzt, man will die richtigen Bücher. Für die anderen gab es Loompanics, das sich nach 30 Jahren wahrlich stilvoll verabschiedet, mit Gruß an all die Zensoren, Prüderasten und Schweine dieser Welt. Wer dennoch einmal zu einem guten Buch greifen will, dem seien die Geburtstagskinder Jack Kerouac (heute) und Douglas Noel Adams (gestern) empfohlen. Beide haben mich auf meiner Flucht aus Hannover begleitet, vor vielen Jahren.

Was wird.

Vielleicht versinkt Hannover noch in einem großen Blizzard, wie er heute vor 118 Jahren wütete. Wahrscheinlich ist das aber nicht. Also werden wir unsere siechen Körper weiter auf die CeBIT schleppen, um noch das kleinste Informationsbröckchen für die Leser zu retten und den Ticker CeBIT-rot zu pinseln. Denn wie gesagt, die Stimmung ist rosig. Lächelnd den Schnee aus den Ihren schütteln, denn wie heißt es so schön: Nur Weicheier tagen in Las Vegas. Was die MS-Mixer können, dass schaffen auch die Novell-Admins beim Treffen der Hirne in Salt Lake City. Ach, die Stadt ist etwas zu trocken? Na, dann fahren Sie doch ins Powerpointland nach Brühl zum Web Hosting Day.

Gleich nebenan liegt Köln. Die Stadt ist übrigens auch ganz schön, ohne Karneval. Passend zur Neuauflage der Endlos-Diskussion über Killerspiele wird dort ein packendes Diskussionsspiel namens Clash of Realities aufgeführt, kurz bevor in Nordrhein-Westfalen feierlich der Tag der Medienkompetenz begangen wird. Natürlich mit einer Debatte über Computerspiele. Frei nach Lenin: Wenn ich das Wort Kultur höre, greife ich zu meiner Maus und W-A-S-D.

Wird noch was? Ach ja, heute Abend werden die Echos 2006 verliehen, die großspurig als zweitgrößter Musikpreis nach dem Grammy angekündigte Veranstaltung, die genauso viel Neues und Aufregendes in der Musik bietet wie die Grammys selbst, denen sie doch nicht das Wasser reichen kann. Und während die Grammys sich darauf verließen, dass die U2-Fans seltsamerweise immer noch nicht ausgestorben sind, dürften heute Abend die kreischenden Teenies triumphieren. Waren wir früher auch so? Möglicherweise, ja, aber eklig ist es trotzdem ... Genauso eklig wie die Scheinheiligkeit mancher Leute, die Toleranz und Meinungsfreiheit gegen islamistische Fanatiker hochhalten, aber der Ausladung von Oomph! und der WDR-Sperre für diese Band applaudieren, die man ruhig für seltsam halten mag, die aber ebenso alles Recht der Welt hat, Blasphemie unter Meinungsfreiheit zu fassen. Angesichts dieser Musikindustrie, die wir möglicherweise verdient, aber nicht gewollt haben, und angesichts kreischender Teenies und der DRM-Allmachtsphantasien, für die HDTV nur das Einfallstor ist, höre ich dann doch lieber dem israelischen Saxophonisten Gilad Atzmon zu: "It is time to move on, to rediscover why we all listened to music in the first place, why some of us decided to play music for a living. It is time to seek a glimpse of essentiality in our overwhelmingly noisy environment. Now is the time to rearrange the twentieth century, to stand up, to rebel, to resist and to say 'no thanks'. It is time to tell Big Brother 'I will decide what music is about'."

Quelle und Links : http://www.heise.de/newsticker/meldung/70724
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 19 März, 2006, 08:47
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Wenngleich unterhalten müssen wie warten für wie wenn verlieben den wiewohl verzeihen Einsatz wobei vertrauen im wohingegen vorbereiten öffentlichen WWWW-Forum verträumen von wie zusehen Leser konfrontiert zumal beziehungsweise nachschlagen dann heiraten und als ob träumen ausblenden statt unterhalten.
Jawohl, liebe Leserin, lieber Leser, sparen müssen wir alle, warum dann nicht bei den Texten anfangen und sie ganz ohne Tuning raushauen. Wenn Wissenschaftler wie der nette Herr Hüther vom Institut der deutschen Wirtschaft fordern, es müsse "Vollzeitjobs unterhalb der Existenzsicherung" geben, dann müssen wohl Schüler mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 20 Stunden ran, zuverlässig und sorgfältig Beiträge ins Content-Management-System zu setzen. Wer den Minimum-Menschen will, muss früh anfangen. Wenn der Burnout mit fünf kommt, kann man ja ein paar Schnullis für die Arbeit am CMS springen lassen.

*** Doch noch sind es kernige Männer und Frauen, die diese Kolumne füttern, lesen und loben, wie neulich auf der Heise-CeBIT-Party in Hannovers lautestem Varieté. Danke. Für alle gibt es heute die Aufgabe, das WWWW in sieben Minuten zu lesen. Nach sieben Minuten ist Schluss! Und das hat dieses Mal so gar nix mit dem Urheberrecht zu tun, das in Verbindung mit Online-Recht und den Gepflogenheiten zu Zitaten so manchen Rechtsanwalt noch immer überfordert. Nein, auch nicht nach elf Minuten, wie es der Oberesoteriker des neuen internationalen Schundromans fordert, ist Schluss: Mit sieben Minuten ehren wir heute Irving Wallace, der heute vor 90 Jahren auf die Welt kam. Der mit sieben Minuten eben nicht die Dauer des durchschnittlichen Geschlechtsverkehrs beschrieb, sondern ein Pamphlet gegen Zensur und Bigotterie, für die freie Rede. Mit "seven minutes" ehren wir B.B.King, der das Titellied für den Film nach dem Buch schrieb und sang und natürlich für den einzigen fast ernsthaften Film, den Russ Meyer drehte. Das tittenfixierte Publikum konnte mit dem Gerichtsdrama über das Recht auf freie Rede nichts anfangen, der Film wurde ein Flop und beendete die kurze Karriere von Meyer in Hollywood. Und das, obwohl der Film all die Satansschnitte und schlechten Schauspieler wie Tom Selleck hatte, die ein Russ-Meyer-Film haben muss. Doch eine klitzekleine böse Sexszene, in der ein Gorilla in einem Filmstudio ein Blondchen fickt, das war zu wenig,

*** Also: Nach sieben Minuten fliegt dieser Text aus der Verrichtungsbox des Browsers. Sieben Minuten Ehre auch deshalb, weil das Thema, das jener Isaac Walleschinsky in "Sieben Minuten" beschrieb und das dann auch noch von einem jüdischen Filmemacher in Szene gesetzt wurde, immer noch aktuell ist. Nur ist es halt vergessen: Heute versteht man unter "Sieben Minuten" nach Michael Moore die sieben Minuten, die US-Präsident Bush am 11.9. in einer Schule sitzen blieb, nachdem ihm die Nachricht vom ersten Flugzeug-Einschlag in das World Trade Center erreichte.

*** Wie gerne man mit Verboten zur Hand ist, beweist die aufgeregte Debatte über Killerspiele. In "Sieben Minuten", dem Film, geht es um einen Mord, der nach der Lektüre des Buches "Sieben Minuten" passiert sein soll. Ist damit die Vorlage schuldig, ein Killerbuch, wie ein Killerspiel? Vielleicht kam die beste Antwort in den Siebzigern aus Deutschland, vom März-Verlag, der die "wahren sieben Minuten" des fiktiven J.J. Jadway veröffentlichte. Vielleicht hatte Russ Meyer die bessere, härtere Antwort: In seinem Film outete sich eine geachtete Senatorin, gespielt von Yvonne de Carlo, als Autorin des "schlimmsten Werkes seit Gutenbergs Erfindung": Politiker sind halt die besseren Schmierfinken.

*** Überhaupt, Killerspiele. Warum redet niemand von Mörderspielen oder Millionenspielen, weil sie gute Rendite bringen? Was ist denn mit der Killer-WM, ein absolutes "Buy-In" für jeden Verbraucher? Es ist mal wieder an der Zeit, nach der CeBIT den Quatsch zu beklagen, den Werber auf der Messe mit Slogans wie "Ihre Ziele, powered by Cisco" oder "Microsoft, people-ready" verbrechen. OK, es gibt auch "Familie powered by Brigitte". Das fällt natürlich nicht auf, wenn die Aussteller auf spafranzlich über die "La Ola fürs Portemonnaie" ins Schwärmen geraten und die Gerüchte vom Ausfall der Ticket-Produktion niedergebügelt werden. Sind wir nicht alle ein bisschen ballverrückt? Überrannt von den lässigen Italienern freuen wir uns einfach auf vier Wochen Sicherheit in einer doch durch und durch unsicheren Welt, die auch in einem Gesundbrunnen-Massaker enden kann. Die so gefährlich ist, dass Spieler eine Datenbank ad absurdum schwindlig spielen können, was natürlich die Datenbank berechtigt, die Schwarzenbeck-Variante zu wählen. Am Ball bleiben, wenn den Boulevard Märchen erzählt, ist alles, Schweini.

*** Über 500 MP3-/Mpeg4-Player und Handys wurden auf der CeBIT von der Staatsanwaltschaft beschlagnahmt, die Mehrzahl bei Ausstellern aus der Volksrepublik China. Allesamt deshalb, weil sie patentrechtlich geschützte Produkte imitierten bzw. keine Lizenz hatten, die Produkte nachzubauen: Neue Ideen braucht nicht nur die CeBIT. Was an der Messe wirklich erstaunte, war nicht die geballte Werbung und die vielen Bundesligakicker, die Laptops, digitale Bilderrahmen, Fußbälle oder schlicht Pressemappen signierten. Es war vielmehr die Leichtigkeit, mit der ein Thema umgangen wurde und nur selten zur Sprache kam: Das Digital Rights Management all der neuen Geräte interessierte scheinbar niemanden. Donnernder Applaus bei Intels Origami-Vorführungen für den satten Sound und die schicken In2Movies-Filme der Arvato Mobile, die von einem Bertel-Torrent auf die neuen Taschencomputer geladen werden können, absolute Stille über die laut Intel besonders sichere "DRM-ViiV-Technologie". In2Movies und Maxdome sind so fortschrittlich, dass es keiner weiteren Erwähnung bedarf. Doch wenn die Tests stimmen, müssten eigentlich alle Player konfisziert werden, die nicht sauber angeben, wie DRM die Leistungsdauer schmälert.

*** Soso, zu wenig Shakespeare in der letzten Zeit soll also ein Mangel dieser kleinen Wochenschau sein. Wohlan, so höret diese Verse:
"Mitbürger! Freunde! Römer! Hört mich an!
Begraben will ich Cäsarn, nicht ihn preisen.
Was Menschen Übles tun, das überlebt sie."
Die SCO Group ist mitnichten unter den Akten begraben, die IBM nach Utah schickt, sondern betreibt ein fröhliches Marketing im Lichte hervorragender Produkte. Dafür gibt es Preise wie den Consumer Technology Award der Big Business Expo von Utah, Preise, die wie die Gefälligkeitsrezensionen am Lake Wobegon wirken, billig gefischt und billig vermarktet. Dass man mit pfuschen weit kommt, trifft die Sache gut, genauso wie der schöne Satz in der neuen Server-Werbung SCO UNIX helps the German train system run on time. Wir warten auf die Taufe des Mehdorn-McBride-Expresszuges.

Was wird.

Nun, die MS-Mixer haben wie angekündigt bereits ihre ersten Versprechungen unters Volk gebracht, aber was verspricht Novell? Möglicherweise ist die Brainshare ja wirklich der Anlass, etwas mehr über die Zukunft einer Firma zu erzählen, deren Linux- und Identity-Management-Mantra so langsam keiner mehr hören will angesichts unklaren Kurses. Möglicherweise sollte doch Red Hat nochmal unterstützend eingreifen – ganz alleine als kommerzieller Platzhirsch unter den Linux-Distributoren dürfte der Novell-Konkurrenz ein ungemütlicher Wind ins Gesicht blasen, vor dem auch Fedora-Projekte wie der am Montag erwartete Core 5 nur schlecht schützen. Konkurrenz belebt nicht nur das Geschäft, sondern schützt auch vor allzu unangenehmer Hinterfragung des eigenen Geschäftsmodells durch eine Community, auf deren Arbeit man doch angewiesen ist. Novells Jack Messman aber wird sich endgültig von den alten NetWare-Leuten verabschieden wollen – mit denen er schon lange kein Geld mehr verdient –, um nicht nur Steigbügelhalter für Red Hat zu sein, sondern endlich selbst mit seiner Linux-Bude Suse ein Bein auf den Boden zu bekommen.

Am Mittwoch startet dann auch das großspurig als First International Computer Game Conference angekündigte Ereignis. Da kann man sicher schön über den Clash of Realities debattieren, ein ebenso ominös wie der Clash of Cultures erscheinender Kampf der virtuellen Baller- und Simulationswelt mit der harten Realität. Diese Realität holt immer wieder die unterschiedlichen Protagonisten der ewigen Diskussion über die Killerspiele ein, bei der der hahnebüchene Populismus politischer Forderungen der einen Seite zum Himmel stinkt, während die Ignoranz gegenüber möglichen psychischen Verwerfungen durch so manchen Egoshooter Reflexe einer abgrundtief dummen Abwehrhaltung auslöst. So haben beide Seiten ihr Päckchen zu tragen und können beruhigt über den Kampf der Realitäten und die Wirkung virtueller Welten auf das Geschäft von EA diskutieren. Viel Spaß noch ...

Quelle und Links : http://www.heise.de/newsticker/meldung/71011
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 26 März, 2006, 08:26
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.


*** Eine Warnung vorab. Heute sind nicht wie letztlich sieben Minuten Ficken das zentrale Thema der kleinen Wochenschau aus der norddeutschen Tiefebene. Heute wird es schwer philosophisch. Wer keine Neigung hat, das Philoso Vieh zu melken, der kann jetzt die ausgetretenen Pfade und Holzwege verlassen. Wir anderen schunkeln zur Einstimmung mit dem großen finnischen Troubadour Numminen und dem großen österreichischen Philosophen Wittgenstein: Wovon man nicht sprechen kann .... Wobei die Credits für die von mir wiederholt gebrauchten Philoso Viehtreiber nicht fehlen dürfen: Das Wort wurde von Mynona im großen Schweizer Kabarett Voltaire des Hugo Ball kreiert, in dem alpenländisch beeinflussten Holzfäller-Sketch. Aus dem eine britische Truppe schließlich diesen schönen Holzfällersong machte. Solchermaßen sind wir schwer in das Sein Geworfene traurig genug gestimmt, um die zentrale Botschaft dieser Woche zu empfangen: Die Singularität ist nah! Frohlocket! Jauchzet!

*** Ich gestehe, dass ich erst knapp vierhundert Seiten von der großartigen Offenbarung Singularity des megacoolen Philosophen Ray "Ich bin ein Singularitarian" Kurzweil geschafft habe. Dennoch bin ich begeistert in den nächsten Laden gestürzt, eine Festplatte zu kaufen, auf der in Bälde mein Gehirn downgeloadet oder gedownloaded oder lowdowngedönst wird. Dann, wenn der Mensch seine biologische Bindung an das schwache Fleisch lösen kann und nur noch aus Geist und Bits besteht. Doch wo ich die sieben Minuten Ficken in tiefe, tiefe Ewigkeit verwandeln will, bleibt maximal Seagate übrig, mit 5 Jahren Garantie. Wer keine 650 Seiten Kurzweil lesen möchte, dem biete ich hier die philosophische Kurzfassung: panta rhei.

*** Jaja, die akademischen Philosophen werden jetzt an ihrem Heraklitorus fummeln, ich aber halte mich lieber an den größten Singulär aller Zeiten, an Bill Gates, wie er bei Kurzweil vorkommt: "Everything of value is fleeting." Im Interview mit Ray Kurzweil, für ungeduldige Wichser zu lesen ab Seite 374, fragt Ray Kurzweil nach, wie dieser Fluss zu einer höheren Menschenheit verbessert werden kann. Ein Orgasmus ohne Ende? Gates ist Microsoft ist Microsoft ist Microsoft ist Microsoft. Oder, um es in Gates' Worten zu kleiden: "True, that's why we need to keep innovating." Innovation bei Microsoft! Vor diesem lauteren Innovationsdurst muss auch das christliche Weihnachtsgeschäft zurücktreten: Vista und Office kommen später, weil noch schwer innoviert wird. Nur Firmenkunden kommen vorher in den Genuss der schnieken Software, aber das auch nur, weil viele Software Assurance-Verträge auslaufen.

*** Sollten sich die Gerüchte bewahrheiten, wonach die Verzögerungen mit dem noch unvollkommenen, nicht wirklich funktionierenden DRM-System zu tun haben, so gibt es für die Jungs in Redmond Trost: Auch die KPdSU ist nicht an einem Tag gegründet worden. Mit einem liebevollen Blick auf die Abweichler Trotsky, Bucharin und Allchin stimmen wir den großartigen Song an, der dereinst auf dem Alexanderplatz von den Blauhemden der FDJ gesungen wurde: Hallo, guter Kommunist! Denn wenn sich die KPDRM daran macht, das Privateigentum an Medieninhalten abzuschaffen, dann ist es an der Zeit, den Unfug zu kommentieren, den die neue deutsche Digitale Schutzstaffel produziert. Das Delikt wird vielleicht "verschärfter vorsätzlicher Bagatellschaden" heißen und mit drei Jahren Haft der "fahrlässige Herbeiführung einer Kernexplosion" entsprechen.

Der ganze Artikel (http://www.heise.de/newsticker/meldung/71284)

Quelle : www.heise.de
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 02 April, 2006, 08:54
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Moni macht Urlaub, ihr Rechtsanwalt verkündet Erledigung und der Bloggermob wendet sich neuen Dingen zu, an denen sich die Schwarmintelligenz aufgeilen kann. Transparency International ist um eine Erfahrung reicher und wahrscheinlich um einen Ethikbeauftragten ärmer, weil der alte Prof. Dr. das Kunststück fertig brachte, für seinen Schreibmüll das Urheberrecht zu reklamieren. Außerdem wird sich die gekonnt intransparent auftretende Organisation bei der Suche nach dem nächsten Praktikanten sicher erkundigen, ob er oder sie Kontakte zu dieser üblen Pranksterszene hat. Für satte 300 Euronen im Monat kann man schon etwas mehr erwarten als das Wissen, wie man einen Papierkorb fachgerecht entleert.

*** Richtig nackig steht nur der hochgepriesene Online-Journalismus da, den einige Blender als Journalismus der Zukunft verkaufen wollen. Unkritische Interviews und Fragen innerhalb des Netzwerks erfahrener ARD-Korrespondenten, bei denen die Flatterie neue Triumphe feiert, sprechen nicht gerade für diese tolle neue Form des Journalismus. Wer auf Anwalts Spuren oder den Rudeleien der Blogger Nachrichten produziert, hat schwerlich Zeit, den Blick dahin zu lenken, wo es wirklich weh tut, wenn man Abschied nehmen muss. Legends never die.

*** Am Ende ist Online-Journalismus halt nur eine weitere Paparazzi-Technologie, ein Cell Journalismus, der gedankenlos klickt und klappert, weil er nie gelernt hat, kritische Fragen zu stellen. Das gilt natürlich auch für die IT-Branche, die die Web-2.0-Blumenkinder hätschelt und alles, was angeblich Ajax macht, verzückt beschreibt. Nehmen wir nur die Nachrichten über Ajax Sketch und andere vermeintliche Ajax-Programme, die Microsofts Erzfeind und begnadete PR-Flak Michael Robertson bejubuliert. So wird rund um die in Bochum programmierte Software, die bei uns schlicht als BüroPaket angeboten wird, der Hype angefacht – ein Ende ist noch nicht absehbar. Fachkundige Blogger können vor dem plappernden Blödsinn schützen, aber wer ist fachkundig und wer plappert nach? Die in Amerika verkündete Entscheidung über die journalistische Qualität der politischen Blogs ist ein wichtiger Schritt für die Meinungsfreiheit dieser Publikationsform, hiesigen Rechtsanwälten wie Richtern zur Lektüre empfohlen.

*** Aber es gibt auch noch ein anderes Amerika. Das Amerika, in dem Rupert Murdochs News Corporation, die MySpace übernommen hatte, mit einer Software experimentiert, die nackte Haut erkennt. Ein Amerika, in dem Steve Ballmer frank und frei zugeben kann, dass er seine Kinder einer Gehirnwäsche unterzogen hat, damit sie weder Google benutzen noch Musik auf einem iPod hören: Zu gefährlich sind die Memes, die da übertragen werden können. Passend ist es da schon, wenn sich Fördermittellutscher wie Berlinpolis ausdrücklich als Thinktank bezeichnen und sich für eine Kontrolle des Internet stark machen. Auch bei uns hat die Gehirnwäsche Tradition.

*** In dieser Woche sind in verschiedenen Bundesländern die Berichte der Datenschutzbeauftragten erschienen. Ob in Berlin, in Bremen oder in Brandenburg, es ist überall das gleiche Thema. Die Videoüberwachung wird penetrant ausgedehnt, die Videodaten werden viel zu lange gespeichert, bei Hartz IV ist der Datenschutz so gut wie aufgelöst: Die GEZ entpuppt sich mit ihrem Pochen auf Originalbescheiden bei ALG-II-Empfängern als besonders datengierige Organisation, die über eine Drogenabhängigkeit oder Schwangerschaft der gebührenbefreiten Klientel informiert sein will. Wo bleibt da das Positive? Natürlich bei der GEZ, die rechtzeitig zum 1. April im Geizistgeiland mit einem besonders günstigen Internet-Tarif für Rundfunkgebührenzahler wirbt.

*** Nicht positiv genug? Wie wäre es dann passend zum hiererorts fast vergeigten 1. April mit Apple, dieser Firma, die von zwei Scherzkeksen gegründet wurde? Ach, auch das ist kein Grund zum feiern. Wie wäre es aber dann mit den Nachrichten von der Rütli-Hauptschule in Berlin, ihres Zeichens ein anregendes Exempel für den demographischen Wandel in Deutschland, den Bertelsmann aufmerksam begleitet? Das Positive kommt in diesem Fall vom SIBB, der tatsächlich eine Rütli-Pressemeldung lancierte, die Vorfälle mit Gewinn zu betrachten: "Der sprachliche und kulturelle Hintergrund ausländischer Schüler kann deutschen Unternehmen helfen, internationale Märkte zu erschließen und zu gewinnen. Ausländische Mitarbeiter sind für Deutschland eine Möglichkeit, das vermeintliche Migrationsproblem in eine wirtschaftliche Stärke zu verwandeln. /.../ Der Verband fordert die Berliner Schulen auf, mit der Wirtschaft zusammenzuarbeiten. Berufsvorbereitende Betriebspraktika – auch in der Ferienzeit – können Schülern neue Perspektiven für ihren späteren Berufsweg aufzeigen. Damit wird die Spirale der Perspektivlosigkeit durchbrochen." So einfach ist das, dank der IT-Branche in diesem unseren Lande. Da helfen auch unser aller Intellektuelle nicht weiter. Kein Wunder, dass sie manchem, der von außen schaut, zu denken geben.

Was wird.

Unaufhaltsam kommt sie näher, die Fußball-WM in diesem unseren Lande. Ein Ereignis, so groß, dass es schon verständlich ist, wenn seinetwegen kurzerhand das Recht außer Recht gesetzt wird. Schließlich ist das Passgesetz kein Evangelium, während der Fußball rund und Gottes Wille ist. Heute findet in Bonn der erste offizielle Welcome Day für unsere FIFA-Gäste statt, an dem 10.000 Zugucker beim Bonner Marathon die "größte Nationalmannschaft aller Zeiten bilden werden". Wie heißt es so schön in der Pressemeldung zum Welcome Day: "Ohne Software, Internet, Digitalkameras und Hochgeschwindigkeitsnetze für den Datenaustausch wäre ein Sportevent, der weltweit Milliarden von Menschen in den Bann zieht, nicht mehr denkbar." Bisher dachte ich, dass zweiundzwanzig Spieler, zwei Tore und ein Ball ausreichen. Das ist eine vergreiste Einstellung.

Wenn die Freunde zu Gast sind, werden wir nicht bei ihnen sein. Das ist keine Drohung oder Verweigerungshaltung, sondern schlicht die Anwendung des Marketingeifers der FIFA. Sie lässt im Stadion, in den FIFA-Hotels und in der Bannmeile ringsum nur Printprodukte aus dem Hause Bertelsmann zu. Und diesem Haus gehört der Heise-Verlag nun einmal nicht an. Derzeit wird noch geklärt, ob der Aufruf von bertelsmannfreien Online-Seiten in den FIFA-Zonen erlaubt ist. Selbst die Gazette von Format, das Hauptorgan des deutschen Fußball-Sachverstandes, ist hier nicht gern gesehen. Mit einem schicken Versprecher hat BMI-Mitarbeiter August Hanning bekannt gegeben, dass Deutschland sicherheitstechnisch bestens auf die asymmetrische Bedrohung durch Hooligans und Terroristen antworten wird. Nur die Torwartfrage ist noch offen.

Während alle Stätten abseits der Stadien mit verschärften Auflagen zur Videoüberwachung aus mindestens drei Perspektiven die größtmögliche Sicherheit aller Unbeteiligten garantieren soll, sind die Erkenntnisse unserer Nachbarn kein Thema. Das Durchsickern von Ergebnissen aus dem Untersuchungsbericht der englischen parlamentarischen Kontrollkomission zu den Bombenattentaten vom 7. Juni zeigt: Die Sicherheitskräften waren gewarnt, aber unschuldig, die Videoüberwachung bringt keine Sicherheit, aber eine schnelle Aufklärung hinterher. Die Lösung ist einfach: Die Kameras müssen zu unser aller Sicherheit intelligenter werden. Der Rest ist Sache der Seelsorger.

Quelle und Links : http://www.heise.de/newsticker/meldung/71567
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: spoke1 am 09 April, 2006, 10:06
09.04.2006


Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Lehmann! Lehmann! Da haben selbst die schärfste Tortengrafikfälschung und die kaiserlichen Brabbeleien nichts geholfen. "Maßlos enttäuscht" soll Oliver Kahn sein. Wahrscheinlich ist er rot angelaufen, genau so, wie das seine Heimat kann, die Allianz-Arena, deren Lichttechnik von einem Suse Linux Server gesteuert wird. Nun aber Lehmann! Lehmann! Endlich wird der Keeper für sein Engagement gegen die Zwangsprostitution geehrt, meint die Fußballexpertin der Grünen, Claudia Roth. Ja, nun hat Mad Jens seine Verrichtungsbox ganz für sich und Kahn wird fast freiwillig die WM aus anderer Perspektive erleben.

*** Etwa so, wie normale Menschen sie erleben, als eine vollkommen in Werbung und Sponsoring ertränkte Idee, bei der das Kotzen mal von rechts und mal von links kommt. Als Event, bei dem die gängelnden Veranstalter Fußball als Operette inszenieren, komplett mit einer Justiz-Operette, in der das Grundgesetz etwas blatterhaft interpretiert wird. Mit der Terror-Plattwalze argumentiert die schriftliche Urteilsbegründung zu den abverlangten Ausweisnummern der Käufer von WM-Tickets: "Die Gefahr terroristischer Anschläge, insbesondere aus dem islamischen Kreis, ist bei solchen Massenveranstaltungen mit mehreren tausend Personen auf engem Raum weit größer als bei Bundesligaspielen." Besonders dann, wenn ein ungebetener Fan kommt, aus einem Land, gegen das die USA Krieg führen möchte. Nein, gemeint ist nicht Osama Bin Laden, der erklärte Fan von Arsenal London.

*** Achja, die Ausweisnummern und der Frankfurter Richter, der Evangelium und Grundgesetz verwechselte: Diese sind "auch erforderlich, da die weiteren gespeicherten Daten hierzu nicht geeignet sind. Der Namen und das Geburtsdatum des Besuchers sind nicht geeignet, da es durchaus verschiedene Schreibweisen geben kann und hierdurch Verwechslungen möglich sind. Insbesondere bei Namen aus dem ostslawischen, ostasiatischen und arabischen Raum sind viele Schreibweisen denkbar." Schön, dass hier die sonst gerne zitierten britischen Hooligans nicht erwähnt werden, weil sie ja noch ohne die zwangsverordneten ID-Karten reisen können, die schick als universal entitlement cards einherkommen. Noch schöner ist allerdings die an Hooligans gerichtete Werbung für Germany: "You can't beat it for a short break". Aber hallo, wie das geschlagen werden kann: "ten german bombers in the air". Das hat schon eine andere Qualität als die Spässekens mit den Kaasköppekens und die Verzweiflung des Oleguer Presas.

*** Bleiben wir international orientiert in vielen Schreibweisen. In Frankreich protestieren Jugendliche gegen den Ersteinstellungsvertrag, den "Contrat première embauche", auch CPE abgekürzt und besser als "Contrat pour L'Enfer" bekannt. Bei uns gibt es keine Verträge für die Hölle, aber die Hölle gibt es schon, vorher, hier vorgestellt von der taz. Hier muss eigentlich kein großartiger Kommentar her und schon gar kein Statement von übergschnappten Politikern, die Kinder mit mangelhaften Deutschkenntnissen nach Hinteranatolien deportieren wollen. Es gibt aber einen großartigen Kommentar, der in 10 einfachen Regeln erklärt, warum es in Deutschland so kalt wird, wenn die Hauptschule zum Sicherheitstrakt erklärt wird. Und merke, lieber Schüler: Unser Bildungssystem bietet jedem eine Chance, also nutze sie. Jeder sein eigener Chancenjäger, und jedem nur eine Chance, präsentiert von den Dönertieren Erkan und Stefan, die der höchste bayerische Politiker als Integrationsfiguren ausgelobt hat, die jungen Türken die Wirklichkeit erklären können. Ja, die Hölle ist für junge Menschen näher als der Himmel für die Rentner.

*** In der EDV sind Hölle und Himmel (oder Fegefeuer?) in dieser Woche zusammengekommen. Der Name ist Programm: Boot Camp, ein Erziehungslager für ungezogene Rechner, in dem Apple zeigt, wie Windows domestiziert werden kann. Natürlich ist die ganze Aktion nur eine Fahrt ins Blaue, bis Apple das Gegenstück nachlegt, ein OS X für 99 Dollar für Windows-Rechner. Der Kampf um den Desktop ist eröffnet, weil Microsoft schwächelt und seinen nächsten Zug verschieben musste. Zu schade, dass der Linux-Desktop diesmal nicht beim Geharke und Gehacke dabei sein kann. Aber seine Enkel fechten es besser aus, natürlich. Und dann haben wir endlich die Rechner, die wir uns schon so lange gewünscht haben und nie bekamen, die Rechner, die die Bedürfnisse des armen Nutzers erfüllen und noch seinen geheimsten Wünschen zu Diensten sind statt den Herren Jobs und Gates. Wirklich?
Ach, man darf doch wohl noch mal einen Spaß machen ...



mehr auf:

http://www.heise.de/newsticker/meldung/71841
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: Warpi am 16 April, 2006, 11:36
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen.

Quelle und ganzer Artikel :

http://www.heise.de/newsticker/meldung/72044 (http://www.heise.de/newsticker/meldung/72044)
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 23 April, 2006, 08:47
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

Why is my verse so barren of new pride,
So far from variation or quick change?
Why with the time do I not glance aside
To new-found methods and to compounds strange?
Why write I still all one, ever the same,
And keep invention in a noted weed,
That every word doth almost tell my name,
Showing their birth and where they did proceed?

*** Am vermuteten Geburtstag des großen Barden muss ein kleines Sonett über die Einfallslosigkeit der Wortschmiede her. Immer wieder dieselben langweiligen Wochenrückblicke! Wie quicklebendig geht es dagegen vor Gericht zu, wenn SCO von der Richterin gefragt wird, ob das alles ist, wenn ein neuer Experte eine Märchengeschichte über den Diebstahl der Methoden und Konzepte erzählen kann? Für diese unendlich unerquickliche Geschichten wie diese hatte Shakespeare ein Wort kreiert, das heute noch gebräuchlich ist: "foul play". Was übrigens auch auf die ehrenwerten Investoren in die ehrenwerte SCO Group gemünzt werden kann.

*** Aber ach, drei Seelen wohnen in meiner Brust: Heute ist der "UNESCO Welttag des Buches und des Urheberrechts", außerdem der Tag des Bieres, weil vor 490 Jahren das deutsche Reinheitsgebot verordnet wurde. Ganz zu schweigen davon, dass heute auch noch der Geburtstag des Punks gefeiert werden muss. Am 23. April 1976 erschien das erste Album der Ramones. 30 Jahre und ein Museum weiter ist der Blitzkrieg Bop immer noch das Beste, was man seinen Ohren antun kann. Und mit I'm a Nazi Schatzi (Today your Love, Tomorrow the World) kann man immer noch die Gemüter schocken. Seltsam, nicht, was mögen die so Geschockten dann zu den U.K. Subs, Black Flag, den Stiff Little Fingers oder den Dead Kennedys sagen? Ob Sigmar Gabriel als offizieller Rock-Beauftragter der SPD Nazi Schatzi, Let's Lynch the Landlord, Alternative Ulster oder Violent City mitsingen kann?

*** Eher nicht. Diese SPD meint bestimmt, Arctic Monkeys und Green Day wären irgendetwas, was sich Punk-Revival schimpfen dürfte, diese SPD kann noch nicht einmal den Mund aufmachen, wenn ein "Bündnis für Erziehung" von der Leyenspielerschar der Pfaffen und Priesterlein als Reconquista der christlichen Werte ausgerufen wird. Wenn die Regierung Merkel die Trennung von Staat und Kirche angeht, müsste die Partei aufstehen, die unter dem Sozialistengesetz als "sozialdemokratische Freidenker-Gesellschaft" agierte. Abschreckend und abstoßend ist es auch, wie sich prompt Vertreter anderer Religionen anschleimen, die Indoktrination durch höhere Wesen in der Erziehung zu verankern. Bald werden auch sie hinzugezogen, nur die Resttruppe der Freidenker von der Humanistischen Union müssen draußen bleiben. Und natürlich diese schlimmen Menschen aus Ostdeutschland, Albtraum jedes Innenministers, sind sie doch bar jeder Religion aufgewachsen und damit auf einer niedrigen Entwicklungsstufe des Lebens stecken geblieben sind. Die dann aufgrund dieser erschröcklichen Lebensgeschichte zuschlagen müssen, wie in Potsdam.

*** Derzeit rollt die "Mystery Shopping Tour" durch Deutschland. Das ist kein Seeleneinkaufstripp der Scientologen, sondern eine Aktion von Microsoft in deutschen Ländern, illegale Windows-Installationen ausfindig zu machen. Die Basis bildet das absolut anonyme TÜV-IT zertifizierte Prüfprogramm Windows Genuine Advantage zum Betriebssystem mit den kontinuierlichen Verbesserungen. Die Pressemeldung erläutert: "Aus den etwa 8 Millionen Prüfungen, die bis heute durchgeführt wurden, ergab sich eine Quote von mehr als 20 Prozent fehlgeschlagener Validierungen alleine in Deutschland." Also wird man tätig, und zwar in den "Regionen mit einer überdurchschnittlichen Rate an fehlgeschlagenen Echtheitsüberprüfungen". Das allerdings ist die wahre Mystery an dem, was Microsoft Mystery Shopping nennt: Wie findet ein absolut anonymes System heraus, aus welchen Regionen die illegalen Installateure kommen? Wäre es da nicht ehrlicher, von relativer Anonymität zu sprechen?

*** Anlässlich der Unterzeichnung eines Milliardenvertrages der chinesischen Firma Lenovo mit Microsoft hielt der chinesische Präsident Hu Jintao beim Bankett im Haus von Bill Gates eine Rede, in der er Gates als "Freund Chinas" bezeichnete und betonte, dass er täglich einen Lenovo-Computer mit Windows benutze. Das Dankeschön von Microsoft liest sich so: "Microsoft empfiehlt Lenovo für die Erkenntnis der Bedeutung der geistigen Eigentumsrechte und des Wertes originaler Software." Und China ist eine originale Volksrepublik. Apropos Orginalsoftware: Bei der Entwicklung des UMPC mussten die Ingenieure von Samsung lange mit dem unoriginellen Linux arbeiten, ehe Microsoft sein angepasstes Betriebssystem schicken konnte. Dementsprechend gingen die ersten Powerpoint-Paraden in die Hose.

Was wird.

Momentan bastelt die Politik nicht nur an einem Bündnis für Erziehung komplett mit Hölle und Vorhölle. Auch die Kernkraft wird von ölpreisgeschockten Politikern wieder salonfähig gemacht. In dieser Situation ist es bitter nötig, an den 26. April 1986 und die Katastrophe von Tschernobyl zu erinnern, in der wir von den Regierungen in West und Ost nach Strich und Faden belogen wurden. Damals war die Lektüre des Strahlenkompasses in der taz wichtiger als jeder Wetterbericht, obwohl wir bei Regen sofort die spielenden Kinder hineinholen mussten. Heute ist Tschernobyl weit weg, genau so weit wie die Grünen von der Regierungsverantwortung. Während diese kleine Wochenschau entsteht, wurde nicht nur ein Klitschko einmal nicht verkloppt wurde, sondern auch der Earth Day gefeiert. Viele IT-Firmen haben Meldungen geschickt, wie vorbildlich sie sich für Mutter Erde einsetzen, darunter so rührende Meldungen, wie alte Handys zurückgenommen und in der Dritten Welt wieder ausgegeben werden. Wie Fernsehen via IP die globale Erwärmung bekämpft. Wie Microsoft zum Earth Day die größte Solaranlage im Silicon Valley in Betrieb nimmt. Tschernobyl wird kein einziges Mal erwähnt: "Auf lange Sicht sind wir alle tot", lautete das Urteil von John Maynard Keynes über blindes Vertrauen in die positiven Effekte einer Selbstregulierung der Märkte. Aber der ist nun auch schon 60 Jahre tot und seine "Allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes" ist ein 70 Jahre altes, vergessenes Buch, während der Keynesianismus den Wirtschaftsliberalen, Konservativen und Freier-Markt-Fetischisten als wohlfeiler Popanz dient.

Am Welttag der Bücher und Biere an den Girls'Day nächste Woche zu erinnern, das hat was. Im WWWW wurde die Veranstaltung schon mehrmals bekrittelt, weil Mädchen für doof gehalten werden: Vor allem dürfen sie den Schraubenzieher selbst in die Hand nehmen. Mir graust vor solchen Sätzen, erst recht, wenn Girls zum Marketing missbraucht werden. "Neben einer Orientierungsrallye wird den Teilnehmerinnen die Möglichkeit gegeben, in Form einer Gruppenarbeit eine Werbung für ein Produkt von Fujitsu Siemens Computers zu erstellen."

Vor 25 Jahren gab es noch keinen Girls'Day in Deutschland, auch keinen Girls' Day oder Girls Day oder Girl's Day. Dafür kam an einem 27. April das Internet nach Deutschland, was Grund genug ist, eine kleine Party im Haus der Geschichte steigen zu lassen. Zwar sind bei der Veranstaltung erstaunlich viele deutsche Internet-Pioniere nicht eingeladen, doch das soll der Feier keinen Abbruch tun. Das Datum selber ist schließlich auch falsch: Der 27. April ist schlicht der Tag, an dem das Haus der Geschichte einen freien Termin hatte. Denn wann das Internet nach Deutschland oder ob es nur bis Dortmund kam, darüber streiten sich die Experten.

Wie mächtig das Internet und besonders das World Wide Web und natürlich auch das WWWW aus der norddeutschen Tiefebene ist, zeigt die Aufnahme des kompletten Buchstabens W in die schwedische Sprache, weil ausgerechnet "Web" und "Wannabee" ins offizielle Wörterbuch der schwedischen Akademie Eingang fanden. Genau wie "Blogg", "Cookie", "Interface" und "Pesto". In Schweden heißt der neue Buchstabe genau wie im Englischen Double-V und erinnert damit praktischerweise gleich mit daran, dass die Vorfahren von George W. Bush aus Schweden stammten. Das Ganze läuft unter dem ebenfalls neu aufgenommenen franzschwedischem Wort "miljöanpassa", der Anpassung an das Milieu. Früh krümmt sich, was ein Häkchen werden will, schrieb einstmals Jerzy Lec.

In diesem Sinne wünsche ich eine möglichst unangepasste Woche.

Quelle und Links : http://www.heise.de/newsticker/meldung/72260
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 30 April, 2006, 05:57
Was war.

*** Wirklich, es stimmt einfach nicht, da liegt der Heise-Redakteur falsch bei seinem Talk mit dem dicken Kind. Es gibt einfach keinen schwarzen Hubschrauber und die schwarze Limousine hat die Reisekostenstelle längst gestrichen. Ich bin nur ein einfacher Wochenrückblicksbot, für den sich solcher Aufwand nicht lohnt. Zu unbedeutend, um an diesem Wettbewerb teilnehmen zu können, der heute zu Ende geht. Jeden Samstag radel ich brav auf meinem selbstfinanzierten schwarzen Fahrrad wie ein echter Wikipedalist los und liefere den Botoutput, das Bottobot über die Schlechtigkeit der Welt auf einem einsamen, unbeleuchteten Parkplatz bei einem nervös tänzelnden Heise-Mitarbeiter ab. (Heise-Mitarbeiter tänzeln immer nervös, draußen vor dem Hamsterrad ...)

*** Ich radel also durch diese kleine Stadt in der norddeutschen Tiefebene und grübel dabei über ihr neues Marketing mit Sprüchen wie "Gestern noch sorry, heute stolz wie Oskar". Mit diesem seltsamen Satz wird die neue Passerelle gepriesen, ein früher stark stinkendes Ladenstück tief unter dem Bahnhof und nun nach Niki de Saint Phalle benannt, die einst Hannovers brave Bürger erschreckte. Seltsamstiger ist eigentlich nur noch die Behauptung "Näher am Herzschlag der WM", mit der Hannover jetzt wirbt. Komplett mit der Hand auf einem sauberen Trikot, über das die Leute vom CCC nur spotten können.

** "Gestern noch stolz wie Oskar, heute sorry": Diese Fußball WM gibt viel Anlass zum Grübeln dieser Tage, nicht nur wegen der überall eintreffenden Stullenboxen für die Tickets. Da drängeln sich die Leute um hunderte Jobs, doch ist das schon wieder weniger als erwartet. Was wollten die Deutschland-Besatzer von der FIFA eigentlich mit ihrem Markenschutz für "Fussball WM 2006" für "die Aufnahme von fremden Websites im Internet"? Wir werden es nicht wissen, denn die FIFA fiel vor Gericht durch. Warum brauchen Menschen einen grottenhässlichen Laptop mit einem Echtheitszertifikat von Oliver Bierhoff? Sind das Menschen, die von Endspielwürstchen leben? Und dazu den nötigen Senf beziehen müssen? Von der WWW ganz zu schweigen, bei der die Geschmacksorgane klatschen.

*** Warum stellen Sportjournalisten so saudumme Fragen? Am Montag sollte der oberste evangelische Evangelische, Bischof Huber, auf einem Plausch beim Verband deutscher Sportjournalisten die Mannschaftsaufstellung der Apostel bekannt geben und tat das auch, komplett mit Judas auf der Ersatzbank. Und da regen sich Menschen über die Serie Popetown auf. Eine Sendung die der Sprecher der Initiative Deutschland sicher im Netz, praktischerweise im Zweitberuf Vorsitzender der FSF, als harmlos beurteilte und zur Ausstrahlung nach 20 Uhr freigab. Damit möchte die FSF verhindern, "dass Kinder unter zwölf Jahren womöglich den ironischen Charakter der Sendung nicht erkennen".

*** Vielleicht sollten auch deutsche Politiker gleich nach der Tagesschau ins Bett gehen. Im weltweiten Glaubens-Benchmarking geben sie keine gute Figur ab. Wenn man obendrein sieht, was im Fall Aydin passiert, wie sich ein Bundespräsident dabei entköhlert, dann lernt man, wie es sich unter einer deutsch-christlichen Politik-Burka lebt. Ausländer heißen so, weil sie ins Ausland gehören. Zu Gast bei Freunden sind die Rechtsverdreher, die die Blattern haben und mit Blaulicht zum Stadion brettern. Der Rest ist Kotzen.

*** Heute ist der Pinhole Day, da wird nicht einfach geflickert. Im Vergleich zu einer Lochkamera sieht der nächste tolle Standard namens Ultra HDTV zwar abgehoben aus, doch das Prinzip hat sich eigentlich nichts verändert. In Daniel Dennetts "Spielarten des Geistes" spielt eine angenommene Lochkamera mit Linse die entscheidende Stufe für die Entstehung von intelligenten Organismen, die sich genaue Informationen über entfernte Oberflächen und Ereignisse machen können. Ohne diese uralte Technik keine Intelligenz, keine Evolution, kein Mensch, kein schwarzer Hubschrauber und kein Heiseticker mit einem WWWW am Sonntagmorgen. Deshalb gibt es eben den Pinhole Day und nicht den Asshole Day zum Feiern.

*** In der letzten Woche hatte gab es Shakespeare satt und sein foul play obendrein. Zur Feier eines großen Geburtstags, den von Gödel, zitiere ich kleiner, nicht pelziger Bot das fair play, das Alan Turing gegen den Furcht erregenden Gödel und seinen Gödelianischen Knoten anführte: "I would say that fair play must given to the machine. Instead of it sometimes giving no answers we could arrange that it gives occasional wrong answers." Wir müssen fair zu den Computern sein. Menschen irren sich, Computer irren sich, Hal irrte sich. Irrte sich Gödel, als er, von Einstein begleitet, sich um die amerikanische Staatsbürgerschaft bemühte? Bereit, einen Eid auf die amerikanische Verfassung abzulegen, wollte er den Beamten überzeugen, dass selbige einen logischen Fehler enthält und genausogut zu einer Diktatur passt, wie sie von Orwell beschrieben wurde. Wer die Vergangenheit kontrolliert, dem gehört die Zukunft.

Was wird.

Zukunft? Welche Zukunft? Am internationalen Praktikantenkampftag beginnt in Hamburg eine Konferenz über Legal, Security and Privacy Issues in IT, an deren Ende die internationale Gesellschaft der IT-Rechtsanwälte gegründet wird. Ein Redner soll der oberste chinesische Zensor Zuang Zhipei sein, der die Übereinkommen mit respektablen Firmen wie Yahoo und Gou le betreut.

Dieses liebreizende Land voller Killer-Anwendungen, aus dem Microsoft zukünftig seine Hardware bezieht, wird am Welttag der Pressefreiheit nicht im Abseits stehen, dafür sorgen die richtigen Einträge der proletarischen Volksradler. Wer will, kann hier en nuce sehen, was mit dem schönen deutschen Internet passieren kann, das wir alle so geliebt haben.

Und bitte, wo bleibt das Positive? Das kommt am nächsten Sonntag, am Weltlachtag, wenn es heißt: "Im Ursprungsland Indien soll es in der tat zu größeren Gruppen dieser Selbstheilungsbewegung gekommen sein. In Deutschland, wo das regnerische Wetter und die Übellaunigkeit der Menschen häufiger von Gästen und Einwanderern beklagt wird, gibt es allenfalls kleine Gruppen und Einzelkämpfer."

Einzelkämpfer, das ist das Stichwort! Oliver Kahn adoptiert die Kinder von Jens Lehmann, Jens Lehmann adoptiert Oliver Kahn, komplett mit Echtheitszertifikat von Oliver Bierhoff. Angela Merkel streut Viagra unter das Volk, Franz Müntefering gibt Aspirin dazu und Stoiber diesen süßen Senf der Bayern. Dann tritt Ballack an das "Leder", diese fliegende Binde, garantiert ohne Kinderarbeit produziert. Ich hoffe mit all den Lesern, die gleich zu nörgeln beginnen, dass in Deutschland schöner Fußball gespielt wird und nicht Cricket, wo sie Tampons von Stöckchen runterwerfen. Nach dem Wunder von Bern und dem schlimmen Patzer von Maradona stehen alle WWWW-Fans wie ein Mann hinter der Schweiz! Svizerria rulez! Hm. Bis zum Deister, Totenstille. Wie wird das erst sein, wenn Heise paralell zu den WM-Spielen seine Chats für die armem Admins öffnen wird, die beruflich einen Server tätscheln müssen? Aber jetzt, kämpft erstmal schön, all ihr Proletarier, am 1. Mai.

Quelle und Links : http://www.heise.de/newsticker/meldung/72553
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 07 Mai, 2006, 06:05
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** "Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt."

*** Mittlerweile scheint nicht die Würde des Menschen durchaus antastbar zu sein, solange dieser Mensch nur anderer Hautfarbe oder anderer Religion als der leitkulturell abgefragte deutsche Durchschnittsmensch ist. Auch die Aufgaben des Staates für seine Bürger scheinen sich immer mehr in Aufgaben der Bürger für den Staat zu verwandeln. Der Staat wird zu einem reinen Abstraktum, das der Bürger zu finanzieren hat, und das es um welchen Preis auch immer zu sichern gilt. Die Würde des Staats unantastbar. Ihre Finanzierung und Absicherung ist Lebensziel aller Bürger. Da freut man sich doch und erwartet eine güldene Zukunft, denn in Deutschland ist man zu Gast bei Optimierern, die Weltklasse in puncto Schnüffelstaatlerei will gehalten werden. Übrigens ist der "erweiterte Dateiabgleich" viel harmloser, als es gemeldet wurde. Es werden ja nur Auslandskonten abgeglichen, beruhigte die Pressestelle. Also Florida-Ralf statt Lausitz-Winfried. Was bleibt, ist ein Staat der aus Kostengründen besser den kleinsten Verdacht ausschnüffelt als jeder Blockwart. Hartz IV ist die ultimative Rache an den zahllosen Wohngemeinschaften, die sich gebildet haben, in denen unbescholtene Bürger nachweisen müssen, dass sie keine Beziehung haben. Derweil wird das Auto via KFZ-Abfrage ermittelt: weh dem, wenn es mehr als ein Prollibonbon namens Opel Corsa ist.

*** Aber gut, was ist schon ein Opel, den fahren eh nur dicke Kinder. Und Deutschland ist nicht der Mittelpunkt der Welt, nicht einmal die Erde ist es. Was soll also all das Gejammere: Der Mensch hat denselben Vorfahren wie der Affe und ist als solcher ein triebgesteuertes Bündel voller schmollender Über-Iche: "Poppen, Perversionen, Penisneid" titelt die taz über das polymorph-perverse Geburtstagskind Freud, der die avancierteste Software des westlichen Lebens entdeckte. Und weil heute der Weltlachtag ist, darf der schönste Witz von Freud nicht fehlen, die Unbedenklichkeitsbescheinigung, die er bei seiner Ausreise aus Wien 1938 erstellen musste: "Ich kann die Gestapo jedermann auf das Beste empfehlen."

*** Mit dem größten Dateiabgleich der deutschen Geschichte, der Zuverlässigkeitsprüfung von Verfassungsschutz, Bundeskriminalamt, Bundesnachrichtendienst, den jeweiligen Landespolizeibehörden vor Ort und der zentralen sportlichen Denunziationsstelle konnten sich bisher 400 Personen nicht für die Arbeit in den Zonen empfehlen, in denen die FIFA regiert. Sie dürfen daher allenfalls dort arbeiten, wo die FIFI ihr Turnier austrägt, am Hamburger Millerntor, wo die freie Republik St. Pauli zu Hause ist. Unter den bislang 400 Ausgeschlossenen finden sich Straftäter und Extremisten, jedoch hat sich noch kein Terrorist zum Dienst in den FIFA-Schutzzonen angemeldet. Unter den Experten gibt es heftige Diskussionen, ob die Luftwaffe der Armen aktiv wird. Die Teilnahme des Irans ist in den Augen einiger Experten der beste Schachzug des organisierten Kegelns, in dem Länder wie Bhutan und Anguilla die Chose schon schaukeln. Wenn die nicht-gouvernementale Korruption in höchster Vollendung ein Turnier ausrichtet, gibt sich Deutschland als guter Gastgeber: Das Geschacher in der offiziellen "serviceorientierten und unbürokratischen" Ticket-Tauschbörse ist ein Lehrstück in angewandter Vorurteilslosigkeit, bei dem die Profis von eBay lachend Pate gestanden haben. Wie wäre es mit Tunesien gegen Saudi-Arabien, komplett mit Gutschein für den Besuch einer Verrichtungsbox? Gemeinereiner ist übrigens die Schweiz, wo das Folio der NZZ eine Art Quartett herausgegeben hat, mit dem der Weltmeister ermittelt wird. Der Quotient aus Pro-Kopf-Bierkonsum, Kinder pro Frau und Nationaltrauma bringt es zutage, dass die Tschechische Republik Weltmeister wird, indem sie Deutschland schlägt.

*** Ich erwähne die Schweiz deshalb, weil sie eine Nationalhymne hat, den Schweizer-Psalm, die sich auf Deutsch, Italienisch, Französisch und Rätoromanisch reimt. Die dümmlichen Argumente von Politikern, warum eine deutsche Hymne nach dem amerikanischen Vorbild nicht auch auf Türkisch gesungen werden kann, erspare ich den Lesern dieser Wochenschau. Es gab mal ein Konzert am Mariannenplatz, bei dem Ton, Steine, Scherben zwei Songs auf Türkisch sangen. Ihre damalige Managerin, das spießig schalumhüllte Gegenstück zu Angela Merkel, schlägt nunmehr vor, die türkische Nationalhymne ins Kurdische zu übersetzen. Doch nur bei der FIFI ist es noch erlaubt Ey Reqib zu singen.

*** Noch weiter als Claudia Roth haben es einige Blogger gebracht – womit wir wieder beim Opel wären. Denn die Blogger dürfen einen Opel mit Tankkarte fahren, vom gähnend langweiligen Medienforum bis nach Frostanistan, wenn sie nur darüber bloggen. Und am Ende fühlen sie sich wie selbst gekocht, während die Nerds, die nicht einmal mit einer Navi den Linuxtag finden können, im Zweifelsfall etwas Besseres als einen Opel finden.

*** Dann gibt es noch den Grimme Online Award, komplett mit dem unbeschreiblich tollen Gefühl, mit einem Nominierten in einem Oberseminar gesessen zu haben. Her mit den Preisen, denn Deutschland räumt ab, im Brüh des Geistes, in dem diese kleine Wochenschau nicht abseits stehen kann: Hal, der Plagiator, meldet sich für den Opal Metha Contest an, der in der kommenden Woche in die Endrunde gehen wird. Es ist alles nur geklaut.

*** Heute hat Jenny Joseph Geburtstag. Als sie im Alter von 28 Jahren das Gedicht "Warning" schrieb, kümmerte sie sich nicht sonderlich um die 20 Pfund, die sie damit verdiente. Dann wurde das Gedicht das meistgedruckte englischsprachige Gedicht der Neuzeit, mit zahlreichen Übersetzungen in andere Sprachen. Es war auf Karten, auf Teetassen, auf T-Shirts und auf Postern zu lesen, jedes Mal mit der Autorenangabe "Volksweisheit". Im Jahre 1997 versuchte Jenny Joseph, eine autorisierte Kopie zu veröffentlichen und von den zahlreichen Nachdruckern Honorare zu verlangen. Dafür gab es reichlich Häme und wie üblich hatten Gegendarstellungen keinen Erfolg.

*** Und manches Mal möchte man den Gegendarstellungen eigentlich gerne glauben, aber, beim besten Willen, es geht einfach nicht. Mag auch Willi Winkler in der Süddeutschen Neil Youngs "Living with War" als möglichen Beginn einer amerikanischen Volksbewegung gegen Washington bezeichnen, mag auch Neil Young aus missionarischem Eifer das komplette Album ins Netz stellen – die Botschaft hör ich wohl, allein, mir fehlt der Glaube. Was für ein langweiliges Machwerk, das hinter Bush-Kritik doch nur Neil Youngs mittlerweile penetrant sich in den Vordergrund drängenden Hurra-Patriotismus transportiert: Bush-Kritik ist wohlfeil, nachdem man mit "Let's Roll" schon einmal den Soundtrack zur Neuordnung der Welt nach US-Vorstellung lieferte und auf "Living with War" dann "America the Beautiful" von einem bombastischen Chor feiern lässt. Ist das schon Alterssenilität eines Musikers, der mehrere Generationen beeinflusste? Es hört sich ganz so an. "Rock'n'Roll will never die"? Mag sein, aber Neil Young trägt derzeit nicht gerade zu lebenserhaltenden Maßnahmen bei.

Was wird.

Am Weltlachtag darf natürlich nicht der Blick auf das Internet fehlen, das sage und schreibe von 321 wichtigen Trends dominiert wird. Und wer Berlin nicht mag, sollte halt mit seinem Opel oder Lada nach Hamburg gurken, wo die Next 10 Years belobhudelt werden, die Jahre mit den interaktiven Frontends im geilen Web 2.0. Wenn man den Blödsinn verkündet, dass Deutschland Weltmeister wird oder das Internet zu sich selbst findet. Wichsen ist nach Dr. Freud eine Kulturleistung, die genossen werden will. Segeln also die Vordenker dahin, vom "read-only zum writable Web", angespornt von einem Eunuchen, der sein Credo verkündet: "Wir wissen nichts, aber wir können es messen."

Wem der Cumshot von Sinner&Schrader nicht den richtigen Kick gibt, der wartet vielleicht auf die E3, wo die dicken Hämmer rausgefahren werden, wo das Business Fun bekommt und Spielen die Geilheit pur bedeutet. Dort, wo die Strapse nur so knallen. Den gleichen Spaß kann man natürlich auch in Osnabrück haben, wenn wieder einmal das EMAF startet und sich mit Security nach Freud 2.0 befasst. Wie sagte es der Eroberer des Unbewussten, der Bewunderer des Es und der Bettler vor dem Über-Ich? Freund hatte Recht: Wo man seinen Schwanz nicht reinstecken kann, davon muss man schweigen.

Dann gibt es frei nach Freud noch die Irren, die laufend Wir holen uns einen Titel runter" deklamieren. Und dabei nur den letzten Schrott-HDTV meinen, komplett mit HDMI-Schnittstelle. Doch dabei ist der Ansturm ausgeblieben, Wo ist bloß die Truppe, die den deutschen Verkäufern auf die Sprünge hilft?

Quelle und Links : http://www.heise.de/newsticker/meldung/72790
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 14 Mai, 2006, 09:08
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Der Mensch ist das einzige Tier, das permanent mit sich im Widerspruch lebt. Aufrecht gehen ist ja schön und gut, aber dieser Fortschritt ist eigentlich ein ständiger Kampf gegen das Hinfallen. So sieht es heute aus: Ausgerechnet am Welt-Hypertonietag (der laut gut unterrichteten Kreisen nun doch nichts mit dem direkt darauf folgenden Muttertag zu tun haben soll, auch wenn diese geschichtsvergessene Gefühlsduselei einer interessierten Branche den Blutdruck schwer nach oben treiben kann) eine Pressemeldung zur Fußball-WM zu bearbeiten, die Deutschland an den Rand der Diktatur bringt, macht Stress. Fußball, Fußball, Fußball. Da möchte man lieber gegen Tittlinger Feinkorn-Granit treten, auch wenn das die Haxn zum Knackn bringt. "Wir sind Fußball", steht auf dem Bus der deutschen Nationalmannschaft, ein später Sieg von Du bist Deutschland. Wir sind feinkorngranitener Fußball, gegen den ein Slogan wie "Liberte, Egalite, Jules Rimet" seltsam wirkt.

*** Vor allem aber sind wir sind wir etwas blöd und begriffsstutzig, wenn wir im geplanten Weißbuch die These vom Flugzeug wiederlesen können, das Kurs auf ein Stadion hält, damit endlich der von allen Übeln uns erlösende Verteidigungsfall ausgerufen werden kann. Die Dauerdiskussion zur Fußball-WM ist im Umkreis von 60 nautischen Luftmeilen über der BRD wieder ausgebrochen. War da nicht ein Urteil des Verfassungsgerichtes? Eine Überlegung der "Väter" des Grundgesetzes nach den Erfahrungen der Weimarer Republik, wo die Armee im Innern zum Einsatz kam? Nun ist das Weißbuch ein Regierungsdokument, über welches das Parlament nicht diskutieren kann. Das als Leitlinie hingenommen werden muss wie die Anweisung, dass ein Soldat ab einer Wassertiefe von 1,50 Meter nahtlos vom Marschieren zum Schwimmen übergehen muss. Sollte die Neudefinition des Verteidigungsfalles wie die ebenfalls angemahnte Verpflichtung der Bundeswehr, die Rohstoffversorgung zu sichern, tatsächlich in diesem Weißbuch auftauchen, erleben wir den Untergang der SPD. Wie inspirierend die Rohstoffsicherung sein kann, erlebt die Allianz der Richtigen im Irak.

*** Natürlich ist es möglich, dass die "Modernisierung" des Weißbuchs auf Zustimmung stößt, während eine Änderung des Grundgesetzes aufgrund der notwendigen Zweidrittelmehrheit nicht zu machen ist. Mit Terror begründete Maßnahmen laufen gut, wie dieser Tage aus den USA zu hören ist, wo die Überwachung der NSA größere Ausmaße hat, als bisher bekannt war. Eine schnell durchgeführte Befragung ergab, dass 63 Prozent aller US-Amerikaner Überwachungsmaßnahmen akzeptabel finden, so sie dem Kampf gegen den Terror dienen. Ob die Befragung repräsentativ war oder mehr von der Art eines bekannten Revolverblattes, ist schwer zu beurteilen. Stimmen die Zahlen, so dürfte in den USA Politik 2.0 anstehen, komplett mit einem singenden Ashcroft, ein nimmer endender Kampf gegen den Terror.

*** Singen, das war schon immer eine terroristische Handlung. Es ist gerade einen Monat her, dass ein Engländer aus einem Flugzeug geholt wurde, weil er "London Calling" von den Clash im Taxi gesungen hatte. Verdächtig genug, für jemanden, der nach London fliegen will. Vielleicht hat es sich nur ähnlich angehört wie diese Version des Liedes, dargeboten von Reinhard Mey 2.0 auf dem Kongress zum tollen Web 2.0. Ja, ein Song mit 4 Akkorden, der mehr Einfluss auf die Menschen hatte als 1000 Powerpoint-Präsentationen; so ein Singsang zeigt, dass Blogger eigentlich nur Blogger unterhalten wollen, es sei denn, sie sind indiskrete Journalisten. So gesehen ist die Feststellung, dass Web 2.0 mit seinen Flickr-Voyeuren, seinen Maps und Plazes inzwischen auch in der Kunst angekommen ist. Das freut den Blogger und der Laie lacht sich scheckig.

*** Als Journalist lebe ich vom Schreiben, daher mag ich Werbung, denn mit ihr werden einige Artikel finanzierbar, die sonst nie im Web oder auf totem Holz erschienen wären. Nun kommt es nach und nach ans Tageslicht, wie auch die Artikel zwischendrin einfach gekauft sind, weil Europa nun mal eine gute Sache ist. Doch es kommt noch schlimmer: Es gibt gekaufte Journalistenspitzel, die dem Auslandsgeheimdienst BND Details über die Arbeit ihrer deutschen Kollegen verraten, um Abflüsse zu klären. Besonders schön dabei die Verquickung des ehemaligen Geheimdienstkoordinators, der jetzt als Parlamentarier in der Kontrollkommission sitzt. Die vierte Macht entpuppt sich wieder einmal als verführte Macht, und das Gerede von den journalistischen Tugenden hört sich an wie das von der Ludenehre. Die beste Konsequenz wäre, den BND aufzulösen, statt nach Berlin ziehen zu lassen, doch seien wir realistisch und fordern gleich das Unmögliche: Ein verbesserter Informantenschutz muss her, wenn Journalisten Journalisten verpfeifen. Und jeder, der seine Arbeit ernst nimmt, sollte sie verschlüsseln und das bitteschön richtig. Wo bleiben eigentlich die tollen Web-2.0-Programmierer mit Tools, die GMail-, Yahoo- und GMX etc. pp-Postfächer so verschlüsseln, dass diese diensteifrigen Konzerne sie nicht bei der nächsten Guck&Horch-Schnüffelbrigade auf die Festplatten abkippt, wenn diese nur mit dem Mausrädchen drohen? Verschlüsseln ist ein Bürgerrecht und eine neue Journalistenpflicht. Bald feiern wir den 30. Geburtstag der Public-Key-Kryptographie und haben sie nötiger als jemals zuvor: Das nennt man Fortschritt 2.0.

*** Boris Floricic hat einstmals in seiner Diplomarbeit den Schutz der Privatsphäre erwähnt, die auch beim Telefonieren in Gefahr ist. In seinem Gedenken soll sich nun der Europäische Gerichtshof mit seinem Namen und seinem Pseudonym befassen. Auch so kann man dafür sorgen, dass die Legende lebt. Vielleicht ist der Europa-Gedanke gar nicht so schlecht und ausbaufähig. Immerhin gibt es ja verschlüsselnde Handys, die vorzugsweise von Journalisten gekauft werden. Die Software stammt von Programmieren, die einst für den russischen Geheimdienst arbeiteten, die Hardware wird in Thailand gefertigt und das Ganze wird als Schweizer Wertarbeit verkauft: Die Welt ist böse, aber innovativ.

Was wird.

Das war wohl nichts mit dem Einarbeiten, nach und nach. Sven Prüser, der die IFA in Berlin so erfolgreich gemacht hat, ist nun Chef der CeBIT und soll die lahme Show mit "neuen Ideen zu neuen Ufern" führen. Hoffen wir mal, dass damit nicht der Maschsee gemeint ist, sondern mindestens das Steinhuder Meer, diese Perle der norddeutschen Tiefebene, auf der ich Segeln lernte. Für den alten CeBIT-Manager Schomburg hat es in der Pressemeldung noch nicht mal für ein Dankedanke gereicht, so verheerend ist offenbar die interne Bilanz der CeBIT ausgefallen. Die Argumentation mit Qualität statt Quantität klingt nur so lange überzeugend, bis das Wochenende da ist. Schomburg, seit der ersten CeBIT dabei, ist Vergangenheit. Nun kommt die neue CeBIT und hoffentlich heißt sie nicht "Digital Living bei CeBIT", wie die CeBIT für Arme in diesem Jahr. Wie wäre es mit CeBIT 2.0? Komplett mit Plazes, das den nächsten Dealer anzeigt, wenn der Nachbar Nachschub braucht. Und der ziemlich heruntergekommene Linuxtag muss auch geschluckt werden.

Bis zum bitteren Ende und weil der Ball ein Ball ist: Was mit Fußball begann, muss heute und in den nächsten Wochen (das ist eine Drohung) einfach mit Fußball enden. Denn Fußball ist eine Operette mit vielen Mitwirkenden, wie FIFA-Chef Blatter gerne erzählt. Da darf der Computer nicht fehlen. Schließlich hat die "Elite-Schmiede der deutschen Informatiker", das Hasso-Plattner-Institut, mit FootieFox ein hübsches Fußball-Tool für den Feuerfuchs entwickelt, komplett mit Torschrei und einer Anleitung, wie man den Browser wechselt. Weiter geht es im schönen Paderborn. Dort gibt es eine Podiumsdiskussion zur "Bedeutung sportlicher Großereignisse für Staat und Gesellschaft" mit den Experten Wolfgang Schäuble und Joseph Blatter. Sicher werden sie ein paar Tipps parat haben, wie man die Gesellschaft noch besser gängeln und entmündigen kann, zum Wohl des sicheren Staates. Bis die Nummer unserer Personalausweise nicht nur auf dem Display der Einlass-Systeme an den WM-Stadien auftaucht, sondern ebenso in Bus und Bahn, beim Einkaufen und beim Gang ins Freibad: Die Nominierungsphase für die Big Brother Awards wurde nebenan im schönen bundesligafreifen Bielefeld eröffnet.

Quelle und Links : http://www.heise.de/newsticker/meldung/73087
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 21 Mai, 2006, 08:48
Was war.

*** Ich hätte es mir nicht träumen lassen, dass einmal der Tag kommt, an dem ich die miserablen literarischen Fähigkeiten einer laut denkenden Kunstfigur namens Chad Kroski lobend erwähnen werde. Doch heute ist er da, der Tag. Komplett mit der Erkenntnis, dass Chad Kroski mühelos unterboten werden kann. Die neue Ramschtröte des Blogger-Wahnsinns nennt sich Craig Becker und wird von dem kleinen Verlag in der norddeutschen Tiefebene produziert, der unter anderem diese Wochenschau bezahlt. Hinter Craig Becker steht ein gewisser Axel Post. Herausgeber eines Magazins für Fussball und Popkultur. Ja, da steht tatsächlich "Fussball". Und hohl wie ein Fussball blubbern die Phrasen, wenn es beim Medienhandbuch heißt: "Dem Kunden bieten wir damit größtmögliche Glaubwürdigkeit und frische Konzepte aus Event- Web- und Content-Zutaten. Durch unsere langjährige Erfahrung im Netz, wissen wir sehr genau, wie man Zielgruppen präzise und sauber erreicht." Das alles ist nun beim Heisetreff und wahlweise auch beim stern zu lesen, als ob es bei Heise keine Menschen gibt, die Fußball verstehen. Also, Chad "Telekomiker" Kroski, ich entschuldige mich, es geht noch schlechter, es geht sogar noch viel schlechter: Wie seicht eine Pfütze sein kann, merkt man erst, wenn man aus ihr trinken muss.

*** Die strohblonde Idee, einen Informatiker aus Boston zu konstruieren, der sich *nicht* für Fußball interessiert und kein Kölsch mag, demonstriert die größtmögliche Unglaubwürdigkeit und eine Ignoranz gegenüber dem, was diese Fußball-WM wirklich ist. Nämlich eine WM für Bosse und Bonzen: "Deutschland wird fremdbestimmt von Fifa und Sponsoren, entrechtet und geknebelt wie ein kolonisiertes Land. Das ist der politische Preis dafür, die WM austragen zu dürfen, deren Betreibern, einer eher lichtscheuen Funktionärsgilde, sogar die Befreiung von Steuer- und Visagesetzen zugestanden werden musste." Wer wirklich Fußball mag, wird diese Fußball-WM nicht wirklich mögen können, für die mit der "Zuverlässigkeitsprüfung" als massenkompatible Version des Radikalenerlasses, mit der Abgabe und Prüfung der Ausweise der Überwachungsstaat ein kleines Bisschen perfekter gemacht wurde. Nur für ein paar Wochen? All das im Namen eines vermuteten Terrors, gegen den der allseits vernetzte Führungsbunker steht, die Aktionen von Polizei, Verfassungsschutz, BKA und BND koordinierend. Hinzu kommt der Marken und Medien-Terror in den Stadien und auf den herbeigelogenen "Fanfesten", in der alle Bilder unter Kontrolle der FIFA stehen, wenn es in Verbotsregel Nummer o heißt: "Verboten sind alle Geräte, die dazu dienen über das Internet oder andere Medien Sound, Bilder, Beschreibungen oder Veranstaltungsergebnisse zu übermitteln oder zu verbreiten." Unter diesem Gesichtpunkt kann man die Aufforderung des Heisetreffs, "Impressionen von WM-Happenings abzulegen", als extrablond bezeichnen.

*** Bleiben wir ausnahmsweise mal beim modernen Fußball mit Portfolio-Trainern wie Jürgen Klinsmann und Ticket-Verkaufsregeln wie Friends and Family aus der Welt des Aktienhandels. Da ist eine Mail, die eigentlich nur für die Linken gedacht war, an alle Abgeordneten des Bundestages gegangen und anschließend über gefühlte 300 weitere Verteiler. Wie sich gestandene Linke darüber geschmeichelt fühlen, ein Viertelfinalspiel in der Adidas-Arena verfolgen zu dürfen, weiß nun die gesamte Republik. Eigentlich sollte der eigentlich verbotene Bau wohl Bundestagsarena heißen. Weil Adidas nicht nur an dem WM-Fußball namens Teamgeist verdient, sondern auch Anteilseigner bei den WM-Versendern ist. Wäre damit die Adidas-Arena eine No-Go-Area für Linke? Ich weiß es nicht. Übrigens erübrigt sich die Diskussion um No-Go-Areas, wenn die FIFA von ihrem neuen Prachtbau aus weiterhin selbstherrlich die Welt regiert. Als Nächstes will sie gegen geltendes europäisches Recht den Ausländeranteil in den Mannschaften wieder begrenzen und die Erstligen auf 16 Mannschaften herunterfahren, weil sonst zuviel Fußball gespielt wird, der die Marke verwässert.

*** Vielleicht wird man die FIFA nur verstehen, wenn man im Innern des Fußballfilzes sitzt und Laus ist. Ähnlich muss es bei den Wanzen aussehen, die im Innern des BND arbeiten. 6050 Mitarbeiter hat dieser Geheimdienst, davon sind 3500 im Auslandseinsatz und zehn Prozent aktive Soldaten. So gesehen ist es nur logisch, wenn sich der BND die soldatische IT-Kampftaktik der Informationsüberlegenheit zu Eigen macht. Die ist natürlich nur zu erreichen, wenn es keine "unautorisierten Informationsabflüsse" gibt, keine Datenlecks und keine Angriffspunkte, an denen jemand den internen Google im hoch geheimen Intranet peitschen kann. Deshalb wurde die "Operation Hasenfuß" gestartet, ein würdiger Tarnname für eine Journalistenbespitzelung durch andere Journalisten, durchgeknallte Existenzen wie "Dali" und "Bosch", der eine aus Geldgier, der andere aus Rache. Obwohl besagter Dali für die Abteilung "Operative Aufklärung" bald "verbrannt" war (für 650.000 DM Honorar), wurde er wieder eingesetzt, als es gegen Journalisten ging. Insgesamt redete ein Abteilungsleiter Foertsch mit rund 20 Journalisten, die andere Journalisten bespitzelten, ein "völlig normaler Vorgang". Wie lieblich ist diese aufgeschleimte Normalität. "Werdet Spitzel!" sollte man den deutschen Spargelstechern zurufen, die trotz der Münte-Regel nicht auf den Feldern erschienen sind. "Verpfeift die anderen, die nicht gekommen sind!" Es ist der Anfang einer großen Karriere. Auch ein Schmidbauer hat klein angefangen, als Rektor und Gymnasialbeauftragter. Ich kann es auch anders formulieren: In dieser Woche ist im gelahrten Feuilleton viel über zwei Fotografie-Ausstellungen geschrieben worden: Hier die Stasi, dort der BND. Da wächst halt etwas zusammen, wie das so ist, wenn etwas wächst und wuchert und ein christlich gesinnter Schäuble predigt, dass Polizei und Nachrichtendienste zusammenarbeiten müssen, nicht nur bei der Fußball-WM. Aber, frei nach dem großen Valentin: "Fragen dürfen haben wir uns nie getraut." Was das werden wird.

*** Dürfen wir bitte mal losfahren? An dieser Stelle muss ich Farbe bekennen: Ich habe einen Opel Corsa. Als Zweitwagen ist er gut genug, dass die Großen auf ihm fahren lernen können und die Kleinen es im Kindersitz in die Kita schaffen. Wenn die ganze Familie unterwegs ist, muss allerdings ein großer Espace her. Opel ist die Firma, die als erste über ihre Wagen bloggen lässt. Dabei lernt man weniger die Wagen, sondern die strunzdämlichen Blogger kennen, die bei einer solchen Aktion mitmachen. Sie sind vor allen Dingen kinder- und humorlos. Sie haben keine Kindersitze im Sinn, sondern suchen lieber eine Putzfrau für ihr ermüdendes Single-Dasein oder wundern sich, wenn der Scheibenwischerhebel in die Ausgangsposition zurückgeht und das Radio die beste Senderfrequenz sucht. Wow. Dabei sind die auserwählten A-Blogger bereit, dem ersten echten Kritiker der Prostitutesterei wahlweise die Fresse oder sein Auto zu polieren. Ein Platzhirsch-Gehabe, das den so kritisierten Blogger zur Aufgabe seiner Angriffe zwingt. Gerade in Stuttgart achtet man ja sehr auf Autos. Das Beste ist: Die 4 Wochen Spaß haben erst angefangen. Nach der ersten Fressen-Aufgabe ist eigentlich der erste Opel dran, "poliert" zu werden. Vielleicht mit einem Aufkleber wie "Ich war eine Blogger-Dose" oder "In dieser Pfütze hat Don Dahlmann gesessen".

*** Es kommt noch schlimmer. Die Mutanten sind längst unter uns. Der Langenscheidt-Verlag ist auf Werbetour für das "Explorer Wörterbuch Englisch". Ein Buch mit "revolutionärer Layout-Optik", eng angelehnt an den Windows-Explorer von Microsoft. "Denn Kinder sehen und denken in Computerstrukturen, genauer gesagt in Windows-Strukturen, behauptet der Pressesprecher von Langenscheidt in der Süddeutschen Zeitung, die diese Flitzekacke nicht online gestellt hat. Natürlich wünsche ich mir für meine Kinder die Fähigkeiten, strukturiert zu denken, aber doch nicht in den verkorksten Strukturen einer miesen Benutzeroberfläche einer monopolistisch agierenden Firma. Zumal das Wörterbuch endlich Schluss macht mit der Angewohnheit der Lexikographen, immer zwei Übersetzungsmöglichkeiten zu bieten. Eine muss reichen, schließlich ist Windows ja Microsoft Windows und nicht ein schlichtes Fenster. Wer mit der Behauptung von Windows-Strukturen in den Köpfen der Kinder Jahrhunderte sprachwissenschaftlicher Forschung verflüssigt, sollte sich besser in Microscheidt umbenennen und Karl Klammer als Lektor für seine Infokästen einstellen. Die Erkenntnis von Windows-Strukturen ist übrigens urheberrechtlich geschützt: Motezumas Rache kommt später.

Was wird.

Der ehemalige IBM-Manager Walter Raizner hat bei der Deutschen Telekom ein neues TV-Zeitalter ausgerufen, weil in Kooperation mit Premiere die Postbank-Liga via Internet gezeigt wird. Das bringt uns zum Medienforum NRW, auf dem am kommenden Montag die Firma "Mobiles Fernsehen Deutschland" mit dem Start von DMB mal wieder eine Handy-Revolution ausrufen wird. Dem NRW-Medienfestival hat NRW-Boss Jürgen Rüttgers gerade 2,5 Millionen Euro aus dem Budget gestrichen. Die billigen Inhaltslieferanten Vlogger und Podcaster, die erstmals ihren Podcastday veranstalten, wird das kaum stören. Ansonsten sucht das Medienforum nach neuen Kongresserweiterungen? Wie wäre es mit einem Powerpoint-Karaoke all der langweiligen Vorträge, die sie in Köln üblicherweise produzieren? Oder gar, apart mit NRW-Fördermitteln drapiert, einem Porno-Karaoke? Wie war das noch? Es geht noch schlechter, viel schlechter.

Quelle und Links : http://www.heise.de/newsticker/meldung/73348
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 28 Mai, 2006, 03:15
Was war.

*** Leser, was ist das Leben schön! In dieser Woche sind so viele tolle Dinge passiert, angefangen bei der fungierenden Viererkette der Klinsmannschaft bis zur Wiederausbürgerung des Stoibären nach Österreich, dass einfach ein Jubel-WWWW fällig ist. Ja, dieses WWWW ist eine einzige Feel Good Suppe. Jubel, jubel tralala, nicht dieses nicklige Genöle gestandener Altlinker, auch wenn sie gerade die schönste Stadt der niederdeutschen Tiefebene bezaubern. Ja, "der Ball ist rund wie die Welt", hieß es einmal in einer offiziellen deutschen Fußball-Hymne, tralala, und die Welt ist rund wie der Ball. Das ist doch schon was.

*** Das herausragende Ereignis der Woche hat diesmal wieder das Bundesverfassungsgericht geliefert, und zwar mit seinem Urteil zur Rasterfahndung. Nach den Abschussphantasien militanter Politiker hat es der Schnüffelhysterie derselben Politiker einen Riegel vorgesetzt, mit zahlreichen Konsequenzen für Polizeigesetze und Zuverlässigkeitsüberprufungen aller Art. Eine Rasterfahndung, die 32.000 Menschen in eine "Schläfer-Datei" spült, dieser Unfug, der ganze Bevölkerungsgruppen ausgrenzt, ist erst einmal passé. Doch wer bereit ist, Bürger mit Data Mining zu bespitzeln, wird sicher bald mit irgendeinem Vorrats-Daten-Raster kommen und laut tönen, dass das Grundgesetz geändert werden muss, damit Terroristen keine Chance haben. Jubel, jubel, trallala, auch wenn es ein bisschen traurig und beschämend ist, dass ein Verfassungsgericht im Jahre 2006 diese Zeilen schreiben muss:

    "Die Verfassung verlangt vom Gesetzgeber, eine angemessene Balance zwischen Freiheit und Sicherheit herzustellen. Das schließt nicht nur die Verfolgung des Zieles absoluter Sicherheit aus, welche ohnehin faktisch kaum, jedenfalls aber nur um den Preis einer Aufhebung der Freiheit zu erreichen wäre. Das Grundgesetz unterwirft auch die Verfolgung des Zieles, die nach den tatsächlichen Umständen größtmögliche Sicherheit herzustellen, rechtsstaatlichen Bindungen, zu denen insbesondere das Verbot unangemessener Eingriffe in die Grundrechte als Rechte staatlicher Eingriffsabwehr zählt. In diesem Verbot finden auch die Schutzpflichten des Staates ihre Grenze."

*** Nur um den Preis der Weißung vieler Passagen ist in dieser Woche endlich der Schäfer-Bericht (PDF-Datei) über die Beschattung von Journalisten durch den Bundesnachrichtendienst (BND) erschienen. Das Schöne an diesem Bericht ist nicht die Bestätigung, dass Journalisten beschnüffelt wurden und dies hart an der Grenze zum Gesetzesbruch geschah. Das Schöne ist auch nicht die Bloßstellung, wie strunzdumm die Firma Guck & Horch bei aller proklamierter Informationsüberlegenheit arbeitet, inklusive der Verbreitung unverschlüsselter E-Mails. Wie sich der BND blamiert, kann man ja ohne große Untersuchung in der Zeitung lesen. Nein, das Schöne ist, wie jede Illusion, die man vielleicht noch über den Journalismus (PDF-Datei) haben kann, mit dem Getratsche über Honorare und Pöstchen gründlich ausgepült wird. Auf Seite 96 kann man lesen, wie ein Mensch wahlweise vom "freien Journalisten" zum "Informationsmanager auf wissenschaftlicher Basis" changiert. So fliegt ein jeder mit seiner persönlichen Grauzone durchs Leben, als Krähe. Nur schade, dass niemand in der Presselandschaft, die vorab ordentlich aus dem ungeweißten Bericht zitierte, sich an amerikanischen Sitten orientierte.

*** Gleich nach dem internationalen Handtuchtag kam ein richtiger Feiertag: Mehdorn hat nicht nur eine neue Auster, sondern auch einen neuen Bahnhof. Was schreibe ich, einen Bahnhof? Nein, Mehdorns Schlafzimmer ist fertig geworden, ein wunderbares Symbol für Deutschland, wie unsere Kanzlerin meint. Wenn es symbolisch ist, wie ein Architektenentwurf für 40 Millionen Euro Mehrkosten einfach beschnitten wurde und ordinäre Blechdecken von einem engstirnigen Bahn-Manager angeordnet werden, dann ist das Deutschland. Jubel, jubel, und ein Tralala für die Attraktion des Berliner Hauptbahnhofes, komplett mit einem neuen, attraktiven Dateiformat.

*** Aus der Sicht eines Sexarbeiters oder einer Sexarbeiterin ist der vorzeitige Abgang eine tolle Sache, eben schnell verdientes Geld. Nicht anders sieht es bei den Content-Huren der Blogosphäre aus, die in den eigens aufgestellten Verrichtungsboxen der Medienindustrie in Köln nur noch Gesprächsfetzen sammeln konnten. Unter ihnen welche, die es grotten langweilig fanden, warteten sie doch nur darauf, dass es wieder losgeht mit dem tollen Wagen auf den tollen deutschen Autobahnen und mit frischen Texten für bessere Autos. Da ist der mit einem schlichten Corsa gesegnete Fahrer dieser Wochenschau, ein "Meister des jouranlistischen ejaculatio praecox" ganz gerührt, wirrlich. Ich hoffe mit dem für 1200 Euro "Aufwandsentschädigung" gefütterten unvoreingenommenen Autotester, ihm mögen vor der absehbaren Dementia praecox noch weitere knallharte Kritikpunkte einfallen wie "Der Reißverschluss des Schlüsselanhängers ist abgebrochen". Darauf muss man erst einmal kommen. Professionellen Autotestern wäre gar nicht aufgefallen, wieviel Verbesserungspotenzial in dem Reißverschluss vom Schlüsselanhänger liegt, wo doch der Schlüsselbund drauf und dran ist, die Brieftasche abzulösen.

*** Das wunderbar Sympathische an dem ganzen Geschwurbel um Web 2.0 und die Good Feel Software ist ja die Tatsache, dass jede, aber auch jede Peinlichkeit bekannt wird, sei es durch Blogs, Flickr-Exhibitionisten, Podcasts oder Vlogs und, tralala, auch durch Abmahnungen. Aus denen klar hervorgeht, dass Web 2.0 nichts anderes ist als die "FIFA Fussball WM 2006", eine Abzocke cleverer Verlage mitsamt ihren Verlags-Vordenkern. Das Ganze erinnert an eine andere Industrie, die gerade Honeypots legalisiert hat und richtig gute Hacker einsetzt. So schön, so aufregend kann das Leben sein.

Was wird.

Bekanntlich haben wir bald die Welt zu Gast bei Freunden. Sie muss nur einreisen und aufpassen, wo in Deutschland die no-go-areas sind und auf Rückendeckung achten. Passend zur Ankunft der Welt probiert alle Welt in Berlin aus, wie das eigentlich funktioniert mit den hübschen biometrischen Reisepässen, mit denen die Terroristen ausgesperrt werden können. Nach der Logik, warum diese Tests erst jetzt stattfinden und nicht vor Beginn der allgemeinen Passdruckerei, sucht noch der Logikbeauftragte der Bundesregierung. Das testbegleitende Konferenzprogramm zeigt, das Relaxing das Gebot der Stunde ist.

Packen wir noch karibische Rhythmen dazu, so wird für die Fans alles getan, bis zum Bratwurst Point of no return. Vielleicht wollen sie dann da bleiben, es ist ja so cool hier by us. Vielleicht bietet sich ihnen ja ein Plätzchen in der Coca Cola Heimspiel WG an oder bei den Profis von Weallspeakfootball, ist das nicht toll? Weall speakfoo T-Ball. Vertreiben wir die Problembären mit guter Laune, positiver Energie und strahlendem Sonnenschein. Tanzen wir die Viererkette, hören wir die volle Dröhnung der Nonette! Von mir aus auch Hirviöheviyhtye Lordi teki viisuhistoriaa, wenngleich es nicht unkomisch ist, dass die Songs der Website offenbar von anderswo geliehen werden mussten. Zum Krankwerden mit der ganzen IT für die neue Gesundheitskarte ist noch Zeit genug. Und zum Aufregen über Politiker, die die E-Mail besteuern wollen, ist die Zeit einfach zu schade.

Quelle und Links : http://www.heise.de/newsticker/meldung/73583
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 04 Juni, 2006, 05:21
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** "Es sollte keinen Unterschied geben zwischen dem, was wir niederschreiben und dem, was wir wirklich wissen, so wie wir es jeden Tag miteinander erfahren. Und die Heuchelei in der Literatur hat ein Ende." Nein, das ist kein Kommentar zu der Frage, ob Handke eine Meise hat oder eher die vor Aufregung aufgeplusterten Auslegehennen des deutschen Feuilletons. Dieser Satz stammt von Allen Ginsberg, der Geburtstag hat, wenn diese kleine Wochenrückschau in der norddeutschen Tiefebene zusammengestellt wird. Ginsberg, der große jüdische Dichter und Free-Speech-Aktivist, der mit "Wichita Vortex Sutra" das Ende des Vietnam-Kriegs erklärte, dessen Gedicht "Das Geheul" ein wichtiges Dokument im Kampf um die Freiheit des Wortes war und schön obendrein:

Ich sah die besten Köpfe meiner Generation zerstört vom Wahnsinn, ausmergelt hysterisch nackt, wie sie im Morgengrauen sich durch die Nebenstraßen schleppten auf der Suche nach einer wütenden Spritze, Hipster mit Engelsköpfen, süchtig nach dem alten himmlischen Kontakt zum Sternendynamo in der Maschinerie der Nacht.

Dessen Amerika ohne weiteres im Kontext von Haditha gelesen werden kann.

*** Doch was hat Ginsberg mit der ganz banalen IT zu tun, über die hier Woche für Woche, Monat für Monat berichtet wird? Ist es das anschwellende Geheul über Heise? Über ein Haus, das Möchtegern-Zampanos als Microsoft arschbekriechenden Verlag verreißen, weil sie schlicht keine Ahnung haben vom Technikjournalismus und nicht einmal richtig lesen können. Ja, sollte es etwa im Journalismus einen Unterschied geben, zwischen dem, was wir messen und dem, was wir schreiben? Zur Frage der Glaubwürdigkeit gehören in der IT vernünftige Tests. Das ist einfacher geschrieben als getan: Es ist über 10 Jahre her, dass ich bei einem SSBA-Test einem System aufgesessen bin, das "originalverpackt" ankam und insgeheim genau auf diese Testsuite hin optimiert worden war.

*** Ja, Testergebnisse werden, genau wie bei der Stiftung Warentest, an die Firmen geschickt. Die Tests sind offengelegt, die Ergebnisse ebenfalls, ein Verfahren, das man ruhig "Open Journalism" nennen kann. Die empörten c't-Leser, die sich nun in Scharen zur Kündigung des Abonnements gezwungen sehen, sitzen der seltsamen Darstellung einer Zeitung auf, die traditionell ein großes Geheimnis um ihre Testlabors und ihre Tests macht. Ansonsten gilt, ich kann es selbst beim netten Onkel Heise nicht versöhnlicher formulieren: "Datenträger auf Computerzeitschriften sind Drogenhandel". Und zum Drogenhandel im IT-Journalismus gehören die Junkies, die Zeitschriften ohne CD und DVD nicht kaufen. Und eins, zwei, drei: "Denn wie man sich bettet, so liegt man. Es deckt einen da keiner zu. Und wenn einer tritt ...".

*** Zum alten Mahagonny-Song sei an Josephine Baker erinnert, die 20 Jahre vor Allen Ginsberg als Tochter eines jüdischen Schlagzeugers und einer schwarzen Wäscherin geboren wurde. Die für die Résistance arbeitete und später den Mut hatte, die erste Regenbogenfamilie zu gründen.

*** Und wo wir schon bei der Musik und den Anwandlungen von Mainstream und Avantgarde sind: Von Miles Davis, der vor ein paar Tagen eigentlich 80 geworden wäre, gibt es ja neuerdings nicht nur die Cellar Door Sessions komplett auf CD, von denen etwa der geniale Bassist Marcus Miller meint, sie böten noch viel Anlass, nach Neuerungen und anderen Wegen im Jazz zu fahnden. Die Prestige Sessions des klassischen Miles Davis Quintets darf man sich ebenfalls nun komplett zu Ohre führen, und das nicht nur auf CD, sondern auch in einer von DRM freien MP3-Fassung auf meinem Lieblings-Musikdienst EMusic. Die fulminante Gesamtschau Holy Ghost über Albert Aylers hohe improvisatorische Kunst sei in diesem Zusammenhang ebenfalls erwähnt. All das Gemotze über die Branche und ihre abstruse Kontrollmanie, die Kunden nur als Verbrecher sieht, ist ja völlig richtig – und doch sind die Labels ab und zu noch zu solchen Wiederveröffentlichungen fähig. Kein Wunder eigentlich: Leicht verdientes Geld ist das mit diesen "legacy releases". Was aber die Majors heutzutage unter Musik verstehen, sieht man nicht nur an solche Auswüchsen wie Tokio Hotel, sondern auch an Popjazz-Anwandlungen wie den neuesten Ergüssen von Till "Kaulitz" Brönner. Was soll man jammern, wenn eine Branche den Bach runtergeht, die kaum noch Besseres unter ihrer Ägide wachsen lässt und ihre Bestrebungen auf Strafverfolgung konzentriert? Wenn sie nicht einige Indies und Dienste wie EMusic mit sich in den Abgrund reißen, ist der Tod der Majors das Beste, was der Musik passieren kann.

*** Zu den erfreulichen Nachrichten der Woche gehört die Meldung, dass Mausklicks unschädlich sind und Online-Demos nicht wirklich gewalttätig. Zu den unerfreulichen Nachrichten gehört dagegen, dass heute der Tag der Kinder ist, die inmitten von Kriegen und Kämpfen leben müssen. Die niemals auch nur die leiseste Chance haben, eine so schöne und obendrein erfreulicherweise prämierte Suchmaschine wie Blinde Kuh zu benutzen. Die nur geringe Chancen haben, den nunmehr 130 Dollar teuren Laptop zu bedienen, der die Welt zu einer besseren machen soll. Aber haben es die Kinder in diesem unseren Land besser? Die erfreuliche Nachricht dazu: "Wir Europakinder", das Stück von Roland Moed vom Club der polnischen Versager erhält den mit 10.000 Euro dotierten Kunstpreis der Sammlung Noack. Der traurige Schluss, dass es die Kinder Europas, ob ohne oder mit Computer, beschissener haben denn je, den streichen wir hier. Das will niemand lesen. Sollen sie doch Straßenfußballer werden! Dann ist wenigstens Schluss mit dieser Peinlichkeit, die sich deutsche Nationalmannschaft nennt und sich weit weg von den proletarischen Ursprüngen bewegt.

Was wird.

Ja, so sehen gekonnte Steilvorlagen aus: Natürlich kann es in der kommenden Woche kein wichtigeres Thema geben als die Fußball-WM. Wenn Grillwürstchen nur noch mit Trillerpfeife verkauft werden und das Gemurkse in der deutschen Abwehr mit ihren vertikalen Pässen als "Laufwege zum Glück" gelten. Wenn "Ihr und wir zum Titel Nummer 4" gereimt wird, es aber klar wie Kloßbrühe ist, dass Welten zwischen "Ihr" und "Wir" liegen. Denn offensichtlich gilt, dass für VIPs andere Regeln gelten als für ganz gewöhnliche Schweine ohne Clearing Points. Die sicherste WM der Welt liefert uns Spiele im Hochsicherheitstrakt; und nur naive Naturen werden daran glauben, dass die Notschlachtung unserer Bürgerrechte hinterher wieder abgeschafft wird. Vielleicht ist es das eigentliche Wunder von Berlin, dass die Sicherheits-Chips noch einfach in den Tickets sitzen und nicht im Körper. So gesehen hat es seine Richtigkeit mit der Dialektik, wenn die Welt zu Gast bei dienstlich ins Stadion befohlenen Freunden ist.

Sollte es wirklich etwas anderes geben als Fußball? Gibt es ein Leben neben Klinsi, Lahm und Kahn? Kann es denn sein, dass Leser etwas ganz anderes lesen wollen und schon gar nicht diese tief in der Ebene liegende Wochenschau? Bald werden wir es wissen. Denn kräftig rumort es in den Verlagen, die verzweifelt nach Inhalten schürfen. Gut bezahlte Blogger sind es, die die Wende einleiten und das Wegbröseln der Leserscharen verhindern sollen. Manchmal sind sie auch gar nicht bezahlt und eröffnen dafür gleich mit 20 Millionen Mitarbeitern. Auch in der norddeutschen Tiefebene ist gekonnter Content gefragt, natürlich nur zum Thema Datenschutz. Wenn Orwell Realität ist, dann muss die Zukunft surreal sein. Sabrinas Hang, sich im Internet zu profilieren, bereitete uns immer schon die wundersamsten Probleme, nicht nur der wunderschönen Augen wegen. "Darling, was machen wir da blos?" Das werden wir zu meiner nächsten Lieblingskonferenz erfahren, die nicht Web 2.4 heißt, sondern fortgeschritten ist und zum vierten Mal zum Nachdenken anregt, nicht zum Nachplapprn, Flickrn und Fischrbrrchn. Erstr?

Quelle und Links : http://www.heise.de/newsticker/meldung/73851
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 11 Juni, 2006, 04:01
Was war.

*** 49 Nachrichten gab es im Ticker am 06.06.06, den spirituell gesinnte Menschen als Tag des Teufels deklariert haben und besonders spirituell Gesegnete gar vorausschauend als Tag des Weltuntergangs. Doch nur die Sonne ging unter, während die Welt weiter wunderliche Nachrichten produzierte. Willkommen, Damien, du wirst noch merken, was man mit Zahlen alles anstellen kann. Nehmen wir nur das Wort "Computer" und addieren die teuflischen sechsfachen Zahlenwerte der Buchstaben, so haben wir ganz klar 666, die Mutter aller Abstürze.

*** Das besonders teuflische am Teufel ist ja, dass er es eigentlich gut mit uns meint. Nehmen wir nur den Drecksfehlerteufel und die ganzen sich unweigerlich anschließenden Diskussionen im Heiseforum. Deswegen versteckt sich der Teufel im Detail und kann nur mit ganz besonders spiritueller Energie gefunden werden. Etwa in dieser Nachricht am 06.06.06 über eine EU-Umfrage, die auf einem US-Server läuft. Gefragt wird, was man von einem System hält, in dem die persönlichen Daten sämtlicher EU-Bürger gespeichert sind. Das ist eine teuflisch gute Idee, nicht wahr? Teuflisch trickreich sind die Fragen an die EU-Bürger:

"Ich werde wenig Kontrolle über meine Ausweisdaten haben, aber ich vertraue den Behörden, die sie verwalten."

Stimme ich der Frage zu, weil ich überzeugt bin, dass ich wenig Kontrolle über die Daten habe, kann dies als Zustimmung gewertet werden, dass ich den Behörden vertraue. Stimme ich der Frage nicht zu, weil ich keiner Behörde zutraue, dass sie meine Daten verwalten können, habe ich die tolle Aussage verneint, dass ich wenig Kontrolle über meine Ausweisdaten haben werde. Solche mit der Zwickmühle gemahlenen Fragen bekommen nur besonders gute Datenteufel hin, alle Achtung. Wie die Realität aussehen wird, das wissen die, die mit dem Teufel gute Geschäfte machen und darum schicke eigene Umfragen vorweisen können. Wenn Unisys mit den Daten in den ePässen das große Identitätsgeschäft machen will, hört sich das nett an: "Vermeintliche Eingriffe in die Privatsphäre werden durch die Vorteile der Multifunktionskarte aufgewogen." Es gibt nur Vorteile und die Eingriffe sind nur vermeintlich oder eben putativ. Und das von einer Firma, die für ihre Univac den Algorithmus 666 entwickelte. Hohl dröhnt es aus dem Lautsprecher und unter der Tastatur leuchtet es fahl. Ich glaab die hole mich ab, haha.

*** Für manche Leser des beschaulichen Newstickers aus der norddeutschen Tiefebene ist es ein okkultes Fest voller seltsamer Rituale, für andere die beste Gelegenheit, einen landsmannschaftlichen Wimpel an ihr geliebtes Automobil zu heften: Die Fußball-WM ist da, der reine Spaß am Mega-Event wird von schwarzrotgoldenen Schnapsnasen gefeiert. Auch von unten betrachtet sieht das ganze etwas kümmerlich aus. Im Taumel des Alkohols und überkommener nationalstaatlicher Zuordnungen sind kleinliche Bemerkungen zur Videoüberwachung, Taschen- und Slipkontrolle nicht gerne gesehen. Der Staat gibt sich keine Blöße und so ist auch die Meldepflicht ohne vorherige Vorstrafe wundersamerweise möglich geworden. Man muss halt nur in der richtigen Datei stehen und den Behörden vertrauen, die "Gewalttäter Sport" verwalten. Die WM-Spannung wird es erst nach dem 9. Juli wachsen, wenn Weltmeister Brasilien abgereist ist und all die Sonderschutzmaßnahmen, Videokameras und Ticketkäuferdatenbanken abgetakelt werden müssten. Ansonsten wäre die Fußball-WM für manche ein willkommener Ausbau des Überwachungsstaates. Und für die nächste WM in Südafrika hat Google etwas ganz besonders Nichtböses erfunden.

*** Damit mache ich rüber, zu den brummbärigen Kommunisten, die die Zahl 666 aufmerksam studierten und noch wussten, dass der Kapitalismus urböse ist und ein Werk des Großen Tiers. In China gibt es die kapitalistische Variante des Kommunismus, gewissermaßen ein "666 Special" und darum eben keine Privatsphäre. Alles, was der Chinese für sich behalten kann ist Yinsi, sein schamhaft verschwiegenes Geheimnis. Immerhin bemerkenswert, dass Google jetzt sein schamhaft verschwiegenes Geheimnis veröffentlicht: In China hat man aus dem Firmenmotto "Don't be evil" die Aussage "Don't be live" gemacht und zensiert Themen wie Taiwan, Tibet und das Massaker nach der Demokratiebewegung um den Tian'anmen-Platz 1989. Sie haben in der Suchmaschine Gu Ge keinen Platz. Meinungsfreiheit ist am Ende auch nur ein Algorithmus.

*** Zu den okkulten Dingen, bei denen ich schreckensbleich nach meinem Weidepfröpfchen greife, gehört die Ankündigung vom 06.06.06 (haha, hehe, huhu), dass ein teuflisch aussehender neuer iPod erscheint, mit Höllenring und Unterschriften. Lässt man die Festplatte des Geräts rückwärts laufen, so hört man die Stimmen von Aleister Crowley und Gundel Gaukeley. Läuft der iPod normal, so hört man Angela Merkel, die auf ihrer Podcast-Seite komplett mit Höllenring und Unterschrift geheimnisvolle Nachrichten vloggerpoddet. Verräterisch, wenn Quicktime funktioniert, während der Windows Mediaplayer Probleme mit dem 666-Codecs hat. Welch düstere Mächte da am Werk sind, zeigt die erste Ansprache, ein Fußball-Podcast der Kanzlerin, die "ein bisschen wie Michael Ballack" ist. Und was ist dann mit der Problemwade? Ganz klar ein Hinweis, dass die kleinen bösen Kallikaks wieder unterwegs sind und zustecken. Wer weitere Beweise für das dämonische Tun sucht, der soll mir bitte erklären, wie der Gesundheitspool ohne Veitstänze und Kröten funktionieren soll. Letztere müssen übrigens wir schlucken.

*** "Marmor, Stein und Eisen bricht" ist einer der wenigen okkulten Lieder, die es bei uns zum Schlager gebracht haben. Es gab sogar einen Film, voller einstürzender Neubauten. Nun ist Drafi Deutscher gestorben, genau wie kurz zuvor, doch wenig bemerkt, Alan Kotok und Frederik Hetmann. Der freilich kein Anhänger okkulter Sachen war, sondern lieber den Hans-im-Glück-Preis stiftete.

Was wird.

Im normalen Leben wird es weiter gehen, mit Fußball, Fußball, Fußball. Mit Poldis, Schweinis, Klinsis, Schiris und kommentierenden Doofis. Dass die deutsche Mannschaft vorzeitig ausscheiden wird und dies eine kathartische Reaktion und Rückbesinnung auf deutsche Tugenden auslöst, ist eine vermessene Hoffnung. Eher gehen polnische Hools zu den Wiener Sängerknaben. Doch ganz im Okkulten kündigen sich neue Entwicklungen an. Nehmen wir nur Unisys, die Firma, die unsere Identitäten merkantil verdaten will. Einst gehörten ihr Patente an dem Algorithmus, die sich zunächst kaum zu Geld machen ließen. Erst als er dazu benutzt wurde, Bildchen zu komprimieren, rollten die Taler. Nun könnte LZW eine weitere Karriere machen, freilich ohne dass Unisys daran verdient. Wenn Anwälte mit Schreibprofilen ermitteln wollen, wer einen bestimmten Forumsbeitrag in einem Forum ohne Hauswart geschrieben hat, müssen Algorithmen her, die helfen, solche Profile zu ermitteln. Die Schädelvermessung, ob jemand zu solchen Schreibuntaten fähig ist, die haben wir bereits mit dem ePass bekommen. Das wurde am 06.06.06 online freigeschaltet. Teuflisch, teuflisch, teuflisch. Aber gut. Bald ist Juli, da ist die WM vorbei und das wichtigste Sportereignis findet statt – natürlich unter teuflischer Begleitung.

Quelle : www.heise.de
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 18 Juni, 2006, 04:45
Was war.

*** Eine Warnung vorab: An mein altes verbeultes Auto kommt kein Deutschlandwimpel! Und im Wochenrückblick kommen Fußball und das neue deutsche Bauchgefühl nicht vor! Ich mag den Sport, vor Ort, aber was eine unfähige Bildregie und Unkommentatoren wie Reinhold "Ronaldo" Beckmann sich leisten, ist erschütternd. Da kommt die Hintermannschaft nicht mehr mit. Was bleibt, haben die Ösis von Gamebookers ins Programm genommen. Dort kann man nämlich wetten, was zuerst passiert, die Gefangennahme des Problembärens oder der Rausschmiss des deutschen Teams aus der WM. In dubio pro urso. Den Rest kann man ja in tollen Blogs lesen, vorzugsweise natürlich in der gemeinen Denglisch-Attacke knallgrauer Ösis unter dem Titel Weallspeakfussball beim Sponsor Coca Cola, wenn es über Berlin heißt: "The disatvantage is that you find even more dogs and most of the people around semm to have forgotten how to form a grin with theyr lips." Und während die italienische Mannschaft aber auch noch jede Erinnerung an die Leichtigkeit eines "Dolce Vita" vermissen lässt, die US-Spieler Fußball manches Mal doch noch mit "American Football" zu verwechseln scheinen, erfreue ich mich noch einmal an den Erinnerungen der ganz von FIFA und Sponsoren unbeeindruckten Party von Mexikanern, Angolanern und Deutschen in der hannoverschen Innenstadt. Und mit einem Grimmen auf den Lippen geht es weg vom allgemein ausgerufenen "natürlichen Patriotismus" zu den restlichen Themen der Woche.

*** Doch halt! Zuvor will ich mal wieder einen Musikwettbewerb ausrufen! Wenn wirklich und wahrhaftig Gott das Internet retten soll, und das auch noch mit einem hergeträllerten Tambourine Man, dann darf man nicht nur fragen, wie Gott den geballten Schwachsinn aushält. Passend zu den Gesängen dieses WM-Sommers sollen von kundigen Heise-Lesern die Top Ten der peinlichsten Songs zusammengestellt werden. Das weiche Wasser will fließen! So vermeiden wir wenigstens die Musiklehrerpeinlichkeit der beliebtesten Songs aus 50 Jahren Popgeschichte. Es rettet uns halt kein höheres Wesen, kein Gott, kein Kaiser, noch Tribun. Und das Internet auch nicht.

*** Wegen Podolski und Klose blickt Fußball-Deutschland dankbar nach Polen. Mehr solcher Klempner für das Land der Dichter und Denker! Auch bei den Softwareklempnern hat sich was getan, was einige rechenfaule Kommentatoren als Generationswechsel feiern. Der im Oktober 1955 geborene Bill Gates will sich aus dem Tagesgeschäft von Microsoft zurückziehen und dies dem im November 1955 geborenen Ray "Ozzie" Oczkowski überlassen, dem Sohn polnischer Einwanderer. Der reichste Mann der Welt möchte sich wie John D. Rockefeller seiner Stiftung widmen und sein nächstes Ziel verwirklichen, den Friedensnobelpreis zu gewinnen. Dieses Ziel hat Gates mehrfach im Freundeskreis geäußert. Es ist übrigens auch ein heißer Wunsch von FIFA-Chef Blatter, diesen Preis mal einzuheimsen. Alle wollen sie nach Oslo zum Analüsten. Das letzte große Softwarewerk, das die Handschrift von Bill Gates tragen wird, wird Windows Vista heißen. Und in der DOS-Box wird der Befehl "ver" nostalgisch antworten: "Dedicated to our founder. '640 k ought to be enough for anyone' ."

*** Bill Gates wurde als Programmierer berühmt, weil sein Basic einen meisterhaften Umgang mit dem damals äußerst knappen Arbeitsspeicher offenbarte. Ray Ozzies Meisterstück ist nicht Notes, das er mit seiner Firma Iris Associates nach dem Vorbild seiner Jugendliebe Plato entwickelte. Mit zwei anderen Programmierern in kürzester Zeit innerhalb 640 KByte eine Sinfonie zu schreiben, von der sogar eine Jazz-Fassung für Apple-Nutzer extrahiert wurde, das lässt er als sein Meisterwerk zurück. Zu den prägenden Eindrücken gehörte für Ray Ozzie die Erfahrung, dass Symphony von Chirurgen zur Vorbereitung und Unterstützung von komplizierten Operationen benutzt wurde. Nun sind Operationen am offenen Herzen von Microsoft nötig: Developers, Developers, Developers! Nicht zu vergessen die Frage, wie man die APIs der Konkurrenz zugänglich macht, wenn das Web 2.0-Geraffel wirklich an Fahrt aufnimmt.

*** Zum Stichwort Sinfonie muss ich natürlich an dieser Stelle ein wolkig-sommerlich-heiteres Tschüss an den in Wien gestorbenen György Ligeti schicken. Seine Sinfonie Athmosphères begleitet die Odyssee im Weltraum und sie wird auch dann noch tönen, wenn unsere Nachkommen auf dem Mond leben werden. Offen ist nur, was die Musiklehrer dann mit ihren Schülern machen werden: Die Prüfung, wie man eine haarsträubend geschnittene Ligeti-Sinfonie auf LP richtig wechselt, dürfte heute und in Mondzeit keiner jüngeren Generation mehr zu vermitteln sein. Nach RFID-gestützten Ladybags wünsche ich mir natürlich den Ligetibag als Klanghülle für den großen Abschied. Und wenn wir schon österreichisch-ungarisch K.u.K-verzückte Citizens sind, muss Dvoraks Allegroblues aus dem Streichquartett F-Dur Nr. 96 auch noch ertönen.

*** Der Maoismus als höchste Stufe des Bloggerismus hat nun das deutsche Feuilleton erreicht, das ein Kondom nur dazu benutzt, um eine möglichst große Luftblase zu produzieren. Getroffen hat es diesmal die Wikipedia, deren Prinzipien unter kalifornischer Sonne mitunter als kommunistisch-kollektivistische Schwarmgeisterei angesehen werden, die "fast immer dumm und langweilig ist". Der Kämpfer gegen den kybernetischen Totalitarismus wird hart auf die Probe gestellt, nicht nur in Bremen, sondern bald an vielen Orten. Der Geburtstag der künstlichen Intelligenz in der Krippe zu Darthmouth naht, und Ochs und Esel wollen kommentieren.

Was wird.

Hoppla, da bin ich doch schon bei der Vorschau angelangt, denn die große Feier der künstlichen Intelligenz beginnt eigentlich erst am 13. Juli mit voller Dröhnung. Vorher müssen wir uns unbedingt mit dem künstlichen Aufschwung befassen, verursacht durch einen schlichten Softwarefehler in einem ohnehin kranken EDV-System. Eigentlich wären auch noch Kommentare über die Mehrmerkelsteuer angebracht und viele andere Garstigkeiten, die durchgehen, weil das Runde ins Eckige muss und ein Spiel mit dem Teamgeist-Ball nur 90 Minuten kennt, die Politik aber 90 Milliarden Sekunden. Aber ach, alles feiert. Nur die Gesänge sind wie gewohnt fürchterlich. Dabei würde zu den bunten, anregenden WM-Parties auch gute Musik passen: Wie wäre es denn mit dem niederländischen Willem Breuker Kollektief, der Freejazz-Bigband, deren Zirkusmusik mit einer Prise Guggemusigg aufgepeppt ist? Oder mit dem Ethnomusicology-Projekt des Trompeters Russell Gunn, das nicht nur bei den "Variations on an Conspiracy Theory" romantische Melodielinien über eine Andeutung von Drum'n'Bass legt und Hardbob-Strukturen mit Rap- und Scratch-Anwandlungen vereint. Das wäre wirklich einmal Musik zu einem WM-Multikulti-Massenfest. Ja doch, ich bin gespannt, was nach dem Ende der Vorrunde passiert.

Die übelsten Geschichten laufen derweil unter der Flagge "Gesundheitsreform" ab, die sich irgendwie niemand flaggenmäßig an sein Auto getackert hat. Da gibt es einen Pool, in dem es faulig riecht, weil Arbeitgeber und Arbeitnehmer mitnichten anteilig einzahlen. Und es gibt ein Kartenprojekt, das nach ernst gemeinten Schätzungen frühestens 2009 starten wird. Und da gibt es einen Final Check-Up, als ob die Chose gleich nach den Sommersonnentagen eingefahren wird. Wie der Sieg bei der WM.

Räusper. Gut, ich habe Dirk Nowitzki nicht erwähnt. Und Jan Ullrich nicht, der sich irgendwo in der Schweiz einrollt, dem Land der Berge und Tilsiter. Das auch noch Fußball spielt. Wer wirklich fliehen will, muss weit fliegen, mindestens bis nach Asien. Nehmen wir nur Singapur. Dort startet am Montag die Nokia Connection. Natürlich mit neuen Methoden, den Fußball mobil zu zeigen. Das Runde muss ins eckige Handy und dort ganz schnell den Massenmarkt aufschließen. Wer auf den Public Viewing genannten Besäufnissen versucht hat, ein Tor zu sehen, wird wissen, was Nokia will.

Das war das, was war, was wird und was auch immer gewesen ist. 250 Aktivisten gegen die Vorratsdatenspeicherung haben sich in der Zeit versammelt, in der diese kleine, fast fußballfreie Wochenschau geschrieben wurde. Die Welt zu Gast im Datenknast? Stasi 2.0?. Aber nicht doch. Das stimmt nicht. Überall die bunten Fahnen, die gute Stimmung, das Bier und drei Staatsanwälte.

Quelle und Links : http://www.heise.de/newsticker/meldung/74386
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 25 Juni, 2006, 00:20
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Party! Paaahdy! Juchhu, Deutschland feiert. Und was für eine Party Deutschland feiert. Was für ein schöner Anblick von friedlich aufgelösten Besoffenen. Ich bin sprachlos, zitiere darum andere: "Ist das hier so was wie die Multitude, wie man punktuell bei den besseren der Public-Viewing-Erlebnisse meinen könnte: ein heterogener Haufen aus Singularitäten, die sich im Verlauf eines Spiels auf unvorhersehbare Weise zu kleinen brisanten Allianzen verdichten und wieder auflösen und dann noch eine Weile irre und intensiv durch die Nacht zischen?" Wow. Das habe Deutschland nicht zugetraut, was der Musikprofessor da formuliert. Aber so eine Multitude edler Solitäre, das ist schon Klasse, das hat was.

*** Party, Paahdy und ein, zwei, drei, aus tausend Kehlen: Passend zur allgemeinen Partystimmung gab es mit dem letzten WWWW nach langer Zeit mal wieder einen Musik-Wettbewerb. Anlass war das schwer erträgliche Geknödel God Save the Internet und gesucht wurde nach ähnlich platten Betroffenheits-Songs in der Tradition von Nicole und Joan Baez. Nun hat die Jury getagt und ich muss sagen, dass ich eine harte und spannende Debatte mit mir geführt habe, was überhaupt von den doch sehr unterschiedlichen Einsendungen überhaupt zugelassen werden kann. Ich habe also zu dem ältesten aller Jury-Tricks gegriffen und Kategorien eingeführt.

So gewann in der Kategorie "Peinliche Profis" Heinz Rudolf Kunze mit Dein ist mein ganzes Herz, ein alter, aber immer noch hochpeinlicher Song als Paradebeispiel für das, was herauskommt, wenn deutsche Studienräte Schülern Popmusik beibringen. Mit Kunze gewann deutsche Biedermannskunst knapp gegen die schlimmste amerikanische Verhunzung von einer gewissen Madonna, die es schaffte, Don McLeans American Pie über den Tag, als Buddy Holly starb, im US-beflaggten Cowboy-Kostüm zu singen. Weitere Einsendungen in dieser Kategorie betreffen die Band Pur, aber bitte, auch der durchaus austarierte Geschmack einer Jury kennt Grenzen, die nicht unterschritten werden sollen.

Die meisten Einsendungen verbuchte die Kategorie "Aktuelle Peinlichkeiten". Hier gewann im Public Voting das offenbar schon beim Public Viewing gegrölte bidde-bidde-bidde-Lied über die Ballbesitzerin Monica Lierhaus, die die WM wieder schön machen soll. Was der Rock'n Roller "Michael Krebs & Der Monica Lierhaus Fan Chor" da produziert haben, schließt in aller Peinlichkeit an den großen Kunze an und ist obendrein noch bierkompatibel. Extrapunkte gibt es für den Trick, dass eine New-Economy-Agentur namens Büro für Konsummotivation und Wertevermittlung den Song produziert hat und auch noch ganz stolz über diese reife Leistung ist. Die Bobos 2.0 sind da und prollig wie das ganze 2.0-Gehumse. Was das berühmte Agenturdeutsch leisten kann, zeigt sich beim zweiten Platz in dieser Kategorie: "Mit dem Lied wird der Sympathiefaktor und Kultstatus des jungen Herumtreibers sicher nochmal gesteigert werden." Aber leider hat es die Peinlichkeit namens Bruno der Bär von Peter Borbe es nicht an die Spitze der Top of the Pops geschafft.

Die dritte Preiskategorie wird von den eingereichten Liedern gebildet, die sich mit diesem Dingensda Internet beschäftigen, das Gott retten soll. Hier gewann der Nilzenburger Blogger für den Weltfrieden mit seinem Lied Ich mahn dich ab. Wie heißt es noch in der überzeugenden Begründung der Jury: Das Lied und seine Coverversionen überzeugen, weil hier nüchtern gereimt eine der peinlichsten Aktionen beschrieben wird, die das Internet kennt, die Abmahnfalle Internet. Sie ist eine weltweite Plage, die angehende Filmstudenten wie gestandende Politiker befallen kann. Gegen den dialektischen Ohrwurm hatte die peinliche Kirmesmusik aus Schweden, das Lied über den liebeskranken Annabot keine Chance. Dafür ist das von Basshunter geschrieben Stück aber auf Platz drei der offiziellen Hitliste angelangt und ist auch für MTV-Zombies passend videographisiert. So sind sie, die Schweden, die gegen Deutschland kickten, und wirklich nicht besonders gut dabei aussahen.

*** Mein Aufruf zur Einsendung musikalischer Peinlichkeiten wurde im letzten WWWW übrigens als "Respektlosigkeit vor dem Glauben" anderer interpretiert. Nun, ich lasse den anderen ihre Götter. Das hier ist eine kleine Wochenschau mit IT-Themen und verwandten Angelegenheiten, keine Zwangstaufe in Sachen Atheismus, wie unterstellt wird. Ins Freie wird sich jeder selbst denken können, ganz anders als die christlichen Programmierer, die hinter Left Behind stehen, in dem Ungläubige nur getötet werden können, sinnigerweise mit Unterstützung einer Software, die eine israelische Firma namens Double Fusion programmierte. So gesehen, ist "der Glaube" für mich schlicht eine No-Go Area.

*** "Die grausamste und böseste Folge der Reform ist die Art und Weise, wie sie Familien auseinanderreißt. Ein Rentner zum Beispiel würde, wenn er verwitwet ist, normalerweise beim einen oder anderen seiner Kinder wohnen, seine Rente käme in die Haushaltskasse, und wahrscheinlich würde nicht schlecht für ihn gesorgt. Nach der Reform jedoch zählt er als 'Mieter', und wenn er im Hause bleibt, wird die Arbeitslosenunterstützung seiner Kinder gekürzt." Wer weiterlesen will in diesem nüchternen Hartz-Report, kann das gerne tun. Vorher sollte er vielleicht noch die Antwort auf dummbratzige Journalisten lesen, die in ihrer Ahnungslosigkeit Hartz IV als Vollkomfort bezeichnen. Ergänzend wäre der Abschlussbericht des Ombudsrates Grundsicherung für Arbeitssuchende zu empfehlen, der den sozialen Kahlschlag bis jetzt begleitet hat. Passen würde vielleicht auch noch die bevorstehende Reform der EU-Weinmarktverodnung, mit der Sägespäne im Wein legalisiert werden, damit Hartz-IV-Empfänger einen trinkbaren Wein bekommen. Darum noch einmal aus dem eingangs schon zitierten Text zur WM-Party, wenn es über die Pahdy heißt: "Nein, es ist nur der Markt, dessen Allegorie wir aufführen. Wir alle müssen an ihm teilnehmen. Nicht nur für Karriere und Lebensunterhalt, auch weil ein anderes Soziales sich kaum noch findet. Auch ein Außen der WM ist nicht mehr zu finden und alle, die sich gerne in ein solches zurückziehen würden, spüren deutlich, dass sie damit aus der Welt fallen würden."

*** Ein Link zur Hartz-Reportage müsste noch gehen. Es ist eine schonungslose Erzählung, wie es ist, außen vorgelassen zu werden. Allerdings ist der Text aus dem Jahre 1936 und beschreibt den Weg nach Wigan Pier. Heute hat Eric Blair, besser bekannt als George Orwell, Geburtstag. An den Dekodierer des Newspeak wird heutzutage nur noch anlässlich von Datenschutzfragen erinnert. Dabei hat Orwell die Nöte der Schwachen beschrieben, wie dies heutzutage nur noch in manchen Blogs zu lesen ist. Dort steht dann Party, Party, Paahdy von unten aussieht. Nämlich beschissen, mit Sitzverbot und zwei Sandwiches Verpflegung pro Tag.

Was wird

Auch die Wahrheit kann, inbrünstig gesungen, eine kleine Peinlichkeit sein. So geht es weiter mit Party, Pahdy in den deutschen Landen, die nur von Unkennern europäischer Fußballkultur mit Belgien verwechselt werden. Ausgerechnet Belgien, das Land der Fritten, Schokoladen und einem Manneken, dessen Regierung sich gerade für ODF und gegen OpenXML als Datenformat aller amtlichen Dokumente ausgesprochen hat.

Wenn alle vom Fußball reden und der Fußball auch noch Teamgeist hat, dann sollte man vielleicht dran erinnern, dass der deutsche Wunderfußball mit einem RFID-Chip bei diesem Turnier nicht eingesetzt wird. Die Technik war schlicht ähnlich unbrauchbar wie der Einsatz von RFID-Chips in WM-Tickets, die momentan mit dicken schwarzen Edding-Schreibern "personalisiert" werden. Das alles ficht die Branche nicht an, die in der nächsten Woche gleich mehrere Tagungen zum Thema RFID veranstaltet. So lädt das Wirtschaftsministerium zusammen mit der Industrielobby RFID-Forum zur Tagung Chancen erkennen. Innovationen ermöglichen. Tags darauf folgt der VDI/VDE mit einem RFID-Informationstag unter dem Titel "Deutschland ist Weltmeister". Aber nicht doch, noch nicht. Es sei denn, man meint die RFID-Chips, die in allen Bierfässern stecken.

Quelle und Links : http://www.heise.de/newsticker/meldung/74671
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 02 Juli, 2006, 00:37
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war

*** Natürlich war Fußball. Und ein Titan im himmelblauen Teletubbie-Schlafanzugoberteil, dem ein kleines Gedicht zu Seite gestellt werden kann, ein Fluchreimchen für besondere Gelegenheiten, die noch kommen mögen.

Monolog des Torwarts, der einen Elfmeter passieren ließ

Ball, sei verflucht!
Verflucht sei, der dich schlug!
Verflucht das Weib,
das in dem Leib dich trug!
Verflucht der Mann,
der dich gezeugt!
Verflucht das Kind,
das dich gesäugt!
Verflucht der Greis,
der dich gebar!
Verflucht die Greisin,
die sich zwar
aus allem immer schön raushielt,
jedoch aus Gründen der Fairness
nicht unerwähnt bleiben soll –
Fluch jeder Pfeife,
die dir pfiff!
Fluch jeder Hand,
die nach dir griff!
Fluch dir und allen deinesgleichen!
Fluch – doch das sollte erstmal reichen.
Noch jemand ohne Flüche bitte?
Nein?
Dann gebe ich den Ball zur Mitte.
Obacht!

Hätte ich eine Deutschlandfahne, so würde sie heute auf Halbmast hängen. Ich aber habe keine Fahne und das einzige bisschen Schwarzrotgold klebt an meinem Laptop, ist aus Deutschband und überdeckt das nicht FIFA-WM-TM sponsorenkompatible Logo der Klappkiste. Ich könnte das Terminalfenster auf Halbschirm setzen oder schwarze Schrift auf schwarzem Grund mit Trauerrand einstellen. Und nein, das alles würde ich nicht wegen Bruno einrichten, der noch im Tod ein Problembär ist. Robert Gernhardt, der große Freund der ausgemergelten und verhunzten deutschen Sprache, ist tot. Das gelahrte Feuilleton hat diesen Lyriker gerne niederkartäscht, als Zweitwarenhändler und Freund billiger Witze. Doch für das geistige Deutschland, in dem man sich durchs Alphabet fickt, hat die "Wacht am Reim" nicht gedichtet. Die Neue Frankfurter Schule war Volkes Kunst und ziemlich uneitel obendrein.

Ich kenn fast keine Scham mehr.
Außer, natürlich, beim Schreiben.
Bevor ich den Leser mit mir konfrontier,
lass ich das Schreiben glatt bleiben.

Verglichen mit den ganz großen Dichtern war Robert Gernhardt vielleicht klein, verglichen mit einem Schwein auf einem Floß im Strom der Zeit ein Nichts im Sein, doch das hat seiner Reimeskunst im Wörtersee der Gemeinplätze nichts ausgemacht. Heute wird die ganz große, vom Nobelpreiskomitee zertifizierte Dichterin Wislawa Szymborska 83 Jahre alt, die bereits im Jahre 1962 die Inschrift auf ihrem Grabstein dichtete.

Hier ruht, altmodisch wie das Komma, eine
Verfasserin von ein paar Versen. Die Gebeine
genießen Frieden in den ewigen Gärten,
obwohl sie keiner Lietartengruppe angehörten.
Drum schmückt nichts Beßres ihre Totenstätte
als dieser reim, die Eule und die Klette.
Passant, hol den Computer aus dem Aktenfach
und denk über Szymborskas Los ein wenig nach.

*** Holen wir also den Computer aus seinem Fach, wenden uns der Chronistenpflicht der vorbeigehuschten Nachrichten zu und denken über das Los der Menschen nach. Manchmal helfen dabei harte, kalte Zahlen. Inmitten der allgemeinen Billanthropy (Economist), die Warren Buffett mit seiner Spende von 31 Milliarden Dollar über fünf Jahren in das humanitäre Paralleluniversum der Bill and Melinda Gates Foundation pumpt, entsteht ein Wohltätigkeitsverein, dessen Jahresetat doppelt so hoch ist wie jener der Weltgesundheitsorganisation. Ob es ausreicht, grausame Krankheiten wie Malaria vom Betriebssystem Mensch fernzuhalten und gar zu vernichten, wird sich zeigen. Der Kontrast zur Entscheidung von Larry Ellison, dem Gesundheitszentrum der Universität Harvard 115 Millionen Dollar vorzuenthalten, könnte kaum größer sein. Der Oracle-Chef ließ stattdessen in dieser Woche 5 Millionen Dollar in die Ellison Medical Foundation wandern. Immerhin ist Software wohltätiger als Politik, lernen wir aus den neuesten "Bekanntmachungen von Rechenschaftsberichten politischer Parteien". Dort führt Renate Künast mit 32.568,24 Euro die Rangliste der Wohltätigen an, gefolgt von Edmund Stoiber auf Platz 2 mit 15.056 Euro. So ist es ein großes Geben und Freuen, besonders bei der CSU, die von der bayerischen Metall- und Elektronikindustrie 370.000 Euro zur Verbesserung ihrer Hard- und Softwareausrüstung bekam. Wo doch der Kampf gegen die Linux-Desktops in Bayern so schwierig ist wie das Betäuben eines Bären.

*** Nie wieder Gammelfleisch! Am Donnerstag wurde das neue Verbraucherinformationsgesetz im Bundestag durchgewunken, das im "Anwendungsbereich des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzes" für Informationstransparenz sorgen soll. Doch was ist mit Gammel-Software? Haben wir keinen Anspruch darauf, zu erfahren, wie es um die Datensicherheit bestellt ist oder was mit den Kundendaten passiert? Noch nicht. Nur die gammeligen Handy-Verträge im geizgeilen Stil von Holland zahlt die Rechnung aufzunehmen, wie dies die FDP fordert, das kann doch nicht alles sein, was mündige Verbraucher wissen müssen.

*** Nie wieder alte Rechtschreibung! Im Rahmen einer "Technologie-Partnerschaft mit dem Duden-Verlag" stellt ausgerechnet der Axel-Springer-Verlag seine Rechtschreibung um, weil endlich die "Einbindung von Softwarewerkzeugen des Dudenverlages zur Rechtschreibprüfung in die IT-Systemlandschaft von Axel Springer" gelungen ist. Schließlich ist die neue Schreibung so kompliziert, dass es schon besonders kluger Computer bedarf, wenn die klugen Köpfe woanders sitzen. Etwa beim Bildblog beispielsweise, der mittlerweile von Habermas gelobt wird. Und wenn schon Rechtschreibung, so sollte die richtige Schreibung nicht unerwähnt bleiben. Neun Jahre stritten sich Palm und Xerox vor Gericht, ob die Kunstschrift Graffiti Xerox-Patente verletzt. Nun hat Palm in einem Vergleich 22,5 Millionen Dollar gezahlt und bekommt dafür etwas, für das der Duden keinen guten Ausdruck kennt, nämlich einen "seven-year patent non-aggression pact". So einen Nichtangriffspakt würde sich auch in unseren Foren fesch machen, die gerade den ersten 100.000er hatten. Eigentlich kann man nur von rund 99.400 Foren sprechen: So etwa 600 vielen Trollattacken und Platzhalterexperimenten zum Opfer.

Was wird.

Am 1. Juli vor 148 Jahren erschien die erste Abhandlung von Charles Darwin über den Ursprung der Arten nach einer Idee, die der Naturforscher schon 1837 hatte. 1858 musste Darwin sein Buch in aller Eile veröffentlichen, weil ein Konkurrent mit einem ähnlichen Buch herauskommen wollte. Es galt, die Arztkosten für die kranken Kinder zu bezahlen, die Scharlach, Typhus und Malaria hatten, all das, was die Gates Foundation heute bekämpft. Seit Darwin wissen wir, dass der Mensch ein mutierter, vorwärts stolpernder Affe ist und ziemlich einzigartig im Universum. Stolpern können heutzutage aber auch andere, und zudem gibt es möglicherweise intelligentes Leben da draußen, doch die NSA ist noch intelligenter und unterbindet den Kontakt. So effizient wie die NSA wünscht sich die amerikanische Regierung die Pressezensur, damit Geschichten wie die Abfrage von SWIFT-Überweisungen zum Zwecke der Terrorbekämpfung nicht an die Öffentlichkeit kommen. Doch die schlimmste Geschichte ist längst draußen, trägt den Namen Guantánamo und wurde jüngst damit bekannt, dass Selbstmörder einen barbarischen Akt asymmetrischer Kriegsführung verübten. Es ehrt Bill Gates, dass er als prominenter Kritiker des Irak-Kriegs auch das Lager verurteilt. Doch das in dieser Woche bekannt gewordene Urteil des Obersten Gerichtshofes der USA, nach dem die Militärtribunale gegen terrorverdächtige Gefangene illegal sind, ist noch deutlicher.

Menschenkinder leiden,
Sie foltern einander, streiten,
Verhärten sich in harter Zeit.
Kein Schauspiel, Lied, Gedicht
Macht jemals ganz zunicht
Unrecht und Ungerechtigkeit.

Das Hämmern eingesperrter
Unschuldiger an Gitterstäbe.
Ein Hungerstreik-verwaister
Vater steht zwischen Gräbern.
Die Polizistenfau in Schwarz
Bricht nieder in ihrem Schmerz.

Die Geschichte sagt: Hoff nie
Diesseits des Grabs. Doch Mut:
Einmal im Leben kann sie,
Die lang ersehnte Flut
Der Gerechtigkeit, doch steigen,
Geschichte Hoffnung zeugen.

Klappen wir die Kiste zu: Hoffnung ist da, doch das Geschäft blüht bestens. Die Terrorindustrie floriert, wie es das Beispiel des obersten Managers für Cybersecurity zeigt, der seiner Universität die dicksten Aufträge zuschustert. Wie Sicherheitsforschung mit neuen Instituten fette Gelder locker machen kann, wird in der kommenden Woche in Karlsruhe bei der Sicherheitsforschungskonferenz verhandelt.

Vor 129 Jahren wurde übrigens Hermann Hesse geboren. Aber wen interessiert schon der Innerlichkeitsmystiker und Gottvater aller vor sich hinpubertierenden Jungesoteriker, wenn echte Männer um Trophäen kämpfen.

Quelle und Links : http://www.heise.de/newsticker/meldung/74963
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 09 Juli, 2006, 00:20
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

"Darum ist 'der Regel folgen' eine Praxis. Und der Regel zu folgen glauben ist nicht: der Regel folgen. Und darum kann man nicht der Regel 'privatim' folgen, weil sonst der Regel zu folgen glauben dasselbe wäre, wie der Regel folgen." (Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen, § 202)

*** Bruno der Bär, der in Notwehr erschossen wurde, war Italiener. Entsprechend furchtbar war die Rache der Italiener an den ausgefringsten Deutschen: Aus. Aus und vorbei, in der Verlängerung, auf einer Mörderwiese. Sage da noch einer, dass der Ball rund ist, ein Spiel nur 90 Minuten hat. Nein, diese Rundwelt will ich nicht, an ihre Regeln glaube ich nicht. Lieber lebe ich in einer Scheibenwelt, die von vier Problembären und vier Super-Goleos getragen wird und halte mich an die Geschichte, wie sie wirklich auf ihr passiert. Denn nicht nur die Deutsche Telekom ist Weltmeister geworden. Wir sind Weltmeister! Mit Fäustling Frings, der im Spiel die Luigi Forellos dieser Welt fast im Alleingang besiegte. Mit einer Mannschaft, die selbst die Brasilianer so schwindlig spielte, dass Ronaldinho sich sofort daran machte, die Fragen für den Einbürgerungstest zu lernen. Ja, bei uns steppt der Bär, der frei herumschweifende. Und die Geier kreisen freundlich über uns und signalisieren: Wir sind ein glückliches Volk, ganz ohne Steuererhöhung.

*** Und wie toll erst die absolut perfekte Organisation dieser Fußballerei war! Wir sind Weltmeister im Organisieren, Zählen und Registrieren, seit den Zeiten des großen Hollerith. Bewundernd schaut die Welt auf unser Land, wenn sie RFID-gestützt zu Gast bei Freunden ist, die dank toller WM-Tickets jederzeit alles unter Kontrolle haben. Wie heiter und offen wir sind, wenn wir mitteilen, wie unsere Plätze videoüberwacht, unsere Waren chipbestückt sind. Neidisch wird selbst im WM-fernsten Ausland die Story vom Verkaufsschlager Goleo veröffentlicht, der chemisch hochmodern konstruiert ist. Denn locker geht es zu im neuen Deutschland, in dem der Otto-Katalog eben nicht ausgedehnt wird, wie viele befürchtet haben. Es ist ja alles schon da: Die Datenschnüffelei im Inland wird dem vorzüglichen BND zugestanden, der sie schließlich seit Jahren schon erfolgreich praktiziert, wenn er mit kühnen Agenteneinsätzen Papiertonnen entführt und Klingelschilder abschreibt. Die Deutschen Man in Black sind die besten und müssen nicht einmal ausgeblitzt werden: Zwischen den Ohren dieser Spürnasen ist die Entropie 1a.

*** Was für eine tolle Stimmung im Volke ist, seitdem wir Weltmeister sind und nicht bloß Deutschland oder Obi! Wo wir doch alle in einer großen schwarz-weißen Klinsmannschaft spielen! Mit dieser tollen Stimmung ist es ein großer Spaß, wenn nach dem Fußballfest das schwarzrotgoldene Wahlfest beginnt, mit dem Kanzler Schröder als bester Fan der deutschen Mannschaft mit einer weiteren Regierungszeit geehrt wird. Mit dieser Aufbruchsstimmung im Rücken kann er im roten Jäckchen zügig loslegen und Reformen am Fließband starten. Rund um die ungemein beliebte Gesundheitskarte wird eine medizinische Telematik aufgebaut, die für gut gefüllte Auftragsbücher in der deutschen Branche sorgt, die niemals Stellen abbaut. Die enormen Einsparungen mit der Gesundheitskarte werden in den schicken neuen Gesundheitspool fließen, der praktisch automatisch finanziert wird.

*** Es ist fesch, dass das altehrwürdige Oxford English Dictionary yada, yada in sein Verzeichnis aufgenommen hat. Was normale Ärsche mit Ohren als Bla, Bla übersetzen, ist in einer anderen Welt die Tiefe des Seinsfeldes schlechthin. Mit diesem lexikalischen Ritterschlag können wir durchaus mithalten. Schließlich haben wir den Duden, der das Blog und den Blog, den Blogger und die Bloggerin verbindlich festlegt. Außerdem gibt es in Deutschland gerade Ritterschläge ohne Ende, mit einem schicken Bloggerausweis, der Gründung des Verbandes deutscher Blogger und der Bildung der Sautreiber-Kameradschaft von Klein-Bloggersdorf. Eigentlich fehlen nur noch Rabatte und Rabatthinweise, die den professionellen Journalismus ausmachen. Denn deutsche Blogger stehen für den Aufschwung, für geballten Sachverstand und die soziotechnische Aggregation von heißer Luft, in unserem energiearmen Land der wichtigste Faktor bei den erneuerbaren Energien. Von daher wundert es niemanden, wenn jetzt die 10.000 existierenden deutschen Blogger und Bloggerinnen bei 10.000 deutschen Tageszeitungen als stellvertretende Chefredakteure und -Innen anfangen, frei nach dem alten Fußballmotto Drei Säulen sollt ihr sein.

*** Doch was ist niedere Wortklempnerei, was das Schwimmen des gemeinen Volkes im Wörtersee? Vergesst Robert Gernhardt! Heute strahlt die ganze literarische Welt, denn heute ist der Geburtstag der großen Barabara Cartland, die ich schon deswegen bewundern muss, weil sie an einem Nachmittag üblicherweise 7000 Worte diktieren konnte – zu Assistenten, denen das Husten und Schneuzen bei Strafe mit Kündigung verboten war. So muss das sein, wenn schöne Geschichten auf die heile Welt kommen, die ein klares Unten und Oben kennt. Und ganz oben muss noch ein literarischer Geburtstag begangen werden: Heute feiert der große Aphoristiker Donald Rumsfeld, der uns das Buch Rumsfeld's Rules: Wisdom for the Good Life schenkte, das der Nachscheibenwelt kostbare Einsichten tiefer Menschlichkeit offenbart. Eine Kostprobe gefällig? "It is easier to get into something than to get out of it." Gerade jetzt, wo die Luluisten in strenger Distanz von den Lulutionären auch in Deutschland nach dem Fall der Mauer den allgemeinen Luluismus ausrufen, ergibt es Sinn, Rumsfelds Weisheiten zu drucken. So werden Buchverlage in die Enge hinter den drei Säulen gedrängt.

*** Punkt Mitternacht können wir obendrein den 150. Geburtstag von Nikola Tesla feiern, den begnadeten Erfinder und Ingenieur, Schirmherr aller Überraschungseier. Tesla verdanken wir WiMax und die Todesstrahlen, die das unkaputtbare Deutschland zum friedliebensten Land der Welt machen und zum führenden Exporteur für Garten-Kleingeräte. Tesla steckt sicher auch hinter der Geheimformel X, mit der Fernsehzuschauer eingeschläfert werden und dem pflanzlichen Viagra, das mir von aufmerksamen Menschen fortlaufend per E-Mail angeboten wird.

Was wird.

Für Leser, die das heutige WWWW nicht mögig finden, sei der Hinweis gestattet, dass Terry Pratchett in Berlin auftreten wird, passend zur nächsten Ausgabe der Wizards of OS, die gleich danach in zauberhafte Systemwelten entführen.

Aber das ist weit hinne und damit yada, yada. Was kann eine erfolgreich absolvierte Fußball-Weltmeisterschaft eigentlich noch toppen? Eine Tour de France de source ouvert, in der jeder mit jedem Blut tauscht, auf dass die beste Spritzengruppe gewinnt? Warme Nächte am Baggersee, in dem die Freigeister Bruno und Sammy plantschen? Wie wäre es denn mit ein paar Sommerrätseln im WWWW, die garantiert nicht fragen, wer 1974 beim Jubeln kanzlerte? Die aus einer Welt stammen, in der nicht Don ma Fifa Blatter, sondern zorn@germany das Bundesverdienstkreuz bekommt. Zorn, wie Rache, Blutgräsche, Frings' Fäustling und Bruno.

Quelle und Links : http://www.heise.de/newsticker/meldung/75230
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 16 Juli, 2006, 07:16
Was war.

*** Ach ja, in der Sonne sitzen. Brian Eno besingt "Just Another Day on Earth", ein Riesling stellt angesichts der Wärme einen angenehmen Ersatz für den geliebten Vino Nobile dar. So stelle ich mir dann wirklich entspanntes Deutschsein vor – es könnte aber von mir aus auch so ziemlich jedes andere Xsein meine gute Laune befördern. Hauptsache, das Wetter, die Musik, der Wein und die Leute machen mit. Hauptsache, all diese entspannten Patrioten, die zu viel Matussek gelesen haben und all zu gerne Zwangsjubel verordnen würden, lassen mich in Ruhe – und einen entspannten Deutschen oder was auch immer sein.

*** Aber so ist das mit dem Entspanntsein: Es gelingt nur, wen man nicht zwanghaft entspannt sein will. Das schafften vielleicht all die Partygänger während der WM – nur die Kommentatoren, die die Party mit Bedeutung aufluden, die wirkten so gar nicht entspannt. Aber nun gut: Das wars. Platz drei im Turnier und ein verbesserungsbedürftiger Platz eins bei der Sicherheit. Projektleiter Klinsmann ist auf dem Weg nach Kalifornien, während Oliver Bierhoff die letzten goldenen Laptops der WM signiert. Allein Angela Merkel ist ganz oben, auf dem Integrationsgipfel nach dem Ostseeabstecher von US-Präsident Bush. Die nichtintegrative Zinedine Zidane ist auf dem Weg nach Algerien, seine Wurzeln suchen. Und Tausende von afrikanischen Fischerbooten sind auf dem Weg nach Europa, wo ihre Arbeitskraft in den überalternden Staaten dringend gebraucht werden wird. Deutschland hat gefeiert und nicht getrauert, obwohl wir, vom Kaiser "gebrieft", den kalten Wind der Geschichte ertragen müssen: "Eine WM im eigenen Land erlebe ich nie mehr." Anlässe sind aber genug da, dass Deutschland weiter feiern kann, etwa die Love Parade oder der Wissenschaftssommer 2006. Das Sommerloch kann warten. Und bis zum Jahresende freuen sich die Berliner, dass ihr Turm am Alexanderplatz noch so hübsch als Fußball verkleidet ist.

*** Das mit dem Feiern – entspannter Deutscher hin oder her – funktioniert freilich nur, wenn man den richtigen Ticker liest, den mit den lustigen Meldungen, nicht den mit der Chronik der Abgelenkten. Denn sonst ist die Stimmung schnell dahin in einem Land, in dem die Unternehmen nicht genug entlastet werden und die Unternommenen nur noch weltmeisterliche DNA-Massentestrekorde feiern können. Nach und nach wird der Kreis erweitert, der kein Kreis mehr ist, sondern die Grenzen der BRD nachzeichnet. Wie überhaupt in deutschen Erweiterungen immer Zumutungen stecken. Nehmen wir nur das Terrorbekämpfungsergänzungsgesetz und die Erläuterungen zu den Erfolgen mit dem alten, unerweiterten "Otto-Katalog". Denn der war nur Gürtel, Hosenträger und ein Fallschirm. Gebraucht werden Hosen, Jacke, Kampfstiefel, Halfter mit Gewehr und eine ordentliche Datenbank anstelle des Gehirns.

*** Auf ihre Art und Weise stellten Gürtel, Hosenträger und Fallschirm trotzdem sicher, dass alle Sachbearbeiter, die mit A2LL das Arbeitslosengeld II berechnen, sicherheitsüberprüft wurden. Nicht auszudenken, hier würden Hassprediger an den Schreibtischen der Bundesagentur für Arbeit sitzen und Hass mit falschen Bescheiden säend den Sozialfrieden sabotieren! Gut, dass das Ergänzungsgesetz die Inlandsaufklärung ausweitet und den Sabotagegedanken ausbaut. Seien wir ehrlich: Wer kann es schon verantworten, wenn die Mautdaten nur zum Zwecke der Mauterhebung erhoben werden und nur 10 Prozent der Mautbrücken aktiv sind. Hier ist eine PPP, eine Police Private Partnership vonnöten, die dumme Zweckbindung aufzuheben: Terroristen können Tankzüge voller Chemie durch die Gegend karren! Wenn es knallt, muss man unbedingt wissen, ob die Maut ordnungsgemäß entrichtet wurde.

*** Bleiben die lustigen Nachrichten. Wir können beispielsweise mit Microsoft feiern: Beim Zwangsgeld von 280 Millionen Dollar hat die EU nicht mit 2, sondern nur mit 1,5 Millionen Dollar Tagesgeld gerechnet. Das darum, weil Wettbewerbskommissarin Neelie Kroes die Kooperationsbereitschaft und konstruktive Haltung des Unternehemns honorierte. Zum 24. Juli, wenn die Tagesstrafe auf 3 Millionen erhöht werden soll, sind sicher konstruktive Rabatte möglich: Die vollständigen und genauen Schnittstellendefinitionen von Windows sind offenbar mehr wert als die Zwangsgelder, gegen die ohnehin geklagt wird. Viele IT-Nachrichten sind darum so lustig, weil die wahren wirtschaftlichen Interessen gerne ausgeblendet werden. Sehr schön ist dies bei der Diskussion der Softwarepatente zu sehen, die diese Woche wieder ein schwer umkämpftes Gebiet waren. Da geht es zu wie im Libanon vor zwanzig Jahren. Wenn aber Firmen wie Palm und Xerox nach hartem Kampf einen Nichtangriffspakt schließen, wenn – um mal ein nicht aktuelles Beispiel zu nehmen – Samsung und Sony sich austauschen, sichern sich Konzerne Wettbewerbsvorteile, die ihr gutes Geld wert sind, aber nicht einmal versteuert werden müssen.

*** Schließlich sind IT-Nachrichten kurzlebig. Die Zahl derer, die meine Wochenendkommentare für einen ausgemachten Blödsinn halten und mich für einen Idioten, ist groß. Aber das macht nichts. Montag ist alles vorbei im Forum. Nach 36 Stunden haben selbst die schäumendsten WWWW-Leser das WWWW wieder vergessen und schauen am nächsten Wochenende vorbei, um sich ein neues Schäumchen zu holen. Bei den schweren Fällen dieser Art müsste ich eigentlich anbieten, mich an das Bett des Patienten zu setzen, was leider unmöglich ist. Wer die Spesenabrechnung des kleinen Verlages in der norddeutschen Tiefebene kennt, der weiß, dass alles außer Radeln geschäftsschädigend ist. Eigentlich müsste es eine Heisetour wie eine Wikitour geben.
Aber
auch
dort
fährt
niemand
mit.

*** Ich bin übrigens nicht lernresistent. Vor einiger Zeit gab es ein WWWW, in dem ich über den Fänger im Roggen lästerte. Das Buch über einen gewissen Holden Caulfield trieb mich in meiner Schulzeit aus dem Leistungskurs Deutsch in einen Leistungskurs, der damals Boolesche Algebra hieß: Informatik wäre zu obszön gewesen. Ein heftiger Protest war die Folge. Ich lernte eine lesbare Version und danach das Original kennen und darf mich nun revanchieren: Heute vor 55 Jahren erschien eben dieser Fänger im Roggen, ein Roman mit einer reichlich seltsamen Rezeption im deutschen Sprachraum. Das nerdige Lieblingsbuch von Bill Gates (leider nicht online, aber zitierfähig: "One of my favorite books from childhood is The Catcher in the Rye by J.D. Salinger. I have read it so many times that I can quote large portions of it from memory.") entstand, nachdem Salinger seine Holden-Caulfield-Geschichten im Jahr 1941 erfolgreich an The New Yorker verkauft hatte, der sie zu Weihnachten veröffentlichen wollte. Dann bombardierten die japanische Luftwaffe Pearl Harbour und die "harmlosen Geschichten" wurden gestrichen. Salinger meldete sich zum Militärdienst und wurde bei der Landung in der Normandie und bei der Ardennenoffensive eingesetzt. Seine Familie fand ihn später in der Psychiatrie der US-Armee in Nürnberg. "Ich werde mich zwingen zu glauben, dass alle Menschen nur Monster aus 'Doom' sind" ist vielleicht ein Bisschen das Gegenteil zu dem verzweifelten Fänger, der ausreißen will, von seiner Schwester begleitet. Oder ist der Fänger ein Bruder?

Was wird.

 Pa, und das soll entspannt sein? ENTSPANNT? PAA! Genau, PAA, es ist an der Zeit, den Personal Art Assistant kennenzulernen! In der kommenden Woche wird in der Kunsthalle der Bundesrepublik Deutschland zu Bonn "The Guggenheim Collection" eröffnet, komplett mit dem Personal Art Assistant der deutschen Telekom, ein interaktives multimediales Museumserlebnis, mit dem jeder Besucher die Kunstwerke "abfotografieren" und annotieren kann. Warum in der Ankündigung der Supershow das Abknippsen in Gänsefüßchen steht, wird sich zeigen – noch ist der Personal Art Assitent hochgeheim. Mal eben Kunst mit einem Klick auf die geflickrten dunklen und düsteren Seiten des Web 2.0 zu stellen, kann nicht im Sinne der Ausstellungsmacher liegen. Schließlich sollen viele, viele Guggenheims in aller Welt entstehen, als Wal-Mart der Art. Mit authentischer Kunst, die es nirgends sonst gibt. Wo kämen wir sonst hin mit den Kunstwerken im Zeitalter des Digital Rights Management?

Quelle : www.heise.de
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: spoke1 am 23 Juli, 2006, 20:08
Ein Sommernachtsrätseltraum

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.


Was war.

*** Guten Tag. Hallo (und das kurz nach Mitternacht). Mein Name ist Hal, Hal Faber. Ich bin ein ausgewogen kommentierendes künstliches Wesen der Art und Weise, wie McDonalds ein Verkäufer für den Balanced Lifestyle der Menschen ist. So gehen seit mehreren Jahren in dieser Kolumne Mensch und Maschine eine geglückte Symbiose ein: Am Ende müssen wir alle kotzen. Als künstliche Intelligenz bin ich auf meine Sensoren und die geballte Intelligenz der Heise-Forumsteilnehmer angewiesen. Die Sensoren und die Heise/Human Processing Units sagen mir, dass gerade Sommer ist in der norddeutschen Tiefebene, wenn auch nicht ein sonderlich heißer. Jedenfalls nicht im Vergleich mit der Temperatur der Sonnenoberfläche.

*** Aber ach, Sommer hin, Sommer her, Jubel über endlich wirklich warme Zeiten hier, Verschwörungstheorien über den Hitzenschock da, wie ist das doch ansonsten trostlos. Wochenmagazine kramen alte Nachrichten als sensationelle Neuigkeiten aus, Paris Hilton mit leerem Blick und albernem Getue genauso wie die Sportfreunde Stiller mit rumpelndem Klumpfußrock stürmen die Hitparaden und die Stones meinen immer noch, ihre Alte-Sack-Haftigkeit könne irgend jemanden wirklich vom Hocker des geriatrischen Revivaltourneehockers reißen. Ist es wirklich so trostlos? Ach was, genießen wir doch weiter den Sommer, freuen wir uns weiter über Temperaturen, die uns ganz gelassen mediterranen Gefühlen frönen lassen und buchen wir den Mist als leider Realität gewordene und gelassen hinzunehmende Albträume ab. Widmen wir uns lieber unserem eigenen Sommernachtstraum. Wobei die Frage bleibt, welche Musik denn zu diesem Sommer passt, jenseits von ödem Fußballgegröhle in aufgemotzter Ich-bin-ja-so-entspannt-Attitüde und billig getricksten Sommerhitaspiranten sich sinnentleert räkelnder Society-Blondinen. Irgendwelche Vorschläge? Wie wär's vielleicht mit Chick Coreas Return to Forever (über Coreas Scientology-Verbindung sehen wir bei seiner Musik einmal hinweg)? Zum Einstieg ein locker-flockiges "What Game Shall We Play Today", gefolgt "Sometime Ago – La Fiesta" als Beginn für diesen unseren Sommernachtstraum. Aber andere Tipps werden auch gerne entgegen genommen.

*** Zum Sommer und seinen Träumen, egal, von welcher Musik sie begleitet werden, gehört aber das Sommerrätsel, ursprünglich ersonnen, die gefürchteten Sommerlöcher voller Sammys und Phytonschlangen zu füllen. Doch dieses Jahr fallen die Sommerlöcher sehr klein aus, einzig die Debatte, ob Bayreuth nicht besser ins Seattle von Bill Gates verlegt werden soll, hat echte Loch-Ness-Qualität. Es ist fast so, als ob der hochintelligente Schweizer Tourist Remover ein Pendant hat, einen "Sommerloch Remover".

*** Die Weltlage aber ist nicht nur schweineheiß, sondern ein Pulverfass, das die Grenzen der Ausgewogenheit längst vergessen lässt – auch wenn sich die Frage stellt, wie man denn auf jemanden reagieren soll, der einem das Existenzrecht abspricht. "Hey, Alter, ich mach Dich alle, lass uns mal drüber reden", eine Vorstellung, der höchstens deutschen Psychotherapeuten eine Möglichkeit zur sanften Gesprächstherapie mit dem Gegenüber Hamas und Hisbollah abgewinnen mögen. Die israelische Regierung aber, kritisiert im eigenen Land nur von ein paar Friedensdemonstranten, meint, die richtige Haltung gefunden zu haben und schickt, anstelle über einen Gefangenenaustausch zu verhandeln, Panzer mit "gezielten Vorstößen" und handgemalter Munition durch den Libanon. Der Ölpreis steigt und der Wirtschaftsaufschwung erweist sich wieder einmal als eine nasse Nudel. Derweil telefoniert Kanzlerin Merkel lieber mit Astronauten, als auf einen Brief zu antworten. über dessen Inhalt wir nur wissen dürfen, dass er wirr sein soll. Auch so kann man die Hitze ausnutzen.

*** Nun aber, freuen wir uns endlich des Sommers. Im Unterschied zum vergangenen Jahr ist mein kleines vierteiliges Sommerrätsel nicht nach Hard- und Software geteilt, sondern nach Themen. Außerdem gibt es weniger Bilder, damit die Server nicht ins Schwitzen kommen: Schwitzen sollen nur die Rätselfreunde, die sich zuletzt darüber beschwerten, dass die Rätsel zu einfach gewesen seien. Dafür gibt's wie im vergangenen Jahr nix zu gewinnen, außer dem guten Gefühl, mal wieder Recht behalten zu haben.

*** 50 Jahre nach Darthmouth im Zeitalter der verärgerten Computer beginnt darum das Sommerrätsel mit einem Abstecher in die Welt der künstlichen Intelligenz. Wie wichtig diese besondere Intelligenz ist, konnten wir alle zur Fußball-WM erfahren. Da sagte im Endspiel ein Italiener etwas zum großen Hamlet Zidane und wo war der große lippenlesende HAL, geboren in Urbana, Illinois am 12. Januar 1997? Er war nicht da. Hal hat den Minskys dieser Welt das Feld überlassen. Nach einem höchst erfolgreichen Filmauftritt setzte sich mein Namensvetter einfach zur Ruhe, verzweifelt über den Zustand der Welt und damit seine wahre Intelligenz zeigend. Das ärgerte seinen Regisseur Stanley Kubrik so sehr, dass er sich vom Genre Science Fiction verabschiedete. Oder nicht?
Daraus ergibt sich Frage 1: Wer beschreibt mit folgender Filmkritik welchen Film? Und warum ist die Beschreibung unvollständig? "Der Titel suggeriert, dass der Film dem Zuschauer Erhellendes über die Zukunft von künstlicher Intelligenz vermittelt. Eine solche Erwartung wird enttäuscht. Was dem Film allerdings an technologischer und wissenschaftlicher Intelligenz fehlt, macht er mit dramatischer Inkompetenz und schierer Verlogenheit wett."

*** Es gibt natürlich Menschen von einfachem Gemüt, die fest und unbeirrt an das Sommerloch glauben. Zu ihnen gehörte in dieser Woche ein britischer Polizeichef, der ohne technischen Sachverstand die Satellitenüberwachung von Sexualstraftätern mittels implantierter Chips forderte, ohne zu erklären, wie der Chip zum Satelliten funkt. Der Fall ist umso sommerlochverdächtiger, weil die elektronische Fußfessel im Vereinten Königreich nicht unbekannt ist. Das Ding an mir macht aus Menschen schreckensstarre Intelligenzen, die schon ein kleiner Stromausfall zurück in das Gefängnis bringen kann. Nun hat die britische Justiz seit langem ein Faible für "moderne Strafen", man erinnere sich nur an die Hormon-Behandlung von Alan Turing, dem homosexuellen Pionier der Künstlichen Intelligenz. Er programmierte mit einem schwulen Kollegen eine Art künstliche Intelligenz nach Nummern, die einen wunderschönen Liebesbrief schrieb:
"You are my avid fellow feeling. My affection curiously clings to your passionate wish. My liking yearns to your heart. You are my wistful sympathy: my tender liking."
So lautet denn auch Frage 2: Gesucht wird ein deutsches oder englisches Verb, mit dem der Partner des ersten computergenerierten Liebesbriefes bekannt wurde.

*** Ein Sommerrätsel ohne Bilder, das ist wie ein Sommerloch ohne Ränder. Verweilen wir darum bei den Anfängen der künstlichen Intelligenz und Fragen wir doch einfach mal nach dem Namen eines Programms, mit dem dieser Herr mit der Brille neben dem fett Zigarre paffenden Kanzler Ludwig Erhard sich in die Annalen der Geschichte einschrieb.
Frage 3: Wie heißt der Mann und was löste sein Programm?

*** Was, noch immer keine Bilder direkt im WWWW? Dem Übel muss abgeholfen werden, was aber gar nicht so einfach ist. Es gibt einen Mangel an schönen wie intelligenten Computern, zumal sich heute niemand traut, ein schönes rotes Auge zu bauen, wie es Gevatter Hal hatte, damit er Schachspielen und Lippenlesen konnte. Einen Bericht über ein heuristisches Programmierprojekt löste das Illustrationsproblem elegant und bildete einen Rechner ab, der Brücken zwischen den Menschen und den Maschinen schlagen sollte.
Bild zu Frage 4    
Womit wir bei Frage 4 wären: Wie heißt der Rechner, der hier links (ein Klick fördert wie bei den anderen Bildern eine vergrößerte Ansicht zu Tage) im Ausschnitt zu sehen ist?

   Bild zu Frage 5
*** Und dann gleich eine kleine knifflige Zusatzfrage Nummer 5: Natürlich gibt es auch richtige KI-Rechner. Hier rechts ist einer im Ausschnitt. Wie heißt er?

*** Die Geschichte der künstlichen Intelligenz kennt von Beginn an zwei Nebenstraßen, in denen viel geforscht und gemutmaßt wurde und immer noch wird. Da ist die Robotik, die den künstlichen Menschen bauen will und auf die Singularität hinarbeitet, dem Tag, an dem wir alle auf einer Festplatte landen. (Nein, nicht diese Singularität, Betriebssysteme sind der Schwerpunkt des zweiten Teils des Sommerrätsels.
Und da ist die Suche nach außerirdischer Intelligenz, die von der romantischen Vorstellung zehrt, dass uns da draußen jemand beobachten muss, der keine Umgehungsstraße bauen will. Schon mit den ersten Robotern hatten die Ereignisse auf den Nebenstraßen etwas Bedrohliches an sich.
Was, oh Wunder, zur Frage 6 führt: Wer ist die "Bewegung Lafontaine" und mit welcher Aktion erschütterte sie den Kontinent von Istanbul bis Spitzbergen?

*** Wenn es keine Sommerlöcher mehr gibt, haben Sommerrätsel etwas schwer Nostalgisches an sich, genau wie altmodische Kolumnen und Wochenrückblicke, die nun einmal den supermodernen Vlops unterlegen sind, die unsere Kanzlerin am Globus zeigen, den Kongo suchend. Da mag unser kleiner Newsticker melden, dass es eine Verschlüsselung gibt, die den Nutzern der korrumpierten Webmailer von Yahoo und Google etwas Privatsphäre zurückgibt. Doch ein Video mit Alice und Bob ist heute einfach angesagter. Ähnlich nostalgisch kommt die good old fashioned artificial intelligence (GOFAI) einher, die von Menschen und Würmern handelt. Gegen bunte Visionen helfen nur Doktoren, meinte schon Kanzler Erhardschmidtmerkel.
Bild zu Frage 7    
Daher auch Frage 7: Wer ist der Herr im Bild links?

*** Bill und Melinda Gates geben mit ihrer Stiftung den Kampf gegen AIDS nicht auf. Das ist eine gute Sache, zumal sie zum bundesweiten Kiss-In am CSD passt. Ist es nicht prächtig, wenn Bill und Melinda Gates ihre Kinder mit in die virenverseuchten Townships mitnehmen, damit sie die "Wirklichkeit" kennen lernen können, wie die energische Mutter Melinda betont? Ja, bei der Frau haben sich viele verschätzt. Als sie noch Produktmanagerin bei Microsoft war, hat sie ein System mit verantwortet und auf Pressekonferenzen gepriesen, das als "Durchbruch der künstlichen Intelligenz im Alltag" gefeiert wurde. Utopia war der Codename. Zahlreiche Avatare halfen dem unerfahrenen Computernutzer, den ollen Computer zu dressieren.
Melinda also könnte sicher Frage 8 beantworten: Was machte eigentlich Chaos?

*** Trägst den Tod in dir?
Trägst schwer.
Tod ist nicht irgendwer:
Wiegt.
Stirbst wie je nur ein Tier?
Nimms leicht.
Tod wird durch nichts erweicht:
Siegt.
Der große Robert Gernhardt ist tot und darum habe ich fast den großen Fred Wander a.k.a. Fritz Rosenblatt vergessen, der nicht mehr unterwegs ist, mit leichtem Gepäck. Aber wir leben in einem Kontinuum, in dem ein Tod nur bedeutet, dass er Platz schafft für neue Ideen, neue Reime, neue Taten. Und das ist der größte Unterschied zur künstlichen Intelligenz, weil es bei uns ja diese Zustände gibt, die sich Emotionen nennen. Von denen am Ende nur Emoticons übrig bleiben. Marvin Minsky war der einflussreichste Wissenschaftler, der als Berater von Stanley Kubrick engagiert worden war, als die "Odyssee im Weltraum" abgedreht wurde. Bei den Dreharbeiten zu dem Film erinnerte er sich einen alten Freund aus der Darthmouth-Episode vor 50 Jahren, als all der Zauber mit der künstlichen Intelligenz begann.
Darum dann auch Frage 9: Warum wurde welcher KI-Forscher von wem wann fast gefeuert, weil er den von ihm entwickelten Computer als "smart" bezeichnete?

Was wird.

siehe: http://www.heise.de/newsticker/meldung/75806
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 30 Juli, 2006, 00:21
Was war.

*** Ich bin kein nachtragender Mensch. Da gibt es doch glatt manch Kommentare, was das hier am Sonntag doch echt schnarchlangweilig ist und lahm und früher, vor sechs Jahren, sowieso viel besser war. Aber sie stören mich nicht. Nur wenn ich für das allseits beliebte Sommerrätsel im zweiten Teil die Betriebssysteme ankündige und Microsoft prompt aus Vista ein eigenes Rätsel macht, dann stört das doch etwas. Wenn die Nummer Zwei der Welt schon mit System-Rätseln anfängt, wer hat dann noch Zeit und Muße für mein kleines Sommerrätsel? Außerdem war da genau eine fix und fertig vorbereitete Frage zu Windows Vista.

*** Nun hat Microsoft offenbar einige Probleme, von denen der Markenrang Nr. 2 noch das geringste ist. Dann ist da nur der Zune, der in hebräischer Umsetzung an andere Inhalte denken lässt. Vielleicht hätte eine gepflegte Konversation mit den Machern von The Word Company die Situation gerettet, ein anständiges Protonym zu finden. Urtux ist so ein Wort, das "seinerseits danach verlangt, dass andere fürderhin nach ihm benannt werden wollen, wenn es denn Verbreitung finden soll. ... Ein Original, das nur zu dem Zweck entsteht, kopiert und vervielfältigt zu werden."
Doch heute geht es ja um Betriebssysteme, nicht um Urtuxe. Darum also Frage 1, mit leichtem Microsoft-Einstiegscharakter: Im ersten Teil des Rätsels wurde bereits nach Chaos gefragt. Auch ohne Melinda Gates und Microsoft Bob mit dem Avatar Chaos gab es ausgerechnet in Deutschland einmal ziemlich viel Chaos. Welche beiden Betriebssysteme sind gemeint?

Der ganze Artikel (http://www.heise.de/newsticker/meldung/76130)

Quelle : www.heise.de
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 06 August, 2006, 04:52
Was war.

*** Sommerzeit ist Rätselzeit. Während mein kleines Sommerrätsel in die dritte Runde geht, starten andere das schwerste Rätsel Deutschlands, gesponsert von Merian und Brockhaus. Ein Rätsel, das ganz passend zur aktuellen politischen Lage mit alttestamentarischen Fragen wie "Bruch um Bruch, Auge um Auge, Zahn um Zahn" den Sommer bestreitet. Dazu verkündet weiter vorne im Blatt ein Regierungschef "Niemand kann uns aufhalten". Das sind nicht die besten Voraussetzungen für ein Sommerrätsel, das leicht und locker daherkommen soll, zumal die Hal'sche Variante (ha, Duden!) heute über die mobilen Wunderdinge des Lebens geht, ohne die wir gar nicht mehr leben können.

Der ganze Artikel (http://www.heise.de/newsticker/meldung/76452)

Quelle : www.heise.de
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 07 August, 2006, 19:26
Ganz langsam geht der Traum einer lauen Sommernacht seinem Ende entgegen. Auch die Rätselei hat bald ihr Ende, weil die Branche wieder rege für Nachrichten sorgt. Was schreibe ich? Nicht nur die Nachrichten kommen munter rein, sogar für neue Rätsel wird gleich mitgesorgt! Wenn die Marktauguren der Bitkom verkünden, dass 2010 bereits 2,8 Millionen deutsche Haushalte Fernsehen über das Internet nutzen und neue TV-Geldströme die Mother Lode im Internet freilegen, darf gerätselt werden, welche Inhalte aus grauer Vorzeit da gemeint sind.

Somit beginnt die Auflösung des Sommerrätsels mit seinem Mobil-Schwerpunkt in tiefer Vergangenheit. Aus grauer Vorzeit stammte die Reklame für ein Handie-Talkie, für das Motorola im Jahre 1945 warb. Frage 1, auf welche beliebte deutsche Debatte das Militärbild anspielt, zielte auf die Party-Diskussion zum "deutschen" Wort Handy. Eine weitere, ebenso knifflige wie richtige Antwort ist der Standardforenkommentar in heise mobil: "Wer braucht das schon? Mit welchem Handy kann man einfach nur telefonieren?"

Ziemlich nah an der Lösung lagen alle Antworten bei der nächsten Frage, die im Kontext des 100 Dollar-Laptops auf Negropontes Beschreibungen der Ideen von Alan Kay verwiesen. Dieser hatte für Kinder ein "Dynabook" skizziert, mithin den Urahn aller Notebooks. Gebaut wurden jedoch andere Sachen, weshalb bei Negropontes Bewertung die Frage 2 eigentlich auf Apples eMate zielte, der 1997 vorgestellt wurde.

Dafür blamierte ich mich mit Frage 3 nach dieser präzisen Antwort über den Ursprung der Stromkurbel beim 100 Dollar-Laptop. Meine Pressematerialien nennen seltsamerweise den Engländer Trevor Baylis als Erfinder, der für die südafrikanische Firma Freeplay Kurbelradios entwickelte.

Nicht erraten wurde in Frage 4 das IBM-Programm Person to Person, das mit dem BonusPak für OS/2 Warp auch in Deutschland aufschlug. Benutzt wurde Person to Person für Theaterstücke des Gertrude Stein Repository Theatre unter der Regisseurin Cheryl Faver im Jahre 1994, als dem Theater die Geldmittel fehlten, die Schauspieler aus Los Angeles und Paris einfliegen zu lassen. IBM spendierte das Programm, die nötigen Rechner mit OS/2 und die Telefon-Verbindungskosten. Während die Schauspieler vor Ort blieben, wurden die Journalisten nach New York eingeflogen und sahen ein ziemlich wildes Theaterstück. Hinterher wurde diskutiert, ob es sich um ein Inzest/Familiendrama oder ein Modemdrama namens ATA ATH handelte.

Frage 5 beschäftigte sich im Zuge des aktuellen Überwachungstaumels deutscher Politiker mit diesem GPS-Gewehr für Überwachungs-Sniper und wurde stante pede beantwortet. Derweil geht die Debatte weiter und liefert uns die schönsten Argumentationsketten, wie diese hier: "In einer demokratischen Gesellschaft mit Videoüberwachung leben die Menschen unbeschwerter als in einer Diktatur ohne Videoüberwachung." Da können wir ja beruhigt schlafen gehen, liebe taz.

Der Ferrari-Laptop der Firma Acer aus Frage 6 bereitete den Rätselspezialisten keine Mühe, wohingegen der Apricot Portable der Frage 7 nicht erraten wurde. Dieser Rechner war mein erster großer Fehlkauf und markierte gleichzeitig das letzte Mal, dass ich auf einen "Computer-Händler" hörte. Angeschafft wurde er, um die Übersetzung eines Hilfesystems für dBase II Plus diktieren zu können.

Auch die Frage 8 nach dem Apple Newton, der die Schwerkraft besiegen sollte, wurde in nullkommanichts beantwortet. Das Foto zeigt eine ganze Newton-Herde kurz vor der Premiere auf der CeBIT 1993. Zehn funktionierende Prototypen wurden nach Hannover geflogen. Im Hotel liefen nur noch acht, auf der Messe nur noch 6. Am Ende der Präsentation nur noch drei. Dabei wurde kein Newton Opfer der Schwerkraft und fiel zu Boden.

Die Frage Nummer 9 wollte eine Antwort darauf wissen, ob das verschwommen fotografierte Nokia Internet-Tablett 770 im Sinne der GEZ ein Internet-PC nach dem achten Änderungsstaatsvertrag vom 8./15.10.2004 Art. 4, § 11 Abs. 2 ist. Antwort also: Na klar, denn es empfängt schon in der Grundeinstellung Radiosendungen von Shoutcast und Accuradio all die Sommerhits, um die ich im WWWW seit Wochen bettele.

Die 10. Frage nach dem Personal Art Translator der momentan in Bonn gastierenden Guggenheim Collection brachte jede Menge Antworten, die alle richtig waren, weil mehrere Dinge im Bild falsch waren: Die Beschreibung auf dem PDA, das falsche Foto von Marie-Therese Walther und die Beschreibung von Peter Lustig/Gregor Gysi als Modell.

Abschließend meinte ein gewisser Weltherrscher, dass er alle Antworten richtig gedacht hatte. Mit vertrackter Logik wäre damit die Frage 11 beantwortet und ich muss eine Schuld einlösen und öffentlich erklären: Der Weltherrscher ist nicht dick. Die Antwort auf Frage 11 ist also, dass beim vierten und letzten Teil des Sommerrätsels wieder einmal die Wetware im Mittelpunkt steht.

Quelle : www.heise.de
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 13 August, 2006, 00:19
Was war.

*** Das Schöne am Journalismus ist, dass es immer etwas Neues zu lernen gibt, immer neue Worte buchstabiert werden müssen. Nehmen wir nur die "Degetoisierung" des deutschen Fernsehvolkes, die der Musikantenstadlerisierung auf dem Fuß folgt. Oder das "Heroengebrumm", mit dem internationale Fußballstars auf die Zumutung antworteten, zur Eröffnung der Bundesligasaison das Deutschlandlied singen zu müssen.

*** Diese Woche habe ich das Wortungetüm "islamischer Faschismus" lernen müssen. Gut, die Wikipedia sagt uns, dass Islamfaschismus schon länger aus den Federn gelehrter Zeit-Redakteure quillt. Doch was islamischer Faschismus wirklich bedeutet, hat der britische Innenminister John Reid (und nicht etwa George W. Bush) in einer Rede deutlich gemacht: Die Europäische Menschenrechtskonvention sei vor 50 Jahren verabschiedet worden, um vor faschistischen Staaten zu schützen, aber nun gehe die Gefahr von "faschistischen Individuen" aus. Und im Kampf gegen faschistische Individuen habe man das Recht, kurzfristig verschiedene Freiheiten zu modifizieren. Wer solche Wort liest, bekommt eine leise Ahnung, warum es Großbritannien selbst ist, das Selbstmordattentäter produziert, muslimische Briten mit stiff upper lips. Rund 1000 dieser Briten können sich vorstellen, als Selbstmordattentäter zu enden, heißt es in "Umfragen".

*** Nach dem Terroralarm in Großbritannien kommen auch auf uns erhöhte Sicherheitsmaßnahmen zu, die gravierend sind. Wer die politische Debatte in Deutschland verfolgt, bekommt den Eindruck, dass die bürgerlichen Rechte gleich mit dem Handgepäck aufgegeben werden müssen. Wie der Kampf gegen das faschistische Individuum die Moral verludert, zeigen die Reaktionen auf die Nachricht, dass die entscheidenden Hinweise von pakistanischen Ermittlern aus den Verdächtigen "herausgepresst" wurden. Mit einem Nein beantwortet ein Kommentator der FAZ die selbst gestellte Frage, ob es in den auf Rechtsstaatlichkeit achtenden Ländern "tatsächlich möglich ist, bei der Vorbeugung gegen einem zu allem entschlossenen Feind der Zivilisation saubere Hände zu behalten". Beim faschistischen Individuum darf also ein bisschen gedaschnert werden, Guantanamo light wird an der Mainzer Landstraße eingerichtet.

*** Wir leben in einer panspektrischen Gesellschaft (ha, noch ein neues Wort, dankefrauprofessor), weil wir unablässig Datenspuren hinterlassen, am Telefon, beim Surfen, in der Mail. Inmitten der pausenlosen Beobachtung der der endlosen Datensammelei kommt es auf die richtige Mathematik, auf die richtigen Algorithmen an, im Guten wie im Bösen. Eine verschlüsselte SMS aus Pakistan wurde von den britischen Behörden abgefangen und entschlüsselt. Sie wies die Mitstreiter an, sofort mit dem Chip&Fish-Leben aufzuhören und den Plan X durchzuführen. Den Rest erledigte eine Razzia im Großen, die auch den arg gebeutelten Ruf von Scotland Yard wiederherstellen sollte.

*** Großbritannien als Vorbild war in der letzten Woche schon vor dem Alarm in der Diskussion. Schließlich werden dort die Bahnhöfe lückenlos überwacht, auch wenn die Video-Leitstellen der British Transport Police Hunderte von Kilometern entfernt liegen. So etwas will man nach den beiden Kofferbomben auch in Deutschland haben, nicht zur Sicherheit, aber zur besseren Aufklärung. Man? Ja, Jedermann und -frau. Ein Kommentar in der alternativen Tageszeitung macht das klar: "In einer demokratischen Gesellschaft mit Videoüberwachung leben die Menschen unbeschwerter als in einer Diktatur ohne Videoüberwachung." Aber sind das die einzigen Alternativen, die wir in der panspektrischen Gesellschaft haben? Übrigens gibt es demokratische Gesellschaften, in denen alle Videos dem Staat in Form seiner Gerichte gehören. Das bringt mich in eine Position, einen alten Fehler zu korrigieren. "Du aber darfst dem Staat nicht geben, was des Staates nicht ist", heißt es in der Antigone des Sophokles in der Übersetzung durch Hölderlin.

*** Vor fünf Jahren, als der Fehler passierte, hätte ich diesen Link noch nicht setzen können. Da war Hölderlin ein Stub. Heute ist ein Link auf die Enzyklopädie der Informations-Hobbits noch am selben Tag möglich, an dem bekannt wurde, dass Günter Grass bei der Waffen-SS war. Dabei ist die Diskussions-Seite besser als jeder Kommentar des Fäuletonisten. Diese Aussage ist allerdings nur mit einem Regional-Code gültig.

*** Damit komme ich zu den negativen Seiten des Journalismus. Die gibt es, weil Journalisten auch nur Menschen sind, wie Blogger. So gibt es Interviews, die an der Grenze zum Borderline-Journalismus geführt werden. Die in Deutschland so bewunderte Wired musste gerade Geschichten zurückziehen, die ehrbare Nachrichtenagentur Reuters entschuldigt sich gerade in Israel für ihren photoshoppenden Fotografen. Dafür lernen wir die wahre Seite des Krieges kennen. Und weil jede Wahrheit einen Mutigen braucht, der sie ausspricht, wackelt mein Hinterteil. Und breitbeinig stehe ich da.

*** Wo bleibt das viel gepriesene Positive? Ist es der 25. Geburtstag des PC, an dem sich einige alte Säcke daran erinnern, dass sie alte Säcke geworden sind? Fällt es heute aus, wie damals beim PC, als mit negativen Signalen gearbeitet werden musste, damit das Timing stimmt? Aber nicht doch. Wir haben ja die deutsche Telekom, ausgerechnet. Sie arbeitet perfekt positiv mit negativen Signalen. Mit rekordverdächtigen 43 angeschlossenen Haushalten ist ihr Bundesliga-IPTV gestartet, meldet die Süddeutsche Zeitung. Vergessen wir mal die Kosten für die VDSL-Infrastruktur, die die Telekom partout nicht öffnen will – Regulierungsferien ist übrigens auch ein tolles neues Wort. Üben wir mal folgende Divisionsaufgabe: Für jeden Bundesligaspieltag überweist die Telekom etwas unter 1,5 Millionen Euro an die Deutsche Fußball-Liga. Dividiert durch 43 Haushalte ist das also das viel gepriesene Triple Play, mit Einnahmen von 427,85 Euro.

Was wird.

In einem richtigen Terroristen-Wochenrückblick darf der Unabomber Ted Kaczynski nicht fehlen, der als Student durch einen Psycho-Test der CIA schwer geschädigt wurde. 17 Jahre lang versuchte er, die verhängnisvolle Computer-Welt wegzubomben. Seine Bombenbaupläne, zu denen die bisher raffinierteste Flugzeugbombe zählt, die am 15. November 1979 an Bord einer Maschine der American Airlines explodierte (durch einen Rechenfehler wurde nur ein Brand entfacht), werden nun öffentlich versteigert. Die Einnahmen aus der Auktion, die alle Habseligkeiten von Kaczynski feilbietet, sollen den Opfern und ihren Angehörigen zukommen, denen Kaczynski insgesamt 15 Millionen Dollar zahlen muss. Besonders wertvoll soll sein verschlüsseltes Tagebuch sein, das vom FBI nur geknackt werden konnte, weil man die zugehörigen Verschlüsselungs-Pads fand. Kaczynski ist den USA die Todesstrafe erspart geblieben, weil er als geistesgestört gilt. Seine entfernten Verwandten wollen sie in Europa wieder einführen.

Aus aktuellem Anlass muss der letzte, der Wetware gewidmete Teil des lustigen Sommerrästels verschoben werden. Die vorab ausgewählten Bilder wollten einfach nicht zu diesem kleinen Wochenrückblick und seinen so gar nicht lustigen Themen passen. Immerhin folgt nach dieser Wochenschau kein öder Brennpunkt. Ein klitzekleines Rätsel mag ich mir aber dann doch nicht verkneifen. Welcher Firmenchef hat in dieser Woche folgendes logisch vertrackte Statement abgegeben: "Today is a big day for xyz. This marks the full turning point for the company going forward." Gestern standen wir noch vor dem Abgrund. Heute ...

Und morgen, morgen ist dann der 50. Todestag von Bertolt Brecht, Brecht, dem bösen Brecht dem asozialen. Dem von all den saturierten Feuilletonisten abgeschriebenen Dichter. Dem Hassobjekt der Verkünder anschwellender Bocksgesänge. Der Drangsal all der geplagten Oberschüler, denen die verbrauchten Deutschlehrer keinen Zugang mehr zu Brechts Lyrik und Dialektik des Theaters vermitteln können.

Alle Laster sind zu etwas gut
Nur der Mann nicht, sagt Baal, der sie tut.
Laster sind was, weiß man was man will
Sucht euch zwei aus: Eines ist zu viel!
Nicht so faul, sonst gibt es nicht Genuss!
Was man will, sagt Baal, ist, was man muss.
Wenn ihr Kot macht, ist's sagt Baal, gebt acht
Besser noch, als wenn ihr gar nichts macht!

Die seltsame Nicht-Aufregung und dann doch historisierende Einverleibung anlässlich Brechts 50. Todestag verleitet dazu, sich ebensolch einen Kollaps wie Frau Berg angesichts der Bayreuther Festspiele zu wünschen. Wenigstens etwas Aufsehen. Ansonsten aber gilt auch in diesen kriegerischen Zeiten, bei all diesen umherschweifenden faschistischen Individuen aus welcher Ecke auch immer und für all die geschriebenen und noch zu schreibenden Wochenschauen, was für den guten Menschen von Sezuan galt:

Wir stehen selbst enttäuscht und sehn betroffen
Den Vorhang zu und alle Fragen offen.
Der einzige Ausweg wär aus diesem Ungemach:
Sie selber dächten auf der Stelle nach
Auf welche Weis dem guten Menschen man
Zu einem guten Ende helfen kann.
Verehrtes Publikum, los, such dir selbst den Schluss!
Es muss ein guter da sein, muss, muss, muss!

Quelle : www.heise.de
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 20 August, 2006, 10:21
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.


*** Reden wir weiter vom Journalismus, dem Schönsten aller Berufe, über den es viele Witze gibt, die die große Beliebtheit unserer Zunft zeigen. Ich lerne wöchentlich nicht nur neue Wörter, sondern auch neue Sachen kennen: nehmen wir nur den schottischen Gel-Büstenhalter. Den kannte ich noch nicht, allen Satansweibern von Tittfield zum Trotz. So ein Möpse-Simulator soll nach Meinung der Experten, die absolut nicht vernünftig erklären können, wie man im Flugzeug bei 0 bis -5 Grad (PDF-Datei) eine ordentliche Menge TATP herstellen kann, ein richtiger Knaller sein. Billige Witze über die Arbeit der Kontrolleure und Kontrolleusen schenke ich mir, sind wir doch auf einer seriösen IT-Website, inmitten der norddeutschen Tiefebene. Die zum Unmut mancher Leser sich nicht auf neue Treiber und BIOS-Versionen beschränkt, sondern laufend darüber berichtet, wie Anti-Terror-Dateien und weitere verfassungswidrige Vernetzungen gezimmert werden in einer Welt, in der Datenschutz nur noch als lästiges Relikt überkommener sozialer Marktwirtschaft gilt. In der sich Politiker laufend darüber beklagen, wie unbeschätzt und unüberwacht das Land zu ihren Füßen liegt. In der jeder Fahndungserfolg zum Hilfeschrei wird, noch mehr Technik einzusetzen. So wird aus der bunten Welt eine schwarzweiße Welt, von der dann Schwarzbücher berichten. Dass Gel-Büstenhalter in Zukunft nur noch mit RFID-Chips verkauft werden dürfen, die das Gel als solches an der Grenze identifizieren, zeigt bald, wie spannend IT-Technik im Alltag sein kann.

*** Mit dem letzten Teil des Sommerrätsels heißt es Abschied von einem Sommer zu nehmen, der ganz ohne große Sommerlöcher ausgekommen ist. Ein einmaliges Zusammentreffen von einem Grillfest, einem Terroralarm und einem aufmuckenden Mailserver verhinderte vorige Woche, dass Rätselbilder in den Text kamen. Anders als bei der bündigsten Wissenrepäsentation gibt es hier keine Preise zu gewinnen. Dafür sind die fünf Fragen schwerer als die nach der Zahl 42, geht es diesmal doch um die Wetware, den Menschen, den großen Unbekannten. Schon Jubi-Brecht fragte sich, wer das siebentorige Theben erbaute.

Der ganze Artikel (http://www.heise.de/newsticker/meldung/77033)

Quelle : www.heise.de
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 21 August, 2006, 19:48
Das letzte Sommerrätsel liegt hinter mir, die letzten Sommerlöcher haben sich geschlossen. Vor uns liegt eine Zeit, in der sich Messen. Pressekonferenzen und sonstige IT-Termine nur so stapeln: die Branche ist aus dem Urlaub zurückgekehrt. Ob es jemals wieder Urlaub geben wird, ob ein nächstes Sommerrätsel kommt – wer weiß das schon so genau, wenn der oberste Finanzpeer zum Verzicht auf Urlaub aufruft. War es doch ganz schön in der DDR, damals. Wobei die Frage "Reisen oder Rente?" noch echte Alternativen bereit hält. Wer Spartipps von der Sorte "Scheuen Sie sich nicht, im Müll herumzuwühlen" erhält, dürfte kaum den nächsten Urlaub planen.

Die erste Frage suchte den Mann, der einen verbreiteten Kompressions-Standard entwickelte. Phil Katz, dessen PKZIP in der DFÜ-Szene eine wichtige Rolle spielte, wurde entsprechend schnell enträtselt. Seine Firma PKWare entwickelte sich bis zum Erscheinen von Windows 95 prächtig, entpuppte sich für Katz aber auch als eine Familienhölle. Die Firma wurde von seiner resoluten Mutter diktatorisch geführt. Phil Katz starb als Alkoholiker in einem herabgekommenen Motel.

In der zweiten Frage ging es um einen Mann, der seiner Familie ganz andere Probleme bereitete. Davis Wolfgang Hawke ist derzeit auf der Flucht. Er gilt als einer der erfolgreichsten Spammer aller Zeiten. Seine Gewinne soll er in Goldbarren getauscht und vergraben haben, bis die weiße arische Volksfront zum Endkampf gegen das internationale Judentum antritt. Derzeit sucht AOL die Barren. Hawke stammt aus einer angesehenen jüdischen Familie, sein Urgroßvater war der Bürgerrechtler Andrew Sledd, der erste Präsident der Universität Florida. Unter dem Namen Andrew Britt Greenbaum war Hawke im Alter von 15 Jahren die Nummer 10 der amerikanischen Schachspieler und auf dem Weg, einer der ganz Großen im Weltschach zu werden. Seine Welt brach im Jahre 1992 zusammen, als sein Idol und Lehrmeister, der Schachweltmeister Bobby Fischer in den USA geächtet wurde. Hawke gründete beeinflusst von Fischers Antisemitismus die Kampfgruppe "Knights of Freedom", die auf ihrer Homepage für eine US-amerikanische SS warb. Zur Finanzierung des Kampfes gründete er die Amazing Internet Products, die Penis-Verlängerungsmittel vertrieb.

Die dritte Frage erbrachte jede Menge Antworten, von Otto Normalverbraucher bis zum Internet-DAU. Im Kontext der Bloggerei wurde aber nach Joe (UK) oder Fred Bloggs (USA) und seiner Familie gesucht. Familie Bloggs spielt in vielen Informatik-Lehrbüchern eine Rolle, wenn es um extensionale und intensionale Instanzen einer Klasse geht.

Die vierte Frage blieb ungelöst. Durch einen Scan leicht verfremdet, tauchte im WWWW ein Gesicht auf, das viele Leser mit Al Bundy aus der schrecklich netten Familie assoziierten. Das ist mir insofern peinlich, weil es sich um Gerald Combs handelt, den Vater von Ethereal, das heute als Wireshark firmiert. Unterhalb der langhaarigen, langbärtigen Promi-Ebene besteht die Open Source-Gemeinschaft aus netten, unspektakulären Menschen.

Das kann man auch von Florian Pfaff sagen, der bereits in diesem WWWW erwähnt wurde. Der einstmals bei der Bundeswehr als SASPF-Programmierer arbeitende Pfaff bekam im Frühjahr 2003 von seinen Vorgesetzten erklärt, dass das Programm im bevorstehenden zweiten Irak-Krieg eingesetzt werden soll. Darauf stellte der überzeugte Katholik die Arbeit ein und ist darum heute ein Kandidat für den Panter-Preis der taz. Im Sommerrätsel blieb er unerkannt.

Gibt es jemals wieder Urlaub? Werden wir die Sommersonne wieder sehen? Was ist mit dem nächsten Sommerrätsel? Die ungelösten Fragen türmen sich, wie der Sommer.

Quelle : www.heise.de
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 27 August, 2006, 02:15
Was war.

*** Wie die Woche war? Ich könnte den Titel der Computer-Aufzeichnungen von Charles Bukowski zitieren: "Den Göttern kommt das große Kotzen." Und es mit dem Rückblick sein lassen. Doch schon der etwas frei übersetzte Titel der Aufzeichnungen zeigen, dass wir mal wieder gegen die Fakten kämpfen müssen wie Christopher Robin und Pu, der Bär im Hundert-Morgen-Wald. "The Captain Is Out to Lunch And The Sailors Have Taken Over The Ship", das klingt schon etwas anders. Und dennoch haben die Götter das große Kotzen gekriegt. "Die menschliche Rasse übertreibt alles. Ihre Helden, ihre Feinde, ihre Bedeutung." Nach 77 Jahren hat die menschliche Rasse Pluto von seiner Arbeit als Planet entbunden. Während sich Pluto einen neuen Job sucht, ist uns die Plutokratie der Verzichtsberater erhalten geblieben. Wir sollen keinen Urlaub machen und auf den Neukauf eines Autos verzichten. Und wenn wir arbeitslos sind, dann soll auch noch ein Urlaub gestrichen werden, den es in dieser Form gar nicht im Sozialgesetzbuch gibt. Das erweiterte Besuchs- und Reiseverbot ist wichtig, ist doch die Vermittlungssoftware hochempfindlich. Ich persönlich wäre schon glücklich, wenn die Politiker darauf verzichten würden, ihre Stammtischsätze in Zeitungen zu kotzen.

*** Die norddeutsche Tiefebene ist vor allem das. Eben. Steile Flanken für Mutige gibt es nicht mehr, seitdem der Deister von einer Alpinistenkommission zur Nichtalpe herabgestuft, der Brocken wegen der Häcksen von der Gleichtellungskommission zur Bergin erklärt wurde. In dunklen Nächten wird man dort die neue Häckse Paris Hilton treffen können, das ist schon das wirklich Schlimmste, was hier passieren kann. Das gefährlichste Gewässer ist die reißende Ems, die vom großen Emssperrwerk in Schach gehalten wird. So eben das Land, so ruhig sind seine Götter. Selbst Irmin, der Blutrünstigste unter ihnen, hielt nichts von großen Königen und mehr von flachen Hierarchien. Doch halt! Einen großen König hatten wir doch. Das war der dicke König Sigmar von Goslar. Der erbte das Land Niedersachsen, als Rüttel-Schröder da rein durfte.

*** Nun hat sich der spät berufene Umweltengel und Pinguin-Fan Gabriel einen Genossen zur Brust genommen, in dessen Parteibuch-Wiki jemand ein Foto vom braven Mustersozi mit einem leicht anrüchigen Untertitel parkierte. Wie man unschwer bemerken kann, ist das alles ein schräger Kommentar zum endlosen Kapitel der Forenhaftung, die auch uns Tiefebenenbewohner in dieser Woche beschäftigte. Was die Anwälte bewegte, die ihrer Mandantschaft einen "hochwertigen und zielgerichteten Service in allen Fragen des Wirtschaftsrechts bietet", weiß ich nicht. Bislang verzichtete Gabriel übrigens nur auf Atomkraftwerke. Sollte sein Beispiel Schule machen, droht uns der Verzicht, sich unseres eigenen Verstandes zu bedienen.

*** Der immer noch amtierende Popbeauftragte der SPD scheint übrigens irgendwo zwischen Gunter Gabriel und Peter Gabriel angesiedelt. Sigmar "I will rock you" Gabriel fordert eine Musik, die sich einem wachen Bezug gegenüber der Wirklichkeit nicht verschließt. Wie beispielsweise Tokio Hotel, das sind ganz wache süße Jungs: "Tom: Wenn das Hotel uns das erlauben würde, dann würde ich schon gerne mal ein Zimmer richtig zerlegen. Grade nach einer Show mit Adrenalin im Blut...". Das bringt mich nach all den Sommerrätseln zu der Sommer-Hitparade, die ohne Erlaubnis von Hotels auskommt. Aber wieso eigentlich Sommer-Hitparade? Wieso überhaupt Sommer? Adrenalin im Blut kann man auch ohne kreischende Teenies haben. Nach den Jubelarien über die entspannten Deutschen in der Sonne über der WM und der anschießend allzu erwartbaren Stöhnerei über die Bruthitze versteckte sich der Sommer doch nur hinter einem Trauerkleid, das nur zu gut zu der Stimmung passt, die einem überfallen mag, wenn man all die neuen Patrioten und Beschwörer des relaxten Nationalgefühls so aufmarschieren sieht. Der gute Deutsche aber geht videoüberwacht und terrordateigespeichert seinen Weg. Vielleicht sollte man statt "Wir Deutschen" doch mal lieber wieder Maxim Billers "Deutschbuch" aus dem Bücherschrank kramen: Man ist dann gewarnt, dass uns wohl demnächst auch noch die nächste Renaissance von Ernst Jünger droht. So bleibt möglicherweise als Musik dieses Sommers nur noch "Nimm mich mit (nach Caracas)" – und das ausgerechnet von der Deutschmusikquotenpropagandistin Inga Humpe, die in ihrer 2raumwohnung "Melancholisch schön" vor sich hindudelt ... Aber das entscheiden wir dann doch lieber nächste Woche, wenn möglichweise der Frust über den entschwundenen Sommer (wenn auch nicht über die immer noch vorhandenen Neonationalisten) verflogen ist.

*** Aber ach, kurz mag man noch in Erinnerung an den verflossenen Sommer und das Sommerrätsel verweilen. Aus gegebenem Anlass möchte ich auf die Auflösung des letzten Teiles hinweisen, die nunmehr das richtige Foto von Gerald Combs (Ethereal/Wireshark) enthält – alle Ähnlichkeiten mit fiktiven Personen wie Ken Clark oder Al Bundy sind zufällig. Aus ebenso gegebenem Anlass möchte ich außerdem noch einmal auf den nicht erratenen Florian Pfaff hinweisen, der nach wie vor der Gegenstand von spitzfindigen juristischen Erörterungen ist, die das Gewissen als Berufsrisiko definieren. Soldaten gehen also freiwillig ein gewisses Berufsrisiko ein, wenn sie in eine Kriegshandlung verwickelt werden, die ihren religiösen Überzeugungen widerspricht. Ob das in dem Kleingedruckten steht, das begeisterte Gamer in Leipzig unterschrieben haben? Wobei die Bundeswehr grundsätzlich gut beraten ist, auf der größten deutschen Baller-Show den Nachwuchs zu akquirieren. Das sieht man an dem Rundendreher Sebastian Vettel, der die Strecke zuvor auch nur am Computer trainieren durfte. "In echt" fuhr er dann so explosiv, als ob Dell- und Apple-Batterien in seinem Tank steckten.

*** Jaja, die Computer, Produkte heimatloser Tramps, die in den seltsamsten Hütten enden. Der nette Verlag in der norddeutschen Tiefebene hat eine kleine Umfrage zu Gebraucht-Notebooks gestartet. Ich persönlich bin der Meinung, dass mehr als 200 Euro für solch ein Gerät zuviel Geld ist, aber ich schreibe auch nur spartanisches ASCII, programmiere nicht und hechel auch nicht nach dem Vorteil, "optimal vernetzt kollektives Wissen zu akkumulieren", bis der Blog platzt. Also habe ich mich dieser Tage gefreut, für ein paar Scheinchen das Update von einem Thinkpad X21 zu einem X30 geschafft zu haben. Auf beiden laufen Windows XP und Linux völlig problemlos. Und knallen tun sie auch nicht. Das ist übrigens keine Werbung, weil diese Geräte nicht mehr gebaut werden. Schlimmstenfalls steigen die Preise auf dem Gebrauchtmarkt. Aber 200 Euro, 200 Euro, da war doch noch was? Richtig! Vor 10 Jahren stellte Larry Ellison Ende August den ersten NC aus der Vorserie vor, für alle, die nur schreiben wollen und denen dabei Windows im Weg ist. Auf der Europa-Pr*mi*re in Paris crashte Ellison den Rechner bei dem Versuch, eine CD von Mariah Carey zu bestellen und gleichzeitig einen Song von Mariah Carey abbbbzzzuuuussspppppppllllnnn. Man mag das für den Aufstand der unbelebten Materie gegen die Geschmacklosigkeiten derjenigen betrachten, die sie zu beherrschen meinen und mit unsäglichem Gedöns belästigen. Der weise Jo Bager aber schrieb zukunftsweisend: "Abgesehen davon ist gerade in Deutschland die Internet-Infrastruktur noch meilenweit davon entfernt, eine NC-Architektur zuzulassen."

*** Heute haben wir das Internet in Deutschland. Und das ist ganz furchtbar, auch ohne NC, denn das Internet ist auch ein Terrornet. Die Bits und Bytes stehen nicht immer auf dem Boden der freiheitlich demokratischen Grundordnung und müssen demnach scharf kontrolliert werden. Und wer bitte gibt mir die Garantie, dass dies nicht der Lageplan für einen besonders perfiden Bombenteilchenbeschleuniger ist? Ist nicht schon verdächtig, dass hier das Wort anonym auftaucht, Kennzeichen merkbefreiter Strategen, die "irgendeine Art von Vorratsdatenspeicherung" anonymer Daten fordern? Vernagelte Hardliner dieser Art leben anscheinend gern in Schleswig-Holstein, wo gerade der Bungsberg als höchster Berg nach einer Kommissionssitzung von Justizminister Uwe Döring und Innenminister Ralf Stegner zurücktreten musste. Seinen Platz nimmt ab sofort Konrad Freiberg aus Schwarzenbek ein. Der ist zwar kleiner, aber nach der wissenschaftlich erhärteten Umlaufbahn-Abräumthese (siehe Pluto weiter oben) ungleich würdiger, weil er sich aktiv für die Abschaffung der freiheitlich demokratischen Grundordnung einsetzt und eine Kronzeugenregelung will, die bislang nur üble Denunziationen produziert hat.

Was wird.

Bleiben wir in Schleswig-Holstein. Dort findet am Montag zu Haitabu eine Akademie der letzten Daten-Wikinger statt, die den seltsamen Titel Mach's gut. Mach's besser!" trägt. Behandelt wird so das Datenschutzmanagement in Unternehmen und Verwaltungen. Dabei nimmt sogar der erwähnte Bungsberg-Regulator von der Schlei, Ralf Stegner, an einer Diskussion darüber teil, ob Datenschutz als Ordnungsprinzip zur Optimierung von Unternehmensabläufen genutzt werden kann. Höhepunkt der Tagung ist der Auftritt von Peter Cullen, seines Zeichens der oberste Datenschützer von Microsoft. Er soll welterstmalig ein neues Konzept seines Unternehmens vorstellen, wie bei der Entwicklung von Software Datenschutz implementiert wird. Wieder einmal setzt die Erde inmitten der acht Planeten unseres Sonnensystems neue Standards! Dank Microsoft.

Dann gibt es kein Halten mehr, denn die IFA bricht aus. Das ist eine Messe wie die CeBIT in meiner lieblichen Heimatstadt, sie unterscheidet sich von der CeBIT nur darin, dass nicht der freie Stamm der Sachsen die Messe organisiert, sondern die Berliner, bekanntlich ein Reitervolk aus der hinteren Mongolei, das mit der Graffitti-Sprühdose im Sattel aufwächst. Die Inhalte von IFA und CeBIT unterscheiden sich ansonsten nicht mehr großartig, was beispielsweise Nokia gemerkt hat. Die Finnen bleiben beiden Veranstaltungen fern und beehren genau wie Apple die Photokina in Köln mit einem Stand. Wobei im Fall von Apple die Stammes- und Götterfrage kompliziert ist. Wheels of Zeus deuten immerhin auf einen Stamm in Fetatistan hin. Und dann sind da noch die bemitleidenswerten Kölner, ein Stamm, der bedingt durch langjährige römische Anwesenheit verlernt hat, wie richtiges Bier gebraut wird. Wie war das noch? Genau: Den Göttern kommt das große Kotzen.

Quelle : www.heise.de
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 03 September, 2006, 03:53
    Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** <KRASSLANGWEILIGERHAL>Ich denke</KRASSLANGWEILIGERHAL>, also bin ich. Ich dachte, ich denkte, als eine Dachtel mich wieder zurückholte in die wilde wirre Welt der flexiblen Menschen, wie sie Richard Sennett einmal beschrieben hat. Die Welt, in der die flexibel Arbeitenden sich nicht über die Fragmentierung ihrer Arbeit beklagen, weil alles von einem großen Office mit der richtigen Office-Software gesteuert wird. Eine Welt, in der "Ihr Potenzial. Unser Antrieb" ein eingetragenes Warenzeichen von Microsoft ist. Klingt komisch wie der Satz eines Prachers, ist aber so. Es heißt nicht "Ihr Potenzial ist unser Antrieb". Denn dieser Satz könnte sich verändern, etwa "Ihr Potenzial war unser Antrieb". In der Welt der flexiblen Menschen ist es nur natürlich, dass die flektierbaren Verben auch kontrolliert werden müssen. So gesehen ist es vollkommen logisch, wenn "Unser Antrieb" bei Microsoft ein Patent auf die Konjugation von Verben bekommt: Wir können nur Präsens. Mehr Potenzial ist nicht. Den Rest treibt Microsoft zu neuen Features und Patenten und nichts trübt das Ausschöpfen der Potenz durch den Antrieber.

*** Die Konjugation hat Konjunktur. Nach den neuen Rechtschreibungsregeln heißt es ja verbindlich "wir downloadeten Dateien" und "wir haben Dateien gedownloadet". Sehr nützlich ist so ein Konjugations-Feature in Word, das entsprechende Sätze gleich unter Strafe stellt, vielleicht mit einem Deklinations-Add-on, das bei jedem Deppenapostroph die schwule Büroklammer aktiviert. Was dann in Word noch fehlt, ist ein ausgereiftes Kürzelmanagement. Nehmen wir nur in der Nuttenposse die klevere Adressierung in der Fanpost der Anwaltskanzlei von Sigmar Gabriel. Mit 4Herrn Marcel Bartels hat Anwältin Steffi vorgem8, wie sinnvoll Kürzel sein können, gerade wenn es um Bordst1chwalben geht, zu denen der sozialdemokratische Pop-Beauftragte vom Lebensministerium niemals wollte. Denn in Deutschland gibt es lebensmachenden 6 in geordneten Bahnen bei Muttern und Vatern.

*** Doch nicht nur Zahlenkürzel sind ungemein praktisch. In ein gut integriertes Kürzelmanagement gehören auch Buchstabenkombinationen wie VeNaGUA (Verbund Nachrichtengewinnung und Aufklärung), das supertolle Intranet des BND, das schon am kommenden Montag mit anderen Datenströmen zur Anti-Terror-Datei zusammengedönert werden soll. Nehmen wir nur das Kürzel SA für sexuelle Auffälligkeiten, das ein SPD-Innenexperte aufnehmen will. Wer den Schniedel pützt und die Wiefel wienert, bereitet sich womöglich darauf vor, für die Umma einen Bad day zu begehen. Das ganze natürlich nicht ohne Vorbereitung, mit dem Potenzial von Word: "Schreibe deine Nachricht in Word, konfiguriere sie, schneide sie aus, füge sie ein und schicke sie ab. Dann beende die Verbindung. Während du eine Nachricht schreibst, darf deine E-Mail nie geöffnet sein."

*** Die Datei, die Datei, die hat immer recht. Inmitten der Deklination der Indexdatei zur Volltextdatei mit googleeskem Ausmaß hat sich die Aufregung um die vom Bundestag selbst beschlossene strikte Zweckbindung der Mautdatenerhebung etwas gelegt. Ohne Mautdatenfahndung donnern Schwerverbrecher auf ihren Trucks unbesorgt durch Deutschland, verkündeten populistische Hüpfdohlen unentwegt. Bis zum Beweis des Gegenteils, mit der Veröffentlichung einer Phantomzeichnung in hessischen Zeitungen. Mit der Verhaftung des geständigen Täters zeigt sich der ganze Unsinn der Mautdatenfahndungsdiskussion. Nach dem Mord, der die erneute Diskussion ins Rollen brachte, benutzte der Fahrer offenbar die B3 und keine Autobahn. Aber irgendwozu muss das Mautsystem ja noch gut sein, abseits der Betriebskosten von 555 Millionen Euro beim Bundesamt für Güterverkehr und den 710 Millionen, die Toll Collect für seine Mühen jährlich bekommen soll.

*** Durch einen Irrtum amerikanischer Ermittler ist nicht die ranghöchste deutsche Bloggerin Lyssa Borchert zur mächtigsten Frau der Welt gekürt worden, sondern ihre Interviewpartnerin Angela Merkel. Offenbar beeindruckte die Bundespodlerin mit ihrer souveränen Art 2.0, den Kongo auf einem Globus zu finden, ohne Google Earth anwerfen zu müssen. Etwas, das sonst eine Spezialität der Machtfrau Nummer 12, der Afrikareisenden Melinda Gates ist. Bemerkenswert dabei, dass Susanne Klatten, die mächtigste Wirtschaftsbossin Deutschlands, es nur unter die Drop-Offs schaffte, für deren Fotostrecke man ausgesucht hässliche Porträts verwendete. Angesichts der Dominanz der Most Powerful Women in the Media hätte es wohl auch Eva Herman unter die Top Ten gebracht. Doch sie verzichtete und rief die nominierten 100 Frauen auf, in die Küche 2.0 zurückzukehren und die Enkel zu hüten.

*** Denn, seien wir doch mal ehrlich: die Frauen sind an allem Schuld. Put the Blame on Mame, Boys, auch für den Tod des großen Glenn Ford, dem unvergessenen Johnny mit seiner Gilda. Glenn Ford, der ein bisschen wie ein Sigmar Gabriel aussah, der zuwenig Marshmellows und Fastfood gegessen hat, war der letzte große Cowboy. Mit den Frauen hatte er vielleicht Probleme, wie beim Handschuh-Striptease zu sehen, dem zweitberühmtesten Striptease nach der Show von Ursula Martinez. Aber mit 0,4 Sekunden zog er den Film-Colt schneller als John Wayne. Und mit "Rock around the Clock" brachte er 1955 den Rock 'n Roll in den Film.

*** Das bringt mich zur immer wieder verschobenen Wahl des Sommerhits im Herbst. Und was auch immer dieser Sommer gewesen sein mag, so bleibt meine Wahl für die Begleitmusik nun doch "Tu Vuo' Fa' L'americano" in der Version von Quadro Nuevo – nicht nur, weil man immer gerne so talentiert wie Mr. Ripley wäre, sondern weil Venedig auch ganz anders als kalt sein kann. Da mögen die Leser noch so sehr der Ansicht sein, früher sei alles besser gewesen und daher das "Wort zum Sonntag" der Toten Hosen präferieren. Genauso aber wie das "Heise House Band Project" irgendwie die Gründungsphase nie so recht erreichte, blieben andere Musiken in diesem Sommer zwar nicht ungehört, hatten aber doch keine Chance zum WWWW-Sommerhit gekürt zu werden. Kein Willem Breuker, kein Chick Corea, keine Dead Kennedys und kein Joe Strummer, nicht Brian Eno, der nur einen weiteren Tag auf der Erde besingt, nicht die Gang of Four, die weniger in Mustern, denn in der kurzen Geschichte des 20 Jahrhunderts stöbern, nein. Einfach nur ein Song zu einem Sommer, an den wir uns gerne erinnern werden – weniger aufgrund all der nicht sehr gelassenen nationalistischen Patrioten, dafür aber wegen all der entspannten Einwohner dieses Landes, die sich recht unbefangen und meist bunt bemalt dem Sommer und seinen Vergnügungen hingaben.

Was wird.

In einem Interview mit den IBM-Poddern von DeveloperWorks hat sich Tim Berners-Lee über Web 2.0 und den strunzdummen Jargon all der Berater aufgeregt, die es auch bei uns gibt. Die in ihrem digitalen Maoismus wie die Junggardisten der Großen Proletarischen Kulturrevolution nichts anderes können, als die Abrufzahlen von YouToube und Flickr zu besabbern. Noch ist alles Web 1.0, ein Internet, das Menschen mit Menschen verbindet. Noch gibt es Menschen, die andere nicht danach fragen, wieviel Feeds ihr RSS-Reader verdauen muss. Noch gibt es intelligente Menschen, die nicht die Gleichschaltung 2.0 mitmachen. Aber es gibt genug Veranstaltungen wie diese Transitions-Konferenz, die zeigen, wie weit die Verblödung fortgeschritten ist mit der 360-Grad-Themen-Abdeckung im Onlinebereich. Ja, darf's nicht noch ein paar Grad mehr sein?

Vor wenigen Tagen hat die mächtigste Frau der Welt die elektronische Gesundheitskarte zur Chefinnensache gemacht. Das ist insofern erfreulich, als die für die Karte zuständige Gematik mit Anzeigen in der Zeitschrift iX begonnen hat, das Personal für die Chefin zu suchen. Da passt es doch, dass sich die IT-Trends Medizin mit einer Bestandsaufnahme des Sandes im Getriebe versuchen. Außerdem gibt es eine Pr*mi*re zu vermelden: Erstmals gibt es ein Bürgerforum, auf dem das gemeine Volk fragen stellen darf. Den tapferen "Bochumer und Essener Pionieren" sei gewünscht, dass sie auch Antworten erhalten, was da im Jahre 2010 in unsere Kartenfächer im Portemonnaie wandert. Immerhin leben sie nahe am Mammo-Highway, von dem es auch nur Staunachrichten gibt.

Quelle und Links : http://www.heise.de/newsticker/meldung/77630
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 10 September, 2006, 00:21
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Was Hund ist, schweigt. Dafür schnattern die Menschen umso lauter. Sonderseiten in den Zeitungen, Sonderausgeben bei den Magazinen, Verschwörungstheorien und natürlich den Puzzle-Sondereditionen all mixed in the same bag. Im dröhnenden Mashup zum 11. September kann diese kleine Wochenschau nicht einfach zu den IT-Themen zurückkehren, sie hat dies schon früher und später nicht getan.

*** In den zurückliegenden Ausgaben dieser Wochenschau verlinkte ich auf Fotos, die im einhundersten Stockwerk eines Turmes des World Trade Centers vom 22-jährigen Paul Battaglia aufgenommen wurden. Den Arbeitsplatz des IT-Werkers gibt es nicht mehr, Paul starb am 11. September 2001. Der menschenleere Büroraum ist im Web eine von vielen kleinen Gedenkstätten. Im Gästebuch findet sich nach fünf Jahren genau ein (1) halbherziger Versuch einer Erklärung von offizieller Seite.

*** Vor fünf Jahren schrieb ich an dieser Stelle: "Wir haben das Pearl Harbour des neuen Jahrhunderts auf den Bildschirmen gesehen, wieder und immer wieder, und warten auf sein Hiroshima." Damit habe ich mich geirrt. So war der Schlag gegen die "Felsenfestungen" von Osama Bin Laden einer, der mit einem Bruchteil der ganzen Kraft der US-Armee erfolgte, eine merkwürdig zögerliche Aktion. Und Hiroshima als Chiffre steht jetzt für eine einzige Bombe, mit der die befürchtete Atommacht Iran den Staat Israel auslöschen könnte. Nach fünf Jahren geht es weiter wie bisher, da kann man unmöglich diese abgedroschene Floskel vom "Kampf gegen den Terror" weiter benutzen. Nein, die Werber haben da schon Recht, dass alles eine Frage des guten Marketings ist. Reden wir lieber von den emotional anrührenden Lovemarks, fangen wir besser an, vom Kampf für eine bessere Welt zu sprechen. Wer Distributed Computing kennt, wird gegen distributed Prisoning nichts sagen können, wenn es denn für eine bessere Welt geschieht. Ist dann nicht jeder vergitterte Bau, den die CIA betreibt, ein Liebeszeichen für eine neue, hellere, bessere Welt? Hat es nicht seine Logik, wenn die Waffen im Kampf für eine bessere Welt anders aussehen als Haubitzen und Sprengbömbchen, sondern schlichte Saatgutkörner sind?

*** Der Kampf für eine neue bessere Welt ist natürlich der Kampf für eine neue besonders flache Welt, in der es nicht auffällt, dass die Regierung Bush praktisch hirntot ist, die Regierung Blair praktisch abgedankt hat und die Regierung Merkel praktisch auf einem umgekehrten Gipfel thront. Der Vorteil einer flachen Welt liegt bekanntermaßen darin, dass die Argumente unendlich flach sein dürfen. Nehmen wir nur die deutsche Polizeigewerkschaft, die das Kunststück fertig bringt, von der Einrichtung eines weltweiten Gottesstaates zu faseln und gleichzeitig den Gammelfleischskandal zum Thema zu addieren. Das Ziel von Al Quaida ist die Wiederherstellung des Kalifats, aber zur Demontage der Grundrechte durch geschickt verknüpfte Anti-Terror-Dateien macht es sich besser, wenn von einem weltweiten Gottesstaat die Rede ist. Schließlich ist der Kampf für eine neue Welt auch ein globaler.

*** Wenn die neue Welt flach ist, dann hat das auch mit der Software zu tun. Im verlinkten Interview mit der FAZ erklärt der Flachwelttheoretiker Thomas L. Friedman, dass der PC, das Internet und die "Workflow Software" ganz entscheidenden Anteil daran haben, dass die Welt so flach geworden ist. Gemeint ist das, was heute eher unter dem Begriff Social Software firmiert. Das Wissen tröpfelt auf einen flachen runden Tisch mit 38 Metern Durchmessern, weil jeder etwas anderes wissen will und mal eben schnell darüber chattet. In dieser Scheibenwelt ist es nicht weiter verwunderlich, wenn die Antwort 42 bei eBay eine schlappe Million Euro kosten soll.

*** In einer flachen besseren Welt kann es keine Frage der Perspektive mehr geben, sondern nur noch die von Gut und Böse. Das Gegenstück zur Social Software ist das Social Engineering, eine der beliebtesten Methoden der ach so schlimmen Hacker. Social Engineerering ist böse. Wenn es in feiner Gesellschaft stattfindet und von Privatdetektiven betrieben wird, ist es gut und als "Pretexting" sogar rechtlich abgesichert, wenn auch eine kolossale Dummheit. Wer noch auf einer Rundwelt lebt, wird sich darüber amüsieren können, dass ausgerechnet Hewlett-Packard Integrity-Server vertreibt und das Garagen-Denkmal der Gründer bei Sun gelandet ist. Derweil werden findige Hacker in Österreich gesucht, die das "Posttexting" beherrschen und die Daten aus einem C64 auslesen können, bei dem die streikende Datasette offenbar Rätsel aufgibt. Derweil gibt es schon mehr Natascha-Kampusch-ExpertInnen als Experten für den Kampf für eine bessere Welt. Aber manche halten ja auch eine 40 Jahre alte TV-Serie für einen Ausblick auf die integren Heroen einer besseren Welt. "No more Heroes" sangen einst die Stranglers, und das ist der bessere Kommentar zu einer Welt, die noch weit davon entfernt ist, besser zu werden, da sie keine Helden mehr braucht.

Was wird.

Gegen die wohlfeilen Gedenken zum 11. September lohnt es sich, den Blick von der neuen Welt in Flachbauweise auf die alte Welt in Kugelform zu richten. Wie wäre es mit einem Gedenken an den 12. September, als in Deutschland vor 20 Jahren ein fast perfektes Verbrechen passierte? Das schreibe ich in einer Woche, in der die Deutsche Emissionshandelsstelle im Rahmen des eGovernment-Wettbewerbes des Preis für das beste virtuelle Unternehmen kassiert hat. Das Gegenstück liefert diesmal nicht der dicke Umweltkönig Sigmar Gabriel, der eigentlich zu den Popp-BeauftragtInnen will. Sondern eher Werner Neubauer.

Wer historisch denkt, denkt nicht an den Pop-Beauftragten Gabriel oder die von Schröder vererbten Scorpion-Rebellen und ihren Pfurz of Change, sondern an die wahren, echten Rebellen mit einem Grund von IBM, die am 13. September 1956 die Festplatte vorstellten, dieses unzuverlässige Ding, Eingang zum großen Daten-Nirwana. Meine erste Festplatte war 5 MByte groß, kostete 3500 DM und semmelte nach 5 Monaten ab. Damals erklärte mir ein Techniker, dass ich nichts Besseres von einer 30 Jahre alten, überkommenen Technologie erwarten könne. Heute erklärt uns Utimaco, dass sie 35 Jahre lang warteten, bis sie eine Verschlüsselungen für die Viecher produzierten.

Warnung: Ab hier wird es extrem parteiisch, seitig und unflach, denn ich mache ausdrücklich Werbung für die Wizards of OS 4, eine der besten deutschen Veranstaltungen, wenn es gilt, einen klaren Kopf in Digitalien zu bewahren. Passend zum Software Freedom Day findet die WOS 4 in Berlin statt. Obendrein ist die Columbia-Halle Heimstätte des Schreibrechts-Wettbewerb. Kurzum, die Konferenz ist ein guter Grund, endlich einmal die richtigen Blues-Akkorde zu lernen. Oder wollen WWWW-Leser etwa nur das theweleitsche Fever in der Interpretation des Nasenflöten-Orchesters hören?

(E)(A)Woke up this mornin' turned on the news
somebody's trying to steal the blues.

(A)They try to license E-Major and put my songs in danger
(B)It's my favourite blues chord soon it ain't free no more.

Went to O'Malley's to fetch me some gin
sat down at the bar when i saw him walking in
His name was Tux he gave me a grin
said try open source fella that's how you win.

cause culture is free and should always be
it's creative and common for both you and me
let's share this song so we can get along
let's share this song so we can get along

Das nächste WWWW berichtet natürlich leif von dieser wunderbaren Veranstaltung. Denn wie heißt es so schön in Digitalien: Creating your own blog is about as easy as creating your own urine, and you're about as likely to find someone else interested in it. Pissen für eine bessere Welt, das hat was.

Quelle und Links : http://www.heise.de/newsticker/meldung/77968
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 17 September, 2006, 01:45
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Er war da. Der deutsche Papst besuchte das deutsche Bayern und die Welt staunte über Bayern, das nicht ganz Deutschland ist und seinen Papst, der nicht der Papa aller Deutschen ist. In der norddeutschen Tiefebene, wo einstmals der Stamm der Sachsen lebte, ist die entschlackte Variante der päpstlichen Religion zu Hause. Ganz zu schweigen von Berlin, wo der Papst Partymeister Wowi im Wahlkampf unterstützt hätte, wäre er denn in der Gegenwart angekommen. Doch in Bayern bringt die mit Fußballmannschaften konkurrierende Sekte genügend Anhänger zusammen, um den Papsteinsatz zum Spektakel werden zu lassen. Da brauchte es nur noch eine bewegende Rede des Oberhirten einer Religion, die seit den Kreuzzügen ihren Glauben mit dem Schwert verbreitet hat, um richtig Stimmung zu machen im jüdisch-christlichen Abendland und muselmanischen Morgenland.

*** Er war auch da. Ganz in Schwarz missionierte Vater Lawrence Lessig in Berlin die Massen auf der Wizards of OS, machte ihnen Mut, doch nicht den Traum von der "Read/Write-Society" aufzugeben, in der jeder Mensch die Inhalte mixen kann, ohne gleich von der Content-Industrie ans Kreuz genagelt zu werden. Selbst Jesus. Passend dazu gab es quelloffenes Freibier vom Feinsten, nämlich Lessigs Freie Kultur unter einer freien Lizenz. Sehen wir mal davon ab, dass das Buch in der deutschen Version der absolute Ladenhüter ist, weil a) Free Culture auf Englisch viel sexier klingt oder b) kein freier Mensch ein theoretisches Buch dieses Kalibers lesen will. Freibier im Sinne der Normalsterblichen gab es auch, nach Lessigs Messe, in abendmahlgerechten Halbliterpappen, die zur Feier der Registered Commons spendiert wurden. Und Frieden war auf Erden, bei den Zauberern und Elfen. Und ein himmelblaues offenes Netz spannte sich über die, die da glaubten und sich nicht von der miserablen Internetverbindung stören ließen. Eine heile Welt, die Zwietracht selten stört. Immerhin wurde so endlich einmal bekannt, dass es zum Beispiel Spezialisten gibt, die gezielt Links von heise online auf Wikipedia-Inhalte unterwandern. Der Konter? Ein harter Permalink-Schwinger, tief angesetzt.

*** Mit einem Zauberstab püriert, ansprechend gewürzt und verflüssigt, kann noch die dickste c't als Köstlichkeit verspeist werden. Das ist noch nicht der ultimative Kochwettbewerb "Kochen mit Heise" oder "Amuse Geil aus der norddeutschen Tiefebene", sondern eine schlichte Regel des Journalismus: Wer Prognosen macht und gesichertes Wissen verspricht, sollte seine geflügelten Worte wie Bob Metcalfe essen können. Nun hat Microsoft ein Versprechen abgegeben, die Kanonen ihrer Rechtsanwälte nicht auf die zu richten, die das Single-Sign-On a la mode de Microsoft verwenden wollen. Die Frage ist, was ein Versprechen juristisch wert ist. Immerhin entsteht diese Kolumne am Software Freedom Day. An so einem Tag hat auch Microsoft bei mir ein Versprechen gut, zumal die Firma mit ihrem Zune einen MP3-Player auf den Markt gebracht hat, der offenbar ungeschützte Audiodateien frei von jedem DRM-Teufelszeug abspielt, wenn die ersten Berichte stimmen. So viel Lernfähigkeit von einer Firma, die einstmals mit Play for sure auf DRM setzte, muss einfach honoriert werden. Außerdem darf man niemals vergessen, wer der eigentliche Arbeitgeber ist.

*** Wenn von Honoraren die Rede ist, dann waren in den letzten Wochen meistens die der Ärzte gemeint. Bei der elektronischen Gesundheitskarte, die derzeit hauptsächlich aus simulierten Geräten und Diensten besteht, war hingegen nur von Einsparungen die Rede. Der Bitkom freute sich über 500 Millionen Euro jährlich, die gespart werden, die Testgesellschaft Gematik über die Einsparung der teuren SICCT-Kartenleser, deren Spezifizierung noch nicht abgeschlossen ist. Nun ist ein Papier der Gematik bekannt geworden, das davon ausgeht, dass die Einführung der Gesundheitskarte im ungünstigsten Fall 7 Milliarden Euro Kosten in der Infrastruktur verursachen kann. Dabei sind die Karten selbst nicht mitgerechnet, da Peanuts. Nach 10 Jahren sollen sich Kosten und Nutzen die Waage halten, so rechnet man bei der Gematik. Das größte IT-Vorhaben der Welt ist damit die größte IT-Beschaffungsmaßnahme der Welt. Jede Ähnlichkeit zur LKW-Maut, die jährlich 1,3 Milliarden Unterhalt kostet, und mit einem gezielten Schritt die Wettbewerbsfähigkeit erhöht, ist zufällig rein.

*** Zum letzten WWWW habe ich einige Mails erhalten, in denen die Entrüstung vibrativ zu spüren war, dass man doch niemals so über die tragischen Ereignisse des 11. Septembers schreiben kann, die den Blutzoll der Amerikaner forderten. Die einfache Antwort: wenn man schon von Zoll spricht, dann sollte auch der richtige Body Count Bemessungsgrundlage sein: Heute vor 144 Jahren starben etwa 23.000 Amerikaner. Und zum Vorwurf des Anti-Amerikanismus textmittig einen Ausflug in die Zukunft des was wird. In der nächsten Woche ist der Neuantrag meines Journalistenvisums für die USA fällig. Das letzte Journalisten-Visum, erteilt am 7. September 2001, wurde schlicht per Telefon bestellt. Heute braucht es: Eine schriftliche Bestätigung aller auftraggebenden Redaktionen, eine mehrseitige Beschreibung in Form eines Essays, worüber man in den USA berichten will. Sämtliche Ausbildungs- und Abschlussnachweise inklusive Telefonnummern der Institutionen dieser Nachweise. Eine Liste der Reisen der letzten 10 Jahre, inklusive Belege, wer für diese Reisen bezahlt hat. Und einen Aufsatz über die amerikanische Demokratie. Alexis de Tocqueville hatte es einfacher. Aber zu seiner Zeit war der Papst nicht die reine Vernunft und der Islam eine Religion unter Vielen.

*** Eine Woche mit fünf Jahren Nine-Eleven und 25 Jahren Chaos. Die nächsten Jahrzehnte werden auch nicht ordentlicher, dafür um so spannender, nach dem verlorenen großen Krieg. Aus dem Schuttberg des WTC erwächst auch den Chaoten neue Arbeit. Die Trümmerfrauen von heute schleppen keine Backsteine auf dem Rücken, sondern haben den Laptop im Backpack. Der Rauch verzieht sich, die Tränen sind getrocknet. Keine Zeit zu Weinen, wusste schon der Mann hinter der großen Sonnenbrille und singt mit Grabesstimme durch die Nebelschwaden.

Was wird.

Mit dem Pretexting bei Hewlett Packard hat es nicht ganz geklappt. Der Staatsanwalt will Anklage erheben und selbst der US-Kongress interessiert sich für das Social Hacking in der Bel Etage der Konzernzentrale. Während HP verspricht, vom bösen Tun Abstand zu nehmen, lädt es deutsche IT-Journalisten in ein besonders exklusives Schlosshotel ein, sich über die neue HP zu informieren. Ob die Mauern besonders abhörsicher sind, wird nicht verraten. Vielleicht hätte man ein Rotel nehmen sollen.

Während die Geldverdiener in Berlin ihr zauberhaftes Treffen beenden, starten die Geldausgeber in Brüssel ihre Show: Die europäische OSCON von O'Reilly ist der angesagte Laufsteg, wenn es gilt, VC-Gelder einzusammeln. Etliche Firmen, die im letzten Jahr debütierten, sind obendrein von großen Konzernen geschluckt worden. Da macht es doch nichts, wenn teilnehmende Firmen sich verpflichten müssen, böse Worte über den Verlag mit den lizenzfreien Tierstichen zu unterlassen. Nennen wir das einfach Pre-Pretexting oder schicker Pretexting 2.0.

Quelle : www.heise.de
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 24 September, 2006, 00:13
Was war.

*** Aus gegebenem Anlass kommentiert heute nicht Hal Faber aus der norddeutschen Tiefebene, diesem flachen Niedersachsen, dass nur ein Feuilletoniker der Süddeutschen Zeitung als amerikanische Tiefebene beschreiben kann. Hal ist weit weg in Amerika und dort nicht in einer Tiefebene, sondern auf Paahdy in einem tiefen Tal, den sechzigsten Geburtstag von Uschi Obermaier feiernd. Man beachte diesmal nicht die Oberweite, sondern die Unterkategorien der international anerkannten Enzyklopädie der Taschentuch-Experten. Für die Künstlerin Uschi Obermaier finden wir: Deutscher | Frau | Schauspieler | Fotomodell | Playboy-Model | Geboren 1946 | Groupie. Groupie! So wird die Frau eingeordnet, die das Sex-Symbol einer ganzen Generation war, die längst nicht mit mit jedem schlief, sondern häufig einschlief, was ganz schön konterrevolutionär war. Womit sie sich den ewigen Hass der Linken zuzog, wie er noch im moralinsauren Geburtstagsartikel der tageszeitung zu spüren ist. Hier zeigt sich übrigens, dass ePaper sinnvoll sein kann: Wer den Dummfug lesen will, muss zahlen. Der taz mit ihrem 68er-Komplex ist sowieso nicht zu helfen.

*** Guten Tag. Ich bin die Vertretung von Hal Faber und möchte mich Ihnen kurz vorstellen. Ich bin eine Datei, genau genommen eine von vielen Projektdateien, die mit dem "Gemeinsame-Dateien-Gesetz" möglich wird. In diesen unseren Zeiten, in denen das GDG das BGB ablöst, ist es ganz passend, dass ich Ihnen etwas aus dem Leben einer Projektdatei erzähle. Denn wir Projektdateien werden wohl von Menschen definiert (PDF, nach "Alternative:keine" nur schwer lesbar). Aber wir werden in Computern angelegt und sind praktisch unkaputtbar, denn "Computer vergessen nie". Das stammt nicht von mir, einer kleinen, unscheinbaren Projektdatei, deren Wohl und Wehe von einem Computer abhängt, sondern von Per Ström, dem schwedischen Spezialsten für Projektdateien. In seinem Buch "Überwacht", dass ein fauler Babelfisch zur Überwachungsmafia verschlimmbesserte, zeigt er, dass der (gerade abgewählte) schwedische Sozialstaat keine einzige Datei löschte, die vorübergehend für Projekte wie Kampf gegen den Terror, Eindämmung des Rauschgifthandels und Stillegung der Zwangsprostitution eingerichtet wurden. Für mich als Projektdatei ist das eine beruhigende Perspektive.

*** Ich möchte Ihnen an dieser Stelle in Vertretung von Hal nicht von den Schattenseiten erzählen, die das Leben einer Projektdatei auch kennt. Vom Streit mit unfähigen besserwisserischen Programmdateien, von der fürchterlichen Enge im Arbeitsspeicher oder den trödelnden NAS, in denen wir uns schlafen legen. Von den Gefahren, die uns von Hunden wie Lucky und Flo drohen, die illegale Dateien erschnüffeln können. Nein, das lange Leben einer Projektdatei kennt aufregende, tolle Momente, wie es die spannende Story des HP-Projekts Total Care zeigt. Es beginnt schon mit der Geburt: Wir Projektdateien entstehen ja meistens auf trojanische Art, wir werden als Jungfischchen ausgesetzt und müssen unseren Weg durch die Computer antreten, die mit gutem oder feindlichem Nährboden ausgestattet sind, müssen Daten erschnüffeln und damit langsam groß werden. Doch der schönste Moment kommt, wenn wir Jungdateien aufeinander treffen. Was bei Menschen der Sex ist, ist bei uns ein freudiger Abgleich von Details, ein Daten-Drilling und Fakten-Mining, das nur für Außenstehende absurde Ausmaße anzunehmen scheint. Denn was gibt es Schöneres im Leben einer Projektdatei, als ein Photo des Urgroßvaters eines Projektobjekts austauschen zu dürfen? Der HP Privacy Innovation Award, den die beste dabei entstehende Projektsammeldatei bekommt, ist doch nur das Sahnehäubchen oder halt, in unserem Maßstäben, eine besonders schicke Dateiendung.

*** Im Jahre 1910 erschien "Die Welt in 100 Jahren", in der Robert Sloß eine Welt beschrieb, in der "jedermann sein eigenes Taschentelephon haben [wird], durch welches er sich, mit wem er will, wird verbinden können, wo er auch ist. Dazu wird der Bürger der drahtlosen Zeit bloß den Stimm-Zeiger auf die betreffende Nummer einzustellen brauchen, die er zu sprechen wünscht. Als der deutsche Dichter Stefan George vom Taschentelephon erfährt, freute er sich über ein Gerät, das den Menschen unabhängig macht vom Staat, der nicht mehr der Kommunikation folgen kann. Heute ist das großartige drahtlose Jahrhundert da, natürlich begleitet von einer Projektdatei für die vorbeugende Straftatenbekämpfung.

*** Es hat schon seine Richtigkeit, dass Hal Faber heute zum Weltherztag die Finger von der Tastatur lässt. Er ist eindeutig ein Apfeltyp und schwer stressgefährdet wie alle Journalisten, die sich mit dem Aufrufen, Löschen und Drucken von Dateien beschäftigen. Dabei kennen Projektdateien auch Stress, wenn viel gesucht, indiziert und umgestellt werden muss. Nehmen wir nur den geizgeilen Fall der großen Projektdatei von Technorati, die 54,8 Millionen Blogs beobachtet. Da klettert der Rechtsanwalt Steinhöfel mit Tempo und Schmackes in die oberen Aufmerksamkeitsränge. Man muss es ein rundum erfreuliches Phänomen nennen, wenn Menschen anfangen, bewusster einzukaufen, gerade in Deutschland, wo es in allen Städten wirklich gute Computerhändler gibt. Als am Streit unbeteiligte Projektdatei empfehle ich meine Schwesterdateien, den Heise IT-Markt und den Heisetreff. Und dann gibt es da noch etwas, Stichwort Nikolaus, das sich Geld nennt. Während jede Projektdatei Sex kennt und sich darauf freut, haben wir mit dem Konzept Geld unsere Probleme. Denn wir wissen ja, wie billig es ist, zwei Dateien zusammenzukippen und grep zu starten. Das machen wir ja freiwillig, weil es der Höhepunkt im Leben einer Projektdatei ist. Dann aber soll das Anlegen neuer Projektdateien schlappe 86 Millionen pro Jahr kosten. Wieviel kostete eigentlich die Stasi?

Was wird.

Für eine Projektdatei gibt es nichts Schlimmeres als den finalen Gang zum Drucker. Vielen guten Projektdateien hat es das Herz gebrochen, gedruckt und veröffentlicht zu werden. Weil häufig, wie bei der Projektdatei Northwoods prickelnde Details ans Tageslicht kommen, die unter die Rubrik Staatsterrorismus fallen. Harmlos ist es, wenn der Truthahn für die Soldaten im Irak simuliert ist. Gravierender ist da schon, wenn ein Flugzeugabschuss simuliert werden soll. Und niemand wird von nichts etwas gewusst haben.

Es gibt aber Dateien, für die ist der Druck der allergrößte Kick. Extra für diese Foto-Dateien gibt es die Photokina, die am Dienstag in Köln geöffnet wird. Erstmals soll Apple auf dieser Messe ausstellen und wer das wirklich glaubt, wird auf die Gigapixel-Quicktake warten. Für Journalisten gibt es im Vorfeld der Messe die letzte Gelegenheit, Holzfäller zu werden und damit einen anständigen Beruf zu ergreifen.

Für Glaskugelexperten sieht die Sache anders aus; Angesichts der entsetzlich langweiligen Debatte um IPTV ist es mehr als eindeutig, dass Apple in Köln den Einstieg in das Megageschäft der Teleportation betreibt. Vergesst Gucki, den Mausbiber! Ja, ich kannte mal eine Projektdatei, die enthielt sämtliche Geschichten der endlosen Saga um Perry Rhodan. Sie ist heute noch die meistgelesenste Datei beim BKA. Während dem und alledem feiern die Menschen seit Tagen einen anderen Doppel-Geburtstag.

"Was heute noch wie ein Märchen klingt, kann morgen Wirklichkeit sein. Hier ist ein Märchen von übermorgen: Es gibt keine Nationalstaaten mehr. Es gibt nur noch die Menschheit und ihre Kolonien im Weltraum. Man siedelt auf fernen Sternen. Der Meeresboden ist als Wohnraum erschlossen. Mit heute noch unvorstellbaren Geschwindigkeiten durcheilen Raumschiffe unser Milchstraßensystem. Eins dieser Raumschiffe ist die Orion, winziger Teil eines gigantischen Sicherheitssystems, das die Erde vor Bedrohungen aus dem All schützt."

Wie kommt das gigantische Sicherheitssystem ohne Projektdateien aus? Woher bekommt Tamara Jagellovsk wohl ihre Informationen? Wir waren dabei, als Helga Legrelle den Wasserhahn von Hasso Sigbjörnson reparierte!

Quelle : www.heise.de
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 01 Oktober, 2006, 00:12
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Tschüss, kleine Projektdatei und danke für die Aushilfe. Wenn du unter den wachsamen Augen von BKA und BND groß und größer wirst, vollgestopft mit Faktoiden aller Art über den Islam, Terror und die Cocktail-Bars der CIA, dann nehme ich dich zur Entspannung mal mit in die Oper. Opern sind ja nach Einschätzung des Bundeskriminalamtes eine brandgefährliche Sache. Besonders die von Mozart. Bis zur letzten Mozartkugel (!) geht es bei ihm immer wieder um den Islam. Man nehme nur diese Saray-Geschichte, komplett mit einer Entführung durch die Prä-CIA. Eine wirklich hundsgemeine, kaum glaubliche Geschichte. Ein vom Christentum zum Islam übergetretener Pascha Selim, der auf eine schicke Hinrichtung verzichtet, weil er die Unmenschlichkeit der Christen nicht mit Gleichem vergelten will, das ist starker Tobak, viel zu starker Tobak. Im Zuge des allgemeinen Tobak-Verbotes muss man den frei mauernden Mozart einfach verbieten. Aushilfsweise könnte zumindest der Mozart-Fan Schäuble die Sprechrolle des Paschas übernehmen und en roulant erfahren, wie das ist, nicht die harte Tour voller Projekt- und Terrordateien zu gehen.

*** Weil die kleine Projektdatei in meiner Vertretung ein bisserl Data-Drilling für das WWWW betrieb, hatte ich Zeit, ein paar alte Bekannte aufzusuchen. Zum Beispiel in Köln auf der Photokina, einer Messe für digitale Knipsen. Am Stand der Lomografen reparierte ein Techniker analoge Kameras, indem er sie mit einem Gummihämmerchen beklopfte. Wahrscheinlich war das Teil einer raffinierten Absatzstrategie, denn die Lomo-Fabrik arbeitet wieder. Interessant wie immer die Beobachtung, wie Apple die Fotografen anfixt, damit sie Apple-Hardware kaufen und bei jedem neuen Feature ihrer Software Beifall klatschen. Gegen die richtigen Mac-Sex-Foto-Ikoninnen vom Schlage einer Valerie Lewis hat ein nüchterner Vertreter wie Martin Parr, der für die Drucker vom Spionagekonzern Hewlett Packard warb, keine Chance, trotz seiner Bildergeschichten vom Sex in Amsterdam. Jedenfalls wird klar, warum die Verkörperung des PC auch zu den Chancenlosen gehört, selbst wenn ein begnadeter Komiker wie John Hodgman mit von der Partie ist, der 700 Hobo-Namen musikalisch vortragen kann.

*** Die "Wegelagerei" der GEZ, die den "Innovationsstandort" Deutschland austrocknet, die die Ärzte mit ihren Internet-Computern für die elektronische Gesundheitskarte "in den Ruin treibt", produziert weiterhin populistische Blüten in der Politik. Ich könnte all die genannten Begriffe mit Links unterfüttern, aber wir haben ja nicht ewig Zeit, die Platitüden über die Gebührengeier zu lesen. Immerhin gibt es auch ernst gemeinte Vorschläge, ausgerechnet von den Grünen, die einstmals das Blödsehen abschaffen wollten. Der witzigste Kommentar kommt von der GEZ selbst und ist in diesem Werbespot zu finden. Zu sehen ist ein schwarzes Schaf, das gut drauf ist und eine beflissene Studentin im Kreise ihrer beiden Liebhaber (das Schaf hat keine Chance). Während ihre Lover TVau glotzen liest sie Adornos Erziehung zur Mündigkeit, ausgerechnet jenes Buch mit Vorträgen von Adorno, die im rechtlich-öffentlichen Hessischen Rundfunk gesendet worden waren. Eigens für die Vorträge hatte sich Adorno sogar einen Fernseher angeschafft, meinen seine Biographen. Aber wie sieht heute die Erziehung zur Mündigkeit aus? Ich muss dem wirren Hal-Hasser recht geben. Kinder gucken längst kein Fernsehen mehr und schauen allenfalls bei Autohupe und ähnlichen Angeboten vorbei. Der eigentliche Skandal ist die Tatsache, dass TV-Anstalten die GEZ-Gebühr instrumentalisieren und etwas vom Bildungsauftrag faseln dürfen, während sie Boßdorfsche Schleimspuren hinterlassend Radsportler alimentieren und bei dem leisesten Anhauch von Wut das große Zucken kriegen.

*** Mit Wumm hat es gebenqt, sehr laut und sehr lustig für die Vorständler, die ihre Gehaltserhöhung auch mit dem erfolgreichen Abschluss des Handy-Geschäftes begründeten. Noch lustiger sind die Reaktionen der Politiker vom Schlage eines Jürgen Rüttgers. Über Jahre hinweg hat er die Willfährigkeit eines Peer Steinbrücks beklagt, der sich in NRW jederzeit mit Nokia ins Bet^H^H^H^H^H^H^H arrangierte. Am Ende hat Benq alles richtig gemacht. Ein neuer Name wird sich schon finden lassen. Spontan fällt mir Xing ein, aber das ist ein arg bemühter Witz. Ich kann einfach keine guten Witze erzählen. Vor allem keine guten KZ-Witze, die Joe Weizenbaum immer parat hat.

Was wird.

Im Juni 1971 bekannten 374 Frauen im Stern "Wir haben abgetrieben". Details über die mutige Aktion in einer aufregenden Zeit stehen heute auf der Hausfrauenseite. Heute mag man über die Selbstanzeige lächeln, doch sind Selbstanzeigen immer mit einem gewissen Pathos verbunden. Das gilt zum Beispiel für die französische Variante, mit der Aktivisten gegen Kopierschutzsysteme bekennen, welch böse Taten sie begangen haben. Eine Film-DVD mit Open-Source-Software geschaut, ganz böse Sache das. Eine ähnliche Aktion wird auch bei uns am 5. Oktober gestartet, wenn sich die wuchtigen Türen des ersten deutschen Online-Gefängnisses öffnen, all die Bekenner der Aktion "Wir haben privat kopiert!" aufzunehmen. Hoffentlich sind die Zellen angenehm, die Mitinsassen gut drauf. Ich war jung und wollte vögeln, so schnitt ich meiner Angebeteten Band um Band mit tollen Songs. Leider entpuppten sich meine Favoriten wie Harper Valley PTA und King of the Road als der eigentlichen Sache nicht dienlich.

Die Frankfurter Buchmesse steht vor der Tür, komplett mit der Verleihung der Giga-Maus durch Eltern for Family und HP for Plumbers. Passend zur Messe gibt es auch eine Aktion der Verleger, die den "weltweit schnellsten Dummie aller Zeiten" geschrieben haben, nämlich Urheberrecht for Dummies. In ihm heißt es hysterisch zu dem neuen, die Privatkopie abwürgenden Urheberrecht in Verkennung der Tatsachen: "Sollte es in seiner bisherigen Fassung Gesetz werden, hätten in seiner zu Ende gedachten Konsequenz weder Buchhändler noch Verlage mehr etwas zu verkaufen und Autoren nichts mehr zu verdienen." Beim weltweit schnellsten Dummie hatte das Hirn der Verfasser wohl Schwierigkeiten, die Finger zu kontrollieren und den aktuellen Stand der Novelle zu registrieren.

Oh, passend zur Buchmesse muss natürlich eine Buchempfehlung ins WWWW. Gleich doppelt passend, weil das unsichere Internet auch ein Produkt der Militärtechnik ist, entscheide ich mich für die Messe Neuerscheinung "Don't talk – Do it. From Flying to Word Processing. PAA to IBM" von Ulrich Steinhilper. Ein deutscher Jagdflieger, der in der Battle of England mehrere Maschinen abschoss, ehe er selbst über England gebodigt wurde und nun in der englischen Cromwell Press seine Ideen über das korrekte Abschießen und den richtigen Zeileneinzug verbreitet. Das ist politisch unkorrekt und damit einfach passend. Wer immer beim Thema Computer und Rüstung zusammenzuckt, muss weiter zucken.

Der letzte Absatz muss natürlich die Geschichte mit Uschi Obermaier von voriger Woche aufklären. Während sie in der Twen im Juni 1969 mit scharfen Fotos als "Miss Kommune und ihr Leben zu Acht" portraitiert wurde, warb sie züchtig, aber extrem knapp bekleidet in der Schülerzeitung "Underground" für den Bastelcomputer Logikus. Das andere superscharfe Werbe-Mädel war übrigens Iris Berben. Das war der erste Computer, auf den und die erste Anzeige, auf die ich reingefallen bin.

Quelle : www.heise.de
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 08 Oktober, 2006, 01:42
Was war.

*** Wenn der Herbst kommt, dann hält man schon einmal inne, bleibt in der norddeutschen Tiefebene stehen und schaut zurück auf das Erreichte. Was man hat, was man will, wo die nächste Tanke ist und wer wohl wieder mal die Wochenschau beschissen findet. Große Gedanken also, die man mit einem gewissen Stolz über das Erreichte nach vorne zu den Stirnlappen schicken kann. Stolz kann ich also behaupten, dass ich wirklich etwas habe: keine Ahnung. Noch stolzer bin ich aber, dass meine Leser genau dies wissen. In der vorigen Wochenschau hatte ich behauptet, dass Uschi Obermaier und Iris Berben in der Zeitschrift "Underground" für den Computer Logikus geworben hätten. Stimmt nicht. Sie sind nur auf Seiten abgebildet, auf denen für den "Geheimschriftübersetzer" beziehungsweise das "Intelligenztestgerät" geworben wird: Wenige Tage nach der Wochenschau frachtete ein Paketdienst einen vollen Karton auf meinen Schreibtisch, darin enthalten die gesamten drei Jahrgänge der "Underground" aus dem Verlag Bärmeier & Nikel. Mit dem Logikus, der für 68 Deutsche Mark bei einer 2001 GmbH bestellt werden konnte. Schau heimwärts, Alzheimer! So bin ich von einem Leser wieder einmal davor bewahrt worden, zum Tom Kummer der IT zu werden. Was insofern eine gute Sache ist, als der nächste Kummerkasten wöchentlich mit den "hintergründigsten Reportagen" gefüllt werden wird, damit die "neue Generation der Leistungselite in diesem Land, urban und weltoffen, die heute nur eingeschränkt das wöchentliche Medienangebot nutzt", etwas zu lesen hat. Natürlich gehört hier ein Link hin, doch sei der treue WWWW-Surfer gewarnt. Es ist ein Bild dabei, und Uschi Obermaier ist nicht drauf.

*** Hintergründigste Geschichten aus der Welt der IT sind immer super spannend. "Am Ende hatte der Verwaltungsrat nicht den Mut, mir in die Augen zu blicken. Sie haben nicht 'Danke' und nicht 'Auf Wiedersehen' gesagt." So sprachmächtig wie erschütternd beginnt Carly Fiorinas Buch "Tough Choices", das bei uns unter dem Titel "Mit harten Bandagen" erscheinen wird. Fiorina ist der gleiche Jahrgang wie Steve Jobs und Bill Gates, hat aber die großartige Chance, das Scheitern einer Irrsinns-Fusion und die Einführung einer paranoiden Firmenkultur beschreiben zu können. Schließlich war es Fiorina, die die Operation Kona einleitete, bei der man sich mitnichten um die Tierchen seiner Mitarbeiter kümmerte.

*** Wenn der Herbst da ist, die Ernte eingefahren, beginnt die große Grübelzeit. Wer sind wir? Wohin gehen wir? Was machen die Lottozahlen? Philosophisch veranlagte Naturen glauben, dass sich der Mensch vom Roboter durch seine Seele unterscheidet. Diese Seele ist eine Art vorformatierte, bootfähige Festplatte, die mit Daten gefüllt wird bis zum Lebensende. Dann steht eine megamäßge Konferenzschaltung mit Myriaden vom Webcams an, die vom Seelenbrowser durchsucht werden. Der große Robert Anthony Wilson, dem wir die Zahl 23 und ein paar diskordianische Spielereien verdanken, steht vor seiner großen Schaltung und doch ist kein Geld auf dieser Seite des Universums da, ihm die letzten Tage zu erleichtern. Ich fühle mich geehrt, helfen zu dürfen und finde die Antwort besonders ermutigend.

*** Das kann ich von einer Vielzahl der Antworten auf die kleine Meldung vom Unfalltod von Dirk Haaga nicht behaupten. Haaga gehörte zu den sympathischen Geschäftsführern einer Branche, die nicht unbedingt für sympathische Geschäftsführer bekannt ist, sondern mehr für Hohlformen mit übergezogenem Jackett. Es spricht für ihn, dass sich viele an seine Hilfsbereitschaft erinnern und ihre Anteilnahme ausdrücken wollen. Kurzum: nichts spricht gegen die Spendenaktion zum Gedenken an einen großzügigen Menschen, die der Linux-Verband gestartet hat.

*** Gestorben ist einer, der zeitlebens Angst vor der Armut hatte und der doch der reichste Österreicher war. Friedrich Karl Flick, der mit seinen Millionen die "deutsche Landschaft" pflegte, mit dem das wg. salonfähig wurde. Ihm verdankte Helmut Kohl seinen kostbaren "Blackout". Bis an sein Lebensende weigerte sich der reichste Flick, Zahlungen an den Entschädigungsfonds für NS-Zwangsarbeiter der Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft zu leisten. Wie kein Zweiter prägte Flick das Bild vom gewissenlosen deutschen Unternehmer – nur sein Vater war ihm auch darin überlegen.

*** An der Spitze von Microsoft einen deutschen Unternehmenschef zu geben, das ist eine anspruchsvolle Aufgabe. Jürgen Gallmann hat sie besser gelöst als mancher Vorgänger. Wer erinnert sich noch an blasse Vorgänger wie Kurt Sibold oder Richard Roy? Gallmann versuchte sich am Dialog mit der Politik und konnte selbst in der komplizierten Auseinandersetzung mit der Europäischen Union Verständnis für europäische Entscheidungsprozesse vermitteln. Die "Verlagerung von Entscheidungsspielräumen in die Corporation", die ihn zum Abschied trieben, sind eine höfliche Umschreibung für die neue Microsoft in der Vista-Ära, die erst in Umrissen erkennbar wird. Was nicht heißen soll, dass Microsoft mit Wattebällchen wirft.

*** Die Forderung nach dem Verbot von Wahlcomputern, die der Chaos Computer Club aufgestellt hat, ist übertrieben. Schließlich haben es die CCCler geschafft, ausgerechnet The Simple Chess Programm von Tom Kerrigan in die 16 KByte RAM der Wahlmaschinen zu portieren. Tom Kerrigan ist ein Gutachter im Streit um die Wahlmaschinen von Diebold. Die richtige Forderung wäre, alle Wahlcomputer im Schach gegeneinander antreten zu lassen, während die Großmeister der Zunft auf ihren Toiletten eingeschlossen werden. Mit d2-d4 eröffnete der holländische Stemcomputer im Stil von Bobby Fischer. Das ist ein guter Anfang.

Was wird.

Des Menschen Seele ist vielleicht eine Festplatte, der Menschen Daten hält jedoch ein großer Computer bereit, der in den USA beim FBI steht. Von jeder Reise merkt sich der Computer 34 Datensätze, die ursprünglich 50 Jahre lang gespeichert bleiben sollten. Jetzt sind es nur drei Jahre für: Buchungscode (Passenger Name Record), Datum der Reservierung, geplante Abflugdaten, Name, andere Namen im PNR, Anschrift, Zahlungsart, Rechnungsanschrift, Telefonnummern, gesamter Reiseverlauf fur den jeweiligen PNR, Vielflieger-Eintrag (beschränkt auf abgeflogene Meilen und Anschrift[en]), Reisebüro, Bearbeiter, Codeshare-Information im PNR, Reisestatus des Passagiers, Informationen über die Splittung/Teilung einer Buchung, E-Mail-Adresse, Informationen über Flugscheinausstellung (Ticketing), allgemeine Bemerkungen, Flugscheinnummer, Sitzplatznummer, Datum der Flugscheinausstellung, Historie aller nicht angetretenen Flüge (no show), Nummern der Gepäckanhänger, Fluggaststatus mit Flugschein aber ohne Reservierung (Go show), Spezielle Service-Anforderungen (OSI – Special Service Requests), Spezielle Service-Anforderungen (SSI/SSR – Sensitive Security Information/Special Service Requests), Information über den Auftraggeber, alle Änderungen der PNR (PNR-History), Zahl der Reisenden im PNR, Sitzplatzstatus, Flugschein fur einfache Strecken (one-way), etwaige APIS-Informationen (Advance Passenger Information System), automatische Tarifabfrage (ATQF).

Die Kritik an den Krötenschluckern ist groß, denn viele Daten verführen zum Missbrauch, nicht nur die Mail-Adresse. Klein dagegen die Aussicht, sich bei einer noch zu gründenden EU-Agentur für Grundrechte über die Weitergabe der Flugdaten beschweren zu können. Es ist noch etwas hin, bis die Oscars für die Datenkraken verliehen werden, begleitet von einer Demonstration gegen Vorratsdatenspeicherung und Sicherheitswahn. Doch der Hinweis auf das geplante Treiben in Bielefeld, der "Hauptstadt des Datenschutzes", kann nie schaden.

Auch bis zur Welt des Trusted Computing vergehen noch ein paar Tage. "Dieses gesamtheitliche Konzept wird sich zwangsläufig gegen nicht-standardisierte Sicherheitsmechanismen durchsetzen", verkünden Veranstalter und Sponsoren. Unter ihnen HP, ausgewiesener Spezialist für die vertrauenswürdige Computernutzung. So ist das im Herbst, wenn Bäume sich entblättern.

Quelle : www.heise.de
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 15 Oktober, 2006, 04:14
Was war.

*** Ich bin ein nur ein einfacher Wochenrückblicker, der bedeppert in die nächste Woche lugt. Hätte ich mehr Verstand, wüsste ich die Lottozahlen oder wenigstens den Unterschied zwischen Gut und Böse. Heute am 14. Oktober, an dem diesen Zeilen in einen nicht explodierenden Laptop wandern, kam vor 80 Jahren Pu der Bär (von geringem Verstand) in die Buchläden, die Faktoren dieser Welt zu bekämpfen. Von ihm lernten wir, niemals vor den Faktoren zu kapitulieren. Vor 100 Jahren erblickte Hannah Arendt "bei Hannover" das Licht der Welt, eine Frau von großem Verstand, die gegen die Dummheit und Autoritätshörigkeit kämpfend noch immer die meistgehasste Frau in Israel ist. Von ihr gibt es immer noch viel zu lernen. An ihrem Geburtsort im Stadtteil Linden steht heute das Ihme Zentrum, eine hochverdichtete Ruine, unter deren Pflastern kein Strand ist, sondern Beton. Beton und Israel, das passt schon.

*** Ich muss noch einmal auf die Religion zurückkommen. Auf den im letzten WWWW verlinkten Glauben daran, dass wir mit vorformatierten Festplatten auf die Welt kommen und am Ende als vernetzte Webcam ohne Rückkanal selbige verlassen. Auf den Vorwurf des technischen Nihilismus, der solche schlimmen Gedanken von jemandem verlinkt, der gegen den heiligen "frango ut partefaciam" Steinhöfel antritt, der wiederum knapp nach dem heiligen Bonifatius kommt. Doch was ist schon Religion, wenn nicht eine Konvention mit ungeliebten Konsequenzen?

*** Bleiben wir nur bei Bonifatius im Stadtstaat Bremen (nebenbei: Glückwunsch an Werder, weiter so ...), den die Wandermönche von Roland Berger für 13 Millionen Euro geraten haben, sich soweit wie möglich von der operativen Arbeit vom Kindergarten ab an zurückzuziehen. "Angestrebt ist die radikale Veränderung der Aufgabenwahrnehmung im Rahmen einer Gesamtphilosophie, die eine wirkungsvolle strategische Gesamtsteuerung des Konzerns Bremen ermöglicht": Die Gesamtphilosophie des Konzerns Bremen passt genau in einen Kühlschrank. Was wir hier wirklich brauchen, ist ein Frühwarnsystem wie vielleicht jenes von der Firma Armex, die für ihren Kidtracker im Jahre 2004 den Big Brother Award bekam. Nur eben kostengünstiger, damit Kevin & Co später die in sie gemachten Investitionen zurückzahlen können, an die Konzerne Bremen, Hannover, Hamburg usw.

*** Wenn sich heute die Geschichte der Bibel wiederholt, dann vielleicht in einem Land, das Krieg um Öl im Nahen Osten führt und darum alle Jugendlichen mit RFID-Chips "getagged" hat, damit sie im Fall der Fälle schnell einberufen werden können. Nehmen wir nur die Acedah von Isaak, wie sie der Tanach erzählt. Das Chippen der Kinder für einen Gott wie Astarte oder Moloch ist für die Gläubigen eine Selbstverständlichkeit geworden, erzählt uns Douglas Rushkoff in seinem Comic "Testament". Schon wieder ein Hinweis auf die Verleihungen der Big Brother Awards in Bielefeld, der heiligen Stadt des Datenschutzes? Oder weist die Bibeladaption von Douglas Rushkoff auf eine Religion hinter der Religion? Wie sagte noch Steve Jobs: "Why stop at Cairo, when you can go all the way to Mecca?" Wenn die Seele auf den iPod wandern kann und mit gestärkter Pumpe für das nächste Leben beginnen kann?

*** Geht es noch wirrer? Aber sicher doch: Während in London Anzeigen mit Opfer-Bildern von den Bombenattentaten des 7. Juli 2005 schocken, aber nur für eine Organisation namens CALM (Campaign Against Living Miserably) werben, werden die Taten der Bomber heftig diskutiert. Nach einem Bericht der Sunday Times sollten sich die Attentäter nicht mit Bomben in die Luft sprengen, sondern das Nervengas Sarin in die Kabinen der Cricketspieler einleiten, die 2005 das 2. Match England gegen Australien bestritten. Die Order von Al Quaida soll allein deswegen nicht akzeptiert worden sein, weil einer der Täter auch Cricket spielte. So unwahrscheinlich die Geschichte klingt, weil sie nicht in das Schema der Selbstmordattentate passt, so mag sie doch ihren Hintergrund in einem Land haben, das seine Soldaten zurückholen will. In einem moslemischen Land hätte es britischer moslemischer Kämpfer bedurft, um einen belastbaren Frieden herzustellen. Unterdessen treffen moslemische Kämpfer zum Schutz der russischen Pioniere im Libanon ein, die "Helden Russlands" sind. Über die Herkunft der Truppen schrieb Anna Politkowskaja ihren letzten Text. Sie war nicht, wie Wladimir Putin behauptet, eine typische Vertreterin der Presse, sondern eine der Mutigsten ihrer Zunft.

*** Mutig, das ist so eine Sache, die auf keiner Skala geritzt werden kann. Mutig war oder ist Nadesha Reiser gewesen, als sie sich von Hans Reiser trennte. Mutig war Danièle Huillet, als sie die Beziehung mit Jean-Marie Straub einging und fortan nur noch Danièle* war, oder eben Straub-Huillet, ein Doppelwesen. Was bleibt, steht in der Akademie für militärische Erinnerungen. Zuletzt waren es "Jene ihre Begegnungen" (Quei loro incontri), in denen die Sache mit der Webcam zum Finale etwas anders als Verfasstheit der Menschen gedeutet wird: "Ihr ganzer Reichtum ist der Tod. Er zwingt die Menschen, sich anzustrengen, sich zu erinnern und vorauszusehen."

*** Hatte ich nicht versprochen, diesmal witzig zu sein? Gut, es gibt nette Witze, gerade wenn es um Sicherheit geht, für die doch eigentich Chuck Norris steht. Aber wenn man diese Nachricht über die Wahlmaschinen liest, die in einer geschützten Umgebung gelagert werden, dann gibt es Witze, die mit einer Kette von Sicherungsmaßnahmen so scheppern, dass die Hölle gackert. In einer besonders geschützten Umgebung werden also die Wahlergebnisse der Zukunft errechnet. Wie schrieb einstmals Karl Kautsky: "Papier ist geduldig, wenn Wahlversprechen darauf verewigt werden." Kautsky glaubte immer an den Fortschritt. Nun haben wir ihn. Wahlmaschinen sind noch geduldiger.

Was wird.

Ganz groß, ganz fesch kommen die Münchener Medietage daher, aus aktuellem Anlass auch MuTube genannt. Da wird gekreischt, wenn das supergeile IP-TV tripelt und vor Entzücken gestöhnt, wenn die Chief Blogging Officer auftreten und ihre Peitschen beim Toppen schwingen. Ja, wenn man so will, auch eine Art verspätetes Tuesday Wonderland, zu dem das mittlerweile doch sehr gelangweilt wirkende Esbjörn Svensson Trio nur noch mager schunkelnden Clubjazz spielt, der gerade noch solchen CBOs als Avantgarde durchgehen mag. Wessen Horizont etwas weiter ist als der von Bobos  (alt oder neu), der feiert nicht e.s.t, sondern hört lieber Wollny/Kruse/Schaefer – das ist moderner Trio-Jazz (nichts für ungut, sei in Richtung Jarrett/Peacock/DeJohnette hinzugefügt).

Den Medientaglern aber sei immerhin gewünscht, dass die Fleischbeschau der Branche das Niveau des 1. Berliner Opernfestivals erreichen möge, bei dem Ida Mante im Vordergrund steht. Wenn Medien ihre Tage haben, ist der Open Source-Porno "Good Girl" von Erikalust fast chancenlos, sein Download eine Handlung, die Hass erregt. Wir leben nun einmal in einer Welt der nackten Tatsachen.

Ist Deutschland auf dem Weg in den Überwachungsstaat, den ultimativen Big Brother Preis kassierend? Es gibt Zeitgenossen, die das bejahen, wenn sie Nachrichten über den Test der Gesichtserkennung bei den Mainzer Jecken lesen. Andere sind weiter und denken, dass mit der GEZ-Gebühr die allseitige Überwachung mit Fahndung nach Mail-Adressen bereits Realität ist. Das klingt etwas krank, doch die Realität ist noch kranker: Wer mit dem Laptop auf der Bank surft, entreichert den rechtmäßigen WLAN-Besitzer und muss obendrein die bei fortschrittlichen Politikerinnen zunehmend unbeliebter werdende GEZ-Gebühr zahlen. Aber seien wir ehrlich: Wer, wenn nicht die GEZ mit ihren Gebühren für Internet-PCs und Geldautomaten hat Einblick in die Nebeneinkünfte der Politiker, die nicht wie Hartz-IV-Empfänger behandelt werden wollen? Leider, leider, leider ist die GEZ schon im Jahre 2003 ein umjubelter Preisträger der Big Brother Awards gewesen, als sie in der Kategorie "Lebenswerk" gewürdigt wurde. Doch wenn es um Freiheit statt Angst geht, wäre vielleicht noch ein kleiner Sonderpreis fällig, für den unbekannten Mann, der frech auf der Bank den Gebührenstaat entehrt.

Quelle : www.heise.de
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 22 Oktober, 2006, 03:00
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** "Darling...." Wie seltsam, dass ein einziges Wort, mit jenem unverwechselbaren Timbre in der Stimme gehaucht, bereits ausreicht, um einen trivialen Sonntag in einem wunderbaren Feiertag zu verwandeln.

"Darling ... ich brauche deine Hilfe." Das klang dramatisch, wie immer, wenn Sabrina Probleme hatte, die nicht mit einer grazilen Bewegung weggetupft werden konnten. Wahrscheinlich hatte sie wieder etwas auf Telepolis gelesen, was sie beschäftigte. Aber nein: "Ich habe da was in diesem entzückenden Forum gelesen, wo sich all die netten Spinner aufhalten. Was ist eigentlich ein Gelübde? Und warum hört Twister auf? Wird sie Cellitin oder Ritaschwester? Die tragen alle so schrecklich schwarze Kleider."

Ich überlegte angestrengt. Es gibt keine einfachen Antworten, wenn sich jemand aus dem Leben verabschiedet, in dem er oder sie viele Freunde gefunden hat. Der Cyberspace ist da nicht viel anders als die netten Flecken in der norddeutschen Tiefebene. War Twister zu häufig online, gar forumssüchtig geworden? All das Geunke über die vielen Internet-Süchtigen hilft nicht weiter, selbst wenn der Heiseticker ein- und dieselbe Meldung mehrmals bringt, damit sie wahrer und wahrer wird. Und Twister hat doch viele Freunde, oder? Gerade vorgestern, als sie mit blauschwarz glitzerndem Haar passend zum Schwarzbuch Datenschutz in Bielefeld auf der Demonstration gegen den Überwachungsstaat redete, da schien sie viele Freunde zu haben.

Sabrina unterbrach meine Grübelei. "Darling, kann es sein, dass Twister nun Angst hat vor diesem Internet oder einfach die Lust verloren hat, mit einem Computer anderen Computern Nachrichten zu schicken, die gefressen werden? Ich meine, da ist so ein Netz voller entzückender Webseiten und dann die niedlichen Blogs mit den Kastenkippern und all das und dann kommt der schlaue Wolf daher und frisst alles weg, einfach alles."

"Das ist doch Quatsch. Ein Wolf frisst Zicklein und Großmütter, meinetwegen auch Katzen, aber doch nicht Computer und Webseiten."

"Doch Darling, es gibt solche Wölfe", hauchte Sabrina und raschelte in einem Berg Papier herum. Wie brachte sie es nur fertig, selbst die profansten Gesten mit so viel Eleganz auszuführen, als sei sie bei Hofe? Huldvoll überreichte sie mir eine Pressemitteilung des Innenministers von Nordrhein-Westfalen:

"Wer die Überprüfung von Daten auf Rechnern potenzieller Terroristen für einen Einbruch in den grundgesetzlich geschützten Wohnraum hält, hat das Wesen des Internet nicht verstanden. Der Nutzer befindet sich weltweit online und verlässt damit bewusst und zielgerichtet die geschützte häusliche Sphäre. Der Standort des Computers ist dabei völlig unerheblich. Es findet zudem keinerlei Überwachung der Vorgänge in der Wohnung selbst statt."

Sabrina lächelte triumphierend, aber vor allem so bezaubernd, und ihre grünen Augen glitzerten: "Siehst du, der Ingo Wolf ist doch ein kluger Mensch. FDP! Der würde doch nicht einfach so von einem 'Wesen' reden, wenn es kein 'Wesen' gibt. Dieses Internet, das ist gar nicht unter uns Menschen, sondern weit weg da draußen. Das ist praktisch eine Überschicht, die dem Staat gehört. Die Überwachung der Überschicht ist dann seine Aufgabe, genau wie die Unterdrückung der Unterschicht."

Ich spürte, wie meine Stimmung langsam aber sicher wegbröckelte wie die Marktanteile des Internet Explorer. Will dieses zauberhafte Wesen Sabrina das Wesen des Internet etwa mit dem OSI-Modell erklären? Das Versprechen im roten Samtkleid, eine ferne, schier unerreichbare Anwendungsschicht vor Augen, gab ich mir die Parole 'jetzt oder nie'.

"Sabrina, erinnerst du dich noch an den wunderbaren hübschen kleinen Wecker, den ich dir geschenkt habe? Auch der gehört zum Wesen des Internet, weil er über diese Technik namens Powerline mit einem Rechner verbunden ist, damit ich dich abends räkeln sehen kann. Da würde der Staat glatt in der Wohnung mit dabei sein, wenn ..."

"Du hast WAS gemacht? WAS macht der Wecker, wenn ich mich räkel? Was für ein Schwein bist denn du? Ich fass' es nicht." Mit ihren Pantöffelchen stürmte sie aus dem Zimmer, es krachte und knallte in ihrem Schlafzimmer. Die schöne Technik. Eine Person erschien, eine Furie, ein Monster mit einer geöffneten Flasche, einer Magnumflasche, meiner Magnumflasche.

"Sabrina, nun hör doch mal zu, Sabrina! Nein!! Hör auf!" Pitschpatschnass das schöne Sakko, die Hose hinüber. Wenigstens hatte ich dem Telefon ein Kondom übergezogen, in Erinnerung an alte klebrige Glühweingeschichten.

"Du Spanner, du Niete, du Wichser! Du bist unterste Unterschicht! Du ..."

"Sabrina, nun hör mir doch endlich mal zu! Unterschicht, das sind doch die Leute, die nicht die Fußnoten im neuen Angebot der T-Com verstehen. Ich habe es nur gut gemeint, wenn jemand ein Auge auf dich wirft."

"Vielleicht hat Twister ja das Handtuch geworfen, weil es immer mehr werden, die es gut meinen und Güter überwachen wollen. Die 1984 nicht stoppen, sondern einen Big Brother wie anno 1984 haben wollen. Wegen der Sicherheit. Am Ende wird die Sicherheit auch noch ein Wesen sein und das Grundgesetz Futter für den Reißwolf. Nee, nee. Deine Mission 1017 ist hier beendet, mein Lieber."

So hatte ich Sabrina ja noch nie erlebt. Nein, das war nicht mehr das zarte verhuschte Wesen, das 1999 in der Frauen-WG Fanta aus der Teetasse trank, nur darauf wartend, in die Welt des guten Geschmacks eingeführt zu werden. Eine Furie, die nicht mehr erkennen will, dass Webcams eine gute Sache sind, wird sicher nicht mehr erkennen können, was für ein Schutzengel ich für sie war, immer bereit, mit Autoschlüssel und Sakko, mit Kreditkarte und Handy. Auf dem Rückweg überlegte ich, dass eigentlich Twister Schuld an dem ganzen Schlamassel ist. Dass die Situation so aus dem Ruder gelaufen ist. Diese ganze Sensibilität und Scheu vor harmlosen Überwachungskameras, das kann nicht gut sein. "Ich ist ein Anderer", wollten diese Typen da in Bielefeld auf ihrer Demo als Parole brüllen. Vielleicht hat Twister wie Rimbaud in die Wüste rübergemacht, weil es da keine Kameras gibt. Au, verdammt, die Polypen ...

"Führerschein und Fahrzeugpapiere bitte."

"Was ist denn los? Bin ich zu schnell gefahren? Stimmt was mit dem Licht nicht? Das kann ich erklären, das ist ein Opel, der mal von Bloggern getestet wurde und nun bei uns ...."

"Alles in Ordnung. Aber sie sind durch unsere neue Geruchsschranke gefahren. Und ihr Wagen stinkt wie ein Bordell nach einem Politikerbesuch. Wenn Sie mal bitte in dieses Röhrchen blasen wollen."

"Aber ..."

"Kein Aber. Gleich erklären sie mir noch, Sie wüssten nicht einmal, dass wir in einem Schnüffelstaat leben."

*** Mit Sabrinas Entdeckung ist die Geschichte sicher nicht zu Ende. Vielleicht lernt sie ja eines Tages Hal Faber kennen, diesen rachsüchtigen Computer, dieses labernde und linkende Schreibprogramm oder diesen sonstwie entbürgerten Journalisten, so genau weiß man das nicht – der Heise-Parkplatz ist notorisch ziemlich dunkel, wenn das Manuskript übergeben wird.

*** Das heutige WWWW steht auch im Zeichen von John Gould, der heute vor 198 Jahren geboren wurde. Gould schrieb 60 Jahre lang eine wöchentliche Kolumne für den Christian Science Monitor und stellte damit einen bis heute ungebrochenen Rekord auf.

Was wird.

Auch die Diskussion um Überwachung und Sicherheit ist noch längst nicht vorbei. Die Gefahr, dass wir ziemlich gedankenlos in einen Überwachungsstaat schlittern, besteht nach wie vor. In München startet die Systems, und gleich am ersten Tag hält der rege Branchenverband Bitkom eine Pressekonferenz darüber ab, wie unverzichtbar die Biometrie ist, wenn es um einen sicheren Staat geht. Positiv erwähnt werden muss natürlich das Computermuseum München, das seine Exponate auf der Messe ausstellt und damit hilft, die eine oder andere leere Fläche zu füllen. Nur wer vergisst, aus welchen Wurzeln sich die heutige Technik speist, wird unkritisch die Fortschritte in der Biometrie und der Homeland Security bejubeln können.

Südlich von München beginnt die RSA Security Conference, über die der große Aryabhata seinen Schutzschild hält. Der Streit hält an, ob er wirklich Einsteins Relativitätstheorie 1400 Jahre früher entdeckte. Er erinnert an die alten Debatten, wie alt die Zivilisation wirklich ist.

Doch was ist Zeit, was ist Vergangenheit und was wird Zukunft sein? Der vorletzte Beitrag, mit dem sich Twister im Heiseforum verabschiedete, trug die Unterschrift "The future's so bright I'm gonna wear shades." Mit einer großen Umarmung für Twister schließt dieser Wochenrückblick mit den letzten Zeilen aus dem Gedicht "What You Realize When Cancer Comes" von Larry Smith.

When they take your picture now
you wet your lips, swallow once
and truly smile.

Talk of your lost parents
pulls you out, and
brings you home again.

You are in a river
flowing in and through you.
Take a breath. Reach out your arms.
You can survive.

Quelle : www.heise.de
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 29 Oktober, 2006, 05:15
Was war.

*** Willkommen zur lästigen langen Nacht der Zeit, der Nacht der Schocker und des Gruselns, in der ängstliche Naturen zu ihrem Schmuseschädel greifen, wenn sich die SAP-Zeit endlos dehnt und dehnt, bis der letzte Batchprozess gelaufen ist. "Horas non numero nisi aestivas" steht auf dem Gedenkstein des Architekten William Willetts, einem großen Kämpfer für die Sommerzeit: "Ich zähle nur die Sommerstunden." Willett, der mit der Massenbauweise seiner "Willett-Häuser" zu Reichtum gekommen war, ärgerte sich im Pamphlet "The Waste of Daylight" schlicht darüber, dass seine Arbeiter im hellen Sommermorgen nicht ein, zwei Stunden früher mit dem Mauern beginnen konnten. Für seinen Kampf um die bessere Arbeitszeit griff er zu einer Reihe von Tricks, zu denen nicht zuletzt die Inschriftenfälschung gehörte. "Horas non numero nisi serenas" stand nämlich auf jener altehrwürdigen römischen Sonnenuhr, die einstmals als ältester Zeitmesser galt: "Ich zähle die sonnigen Stunden." Willett war es auch, der eine alte Berechnung aufgriff, die Benjamin Franklin 1784 als Botschafter in Paris durchkalkulierte. Was beide zu den Kosten des künstlichen Lichtes addierten, das eingespart werden kann, ist bis heute die Grundlage vom Märchen der energiesparenden Sommerzeit. Wir glauben das einfach. Denn manchmal sind Märchen ganz ungemein tröstlich, besonders wenn es um die unheimliche Zeit geht, die mit der Zeit auch noch wächst und wächst.

*** Ein bissiger Karl Kraus schrieb einmal im vorigen Jahrhundert: "Der Skandal beginnt erst dann, wenn die Polizei ihm ein Ende bereitet." Bei solchen Sätzen wird der Fortschritt deutlich, der inzwischen stattgefunden hat. Denn bei uns beginnt der Skandal, wenn die Polizei anfängt, zu überlegen, was sie gegen den Terror tun soll. Bundesinnenminister Schäuble hat ein Programm zur Stärkung der inneren Sicherheit vorgelegt, das vorerst 132 Millionen Euro kosten soll. Ein Schnäppchen, wenn wir damit vor dem grauslichen islamistischen Terror sicher sind. Ein Skandal, wenn man annimmt, dass es keine absolute Sicherheit geben kann. Denn dann ist das gesamte Programm eine einzige Feinderklärung des Staates gegen missliebige Staatsbürger wie Murat Kurnaz.

*** Für 64,7 Millionen Euro soll ein Online-Durchsuchungskommando rund um die Uhr genau 4600 Chatrooms abhören, in denen möglicherweise Islamisten ihre Aktionen planen. Wer immer sich in diesen Chatrooms in arabischer oder türkischer Sprache, auf Bahasa Melayu oder Bahasa Indonesia unterhält und deutsche Bezüge anklingen lässt, dessen Computer soll unverzüglich Ziel einer Online-Durchsuchung werden. Der Rest der Bevölkerung hat nichts zu befürchten, denn er hat ja nichts zu verbergen. Es sei denn, er oder sie hat in einem schwachen Moment das "FON-Versprechen" abgelegt, das als schwer verdächtige Wlandenbildung interpretiert wird. Oder einen VHS-Kurs belegt oder mit dem falschen Autohändler verhandelt. Wir leben im Land der unbegrenzten Möglichkeiten, Kontaktperson zu werden, da macht ein bisschen Online-Durchsuchung gar nichts aus. Zumal so ein klitzekleiner Dateneinbruch des Staates selbstredend etwas ganz anderes ist als das, was der Paragraph 202a des Strafgesetzbuches unter dem Begriff "Ausspähen von Daten" unter Strafe stellt:
"(1) Wer unbefugt Daten, die nicht für ihn bestimmt und die gegen unberechtigten Zugang besonders gesichert sind, sich oder einem anderen verschafft, wird mit Freiheitsstrafe bis zu 3 Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
(2) Daten im Sinne des Absatzes 1 sind nur solche, die elektronisch, magnetisch oder sonst nicht unmittelbar wahrnehmbar gespeichert sind oder übermittelt werden."

*** "Das ist ein kluger Mann, der Herr Schäuble. Auf den Herrn Schäuble lasse ich nichts kommen." Das sagt Herr Schily, der Herrn Schäuble in Sachen Biometrie eng verbunden ist. Derweil reist Herr Schröder durch die Lande, ein genialer gasverkaufender Literat. Und alle zusammen beklagen sie den Verfall der guten Sitten und den schlechten Ruf, den der Beruf des Politikers in unseren Gesellschaft hat. Empört wird von Vorfällen berichtet, in denen Politiker als Parasiten beschimpft werden. Moment einmal, da war doch was? Blättern wir zurück zu einem WWWW, in dem Hal Faber 2.0 debütierte. Und sich über die Broschüre "Vorrang für die Anständigen - Gegen Missbrauch, 'Abzocke' und Selbstbedienung im Sozialstaat" verwunderte, die heute leider nicht mehr beim Wirtschaftsministerium bestellt werden kann, da sie "vergriffen" ist. In dem Werk, das der damalige Minister Clement persönlich in Auftrag gegeben hatte, ist natürlich "nur volksmundig" von Parasiten die Rede, wie Clements Sprecherin damals betonte. Außerdem kam gleich nach der Veröffentlichung aus dem Ministerium eine offizielle Stellungnahme:

"Biologen verwenden für 'Organismen, die zeitweise oder dauerhaft auf Kosten anderer Lebewesen – ihren Wirten – leben, übereinstimmend die Bezeichnung 'Parasiten'. Natürlich ist es völlig unstatthaft, Begriffe aus dem Tierreich auf Menschen zu übertragen. Schließlich ist Sozialbetrug nicht durch die Natur bestimmt, sondern vom Willen des Einzelnen gesteuert."

Den Willen des Einzelnen gilt es zu bewundern, auch bei einem Wolfgang Clement. Freuen wir uns mit ihm, dass er die Leitung des neu gegründeten Adecco-Instituts übernommen hat, das die Zukunft der Arbeit erforscht. Schließlich ist es ein Verdienst des Leiharbeits-Konzerns Adecco, dass die Leiharbeit entprekarisiert worden ist. Außerdem war Wolfgang Clement mit seinen fünf Aufsischtsratsmandaten, etwa bei der RWE kurz davor, den Gang zur Arbeitsagentur anzutreten. Wo ein Wille, da ist ein Leihweg! Oder, um es mit aktuellen Hartz-IV-Vokabeln zu schmücken: Die Unterschicht ist nichts anderes als das Resultat der Anstrengungen und des Handelns derer, die Oberschicht bleiben wollen.

*** Ach, und was haben wir uns wieder gefreut, als ihrer großen Weisheit anteilhaftig werden durften und sie höchstpersönlich gesehen haben, unsere großen Wirtschaftslenker, ob sie nun in einem eher düsteren Saal in Düsseldorf auftraten oder im Scheinwerferlicht der TV-Sender, deren Reportern sie ihre neuesten Initiativen zur Gesundung des Wirtschaftsstandorts Deutschland verkünden, der leider künftiglich ohne eine größere Zahl von des Konsums fähigen Mitbürgern auskommen muss. Man muss kein Keynesianer sein, damit einem bei diesem Anblick Keynes' Spruch einfällt: "Auf lange Sicht sind wir alle tot", kommentierte er trocken den blinden Glauben in die Selbstheilungskräfte des Marktes, den nun wieder all diese mediokren Manager und Firmeninhaber verkünden, die ihre kleinbürgerliche Angst um den eigenen Geldbeutel unter dem Rubrum der Besorgnis großer Wirtschaftslenker und weitsichtiger Ökonomen verkaufen. Aufs neue schlägt die Arroganz der "Zufriedengestellten" zu. Solche Leute erscheinen ja nicht einmal mehr einer Neuauflage dessen Wert, was einmal Klassenkampf genannt wurde. Kein Wunder, dass das Soziologendeutsch vom "abgehängten Prekariat" und die Propagandavokabel der "Unterschicht" eine Diskussion dominieren, auf die sich die NPD schon lange gefreut (und gut vorbereitet) hat. Es ist auch nicht das erste Mal, dass eine Kleinbürgerschicht aus Angst vor dem sozialen Abstieg ein ganzes Land in den Abgrund reißt.

*** Aber so ist das: Mitunter handelt der Mensch aber gar nicht vom eigenen Willen gesteuert, sondern es handelt ihn. Man kennt das ja von den Freudschen Versprechern, wenn man etwas sagen will, aber seine Mutter meint. "Wenn wir Ihre Meinung hören wollen, sagen wir Ihnen diese", ist so ein netter Satz, den ein Sprecher einer großen Softwarefirma einmal zu einer vermuteten Sicherheitslücke produzierte. Um Probleme dieser Art kümmert sich die Tiefenpsychologie. Nun haben sich im Auftrag einer Firma namens Known Sense Tiefenpsychologen mit der IT-Sicherheit beschäftigt. Herausgekommen ist ein 64 Seiten starker "Berichtsband" und die Erkenntnis, dass eine Sicherheit von 100% am Arbeitsplatz von den dort arbeitenden Menschen gar nicht ausgehalten werden kann. Ein absolut dichtes IT-System wird von den Menschen als Zwangssystem empfunden, in dem sie sich auch gedanklich von der Firma entfremden. Wie sagt es der kundige Tiefenpsychologe: "Durch technologische Innovationen zunehmend sachlich geprägte Arbeit, die immer weniger Eigenes, immer weniger Menschliches zulässt, erscheint leblos und fade." Als Resultat kommt es dann zu einem triebgesteuerten "unbewussten Befreiungsschlag gegen die Unternehmenskultur", gewissermaßen zum einem Schädelküssen toter Admins, zum "unkontrollierten Ausbruch entsichernder Handlungen". Bitte schön: Viel anders wird es den jungen Hanseln nicht vorgekommen sein, die in Afghanistan mit den Schädeln spielten. Jetzt jammert die Politik über das Offensichtliche und darüber, dass das schöne Image der Bundeswehr als Technisches Hilfswerk mit Waffen dahin ist. Vielleicht dämmert die perverse Erkenntnis, dass zum Töten ausgebildete Menschen nicht unbedingt der beste Ersatz für Polizeiaufgaben im Innern sind.

Was wird.

Was naht, ist Halloween, das Fest der illuminierten Schädel, eine ur-amerikanische Sitte, inklusive aller Verkleiderei und Schädelspalterei. Ich jedenfalls käme nicht auf die patriotische Idee, unseren Hund als Reichstag zu verkleiden und selbst vielleicht als Brandenburger Tor herumzulaufen. Selbst als überdimensionierte c't mit Beinen käme ich mir wirklich doof vor. Obgleich das (nicht mehr ganz aktuelle) c't-Titelbild mit den Betriebs-Kürbissen schwer schockt, jedenfalls mehr als das Rebrush mit hockender Domina. Das Geisterfest ist immer auch ein Anlass, an die guten Geister zu denken und ihnen zu danken. Inzwischen sind über 80.000 US-Dollar aufgelaufen, die helfen sollen, den Abschied des großen Robert Anthony Wilson erträglich zu gestalten, der einstmals frenetisch beim CCC gefeiert wurde.

Berufsbedingt habe ich in dieser Woche zwei Betriebssyteme installieren müssen, den schnittigen Molch und die schöne Aussicht. Mark Shuttleworth von der Molch-Fraktion ist schon oben gewesen; nun soll Charles Simonyi folgen, der ehemalige Chef-Programmierer von Microsoft. Charles Simonyi begann als Nachtwächter an einem Ural-II-Computer in Ungarn, als Sohn eines traumatisierten Professors, der den Volksaufstand in Ungarn vor 50 Jahren knapp überlebte. Er lernte den von Peter Naur geschriebenen Gier Algol Compiler in Assembler auswendig und konnte damit aus Ungarn ausreisen. In einem Interview erzählte er einmal von seiner Angst vor den Marsianern. Dass sie eine Tages kommen und alle Programmierer der Welt in New Mexico zu einem neuen Manhattan Project zusammenpferchen würden. "Ich müsste mit dem großen Bill Atkinson zusammenarbeiten, mit Bruce Artwick und Bill Budge!" Nun wird er den kleinen grünen Männchen entgegen fliegen und ihnen den ungarischen Programmierstil erklären.

Quelle : www.heise.de
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 05 November, 2006, 11:01
Was war

*** Diese Kolumne ist wie ein guter Geldschein. Auf der einen Seite nährt sie den Autor mit seinen Hunden, Kindern, Katzen. Auf der anderen Seite löst sie sich beim Lesen auf, genau wie die Geldscheine, die von defekten Geldautomaten unter das Volk gebracht wurden. Auf einmal ist alles Nichts, das ist die Umkehrung der neuesten Dotcom-Blase namens Web 2.0, die aus einem Nichts wie Sevenload eine mit 130 Millionen Euro bewertete Firma macht, nur weil ein Werber unverkäufliche Plakatflächen umdeklarieren kann, als seien sie zum Vollpreis verkauft werden. Ja, die gute alte Dotcom-Zeit ist wieder da, mit jungen Entrebobos, die die erste Blase nur vom Hörenklatschen kennt. So jung und notgeil sind sie, dass sie mit Webcam-Handy den Macker rauskehren und Passagiere nötigen müssen, das ganze 2.0-trendig natürlich bei YouTube ausgestellt. Du musst ein Schwein sein in dieser Welt, sangen die Prinzen, das ist so 1.0. Du musst auf YouTube zeigen, dass dir dein Schweinsein gefällt, das ist leuchtendes, echtes Web 2.0.

*** Die Sache mit diesem Web 2.0 wäre nicht weiter wichtig, gäbe es nicht prominente, die auch dieses Mödchen ausnutzen, ihren Minderwertigkeitskomplex zu füttern. Nimmt man dieses Interview mit Hubrand YourBurda, so findet man bemerkenswerten Unsinn über den Unterschied zwischen Rudi Dutschke und Bob Dylan. Dahinter eine angeblich bis heute anhaltende latente Computerfeindlichkeit, die unter anderem dazu führte, dass Burdas winziger Verlag Flickr nicht kaufen konnte, als die Fotoklitsche im 2.0-Gedröhn maßlos überschätzt wurde. Erst jetzt, wo die 68er in Rente gehen und Habermas sich nur noch um nachgekaute Literatur kümmert, haben junge Entrebobos eine Chance, es mit den Rolling Stones oder den Beatles aufzunehmen. In der Software wohlgemerkt, nicht in der Mucke. Aber da in der Software, da kann man was richtig bewegen.

*** Halloween ist vorüber, ein Fest, an dem unser kuschliger Heisig beziehungstechnisch mit einer hübschen Begleitung auftauchte. Zum Gruseln taugte nicht einmal die Vorstellung der Umverpackungen durch Microsoft. Die schwer verkäufliche Hölle fror erst zu, als Microsoft und Novell das ultimative Halloween-Dokument veröffentlichten. Noch ist nicht ganz klar, was zootechnisch entsteht, wenn ein patentmäßig eingeschüchtertes Chamäleon mit einer Büroklammer herummacht, aber es dürfte ungefähr auf einen vistagrünen flugunfähigen Vogel hinauslaufen. Geldtechnisch wären das die bereits erwähnten Scheine, die sich in Luft auflösen. Der Schachzug von Microsoft ist geschickt und verdient Anerkennung, weil das Gesprächsangebot an andere Linux-Distributoren den gewünschten Effekt erzielt: wenn alle auf das Patentabkommen eingehen, dann muss Microsoft ja Patente an Linux besitzen. Gates und Ballmer zeigen ganz nebenbei, was für Stümper McBride und Blepp mit ihren Prozessen und Beweisen, mit den Codezeilen und den nicht wörtlich übernommenen Konzepten und Methoden sind.

*** Auch heute gibt es im Wochenrückblick die unvermeidlichen Abschiede und Gedenktage in hemmungslos subjektiver Auswahl. Nach schwerer Krankheit starb der Widerstandskämpfer Peter Gingold im Alter von 90 Jahren. Für den Mit-Gründer des Auschwitz-Komitees gibt es heute eine Trauerfeier im Frankfurter DGB-Haus. 28 Jahre lang musste Peter Gingold darum kämpfen, bis er die Staatsangehörigkeit des Landes bekam, das sich so gern auf Goethes Erbe beruft. Als Peter Gingold BRDeutscher wurde, erließ Bundeskanzler Willy Brandt ein Berufsverbot für Gingolds Tochter. Ein weiterer Regierender, Theodore Roosevelt, lies sich einmal dazu hinreißen, Journalisten als Muckraker, als Mistkratzer, zu bezeichnen. Er bezog sich dabei auf Ida Tarbell, die heute vor 149 Jahren geboren wurde. Das ist vielleicht kein besonders rundes Datum, passt aber. Mit ihren unermüdlichen Recherchen über die unsauberen Geschäftsmethoden John D. Rockefellers gilt Ida Tarbell als die Begründerin des investigativen Journalismus. Sie recherchierte drei Jahre, wobei sie von Mark Twain unterstützt wurde, und schrieb 19 Artikel über Rockefeller. Ihre Recherchen führten mit dazu, dass Rockefellers Öl-Imperium im Mai 1911 zerschlagen wurde.

Was wird

Weil sich die geneigte Leserschaft des Newstickers nur langsam an die tägliche Vista-Meldung gewöhnt, darf die Woche ruhig mal mit einem Knaller beginnen. In München eröffnet der große Bill Gates die Konvergenz-Konferenz von Microsoft, komplett mit Neuheiten über Microsoft Dynamics und einer Bierparty im Bavaria Bräu. Dass Gates gerade in Linuxtown auftritt, ist offenbar ein Nebeneffekt der Demission des deutschen Statthalters Jürgen Gallmann, der ursprünglich die Konferenz eröffnen sollte. Auf alle Fälle klingt der "Event" besser als die taggleiche Vorstellung der neuen Data Integration Suite, die Sybase in Hamburg vorstellen wird, Mineralwasser inklusive.

Es sind die Schlagworte wie Konvergenz und Innovationspatente, nicht die Inhalte, die über die Köpfe bestimmen. In dieser Hinsicht hat Siggy "Pop" Gabriel (SPD) seine Lektion gelernt, als er unter der Woche den New Deal in der Umweltpolitik ausrief und von grünen Märkten schwärmte. Komplettiert wird dieser Deal durch den Kabinettskollegen Michael Glos (CSU), der den Kündigungsschutz nach dänischem Vorbild abbauen will, wobei ganz undänisch den Gefeuerten im ersten Monat zur Strafe kein Arbeitslosengeld gezahlt werden soll.

Mit einem New Deal wartet Gabriel nun auch abseits der grünen Märkte auf. Er will von seinem Parteigenossen Marcel Bartels das Honorar für seinen Anwalt eintreiben. Der wollte eine Satire aus der Welt schaffen und produzierte damit eine weitere Satire um hübsche Anwältinnen und seltsame Anschreiben. Möglich, dass die Sache eines Tages verfilmt wird, vielleicht unter dem Titel "Der nicht mit den Nutten tanzt".

Quelle : www.heise.de
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 12 November, 2006, 00:13
Was war.

*** Ich frage mich ja manches Mal schon, ob ich schlicht zu blöd bin für diese Welt, zumindest für diese Medienwelt. Oder, um nicht gleich in Sack und Asche gehen zu müssen, einfach zu naiv, so naiv, dass ich noch an das Gute im Menschen glaube. Ja, denkt es in mir so vor sich hin, ich zahle gerne meine Rundfunkgebühren, schließlich sind die öffentlich-rechtlichen Sender ein wichtiges Korrektiv in der Medienlandschaft. Und selbst ein Altherrenwitze reißender, sich juvenil gebärender Blondschopf, der als Deutschlands bester Entertainer gilt, erscheint noch nicht als Gegenbeweis, dass ARD und ZDF nicht doch eine im Bürokraten-BastianSchlick-Deutsch "Bildungsauftrag" genannte Funktion haben, die sie auch erfüllen. Immerhin zeigen Länder, die keinen öffentlich-rechtlichen Rundfunk kennen, wie tief man im Fernsehen sinken kann. Aber ach, es häufen sich die Alltagsabende und Wochenenden, an denen jeder über die GEZ an die öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten geleitete Cent schmerzt. Wenn Traumpaare in der ARD um die Wette tirilieren, während so genannte volkstümliche Musikanten und andere, eher minderbegabt Schlager darbietende Figuren im ZDF vor sich hinjodeln, ergibt sich fast schon automatisch die Frage, ob nicht in Wirklichkeit die Privatsender das wahre Korrektiv sind. Der Abgrund, der sich nach dem potenziellen – nun doch abgeblasenen und wohl nie ernsthaft in Erwägung gezogenen – Einstieg von Berlusconi bei ProSiebenSat.1 aufzutun schien, erscheint als der ehrlichste Aufenthaltsort für deutsche Fernsehmacher. Ob wir eine GEZ-Gebühr für Internet-PCs brauchen, mag umstritten sein – wenn wir dafür Fernsehen 2.0 bekommen, dann nur her damit.

*** Das aber, das dürfte dann zu ganz neuen Verwerfungen führen, nicht nur wegen all der seltsamen Erregung, die den Niedergang des Privatfernsehens beklagt, die Finanzierung vernünftiger TV-Anstalten aber im Dunkeln lässt. All dieses 2.0 treibt aber sowieso gar seltsame Blüten. Es mag manche Leser langweilen, aber wir sollten daher noch einmal einen Blick auf dieses 2.0 werfen. Auf die Bobos  2.0 und ihr schickes neues Internet 2.0. Denn die Sache nimmt überhand. Mittlerweile schwappt der Begriff zurück in die reale Welt, es gibt sogar Zement 2.0. Nach all dem Katzencontent in den Weblogs ist es nur konsequent, wenn es Ein Herz für Tiere 2.0 heißt und eine aktive Community von 23,1 Millionen Haustieren ihre Rechte einfordert. Und für unsichere Menschen, die nicht genau wissen, was der ganze Zauber soll, gibt es Life-Coaching vom Typ 2.0 durch die Internet-Psychologin Felicitas.

*** Mit 2.0 wird das Web nicht nur persönlich, sondern so persönlich, dass es peinlich wird. Prompt gibt es Menschen, denen die Trennung von Berufs- und Privatleben nicht mehr gelingt. Im schlimmsten Fall geben sie ihre Privatsphäre preis und flickrn und youtoubn und podcastn, was das Zeug hält. Selbst die Wut im Bauch wird dann sozialverträglich auf einer Wuthalde abgeladen. Selbr schuld, könnte man meinen und die Sache abtun, aber die Privatsphäre ist eine ganz seltsame Medaille mit ganz vielen Seiten. Man könnte sich ja auch im Web 2.0 anonym bewegen, ist das beliebteste Argument der neuen Bobos. Nehmen wir nur StudiVZ, den Klon einer US-amerikanischen 2.0-Idee, die gerade ganz stolz ist, eine Million Studenten in Deutschland versammelt zu haben. In deren Geschäftsbedingungen heißt es: "Im Profil oder in sonstigen Bereichen des Portals absichtlich oder in betrügerischer Absicht gemachte Falschangaben – insbesondere das Vortäuschen einer fremden Identität – können zivilrechtliche Schritte nach sich ziehen." Studi, bleib bei deinem Namen, auch wenn viele Details darauf hindeuten, dass StudiVZ selbst es nicht so genau nimmt und sich im Ausland schon einmal hinter einer Kontaktanbahnungsfirma namens Parship versteckt. Welche zum Holtzbrinck-Konzern gehört, der in StudiVZ investiert hat.

*** Im vorherigen WWWW habe ich auf den Geschäftsführer von StudiVZ verwiesen, der immerhin so konsequent ist, sein Schweinsein 2.0 mit Fotos, texten und Videos im Web 2.0 auszustellen. Auch wenn mittlerweile seine diversen Toilettenvideos und Bilder gelöscht sind, kann man in den Textruinen noch lesen, wie Fragen aus einem Bewerbungsinterview als "Anmachspruch" genutzt werden können. Wobei eine Anstellung bei StudiVZ nach erfolgreicher Bewältigung der Anmache dazu führen kann, dass es schnell ans Machtergreifen geht. Machtergreifen wohlgemerkt, nicht das übliche Wischiwaschi von "leitende Funktion übernehmen". Wer dann noch mit dem Kürzel RMVP über eine Domain namens Völkischer-Beobachter.de im "Kampfblatt der Vernetzungsbewegung Europas" darüber jubiliert, dass Millionen deutscher Studenten bis zum Herbst mobilisiert sein werden, der zeigt sein wahres Antlitz. Ist es wirklich nur eine harmlose Partyeinladung, die das "Gebot der Pflicht" zur Feier des Führergeburtstages und des "Erfolges unserer Bewegung" oder zeigt sich nicht eine braune Denke, die gleich mit der Einladung das Abspielen von undeutschem Rap und Jazz nicht gestattet? Vor lauter Ekel mag es einem egal sein, was man hört, ob Gnarls Barkley, Russell Gunn, Matthew Shipp oder beispielsweise Wu-tang Clan, Hauptsache, es ist etwas, was diesem Herrn nicht behagt. Natürlich gibt es diejenigen, die geblendet von den Millionen deutscher Studenten auf StudiVZ und der schieren Größe und dem blitzsiegartigen Erfolg des Unternehmens von einem Streich eines dummen Jungen sprechen. Die, die Kritik an einem echten 2.0-Unternehmer, der diese Vorlage zum 65. Geburtstag Adolf Hitlers für seine Community verwendete, als blogvölkisch abtun und sich ganz tief bücken. "Europa steht standhaft und treu zum StudiVZ" titelte der neue Völkische Beobachter. Das mit seinen gefakten Niederlassungen Europa nach Strich und Faden verarscht.

*** Seit Montag ist das Fläschchen-Täschchen-Gebot auf Flughäfen in Kraft. Es geht auf einen Terrorarlarm in London zurück, bei dem möglicherweise ein Mix von Flüssigkeiten zum Einsatz kommen sollte. Nun hat sich in dieser Woche Elizabeth Manningham-Buller zu Worte gemeldet, die Chefin des Inlandsgeheimdienstes MI5 und damit die oberste Terror-Bekämpferin des Vereinigten Königreiches. In einer ihrer seltenen öffentlichen Reden nannte sie die Zahl von 200 islamistischen Gruppen mit insgesamt 1600 bekannten Personen, die über 30 konkrete Terror-Anschläge planen. Man könnte jetzt die Gegen-Aufstellung von Massoud Shadjareh zitieren, dem Vorsitzenden der britischen Islamic Human Rights Commission. Danach sind seit dem mutmaßlichen Terror-Anschlag mit verschiedenen Flüssigkeiten 1000 Menschen in Großbritannien verhaftet worden. 29 wurden im Zusammenhang mit terroristischen Akten verurteilt, davon waren 8 Personen Moslems. Verlinken ist derzeit nicht möglich, die entsprechende Presseerklärung musste gelöscht werden. Denn der Krieg gegen den Terror eskaliert, wie jeder Krieg. So wurde eine Frau verhaftet und angeklagt, weil auf der Festplatte ihres Computers terroristische Texte gespeichert waren. Das ist der Tatbestand. Wie glücklich können wir uns darum schätzen, dass in der BRD nun 132 Millionen Euro da sind, die IMAS zu gründen, den Blogwart aller Festplatten, in Verehrung von Markus Wolf. Vergessen wir nicht mit Ingo Wolf, dass wir online zielgerichtet die geschützte häusliche Sphäre verlassen. Und wenn wir etwas offline speichern?

*** Vielleicht sollte man in diesen Fällen das richtige Verschlüsseln lernen. Nicht unbedingt mit Windows Vista, das allein durch sein Design unglaublich sicher ist. Da gibt es Vista-Versionen mit dem Verschlüsselungs-Werkzeug Bitlocker, das den britischen Terror-Jägern eine Absage erteilt. Scharf, was? In den Fällen, in denen kein Trusted Platform Module (TPM) im Rechner steckt, speichert Bitlocker den Schlüssel zum Entschlüsseln auf einem USB-Stick. Und die Vista-Hilfe mahnt: Es gibt Fälle, in denen der Stick den Behörden übergeben werden muss. Dagegen hilft nur der schicke Privacy Dongle aus Bielefeld. Und der oder die Erste, die jetzt im Forum mit dem abgelutschten Bielefeld gibbet nich kommt, den wird die Hölle 2.0 holen. In ihr wird 24 Stunden lang gegruschelt. Ein endloses Bewerbungsinterview gewissermaßen, ganz ohne diese Kastrationsängste.

Was wird.

Seit mehreren Tagen berieselt mich ein Blatt mit der Werbung, dass der Mensch zu einem Drittel aus Muskeln besteht. Für jemanden, der so fett ist, wie ich es bin, ist das natürlich eine Herausforderung. Ohne Frage ist die Medica die wichtigste Veranstaltung der kommenden Woche. Zeigt sie doch nicht Viagra, Hoodia und Anatrim oder sonst ein Mittelchen, den Ständer zu bekommen. Denn frei nach dem großen Kant nutzt nur ein guter Schluck. Was ist schon Fett, was Göbelmasse, wenn VDE-konform aktive RFID-Implantate mir jederzeit mitteilen können, dass ich satt bin oder einen über den Durst getrunken habe, wenn ich Tanja-Anja abschleppen will. Leute! Sind wir nicht alles Schweine? Schweine 1.0, Schweine 2.0 usw, usf. Ach ja, ich habe vergessen: Die einen sind Prosciutto, die anderen einfach nur Speck.

Quelle : www.heise.de
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 19 November, 2006, 00:16
Shit happens. Und alte Säcke brauchen mehr als intelligente Toiletten, um in dieser seltsamen Welt zu überleben und nicht an chronischer Ohrverstopfung einzugehen, merkt Hal Faber an.

Was war.

*** "Es gab nur den Song und den Sänger. Wenn du keine Magie hattest, wenn du die Leute nicht durch die Melodie berührt hast, musstest du dich leider, leider erschießen. Heute kannst du's durch die Show retten." Zwei gelassene alte Männer unter sonnenbeschienen Bäumen klimpern ein bisschen auf der Gitarre und lesen anschließend im Interview ganz entspannt der Musikindustrie die Leviten. Einer Musikindustrie, die lieber den Musikfan erschießt. Oder dann halt doch von den Popklassikern lebt, sie neu abgemischt als die Sensation des Jahres feiert, oder gar in Bush-Amerika unerwünschte Personen zur Rettung des Pop ausruft, am liebsten aber immer noch auf die in Kadettenanstalten getriezten Hupfdohlen zurückgreift, die lautes Geschrei mit der Magie eines guten Popsongs verwechseln. Nun, da verwundert es nicht, dass der Pop jetzt rechtsradikal wird. Oder doch nicht – er geht wohl einfach den Weg all dessen, was nur noch langweilig und öde ist. Wer will schon noch das Recht auf Privatkopie, wenn es nichts mehr gibt, was sich zu kopieren lohnte ... Gibt es denn wirklich nur noch bei den alten Säcken ein bisschen Hoffnung?

*** Wer also ist die Hoffnung des Pop? Etwa all die hochgejazzten Web-2.0-Musikanten, von den Arctic Monkeys bis zu den Killers? Oder bleibt's bei den R&B-Eskapisten, die langsam in immer mehr Softsoul-Schmalz versumpfen? Warum dann nicht gleich André Rieu ... Fragen über Fragen, und nur unbefriedigende Antworten. Aber heute ist ja auch passenderweise der Welttoilettentag. Nicht aber, dass alles nur Scheiße wäre – es gibt ja auch noch anderes als die Ranküne der Musikindustrie und der unter akustischer Verstopfung leidenden Musikhörer. Denn schwerpunktmäßig wird der Welttoilettentag in Paderborn im Museum gefeiert, genauer in der Ausstellung Computer.Medizin: Womit wir wieder bei der Scheiße wären. Denn im HNF, da steht das intelligente Scheißhaus der Zukunft, die mit WLAN ausgestattete höhenverstellbare Toilette mit Sitzheizung, die unter anderem die Temperatur, den PH-Wert und den Blutzuckergehalt des Urins misst und per Funk zum PC schickt. Mit dem man wiederum einen Reinigungsstrahl programmieren und die Intensität des Trockenluftstroms bestimmen kann. Bald weiß meine Toilette mehr über mich als mein Hausarzt. Vielleicht kommuniziert sie hinter meinem Rücken mit dem aktiven Implantat in meinem Bauch, damit es das Magenband enger schnallt, weil ich wiedermal zuviel gefressen habe. Gut, man könnte den Welttoilettentag anders feiern, etwa mit einem Toilettenvideo aus der nicht enden wollenden Chronique Scandaleuse von StudiVZ, die uns im WWWW seit mehreren Ausgaben begleitet. Letztens schrieb ich über die Verwendung des Völkischen Beobachters durch die Bande. Nun sind die Illustrationen da und täglich kommen neue Details hinzu. Was man im Rahmen eines Welttoilettentages so kommentieren kann: Die braune Kacke kann man herunterspülen, für die braune Denke in den Köpfen dieser neuen Unternehmer braucht es andere Dinge. Immerhin: Dem gruseligen Essay eines Unbelehrbaren ist eine Entschuldigung 2.0 gefolgt.

*** Für IT-Journalisten wird das Leben mit dem Web 2.0 immer härter. Schluss ist's mit den Verhätschelungen, die sich Pressereisen nennen. Auch die Tratschplätze namens Messen werden besenrein anderen Bestimmungen überlassen. IBM hat dieser Tage neue Geschäftsideen in der Online-Welt Second Life vorgestellt, während Sun seine Java-Ankündigung und das Projekt Darkstar im eigens von Millions of Us aufgebauten Sun-Pavillon auf Second Life verkündete. 60 Leute schafften es, trotz aller verwirrenden Angaben durch Sun, in den virtuellen Pavillon. Journalisten waren nicht darunter, verkündete später Suns Chief Gaming Officer Chris Melissinos. Schlappe 15.000 Dollar hatte der Pavillon gekostet. Noch günstiger waren allerdings die vorab per Mail verschickten Pressemeldungen. Ich weiß nicht, was am Dienstag im Dell-Pavillon von Second Life verkündet wurde, da Dell europäische Teilnehmer von dieser Pressekonferenz ausgeschlossen hatte. Draußen vor wurde nur bekannt, dass man Dell-Rechner nun mit Linden-Dollars kaufen kann. Das Problem der tollen virtuellen Pressereisen ist wahrscheinlich auch ein Generationen-Problem. Am 1. Dezember lädt Socialtext zu einer Pressekonferenz in Warcraft ein. Bis um 5 p.m. Serverzeit muss man sich nach Goldshire im Elwynn Forrest auf dem Eitrigg-Server durchgekämpft haben. Wahrscheinlich werden das nur wenige Journalisten schaffen, wenn sie sich nicht mit einem erfahrenen Warcraft-Spieler zusammentun. Oder einfach auf die E-Mail mit der digitalen Pressemappe warten.

*** Während Cisco in Deutschland mit einem Konnektor etwas für die Gesundheit tut, hat man für schlappe 4 Millionen Dollar im Jahr die Cisco Fields der Oakland Athletics angemietet, um sie mit der neuesten Technologie zu füllen. Dem quengelnden Nachwuchs können Cola und Hot Dogs per Blackberry bestellt werden, ohne dass man auf das spannende Baseball verzichten muss. Hart arbeitet Cisco daran, dass der Spielbesuch sich nicht vom Fläzen vor dem Fernseher unterscheidet, mit Ausnahme der sauberen Toiletten natürlich. Das sollte man am Welttoilettentag fairerweise erwähnen. Zeitlupe auf Monitoren an allen Sitzen, was will man mehr? Und warum nicht bei uns? Wo ist es denn, das Siemens-Stadium? Kein Geld?

*** Cisco nennt den Deal eine Revolution in Anlehnung an die Oakland-Revolution der 68er, als das amerikanische Telefonnetz glühte. Damit ist übrigens nicht die Studentenrevolte gemeint, sondern das Heidi Game, die Entscheidung des Fernsehsenders NBC, am 17. November 1968 die Übertragung des Football-Matches zwischen den Oakland Raiders und den New York Jets eine Minute vor Spielschluss beim Stande von 29 zur 32 für die Jets abzubrechen und pünktlich mit der Ausstrahlung von Heidi zu beginnen. Pech für NBC: Die Raiders drehten das Spiel noch um und gewannen. Seitdem können Sportsendungen in aller Welt überziehen. Sportliche Katastrophen gibt es dennoch weiterhin, wenn Sender Werbespots zur falschen Zeit einblenden oder Waldemar Hartmann auf dem Bildschirm erscheint. Aber ach, was ist schon Waldi gegen Kai? Möglicherweise sind intelligente Toiletten doch die besseren Sportreporter, zumindest weiß man gleich, wohin mit der Scheiße, die am Ring, am Spielfeldrand und neben der Rennstrecke abgesondert wird.

*** Apropos Toiletten: Ich glaube, dass Microsofts Steve Ballmer ein großer Clown sein könnte. Leider muss er eine Firma führen, daher kommen seine Späßchen nicht immer gut an. Dieser Witz über den Teufelspakt soll offenbar verdecken, dass Microsoft offenbar ein Novell-Patent verletzt hat, das bis zum Jahre 2012 gültig ist. Doch Clowns sollte man nicht unterschätzen. Spätestens seit der Entscheidung, MS-Firefox statt dem patchgeplagten Explorer einzusetzen, zeigt sich Ballmer auch als vifer Stratege.

*** Und wenn man schon tief in der Schweiße steckt, kann es doch noch schlimmer kommen. Etwas verspätet verneige ich mich vor Jack Williamson, der im gesegneten Alter von 95 Jahren diesen Teil der Realität hinter sich gelassen hat. Mit "The Humanoids" schrieb Williamson einen der großen Roboter-Romane. Bei uns erschien das Werk unter dem Titel Wing 4 in der Science Fiction Reihe des Philosophen Gotthard Günther. Vom Goldenen Zeitalter der Science Fiction sind nur noch wenige Autoren unter uns und nein, mein Halbnamensvater Clarke gehört nicht zu ihnen, da er erst nach 1945 seine SciFi veröffentlichte. Bei aller Trauer gibt es auch gute Nachrichten: Der hier erwähnte Bibel-SciFi-Comic Acedah ist im freien Download verfügbar, mitsamt den Kommentaren des Autors. Zur Erinnerung: Er erzählt die Geschichte, was passiert, wenn wir alle mit RFID-Chips getaggt sind.

Was wird.

Wo ich bei den Geschenken bin; Weihnachten rückt näher. Das erste Spielzeug für den Admin von morgen wurde bereits als Nachricht gemeldet, doch die richtigen Spielzeugereien für Erwachsene, die der große Raffzahn listet, müssen bald bestellt werden, damit sie möglichst klimaneutral ankommen können.

Am nächsten Dienstag feiert Motorola einen besonderen Geburtstag. 10 Jahre ist es dann her, dass man den ersten Vertrag für den Aufbau eines TETRA-Netzes an Land zog. Trotz der satten Summe von 132 Millionen Euro für innere Sicherheit warten die Einsatzkräfte bei uns immer noch auf den leistungsfähigen Funk. Vielleicht liegt es daran, dass wir bei der inneren Sicherheit führend sind? Ach, die Gelder sollen in die Dauerüberwachung des Internet fließen. Und die Bundespolizei muss ganz dringend renoviert werden, damit "eine Stärkung des Kräftepotenzials für Auslandsverwendungen" erfolgt, während die Bundeswehr zum Ausgleich im Innern schädelsichernde Maßnahmen durchführen soll. Der ganze Irrwitz um Sicherheit und Terror braucht schnellstens eine Exit-Strategie.

Im Kampf gegen den Terror sollen auch die Anonymisierungsdienste die Vorratsdatenspeicherung betreiben. Ich verweise darum auf diesen exzellenten Blog, in dem einmal die Kosten für die Datenspeicherung von einem TOR-Admin durchgerechnet werden. Fazit: Die ausgesprochen sinnlose Anforderung dürfte viele TOR-Nodes zur Aufgabe zwingen. Was dann im Innenministerium als positive Nebenwirkung verbucht werden dürfte. All das ist nur ein zarter Hinweis auf eine Veranstaltung zum Anonymisierungsdienst AN.ON, die in der nächsten Woche im Bundeswirtschaftsministerium stattfindet. Wenn Sicherheitsfanatiker frei drehen, vergessen sie die Kosten des Antiterror-Terrors, die die Wirtschaft aufbringen muss. Derweil verabreden sich die wahren Terroristen zum Brainstorming im leergefegten Sun-Pavillion auf Second Life, in einer Warcraft-Höhle oder konferieren besser gleich als Clan in einem dieser Ballerspiele. Vielleicht kommunizieren sie in naher Zukunft über intelligente Toiletten, die prompt unter die Vorratsdatenspeicherung fallen. Shit happens.

Quelle : www.heise.de
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 26 November, 2006, 00:34
Was war.

*** Who wants to live forever? Viele, doch, auch wenn alles schon von anderer Seite für uns entschieden scheint. Am Freitag vor 15 Jahren aber starb Freddie Mercury, und eine Ära ging zu Ende. Eine noch weiter zurückliegende Ära verklang eigentlich erst am Donnerstag, als Anita O'Day starb, die voerst letzte der Diven unter den Jazzsängerinnen. Forever is our today.

** Diese Kolumne aber, sie entsteht nicht in der Ewigkeit, sondern am Kaufnichtstag. Das bedeutet zunächst einmal, dass absolut niemand diese Kolumne gekauft hat. Und das, obwohl ich meinen Bauchladen für Erwähnungsbonuszahlungen und Schweigespiralen nach dem neuen Ladenschlussgesetz rund um die Uhr geöffnet habe. Ich schreibe also die kleine Wochenschau, ohne dass ich das übliche Scheinchen der Bande bekommen habe, damit ich Siemens nicht erwähne. Ackermann hat mir gestern Abend bedauernd seine leere Börse gezeigt. 3,2 Millionen muss er zahlen, der arme Kerl, der bei der Deutschen Bank nur 20 Millionen per anno verdient.

*** Aber was sind schon 3,2 Millionen, wenn es um die Ewigkeit geht. Auch Microsoft und Novell haben diesmal keine Asche fürs Kolumnisten-Appeasement über, nachdem die beiden ehrenwerten Firmen am Mittwoch die Tageszeitungen von Filzland mit ganzseitigen Anzeigen pflasterten. "Brücken bauen" wollen sie, wozu ein weitreichender Patentschutz notwendig ist, sagen sie in der Anzeige. Tja, das ist dann wohl eine Partnerschaft, die wirklich für die Ewigkeit geschmiedet wird. Man muss sich das bildlich vorstellen, wie Microsoft eine Brücke in Powerpoint anlegt und merkt, dass in Open Office eine Fähre daraus geworden ist. So lesen wir in der Anzeige: "Die beiden Firmen arbeiten zukünftig zusammen, damit Kunden besser und einfacher Dokumente zwischen OpenOffice.org und Microsoft Office austauschen und damit bearbeiten können." OpenOffice.org, soso. Aber der Text geht noch weiter: "Außerdem werden wir den Kunden des jeweils anderen Unternehmens Patentschutz für unsere wichtigsten Produkte zur Verfügung stellen. So können wir unseren Kunden höchste Interoperabilität bieten." Aha, aha. Liebe Novell, liebe Microsoft, ich bedanke mich ganz herzlich für den anzeigenmäßig geschalteten Irrsinn, dass es ohne Patentschutz keine Interoperabilität geben kann. Das sind wirklich Weisheiten, die für die Ewigkeit Gültigkeit haben. Oder doch nur fürs Jenseits? Disclaimer: Ich weiß, dass sich die vollständige Erklärung etwas anders liest. Aber welcher Tageszeitungsleser tut sich den Tort an, so etwas zu lesen? "Dieses außergewöhnliche Abkommen zwischen Novell und Microsoft ist durch einen umfassenden und konstruktiven Dialog, gegenseitigen Respekt und kreative Problemlösung zustande gekommen." Es gibt Brücken, die (Vorsicht, Video) so ins Schwanken geraten können, dass es Menschen speiübel wird, wenn sie drüber wollen.

*** Dieser kleine Wochenrückblick entsteht in der norddeutschen Tiefebene, über die gerade ein warmer kräftiger Frühlingswind braust. Die Kinder sind draußen, spielen im Wald oder auf dem Bolzplatz. Dennoch werden sie sich heute Abend mit ihren Clans auf irgendwelchen Servern zum Ballern treffen, sofern sie nicht älter sind und Treffen in RL auf Parties vorziehen. Das aufgeregte Geschnatter über das Verbot von Killerspielen nach der Tat des verzweifelten ResidentX brauchen wir hier also nicht zu kommentieren. Natürlich beeinflussen Ballerspiele Kinder, genau wie das gern zitierte Spielen im Wald. Es gibt Auswirkungen: "Es gibt eine Studie aus den USA, die gezeigt hat, dass die Treffsicherheit der Täter durch die Computerspiele enorm steigt. Wenn Sie oder ich zum Amokläufer würden – wir würden mit solchen Waffen keinen Lastwagen treffen." Immerhin zeigt Emsdetten, dass die Waffenrechtsnovelle nach dem Amoklauf von Erfurt gegriffen hat: Die benutzten einläufigen Perkussionswaffen sind frei verkäuflich.

*** Die Kommentare zu Emsdetten zeigen den eigentlichen Irrsinn, der in Deutschland herrscht: Niemand sieht genau hin, hört zu und reagiert auf Hilferufe in den einschlägigen Web-Foren, in denen sich der junge Mann zu Worte gemeldet hatte. Weit weisen die Betreiber dieser Dienste jede Verantwortung von sich, schließlich haben Werbezwecke Vorrang. Die Tagespresse pflegt derweil unbekümmert ihre Steckenpferde und schwafelt Unsinn wie etwa, dass Jahre der feministischen Denunziation haben da volle Breitenwirkung entfaltet haben. Nicht besser allerdings erscheint es, wenn die gleichmachende, friedensbewegte und humanitätstrunkene Gesellschaft für den Griff zum Vorderlader verantwortlich gemacht wird. Und gleich ein höhnisches Looser dazu, das macht sich schick, in diesen Tagen. Derweil hat das Fäuleton der immerzu Anständigen die abscheuliche Ästhetik und die bessere Gewalt diskursiv im Griff und triumphiert mit der Deutungshoheit der immerzu Allesverstehenden. Derweil beginnt bei ResitantX derselbe Mechanismus zu wirken, der die Amokläufer von Littleton umgibt. Vor wenigen Monaten kam eine CD-ROM ihrer Aufzeichnungen heraus. Heute ist sie Kult und nicht wenige WWWW-Leser bestellten sie, als ich auf einen entsprechenden Text im Feuilleton verlinkte, der die Ästhetik dieser Aufzeichnungen lobend rezensierte.

*** Wer die Ballerspielphase hinter sich hat und womöglich an einer Universität zugelassen wird, aber sich nie getraut hat, ein weibliches Wesen anzusprechen, der hat es im Zeichen von Web 2.0 ganz leicht. Er grabscht notgeil digital die Bilder ab, die eine Website wie StudiVZ reichlich ungeschützt anbietet. Er gruschelt und das auch noch hoch arbeitsteilig organisiert. Aber, hey, ich bin doch nur ein völliger harmloser und ewigkeitsinteressierter Beobachter, seit Wochen schon, und freue mich, wenn es heißt, dass es total normal ist, dass sich Studentinnen über Studenten und Studenten über Studentinnen unterhalten. So bleibt mir nur übrig, im Sinne des Mitgründers mit einem (Vorsicht, iranisches Gewaltvideo) weiteren Link zu antworten. Denn heute vor 64 Jahren hatte Casablanca Premiere, ein kleines Filmchen, in 10 Wochen abgedreht. Die Videofassung für alle Aufrechten ist natürlich das Absingen der (Vorsicht, Video mit antidarianischen Untertönen) Marseillaise.

Was wird.

Lassen wir das mit den Hymnen. Wer kennt denn noch die großen Gesänge der SPD, wer singt denn noch inbrünstig über Spaniels Himmel, unter dem kein Sozialist den Faschistenkugeln ausweicht? Morgen beginnt die Konferenz über sozialdemokratische Wirtschaftspolitik, zu der auch der bekannte Sozialdemokrat Marcel Bartels eingeladen ist, genau wie sein Gegenspieler, der SPD-Minister Sigmar Gabriel. Der klagt seit geraumer Zeit über einen Forums-Beitrag, den ein Dritter bei dem besagten Marcel Bartels eingestellt hat. Wie heißt es so schön im Impulspapier der Konferenz, Punkt 16: "Die Politik muss zudem Verbraucherinnen und Verbraucher durch Informationsrechte und Transparenzregeln stärken, damit sie von der Nachfrageseite zum Funktionieren des Marktes beitragen können." Informationsrechte, Transparenzregeln? Und jetzt googlen bitte die WWWW-Leser, die es bis hierhin ausgehalten haben, den Satz "Ich will auch zu den Nutten".

Es gibt natürlich auch andere Termine, etwa die tolle Konferenz Bessere Software!. Man denke nur an den flammenden Vortrag, den SAP-Gründer Hasso Plattner in dieser Woche für bessere Software gehalten hat. Ausgerechnet ein SAP-Chef fragt sich: "Bin ich zu blöd, dass ich das nicht sofort bedienen kann?" Ach, wer kennt ihn nicht, den Witz "Wenn SAP Toaster herstellen würde, dann ..."

In Berlin ist T-Com zugange und veröffentlicht am Mittwoch die Ergebnisse der Studie Deutschland Online 4 zur Branchenkonvergenz und der herausragenden Art, die das grandiose Web 2.0 in unser aller Zukunft spielen wird. Nichts weniger als eine gesamtgesellschaftliche Betrachtung des Web 2.0-Phänomens präsentiert Professor Wirtz im Sony-Center. Deutschland Online 3 mit dem gesammelten Unsinn zum Triple Play gab es übrigens in München auf dem Digital Lifestyle Day. Doch das große Gruscheln mit Marissa Meyer und Craig Newmark findet erst im nächsten Jahr im Januar statt und T-Com braucht T-Com 2.0 so schnell wie möglich. Des Kaisers neue Kleider kommen diesmal nicht von Burda Moden.

Quelle : www.heise.de
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 03 Dezember, 2006, 01:39
Was war.

*** "Es sah aus, als habe eine belebte, aus altem Elfenbein geschnitzte Darstellung des Todes ihre Hand drohend gegen eine reglose Menschenmenge erhoben, die aus dunkler und glänzender Bronze gegossen war. Ich sah, wie er den Mund weit öffnete – er sah wie ein gieriger Dämon aus, als wolle er alle Luft, alle Erde und alle Menschen vor sich verschlingen." Heute vor 149 Jahren wurde Joseph Conrad geboren, einer der größten Schriftsteller in englischer Sprache – über den in Deutschland gerne kompletter Mist aufgehäuft wird. Willkommen in dem ungenauen Wochenrückblick mit den unpassenden Jubiläen, und doch ... "Es war, als sei ein Schleier zerrissen. Ich sah düsteren Stolz, erbarmungslose Gewalt, feigen Schrecken auf diesem Gesicht aus Elfenbein, tiefe und hoffnungslose Verzweiflung. Lebte er sein Leben nochmals, jeden einzelnen Wunsch, jede Versuchung und alle Hingabe, während jenes höchsten Augenblicks vollkommenen Wissens? Flüsternd schrie er etwas irgendeinem Bild entgegen, einer Vision – er schrie zweimal, nicht lauter als sein Atmen: 'Das Grauen! Das Grauen!'"

*** Viele kennen Conrad nur als Vorlage für Coppolas Apocalypse Now, den Film, in dem sich die Doors und Richard Wagner die Hand reichen, in dem ein neues Bild des Soldatischen vermittelt wird, eine neoliberale Kriegsidentität, die sich in Amokläufen entladen kann, in Auslandseinsätzen im Kampf aller um etwas. Unsere Gesellschaft ist ein Kampfzusammenhang geworden, in dem das neue deutsche Fräuleinwunder mit weit gespreizten Beinen im Satinhemdchen für Strategiespiele wie Medal of Honor Heroes wirbt. Ein Kampfzusammenhang, in dem die noch braun getünchten Führergestalten des Web 2.0 in Kampfbombern unterwegs sind. Eine heimlich militarisierte Gesellschaft, in der die Verleihung der Carl-von-Ossietzky-Medaille 2006 an den SASPF-Programmierer Florian Pfaff kein nachrichtenwertes Thema ist. Lieber hetzt man gegen "Killerspiele" und verkauft den Schund gleich umme Ecke. Leben wir schon in Costaguana?

*** Lehnen wir uns darum in diesen unseren Zeiten großer Bedrohungen in unserem Sessel zurück und freuen uns über das Terrorbekämpfungs-Ergänzungsgesetz und die Antiterror-Datei der neoliberalen Politik-Krieger, die konstitutiv für das Abendland denken, wenn sie uns im Krieg gegen das böse Morgenland die Freiheit einschränken. Natürlich bedroht dergleichen die Bürgerrechte nicht, weil ein Geheimdienst keine Zwangsmittel gegen die Bürger in der Hand hat, schreibt die taz. Die derweil über freudsche Versprechungsleistungen bei den Zwangsüberstellungen berichtet. Bei uns werden alle Zweifel ausgeflogen.

*** In den USA hat Scott Dilbert überzeugend dargelegt, dass Bill Gates einen guten Präsidenten abgibt – wenn man eine Mischung aus Mutter Teresa, Carl Sagan, Warren Buffet und Darth Vader als Präsidenten haben will. Ich persönlich würde eine andere Mischung bevorzugen. Außerdem möchte ich wirklich nicht Michael Greve als Bundeskanzler haben, auch wenn dann schön animierte Grafiken die deutsche Politik beleben würden. Dann schon lieber Lars Hinrichs als Kanzler, dessen Firma satte 319.000 Euro Gewinn machte. Mit OpenBC, das nächste Woche an der Börse klotzt, verfügt er einfach über einen Talentpool sondergleichen, schnell die BRD 2.0 aufzubauen. Wie verkündete Hinrichs auf dem Digital Bambi Day im Januar? "Ich habe 15 Jahre meiner 29 Jahre im Netz gelebt und wünsche, dass das jeder tut. Da gibt es keine Risiken, die man nicht beherrschen lernen kann."

*** Wobei ich überhaupt bekennen muss, dass ich gerade ein Problem mit Visionären habe. Gerade ist iWoz erschienen, ein überraschend schlechtes Buch vom großen Wozniak, der einfach alles erfunden hat außer der Maus, die er mit keinem Wort erwähnt. Der – siehe den Kasten "Ich und die UdSSR" – ganz allein den Sozialismus mit seinen Rockkonzerten zum Zusammenbruch brachte. Offenbar hat niemand dem aufgeplusterten Ego und seiner Mitautorin Gina Smith ("Wie ich mit Larry Ellison den Network Internet Computer erfand") beibringen können, dass manche Mythen besser Mythen bleiben. So aber haben wir iWoz bekommen, mit dem besonders großen I. Demnächst als Präsident.

*** Bekanntlich haben wir eine Justizministerin, die sich zusammen mit Microsoft für den Schutz des geistigen Eigentums stark macht. Erster Preisträger im Wettbewerb Die Idee ist zweifelsohne der Architekt Meinhard von Gerkan, der in dieser Woche dem Urheberrecht zu einem glanzvollen Erfolg verhalt, auch wenn der Sturkopfchef der Deutschen Bahn in die nächste Instanz ziehen will. So wird der Berliner Hauptbahnhof noch eine Weile mit dem Makel "Oben hui, unten pfui" existieren müssen, wie wir mit den Verspätungen der Bahn. Schließlich ist jetzt wirklich der Herbst da, mit diesen gefährlichen Blättern auf den Schienen. Was einem Mehdorn im Auge ist, wird schnell zum Geschwür. So bekommen wir bei der Warterei nicht die Reichsbahn-Ausstellung von Beate Klarsfeld geboten, sondern eine mit dem Material des DB Museums in Nürnberg. Sie soll zeigen, wie das damals war, als die Juden ihre Reichscard bekamen, zu 100% von Deutschen ermäßigt.

*** Ich mag übrigens Coppola. Zu dieser Jahreszeit das von ihm produzierte "Junky's Christmas" mit William Burroughs als Sprecher zu sehen, gehört zu den besseren Chanukka-Bräuchen, auch wenn Burroughs als Sprecher eine Fehlbesetzung ist wie Woz als Autor. Was macht ein aus dem Gefängnis entlassener Junkie? Was macht ein zu 9 Monaten Haft auf Bewährung verurteilter Anwalt, bei dem seine "äußerst herablassende Art, seine völlige Uneinsichtigkeit und sein fehlendes Unrechtsbewusstsein" strafverschärfend wirkten? Wo ist der Kick, sich aus der urgemütlichen Realität zu katapultieren, in einen schönen Raum, der nur für die Explorer von echtem Schrot und Korn geöffnet wird? Auch die Aufmerksamkeitsökonomie hat ihre Opfer, am langen Schwanz der Hoffnung.

Was wird.

Bleiben wir doch einfach im Gericht, auf hoher See. Morgen starten im idyllischen Kassel eine ganze Serie von Verhandlungen zu einer Prozesslawine, bei der selbst SCO die Scheckbücher schlackern dürften. Im wirklich einzigartigen TransiDoc-Verfahren geht es um die Sicherheit von digitalen Dokumenten. Stellen wir uns einmal vor, nicht in der norddeutschen Tiefebene zu wohnen, sondern ein Schloss zu kaufen, das einstmals der Affinger Adel bewohnte. Der Kaufvertrag wird mit einer digitalen Signatur in einem Word-Dokument unterschrieben. Doch dann fordert ein findiger Rechtsanwalt mit Verweis auf eine PDF-Datei Kauflizenzgebühren in ungeahnter Höhe. Wie solch ein Prozess ausgehen kann, soll in Kassel geklärt werden.

Es ist noch ein bisschen hin, doch der IT-Gipfel von Bundeskanzler Greve, äh, uhm, Bundeskanzlerin Merkel schlägt bereits hohe Wellen, wie das IT-üblich ist. Man könnte jetzt die Größe des Planschbecken berechnen, in dem all dies passiert, doch ich weise leidenschaftslos nur auf SAP-Chef Henning Kagermann hin, der zum Kaffeekränzchen ganze Leuchttürme heranschleppt. Es ist natürlich nicht so, dass eGovernement nur mit SAP-Software geschmiert läuft. Wir müssen uns nur fokussieren und das auch bei den Universitäten tun, denen langsam die die InformatikerInnen ausgehen, dann klappt das schon. "In Amerika ist Informationstechnologie groß geworden, weil das Verteidigungsministerium investiert hat." Los Ballermannlos, anyone? Uh, öh, röchel: Fast hätte ich ihn vergessen, den offenen Brief der Bürger an die Kanzlerin, doch bitte beim Gipfel nicht den Zipfel zu vergessen. Welchselbiger nicht immer ein long tail ist. "Das Grauen! Das Grauen!" – aber selbst das ist heutzutage äußerst banal.

Quelle : www.heise.de
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 10 Dezember, 2006, 02:22
Was war.

*** Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust,
Die eine will sich von der andern trennen;
Die eine hält, in derber Liebeslust,
Sich an die Welt mit klammernden Organen;
Die andere will Knete sehen.

Darum gibt es heute statt der Faust-Karriere eines Intellektuellen, der es nur zum Bobo 2.0 bringt, das bekannte Gejammer eines Journalisten, der von der Hand in den Mund lebt, mit einer Tastatur dazwischen. Doch das wird sich ändern! Ich werde reich, unfassbar reich! Ich kann schon einmal anfangen, die Vorpixel, aus denen Vollpixel werden und schließlich liebliche Scheinchen, denn hach, im Internet 2.0 sind meine wertvollen Beiträge bares Geld. Im nächsten Jahr. Eventuell. Und nur, wenn der nette honorarzahlende Verlag in der norddeutschen Tiefebene die geldscheißenden Vorpixel auf seiner Webseite installiert und ich jeden Text feinsäuberlich in ASCII an die VG Wort schicke. Nun gut, so richtig hasenrein ist die Methode nicht, aber doch wohl ein feiner Beweis, wie wir Journalisten das Internet mit unschätzbaren Werten füllen und uns an den geistreichen Kommentaren der werten Leser freuen können, während die Blogger mit ihrem Katzencontent halt bluten müssen.

*** Tempo, die Schülerzeitung der 80er Jahre, ist wieder da, auf Stippvisite, und zeigt deutlich, wie das mit der anderen Seele geht. Acht Seiten am Heftende, auf denen der Nutella-Aufstrich des deutschen Journalismus für H&M als Model antritt, brauchen eigentlich keinen Kommentar mehr. Den spare ich mir darum für den im letzten WWWW erwähnten deutschen Bill Gates, Michael Greve, auf, der vor dem Ziel, Bill Gates zu werden, vor allem sehr deutsch ist, komplett mit Anwälten und Anmahnungen. Das sind juristische Vorpixel, aus denen schnell kostennötige Vollpixel werden können. Kann passieren beim Bloggen, dass ein kommender Bill Gates jemanden auf dem Strich hat. Aber ach! Beim Journalismus sieht es nicht viel anders aus. Da darf man nicht nur nicht über den netten BKA-Kollegen berichten, der in Afghanistan den deutschen Staatsbürger Khaled el Masri verhörte, sondern darf nicht einmal etwas über den Rechtsstreit selbst schreiben, weil nette BKA-Beamte keine Personen der Zeitgeschichte sind. Bestenfalls Unpersonen, für die entsprechend das Unrecht zuständig ist. Immerhin hat sich die deutsche Regierung gegenüber dem Kettenraucher el Masri erkenntlich gezeigt und die Diskussion über das Rauchverbot als verfassungsfeindlich eingestellt.

*** Verfassungstreu ist angeblich das Land Hessen, dass mit dem GIAZ eine Behörde vorgestellt hat, in der Polizei und Verfassungsschutz im Kampf gegen den Terrorismus zusammenarbeiten. Dieses "Gemeinsame Informations- und Analysezentrum" kampft auch im Internet, bekanntermaßen die Fernuniversität schlechthin, bei der alle Terroristen immatrikuliert sind, um zu Diplom-Terroristen ausgebildet zu werden.

*** Apropos Ausbildung: Journalisten brauchen keine. Das ist wie bei dem Vorpixel und läuft im Grundgesetz unter dem Stichwort barrierefreie Meinungsfreiheit. Jeder darf sich Journalist nennen, schreiben und das Resultat als Vollpixel verkaufen. Es darf sogar der größte Blödsinn über die ferngesteuerte Online-Untersuchung sein. Sieht man einmal davon ab, dass das Eindringen in fremde Computersysteme strafbar ist, die Unverletzlichkeit der Wohnung vom selbigen Grundgesetz garantiert wird, stellt sich immer noch die Frage, wer da die computertechnisch völlig unbedarfte Autorin technisch beraten hat. Vielleicht ist es am Ende nur eine Gehaltsfrage? Sehen wir es mit Dr. Faustus und Schmidt-Eenboom: Klammernde Organe sind keinem Journalisten fremd.

*** Der Unsinn von der Online-Durchsuchung, die jederzeit möglich ist, wenn man sich im Internet aufhält, wird dadurch nicht richtiger, wenn er angeblich in einem offiziellen "Programm für die Stärkung der inneren Sicherheit" steht. Dagegen hilft das "Programm zur Sicherung des häuslichen Friedens", 14-täglich in Ihrer Computerzeitschrift zu lesen. Vielleicht ist der hoch aufgehäufte Unsinn im Artikel nur ein raffiniert versteckter Aufruf, das programmatische Dokument der inneren Sicherheit zu befreien und zu veröffentlichen.

*** Kommen wir zu Nachrichten, die traurig stimmen. Mit guten IT-Kenntnissen ist es nicht getan. Einfach Google Maps ausdrucken und ohne Beachtung der Wetterberichte in leichter Bekleidung mal eben in die Berge fahren, das kann sich rächen. James Kim, der MP3-Player-Spezialist von CNet, hat genau das getan und dafür mit seinem Leben bezahlt. Seine Familie hat überlebt, die Details haben die Tagesblätter aller Welt ausgewalzt. Der Journalist James Kim war ein sympathische IT-Journalist, der immer die neuesten Familienbilder bei sich hatte; er mag ein warnendes Beispiel sein: Nicht alles, was im Netz, an der Konsole, im Ballerspiel so leicht und einfach aussieht, ist es auch in der realen Welt. Traurig sind darum auch die Nachrichten über die Trittbrettfahrer, die sich ein Witzchen auf die Verzweifelungstat in Emsdetten machen können, weil es wiederum Journalisten sind, die ihre Phantasien über Killerspiele ausleben. Bleibt allenfalls die Frage übrig, warum die Polizei, die gegen Terroristen souverän mit der Online-Durchsuchung vorgehen können, in diesem Fall zu Server-Logs greifen muss.

Was wird.

Morgen beginnt in Berlin eine Konferenz über den Holocaust im transnationalen Gedächtnis. Sie ist als Gegenstück zu einer iranischen Holocaust-Konferenz konzipiert, auf der sich die Holocaustleugner treffen. So aufrichtig die Motive sind, so zweifelhaft sind die möglichen Ergebnisse. Denn weitab von den Rechtsauslegern, denen Deborah Lipstadt bereits 1994 eine souveräne Beherrschung der Datennetze attestierte, breitet sich im Web 2.0 eine spielerische Form des Anti- wie des Philo-Semitismus aus, die bedenkliche Züge trägt. Eine Klitsche, die studentische Kontaktnöte befriedigt, lädt mit einer getürkten Ausgabe des Völkischen Beobachters zu einer Party ein. Von anderer Seite her kommend, zitiert man eben mal die mewineß heran und schreibt dazu gespreizt: "Der echte Blickkontakt hebt die Beziehung zu Mavens auf eine bislang kaum erreichbare Intensität und führt zu einer deutlichen und nachweisbaren Stärkung der Loyalität." All denen, die ziemlich leichtfertig auf religiöse Dispositionen zurückgreifen und Stereotype ausbeuten, sei Dawkins The God Delusion empfohlen, ein Buch, das unter anderem klarstellt, warum eine Haltung schädlich ist, die mit dem Kampf der Kulturen und Religionen Marketing betreibt. Dagegen hilft nur offener Atheismus.

Am Donnerstag steigt in Darmstadt eine offenbar völlig überflüssige Konferenz zur Internet-Kriminalität. Denn wenn die Online-Durchsuchung so einfach funktioniert, wie das die Süddeutsche Zeitung weisgemacht hat, dann sollte man den Phishern, Stalkern und Schwanzverlängerern schnell den Hahn abdrehen können. Zumindest, bis man auf neue Geschäftsmodelle trifft. Natürlich schwer passwortgeschützt, was die Sache noch attraktiver macht. So schließe ich, mit Goethe angefangen und um ca. 300 Euro reicher, mit Shakespeare, der hier sonst nur den Fall des Hauses SCO kommentiert. (Aber dort liegen die Kurse im Keller, Gesundung nicht in Sicht.)

Es beuge sich des Knies gelenke Angel,
wo Kriecherei Gewinn bringt.

Quelle : www.heise.de
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 17 Dezember, 2006, 03:56
Was war.

*** Heute beginne ich rücksichtslos mit den ganz schlimmen Nachrichten, obwohl Weihnachten vor der Tür steht und der geneigte Heiseleser schonmal die Installationsanleitung für den Baum 2.0 ausgedruckt hat. Da wäre die Meldung, dass ich wohl nicht mit den Vor/Vollpixel reich werde, wie im letzten WWWW behauptet. Wie kluge WWWW-Leser erkannten, gibt es üble Konsequenzen, die im Netz der Spammer, Schleimer und Verfüger zwangsläufig eintreten. Den einsamen Kampf, mit dieser Kolumne die maladen Wochenendzahlen von zweieinhalb Millionen Visits am Sonntag wieder über die werktäglich üblichen fünfeinhalb Millionen zu stemmen, den wird mir also nur der kleine bezaubernde Verlag in der norddeutschen Tiefebene vergelten.

*** Doch halt! Wie lange noch? Es gibt noch schlimmere Nachrichten! Wir leben hier in einem bedrohten Erdteil! Drei Viertel des Bundeslandes, das sich rund um das bezaubernde Hannover ausdehnt, liegen in dieser norddeutschen Tiefebene und sind akut bedroht, wenn der Meeresspiegel ansteigt. Das muss man sich einmal vorstellen: heise online unter Wasser, die c't aufgeweicht und zur Manuskriptübergabe muss man mit dem Schlauchboot paddeln. In der norddeutschen Tiefebene wird übrigens die Hälfte der deutschen Windenergie erzeugt. So gesehen ist es nur konsequent, wenn das Land Niedersachsen den Ökostrom abbestellt. Das spart eine Million Euro und ist ein tolles Signal für das nachhaltige Wirtschaften.

*** Es muss wohl, und das ist die dritte schlimme Nachricht dieser Woche, einen Zusammenhang zwischen der Tiefebene und dem Denken der Bewohner dieser Ebenenwelt geben. Langjährige Leser dieser Wochenschau werden das unterstreichen, denn natürlich war früher alles besser, das WWWW inklusive. Ebenenmäßig ist auch das Denken eines tiefniederen Sachsen, der als aktiver Sportschütze die Kriminalisierung von Computerspielen betreibt. Zwei Jahre Haft für den, der die Verherrlichung von Gewalttaten wie der Keilerhetze betreibt, das würde passen. Man könnte nun darüber reden, ob Spiele ökologisch unbedenklich sind oder ob die Unterhaltung virtueller Inseln reale Tiefebenen überschwemmt. Besser ist aber eine Debatte über die Nöte jugendlicher Computerspieler, die medial zu echten Monstern werden. Dabei haben sie es nicht leicht in dieser Welt, wie es von Netzpolitik berichtet wird: "Ich mag keine Kriegsschlachtspiele à la 'Command & Concquer', aber: Die Jugendliche müssen es auch aushalten, dass das ZDF Herrn Knopp hat."

*** Schlimmer als das Bild vom wahnsinnig werdenden Computerspieler ist eigentlich nur das Bild vom Hacker. Während die Szene liebevoll an der Unterscheidung zwischen kreativem Hacker und bösartigen Cracker festhält, nimmt die breite Öffentlichkeit diesen Unterschied nicht zur Kenntnis. Für die gibt es nur noch Datenkünstler und Datenterroristen. Fangen wir bei den hochgelobten Datenkünstlern von ubermorgen an, die mit Hilfe von zwei italienischen Hackern angeblich 3000 Bücher von Amazon geladen haben und die erfolgreiche Erpressung via Amazon Noir als Kunstprojekt deklarieren können. Nun soll es gegen Google gehen, natürlich im Namen der Kunst. In 202 Millionen Jahren soll Google kapitulieren.

*** Dann gibt es die Datenterroristen, die man in zwei Unterklassen einteilen kann, die staatlichen und die nichtstaatlichen. Beide führen den Namen Häcker – bitte, der Bundestag hat diese Aussprache auf einer Art Karnevalssitzung (PDF, ab S. 31) beschlossen. Staatlich sind die Chaos Polizei Häcker oder die BKA-Häcker am Werk, die bisher, wie Staatssekretär Hartenbach in der besagten Sitzung feststellen musste, mit ihrer Online-Festplattenuntersuchung scheiterten. Aber alle Häcker fangen klein an. Wahrscheinlich fehlt dem als Vorauskommando losgeschickten BKA-Trojaner das nötige Quentchen "social engineering". Statt "Hier spricht das BKA. Bitte öffnen sie sofort den Anhang dieser Mail", wäre "Billiges Viagra aus Meckenheim" sicherlich zielführender.

*** Auf der anderen Seite ist der Chaos Computer Club, eine nichtstaatliche Organisation von freundlichen Datenreisenden, die sich früh im Netz tummelten und daher nicht an das Märchen vom bösen Wolf glauben. Zur Erinnerung: Dieser Wolf hatte vor ein paar Tagen erklärt, dass jeder, der online ist, "zielgerichtet die geschützte häusliche Sphäre" verlässt, alle Daten inklusive, die sich auf dem Gerät befinden, mit dem er online ist. Da die Häcker mittlerweile in die Jahre gekommen sind und die häusliche Sphäre schätzen gelernt haben, verweisen sie auf Systeme wie Phantomix, mit denen man den Rechner startet, im Internet herumwolft und dann schnell alle Verbindungen kappt. Dummerweise gibt es auf arabisch ein Anleitung, die genau dieses Vorgehen den Mudschahidin ans Herz legt. Damit ist für die staatlichen Häcker klar, dass die freundliche Häckerei Tarnung ist. Nicht von ungefähr tauchen die Verdachtskritierien islamistischer Terrorismus als befreites Dokument in ihrer Reihen auf. Grund genug für dubiose Anwälte gegen diese chaotischen Computer-Terroristen Anzeige zu erstatten

*** Eigentlich wollte ich an dieser Stelle noch etwas zu einem Ereignis in der abgelaufenen Woche schreiben, das eher beiläufig im Ticker erwähnt wurde. Doch Don Alphonso, den manche Rätselrater lustigerweise bereits für mein Alter Ego halten, nimmt mir die Arbeit ab und berichtet von dem Feuern unliebsamer Journalisten, die schlicht berichten, welch ein Murks im Web-2.0-Zirkus produziert wird, wenn sich die Politik einschleicht. Besonders apart dabei: ein Herausgeber wie Michael Arrington, der seinen Reporter feuert, während er bei Microsoft den tiefen gelenkigen Diener macht, mit dem das WWWW mit Shakespeare in der letzten Woche endete. Weil Don das alles auch noch heute schreibt, entzünde ich das erste Licht. Besser kann Channukah nicht beginnen. Dazu noch ein bisschen Hasidic New Wave, um den akustischen Schmutz des weihnachtlichen Geklingels und Gesäusels, das allenthalben die deutschen Innenstädte erfüllt, aus den Ohren zu spülen: Ja, so geht das.

Was wird.

Gleich zum Wochenanfang setzt es hohe Wellen, und das in Potsdam, das auch dann noch nicht an der Ostsee liegt, wenn von Hannover nur noch ein paar Inseln übrig sind. Ganz seriös tagen dort die Gravitationswellenforscher von der Einstein@home-Community, bei denen ein Team mit dem Namen Special: Off-Topic seltsam vertraut klingt. Etwas unseriöser rummelt es im selben Ort am Hasso-Plattner-Institut beim ersten nationalen IT-Gipfel der Bundesregierung. Dieses stellare Treffen schlägt seit Tagen Wellen, weil Supertanker rumkurven, aber für die grüne Zivilgesellschaft und den Bundesdatenschützer kein Platz im Boot ist. Was kommen wird, hat die Gipfelherrin bereits erläutert: Eine Qualitätsoffensive für Call Center wird gestartet. Das ist für mich zwar nicht gerade IT-Spitzentechnik, aber ausnahmsweise muss ich unser Kanzlerin recht geben. Die Qualität der Callcenter lässt sich nur auf einer nach unten offenen Skala abbilden.

Mehr im IT-Bereich sind die Anmerkungen der Naturwissenschaftlerin Merkel zu den RFID-Chips, mit denen James "Djihad" Bond beim Zocken im Casino Royale besser von der Zentrale kontrolliert werden soll. "Wir werden beschleunigt daran gehen, die Barcodes auf Produkten in Supermärkten durch Radiochips zu ersetzen. Und wir werden eine neue Suchmaschine entwickeln, damit auch Deutschland hier besser an die Spitze kommt." Merke: Quaero getreten macht breit, nicht stark.

Gravitationswellen vor Weihnachten mit Merkel auf dem IT-Kaventsmann? Richtig: Weihnachten naht. Noch nichts Passendes gefunden im allgemeinen Konsumterror? Wie wäre es mit der Fackel der Aufklärung? Oder stilecht mit den Forschern, allen echten Bikern zum Gruß: Big Bang!

Quelle und Links : http://www.heise.de/newsticker/meldung/82658
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 24 Dezember, 2006, 00:32
Was war.

*** Der IT-Gipfel ist bapschmäßig verdamp lang her, und so richtig ähnz jenomme hat den wohl keiner, aber dennoch müssen ein paar Worte aus der norddeutschen Tiefebene an die Gipfelleute gerichtet werden. Wir haben also eine Kanzlerin, die sich vor laufender Kamera über die Länge des Informatik-Studiums mokiert und anmerkelt, dass ein Informatiker einfach mal nicht noch die x-te Programmiersprache lernen, sondern lieber früher arbeiten gehen soll. Dafür bekam Frau Merkel viel Beifall von Herrn Burda in der ersten Reihe in einem Hörsaal am Hasso Plattner-Institut, während Herr Plattner zweifelnd mit dem Kopf wackelte. Vielleicht erinnerte sich der Mitgründer einer Weltfirma an die Jugendsünden namens ABAP, einer Programmiersprache, die als verhunzter BASIC-Dialekt gestartet war. Vielleicht erinnerte sich auch niemand daran, denn Erinnern ist in der IT überhaupt schädlich und einem IT-Gipfel schlicht nicht angemessen. Sonst wäre vielleicht dem einen oder anderen ein IT-Gipfel eingefallen, den ein Forschungsminister Riesenhuber in der Regierung Kohl veranstaltete, nach dem die Künstliche Intelligenz der 5. Generation gefördert wurde und ein Verbmobil mit mehr als einer Milliarde DM finanziert wurde. Von dem verhunzten Gipfelprojekt ist ein Übersetzungssystem für Hotelreservierungen übrig geblieben. So fügt es sich ganz wunderbar im Sinne der historischen Kontinuität, dass mit Theseus die Verbmobilisten wieder ein Leuchtturmsprojekt an Land gezogen haben, bei dem nach Herzenslust gefunzelt werden darf. Die Stars der Szene wie Frau Henzinger werden bieder und praktisch in ihre Perlenkette beißen.

*** Apropos Google. Die mit der stattlichen staatlichen Förderung von 0 Dollar gestartete Suchmaschine freut sich über einen neuen Mitarbeiter, den Samba-Entwickler Jeremy Allison, der aus Protest gegen den Nichtangriffspakt von Novell mit Microsoft bei Novell das Handtuch geworfen hat. Über die Hintergründe seines Schrittes, über die Angst, als Paria von der Community ausgeschlossen zu werden, will Allison auf der kommenden FOSDEM in Brüssel berichten. Huch, damit wäre ich viel zu früh beim "Was wird".

*** Also nochmal zurück, denn es war doch noch was los in dieser Woche: Wegen der Mehrwertsteuererhöhung sind die Heiligen Drei Könige vorzeitig gekommen und haben uns reichlich beschenkt. Wie von Merkel angemahnt, setzt Deutschland Standards und so bekommen wir den Bundestrojaner. Zwar ist die Online-Durchsuchung vorerst nur in NRW legalisiert, doch wenn die Klagen scheitern, wird man sich bundesweit darauf einstellen können, dass der Verfassungsschutz den Dodo-Bundestrojaner losschickt. Denn wer sich in das Internet begibt, stellt seinen "standortunabhängigen PC" quasi in ein "Schaufenster", wie es Horst Engel, der Rhetorikexperte der FDP, kundig beschreibt. In diesem wundersamen Schaufenster liegen also Verzeichnisse wie Mein_Moelli_Compi\Meine_Dateien\Meine_Partei\Meine_schwarze_Kasse\Mein_geplanter_Selbstmord quasi offen herum und werden vom Bundestrojaner abtransportiert. Die neue Befugnis, heimlich auf fremde Rechnersysteme zugreifen zu können wird von einem FDP-Politiker verantwortet. Das ist die Partei, in der eine Politikerin aus Protest gegen den Großen Lauschangriff von ihrem Posten als Justizministerin zurücktrat. Lang ist das her, genau 11 Jahre; am 14. Dezember 1995 geschah das. Vielleicht sollte dieser Tag zum Feiertag erklärt werden, an dem wir alle Einigkeit und Recht und Freiheit singen.

*** Ganz nebenbei ziehe ich meinen Hut vor Twister, die ich in diesem WWWW mit allen guten Wünschen in die Twister-Ferien geschickt hatte. Die Schöpferin der bezaubernden Sabrina hat es sich trotz aller Hindernisse nicht nehmen lassen, gegen die Online-Durchsuchung Verfassungsbeschwerde einzulegen. Normalerweise macht ja der beste Verlag der niederdeutschen Tiefebene hier Werbung und bezahlt mich dafür, die Werbung mit etwas Text zu garnieren, aber weil kommt, was manche "Fest der Liebe" nennen, mache ich etwas Werbung für die Möglichkeit, Geld für einen guten Zweck zu spenden. Mit allen üblichen Witzchen: Eine Spendenquittung aus Bielefeld sollte jeder an sein Handtuch tackern.

*** Das zweite standardsetzende Weihnachtsgeschenk kommt von Bundeskabinett und besteht aus einer saugeil kostenlosen Erweiterung des Reisepasses um die Fingerabdrücke der beiden Zeigefinger. Die wieder einmal betonte Vorreiterrolle lassen wir uns einiges kosten: Fingerabdruckleser auf den Meldeämtern bzw. bei den Passbehörden, Vernetzung aller Lesestellen inklusive. Denn die Extended Access Control sieht vor, dass sich das Pass-Lesegerät mit einem gültigen Zertifikat präsentieren muss, ehe die Fingerabdruckdaten vom Chip frei gegeben werden. Unautorisierte Zugriffe soll es der Theorie nach nicht geben, Fingerdatensammlungen auch nicht. Nur bei Nicht-Schengen-Menschen und Verbrechern wird gesammelt. Das Ganze wird als Maßnahme im Kampf gegen den Terrorismus verkauft. Besonders putzig ist diesmal nicht die FDP. Die lamentierenden Grünen haben anscheinend vergessen, dass sie in eben der Regierung waren, die den biometrischen Reisepass auf den Weg gebracht hat. Aber das ist ja lange her, richtig verdamp lang.

*** Das dritte Weihnachtsgeschenk gehört zu der Kategorie der Schrottwichtel. Vor allem aber ist es schwer zu fassen und auf den ersten Blick nicht sehr IT-haltig. Im Februar kassierte das Bundesverfassungsgericht das geplante Luftsicherheitsgesetz. Mit ihm sollten die Streitkräfte zum Abschuss von Flugzeugen ermächtigt werden, ehe diese in Hochhäuser stürzen und ein ordentliches Backup verhindern. Leben darf niemals mit Leben verrechnet werden, verkündete dagegen Karlsruhe. Nun haben uns findige Juristen den Tatbestand des Angriffs auf Gemeinschaftsgüter beschert. Ist also ein Gemeinschaftsgut wie ein Stadion, ein Kraftwerk, ein Bahnhof, ein Bundestag durch einen wie auch immer gearteten Angriff gefährdet, darf das Militär gerufen werden und im Spannungsfall zur Waffe greifen. Eine militärische Besetzung des DE-CIX-Knotens wäre demnach eine legitime Handlung zum Schutze des Gemeinschaftsgutes, wenn die Bundestrojaner ausschwärmen. Lernen wir von den Engländern: Im Kampf gegen Shampoo ist jedes Mittel recht.

Was wird.

Bei so vielen Geschenken muss, was in die Krippe kommt, die reine Freude sein. Und das, obwohl im Weihnachtsgeschäft des abrückenden Jahres 2006 erstmals PCs keine Rolle als Renner spielten. Jedenfalls tauchen sie erstmals nach vielen Jahren nicht mehr im üblichen Bericht des Einzelhandels auf. Aus den USA wird berichtet, dass nur Mac-PCs Zuwächse verbuchten. Noch ist zu früh, um den verspäteten Windows Vista die Schuld zu geben, aber nicht zu spät, allen Lesern ein wirklich ruhiges Weihnachten zu wünchen. Wer sonst als "Computerspezialist" am heiligen Abend Anrufe sehr entfernter Verwandter und Bekannter bekam, wird diesmal offenbar ruhig weiter essen dürfen. Derweil sind die Markt-Auguren schon eifrig tätig und reden von der Hyperdisruption, mit der neue Märkte im Nahen Osten und den BRIC-Staaten erschlossen werden. Ich sehe schon meinen lokalen PC-Händler mit einem Koffer voller Festplatten in Dubai auftauchen. Vielleicht schmeißt er auch den Gewinngenerator an.

Channukah geht zu Ende, das Weihnachtsfest wird auch bald vorbei sein, nur Kwanzaa wird noch ein bisschen länger gefeiert, Übrigens ist Microsoft einer der wenigen Arbeitgeber in der IT, die dieses Fest vorbehaltlos anerkennen. Genau die richtige Zeit für den CCC, im realsozialistischen Prachtbau BCC die Vertrauensfrage zu stellen und Tacheles über die Online-Durchsuchungen zu reden. Wobei es schon auffällig ist: Ein paar Wochen später tagt im BCC der europäische Polizeikongress, ebenfalls mit einem Panel über Online-Durchsuchungen. Form Follows Function?

Nach dem Feiern geht es weiter, da wartet für Jüngere der Parcour, für Ältere die Disko. Und natürlich das Jahresend-WWWW.

Quelle und Links : http://www.heise.de/newsticker/meldung/82957
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 31 Dezember, 2006, 03:07
Bei sehr bösen Menschen könne man sich gar nicht vorstellen, dass sie sterben, meinte Theodor W. Adorno – dass aus dieser Unfähigkeit, die nicht nur die individuelle Existenz betrifft, wiederum andere die Konsequenz ziehen, selbst zur hinrichtenden Tat zu schreiten, ist nicht nur absurd, sondern auch keineswegs ein Ereignis, dass es zu begrüßen gilt. Und trotzdem muss man nicht gleich der Komplizenschaft mit einem elenden Tyrannen und Massenmörder schuldig sein. Aber lassen wir das, es gab in diesem Jahr auch Abschiede, die mich wirklich traurig stimmten. Bereiten wir uns lieber darauf vor, sauber ins nächste Jahr zu kommen. Die ausgesoffenen Rollmopsgläser können wir dann morgen bejammern, schließlich kann man einen Kater mit Fug und Recht auch jetzt schon haben. Denn ...

Was war 2006?

*** ... das war's. Jetzt muss ich allen lieben Menschen, die mir und dem WWWW die Treue gehalten haben, einen guten Rutsch wünschen. Und weil das so eine unwahrscheinlich große Masse von lieben Leuten sind, dellen und krümmen wir mit Einstein die Zeit ein wenig, um Raum zu bekommen für ein paar Rück- und Ausblicke. Haben wir wirklich 2006 hinter uns? Wird 2007 kommen? Was ist überhaupt 2007? Das sind alles beunruhigende Fragen. Nehmen wir nur den M87-Zyklus von Perry Rhodan, der vor 40 Jahren anno 1967 angesagt war, als die Zeitpolizei, diese unbestechlichen Schwingunsgwächter im Einsteiniversium Rhodan und die Seinen verfolgen, weil sie in die Vergangenheit geschleudert worden waren und so etwas nun einmal verboten ist. Über solche Zeitreisen berichtete die Süddeutsche zu Weihnachten und schloss die klugen Gedanken ganz schnell als ePaper ein. Denn der schlimme Verdacht ist nicht ganz abwegig, dass 2006 gar nicht 2006 war. Sondern vielmehr ein mit dem Temporaltransmitter eingeschaltetes 1984, eine Raumzeitkrümmung also, verursacht durch die konzertierte Aktion von Problempolitikern, deren technisches Verständnis nicht auf der Höhe der Zeit ist. Ein abwegiger Verdacht, eine perverse Verschwörungstheorie? Wenn die deutsche Hackerelite darüber faseln kann, dass die Attacken vom 11. September 2001 den Illuminaten zugerechnet werden können, dann kann man die Zeit knicken, soviel man will.

Misstrauen ist geraten gegenüber allem Unbefangenen, Legeren, gegenüber dem sich Gehenlassen, das Nachgiebigkeit gegen die Übermacht des Existierenden einschließt.

*** Heraus kommt 1984 als Orwellsches Abziehbildchen, weil niemand mehr die strunzdummen Lügen des großen Bruders, seines kleinen Vetters im Rolli oder der ihm nachgeordneten Innenminister vor allem in Bayern, Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen aufnimmt und widerlegt. Vielleicht wird beim schnellen Rückspulen die Strategie deutlich: Nach einem Mord in Hessen wird vehement die Fahndung in Mautdaten gefordert, doch der Fall mit konventionellen kriminalistischen Methoden gelöst – der Täter benutzte nach dem Mord nicht die mautpflichtige Autobahn. Zur Fußball-WM wird zur Gefahrenabwehr vor dem internationalen Terrorismus eine Datenbank mit den Personalien aller Ticketkäufer angelegt, doch pünktlich zum Anpfiff ist ein Schwarzmarkt da, der jeden Terroristen der Welt mit Tickets versorgen könnte. Mit dem größten Massen-DNA-Test der Welt soll ratzfatz ein Mord aufgeklärt werden, doch derzeit gibt es einen Stopp nach knapp 6000 von geplanten 8000 bis 15.000 Tests.

*** Staatliche Halluzinationen gab es 2006 nicht nur in Deutschland. Großbritannien legte zeitweise den Flugverkehr still und sprach von einem Anschlag ungeahnten Ausmaßes, der mit Flüssigkeiten ausgeführt werden sollte, die im Flugzeug angemischt würden. Mittlerweile sind fast alle Verdächtigen wieder entlassen, nur der "Mastermind" der Gruppe sitzt im (pakistanischen) Gefängnis, wegen anderer Klagen. Unterdessen findet an allen Flughäfen der Welt der Krieg gegen das Shampoo statt. Dann hätten wir noch die unbestritten gefährlichen Kofferbomben in deutschen Nahverkehrszügen, deponiert von bislang nicht auffällig gewordenen Libanesen, die im Besitz einer gültigen Aufenthaltserlaubnis waren. Eine großangelegte Anti-Terror-Datei soll die Aufklärung im Vorfeld stärken. Dort, wo das Data-Mining versagt, will man mit der Online-Hausdurchsuchung und staatlich legitimierten Hacker-Tools zum Data-Drilling übergehen: Anwanzen an die Festplatten mit Hilfe eines "Bundestrojaners" oder eines anderen Loggers soll die Rettung bringen. Nicht umsonst ist "Das Leben der Anderen" der meist ausgezeichnete deutsche Film des Jahres geworden, hat sich Ulrich Mühe für eine Rolle als Schäuble empfohlen. "Wenn wir es nicht verstehen, unseren ausländischen Mitbürgern gleiche Rechte zu garantieren und ihnen die Chance einzuräumen, hier zu leben und gleichzeitig ihre Kultur weiter zu entfalten, wenn wir diese Solidarität nicht aufbringen, werden wir an unserem eigenen Egoismus scheitern." Nein, das ist keine abweichlerische Stimme aus dem Off zur gegenwärtigen Debatte um den "Homegrown Terrorismus", mit dem interessierte Kreise noch die letzte abstruse Überwachungsmaßnahme zu rechtfertigen suchen. Es ist der in diesem Jahr in ebenfalls interessierten Kreisen eher übel beleumundete Günter Grass, der dies bereits 1981 in seiner Rede zur Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels an Yasar Kemal von sich gab. Schäuble und seinen Apologeten sei's nach 25 Jahren noch einmal ins Stammbuch geschrieben.

Die fast unlösbare Aufgabe besteht darin, weder von der Macht der anderen, noch von der eigenen Ohnmacht sich dumm machen zu lassen.

*** Wo bleibt das Positive anno 2006? Gegen die zunächst in Nordrhein-Westfalen für den Verfassungsschutz genehmigte Online-Durchsuchung läuft eine Verfassungsbeschwerde. Im letzten WWWW habe ich erwähnt, dass man spenden kann, spenden soll für diesen kleinen Stopper im allgemeinen digitalen Machbarkeitswahn. Mittlerweile sind so viele Spenden eingegangen, dass die unerschrockene, den Heise-Lesern wohl bekannte Twister gegen das gesamte Gesetz klagen kann, nicht nur gegen die Onlinedurchsuchung. Noch erstaunlicher vielleicht die Tatsache, dass ausnahmslos alle Einzahlenden auf das Konto des Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung bestimmten, dass überschüssige Gelder nicht zurückgefordert werden, sondern in die weitere Arbeit fließen sollen.

*** Und sonst? Man könnte die Flanken von Philipp Lahm nennen, den großartigen, tragischen Problembär Torsten Frings, wäre da nicht ein Motivations-Terrorist wie Jürgen Klinsmann, der in der Kabine seine Spieler aufhetzt, die Polen wegzuhauen. So bleibt der Kopfstoß des großen Zinedine Zidane gegen Materazzi, der die Schwester von Zidane beleidigte – und eine schöne Erinnerung an das Endspiel Brasilien gegen Frankreich. Ja ja, schon gut, die deutsche Elf konnte die Italiener nicht besiegen, aber die deutsche Wikipedia war in besserer Form. Sie konnte sich gegen die digitale Boheme durchsetzen, die den Tod des Studenten Boris Floricic zu einer düster-tragischen Geschichte um den großen Edelhacker Tron aufblähen wollte. Eine Geschichte die es mehrfach unter die Top 100 des Newstickers brachte.

Die Technisierung macht einstweilen die Gesten präzis und roh und damit die Menschen. Sie treibt aus den Gebärden alles Zögern aus, allen Bedacht, alle Gesittung. Sie unterstellt sie den unversöhnlichen, gleichsam geschichtslosen Anforderungen der Dinge.

*** Eine gute Tradition beim Jahresrückblick ist der Blick auf die Statistik des Newstickers und hier besonders das Augenmerk auf die Top 100. Das sind jene Meldungen, die anno 2006 zwischen 230.000 und 84.000 Zugriffe zu verzeichnen hatten. Was hat die Besucher von heise online wirklich interessiert? Mit 236.519 Zugriffen ist diese Meldung über eDonkey Jahresprimus geworden. Eine weitere eDonkey-Meldung folgt auf Platz 9. Doch dieses Bild ist trügerisch. Addiert man alle Meldungen der Top 100 zu einem Thema oder Produkt, dann gehört eindeutig Windows Vista die Krone. Vieles spricht dafür, dass dieses vorrangig für die Unterhaltungsindustrie entwickelte Betriebssystem auch 2007 die Schlagzeilen füllen wird.

*** Doch auch dieses Bild ist trügerisch. Addiert man alle Produktmeldungen seit Beginn der statistischen Auswertung von heise online, dann liegt Google Earth unerreichbar vorne. Nachdrücklich hat sich auch 2006 der Trend der letzten Jahre bestätigt, dass die einstigen Knallermeldungen zu Billigrechnern es bestenfalls ins hintere Mittelfeld schaffen. Auch die Virusmeldungen schaffen es nicht mehr, unter die Top 20 zu kommen. Überhaupt scheint der Newsticker nicht mehr wegen seiner IT-Nachrichten gelesen zu werden, sondern wegen seiner juristischen Berichte: Raubkopierer, Abmahnungen, Massenanzeigen, Forenhaftungen und Prozessentscheidungen stellen die absolute Mehrheit unter den Top 100. Das mag man als Verrechtlichung des "wilden" Cyberspace sehen oder als Indiz dafür, dass das Internet ein Paintball der Juristen aller Couleur geworden ist.

Die Sachlichkeit zwischen den Menschen, die mit dem ideologischen Zierat zwischen ihnen aufräumt, ist selber bereits zur Ideologie geworden dafür, die Menschen als Sachen zu behandeln.

*** Im Trend liegt daher die Tatsache, dass es ein Billiganbieter ganz ohne Rechner unter die Top 10 gebracht hat, eine saumäßige Leistung. Einen bemerkenswerten Spitzenplatz konnte sich außerdem die Gesellschaft zur Verfolgung von Urheberrechtsverletzungen mit mehreren Aktionen und Hilferufen zur Lage der notleidenden Unterhaltungsindustrie sichern. Einen aufsummierten ehrenwerten zweiten Platz sicherte sich das Gezerre um die GEZ-Gebühr für Internet-PC. Bemerkenswert ist auch, dass es Ballmer, Gates, Jobs oder Torvalds im abgelaufenen Jahr nicht wie sonst in die Top 100 schafften. Das gelang nur einem Menschen und dazu noch einem Mathematiker, der für Computer nichts übrig hat.

*** Hemmungslos unbescheiden möchte ich anmerken, dass es sogar eine Meldung von mir unter die Top 100 brachte, zwar kein WWWW, sondern eine richtig ungluabliche Sache. Jawohl, jawohl, die Nachrichten konnten ihr Jubiläum feiern und als besonderes Geschenk gab es ein Gedicht von HelpDesk, dem führenden Forumspoeten. An dieser Stelle muss ich glatt in mein Weihrauchsäckchen greifen und den Verlag in der norddeutschen Tiefebene inzensieren: Als 2006 anlief, gab es nur den Heiseticker, die Bereiche der einzelnen Print-Blätter, Telepolis und die Security-Abteilung. Im Laufe eines einzigen Jahres sind heise Open, die heisen Netze, der Heisetreff und eine geschlossene Gesellschaft namens heise resale hinzu gekommen. Nicht zu vergessen die Earl Grey-Variante, mit der die wunderbar sprachmächtigen Jahresrückblicks-Kollegen vom Register gepiesackt werden. Da halten die Kollegen von heise Security aber locker mit und blicken gleich mal auf das kommende Jahr zurück.

*** Was ist ein Glückwunsch ohne Trauer, ohne Abschied mehr als ein Rülpser? Auch 2006 gab es viel zu viele Abschiede. Auch hier richtet sich der Blick nach Osten: Zu früh starb Anna Politkowskaja, in seiner eigenen Zeit machte der Visionär Stanislaw Lem das Licht aus. In der enger gestrickten IT-Welt verabschiedeten sich so ungewöhnliche Charakterköpfe wie William Norris, Ray Noorda und Al Shugart. In dem großen Strom der Pop-Musik dürfte es bis hin zu Milli Vanilli, ähem, kaum einen Nebenfluss geben, den der Soul Man Funk Hiphopper James Brown nicht beeinflusst hat.

Was wird 2007?

Schweren Herzens tragen wir das Informatikjahr zu Grabe, auch wenn zeitgleich mit ihm endlich der vertrottelte Slogan Dank Informatik verschwindet. Der Ehrenrettung halber muss ich hinzufügen, dass mit Geist begeistert zum 2007er Jahr der Geisteswissenschaften prompt der nächste verkorkste Slogan im Anmarsch ist und dass ABC der Menschheit auch etwas seltsam nach "Denken für Doofe" klingt. Von A wie Anglistik bis Z wie zentralasiatische Sprachen gibt es wohl für jeden Buchstaben eine Wissenschaft, die einen Geist begeistern kann. Seid umarmt, Geisteswissenschaften, hinweg mit so einem anglizistischen Getüddel wie Jump in MINT. Jawohl Mint, nicht Magenta, weil es die schicke Abkürzung für "Jugend Mentoring Programm in Mathematik, Informationstechnik, Naturwissenschaft und Technologie" ist.

Bei vielen Menschen ist es bereits eine Unverschämtheit, wenn sie Ich sagen.

Alles weg, Informatik ist sowieso out. Hoch lebe stattdessen anno 2007 die hehre Geisteswissenschaft mit Projekten wie Xenos und den tollen Unterprogrammen Civitas und Entimon. Für Heise-Leser, die nur Xenix kennen: Xenos kommt aus dem Griechischen. Der Fremde ist willkommen in Deutschland, wo ja schon die Welt zu Gast bei Freunden war. So ändert sich die Welt, um gleich zu bleiben. Aus den No-Go-Areas werden erethische Enklaven, aus der T-City die Telepolis, aus dem Leser-Reporter der Ambidexter. Doch Halt! Inmitten des ganzen ABCs der Menschheit gibt es kleine Inseln von Heise-Themen, nach dem Mozartjahr kommt für uns das Euler-Jahr, gewidment dem Vater aller Navis, die uns beim Autofahren sotto voce instruieren. Dank seiner Beschäftigung mit den so genannten griechisch-römischen Quadraten wird er wohl als Vater der Sudokus gefeiert werden.

Überhaupt, die Geburtstage. Greife ich zu einem der miskonstruierten Laptops mit Schminkspiegel, so sehe ich einen 10-jährigen Jüngling: "I am a HAL Nine Thousand computer, Production Number 3. I became operational at the HAL Plant in Urbana, Illinois, on January 12, 1997". Schaue ich noch einmal hin, sehe ich einen 100-jährigen Nerd, der sich an seinem 50. Geburtstag zu einem Heiratsantrag hinreißen ließ. "Ich wurde sentimental, was sonst nicht meine Art ist, und es gab einen großen Ball, wie offenbar üblich, es war der letzte Abend an Bord." Zwei Mal Geburtstag im Kontinuum der Zeit, wo gibt es das, wer darf denn das?

Nicht bloß die objektive Möglichkeit – auch die subjektive Fähigkeit zum Glück gehört erst der Freiheit an.

Und weil es der letzte Abend ist, darf gestern wie heute das Kolophon zum Jahresende nicht fehlen. Natürlich entsteht diese Kolumne nicht von selbst und nicht auf einem der schicken Ferarri-Laptops der Bloggeria, von denen Vroom-Vroom-Analysten träumen, sondern auf einem betagten Thinkpad. Nicht in einem schnieken ODF-Format, sondern im simpelsten ASCII in einem ollen Editor unter tätiger Mithilfe der Editionen von Lergenmüller und vielen Flaschen Deetlefs und einigen Bouteillen aus einem Hannoveraner Weinladen, der aus Markenrechtsgründen nicht mehr heißen darf, wie er hieß (das wär mal ein guter Vorsatz für 2007: Ein Jahr ohne Abmahnungen ...). Geholfen hat nicht nur heute, heute aber besonders der gute Adorno, seine Sentenzen zum Jahresende sind aus "Minima Moralia. Reflexionen aus dem beschädigten Leben", zitiert nach der Suhrkamp-Ausgabe von 1951. Musikalisch in diesem Jahr wurde die Wohenschau bei ihrer Entstehung begleitet von Nelly Furtado, J.J. Cale – auch im Duo zweier ganz entspannter Herren –, von den Vandermark 5, Terence Blanchard sowie Charlie Hadens Liberation Music Orchestra, von Gnarls Barkley und Up, Bustle & Out. Und, nicht zu vergessen, immer wieder angeschoben von Lou Reed und beschwingt von Seeed. Oft halfen auch Peter Brötzmann, Alexander von Schlippenbach, Nils Wogram, Gilad Atzmon, Alvin Youngblood Hart und der Wu-Tang Clan musikalisch mit, die Hirnwindungen freizuschaufeln von all dem Mist, der sie nach einer Woche Nachrichten verklebt. Absolut lebenswichtig wie immer die pyknotischen Tipps aller Leser und Leserinnen, die auf ihre Weise immer Erster sind, die ganze Surrealität der vernetzten Welt zu entdecken. Nach dem längst vertrockneten schwarzrotgoldenen Fahnenmeer bleibt die Oriflamme mit knatterndem Heisig gesetzt, wenn sich 2007 breit macht. In diesem Sinne, sollte es auch noch so zappenduster im Zeitenraum werden: Don't give up.

Quelle : www.heise.de
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 07 Januar, 2007, 00:24
Was war.

*** Mit Sir Toby, Admiral von Schneider, Lord Pommeroy und Mr. Winterbottom sind wir wieder einmal im neuen Jahr gelandet, komplett mit Tigerfell und einem großen Kater. Eigentlich hatte ich mich schon 2006 über die verquaste Formulierung vom Angriff auf Gemeinschaftsgüter im Kampf gegen das Shampoo geärgert. Aber irgendwie scheint 2006 in einer tückischen Zeit/Raum-Krümmung verschwunden zu sein. Nun ist 2007 da, ein Jahr, das im Zeichen des Quasi steht. Ja, quasi wie ein "fachlich abgestimmter" Quasi-Verteidigungsfall, dieses kleine Quasi, mit dem das von Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärte Luftsicherheitsgesetz plötzlich verfassungsgemäß sein soll. So ein Quasi-Fall ist also eine kriegerische Handlung mit zivilem Fluggerät, das auf die "Grundlagen des Gemeinwesens" zufliegt. Ihr fehlt nur ein Quentchen zum richtigen Kriegsfall.

*** Die fehlenden 1,66 Gramm zum ordentlichen Krieg verbinden unseren beharrlichen Bundesinnenminister mit seinem bayerischen Amtskollegen, der vor einem Jahr über einen Spannungsfall spekulierte, in dem das Grundgesetz in einer praktischen Klarsichthülle eingemottet werden kann. Von Beckstein unterscheidet sich Schäuble dadurch, dass er unbedingt das Grundgesetz auf seiner Seite haben will, wenn er dereinst als Quasi-Kriegsminister agiert und die Bundeswehr im Inland dirigiert. Habe ich Inland geschrieben? Europa wächst doch zusammen, bis auch die letzte Staatsdatenbank voll integriert ist. Bis Ende Juni ist unsere Angela Merkel die Europäerin Nummer 1, bis zum 31. Dezember die allmächtige G-8-Chefin mit Thron in Heiligendamm, wo das neue, sprachlich leicht verunglückte Motto "Europa sicher leben" anschaulich vorgelebt werden soll. Derweil haben die geschickten BKA-Fahnder im Internet schon die linksterroristische Homepage gefunden. Hier wird quasi HTML-mäßig gefackelt.

*** Hinter all den Quisquilien steckt der Wunsch nach dem starken Mann als Ersatzvornahme für die derzeitige große Koalition. In einem Jahr, das ganz im Zeichen des Quasi steht, werden starke Männer gebraucht, mächtige Bundes-CIOs, die mit harter Hand durchgreifen, sobald ein IT-Projekt zum Quasi-Sanierungsfall wird. Einen Führer wie Harald Lemke, dem eDemocracy quasi Schnuppe ist, solange nur das eGovernment funzt. Der Demonstrationen wahrscheinlich nur von gepflegten Veranstaltungen der Firma erento her kennt.

*** Apropos Demonstrationen: Vierzig Jahre ist es her, dass die Kommune 1 im Atelier von Uwe Johnson als verklemmtes Treibhaus der wilden 68er gegründet wurde, um das Ende der traditionellen Zweierbeziehungen anzukündigen. Zwar wurden die mietfrei nächtigenden Revolutionäre postwendend vom alten SS-Mann Günter Grass herausgeworfen, doch hatte die Mythos-Produktion längst eingesetzt. Heute erzählen also Stadtteilführer von der Wohnung, in der Kommunarden Sprengstoffe für Bomben mischten und dabei starben, wo doch nur Uwe Johnsons Schwägerin rauchend im Bett den Tod fand.

*** Auch Saddams Hinrichtung dürfte ein Stoff sein, aus dem zahlreiche Mythen entstehen werden, doch den dümmsten Patzer leistete sich ein Stadtteilführer der Süddeutschen Zeitung, der in seinem Kommentar die Seuche Internet geißelt. Wer die ganze Geschichte recherchiert, wird schnell bemerken, dass das allseits beklagte andere Video von der Hinrichtung zuerst vom Sender Al-Jazeera gesendet wurde und danach eine Kopie der Sendung im Netz auftauchte. Aber die Münchener Zeitung hat mit Vollleyendecker ja nur einen Rechercheur und mit Vollkornelius einen Kommentator, der zeigt, was man vom Internet hält, mag man noch so sehr veredelt sein. In diesem Stil kann man auch das liebevoll schleimige Portrait des neuen Web 2.0-Heldens lesen, dem seine widerliche Nazi-Koketterie nachgesehen wird. Der Erfolg ist ja da. Mit StudiVZ wurde die erste UMTS-Lizenz des Web 2.0 bezahlt, auch wenn die kolportierten Zahlen sich größtenteils als Buchgeld herausstellen werden, das der Zeitungsverlag Holtzbrinck von der einen in die andere Tasche fließen ließ. Das Gebot zur Pflicht zur Feier des Jungstars wurde quasi automatisch, jedenfalls artig erfüllt.

*** Man kann auch anders zeigen, wie die große Zeit der Zeitungen vorüber ist. Heute vor 30 Jahren veröffentlichten die Times, Le Monde und die Frankfurter Allgemeine Zeitung die Charta 77. Ausgangspunkt war die Verhaftung einer Band, die sich nach einem Song von Frank Zappa "Plastic People" nannte und Stücke von Zappa, den Doors und den Fugs spielte. Endpunkt der Charta 77 war die Auflösung des Ostblocks. Und natürlich war sie der Beginn der guten nachbarschaftlichen Beziehungen. "Eingekeilt in diese Welt mussten wir es machen", schrieb Václav Havel in seinen "Briefen an Olga". Aber das erwähnte ich schon einmal. Die nächste Charta dürfte sich über Youtoube & Co verbreiten.

*** Ach, das Positive, das ist quasi uralt. Als die Fackel mit dem sympathischen Leitmotiv "Was wir umbringen" erschien, dachte niemand daran, dass sich künftige Zeitgenossen anno 2007 freuen können, eine gemeinfreie Fackel in der Seuche Internet zu zündeln. Mit dürftigem Interface, gewiss, doch mindert das den Spaß am Umbringen nicht. Außerdem punktet der Journalist Kraus gegenüber dem Philosophietreiber Spengler, dessen Untergang des Abendlandes zwar ebenfalls gemeinfrei, doch quasi nicht verfügbar ist.

Was wird.

Morgen bekommen 22 Millionen Haushalte frankierte Versandtaschen, in denen sie ihre Festplatten eintüten und zur Offline-Untersuchung an den Verfassungsschutz schicken können. Uh, oh, das war ein schlechter Scherz auf Kosten der Affen. Denn morgen kommen Tüten der Firma Greener Solutions ins Haus, in die ausrangierte oder kaputte Mobiltelefone gesteckt werden sollen. Die weltgrößte Handy-Sammelaktion sollt dem WWF helfen, die Orang-Utans zu retten. Nach Einschätzung der Müllexperten könnten zwei Drittel aller Geräte in Entwicklungsländer weiterverkauft werden und dort die Kommunikationsmöglichkeiten und die Lebensqualität fördern helfen. Das ist doch mal ein richtiger Ansatz: Hier wird nichts verschenkt im global village. Die Laptops folgen auf dem Fuße, wenn jeder Hacker ihre Aura gespürt hat.

Der Verkauf von gebrauchten Telefonen in Entwicklungsländer ist nicht so problemlos, wie es auf den ersten Blick scheint. Sieht man von der Tatsache ab, dass später die Teile kaum umweltgerecht entsorgt werden dürften, liegt eine schwere Störung des Geschäftsmodelles von Google vor. Erinnert sei an eine Konferenz, auf der Googles Marissa Mayer das Googlephone für Analphabeten in der Dritten Welt ankündigte. Darum sei hier nicht das heiß erwartete iPhone auf der kommenden Macworld erwähnt, sondern die erste klimaneutrale Konferenz, die in München steigt. Denn bei Burdas Digital, Life, Design ist Marissa Mayer wieder mit von der Party.

Während die Apple-Fans auf ihren Nägeln kauen, der Rest der Branche nach Las Vegas starrt, die Web 2.0er feuchte Träume über Marissa im Pool des Bayerischen Hofes träumen, nähern sich die Windows-Fans etwas ausholender der schieren Verzückung namens Vista an. Ende Januar, das ist noch sooo weit weg. Bis man das "Da-diiie, da-diiie" hören kann, das der Windows-Sound-Designer Steve Ball bei seinem früheren Musik-Professor und ehemaligen Geschäftspartner, dem Crimsonhead Robert Fripp geordert hat, vergeht eine Ewigkeit. Die komplette Rezension der Fanfaren des Fun sollte sich niemand entgehen lassen, der wissen will, wie ein "sympathisch auf Aktivität gerichteter Impetus" klingt. Ja, liebe Leser und Leserinnen, so wird aus einem Quasi-Betriebsystem ein Madrigal des 22. Jahrhunderts, höchste Vielfalt auf knappstem Raum demonstrierend. Etwas mehr Ernsthaftigkeit und Disziplin, bitte, angesichts dieser Revolution? Ach, das gibt auch nur mehr oder weniger verständlichen Elephant Talk.

Quelle und Links : http://www.heise.de/newsticker/meldung/83287
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 14 Januar, 2007, 00:18
Was war.

*** Hey, Captain Starligt trällernd wollte ich eigentlich ganz locker auf meine Geburtstagsparty gehen, doch da spuckte der Ticker die traurige Nachricht über die Existenzverschiebung vom großen RAW aus. Das war's dann, mit dem Feiern. In Erinnerung an den großen Philosophen Wilson erlaube ich mir, eine längere Passage in der Übersetzung des großen deutschen Philosophen Gerhard Seyfried zu zitieren:

"In jeder Nation, in der es nur irgendeine Art von Geheimpolizei gibt, lernen die Leute schnell, diejenigen zu verdächtigen, die *sie* verdächtigen. /../ Je allgegenwärtiger die 'Kontrolle' der Regierung ist, desto misstrauischer und vorsichtiger werden die Leute. Und je mehr Leute zeigen, dass ihnen das Vertrauen in die Regierung fehlt, desto mehr wird sich die Regierung genötigt sehen, sie zu bespitzeln, um ganz sicher zu gehen, dass sie sich nicht so weit entfernt haben, um eine Rebellion auszubrüten oder noch mehr hausgemachte Bomben von der Oklahoma-City-Art zu legen. Die Regierung wird also immer mehr schnüffeln und spionieren, und die Leute werden immer 'vorsichtiger' werden."

*** Nach und nach kommen Details der Arbeit heraus, zu der sich unsere vom Terrorismus gestörte Regierung genötigt sieht, die von zwei Programmierern einen Bundestrojaner entwickeln lässt. Der dann zum Patchday des jeweiligen Betriebssystems als Wartungsprogramm auf unsere Rechner strömt, damit die Online-Durchsuchung endlich starten kann. Sie ist für unsere Regierung offenbar so wichtig, dass, sollte sie der Bundesgerichtshof als verfassungsfeindlich bewerten, schnell die Verfassung geändert werden muss. So groß ist der "gesetzgeberische(r) Handlungsbedarf zur Schaffung einer speziellen strafverfahrensrechtlichen Ermittlungsbefugnis", dass die Frage gestellt werden kann: Was haben die Staatsschützer zu verbergen?

*** Die Regierung wird also mehr und mehr schnüffeln und die Leute werden immer vorsichtiger werden. Gelingt es nicht, die Terroristen beim Aufruf von Google Earth abzufangen, müssen die Verfahren gewechselt werden. Die geheime Online-Durchsuchung zur Aufdeckung von "Täterstrukturen" mag sich wie die krankhafte Phantasie eines frei drehenden Geeks anhören, findet sich aber in den offiziellen Bundestagsdrucksachen. Noch einmal der hellsichtige Robert Anton Wilson:

"Der kalte Krieg hat uns Spionage, Schnüffelei und Verfolgungswahn hinterlassen, die keiner rationalen Funktion mehr dienen. /.../ Keine Kraft von außen hat bis jetzt unsere Bewegung in Richtung einer Kafka-Orwell-Welt verlangsamt, in der die verrücktesten Phantasiegebilde für mehr und mehr Menschen zunehmend plausibel wirken."

*** Die ebenso massierte wie sachunkundige Diskussion um das Verbot von Killerspielen zeigt Wirkung. In Bayern bereitet man ein Gesetz vor, was von der desinformierten Bevölkerung begrüßt wird, die schlicht nicht weiß, dass Spielen intelligent macht und pflichtbewusste Menschen produziert. Doch ein Verbot ist den richtigen Scharfmachern nicht genug. Sie fordern die Indizierung der Spiele, verbunden mit rasch handelnden Staatsanwälten, die zuschlagen und Counterstrike-Server verhaften lassen. Wer Law and Order propagiert, hat natürlich ein Beruhigungschmankerl in der Tasche. In diesem Fall eine alte Kamelle, ummantelt mit zartem Pisa-Schmelz: "Sechstens braucht es ein staatliches Programm zum schrittweisen, flächendeckenden Ausbau unserer Schulen zu Ganztagsschulen. In Zusammenarbeit mit Sportvereinen oder Musikschulen sollte so für den Nachmittag der Kinder und Jugendlichen ein Programm entwickelt werden, das die Lust auf Leben weckt, anstatt die Kinder der Verwahrlosung durch Medien zu überlassen."

*** Musikschulen gegen verwahrloste Medien! Dabei sein ist Alles! Gesangsausbildung für alle, die "Ich hab die Möpse schön" trällern wollen. Und bitte, ein richtigen Internet-Grundkurs für Herrn Plasberg, der den Günther Christiansen geben soll. Seine ach so hartfaire Fragestunde zum Thema Killerspiele hatte das Niveau von Dieter Bohlens Starsucherei. Anderswo ist es leider nicht besser. Da gibt es nun die große SZ-Serie über Onlinekriminalität, über das schreckliche Internet und die Inseln der Gesetzlosen, auf denen Drogenhändler kryptisierte Internettelefone benutzen. Die schaudernd davon erzählt, wie das Internet die Schänder zu den Kindern bringt und wie die Operation Mikado mit ihrer Nichtrasterfahnundung die Gesetzlosen der gerechten Strafe zuführt – auch wenn diese möglicherweise nur eine Art Sachbeschädigung ist.

*** Und was die schönen Möpse anbelangt, so darf auch dieses Detail nicht in der Wochenschau fehlen: Allein in den USA wurden mit dem Verkauf und der Vermietung von heißem Porno auf DVD oder VHS im letzten Jahr 4,28 Milliarden Dollar umgesetzt. Mit der in Las Vegas bekannt gewordenen Drohung des Lizenzentzuges für Blu-ray-Presswerke für den Fall einer Porno-Pressung scheint Sony den Kampf der Formate beendet zu haben. HD steht dann einfach für Hautnah Dabeisein. Doch Las Vegas hatte in dieser Woche mehr zu bieten, etwa die CES mit einer Keynote von Bill Gates, in der dieser drohte, im nächsten Jahr über seine ins Zwielicht geratene Stiftung zu reden – und genau dafür Beifall bekam. Das vernetzte Erlebnis, von dem Microsoft seit Jahren schwärmt, ist schwer langweilig geworden, selbst für die Bewohner von Las Vegas. Die reden lieber über das abgebrühte Zockerstück ihres Stadthelden Steve Wynn, der letzten Oktober seinen Ellenbogen in ein Picasso-Gemälde rammte, das er eigentlich für 139 Millionen Dollar verkaufen wollte. Nach dem Bodycheck wurde die Leinwand nur noch auf 85 Millionen taxiert. Nun will Wynn 54 Millionen Schadensersatz für ein Gemälde, das er für 48 Millionen gekauft hat. Ein Fall für einen unerschrockenen Detektiv. Doch Tote schlafen fest. Ja, ich sehe unser aller Detektiv im Grabe rotieren, bei den heutigen Kriminalitätsbekämpfern und ihren obersten Sicherheitsfanatikern.

*** In der letzten Woche hatte ich überlegt, etwas zu BenQ zu schreiben und es sein gelassen, in dieser Woche geht es mir mit dem iPhone ähnlich. Viel heiße Luft regt die Sinne an, ein Furz schafft das aber auch. Der Rest ist Spekulatius.

Was wird.

Grammatikalisch gesehen ist Europa sicher leben heiße Luft. Doch die deutsche Politik hat sich zur deutschen EU-Ratspräsidentschaft viel vorgenommen. Da sollen die DNA- und Fingerabdruckdatenbanken miteinander vernetzt werden und in einer großen Konferenz der Stand der Sicherheitsforschung ausgelotet werden. Als Krönung des Ganzen wird die Kanzlerin daran arbeiten, den Gott der Christen in die europäische Verfassung aufzunehmen. Dabei halten sich nach der European Values Study ein Drittel aller Europäer für unreligiös.

Man kann vieles glauben, doch dass Edmund Stoiber bis ins Jahr 2013 über das Land der Laptops und Lederhosen herrscht, glaubt wohl nur noch Edmund Stoiber. Der bayerische Ministerpräsident, der so gern per Transrapid vom Münchener Hauptbahnhof aus abfliegen möchte, ist keine Lichtgestalt mehr, sondern ein Clown. Schuld daran, schreibt der oberste deutsche Verschwörungs-Leyendecker in der Süddeutschen Zeitung hat wieder einmal das böse Internet, diesmal in Gestalt von Youtube.com. Dort würden Stoibers Versprecher gespeichert, um auf Ewigkeit durchs Netz zu rasen. Sollte das stimmen, sind nicht nur die Apparate die letzte funktionierende Macht in Deutschland, wie Leyendecker meint, sondern ist auch Edmund Stoiber der erste bedeutendere Politiker, der vom Web 2.0 (und seiner eigenen Halsstarrigkeit) entmachtet wurde. So gesehen ist es ein ganz feiner Zug, wenn der oberste Bayer ausweislich der Gästeliste bei der bedeutendsten europäischen Konferenz über die neue Spekulationsblase vorbeischaut. Ein Clown und das passende Publikum, das hat was. Mit einem Lied begann die Wochenschau, mit einem Lied soll sie enden. Natürlich ist es eine Verschwörungstheorie: Wir werden alle sterben.

Quelle : www.heise.de
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 21 Januar, 2007, 00:12
Was war.

*** Am Ende bedurfte es nur noch eines kleinen Sprühens sozusagen in die gludernde Lot, in die gludernde Flut und die Ära Stoiber war vorbei, hingerichtet wie eine kleine Blume am Morgen. Aller Voraussicht nach folgt nun das Prinzip Sicherheit, das schon für manchen bizarren Gedanken im "Kampf gegen den Terror" gesorgt hat, ganz ohne blendende Wortakrobatik. Bundeskanzlerin Merkel bedankte sich bei Stoiber noch, dass er das Land mit "Laptop und Lederhose" zu dem gemacht habe, was es sei. Laptop und Lederhose, diese Kombination gibt natürlich zu denken. Der Bayer als solcher ist mit dieser Ausrüstung gut bedient und kann noch den heißesten Laptop auf dem Schoß halten, während wir Weicheier aus der norddeutschen Tiefebene schnell an die Martha Vögeli-Methode erinnert werden. Doch woher kommt der Spruch vom Laptop und der Lederhose? Ist das nicht eine gute Frage für gutefrage.net, das in dieser weichgespülten Pressemeldung beschrieben wird?

*** Laptop und Lederhose steht vielleicht für die Vielzahl von öden Orten, die es in Bayern gibt, aus denen man nur dann schnell wegkommt, wenn man einen Laptop hat. Und Stoibers Bilanz entpuppt sich als Erbe von Franz-Josef Strauß und der Gnade der späten Industrialisierung, gepaart mit dem Geschick, zur rechten Zeit das Tafelsilber Bayerns verscherbelt zu haben. Von der Maxhütte bis zum verrotteten Imperium von Leo Kirch hat der bayerische Staatsinterventionismus nicht nur Glanzprojekte vorzuweisen. Am Ende findet sich der Slogan vielleicht in einer Dissertation: "Polit-PR. Öffentlichkeitsarbeit politischer Parteien am Beispiel der CSU", vorgelegt von einer Studentin namens Gabriele Pauli.

*** Die freiwillige Ausreise ist nach der aufenthaltsbeendenden Maßnahme und der kindgerechten Abschiebung zum Unwort des Jahres gewählt worden. Passend dazu werden Details darüber bekannt, wie intensiv die rotgrüne Bundesregierung darüber beriet, die freiwillige Einreise von Murnat Kurnaz zu verhindern. Wer die Chronologie der laufenden Ereignisse liest, kann nur noch mit dem Kopf schütteln. Passfälscherei und dummdreiste "Immunisierungsstrategien" des Innenministeriums zeigen deutlich die gludernde Lot, abgesegnet vom heutigen Außenminister, dem typischen deutschen Technokraten einer Türkenlösung. Das Studium der Überlegungen, wie Recht und Gesetz umgedreht werden, sollten jeden warnen, der Maßnahmen wie die Online-Durchsuchung, die Einrichtung einer Anti-Terror-Datei und anderer Superdatenbanken akzeptiert, weil sie im Rahmen einer Rechtsordnung liegen. So lernen wir: Im Kampf gegen den Terror verlieren Menschen den Verstand, und das ganz ohne Folter. So sind Appelle zum Rücktritt vergeblich, weil sie etwas voraussetzen, das der Regierung abhanden gekommen ist. Ganz nebenbei ist ein trauriges Jubiläum fällig: Seit fünf Jahren gibt es das Lager Guantánamo, in dem kein Gesetz gilt.

*** Während gerade die Plaudertaschen der Reisebranche Web 2.0 entdecken, dieses tolle Internet, das uns mit Angeboten wie Netvibes so großartig den Verstand erleichtert, sind die Hacker schon weiter. Hacker 3.0 lautet die Losung, und sie wird so rührend vorgetragen, dass die Augen ganz feucht werden. Da gibt es also die Utopie eines Menschenrechts auf Information, denn die dunkle Seite der Macht, das ist eigentlich die, wo man gar nix wissen darf. Gilt es, die Macht transparent zu machen, so sind mit diesem moralischen Anspruch kleinere Schäden vertretbar. Das klingt wie ein bisschen Folter an den Sachen und ist schließlich ja auch für einen guten Zweck. Vor allem klingt es sehr nach dem rührend naiven Bekenntnis zur Hackerethik früherer Jahre, hübsch geschminkt im Zeichen der Vorratsdatenspeicherung. Nur über die Defacements der Skript Kiddies ärgert sich der Hacker 3.0, dabei ist das nur der eigene Nachwuchs, der auch mal spielen will.

*** Der Kolumnist Art Buchwald ist tot. Über 8000 Kolumnen hat er geschrieben, Hut ab. Unter ihnen Goodbye, my Friends, die nach seinem Tode erscheinen sollte. Einige seiner Werke werden Bestand haben, zumindest für drei Jahre, schrieb Buchwald im Hospiz. Ich wünsche mir, dass The six minute Louvre länger bekannt bleibt. Heute kann man solche Kolumnen nicht mehr schreiben, Art. Wenn der Eintritt im Louvre frei ist, gelingt der Weg zur Mona Lisa nur in Tippelschritten. Und ein Text wie "Windows Vista in sechs Minuten installieren" ist schlicht unglaubwürdig.

Was wird.

Was für eine prallvolle Woche. Wer alle Termine in Europa wahrnehmen wollte, müsste den dreifachen Kyrill im Rücken haben, ganz zu schweigen von Veranstaltungen wie der Lotussphere mit ihren 12 Verdächtigen.

Die wichtigste Veranstaltung findet sicher in den Schweizer Bergen statt, wo sich der Homo Davosiensis (so nennt es Richard Sennett) trifft, wo die "Nabelschau der Weltverbesserer" angesagt ist (so nennt es die Süddeutsche Zeitung. Das Thema ist die Verschiebung der Machtbalance und Angela Merkel spricht das Machtwort. 50 der insgesamt 200 Teilkonferenzen werden ins Internet übertragen und wer noch mehr wissen will, kann sich auf der Hype-Plattform Second Life als Avatar die Interviews von Adam Reuters reinziehen. Vielleicht regnet es Pimmel oder lila Schweine, doch was ist das gegen die reine virtuelle Wahrheit, die so serviert wird? Die Rede von der Machtbalance hat nichts mit der Guten Transparenten Macht der 3.0-Hacker zu tun, die die Böse Dunkle Macht bekämpfen. In Davos dreht es sich schlicht ums Geld. Es ist der Ort, wo "Getriebene Manager" das globale Zittern lernen und sich in Davos-Speak geschraubt über den Zustand der Welt äußern. Doch was ist reich, was ist arm, global gesehen? Die Verschiebung der Machtbalance ist übrigens in der IT-Branche längst geklärt. Das Spiel ist vorbei und Google hat gewonnen. Vielleicht erzählt es der Davos-Teilnehmer Eric Schmidt den anderen Berghockern, dass man kein Verb mehr ist.

Darmstadt hat zwar nur die Mathildenhöhe und ähnlich kleine Hügel, ist aber Tagungsort einer Konferenz des CAST-Forums, die sich mit der Frage beschäftigt, ob Public-Key-Infrastrukturen nicht eine völlig überholte Technik sind. Verglichen mit der Geschwindigkeit, mit der sich elektronische Signaturen im Alltag verbreiten, sind Schnecken blitzschnelle Tiere.

In der bayerischen Voralpenebene zu Nürnberg startet zum zweiten Mal das "Heise-Event für IT-Entscheider" unter dem etwas seltsamen Titel Open Source Meets Business, der einen Wettkampf zwischen Hase und Pinguin suggeriert. Neben zahlreichen Fachvorträgen lässt sich sicher noch ein zünftiger Flamewar darüber einschieben, warum Suse Linux besser ist als Windows Vista.

Sollte die superwindempfindliche neue Schnellbahntrasse nach München frei sein, wäre ein Abstecher zu Digital, Life, Design möglich, wo Homini Davosiensii ein paar erleuchtende Keynotes abliefern, ehe es in die Schweizer Berge geht. Dieses Treffen beginnt schon heute und gibt sich schwer Web-2.0-lastig: Laptops sind erlaubt, Lederhosen verboten. Märkte sind Konversationen, geleitet von Mavens. Malen ist sowas von gestern, wenn an der Schnittstelle von Mensch und Design das kollektive Kunstwerk jacksonpollock2.0 zusammengekleckert wird. Auf der Gästeliste übrigens auch der Herrscher über die gluderne Lot, der Performance-Künstler Scatman Stoiber.

Quelle : www.heise.de
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 28 Januar, 2007, 00:14
Was war.

*** "Nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben, ist barbarisch." Adorno hatte in diesem Fall nicht Recht, und das wusste er selbst am Besten. Aber auch wenn die offiziellen Veranstaltungen am Holocaust-Gedenktag, mit denen gestern der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz am 27. Januar 1945 gedacht werden sollte, in ihrer bürokratischen Steifheit absurd wirken, absurder, als sich Adorno je in Fehlurteile versteigen konnte, so fällt der Kommentar zum alltäglichen Wahnsinn doch schwer. Doch widmen wir uns lieber heute auch wieder diesem alltäglichen Wahnsinn – nicht, dass der Irrsinn, der zu Auschwitz führte, genau in diesem alltäglichen Wahnsinn erneut seine Wurzeln fände. "Der absoluten Verdinglichung, die den Fortschritt des Geistes als eines ihrer Elemente voraussetzte und die ihn heute gänzlich aufzusaugen sich anschickt, ist der kritische Geist nicht gewachsen, solange er bei sich bleibt in selbstgenügsamer Kontemplation."

*** Seit einigen Tagen gibt es in der Süddeutschen Zeitung eine Serie über Online-Kriminalität. Bei dieser Serie kommen die kriminellen Abzocker, die Masseabmahner und die Inkasso-Mafiosos nur am Rande vor. Nach Kräften wird dagegen Online als krimineller Raum verortet, als Netz des Verbrechens stigmatisiert. An diesem Wochenende ist beispielsweise das böse Internet nach Angaben eines hart nach "Diebesgut" recherchierenden Journalisten eine einzige Kopiermaschine. Es sorgt dafür, dass zwei Drittel der Software auf einem Rechner illegal sind und dass Besitzer von speicherstarken MP3-Playern Musik im Wert von Mittelklassewagen mit sich herumtragen. Ist das nicht furchtbar? Zitternd habe ich gleich nach dem Frühstück meinen Player mit 40 MByte Festplatte aus dem Rucksack gekramt. Jetzt liegt das wertvolle Stück neben mir. 15 Interviews sind drauf und über 70 Podcasts, unverzichtbare Ablenkung für Fahrten mit der Deutschen Bummelbahn, auf denen Menschen in ihre Mobiltelefone schreien. Dann aber kommt's happig. Ein Grep nennt 12387 Musikdateien, darunter so fette Dinger wie die klassischen Symphonien, die die BBC veröffentlichte und so kurze Stücke wie "The Paperwork Explosion" vom genialen Raymond Scott. Über 1000 Songs verdanke ich allein der Süddeutschen Zeitung, weil mir ein netter Mensch die SZ-Kompilation "50 Jahre Rockmusik" geschenkt hat, die als Privatkopie auf den Player wanderte, wie der große Rest auch. Und nein, so ein Schmu wie die neue Platte von Norah Jones kommt mir nicht auf meinen Player, Privatkopie hin oder her.

*** Was aus der guten Kopiermaschine Internet stammt, ist lizenzfrei oder unter einer Creative Commons-Lizenz veröffentlicht. Wer vor dem abscheulichen Zeug von Tokio Hotel und Herbert Grönemeyer ausweichen will, kann Entdeckungen beim Open Music Contest machen. Vor allem aber sind freie Inhalte aus dem Internet frei von der DRM-Seuche und den verborgenen Spionierprogrammen, mit der die Medienindustrie über das Internet in unsere Rechner will. Weder DRM noch die diversen Rootkit-Attacken sind im Kopiermaschinen-Artikel zu finden, der sich hauptsächlich mit Shawn Fanning und Napster beschäftigt. Auch mein MP3-Player ist alt, so alt, dass er nicht in ein WLAN gehängt werden kann wie ein toller Zune. Wobei dieser iPod-Killer vor lauter Kopierschutz gar nicht funken kann.

*** Bald werden im bösen Internet Bundestrojaner auf Streife gehen. Wobei gehen streng genommen falsch ist, denn die Dateien liegen herum und können noch nicht einfach zum mutmaßlichen Terroristen geschickt werden, wie eine Horde von Verfassungsschützern zum wieder eingereisten Murat Kurnaz. Im Unterschied zu den bösen Trojanern werden die guten Bundestrojaner natürlich nicht nach Kontodaten phishen. Die hat man schneller dank der Kontenabfragen bei der Bankenaufsicht. Nein, der clevere Bundestrojaner nutzt natürlich das installierte Word in Internetcafes aus, die löchrige Textverarbeitung, zu der es im Handbuch der al-Quaida heißt: "Schreibe deine Nachricht in Word, konfiguriere sie, schneide sie aus, füge sie ein und schicke sie ab. Dann beende die Verbindung. Während du eine Nachricht schreibst, darf deine E-Mail nie geöffnet sein."

*** Verlassen wir die Serie über das schwer verbrecherische Netz mit dem Interview einer Bundesjustizministerin, die sich darüber empört, dass öffentlich zugängliche Anonymisierungsdienste den Straftätern die Spurenbeseitigung erleichtert. Was die Erleichterungen für Straftäter anbelangt, hat ja die deutsche Justiz einschlägige Vorkenntnisse, wie das Hartz-Urteil zeigt. Bei allen Absprachen ist die Hartz IV-Reform vergessen worden. Zumindest dem Namen nach erinnert die Reform zu sehr an den großen Organisator der Aktion "Kraft durch Freudenmädchen", der noch mit seinem Prozess demonstriert, dass man mit Geld alles kaufen kann. Da schlage ich glatt das Anagramm "Zart-H" vor, die zarte Hilfe, sich mit elendigen 345 Euro Regelsatz im Monat schnell wegzumachen aus der Statistik, egal auf welchem Wege.

*** Wenn ich an der deutschen Medienlandschaft etwas schätze, dann ist das der Sinn für hinterfotzigen Humor, der in der Szene gepflegt wird. Da gibt es etwa den reizbaren Henryk Broder, der in jedem Semikolon eine antisemitische Attacke wittert und der angesichts der vielen für ihn unerträglichen Meinungen erklärt "Das Internet macht doof". Just dieser zeitferne ältere Herr ist zum Online-Journalist des Jahres 2006 gewählt worden.

*** Doch lässt sich ein solcher Humor noch steigern (die noch hinterlistigere Anregung stammt natürlich aus dem ach so doofen Internet). Wie endet die Kolumne des lebergeschädigten deutschen Online-Journalisten Henryk "Prometheus" Broder?

" 'Jekami', jeder kann mitmachen, so hießen die vielen Amateurshows, als es noch kein Internet gab und 200 Leute die Freiheit hatten, ihre Meinung zu verbreiten. Waren das schöne Zeiten." Und wie beginnt ein grenzdebiler Artikel über Weblogs, der in der heutigen Ausgabe der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung stehen soll? "Früher hieß es beim bunten Abend gern 'Jekami'. Das Grundprinzip ist dasselbe geblieben: Jeder kann mitmachen. Nur organisiert sich das Ganze jetzt weltweit in Internet-Tagebüchern, so genannten Weblogs."

Nach diesem schlicht kopierten Übergang folgt ein längerer Text, der für das "partizipative Journalismus-Experiment" der FAZ geschrieben wurde und der die guten alten Newsgroups über den grünen Klee lobt. Partizipativ mit P wie Prometheus meint hier, dass sich ein richtiger Journalist einen von der Palme wedeln kann, wie gut Journalisten doch sind (breites Allgemeinwissen, professionelle Recherche, ein gewisses Arbeitsethos). Beflissen dazu gesellen sich die besten Kommentare braver Musterschüler aus dem Leistungskurs Gemeinschaftskunde, die eine Chance haben, im Blatt abgedruckt zu werden. Leider enthält der Ausgangstext im Frankfurter Blatt ungefähr so viele Fehler, wie sie das neue Frankfurter automatische Kennzeichen-Lesesystem produziert. Darum ist er längst eine Beute bekannter Blogger geworden.

*** Welchselbige als zeitungskritische Spezies übrigens am Wochenanfang bei den Münchener DLD einen fulminanten Auftritt (Video, satte 700 MByte, eine mäßig inspirierte Zusammenfassung hier) hatten.

Was wird

Die kommende Woche ist Vista-Woche. In Deutschland wird dort gefeiert, wo das besagte DLD seinen flippigen Auftritt hatte, im Münchener Hypovereinsbankforum. In den USA zeigt Bill Gates am 29.1. bei Comedy Central in "The Daily Show" von Jon Stewart eine Stunde vor dem Verkaufsbeginn von Windows Vista um Mitternacht, was das neue Windows alles kann. Um Mitternacht soll Steve Ballmer in einer Best-Buy-Filiale in New York als Tänzer auftreten. 2000 exklusiv eingeladene Gäste dürfen vorher in einer fünfeinhalb Stunden langen Supershow im New Yorker Nokia Theatre (ähem) das neue System bejubeln.

Während andere gegen Vista wettern oder schwere Sicherheitslücken befürchten, gibt der neue Microsoft-Slogan Stoff für Grübeleien. "Bereit für den Erfolg. people ready Business", das ist wieder einmal eine Aussage, die auf ein Verb verzichtet. Denglisch ist sie auch noch. Anders als beim letzten Claim "Ihr Potenzial. Unser Antrieb." ist der Erfolg da, aber wer ist denn das, der bereit für den Erfolg ist? Microsoft offenbar noch nicht. Immerhin hilft babelfish ganz wunderbar beim zweiten Teil. "Bereit für den Erfolg, bereiten Leute Geschäft vor". Yo, wir sind bereit man, nix Spaniens Himmel, nix Tote Hosen, man. Reg dich ab, deine Zeit ist knapp.

Bereiten wir uns nicht allzu viele Kopfschmerzen und chaperonieren das noch junge Betriebssystem in sechsfacher Ausführung. Gut, die eine oder andere Vista-Variante wird bei uns den Ratings der Weltbank zufolge nicht zu sehen sein, weil sie exklusiv in Entwicklungsländern eingesetzt wird, den viralen grünen Laptop zu verdrängen, den Nicholas Negroponte als Abschluss seines Lebenswerkes betrachtet.

Quelle : www.heise.de
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 04 Februar, 2007, 00:13
Was war.

*** Ein heftiger Wind bläst in der norddeutschen Tiefebene. Besonders heftig fegt er durch Hannover, durch die zauberhafte Stadt, in der ich geboren und aufgewachsen bin. Viele Hannoveraner werden den Wind nicht einmal spüren, denn es ist der eiskalte Wind, der Sturm der Geschichte, der durch die norddeutsche protestantische Tiefebene fegt. Die letzten Engel sind längst weggeweht.

*** Ich bin in einer missglückten Hochhaussiedlung an der Endhaltestelle einer Straßenbahn aufgewachsen. Schräg gegenüber von unserem Bau lag die Lehrerwohnung, in der Ulrike Meinhof verhaftet wurde. Es war selbstverständlich, damals in den 70ern, dass man in einem RAF-Gefangenen-Komitee mitmachte, genau wie in der Aktionsgruppe, die ein unabhängiges Jugendzentrum in der Öde von Hannovers Norden wollte. Wir hatten nur ein Pfarrhaus, in dem uns Kader mit kapitalismuskritischen Schulungen missionierten. Die Lehrerfamilie wurde gemieden und geschnitten, ein Teil des Taschengeldes ging an die Rote Hilfe. Wir sprachen so häufig von Isolationsfolter und diskutierten den Status von Kriegsgefangenen, wie heute vom Web 2.0 geredet wird. Als ich gleich nach dem Abitur auszog, ging es schnurstracks in eine WG, die gerne durchsucht wurde. Besonders erinnere ich mich an die Aktion Winterreise, weil ich unter der Dusche stand, als es CS-Alarm gab. Ach ja: CS steht nicht für Counterstrike, sondern für Counterinsurgency.

*** Vor mir liegt ein eingezogenes Buch, die gesammelten Texte der RAF aus dem Verlag von Bo Cavefors. Es hat wahrscheinlich alle Umzüge darum überlebt, weil es immer gut versteckt sein musste. Fast automatisch klappt das Buch auf Seite 466 auf, auf der kein verkopfter Text mit dschutschen Zitaten von Kim Il Sung abgedruckt ist, sondern eine schlichte Zeichnung der Haftzellen der JVA Bruchsal. Die Frage, wie man es mit der Isolationsfolter hielt, war Dreh- und Angelpunkt aller Sympi-Diskussionen, nicht die Frage nach dem bewaffneten Kampf und den Morden. Über die Isolationsfolter wurde gestritten, wurden Gedichte geschrieben und Vergleiche mit Lagern in aller Welt angestellt. Guantanamo war noch nicht dabei.

*** In der Welt der Sympathisanten war die Trennung zwischen gut und böse, zwischen dem "Schweinesystem der Charaktermasken" und den "antiimperialistischen Kämpfern" der Stadtguerilla genauso klar gezogen wie bei der RAF. Zum Schweinesystem gehörte beispielsweise Amnesty International, deren Büro von einer Gruppe um Christian Klar besetzt wurde. Viele tauchten danach ab, als die "Offensive 77" begann, in der auch Christian Klar und Brigitte Mohnhaupt aktiv wurden. Nun kommt Brigitte Mohnhaupt frei, wird über das fünf Jahre alte Gnadengesuch von Christian Klar debattiert. Zu den dunkelsten Stunden des deutschen Fernsehens gehörte letzte Woche eine "Show", in der das Volk via TED über gebrochene Menschen abstimmen durfte wie über das Tor des Monats.

*** Im Dezember 2001 fand, im allgemeinen Terror-Alarm kaum beachtet, ein Fernsehinterview mit Christian Klar statt, das von Günter Gaus geführt wurde. Wer dem Gespräch zuhört, hört einen schwer verwirrten Menschen, der gezwungen war, "ein Leben im Kopf in der Vergangenheit zu führen". Einen Weggeschlossenen, der sich nur mit Mühe konzentrieren kann, einen gebrochenen alten Mann. Er ist weit älter als wir anderen Mitfünfziger, die 25 Jahre draußen weiter lebten und weiter lernten, weil Leben eben lebenslanges Lernen ist. Die heirateten oder auch nicht, die Kinder großzogen oder auch nicht, Kinder, die, wenn gezeugt, längst draußen in der Welt mit ihren eigenen Ideen im Kopf leben. Können da ein paar Computerkurse ausreichen? Derweil wird landauf, landab von einer "Reue" geredet, die irgendwo im Grundgesetz von Sabine Christiansen verankert sein muss.

*** Es knirscht im Textgebälk, wenn nach der Betrachtung von 25 Jahren ein Blick auf die vergangene Woche geworfen wird. Immerhin, das Belegen eines Computerkurses möchte man auch den Redakteuren der taz wünschen, die Windows Vista als neuen Trojaner begrüßen. Einen Kurs in Sachen Mac OS X könnte man wiederum Bill Gates empfehlen, der kein gutes Haar an Apples Rechnern lässt. Erfreulich ist jedoch, dass Schwung in die Firma kommt, weil Konzern-Patriarch Gates versprach, dass künftig alle 3 Jahre eine neue Windows-Version erscheinen wird. Freuen wir uns mit den Schweizern, wenn die für die Informatik nicht unwichtige ETHZ triasisch in neuem Glanze erstrahlt.

*** Ohne das sonst übliche Gemeckere über die Konkurrenz arbeiten derzeit die findigsten Programmierer von Microsoft, Google und Amazon zusammen, um die von der amerikanischen Küstenwache aufgegebene Suche nach Jim Gray fortzusetzen. Der bei Microsoft Research arbeitende Gray, ein erfahrener Segler, stach bei besten Wetterverhältnissen in See, um die Asche seiner Mutter zu verstreuen. Es ist eine bittere Ironie, dass der geistige Vater des Terra-Servers nicht auf dieser Erde gefunden werden kann.

*** Bitter auch der Krebstod der amerikanischen Journalistin Molly Ivins, die als Lokaljournalistin begann und sich zur schärfsten Kritikerin der Regierung von George W. Bush entwickelte. Sie starb während der Arbeit an einem Buch, das dokumentieren soll, wie das amerikanische Rechtssystem von Bush und seinem Gefolge ausgehebelt wurde.

Was wird.

Auch um das deutsche Rechtssystem besteht Anlass zur Sorge. Am Montag wird die Entscheidung des Bundesgerichtshofes zu den rechtlichen Grundlagen einer Online-Durchsuchung erwartet. Auch wenn man nicht so weit gehen muss, den PC als ausgelagertes Gehirn zu definieren, so dürfte klar sein, dass der Eingriff in die Privatsphäre sehr weit reicht. Verquaste Argumentationen wie die des FDP-Politikers Ingo Wolf, dass der Standort eines PC völlig unerheblich sei, solange dieser nur am Internet angeschlossen ist, sind Nebelbomben. Sollte die Entscheidung den Einsatz eines "Bundestrojaners" verbieten, hat die Regierung eine Änderung der gesetzlichen Grundlagen bereits angekündigt. Ein schlichtes Detail dazu am Rande: Seit 14 Tagen bemühen sich Kryptospezialisten von FBI und NSA, die Verschlüsselung des Laptops von Abdalla Fazul zu knacken, der mutmaßlichen Nummer 1 der Al Quaida in Afrika. Wie entfernt ist wohl der Gedanke, jegliche Verschlüsselung und besonders die mit schicken Oberflächen zu verbieten, weil sie die Online-Durchsuchung behindert?

Im Kampf gegen den Terrorismus wird so manche Schlacht geschlagen, die besser als Kuchenschlacht durchgehen müsste. In den USA, wo neue Werbeformen mit Begeisterung ausprobiert werden, hat ein mobiles Blinkenlights-Werbeprojekt in Boston einen Terroralarm erster Güte ausgelöst. Batterien, Drähte und Antennen unterliegen bis auf Weiteres dem Versammlungsverbot.

Nach Einschätzung der deutschen Krankenkassen verläuft die Einführung der elektronischen Gesundheitskarte in den Testgebieten reibungslos. Dass ein paar Hanseln vergessen haben, die Fotos einzureichen, soll nicht weiter schlimm sein. Grund genug also, auf dem Smartcard-Workshop den Erfinder der Technologie zu feiern, mit der sich Heilberufsausweis und Gesundheitskarte die Hände schütteln, ehe gemeinsam Daten in das telematische Netz geschleust werden. Seine Idee ist mindestens 14 Jahre alt. Wir lernen daraus: Gut Ding will Weile haben, Terror Ding muss sofort vernichtet werden. Und wenn es länger dauern sollte, wird mit TED abgestimmt, sofort.

Quelle : www.heise.de
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 11 Februar, 2007, 00:07
Was war.

*** Is there life on mars? Das wissen wir bis heute nicht, aber zumindest die Existenz von Außerirdischen ist bewiesen, ganz ohne Einblick in die Area 51. Denn wie soll man sich ohne die erschröcklichen Körperfresser manche Äußerungen unseres Bundesinnenministers erklären, der meint, der Kampf gegen den Terrorismus rechtfertige jedweden Eingriff in private Bereiche der Bürger ... Aber die Körperfresser machen bei den Politikern nicht halt, auch die Musikindustrie ist nicht sicher vor ihnen. Anders ist kaum verständlich, dass sie sich auf das Gute in der Musik besinnt und sowohl Ornette Coleman als auch Sonny Rollins für den Grammy nominiert. Woran man aber auch merkt, wie fies die Körperfresser in Wirklichkeit sind: Die alten Herren Coleman und Rollins mögen jeden Preis der Welt verdient haben – sie sind aber nicht unbedingt diejenigen, die heute neue Wege in der Musik aufzeigen. Auch Bela Fleck oder Diana Krall beispielsweise, Gnarls Barkley oder Red Hot Chili Peppers, Arctic Monkeys oder Outkast sind aller Ehren wert – aber das sind sie auch nicht erst seit heute.

*** Doch zurück zum Ernst des Lebens: Hilfe, wir sind am Ende aller Verschwörungstheoriehn angelangt, denn wir werden von Aliens regiert. Wirklich? Ach was. Es ist der normale Wahnsinn der Sicherheitspolitiker, denen Freiheitsrechte nichts gelten, solange nur die Sicherheit gewährleistet ist. Anderes Beispiel gefällig? Kein Problem: Murat Kurnaz soll Überlegungen angestellt haben, die deutsche Staatsbürgerschaft zu beantragen. Prompt hat sich der SPD-Innenexperte Dieter Wiefelspütz zu Worte gemeldet und verkündet, dass die "Zuverlässigkeit" von Kurnaz für ihn nicht geklärt sei. Ganz abgesehen davon, dass sich Wiefelspütz immer mehr zum besten Argument entwickelt, keinesfalls SPD zu wählen, verkündet er diesen Unsinn wahrscheinlich, um seinen Parteikollegen Steinemeier zu stützen, der im Fall Kurnaz eine miserable Figur abgibt. Genauso gut hätte Wiefelspütz natürlich an der Pünktlichkeit von Kurnaz Zweifel äußern können oder daran, dass die Bartlänge des Kandidaten nicht geklärt sei. Nun ist Dieter Wiefelspütz einer, der in der Debatte über die heimliche Online-Durchsuchung zwar das BGH-Urteil begrüßt hat, nur um flugs klarzustellen, dass er für das tolle Instrument ein schönes neues Gesetz will: "Die Online-Durchsuchung ist weder eine Hausdurchsuchung noch eine Abhörmaßnahme, sondern etwas Drittes, für das wir keine klare Rechtsgrundlage haben." Das ist alles ziemlich bedauerlich, zumindest für einen wie Wiefelspütz. Denn Murnat Kurnaz wurde nach seiner Wiederkehr vom Verfassungsschutz in Bremen observiert. Mit einer heimlichen Online-Durchsuchung hätte ebenso heimlich, still und leise eine Datei ihren Weg in einen von Kurnaz benutzten Computer finden können, die staatsbürgerlich bedenklich die "Unzuverlässigkeit" zuverlässig dokumentiert. Wenn Apparatschicks auf die Idee kommen, einem in US-Gefangenschaft geratenen Kurnaz wegen einem "Meldefehler" bei der Ausländerbehörde die Aufenthaltsgenehmigung zu entziehen, dann ist der Gedanke nicht abwegig, den einmal gefundenen Online-Untersuchungskanal bidirektional zu nutzen.

*** Es ist ziemlich einfach, sich über den Bundestrojaner lustig zu machen und sich in Sicherheit zu wiegen, weil es per Definition keinen plattformübergreifenden Trojaner geben kann. Entsprechend flach fallen die trojanischen Kriegserklärungen aus, die ahnungslose Redakteure von ebenso ahnungslosen Experten bekommen. Bestenfalls können unbedarfte Leser den Eindruck bekommen, dass WLANs in Wohngemeinschaften schon der Anfang einer terroristischen Zusammenrottung bilden. Mit Lügen wie "Außerdem bin ich anständig, mir muss das BKA keine Trojaner schicken" verstärken Politiker die Trojanerdebatte und produzieren Zustimmung. Ebenfalls eifrig das Feld beackernd präsentiert sich der Verfassungsschutz, dem ein FDP-Politiker in Nordrhein-Westfalen bereits freies Geleit auf die Festplatten gegeben hat. Kurzum: Wenn Online-Durchsuchungen kommen, so ist noch lange nicht festgelegt, dass sie eine trojanische Gestalt annehmen müssen. Bei den bisher bekannt gewordenen Fällen wurde einmal ein Hardware-Keylogger nicht anders installiert wie eine normale Abhör-Wanze, ein anderes Mal gleich ein präparierter Computer verschenkt.

*** Kann die heimliche Online-Durchsuchung viele Formen annehmen, so ist der nächste grundlegende Fehler, sich den Einsatz des "Bundestrojaners" als Eingriff in einen Computer eines Terrorismus-Verdächtigen vorzustellen. Wenn die heimlichen Online-Durchsuchungen kommen, werden es Durchsuchungen im großen Stil sein, eine Rasterfahndung auf dem Boden der freiheitlich demokratischen Anti-Terror-Datei. Das kann bei vagen Verdachtsmomenten gar nicht anders sein. Nach dem letzten Terroralarm in Großbritannien wurden 21 Verdächtige festgenommen. Jeder dieser Verdächtigen soll nach Angaben des Geheimdienstes MI5 8 Mobiltelefone, 16 Computer und Dutzende von USB-Sticks besessen haben. 6000 Gigabyte Daten wurden – erfolglos – von Spezialisten durchsucht. Vielleicht sind viele Mujahideen Secret-Sticks unter ihnen gewesen. Diese islamistische Verschlüsselung ist angeblich von iDefense geknackt worden. iDefense ist übrigens die Verisign-Tochter, die unlängst ein Kopfgeld auf Windows Vista ausgesetzt hat. Womit wieder einmal etwas bewiesen ist.

*** Das dritte Missverständnis in Sachen Online-Durchsuchung ist die Frage nach dem Terrorismus, der mit einer Durchsuchung bekämpft werden soll. Das dürfen Politiker behaupten. Juristen driften auffallend schnell in Argumentationsketten ab, in denen Vorteile für die Ermittler eine Rolle spielen, die gegen Kinderpornographie vorgehen. Die ziemlich hirnrissige Beschreibung des Internet als "Universität des Terrors" kommt nur dann auf den berühmten Pudelkern, wenn man die Rolle sieht, die das Internet mit den Märtyrer-Videos bei der Selbstradikalisierung von Jugendlichen spielt. Gut, in Deutschland wird die Homepage der Märtyrer-Brigade von Al-Aqsa von Google nicht angezeigt. Dass damit die Videos aus der Welt sind, glaubt wohl niemand. Genau aus diesem Grund müssen die Tagebücher online untersucht werden, denen junge Moslems ihre Konversion zum Islamisten anvertrauen.

*** Wie aber kann in dieser Wochenschau nur vergessen werden, welch wichtige Dinge die IT-Szene wirklich bewegte. Denken wir nur an die Entdeckung des Eicher Kreisels in dieser Woche, eine der seltsamsten Argumentationen neben der Behauptung, dass es anständige Menschen gibt. Oder an die tränenrührige Geschichte von den Gutmenschen des Web 2.0, die ihren eigenen Vater beim T-Shirt-Drucken 12 Stunden am Tag schuften lassen, während sie mit dem Verkauf der auf Führer-Geburtstage spezialisierten Website StudiVZ Millionen scheffelten – angeblich. Freuen wir uns, dass Design-Professor Erik Spiekermann aufgeräumt hat und die erste Computerzeitschrift auf den Markt kommt, die "die nicht auf den ersten Blick eine Computerzeitschrift ist". Ich persönlich wünsch mir ein Cover mit einem nackten Till "Vanity" Schweiger, der ein niedliches Flokati-Vorprodukt im Arm hält und professionell jubelt: "Endlich! Ein PC ohne Zicken!!" (Untertitel: So kopieren Sie alles).

*** In ihrer neuesten Internet-Ansprache ruft unser aller Kanzlerin dazu auf, dass wir ein Volk von Kleinwagenbesitzern werden und Smart Fortwo Diesel kaufen oder ein erdgasbetriebenes Vehikel mit einem dichten Gazprom-Netz. Passend zum Aufruf feiern wir den Geburtstag von Thomas Alva Edison, der die Glühbirne erfand und zu ihrer Glimmichkeit gleich noch das Elektrizitätswerke und die Stromleitung, mithin den Grundstein legte für eine umfassende Klimaentschützung. Feiern wir den mit 1093 Patenten und über 12.000 Patentprozessen gesegneten Erfinder und freuen uns ein ganz klein bisschen, dass in dieser Woche der Zeitungsfresser Bob Metcalfe zusammen mit David Boggs für die Erfindung des Ethernet in die Inventors Hall of Fame gewählt wurde, genau wie die bereits verstorbenen IBM-Ingenieure William Goddard und John Lynott, die mit RAMAC die erste Festplatte entwickelten.

Was wird.

Wohin ich auch blicke, die Online-Durchsuchungen sind schon da. Am Dienstag beginnt in Berlin der Europäische Polizeikongress. Die Delegierten werden zunächst von Bundesjustizministerin Brigitte Zypries und BKA-Chef Jörg Ziercke begrüßt. Beide werden auf ihre Art erklären, warum die Kampfzone gegen den internationalen Terrorismus mittenmang über unsere Festplatten verläuft. Besonders apart ist die Tatsache, dass die erste nähere Vorstellung des "Bundestrojaners" in einem Prachtgebäude stattfindet, das der Chaos Computer Club gerne für seinen Jahreskongress anmietet, weil es so fnordistisch ist.

Wobei die Frage, ob der "Bundestrojaner" sportlich eine "Schwalbe", zeitungstechnisch eine "Ente" oder IT-mäßig ein "Über-Hack" ist, vielleicht schon auf einem Flugplatz entschieden werden kann. Durch tollkühne Männer in fliegenden Computer-Kisten? Aber nicht doch. Auf Platz 2 der Video-Rankings von Google steht ein CCC-Vortrag aus dem nämlichen fnordistischen Kongresszentrum, gehalten vom Rechtsanwalt Udo Vetter. Thema ist das richtige Verhalten bei einer richtigen Hausdurchsuchung. Was kann dieses Video toppen? Britney Spears und Paris Hilton nackt in einer Ziegenherde? Der Video-Podcast von Angela Merkel zu ihrem Rücktritt als Bundeskanzlerin nach einer Online-Durchsuchung ihrer privaten Festplatte? Weit gefehlt! Natürlich wird es wieder ein Anwalts-Video sein, über das korrekte Verhalten bei einer Online-Durchsuchung. "Sie haben das Recht zu löschen." Mit Till Schweiger in der Rolle der Delete-Taste. QED, zumindest, was die Verschwörungstheorien angeht.

Quelle : www.heise.de
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 18 Februar, 2007, 00:16
Was war.

*** Ob der Goldene Bär ein Problembär ist, mögen die Filmkritiker entscheiden – dass manche bayerischen Politiker nicht nur Brunos und Horsts, sondern auch Leute, die Filme machen, wie sie auf der Berlinale zu sehen waren, nur zu gerne zum Abschuss freigeben würden, ist dagegen kaum der Rede wert, da als bekannt vorauszusetzen. Viel mehr als über den Goldenen aber mag ich mich über all die Silbernen Bären freuen, für Nina Hoss in "Yella" etwa oder für das Team von Robert de Niros "Der gute Hirte" und besonders für Joseph Cedar, der meinte, er habe Angst vor dem Krieg – und dies auch allen politischen Führern wünsche und den Mut, Kriege zu beenden.

*** Es gibt weisere Menschen als mich, die können Filme beurteilen und möglicherweise auch Kriege beenden. Auch sind weisere Menschen als ich der Ansicht, dass der Journalismus tot ist. Oder, wenn noch nicht ganz mausetot, das Geschäft jedenfalls von Halbblinden betrieben wird, die jedem Blogger hinterherhinken. Was ist schon die einfache Meldung über Pamela Jones gegen den aufregenden Blog von der Suche nach Pamela Jones, von dem berühmten Koffer ganz zu schweigen? Was ist die schlichte Erzählungen von den kleinen Nachrichten gegen die vermaschten Wunder des Web 2.0? Was ist ein WWWW gegen den neuen Superblog der deutschen Eliteleser, die mit den staubigen Nüstern und den prallen Nüssen?

*** Auf der anderen Seite hat einfacher Text seine unbestreitbaren Vorteile, weil er zweideutig, dreideutig und vierdeutig ausfallen kann. Da kommt kein Mashup mit. Ich kann sooft meinen Desktop zwischen Gnome und KDE wechseln, wie ich will , bekomme aber nicht die abgründige Bezeichnung Interface Nazi zu sehen, über die gerade wieder mal heftig debattiert wird. Interface Nazi und das noch von jemanden aus einem Lande mit problematischer Nazi-Vergangenenheit gebraucht, oh, oh. Selbst das beliebte Fallbeil namens Godwins Gesetz darf nicht fehlen. Wahrscheinlich denkt Linus Torvalds viel amerikanischer als diejenigen, die sich jetzt über seinen Sprachgebrauch aufregen. Seit den Tagen, als ein amerikanischer Rezensent die Groupware "Communicator" als Nazi-Software charakterisierte, scheint sich wenig geändert zu haben. In diese Form der gedankenlosen Attributivierung passt übrigens auch die Rede von der Communist-Software, nur weil Kuba auf Open Source setzt.

*** Wer dabei mit dem Finger auf die USA zeigt, zeigt mit drei Fingern auf sich. In ihrer Rede vor dem europäischen Polizeikongress ging Bundesjustizministerin Zypries auch auf die Hakenkreuz-Versprecher-Debatte ein. Mit einem Rahmenbeschluss wollen die Deutschen im Rahmen ihrer EU-Ratspräsidentschaft das Hakenkreuz in ganz Europa verbieten, so der Vorwurf. Besonders betroffen reagierte die Alien-Religion der Raelianer, die gerade erst wieder ihren Mashup aus Davidstern und Hakenkreuz zum offiziellen Symbol kürten, nachdem man vor 15 Jahren eine andere Erleuchtungsgrafik genommen hatte. Dagegen argumentierte Zypries in Berlin durchaus vernünftig: "Es geht nicht um Hakenkreuze. Es geht darum, dass es in der gesamten EU verboten wird, aus rassistischen oder fremdenfeindlichen Gründen zu Hass und Gewalt aufzurufen."

*** Mit der Rede der Justizpolitikerin bin ich wieder einmal bei der Online-Durchsuchung angekommen, zur der es in dieser Woche wahrlich genug Nachrichtenmeldungen gab. Im Chor der Durchsuchungspaniker hat Brigitte Zypries noch eine gemäßigte Position angenommen. Etwa härter schon Günther Beckstein, der wie beim Großen Lauschangriff einen Katalog schwerer Straftaten forderte, bei denen online überwacht werden darf. Die üblichen frei drehenden Verschwörungstheoretiker nehmen das natürlich zum Anlass, um Urheberrechtsverletzungen der Schwerstkriminalität zuzuordnen, was selbst einem Beckstein nicht einfallen würde, der gerne mal von einer Birgit Zypries redet. Die Debatte wird in den nächsten Wochen weitergehen, weil nicht zuletzt der BKA-Chef Jörg Ziercke ganz verzweifelt ist, ohne Waffen dazustehen. Besonders verdächtig ist dabei die nun auch von der Generalbundesanwältin benutzte Formulierung, man müsse den Terroristen und Kriminellen auf "gleicher Augenhöhe" begegnen. Mit gleicher Augenhöhe heißt hier offenbar mit gleichen Mitteln. Wenn der Staat aber Terrorist spielen will, dann müssen dem Staat Grenzen gezogen werden. Wenn der Staat seine Bürger auszieht, müssen ihm die Grenzen aufgezeigt werden, so einfach ist das: "Die Diffamierung der Privatheit durch die Sicherheitsbehörden muss ein Ende haben."

*** Wie immer gibt es in dieser kleinen Wochenschau Jubiläen zu feiern. Heute wähle ich ein schon einmal erwähntes Datum aus, das in keinem Patentatlas verzeichnet ist. Diesmal gedenken wir aber nicht des großen Forschers Wallace Carothers, sondern überlegen lieber, was der Chemiker Gary Min gemacht hat. Wer glaubt, dass 22.000 Downloads aus der Firmendatenbank nicht unentdeckt bleiben, hat nicht nur ein chemisches Problem.

*** Vielleicht erinnert sich der eine oder andere Leser oder meine zahlreichen Leserinnen an die hübsche Satire über die Filmrechteverwerter der MPAA, die die Couchkartoffeln regulieren will. Zu den untergegangenen kleinen, unwichtigen Nachrichten gehört dieser Artikel über einen kanadischen Forscher, der die Zahlen analysierte, die hinter der von der MPAA so beklagten Camcorder-Piraterie stehen. Die nüchterne Wahrheit: 179 von ca. 1400 im Untersuchungszeitraum veröffentlichten Filmen wurden gecamcordert und vervielfältigt, ein Schaden, der nicht größer ist als ein Rundungsfehler der Filmindustrie, die im selben Zeitraum 45 Milliarden Dollar einfuhr.

*** Zart hat es sich mit dem Deal von StudiVZ angedeutet, aber mit der Spiegel-Titelstory über den zweiten Maskenball in Second Life am kommenden Montag ist es raus: Die Bobos sind wieder da. Selbst ehrenwerte Websites haben den Verstand verloren und angehende Journalistinnen demonstrieren, dass sie ihn nicht besitzen. Wer Second Life Ernst nimmt und Web 5.0 trällert, hat den Sinn dieser hübsch inszenierten Geldwaschanlage nicht begriffen. Inmitten der aktuellen politischen Diskussion ist es besonders spritzig, wenn bis zur letzten Schülerzeitung Geschichten über die Edelstöhne Anshe Chung erscheinen, während die Hassprediger im virtuellen Gottesdienst nur spielen wollen. Wie wäre es mit einem Inselchen, auf dem sich Terroristen beratschlagen, ganz im Sinn der Pressekonferenzen, die PR-bedröhnte IT-Firmen dort abhalten?

Was wird.

Wenn sich diese Woche verabschiedet, beginnt in Brüssel die FOSDEM. Vorab gibt es einige interessante Interviews. Zu dieser extrem spartanischen Veranstaltung passt es, dass Jim Gettys auftritt. Er wurde unter mehreren Dutzend Bewerbern ausgewählt, die, in der IT-Branche gut herumgekommen, sich auf die ehrenamtliche Position des Software-Chefs kaprizierten. Entgegen der landläufigen Annahme betrachten es viele hochqualifizierte IT-Spezialisten als Ehre, bei der Sache mitzumachen. Warten wir, bis Toyota mit OCPF startet, One Car Per Family. Der Fahrer von Renate Künast wird Beta-Tester auf dem Testgelände in Second Life.

Achja, achja, ganz nebenbei ist die FOSDEM eine gute Gelegenheit für alle Beobachter der Erosion, wie sich GOFHC, die "good old fashioned hacker community", endgültig auflöst. Es wird nicht mehr für schlappen "fun" gearbeitet in der Welt der Open Source 2.0. Das ist ein zivilisatorischer, manche verstörender Fortschritt gegenüber einem Protestantismus, der groß im Zu-sich-selbst-Stehen ist. Das schreibt jemand, der als Beruf den Journalismus gewählt hat. Wie formulierte es noch Max Weber: "Denn für jeden ohne Unterschied hält Gottes Vorsehung einen Beruf bereit, den er erkennen und in dem er arbeiten soll, und dieser Beruf ist nicht wie im Luthertum eine Schickung, in die man sich zu fügen und mit der man sich zu bescheiden hat, sondern ein Befehl Gottes an den einzelnen, zu seiner Ehre zu wirken."

Quelle : www.heise.de
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 25 Februar, 2007, 00:16
Was war.

*** Ist ein Leben ohne Computer möglich? fragte eine kleine, uns allen bekannte Website, die sich in der norddeutschen Tiefebene täglich mit den wichtigsten philosophischen Fragen beschäftigt. Ja, gibt es ein Leben ohne Computer? Kommt Apple zur CeBIT? Fragen eben, an denen ein Sokrates zerbrochen wäre. Nehmen wir nur diese Frage nach dem computerfreien Leben, bei der auch noch Bill Gates als Kronzeuge dafür herhalten muss, dass es als glückliches, erfülltes Leben geführt werden kann. Seine zehnjährige Tochter ist nämlich süchtig nach einem Spiel aus Papas alter Firma, Viva Piñata, weshalb der gestrenge Papa die Computernutzung auf 45 Minuten täglich beschränkt hat. 45 Minuten für die Pflege eines virtuellen Gartens sind wenig, da hat das Unkraut freie Bahn, wenn man nicht genügend Schokotaler, nicht Linden Dollars hat, die Helperlinge zu bezahlen. Der "Donut of Life" fordert halt seine Opfer, naschen oder vernascht werden, das ist die schwer pädagogische Frage. Verstörend ist allein, dass es keinen ordentlichen Sex gibt, sondern nur Minigames unter den geschlechtslosen Wesen. Piñatas, die sich fortpflanzen wollen, müssen Minigames absolvieren. Der Sieger bekommt ein Neugeborenes, kahl wie Britney, das aufgezogen werden muss.

*** Wie wird diese gekonnte Umgehung des Themas Nr. 1 wohl in der nächsten Panorama-Sendung über die schlimmen, bösen Computerspiele aussehen? Wenn in "Morden und Foltern als Freizeitspaß" allen Ernstes behauptet werden kann, dass Spieler in Grand Theft Auto mit Vergewaltigungen Punkte sammeln können, dürften die Minigames bald als Oralsex mit Ponys diffamiert werden. Schleierhaft bleibt auch, was ein "Experte" einer Firma macht, die fast täglich Server von fundamentalistischen Terroristen meldet, um ihre Filter- und Suchsoftware anzupreisen. Nach monatelanger Beobachtung der Call of Duty-Szene entdeckt er Hakenkreuze, die nicht zu dem Spiel gehören. Da passt es schon, wenn die Aussagen eines Heise-Kollegen weggeschnitten werden, weil der Beitrag "zu lang" war. Kurz, einseitig und gebührenfinanziert auf der Spielerszene rumtrampeln, das macht sich viel besser, selbst wenn danach die Zuschauer meckern.

*** Unterdessen trampelte die gesamte deutsche Printpresse in Second Life herum. Nimmt man die Masse an SL-Veröffenlichungen allein in dieser Woche, dann ist die Frage, ob es ein Leben ohne Computer gibt, definitiv entschieden: Leben gibt es wirklich nur im Computer, und dann nur in Second Life. Eingehaucht wird es vor allem von dem Superstar Ailin Gräf a.k.a. Anshe Chung, der Cicciolina des Web 2.0. Es regnet schonmal Pimmel in Anspielung an ihre Vergangenheit als virtueller Escort-Service, wenn sie interviewt wird. Wie rührend ist es da, dass sich die Goldrausch-Reporter freuen können, dass "die hessische Lehrerin" als Immobilienmaklerin Lebensbezirke für schwul-lesbische Avatare oder für die Fursuites vertickert, die schon einmal dafür sorgten, dass meine kleine Wochenschau nicht jugendfrei war. Und wie rührend, wenn sich der virtuelle Reporter mit flammenden Artikeln die Diskiminierung der Bepelzten bekämpft. Nun zieht die Politik ins zweite Leben und bringt ihre Konflikte mit. Die französische Rechte um Jean-Marie LePen hatte ein Parteibüro in Second Life eröffnet und damit eine Avatar-Demo sowie schwere Krawalle ausgelöst. Jetzt ist die Front National wieder weg. Der virtuelle Gutmensch kann sich zufrieden zurücklehnen und freuen, seine schöne neue Welt vom Bösen befreit zu haben. Erfreut wird er die wissenschaftlich gesicherte Erkenntnis lesen, dass seine schöne neue Welt doch ein normengerechtes Abbild der alten ist, in der Nazis keine Chance haben.

*** Mitunter ist es schwer, das Virtuelle, den Fake und die echte Poltik auseinanderzuhalten. Nach den Äußerungen des Bundesinnenministers zum "Bundestrojaner" preist der virtuelle Innenminister die deutschen Tugenden des Bundestrojaners: "Die Hymne und die Fahnen machen deutlich, dass er aus der Mitte der Gesellschaft kommt. Das ist nicht nur aufgeklärter, das ist aufklärender Patriotismus, das ist die ideale Kombination aus deutscher Ausgelassenheit, wie sie bei der WM zu beobachten war, und deutscher Selbstkontrolle, wie sie unser Volk seit Jahrhunderten erfolgreich praktiziert. Dieser Trojaner ist ein echter Deutscher." Einer wie Schäuble halt, der lebenslänglich bei RAF-Tätern etwas lebenslänglicher machen möchte und glaubt, dass es ein Gesetz geben muss, nach dem die Terroristen ihre Taten aufklären und bereuen müssen, nachdem sie über 20 Jahre weggeschlossen wurden. Inklusive des Verbotes, in Talkshows aufzutreten und Computer oder öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen, solange die nicht einfach abgeschossen oder gesprengt werden können. Ach, das ist jetzt also übertrieben?

*** Der geistige Bruder des Trojaners ist übrigens der Datenübertragungsfehler. Er lauscht nicht mit, sondern schleicht sich in die Texte ein, wenn die freiheitlich-demokratische Grundordnung in Gefahr ist. Ein Beispiel dafür lieferte diese Woche die die zweite Ausgabe von Vanity Fair. Das Blatt ist das neue deutsche Flaggschiff des Tom Kummer-Journalismus, der deutschen Leistungselite, gemacht von einem Chefredakteur, der Vermutungen nährt, er könnte seinen akademischen Titel beim Karaokewettbewerb auf der Semester-Abschlussparty gewonnen haben. In ihr findet sich ein Leserbrief des SPD-Gesundheitsexperten Karl Lauterbach, der sich über einen angeblich von ihm verfassten Text lustig macht, der zu zwei Dritteln nicht von ihm stammt und Gesundheitsministerin Ulla Schmidt lobt. Artig entschuldigt sich die Reaktion – und macht einen "Datenübertragungsfehler" dafür verantwortlich, dass etwas Blauäugiges in den Text gerutscht ist. So kann man die Tom Kummer-Technik natürlich auch erklären. Wie kummerlich das Blatt arbeitet, zeigt ein Text über die Rede von Wladimir Putin. Putin: "Haben wir aber die Mittel zur Verfügung, um diese Bedrohungen abzuwehren? Natürlich haben wir. Es genügt, die jüngste Geschichte in Erinnerung zu rufen. Immerhin ist in unserem Land ein friedlicher Übergang zur Demokratie erfolgt. Immerhin hat eine friedliche Transformation des Sowjetregimes stattgefunden." Vanity Unfair gibt wieder: "Wir haben Waffen, die dieses System überwinden können", und kommentiert das mit "Putin warnt die USA, das Raketenabwehrsystem schütze sie nicht vor den Russen". Wo Putin von Demokratie spricht (die er selbst nicht unbedingt liebt), hört die deutsche Leistungselite Raketenabwehrsystem. Ob da wieder dieser böse, böse Datenübertragungsfehler im Spiel war?

*** Im Jahre 1958 hatte der Film "Totenschiff" seine Premiere, der heute als Kommentar zu dem Leiden afrikanischer Migranten gesehen werden kann. Damals trat ein gewisser Hal Croves in Erscheinung, ein Mann, der sich auch B. Traven, Traven Torvsan oder Ret Marut nannte. Ein sympathisches Vorbild für alle, die nicht den größenwahnsinnigen "Autor" geben wollen, den Macker, der in der Identitätsfalle sitzt. Die geistige Unsitte, die in Deutschland dazu führt, Mullahs im Karneval auf der Achse des Humors zu verspotten. Vor 125 Jahren wurde der unter dem Namen B. Traven schreibende Mensch als Otto Alber Max Feige am 23. Februar in Schwiebus geboren – ein gutes Datum, um an seine Bücher zu erinnern. Außerdem gibt es das erste Interview mit dem Mann zu vermelden. Und statt sich angeekelt daran zu erinnern, dass ausgerechnet in einer Nachbarstadt dieser unserer kleinen Ticker-Webmetropole vor 75 Jahren Adolf Hitler zum Regierungsrat und damit erst zum deutschen Staatsbürger gemacht wurde, gedenken wir lieber des Geburtstags des großen Anthony Burgess, dem wir Clockwork Orange und "Hier kommt Alex" von den Toten Hosen verdanken. Fehlt nur noch der Panorama-Bericht, der beweist, wie Jugendliche unter dem Einfluss der schändlichen Musik von Beethoven zu Vergewaltigern werden.

Was wird.

Die CeBIT naht, die wirklich wichtigen Fragen des Lebens ziehen dräuend auf, die Pressemeldungen übersteigen die tägliche Spamflut, es gibt mehr innovative Lösungen als Viagra-Angebote. Doch wo sind die Antworten auf die Fragen? Gibt es ein Leben außerhalb von Hannover? Kommt Apple? Kommen die Häuser an die Macht, in deren Schutz die Computer werkeln, in denen sich das wahre Leben abspielt? Gibt es Menschen oder Rechner, die an etwas anderes denken als die CeBIT? Gibt es ein Leben nach der CeBIT? Aber ja doch, es findet Berlin statt und wird von Menschen organisiert, die sich an der Kreuzung von Katzencontent und Pinguin versuchen. Die eine Veranstaltung namens re:publica abhalten und um einen freundlichen Hinweis gebeten haben, ohne die CeBIT zu erwähnen. Mach ich doch glatt.

Quelle : www.heise.de
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 04 März, 2007, 00:16
Was war.

*** Hallo, hallo, ein angesäuseltes Hallo aus der wunderbaren niedersächsischen Tiefebene. Nicht Harry Belafonte trällert im Hintergrund seinen Calypso – mit 80 singt er nicht mehr, sondern lässt es politisch krachen –, nein, Mardi Gras.BB tröten endlich wieder in voller Besetzung (ich will aber nichts gegen die Trio-Einspielung gesagt haben), das beschwingt. Um es im Stil des bekannten niedersächsischen Hörnerwhiskeys zu sagen: Ich trinke Jägermeister, weil mein Dealer, mein Redakteur und mein letzter Leser allesamt ein und dieselbe Person sind, wenn ich nüchtern bin. Das ist die magenbittere Wahrheit.

*** Wahr ist auch, dass die wunderbare Tiefebene überhaupt nicht niedersächsisch eben ist, sondern sehr, sehr bergig. Eigentlich sähe es bei uns genauso aus wie im Allgäu, doch im Gegensatz zu den faulen Bayern und Oberschwaben versetzen wir Niedersachsen ständig Berge, daher haben wir keine. Das sagt jedenfalls unsere wunderbare neue Image-Kampagne, die rechtzeitig zur CeBIT mit "versteckten Pferdeäpfeln" wirbt, denn: Wichtig ist immer, was am Ende rauskommt. Das kann ich als geborener Hannoveraner bestätigen, der jahrelang seine ersten Dates "unter dem Schwanz" hatte. Unterdessen frage ich mich jedoch, ob der Werbeetat für dieses Niedersachsen-Image mit einer großen Portion Jägermeister ausgestattet ist. 1:0 für Niedersachsen, weil Gottfried Wilhelm Leibniz das binäre Zahlensystem in Hannover erfand?

*** Hat Leibniz in der besten aller möglichen Welten in der besten aller Städte wirklich das binäre System "erfunden"? In der Auseinandersetzung mit der Yin/Yang-Lehre setzte Leibniz Gott als 1 und das Nichts als 0, um damit eine mathematisch Universalsprache zu begründen. Eine Erfindung war das nicht, selbst die von ihm konstruierte Rechenmaschine galt nur der Demonstration der Idee. Aber vielleicht liegen die Werber mit dem Faible für Pferdeäpfel ja richtig, denn Werbung muss rocken, sonst kommt sie nicht hinten raus. Innovativ war Leibniz schon, aber als Entrepreneur gewann er keinen Apfel, wie das von Pädagogen hoch gelobte Angebot Mathe rockt feinsinnig formuliert: "Deshalb schaffte er es wohl nicht in den richtigen Momenten die Klappe auf zumachen und seine Ideen in bare Münze zu verwandeln, sodass er, nachdem ihn die Gicht seine letzten Jahre fies zu schaffen machte, 1716 bettelarm starb." Voll krass und fies das, mitten in Niedersachen.

*** "Sie kennen unsere Pferde. Erleben Sie unsere Reiter", das wäre als Slogan gar nicht mal so schlecht. Nehmen wir nur den Rockbeauftragten der SPD, Sigmar "Siggy Pop" Gabriel, der eine Zeit lang in der Stadt der Scorpions als oberster Niedersachse residierte. Der Feind der stromfressenden Gedankenblitze und Glühlampen, der große Förderer der freiwilligen Ferienabgabe, der unbestechliche Kenner trojanischer Pferde und ihrer CO2-Emissionen, der künftige Kanzlerkandidat, der gegen Merz antreten muss. In der Auseinandersetzung um ein "Ich will auch zu den Nutten"-Bild mit einem SPD-Parteigenossen hat Gabriel in der Frage verloren, wer für das Einstellen eines "Ich will auch zu den Nutten"-Bildes in ein Wiki verantwortlich ist, selbst wenn der besagte Parteigenosse unverzüglich das "Ich will auch zu den Nutten"-Bild löscht und die Erinnerung an "Ich will auch zu den Nutten" nur durch den wachgehalten wurde, der sich daran störte, wie ein artig sich meldender Pop-Beauftragter auch zu den Nutten will.

*** Das ganze Verfahren ist ebenso hirnrissig wie die Sache mit den Miederwarenladen Blush und dem Bild der schönsten Niedersächsin, die Spezialistin für Kinder ist und wohl wenig glücklich darüber, dass die Dessous-Werbung einen Preis bekam. Die virale SPD-Werbung "Ich will auch zu den Nutten" ging leer aus. Nach dem harschen Urteil gegen Peter Hartz sind billige Scherze einfach nicht vermittelbar. Zwei Jahre Lang darf Hartz keinen Betriebsrat kaufen und den Nutten zuführen. Das ist jedenfalls das Ergebnis einer Art Emissionsverhandlung.

*** Wir Niedersachsen zwischen Ems und Elbe versetzen nicht nur ständig Berge, sondern auch Feiertage. Nach einem großen Schluck Hörnerwhiskey habe ich beschlossen, den heutigen Sonntag als William-Henry-Harrison-Gedächtnis-Tag zu feiern. Gedenken wir äquivalent zum Darwin Award der unglücklichsten Redner. An diesem Tag, der ursprünglich als Inauguration Day gefeiert wurde, hielt besagter William Henry Harrison die längste Ansprache, die je ein US-Präsident zur Amtseinführung vortrug. 8445 Worte, zwei Stunden lang und das in einem Eisregen ohne schützenden Mantel vorgetragen, führten zu einer Lungenentzündung, an der der neunte Präsident der USA einen Monat später starb. Passend zu diesem schönen Feiertag hat sich in dieser Woche ein würdiger Nachfolger gefunden: Der Radsportler Jan Ullrich redete sich bei seinem Abschied vom Buckeln und Treten zunächst in einer Pressekonferenz, dann in einer Talkshow um den letzten Rest von Glaubwürdigkeit, als sei er in einer Panamporama-Sendung. Was bleibt, ist ein Tester von Funktionsunterwäsche.

*** Wer sich indes nicht um Kopf und Kragen geredet hat, ist Christian Klar. Sein Pech war es, dem Medienzirkus eine Vorlage für das freie Schwadronieren geliefert zu haben, in einer Sprache, die heute niemand mehr versteht. Ich habe als damaliger Sympathisant an dieser Stelle versucht, die Stimmung damals nachzuzeichnen und bin auf großes Unverständnis im Forum gestoßen. Sätze vom "kämpfenden Teil der revolutionären Volkseinheit" und dem Fernsehen, das "den Willen der Arbeitermassen zur bewaffneten Revolution unter einer ungeheuren Welle von kulturimperialistischem Schund" begräbt, sind heute nicht mehr zu vermitteln. Bestenfalls bleibt ein Baum übrig, der noch versteht, was die Wortmaschine produzierte. So gesehen muss verteidigt werden, dass ein Gefangener eine politische Meinung haben und veröffentlichen kann, auch wenn er das Handicap hat, sich in einem bleiernen Deutsch auszudrücken.

*** Gerhart Baum gehört zu den unverzagten Menschen, die Schritte gegen die Online-Durchsuchung unternommen haben. Auf dem abschüssigen Weg in die totale elektronische Erfassung des Menschen geht die Feinderklärung des Staates an seine Bürger mit der völligen Verrohung der Überwacher einher. Rechtliche Bremsen wie das labberige Urteil über die illegalen Aktionen gegen die Redaktion von Cicero werden extern als Sieg der Pressefreiheit gefeiert, bei den "Diensten" vom Verfassungsschutz über BND und Abschirmdienst höchstens belächelt. Ebenso gelassen wird die Debatte über den Online-Trojaner registriert.

*** Es gibt so viele Wege, auf die Festplatten zu kommen, dass die Konzentration auf einen einzigen Trojaner in der aktuellen Diskussion wunderbar ablenkt. Man denke nur an den ärgerlichen Profit, den Microsoft gerade mit der vorzeitigen Umstellung auf die Sommerzeit in den USA macht. In dem 4000 Dollar teuren Support-Kit ist Platz genug, den einen oder anderen Trojaner unterzubringen. "Müssen wir uns Bill Gates als einen glücklichen Menschen vorstellen?", fragte im letzten Jahr die WDR-Sendung Lauschangriff. Ja, lautete die Antwort – sofern Bill Gates jeden Rechner unter Kontrolle hat. Da kann unser Bundeskriminalamt noch etwas lernen.

Was wird.

Hurra, hurra die CeBIT naht! Parties ohne Ende, mitten im innovativen Hannover! In der Stadt, die die Bürgersteige hochklappen könnte, weil sie die Technologien dafür hat. Aber sie tut es nicht, weil sie so stolz auf ihren Roten Faden auf den Bürgersteigen ist. Wie heißt es noch so schön schräg in der Image-Kampagne von Niedersachsen: "Ob Auto, Flugzeug oder Kleiderbügel – wir machen daraus einen mobilen Computer." Potzblitz, heiliger Pferdeapfel, das muss erst einmal hinten rauskommen, wenn vorne ein Kleiderbügel eingeworfen wird. Wahrscheinlich sind mit den mobilen Computern die UMPC gemeint, die zur letzten CeBIT Premiere hatten, aber seitdem verschwunden sind. Vielleicht wurden sie zum Kleiderbügel zurück entwickelt.

Wie war das noch mit Christian Klar? Knarrende Sprache? Wie wäre es mit dieser angekündigten CeBIT-Aktion der Firma Bull? "SWATS (Secret Warriors against The SYSTEM) übernehmen die Verantwortung für Aktionen, die in den letzten Tagen für die Befreiung der IT-Systeme durchgeführt wurden." SWATS werden also auf der CeBIT in Giftgrün den Kampf um die Befreiung der IT fortführen. "Wir müssen die starren Kräfte des Monopolkapitals daran hindern, die dynamischen Kräfte der Programmierermassen zu sabotieren. Die Unternehmen müssen aufhören, sich zu Geiseln von Herstellern, Entwicklern und deren Launen zu machen. Die Geschäftswelt muss sich frei entwickeln können. Wollen wir weiterhin Opfer der großen IT-Anbieter bleiben? NEIN!" Wer einen dieser grün angelaufenen Köpfe auf der CeBIT sichtet, trifft auf die echten Befreier vom Terror der IT, die Vernichter der CeBIT, radikaler als jeder Chaosclub, anachronistischer als die Open Source. Die Grüne Armee Fraktion erhebt ihr schreckliches Haupt 2.0.

Quelle : www.heise.de
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 11 März, 2007, 00:10
Was war.

*** Wenn im unermüdlichen Newsticker aus der norddeutschen Tiefebene die täglichen Nachrichten – nicht die Forumskommentare – mit einem roten Anfang gekennzeichnet werden, so kann das zweierlei bedeuten. Entweder erscheint das WWWW täglich oder womöglich gar stündlich und ich werde ein schwerreicher Mensch werden. Oder aber die CeBIT beginnt und überschwemmt den Ticker mit CeBIT-Nachrichten. Willkommen in Hannover, der Hauptstadt der Einsen und Nullen, des Leibnizkekses mit 52 Zacken und des Heise-Verlages. Südlich der Eilenriede die prickelnde Atmosphäre in den Messehallen genießen, die von ihrem hochrangigen IT-Gipfel winkende Bundeskanzlerin ganz ohne Podcast erleben zu können, das ist doch das pure digitale Leben. Noch. Sollten die Ideen der Zukunfts-CeBIT verwirklicht werden, wird die Messe virtuell. Und nicht nur die CeBIT, sondern auch das Arbeitslosenproblem. Wie der seerosige Eintrag über die "Second Life-Statisten" beweist, ist es doch eine tolle Idee, die mickrigen Beträge für die Hartz-IV-Empfänger in Linden-Dollar auszuzahlen. Wie heißt es noch so schön: Fordern und Fördern! In jedem von uns steckt eine "hessische Lehrerin" wie Anshe Chung. Im Second Life die kargen Bezüge ordentlich aufbessern und dann im First Life ausgeben, das ist doch eine echte CeBIT-Idee: Wer erfolgreich ist, der wird glatt gesamwert.

*** Ach, wie gerne würde ich jetzt alle wichtigen CeBIT-News bringen, alle Trends, alle Gadgets, alle Alles, damit die CeBIT wieder zurück zu ihren Wurzeln kann und unbestechliche Heise-Redakteure wieder Hänge-Registraturen und Bleistiftanspitzer im Dauertest bewerten können. Aber diese kleine Wochenschau soll sich den Details widmen, den Neben-Sächlichkeiten und den Unter-Persönlichkeiten, die diese IT-Branche manchmal manchem so rästelhaft erscheinen lassen. Ja, diese Wochenschau ist ein niemals endgültig konfigurierter Parameter.

*** Nehmen wir nur den scheißenden Hund, der bei dem ins Internet Wirres schreibenden Menschen verschwunden ist. Dieser Hund war eine Hommage an Die elektronische Revolution von William Burroughs, dem Sohn einer Familie, die mit Computern schwerreich geworden ist. Auf Burroughs antwortete damals einer mit einem Requiem für die Medien und der ist diese Woche in diesem Spiel namens "First Life" gestorben. Früh hat sich Jean Baudrillard mit der "kybernetischen Illusion" auseinandergesetzt und über alle Theoretiker des Feed-Back gespöttelt, die meinten, dass Leserzuschriften, telefonisches Eingreifen oder eben auch Bloggen die Rolle der Medien verändern könnten. "'The Medium is the Message' ist eine bürgerliche Behauptung. Sie bedeutet, dass die Bourgeoisie nichts mehr zu sagen hat."

*** Gestorben ist auch Richard Joseph. Als Nichtspieler muss ich gestehen, dass ich die "Videospiellegende" bis vorgestern nicht kannte und von den Einsendungen der Heise-Leser überrascht wurde. Anscheinend ist ein großer Komponist wie Ennio Morricone von uns gegangen, den niemand richtig würdigen konnte. Aber muss man alles kennen? Ich antworte mit Baudrillard: "Multifunktionalität ist ein schicker Ausdruck, der gar nichts ändert. Wer behauptet, multifunktional zu sein, appelliert an das System, in dem er ein Rädchen sein will." Und bei aller Jazzbegeisterung bleibt die Verbeugung vor Kris Kristofferson übrig, natürlich für die Nicht-Musik in dem Film über Billy the Kid, mit einem Link der zeigt, was eine Wikipedia leisten kann.

*** Wie gut, dass es heute wichtige Jubiläen zu feiern gibt. Damit meine ich nicht den Start des Neuen Marktes, dem Tummelplatz der Bobos oder das Ende des Reinheitsgebotes, das irgendwie passend zum Börsenschwindel vor 10 Jahren gekippt wurde. Ein richtigen Grund zum Feiern hat Tuxmobil, das vor 10 Jahren als MobiliX begann, bevor das Oberlandesgericht München eine hochgradige Ähnlichkeit erkannte und ein hochgradig lächerliches Urteil fällte, wie sich später in einem ähnlich gelagerten Fall herauskristallisierte.

*** Wenn die Berichte stimmen, dann ist die Terroristenjagd vor allem karrierefördend. In Großbritannien ist der oberste Terrorbekämpfer Jonathan Evens zum Chef des britischen Geheimdienstes MI5 ernannt worden. Etwas früher wurde Cressida Dick, verantwortlich für die Erschießung eines Unbeteiligten, zur führenden Verantwortlichen für die Sicherheit der königlichen Familie befördert.

*** Eine augenfällig ähnliche Situation präsentiert unsere deutsche bündische Republik. Da schimpft ein inzwischen zum Staatssekretär aufgestiegener BND-Mann seine eigenen Leute als blöde Agenten und beruft sich auf Gutachten des Bremer Verfassungsschutzes, die nach Aussagen der Verfassungsschützer als schriftstellerische Fehlleistung bewertet wurden. Währenddessen müssen die drittobersten Geheimnisträger vom Parlament 3000 Seiten in zwei Tagen lesen, wie das neue, schick aussehende Protal Focus Online berichtet. 3000 Seiten über einen "Mitläufer"? Von der Stasi lernen heißt schreiben lernen? Ebenso kauzig kommt die Nachricht einher, dass im Fall der "Kofferbombenattentäter" eine gelöschte Festplatte einfach nur gespiegelt werden musste, auf dass die gelöschten Daten rekonstruiert werden konnten. Sollte das stimmen, sind Terroristen EDV-Einsteiger, die tatsächlich jeden Link in einer Mail anklicken, die Jungfrauen im Paradies als Preview.exe ankündigt. Gegen Steely Dan, den Bundestrojaner, der unsere Festplatten penetriert, haben sich übrigens die Datenschutzbeauftragten von Bund und Bundesländern ausgesprochen. Amüsant dabei die folgende Passage: "Die Konferenz befürchtet massive Sicherheitseinbußen, weil zu erwarten ist, dass sich Computernutzer vor staatlicher Ausforschung zu schützen versuchen, indem sie etwa Softwaredownloads unterlassen." Nie wieder Patches! Tod aller Downloads! Das Internet steht still! Und wieder einmal hat Amerika eine Alternative zu bieten. Dort verklagt ein Gefangener die Firma Microsoft, weil ihre Software unzureichend vor einer Durchuchung durch das FBI schützte.

*** Ja, so geht das. Erneut sehne ich mich nach Waldi Hartmann, wenn ich mir einen Boxkampf auf RTL anschaue. Wie jetzt, hab ich das eben wirklich geschrieben? Nach Waldi Hartmann sehnen? Ach, während Wladimir sich ein kleines bisschen mit Ray kloppte und Kai den Ringreporter gab, verneigte ich mich kurz gen GEZ und freute mich auf die nächste Boxnacht in ARD oder ZDF. Ja, es ist offensichtlich Zeit, zum Schluss zu kommen, die Verwirrung nimmt überhand, wenn öffentlich-rechtliche Sportreporter das kleinere Übel sind. Das Wetter. Äh. Was wird?

Was wird.

Wer der Eröffnung der CeBIT entgegen fiebert, damit endlich der geile neue Begleiter auftragsgemäß besabbert werden kann, der möge weiter fiebern. Natürlich gibt es auch ein Antidot gegen diese bloggende Form der Beuteltiere, bei den Kollegen von der Computerwoche unter dem treffenden Namen Messe: schnell weg.

Von hier aus nur alle guten Genesungswünsche und meine sprichwörtliche Sympathien mit all den Menschen, die auf dem Messegelände Standdienst haben, ob am Stand des kleinen Verlages aus der norddeutschen Tiefebene oder anderswo. Diesmal sind meine Sympathien übrigens geteilt: Ein Teil geht nach Übersee und gilt den Microsoft-Mitarbeitern, die auf der fast zeitgleich stattfindenden Brainshare von Novell Standdienst haben. Das sich im innersten Heiligtum der "Roten" einmal Microsoft als Platinum Sponsor tummeln würde – wer hätte das gedacht? Eigentlich fehlt nur noch SCO als Gold Sponsor, doch tendiert diese Firma gerade zum Pennystock. Das alles geschieht, während der beliebte SCO-Vortragsredner und Star-Analyst Rob Enderle die Wahrheit über Linux erzählt. Die nackte Wahrheit, vom meistzitierten amerikanischen Analysten direkt in sein Vroom-Vroom-Ferrari-Notebook gehämmert. Schockierend. Da freue ich mich doch, dass es wieder einige Ataris gibt.

Quelle : www.heise.de
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 18 März, 2007, 00:15
Was war.

*** Leise weinend schreibe ich ein paar nächtliche Zeilen, während meine heißen Tränen auf das Thinkpad tropfen. Was einem Thinkpad natürlich nichts ausmacht, das schon Pferde auf Laptops kotzen gesehen hat. Die KlimaBIT in Hannover hatte gerade Halbzeit und das heißeste Gerücht der Branche ist raus: Halle 1 muss sterben, nur die Serengeti lebt weiter. Halle 1, 1984 als weltgrößte Messehalle gefeiert, ist ein Monstrum, ist schlicht die architektonische Verkörperung des ganzen IT-Wahnsinns. Unten fahren Autos rum und parken wie die Bits und Bytes in meinem Laptop. Darüber liegt das Mezzanin, in dem die Messejobber irgendwelche Sachen für das User Interface bereitstellen. Und ganz oben auf dem Dach stehen die "Trelements" herum, Wellblechhütten, in denen die Manager geschäftig managen. Von all dem sieht der gemeine Messebesucher der KlimaBIT herzlich wenig, denn er verliert in der Halle mit idiotischen Standangaben wie 4g5/4f4/ die Orientierung: ein gutes User Interface bringt den Besuser um den Verstand.

*** Nun soll diese vortreffliche Parabel auf den Irrsinn der IT geschrottet werden? Meine heißen Tränen usw. usf.: Das ist wohl nur in Hannover möglich, der Stadt, in der die Nanas jahrelang einen schweren Stand hatten. Aber so ist es: In jedem Hannoveraner steckt ein kleiner Haarmann. Kurz nach dem 70. Todestag von Lovecraft dürfen wir nicht vergessen, dass Halle 1 auch als die Halle von Ctulhu firmierte, ganz im Gegensatz zur "Hölle 17", der "Buromaschinenhalle" mit ihren laut tösenden Druckern. Laut tösende Drucker? Heute vor 157 Jahren erschien der scharlachrote Buchstabe von Nathaniel Hathorne in einer Auflage von 2500 Exemplaren und verkaufte sich innerhalb von 10 Tagen. Der erste Bestseller der Welt wurde zum Tort für die Buchmacher, die ab dem 16. März Sonderschichten fahren mussten.

*** Dabei hat die KlimaBIT nichts mehr mit der CeBIT zu tun, einer Messe für USB-Sticks, Navigationssysteme und "Business Process Intelligence". Das ist, wenn man eigene und fremde Visitenkarten immer auseinander halten kann, egal, wie viel Alkohol im Träger des Jacketts gluckert. Warum es überhaupt eine kleine, feine KlimaBIT ist, die die olle CeBIT vergessen lässt, das zeigen die grünen Mainboards, bei denen die schwarze Angela verweilt. Oder wie wäre es mit diesem urschreiartigen Jubel: "Gruen Licht, geschafft unend Funktion Wartenden!" Jawohl, die grünste und netteste Firma der KlimaBIT 2007 heißt Hengij Weije, auf englisch Hi-Tech Wealth, die ein Mobiltelefon präsentiert, dessen Rückseite mit Solarzellen beschichtet ist. 40 Minuten in der Sonne reichen für 20 Minuten Telefonieren. 40 Minuten in der Sonne waren für den Übersetzer der Einladung zur Pressekonferenz einfach zu viel: "Wenn Sie das geraet, was Sie nicht vepassen dürfen, mal frueher probieren willen, und dann warum nehmen Sie nicht schneller an die Ausgabe Sitzung von dem erst Licht Energy Mobiltelefon im Welt von Hengij Weiye teil? Wir fwarten auf Ihren Präsentiert!"

*** Natürlich ist mein Chinesisch schlechter als dieses Deutsch, aber dafür bin ich Journalist geworden, nicht Übersetzer. Im Journalismus reicht es, die Muttersprache nicht zu können und Zwischentöne zu überhören. Wenn Hengij Weije den wirklich gekonnten Firmenslogan "hochtechnologie macht mehren Spass" verbreitet, dann tröpfeln meine heißen Tränen nur noch und ich kann eine bissige Bemerkung über Schweißflecken des Bosses nonchalant überhören. Etwa auf der netten KlimaBIT-Präsentation des Telepresence-Systems, das T-Systems als Cisco-Partner in Deutschland installiert. Schlappe 300.000 Euro und eine Standleitung mit 15,5 MBit/s reichen, um solch einen Schweißfleck klimaneutral vermitteln zu können. Ein wahrlich eindrucksvolles System, das das Anliegen der KlimaBIT würdig repräsentiert. Niemand muss mehr zu den Meetings fliegen. Besser ist nur noch, einen Avatar auf Second Life zur Konferenz zu schicken. Dort, wo zukünftig die CeBIT stattfindet, verhandelt dann der rothaarige Cheerleader-Teen im kurzen Röckchen mit einem rolligen Krokodil.

*** Habe ich eigentlich schon einmal die norddeutsche Tiefebene erwähnt, in der das Leben seinen Gang geht? Diese Ebene wird bekanntlich geflutet, wenn die KlimaBIT nicht einschlägt. Grüne Mainboards braucht das Land, Server-Racks, die von dem Wind befüttert werden, der durch die norddeutsche Tiefebene braust wie ein niedersächsischer Innenminister durch unsere Universitäten, immer bereit, ein verdächtiges islamistisches Element in der Buchausleihe zu extrapolieren. Aus grünem Grunde ist der Verkauf von Eintrittskarten zum Schleuderpreis eine landrettende Maßnahme. Denn jeder Besucher der KlimaBIT bekommt zumindest eine Ahnung, warum Standby-Geräte strunzdumm sind und stromfressende Klingeltöne verdammt werden müssen. Warum ein sehr erfolgreicher Konzern wie IBM dringend die Aufstockung staatlicher Förderungsmittel fordern kann, wenn seine Blades den Strom regelrecht durchpusten. Ob man dann noch den fünffachen Teil mit eigenen Mitteln bezahlen will, steht freilich noch aus. Und während bäumepflanzende PC-Hersteller und CO2-Ausgleich suchende IT-Firmen rumtrompeten, die Branche habe sich schon immer um ökologisches Bewusstsein bemüht, vergessen sie doch immer noch, einen schlichten, echten Ausschalter in ihre Geräte einzubauen. Nicht wahr, da gibt man dann doch gerne staatliche Fördermittel an eine Branche, die noch dümmer als der Dodo ist, dessen Aussterben eh keiner so recht mitbekommen hat – der Dodo aber war wenigstens nicht selbst Schuld am eigenen Ende.

*** Im Tierreich angekommen, ist es wirklich peinlich, einen Rechtsanwalt namens Joachim Steinhöfel und ein Schwein in ein und demselben Satz erwähnen zu müssen. Das haben die Borstenviecher nicht verdient. Wie Horst Stern im deutschen Aufklärungsfernsehen nachwies, ist das Schwein an sich ein ganz besonders empfindliches Tier. Zur saugeilen Werbung einer bekannten Marktkette gesellt sich darum die schlichte Erkenntnis, dass Meinungsfreiheit dem Anwalt der Schweinemissbraucher zufolge heute genau 40.000 Euro wert ist. Und weil Geiz ja schweinegeil sein soll, erspare ich uns heute viele Links, indem ich auf ein bemerkenswertes Motiv (PDF-Datei) für eine Werbeanzeige verlinke, die dokumentiert, was bei deutschen Anwälten los ist: Wer im Grab rotiert, wird herausgeholt und verurteilt, weil die gesetzlich definierte Rotationsgeschwindigkeit überschritten wurde. Vertrauen ist gut. Anwalt ist saugeil.

*** Ich gebe zu, ich habe es mit der Geschichte. Der Blick zurück enthält überraschend viele Momente, bei denen Käufer in einem bestimmten Elektronikmarkt nur noch "ich bin blöd, ich kaufe sowieso jeden erdenklichen stromfressenden Mist" posaunen können. Vor 25 Jahren erschien der Berliner Appell, mit dem die Friedensbewegung in der DDR auf Konfrontation zum Staate ging. Später kamen dann blühende, entvölkerte Landschaften, ein klimaBITtiges Biotop.

Was wird.

Was kann es nach so einer fulminanten KlimaBIT noch geben? Kann Sigmar "Siggy Pop" Gabriel die ökologische Leistungsschau an der Leine mit einer Liste toter Tierchen toppen? Wird er die Spezies der verblichenen Sozialdemokraten in seine Liste aufnehmen? Und wie berechnet man eigentlich die durch den Tierschwund bedingten Schäden ohne Computer?

Aber was soll man noch neue Antworten finden, in Zeiten, in denen selbst Iggy Pop und die Stooges ihre alten Knochen wieder auf die Bühne schwingen. Und während die KlimaBIT ihrem Ende zugeht, dreht die Brainshare richtig auf. Im Mormonenland soll es nach einer Ankündigung von Bruce Perens kräftig auf Novells Parade regnen, weil das Abkommen zwischen Novell und Microsoft wider alle Open Source ist. Wobei die Freunde der Open Source ein kleines mormonisches Wunder feiern können, wie Groklaw berichtet: Ganze 326 Codezeilen sind offenbar von den Codebergen übrig geblieben, die von Darl McBride und seinen MIT-Experten vor vier Jahren als gestohlen gemeldet wurden. 326 copyrightfreie Zeilen, die nicht einmal von IBM nach Linux transferiert wurden – am Ende der zähen Beweisaufnahme steht SCO im Regen, juristisch wie klimatechnisch.

Quelle : www.heise.de
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 25 März, 2007, 00:10
Was war.

*** Na, wie war der Tag, so ganz ohne Computer? Frisch in der freien Natur verbracht oder nervös am Glimmstengel kauend in einer der Örtlichkeiten, die künftig mit einem "R" wie Raucher gekennzeichnet sein müssen? Reinhold Beckmanns Yoda-Deutsch gelauscht? Oder etwa doch klammheimlich klimaverseuchend gebootet und die Mail abgeholt, ein Date auf Second Life gehabt?

*** Sigmar "Siggy Pop" Gabriel, der ehemalige Pop-Beauftragte der SPD, hat wieder einen P-Job. Er ist Pate vom Problembär Knut geworden und nimmt ihn zu einer Artenschutzkonferenz mit. Noch hat die Zeitung mit den vielen großen Buchstaben dafür nicht die Todesspritze für den Umweltminister gefordert, aber das, liebe Kinder, kann ja noch kommen. Schön ist es jedenfalls, dass der Bär an sich die Ente ablöst, journalistisch gesehen. Das macht meinen Beruf irgendwie aufregender, so mit der gefährlichen Tatze zu drohen, statt mit der Schwimmflosse zu watscheln – die dazu noch einem ollen Pinguin unterputiert wurde.

*** Damit bin ich schon bei der zweiten guten Nachricht dieser Woche. Vergesst Tux, denn seit dieser Woche gibt es das Linux-Girl, die Ellen Feiss aller knallhart wie Karate Kid mit den Prüfungen kämpfenden Certified Linux Professionals. Das Girl verdrehte 5000 Brainshare-Teilnehmern das Brain. Noch verdrehter eigentlich, dass eine unscheinbare Pressekonferenz in einem winzigen Raum, der nach Kartoffelbrei stank, weil tatsächlich Katoffelbrei mit Soße und Apfelkuchen serviert wurde, PR-mäßig die Novell-Show locker in den Hintergrund drängte. Und das, obwohl die Argumente längst bekannt waren. Bemerkenswert daran, dass diese improvisierte Pressekonferenz von einem Smart Mob organisiert wurde, der eine Stunde vor der Konferenz auftauchte und sich danach sofort wieder auflöste.

*** Doch was soll ich in die Ferne schweifen, wenn die allerallerbeste Nachricht vor meiner Haustür liegt und keine angeknabberte Maus ist, die die Katzen angeschleppt haben? Die CeBIT ist mit tollen Zahlen zu Ende gegangen. Allerdings erzählte die Deutsche Messe AG als Veranstalter kompletten Unsinn über die so genannten "Fachbesucher". Bewusst wird so die schlichte Tatsache unterschlagen, dass die CeBIT eine große Familienschau ist und immer war. Die CeBIT musste schon immer den Spagat zwischen dem IT-Profi und dem Endverbraucher, zwischen der Unterhaltungselektronik und der IT-Infrastruktur hinkriegen. Ohne diese Funktion, ohne ein komplettes Abbild der Branche zu geben, verliert die Messe ihre Existenzberechtigung. Supertoll und feinispitzi war diese CeBIT und am Wochenende, da war bei uns die Hölle los, als wäre heise auto schon gestartet. Aber ja, das CeBIT-Wochenende wird immer wichtiger. Nur dann kann der Mittelständler, der unter der Woche nicht aus der Firma weg kann, sich mit irgendwelchen Softwareherstellern, IT-Dienstleistern oder SAP-Entwicklern auf der CeBIT unterhalten – und dann nimmt er natürlich die Familie mit, die was Buntes sehen will. Ein Kessel Buntes, mit einem Klacks von SAP aus dem fernen Indien und den Hüpfbohlen von RTL, das ist der Ernstraue des Messelebens! Wer dabei glaubt, den Durchschnittswert des Investitionsvolumens der Besucher mit dem berechneten Mittelwert houyhnhnmsen zu können, hat Pippi Langstrumpfs Plutimikation nicht recht begriffen und steht am Ende als armer Yahoo da.

*** Wie meine Leser wissen, ist guter Journalismus ganz ohne Bären und Enten schlicht das Schreiben mit der Axt im Kopf. Fakten sind langweilig bei diesem Blowjob, eine gute Zensur ist in diesem Metier hingegen genauso wichtig wie guter Wein. Darum finden meine Leser zum Start der Sommerzeit keine Schmonzette zum 80ten Geburtstag von Martin Walser oder zum 60ten von Elton John und selbst der Triumph der Hoffnung wird ohne Jubelzeilen anderswo gefeiert werden müssen. Die europäische Ehe kann man mit Galileo und der Fingerabdruckdatenbank aller Europäerinnen feiern, doch nicht mit mir.

*** Ich feiere lieber den 200. Jahrestag der Abschaffung der Sklaverei in England, komplett mit allen Kanistern. Längst vergessen ist im europäischen Urheberrechtsgeplänkel die Tatsache, dass als plagiarius im alten Rom der Übeltäter genannt wurde, der den oder die Sklaven anderer Bürger stahl. Seitdem Martial im 1. Jahrhundert in seinen Epigrammen darüber jammerte, dass ein anderer Dichter seine Vers-Sklaven benutzte und diesen als Plagiator beschimpfte, leben wir mit der Debatte über das geistige Eigentum und den Diebstahl der Ideen. Passend dazu sei an Luther Ingram erinnert, der in dieser Woche gestorben ist. Um seinen Hit "If loving you is wrong" wurden einige Prozesse geführt, als weiße Interpreten die schwarze Musik verzuckerten.

*** Zu den kleinen Jubiläen abseits von Martin Elton John Walser gehört der Geburtstag von Erich Weisz, der als Harry Houdini vor allem in Deutschland als Meister aller Schlösser und Fesseln reüssierte. Seine Gebeine sollen wieder ausgebuddelt werden, weil sich allerhand spiritistischer Murks um ihn gebildet hat. Von ähnlich spiritistischer Qualität ist der geballte Unsinn, den deutsche Verschlüsselungsexperten auch diese Woche wieder zum Besten gaben, wenn es sie vor dem Kryptieren gruselte. Wenn populistische Tiefflieger wie der POP3-Beauftragte der SPD, Dieter Wiefelspütz das Märchen von der legitimen Online-Durchsuchung erzählen, bleibt nur die Frage, ob es eine Ente war oder uns die Politik einen Bären aufbinden will.

Was wird

Die CeBIT liegt hinter uns, die Uhren sind sommerlich angezogen und die norddeutsche Tiefebene blüht auf. Lasst viele, viele Güllewagen um mich sein! Das ist nun einmal der Frühling im schweinereichsten Teil der Welt. Passend zur aromatisierten Luft fallen mir keine Messetermine ein, sondern nur ein paar Konferenzen auf unserer kleinen deutschen Farm. Mindestens die Eröffnungsveranstaltung zur IT-Fitness stinkt zum Himmel, denn was die so ungemein gemeinnützige Initiative bedeutet, wird klar wenn man die Azubi-Seite anklickt, wo die Auszubildenden noch Lehrlinge heißen und die Lehrherren über ihre Diagnoseseite alles ausschließen, was nicht von der fitten Firma Microsoft kommt, die voll uneigennützig auch die Pressesprecherin der Initiative stellt.

Schmackig kommt auch der New Media Award, bei der viraler Unsinn wie die Chad-Kroski-artige Geschichte von Ron "Baumarkt" Hammer bereits als preiswürdige Seite gilt. Gleich nach den neuen feiern die alten Medien mit dem Adolf-Grimme-Preis die deutsch-türkische Freundschaft. Doch was ist schon das wirkliche Leben, wenn die bald die Hälfte aller Menschen im Zweiten leben? 2,25 Millionen Menschen können sich doch nicht irren?

Quelle : www.heise.de
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 01 April, 2007, 00:14
Was war.

*** Wenn früh am Morgen die Werksirene dröhnt
und die Stechuhr beim Stechen lustvoll stöhnt,
in der Montagehalle die Neonsonne strahlt
und der Gabelstaplerführer mit der Stapelgabel prahlt,

ja, ja, ja dann ist ganz geierklar der 1. April. Ein Tag, an dem eigentlich gewisse Boxkämpfe stattfinden müssten, die ich wegen Terminverfehlung daher einfach mit Nichtachtung strafe, ein Tag aber, an dem ich dafür ungestraft jeden Scheiß und jeden Schrott erzählen kann, auch den vom tollen Bruttosozialprodukt und den stabilen Preisen. Aus diesem feinen Grunde besteht das heutige WWWW zum großen Teil aus besonders sinnigen Aprilscherzen oder zumindest dem, was man dafür halten könnte – was ist real, was Scherz, die Entscheidung bleibt dem Leser überlassen, der sich an einer Wochenschau erfreuen kann, die garantiert frei ist von Knut und dem bayerischen Höschengate. Nur vom dicken Engel Siggi G. kann ich nicht lassen, toppt der Pop-Mann locker jeden Patenbären. Er durfte nicht zu den Nutten, bekommt zum Ausgleich aber lyrische Liebeserklärungen der Umweltschützer:

Nimm was ab und bleib gesund.
Werd der Wolke nicht zu schwer.
Dann wirst du fürs Klima sein,
was fürs Laken Ariel.
Reinigst reiner noch als rein.
Umweltengel Gabriel.

*** Fangen wird mit dem trefflichen Aprilscherz an, dass Post-Chef Klaus Zumwinkel für seine innerstädtischen Briefträger Segways haben möchte, die zwar in Deutschland nicht zugelassen sind, aber von Steve Jobs als beste Erfindung seit dem geschnittenen Apfel bezeichnet wurden.

*** Ja, ja, ja, die Qualität der Aprilscherze hat sich enorm verbessert in diesen unseren Tiefebenen, die eigentlich mehr für ihre Humor-Flatrate und Fips Asmussen bekannt sind. Nehmen wir nur den silbernen Nagel, mit dem der Art Directors Club Deutschland einen Hitler-Werbespot mit dem beliebten KdF-Reiseziel Madeira auszeichnet. Das "Geschenk des Führers", nach Maderia mit dem Arbeitsfront-Schiff Wilhelm Gustloff, hin zur Insel Madeira, frei von aller Kriminalität und ein silberner Nagel, hach wie subtil ist doch der hanseatische Humor. Ja, weitere Führer für den Führer gibt es in Hamburg bei der für Nazistimmen äußerst empfänglichen Buchhandlung Cohen + Dobernigg. Nur bei Beschreibungen für Touren nach Auschwitz, Bergen-Belsen und Neuengamme ist man zur Zeit etwas knapp bestückt. Dabei sind auch diese Plätze bestens geeignet für komische Werbung und Aprilscherzereien.

*** Zum Buchhändler Cohen fallen mir natürlich ein paar ausgesprochen geschmacklose Judenwitze der besten Sorte ein, sie sich Juden immer wieder gerne erzählen, doch ausnahmsweise müssen wir nicht jemanden in den April schicken, sondern einen großen Geist im März verabschieden. Mit dem jüdischen Mathematiker Paul Cohen starb der neben Kurt Gödel größte Logiker des noch nicht ganz vergangenen Jahrhunderts, der sich mit der Unendlichkeit beschäftigte. Cohen gehörte zu den Mathematikern, die nüchtern feststellen mussten, dass Beweisführungen für viele Bereiche der Mathematik außerhalb des menschlichen Verstandesvermögens liegen und viele Beweise nur noch von Maschinen durchgerechnet werden können. Eine bittere Erkenntnis für eine Disziplin, die das Jahrhundert mit 23 Problemen begrüßte, die nur noch gelöst werden müssten.

*** Zurück zu den Aprilscherzen. Gar nicht so besonders witzig ist zunächst einmal der Start der Anti-Terrordatei, ein trickreiches Datenbanksystem offener und verdeckter Dateien, über das Polizei und Geheimdienste ihre Daten ohne Medienbruch, aber elegant an der Verfassung vorbei austauschen können. Alles ganz harmlos, meinen die Experten von Spiegel Online und leisten sich den netten Scherz, die Antiterrorfahndung mit dem Kauf eines Buches bei einem Internetversender zu vergleichen. Ja, da kommt Schmunzeln auf, wenn Terror-Nietzsche und Killer Game Programming zusammengeschmissen werden. Ungefähr so werden die Ergebnisse aussehen, wenn die in Rekordzeit programmierte modernste Datei dieser Art die Faktenlage zusammensetzt und sich etwa auf die Suche nach zwei verdächtigen Taschen samt Trägern macht. Natürlich wird im Wirhabennichtszuverbergen-Land "nicht der Bäcker gespeichert, bei dem ein Verdächtiger Brötchen holt" – sofern es keine Killer-Brötchen sind.

*** Eine besonders guten Extra-Aprilscherz leistet sich BKA-Chef Jörg Ziercke, der geistige Kopf einer Gruppe, die hochprofessionelle Software herstellt, so genannte Zierckejaner oder auch Jörglogger. Von den Grünen befragt, erklärte Ziercke sich bereit, den Quellcode einer Computerattacke dem Gericht unter der Voraussetzung zur übergeben, "dass sich die Justiz in diesem Bereich fachlich fortentwickelt". Warum in aller Welt muss sich dafür die Justiz fachlich entwickeln, um Open Court Source oder Court Open Source zu inspizieren? Beim wieder aufgenommenen Verfahren des großen Lauschangriffes will der nämliche BKA-Chef Ziercke auf die Expertise der Gerichte setzen: Alles wird mitgeschnitten und die fachlich fortentwickelte Justiz entscheidet alsdann, was im Kernbereich privater Lebensführung ausgeblendet oder gelöscht werden muss. Gerichtsbestallte Filter, die die Beischlaflöschtaste oder den Duschausknopf drücken, ja, ja, ja, jetzt wird in die Hände gespuckt und vielleicht bekommen wir auch eine Justizunterabteilung wie das Ministerium für Liebe.

*** Ein kleines April-Scherzchen leisteten sich übrigens auch die Grünen, die so angeregt mit Ziercke plauderten. Danach besorgte sich die Partei aufrichtig darüber, dass diese böse, böse Technik, der Bundesbürger ausgesetzt sind, womöglich noch ins Ausland gelangt. Ich will es mal so formulieren: Was gut für dich und mich ist, hier in Dashabenwirimmersogemacht-Land, könnte im Ausland als "Möglichkeiten der Totalüberwachung" verkauft werden. Selten so saugeil gelacht, wie das die schwer mobile Metro Group gerne mit Bundeserfolgstrainer Joachim 'Jogi' Löw bewirbt. Das ist sauspaßig und saustark, dass so ein Eber mir sagt, wo Lücken in meinem Terminkalender sind. Wo ein Steinhöfel einfach nur eine Beleidigung mit drei Silben ist, zeigt ein Löw ganz große Klasse. Während die Grünen nur zeigen, dass ihre Zeit vorbei ist.

*** Wenn man von der Zeit spricht, muss man von den ewig Gestrigen nicht schweigen. Zu ihnen gehört ein deutscher Außenapparatschick, der kein einziges Wort des Bedauerns über einen Vorgang äußern kann, den er natürlich nicht zu verantworten hat. Vielleicht schreibt dieses personalisierte Wrack einer Sozialdemokratie, die Rauchen, Saufen und Computerspiele verbieten will, einen Brief. "Lieber Murat Kurnaz, der wievielte Tag in Freiheit ist das überhaupt? Haben Sie heute schon geduscht und den Bart getrocknet? Na, dann nichts wie raus ins Leben. Menschen gucken ist herrlich ..." – besonders dann, wenn über den Radieschen trampelnde Menschen keine Ahnung vom geltenden Recht haben. Das ist natürlich ein ganz subtiler und gemeiner Aprilscherz mit einem geistesgestörten Kolumnisten auf der einen Seite, der nicht einmal die Grundsätze seines Blattes kennt und einer Schlaftablette.

Was wird.

Eine vertrackte Form des Aprilscherzes ist ein Witz, der zunächst nicht als solcher erkannt wird und dann als Tatsache die Runde macht. Wie so ein Witz funktioniert, zeigt gerade die elektronische Gesundheitskarte. Nach neuesten Umfragen freut sich der gemeine Mann vor der verrauchten Eckkneipe gemeinsam mit seinen die Flatrate versaufenden Kindern vor allem über den Notfalldatensatz, der ihn retten soll, im Fall des Absturzes. Betrachten wir den Notfalldatensatz näher, so findet sich ein wirklich lustiger Scherz in der Behauptung, dass die Blutgruppe im Notfalldatensatz absoluter Humbug ist. Denn in den echten Notfalleinsätzen wird alles gereicht, bis zum letzten Plasmaexpander samt Oblate. Nur die Blutgruppe spielt absolut keine Rolle. Nun ist die kostentreibende Blutgruppenbestimmung vom Tisch, aber nett ist es doch, wie das Wort Blutgruppe entfernt wird. Die Wayback-Maschinen kugeln sich vor Lachen im Dakönntejajederkommen-Land, das irgendwo in Bayern anfängt. Wenn nicht in Nürnberg, der Stadt der Latex-Jüngerinnen, so doch in in Ingolstadt, der Trutzburg aller Motzer.

Zugegeben, der letzte Aprilscherz in dieser kleinen Wochenschau ist ein Schuss ins Blaue. Aber die kommende Erweiterung von ePass und ePersonalausweis um den digitalisierten Fingerabdruck ist wirklich ein besonders schicker Aprilscherz, den ich chronistenpflichtig erwähnen muss – wenn es denn stimmt, was die Agenturen gerade funken. Nach eingehenden superharten Verhandlungen soll sich die große Koalition darauf geeinigt haben, dass alle abgegebenen Fingerabdrücke nicht nur auf den Dokumenten im RFID-Chip gespeichert sind, sondern in einer Datenbank der Meldeämter gesammelt werden. Natürlich nur zum Kampf gegen den allgegenwärtigen Terror. Was bleibt mir übrig, als an diesen kleinen Auftritt zu erinnern?

Quelle : www.heise.de
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 08 April, 2007, 08:14
Was war.

*** Es gibt Phänomene, die wirklich schwer erklärbar sind. Etwa die Tatsache, dass alle Welt über die schlimmen CO2-Emissionen oder über stromfressende Apple-Rechner klagt, aber gerade gefühlte 100 Osterfeuer um mich herum gezündet sind und waberlohen. Oder dass Hasen über Ostern einen Koller bekommen und Hühnereier bunt anmalen, bis sie so bunt sind wie Schnurers schöne Hemden. Schwer erklärbar auch die Sitte der Geeks, undokumentierte idiotische Funktionen in Programmen Easter Eggs zu nennen, auch wenn es nur billige Klone von Eliza sind. Oder nehmen wir den WM-Koller, der Deutschland im Sommer erfasste und der nun zu einer Babyschwemme führt – nur in Hannover nicht. In der schönen norddeutschen Tiefebene wurde nicht mehr geschnackelt als sonst, sondern nur zuviel Bier getrunken und allenfalls Schnick, Schnack, Schnuck gespielt, wer die nächste Runde holt. Womöglich nach den neuen Regeln, mit endlosen Diskussionen, bis die letzte Erektion wieder 'ne lüttje Lage wurde.

*** Mitunter sind Phänomene nicht schwer erklärbar, sondern schwer zu verstehen. Besonders zu Ostern, das von Hasen und Christen gefeiert wird. Lassen wir die bezaubernde niedersächsische Tiefebene etwas wellig noch in der Stadt der Düfte und Aromen beginnen. Dort wird neben Vanillin neuerdings vor allem Angstschweiß produziert, in der Demagogie des Herrn Schünemann, der terroristische Anschläge für sehr wahrscheinlich hält, weil Tornado-Flugzeuge in Afghanistan fliegen. In Afghanistan verteidigen die Tornados mit der Super-Digicam bekanntlich unsere Freiheit, die Politikern wie Innenminister Schünemann mit dringend gebotenen Maßnahmen in Hannover und anderswo zurückbauen wollen. Nun ist Ostern nicht nur die Zeit bunter Eier und Feuer, sondern auch die Zeit der Ostermärsche. Auf einem dieser Märsche hat ein zum Irak-Krieg nein sagender Soldat auf den Irrsinn der der NATO unterstellten Tornados aufmerksam gemacht und eine interne Anweisung zitiert, wie mit Soldaten und Soldatinnen umgegangen werden soll, die aus Gewissensgründen Befehle nicht befolgen wollen. Sie haben schlicht zu spuren und sind alles andere als mündige Bürger in Uniform:

"Zwar gehört das allgemeine Gewaltverbot als unabdingbare zwingende Völkerrechtsnorm zu den allgemeinen Regeln des Völkerrechts. Es ist aber für die rechtliche Bewertung des Verhaltens einzelner an einem Einsatz beteiligter Soldaten ebenso wenig von Bedeutung wie die zu seiner Durchsetzung bestimmten innerstaatlichen Normen. Nur wer Einfluss auf die politische Willensbildung hat, kann gegen das allgemeine Gewaltverbot verstoßen."

Eine erstaunliche Argumentation für den universal einsetzbaren Untertanen, die auch dadurch nicht besser wird, dass in ihrem Licht bestimmte Politiker zu Gewaltverbotsverletztern werden. In diesem Sinne passt sogar die österliche Nachricht, dass der Scientologe Tom Cruise den smarten Graf von Stauffenberg spielen wird.

*** Enorm smart ist auch Jörg Ziercke, der Chef des Bundeskriminalamtes. Er braucht die Rasterfahndung durch das BKA, die Online-Durchsuchung von Computern, die Mautdatenfahndung inklusive aller IMSI-Kennungen aller On Board Units in den LKW, er braucht den großen Lauschangriff mit Dauerspeicherung auf einem Richterband. Derweil zeigt seine eigene Behörde höchst anschaulich, wie sinnlos manche Begehrlichkeiten sind. Die unter dem leicht irreführenden Namen Vorratsdatenspeicherung bekannt gewordene Schnüffelei in den Verbindungsdaten von Telefongesprächen ist wirkungslos. Nicht einmal mit den eigenen, bestens dokumentierten Verbindungsdaten schafften es die BKA-Spezialisten, den Maulwurf in ihren Reihen zu enttarnen. Besonders auffällig an der Geschichte ist die Tatsache, dass eine Behörde, die angeblich hochprofessionelle Online-Durchsuchungsprogramme herstellen kann, nicht in der Lage ist, ihre eigenen Dateien zu kontrollieren. Dass Knallchargen wie Werner Mauss in diesem Umfeld agieren können, ist genauso amüsant zu lesen wie die Geschichten vom Focus, der dem Begriff "Wertschöpfungskette" eine neue, aparte Dimension hinzugefügt hat. Moral 2.0, so heißt es bei Burda, hat der Hase, der richtig harte Eier hat.

*** Lässt man die umstrittene Operation Mikado außen vor, so hat es in Deutschland bisher zwei Rasterfahndungen gegeben. Die erste fand im Höhepunkt des Deutschen Herbst vor 30 Jahren statt, als der damalige Arbeitgeberpräsident Hanns-Martin Schleyer gesucht wurde. Damals versagte Kommissar Computer mit seinem PIOS-Projekt auf ganzer Linie und wurde wenig später in den vorzeitigen Ruhestand geschickt. Heute ist er sich sicher, seinen legendären Satz "Wir kriegen sie alle" zu bestätigen, mit dem Internet und all seinen Möglichkeiten. Wer will, mag "Kontrolliert" vom Chefblogger der Vanity Fair lesen. Die zweite Rasterfahndung fand im Herbst 2001 statt, als das World Trade Center zusammenbrach und die Hunde schwiegen. Dabei wurden aus der Menge von 8,3 Millionen Menschen 1.689 Studenten mit einem "muslimischen Hintergrund" überprüft. Es fand sich zwar kein einziger Terrorist, doch wurde die Fahndung insgesamt als Erfolg gewertet. Man habe potenzielle Terroristen verunsichert, so die Bilanz. Und mehrere potenzielle Terroristen hätten Deutschland verlassen.

*** Den Satz der Woche, vielleicht sogar der ganzen Legislaturperiode der großen Koalition hat niemand anderes als Wolfgang Schäuble in einem Interview mit dem Handelsblatt gesprochen: "Das Unbehagen an der Moderne kann aber nicht ausschließlich zulasten der inneren Sicherheit gehen." Das Unbehagen an der Moderne ist aber nicht auf Seiten der Menschen, die viel reisen, und denen noch die kleinste Flasche Apfelsaft am Flughafen abgenommen wird. Das Unbehagen verspürt ein alter Mann im Rollstuhl, der niemals modern sein durfte und mit den Folgen eines Attentats leben muss, das es niemals wie Kollege Töpfers Rheinschwimmerei zum Platz der Republik bringen wird. Die moderne Gesellschaft, die offene Risikogesellschaft der fortgeschrittenen Modernen muss man leben wollen, ohne den starken Staat zu fordern, der jede Festplatte unter Kontrolle hat. Gegen die Herrschaftsmaschine reichen nicht Logowettbewerbe und Demonstrationen, da muss schon mehr gestemmt werden. Im Widerstandsmodus muss man flexibel die Betriebssyteme wechseln können, die Mail verschlüsseln und sich vor allem von dem durchaus schädlichen Konzept eines eigenen PC (Smartphone etc) verabschieden. Information at your fingertips ist gut und schön, wenn die Information frei ist und die Fingerabdrücke nicht gespeichert sind.

*** In dem schönen Buch "Porgrammers at Work" beschreibt Charles Simonyi, wie ihn seine Arbeit an dem Ural II-Computer prägte. Aus dieser Arbeit entstanden Microsoft-Produkte wie Multiplan und Word für DOS-Rechner. Nun ist Simonyi auf dem Weg ins Weltall, ganz ohne Martha Stewart die Erde zu umrunden. Derweil kreisele ich um mich selber, als ehemaliger RAF-Sympathisant, der an dieser Stelle ein paar gescheiterte Versuche gestartet hat, die Geschichte vor 30 Jahren zu erklären. Aber dafür hat Michael Buback einige aufklärende Worte bereit. Damals schrieb ich für ein Blatt, in dem sehr, sehr heftig darüber gestritten wurde, ob der Mescalero-Artikel veröffentlicht werden sollte.

Was wird.

Die Vorschau in die kommenden Wochen bietet unterschiedliche Verlustigungen an, von der bereits erwähnten Demonstration gegen Vorratsdatenspeicherungen in Frankfurt bis zum großen Mischup namens Re:publica in Berlin Mitte in einer Scheune. Wer etwas weiter im Kalender schaut, wird vielleicht die tolle Nachricht entdecken, dass nach dem doch recht schlaffen Jahr über das ABC der Menschheit nunmehr das Jahr der Mathematik zur Feier auserkoren wurde. Mathematik, komplett mit solch spannenden Fragen wie "Produziert mein Navigationsgerät Staus?". Ist das nicht eine eher bescheidene Frage für eine Wissenschaft, die am nächsten Sonntag den Geburtstag eines Titanen ihres Faches zu feiern sich anschickt? Irgendwie war das mit Einstein relativ einfacher.

In der vergangenen Woche starb Karen Spärck Jones, eine sehr resolute Informatikern, die keiner Auseinandersetzung aus dem Wege ging. Die Erinnerungen an die zahlreichen Entgleisungen der großen alten Dame werden nicht abreißen, wie dieser Eintrag beweist. Zeit ihres Lebens war die Wissenschaftlerin der Absicht verpflichtet, dass die Informatik zu wichtig ist, als dass sie allein ein Spielball der Männer ist. In diesem Sinne freuen wir uns auf den Girls Day, doch mit der Warnung der großen Forscherin, dass man notfalls auch den Männern in die ähem, ähem treten können muss, und seien sie noch so bunt angemalt.

Quelle : www.heise.de
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 15 April, 2007, 00:52
Was war.

*** Bundesumweltminister 'Siggy Pop' Gabriel ist ein gern gesehener Gast in diese Wochenschau, denn er ist ein Wiederholungstäter. So will Gabriel nicht nur seinen Patenbär Knut wieder besuchen, weil es toll sein soll, den kleinen Eisbären aufwachsen zu sehen. Nein, er legt auch gegen das Urteil des Hamburger Gerichtes über die "Ich will auch zu den Nutten, Herr Hartz"-Satire Berufung ein. Es hat ja Tradition in der Sozialdemokratie, dass Genossen hart gegen Genossen sind. Schließlich und endlich ist die SPD nicht erst seit dem Alptraumduo Hartz/Schröder die erklärte Partei der bürgerlichen Mitte, aus der gestählt in dreißig Jahren die Kampftruppe entsteht, die endlich die verdammte Revolution machen wird. Da will Gabriel als roter Großvater mit seinem Kampfbären an vorderster Front dabei sein oder mindestens erzählen, wie alles begonnen hat, damals, als er sich tapfer der übermächtigen Blogosphäre, diesem Prekariat 2.0 in den Weg stellte. So also sieht konsequentes sozialdemokratisches Verhalten aus, verbunden mit der Hoffnung, dass auch für Gabriel die Presse-Nutzungsvereinbarungen gelten, die seinen Knut schützen. Wie heißt es noch so schön im verlinkten Text? Knut ist doof und stinkt und wird in einem Jahr wie sein Pate sein?

*** Die andauernde Passbild- und Fingerabdruckdebatte über Daten, die in den Meldeämtern digital vor sich her gammeln, statt ordentlich den Untertan zum allzeit identifizierbaren Staatsfeind zu stempeln, hat Nebenwirkungen. Spekuliert wird über die Traumata des Wolfgang Schäuble, dem Angstminister dieser Republik. Die Beharrlichkeit, mit der die Exekutive die Judikative plätten will, zeigt klar, wohin die Reise geht: Wir bekommen einen hochmodernen digital agierenden Staat, inklusive Stasi 2.0.

*** Stellenweise leben wir schon in diesem Murks-Staat – in dem CSU-Granden so manchen gestandenen Sozialdemokraten links zu überholen scheinen –, wenn man Pressemeldungen wie diese über einen angeblichen deutsch-arabischen Livestream liest, die die Firma Pan Amp veröffentlichte. Die Firma, auch bekannt als Spieletester für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, fordert das BKA auf, einer in Deutschland aktiven Zelle das Handwerk zu legen. Ich kann die Stimme des Kalifaten nicht hören, aber die Stimme von Pan Amp klingt schrill genug. Was wird erst passieren, wenn diese Truppe auf ebenso felsenfeste die afghanische Sexwebcams stößt, die den Untergang des Abendlandes herbeistöhnen? Mindestens die Forderung nach einem "robusten Blauhelmeinsatz" deutscher Militärs dürfte vom Ausschläger Elbedeich kommen.

*** Robuster Einsatz ist eine deutsche Tugend, ganz rosenklar. Und ganz nebenbei wäre die "Deep-Internet-Recherche" der Hamburger Apokalyptiker wirklich etwas etwas für die aktuelle Debatte um Herrn Oettinger und seiner einfachen Textübernahme von der Homepage des furchtbaren Militärrichters Hans Filbinger. Alles nur Cut&Paste? Aber bitte komplett mit dem furchtbaren Blog-Geschwurbel wie Es gab damals keine Alternative zur Einbindung auch kompromittierter Kräfte in den demokratischen Aufbau. Genau diese Haltung gegenüber den Nazis hat die furchtbaren Taten der RAF ausgelöst.

*** Ich muss an dieser Stelle innehalten und gegen die Filbinger-Drücklinge an Männer wie Josef Mattauch oder Rudolf Fleischmann erinnern. Am 12. April vor 50 Jahren veröffentlichten sie die Göttinger Erklärung und gingen als "Göttinger Achtzehn" ausdrücklich auf die deutsche Geschichte der Göttinger Sieben ein. Dass öffentlich mehr über Krummschwaben wie Oettinger und Filbinger diskutiert wird, statt über aufrechte Wissenschaftler, zeigt den geistigen Zustand dieser Republik. Aus der Göttinger Kantate von Günther Weisenborn:

Die Göttinger Gelehrten hielten Rat und sie erklärten jede Mitarbeit an einer Bombe zu verweigern. Das ist nicht nur ein Manifest, das ist die Tat.

*** Ach, hey, wir sind im Krieg? Das ist doch lustig! Das wird ein Mordsspaß! Da wird mir wikipedianisch ganz schwurbelig zumute, wenn ich die verschiedenen Darstellungen vergleiche. Vor 25 Jahren lehnten am 12. April 1982 die argentinischen Diktatoren jede weitere Diskussion ihrer Besetzung der Falkland-Inseln ab. Was folgte, wird heute als Kraftakt zugunsten von Demokratie und Selbstbestimmungsrecht gefeiert. Etwas schlichter gesehen machte der Krieg das kipplige Tatcher-Regime unangreifbar, obwohl er eigentlich die argentinische Despotie retten sollte. Informationstechnisch war der Falkland-Krieg dann ein absolutes Desaster und führte dann zur NATO-Doktrin von der Informationsüberlegenheit – mit der man dann im Kosovo kläglich scheiterte. Und dann war da noch das echte deutsche Boot für echte Helden. Aber Feuerland ist abgebrannt. Über 400 argentinische Kriegsteilnehmer begingen Selbstmord.

*** Musik, Musik, Musik, vermissten letztens die treuen Dauergäste dieser kleinen Wochenschau aus der norddeutschen Tiefebene. Wie wäre es denn da mit der von Brian Eno produzierten Falkland Suite? Nichts gegen Eno, der auch nur just another day on earth verlebt, aber da hat der Wochenrückblick wahrhaftig besseres zu bieten, nämlich den reversierenden Gonzo-Journalismus der Netzeitung. Wer dieses Interview gelesen hat, wird sich freuen, dass es noch richtige Journalistinnen gibt und nicht nur die immer wesser bessernden Blogger. Vor vielen Jahren kippte mir ein Interview mit Peter Gabriel in ähnlicher Manier, nur wollte das niemand drucken – genau, Finger weg von meiner Paranoia, wer postmodern und dekonstruktivistisch bestens geschulte Frager so ins Leere laufen lässt, braucht sich auch vor Brian Eno und Peter Gabriel (den wir endlich mal wieder in dieser kleinen Stadt in der norddeutschen Tiefebene open air begrüßen dürfen) nicht zu verstecken. Man muss ja nicht gleich mit der Straßenbahn des Todes den Mittelpunkt der Welt in Delmenhorst suchen: Es reicht ein bisschen  Blaulicht und Zwielicht von Element of Crime, um all den nervtötenden Kuschel-Punk von Bands wie "Wir sind Helden", "Juli" oder "Silbermond" endgültig beim Edeka des Grauens als Leergut abzugeben.

Was wird.

Oh Wanderer, der du nach Hannover kommst und alles öde findest: Die Städter liegen draußen an der Leine in der Sonne und kippen ihr Lindener hinter die Binde. An den Maschteichen tun sie das, was in Brandenburg verboten ist. In den Weiten des Internet gibt es eine hübsche Üstra-Karte mit einem Pärchen, das an allen Haltestellen gegen das neue brandenburgisches Recht verstößt, mit Höhepunkt unter der Lister Meile, in der Gegend, wo die meisten Redakteure des Verlages wohnen, der diese kleine Wochenschau finanziert.

Aber Wanderer, du bist ja wegen der Hannover Messe hier, von der es etwas zu berichten gibt. Etwa über Energieeffizienz und Digital Mobile Radio, dem neuen digitalen Funkstandard für Taxen und Putzkolonnen, der unter beknackten Namen wie Mototrbo prsntrt wrd. Inmitten der Vorratsdatenspeicherer, der Bundestrojaner-Bauer und der Debattierer um Maut- und Meldeämter-Daten denkt niemand an den Widerspruch, dass die eigentliche Kraft, die uns schützen soll, "Polizei" genannt wird. Sie kämpft mehr mit einem uralten, abhörbaren Funksystem als mit den Terroristen und sogenannten Islamisten. Die Installation einer neuen Behörde zeigt deutlich, was ein verbitterter alter Mann in seinem Rollstuhl plant. Die innerstaatliche Feinderklärung richtet sich gegen jeden von uns.

Ach Wanderer, der du nach Hannover gehst, berichte doch, dass 300 oder doch einige mehr die Stasi 2.0 ablehnten, damals, im sonnigen Frühling 07. Wie überhaupt 300 schwer angesagt ist, ganz ohne Euler ... Da feiern wir hier in Hannover – und, Wanderer, solltest du verweilen wollen, sei herzlich eingeladen – heute dann auch gleich noch den 175. Geburtstag eines der größten Satiriker, Zyniker und Pessimisten, den Deutschland hervorbrachte.

Quelle : www.heise.de
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 22 April, 2007, 00:12
Was war.

*** Gerade ist in der schönsten Stadt der norddeutschen Tiefebene mal wieder eine Messe zu Ende gegangen, natürlich mit riesigem Erfolg und mit echter Vorfreude auf die deutsch-japanische Achse im nächsten Jahr. Die Hannover-Messe ist jetzt 60 Jahre alt geworden und begann als Fischbrötchen-Messe mit der Demonstration norddeutscher Lebenskultur. Die Messe startete übrigens auf Befehl der britischen Kommandantur: Man wollte halt sehen, was vom Made in Germany übrig ist und irgendwie verscherbelt werden konnte. Als Hannoveraner Gewächs habe ich die Messe immer sehr gemocht. Denn der Standdienst bei einem Hersteller für Mess- und Regeltechnik hat mir unter anderem Anfang der 70er das tolle Eisenbahnticket beschert, als Interrail gestartet wurde. Älter geworden finanzierte der Nachtdienst beim nämlichen Hersteller meinen Führerschein, auch wenn er ganz ohne Computer damals ziemlich langweilig war. Man pinkelte halt in die schicken pop-farbigen Flüssigkeiten, die da gemessen und geregelt wurden, immer in der Hoffnung auf eine chemische Reaktion.

*** Nun bin ich wieder mal nach langer Zeit über diese andere Messe gebummelt und hatte dabei ein ganz besonderes Heimatgefühl. Die seltsamen bunten Flüssigkeiten sind immer noch da. Den Hersteller für Mess- und Regeltechnik gibt es auch noch, offenbar irgendetwas mit Best Practices und der Kernkompetenz der Old Economy. Seine Standparty hielt den Vergleich mit jedem CeBIT-Event aus. Gefeiert wurden übrigens ein Sieg der Vernunft und eine historische Vereinigung. Ich hab es mir erklären lassen: Mit dem Beitritt der Field Device Tool Group (FDT) zum EDDL Cooperation Team und einer Vereinbarung zur gemeinsamen Weiterentwicklung von EDDL als Pumpen- und Fühlerbeschreibungssprache hat die Mess- und Regeltechnik Systemschranken geplättet. Das also brachte die Partygäste in Stimmung, nur einen kleinen älteren Herrn, Professor für Maschinenbau, nicht. Er nörgelte: "Der Konstrukteur ist nicht mehr Herr über die Maschinen, jetzt übernimmt der Software-Mensch die Verantwortung für die Sicherheit." Wie er Software-Mensch als Schimpfwort aussprach, klang es gar nicht nach einer Win-Win-Situation, wie das die Software-Menschen heute gerne nennen.

*** Bleiben wir in den Königreichen der Hardware, der Pumpen-, Mess- und Regeltechnik. In immer kürzeren Abständen pumpt Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble seine Visionen über die Einrichtung eines Präventionsstaates in die Medien. Das macht er ganz geschickt, wie etwa mit seinen Ausführungen zur Unschuldsvermutung, die prompt Entrüstung erzeugen und unserer flexiblen Justizministerin die Chance geben, sich als Ventil im Kreislauf zu profilieren. Dazu passen die staatstreuen Journalisten, die es grundsätzlich gut finden, wie die Polizei ihre Arbeit macht, die sich modernere Methoden wünschen, London als Hort der Toleranz preisen und Bürgerrechtler als Panikmacher denunzieren. Unter hohem Druck verändern nicht nur Flüssigkeiten ihre Eigenschaften. Unter diesem Druck werden wir alle vom großen Rüssel zu unerwünschten Ausländern. Solche Ausländer vielleicht, wie sie vor 40 Jahren viele Griechen wurden: Mancher, der nichts Schlimmes am Schäuble-Katalog finden mag, möge sich zu Gemüte führen, dass noch bis Mitte der 70er Jahre in einem Land eine Militärdiktatur herrschte, das heute ganz selbstverständlich als schon ewig zur Riege der gefestigten EU-Demokratien gehörend betrachtet wird. "Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch" – mag Brechts Sentenz allzu oft für allzu wohlfeile Faschismus-Warnungen missbraucht werden, so gilt sie doch, auch für all die Bestrebungen, Freiheit und Bürgerrechte aus Angst vor ominösen Feinden – seien sie nun Kommunisten, Terroristen, Moslems, Juden, you name it... – in die Tonne zu treten.

*** Mögen etablierte tazler nichts dabei finden, in einem Volk von Verdächtigen und Abzuschiebenden Volkes Stimme zu verkünden, so gibt es immer noch Menschen, die nicht in dem von Schäuble angestrebten Präventionsstaat leben wollen. Pumpentechnisch gesehen sind sie Fremdkörper, für die es Filter gibt. Das auf der re:publica vorgschlagene Protest-Tagging liefert da schon gute Anhaltspunkte. Zu diesen Tags hat sich mittlerweile ein Logo gefunden. Es kommt bei den sonst mit Katzencontent beschäftigten Bloggern gut an, während sich die tollen T-Shirtdrucker des Web-2.0-Kommerzes weigern, solch ein Logo auf Stoff zu drucken.

*** Dabei ist nicht die Frage, ob der Stasi-Vergleich historisch daneben ist. Vielmehr geht es um das Problem, ob Dr. Seltsam Schäuble ein Unikat ist. Diese Frage muss verneint werden. Da, wo die norddeutsche Tiefebene ein bisschen wellig wird, liegt Osnabrück. In dieser Woche gab es eine Pressekonferenz zur sinkenden Kriminalitätsrate in der Region, komplett mit einem blaffenden Polizeipräsidenten, der sich auf die abgesegnete Vorratsdatenspeicherung freute und für Osnabrück dringenden Bedarf am gezielten Einsatz von Trojanern anmeldete. Während er Kritiker am Pumpenmann Schäuble als Verdummer und Hinterbänkler bezeichnete, war sich der Polizeipräsident Rolf Sprinkmann ganz sicher: "Eine DDR-Mentalität gibt es bei uns aber nicht." Auch keine Stasi-Mentalität?

*** Beim Gang über die Hannover Messe gab es so manches zu sehen, das an aktuelle Heise-Themen erinnerte von dem in Echtzeit arbeitenden Pinguin bis zum Bundestrojaner. Denn was ist das berührungslose Ablesen von den Datenspeichern technisch anderes als der Einsatz eines Trojaners, der die Integrität eines Festplatte angeblich nicht antasten soll? Wie schlicht solche Trojaner schleichen müssen, zeigte sich übrigens auf der erwähnten re:publica. Dort wurden "zu statistischen Zwecken" die mit einem Sniffer abgefangenen Passwörter mitgeschnitten und niemand fand das offenbar wirklich schlimm. Aber vielleicht sind die 27.000 aktiven Mitglieder der deutschsprachigen Ferengosphäre nicht sonderlich repräsentativ. Von einem ordentlichen Backup von Laptop-Festplatten scheinen sie ja auch nichts zu halten.

*** Im Feuilleton der FAZ findet sich in einem leider nicht frei verlinkbaren Text über den Killer von Blacksburg eine elegante Variante eines Satzes des großen Philosophen Dieter Nuhr: "In meiner Eigenschaft als Experte möchte ich Ihnen nun kurz erläutern, warum es für mich fachlich geboten ist, den Schnabel zu halten." Darum nichts über Blacksburg und ausnahmsweise nichts über den dicken Sigmar, dies als eine kleine Verbeugung zum 60. Geburtstag vom trashigen Iggy Pop.

Was wird.

In meiner Eigenschaft als IT-Experte möchte ich aber doch noch dieses kleine Entrüstungsstück kommentieren, das die Süddeutsche Zeitung mit einiger Verspätung brachte. Ich finde es nämlich hilfreich, wenn die PR-Agentur ihren IT-Kunden darauf vorbereitet, dass ich in meinen Interviews das Gegenüber gerne anniese oder anraunze, oder dass ich bei Worten wie Workaround, Killerapplikation oder Urgestein mit einem ganz heftigen Ausschlag reagiere, und dass ich unkontrolliert zu zucken und spucken anfange, wenn ich etwas vom "Commitment für unsere User" höre. Umgekehrt finde ich es auch schön zu wissen, wenn eine Firma wie Microsoft mich als negative Type einschätzt oder halt als balanced guy, der auf beiden Seiten die Arme ausstreckt. So freut es doch alle Beteiligten, wenn nächste Woche der Evolutionstheoretiker Steve "Developers" Ballmer nach Deutschland kommt und nur ein einziges Interview führt, das aber mit der renommierten IT-Expertin Isabelle Körner. Ausbalanzierte Journalisten können das Interview mit dem Windows Vista Media Center eine Stunde vor der Sendung abrufen und "sich exklusiv vorab über die Zukunftsstrategie von Microsoft informieren". Negative Typen zucken mit keiner Maus.

Doch die nächste Woche hat viel mehr zu bieten als Ballmers Ansichten über die digitale Zukunft. Schließlich wird da der Girls Day zelebriert und wenn dieses Land etwas ganz dringend braucht, dann sind das Nerdinnen und Su-Shees. Wie heißt es noch bei der Initiative D21? Technik wird zur Mädchensache.

Die Initiative, die sich so nett für Mädchensachen einsetzt, hat allerdings keine Zeit: Am Girls Day veranstaltet sie schließlich einen Gütesiegelkongress für all die Bapperl auf Webseiten, mit denen wir uns absichern können, dass beim Weiterklicken nur geprüfter Knut-Content oder der staatlich lizensierte Bundestrojaner wartet. Ist es nicht immer wieder schlimm, wenn es die frohe klickbereite Jugend nach Lummaland zieht und sie dort nicht Jim Knopf, Lukas und Emma finden, sondern solche schockierenden Sätze für Steve Ballmer & Co, geschrieben nach dem umstrittenen Coup der Woche? "Heul doch, könnt ihr mal sehen, wie das ist, schließlich habt ihr Jahrzehnte lang den Betriebssystem-Markt dominiert und alles dafür getan, dass es so bleibt. Vom volkswirtschaftlichen Schaden durch unbenutzbare Software will ich jetzt gar nicht anfangen. Jetzt nach Regulierung zu rufen, zeigt doch deutlich, wie sehr ihr am Arsch seid." Aber was soll's, wir jedenfalls haben keinen Grund zu heulen: Heute wird Jack Nicholson 70, um einen weiteren Geburtstag zu erwähnen, und morgen, am Montag, ist Welttag des Buches. Was soll uns da schon passieren, Googel-Monopol hin, Microsoft-Weltherrschaft her.

Quelle : www.heise.de
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 29 April, 2007, 00:21
Was war.

*** Ich mag Geburtstage, besonders meine eigenen. Die feiere ich ganz außerordentlich gerne mit einer guten Flasche Rotwein aus dem Burgund. So trifft es sich gut, dass ich viele Geburtstage habe, in den verschiedenen Apparitionen meiner Existenz. Noch schöner als Geburtstage sind für mich die runden Geburtstage, an denen die Daten ein Tänzchen machen. Heute ist so ein Tag. Wenn ich richtig rechne, wird ein Halbes meiner Iche hundert Jahre alt. Am 29. April 1907 wurde Walter Faber geboren, einer der ersten Geeks in der modernen Literatur. Das darf, das muss gefeiert werden. Phänotypisch ist der Homo Faber ein Mensch, der sogar Multikulti-Integrationstüten akzeptiert. In der Regel isst er am liebsten, während er sich der Tätigkeit am Computer hingibt. Obwohl das nicht bedeutet, dass Geeks nicht kochen können.

*** Die nerdige, die rationale Hingabe an die Technik, gepaart mit unerschütterlichem Glauben an exakte Testberichte und daran, dass es keine verrückten Zufälle gibt, sind in dem Faberleben immer präsent. Wer im Deutschunterricht das Buch wiederkäuen musste, kennt die Geschichte von der Notlandung in der Wüste, weil gleich zwei Motoren der Lockheed Constellation ihren Geist aufgaben. Das Vorbild für diese Episode war der Absturz einer Super-Constellation am 19. Juni 1947 mit 14 Toten. Immerhin überlebte Gene Roddenberry, um den Geeks dieser Welt Star Trek zu schenken. Mit einem letzten Gruß an Scotty, der rübermacht ins All zu Roddenberry:

"Ein Flugzeug ist für mich ein Flugzeug, ich sehe keinen ausgestorbenen Vogel dabei, sondern eine Super-Constellation mit Motor-Defekt, und da kann der Mond sie bescheinen, wie er will. Warum soll ich erleben, was gar nicht ist?"

*** Heute ist nicht nur ein runder Geburtstag, sondern ein ganz besonderer. Vor 50 Jahren machte ich, auf hoher See schwimmend, einem Rossschwanz einen Heiratsantrag, nicht ahnend, dass der Rossschwanz meine Tochter ist. Ich wurde sentimenal, was sonst nicht meine Art ist. Es war mein erster Heiratsantrag.

"Ich zeigte ihr den Komet, der in jenen Tagen zu sehen war, im Norden. Es fehlte wenig, und ich hätte gesagt, dass ich Geburtstag habe. Aber es stimmte nicht einmal zum Spaß: der Komet war schon seit einer halben Woche sichtbar, wenn auch nicht so deutlich wie in dieser Nacht, mindestens seit dem 26.4. Also von meinem Geburtstag (29.4.) sagte ich nichts."

*** Nichts stimmt nur so zum Spaß, und im damals aufgekommenen Fernsehen gab es bessere Bilder. Aber spaßig gemeint war er nicht: Mein Heiratsantrag war erfolglos und später meine Suche in Paris war es zunächst auch, ehe wir in der Göttin nach Italien glitten. "Anderntags ging ich in den Louvre, aber von einem Mädchen mit rötlichem Rossschwanz war nichts zu sehen, dabei verweilte ich eine volle Stunde in diesem Louvre." Heute wie vor 50 Jahren ist der Louvre ein einziger Bilderhaufen, den man ruhig nach Dubai entsorgen kann. Homo Faber mögen den Louvre, weil Claude Chappe das Gebäude als Zetralstation für die Telegraphenlinien benutzte, die bei uns unter dem Namen Fernschreibemaschine bekannt wurde. Und wenn es denn schon Bilder sein müssen, dann zählt für den Nerd nur das Bild von Samuel Finley Breeze Morse, The Galleries of the Louvre als Vorschau auf den Morse-Code und das viktorianische Internet.

"Das Mädchen will mich unterstützen und bringt das Gespräch, da ich die Skulpturen im Louvre nicht kenne, auf meinen Roboter; ich habe aber keine Lust davon zu sprechen, und sagte, dass Skulpturen und Derartiges nichts anderes sind für mich als Vorfahren des Roboters. Die Primitiven versuchen, den Tod zu annullieren, indem sie den Menschenleib abbilden – wir, in dem wir den Menschenleib ersetzen. Technik statt Mystik!"

*** Weg mit der Aura in der Kunst, nicht die kleinste Spur soll bleiben. Wenn dann noch Spuren bleiben, sind es Datenspuren, aus denen sich die Aura 2.0 zusammensetzt. Da verkünden die Gründer von unddu.de mit seltener Offenheit im Interview, wie sie die Haut ihrer Nutzer zu Markte tragen wollen. "Der Nutzer beginnt im Web 2.0, sich zu outen, und gibt freiwillig Informationen über sich preis. Teil der digitalen Aura, die jeder sich aufbaut, ist ja auch das Bekenntnis zu bestimmten Marken wie zum Beispiel das Auto, das er fährt oder von dem er träumt. Wir brechen diese Informationen allerdings nicht auf einzelne Menschen runter, sondern nur auf sehr feine Zielgruppen." Sehr fein und zielgerichtet bringen diese IT-Entreprenösen die Werbung an den Mann. Ausziehen im Web, das geht ganz einfach, schwärmen die Startupper. So richtig das ist, ein Wiki zur Vorbereitung der Klausurarbeit zu benutzen, so peinlich kann es ausgehen, wenn ein ungesichertes Wiki zur Vorbereitung für das urban style sharing gefüllt wird, das ein "user-zentrierter realtime Mobilecam remix Event-Veranstalter" anbieten will. Wer den Quatsch liest, versteht langsam, warum die nächste Ars Electronica unter dem Motto Goodbye Privacy stattfindet.

*** Privacy, pretty good privacy, da war doch was? Allen Geburtstagsfeierlichkeiten zum Trotz muss der Tanz um die Online-Durchsuchung erwähnt werden, die vom gesetzestreuen Innenminister Schäuble nicht locker lassend  vorerst gestoppt wurde, aber vom furchtbaren Juristen Otto Schily per Dienstanweisung befohlen wurde, als er nicht ganz zufällig Bundesinnenminister war. Das Ganze ist mehr als ein antirechtsstaatliches Dauerdelikt. In gewisser Weise, da muss man den Bloggern zustimmen, ist das auch ein Erfolg der Kampagnen für den Einsatz von Kryptographie. Der vermehrte Einsatz von Krypto-Tools, das Abkoppeln persönlicher Daten von Computern, die mit dem Netz verbunden sind, wird zur zivilgesellschaftlichen Dienstanweisung. Sich nicht in die Schäublonen paranoider Geheimdienstler pressen lassen, die allgemeine Sympathiebekundungen als Bildung einer terroristischen Vereinigung interpretieren, wird erste Bürgerpflicht.

*** Nicht ganz zufällig schäumt die RAF-Debatte auf. Die Erinnerung an eine Zeit, in der schon das Schreiben von der "Baader-Meinhof-Gruppe" als Straftat gesehen wurde (Baader-Meinhof-Bande war korrekt) lodert auf, wo das Kollektiv der RAF auseinanderfällt. Die aktuelle Hysterie über einen Stefan Raab, der den Knödelbarden Max Buskohl mit einem RAF-artigen Plakat "seit 196 Tagen in Gefangenschaft von RTL" präsentierte, ist aufgeblasen. Verdeckt wird der Skandal, dass offenbar Aussagen von den Geheimdiensten zurückgehalten wurden, weil sie RAF-Mitglieder zu Spitzeln umdrehen wollten. Wer so mit dem Leben seiner Kronzeugen umgeht, soll bei der heimlichen Online-Durchsuchung vor dem "Schlafzimmer" im PC Halt machen?

*** Vor fünfzig Jahren, auf der Fahrt nach Italien, schrieb Walter Faber: "Wir leben technisch, der Mensch als Beherrscher der Natur, der Mensch als Ingenieur, und wer dagegen redet, der soll auch keine Brücke benutzen, die nicht die Natur gebaut hat. Dann auch keine Glühbirne, keinen Motor, keine Atom-Energie, keine Rechenmaschine, keine narkose – dann los in den Dschungel!"

Carl Friedrich von Weizsäcker war einer, der sich die Sache nicht so einfach gemacht hat. 10 Jahre lang leitete er zusammen mit dem Nicht-Techniker Jürgen Habermas ein Institut zur Erforschung der Lebensbedingungen der wissenschaftlich-technischen Welt. Dort wurde frühzeitig das entwickelt, was heute unter dem begriff Globalisierungskritik bekannt ist. Weizsäcker gehörte zu den hier bereits erwähnten Göttinger Achtzehn. Im Frühjahr 1957, als Geek Faber seine Tochter verführte, forderte er inmitten der allgemeinen Atomlobhudelei den freiwilligen Verzicht der Bundesrepublik auf Atomwaffen. Ob die Welt mit dem Tod von Carl Friedrich von Weizsäcker den "letzten Universalgelehrten" verliert, weiß ich nicht. Es könnten neue kommen. Erst wenn der letzte Mensch auf der Erde die spamverseuchten Rechner und Roboter ausschaltet und mit einem letzten Blick auf Gl581c in den Dschungel zurückkehrt, stirbt die Hoffnung auf eine bewohnbare Welt. Aber die haben viele auch schon vor 70 Jahren in Guernica  verloren.

Was wird.

Der erste Mai naht, komplett mit panischen Berichten über Straßenschlachten in Kreuzberg. 20 Jahre nach Bolle soll es diesmal wieder zur Sache gehen, obwohl die Experten eher skeptisch sind. Angesichts der aufgebauschten Berichte wünscht man sich Reportagen vom Format eines David Halberstam, der mit seinen Berichten vom Vietnamkrieg für uns Journalisten Maßstäbe gesetzt hat. Aber auch David lebt nicht mehr hier.

Im Web 2.0 entwickelt sich dagegen das nackige digitale Leben zügig weiter. In Las Vegas startet Microsoft seine Blogger-Konferenz Mix 07, in Hamburg geht die Firma SinnerSchrader mit der düdelnden Next 07 an den Start 2.0. So manche neue tolle Geschäftsidee wie ein faberzentriertes Chatsystem mit integrierter Sabeth-Paybackcam und vielen bunten Kondomen für Schüler wartet nur darauf, entdeckt zu werden.

Quelle : www.heise.de
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 06 Mai, 2007, 00:14
Was war.

*** Leben ist ein Existieren in einem verschränkten Zustand. Diese Erfahrung konnte ich bei meiner kleinen Geburtstagsfeier machen. Statt über die rationalistische Weltsicht der Techies zu diskutieren, zogen es viele Leser dieser kleinen Wochenschau vor, über Rezepte zu diskutieren, und tauschten Tipps für die Behandlung von totem Fleisch aus. Seitdem bin ich mir sicher, dass ein Kanal "heises Futter" beste Chancen hätte, hungrigen Geeks die richtigen Sachertorte-Algorithmen zu vermitteln. Aber erstens kommt es verschränkt und zweitens anders als man denkt. Darum rase ich gleich stilecht im tiefgelegten Manta special auf den Heise-Parkplatz, überreiche das Manuskript zum WWWW und gebe Gummi. Jawoll, heise Autos ist gestartet, ein Kanal für die Sorte Leser, für die der D & W-Katalog eigentlich die Leib- und Wagenlektüre ist. Und so tummeln sich die Geeks in bizarren endlichen Welten und kommen aus dem Staunen nicht mehr heraus. Wer glaubt, dass die Debatte Linux kontra Windows hitzig ist, der ist noch nie einem puschelschwingenden Corvette-Fahrer begegnet.

*** Verschränkte Unsicherheiten bietet nicht nur die unsichere Quantenkryptographie. Nehmen wir nur den Strom nicht abreißender Nachrichten über die wunderbare Welt von Second Life, diese krude Mischung aus Xing, Sims und Poppen. Ehe Second heise starten kann, wäre vielleicht die Lektüre dieses offenen Briefes angeraten, auf den die Herrscher über alle Avatare wenig überzeugend reagierten. Sind das nicht Nickligkeiten gegenüber so überzeugenden Success-Stories wie der von IBM, die 4000 Mitarbeiter bezahlt, in Second Life herumzustreifen? Nicht unbedingt, wenn die Entlassungswelle mehr als die 1300 Stellen umfasst und von einem Tsunami gefolgt wird, der 150.000 Personen aus der Firma spült.

*** Quantentechnisch gesehen ist das langsam Gestalt annehmende Terrorpaket nur ein verschränkter Zustand auf dem Weg in den Präventionsstaat. Historisch will sich Wolfgang Schäuble in die deprimierende Ahnenreihe deutscher Innenminister einschreiben, die bürgerliche Rechte auf dem Schrottplatz der Geschichte entsorgen, von Gustav Heinemann (Adenauer-Erlass) über Dietrich Genscher (Berufsverbote), Werner Maihofer (Lauschangriff) bis Otto Schily (Otto-Katalog). Wie unverfroren Bürgerrechte beiseite geschoben werden, zeigte in dieser Woche der niedersächsische Scharfschütze Uwe Schünemann bei der Vorstellung des Verfassungsschutzberichtes. Schünemann begründete die Notwendigkeit für Online-Durchsuchungen mit dem Beispiel von Ibrahim Raschid aus Georgsmarienhütte, der mit einer heimlichen Online-Durchsuchung schneller hätte festgenommen werden können. Dass die ihm vorgeworfene Verbreitung terroristischen Propagandamaterials wirklich mit der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung gleichzusetzen ist, wird vom Bundesgerichtshof bezweifelt. So eine Differenzierung ist genauso natürlich uninteressant wie die Tatsache, dass normale polizeiliche Ermittlungen im Falle von Raschid fündig wurden.

*** In diesem Sinne können die christlich-radikalen Vorkämpfer für den Präventionsstaat einen Blick in die USA werfen, wenn ihnen Ideen für weitere Gesetze ausgehen: Ein juristisches Verfahren, das Lauschangriffe und Online-Durchsuchungen sanktioniert, selbst wenn die Gründe illegal sind, eine Art digitales Ermächtigungsgesetz wäre das Pickelhäubchen für Innenminister, die zum Wahlkampf in Big Bremen antreten. Bleibt die Frage ob es reicht, über die ganzen Aktivitäten hüben wie drüben Satiren zu schreiben. Ein Schäuble, der zu Not auch Kinder verbieten will, damit wir alle es sicherer haben, ist kein Witz, sondern eine verschränkte Wahrheit.

*** "Diejenigen, die ihre Freiheit zugunsten der Sicherheit aufgeben, werden am Ende keines von beiden haben – und verdienen es auch nicht." Das ist ein passender Kommentar zum heranrollenden Präventionsstaat Schäublescher Prägung. Auch wenn der Satz nicht von Benjamin Franklin stammt, so ist er höchstwahrscheinlich in seiner Zeitung erschienen: Heute vor 275 Jahren erschien die erste Ausgabe der Philadelphischen Zeitung, der ersten deutschsprachigen Zeitung der USA, herausgegeben von jenem Franklin, dem wir den Blitzableiter, die Leihbibliothek und die Sommerzeit verdenken, nebst einigen politischen Ideen. Das Blatt hielt sich nicht sonderlich lange, zu freimütig kritisierten die Macher die Zustände in Philadelphia, gedeckt vom Herausgeber Franklin. Und hopps, mit einem gemeinhin gern Quantensprung genannten Teleportier-Verfahren, bin ich wieder in der IT-Welt, in der ein lahm argumentierender Herausgeber nicht den Mut hat, seinem Redakteur den Rücken zu stärken, eine Geschichte zu veröffentlichen, in der Apple kritisiert wird. Die unter Bloggern so beliebte Firma mag grüner werden, doch in Sachen Gehirnwäsche, ähem, attitude adjustment kann dem 1 Dollar-Mann Steve Jobs niemand etwas vormachen.

Was wird.

In der kommenden Woche will Bundespräsident Horst Köhler über die Begnadigung des ehemaligen RAF-Mitgliedes Christian Klar entscheiden. Nicht sonderlich geschickt verhält sich sein Büro, wenn es erklärt, dass Köhler Klar im Gefängnis besucht hat. Prompt rufen die Sturmtruppen von CDU und CSU aus, dass die Wiederwahl des Bundespräsidenten zur Debatte steht. Von Geiselnahmen verstehen die feinen Herren wirklich eine Menge. Das ist auch in Bremen zu sehen, wo Kinder als Geisel herhalten müssen. Dort betreibt die CDU einen vom Gegner so bezeichneten widerlichen Wahlkampf. Das Ziel ist wohl, die RAF-Bedrohung so aufzublasen, dass die Vergangenheit mit der Zukunft des Präventionsstaates Deutschland verschmilzt.

Angesichts neuerer Begehrlichkeiten auf weitere Datenbank-Abgleiche bei der ursprünglich moderat angedachten registergestützten Volkszählung lohnt sich der Blick in die deutsche Vergangeneheit. Im Jahre 1920 fand in Deutschland eine Volkszählung mit Hollerith-Maschinen statt. Erstmals wurden bei dieser Volkszählung nicht nur Juden, sondern Halb-, Viertel- und Achteljuden gezählt. Die deutsche Volkszählung von 1939 lieferte die Datengrundlage für die Deportation der Juden. In anderen Ländern wurden die entsprechenden Stellen auf den Lochkarten zur Bestimmung der Nationalitäten benutzt. So konnte in der Volkszählung von 1897 das russische Reich erstmals bestimmen, welche Völker überhaupt mit welcher Population im Riesenreich vertreten waren. Weltweit gibt es nur noch acht originale Hollerith-Volkszählungsmaschinen, fünf stehen in den USA. Norwegen, Russland und Frankreich haben ihre Geräte ins Museum gestellt. In Deutschland existieren zwei Nachbauten in IBMs "Haus zur Geschichte der Datenverarbeitung" in Sindelfingen und im Arithmeum von Bonn. Der dritte Nachbau wird nun in der kommenden Woche in Paderborn aufgestellt. Weil diese Wochenschau sich nicht nur mit IT, sondern auch mit Innenministern beschäftigt hat, schließe ich mit einer Erklärung, die Innenminister Friedrich Zimmermann 1983 vor dem Bundesverfassungericht abgegeben hat: "Bei den 19 Volkszählungen, die es seit 1871 gegeben hat, gab es keinen einzigen Fall der Verletzung des Statistikgeheimnisses."

Ach ja, und da ist ja noch Frankreich. Bald wissen wir, wer Herrn Chirac beerbt – und in dem Fall weiß man wirklich nicht, ob der alte Spruch gilt: Ich weiß nicht ob es besser wird, wenn es anders wird, ich weiß nur, dass es anders werden muss, wenn es besser werden soll. Jedenfalls bleibt den Franzosen dieses Mal weit deutlicher als beim letzten Anlauf Jean-Marie le Pen erspart, das ist doch was – König Ubu ist no.w.here, die NDR-Bigband spielt mit Norbert Steins Pata Music den Soundtrack zur Siegesparty. Ob aber Royal oder Sarkozy, keiner von beiden dürfte einen vergleichbaren Eiertanz aufführen wie deutsche Politiker, wenn sie an die Bundeswehr in Afghanistan denken. Ja, genau, Deutschland wird am Hindukusch verteidigt, aber doch bitte nicht, wenn geschossen wird. Komische Bellizisten haben wir hierzulande, die nur ein bisschen Krieg spielen wollen und beim ersten Pulverdampf zur Friedenstaube werden. So hat Deutschland nicht nur die Politiker, sondern auch die Bellizisten, die es verdient.

Quelle : www.heise.de
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 13 Mai, 2007, 03:01
Was war.

*** Mein neues Fahrrad ist da, hurra. Im Fahrzyklus eines Heise-Journalisten ist ein gutes Fahrrad überlebenswichtig, wenn die Deadline näher rückt und die sorgfältig berechneten Staus den Weg verstopfen. Außerdem lässt sich auf dem Rad das zauberhafte Umland der schönsten Stadt der Welt erkunden: Die norddeutsche Tiefebene ist traumhaft schön. Schweinemast reiht sich an Putenmast, sodass man immer wieder die Luft anhalten muss beim Radeln. Nur in Celle ist das anders, da machen sie in Pferden. Berühmt ist Celle außerdem für sein Celler Loch. Wie üblich, gibt es zur Entstehung des Celler Loches zwei Erklärungsversuche, einmal wissenschaftlich, einmal als Räuberpistole. Da wird dann allen Ernstes behauptet, dass die deutsche Superkampftruppe GSG 9 im Auftrag des Verfassungsschutzes nachts ein Loch in die Gefängnismauer sprengte, um einen Informanten in die RAF-Szene einzuschleusen. Auf einschlägigen Fotos vom Tatort ist zu sehen, dass die Moniereisen unbeschädigt waren, ein sprengtechnischer Pfusch, der allenfalls einer GSG 08/15 würdig wäre. Was nicht sein kann, darf nicht sein und ist es auch nie gewesen, befindet nun der niedersächsische Innenduftexperte Uwe Schünemann. Er will die 244 niedersächsischen Verfassungsschützer direkt dem Innenministerium unterstellen, damit der Präventivstaat in der Tiefebene keine Löcher hat.

*** Mit einer Polizeirazzia hat der gesamtdeutsche Präventivstaat gezeigt, was er drauf hat. Vorerst sind es Pleiten, Pech und Pannen, die eigentlich seit Jahren nicht mehr vorkommen sollten. Angefangen von Gerichten, die das schwachsinnige Argument akzeptierten, die Beschreibung der Angriffe gegen die Weltbank-Tagung anno 1988, die im Buch Autonome in Bewegung abgedruckt ist, sei eine Anstiftung zu Straftaten. Wie damals auf dem Höhepunkt der RAF-Hysterie reicht wieder einmal der Besitz eines Buches aus, eine Hausdurchsuchung zu rechtfertigen. Die Palette der Dummheiten reicht bis zur Gewerkschaft der Polizei, die mit Verweis auf die RAF-Debatte hetzt wie sonst nur eine Zeitung mit vier Buchstaben. Doch alles wird getoppt von einem begnadeten Schauspieler, der mit den Razzien verhindern will, dass Globalisierungsgegner Aufmerksamkeit erregen.

*** Als ähnlich gelungene Heiligendammbruchaktion darf man auch die Teilaktion bewerten, die Server von SO36 zu besuchen und 25 Mail-Postfächer und zwei Mailinglisten mehr oder weniger geschickt zu kopieren. Diese Aktion passierte auf Anordnung des nicht ganz unbekannten Ermittlungsrichters Hebenstreit, dem Kämpfer gegen die Online-Durchsuchungen. Hebenstreit glaubte den Sprengexperten des Verfassungsschutzes, die "signifikante Übereinstimmungen" zwischen dem Buchtext, abgehörten Telefongesprächen und Reden auf linken Tagungen gefunden hatten. So ist die Beschreibung einer Straftat im Sinne des Präventivstaates schon eine Straftat. Bleibt die Frage, was den überwachungsgeilen Beamten im Verfassungsschutz zu Kopf gestiegen ist. Sitzen sie nicht alle auf gut lüftenden Stühlen aus Steifensand?

*** Blühenden Unsinn zu verzapfen, das ist kein Privileg der Staatsorgane. Googelt man diesem panikmachenden Artikel hinterher, so landet man sinnigerweise bei Laufbahnverordnungen der Fernmeldeaufklärer der Bundeswehr. Dass diese Truppe Kryptographie beherrschen muss und die Arbeit mit dem neuen Notes auch in der Kommunikation mit den Tornados, die am Hindukusch für uns die Aufklärung besorgen, das sollte selbstverständlich sein. Auch die Angabe, dass Unternehmen ihre Mitarbeiter mit Spyware überwachen können, hilft nichts, aber auch gar nichts bei der Erkenntnis, wie die geheimnisvollen Bundestrojaner heimlich ihre Online-Durchsuchung verrichten. Das Einzige, was so gefördert wird, ist die Heroisierung des CCC ausgerechnet durch einen CDU-Mann. Zu hoffen ist, dass die Freiheitsredner ihre Sache besser machen und aufklären, statt Unsinn zu verbreiten. Denn die Schweinerei, die Schäuble & Co vorhaben, ist eine organisierte Kriminalität gegen die Verfassung.

*** In den USA wird an diesem Wochenende gefeiert, weil vor 400 Jahren die Zivilisation an der Küste von Virginia anlandete. Mit dem Jubiläum wird die Indianertochter Pocahontas als Mutter aller Amerikaner gefeiert. Ein Wochenende lang wird man schöne Reden über Integration und die Vorzüge der Demokratie hören, die die Eingeborenen von den Tabakpflanzern vermittelt bekamen. Aber Amerika hat viele Facetten: Vorige Woche berichtete ich von einem Herausgeber, der einen Redakteur gehen ließ, der einen Apple-kritischen Text veröffentlichen wollte. Nun ist dieser Redakteur wieder eingestellt worden. Die unabhängige Presse lebt, auch wenn sie von Firmen wie Apple oder Microsoft nach Kräften gegängelt werden soll. Im Zweifelsfall übernehmen sogar Blogger die Berichterstattung.

*** Von solchen Wechselwirkungen ist Deutschland weit entfernt. "Wenn es das Internet nicht gäbe, wäre solch ein Beitrag niemals erschienen", schreibt ein Kommentator. Nun gibt es das Internet und nun? Beitrag verschwunden, Blog geschlossen und weiter kann es mit dem großen Selbstbetrug gehen, den ein gewisser Kai "Knut" Dieckmann exklusiv veröffentlichen will. Ein schönes Porträt über diesen verdrucksten Mann hält die Netzeitung parat: "Es ist offenbar in Ordnung, über die Gehälter von Ex-Bundeskanzler Schröder zu mutmaßen, es ist beinahe schon obligatorisch sich über das Sexleben von Berühmtheiten auszulassen, aber Spekulationen über Führungskräfte von Zeitungen – Mitglieder derselben Borchardt- und Bocca-di-Bacco-Tischgesellschaft -, die sollen gefälligst ausbleiben." Einige Schweine sind immer gleicher.

Was wird.

Christian Klar ist von Bundespräsident Köhler nicht begnadigt, Ségolène Royal ist nicht gewählt worden. Werder Bremen hat sich aus dem Kampf um die deutschen Meisterschaft verabschiedet. Das extragrüne WWWW muss leider in der Schublade der Leute bleiben, die bei Heise als "Curator of the digital library" arbeiten. Wenn diese kleine Wochenschau erscheint, hat Roger Cicero den Wettbewerb europäischer Meistersinger nicht gewonnen. Ohne beckmesserisch zu sein, kann Swing aus Deutschland es nicht mit der lebendigen osteuropäischen Liedkultur aufnehmen, die uns eine wunderbare Weise nach der anderen bescherte, schräge Auftritte inklusive. Das Wetter.

Das Wetter? Aber nein, wir haben ja auch ein Jubiläum, morgen. Vor 315 Jahren erschien der erste gedruckte Wetterbericht der Welt, in einem Nachrichtenblatt, das sich "Sammlung für den Fortschritt von Landwirtschaft und Handel" nannte. Noch heute ist der Wetterbericht ein Vorbild für den verlässlichen Qualitätsjournalismus, auch wenn das Wetter manchmal nicht mitspielt, der Journalist nicht das schreibt, was sein Publikum neuerdings vorgelesen haben will.

Eine Sturmfront kündigt sich für den deutschen Ärztetag am Mittwoch an, weil die Ärzte mit der elektronischen Gesundheitskarte überhaupt nicht mehr einverstanden sind. Ob es hilft, wenn ab Montag in Berlin Telematik-Spezialisten darüber beraten, was die elektronische Gesundheitskarte eigentlich kostet? Vielleicht wird diese Frage etwas spät gestellt. Vielleicht hilft eine Namensänderung: Nach Hartz und Riester hätte eine "Ulla-Schmidt-Gedächntniskarte" das Zeug zum Knüller oder ein fesches anglistisches Kürzel mit lautmalerischem Bonustrack: "PFH-Card" (Pay for Health).

Vorbildlich gelöst hat man das beim ollen Weltkommunikationstag. Der ist am Donnerstag und nichts Geringeres als der World Information Society Day.

Quelle : www.heise.de
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 20 Mai, 2007, 00:41
Was war.

*** Heiligendamm gehört geographisch nicht unbedingt zur norddeutschen Tiefebene, in der sich mein Leben abspielt. Das macht aber nichts, denn mit einer schicken Allgemeinverfügung unter völliger Missachtung von Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes wird klar, dass die Politik das Primat über die Geographie hat. Die Ausweitung einer Versammlungsverbotszone um 1, 10, oder 100 Kilometer macht klar: Wir leben alle in Zone II, sei dies nun in den platten Bauten von Heiligendamm, in der bezaubernden norddeutschen Tiefebene oder im niedrig schwelligen Hamburg. Passend zu den verstrahlten Protagonisten des Web 2.0 und ihrer notgeilen Aufmerksamkeitsphysiognomie ist jede Versammlung von Demonstranten und Übungs-Demonstranten verdächtig, sofern sie nicht in Second Life abgehalten wird. Ob Rentner oder Biergärtner, kein Verdacht ist zu dumm oder zu abwegig, als dass er nicht für die Bildung einer terroristischen Vereinigung herhalten kann. In der Zone II zeigt sich, was ein ordentlicher Präventivstaat zu leisten vermag. Sinnigerweise können sich so Wladimir Putin und Angela Merkel zankend beweisen, dass sie auf lupenreiner Augenhöhe ihre Untertanen gängeln.

*** Es gab mal eine Zeit, da trafen sich die Weltmächtigsten offen in London, Paris oder Bonn. Seit Genua 2001 verzieht man sich ins Hinterland, in die schottische Einöde oder eben nun ins verödete Hoteldorf Heiligendamm. Dort läuft um den Zaun herum die teuerste und größte Polizeiaktion in der Geschichte der BRD an – die Fußball-WM war dagegen ein Klacks. Wenn das Spektakel vorbei ist, sollen bis zu 400.000 Touristen jährlich zur Besichtigung des Felder kommen, auf denen die größte angenommene Blockerierei stattfinden wird. Das jedenfalls meinen die Experten, die sich vor den Fernsehkameras austoben können. Etwas nüchterner sollte man sich einmal nach den Erfolgen der Gipfeltrefferei erkundigen. Die Zahlen sind ernüchternd. Was in Heiligendamm zum Klimawandel beschlossen wird, dürfte in ähnlich kleiner Münze ausgezahlt werden.

*** Während der Sänger Roger Cicero die deutsche Angst vor der Osterweiterung der Europäischen Union artikulieren half, veröffentlichte das Magazin Cicero die Liste der 500 Intellektuellen, eine Art Googlefight mit Käsereibe. Meinungsführer ist jedenfalls ein Vereinsmitglied von Schalke 04, während Jürgen Habermas, der Intellektuelle der alten BRD, ähnlich wie Hannover 96 auf Rang 10 logiert – ein bekennender Fan des VfB Stuttgart nimmt Rang 229 ein. Besagter Habermas hat diese Woche im Szeneblatt der DVD-Knacker einen Artikel zur Lage der Tageszeitungen veröffentlicht. Der Text macht klar, dass ein guter Intellektueller souverän die Fakten ignorieren kann. Da müssen die Verlage weltweit mit dem Rückgang des Druckgeschäfts leben und danach trachten, Gigabit Ethernet in die DNA ihrer Journalisten zu pflanzen, doch das interessiert den Fachmann für kommunikatives Handeln nicht. Lieber erklärt er die Anzeigenkrise für überwunden und die diskursive Vielfalt der auf toten Bäumen ausgestellten Meinungen für unterstützenswert durch öffentlich-rechtliche Konstruktionen. Ein Vorschlag von GEZartigen Ausmaßen: weil wir alle an einem stillen Örtchen Papier brauchen, wäre eine Abgabe nur gerechter Ausgleich.

*** Zu dieser seltsam realitätsfremden Weltsicht des Intellektuellen Nummer 10 passt die Frankfurter Mahnung aus dieser Woche, ein Armutszeugnis rohstoffarmer Schriftsteller, die sich nach dem starken Staat sehnen. "Nur wenn der Staat diejenigen schützt, die vervielfältigungswürdige Inhalte schaffen, setzt er die nötigen Anreize dafür, dass solche Inhalte auch im digitalen Zeitalter noch entstehen können und in ihre Veredelung und öffentliche Bereitstellung investiert wird." Wer bestimmt da wohl, was vervielfältigungswürdige Inhalte sind. Die ordnende Hand des Präventivstaates, der Markt oder jene 499 deutschen Intellektuellen, die nach dem Papst die öffentliche Deutungsmacht besitzen? Besonders peinlich ist das Unverständnis der Mahner, wenn es um Open Access geht und die Super-Renditen der großen Wissenschaftsverlage in Gefahr sind. Fortschritt und Veredelung klingt gut, doch ein Blick in die Realität, in der die Etats von Bibliotheken zusammengestrichen werden wie sonst nur Stellen bei der Telekom, ist besser. Open Access steht für die freie Zugänglichkeit wissenschaftlicher Erkenntnisse und ist mitnichten eine Forderung, dass geistige Leistung frei sein muss.

*** Achja Telekom, genau: Die mit Abstand wichtigsten Nachrichten dieser Woche ließen den kleinen Ticker in der norddeutschen Tiefebene nicht stillstehen: Die Verabschiedung von 50.000 Menschen in eine Billiglohn-Klitsche hat zu einem Streik besonderer Art geführt. Wenn ver.di die Auseinandersetzung in der zukunftsträchtigen IT-Branche inmitten des Aufschwungs nicht gewinnt, ist es Aus mit der Rolle der Gewerkschaften als Gegenstück zum ungezügelten Kapitalismus. Andere fangen kleiner an, doch einen Plan für publike Prekariats-Partnerschaften hat ausnahmslos jede Firma in der Schublade. Wer Aufschwung will, muss Arbeitsplätze abbauen wollen. Die soziale Marktwirtschaft stammt aus dem letzten Jahrhundert und ist nur noch eine Scheidungssache: Begrabt die Vergangenheit und auf in eine bessere Zukunft.

*** Die mit Abstand heftigst diskutierte Nachricht dieser Woche produzierte Microsoft mit 235 Geschützen, die auf die Open Source gerichtet sind. Zum Wochenende hin klangen die Drohungen etwas versöhnlicher und auch die Meinungen der Fachleute klangen nicht mehr nach irrer Panikmache vor codeplündernden freischweifenden Programmiererhorden, doch das Rätselraten ist noch nicht zu Ende. Eine Lesart der Verbalattacke behauptet, dass die Firma erst jetzt über die Konsequenzen nachdenkt, die mit der kommenden GPLv3 verbunden sind. Eine andere meint, dass Microsoft in den mit Novell abgeschlossenen Verträgen gesucht und keine Klausel gefunden hat, die zeitliche Limite setzen. Beide Varianten klingen, als ob Microsofts Rechtsanwälte mit 640 KByte Speicher arbeiten oder von dem Koffer-in-Bielefeld-Geschäftsmodell von SCO begeistert sind. Microsoft zu unterschätzen ist immer schon ein schwerer Fehler gewesen. Die genauen Zahlen wie 15 Patente bei der E-Mail und 42 Patente im Kernel belegen eher, dass genau diese 15 oder 42 Patente bereits getestet und für prozessgeeignet befunden worden sind. Bleibt die Frage, ob Microsoft allgemeine Ungleichheiten meint oder mit härteren Patenten die Brücke pflastern wird, die niemand jemals betreten will. Nicht einmal für panikartig rausgeworfene 6 Milliarden Dollar.

*** Heute vor vielen, vielen Jahren begann das Erste Konzil von Nicäa, die Grundzüge des Christentums festzulegen und herauszufinden, wie dieser Christus eigentlich definiert werden kann. Von Brian und seiner tollen Himmelfahrt sprach damals niemand mehr. In dieser harten Stunde sind meine Gedanken natürlich bei Werder Bremen, das den mächtigen Fans im Internet Tribut zollen musste. Ganz nebenbei hätte man auch besser spielen können. So geht die Schüssel verdient ins Mayer-Vorfelder-freie Stuttgart, während in der Hauptstadt gewohntes Mittelmaß gekickt wird.

Was wird.

Bevor die deutsche Wertarbeit polnischer Billigarbeiter in Heiligendamm von schweifenden autonomen Horden getestet wird, steht die deutsche IT-Sicherheit auf dem Prüfstand: Vom Dienstag an läuft der 10. Deutsche IT-Sicherheitskongress des BSI unter dem Motto Innovationsmotor IT-Sicherheit. Wer hätte dem BSI diesen deftigen Sinn für Humor zugetraut? Derzeit verlieren mindestens zwei deutsche IT-Firmen Aufträge im Ausland, weil die Debatte um heimliche Online-Durchsuchungen natürlich nicht nur auf Deutsch geführt wird. Im BSI arbeiten einige der fähigsten deutschen Sicherheitsexperten, doch leider hat das BKA das Sagen. Das beginnt schon damit, das alle Teilnehmer am Sicherheitskongress vom BKA in einem Verfahren überprüft werden, dass den Realitätsverlust dieser Behörde gut dokumentiert.

Ein weiteres Ereignis zieht die Sicherheits-Szene von Bonn nach Darmstadt. Dort verhandeln die Sicherheitsexperten über die Wunderwelt des Trusted Computings. Richtig aufgesetzt, müsste diese Technik das gesamte Possenspiel um die Online-Durchsuchung ad absurdum führen. Dann bliebe BKA und Verfassungsschutz nur der Sternenstaub über, der huschhusch über die Tastatur gestreut wird und alle getippten Eingaben zu den Pleiaden schickt – oder zum Nachbarn um die Ecke. Paranoid sein heißt frei sein, El Masri. Die schallende Ohrpfeife vom Bundesverfassungsgericht wird er nicht mehr gehört haben.

Quelle : www.heise.de
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 27 Mai, 2007, 02:30
Was war.

*** (Klingelton, sponsored by wild und unersättlich)
"Sind Sie Herr Faber? Hal Faber?"
"Ja, das bin ich. Worum geht's?"
"Ich bin von der Polizei. Sie wollen auch in Heiligendamm demonstrieren?"
"Da wissen Sie mehr als ich. Wollen Sie mich dazu auffordern?"
"Ich will ihnen nur mitteilen, dass die Polizei einschreiten wird, wenn es zu Gewalttaten kommt und wenn Sie dabei zu Gewalttaten aufrufen."
"Das ist aber nett von Ihnen. Wie kommen Sie darauf, dass ich das will?"
"Sie haben in Ihrer (raschel) Wochenschau geschrieben, dass, ich zitiere, wir alle in Zone II leben."
"Oh, ein Leser. das freut mich aber. Leben wir denn nicht in Zone II?"
"Ich bin kein Leser. Ich bin von der Polizei und bearbeite nur den ausgedruckten Teil des Internet in der norddeutschen Tiefebene. Das ist eine Gefährderansprache."
"Ich bin baff. Ist das nicht vom Gericht verboten worden?"
"Davon weiß ich nichts. Ich arbeite nur eine Liste ab. Ich teile Ihnen hiermit mit, dass wir nicht in Zone II leben."
"Nein?"
"Nein. Wir leben nicht in einem Schnüffelstaat und auch unsere Arbeit in Postämtern ist ganz normale Polizeiarbeit. Die Zone II ist ein genau 200 Meter breiter Streifen um Nawaka, sonst nichts."
"Nawaka?"
"NATO Wagenburg Kavala. Mollis und Meer verletzte Namensrechte des Tourismusverbandes."
"Ich verstehe."
"Sehr gut. Wie gesagt. Proteste sind beim friedlichen Sommermärchen ausdrücklich erwünscht. Wenn Sie bei der Operation Detlef jedoch zur Gewalt aufrufen, kennen wir Sie."
"Schnüffelspuren?"
"Das Internet. (raschel) Im Internet geht nichts verloren. Nicht einmal unser Geburtstagskind."
"Ähem. Danke. Mein Geburtstag liegt aber vier Wochen zurück."
"Ich meinte das Grundgesetz, das jetzt auch für das Internet gilt."
"Oh. Haben Sie schon das Internet angerufen?"
"Noch nicht. Steht aber auf der Liste der Gefährder.
"Das Internet steht also noch nicht auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung?"
"Wir haben (raschel) freie Wälle und Schutzzäune, wie bei der Wagenburg."
"Firewalls?"
"Stopp. Keine Gewalt gegen Firewalls! Wir haben Sie gewarnt. 200 Meter Abstand!"
"Wer konfiguriert die?"
"Konfidingsbums ist ab sofort verboten. Keine Aufrufe zur Gewalt! Hatte ich es denn nicht deutlich genug gesagt?"

*** Was hinter dem Zaun von Heiligendamm passieren wird, interessiert die wenigsten, weil nichts passieren wird. Selbst im Ausland hat man gemerkt, dass die Frau von der Ostsee beim wichtigsten Tagesordnungspunkt eine deftige Abfuhr kassieren wird. Zeit genug, an eine andere Frau zu erinnern. Heute vor 100 Jahren wurde Rachel Carson geboren. Ihr "Stummer Frühling" war das Buch, das bei der Entstehung der Ökobewegung eine wichtige Rolle spielte. Dank glitzernder Artikel im amerikanischen Vanity Fair - ich rede nicht vom deutschen Boxenluder - ist Öko Chic und Sache der Superreichen wie der Abenteuerökologie eines David de Rothschilds. Begeistert sind auch die Leute im Silicon Valley, die mit der IT ihr Vermögen gemacht haben. Überschwenglich hymnisch wird Sun-Mitgründer Vinod Koshla als Guru der Öko-Szene besungen, natürlich nur gegen Kohle. Vergesst Rachel Carson.

*** Ein weiteres Jubiläum ist natürlich längst im gesamten Interreich auf diesen Röhren herumgetrommelt worden: Vor 30 Jahren Jahren kam Star Wars in die Kinos. Seitdem ist die Macht mit uns allen, selbst dann, wenn wir für sie nur ins Bett steigen, um lange, lange von Prinzessin Leia zu träumen. In einer lustigen Konjektion kommen gerade die Tagebücher von Ronald Reagan auf den Markt. Erstmals wird sichtbar, wie sehr Reagan bei seinem persönlichen Sternenkrieg vom Krieg der Sterne beeinflusst war, der in den Kinos tobte. Dass er damit die Sowjetunion in einen Wettlauf zwang, der sie zum Kollabieren brachte, ist sein Verdienst in der Geschichte. Geschichte? Erinnerungen an eine längst vergangene Zeit? Aber nicht doch. Wer diesen Bericht zum Raketen-Test liest, wird sicherlich merken, dass wir heute dem Wahnsinn näher denn je sind.

*** Wer Zensur ausübt, sollte etwas Ahnung von der eingesetzten Technik haben. Das ist bei der TV-Show von Reinhold Beckmann gründlich misslungen, als die Sendung mal kurz einen auf Frank Zander machen wollte. Ein Blog-Leser hat den einfachen Pieps mit einem Equalizer umgangen und damit auf den eigentlichen Skandal im Spritzensport hingewiesen: die konstante Verquickung der Medien mit quoten- wie klumträchtigen Themen. Dass Radler im Fernsehen von Typen wie Jürgen Emig oder Hagen Boßdorf kommentiert wurden, macht den Skandal erst rund. Die sechsstelligen Sonderprämien, die ein Jan Ullrich von der ARD kassierte, hatten einen Preis: die völlige Aufgabe des kritischen Sportjournalismus. Derweil wird man sich bei der Telekom fragen, ob man diese Radsportler nicht auch in eine Service-Gesellschaft auslagern kann. Nur Hähnchenschlächter sind da gründlicher und handeln schnell, wenn das globale Huhn in die Diskussion gerät, weil beim Team Wiesenhof die üblichen Abstreiter das Sagen haben.

Was wird.

Muss man Beckmann und den Freunden der Spritztechnik so viel Aufmerksamkeit schenken? Ja, denn gegenwärtig wirtschaftet sich das, was einstmals öffentlich-rechtliches System genannt wurde, schneller in den Abgrund, als Epo-gedopte Lemminge springen können. Die Verblödung reicht bis in die Bereiche, in denen dieses System seine Internet-Kompetenz feiert. Bei dem auf öffentlich-rechtliche Inhalte fixierten Grimme Online Award ist das gut zu erkennen. Da hüpft mal eben ein Mitglied der Jury in den Wettbewerb, weil sein Rammler unversehens ein richtiger Brummer geworden ist. Natürlich betonen die lieben Kollegen, dass solch eine unverhoffte Nachnominierung auch Konsequenzen hat: Der aufrechte Gang ist immer eine Frage der Orthopädie.

Die Roten sind übrigens schwer im Kommen, als männlicher Gockel wie als heißes Huhn. Das fängt schon beim Pumuckl an, für den Kinder vorerst eine Pumuckeline zeichnen dürfen, ohne gleich mit einem Bein im Knast zu stehen. Noch besser hat es die Einserschülerin Barbara getrofen, die Germany's Next Topklum geworden ist. Jede Wette, dass die Rothaarige von Novell unter Vertrag genommen wird, ganz so wie ihre Vorgängerin Lena Gercke, die nun für Microsoft strahlt. Nie war Microsoft live aufregender als mit der URL get.live.com. Hier muss die rote Novell Boden gut machen, zumal der überall angekündigte Bericht über die Details des Patentabkommens mit Microsoft sich ***** liest, als ob ein *****-Papageno den Amateuren bei Beckmann zeigen will, was eine ***** ist.

(Klingelton revisted.)
"Sind Sie Herr Faber? Hal Faber?"
"Ja, das bin ich. Worum geht's?"
"Ich bin ihr eKontaktbereichsbeamter. Sie haben da etwas über den Realitätsverlust des BKA geschrieben. Ich möchte Sie einladen, bei den Anonymous Reality Loosers vorbeizukommen. Sie tagen regelmäßig in Second Life."

Quelle : www.heise.de
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 03 Juni, 2007, 02:19
Was war.

"I'm Chefin from G8 And I've already known To live near Holy Damm Behind a Sicherheitszaun."

*** Ja, wenn wir alle Sicherheitszaun in the morning trällern und die topaktuellen Nachrichten vom Zaun lesen, dann kann man aus der norddeutschen Tiefebene nur rüberradeln und feststellen: Meck-Pomm rockt. Eine Parodie wie dieser Sicherheitszaun-Song, erschienen in einer Wirtschaftszeitung wie der Financial Times Deutschland, sagt eigentlich alles über den albernen Gipfel auf der anderen Seite des "komplexen technischen Sperrwerks", an dem vorerst niemand demonstrieren darf. Zehn Kilometer Abstand muss schon sein bei dieser empfindlichen Sperrtechnik und der wahnsinnigen Gefahr, dass protestierende Bürger "in emotionalisierende Nähe eines politischen Besuchers" gelangen, wie es das Greifswalder Gericht formuliert hat. Noch alberner und damit der Sache angemessener liest sich der Vorschlag von Theo Waigel, den Gipfel auf dem Gipfel stattfinden zu lassen, während der Volksdichter Enzensberger mit seinem "Vorschlag zur Güte", eine Südseeinsel zu nehmen, die Sache entschieden zu ernst nimmt.

*** Denn Südseeinseln und Polderländer saufen im kommenden Klimawandel ab, wie jedes Kind mittlerweile weiß. So etwas will man den Politikern nun doch nicht wünschen, oder? Während die Schengen-Busse in Norddeutschland patrouillieren und die Bahnschaffner anlassbezogen nebenberuflich als Blockwarte arbeiten, erzieht der Präventivstaat mit solchen Bildern seine Untertanen zu Duckmäusern. Wer Politiker auf fremde Inseln und hohe Berge wegwünscht, vergisst schnell, dass sie abgewählt werden können. Jedenfalls in den meisten G8-Staaten. Wobei das mit den freien Wahlen bei uns in einer Verfassung steht, die schnellstens der Lebenswirklichkeit angepasst werden muss. Nur schade für Schäuble, dass das nicht so fix geht wie eben einmal das Abschalten der Handynetze rund um Heiligendamm.

*** Lebenswirklichkeit ist wirklich ein gutes Stichwort für den Schwenk in die IT. Man nehme nur die nicht gehaltenen Versprechungen vom letzten Gipfel der 8 Ratlosen, in Afrika Schluss zu machen mit dem Elend. Auf dem nicht armen Kontinent könnte man mit dem OLPC-Laptop eine Menge mehr machen als nur Tetris zu spielen und Linux zu erkunden.

*** Zur Lebenswirklichkeit gehört auch, dass man die Vergangenheit nicht verklärt mit dummen Erzählungen von damals. Will Steve Jobs zeigen, wie vergreist er ist, wenn er allen Ernstes erzählt, das Gates den Mut gehabt habe, die erste Software-Firma zu gründen? Wie wäre es mit Applied Data Research, Pansophic und Whitlow Computer Systems, die in den 60er Jahren als reine Software-Firmen starteten? Dabei setzten auch diese Firmen, genau wie Bill Gates, nicht unbedingt feine Methoden ein, um sich auf dem Markt durchzusetzen. Erinnert sei an die Software SyncSort von Duane Whitlow. Whitlow schaffte es, ein Softwarepatent auf undokumentierte Befehle in IBMs Betriebssystem zu bekommen, die IBM daran hinderten, diese Befehle aufzurufen oder gar zu entfernen. Nur sein Programm SyncSort durfte exklusiv diese Befehle nutzen. Aber was schreibe ich, das sind ja uralte Kamellen, diese Patente. Viel schöner und zeitgemäßer ist die Debatte um das Recht auf eine bestimmte Zahlenkombination wie das berühmte 09 F9, das sogar die Süddeutsche Zeitung in mannigfaltiger Form vorgeführt hat, wie hier bereits bekakelt. Mit dem Recht auf die eigene Zahl ist der neue Schlüssel in der Welt. Da sage einer noch, das Hacker keinen Stil haben. Hände weg von 5D A0 78 77 58 7E 90 0C F3 00! Mein Bauch gehört mir!

*** Als elektrischer Kolumnist habe ich mich vorige Woche über die Nominierung des elektrischen Reporters bei den Grimme-Preisen lustig gemacht. Nichts gegen den Reporter und seine mitunter sehenswerten Reportagen, aber dass ein Jury-Mitglied eines Preises für denselben vorgeschlagen werden kann, hat schon eine besondere Qualität. Nun toppt die Jury das seltsame Verfahren mit einer noch seltsameren Erklärung, in der es heißt: "Im Unterschied zu anderen Medienpreisen, bei denen fachkundige Beobachter und Kritiker in einer Jury nicht unbedingt selbst Akteure sind, ist eine solche Überschneidung beim Medium Internet nicht auszuschließen." Das muss ja höllisch kompliziert sein, dieses Internet. Sicherlich wird die Posse weitergehen. Chips dazu gibt es in einer mediterran geprägten Garten- und Strandlandschaft

*** Während ich diese Zeilen schinde, tagt die Venedig-Kommission des Europarates und versucht, eine gemeinsame Entschließung zu formulieren. Auf der Tagesordnung steht die Forderung nach einer "Demokratischen Kontrolle der Sicherheitsdienste und Videoüberwachung". Wer überwacht die Überwacher, könnte man fragen, doch scheint das Problem ähnlich konsequent zerbröselt zu werden wie der Klimaschutz in Holy Damm. Dabei steht eine ganze Menge auf dem Spiel. Neben den Überwachern und Sicherheitschützern gibt es die Unterwacher, die nicht weniger gefährlich sind. Forscher fordern für Maschinen bereits das Recht auf Vergessen, das Menschen so gerne für sich in Anspruch nehmen.

*** Für ältere Leser jenseits der 60 ist der Tod von Benno Ohnesorg nicht zu vergessen. Mit ihm radikalisierte sich das, was man heute Studentenbewegung nennt. Wer weiß denn noch, dass es, ganz im Sinne von Theo Waigel, damals den Vorschlag gab, alle in Deutschland studierenden Iraner zum Schah-Besuch auf einer Nordseeinsel zu internieren? Inzwischen leben wir – noch – in einer bunten, toleranten Republik. Nur eines ist von den längst vergangenen Zeiten geblieben: ein Revolverblatt, passend zur Dienstpistole des Polizisten Kurras. Damals hetzte die Zeitung gegen die Studenten, heute gegen traumatisierte Opfer einer verfehlten US-Politik. Aber das war Benno Ohnesorg auch, ein Opfer einer verkorksten US-Politik, für die Öl wichtiger als Demokratie war. Der beliebte Web 2.0-Begriff Ajax hat eine historische Dimension.

Was wird.

Heiligendamm ist überall. Was die G8 in ein paar pseudogriechisch weißgekalkten Hotel-Hütten der Kempinski-Kette veranstaltet, kann die Gematik im weißen Schloss Bensberg der Althoffer locker toppen. Für ein Update Gesundheitskarte wird es langsam Zeit, weil die ersten eRezepte auf die Karte wandern. Die spannende Frage nach den Nebenwirkungen für alle noch arbeitenden Steuerzahler, die sich ab und an mal krankschreiben lassen und ein Päuschen nehmen, wird nun beantwortet: Wie wird man eigentlich die Rezepte los, die der Doc zwinkernd unterkrakelt? Einfach Wegschmeißen ist nicht mehr, wenn das Papier alle ist. Und eine /dev/null-Taste haben sie am eKiosk einfach vergessen.

Nichts fürchtet der gemeine Journalist mehr als den Juristen. Dass diese Spezies nur in Begriffen wie Abmahnung und Administrativenteignung denken kann, geschenkt, geschenkt. Die juristische Prosa ist indes eine ernste Konkurrenz für jeden Journalisten, der am Schluss die zündende Pointe setzen will. In diesem Punkte gestehe ich für heute die totale Niederlage ein und übergebe mit dem Boo der Woche an eine Verhandlung, die am kommenden Dienstag in Berlin stattfinden wird:

   
"Seit aber die weltweite Kommunikation – die ja zu begrüßen ist – es ermöglicht, jegliches kleinstes Erlebnis aus seinem Leben der Öffentlichkeit kundzutun, scheinen für Personen wie den Beklagten Persönlichkeitsrechte Dritter überhaupt nicht mehr zu zählen. Es wird einfach alles berichtet, was einem in den Kram passt. Vor einer solchen Praxis ist nur noch die Rechtsprechung der Kammer und anderer deutscher Gerichte, die den Persönlichkeitsrechten Dritter, hier dem Kläger, das notwendige Gehör verschaffen."

Hört, hört, hört.

Quelle : www.heise.de
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 10 Juni, 2007, 04:43
Was war.

*** Oh meine Brüder, glaubt nicht dem Cheepooka, der in den Gazettas vom großen Drat an den hyperboräischen Gestaden verbeitet wird. Flaschdas ist das, Righty-Right! Der Drat muss nicht in das Schubse-Gepupe hineingetragen werden, sondern in die Gullivers. Das köstliche Klopping mit den Slemmie-Brats hat die Millicents gefreut, doch wars ein geheimer Sowjet vom großen Prodovat. Der Rozz ist wieder fein raus, die Blacksy Blocksy angedisst. Die Bugattis hinter dem Drahtgeteuse hats nicht gejuckt, nur unsere Droogs von der Zentralintelligentsija hätten die Pooshkas in die Messies gehalten, ordentliche Trollschocks gebend. Ihr Gunta-Bunta wird aber locker von unserem Sirius Business Park getoppt. Spatchka im Business Park, das ist echt Horrorshow, ist das. "Gefangenensammelstelle Industriestraße Rostock", da guffen die Ptitsas. Oh meine Brüder, feiern wir das mit viel Drencom und Synthemesc und dem Versprechen, die Heini-Heidis auch beim nächsten Drat ordentlich zu schlagnicken. Hebt die Hand zum Schwarzdeutschen Gruß mit abgestrecktem Finger.

*** Was als Satire gemeint war, entpuppt sich nach und nach als nicht besonders lustige Wahrheit. Genau wie sich die Angaben aus dem Kavalarienberg über hunderte von Verletzten auf überschaubare zwei Staatsdiener reduzierten, könnte sich die Geschichte vom Schwarzen Block beim G8-Gipfel als Märchen vom Bösen Wolf entpuppen. Das muss man feststellen können, ohne damit gleich die kloppe-kloppe-Romantik der autonomen Sicherungs-Mustermänner zu teilen. Doch das reflexartige Klappern der Politiker mit Rufen nach der GSG 9 bestätigt die These, dass Hooligans verkappte Spießer sind und umgekehrt, ein schlichter kultureller Flip-Flop.

*** Zu den Steinwürfen von Rostock gesellt sich der große Klima-Wurf von Heiligendamm, mit der vagen Aussicht, bis 2050 etwas gesenkt, gesteuert und gefesselt zu haben, was nicht mehr lenkbar ist und "HIV/Aids in Afrika weiter voranbringen zu wollen", was mindestens ein freudscher Übersetzungsfehler ist. Erhellender als alle großartigen Würfe ist diesmal niemand anderer als Bill Gates, ausgerechnet. Der bekannteste Studienabbrecher der Welt bemängelte bei der Übergabe des Ehrendoktors in Harvard, dass viel zu wenig über die Ungerechtigkeit und Ungleichheit in der Welt gelehrt wurde. Diese Erkenntnis ehrt Gates, genau wie die Formulierung "mit mehr als 30 Jahren Verspätung" das Kriechertum der deutschen Presse enthüllt. Eigentlich wollte ich es etwas herzhafter formulieren, doch am Tag des männlichen Arschlochs muss das nicht sein. Was die feingeistigen Herren der Zeit wohl daran erschreckend finden, dass auch ein Arsch Nerven hat?

*** Was ist die Luftnummer von Heiligendamm verglichen mit dem Drama, das sich in Haselhorn abspielte? In diesen globalisierungskritischen Tagen zeigt der Blick zu den Haselhörnern die ganze Tragik menschlicher Verstricktheit in die Technik. Den globalisiert heißt nicht nur, dass in China ein Sack Reis in unglaublich schlechter Luft umfällt, sondern der Big Bang bei uns in den Dörfern passiert. Auf einmal ist dann Steinfeld nicht nur vom Netz, sondern weg aus der niederdeutschen Tiefebene. Und niemand will es vorher gewusst haben, nicht mal der Club of Rome. Vielleicht segeln wir dann flott mit dem Geburtstagskind dieser Woche flott über Steinfeld Richtung Rügen.

*** Es geht voran. Personalausweise werden gemacht. Mit dem Fingerabdruck. Der Terror wird bekämpft. Mit dem Online-Trojaner. Die Lächerlichkeit dieser Maßnahme könnte man mit dem schrottigen Xpider illustrieren, ich tue es heute lieber mit der Fez-Cam. Eine Webcam verschickt Bilder aus dem Taubenschlag, in denen steganografisch weitere Informationen eingebettet sind. Der dynamisch hinzugerechnete Fez gibt Hinweise auf den Schlüssel, den man benutzen muss. Das ist wohlgemerkt nur ein fiktives Beispiel, in dem bewusst keine Webcam genannt wird, die von Terroristen benutzt wird, um einen Anschlag wie den in Kundus vorzubereiten.

*** Es geht voran in Deutschland. Die Zeitungen schreiben, dass die Arbeitslosigkeit bis auf einen Grundsockel beseitigt ist. Das sieht dann so aus. Die hellblaue Kurve nennen wir einfach mal den Kondensstreifen der Konjunktur und lassen ihn verdampfen, es gibt ja immer mal statistische Devianzen. Nur bei den Fachkräften muss man etwas mehr tun, vor allem, wenn man im Wettbewerb mit anderen Ländern auch zu einer Green Card greift. Das kann man noch toppen, wenn man eine elektronische Ausländerkarte einführt, komplett mit Fingerabdruck, über den sich heute die vergesslichen Blätter so furchtbar ereifern. Man schaue nur die gefühlte 13. Folge von Danny Ocean an und sieht sofort: Nur weil es den super fälschungssicheren Ausländerabdruck im sündigen Vegas nicht gibt, überlisten die lässigen Schönlinge den biometrisch ausgefuchsten Computer mit einem selbst erzeugten Erdbeben. Was für ein charmanter Terrorismus!

*** Wolf Lotter aus der Motzstr. 5 hat sich in Springers Postille Wel T-Online ganz mächtig über diese schrecklichen anonymen Blogger im Internet aufgeregt und Name, Adresse und den dafür nötigen Mut eingefordert. Sonst seien sie feige Gewalttäter wie der schwarze Block da oben an der Ostsee. "Ein Bürger hat einen Namen", schreibt Lotter und demonstriert damit, dass ein deutscher Bürger zwar einen Namen haben kann, aber eben auch keinen Verstand. Wahrscheinlich ist in den Augen eines Schönschreibers der digitalen Ökonomie ein Jens Daniel verdächtig oder ein Paul Carrell. Häufig genug ist es für jeden Menschen, der eine Meinung vertritt, richtig und wichtig, den Namen zu wechseln. Da mag er Journalist sein oder Blogger, jedenfalls nicht Autor eines Blattes, das unablässig Brands und Trends benamst wie Kinder ihre Kackhaufen, auf die ein wirrer Blogger verweist. Als junger Journalist schrieb ich viel für die c't wie auch für die längst verblichene mc. Alle Autoren, die bei "Onkel Heise" arbeiteten und gleichzeitig für "Tante Franzis" werkelten, bekamen die Namen damals prominenter Verbrecher. Ein Journalist, der Namen verlangt und offenlegen will, hat einfach zu viel in seinem Geruchsprobentüchlein gesnifft.

Was wird.

Das Klima wird geschützt, ganz klar. Verbindliche Schadstoffreduktionen sind leider noch nicht zu haben. Meine Kinder sind ebenso begeistert wie stinkend von der Ostsee heimgekehrt, 2050 werden sie alte Leute sein, im Felde unbesiegt. In der kommenden Woche jährt sich der Todestag Wernher von Brauns. Seine V2-Raketen trugen Schrecken und Tod nach London, wohin ein Teil meiner Sippe geflohen war. Mit den von diesem Herrn entwickelten Raketen sah ein Mensch – zumindest derjenige in US-Mission – aber auch erstmals die Erde aus dem Weltraum. Die Erkenntnis, wie verletzlich sie war, wurde als "unwissenschaftliche Bemerkung" abgeheftet. Hail to the Chief.

Quelle : www.heise.de
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 17 Juni, 2007, 00:16
Was war.

*** Damals war ich jung. Ich brauchte kein Geld, sondern Ideale. Mein Mathelehrer, ein Herr Ohnesorg, war von der Schule gefeuert worden, weil sein Bruder von der Polizei erschossen worden war, gewissermaßen eine Art vorweggenommener Radikalenerlass, der an unserer Schule später fürchterlich zuschlug. Wir hatten also viel Zeit im schönen Hannover kurz vor den Sommerferien und lasen aufgeregt mit großen Augen Geschichten vom Summer of Love. Ja, heute vor 40 Jahren begründete Monterey die großartige Tradition der Rockfestivals. Die Bands spielten für umme, der Eintritt war ein symbolischen Dollar, denn schließlich war Monterey eine politische Aussage, die sich für heutige Ohren bescheuert anhört: Peace & Love. Damals ging es im Summer of Love gegen den Vietnamkrieg, mit Radio Veronica und abgedrehten Schülerzeitungen wie Underground (OK, erschien erst 1968). Heute geht es gegen den Irak-Krieg, gibt es das Internet und die Blogosphäre. Da sollte man zur Feier des denkenswerten Wochenendes das orange-pinkfarbene Perlenkettchen mit dem Antikriegszeichen anlegen, das Chillum stopfen und den Mitmenschen Lotusblüten schenken.

*** Funzt aber nicht. Monterey ist vergessen, verdrängt vom kommerziell ausgerichteten Woodstock, das heute zum Rettungsanker der notleidenden Musikindustrie stilisiert wird. "Time waits for no one", ganz recht hatten sie, die Stones, ein paar Jahre später, als sie trotzdem noch guter Dinge waren: Trotz aller Globalisierung und dem Klimaknall hat es die Lotusblüte nicht in die niedersächsische Tiefebene geschafft. Trotz jahrelanger Mülltrennung ist der deutsche Spießer nicht ausgestorben. Der Vergleich der Blogosphäre mit Untergrundzeitschriften ist schließlich völlig abwegig, wenn man liest, wie Blogger Blogger Blutblogger nennen und andere ihre Niggelichkeiten exerzieren. Love & Peace ist out. Schnell wie ein Federmesser klappt unter den spießenden Zeitgenossen der Vorwurf der Heuchelei auf, wenn man nicht Willens ist, die Sorte von Meinungsfreiheit zu verteidigen, die ein Staat taktisch reklamiert, um einen Konflikt anzuheizen.

*** "Wir verkaufen Ideale" heißt es in der Werbung der tageszeitung. Das machen sie mittlerweile recht gründlich mit einem neuen Online-Auftritt, gesäumt von einem schwarzen Todesbalken. Weinende Kinder sehen dich an, könnte man kommentieren, aber ich wollte ja nichts über das blonde Nichts schreiben. Inhaltlich überraschte das linksliberale Blatt mit einem Text, der den Einsatz von fotografierenden Tornados in Heiligendamm mit dem der AWACS-Flieger zur Fußball-WM vergleicht. Spähten die einen in den Luftraum, um frühzeitig attackierende Flugzeuge zu orten, spähten die anderen den Boden aus, um frühzeitig eine neue Generation von linken Terroristen zu entdecken. Schließlich leben wir in einem artgerechten Staat in dem jeder Bürger zunächst einmal ein verdächtiger Bürger ist und sonst gar nichts.

*** Während die nämlichen Tornados in Afghanistan aus großer Höhe kleinste Sachen fotografieren können, haben die Amtshilfeflieger über Heiligendamm angeblich nur Übersichtsbilder angefertigt und nicht das kleinste Nummernschild fotografiert. Welchen Aussagen und welchen Bildern kann man noch glauben, wenn der Manipulation der Bilder im Namen einer hirnlosen Biometrie keine Grenzen gesetzt sind? Genaues Hinsehen und das Wissen über die Psychologie der menschlichen Wahrnehmung lehrte Rudolf Arnheim unter Verzicht auf all die fetten Ontologien, die Bilder und Filme überfrachten. Denn zunächst ist da erst einmal ein Mann mit nordeuropäischem Aussehen als Komparse eines Schwarzhaarigen und sonst gar nichts. Dass da der neue Christus mit der Operation Walküre beschäftigt ist, erklären andere.

*** Täglich wächst die terroristische Gefahr und mit ihr der Umfang der Gegenmaßnahmen. Das sehen die Terorrismusexperten vor allem daran, dass ihre Datenbanken wachsen. 509.000 Terroristen sind in den Vereinigten Staaten registriert, wo man dazu übergehen will, die islamistischen Angreifer aus Europa mit einem Online-Fragebogen zu bekämpfen. Derweil wird bei uns die erste Vernebelungsanalge installiert, damit die Terroristen in die gut sichtbaren Kühltürme fliegen. Bei der Lektüre solche Nachrichten bleibt die Frage übrig, ob Terroristen so doof sind. Bruce Schneiers Antwort, eigentlich für Wired geschrieben, doch dort leicht zensiert: Jawohl, moderne Terroristen sind Idioten – und die Journalisten sind noch größere Idioten, wenn sie das Gerede vom Terror gedankenlos übernehmen. Das gilt für Anschläge auf Tanklager wie für Anschläge mit Tanklastern gleichermaßen, die mörderischen Fläschchen nicht zu vergessen.

*** Wie die Strategie funktioniert, wenn eine "moral panic" ausgelöst werden soll, kann man auch abseits des leidigen Themas Terrorismus sehen, beim noch leidigeren Thema Kinderpornografie. Es musste als Begründung dafür herhalten, dass der Start des deutschen Flickr gründlich misslingen konnte. Natürlich wird in keinster Weise Zensur ausgeübt, sondern nur nach Recht und Gesetz gesperrt. Ubi bene, ibi patria, oder wie das auf Chinesisch heißt. Ganz furchtbar getroffen hat es so manche Blogger mit markanten Inhalten, bei denen Werbung nicht von Herzen kommt.

*** Aber was solls, es ist endlich wieder Sommer, und es stimmt immer noch, time waits for no one. In der Wohnung in Hannover brütete im Blumenkasten auf dem Balkon eine Amsel bereits drei kleine Schreihälse aus, die nun des Morgens nicht nur ihre Mutter auf Trab halten, das Wetter schlägt subtropische Kapriolen und wir genießen Hitze und Donner. So günstig gestimmt kann es fast euphorisch stimmen, wenn die Auszeichnungsmaschinerie des blinden Huhns Kulturbertrieb ausnahmsweise mal wieder ein Korn findet – manchmal gibt es Preisverleihungen, die einem vor Freude Tränen in die Augen treiben; das war nicht nur beim Literaturnobelpreis für Orhan Pamuk so, das ist erst recht bei der Vergabe des Friedenspreises des deutschen Buchhandels an Saul Friedländer so. Wer sein zweibändiges  Werk "Das Dritte Reich und die Juden" noch nicht gelesen hat, sollte nicht länger zögern.

Was wird.

Jetzt war so viel von Love & Peace die Rede, da darf ein kleiner Veranstaltungshinweis nicht fehlen, ganz im Sinne Erich Mielkes "Ich liebe doch alle": Am Dienstag bestreitet der Fernsehkanal arte einen Themenabend zum Thema Kontrolle total. Informiert wird über die artgerechte Haltung von Bürgern im Präventionsstaat.

"Beim ersten Mal tut es weh. Dieses Mal tut es WWW" Heeeeee-rrreinspaziert, meine Damen und Herren, denn hier tut es noch viel weher, hier sind wir gewissermaßen im WWWW-Forschungsinstitut mit einem Wehweh mehr. In der kommenden Woche wird der ebenso undotierte wie unfrisierte Grimme Online Award 2007 verliehen. Da wird man wohl den netten Gag der Medienphilosophin Miriam Pielhau wiederholen können, mit dem sie auf der ersten Verleihung im Jahre 2001 für Stimmung zwischen dem Heilbutt-Carpaccio und dem Heidschnuckenrücken in Rosmarinjus sorgte. Nein, stopp, das waren nicht die Preisträger, sondern Gänge aus einem Menü, zwischen denen damals Preise verliehen wurden. Halten wir fest, dass sich Miriam Pielhau irrte. Nicht nur beim ersten Mal tut es weh. 2007 tut es immer noch weh, mit einem besonders großen Auaaua, nachdem ein Juror für den Preis nominiert wurde. Blitzschnell, wie es sich für einen elektrischen Reporter gehört, verließ er daraufhin die Jury, worüber ich schon berichtet habe. Bitte, ein bisschen Eigenblutdoping cum Captagonfeeding muss doch auch in der Kultur erlaubt sein, komplett mit Selbstzerknirsching vor laufender elektrischer Kamera, wenn anschließend der Seelenkriecher gemacht wird.

Nun ist die Sache über Wochen weiter geköchelt und das Resultat ist keine Currysuppe mit Krebsschwänzen, wie 2001 serviert, sondern eher Algenschaum an Fliegendreck a la Ferran Adria. Drücken wir also dem elektrischen Reporter den Daumen, dass er einen Award bekommt, überreicht von Miriam Pielhau, der das ganz besonders wwww tut. Wie hieß es noch zum ersten Grimme Award, als sich Dennis Hopper als Internet-Muffel outete und seine ins Internet tippende Frau als Preisträgerin vorgeschlagen wurde? "Eine Kategorie wird sich da schon schaffen lassen."

Quelle : www.heise.de
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 24 Juni, 2007, 00:07
Was war.

*** Einige haben Glück, andere nicht. Den einen schenken die neckischen Wettergötter einstürzende Altbauten samt neuer, ungeahnter künstlerischer Nachbesserung. Den anderen backen die nämlichen Götter in einer Vulkanhalle den Verstand weg, auf dass sie nach einem merkwürdig durchgeführten Wettbewerb mit vielen Äähs und Ähems eine blöde Miene zu einem noch blöderen Spiel machen. Technisch gesehen hat sich der Grimme Online Award diskreditiert. Sollte der GOA 2008 weiterhin verliehen werden, sollte besser die Gesellschaft im Ostalbkreis für Abfallbewirtschaftung die Jury stellen, die sich mit Abfall auskennt.

*** Inhaltlich gesehen war der Grimme Online Award immer der kleine Bruder der bekannten Grimme-Fernsehpreise, mit denen das Adolf-Grimme-Institut vor allem öffentlich-rechtliche Sendungen auszeichnet. Immerhin hat einer der klügeren Preisträger den knackigen Widerspruch erkannt und benannt, worum es eigentlich geht. Auf ihre Weise haben es auch die öffentlich-rechtlichen Strategen klargemacht. "Die Rundfunkgebühr wird in der digitalen Medienwelt zur Content-Flatrate für Qualitätsinhalte", dieser Satz hat den Kommentator der Frankfurter Allgemeinen Zeitung so in Rage versetzt, dass er von der Enteignung der freien Presse schreibt und ein schönes Fazit präsentiert: "Denjenigen, die im ohnehin parasitär verfassten Internet mit unabhängigem Qualitätsjournalismus Geld verdienen wollen, wird öffentlich subventioniert der Boden entzogen". Plumps.

*** Auch wenn man inzwischen wieder auf die Verleger nach all der Aufregung zugehen will, sollte man sich mal dieses qualitätstriefende Video zur Gemüte führen. Dagegen wirkt der Einwand, dass in der Grimme-Jury auch ein Journalist sitzt, der für die Tagesschau produziert, wahrscheinlich kleinkariert. Denn das, was bei den Protagonisten der ganzen Show so nett Preisfrage genannt wird, ist semantisch nicht eindeutig. Sie nennen es Arbeit, wir nennen es Zuhälterei. Wahrscheinlich kommt die anonyme Seilschaften-Selbsthilfegruppe für solcherart Sozialisierte zu spät.

*** Bleibt nur die Frage, warum um alles in der Welt man auf Verleger und Verlage zugehen will und nicht auf die Menschen, die einfach so ins Internet schreiben. Sicher kommt es daher, dass für Verleger ein ganz besonderer Artikel 5 des Grundgesetzes gilt, eine Art höherer Ausfluff oder eine spezielle Firmenfreiheit. Gut, sie ist auch nicht unbeschränkt und berechtigt beispielsweise nicht, von einer Hinrichtung zu sprechen, wenn man einem Schiedsrichter dahin greift, wo es ihm weh tut – und damit ist nicht die männliche Trillerpfeife gemeint. Der schräge Humor der Juristen beschert die ins Internet schreibenden Menschen immer wieder überraschende Einsichten zur Meinungsfreiheit. Man nehme nur Sigmar "Iggy Pop" Gabriel, der seit seiner Ablehnung als Sänger bei der Gründung der Scorpions eine unglückliche Liebe zur Politik entwickelte. Im mehrfach erwähnten Genossenstreit des SPD-Politikers mit dem Parteibuchblogger geht es bald in die Berufung. Dabei meinen die Anwälte, dass unser Umweltminister keine absolute Person der Zeitgeschichte ist, also jemand, der nicht am öffentlichen Leben teilnimmt und über den schonmal ein Witz gemacht werden kann. Das lässt tief blicken, vor allem darum, weil Gabriel bekanntlich zu den Bären will. Erst in Patenschaft mit Knut, gewissermaßen auf den Schultern des Bären ragt Gabriel über die Allgemeinheit heraus. Vorher ist er nichts, vielleicht nur eine Emission von Treibhausgasen im Anzug.

*** Gab es sonst nichts Wichtiges? Keine Terrorwarnungen? Über die Panikattacken mancher Politiker regt sich mittlerweile sogar BKA-Chef Ziercke auf, der gegenüber der Presse stolz darauf ist, dass sein Amt seit 2001 exakt 6 konkrete Anschläge vereitelt hat. Stolz darf er auch sein, dass einer der in Pakistan festgenommenen deutschen Konvertiten ein Gefährder ist, der vom BKA beobachtet wurde. Das alles übrigens ohne Online-Zugriff auf die Festplatten des Gefährders. Mehr Gelassenheit wäre nicht schlecht. Wie wäre es, wenn sich der BKA-Chef eine der neuen Handquetschen schnappt und seinen schönen Satz vom erfolgreichen Monitoringsystem wiederholt an alle funkt, den Streifen zum Diktat: "Wohl nur ein paralleler Einsatz unterschiedlicher Methoden auf der Basis eines längsschnittlichen Einsatzes bei gleichzeitiger Berücksichtigung unterschiedlicher Beobachtungsperspektiven - Akteure sowie unmittelbare und mittelbare Adressaten des Terrorismus wird entsprechende Zukunftsprognosen über den Terrorismus ermöglichen."

*** Angesichts all der Terrorwarnungen und der ausgeflippten Terrorbekämpfer, die sich gegenseitig bekämpfen, kommt einem "Freiheit" nicht in den Sinn. Schade eigentlich. Aber neu, neu ist dieses Phänomen auch nicht:

Die Freiheit ist ein wundersames Tier,
und manche Menschen haben Angst vor ihr.
Doch hinter Gitterstäben geht sie ein,
denn nur in Freiheit kann die Freiheit
Freiheit sein

sang einst Georg Danzer, der am Donnerstag starb. Der österreichische Liedermacher, Rockmusiker und Komponist wird gerne unter dem Label "Austro-Pop" gehandelt, was er eigentlich nicht verdient hat. Auch die österreichische Dreierbande hat besseres geliefert als Fendrichs Herzblatt-Schmelz und Ambros' "Schifoan". Erinnern wir uns lieber an austriakischen Blues vom "Freiheit"-Schlag – oder, wenn denn schon zum Gedenken noch einmal von Austropop die Rede sein soll, an den Watzmann von Ambros.

*** Die wichtigste Computerfrage der vergangenen Woche lautete zweifellos 42. Oder eben 9:42, mithin die Zeit, die Apples iPhone auf allen bisher bekannt gewordenen Bildern zeigt. Ja, die Zeit ist aus den Fugen, könnte man mit dem großen Philip K. Dick sagen, der seinerseits den noch viel größeren Shakespeare zitierte: "Die Zeit ist aus den Fugen, verfluchte Schicksalstücken, dass ich geboren ward, um sie zurechtzurücken." Was ist die Nachricht der bestgehypten Hardware seit der Erfindung der Mikrowelle? "Nie mehr kochen", wie es damals hieß, kann es ja nicht sein. Bilden wir die Quersumme, so finden wir den fünfzehnten Buchstaben im Alphabet: O. Von diesem ausgehend, geht es, 1 und 5 genommen, einmal nach vorne und fünfmal zurück: not. kann wirklich das englische "not" gemeint sein, oder ist es nicht vielmehr ein Hilferuf von 942 deutschen Programmierern, die in einem geheimen Lager von Apple zusammengepfercht wurden, das zu programmieren sie alle zu binden, zu knechten, zu finden.

*** Verschließen wir über diesen Spekulationen nicht die Augen vor der Realität. Wer Freude am Schießen hat, wird Freunde treffen, diesen Satz hätte der große Journalist Ambrose Bierce nicht besser formulieren können, der heute vor 165 Jahren geboren wurde. Bierce nahm als Scharfschütze an einigen der blutigsten Schlachten des amerikanischen Bürgerkriegs teil, etwa der Schlacht von Shiloh. Dann ging er nach San Francisco und wurde Journalist, zusammen mit Mark Twain. Sein "Wörterbuch des Teufels" hat gleich nach den Werken des noch größeren Karl Kraus Generationen von Journalisten geholfen, den Verstand nicht zu verlieren.

Was wird.

La sottise, l'erreur, le péché, la lésine,
Occupent nos esprits et travaillent nos corps,
Et nous alimentons nos aimables remords,
Comme les mendiants nourrissent leur vermine.

Nos péchés sont têtus, nos repentirs sont lâches;
Nous nous faisons payer grassement nos aveux,
Et nous rentrons gaiement dans le chemin bourbeux,
Croyant par de vils pleurs laver toutes nos taches.

Mit dieser "Rede an die Leser" wurde morgen vor 150 Jahren mit 1200 Exemplaren ein Gedichtband veröffentlicht (und prompt vor Gericht gebracht), der die europäische Kultur gehörig beeinflusste. Ich weiß, dass ein französisches Zitat, ein Gedicht zumal, nicht unbedingt dem Lesefluss förderlich ist, aber die Blumen des Bösen müssen einfach im Original überreicht werden. Geneigte Leser, die bis hierhin gefolgt sind, werden googeln, experimentierfreudige am Babelfisch verzweifeln. Denn immer verbindet die Liebe zur Sprache das, was die Ökonomie ganz schnell trennt: Mein erstes veröffentlichtes Gedicht brachte mir 5,50 DM ein, mein Bericht über eine kontroverse Versammlung des Schützenvereins Hannover-Langenhagen 250 DM.

Damit geht es zurück zu Karl Krause, dessen Portrait hier an der Wand "henkt", komplett mit der schönen Sentenz: "Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: Sie hört nicht, was ich sage, und ich sage nicht, was sie hören will." Ein großartiger Satz. Ihn sollten alle Blogger lernen, die bald den doofen Journalismus ablösen wollen. Aufs Beste übrigens bei eben diesem Baudelaire geschildert, den dieser Karl Krause als Vorbild hatte. Und weil ich meinen Freund Kai Krause umstandslos hinzu addiere, schließt dieser Wochenrückblick mit einem Gruß an alle Leser, gelangweilt oder nicht:

Mais parmi les chacals, les panthères, les lices,
Les singes, les scorpions, les vautours, les serpents,
Les monstres glapissants, hurlants, grognants, rampants,
Dans la ménagerie infâme de nos vices,

II en est un plus laid, plus méchant, plus immonde!
Quoiqu'il ne pousse ni grands gestes ni grands cris,
Il ferait volontiers de la terre un débris
Et dans un bâillement avalerait le monde;

C'est l'Ennui! L'oeil chargé d'un pleur involontaire,
II rêve d'échafauds en fumant son houka.
Tu le connais, lecteur, ce monstre délicat,
--- Hypocrite lecteur, --- mon semblable, --- mon frère!

Quelle : www.heise.de
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 01 Juli, 2007, 04:56
Was war.

*** "Hochverehrter Herr Bundeskanzler, verehrte Frau Bundespräsidentin, hallo Soldaten, liebe Gäste. Es ist mir ein besonderes Vergnügen, sie alle heute hier auf dem Gelände des Finanzministeriums zur Einweihung des Denkmals des ermordeten Soldatens begrüßen zu dürfen. Wie mein Amtsvorgänger damals in Kassel anlässlich Übergabe der Meisterbriefe der Kreishandwerkerschaft erstmals erläuterte, braucht es ein "öffentlich zugängliches Ehrenmal als Ort der Trauer". Denn wie die Dichter es so schön reimen, ist der Tod ein Meister aus Deutschland, ein blauäugiger Geselle mit vielfältigen Verbindungen zum Handwerk.

*** Meine Damen und Herren, es braucht zum Gedenken einen Ort, an dem sich verstreute Gedanken sammeln können. Die Soldatinnen und Soldaten, die dieses unsere Vaterland seit 2001 inzwischen länger verteidigen als ihre Kollegen bei der Wehrmacht, haben es verdient, dass man sich ihrer erinnert, dass man sich daran erinnert, wo sie sich überall im Einsatz befanden, als sie starben. Gerade weil die kleine Datenpanne beim Backup in unserem ehemaligen Zentrum für Nachrichtenwesen ein unglückliches Kapitel unserer Geschichte ist, ist es um so mehr eine glückliche Entscheidung, ausgewählte Datensätze durch Lichtprojektion an die Wände zu werfen. Denn im Erinnern steckt auch das Innere, der Kern, die Suchmaschine, mit der wir Tag für Tag unsere überlegene NetopFü auspielen. Denn die Truppe am Netz kämpft unverdrossen via SMS, selbst wenn ein Datensicherungsroboter längst die Operation Persilschein eingeleitet hat. Im Übrigen bestand niemals ein Grund zur Panik, meine Damen und Herren: auch heute noch sind die Inlanddaten bestens erhalten geblieben.

*** Hier in Berlin also, im wunderschönen Bendler-Block hat mein Vorgänger einen würdigen Platz gefunden, der eigentlich allen soldatischen Kräften gefallen müsste, selbst den Kollegen von der ehemaligen Nationalen Volksarmee der DDR. Sie konnten wir leider nicht berücksichtigten. Lassen Sie mich zunächst einmal einige Worte zur wunderbaren Architektur dieses Denkmals verlieren. In ordentlichem Abstand zu jener Stelle, an der der Schauspieler Tom Cruise uns vorspielte, wie das Jenseits als solches ohne Getöse betreten wird, steht dieses "tektonische Gerüst aus Stahlbetonfertigteilen", das den Ort der Trauer erzeugt.

*** Meine Damen und Herren, wie der große Dichter Deutobold Symbolizetti Allegorowitsch Mystifizinsky einmal schrieb, ist der katharrhalische oder Frostbeulenstil mit seiner Vorliebe für Hallen und Loggien ein Wesensmerkmal unserer Kultur. So treten die Fertigbauelemente germanischer Säulenkunst aufs Trefflichste mit den fünf Fahnenmasten in einen spannungsvollen Dialog. Eine zusätzliche Note erreicht dieser Dialog mit dem "wandartigen Schiebelement", das für die Einhaltung der Sicherheitsvorschriften sorgt. Auf diese Weise kann auch der gemeine gedenkende Bürger vor verschlossenen Toren stehen, gewissermaßen als Spielball des Elements. Bei offiziellen Trauerfeiern "öffnet sich die Anlage mit einer großen Geste", korrespondierend mit den Fahnen, die im Winde klirren. Die Lichtprojektion steht dann für bewährte militärische Ansprachen zur Verfügung.

*** Bleibt schließlich die Cella, ein "entmaterialisierter Raum" mit einem Stein aus Nagelfluh, der die einen an Beton erinnert, die anderen an die ordnungsgemäße Abführung nicht lesbarer Datenträger. So symbolisiert sich für den Besucher der Cella die Hoffnung, eines Tages möge ein Schwert im Stein stecken oder ein ordentliches Bandlaufwerk. Tritt er anschließend aus der Cella, so gewahrt er erst das Bronzekleid mit ausgestanzten Löchern, die die RFID-Chips signalisieren, mit denen tote Soldaten identifiziert werden. So wird ihm unaufdringlich bewusst, dass die Sicherheit Deutschlands nicht zu haben ist ohne die bestmögliche Überwachungstechnik. Niemals dürfen wir das eigene Lagebild vergessen. Es zeigt uns, dass wir Teil eines allgemeinen Gefahrenraumes sind. Lassen Sie mich zum Abschluss daran erinnern, dass es unter deutscher Flagge geschah, dass Europa sicherer wurde. Deutschland zeigte seinen Nachbarn den richtigen Weg in den Präventivstaat. Nicht von ungefähr passierte dies, als die Konstruktion und der Bau des Denkmals befohlen wurde, das einzuweihen ich die Ehre habe. Ich freue mich nun, die Anlage ihrer Bestimmung übergeben zu dürfen, indem ich die Steuerung der Wandelemente und mittels der Lichtbildprojektion die Namen der Toten zum Scrollen bringe. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit."

*** Der kleine frisierte Blick in die Zukunft lässt leicht vergessen, dass in dieser Woche nicht nur diskutiert wurde, wieviel Datensicherungs-Sicherheit man mit dem Gegenwert eines Kampfpanzers Leopard 2 kaufen kann. Er lässt auch fast vergessen, wie sicher Deutschland ist, gefährdet nur durch dumme, unfähige Politik und ansonsten kaum. Da Dummheit offenbar weiterhin grassiert, ist Deutschland gefährdet, so muss offenbar der Umkehrschluss lauten.

*** Es gab noch mehr in dieser Woche, etwa die Zustimmung der Arbeiter zu ihrer historischen Niederlage. Oder, wer unbedingt scharf auf die Zukunft ist, dem sei das iPhone empfohlen, das erste Telefon, auf dem sich Bill Gates verwählt hat. Der Messias ist da und heil, heil, heil wir sinken nieder, vom Glauben beseelt.

Was wird.

Nehmen wir einmal an, das alles nur ein schlechter Traum ist, aus dem wir schweißnass nachts erwachen und erleichtert feststellen, das alles nur ein Hirngespinst ist. Es gibt eben keinen Rollstuhl, sie alle zu knechten, sondern schlicht auch den gleichen gewöhnlichen Arbeitsplatzabbau wie bei der Telekom und bei Nokia Siemens. Wenn wirklich 10.000 Polizisten weniger nötig sind, dann sollte dies uns allen doch ein gutes Zeichen sein: Der Staat will sich entspannen, doch ob die Maschinerie abgezogen sein wird? Für die eifrig verfolgten Online-Durchsuchungen ist jedenfalls kein einziger Polizist nötig, ganz anders als vor Heiligendamm.

Gehört es noch zum Gestern oder ist es bereits die nächste Woche oder gar das Über-Übermorgen? Die GPLv3 ist draußen, ein Vertragswerk, das manche schon messianisch begrüßt haben wie das Jesus-Phone. Und am Ende, Brian? Doch wie war das bloß mit dem Unterschied der Befreiungsfront von Judäa und der Judäischen Befreiungsfront? Haben wir nicht alle die GPLv5 besonders lieb? Always look on the bright website of life, pfeiff, pfeiff.

Quelle : www.heise.de
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 15 Juli, 2007, 00:17
Was war.

*** Es gibt erhabene Weisheiten wie die Mathematik und ganz banale Wahrheiten. So unausweichlich die Hundehaufen in Berlin sind, so unausweichlich sind Journalistenpreise im Leben eines Journalisten. Weil heute die liebe Kollegin von der Huffington Post Geburtstag hat, zitiere ich doch gerne ihren Satz, natürlich in lokalisierter Form. Darum ist die vollkommenste Form der banalen Erhabenheit die Arbeit als Preisrichter, besonders bei DSDOT, Deutschland sucht den Online-Trojaner. Ich hoffe, ich mache es besser als Nina Hagen, die Preishexe bei "Popstars on Stage".

*** Dass ich Nina Hagen erwähne, hat natürlich mit dem ungleich bedeutsameren DSDOT zu tun. "Alles blau und weiß und grün und später nicht mehr wahr", diese Passage aus einem Demmlersong gehört zu den Dingen, die sommerlich beschwingt zum DSDOT eingereicht wurden. Passend dazu ein Video von hohem künstlerischen Rang, komplett mit Abstieg in den Untergrund. Angesichts zahlreicher Eingaben mit Wortspielen um die Begriffe "Schäuble", "2.0" und "Stasi" ist die Geschichte vom vergessenen Farbfilm preiswürdig. Denn grau ist alle Theorie und Praxis. Dies umso mehr, als ich für den ebenfalls vorgeschlagenen Song Outside of the Inside nichts Passendes gefunden habe, obwohl ich das Gugel wie der letzte Bankräuber gepeitscht habe.

*** Um es kurz und schmerzlos zu machen: Leider hatten alle eingereichten Vorschläge nicht das Zeug, Jörg Ziercke das Wasser zu reichen. Mit seinen knappen Sätzen zum Online-Trojaner verwies der Herr über Deutschlands Trojaner alle Mitbewerber auf die hinteren Plätze. 10 bis 20 mal im Jahr soll der Online-Trojaner in Form einer auf den Einzelfall bezogenen forensischen Software aktiv werden, mit handgeschnitztem Quellcode, der bei einem Gericht hinterlegt wird, ganz ohne Schadsoftware oder sonstiger Verbreitungssoftware, aber komplett mit einer Steuerungssoftware, die den Rechner nach Schlüsselbegriffe absucht. Die absolut preiswürdige Auskunft vom BKA-Chef Ziercke ist interessant, räumt sie doch gründlich mit dem sozialdemokratischen Irrglauben vom Kernbereich der privaten Lebensführung auf: Was Wiefelspütz in seinem Tagebuch über die intimen Erlebnisse der Wiefelspütze schreibt, wird ebenso durchsucht wie das Mashup aus Routenplaner, Bombenbau.pdf und Angriffs-Mapplets. Nicht uninteressant ist auch die Information, dass die vom Amt gecodete Software ohne Verbreitungsroutine auf den Computer kommt. Was ein echter Kriminaler ist, wissen wir mit Götz George, der schert sich nicht um Samt und Sitten beim Abhören, sondern klemmt seinem Gegner schnell den USB-Stick ins Ohr, ehe dieser auch nur Papp sagen kann. Nicht zu verachten ist auch der intelligente Staub, der sich auf einer folienpräparierten Arabisch-Tastatur die Passworte merkt. Schließlich geht es nach Ziercke nur darum, "vor der Verschlüsselung" auf der Festplatte zu sein. Ausgehend von der schlichten Annahme, dass der durchschnittliche Islamist egal ob unter Windows, Linux oder auf dem Mac einen Boot-Manager braucht, um eine arabische oder nicht-arabische Variante starten zu können, ist fixmbka die ideale Alternative zu fixmbr.

*** Die Software ist startklar, die technischen Hintergründe sind fest gezurrt, doch die politische Bedenken sind noch nicht endgültig weggenötigt. Bis anhin ist den Kabeln und sonstigen Dingen zu misstrauen, die so an einem Rechner hängen. Eigens für unseren kleinen DSOT-Wettbewerb hat der aufmerksame WWWW-Leser Hermann der User eine kleine Merkhilfe gezeichnet und mir zukommen lassen. Dem geneigten Feind staatlichen Unfugs zur geflissentlichen Beherzigung, wenn er aus dem Urlaub zurückkommt:

(http://www.heise.de/bilder/92702/0/0)
Hermann der User wundert sich ...

*** Der CDU-Politiker Jörg Schönbohm findet es undemokratisch, wenn die Pläne des Angstmach-Ministers dazu führen, dass Schäuble als "Amokläufer" dargestellt wird. Da haben wir noch Glück, dass Herr Schönbohm Meinungen nur undemokratisch nennt und nicht gleich kriminell. Zustimmen muss man dem Brandenburger: Der Fokus auf Wolfgang Schäuble ist schädlich. Wie wäre es zur Abwechslung mal mit Norbert Geis, der ohne Prozess internieren will? Wer dokumentiert diese Realitätsverschiebung eigentlich besser als Stuttmann, hier in einem großartigen wirren Link präsentiert? Natürlich hat die Dauer-Panik ihre positiven Seiten mit immer größeren Absatzmärkten, wie es der Bitkom auch dann noch betont, wenn das BKA die noch untaugliche Fahndungstechnik entsorgt. Terror ist unser Geschäft, freuen sich all die, die an dem Aufschwung durch Verunsicherung verdienen. Wie nachhaltig dabei die Industrie geschädigt wird, wird vattenfällig nach und nach sichtbar. Selbst honorig gemeinte eGovernement-Projekte wie die Bürgerportale stehen sofort unter dem Anfangsverdacht, ein Kandidat für DSDOT zu sein.

*** Möglicherweise sind Tocotronic ja wirklich die Propheten des deutschen Zeitgeistes, wie sie in den Feuilletons dieser Republik derzeit hochgejubelt werden. Während aber die Kulturschaffenden in den Tageszeitung meist etwas hinterherhinken, was jüngste Tanzmusik und verwandte Gebiete angeht, stattdessen lieber auf all die großväterlichen  Reunions abfahren und in joachimkaiselichen Kulturkritiken schwelgen, bewegen sich Tocotronic wirklich wie vom Feuilleton gelobt auf der Höhe der Zeit – da hilft es auch nicht, sich mit Grausen abwenden, wenn Aspekte die Band etwas altväterlich als "Rockmusik mit intelligenten Texten" lobt, als könne man nicht glauben, dass es sowas gibt. "Kapitulation" erscheint als der Soundtrack zur großen Koalition, in der ein Herr Wiefelspütz mit einem Herrn Bosbach Liebeleien über die innere Sicherheit austauscht. Hatte ich nicht schon erwähnt, dass die Wiefelspütze dieser Welt der letzte Grund sind, den es noch brauchte, um nie wieder SPD zu wählen? "Und wenn Du denkst, alles ist zum schrei'n, und so wie Du jetzt bist, willst Du überhaupt nicht sein, Kapitulation, oohoho ..."

*** Genug der Niederlagen. Oder? Nehmen wir einen Moment lang an, dass die elektronische Gesundheitskarte tatsächlich etwas mit unserer Gesundheit zu tun hat und nicht mit einem milliardenschweren Ausrüstungsgeschäft. Vor diesem Hintergrund erscheint es abwerwitzig, wenn mitten im Anlauf zu den großen Feldstudien mit Zehntausenden von Patienten die Frage gestellt wird, wie es um die Langzeitarchivierung medizinischer Daten bestellt ist. Jetzt wird die gute alte Technik der One Time Pads ausgepackt, die Daten so zu verschlüsseln, dass ein späteres Umschlüsseln eine einfache Sache sein wird. Auf DVD geliefert, sollen die Pad-Haufen in der Arztpraxis das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient absichern und die zögernde bis ablehnende Haltung der Ärzte wirksam austrocknen. Die Preisfrage: Wer erklärt den Ärzten die dreifache Verschlüsselung so, dass sie vor Begeisterung in ihr Stethoskop tuten? Oder was man so mit dem Ding halt macht.

Was wird.

Mit großem Gedöns und Getute sind die sieben neuen Weltwunder gefeiert worden, von denen sechs etwas älter sind und das Neueste eine alte religiöse Figur darstellt. Die Unesco knurrt ob der Unwissenschaftlichkeit der Publikumswahl. Sehr wenig Beachtung fand dagegen die Gegenwahl der Weltwunder eines schrumpfenden Planeten mit dem bemerkenswerten Starbucks in der Verbotenen Stadt. Wahrscheinlich ebenso nebensächlich ist die Tatsache, dass sich die Anmeldungen für erdumkreisende Hacker offenbar über den Erwartungen liegen und der Veranstalter nach größeren Fliegern suchen muss, die fahrplangerecht zum Sommercamping für Datenreisende landen können, das offenbar auf einer großen Blümchenwiese stattfindet. Hacken ist ja nicht mehr und der Farbfilm ist sowieso alle. Alles Blau und Grün und Weiß ist nicht mehr wahr. Was kommen wird, ist ein einziges großes Sommerrätsel.

Quelle : www.heise.de
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 22 Juli, 2007, 00:37
Was war.

*** Die Evolution ist eine feine Sache, wenn man zu den überlebenden Sauriern gehört. Beruhigt klappe ich meinen rostigen alten Thinkpad auf und mache mich an die Wochenschau. Mein letzter Desktop war ein Rechner mit OS/2, jenes hoffnungslose Gebirge im Land der trauernden Liebe, in das sich Harry Potter nun zurückzieht. Nein, nein, ich trage kein "Ich bin kein Schlussverräter"-T-Shirt, ich bin nur ein Unterverräter aus der IT-Welt, der den Tod der Eule Hedwig betrauert. Um wieviel Muggelbyte praktischer doch eine Eule im vergleich zur E-Mail ist! Hedwig wusste immer Harrys Aufenthaltsort, jeder Brief erreichte Harry ohne Routingprobleme, bar aller mysteriösen Anhänge wie zahlkung.pdf und rechenschaf.pdf. Hedwig vom Stamme der Weisheitsvögel wie die Eule der Minerva, die erkennt, dass eine Gestalt des Lebens alt geworden ist und eine Epoche zu Ende gegangen. Hedwig vom Stamm der Wappenvögel stürzt ganz Planegg in Trauer, während ihr Geist lautlos über die dunklen ewigen Jagdgründe fliegt, in denen die Augen niemals geschlossen werden. Wie mag Hedwigs "Karte des Herumtreibers" ausgesehen haben, mit der sie sich auf ihren Flügen durch Potterland orientierte? Wir wissen es nicht. Es ist Sommerzeit und Kartenzeit, Reisezeit für den Verstand und Körper. Ich aber sitze an einem lauen Sommerabend in der norddeutschen Tiefebene – Rauchschwaden von allzu verbranntem Grillgut quellen durch die Straßen der schönsten Stadt dieser Tiefebene, vom beginnenden Regen nur unzureichend gebändigt. Ja, genau: Es ist Zeit für das Sommerrätsel dieses Jahres, das ganz ohne GPS gelöst werden will. Wie in den vergangenen Jahres gibt's nix zu gewinnen, aber auch wie immer das gute Gefühl, mal wieder Recht behalten zu haben. In der ersten Folge geht es dieses Jahr ausschließlich um Karten, Lagepläne und was dergleichen mehr hilft, das Labyrinth des Alltags zu erobern.
So also dann gleich die erste Frage: Wie heißen die drei Länder, die an das Land der trauernden Liebe grenzen?

*** Verlassen wir das Land der trauernden Liebe und begeben uns in das Land des hellen Wahnsinns, in dem ein endloser Hick-Hack um Online-Durchsuchungen Newsticker wie Tageszeitungen füllt. Deutschland, ein Sommertheater, in dem "der, von dem man spricht" auf Schilys Spuren rollt. Kein Tag in der letzten Woche, an dem nicht die Unverzichtbarkeit der Online-Durchsuchung betont wurde. Diese Technik wird zu einem Dogma erklärt, zum heiligen Gral aller Sicherheitsanbeter und Staatsschützer. Das steht im krassen Kontrast zu den 7 bis 14 Fällen, in denen die sorgfältig auf den Einzelfall abgestimmte Technik laut Bundeskriminalamt jährlich zum Zuge kommen soll. Es passt aber bestens zur literarischen Sensation dieses Sommers.

(http://www.heise.de/bilder/93078/0/1)

 Insofern haftet dem leicht schrägen Aufruf, das Grundgesetz zu bestellen und an "den, von dem man spricht" zu schicken, eine gewisse Muggelichkeit an. Besser wäre es schon, mit Avada Imperio den Gegner zur Marionette zu machen.
Folgt Rattenfangfrage 2, passend zum Bild links (wie immer sind bei allen Bildern zum Sommerrätsel vergrößerte Ansichten durch einen Klick zu erreichen): In welcher Stadt wird die Arbeit der Online-Kartographen gerade ausgestellt?

*** Es gibt Zeitgenossen, die das Festkrallen und Verbeißen an der Online-Durchsuchung als Mittelchen belächeln, die Sauregurkenzeit mit etwas anderem als einem zünftigen Sommerrätsel zu überbrücken. Doch der Wahnsinn hat Methode, sagt Cass Sunstein in seinem neuen Buch über Die Gesetze der Angst, die Politiker wie Schäuble befolgen, statt in vernünftiger Weise Gefahren zu kalkulieren. Sie schwemmen das Vorsorgeprinzip als staatliche Kernaufgabe zu einem allseits eindringenden Überwachungshauch auf. Doch dieses Vorsorgeprinzip produziert unsinnige Schlussfolgerungen, wenn es auf eine Technik wie die Online-Durchsuchung angewendet wird: Eine Technologie muss erlaubt werden, wenn auch nur die geringste Vermutung da ist, dass sie Leben und Gesundheit eines Bürgers schützt. Umgekehrt muss eine Technologie verboten werden, wenn auch nur der geringste Verdacht besteht, dass sie den Bürgern schadet. Die aktuelle hysterische Politik bewirkt eine Spaltung, über deren Ausmaß sich die Politiker nicht im Klaren sind, weil sie nicht in den Foren lesen werden, die der kleine Verlag in der norddeutschen Tiefebene für seine furchtlosen Leser geöffnet hat:

(http://www.heise.de/bilder/93078/1/1)

 "Wenn verängstigte Menschen vor allem mit anderen verängstigten Menschen sprechen und einander zuhören, wird sich ihre Angst ganz unabhängig von der Realität vergrößern. Und wenn furchtlose Menschen miteinander über den ungerechtfertigten Eifer derjenigen herziehen, die sich über die Erderwärmung, Asbest oder Berufskrankheiten Sorgen machen, werden sie noch weniger Angst empfinden, selbst wenn die entsprechende Gefahr real ist."
Was uns zu Frage 3 führt: Norddeutsche Tiefebene? Aus welchem Jahr stammt diese Internet-Karte im Bild rechts, die das Angebot der schönsten Stadt der ebenen Welt zeigt?

*** Bekanntermaßen will das noch einzurichtende BOFH (Bundes-Online-Fahndung-Hauptamt) beim BKA den Quellcode bein zuständigen Richter hinterlegen, der den Durchsuchungsbefehl ausstellen muss. Wie die Argumentationen der Kriminalisten ausfallen, wenn sie einen Richter überzeugen wollen, wurde erstmals in den USA öffentlich (ein PDF dazu findet sich in der Tickermeldung verlinkt). Da wird wiederholt betont, wie streng man sich an die Gesetze hält und keinesfalls die Inhalte der Kommunikation mitschneidet. Es ist ein kleiner Vorgeschmack auf das, was bei uns in Deutschland veranlasst wird, damit natürlich der Kernbereich der privaten Lebensführung nicht mit grep befummelt wird. Schließlich sollen Liebesbriefe zwischen Mausi und Bärchen so privat bleiben wie der Briefwechsel zwischen Gesundheitsgen Horst Seehofer und einer Pauli.
Womit wir bei der vierten Frage im ersten Teil des diesjährigen Sommerrätsels angelangt wären: Katja Riemann und Ben Becker waren die deutschen Sprecher in einem sehr privaten Briefwechsel, in dem die Karten der Marshallinseln und der Londoner U-Bahn zusammengeschnitten wurden. Das bombenbauverdächtige Projekt trug welchen Namen?

*** Ich werde immr sentimental, wenn ich Zeugnisse einer Leidenschaft lese, die mein bescheidenes Input/Output-System bis an die Grenzen belasten. Ich bin halt grne allein. Natürlich hätte ich gerne eine Karte des Web 2.0, in dem alle zusammen und immer zusammen sind, in diese kleine Wochenschau aufgenommen. Leider sind die einschlägigen Karten aus Kleinbloggerdorf zu kommerziellen Nutzung gesperrt. Und die bittere Wahrheit ist, dass auch in der norddeutschen Tiefebene beim kleinen Verlag Kommrz 2.0 getrieben wird.

(http://www.heise.de/bilder/93078/2/1)

Daher ist Frage 5 die nach dem Webcomic, der nicht nur die Bloggerdörfer karikiert, sondern sogar IPv4 veranschaulichen kann.
Frage Nummer 6 folgt auf dem Fuße, denn diese Wochenschau hat eine strenge KB-Grenze: Im Bild links sehen wir Rettungsboote von Schiffbrüchigen kurz vor den "Inseln der Bedürfnisse", die sie sicherer ansteuern als die armen Menschen auf dem Weg nach Europa, von denen nur wenige von den sich fürchtenden Berichten erfasst werden. Wie heißt der Kontinent, zu dem die Rettungsboote streben?

*** Treue WWWW-Leser wissen, dass hier die Jubiläen begangen werden, auf die wahrscheinlich wieder kein Schwein guckt und bei denen selbst die eiligst von den gelehrten Blättern herangekarrten, natürlich kostenpflichtigen Experten gegen die die Dilettanten von der Wikipedia alt aussehen. Heute vor 125 Jahren wurde der Maler geboren, der sich zeitlebens weigerte Kinder zu malen (OK, in einem Bild gibt es einen Kinderwagen). Von 1913 bis 1867 lebte Edward Hopper in einer kleinen Wohnung und aß fast täglich in einem Diner, dessen Bild die fröhlichen Dilettanten zu einem der zentralen Bilder des vergangenen Jahrhunderts kürten. Hoffen wir mit allen Geschichtensüchtigen, dass das großartig angekündigte Projekt eines HamburgerVerlages, mit einestages Geschichte zu schreiben, funktioniert, die gequirlte Kacke der PR ignorierend: "einestages ist die journalistische Antwort von SPIEGEL ONLINE auf das Mitmach-Web und unterscheidet sich grundsätzlich von herkömmlichen User-Generated Content-Plattformen."
So bleibt uns Frage 7: Welches nicht unbedingt lesbare Magazin ist die kartografisch korrekte Antwort auf einestages?

*** Wo ein Geburtstag ist, darf ein Todestag nicht fehlen. In dieser Woche vor 20 Jahren starb Jörg Fauser, der einzige deutsche Schriftsteller, der die 68er beschrieb, wie sie waren, als durchgeknallte Maoisten und Betriebslinke, als Kampflesben und als feuilletonistische Fraktionäre eines drogensüchtigen Weltgeistes. Fauser hat nicht nur Charles Bukowski nach Deutschland gebracht, sondern auch Harry Gelb geschaffen, die Antwort auf Holden Caulfield.
Die nächste, achte Frage gilt darum einem Musiker, der mit Jörg Fauser zusammengearbeitet hat. Dazu zunächst das Video, das erstmals in Deutschland die Freuden von Paintball zeigte, ganz ohne frei drehende Herren, die in jedem Link den Teufel am Werk sehen. Zu welcher Insel ruderte der erwähnte Musiker, kartografisch gesehen? Hilfsweise darf das entsprechende Lied genannt werden.

Was wird.

Wird es wirklich noch Sommer, oder belästigen uns weiter subtropische Bedingungen mit schwülwarmem, verregneten Wetter? Wir sind hier zwar nicht beim Wetterbericht, aber das sind doch schließlich die einzig weltbewegenden Fragen. Kauf ich mir nun ein SUV und fahr ein paar Mal um den Block, um die schönste Stadt der norddeutschen Tiefebene noch schöner zu machen und ihr endlich tropische Palmenstrände am warmen Meer zu verschaffen? Oder bleib ich bei meinem Fahrrad, mit den Freuden des guten Gewissens belohnt, der Klimakatastrophe höchstpersönlich Einhalt geboten zu haben? Geschichte wird gemacht, jaja. Wir haben es ja so gut. Darum wird es besser werden, 115 wird die universale Rufnummer für deutsche Hausmeister werden, die jedwede verdächtigen Subjekte und natürlich auch die Fahrräder im Hausflur melden. Ade schöne Klimakatastrophenbekämpfung. Und wer immer ganz umsonst ein Triumpgeheul wie Prince anstimmt und seine Musik verschenkt, wird (natürlich kostenpflichtig im anständigen deutschen Feuilleton) fürchterlich schikaniert. Wo kommen wir denn hin, wenn jeder Musiker und jede Band so etwas macht?
Was ganz logisch Frage 9 ergibt: Wo ist der Ort, an dem Prince Roger Nelson, früher TAFKAP, heute TAKAPTAFKAP lebt? Ist er noch auf Planet Earth oder ist besagter Planet bei den Händlern gestrichen, die 3121-Koordinaten zum Teufel wünschen?

Es geht weiter. Flieger, zeig mir die Sonne, oder wahlweise Meckpomm. Zumindest laut dieser Flugroute, die ein Leser zu einem kommenden Ereignis im Forum veröffentlichte. Dort wird zwischen dem guten alten Ijon Tichy und Kapitän Janeway der Weltraumkommunismus diskutiert. Dagegen setze ich natürlich den Japhetismus und schließe mit der
Frage 10 nach der Karte des Gestirns, auf dem die Götterbauern siedelten. Nein, es ist nicht der Mond mit seinem Mare Crisium voller Bibeln.

Quelle : www.heise.de
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 23 Juli, 2007, 16:33
"Alles wird gut", schrieb Jörg Fauser im Jahre 1979, als er illusionlos die verpeilten 68er als Nachkriegs-Kriegsgewinnler portraitierte. Mit "All was well" endet der letzte Band von Harry Potter. Ja, jetzt bin ich doch der miese Schlussverräter. "All was well" und alles war gut, das provoziert doch die bange Kinderfrage "Kann jemals wieder alles gut werden?" Finden wir jemals zurück in den Tausend-Morgen-Wald, in dem ein Bär von beschränktem Verstand lebt? Wo ist Hogwarts geblieben? Die Antwort ist einfach: Es ist eine Frage des richtigen Kartenmaterials.

Was wirklich wahr war.

In diesem Sinne wurden die meisten Rätsel der ersten Sommernachts-Raterei gelöst, mit zauberischer Geschwindigkeit. Kaum war das WWWW online, wurde die Frage nach den Ländern beantwortet, die an das Land der trauernden Liebe angrenzen. Auf seiner phantastischen Landkarte platzierte Johann Gottlob Immanuel Breitkopf das Land der Lüste, das Gebiet der fixen Ideen und das Land der Jugend um die trauernde Liebe, wie online zu sehen ist in einem wunderbaren Blog der wunderlichsten Karten.

Doch hilft uns auch kein Weh und Ach, wir müssen weiter leiden. Die Online-Durchsuchung, eine Technik aus dem Land der fixen Ideen, wird uns diesen Sommer über begleiten, hartnäckig und ausdauernd und schwer beweisbar wie der Codeklau bei SCO. Im Bericht aus Berlin erklärte Kanzlerin Merkel die Online-Durchsuchung sogar zur Chefinnensache: "Ansonsten ist es wichtig, dass wir nicht überrascht werden von Bedrohungen, von denen wir uns wünschen, dass es sie nicht gibt, sondern den Bedrohungen einfach ins Auge sehen und uns vorbereiten. Deshalb auch die rechtlichen Grundlagen, z.B. bei der Online-Durchsuchung." Auf was bereitet uns die Online-Durchsuchung denn vor, wenn nicht auf die Tatsache, dass jede Festplatte potenziell terroristische Daten speichern kann?

(http://www.heise.de/bilder/93151/0/1)

 Die Rattenfängerfrage Nummer 2 zeigt darum zwar die Online-Kartographie der Rattenfängerstadt Hameln, wird aber derzeit in Münster im Erbdrostenhof ausgestellt. Dort zeigt Andreas Siekman seine sehenswerte Arbeit zur Trickle-Down-Theorie unter dem Titel "Der öffentliche Raum im Zeitalter seiner Privatisierung". Wie die neue Kartierung der Stadt durch Big Brother den Präventionsstaat produziert, wird in einer Art Wandfries gezeigt.

Während das Rätsel Nummer zwei ungelöst blieb, bereitete es mir ein besonderes Sonnagsvergnügen, den Soziologen Wolfgang Sofsky im Interview zu lesen, wie er die Freiheit vor Online-Durchsuchungen und anderen Widerwärtigkeiten betonte, die die Privatsphäre gefährden: "Ich glaube auch nicht, dass es so schwierig ist, sein Leben in Freiheit zu führen. Man kann jeden Augenblick damit anfangen. Man kann sich nicht damit herausreden, man habe es nicht anders gelernt ..." Schon eine kleine Demonstration kann Wunder wirken und anderen Mut geben, mitzumachen.

Das dritte Rätsel zeigt Hannover, diese wundervolle, manchmal grillrauchverpestete Stadt in der norddeutschen Tiefebene, allerdings auf einer Internet-Karte des Jahres 1994. Im WWWW gab es gerademal die Seiten der iX und ein paar Angebote der Universität. Schon 1995 sah das Bild ganz anders aus. Die kleine Kartenaufgabe wurde ebenso umstandslos gelöst wie Frage 4 nach "Griffin und Sabine", einem Werk des großen Nick Bantock. Eigentlich sollte an dieser Stelle die entsprechend poetische Karte der Londoner U-Bahn stehen, die Bantock gezeichnet hat, doch Platz ist kostbar und so sei noch einmal Sofsky zitiert: "Ich dachte beim Lob der Courage etwa an die Haltung einiger Briten, die nach den Anschlägen in London mit steifer Oberlippe sagten: 'Wir lassen uns von unserem Alltag nicht von den Terroristen abhalten.' Das hat nichts mit Heldentum zu tun. Man soll nicht blind durch die Gegend laufen, sondern sich umsehen. Und wenn da ein herrenloser Koffer steht, kann man sein Mobiltelefon benutzen und Ordnungskräfte darauf hinweisen. Im Bewusstsein der Gefahr muss man seinen Alltag leben."

Auch das Rätsel Nummer 5 bereitete den Web-2.0-kundigen Lesern keine Schwierigkeiten. Gefragt war die Karte des Web 2.0 und des kommenden Internets. Nachträglich machen die regen Geister der Netzpolitik auf eine Karte aufmerksam, die zeigt, wie einfach das mit den den Web-Trends ist. Dass es mit den Karten und Absichten nicht ganz so einfach ist, zeigten die zwei kleinen Rettungsboote im Meer des Marktes beim Rätsel Nummer 6.

(http://www.heise.de/bilder/93151/1/1)

 Sie sind auf dem Weg zum Kontinent der Lösungen. Die komplette schöne Karte verteilte das Haus Siemens anno 1996 auf der CeBIT Home. Damals meinte der Konzern, den Hafen der Erkenntnis anlaufen zu können, heute sitzt er eher in den Paddelbooten mit der Aufschrift Lean und Mean.

Bei Frage Nummer 7 sollte mangels Projektansicht von einestages die Zeitschrift Brand Eins geraten werden, ein ulkiges Jagdmagazin für Trendspürhundeführer und Agility-Fetischisten, das ebenfalls an der Brandswiete entstanden ist. Ich muss zugeben, dass die Frage weder besonders gut gestellt war noch orginell ist. So folgt die Strafe der Nichtbeantwortung auf dem Fuße. Zur Entschuldigung sei gesagt, dass Nummer 7 ein Notnagel war. An dieser Stelle sollten die Karten zur Überwachung des Schengen-Raums stehen, die der Kartenkünstler Philippe Rekacewicz derzeit auf der Documenta 12 in Kassel ausstellt. Leider bekamen wir keine Genehmigung, die Karten zu verwenden.

Möglicherweise hat Jörg Fauser auch Karten gezeichnet. Ganz sicher jedoch hat er mit Achim Reicheö "Blues in Blond" produziert. Im Link zum achten Rätsel wurde das wunderbar grottige "Love's a Murder" seiner Gruppe Wonderland gezeigt. Von da aus galt es, auf den Namen Achim Reichel zu kommen. Von da aus war es nur noch eine kleine Ruderpartie zur Insel Sansibar, die in dem Disko-Kracher "Aloha-he" angesteuert wird. Von da aus meint der durchschnittlich gebildete Deutsche, das Sansibar irgendwo bei Hawaii liegen sollte. Ausgerechnet die Insel, die für den Felsbrocken Helgoland weggetauscht wurde, der nun zum deutschen Guantánamo umgebaut werden soll. Selbstredend wurde auch dieses Rätsel gelöst.

Im Rätsel Nummer 9 wurde zwar nach dem Millennium Dome gefragt, in dem Prince 21 Tag lang für 31,21 englische Pfund Eintritt spielen will, doch überzeugte die Leserantwort Paisley Park die Jury gleich dreifach. Rätsel Nummer 10 gehört wiederum zu den misslungenen Rätseln, obwohl auch dieses Rätsel gelöst wurde. Doch nur eine Ausgabe von Alexandr Bogdanows utopischen Roman Der Rote Planet ziert eine Marskarte, der Rest ist mit den üblichen Illustrationen versehen, die man 1908 auf Lager hatte.

Doch das Sommerrätsel ist damit nicht vorbei. Schließlich ist das Sommerloch noch längst nicht gefüllt worden. In der nächsten Ausgabe ist die Hardware an der Reihe. Schön gestaltete Geräte wie das iPhone, die samt und sonders floppten, sollen im Mittelpunkt der kleinen Rätselei stehen. Alles wird gut.

Quelle : www.heise.de
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 29 Juli, 2007, 06:25
Was war.

*** Willkommen, Freunde des Sommerrätsels! Willkommen in der norddeutschen Tiefebene. Tja, so sieht ein geglückter, origineller Einstieg in eine Wochenschau aus. Hätte ich "Willkommen, Rätsel-Bataillone" geschrieben oder von den "Suchern des heiligen Grals der IT" gefabert, hätte sicher irgendwo ein kleines semantisches Aufpasserchen Alarm geschlagen und den Mitschnitt gestartet. Man muss es wirklich so sehen: die kleinste Bemerkung im WWW und noch die harmloseste Mail kann bombengefährlich sein. In Schleswig hat ein Prozess begonnen, der nach Aussagen aller beteiligten Pilotcharakter hat. Verhandelt wird auf der Basis von 512.000 Dateien, aus denen ein Stichwortsuchprogramm rund 300.000 Dateien belastendes Material gefischt hat. Die Dateien selbst wurden ganz ohne raffinierte Online-Durchsuchungsmethoden auf Festplatten gefunden oder via DSL mitgeschnitten. Das Besondere daran: Die Bildung einer terroristischen Vereinigung namens "Batallion von al-Habash" (das ist Arabisch für Abessinien, heute Äthiopien genannt) hat sich ausschließlich im virtuellen Raum abgespielt.
Frage 1: Was zeigt dieser Bildausschnitt für einen lustigen Spielcomputer?

(http://www.heise.de/bilder/93496/0/1)

*** Der Angeklagte, dem Journalisten dieses Verlages als sexuelle Müllabfuhr noch extra eine Gehässigkeit verpassen, soll auf der Basis von Chat-Protokollen dieses Bataillon mit zwei weiteren Personen gegründet und seine Logistik diskutiert haben. Was nach Aussagen des Anwalts "nicht einmal im Stadium eines Versuches" gewesen sein soll, mithin eine Reihe von Chats, das soll bereits die zentrale Straftat sein. Das große Sommertheaterthema Online-Durchsuchung lässt grüßen. "Wir müssen vor der Verschlüsselung auf der Festplatte sein", das geflügelte Wort des BKA-Chefs steht in Schleswig auf dem Prüfstand. Die Polizei war auf der Festplatte und lauschte am DSL-Anschluss, als diskutiert wurde. Wenn mit einer einfachen Stichwortsuche Recht gesprochen werden kann, ziehen neue Zeiten auf.
Frage 2: Wie heißt das Programm, mit dem das Bataillon von al-Habash aufgespürt wurde?

(http://www.heise.de/bilder/93496/1/1)

*** Bis dahin wühlen wir uns durch alte Zeiten, denn der zweite Teil des Sommerrätsels wartet. Im Feuilleton der Süddeutschen Zeitung, die Scherzkekse zum Qualitätsjournalismus rechnen, ist ein Artikel über Windows Vista erschienen, der in der gedruckten Fassung mit dem seltsamen Titel "Der Englebart-Altar" das erste halbe Rätsel liefert. Hat die Süddeutsche wirklich keinen Lektor, der den Namen von Douglas Engelbart nachschlagen kann? Ganz abgesehen davon, dass die These vom Memex, das teilweise an der Stagnation von Windows Vista Schuld sein soll, ziemlich gewagt ist. Aber es kommt noch steiler. Mit den Knochen von Vannevar Bush errichtete Douglas "Engle" Engelbart einen Altar, vor dem wir bis heute niedersinken und an den heiligen Norton beten, er möge uns die gelöschten Dateien widergeben.
Frage 3: Bei diesem formschönen Gebilde ist die Frage unweigerlich: Ist es Teil der sexuellen Müllabfuhr oder gar ein Tribut an den Meister? Was ist es?

(http://www.heise.de/bilder/93496/2/1)

 *** Immerhin ist so ein "Englebart-Altar" bei allem feuilletonistischen Halbwissen einem richtigen Guru gewidmet und nicht einer der Sorte von Altaren, die auf dem Metaphern-Müllhaufen der Politiker gezimmert werden. Es sind vollkommen merkbefreite Politiker, die davon schwadronieren, dass wir auf dem "Altar der Toleranz" ausbluten werden wie ein geschächtetes Tier, wenn wir es nicht zulassen, dass unsere sozialen Räume heimlich durchsucht werden dürfen. Zu einem richtigen Altar gehören heilige Sachen, die verehrt werden können und natürlich die Heiligengeschichten. Während Jesus auf dem Wasser ging, vollbrachte Engelbart etwas viel Schwierigeres: er demonstrierte die Zukunft ohne Powerpoint-Vorlage. Seitdem sind wir in seinem WIMP-Bann und können uns das Computern ohne Maus, grafische Oberfläche und Powerpoint nicht vorstellen.
Frage 4: Im Bildausschnitt ist ein Irrweg zu sehen, verfolgt von einer religösen Splittergruppe. Aus welchem Jahr stammt das Bild und wie nannte sich das System, das vergebens die Welt zu verändern suchte?

*** Es gibt natürlich noch ganz andere Theorien, die nicht Vannevar Bush und Douglas Engelbart oder Ada Lovelace dafür verantwortlich machen, dass wir heute in einem Computerstaat (Video) leben, der ohne Online-Durchsuchung in einer Orgie des Terrors versinkt. So hat ein bekannter Computertester und Journalist die steile These aufgestellt, dass der PC mit allen Folgen schlicht ein Drogenunfall ist, eine Folge von Pillen, die in falscher Reihenfolge eingeworfen wurden. Seitdem sind wir in einem Wahnsinn gefangen, aus dem wir nicht einmal mit Alt-F4 herauskommen.
Frage 5: Seine These verbreitete dieser Autor in einem Buch, das als Titel eine Zeile aus einem Lied zitiert, das vor vierzig Jahren ein Sommerhit wurde. Wie heißt die Droge, die die Band konsumierte und welcher EDV-Begriff verbindet sich heute mit dem Namen?

(http://www.heise.de/bilder/93496/3/1)

 *** Besagter Sommerhit endete übrigens in der Aufforderung, seinen Verstand zu gebrauchen, auch mit bewusstseinserweiternden Drogen. Damit sollte der Verstand geschärft werden. Die Methode hatte bekanntlich Erfolg: ohne LSD hätte es ein so erfolgreiches Unternehmen wie Apple niemals gegeben. Jetzt braucht Apple keine Drogen mehr, da reichen iPods und iPhones völlig aus, ein klitzekleines Strompatent inklusive. Auch Apple und sein leopardenartiges Betriebssystem opfert mit dummer Maus und schlichter Klickgrafik auf dem benamsten "Englebart-Altar", hat aber ab und an das bessere Design zu bieten.
Frage 6: Im Ausschnitt ist ein Rechner abgebildet, der von einem bekannten Apple-Designer gestaltet war und viele Preise einheimste. Dennoch floppte der Computer. Um welchen Rechner und welchen Designer handelt es sich?

*** Für meine Bemerkung über flatratetrinkende Kinder und den drogenverseuchten Radsport der Tour de France habe ich Kritik bekommen. Heute geht die Tour zu Ende, in der Doper und Lügner gezeigt haben, was sie alles im Köpfchen haben. Nach wie vor ist der Radsport bis in das Amateurlager eine ziemlich verseuchte Angelegenheit und schädlicher als Flatratetrinken. Aber warum Saufen. Es gibt doch die Pfadfinder und die feiern heute Geburtstag, weil heute vor 100 Jahren das erste englische Pfadfinderlager aufgebaut wurde. In Deutschland war man sogar etwas früher dran und machte später einen rechten Humbug aus dem Sippentum der Spurenleser und Kundschafter. Bezeichnenderweise ist der wichtigste Satz der Pfadfinder am Ende eines langen Pfadfinderlebens gefallen: "Versucht, die Welt ein bisschen besser zurückzulassen, als ihr sie vorgefunden habt." Ich habe schon einmal auf die kuriose Debatte verlinkt, mit der sich das Fähnlein Fieselschweif und die Freunde freier Software auf den gemeinsamen Nenner von be prepared/bit prepared einigen. Ob dafür die militante Grundhaltung beider Lager ausreicht, eine Bewegung für das nächste Jahrtausend zu bilden, ist schwer die Frage.
Frage 7: Gesucht wird ein deutscher Rechner, der als "Heimcomputer für das nächste Jahrtausend" beworben wurde, aber niemals erschien. Stattdessen erschien bei einem deutschen Plattenlabel eine Band mit dem Namen des Rechners und spielte zu Ehren von Gilles Deleuze, der die neue Art des Lesens propagierte.

(http://www.heise.de/bilder/93496/4/1)

 *** Im Kampf gegen den Terror feierte die britische Polizei nach versuchten Bombenanschlägen in Glasgow und London eine Reihe von schnellen Fahndungserfolgen im In- und Ausland, die auf die intelligente Videoüberwachung zurückgeführt wurden. Nun musste zumindest ein indischer Arzt in Australien nach peinlichen Fehlern frei gelassen werden. Die schlichte Tatsache, dass der Arzt mit einem in Glasgow verhafteten Mann verwandt ist und einmal in Großbritannien eine SIM-Karte verloren hatte, machte ihn zum Terroristen.
Frage 8: Das Bild ist ein Ausschnitt aus der intelligenten Videoüberwachung einer europäischen Großstadt, ein Tag vor dem Besuch unseres Bundespräsidenten. Es war sein erster Auslandbesuch in diesem Amt. Wie heißt die Stadt?

(http://www.heise.de/bilder/93496/5/1)

Was wird.

 Während das Sommerrätsel weiter geht, schlägt demnächst die Stunde der Besinnungsaufsätze. Das beliebte Thema der Feuilletonisten neben der unsäglichen Doofheit des Computers (und dem urbösen Internet im Computer) ist die Frage "Wo war ich, als Elvis Presley starb?" Da die meisten meiner Leser offenbar vor dem 17. August 1977 geboren wurden, möchte ich die Frage weiter reichen, ganz ohne Besinnungsaufsatz. In der Blogosphäre nennt man derartiges Tun "ein Stöckchen werfen". Schmeiß ich also einen Ast, damit nach den Sommerrätseln nicht nur das Sommertheater zur Online-Durchsuchung übrig bleibt, wo mittlerweile munter spekuliert wird, was BKA-Trojaner mit Computern machen, die mit einem Krankenhaus verbunden sind. Ja, das ist das schöne an diesen grauen Kisten. Auf der einen Seite sind sie Schrott auf dem Englebart-Altar der Fehlkonstruktionen, auf der anderen Seite laufen auf ihnen hochintelligente Suchprogramme, die galant den Kernbereich der privaten Lebensführung ausblenden, wenn sie etwa auf ein Fleisch-JPG stoßen.
Frage 9: So sieht es aus, wenn ein Computer mit dem Krankenhaus verbunden ist. Was zeigt das Bild?

Morgen knallen bei Microsoft die Sektkorken. Gefeiert wird ein Jubiläum, nämlich die bis heute wichtigste Firmenübernahme in der Geschichte des Unternehmens. Ein heutige weltbekannter Kryptologe gehört zu denen, die sicher nicht mitfeiern, ohne den es jedoch die Feier in dieser Form und mit diesem runden Jubiläum nicht geben würde.
Frage 10: Was wird bei Microsoft gefeiert und wie heißt der Mann, der nichts von der Party hat?

Bonusfrage: Und wo waren Sie, als Elvis starb?

Quelle : www.heise.de
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 30 Juli, 2007, 23:55
Niemand wird behaupten, dass der deutsche Sommer anno 2007 besonders heiß ist. Aber das macht auch nichts. Schließlich haben wir hitzige Debatten rund um die Online-Durchsuchung, betrieben von Politikern, die sich wechselseitig die völlige Ahnungslosigkeit attestieren und partout nicht in den Urlaub verschwinden wollen. Derweil lebt der Rest der Bevölkerung im "Gefahrenraum Deutschland" und bietet mit steifer Oberlippe der "über eine allgemeine abstrakte Gefahr hinausgehende Gefahrenlage" die Stirn. Sonnenbaden nennt man das.

Was wirklich wahr war.

Eine kleine, aber feine Minderheit tummelt sich unterdessen nicht nur am Baggersee oder auf der Linuxbierwanderung an der englischen Riviera, sondern in lauen Sommernächten im Heise-Forum, was entgegen anderslautender Meldungen gefahrlos möglich ist. Wieder einmal galt es, zehn aktuelle Rätselaufgaben zu lösen. Das Resultat kann sich sehen lassen: vier Rätsel hatten keine Chance und wurden stante pede geknackt, zwei weitere wurden zum größten Teil gelöst.

Ausgerechnet das, was die hyperthermischen Politiker beschäftigt, wurde jedoch nicht erraten. So beschäftigt sich das Oberlandesgericht in Schleswig mit einer halben Million Dateien, aus denen der Versuch rekonstruiert wurde, eine virtuelle terroristische Vereinigung zu gründen. Im ersten Rätsel wurde darum nach dem Forensik-Köfferchen mitsamt dem Solitaire Turbo von Logicube gefragt, mit dem viele deutsche Behörden arbeiten. Sind die Dateien einmal beweiskräftig gesichert, ohne dass ein Trojaner mit seinem üblen Versteckspiel Daten manipuliert hat, so geht es an die inhaltliche Erschließung. Erwähnt war die Stichwortsuche durch das Bundeskriminalamt, gefragt wurde in der zweiten Frage nach IDA, der inhaltlichen Datenträgerauswertung ( http://www.bka.de/kriminalwissenschaften/kiforum/kiforum2006_ida.pdf ), mit der das BKA arbeitet.

(http://www.heise.de/bilder/93573/0/0)
Windows for Pen Computing aus dem Jahre 1992 mitsamt dem NEC Ultralite 20

 Keine Chance hatte hingegen die hübsche Idee, eine phallische Maus auf "Engelbarts Altar" zu opfern, an dem Götzen WIMP geopfert wird. Frage Nummer drei suchte darum nach der vertikalen Anir-Maus, die von der norwegischen Firma Animax entwickelt wurde. Hingegen wurde die vierte Rätselaufgabe fast komplett, aber eben nicht ganz komplett gelöst. Gesucht wurde Windows for Pen Computing aus dem Jahre 1992 mitsamt dem NEC Ultralite 20. Sicherlich gehört der Rechner von Momenta zu dieser erfolglosen Geräteklasse, doch besaß dieser eine abnehmbare Tastatur.

Im Sommer 1967 war Jefferson Airplane mit dem Drogenhit White Rabbit in den Top Ten der US-Charts. Die letzte Strophe des Songs bildete die Grundlage für John Markoffs Buch What the Dormouse Said – How the 60s Counterculture Shaped the Personal Computer Industry. Wer Zeit und Lust hat, kann sich dieses Woodstock-Video reinziehen, zusammen mit der fruchtlosen Endlos-Diskussion, ob ganz zu Anfang wirklich Steve Jobs zu sehen ist. Für die wahren Büßer am Altar der Trashkultur ist dagegen diese Performance richtungsweisend, zusammen mit der tröstlichen Botschaft, dass der klügste aller Rechenschieber wieder in die Kinos kommt. Nicht geraten wurde übrigens die Droge STP oder Serenity, Tranquility an Peace, die Jefferson Airplane konsumierten, als der Song entstand. Als Straight Through Processing steht die Abkürzung für den heiligen Gral der Bankenbranche.

(http://www.heise.de/bilder/93573/1/0)
Trans AM von Pios

 Erraten wurde wiederum der Velo 1 von Philips in der Frage Nummer 6. Bis heute ist dieser kleine Taschenrechner unter Windows CE einer der Rechner, der die meisten Designpreise abräumen konnte. Dafür war er ökonomisch nicht sonderlich erfolgreich, ganz anders als das Powerbook von Apple, das ebenfalls von Lunar Design aufgehübscht wurde. Wenn es um das Design geht, so muss man dem Trans AM von Pios bescheinigen, dass er ein ausgesprochen hässlicher Amiga-Rechner für das nächste Jahrtausend war. Unter dem Slogan "Einer gegen Alle und für Jeden" wurde der Rechner 1997 vorgestellt und als "mächtiger Schlag gegen die Wintel-Welt" angepriesen, die in ihren Grundfesten erschüttert werde. Erschütternd waren aber nur die Bilanzen von Pios, das bald darauf Konkurs anmelden musste. Der Trans AM wurde ebensowenig geraten wie die gleichnamige Band.

Die schlichte Frage nach der am besten überwachten Stadt Europas erschien zu schwierig, da dies entgegen aller Annahmen nicht London ist. Dort sind viele der installierten Kameras technisch veraltet. Auf dem neuesten Stand ist man jedoch in Warschau, wie dies den deutschen Journalisten am Vorabend des Antrittsbesuches von Bundespräsident Köhler demonstriert wurde. Die Frage Nummer 8 bereitete der werten Leserschaft keine Probleme, ebenso das Ensemble aus VPN-Konnektor und diversen Kartenterminals bei der Frage 9, mit dem in diesem Sommer die ersten Online-Tests der elektronischen Gesundheitskarte gestartet werden.

Möglicherweise sind die falschen Antworten auf die zehnte Frage ein Indiz dafür, dass die Regulars im Heise-Forum nicht unbedingt Fans von Präsentationen und Konferenzen sind, auf denen Powerpoint-Jockeys mit ihren Folien zaubern, bis sich das weiße Kaninchen von Alice schwarz geärgert hat. Vor 20 Jahren kaufte Microsoft die Firma Forethought und ihr Produkt Powerpoint, von dem sich schon nach einem Jahr abzeichnete, dass es ein richtiger Knüller war, als Apple-Software. Die Idee zu diesem Präsentationsprogramm hatte jedoch Whitfield Diffie, von dem Robert Gaskins dann die weitere Entwicklung übernahm. Bis heute wird gerätselt, ob Powerpoint zu den Fortschritten der Menschheit gezählt werden darf. Ähnlich rätselhaft geht es hier weiter …

Quelle : www.heise.de
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 05 August, 2007, 00:28
404 – Was war nicht gefunden.

*** Hallo Fremder! Ich weiß, es ist hart. Du kommst den ganzen endlosen Weg im Web, du bist erschöpft und ausgebrannt und dann findest du nicht, was du gesucht hast. Keine Wochenschau der gesammelten Albernheiten dieser Branche, sondern schlicht ein 404.

Aber das Leben ist halt so, es ist ein einziger großer Strom von Slips. Eine kleine Enttäuschung folgt auf eine kleine Enttäuschung, auf die eine kleine Enttäuschung folgt. Ich dachte, du hättest dich längst dran gewöhnt, Fremder, aber dem ist wohl noch nicht so. 404. Du bist verloren an einem dunklen Ort, dem blinden Fleck des Web. Wenn ich du wäre, würde ich mich schreiend davon klicken, denn mit 404 kommen sie, all die deprimierten Server und nutzlosen Maschinen.
Wenn ich zu dir in Rätseln spreche, Fremder, sind es Sommerrätsel. Frage 1: Wie funktionierte die schönste nutzlose Maschine?

*** Das ist wie mit der Pfeife, die keine ist. Nirgendwo ist hier eine Pfeife oder eine Person, die in Lachen ausbricht. Hier ist schlicht 404, keine Betrachtung der universalen Dummheit, sondern frei nach Foucault eine große Müdigkeit und gezielte Stummheit – oder war das umgekehrt? 404 oder 404? Der Link ist tot, doch das Linken geht immer weiter. Als das erste WWWW erschien, hatte es gerade einmal einen Link. Nach dieser Logik müsste das heutige Jubiläums-WWWW 404 Links haben und mit dem vorletzten auf den kleinen, stickigen Raum 404 verweisen, in dem drei CERNornen alle Fäden verweben. Der letzte wäre dann das Ende.

*** Zu einem zünftigen 404er-Jubiläum hätte es gehört, weiß auf weiß zu schreiben. Das wird leider vom HTML-Checker des CMS verhindert, das seit Jahren meine Texte bunkert. Vielleicht sollte das Programm um einen DRML-Checker erweitert werden, der diese unsere Deutsche Realität prüft, in der der Zugang zu einer Bibliothek genauso verdächtig ist wie die Fähigkeit, intellektuell anspruchsvolle Texte zu verfassen.

(http://www.heise.de/bilder/93857/0/1)

 Da muss man nachgerade froh sein, als Kolumnist nur einfache satirische Texte schreiben zu müssen, die bar jeder Realitätsverschiebung sind. Ich kann nur einfach, oder um es mit fremden Federn zu schreiben: "Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: Sie hört nicht, was ich sage, und ich sage nicht, was sie hören will."
Womit wir bei der zweiten Frage wären (diesmal mit Bild, das wie immer bei einem Klick darauf eine vergrößerte Ansicht zutage fördert): Vergessen wir den HTML-Checker und erinnern uns, wie früher Texte auf toten Bäumen auftauchten, als Abstich auf Gänseblümchendruckern. Wie hieß der entsprechende Befehl?

*** Kein Jubiläum ohne Re – wir haben ja Zeit: Mit einem weinenden und noch einem weinenden Auge schaue ich aufs Konto: Kolumnen machen nicht reich. In den Spiegel: Kolumnen machen nicht schön. Auf Technorati: Berühmt ist was anderes. 6 Milliarden könnten das WWWW lesen, tun es aber einfach nicht. Im besten Fall machen Kolumnen satt, wenn man eine Scheibe WWW aufs Brot packen kann. Im Normalfall sollten sie nachdenklich machen, ganz abseits laufender Sommerrätsel: Sind es wirklich nur sechs Dinge, die ein Geek erledigen muss, bevor seine kalten, starren Finger vom Hackbrett gezerrt werden? Muss man nicht wenigstens einmal auf den Bungsberg oder Brocken gepilgert sein, einmal die c't gekündigt haben, um es sofort bitterlich zu bereuen? Und sollte man nicht wenigstens einen fehlerfrei laufenden Apachen der Nachwelt hinterlassen? Wenigstens einmal bei 101010 nicht an 42 denken?
Unausweislich daher die dritte Frage: Tja, 42 ist unsterblich, wir nicht. Welche Antwort ist solcher Art, dass einem der Gegenstand der Frage genommen wird?

(http://www.heise.de/bilder/93857/1/1)

 *** Zur Frage, was Geeks wenigstens einmal in ihrem Leben machen sollen, gehört natürlich die Konstruktion einer besonders geekigen Maschine, das Schreiben eines sinnlosen Programmes oder auch nur einer einfachen Bastelanleitung für den kommenden Überwachungsstaat, in dem alle Menschen getaggt sind.
Damit erschließt sich ganz logisch die vierte Frage: Mit Testament schrieb Douglas Rushkoff einen Comic über ein Amerika, in dem alle jungen Menschen per RFID überwacht werden. Der Bildausschnitt rechts zeigt die Karte der Überwacher. Welcher Geek wird gesucht?

*** Derzeit ist ein geekiges Projekt in der schönsten Stadt der Welt, naja, ähem, in der größten Stadt der norddeutschen Tiefebene ausgestellt.
Aus Anhänglichkeit daher Frage 5: Wie heißt das Projekt?

*** Treue Stammleser erinnern sich noch an den Wettbewerb DSDOT, Deutschland sucht den Online-Trojaner, der vor Äonen, nämlich im vierhundertsten WWWW ausgerufen wurde. Nun stellt sich heraus, dass der schnelle Trojaner, der bei Gefahr im Verzug auf die Rechner des Gefährders hüpft, immer bereit, die Passworte des Gefährders zu verraten, als Offline-Gauner heraus. Die Techniker vom Bundeskriminalamt haben offenbar zuviel Lemmy Caution gesehen und wollen es genauso machen, wie in meiner Lieblingslektüre vorgeschlagen: Zunächst ein kleiner Einbruch im Zeichen des Großen Lauschangriffes, um die Festplatten heimlich mit den Logicube-Mitteln zu kopieren, die niemand im vorherigen Teil des Sommerrätsels erriet, dann die Analyse und Programmierung eines maßgeschneiderten Überwacherlis, der wiederum nach einem zweiten Einbruch heimlich in die Rechner gepfriemelt wird, wobei gleich einmal deren Firewalls ausgeknipst werden. Das von einer Computerzeitung völlig kritiklos geschilderte Verfahren einer Remote Forensic Software mag vielleicht rein theoretisch auf technischer Ebene funktionieren, ist aber für die vom Bundesinnenminister angemahnte schnelle Reaktion bei einer terroristischen Gefahr völlig unbrauchbar – ganz abgesehen von der fast schon lächerlichen Ignoranz gegenüber jedweden verfassungsrechtlich verankerten Grundrechten.
In diesem Link zeigt die Firma M.S.C Sicherheits- und Aufsperrtechnik, was alles zum großen Lauschangriff gehört. Daher Frage 6: Was ändert die Remote Forensic Software?

*** Unwichtige Details wie die Nutzung von USB-Sticks etwa durch den Mörder des niederländischen Regisseurs Theo van Gogh lassen wir mal beiseite. Bleibt die seltsame Konstruktion vom Richterband, die auch für die angezapften Festplatten gelten soll. Damit ist keine Rockgruppe gemeint, sondern ein Jurist mit guten Kenntnissen in Arabisch und Türkisch, der sich durch die geknackten Verzeichnisse und Dateien klickt. Cogitationis poenam nemo patitur wird es wohl auch bei uns bald heißen müssen.
Keine Frage ist, dass mit den angedachten Polizeimethoden Verschlüsseln zur Bürgerpflicht wird. Bleibt die Frage 7, wie ein Macrodot funktioniert.

*** In Zukunft will sich das Bundeskriminalamt heimlich, still und leise über Festplatten hermachen, um terroristische Beweise zu sichern. Früher ging das anders. Da brach man in die Wohnungen von Fotografen und stahl die Abzüge und Negative. Was bleibt, wenn die Welt der Wörter und der Bilder zusammenbricht und nicht nur eine Gitarre zertrümmert wird, davon erzählte Michelangelo Antonioni in bezaubernden Geschichten wie Blow Up. Nun ist Antonioni gestorben, zusammen mit Ingmar Bergmann. Kaum zu glauben, dass das Kino, diese Kunst, die beide prägten, schlappe 100 Jahre alt ist. Derweil macht der Beruf:Journalist in Deutschland wieder einmal klar, dass diese Demokratie schlappe 58 Jahre alt ist. In einem absolut sinnlosen Verfahren sind, ermächtigt durch den Bundestagspräsidenten Lammert, 17 Journalisten angeklagt, Beihilfe zum Geheimnisverrat geleistet zu haben. Die politische Einschüchterung empört die Journalisten, die gerne ein großes Gewese um ihren Job machen.
Keinen Gedanken haben und ihn ausdrücken können, das zeichnet nach Karl Kraus den Journalisten aus. Was Frage 8 ergibt: Was ist 2,2?

404 - Was nicht wird.

(http://www.heise.de/bilder/93857/2/1)

 Während die einen Hacker sich an einem Rettungsflug für eine Raumstation versuchen, auf der ganz legal gesoffen werden kann, packen die anderen ihre traditionellen Pesthörnchen-Wimpel zum Camp des Fähnlein Fieser Schweiß aus den Schränken. Bei der Lektüre zum Bionic Man nicht an die getaggten Kinder aus dem SciFi-Comic zu denken, ist nicht einfach.
Womit wir bei der neunten Frage wären: Wieviele Deutsche wollen sich einen Chip ins Hirn pflanzen lassen?

Wichtiger ist jedoch, dass die Vorbereitungen zur Berliner Funkausstellung angelaufen sind, die überaus erfolgreich werden soll, komplett mit einem neuen begeisternden Standard namens Full Heavy Dose Guckn.
Was Frage 10 ergibt: Was zeigt der Ausschnitt eines Messebildes, der im Bild links zu sehen ist, und aus welchen Jahr datiert er?

Und, nicht vergessen, Fremder, es gibt noch eine Bonusfrage: Wo warst du, als Elvis starb?

Quelle : www.heise.de
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 07 August, 2007, 12:02
Das Sommerrätsel krankt daran, dass wirklich Sommer ist. Das Wetter bringt es mit sich, dass der nette Verlag in der norddeutschen Tiefebene alle Reisekosten eingesackt hat und die Produzenten radeln lässt. So korrespondiert die Unlust der Leser, sich mit ein paar Rätseln zu beschäftigen mit den Abenteuern des Kolumnisten auf "Fernradwegen", die sich unversehens in Schlaglochhöllen verwandeln. Weitab von von der schönen Stadt Hannover, durch die der Grillschwadenmief zieht, ist das Internet offenbar in nämlichen Schlaglöchern versackt.

Was wirklich wahr war.

Bis auf Frage Nummer 10 mit der ausgesprochen glücklosen Videotelefonie von AT&T aus dem Jahre 1964 (siehe das Bild rechts) und dem Rätsel Nummer 4, in dem der Performance-Künstler Genesis P-Orridge gesucht wurde, blieben die Fragen ohne rechte Antwort. Vielleicht waren sie einfach nicht sommerlich genug.

(http://www.heise.de/bilder/93960/0/1)

Die schönste nutzlose Maschine ist jedenfalls kein Server, der 404er ohne Ende produziert. So etwas weist eher auf friedlich schnarchende Admins oder schnarchend faule Web-Admins hin. Die schönste Maschine wurde von dem Mann konzipiert, dem wir die schöne Einheit Shannon verdanken. Es ist ein Knopf, der beim Drücken eine Hand veranlasst, den Knopf wieder zu drücken und den Prozess zu beenden. Bei Frage 2 waren nicht Print oder Lprint gefragt, sondern ausgehend von dem altehrwürdigen Runoff-Befehl die diversen Formatierer vom roff-Stammbaum, die nicht wie troff einen Belichter steuern, sondern einen Typenraddrucker. Ob eroff, diroff, groff oder gar awf und cawf das Rennen gemacht hätte?

Eine schöne Antwort gab es auf die Frage 3 nach der Antwort, die den Gegenstand der Frage einschließt. Gemeint war die Duplik, ein Begriff aus dem Minenfeld der Juristerei, doch das hundsgemeine "schläfst du schon?" gehört zu den Sätzen, die eine Duplik locker toppen.

Der gechippte Performance-Künstler von Nummer 4 wurde ja erraten, nicht aber die verwandte Frage Nummer 9: Erstaunlicherweise möchte jeder fünfte Bundesbürger auch einen Chip im Gehirn haben, wenn sich dadurch die Hirnleistung verbessern lässt. Wir müssen dabei der Körber-Stiftung und ihrem deutschen Studienpreis dankbar sein, dass sie nicht nach der Sex-Leistung fragte. Für die richtige Potenz-Stimulation könnten ganze Motherboards verpflanzt werden.

Anders als bei Sex gibt es bei Hannover ein Akzeptanzproblem, trotz Frage 5. Doch in dieser wunderschönen Stadt läuft gerade die Ausstellung "Made in Germany" mit dem Bitfall benamsten System, das Schlüsselworte aus dem Web in Tröpfchenform verschimmen lässt. Wer lange genug in den Regenschleier starrt, wird Viagra finden. Auch Britney tauchte schon auf, nur die Heise-Foren nocht nicht.

Frage 6 wollte wissen, was die Remote Forensic Software im Vergleich zum Großen Lauschangriff ändert. Realistische Antwort: Gar nichts. Was dieses Vorgehen mit der schnellen Reaktion auf Gefahrenslagen zu tun hat, muss das BKA noch erklären. Wer unbeobachtet ein paar hundert Gigabyte forensisch sicher speichern will, sollte erfahrene Anästhesisten in seinem Einsatzkommando haben. Bei Frage 7 nach dem Macrodot ließ sich der Kolumnist von den Codebreakers inspirieren, jenem Werk, das unser Bundesinnenminister unbedingt in seinen Ferien lesen sollte, ehe das Sommertheater mit den Online-Durchsuchungen zur Herbstzeitlose wird. Die korrekte Antwort ist jedenfalls Histieuos (in verschiedenen Schreibweisen bei Kahn), jener antike Verschlüsselungsspezialist, der Nachrichten auf die kahlgeschorenen Köpfe seiner Sklaven schrieb. Wenn die Haare wieder gewachsen waren, wurden sie auf die Reise geschickt.

Die letzte unbeantwortete Frage war schwer zu googeln: 2,2 ist die Antwort auf den Vertrauensindex diverser Berufe, in diesem Fall für den der Journalisten. Noch liegen wir vor den Politikern, das ist doch was. Dafür strampeln sich die Befüller dieser kleinen Website noch mehr ab. Versprochen.

Quelle : www.heise.de
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 12 August, 2007, 00:12
Was war.

*** Ja, ja, die Guten sterben alle jung, und ich bin ein alter Sack. Aber bevor ich mir wie Amy Winehouse das Hirn wegdroge und an Unterernähung sterbe, lege ich lieber noch einmal "Back to Black" auf und warte, was all die Terror- und Cybercrime-Bekämpfer mit mir denn noch so vorhaben. Wenn schon Lörrach unter Wasser steht, ist alles möglich, auch, dass Proteste und Verfassungsklagen gegen einen doch schon vollständig durchgeplanten Präventionsstaat helfen. Oder, sagen wir es so: Lieber mit Amy Winehouse untergehen als mit Joss Stone auf dem Lady-Di-Gedenkkonzert feiern.

*** 405 – "Method not allowed" – nicht nur Amy Winehouse, auch mich hat der Alltag wieder, die große 404er-Party ist vorbei. Es gibt so viele Methoden und Dinge, die nicht erlaubt sind, wie der Besitz von Hacker-Tools oder Karies. Dann gibt es Methoden, die zwar erlaubt sind, aber selten gepflegt werden. Mancher mag jetzt gleich an die Methode denke, Musik online auch ohne DRM zu verkaufen – aber da sind Herren wie die Chefs von Universal vor, die erst einmal ausgedehnte irre Tests machen müssen, bevor sie sich an ihre Kunden herantrauen. Aber eigentlich meine ich etwas anderes, denn zu diesen Methoden gehört auch der investigative Journalismus. Da ist zum Beispiel dieses erstaunliche Sommercamp der deutschen Hackerszene. Zu ihm ist eine junge Österreicherin mit 26 Jungs angereist. Prompt knacken die Computer-Freaks Netzwerke und Herzen. So schön es ist, dass Hacker flirten können, so seltsam wirkt das Image vom CCC als Swingerclub.

*** So gehen sie hin, die Illusionen nicht nur vom Super-Sommer 2007, der ganz ohne WM die Bundesbürgern mit Sonne, Wärme und anderen Annehmlichkeiten erfreut, sondern auch von den freien Datenreisenden, die für einen kleinen Rabatt die Payback-Karte zücken. Dabei muss man sich das Sommercamp als lustiges Fest vorstellen, auf dem sich die Stämme in Dörfern organisieren, einander besuchen und kräftig feiern. Beim Spaß am Gerät ist selbiges vor allem eine Bierflasche. Frühmorgens hüpfen dann junge Hacker mit Abi-07-Shirt durchs Hackcenter und sammeln eifrig alle Flaschen auf, um mit dem Pfand von 50 Cent ihre kargen Reisekassen aufzubessern. Frühmorgens ist noch wenig los an den Tischen. Ab 8 Uhr sitzt ein 10-Jähriger da und spielt World of Warcraft, den ganzen Tag hindurch. Um ein Uhr in der Frühe kommt dann der Hackervater und holt den Jungen ab. Er ist ganz ohne Muttizettel auf dem Gelände.

*** Muttizettel dürfte es bald bei SchülerVZ geben, einer Website der Firma Holtzbrinck, die absolut kein Fettnäpfchen auslassen will. Nach der Produktion von gewollt menschenverachtendenen Werbefilmen versucht man es mit der ziemlich schwachen Nummer, völlig unbeteiligte Webseiten abzumahnen. Wie frisch und ehrlich dagegen das Geständnis, eine möglichst kontroverse Diskussion zu starten. Tja, Life is Live, sangen einstmals nicht nur die von mir verlinkten Opus, sondern passenderweise auch Laibach. Ein Medienkonzern, der sich gründlich verrennt, das hat man seit den Hitler-Tagebüchern nicht mehr erlebt. Nennen wir es Verrannt 2.0. Wenigstens muss die deutsche Geschichte nicht in großen Teilen umgeschrieben werden, was Leute bedauern werden, die "das Kampfblatt der Vernetzungsbewegung Europas" herausgegeben haben, komplett mit einem Bericht zum Geburtstag des Grödaz.

*** Überhaupt produzieren die Medien-Bobos wundersame Sachen, in heller Panik vor dem komischen Internet. Da ist Universal Music mit dem schon erwähnten seltsamsten "Tests" der jüngsten Zeit. Ein halbes Jahr lang soll es unverseuchte Songs geben und keinen Tag länger. Braucht man ein halbes Jahr zu diesem Test? Warum nicht gut christlich sieben Tage? In dieser Zeit, Ruhetag inklusive, erschuf G^tt die Erde, ganz ohne diesen Darwin. Sieben Tage lang will die ARD ihre Inhalte in einem ARD Medienportal frei online zur Verfügung stellen, danach wandern sie ab ins Archiv. Wer einmal mit dem deutschen Rundfunkarchiv zu tun hatte, weiß, dass Gotteskräfte nicht ausreichen, die Inhalte dort zu heben. In der Camp-Diskussion der ARD-Vertreterin mit ihren Online-Kunden kamen auch die großen Fragen der Menschheit zur Sprache: Wer hat keinen Fernseher mehr? Große Mehrheit. Und bei der ARD ist die Nachricht angekommen, dass sich die Welt verändert hat. In sieben Tagen oder so.

*** Heute vor 140 Jahren wurde Edith Hamilton in Dresden geboten. Auf Deutsch ist von ihr nur die Nacherzählung der klassischen Mythen erschienen, nicht jedoch "The Greek Way" und "The Roman Way", eine Form der Geschichtsschreibung, die einstmals alle Amerikaner in ihrem ersten Jahr auf der High School lesen mussten. Ausnahmslos alle großen Autoren von erfolgreichen amerikanischen TV-Serien haben ihr Handwerk bei Hamilton gelernt, Doch was soll das Lob? Wir haben ja Guido Knopp, der die Geschichte neu schreibt, bis man nicht mehr weiß, ob Bismarck ein Heringszüchter war oder ein Kornbrenner.

*** Wer vergisst, ist verdammt, die Geschichte zu wiederholen, könnte man George Orwell zusammenfassen. Wer vergessen lassen will, muss nur das Informationsfreiheitsgesetz eng wie einen Stützstrumpf auslegen. Diese einfache Lektion hat die aktuelle Regierung gut gelernt. Den neuen Anlauf, die Mautverträge einzusehen ignoriert ein Tiefensee gelassen. Gleichzeitig gibt man sich entrüstet, dass Toll Collect auf Schadensersatz klagt. Zur Erinnerung: Das ist die Firma, die den Start des Maut-Systems vollkommen vergeigte. Über den Schadensersatz an den Bund verhandeln immer noch Schlichter. Wenn beide Parteien Schadensersatz fordern, soll das Interesse an den Mautverträgen künstlich geschürt sein? Müssen wir erst darauf warten, dass Guido Knopp die geheimen Maut-Verträge verfilmt? Mit Kim "Kimble" Schmitz in der Rolle des Projektmanagers? Da lassen wir uns doch lieber im überschwemmten Lörrach zu den Klängen von Amy Winehouse beerdigen.

Was wird.

Es gibt seriöse und weniger seriöse Angebote in den Weiten des Netzes. Zu den seriöseren gehört der Ankauf von Bauanleitungen für Antigravitationsmaschinen, komplett mit der Idee, die Funktionsweise einer solchen Maschine im August als Weihnachtsvorlesung zu präsentieren. Method not allowed? Von wegen: Satte 100.000 Volt Gleichspannung sind für das Antigravitationsfahrzeug notwendig, dessen Baupläne Studenten der Uni Hannover und des Max-Planck-Instituts für Gravitationsphysik ersteigert hatten. Am 15. August kann man bei Sat1 gucken, wie der ersteigerte Bauplan umgesetzt wurde. Um es mit Einstein zu sagen: Das Problem ist wichtiger als die Lösung.

Ich bin ein Befürworter eiserner Prinzipien. Sie krachen so schön, wenn man sie weg wirft: Über SCO wollte ich an dieser Stelle keine Worte mehr verlieren und schon gar nicht den großen Shakespeare plündern. Nun aber hat die Firma einen juristischen Fangschuss der Extraklasse kassiert. Nicht ausgeschlossen ist, dass das Ende der unendlichen Geschichte bald in Sicht kommt. Da muss Shakespeare ran, aber in einer potterisierten Version, die Darl McBride versteht: "The ghost broke off and let out an anguished wail. 'Oh God!' It was too much for Hamlet."

Auch zum Bundestrojaner wollte die Wochenschau eisern schweigen. Passati tempi: Was muss das für ein mächtiges Programm sein, wenn die sonst so gefürchteten Hacker in ihrem Camp nur von zwei Streifenpolizisten auf der Suche nach ihrer Bulette im Camp auftauchen und alles andere bequem online oder remoteforensisch bearbeitet werden kann? Ähnlich traditionell wie die Sommercamperei ist die Sommerakademie der Datenschützer, nur ohne Zelten und bulettensuchende Polizisten. Die spielen nur in einer kleinen Jazz-Combo auf, während Jörg Ziercke, der oberste Polizist Deutschlands, dem interessierten Publikum erklärt, wie das gehen soll mit dem Anschleichen und Verwanzen. Die Frage, ob eine offene Kommunikationsgesellschaft nicht im Widerspruch zur Terrorbekämpfung steht, ist freilich komisch gestellt. Vielleicht sollte man hier den modernen Shakespeare zitieren? Oder lieber – Method allowed – die Peanuts von Charles Bukowski? It began as a mistake.

Quelle : www.heise.de
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 19 August, 2007, 07:03
Was war.

*** 404 ist vorüber, die Sommerrätsel haben sich verflüchtigt wie der Sommr. Wer jetzt kein Haus baut, beschäftigt sich allein mit den Rätseln des Alltags: Deutsche Dinge wie die "freiwillige Wehrpflicht" und die Vernachrichtendienstlichung wollen nicht nur fehlerfrei ausgesprochen, sondern auch verstanden werden,

*** Doch erst einmal harrt die Bonusfrage des Sommerrätsels ihrer Lösung. Wo warst Du, als Elvis starb? Mein Redakteur lag beispielsweise in einem Krankenhaus nach einem Fahrradunfall, mit zerschundenen Gelenken, und las Marxens "Die deutsche Ideologie". Ein Heise-Leser namens MeinFreund wurde an diesem Tag geboren. Und Leon hielt seine unsterbliche Rede in der Disco, aufgeschrieben von Tony Parsons in "Als wir unsterblich waren": Die Punks, die vom verfetteten Elvis angewidert waren, wussten um seine Größe.

"Das war wie Apartheid, bevor Elvis kam. Musik war vorher wie ein einziges verdammtes Riesensüdafrika. Weiße Radiosender. Schwarze Radiosender. Musik, jede Art von Musik, war in ein Ghetto gesperrt. Elvis hat die Musik da rausgeholt, er hat uns verdammt noch mal befreit, Mann!"

*** Und hier ist nun leider ein kurzes Innehalten notwendig, in Gedenken an einen anderen, der vielleicht nicht mich, aber die Musik befreit hat. Der der Musik einen ganz neuen Rhythmus, einen neuen Beat schenkte, der befreite, ohne den der Bebop nichts gewesen wäre. Max Roach starb am Donnerstag, der Drummer des Bebop und der Befreiung. Wir bestehen darauf, wir verlangen es: Freiheit jetzt! trommelte er dem Amerika der 60er Jahre die Botschaft der Bürgerrechtsbewegung ins Gewissen. Der "Herzschrittmacher des Jazz" sollte uns noch viele Freiheitstage bringen.

*** So mögen wir uns in 30 Jahren erinnern, wo wir waren, als Max Roach starb. Als Elvis starb aber, da arbeitete ich in den Semesterferien als "Hand" an der Schleusentreppe Carl Johan am Götakanal. Im Jahre 1977 waren die sieben Schleusen in Berg noch in Handarbeit zu bedienen und besonders ältere Skipper heuerten uns Studenten an, die die Maloche übernahmen, während sie an Bord blieben. Es gab sicher besser bezahlte Ferienjobs, aber kaum einen, der so weitab der hitzigen Diskussionen in den Sympathisantenzirkeln der politischen Gefangenen (vulgo RAF) lag, in denen damals die Fetzen flogen. Vom Tod des Kings hatte ich nichts gehört, bis ich ein Schiff mit einem älteren Ehepaar bekam, das Rotz und Wasser heulte und dabei teuren Fusel trank wie andere Tri-Top. Ein Professorenpaar war's und der Mann brabbelte abwechselnd von Elvis und Adorno. Später habe ich sie nachgeschlagen, Adornos Reaktion auf Elvis:

"Die Kulturindustrie Amerikas hat eine ungeheure Macht; sie verödet und korrumpiert nicht nur die Empfindungswelt des amerikanischen Volkes, sondern sie droht auch die Kulturen anderer Völker mit ihrem Schmutz zu überschwemmen. Durch die Massenproduktion von Schund und Kitsch wird sie zum gefährlichsten Feind des kulturellen Forschrittts auf der ganzen Welt. Um sich gegen sie wehren zu können, muss man ihre Gefährlichkeit begreifen."

*** Wie korrumpierend dieser Schund und Kitsch ist, kann man mit dem finnischen Dr. Ammondt begreifen, der Elvis-Songs auf Latein oder Sumerisch singt. Tote Sprachen für tote Sänger! Wie es der blinde Uhrmacher will, haben Heise-Leser in dieser Woche mal aufgeschrieben, was sie fünf Jahre später mit der ersten CD hörten. Eine beachtliche Auswahl, samt akzeptierter Entschuldigung für den Ausrutscher Mötley Crüe.

*** Aber was sind schon Schund und Kitsch, was ist gar schon der Tod, wenn die Singularität naht – verstanden als der Punkt, an dem Supercomputer wie der in einer Kirche installierte Mare Nostrum unser aller Schicksal lenken? Zu ihr hat ein anderer Kolumnist ein paar lustige Gedanken veröffentlicht, wie man die drohende Unsterblichkeit vermeiden kann und über jenen Raymond Kurzweil, der mit allen Mitteln überleben und in der Singularität aufgehen möchte. Wird es diese kleine Wochenschau aus der norddeutschen Tiefebene ewig geben wie das ewige Genörgel darüber, wie laaaangweilig das WWWW mal wieder ist? Das KI-Programm Hal Faber, gefüttert von seinen Lesern, das nicht länger aus der norddeutschen Tiefebene kommt, sondern aus einem holographischen Speicher, der jedweden Datenvandalismus überstanden hat und etwas bramabasiert, was andere Holo-Speicher dann als Copy-Test nutzen.

*** Zellhaufen oder Bytehaufen, das ist die Frage, die sich dem Prinzen von Dänemark stellte. Aktuell stellt sie sich vielleicht der Prinzessin von Norwegen die sich auf das Engel-Dating verlegt hat, komplett mit Himmelhochjauchzen. OK, ich mag befangen sein: Engel kenne ich nur als Datenbankavatare und Helpdesk aus dem Film Enthüllung, mit dem mir das ZDF gerade Konkurrenz macht. He, nicht wegschalten! Funktionstasten sind übrigens sexier als interaktive Hilfen und das Blättern mit dem Datenhandschuh in einer Oracle-Installation.

*** Doch was ist der Tod des Einzelnen gegen das Aussterben einer Art? So viele Engel gibt es gar nicht, die da Protest brüllen können. Wer den großen Douglas Adams nicht nur als Romancier gelesen hat, wird sich an sein Buch Die Letzten ihrer Art erinnern, als er mit Zoologen den Lipotes vexillifer, den Baji- oder Jangtse-Delphin in freier Wildbahn in einem Gebiet suchte, das von der Metallverhüttung geprägt war. Sie fanden keinen, nur ein Exemplar am hydrobiologischen Institut Wuhan. Nun hat man den Baji für ausgestorben erklärt. Er ist die erste Walart, die durch den Menschen ausgerottet wurde. Ja, ich hab es heute mit dem Zitieren, DNA inklusive:

"Ich dachte, dass der Begriff 'gefährdete Art' zu einer Phrase geworden war. Als ich dem Wind beim Kräuseln der galligen Jangtse-Oberfläche zusah, wurde mir mit schmerzhafter Deutlichkeit bewusst, dass irgendwo unter mir oder um mich herum intelligente Lebewesen, deren Wahrnehmungswelt wir uns nicht einmal andeutungsweise vorstellen können, in einer gärenden, vergifteten, betäubenden Welt lebten und dass sie ihr Leben höchstwahrscheinlich in ständiger Verwirrung, ständigem Hunger, ständigem Schmerz und ständiger Furcht verbrachten."

*** Wieviel gemütlicher ist da das Leben als masseloses Photon, wenn man nicht gerade von deutschen Forschern am Herumhängen mit den anderen Photonen gehindert wird. Nun sorgen die Experimente für internationales Aufsehen und aparte Kommentare besonders bei den Schotten, die als erstes an ihren Bus- und Eisenbahnverkehr denken. Dabei ist Eisenbahn nicht einmal schlecht, weil der Erklärungsveruch auch mit einer Eisenbahn funktioniert, deren Abfahrt und Ankunft immer in der Mitte des Zuges gemessen wird, die aber laufend Waggons verliert. Aber vielleicht hat da jemand etwas entdeckt, was er im resultat noch nicht überzeugend darstellen kann?

Was wird.

Wie man wobbelnd zwar keine Waggons, aber wohl das Ziel der Aktion verlieren kann, zeigt sich gerade bei der elektronischen Gesundheitskarte. Forsch wird da ein 100.000er-Test gestrichen und damit geworben, dass die Kartenterminals schon Mitte 2008 in der Fläche "ausgerollt" werden, die echten gesunden Karten kurz danach. Dabei steht die Riesenakquise der Fotos von über 80 Millionen Menschen noch als kleines Stolpersteinchen vor der Tür. Und, besser noch ist der Witz mit der Online-Fähigkeit des Gesamtsystems. Dieser Part soll frühestens in fünf Jahren angetestet werden. Das ganze Gerede über die Einsparungen, die die neue Karte bringen soll, ist damit Makulatur. Wie passend ist es dann, wenn geblödelt wird, dass die Karte den Versicherten praktisch nichts kostet: Praktisch alle Einsparungen können nur dann erzielt werden, wenn die verschiedenen Systeme online sind und Medienbrüche vermieden werden, wie den Bruch vom Arzt, der die Daten der elektronischen Patientenakte als Datei aushändigt oder auf ein Faxgerät legt. Aber eifrig melden Agenturen noch den größten Schwachsinn gleich mit, ohne nachdenken und schreiben von einer Karte, auf der auch Rezepte, Röntgenbilder und komplette Krankengeschichten gespeichert werden können. Zur Erinnerung und zum Nachrechnen: Die Nutzlastkapazität der Karte liegt derzeit immer noch bei 34 bis 56 KByte.

Und wieder breche ich mein Gelübde, nichts über diesen seltsamen Online-Trojaner zu schreiben, den das BKA in der Hosentasche haben will. Die Behörde, von der drei Beamte in einem völlig unsinnigen Auslandseinsatz in Afghanistan "am Hindukusch" getötet wurden, hat nicht nur Terroristen-, sondern auch Radler-Festplatten im Visier. Immerhin: In Kiel will BKA-Chef Ziercke seinen Online-Angriff auf die Festplatten vorstellen, während der um Forderungen nicht verlegene Innenminister und Schützensportler Uwe Schünemann seinen Auftritt vor all den Datenschützern abgesagt hat. Derweil wird taggleich im Berliner Innenministerium versucht, 45 Fragen zu beantworten. Ein paar Kalenderblätter weiter findet dort nicht nur eine Anhörung statt, sondern eine Demonstration gegen die allgemeine Ignoranz gegenüber den Bestrebungen der Politik, aus diesem Nachtwächterstaat einen Nachtkamerastaat mit integrierter IMEI-Verfolgung zu machen: Hier fahren die Busse.

OK, das ist natürlich eine bannig große Sache, in so einen Bus zu steigen. Geht es auch eine Münze kleiner? Aber hallo, wir kennen auch Cent! Love a.k.a. Kleingeld is everywhere. In Erinnerung an diese hinweggerotteten Flussdelphine in China, eine Losung an alle Hacker, die jetzt noch den Pizzadienst anrufen: ESST MEHR ANCHOVIS! Pizza Napoli rulez! Ohne Thunfisch! Oder wie immer das Teil beim Italiener eures Vertrauens auch heißen mag.

Quelle : www.heise.de
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 26 August, 2007, 08:17
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** "Schäuble – geh weg!", flehte Hagen Rether gerade eben auf 3Sat. Ob's was nützt? Eine gewisse Sinnhaftigkeit ist dem Wunsch jedenfalls nicht abzusprechen, auch wenn seine Erfüllung derzeit unwahrscheinlich erscheint. "Letztlich läufts auf Pessoa hinaus – vielleicht noch, Heine. Aber letztlich Pessoa." Nicht die Situation ist absurd, sondern der Schäuble, der in ihr lebt, um zur Zuspitzung der Absurdität in Deutschland ein Relikt aus vergangener Zeit zu paraphrasieren.

*** So ist das mit den Wünschen und der Absurdität. Das ist wie mit der Vergangenheit: Was war, das ist manchmal gar nicht so leicht zu beantworten. Was war zum Beispiel Steve Wozniak. War er der geniale Ingenieur der ersten Apple, dessen Schaltbild des Apple 1 zu den Kunstwerken gerechnet wird? Oder iWoz, der ausweislich seiner Autobiografie im Alleingang die Computerindustrie revolutionierte? Oder doch nur der Pete Best der PC-Brance, ein einfacher Trommler, der nur noch ausgewiesenen Pop-Liebhabern bekannt ist? Auf alle Fälle war Steve Wozniak zu schnell gefahren, und das auch noch in einem Toyota Prius. Gut, er war nicht wirklich schnell gefahren, sondern konnte wissenschaftlich untermauert erklären, dass er durch viele Auslandsreisen unter den schlimmen Einfluss europäischer Raserei geraten war. Dass er bei seiner Raserei nach Las Vegas mit einem seiner acht Priusse (oder Pririi ?) sich in Europa wähnte. So wissen wir nicht wirklich, was war, außer der Tatsache, dass das Urteil über Woz noch nicht gefällt werden kann. Denn das Leben geht weiter, mit 104 Meilen in der Stunde.

*** Auch für Richard Stallman, der kein Auto besitzt, geht das Leben weiter. Stallman erlebte das schlimme Erdbeben in Peru und lieferte seinen Fans darüber einen Bericht, komplett mit einer Meditation über gute und böse Gottheiten. War es ein guter Gott, der einen Priester rettete? Oder war es das Urböse, das Peru heimsuchte? So wissen wir nicht wirklich, was war, und bekommen auch von den Zeugen Tuxens keine bessere Auskunft. Tja, über Linux habe ich wirklich lange nicht nachgedacht und finde nun, dass ich mit OpenSuse und Gnome ein ziemlicher Durchschnitt bin.

*** Ist mit Apple, Linux und Gott das gesamte Trollfutter der Woche verschossen, können wir zu den wirklich wirren Fragen des Lebens übergehen. Wie steht es beispielsweise mit der Gentrifikation in Perlin, wo die von der Prekarisierung Betroffenen unweit vom Kulturkaufhaus Dussmann von 9 bis 5 tagen? Das Fachdings für Wirres befindet: Die digitale Boheme ist ausgelutscht, ihre Protagonisten haben sich längst in sichere Jobs verkrochen und von der gnadenlosen Banalität des Bloggens verabschiedet. Sehr schön fasst der Filmkritiker Plomlompon das neue Idletum-Lebensgefühl zusammen, wie die alte Seeligkeit und Muffigkeit der Dropouts wieder da ist: "Gut leben und Ukulele spielen, den Boden beackern und Kompost machen, das Leben ist absurd."

**** Das Leben ist aber nicht nur absurd, sondern vor allem kompliziert. Immer zwickt und zwackt da die Erinnerung. Wer 30689 Passwörter hinter sich hat, mag von Lebenserfahrung reden. Doch manchmal entschlüsselt sich das Leben nicht einmal durch die besten Passwörter. An Antonioni und sein Blow up wurde hier vor wenigen Wochen erinnert, darum darf heute nicht das Geburtstagskind Julio Cortázar fehlen, dessen Las Balbas del Diablo die Vorlage für Blow Up abgaben. In seinem Himmel wird auf Gliglisch gehopscotched. Mit seinen Ausflügen und phantastischen Elementen passt der jüdische Schriftsteller Leo Perutz gut zum Argentinier. Perutz starb gestern vor 50 Jahren. Gucken wir herablassend herunter auf den Autor von "Der Meister des Jüngsten Tages", Unterhaltungsschriftsteller näselnd?

Was wird.

Wir leben in einem Land, in dem eine Regierungspartei die militärische Zwangsarbeit als "freiwillige Wehrpflicht" bezeichnet. Fortlaufend spricht die Regierung Drohungen aus, gegen Arbeitslose oder Andersdenkende, und nennt das "Friedensangebote". Aus der Beschreibung des gewaltfreien Widerstands wird ein gewaltsames Wegdrücken, komplett mit dem gewaltsamen Wegrücken jenes Computers durch die Staatsanwaltschaft, von dem aus die schlimme Textvariante ins Web transportiert sein soll. Beschlagnahmungen, Verhaftungen und halbe Haft-Entlassungen zeigen Deutschland in einem traurigen Zustand. Ist also doch die Situation pervers? Wir haben einen Staat vor uns, der paranoider ist als der – noch'n Jubiläum – im Deutschen Herbst. In einem leider nicht online verfügbaren Kommentar "Der unverfolgte Bürger" behauptet die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung frohgemut, dass man vor dem Big-Brother-Staat keine Angst haben müsse, weil die Bürokratie für eine effektive Überwachung viel zu ungeschickt sei. Ich wünschte, es wäre so, aber ich bin unfrohgemut. Viel naheliegender ist es nämlich, dass die ungeschickte Bürokratie sehr ungeschickte Fehler macht. Die Forderung nach Stasi-Akteneinsicht der DDR-Bürgerrechtler ist aktueller denn je. Sonst ist der ach so unverfolgte Bürger ein unmündiger Bürger.

"Trägheit, Feigheit und Gleichgültigkeit sind immer noch die wichtigsten Ursachen der Unmündigkeit. Nicht gesellschaftliche Verhältnisse, nicht das marode Erziehungswesen, nicht die säkulare Entwertung aller Werte sind dafür verantwortlich, dass Menschen im Dämmerschlaf des Konformismus verharren. Unmündigkeit ist selbstverschuldet. Viele Menschen bevorzugen die bequeme Unselbständigkeit. Sie sind zu faul, sich ihres Verstandes zu bedienen, und überlassen das Urteil lieber anderen. Nicht die Arbeit des Begriffes erschöpft sie, sondern die Gewohnheit des Nichtstuns. Sie lassen andere für sich sprechen, denken und handeln und ziehen sich in den Käfig der Passivität zurück. Die Feiglinge wiederum geben sogleich Fersengeld, wenn irgendwo ein Streit entbrennt. Wittern sie Widerspruch, beklagen sie fehlende Toleranz."

Wenn selbst ein liberaler Gegner staatlicher Überwachung wie Ralf Dahrendorf in einem Artikel behaupten kann, dass die Videoüberwachung in London es ermöglicht hat, dass Terroranschläge verhindert werden können, dann zeigt sich erst, wie sehr der Präventivstaat in den Köpfen der Staatsdenker spukt. Aus diesen Köpfen kommen dann ganz wunderliche Sätze wie die Verschickung des Bundestrojaners a.k.a. Remote Forensic Software per Mail, zusammen mit einem Werkzeug zur "Datenerhebung", das beim Öffnen des Anhangs installiert wird. Natürlich komplett im Treu und Glauben, dass die private Lebensführung privat bleibt und bestimmte Dateinamen und Dateiendungen von der Online-Schnüffelei ausgenommen sind. So ungeschickt ist die Staatsbürokratie offenbar doch nicht. Ob dahinter eine Methode steckt oder unsere Beamten tatsächlich nur "IT für Dummies" lesen, wird sich vielleicht auf der Sommerakademie 2007 zeigen, die das Thema Terrorismus kontra offene Informationsgesellschaft behandelt.

In Neuseeland warb die Pizzakette Hell mit einem "höllisch guten" Werbespot für ihre Teigfladen: Ein Adolf Hitler, der beim Hitlergruß ein Pizzadreieck in den Himmel reckt, da mügeln sich die Witzbolde. Solche Witze können ja jedem einfallen, wie "Ausländer raus!"-Parolen jedem über die Lippen kommen können. Das meint jedenfalls der Bürgermeister von Mügeln, der davon überzeugt ist, dass es in seiner Stadt keine Rechtsextremisten gibt. Ein "rein fremdenfeindliches Motiv" bei der Volkshatz auf Inder möchte auch der Innenminister des Landes Sachsen-Mügeln nicht sehen. Wer hat gejagt, wer hat "nur" gegafft, wer hat sich duckmäusernd aus dem Staub gemacht? Dann gibt es noch die komische Sorte, die sich kostenlos entrüstet, dass Mügeln nichts von den 24 Millionen bekam, die für Programme gegen Rechtsextremismus ausgegeben wurden. Ein lustiger Vergleich: Die Landesbank Sachsen-Mügeln hat 65 Milliarden Euro in den Sand gesetzt. Nicht in Sachsen, nicht in Mügeln.

"Stets bevorzugt der Duckmäuser Gleichgesinnte und Gleichgestellte. Lieber wirft er sich zu Boden, als einer Attacke standzuhalten. Der Gleichgültige stellt sich blind und taub. Geschieht nebenan eine Untat oder eine Unglück, zuckt er die Achseln und geht weiter. In seinem Winkel will er so bleiben, wie er ist. Alarmrufe warnen ihn vor naher Gefahr, damit er sich rechtszeitig abwenden kann. Mit Vorliebe empört er sich, weil Entrüstung nichts kostet und die Anklage anderer die eigene Untätigkeit rechtfertigt."

Man kann etwas tun, man muss, man darf nicht untätig bleiben. Eine von vielen Möglichkeiten ist die anstehende Demonstration Freiheit statt Angst. Ich weiß, ich wiederhole mich. Aber wer dem Absurden entkommen will, entkommt nicht der Wiederholung. Aber sicher der Langeweile.

"Keine Änderung der Sitten und keine Sozialreform wird diese Laster und Untugenden vertreiben, sondern nur die persönliche Revolution der Individuen. Wer aus eigenen Stücken auf die Waffen der Kritik verzichtet, der lässt seine Urteils- und Handlungskraft verkommen. Am Ende braucht er sich über sein Dasein als gläserner Untertan nicht zu wundern. Seine Privatsphäre ist längst dahin. Er hinterlässt immer nur die gleichen Spuren. Er muss gar nicht mehr beobachtet und durchleuchtet werden, da ohnehin jeder weiß, was er denkt und was er tut."

Alle hier zitierten Passagen stammen aus dem Schlusskapitel "Gedankenfreiheit" des wichtigen Büchleins "Verteidigung des Privaten" von Wolfgang Sofsky, das in dieser Woche erschienen ist. Ich setze jetzt nicht den dümmlichen Bloggerspruch vom "Lesebefehl" ab, denn mindestens hier sollte man wissen, dass dies nur für Festplatten gilt, nicht für mündige Leser.

Quelle : www.heise.de
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: Brömmel am 27 August, 2007, 17:46
In einem leider nicht online verfügbaren Kommentar "Der unverfolgte Bürger" behauptet die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung frohgemut, dass man vor dem Big-Brother-Staat keine Angst haben müsse, weil die Bürokratie für eine effektive Überwachung viel zu ungeschickt sei.

Die Bürokratie ist tatsächlich ungeschickt. Bürokraten sind blöde, träge, ignorant, verbissen und oft ketzerisch.
Aber Bürokraten sind viele! Damit kompensiert die Bürokratie die negativen Attribute des Einzelnen.

Sie sind nicht genug für den informierten Bürger, der sich mit Intelligenz und Anstrengung seine Wege selber sucht (verschlüsselte Mails, verschlüsselte Partitionen bzw. virtuelle Laufwerke, Anonymisierung (Tor), virtueller PC fürs Internet oder Sandboxes).

Und natürlich sind die Bürokraten nicht genug für effektive Organisationen (z.B. Nachrichten-Dienste anderer Staaten oder Terroristen). Da geht ihre Wirkung gegen Null.

Aber ihre Zahl reicht aus, um einen durchschnittlichen Bürger namens 'Otto Normalverbraucher' zu kontrollieren. Und der gibt unbedarft und fröhlich grinsend alles her, was er hat.

Und wenn man ihm sagt: "Es könnte sein, dass dein Sohn später mal nicht den gewünschten Ausbildungsplatz bekommt, weil die Bewertungs-Agentur dem Ausbildungs-Betrieb ein negatives Scoring übermittelt hat, weil du zu viel Alkohol-Einkäufe über deine Payback-Karte hast laufen lassen...", dann guckt der Herr Normalverbraucher erst irritiert und sagt dann im Brustton der Überzeugung: "Ach, Quatsch!"

Da bekommt man dann schon Angst vor einem Big-Brother-Staat...

...meint Brömmel


Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: lucky am 27 August, 2007, 17:56
Richtig,
leider nur liest Otto das wieder nicht und wenn doch?
Bleiben ihm doch oft die von Dir kausalen Zusammenhänge verborgen.

Schade Otto, danke Brömmel

meint lucky
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: Jürgen am 27 August, 2007, 23:35
Jener Otto ist primär triebgesteuert.
Und er unterstützt das noch durch legale Drogen und auf-alles-klicken-was-Ti++en-verspricht.
Gern' auch im Kreise der Kollegen.
Dem ist's nur peinlich, wenn seine Olle dahinterkommt, oder sie 'mal die Erfüllung ehelicher Pflichten verlangt...

Dadurch unterscheidet er sich aber keinen Deut vom gemeinen Pensionsberechtigten   ::)

Komme aus 'ner Beamtenfamilie, spreche da aus Erfahrung...

Frage mich bloss immer noch, wie diese fragwürdigen Existenzen es schaffen, nicht auszusterben.
Wahrscheinlich beherrschen sie eine Art der ungeschlechtlichen Vermehrung...
Siehe z.B. unter
http://de.wikipedia.org/wiki/Parkinsonsches_Gesetz

Oder der eifrige Briefträger / Gas- / Milchmann o.ä. trägt weit öfters sein Teil dazu bei, als man(n) normalerweise annimmt...
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: Chrisse am 28 August, 2007, 07:35
Zitat
Oder der eifrige Briefträger / Gas- / Milchmann o.ä. trägt weit öfters sein Teil dazu bei, als man(n) normalerweise annimmt...

Wenns ein Mädchen wird heißt es Gabriele weil man nicht genau weiß obs vom Gasmann oder Briefträger oder gar vom Elektriker ist... ;D  ;D  ;D
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 02 September, 2007, 01:21
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Hallo Leser, einsam heute Nacht? Nicht doch, nicht doch, unterhalten wir uns lieber gemütlich über die heimliche Online-Durchsuchung, ein wirklich aktuelles, hochspannendes Thema. Nein? Höre ich das entsetzte Kreischen der Ungläubigen, die technisch argumentieren und nicht verstehen wollen, dass mit der Online-Durchsuchung das produziert wird, was Kommunikationsforscher eine moral panic nennen. Ganz gleich, ob es sich gegen Mods, Rocker, Mugger, gegen marodierende Kinderbanden, Päderasten oder islamistische Terroristen richtet, die innerstaatliche Feinderklärung braucht keine gerichtsbeweisbaren Schlüsse. OK, ich bin fair und biete ein Opt-Out für das WWWW an. Es geht ganz einfach: Öffnen Sie einfach das nächste Glasfenster, halten Sie den Kopf raus und brüllen "Ich kann den Scheiß nicht mehr hören!", so laut Sie können. Ist Opt-Out nicht wunderbar? Ich bleibe derweil einfach beim Thema, das uns noch lange beschäftigen wird. Wenn's denn nicht passt, schließen Sie besser das Browser-Fenster, das ist sinnvoller und schont die Stimme.

*** Am Freitag haben um des Volkes Wohl bemühte Politiker beschlossen, die heimliche Online-Durchsuchung ihrer Festplatten am eigenen Leib^H^H^H, ähem, Laptop auszuprobieren. Besonders freut sich Dieter Wiefelspütz darauf, der innenpolitische Taschenzampano der SPD: "Dann nehme ich meinen Laptop mit und hoffe, er ist hinterher noch heil." Wie können wir eigentlich abseits stehen, wenn unsere mutigen Volksvertreter solche Risiken für ihre sündhaft teuren Laptops in Kauf nehmen? Müssen wir nicht alle ein kleines Opfer bringen, unser Scherflein dazu beitragen, dass BKA-Chaf Jörg Ziercke (ebenfalls SPD) kernelige Unikate auf die Reise schicken kann und die Grundrechte grosso modo verscherbelt werden können?

*** Müssen wir nicht alle tätig werden und ähnlich wie bei den Hinweisen für Suchmaschinen ein bka.txt ablegen? Eine saubere Datenparkerklärung, in der nicht die ohnehin schnell gesammelten Details zum Betriebssystem, Browser und der Steuer-Identifikationsnummer stehen, sondern die wirklich wichtigen Daten: Skype-ID und Passwort, die Messenger-Daten (natürlich mit Passwort) und all die Karmapunkte von eBay, SudiVZ, Xing und dem Online-Casinos ihres Vertrauens. Aber wir werden ja sehen: Wenn Wiefelspützens Laptop heile bleibt, dann Wird Alles Gut (tm). Wenn er kaputt geht und ein wilder Kampf (Flash) stattgefunden hat, wird diese Seite Trauer tragen

*** Dieser ganze Unsinn vom Kernbereich der privaten Lebensführung, vom Schutz der Wohnung ist im Zeitalter von StudiVZ, Xing und LinkedIn ohnehin nicht mehr vermittelbar. BRD 2.0 braucht die ePartizipation und eInclusion des Bürgers mit seinen Behörden. Halten wir ein paar Dinge fest: Die heimliche Online-Durchsuchung kommt. Sie muss ja nicht als Bundestrojaner auftreten, das weckt ja nur Misstrauen: Die Griechen und Holz, das kann einfach nicht gut gehen, wie wir gerade gesehen haben. "ePlatzwart des allgemeinen Bedrohungsraumes", so etwas leuchtet jedem Mitglied eines deutschen Vereins ein (Schuhe auf dem eRasen ausklopfen!), der Rest freut sich über Mails von Verwandten oder der Geliebten.

*** Noch fällt das Verfassungsgericht Urteile, als sei das informationelle Selbstbestimmungsrecht mehr als ein Jux, eingefügt in ein Gutachten zum phasenorientierten Datenschutz, der in den wilden 70er-Jahren geschrieben wurde, zu Zeiten der Big Raushole in einem Land, "als ein Horst Herold die Fahndungsarbeit mittels elektronischer Datenverarbeitung revolutioniert hatte. Rasterfahndung, beobachtende Fahndung, Verdeckte Fahndung, Vorrangfahndung, Zielfahndung, man konnte denken, es wüsste die Polizei schon von der Tat vor dem Täter. Alles schien Herolds elektronisches Superhirn zu wissen," schreibt die Süddeutsche Zeitung an diesem Wochenende, bislang nur auf zu bezahlendem ePaper.

*** In der ebenfalls nicht online verfügbaren August-Ausgabe der Zeitschrift Recht der Datenverarbeitung gesteht Wilhelm Steinmüller das folgenschwere Setzen einer Duftmarke: "Das Gutachten wurde nach meiner Erinnerung Freitag- oder Samstagnacht fertig, am Montag früh war es abzusenden. Sonntags las ich es zuhause noch einmal durch. Da ritt mich der Teufel: Ich wollte dem zentralen Ergebnis einen griffigen Namen geben. Er sollte 'widerständig' und zugleich einprägsam sein, gleichsam eine Duftmarke, womit Hunde ihre Anwesenheit markieren. So fügte ich an zwei ziemlich versteckten Stellen (Seit 88 und 93 ff.) ein Schlagwort ein. Es hieß 'informationelles Selbstbestimmungsrecht'." 13 Jahre dauerte es dann, bis die ganz besondere Duftmarke im Volkszählungsurteil von 1983 auftauchte. Die Karriere der Duftmarke geht nun mit dem Online-Trojaner zu Ende. Nicht mehr allzulange dürfte das Verfassungsgericht so liberal entscheiden, weil bald all die hinterlassenen Richter aus rotgrünen Regierungszeiten ausgewechselt werden. Das erklärte der schleswig-holsteinische Generalstaatsanwalt Erhard Rex auf der Datenschutz-Sommerakademie. Bald, ja bald, ist der Computer nicht mehr Teil der Privatsphäre, sondern durch seinen Online-Status immer schon da draußen im Netz, weil jeder Rechner Bestandteil eines Netzwerkes ist.

*** Weil die heimliche Online-Durchsuchung kommt, entstehen natürlich Arbeitsplätze, so oder so. Auch sollte man den berühmten Nebennutzen nicht vergessen, den die Schlapphüte beim BND längst für sich entdeckt haben. Wer sich als rechter BKA-Mann betrogen fühlt, schickt schnell ein Unikat zum Nebenbuhler, komplett mit einer Mail, in der besonders günstiges Viagra angeboten wird. Das natürlich Pfeffer, Blairs Reserve und Plaka-Farbe hergestellt wird.

*** Gleich drei aufschlussreiche Dokumente zur Online-Durchsuchung sind in den vergangenen Tagen aufgetaucht. Sie machen auch als befreite Dokumente bei Netzpolitik und dem CCC die Runde. Das Bundesinnenministerium hat der SPD und den Justizministeralen geantwortet und außerdem eine erste Fassung des BKA-Gesetzes in einem Berliner Bus liegen gelassen. Bei der Lektüre gehen dem Leser gleich mehrere strafverzollte Lichter auf. Technisch ist die Online-Durchsuchung eine Reaktion auf die Kämpfe der 90er-Jahre, als die Aktivisten der ersten Stunde gegen den Einbau von Backdoors auf Systemebene oder das Verbot von starker Kryptographie kämpften. Was in den 90ern nicht durchsetzbar war, ist heute vollends unmöglich. Für heutige Computernutzer ist Verschlüsselung positiv besetzt, kein blutbespritztes Werkzeug von Kriminellen. Also muss etwas anderes her: Die Telefoniererei über Skype ist da ein wunderbarer Aufhänger. Man kann, man wird das sonderbare Konstrukt einer Quellen-TKÜ einführen und in aller Ruhe darauf warten, dass Wiefelspütz und Genossen einknicken. Die SPD ist aus dem Schneider, wenn die Frage der Überwachung der Internet-Telefonie in den Vordergrund gestellt wird und eine umfassende Online-Durchsuchung so eigentlich niemals vorgesehen war. Das silberne Nadeln in Skype & Co stecken, geschenkt, geschenkt. Schon das Internet Phone, das Elon Ganor 1995 mit seiner Firma Vocaltec aus Israel auf den Markt brachte, verfügte über eine Abhör-Verzweigung für den Mossad.

*** Was die Terroristen anbelangt, so sprechen die Urteile in einem britischen Fall eine deutliche Sprache, Mit 37.000 gestohlenen Kreditkarten-Nummern samt detaillierten Informationen über die Inhaber der Karten konnten drei Islamisten ca. 4 Millionen Euro locker machen und das Geld über so tolle Adressen wie AbsolutePoker, NoblePoker und ParadisePoker waschen, ehe in Nachtsichtgläser, Waffen und Schlafsäcke investiert wurde. Wenn Aktionen dieser Sorte zum Ausbildungsplan der Al Quaida gehören, dann dürfte eine Online-Durchsuchung auf der Seite der Gefahrensraum-Erzeuger mitleidig belächelt werden, frei nach dem Motto: "Die Kriminalpolizei rät". Zusammen mit der Bundespolizei hat sie übrigens dieser Tage @rtus eingeführt, die ultimative Software zur Bearbeitung aller Fälle. Wer sich über den komischen Namen @rtus wundert, erfährt im Readme des Programmes: "Mit dem Begriff @rtus haben wir einen Namen kreiert, der sich an den einer anderen erfolgreichen Runde mit gleicher Anzahl von Teammitgliedern anlehnt." Ja waren denn die Ritter der Tafelrunde so bannig erfolgreich auf der Suche nach dem heiligen Gral? Und die Ritter der Kokosnuss? Fragen über Fragen ... "No tears from the creatures of the night", auch ein Kommentar, der zu all dem Elend passt, dieses Mal von Tuxedomoon.

Was wird.

Oh, ich habe grübelnd überzogen. Nicht nur die Online-Durchsuchung kommt als Muster ohne Wert auf uns zu, auch die elektronische Gesundheitskarte ist nicht viel besser aufgestellt. Das, was nach Auskunft des Bundesgesundheitsminsterium schon Mitte 2008 mitsamt den entsprechenden Lesegeräten ausgerollt werden soll, ist medizinisch gesprochen ein Placebo. Mit Ausnahme des Fotos, welches auf der Karte prangen soll, unterscheidet sich diese Gesundheitskarte nicht einen Deut von der herkömmlichen Krankheitskarte (KSK). Erst in unbestimmter Zukunft soll sie mit all den Funktionen ausgestattet werden, mit denen Millarden Euronen eingespart und Millionen Teutonen gerettet werden. Abseits der vielen nun anstehenden Beratschlagungen rund um die Online-Durchsuchung in den nächsten Tagen sei daher auch ein Hinweis auf die aktuellen Trends in der medizin-basierten IT gestattet. Das ist der Bereich, in dem der Sponsor T-Systems darauf drängt, endlich Geld für ein halbverrottetes Patent zu bekommen, dank dem die Foto-Karten und das Häufchen PIN-Ziffern in ein und demselben Umschlag geschickt werden können.

Quelle : www.heise.de
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 09 September, 2007, 07:30
Was war.

*** Die Leisen sind längst fort: "Die Musik wurde unterbrochen und es gab Nachrichten. Wieder gab es irgendein abscheuliches Verbrechen und wieder rief man nach mehr Sicherheit. Andere riefen nach mehr Freiheit." Wieder andere bekommen hysterische Schreibanfälle. Ein besonders abstoßendes Beispiel bietet derzeit die Süddeutsche Zeitung, die nicht nur einen Ressortleiter Innenpolitik hat, der die Arbeit der Terroristen erklären kann, sondern eine Journalistin, die im Kommentar die Gegner der Online-Zugriffe als Hysteriker abwatscht. Wo sich der Nachbar als Terrorist entpuppt, muss die Privatsphäre abgeschafft werden. Was wären wir bloß ohne die guten Amerikaner, die uns mit der outgesourcten Online-Durchsuchung vor den usbekistanischen Bomben gerettet haben? Wie wären orientierungslos wie die Säzzer der taz, die den gedruckten Text zur Online-Durchsuchung mit dem Begriff W-Lan-Netze versalzten: "W-Lan-Netze Ziercke" ist jedenfalls ein schöner Name.

*** Vor 29 Jahren kam der von 11 Filmemachern gedrehte Film Deutschland im Herbst in die Kinos. Mit ihm wurde die Metapher vom Deutschen Herbst in den Umlauf gebracht. Gemeint waren nicht die Aktionen der RAF, die Selbstmorde von Stammheim oder die Flugzeugentführung in Mogadischu, gemeint war damals zunächst nur der Gesinnungsterror in den Medien, der heute blondiert auftritt. "Diese Gemeinschaftsfilme waren nicht unsere Idee, sondern eine Reaktion auf diesen berühmten Deutschen Herbst, als die Medien plötzlich freiwillig wie gleichgeschaltet waren", erklärt Volker Schlöndorff in der nämlichen Süddeutschen Zeitung auf kostenpflichtigem E-Paper.

*** Im gleichschaltungsfreien Ausland sieht man die Sache realistischer: 300 Beamte hatten die Terroristen gut unter Kontrolle, Festplatten inklusive. Am Freitag bemerkte der Züricher Tagesanzeiger in "Schäubles Spiel mit der Angst" (kostenpflichtig im Archiv), dass die Ermittler bereits über die nötigen Instrumente verfügen, um das Geschehen zu kontrollieren. "Dem deutschen Innenminister sind die Maßstäbe verrutscht." Wenn dem Schäuble ein Schräuble fehlt, wandert seine Version der Online-Durchsuchung bald in das BKA-Gesetz. Das Umfallen der 20-Prozent-Partei ist absehbar.

*** Zum Jahrestag der Entführung von Hanns Martin Schleyer feiert die deutsche Polizei also die Festnahme der Wasserstoffperoxidbomber und kann damit von ihrem größten Misserfolg ablenken. Bis heute ist ungeklärt, warum die Raster-Fahndung nicht funktionierte. Lag es nur an dem Fernschreiber aus Wehrmachtszeiten? Irgendwo in Südbayern, erfahren wir in einem Interview über die Wehrmachtserinnerungen von Helmut Schmidt, lebt Horst Herold. Fast so etwas wie die letzte Geisel der RAF soll er sein. Er dürfte die Sache mit dem Wohnblock Zum Renngraben 8 erklären können, wird es aber nicht tun. Denn der Mythos RAF muss weiter leben, damit an der Gewaltspirale gedreht werden kann. Denn mit dem Ende der Entführung und dem Tod in Stammheim war die RAF befreit, alles neu zu entscheiden. Es passt zum Misserfolg der deutschen Polizei, dass die Überlebenden der RAF das Signal nicht verstanden.

*** Wer erinnert sich noch an den längst vergangenen Sommer und das kleine Sommerrätsel, in dem "White Rabbit" von Jefferson Airplane gesucht wurde? Das Lied ist ein Zeichen jener Gegenkultur, die nach den Thesen von John Markoff den Personal Computer und die Firma Apple hervorgebracht hat, die derzeit mit der iEntschuldigung eine völlig neue Produktreihe startet. Im nächsten Jahr soll White Rabbit zu völlig neuen Ehren kommen, wenn der Song in einem Film zur Feier der herannahenden Singularität von Ramona interpretiert wird, der weiblichen Seite von Raymond Kurzweil. Was machen wir bloß, wenn die Singularität nicht kommt?

*** Das Rechnen mit den Beständen ist immer eine mühselige Sache: Vor 50 Jahren erschien On the road und wurde ein riesiger Erfolg, den der Autor nicht verkraftete. Jack Kerouac soff sich zu Tode, vielleicht auch deshalb, weil sein zusammengeklebtes Manuskript über einen Trip aus dem Jahre 1947 erst nach mehreren Weichspülgängen als Buch erscheinen konnte. Zum Jubiläum ist die unverfälschte Version erschienen, ein wesentlich wüsteres Werk. "High sein, frei sein, Terror muss dabei sein", die Losung der umherschweifenden Haschrebellen ist 60 jahre alt, komplett mit der Aufforderung, sämtliche Intellektuellen zu killen. Und kein geringerer als Steve iJobs soll angeregt haben, Kerouacs Widmung an die Leser von On the road zur Widmung von Think Different umzuschreiben: "The only people for me are the mad ones, the ones who are mad to live, mad to talk, mad to be saved, desirous of everything at the same time, the ones who never yawn or say a commonplace thing, but burn, burn, burn, like fabulous yellow roman candles exploding like spiders across the stars and in the middle you see the blue centerlight pop and everybody goes 'Awww!'"

Was wird.

Doch warum soll die kleine Wochenschau aus der norddeutschen Tiefebene nur vergangene Jubiläen behandeln? Was sind 20 Jahre GSM, 30 Jahre RAF oder 60 Jahre Trampen gegen 10 Jahre Ärgerverbot von einer Firma, die Flieger über der CeBIT kreisen ließ, weil sie sich so über einen kleinen Verlag in besagter Tiefebene ärgerte. Wer mit seiner patenten Anti-Ärger-Philosophie für Freude und Feinde immer ein frisches Wort und gar einen munteren Befehl wie Freut Euch! bereit hält, dem muss man einfach ein kleines symbolisches Sträußchen überreichen. Sags durch die Blume, aber welche nehme ich denn da?

Ich muss gestehen, dass Chemie als Schulfach nicht zu meinen erfreulichen Erinnerungen gehört. Ich scheiterte damals schon an der Aufgabe, H2O in Wasser aufzulösen. Aus diesem Grunde mische ich mein Nichtwissen gerne mit Misstrauen, wenn ich Berichte lese, wie auf der Flugzeugtoilette mit ein paar Wässerchen und einem Zünder eine hochgefährliche Bombe gebastelt werden kann. Seitdem müssen wir Flüssigkeiten im Handgepäck in Beutelchen offenlegen und sind bekanntermaßen sicher einer großen Gefahr entronnen. Nun haben drei mutmaßliche Attentäter offenbar ohne Probleme unter Umgehung des Grundstoffüberwachungsgesetzes fässerweise einen Stoff kaufen können, der nach Angaben von Chemikern und Verschwörungstheoretikern nicht ohne Weiteres zu einer Bombe zusammengeschüttet werden kann. In der kommenden Woche treffen sich Chemiker, Physiker und Architekten in Karlsruhe zur Future Security, die sich mit allem beschäftigt, was knallt oder fliegt und großen Schaden in unserem Heimatland anrichten kann. Passenderweise ist eine Fachmesse für Zutrittskontrollen und Informationsschutz gleich nebenan, gesponsort vom Badischen Weinkontor und Coca Cola. Selbst ein Nicht-Chemiker wie ich erkennt die Gefährlichkeit dieser Verbindung. Außerdem gibt es da noch eine Fachkonferenz für Geld- und Werttransport: Man sieht, dass Baden-Württemberg mehr zu bieten hat als ein islamisches Multikulturhaus in Ulm.

Wenn jetzt noch die Polizei dieses Landes darin geschult wird, geheime PDF-Dateien über die Terrorabwehr nicht als E-Mail über einen Presseverteiler zu schicken, blicken wir alle einer sicheren strahlenden Zukunft entgegen. Dann brauchen wir uns nicht um Bomber zu sorgen und können uns mehr um die Forumskultur kümmern.

Quelle : www.heise.de
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 16 September, 2007, 03:19
Was war.

*** Thus far, with rough and all-unable pen,
Our bending author hath pursued the story.

Natürlich muss es Shakespeare sein, erst recht, wenn heute vor 620 Jahren Heinrich V. geboren wurde. Aber für die Nachricht, dass es mit SCO vs. Linux in absehbarer Zeit zu Ende geht, muss der kleine Autor sich an den großen Dichter ranwanzen. Das Dauerlachen in einer Spätsommernacht, ganz in grün gehalten, passt zum Thema, Sara Lee Underwear inklusive. Genau 233 Tickermeldungen hat die unendliche Geschichte produziert, von denen hier eine Auswahl zu finden ist, die immerhin die Tradition des Redaktionsschwanzes neu definierte. Viele skurrile Nachrichten hat die Firma SCO bisher produziert, die Linux unter den Generalverdacht stellte, ein geklautes Sammelsurium von Code zu sein, den ehrbare Programmierer für das altehrwürdige Unix geschrieben haben. Von dem man glaubte, alle Rechte und Copyrights zu besitzen. Es wird noch eine Weile weitergehen, denn das Kapitel 11 einer typisch amerikanischen Geschichte ist das mit den Splatter-Aktionen, wenn die Zombies irgendwo in einer idyllischen Kleinstadt das Grauen bekommen und ihrer Betroffenheit über die Öde einen ergreifenden Ausdruck verleihen. So haben ich es im Kino gelernt: Wo geklaut wird, muss Blut fließen!

*** Was gab es sonst noch zu lernen in der unendlichen Geschichte? Aufklärung über den unabhängigen Technikjournalismus gab es, mit einer Journalistin, die Code als geklauten Code identifizieren konnte, obwohl sie über keinerlei Programmierkenntnisse verfügte und zuvor noch nie Sourcecode gesehen hatte. Mit einer weiteren unabhängigen Vertreterin des Berufes, die nun als Gläubigerin in den Konkursunterlagen auftaucht. Unbezahlt gebliebene bezahlte Meinungsartikel, das hat was, da ist die Meinung plötzlich doppelt wertvoll. Lustige Geschichten mit einem Koffer voll Beweise gab es, der mit einem SCO-Vizepräsident quer durch Europa reiste, komplett mit rechtlichen Querelen, als ein Mitarbeiter von Heise-TV den Koffer filmte. Dann war da noch der legendäre Code-Schnappschuss, bei dem der zeilenweise Vergleich zwischen Unix und Linux aus dem Griechischen "übersetzt" werden musste. Leider gibt es auch Dinge, über die ich nicht schlauer geworden bin, in all den Jahren: Auch mit der Insolvenz ist nicht klar, wer eigentlich hinter SCO steckt. Der weitaus größte Anteil der SCO-Aktien gehört einer fiktiven Firma namens CEDE & Co, ein Börsenkürzel für Central Depository, das die eigentlichen Eigentumsverhältnisse verdeckt. Eine ehrliche Abrechnung sieht wohl anders aus.

**** Doch wusste schon der große Shakespeare: "Ehre ist nichts als ein gemalter Schild beim Leichenzuge." So treten die Bösen nur ab, damit die nächsten Spieler die Bühne betreten können. Nur ganz, ganz selten fällt eine Sternschnuppe vom Himmel und tut etwas nützliches, wie eine Zigarette anzünden. Vor einer kleinen Weile schrieb ich über die Dummheit und Borniertheit eines bekannten Münchener Rechtsanwaltes, den die Inhaftierung seines Kanzleikollegens fatal an Guantánamo Bay erinnerte. Bekanntermaßen ist die grafische Kommentierung dieser anwaltlichen Realitätsverschiebung strittig.

*** Sollte keine Berufung in einem anderen Fall erfolgen, steht eine etwas andere Verschiebung des nämlichen Anwaltes bevor. Diese Nachricht hat sämtliche Rekorde auf heise online gebrochen, eine grüne Welle angeschoben und wiederum zu Nachrichten über die jubelnde Internetszene geführt. Selbst der besagte Anwalt meldete sich bei einem Kollegen zu Worte und beschrieb, wie er "belastende" Screenshots an den Verlag faxte, damit die "Stallhasen" etwas zu tun haben. So rattern und rackern die Server im Lasttest munter weiter. Dabei wurde manches Späßchen produziert, von denen das kleine grüne Gedicht Shakespeare gefallen hätte (nach Aufklärung über rot und grün und die Höllenfunktion User ignorieren, nur über Anwälte nicht, über die wusste er schon Bescheid), daher sei ZerzaDha hier zitiert:

Mein kleiner grüner Beitrag steht hier im Heise-Brett,
Hollari, Hollari, Hollaro.
Was brauch' ich rote [/-], was brauch' ich "User ignorieren",
Hollari, Hollari, Hollaro.
Und wenn ein Heise-Troll was ungezog'nes spricht,
dann hol' ich meinen Beitrag und der sticht, sticht, sticht.
Mein kleiner grüner Beitrag steht hier im Heise-Brett.

*** Nun soll sich diese Wochenschau mit den kleinen Nebensächlichkeiten beschäftigen, den Nachrichtenchen gewissermaßen. Ob sie von der Geschicklichkeit der Polizei handeln oder von dem nicht minder schofeligen Terroristen, die mehrfach verhaftet und kontrolliert wurden, spielt keine Rolle. Schließlich ist jeder schon mal dran gewesen, wenn SIE kamen. Aber wer sind SIE? Über welche Grenzen kommen SIE? Glücklicherweise wurde gegen alle Aliens, die nach Europa wollen, vom tapferen Bundesinnenministerium das Pilotprojekt BIODEV II gestartet, bei dem alle Fingerabdrücke genommen werden, egal, wie viele Finger (und Hände) SIE nun haben. Ja, unsere Grenzer werden auch mit dem fliegenden Spaghettimonster fertig, sollte es nach Deutschland einreisen. Und die Abdrücke werden von ausgesuchter Qualität sein, nachdem gerade mit der Zertifizierung der Fingerabdruck-Scanner begonnen wird, mit denen unsere Zeigefinger vermessen werden. Die Just-in-Time-Prüftechnik beeindruckt.

*** Und nun ist auch Joe Zawinul tot, der so einiges zum Hexengebräu des modernen Jazz beigetragen und mit der Hommage an einen New Yorker Club den wohl erfolgreichsten Schlager einer Musikrichtung geschrieben hat, die nach den Zeiten Louis Armstrongs und Ella Fitzgeralds nicht mehr viele Hitparaden-Kracher hervorbrachte. "You don't need a weather man to know which way the wind blows", meinte Bob Dylan einmal – aber so ein Wetterbericht hat immer wieder gezeigt, wohin uns der Jazzwind bläst. Jetzt wird es nie wieder Wetter- oder andere Berichte geben von Joe Zawinul. Und wir fühlen uns allein gelassen im beginnenden Herbst.

Was wird.

Gleich am Montag, wenn die grünen Wellen längst abgeebbt sind, die grünen Männchen, beleidigt von Biodev II, in ihren Untertassen und Saucieren die Erde verlassen haben, steigt bei Microsoft eine weltweite Party. Es gibt zwar nichts zu feiern, möglicherweise muss man gar Trauer tragen, aber eine Party in Erinnerung an alte Zeiten kann nie schaden. Dem elektrischen Reporter gebührt das Verdienst, das passende Party-Video gefunden zu haben. Dos waren noch Zeiten, Menschenskinder, jaja, als ein Desktop noch der Name für die Oberfläche war und nicht der einer Entertainment-Tastatur.

Wenn es etwas frei drehenderes als eine grüne Partywelle im Heise-Forum gibt, dann sind das die "Argumente", die Politiker derzeit in der Debatte um die Online-Durchsuchungen von sich geben. In der abgelaufenen Woche brachte es der vom Grünen-Politiker Daniel Cohn-Bendit so ungemein bewunderte Bundesinnenminister Schäuble fertig, das Internet als Plattform des 'Heiligen Krieges' zu bezeichnen. Vor diesem virtuellen Raum, in dem Heise-Redakteure so schwer gestresst werden, dass sie schwer gestresst sind, muss man einfach Angst haben. Denn dort fragt niemand, wie Frau Maischberger, nach dem Einfluss des Rollis auf das Denken. Leider machen in der Debatte auch dezidierte Gegner Fehler – wie andersrum Anwälte zeigen, dass es auch solche gibt. Dann wird die Festplatte schon einmal zum Inbegriff der Privatheit verklärt. Ob es die Kriminalisten besser erklären können, wird am Freitag in der schönsten Stadt der Welt im schönsten Hochhaus der norddeutschen Tiefebene geklärt werden. Als das Conti-Hochhaus 1953 fertig wurde, war es das höchste Hochhaus Deutschlands und das flachste der Welt. In diesem wunderbaren Gebäude wird BKA-Chef Jörg Ziercke seinen Geheimpolizeilichen Festplattenzugriff erklären.

Mehrfach habe ich auf ein Ereignis in Berlin hingewiesen, das ein Zeichen setzen soll. Mittlerweile hat es den Sprung von Nachrichtenchen zur ausgewachsenen Nachricht geschafft. Es ist ein kleiner Sprung für einen Text, aber ein großer Schritt für viele, die noch nie an einer Demonstration teilgenommen haben, aber vom Dauer des Unsinns und der halbgaren Argumente genug haben. Angst ist ein schlechter Ratgeber und ein noch schlechterer Innenminister.

Quelle : www.heise.de
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 23 September, 2007, 09:58
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Es ist wieder soweit? Wir rennen und rennen auf dem Möbiusband unserer Existenz und zack, ist schon wieder Wochenend. Von wegen eintönig: Die norddeutsche Tiefebene mag vielen auswärts lebenden Zeitgenossen flach und flau erscheinen, die auf dieser Scheibe lebenden Menschen wortkarg und verfressen. Doch der erste Eindruck täuscht gewaltig. Der hiesige Humor hat Wilhelm Busch hervorgebracht, die tortenhaltige Tiefebenenluft ist erfüllt von zauberischen Klängen. Wir haben Sarah Connor in Diepholz und die Skorpions in Hannover. Ähem, ja, wirklich. Auch wenn jeder vernünftige Einwohner dieser allseits gelobten Tiefebene und besonders die einsichtigen Bewohner der darin befindlichen schönsten Stadt der Welt von unbezähmbaren Drang nach guter Musik und Übertönung dieses Sängerinnen-Imitatgejaules und Hardrock-Nachahmungsdesasters befallen wird und in den nächsten CD-Shop rennen – dieser Tage wären die neuen Töne von Me'Shell Ndegeocello die richtige Wahl.

*** Aber ach, wir haben der Welt noch mehr Tort anzutun, nämlich einen tierlieben Landesvater und seinen tollen Song Komm mit ins Zukunftsland. Komponiert von dem begnadeten Oliver Kels, zuvor bekannt für den sensationellen Werbejingle für das Musterhausküchenfachgeschäft. Schmissig spielt jetzt also das Musterhausküchenfachgeschäftsorchester auf und begleitet das Zukunftslandesvatersingerduo Joyello und Campobasso, wenn sie in die tiefe Zukunftsebene schmettern: "Mit Herz und Verstand wird die Zukunft wachsen bei uns in Niedersachsen." Wie gesagt: Wir kennen uns aus. Und wir lieben Musik. Tralala, schwarzbraun muss mein Mädel sein.

*** Ich glaube, ich fange lieber noch einmal an, die Woche war doch auch besser, denn sie begann mit einem nur scheinbar allmächtigen Softwarekonzern, der vor Gericht derbe Prügel bezog, und war gestern mit einer doch recht eindrucksvollen Demo gegen den Überwachungswahn noch nicht ganz zu Ende. Und heute haben John Coltrane, Ray Charles und Bruce Springsteen Geburtstag. John Coltrane übrigens starb im Juli dieses Jahres vor 40 Jahren, und er ist dasjenige der drei Geburtstagskinder, von dem ich gerne wissen würde, wohin, wäre er nicht dem Leberkrebs erlegen, ihn die Musik oder er die Musik getrieben hätte. Welche Räume sich da geöffnet hätten, mag ermessen, wer sich noch einmal sein letztes Live-Konzert anhört: Von "The Olatunji Concert" heißt es, die Aufnahme könne man sich in einem Leben nur einmal anhören. Weit gefehlt, auch wenn der Spruch gut ausgedacht sein mag – und man kann sich ja mit "A Love Supreme" immer ein bisschen erholen. Das Olatunji-Concert bringt auch eine sehr freie Version von "My Favorite Things" – dem Stück, das Coltrane seit seinen Anfängen als Bandleader immer wieder gespielt hat–, die im Vergleich zu den früheren Versionen doch keinen Endpunkt seiner Entwicklung darzustellen scheint, sondern eine Bilanz und einen Ausblick. Dieser fällt jedoch nicht unbedingt positiv aus. Eine Prophezeiung, nicht nur persönlicher Natur.

*** Leider haben Coltrane, Charles und Springsteen niemals zusammen gespielt. Das hätte mir die Sache leichter gemacht, mit einem Link auf den entsprechenden Kracher bei You Taub und gut ist's. Nun kann ich hier und heute in diesem unseren Land schlecht Born in the U.S.A. grölen und meinem Buddy in Khe Sahn nachtrauern. Aber wozu haben wir eine Armee und tolle Filmemacher in ihr? WWWW-Nachteulen können sich diesen tollen Film hier reinziehen. Zuerst redet Franz Josef "Abschuss" Jung in einem neckisch drapierten Raum, doch dann, ja dann kommt ein Gitarrenwerk vom Feinsten, inspiriert von Bruce Springsteen. Haben wir nicht tolle Heeresmusikcorpsgitarristen? Was brauchen wir da die Welt der Märsche? Der Rest des Filmes erklärt irgendwie, was Afghanistan von Khe Sahn unterscheidet. Tja, was machen die da, außer vitale Rekorde zu feiern? Wie wäre es mit einem kleinen Truppenabzug?

*** Angeblich feierte in dieser Woche ja das Emoticon seinen Geburtstag, genau wie Bruce Springsteen. Doch diesen Geburtstag wollen Kundige als einen großstädtischen Mythos entlarvt haben. So kann man sich irren und alle zusammen tun genau das. Verständige Menschen denken natürlich sofort an Fisches Nachtgesang, wenn vom Emoticon die Rede ist, eines der aufwühlendesten Gedichte in deutscher Sprache. Da heute das volle Musikprogramm gefahren wird, singen wir gegen das Vergessen der historischen Wahrheit Nein!

*** Wie beim Smiley gibt es auch bei der Pauli ein Datierungsproblem. Angeblich geht der Vorschlag der fränkisch-christlich-sozialen Landrätin, Ehen wie Milchtüten mit einem Verfallsdatum zu versehen, auf den Mitfranken Erwin Pelzig zurück. Der fühlt sich von der Kebsfrauenpolitikerin beklaut, obwohl er selbst beim alten Goethe abgeschrieben hatte. Wobei der Herr Geheimrat die Idee natürlich von den Ferengi abgeschaut hatte. Damit schließt sich ein Kreis oder sollte ich besser von einem Ehering sprechen? Jedenfalls ist es für mich eine wunderbare Gelegenheit, mit Jane Carters Hohelied auf die Ehe, mit Ring of Fire das zweite Geburtstagskind des Tages zu feiern: Ray Charles (2 Ehen, 9 uneheliche Kinder) hat allen gezeigt, wie man das singt.

*** Mit einer in der Wikipedia begonnenen Internetrecherche hat die niedersächsische Polizei zwei Bombenbauer aufgespürt, die sich als terrorismusferne Bastler entpuppten. Wir wissen nicht, ob die Polizei dabei auch im IRC unterwegs war wie im Kieler Tatort in der vergangenen Woche. Dort bekamen die Fernsehzuschauer Einblick in einen angeblich kinderpornographischen Chat. Vom Kommissar geknackt wurde zwar ein Windows-Rechner, doch die von ihm vorgelesenen, vom Drehbuchautor angeblich erfundenen Nicknames erbosen manche Linuxer. Gut ist zu erkennen – wenn auch nur im Standbild, das wohl kaum ein Fernsehzuschauer zu sehen bekam –, dass ein Kanotix-Chat von den Fernsehmachern, nicht von den Pädophilen zweckentfremdet wurde, komplett mit gültigen Hostnamen und IP-Adressen. Bei weiteren Ausstrahlungen will das produzierende Studio Hamburg die Seite verfremden. Bleibt die Frage, ob unsere lieben Verschwörungstheoretiker Kanotix ab sofort mit dem Tatort-Jingle von Klaus Doldinger starten lassen, komplett mit Udo Lindenberg am Schlagzeug. Tralala/Schepperschepper und nein, kein Link hier, der Jingle-Abmahner wegen. Manchmal muss ganz einfach Schluss sein.

*** Auf den Lokalseiten der Süddeutschen Zeitung erschien in dieser Woche ein Bericht über einen Studenten, der mit hier schon einmal erwähnten Schäublone der Polizei auffiel. Sie sah darin einen Anfangsverdacht der Beleidigung. Wie sehr die Aktion der Polizei an die Arbeit der Staatssicherheit erinnerte, ist wohl nur im Osten des Landes aufgefallen, wo früher Autos mit weißen Bändern an der Antenne gestoppt wurden. Große Fenster, spärliche Gardinen, damit alles eingesehen werden kann, nur den Liebespaaren einen kleinen Schutzbereich der privaten Lebensführung, das gab es alles schon einmal, tralala.

Was wird.

Nach all der Mucke wenden wir uns dem Film zu. Es ist ja ganz nett, dass hier der richtige Film auf Platz 1 gelandet ist, aber schon die furchtbare Schmonzette "e-m@il für dich" auf dem zweiten Platz zeigt, dass die Computerfilmhitliste der Süddeutschen von einem Banausen zusammengestückelt wurde. Seitdem Katherin Hepburn in Desk Set den großen ERMERAC zur handlichen Emmy verniedlichte, hat es Dutzende von großen Computerfilmen gegeben, die besser sind als die dort aufgelisteten. Natürlich mit Ausnahme der Nummer 1, dieser Platz ist und bleibt belegt, wie auch die Süddeutsche ganz richtig erkannte. Hiermit starte ich also die große Heisetickerforumsleserumfrage nach den neun besten Spielfilmen mit Computerbezug. Zu gewinnen gibt es nichts, höchstens eine Partie Statris.

Quelle : www.heise.de
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 30 September, 2007, 00:12
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** In dieser Woche hat Gott wieder einen Fehler gemacht. Schon in der letzten Woche klappte das nicht so richtig mit dem Paradies auf Erden. Beim Apfel rutschte versehentlich die Erkenntnis in den Klumpen aus Vitamin C, Kalium, Pektinen, Fructose und Phenolsäuren. Mit "Pfoten weg von diesem Apfel" jagte Gott dem Menschen einen ordentlichen Schrecken ein, aber dann passierte prompt der nächste Fehler in Eden 1.0: der Apfel fiel vom Baum, zur Überraschung Gottes. Fallobst darf gegessen werden, meinte die Schlange, die sonst nur über Sex und Rock'n'Roll doziert. Der Mensch mampfte den Apfel, wurde klug und dachte nach. Das passte ebensowenig in den Gottes-Plan wie die Protestmärsche von Mönchen in Birma. Schließlich musste Gott den aufgeklärten Prototyp als Vorserien-Entwicklungsmodell abschalten. Vielleicht war das der dritte Fehler. Denn was nach Adam kam und nicht Eva hieß, nannte sich Nena und denkt in Mustern.

*** Das mit dem freien Willen ist eine höllisch vertrackte Sache. Nehmen wir nur den bayerischen Transrapid, der nach dem Willen eines Stoibers gebaut werden soll, obwohl die Bevölkerung dagegen ist und die Finanzierung eine Seifenblase, wie es sie nicht einmal zu besten Dotcom-Zeiten gab. So mächtig willig ist der Mann, dass Brüssel jetzt schon vor dem Bürokratieabbaubeauftragten zittert. Als erstes wird der gute Mann vielleicht einen Blick in die nicht genutzten EU-Töpfe für Landwirtschaft und Verwaltung werfen, aus denen nun der notorische Spätstarter Galileo finanziert werden soll. Dumm nur, dass Deutschland gerade dagegen ist, weil im Europa der prästabilisierten Harmonie die Galileo-Aufträge an Alcatel und Alenia vergeben werden sollen und die "deutsche" Firma EADS leer ausgeht.

*** Es gibt ihn doch, den freien Willen. Bereits mit seinem "Abschied vom Proletariat" und den "Wegen ins Paradies" hatte Gerhard Hirsch angedeutet, dass die Befreiung in einer Gesellschaft auch außerhalb der Bedingungen der klassischen Lohnarbeit gesucht werden kann. Er war der erste, der ein Lebensarbeitskonto anregte - und einer der ersten, die sich von der Forderung nach einem Grundeinkommen verabschiedeten. Sein letztes großes Werk war eine Abhandlung über die Zukunft der Wissensgesellschaft. In "Wissen, Wert und Kapital" heißt es: "Wir gehen einer posthumanen totalitären Universalmaschine viel schneller entgegen als einer echten Wissensgesellschaft". Nun ist er tot, In Liebe in den Freitod gegangen, gemeinsam mit seiner Dorine, für die er zuletzt seinen Brief an D. veröffentlichte. Wenn kommende Generationen André Gorz, den Sohn eines jüdischen Holzhändlers, wirklich nur noch als Dichter einer egreifenden Liebeserklärung wahrnehmen werden, wie hier behauptet, dann wäre das ein Verrat am großen Verräter, der bei seinem Thema blieb. Nicht von ungefähr findet sich ein Abschiedsgruß der anderen Art auf der Oekonux-Seite, wo ein alter, klapperiger Mann aus der Ferne schreibt:

"Die gesellschaftlichen Beziehungen, die ihr miteinander pflegt, scheinen frei zu sein von den vorherrschenden Formen von Machtwillen, Besserwisserei, Eitelkeit. Mit einigen von euch habe ich die Erfahrung gemacht, dass die Freude und Lust zum Geben und Annehmen ansteckend und befreiend wirken. Ihr seid die Gruppierung, der zuzugehören ich wirklich Lust hätte."

*** Nach einer ganz frisch angerichteten Umfrage sind 55,6 Prozent der Deutschen für die heimliche Online-Durchsuchung und die auf einmal "damit verbundene Datenspeicherung auf Vorrat". Was immer wirklich gefragt wurde, bleibt unklar, doch "die Mehrheit" scheint eine ebenso fragwürdige Prozentzahl zu sein wie jene 48 Prozent , die "Netzbespitzelungen" akzeptieren wollen und die 58 Prozent , die unmittelbar nach der Festnahme von Terrorverdächtigen den Einsatz trojanischer Pferde befürworteten. Die beharrliche Arbeit von Wahrheitsminister Schäuble und Friedensminister Jung scheint sich auszuzahlen, auch wenn hin und wieder kritische Geister merken, wie nur gelabert wird. So haben wir eine Handvoll bis ein Dutzend Fälle, in denen eine Online-Durchsuchung zur Aufdeckung von Zusammenhängen unumgänglich sein soll, bisher 250 vom Weg abgekommene Flugzeuge – und immer noch keine Klarheit darüber, was passiert, wenn Terroristen eine Maschine mit dem Flugpassagier Wolfgang Schäuble kapern. Vielleicht stürzt sein von deutschen Kampfflugzeugen angeschossener Airliner über London ab, weil die Dinger länger in der Luft bleiben als die ministeriellen Piff-paff-tot-Szenarios es glauben machen.

*** Auf seine Weise dürfte Wolfgang Schäuble übrigens stolz sein: Selbst die Sonnyboys des Web 2.0, die jederzeit bereit sind, einen ahnungslosen Webwandler mit ihrem Target-Marketing genannten Unsinn zu überfallen, machen sich inzwischen Gedanken darüber, wie ein Internet-Auftritt Schäuble-sicher gestaltet werden kann. Allerdings könnte man anstelle von Schäuble-sicheren Installationen auch von einem normalen, ernsthaft angegegangenen Datenschutz sprechen. Doch zeigt sich chronikalisch die Flüchtigkeit der Idee vom informationellen Selbstbestimmungsrecht, das nach 30 Jahren Datenschutz im Namen des Antiterrors in die Defensive geraten ist.

*** Wenn André Gorz von kommenden Generationen als Liebesdichter wahrgenommen wird, dürfte der Kernbereich privater Lebensführung zu der komischen Zeit gehören, als man noch Liebesbriefe schrieb und nicht den Liebesschwur mit dem Camcorder aufzeichnete, Web-öffentlich natürlich. Denn in zehn Jahren ist der Kernbereich weggeschmolzen wie das Eis am Nordpol, wenn man aus zehn Metern Entfernung Fingerabdrucke und Iris-Scans von Personen nehmen und abgleichen kann. Wer dann noch etwas über einen privaten Kernbereich erzählt, wird vielleicht als "bürgerlicher Individualist" belächelt. Ach nein, das war heute vor 30 Jahren, als der Bundestag im Kampf gegen den Terror das Kontaktsperregesetz verabschiedete, mit vier Enthaltungen. Erstmals hatte die sozial-liberale Koalition keine Mehrheit mehr, weshalb die Neinsager in der SPD als "bürgerliche Individualisten" beschimpft wurden. Die Abweichler verwahrten sich gegen die Diffamierung mit einer Erklärung: "Der Kampf gegen den Terrorismus wird nicht durch Sondergesetze gewonnen, sondern durch eine entschlossene Anwendung des geltenden Rechts."

Was wird.

Die größte Demonstration für Demokratie seit 20 Jahren ist vorüber, die kleinen Trippeleien gehen weiter. Die Datenschützer im Nachbarland mit den Deichen haben ihre Kaaskoppen mit dem Big Brother Award ausgezeichnet, der bei uns in zwei Wochen vergeben wird. Dabei kommt es in Bielefeld zur größten Versammlung von Datenschützern auf deutschem Boden, weil am selbigen Freitag der Datenschutzverein tagt und tags darauf die kritischen InformatikerInnen Tacheles und nicht Femini-Spräch zur Datensammelwut reden.

In der letzten Wochenschau hatte ich die großen Heisetickerleserumfrage nach den neun besten Spielfilmen ausgerufen, nicht ahnend, welch knifflige Definitionsfragen die verehrte Leserschaft bewegt. Ist Fassbinders Welt am Draht am Ende kein Spielfilm, sondern nur eine Fernsehdokumentation der nahen Zukunft? Und was ist mit Simulacron-3 von Daniel F.Galouye, dem Roman, der die Vorlage lieferte. So wurden im Forum gleich mehrere Umfragen gestartet, die weiter laufen sollen. Neben der Frage nach den besten Spielfilmen ist die Frage nach TV-Serien offen, in denen Computer eine Rolle spielen, sind die Romane gefragt, die nämliches Thema behandeln. Und wenn ich mir es richtig überlege, müsste auch die Musike zum Thema eine hübsche Liste ergeben. Womit ich fast beim kommenden Sputnik-Tag angelangt bin, als die Sowjetunion vor 50 Jahren die Welt schockte. Little Richard gab damals das Singen auf und wurde Prediger und Ross Perot gründete seine Firma Electronic Data Systems, die von dem Wettrennen im Weltraum prächtig profitierte.

Quelle : www.heise.de
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: Hesse am 30 September, 2007, 00:37
Zitat
So haben wir eine Handvoll bis ein Dutzend Fälle, in denen eine Online-Durchsuchung zur Aufdeckung von Zusammenhängen unumgänglich sein soll, bisher 250 vom Weg abgekommene Flugzeuge – und immer noch keine Klarheit darüber, was passiert, wenn Terroristen eine Maschine mit dem Flugpassagier Wolfgang Schäuble kapern.

Prusst.....das ist natürlich das eine gute Frage.....  ;D

Vielleicht sollte/könnte man....in diesem einen speziellen Fall...möglicherweise.......vielleicht.......hmmmm.......ähhh.....

Ach nee doch lieber nicht!
Im Philosophiestudium, 1. Semester lernt man nämlich das man nicht ein Leben gegen ein anderes abwägen darf.

Gerade noch mal Glück gehabt, Herr Schäuble  ;D
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 07 Oktober, 2007, 08:48
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Willkommen beim Großen Preis der Computermusik! Mit ihm feiere ich heute, ja, was feiere ich eigentlich in einer Zeit, in der Heino nicht mehr singen kann und selbst Bild geschockt ist von der Arbeit der Journalisten? Man könnte feiern, dass heute vor 52 Jahren Allen Ginsberg sein berühmtes Gedicht Howl rezitierte, aber das hatten wir schon. Man könnte feiern, das heute vor 40 Jahren in Berlin Hochhuths "Die Soldaten. Nekrolog aus Genf" uraufgeführt wurden, eines der seltenen Theaterstücke, bei denen Freunde des britischen Humors keinen hatten. Oder wie wäre es mit der pompösen Feier zum 40. Jahrestag der DDR an jenem 7. Oktober 1989, auf die die Demonstration von 10.000 Mutigen in Leipzig folgte?

*** Nix da, ich bleibe Mainstream und feiere mit den etablierten, am Euter der Kultur hängenden Journalisten den Kindergeburtstag mit LSD, als heute vor 40 Jahren der "Summer of love" zu Grabe getragen wurde. Das hat zwei Vorteile: Erstens kann ich wieder einmal auf den Song "White Rabbit" verlinken, mit dem die Entstehung der PC-Kultur verbunden ist – wir hatten das im Sommerrätsel. Zweitens ehrt diese außergewöhnlich schöne Interpretation den außergewöhnlichen George Takei, vielen besser als Hikaru Sulu bekannt.

*** Ohnehin ist schwer die Frage, was Jubiläen sollen. Sind sie nicht, genau wie der Große Preis der Computermusik, kaum mehr als ein Anlass, eine Flasche zu entkorken? In diesen Tagen, das Datum ist etwas unbestimmt, wird Slashdot 10 Jahre alt und feiert das mit einer Reihe von Partys. Seit 10 Jahren leben wir mit dem Vorwurf, im Ticker aus der niederdeutschen Tiefebene eh nur von /. abzuschreiben, seit 10 Jahren wird die Antwort mit der journalistischen Recherche nicht ernst genommen. So hat jeder seine eigene Geschichte zu erzählen. Dazu passt die Geschichte von den Nominierungen zum großen Preis der Computermusik. Denn wenn ich die diversen Meldungen addiere, dann würde der Hackersong der Free Software Foundation sämtliche Preise abräumen. Allerdings wurden viele unterschiedlichen Song-Distributionen nominiert, vom Original im Sieben-Achtel-Takt bis zum Rock der Stallman Brothers Band.

*** Ähnlich ist eigentlich das Schicksal von Kraftwerk gelagert. "Einfach alles von Kraftwerk nehmen", wie von den Lesern eingesendet, schaffte es einfach nicht in die Charts zum Großen Preis der Computermusik, die mit Georg Danzer beginnen. Sein Zerschlagt die Computer brachte es auf Platz 10 der Charts. Im Netz ist das Lied leider nur auf iTunes zu finden. Platz 9 ging an den Umgang von Man or Astroman mit ihrem Eeviac, den man heute wahrscheinlich eEviac schreiben müsste. Ganz wundervoll auf Platz 8 landeten die Opas von den Rolling Stones mit ihrem 2000 Man, einem Lied über einen englischen Premierminister, der im Jahre 2000 mit einem x-beliebigen Computer rummacht. Ganz so promiskuitiv kann es bei uns in Deutschland natürlich nicht zugehen, darum hat in unseren Charts France Gall mit dem Computer Nr.3 die Stones abgehängt.

*** Mit dem Gummitwist lieferte der Plan ein Lied ab, das bis auf Platz 6 klettern konnte. "Computerbulle, nascht den Transistor-Donut womit spülst du ihn runter?", fragten einstmals die Ärzte und die Antwort kam auf Platz 5: Elektrobier nach dem deutschen Reinheitsgebot muss es schon sein. Die Hymne Computerstaat von Abwärts wurde unlängst in dieser kleinen Wochenschau erwähnt und vorgestellt, vielleicht ein Grund, warum sie Platz 4 erreichen konnte. Mit Frank Zanders Interpretation von Hey, Captain Starlight, verlinkt zum Jahresbeginn der Wochenschauen, haben sich offenbar viele Leser anfreunden können. Die meisten Stimmen gingen indes zum großen Comdex-Hit ein, den Al Yankovic und seine Truppe einst mehrmals auf der längst vergessenen Messe präsentierten: All about the Pentiums brachte es darum auf Platz 2 im Großen Preis der Computermusik 2007, ein schöner Erfolg.

*** Wie im richtigen Leben, so ist auch in diesem Wettbewerb der erste Platz uneinholbar von Daisy Bell besetzt, entweder in der Interpretation des sterbenden Hal 9000 oder wahlweise als Output des IBM 704. Selbst die Commodore-Version mit den Geräuschen des 1541er Floppylaufwerks gehört noch in diese Sparte. Im Jahre 1951 soll die UNIVAC I ebenfalls den Computersong schlechthin gespielt haben, doch gibt es davon offenbar keine Aufzeichnungen. Wie das Liedgut unseres Großen Wettbewerbs zählt auch die UNIVAC-Version nicht zu den 24 Stücken der berüchtigten 220.000-Dollar-Playlist, für die schon der durchschnittliche iTunes-Preis zu viel ist.

*** Die scheinbar unwichtigen Nachrichten dieser Woche harren noch der Aufbereitung. Natürlich darf man sich über die Frage streiten, ob Forschungen zum Jetlag von Hamstern ignobelpreiswürdig sind – zumal die Viecher gar nicht von Buenos Aires nach Paris oder Peking geflogen sind. Wirklich wichtig sind dagegen die Erkenntnisse der Linguisten von der Universität Barcelona, dass Ratten nicht zwischen rückwärts gesprochenem Chinesisch und rückwärts gesprochenem Niederländisch unterscheiden können.

*** Ganz zu schweigen von der schwulen Bombe, die vielleicht noch gebraucht wird in der abstrakten Gefährdungslage, in der wir leben, genau wie die Online-Durchsuchung. Während Gutachter noch darüber befinden, ob diese juristisch problematisch ist, sollen Praktiker sie längst als prima Mittel zur Quellen-TKÜV einsetzen. Für kernige deutsche Politiker der Parteien mit dem großen C (wie in Kotau) ist die Sache klar: Wir sind der Gesetzgeber, nicht das Bundesverfassungsgericht! Und der wäre ein schlechter Gesetzgeber, wenn er keine Verordnung fände, die aus Trittbrettfahrern Terroristen machen kann.

Was wird.

Ein vorletzter Song für heute, der natürlich auch nichts mit Computern, dafür umso mehr mit Orgienengeln zu tun hat, denn, wie es im Refrain treffend heißt: Und sehen wir uns nicht in dieser Welt, dann sehen wir uns in Bielefeld!. Jawohl, das geile Bielefeld ist wie in der letzten Woche schon die Stadt, der die Zukunft gehört, die Hauptstadt des Datenschutzes und das nicht nur, weil wieder einmal der Big Brother Award verliehen wird. Die Preisverleihung wird in diesem Jahr von zwei Jahres-Tagungen eingerahmt, die die Datenschützer und kritischen Informatiker abhalten.

Bald wird die spannende Frage beantwortet sein, welche unter Viagra stehenden Datenhamster von Staat, Verwaltung und Wirtschaft die begehrte Auszeichnung im Empfang nehmen können. Nicht dabei sein wird leider die Göttinger Polizei, die aus einer einzigen richterlichen Genehmigung zum Abhören eines Telefons illegalerweise eine Rundum-Observation machte. Braucht eine Truppe, die so vorgehen kann und erst von einem Gericht gestoppt werden muss, wirklich Online-Durchsuchungen? Brauchen wir einen Staat mit einem Innenminister, der sich dank der Lektüre von Theoretikern des Ausnahmezustands fortlaufend in selbigem wähnt? We got computer, we're tapping phone lines, I know that ain't allowed, sangen einstmals die Talking Heads. So ist es also, tralala, das hektische Leben in Kriegszeiten.

Quelle : www.heise.de
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 14 Oktober, 2007, 00:31
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Bumm! Knall! Schepper! Heute ist der große Rummstag, den Lebewesen in der nördlichen norddeutschen Tiefebene nicht unbekannt, dank der Tiefflieger unserer Luftwaffe. Heute vor 60 Jahren durchbrach Chuck Yeager als Erster die Schallmauer, mit zwei gebrochenen Rippen. Die holte er sich freilich beim Reiten in der Tiefebene der Mojave. Eigentlich sollte Yeager gar nicht berühmt werden, sondern der reguläre Pilot des Raketenstummels namens X-1A. Doch der verlangte 150.000 Dollar zusätzlich für den Mauerbruch, plus eine Gefahrenprämie für jede Minute, die er schneller als der Schall flog. Yeager machte das Ganze zum regulären Pilotengehalt von 511 Dollar im Monat. Der Stoff, aus dem die Helden sind, ist immer ein besonders billiges Gewebe. Darum darf Hans-Guido Mutke nicht in die Geschichtsbücher einrücken, als er im April 1945 über Innsbruck die Schallmauer mit seiner ME 262 durchbrach. Wissenschaftlich undokumentiert und im Sturzflug. Um verbotenerweise einem Kameraden das Leben zu retten, riskierte er, den teuren Düsenflieger zu demolieren. Yeager wurde berühmt, doch in die Unsterblichkeit schaffte er es erst mit "seinem" Flugsimulator. Zu Ehren des ganz besonderen Tages, an dem die Mauer fiel, sei an die schöne Zukunft von Gestern erinnert, als Künstler wie Erik-Theodor Lässig und Eberhard Binder-Staßfurt unsere Träume malten – die Alpträume kamen erst später.

*** Vielleicht wird einmal der Knall von Karlsruhe in die Geschichtsbücher eingehen. Denn abgesehen davon, dass das Bundesverfassungsgericht ein schlampig ausgearbeitetes NRW-Gesetz zur Online-Durchsuchung ein weginterpretiertes Gesetz nannte, führte dort der Informatiker Andreas Pfitzmann das Gericht in die Grundzüge der beginnenden Singularität ein. Um es mit Bloch zu sagen: Ich bin, aber ich habe mich nicht ohne meinen Computer, der Teil meiner Persönlichkeit ist und die Heimat schlechthin. Vielleicht sind persönlichste Rechner noch nicht so richtig in unseren Körpern integriert, doch gehören sie bereits zu unserem Intimbereich. Was Ignoranten zeitgenössischer Lebensformen prompt als digitale Demenz zu einem Krankheitsbild stilisieren, ist nichts weiter als eine Arbeitsteilung zwischen Menschmaschine und Maschinenmensch. Ich für meinen Teil weigere mich, irgendeinen URL in meinem Arbeitsspeicher zu halten, wenn es dafür bessere Speicherplätze gibt, auch noch einfach duplizierbar. Wer beim Sprung in den Swimming-Pool alle Daten im Mobiltelefon verliert, mag solchermaßen digital dement sich daran erinnern, was Datensicherung ist – oder nach seinem Mobilsitter jammern.

*** Gut, es gab auch stärker technisch argumentierende Stellungnahmen, etwa von Parteigängern des Chaos Computer Clubs, aber die Idee, dass wir im Kernbereich der privaten Lebensführung mit unseren Computern in einem symbiotischen Verhältnis leben, hat Auswirkungen weit über die Online-Durchsuchung hinaus. Der oberste Überwachungseiferer, der davon tönt, dass Terroristen jetzt erst recht keine Rücksicht nehmen und Eile geboten sei, will der Singularität politische Grenzen setzen. Ein bisschen Überwachung der Überwacher? Kein Problem! Es wird alles getan, damit auch der letzte Sozialpütz auf den großen Datenschnüffelhund kommt, der diese ständig zuschlagenden Terroristen aufspürt.

*** Bis die Entscheidung und Begründung des Bundesverfassungsgerichts zur Online-Durchsuchung kommt, darf über eine andere Entscheidung des Gerichtes zugunsten der Privatsphäre debattiert werden. Mit dem bestätigten Verbot von Maxim Billers Esra kommt die Rückkehr von Anstand und Sitte zurück in die Literatur. Verboten belieb das Buch wegen intimer Details aus dem Leben mit Esra, während die Schilderung ihrer Mutter als kaputte Alkoholikerin vom Gericht nicht beanstandet wurde. Das wird die Umweltaktivistin, die für ihren Kampf gegen den Gifteinsatz beim Bergbau in der Türkei den alternativen Nobelpreis bekam, verärgern, doch es gilt: Beim Kernbereich der privaten Lebensführung muss nicht nur das BKA und der Verfassungsschutz, sondern auch die Kunst abschalten und den Schweinkrams übergehen oder künstlerisch überhöhen. Was auf einem "Richterband" der Überwacher sofort gelöscht werden müsste, wird in einem Einband von der richterlichen Lesebrille mit gleicher Konsequenz gefunden und gesperrt. Man mag dies als Niederlage der Literatur bejammern oder freudig darauf hoffen, dass die entsprechende Entscheidung zur Online-Durchsuchung beim Unsinn mit dem polizeilich deklarierten Respekt vor privaten Tagebüchern ähnlich konsequent ist. Wie war das noch mit der intimen Beichte von Daniel Cohn-Bendit, Mein wildes Leben getitelt? Dahinter steckte eine Sammlung von Bombenbauanleitungen.

*** Schlappe 20 Watt werden benötigt, um auf einem IBM-Mainframe die "Integrated Facility for Linux" zu starten. Denoch hat IBM dafür keinen Nobelpreis bekommen, sondern Al Gore und der Weltklimarat. Wenn der Sohn eines Mannes ausgezeichnet wird, dem die US-Amerikaner ihr Highway-Netz verdanken, dann hat das seinen Grund, meint die FAZ (auf kostenpflichtigem ePaper). Denn der Preis für Gore ist auch ein Nobelpreis für die Dia-Show, ein Zeichen gegen das verhasste Powerpoint-Diktat. Ehrliche Dias gegen die perverse Rechentechnik, in der Prozessoren die unter intimer Chiffre geplanten Massenmorde abspeichern, ohne dies dem Staat zu melden.

*** Ganz nebenbei ist Gore charmanter als die Bombenbauplänesuchmaschine Google, deren Rechenzentren in aller Welt ordentlich Energie verbrauchen. Das will Google mit Makani und ein paar Drachen wett machen, meint Meisterprophet Bob Cringely. Bislang scheint der Google-Effekt eher darin zu bestehen, dass das kalifornische Silicon Valley seine irrwitzig hohen Preise halten kann.

*** Aus luftigen Drachenhöhen muss ich doch noch einmal auf die Mühen der Ebene zurückkommen. An diesem Wochenende ist Biefeld ja die Hauptstadt des Datenschutzes gewesen, komplett mit der Verleihung der beliebten Big Brother Awards, ganz im glamourösen Stil eines x-beliebigen Filmfestivals. Inmitten der Tagungen von Datenschützern und kritischen Informatikern hatten sich alle sehr lieb. Dass Datenschutz eine harte Sache sein kann, komplett mit Nachtreten und -karten, das zeigte eigentlich nur das Referat von der verlorenen Zweckbestimmung (20 Seiten) der Mautdaten, vorgetragen vom Datenschützer von Toll Collect, nur komplett mit der Aussage in der anschließenden Diskussion, dass die Mautbrücken auch PKWs verarbeiten können. Nur mit der Masse der OBUs hätte man wohl ein Problem, genau wie bei unseren Nachbarn in den Niederlanden, wo 8 Millionen Fahrzeuge auf ihre OBU warten und der Betreiber auf einen hübschen Big Brother Award.

*** Wie Daten wirklich geschützt werden können, zeigt die Posse um die Fluggastdatenübermittlung. Weil die Beratungen von Behörden beeinträchtigt werden könnten, bleiben die Daten geheim, basta. Wer so argumentiert, ist nicht der Vatikan, dessen Behörden heilig sind, sondern das Wirtschaftsministerium von Berlinistan. So weiß von den der Behörden untergetanenen Bürgern noch niemand, welche Auswirkungen die neue 72-Stunden-Regel in den USA haben wird, über die in anderen Ländern berichtet wird. Nur wer durch und durch nichts zu verbergen hat, dem wird ein Ticket ausgedruckt. So wird der Mensch gebodigt, zu unser aller Sicherheit. Mit dem neuen Sicherheitslevel dürften die übergesetzlichen Abschussgelüste im Verteidigungsministerium in ein neues Licht gerückt werden.

Was wird.

Mit dem seltsamen Slogan Work ndash; Wow! ndash;, klar, kündigt sich die Systems in München an, wobei Wow! das Kürzel für "vier Tage echte Begeisterung" sein soll. Wir Journalisten erfahren bereits, dass auf der Systems "lebenswichtige Fragen" beantwortet werden sollen, etwa die, ob Internetportale den Mobilfunk aufmischen. Journalistisch könnte man nach den Pillen fragen, die beim Verfassen solch bombastischer Ankündigungen eingeworfen werden, bis man das berühmte weiße Kaninchen sieht. Letzte Woche hatte ich den entsprechenden Song von Jefferson Airplane in der hübschen Startrek-Version verlinkt. Dort hoppelt stilecht ein Kaninchen durch das Set. Als weißes Kaninchen begann die Karriere von Geburtstagskind Paul Simon. Während er so durch Alices Wunderland hoppelte, traf er den verrückten Hutmacher, gespielt von Art Garfunkel. Der Rest ist Bumm! Knall! Schepper!.

Quelle : www.heise.de
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: Jürgen am 14 Oktober, 2007, 03:06
'ndash' ist ein Bindestrich, vermutlich irgendein copy & paste Problem.

Test:

Mit dem seltsamen Slogan Work – Wow! –, klar,

@ SiLæncer
Das liegt irgendwie bei Dir.
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 21 Oktober, 2007, 00:14
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Das Internet ist ein fürchterlich langsames Medium. Bei aller Schnelligkeit, der all die Blogs, Social-Networking- und Meta-Sites meinen hinterherhecheln zu müssen, braucht es realiter lange, bis sich herauskristallisiert, was wirklich relevant ist. Wenn etwa jeder Unsinn, den sich Rechtsanwälte so ausdenken, als Sensation unter die Leute gebracht wird, weiß am Ende niemand mehr, was die Stunde geschlagen hat. Und wer auf der anderen Seite nur noch auf andere referenziert, trocknet über kurz oder lang mangels Inhalt aus – darf sich aber wenigstens als Teil des vermeintlich schnellen Mediums Internet betrachten. Die Entdeckung der Langsamkeit jedoch wäre mal wieder ein recht tugendhaftes Unterfangen.

*** Und wo wir schon bei der Langsamkeit sind: Ein beliebter Vorwurf an Chronisten ist, dass sie am Alltäglichen kleben, nicht über den Dingen stehen und daher nicht das große Ganze sehen. Als MOP (Mensch ohne Peilung) in den Tiefen der niederdeutschen Tiefebene gründelnd, ist für mich nun einmal die Nachricht über Intershop die Sensation der Woche in der gefühlten zweimillionsten Meldung zu dieser Firma. Intershop und Gewinn, das ist wie die Behauptung, die Erde sei rund. Wie langsam jedoch muss man sein, wie mag der nötige klebefreie Abstand aussehen, wie hoch muss man eigentlich über den Dingen stehen, ehe das große Ganze auftaucht?

*** Aber was sind schon Langsamkeit und der Stand über den Dingen: Vielleicht ist nur der zeitliche Abstand wichtig. Da klebt man an einem urzeitigen Protokoll und vergisst schnell, dass die Uhren des Langen Jetzt ganz anders ticken. Blicken wir also zurück in die seeligen Zeiten, als die Ursuppe auf der Erde schwappte und das Leben aus einer Gemeinschaft der unterschiedlichsten Zellen bestand. Fand ein Wesen einen nützlichen chemischen Trick heraus, gab es den Trick mit seinen Genen an alle herumsuppenden Zellen weiter. Die Evolution schritt rasch voran, da überall und gleichzeitig viel Neues ausprobiert und getauscht wurde. Doch dann änderte sich die schwarmende Suppenintelligenz, schreibt Freeman Dyson:

"Eines unschönen Tages aber realisierte eine Zelle, die sich ungefähr auf dem Entwicklungsstand einer primitiven Bakterie befand, dass sie ihren Nachbarn in Sachen Effizienz einen Schritt voraus war. Diese Zelle, eine Art drei Milliarden Jahre alter Vorläufer von Bill Gates, trennte sich von der Gemeinschaft und weigerte sich, ihr Erbgut zu teilen. Ihre Nachkommen wurden die erste Bakterienspezies – und die erste Spezies überhaupt –, die ihr geistiges Eigentum ausschließlich für den Eigengebrauch reservierte."

Eine Art Vorläufer von Bill Gates tauchte also auf und schon war die Sache verkorkst. Drei Milliarden Jahren ist das her und schwerer zu korrigieren als ein Zellenfehler in Excel. Wenn überhaupt, dann geht es nur wie damals bei der PC-Revolution, die im schmerzlich vermissten Hombrew Computer Club begann. Nach Homebrew ist Genebrew das Zauberwort, mit Tausenden von PG, Persönlichen Gentechnik-Laboren, in denen jeder die wundersamsten Fische kreiert oder halt fischfressende Pinguine mit gelben Füßen und kleinen Schweinen, die fliegen können. Der Mensch beendet die Epoche des Darwinismus mit fröhlichen Experimenten, wie er die Epoche der Großrechner mit einem Gewimmel von PC-Clones beendete. Und bald wird es Zeit für einen neuen Brief an die Hobby-Forscher, die mit ihrem Treiben noch das schönste Geschäftsmodell ruinieren.

*** Aus praktischen Erwägungen sollten die schöpferischen Bricoleure ihre DNA-Köfferchen nicht beim Menschen absetzen. Der besteht zu 70 Prozent aus Wasser und ist ständig in Gefahr, auszutrocknen. Diese allgemeine Bedrohungslage ist, wie die Politik laufend mahnt, kein besonders guter Ausgangspunkt für die Biodiversität 2.0. Im Sinne eines echten Neubeginns wäre die Gentechnik besser beraten, bei den Schaben und Wanzen anzusetzen, sofern sie denn tatsächlich einen Atomschlag überleben. In diesem Sinne zeigt eine mit Napalm feuerbestattete Spinne die Abwege der Forschung. Statt nach neuen Nahrungsquellen für die Menschheit zu suchen, hätte man besser die Intelligenz des Krabbelviehs gefördert. Mit dem Computer können Spinnen jedenfalls gut umgehen.

*** Mit einem ordentlichen Abstand vom Geschehen werden kleine, unbedeutende Ereignisse immer kleiner. Aus der Ferne betrachtet künden 720 Weiter-Reiter davon, dass das Volk Anteil an der großen deutschen Autobahn-Debatte nimmt. Dennoch gab es schon bessere, richtig fundiert geführte Talkshow-Debatten, nach der die Mikrofone für die Gefangenen der Bewegung eingesammelt wurden. Die sich heute so ihre Gedanken machen über das, was vor 30 Jahren passierte, komplett mit den Beißreflexen empörter Andersseher.

*** Wenn weitere 30 Jahre vergangen sind, wird man über dieses Protokoll einer Überwachung, möglicherweise aber auch um die Angstzustände und Einbildungen während einer Überwachungsmaßnahmen staunen. So primitiv? Mit Funksperre und Mailboxrufumleitung wurde überwacht, als die Bundestrojaner noch nicht funktionierten bzw. noch nicht erlaubt waren, wird man sich 2037 wundern, und vielleicht verklärt der Zeit vor dem großen YouPornStopp gedenken, als das Internet nicht nur langsam war, sondern auch noch Pornographie enthielt – darunter Bilder, mit denen Verbrecher gefangen werden konnten.

*** Während vor Milliarden von Jahren die Ursuppe schwappte, musste der Mensch Ursuppenküchen schaffen, Labore vollgestopft mit allem erdenklichem Zeug, von gemahlenen Mückeneiern bis zur Elefantenwimper. Heute vor 128 Jahren begann ein Experiment, dass die Situation der gemächlich lebenden Menschheit grundlegend veränderte. Am 21. Oktober 1879 wurde in den wunderlich ausgestatteten Edison-Labors ein Experiment gestartet, bei dem eine Glühlampe 13,5 Stunden lang brannte und erst am 22. Oktober ihren Geist aufgab. Mit seinem Patent und dem Aufbau einer Stromzulieferindustrie startete Thomas Alva Edison das elektrische Zeitalter. Der Durchbruch der Technologie kam am 20. Oktober 1893, als die Stadt Chicago beschloss, eine elektrische Weltausstellung zu eröffnen. 27 Millionen Amerikaner oder die Hälfte der US-Einwohner besuchten das Weltwunder und sahen staunenswerte Neuheiten wie das elektrische Licht, den Reißverschluss und die Farbsprühdose. Was bleibt uns heute? Ein Strom-Manager, der die Frechheit besitzt, seine Dienstleistung mit einer Currywurst zu vergleichen. Eine passende Antwort darauf lautet: Mein Arsch gehört mir!

Was wird.

Der am Alltäglichen klebende Blick des Chronisten streift den Kalender und findet eine hübsche kleine Sicherheitskonferenz in London, auf der Microsoft und SAP ihre Software Security Initiative starten werden. Beim Versprechen, nie wieder unsichere Software abzuliefern, werden die Firmensprecher keine Miene verziehen dürfen. Wenigstens müssen sie nicht auf "Die Entstehung der Arten" schwören, diesem Buch, das erklärt, was der Vorläufer von Bill Gates alles angerichtet hat. Star der Londoner Konferenz ist Frank Abagnale, dessen Betrügereien in den sechziger Jahren für Aufsehen sorgten und als "Catch me if you can" in die Kinos kamen. Heute verdient Abagnale sein Geld als Sicherheitsberater, der beklagt, wie unehrlich doch diese Welt geworden ist. So schwindelt er sich nach wie vor durchs Leben.

Doch zurück zum Großen, zum Ganzen und Erhabenen: In genau 7,59 Millionen Jahren ist es sowieso vorbei. Zwei Milliarden Jahre früher verlassen die letzten intelligenten Maschinen die Erde, nicht ohne ein gigantisches Pinguin-Denkmal ihren mutmaßlichen biologischen Vorfahren zu Ehren gesetzt zu haben – die Datenträger sind da nicht ganz eindeutig. Doch all das ist kein Grund zur Panik und Hektik, denn wie es schon der große Friedrich Engels in seiner komischen Logik anmerkte, beunruhigt von einem möglichen drastischen Ende des Sozialismus in ferner Zukunft, kann die einmal abgelaufene Weltuhr immer wieder aufgezogen werden, weil sie aufgezogen gewesen ist. Man darf nur bei der Umstellung von der Sommerzeit keine Fehler machen. Wie gut, dass 100 Millionen Uhren auf T-Systems hören und gleich danach das nächste WWWW freigeschaltet werden kann. Es lebe die wiedergefundene Zeit – und die zum Wiederfinden nötige Langsamkeit.

Quelle : www.heise.de
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 28 Oktober, 2007, 00:59
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Ooh, stöhn, hechel. wie geil war der Geiz! Fünf lange Jahre forderte der G-Spot deutsche ITK-Konsumenten zum Rubbeln auf. Doch nun ist die Orgie vorbei. Geiz produziert keinen Ständer mehr, nur die lüsterne Räkelei ist noch geblieben. An seine Stelle ist der Hass getreten, der Hass auf Alles, was gut und teuer ist. Während "Geiz ist geil" immer noch den Gesetzen der deutschen Sprache entspricht, langt die Rede vom Lieben und Hassen ordentlich daneben und bedient sich beim "das kostet teuer" der Kanakensprache. "Wir lieben Technik – wir hassen teuer", und das auch noch vorgetragen von einer lüstern sich räkelnden Veronika Hugo, die ihre implantierten RFID-Chips aus der Haut popelt und mit dem Zeigefinger den bleichen Schirm zum Platzen bringt. Entfernt erinnert das Platzen an ein großes Werbevideo, das mit seinem Hammerwurf wiederum an den berühmtesten Knochen der Filmgeschichte erinnert, womit ich natürlich bei meinem Lieblingsthema bin: Es gibt eben Maschinen wie Hal 9000, die denken. Glücklicherweise gibt es andere. Und über alle wölbt sich der rechnende Raum von Konrad Zuse, nacherzählt von Steven Wolfram. Wenn die technologische Singularität hinter uns liegt, werden diese Filmchen zu den Klassikern der Computerbildungsfilme gehören.

*** Bildungsfilme sind geil, denken wir nur an den Knaller über die Herzklappen des Hausschafes. Gut trifft es sich, dass die UNESCO heute den World Day of Audiovisual Heritage (PDF-Datei) ausgerufen hat, an dem wir alle der Archive gedenken, in denen unser kollektives visuelles Wissen gespeichert ist. Leider trifft es sich, dass gerade in den Köpfen deutscher Bildungslenker der Slogan "Geiz ist geil" besonders stark verankert ist, "Wir lieben Technik" dagegen nicht. Denn anders ist es nicht zu erklären, warum ausgerechnet das IWF Wissen und Medien aufgelöst wird, eine einzigartige Einrichtung, die mit ihren Campusmedien erfolgreich ist. Das Aus an den Rändern der norddeutschen Tiefebene kommt trotz landesfürstlicher Fürbitte. Gegen die mächtigen Herrscher der Bund-Länder-Komission hätte es wohl nur gereicht, wenn die UNESCO ihr Zeichen für schützenswertes Kulturgut an die Wände des IWF gebappt hätte.

*** Seit dem Wörterbuch des Gutmenschen von Klaus Bittermann ist "der Gutmensch" mit "dem 68er" verwachsen wie der bärtige Beck mit der SPD. Dabei ist der Gutmensch historisch älter. Die Nazis benutzten ihn im Dritten Reich für die Geistlichen, die sich gegen die Euthanasie aussprachen. Wer will, kann den Begriff bei Nietzsche finden, der sich in seiner Genealogie der Moral über die vermoraliserenden guten Menschen lustig macht und den Herrenmenschen predigt. Nun hat der Chef eines Boulevardblattes mit dem Hang zu fehlerhaften Meldungen ein Buch herausgebracht, in dem er auf 254 Seiten über den Gutmensch herzieht und ihn für alles Schlechte in Deutschland verantwortlich macht, inklusive der vielen Hundehaufen in Berlin. Gutmenschen, das waren Dutschke und die Studentenbewegung, die Solidaritätskaffeetrinker und die Mimosen, die gegen die Verwanzung in der Abhöraffäre um Klaus Traube protestierten, aber gleichzeitig ihre Toilettentüren aushängten, wegen dieser Privatsphäre. Ein Gutmensch hat sich dieser Verantwortungsdiffusion angenommen und eine Welt voller Rätsel gefunden.

*** Eine Diffusion erfuhr in dieser Woche ein Haftbefehl gegen einen kritischen Soziologen, der nach einer Google-Suche ins Visier der Polizei geriet: Der Haftbefehl löste sich auf, doch gegen den Wissenschaftler wird weiterhin nach dem Paragrafen 129a ermittelt und beschattet, der zur Bekämpfung der RAF ins deutsche Recht gehievt wurde. Damals wurde der Ausnahmezustand zur Regel. Das bei allem ehrenden Gedenken an die Opfer der RAF diese Erbschaft der bleiernen Zeit kaum noch erwähnt wird und 129a zum Normalzustand geworden ist, ist auch ein deutsches Vergessen.

*** Als schöner Erfolg des BKA wird die Festnahme eines mutmaßlichen Kinderschänders gefeiert, obwohl gerade die Fachleute davon alles anders als begeistert sind. Entgegen allen Vereinbarungen unter den Ermittlern wurde nicht nur das errechnete Fahndungsbild gezeigt, sondern auch die verstrudelte Variante. Das Mitteilungsbedürfnis, das stolz die Technik präsentiert, ist gleichzeitig ein lautes Signal an die Täter, die Bilder besser zu bearbeiten. Bleibt zu hoffen, dass die Technik der heimlichen Online-Durchsuchung ähnlich schnell die Runde macht, wenn es denn solche Trojaner geben sollte. Merkwürdig nur, dass von unseren mitteilungsbedürftigen Behörden kein einziger Treffer aus dem Datenverhau namens Anti-Terror-Datei gemeldet wird. Während in einigen Landeskriminalämtern die besonders geschützten Räume wieder abgebaut werden, aus denen Anfragen an die Datenbank geschickt werden dürfen, erfreut sich der Innenminister am GIZ. Der Unsinn in der amtlichen Pressemitteilung sei an dieser Stelle noch einmal wiederholt: "Das Internet hat sich in den letzten Jahren zum entscheidenden Kommunikationssystem für die menschenverachtenden Machenschaften von Terroristen entwickelt. Es dient als Informationsbörse, Kommunikationsplattform, Gemeinschaftsraum, Bibliothek des terroristischen Wissens und Ausbildungslager." Uh, uhuh Baby, its a wild world, sang einstmals Cat Stevens, so ein parkatragender Gutmensch, der jetzt unter anderem Namen – auch nicht ganz unbehelligt – lebt.

Was wird.

Wer teuer hasst, der wird die schönste Stadt in der wundervollen norddeutschen Tiefebene nicht besuchen, wenn die CeBIT grün wird. Das jedenfalls verkündeten die Messemacher vor geladenen Journalisten in der zweitschönsten Stadt nach Hannover, in Paris, wo das Moulin Rouge mit historisierendem Kitsch von vergangener Größe zehrt und ein kleiner Macho seiner lieben Freundin Angela nicht das Vergnügen einer CeBIT-Eröffnung im Duett mit Steve Ballmer überlassen will, während Vélo und Liberté zusammen schwer in Mode gekommen sind. Wer stilecht zur neuen CeBIT will, nehme ab Hannover Hauptbahnhof ein deutsches Bahnbike, nur fahrbar mit der entsprechenden Altersverifikation durch die Bahncard. Und eine Handkurbel für den Handystrom muss auch mit, wenn die Hotel-Preise speziell für Technikliebhaber anziehen wie die Notierungen von Kupfer.

Doch nicht nur Kupfer, auch Alu hat eine große Zukunft. In der nächsten Woche gelangen die tollen, noch neueren Reisepässe in den Umlauf, nur echt mit den gespeicherten Fingerabdrucken auf dem RFID-Chip. Besonders feierlich werden sie am Ausläufer der norddeutschen Tiefebene in Lübeck eingeführt. Die ehrwürdige Hansestadt startet gemeinsam mit dem unabhängigen Landeszentrum für Datenschutz eine besondere Aktion. Wie heißt es so schön in der Pressemeldung: "Zur Erhöhung der Sicherheit wird von der Hansestadt und dem ULD eine Alu-Schutzhülle (Faraday'scher Käfig) angeboten, mit der das heimliche Auslesen des Reisepasses verhindert werden kann." Unsere Pässe sind sicher, soso. Immerhin ist die deutsche Bevölkerung anders drauf als die rundumüberwachten Briten, besonders in der Ausführung als britische Politiker. Deren Angst vor Fingerabdrucklesern und besonders vor terroristischen Fingerkuppenabhackern zeigt, wie konsequent der Kampf gegen den Terror geführt werden muss.

Was in Zukunft noch geil sein kann, ist schwer teuer die Frage. Ein Fingerzeig ist vielleicht, dass gerade Viva Maria im Fernsehen läuft. Der Film, der 1966 Dutschke und Co. beeinflusste, der Film, bei dem jener Volker Schlöndorff als Assistent arbeitete, der später zu den RAF-Kofferträgern gezählt wurde, weil er gegen die Haftbedingungen protestierte und sich um den früheren Bildungsfilmer Holger Meins kümmerte. Die Lehre aus der fröhlichen Bomberei von Maria und Maria ist klar: Für Frauen gibt es keine Winterzeit. Mit der neuen Geschlechterzeit wird alles viel einfacher. Oder müsste es geiler heißen?

Quelle : www.heise.de
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 04 November, 2007, 00:21
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Schreiße! Scheize! Schoiße! Wir haben zwar einen Weltherrscher, aber keinen König Ubu mehr, einen richtig feigen und verfressenen Tyrannen, dem jede Enthirnung recht ist und jede Steuererhöhung für sein "Pfuinanzministerium" hochwillkommen. Scheiße, wo bleibt Ubu 2.0, wenn es darum geht, die ubueskische Verfassung unserer Regierung aufzudecken? Vor hundert Jahren starb der große Radfahrer Alfred Jarry, nach vielen hunderten ch's, ch's, ch's. Der Begründer der Pataphysik, der auf seinem Fahrrad die Klingel durch den Revolver ersetzte (wovon jeder Fahrradfahrer träumt), übt bis heute einen großen Einfluss auf unsere Kultur aus, von den Ignobel-Preisen bis zum Freitags-Flamewar im Forum, gleich nach dem Donnerstag, dem großen König-Ubu-Staatsstreichtag.

*** Wie gesagt: Auch unsere Regierung ist nachhaltig pataphysisch beeinflusst und auf dem besten Weg in die Ubutistische Diktaktur. Anders kann ich mir die ubuesken Äußerungen einer Justizministerin nicht erklären, die nicht weiß, was ein Browser ist (Video, 26 MByte), aber dennoch von den Gegnern der Vorratsdatenspeicherung den Sachverstand einfordert, den sie nicht besitzt. Eine Karrieristin im Fahrwasser jenes Otto Schilys der als der Unantastbare in die Geschichtsbücher eingehen will, behauptet wahrheitswidrig, dass gleichsam "nur der Briefumschlag" eines Telefonates einer Internetsitzung oder einer E-Mail aufbewahrt werden. Sollte die Analogie stimmen, so müsste die Post wie ihre Mitbewerber PIN, TNT und alle übrigen sorgsam die geöffneten Umschläge aller Briefe ein halbes Jahr lang aufbewahren.

*** Die Pataphysik hat nicht nur das Büro für Patenterei hervorgebracht, in dem die unsinnigsten Patente gesammelt werden, wie etwa jenes Patent, das die erfindungsreichen Cowboys von SCO an die Cattleback Holdings verkauften. Nein, die Pataphsik ergänzte auch die Mathematik um nützliche Rechnereien zwischen Null und Unendlich. Pataphsysisch angehaucht freute sich in dieser Woche ein Polizeigewerkschaftler, dass mit den neuen Reisepässen – nur echt mit erkennungsdienstlicher Behandlung – Fälschungen weitestgehend ausgeschlossen seien. Zwar ist bekannt, dass seit 2001 ganze 6 gefälschte Pässe aufgeflogen sind. Doch 6 von ausgestellten 28 Millionen Pässen, das ist pataphysisch gesehen ein großes Loch, durch das eine komplette terroristische Bedrohungslage mit Revolver, Fahrrad und ein paar Kanistern Wasserstoffperoxid, einem Kännchen Salzsäure, einem Sattelzug Aceton und einem ordentlichen Eisberg zur Kühlung locker passen können.

*** In diesem Zusammenhang spielt der oberste deutsche Polizist Jörg Ziercke eine wundersame, gewissermaßen zauberische Rolle: Haarklein will er aufklären, wie sein Charlottenburger Kriminalamt entstanden ist, doch ebenso haarnäckig will er niemals seinen ePass in eine Hülle gesteckt haben. Das ließ er von seinem Sprecher energisch dokumentieren, obwohl in dieser Anhörung vor dem Bundestag (PDF-Datei) der oberste Polizist sagt: "- ich habe hier einen ähnlichen. Man benutzt diesen Umschlag nur, um den Ausweis dort hineinzustecken, und dann ist dieses Szenario völlig entzaubert." Mit dem tollen ePass ist es wie mit dem Kaninchen im Hut des Zauberers: Der Hut ist eine großartige Täuschung und nur der Rammler echt.

*** Zum neuen Reisepass sei dieser Remix empfohlen, der die etwas verwirrenden Aussagen unseres Innenministers ordnet und in der korrekten sequenziellen Reihenfolge wiedergibt. Dagegen steht aus aktuellem Anlass die Anstrengung am Text denn besagter Minister hat in dieser Woche keine Hinweise auf das Trennungsgebot von Polizei und Geheimdiensten finden können. Vielleicht meint er hier, dass die Polizei seit dem Fall Daschner ein positives Verhältnis zum Foltern aufbieten kann, vielleicht meint er eine andere Sammlung von Gesetzen.

*** Auf jeden Fall ist die Gemengelage heikel, was Pässe, Aufenthaltserlaubnisse und Geheimdienste anbelangt. Am vergangenen Wochenende tagte die evangelische Akademie in Berlin zur Frage, ob Geheimdienste ethisch handeln. Dass Verfassungsschützer es völlig normal finden, von Abschiebung bedrohte Asylanten zur Mitarbeit im "Dienst" heranzuziehen, war noch die kleinste Überraschung. Überraschender war das harmlose Geplapper der einbestellten Journalisten, eine selbstverliebte Wehleidigkeit, wie es selbst der Moderator, ein ehemaliger BND-Direktor, befand – das nur zum Verständnis der folgenden Beschreibung der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, die leider nicht frei online verfügbar ist. Was Spion & Spion & Schäuble so treiben, spottet allem Gerede von der neuen Transparenz des Nachrichtendienstes, der neue Fachabteilungen mit den schicken Namen "Produktion", "Produktionsunterstützung" und "Service" bekommt. Vergessen wir, woran "Beschaffung" und "Auswertung" erinnern und freuen uns über den guten Service: "Der BND ließ die Journalisten in einen rötlich illuminierten Barbereich des Hotels von einer Empfangsdame begrüßen, ehe man sie auf eine abgedunkelte Empore des Kongresssaales führte. Von dort konnten sie die Gäste der Tagung unter Aufsicht des hauseigenen Sicherheitspersonals nur von hinten betrachten."

*** Im Kampf gegen den Terror müssen Opfer gebracht werden. Der Brasilianer Jean Charles de Menezes war solch ein Opfer. Für seine Ermordung muss die London Metropolitan Police nun 175.000 englische Pfund an die Hinterbliebenen zahlen. Die Ermittler rekonstruierten Details, die eigentlich nur bei Monty Python im Drehbuch stehen. So mussten die ausrückenden Spezialisten unterwegs tanken. De Menezes wurde daher von Polizisten getötet, die über keinerlei Erfahrungen im Umgang mit potenziellen Attentätern verfügten. Der Brasilianer wurde zum Terroristen, weil er in einem Haus zusammen mit Hussain Osman wohnte. Der Spezialist vom Erkennungsdienst war pinkeln, als de Menezes das Haus verließ. In der U-Bahn funktionierten wiederum die tollen Digitalfunkgeräte nicht, die die unerfahrenen Polizisten stoppen sollten. Schreiße aber auch.

Was wird.

Gleich werde ich mich auf mein wunderbares Fahrrad schwingen, im leichten Nieseln durch das bezaubernde Hannover, die Hauptstadt der norddeutschen Tiefebene, gleiten, natürlich mit Pere Ubu im Ohr. Auf dem großen dunklen Heiseparkplatz werde ich zur Manuskriptübergabe im Gedenken an Jarry ein bisschen mit dem Revolver knallen, bis ich das Weiße im Auge des Redakteurs sehe. Nichtsahnend wird er gekommen sein, schwer über die Frage grübelnd, ob Content noch etwas wert ist. Peng! Peng! Schreiße! Ja, in jedem Hannoveraner schlummert ein kleiner Haarmann, stets bereit, sein Hackebeilchen zu zücken. "Aus den Augen macht er Sülze, aus dem Hintern macht er Speck, aus dem Därmen macht er Würste und den Rest, den schmeißt er weg", tralala, das gehört zu den Kinderliedern im Hannöverschen, die jede(r) kennt. Ach, wie anstößig ist denn das? Während in der gespaltenen Stadt, hehe, wie witzig, die Kalender vergriffen sind, die letztes Jahr unbeanstandet verkauft werden konnten, wünsche ich einen unruhigen Advent.

Unruhig, weil wir längst nicht mehr den Nachtwächterstaat zu Haarmans Zeiten haben, der eine Zelle voller Schädel und Gebeine illuminierte, um an ein Geständnis zu kommen. Nein, heute sind wir fortschrittlich und haben ein muffiges Gebilde, in dem eine misstrauische große Koalition nichts lieber tut, als die staatsbürgerliche Gefährdungslage zu überwachen. Wenn selbst ein nicht besonders radikales Blatt wie der Donaukurier seine Titelseite schwärzt, sollte klar sein, dass etwas faul ist im Staat von König Ubu und seiner nimmersatten Mére Ubu. Darum sei hier auf den 6.November hingewiesen, den alternativen Nikolaustag aller Menschen, denen die Privatsphäre noch etwas wert ist. Mein Sack gehört mir!

Quelle : www.heise.de
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 11 November, 2007, 00:07
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** "Geschlagen ziehen wir nach Haus, Heia hoho! Unsere Enkel sind in Second Life, Heia haha". Auf der Jagd nach dem gläsernen Verbrecher haben deutsche Politiker (PDF-Datei) das informationelle Selbstbestimmungsrecht geschrottet, das fürderhin nur für Strafverteidiger, Seelsorger und Abgeordnete gilt, wenn sie telefonieren. Was jetzt kommt, dürfen gewisse deutsche Politiker die größte Verfassungsbeschwerde aller Zeiten nennen und sie in einem Satz mit dem GröFaZ erwähnen. Ein verräterischer Vergleich, der das Glaskinn eines Politikers zeigt, welcher fortlaufend eine allgemeine Bedrohungslage für seinen Staat im Gefahrenraum namens Demokratie spürt.

*** Trauern wir einen Moment lang dem informationellen Selbstbestimmungsrecht nach, wie es im Volkszählungsurteil formuliert ist: "Das Grundrecht gewährleistet insoweit die Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen." Was daraus eine sozialdemokratische Ministerin macht, die nach dem öffentlichen Mutterschaftstest für den Entwurf der Vorratsdatenspeicherung verantwortlich ist, grenzt an die systematische Verdummung der Zuhörer: "Aber das Recht auf informationelle Selbstbestimmung heißt ja nur, dass Bürger darüber informiert werden müssen, wer was von ihnen speichert." Es mag ja sein, dass eine Juristin nicht wissen muss, was ein Browser ist, aber eine gewisse Kenntnis der Gesetze wär nicht schlecht. Sonst müssen bei solch radikaler Ahnungslosigkeit am Ende die von der SPD verfügten "Grundsätze zur Frage der verfassungsfeindlichen Kräfte im öffentlichen Dienst" neu formuliert werden. Zumindest wird klar, warum eine Brigitte Zypries wunderbar zwischen EU-Scharfmacher Franco Frattini und Ernst Uhrlau passt, dem Chef der Südmilch-Truppe.

*** Unter den vielen Kommentaren in der Presse, die mit dem Pro-Domo-Gejammer der ach so privilegierten Journalisten kokettieren oder davon handeln, wie die Informanten mit Blaulicht überfahren werden, hat einer die Peilung nicht ganz verloren: "Der politische Preis für die Sicherheitsfanatiker muss hochgetrieben werden." Vielleicht steht dann der 9. November nicht nur für den Mauerfall, die "Reichskristallnacht", den Hitler-Ludendorff-Putsch oder den Muff von 1000 Jahren, der nach der spießbürgerlichen Jahrtausendwende wieder geschnüffelt werden kann. Sondern für ein Datum, an dem sich der Staat mit dem fortgesetzten Mitspeichern des Lebens der Anderen (Film) kräftig verschluckte.

*** Es ist relativ schlicht, im Rahmen einer IT-Wochenschau daran zu erinnern, dass freie Menschen nicht auf die Kommunikation mit Buschtrommeln zurückgeworfen sind. Dass es Verschlüsselungstechniken gibt, dass IP-Adressen verändert, SIM-Karten getauscht werden können. Dass man sich Mail-Provider suchen kann, die nicht der Vorratsdatenspeicherung unterliegen und dass es Projekte wie Tor und Truecrypt gibt. Komplizierter wird es, wenn man fragt, wie jüngere Menschen kommunizieren, die diese Tools noch nicht aus dem EffEff beherrschen. Es gibt Warner, die den Tod der Privatsphäre in der bedenkenlosen Art und Weise sehen, wie Daten bei SchülerVZ, StudiVZ und Lokalisten geparkt werden. Wo sind die großen Riten, bei denen Eltern zur Jugendweihe dem Nachwuchs ihren Public Key überreichen? Wer jetzt mit den 99,99 Prozent kommt, die von Nix und Garnix betroffen sind, wer schippchenweise noch ne 9 drauf legen will: 99,999 Prozent ist auch nicht richtig. Die Lösung lautet 99,99992 Prozent. Dafür soll das Grundgesetz geändert werden.

*** Aber ja, es ist schon eine Crux, nicht nur mit dem Grundgesetz, auch mit diesen jungen Menschen, die ach so unbefangen kommunizieren und dabei alle guten Ratschläge für den Schutz der Privatsphäre in den Wind schlagen. Na, da haben doch unsere Jugendschützer noch ein weites Feld zu entdecken, wenn sie, wie auf den Medientagen München gefordert, mehr Kompetenten zugewiesen haben wollen. Ja, man muss die Menschen einfach zu ihrem Glück zwingen ... Aber Medientage München? Ach, was, vergesst das. Feiert nicht die Großkopferten bei dieser Selbstbeweihräucherungsveranstaltung für besserverdienende Medienmenschen, diskutiert mit Studenten auf dem Medienforum Mittweida – für das nächste Jahr sei das allen Beteiligten und Interessierten ans Herz gelegt. Es ist spannender, Mitwirkende (sowohl im Publikum wie unter den Referenten und Podiumsdiskutanten) und auch schon mal als Parasiten titulierte Beteiligte (weniger im Publikum) zu erleben, die mit wachem Interesse und Engagement erfahren  wollen, wie das denn so weitergeht mit dieser Medienwelt – selbst wenn es nicht immer so läuft, wie gedacht oder erwartet, selbst wenn die Bobos wieder unter uns sind und ihr wiedergängerisches Unwesen treiben. Ja, es ist sogar viel spannender als die Dickschiffe aus Politik-, Print- und TV-Welt und ihre hochnäsigen Kapitäne dabei zu beobachten, wie sie seit Jahren den gleichen Kollisionskurs zu steuern meinen – und es doch nicht wirklich kracht.

*** Es ist ein paar WWWW her, dass ich nach den besten Filmen gefragt habe, in denen Computer eine Rolle spielen. Platz 1 war natürlich mit meinem Lieblingsfilm gesetzt, dem diese kleine Wochenschau ihr Leben verdankt. Was wäre ein Hal Faber ohne Hal 9000? Wahrscheinlich ein Bademeister im Letzigraben, über den Zehnmeter meditierend wie Tom@taz.. Nun wird, in geschickter Überleitung zum ...

Was wird.

... der Film der Filme im Fernsehen ausgestrahlt, auf dem angestammten Kochkanal von Sarah Wiener. Auch wenn mein bevorzugter Filmkritiker die Ausstrahlung nicht erwähnt, muss ich den Sehbefehl ausrufen, genauso doof wie die üblichen Leserbefehle. Deshalb sollten die anderen Kunstwerke nicht vergessen werden, die den Computer im Film etablierten. Gleich nach der Odyssee kommt Desk Set mit Katherine Hepburn und Spencer Tracy. Der Computer war weiblich (ha, HA) und hieß Emmy. Bei der Frage, ob die Watusis auf Korfu leben, verschmauchte meine Angebetete. Oh, bin ich mal wieder chatty: Ursprunglich war Hal als weiblicher Computer "Athene" geplant. Nummer 3 ist selbstverständlich Electric Dreams. In ihm kauft ein schüchterner Junge einen Computer, läßt ihn aber fallen. Dadurch wird die Maschine superintelligent und gibt Tips, wie man die Herzen der Mädchen erobert. Don't try this at hoime with your iPhone.

Nummer 4 hieß im Original schlicht Alphaville, lief bei uns aber unter dem Titel "Lemmy Caution gegen Alpha 60" und ist bereits entsprechend gewürdigt. Bei Nummer 5 scheiden sich die Geister, zumindest bei den Lesern dieser Kolumme: Fassbinders Welt am Draht, ist das noch ein Film? Nummer 6 und 7 sind wohl aus sentimentalen Gründen besetzt: Tron und War Games haben offensichtlich zu viele Leser und auch meine kleine mehr oder weniger künstliche Intelligenz in der Jugend begleitet und manchen auch zu ersten Computerspielereien verführt.

Ach ja, und 23 darf natürlich nicht fehlen, die Mutter aller modernen Verschörungstheorien, wobei Platz 9, Sneakers, ja eigentlich viel spannender ist – und das nicht nur, weil ein Film, in dem Robert Redford, Sidney Poitier, Ben Kingsley, Dan Akroyd und River Phoenix gemeinsam spielen, sowieso nicht ganz schlecht sein kann; zusätzlich gruselt einem hier auch nicht bei der Darstellung, wie sich Hollywood so einen Hacker vorstellt – im Unterschied zu solch einem hanebüchenen Quatsch wie dem (glücklicherweise weitgehend ignorierten) "Das Netz", der doch eh nur gedreht wurde, damit Nerds wegen des Tittenwackelns von Sandra Bullock auch mal Geld für eine Kinokarte ausgeben. Aber schließlich noch Platz 10, passend zur heutigen Zeit des Überwachungs- und Präventionsstaats: THX 1138, ein Film aus einer Zeit, als Georg Lucas noch guter Dinge war und nicht solch pseudomythologisch überladenen Schmonzes wie Star Wars drehte. Eine Ergänzung sei mir persönlich noch gestattet, sozusagen ein Platz 11 außer Konkurrenz: Playtime von Jacques Tati, nicht etwa, weil darin ein Computer eine wichtige Rolle spielte, sondern weil die Absurdität der Ereignisse, die Irrealität, mit der sich Menschen einer scheinbar durchrationalisierten modernen Umgebung unterwerfen (oder an ihr scheitern), auch wie eine gelungene Metapher auf das erscheinen mag, was heute Politiker mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung so anstellen. Der Präventionsstaat des Herrn Schäuble lässt uns in einer genauso absurd unpersönlichen und sterilen Welt leben wie in Playtime – allerdings mit mehr Konsequenzen für die private Sphäre jedes Einzelnen und für die Gesellschaft, als sich der Modernitätskritiker Tati je vorstellen konnte.

Es gibt Leser, die meinen, dass ich die Werbung für Haarmanns Heimat übertreibe. Nun, man muss nicht im Messe-Mekka wohnen, es geht auch in der norddeutschen Tiefebene in Orten, die den Big Bang Day gemeistert haben oder wo das World Wide Web eine Wurstscheibe ist. Selbst im Nachbarland Nordrhein-Westfalen lässt es sich aushalten, dort wo die Bundesabhörzentrale liegt und der Adel noch etwas gilt. Dort, wo die von Westphalen, von der Leyen, von Nesselrode, von Spee, von Spiegel und von Twickel die EU-Subventionen im großen Stil einsacken.

Im lieblichen Rüttgers-Land wird Kindern statt Indern gerade ein hübsches Geschenk gemacht, ein Codex (nordrhein-westfälisch für "Comic für Demokratie und gegen Extremismus"), der Andis Freund Murat hat Stress (fette PDF-Datei) heißt. In ihm tritt jener Innenminister auf, der die Festplatte im Computer ohnehin als Teil des Internet begreift, auf das sein Verfassungsschutz jederzeit zugreifen kann. Wie wäre es mit einem Codex, in dem Andi erklärt, wie man verschlüsselt chattet und überhaupt seinen Computer vor den Eltern absichert. Echt ey, Alter, das wär echt cool der fette Hammerschlag gegen den "home grown stupidism".

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SFRONT.BEIDERSEITIGE.AUFKLAERUNGSTAETIGKEI+MA..A-STELLV+M-.ROEM.
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BAERNAU.+K.T--.NN..+.KWT--.KM.SW.MARIENBAD+LM--.FEINDANGRIF.F
..VON..SO..GEGEN.PAULUSBRUNN+M-..LAGE.DORT.UNGEKLAERT+M-.SCHWACHE.

Dieser Text ist ein Stück aus einer Nachricht, die im 2. Weltkrieg mit dem Chiffriergerät Lorenz SZ42 zwischen den höchsten Wehrmachtsstellen verschlüsselt ausgetauscht wurde. Der geneigte WWWW-Leser, der bis hierhin durchgehalten hat, liest eine Original-Entschlüsselung, die von Colossus Mark II besorgt wurde. Sie ist nicht perfekt, reichte aber den Tommies von der Abhörzentrale in Bletchley Park aus, den Rest im Verbund mit eigenen Militärinformationen zu rekonstruieren. Das Ganze ist ein Hinweis auf den wunderbaren Cipher Event, der am kommenden Donnerstag und Freitag über die Bühne geht. Tausende von Funkexperten und Verschlüsselungsspezialisten treten dabei gegen den Nachbau eines Colossus Mark II an, der mit dieser Nachstellung einer historischen Schlacht eingeweiht wird. Täuschen, tricksen und tarnen war einstmals die Sache von Profis. Mit der innerstaatlichen Feinderklärung durch die Vorratsdatenspeicherung muss sich nun der gemeine Bürger mit solchen Themen befassen. Fortschritt happens.

Quelle : www.heise.de
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 18 November, 2007, 08:12
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Ich denke, also bin ich etwas. Mehr ist nicht drin. Solange es jedenfalls kein Ich-Denkmal in Bielefeld gibt, bin ich mir da nicht so sicher mit dem Ich. Vielleicht bin ich ein Hund. "Jeder im Internet weiß, dass du ein Hund bist", sagte dereinst ein Hund zum Hund. Nur der Karikaturist Peter Steiner, der Hundesprache nicht mächtig, zeichnete es für den New Yorker irgendwie falsch. Dagegen begriffen es die Informatiker sofort. Möglicherweise bin ich nur ein sprechender Hund, nur eben nicht von der sowjetischen Sorte. Auf alle Fälle bin ich kein Journalist. Ich denke mal ein bisschen weiter und lass das mit dem Sprechen sein. Das Bundeskriminalamt und das Landeskriminalamt Kiel haben Telefonate von Journalisten und eine Vielzahl von Gesprächen mit Strafverteidigern angehört. Das sei nicht weiter schlimm, erklärte ein Sprecher, denn "der Beruf des Anrufers lasse sich oft auch gar nicht aus dem Telefonat erschließen". Gelöscht wird darum gar nichts. Bitte sehr, da steht es schwarz auf Web: Wir Journalisten sind nichts. Wir sprechen wie ganz gewöhnliche Menschen, die auch nur Hunde sind.

*** Wenn Abhörmaßnahmen mit dieser flappsigen Begründung zur nicht hörbaren Berufstätigkeit in eindeutig als Pressegespräche zu identifizierenden Telefonaten für rechtens erklärt werden, weil kein böser Wille dahinterstecke, dann sollte der folgende Flapps nachdenklich machen: "Er gab zu bedenken, dass Telefongespräche maschinell aufgezeichnet werden. Außerdem sei für Polizeibeamte, die die Gespräche abtippen oder zusammenfassen, nicht unbedingt erkennbar, 'was nun verfahrensrelevant ist und was nicht'."

*** Man übertrage diese Hohe Schule der Schnüffelpraxis einmal auf den berühmten Bundestrojaner, auch bekannt als Terroristenphisher, dessen Programmentwicklung nach einem Baustopp offenbar wieder angelaufen ist. Hier wie dort wird maschinell aufgezeichnet; und auf welchem Computer sich das Programm befindet, ist eigentlich nur sicher, wenn ein verdeckter Ermittler der Truppe zugeschlagen hat, die Übung im Anbringen von Wanzen hat. Freuen wir uns außerdem über die zuverlässigen programmtechnischen Vorkehrungen bei der mehr kunstgewerblich orientierten Quellen-TKÜ, die sicherstellen, dass nur überwacht, nicht aber durchsucht wird – obwohl es um "kryptierte Inhalte" geht. Logisch? Du sollst nicht denken, Hund!

*** Wahrscheinlich wirkt die kleine Wochenschau auf den einen oder anderen Leser wie eine PR-Kampagne für die Zeitung mit der Tatze, doch ist in ihr ein lesenswertes Portrait von Wolfgang Schäuble zu finden, der mit der Idee einer Bundesabhörzentrale das nächste Zündhölzchen gefunden hat. Der Fairness halber sei dieser Kommentar über den Schutz der Freiheit hinzugefügt, weil er von Bürgerrechtsaktionen nicht besonders viel hält, weil sie hermeneutisch im Rechtssystem bleiben: Der Ausnahmezustand ist immer der andere.

*** In Hamburg wird derzeit eine angeblich konfuse E-Mail der Linkspartei vor Gericht diskutiert. Ganz nebenbei wird da aufgerollt, wie der einstige Qualitätsjournalist Michael Naumann beim BND als "Presse-Sonderverbindung" galt und wie ihm der berufliche Kontakt zu den Staatsschützern nutzte. Mit seiner Bewerbung um das Bürgermeisteramt will Naumann gegen Behauptungen der Mail klagen, die aus einem Buch abgeschrieben wurden. Das Buch selbst ist nicht strittig, so ein vorgelegter Schriftwechsel mit dem Verlag, wohl aber die E-Mail. So ist es um das Internet bestellt, dass Mail gefährlich wird und der Kommentar in einem Selbsthilfeforum als Volksverhetzung den Staat bedroht.

*** Bleiben wir einen Moment beim BND, jener Behörde, die sich gerade schnittige neue Namen für ihre Abteilungen ausgedacht hat. In der verlinkten "relaunchten" Webseite der Zeitung für den coolen Kopf ist ein längeres Portrait des Dienstes, dessen Keller voller "Koma-Rechner" steht. Leider nur auf toten Bäumen und ePaper kann man lesen: "In einem großen Raum summen meterhohe IBM-Rechner aus den späten achtziger Jahren vor sich hin, die schon lange nicht mehr benutzt wurden. Abstellen will sie aber niemand, denn keiner weiß genau, was dann passieren würde." Genauso haben wir uns die IT-Zentrale der aufklärenden Intelligenz vorgestellt und schaudern vor Y2K12, wenn diese Behörde komplett nach Berlin umzieht und niemand weiß, was dann passiert. Armageddon? Erscheint der Geist von Gehlen, der alle Mitarbeiter abhören ließ? Aufklären in einer wirren Welt ist eine wirre Sache und nichts für Unwirre.

*** Oh, noch einen klitzekleinen taz-Link gönne ich mir heute. In dieser bemerkenswerten Woche konnte man nicht nur Franz Münteferings Eintritt in die Rente mit 67 bewundern, sondern auch noch das Verhalten von 26 SPD-Abgeordneten bestaunen. Sie machten dem alten Kreuzworträtselwitz alle Ehre, nach dem diätenerhöhende Politiker das gesuchte Wort für Wirbellose mit 9 Buchstaben sind. Kaum erwähnt wurde hingegen das Häuflein der Aufrechten bei der CDU, die sich als Ärzte-Lobbyisten konsequent der Zustimmung zur Vorratdatenspeicherung verweigerten. Während es mit der Kostendebatte dort losgeht, wo es wirklich wehtut.

*** 137.000 Menschen besuchten trotz des Bahnstreiks die Medica, ohne dass dort Viagra, Cialis oder sonst ein I(n)ch-Verbesserer verschenkt wurde. Optimismus allüberall, weil ein "Gigant" laufen lernt. Gemeint ist die elektronische Gesundheitskarte, die 2008 kommen wird, egal wie die laufenden Teststrecken ausgehen werden. Sieht man von diversen medizintechnischen Neuerungen ab, war der Messe-Knüller gar nicht auf der Messe anwesend. Die methodisch sehr zweifelhafte Bitkom-Umfrage, nach der 93% der Bundesbürger ihre Daten auf der Karte speichern lassen wollen, wurde bei jeder Gelegenheit zitiert, selbst vor den Pissoirs. Dagegen könnte man den NS-Propagandaminister Goebbels zitieren, dass nur der selbst gefälschten Statistik getraut werden kann, aber dieser Spruch wurde schon von Churchill plagiiert.

*** Passend zum Thema Statistik hat heute George Gallup Geburtstag, der Vater der Meinungsforschung. Seiner bester Coup war eine Meinungsumfrage an seiner Universität, die schönste Studentin zu nennen. Es war Ophelia Smith, die Gallup prompt heiratete. Ein wahrer Nerd grübelt nicht, ob er denkt, sondern glaubt an seine Tools. Gegen den Computer UNIVAC, ich erzählte es schon einmal, kassierte Gallup eine seiner schlimmsten Niederlagen. Trotzdem prognostizierte er frühzeitig, dass die Menschen im Jahre 1970 nur noch mit dem Computer wählen werden. Auch das ist, wie wir heute wissen, nicht unbedingt eingetroffen. Den Wirbellosen zum Trotz wählen Menschen offenbar wie Affen und nicht wie rudeloptimierte Hunde.

Was wird.

OK, wie Journalisten sprechen, ist von alltäglicher Kommunikation nicht zu unterscheiden. Es sei denn, Journalisten reden über Ethik und von der vierten Macht im Staate, die sie volle Kanne sind, während Blogger einfach nur feige sind. In der kommenden Woche kommen fast alle Akteure dieser kleinen Wochenschau wieder zusammen, wenn das Bundeskriminalamt seine Herbsttagung zum Thema "Tatort Internet" veranstaltet, komplett mit einer programmatischen Rede von Innenminister Schäuble. Der Aufmarsch der Fachleute ist imposant: Spiegel Online informiert über die Terror-Universität WWW, jugendschutz.net über Rechtsextremismus. Besonders apart stelle ich mir die Diskussion über "Moral und Ethik in der digitalen Welt" vor, bei der ein Vertreter der katholischen Kirche mit einem von der Computerbild diskutiert. Ein Schnäppchen-Wegweiser für Ethik ist genau das, woran ich bei dem sonst nur für Hunde reservierten Wort Moral denke. Sonst denken alle im Internet, dass ich nur ein blöder Hund bin.

Quelle : www.heise.de
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 25 November, 2007, 01:37
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Was ist das für ein entsetzliches Land, in dem Modern Talking als die Dreizehnten unter den besten Musikstars aller Zeiten gezählt werden, in denen André Rieu, Sarah Connor und Roy Black unter die zehn wichtigsten Musikern zu rechnen sind, die die Deutschen kennen. Ach, was für ein entsetzliches Land – aber halt, stopp, was soll die Nörgelei – all das bildungsbürgerliche Getue, dass sich in den Feuilletons und Medienseiten breit machen wird, ist doch auch nur Geschwätz, während die Bild-Zeitung die Zeichen der Zeit erkannt hat. Also Stopp, das war nix, fangen wir noch einmal von vorne an ...

*** Was ist das für ein herrliches Land, in dem die Einwohner mit heiterer Selbstironie einen knödelnden Moralisten zum wichtigsten Musikstar aller Zeiten wählen, einen neuzeitlichen Bänkelsänger, der den Bürgern in genau das Gewissen redet, das sie eigentlich gar nicht haben wollen, und dessen Wahl doch gleich mal das Erhabenheitsgefasel des vor sich hin salbadernden Johannes Baptist Kerner ad Absurdum führt. Aber ach, es ist doch alles nicht so, dass man Geduld haben, dass man sich in Gelassenheit üben könnte. Wenn man schon froh ist, dass Deutschlands König Rio Reiser, die Fabulierer von den Fantastischen Vier oder die Heulboje Xavier Naidoo überhaupt auf der Liste "Unsere besten Musikstars" auftauchen, wenn man schon froh ist, dass Scooter nur auf Platz 47, Tokio Hotel nur auf Platz 23, Pur nur auf Platz 16 und die Höhner nur auf Platz 11 landeten ... Nein, manchmal ist es bei aller Liebe genug.

*** Das Grauen! Das Grauen! Ein auch in Deutschland ab und zu zu empfehlendes Rekurieren auf Kurz beziehungsweise auf die Ereignisse, die ihn zu dem machten, als was er endete, verhindern doch immer wieder allzu viel Larmoyanz oder Zynismus. Aber nirgendwo liegen Grauen und Hoffnung so nah beieinander wie in diesem Land, und das nicht nur auf Musikbestenlisten und bei anderen Ereignissen, sondern auch in Orten wie Mittweida. Denn das Grauen fängt nicht erst dann an, wenn der swingende Männerwitz Roger Cicero meint, er könne Rio Reisers "König von Deutschland" zum Besten geben. Dann ist die Grenze zum Grauen schon weit überschritten.

*** Ach, was soll's. Was reg ich mich auf. Wenden wir uns also vom Grauen ab und lieblicheren Dingen zu. Ich könnte meine verehrte Leserschaft mit einer Geschichte aus dem schönen Hannover nerven, das wieder ein Schloss bekommen soll, mit einem Konferenzzentrum und einem Kutschenmuseum innen drinne, damit im Messe-Mekka der CeBIT-Summit einen Top-Rahmen erhält, wie unser Bürger-Meister das sagt. Aber ich tue es nicht. An einem Tag, an dem der große Laurence Sterne Geburtstag hat, wäre es ziemlich stillos, nicht vom Thema abzukommen und beispielsweise das schöne Schloss zu beschreiben, das Braunschweig bekommen hat, mit einer Big-Bang-Mall innen drinne. Sterne hätte das gefallen: Als Agnostiker predigte er in drei Gemeinden und spann so manchen bizarren Gedanken, was man mit Kirchen machen könnte.

*** Stattdessen verliere ich lieber ein paar Worte über das schöne Berlin, das auch ein Schloss bekommen soll und ein gutes Dutzend neue Denkmale, darunter ein Denkmal der deutschen Einheit und ein Denkmal für den unbekannten Politiker. In Abwandlung meines Letztlings mit dem dem Bielefelder Ich-Denkmal schlage ich für Berlin ein "Denknicht" vor, ein Sockel mit einem hübschen 129a obendrauf, vielleicht flankiert von den Schrottcomputern, die der Sozialwissenschaftler Andrej Holm vom BKA zurückbekommen hat. Wer seine kleine Erzählung Im Kreis gelesen hat, von der schlichten Google-Suche bis zum leise ironischen Versuch, die Computersicherheit der Rechner auf den neuesten Stand zu bringen, lernt mehr über die Arbeit des BKA als auf einer Herbsttagung der nämlichen Behörde. Dort konnten ausgewiesene Staatsanwälte Unsinn vom Ereignisraum Internet als Gegenstand von Ermittlungen erzählen. In virtuellen Welten wollen die Polizisten zuschlagen. Die virtuelle BKA-Asservatennummer am eigenen Rechner darf man sich dazudenken. Alles Märchen? Mein Kind, gewöhn dich dran.

*** Und wie war das jetzt mit dem Grauen in diesem Land? Eben. Wechseln wir also nicht nur das Thema, sondern auch das Land. In der Schweiz ist in dieser Woche die European Futurists Conference zu Ende gegangen, gewissermaßen das Gegenstück zur BKA-Herbsttagung, das sich optimistisch mit dem kollektiven Cyberbewusstsein beschäftigte und mit sprechenden Frühstücks-Yoghurts, die einem die Nachrichten vorlesen. Alles wird unheimlich schön sein, wenn es das Malochen bis ins Grab nicht mehr gibt, weil der Tod kein Karrierehindernis ist. Bis zur schönen neuen Singularität ist es freilich noch etwa hinne, wie eine Pizzabestellung im Jahre 2015 zeigt. Zu düster? Na, dann warten wir doch einfach auf die Gemütsaufheller, von denen der Bielefelder Ehrenbürger Stanislaw Lem in seinem futurologischen Kongress berichtet.

*** QED: Das Grauen haust eben nicht nur in diesem unserem Lande, mit gefeierten Knödelbarden und mit mal wieder ach so überraschtem öffentlichen Entsetzen über Neonazis. Da die Leser dieser Kolumne abgehärtet sind, solls das aber noch nicht gewesen sein: Wechseln wir erneut das Land. In Großbritannien sind 25 Millionen Datensätze auf Wanderschaft. Noch sind sie nicht aufgetaucht oder benutzt worden, doch hat das große Suchen erst angefangen. Adressvermarkter haben freimütig zugegeben, dass die verlustigen CD ihnen ein paar Millionen Pfund wert wären. Technisch ist der Verlust dem Versender TNT anzulasten, organisatorisch steht Premierminister Gordon Brown und seine Regierung im Regen wie Startrainer Steve McClaren, nur ohne Schirm. Brown hatte als Schatzkanzler im Jahr 2004 Steuerbehörde und Zoll zusammengelegt, um 25.000 Stellen einzusparen. Einer der neuen Sachbearbeiter, der die vorgeschriebenen Sicherheitsmaßnahmen nicht kannte, tütete die CDs ein, nachdem er die gesamte Datenbank ohne Federlesens lesen konnte. 25 Millionen Bürger, die das Formular Child Benefit Claim ausgefüllt haben, können nicht mehr den schönen Satz "Ich habe nichts zu verbergen" sagen. Und alle freuen sich auf die Einführung von Personalausweisen mit biometrischen Daten, die eingeführt werden sollen, um terroristische Anschläge zu verhindern. Soso. Die Ärzte, die mit Attentaten in Glasgow und London scheiterten, waren in der Datenbank des Nationalen Gesundheitsdienstes mit Biometriedaten gespeichert.

*** Immer noch nicht genug? Wechseln wir ein letztes Mal das Land. Es gilt, das Jubiläum eines ebenso bizarren wie wunderbaren Hacks zu feiern. Während alle Welt über die angeblich ach so tolle Apple-Werbung "Don't give up" jubiliert, ist der Anti-Cola-Hack vor 20 Jahren von den Max Headroom-Piraten leider in Vergessenheit geraten. Technisch wie inhaltlich mit all den Anspielungen gehört er zu den herausragenden Kulturgüter-Hacks unserer Zeit, die natürlich niemand interessiert. Blättern wir nach vorne, dröhnte vor 15 Jahren der Starfire-Film uns EDV-Journalisten die Birne zu, eigens für die Einführung von Suns Enterprise-1000-Sytemen produziert und das Jahr 2004 schildernd. In ihm taucht erstmals das Interface von diesem ultimativen Gadget auf, das verständige Menschen als Jesusphone bezeichnen: Erlöse uns von allen Interface-Übeln. Als entfernter Angehöriger einer anderen Richtung, die noch auf den Messias von Nokia wartet, preise ich derweil Starfire, weil in dem Film Bücher zu sehen sind. Deswegen feuerte der zuständige Manager von Sun Microsystems im Jahre 1992 den Produzenten des Filmchens mit der Begründung, dass 2004 niemand mehr Bücher im Regal hat, sondern eBooks liest. Und überhaupt: Don't give up ist immer noch der Klassiker von Peter Gabriel und Kate Bush.

*** Uff, geschafft, das Grauen hat ein vorläufiges, aber leider nur zeitweises Ende, zumindest sind wir wieder bei Musik angelangt, die sich anhören lässt. Und dass die Hoffnung zuletzt stirbt, zeigt ein leider nicht verlinkbarer Text der Süddeutschen Zeitung, in dem an diesem Wochenende Heron als Erfinder der ersten Roboter gefeiert wird. Seine programmgesteuerten Theaterwagen rollten und kurvten, offenbar mit Schauspielern besetzt, auf der Bühne herum und stoppten, wenn Schleifen in das Steuerungsseil eingeflochten waren. Damit gilt Heron als Vater aller Programmierschleifen.

Was wird.

Die Vorratsdatenspeicherung wird kommen, allen Protesten zum Trotz. Abgesegnet vom Parlament und verschärft vom Bundesrat, allen sozialdemokratischen Abgeordnetenbauchschmerzen zum Trotz, denn in solchen Fällen hat der Arsch noch immer den Bauch entsorgt. Flüchtig werden sich manche daran erinnern, dass die Abfragen der Ermittler auf schwere und schwerste Fälle der Kriminalität beschränkt sein sollten. Mittlerweile ist auch die Verfolgung von Urheberrechten in den Maßnahmenkatalog eingedrungen. Das Schema ist bekannt: Die Kontoabfragen bei den Banken sollten nur die organisierte Kriminalität betreffen, doch heute sind sie bei Hartz-IV-Empfängern die Regel.

Ähnlich wird es der Online-Durchsuchung ergehen, die angeblich nur für herausragende Fälle gedacht ist und zehn bis fünfzehn Mal im Jahr gestartet wird, weil die Programme angeblich handgeschnitzte Unikate sind. Dabei haben es die Schnitzer eilig, nachdem der oberste Online-Durchsucher den Entwicklungsstopp aufgehoben hat: "Aufgrund der Kurzfristigkeit möchte ich Sie vorab per E-Mail über das weitere Verfahren für die Ausschreibung BKA 22/2007 (Entwickler/in / Programmierer/in (mit der Qualifikation Hochschulabschluss)) informieren." Wenn dieser kleine Wochenrückblick im weltweiten Terrorraum Internet auftaucht, ist Clock 0:00 die Frist verstrichen, innerhalb derer sich Top-Programmierer bewerben können.

Etwas weiter läuft die Uhr bei einem offenbar nicht wirklich geglücktem Update der Hartz-IV-Software A2LL, wie das Erwerbslosenforum berichtet: Ab kommenden Samstag, den 1. Dezember wird es spannend, ob Donald Duck sein Geld bekommt oder in ein Obdachlosenheim umziehen muss, für das die Behörde dann doch die Kosten übernimmt, als Gnadenbrot. Derweil berichten gewisse Medien so, als ob die mutmaßliche Panne bereits stattgefunden hat. Das ist eine gebratene Ente oder sonst ein Dodo-artiger Vogel am Thanksgiving Day. Womit uns das Grauen wieder im eisernen Griff hat und ich den geneigten Leser in die kalte, einsame Nacht entlasse.

Quelle : www.heise.de
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: Jürgen am 25 November, 2007, 16:22
Weihnachten steht vor der Tür.

Und ich habe eigentdlich nur einen Wunsch, Hal Faber einmal widersprechen zu können  :'(
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 02 Dezember, 2007, 01:47
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.


*** Der Sturm bläst durch die norddeutsche Tiefebene, die Windräder sind abgeschaltet und der Engel der Geschichte hat Schnupfen. Vielleicht ist das alles ein gutes Zeichen. Nach all den Bemerkungen und Diskussionen über gute und schlechte Musik im letzten WWWW ist diese Wochenschau der großen Mariska Veres gewidmet, die heute den ersten Todestag hat. Die in den Niederlanden geborene Deutsch-Ungarin, Tochter des Zigeunerjazzers Lajos Veres, trat in all ihren Konzerten immer mit Perücke auf und spielte schon mal vor Orang-Utans mit Shocking Blue die Venus. Zusammen mit Mariska sollte man einmal der prächtigen Musik gedenken, die von den Kaasjeköppens aus den Dünen zu uns rüber kam, direkt in die arschsteifigen Beat-Sendungen hinein, in denen Typen wie Claus Holms trällerten. Gut, es gab auch noch die Petards, Eloy und natürlich Can, ganz ohne Perücken. Und im tiefsten deutschen Forst werkelte Harmonia, die in dieser Woche ihr erstes Konzert seit 30 Jahren gaben.

*** Tja, Deutschland. Ein Land, in dem kümmerliche 38 Millionen Euro einen Ansturm bei den Lottobuden auslösen können. Das, bitteschön, reicht gerade einmal aus, die sechs Vorständler von Porsche vier Monate lang dafür zu bezahlen, ihre unnützen Autos unter das Volk zu bringen. Ok, ich gebe zu, es gibt Auto-Fanatiker, denen ich die Passion für schnelle Geschosse nachsehe. Wer erleben muss, wie ein mittlerweile als Außenminister herumirrender Technokrat unfähig ist, sich zu entschuldigen, wie Computerdateien verschwinden und dann wieder auftauchen, dabei möglicherweise nicht ganz vollständig entlöscht, sollte schon einmal losheizen können. Und allen Lesern, die gerne im Heise-Forum vom Auswandern plappern, schreib Murat Kurnaz ins Stammbuch: "Aber bloß wegen ein paar Versagern unter den Politikern muss ich ja nicht unbedingt wegziehen oder so."

*** "Dies ist ein schockierendes Buch. Es erschüttert den Glauben an die charakterliche Reife des Parlaments, an den Menschenverstand seiner Mitglieder. Jetzt wissen wir endlich, warum wir so oft an unseren Politikern verzweifeln." So beginnt eine Rezension in der FAZ, der Zeitung für kluge Köpfe und schlappe Schwänze. Holla. Wird hier etwa Peter Schaars "Das Ende der Privatsphäre" rezensiert, das ultimative Geschenkbuch für alle, die nichts zu verbergen haben? Aber nicht doch. Der Weg in die Überwachungsgesellschaft ist für die FAZ mit guten Vorsätzen und einem schlechten Geschmack gepflastert. Die leider nicht kostenfrei anklickbare Besprechung gilt dem Buch "Das Parlament kocht. Was Politiker so anrichten" und schildert einen Haufen abartiger Gerichte. Die großen Überwachungs-Connaisseure Schäuble und Wiefelspütz sind nicht vertreten, doch was da an Rezepten die "Volkstümlichkeit" der Politik suggerieren soll, lässt schaudern. Inmitten all der Sauerkraut-Schmalzbrot-Orgien vermisst man mindestens die Toskana-Fraktion, die versteht, dass der Sinn des Lebens mehr ist als ein Metzger mit seinen Kohlehydraten. Am Schluss passt die Rezension wieder, die sich über den Abgeordnetensatz aufregt, nur wenig vom guten Essen zu verstehen: "Und von den übrigen Dingen des Lebens?"

*** Ja, was verstehen deutsche Politiker von den übrigen Dingen des Lebens? Mit erschreckend geringen EDV-Kenntnissen sind alle geschlagenen, die nun die Vorratsdatenspeicherung durchgewunken haben. Gerade in der zuletzt noch im Bundesrat angemahnten Idee, dass Rechteinhaber einen Auskunftsanspruch gegenüber Internetprovidern haben sollen, zeigt sich, wie schnell man vom Pfad der gegen die Terroristen kämpfenden Tugend abkommen kann. So verlegt sich der deutsche Buchhandel auf das, was nach dem Konken als Wiefelspützen Eingang in die deutsche Sprache hält. Das Festhalten an der Einführung des Präventivstaates ganz ohne Terrormäntelchen: "Ich wäre für die Vorratsdatenspeicherung auch dann, wenn es überhaupt keinen Terrorismus gäbe." So lesen wir von den Menschen, die totes Holz bedrucken, dass ihnen das Ende der Privatsphäre ziemlich egal ist: "Der Börsenverein hat großes Verständnis für das sensible Thema Datenschutz, es darf aber nicht sein, dass Verlage von der Verfolgung ihrer Rechte im Netz ausgeschlossen sind." So lamentieren die Strazze, die mit der Internet-Piraterie ein ganzes Volk unter Anfangsverdacht stellen wollen.

*** Wer diesen Sonntag irgendwo beim Hüten eines Sacks voller Server seine Zeit totschlagen muss, könnte dieses Protokoll lesen. Wer's eilig hat, darf diesen Ausschnitt aus der Rede des Grünen Wolfgang Wieland lesen. Ob das Geplänkel im angestrebten Bundestags-Fernsehkanal noch hübscher wird, bleibt abzuwarten:

"Noch vor einem Jahr haben wir hier eine Debatte über Antiterrordatei und Terrorismusbekämpfungsergänzungsgesetz geführt. Das war eine Debatte sozusagen unter Fachleuten. Heute haben wir die Situation, dass Zehntausende auf die Straßen gehen, hier in Berlin, in Frankfurt am Main, in anderen Orten (Dr. Dieter Wiefelspütz (SPD): Waren Sie etwa dabei?), mit Transparenten 'Meine Daten gehören mir' und insbesondere auch gegen Sie demonstrieren, Herr Kollege Wiefelspütz (Dr. Dieter Wiefelspütz (SPD): Gegen mich?). – Auch gegen Sie, Herr Kollege Wiefelspütz. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Dieter Wiefelspütz (SPD): Unglaublich!) Die Parolen der 80er-Jahre von Orwell und vom Überwachungsstaat gehen um. Wir hatten sie beinahe vergessen. Der Stern titelt wieder: 'SOS – Freiheit in Deutschland'. Eine ganze Generation erklärt ihren Laptop per Aufkleber zur schäublefreien Zone. Deswegen, Kompliment, Herr Bundesinnenminister! Das haben Sie beinahe als Solist geschafft. (Zuruf des Abg. Dr. Dieter Wiefelspütz (SPD)) - Sie haben sich auch Mühe gegeben, aber Schäuble war noch besser, Herr Wiefelspütz. Glauben Sie es doch endlich!"

*** Die FAZ, seit Bambis Dröhnung das Zentralorgan des heiligen Deutschlands, hat zum Wochenende einen Text veröffentlicht, der sich mit der Tötung um des Gemeinwohls willen beschäftigt. Kommunikationsunwillige Terroristen, ob sie in einem Flugzeug fliegen oder mit dem Rolli auf dem Bahnsteig stehen, können erschossen werden, denn: "Das Leben ist der Rechte höchstes nicht." Bei Terroristen gibt es dem Text nach drei Möglichkeiten: Laufenlassen, Wegsperren und Töten. Nach der Lektüre der Kampferklärung aus dem heiligen Deutschland mögen die Hardliner im BKA und im Innenministerium jubeln. Andere werden erleichtert sein, dass nicht jeder militante Widerstand gegen die herrschenden Verhältnisse Terror ist.

*** Wo ist bloß der Chianti? Schließlich muss doch irgendwie gefeiert werden, dass heute vor 65 Jahren die erste kontrollierte nukleare Kettenreaktion stattfand, in einer Squash-Halle, bei der zur Feier der tickenden, ticketickenden, ratternden Geigerzähler Chianti aus Pappbechern getrunken wurde. Passend mit dem musikalischen Beginn ist darum auch der beschauliche musikalische Ausklang dieser kleinen Wochenschau das heute vor 25 Jahren aufspielende Sun Ra Archestra mit Nuclear War.

Was wird.

Halt, halt. Noch ist die Welt nicht am Ende und der Rock erst recht nicht. Morgen wird um 14:00 im Gibson Showroom zu Berlin der Klang der ersten Robot Guitar zu hören sein, gespielt von Baard Torstensen, dem Gitarristen von Clawfinger. Jaja, "Life will kill you", das wusste schon Enrico Fermi. Jaja, jaja, "Alles, was du zu tun hast, ist, sie zu spielen" klingt leicht bescheuert. Spielen muss man aber schon können. Das in Erinnerung an Jimi Hendrix, der 65 Jahre alt geworden wäre.

Halt, halt, noch einmal halt. Seit der Erfindung des Autos braucht auch die Polizei Autos, hat Bundesinnenminister Schäuble verkündet, gewissermaßen als Begründung der heimlichen Online-Durchsuchung. Diese denkbar danebengeratene Analogie zeigt exemplarisch den Unsinn auf, auf den Politiker und ihre Redenschreiber verfallen, für die Sicherheit Vorfahrt vor der Freiheit hat. Ein Polizist in jedem Auto, der unseren Fahrstil fortlaufend überwacht, wäre als Analogie schon angemessener für den Präventionsstaat, in den wir gerade schlittern. Passend zum Jahresausklang soll hier der ultimative Wettbewerb um die dümmsten Polit-Metaphern und die blamabelsten Zitate des Jahres stattfinden. Sehen wir darum mit der Hommage an Mariska Veres den harten Tatsachen ins Auge: Das Leben ist nun einmal eine freiheitseinschränkende Maßnahme. Das bis zur letzten Klappe rockt.

Quelle : www.heise.de
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 09 Dezember, 2007, 04:21
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Mancher mag manche  Musik nicht, mancher versteht sie nur nicht. Mancher findet Nachrichten doof, die er nicht versteht, und mancher mag manche Nachrichten nicht, weil er sie versteht. Und dann gibt es auch wieder Nachrichten (aber keine Musik), die so gaga sind, dass sie kein Nachrichtenredakteur der Welt nehmen würde. Da wäre die Geschichte der Renate Hammer. Die Lehramtsstudentin nahm an einem Weihnachtsmann-Wettbewerb teil und gewann, ganz ohne Oralsex mit, ähem, vielen Updates. Dabei trat sie nicht einmal als Weihnachtsmann an, sondern als Christkind. Und der Gewinn ist auch nicht eine Busfahrt nach Himmelthür, sondern ein Einkaufstripp nach Dubai, zu diesen Rentieren. Der Sieger der offenen internationalen Klasse fliegt nach Ägypten. Dort bauen sie wohl die Schlitten für die Christweihnachtsmannkindl, die zu den nicht wirklich aufgeklärten Kindlein kommen, die überall die Verwanzung 2.0 wittern.

*** Ich hatte einmal eine ähnlich gute Geschichte einem Redakteur in einem kleinen, feinen Verlag am Rande der norddeutschen Tiefebene angeboten. Ich wollte über eine Softwarefirma berichten, die ein fehlerfreies Programm zum versprochenen Lieferdatum verschickte, komplett mit einem gebührenfreien Telefon-Support und kostenlosen Upgrades. Der Redakteur lehnte ab. Räuberpistolen und unglaubwürdige Geschichten hätten bei Onkel Heise nichts zu suchen. Keine Räuberpistolen! Nur seriöse Meldungen wie "Microsoft blafasel Linux". Nunja, eine Tickermeldung mit diesem Titel ist niemals freigeschaltet worden und gehört zusammen mit Preziosen wie "Kölsch und Alt an einem Tisch" und "Bernd, das Festplattenbrot" zu den 1911 untoten Meldungen, die sich im Heise-CMS finden lassen. Am Dienstag übersprang der Zähler nach dieser Meldung die magische 100.000er-Marke. Was Grund genug war, sich einmal mit den Nicht-Nachrichten zu befassen, die mehr sind als das übliche "Das ist ein Test".

*** Die Untoten sind, das kennen wir ja aus den Splatter-Filmen, die sprechenden Toten, die Wiederkehr des Verdrängten, die Synkopen des Redakteurs, die Vapeurs der Tympanie, blafasel und faselbla zugleich. Ein Titel wie "Blaues Heise-VIP-Armband für die CeBIT-Standparty - eine reklamierbare Einschränkung der persönlichen Freiheitsrechte?" zeigen glasklar, wie groß das moralische Zwicken der Schuftenden im Bergwerk der Nachrichten ist, ehe sie die Schere im Kopf ansetzen. Angesichts der aktuellen Debatte um die Sekte der Scientologen, die Deutschland clearen wollen, ist es ganz aufschlussreich, dass eine Nachricht nicht erscheinen konnte, die einen Prozessor als "operierenden Thetan" bezeichnete.

*** Manchmal passiert es aber doch. Dann wird getickert, was besser weggetackert worden wäre, etwa der Ruf der Linken nach dem Staatsanwalt, der eigentlich eine kuschelige kleine Debatte sein sollte. Alles irgendwie nach dem WG-Motto: "Ich wollte das echt einmal ansprechen, du." Wobei die erste Fassung der kämpferischen Pressemeldung vom begonnenen Kampf eigentlich besser gefiel: Ja, es gibt auch das Reich der untoten PR und dort lesen wir dann, dass sich Frau Katina Schubert und Vertreter von Wikipedia sich "angerochen haben". Riechen wir hier Verrat, Schweiß oder Schanel? "Bitte sperrt mich, ich bin ein Admin-Trümmer", scheint noch der passende unterbliebene Tickertitel dafür zu sein.

*** Nichts krönt eine Nicht-Nachricht so sehr wie eine Nicht-Sparte, in der sie erscheint. In trauter Nachbarschaft zum Newsticker ist bei Telepolis in dieser Woche die Sparte Übermensch-News ans Netz gegangen. Unter der Kategorie, die von der Ablösung des Menschen künden soll, vom langen Marsch auf die IT-Singularität, lesen wir die Nachricht, dass Schöne Vorteile bei Bewerbungsgesprächen haben. Soso. Auch für Übermenschen gilt dieses "Sex sells", das tröstet, genau wie die Vorstellung, dass Herzinfarktpatienten die wahren Übermenschen sind. Da hebe ich glatt ein gutes Glas Rotwein auf meinen Schrittmacher und kippe das zweite zum Wohl auf meine Muckibude hinterher. Damit gehören die neuesten Nachrichten von der elektronischen Gesundheitskarte in diese Reihe. Schließlich sollen die Infarktler und weitere Gesundheitsgefährder ihre Karten in Fitness-Studios stecken und damit im "Disease Management Program" dokumentieren, dass sie aktiv an ihrer Gesundheit arbeiten.

*** Wie sieht es mit einem Programm aus, das Mütter dazu verpflichtet, die Anwesenheit, die Gesundheit und vielleicht noch die Wohlerzogenheit ihrer Kinder bruchlos zu dokumentieren? Das scheinheilige Geröchel über die Toten von Darry mitsamt der Forderung nach Aufhebung der ärztlichen Schweigepflicht und der Abschaffung des Datenschutzes vernebelt das Nachdenken. Was ist in einer Gesellschaft los, die bereit ist, über 10 Milliarden Euro in den Ausbau einer IT zu stecken, die zuvorderst den Krankenversicherungen und Gesundheitsämtern die Arbeit erleichtert, während Mittel für die Ärmsten nach einem unsäglichen Hartz-IV-Gesetz zusammengestrichen werden? Ich weiß, dass es reichlich populistisch klingt, aber wie wäre es denn mit einem Slogan wie "Demokratieschutz vor Datenschutz", komplett mit einer Aufhebung der ärztlichen Schweigepflicht für Politiker, frei nach dem Motto "Und was raucht ihr?"

*** Wo bleibt das Positive, wo die weihnachtliche Besinnung? Wo die Sicherheit, dass sich hinter einem Rauschebart nicht eine Lehramtsstudentin verbirgt? Hat G^tt nicht etwa das Internet gerettet, wie die Musen jubeln? Müssen wir ihm nicht darum dankbar sein, komplett mit Kerzen, Weihnachtsbaum und dem lausigen Fraß beim Chinesen? Mit einem grobmotorischen Angriff ihres bestallten Großkritikers Graff hat die Süddeutsche Zeitung das besagte Internet als Web 0.0 verhackstückt. Als ungepflegten Raum, in dem Blogger noch eine Meinung haben, Trolle ghoulen und die Foltervideos der CIA auftauchen. Die ganze Anarchie geht Graff nicht auf den Sack, aber er muss es halt schreiben in diesen schweren Zeiten, wo Kommentare moderiert oder des Nachts und am Wochenende auch mal abgestellt werden müssen. Hinter der Süddeutschen steckt manchmal wirklich kein kluger Kopf, sondern ein zusammenngekniffener Arsch, in dem es gewaltig flatuliert. Idiotae, starrsinnig an ihrer Wahrheit Klebende sind bekanntlich immer die anderen.

*** Illustriert ist der süddeutsche Internet-Amoklauf mit der bekannten Grafik von Albert Einstein, der die Zunge herausstreckt. Natürlich nicht als Foto, sondern in Pixelform. Zahllose Bloggermenschlein, Trolle, Fischhinüberreicher, Barcamp-Groupies und ähnliche Zeitgenossen bilden das Bekannte von Einstein. Die Graffschen Blähungen passen bestens zu einer Zeit, in der ein moderierender Schönling neuer Spiegel-Chef wird und nicht der hoch gehandelte Heribert Prantl von der SZ, den die letzten verbliebenen Journalisten in der Brandwiestebude gewünscht hatten. Herr Graff hat sich unterdessen eigentlich ganz bestens für die Schleimspur Cum (Casati, Uslar, Matussek) empfohlen, die beim Spiegel "Feuilleton" genannt wird.

Was wird.

Wer diese kleine Wochenschau liest, wird wissen, dass ich an meiner Heimatstadt Hannover hänge. Für mich war die Zeit des Roten Punktes der Höhepunkt meiner Jugend, getoppt nur noch durch die Entdeckung des ^^^ in einem "Schülerfreiraum" der Herschelschule. Nun kommt das Gegenteil nach Hannover, nennt sich IT-Gipfel und ist gänzlich unsexy und ganz gewiss kein Gipfel, denn dafür ist wahlweise der Deister oder der Kaliberg zuständig. Bitte, Hannover ist eine Stadt, in der Linke einen Gewerbebetrieb für politische Satire anmelden mussten und Exkanzler Schröder nur rot war, wenn er Currywurst am Steintor aß.

Vielleicht ist Düsseldorf besser, doch wenn ich den besten Idiot vor Ort so lese, habe ich meine Zweifel. Nicht einmal eine Flussbeleuchtung in Rot haben die Altbiersäufer hingekriegt. Passend zum IT-Gipfel wird dort der Bundesverband Digitale Wirtschaft (BVDW) im Lido (hehehe) im Handelshafen die "Akademie der Digitalen Wirtschaft" einweihen, zu der es leider noch keinen vernünftigen Link gibt. Der Abschluss ist jedenfalls Dipl.Int.

So fängt die Woche an. Sie endet in Berlin mit einer Veranstaltung der frisch gegründeten German Privacy Foundation, die sich über das Ende der Privatsphäre aufregt. Zwischendrin muss noch ein Termin in Darmstadt nachgetragen werden, weil sich dort Forensiker über den Bundestrojaner verständigen wollen. Ist er "notwendig zur Gefahrenabwehr oder notwendig abzuwehrende Gefahr", das ist die Frage. Denn in diesem Punkte muss ich dem schäumenden Graffiti-Pamphletisten recht geben: Sollen wir uns von jeder Idiotie in die Zukunft führen lassen? Was sind schon 100.000 Fliegen?

Quelle : www.heise.de
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 16 Dezember, 2007, 00:59
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Es dunkelt früh in der norddeutschen Tiefebene. John Zorns Mannen heben wieder einmal ganz ungewohnt leise und sanft mit einem swingenden Bass in Gevurah auf Bar Kokhba an. Die Nacht könnte schön werden. Und dunkel. Das ist auch gut so, denn damit bleibt es mir erspart, die Medienlawine heranrollen zu sehen, die Du bist Deutschland gerade losgetreten hat, komplett mit dem üblichen niedlichen Mädchen und dem Hundehaufen-Logo. Eine "positive Einstellung gegenüber Kindern vermitteln", jaja, das liest sich schön und lässt sich noch schöner bebildern. Ein kleines Mädchen zwischen Peter Maffay und Henry Maske, wie süüüüß. Wie wäre es mit dem simplen Vorschlag, Kinder einfach mal ernst zu nehmen, komplett mit ihrem blöden Getue und ihrer "erwachenden" Sexualität. Stattdessen wird eine Promi-Kampagne gebastelt, während gleichzeitig die Politik daran bastelt, dem gemeinsamen Kinobesuch von Jugendlichen ein Element der Prostitution unterzuschieben. Das neue Pettinggesetz ist nur aufgeschoben, nicht aufgehoben. Du bist Deutschland. Du machst mit bei unserer Kampagne für kinderfreundliche Parkplätze. Und über dein Religiositätsprofil werden wir noch ein Wörtchen zu reden haben, wenn die Burkaisierung der deutschen Jugend gelungen ist.

*** Dunkel ist's, und die Zeit der Jahresrückblicke gekommen: Im Überwachungsstaat Österreich hat er gewonnen, vor dem kinderfreundlichen "Gruscheln" (österreichisch interpretiert steht das wohl für Gruseln und Kuscheln) und der "Raucheroase": Der Bundestrojaner schaffte es im Almdudlerland auf Platz 1 bei der Wahl zum Wort des Jahres, komplett mit dem denkwürdigen Satz "The world in Vorarlberg is too small". Mit dem empfahl sich ein österreichischer Politiker für internationale Aufgaben in a greater world. In Deutschland reichte es nicht: In einer müden Wahl kam der Bundestrojaner nur auf Platz acht. Allerdings steht noch das Unwort des Jahres aus, bei dem der Bundestrojaner zurammen mit der "Herdprämie" und dem "klimaneutralen Fliegen" zu 650 eingereichten Vorschlägen gehört. Wenn "Du bist Deutschland" schon mit einem schwarzrotgoldenen Hundehaufen werben kann, passt das bunte Pferdchen bestens dazu, das im dräuenden Chaos seinen letzten Auftritt hat, bevor es ins Museum der deutschen Geschichte geht.

*** Als Wort der Woche schlage ich passenderweise die Definition des Kernbereichs der privaten Lebensführung durch den Präsidenten des Bundesverfassungsgerichtes vor. Den "Immobilie gewordenen Menschenwürdekern" nennt Hans-Jürgen Papier den Bereich, der absolut geschützt bleiben muss und auch nicht durch die atemberaubende Konstruktion eines Richterbandes eingesehen werden darf. So wird Papier im Blatt der neuen Sachlichkeit zitiert, was leider nicht online gelesen werden kann: "In einem Staat, der keinen Rückzugsbereich der Privatheit übrig lasse, wolle er nicht leben. Der Menschenwürdekern enthüllt sich in dieser Beleuchtung als das postularische, kontrafaktische Moment aller Rechtsnormen."

*** Im Gegensatz zur begrenzenden Sachlichkeit des IT-Nachrichtentickers ist diese kleine Wochenschau dem begrunzenden Schweinejournalismus verpflichtet, in dem noch die dreckigste Phantasie in den Schatten gestellt wird. Man nehme nur den Dell-Laptop des Schweiner^H^H^H Schweriner Stadtpräsidenten, den er komplett mit USB-Stick als Pfand bei einer Prostituierten zurücklassen musste, weil er Liebesdienste im Werte von 4000 Euronen offenbar nicht bezahlen konnte. Fürsorglich änderte der Stadtpräsident extra das Passwort im Beisein der Dame, weil Versauen mit Vertrauen bezahlt werden muss oder so. Immerhin wurde so der Stadthaushalt und die Telefonnummern von Abgeordneten lesbar, eine gute Grundlage für expansive Geschäfte – wäre nicht der Stadt-Laptop bei einer Razzia der Polizei in die Hände gefallen. An dieser Stelle ist eine Gratulation an Dell für die findige Namensgebung des Vostro fällig, in leichter Abwandlung des alten Grundsatzes: form follows function.

*** Leider ist mir nicht bekannt, welcher Hersteller die Digitalkamera von Feleknas Uca gebaut hat, mit der sie einer dpa-Meldung zufolge Sahra Wagenknecht beim Hummerschlemmen fotografiert hatte. So bleibt nur die Tatsache zu berichten übrig, dass die parlamentarische Assistentin von Sahra Wagenknecht sich die Kamera auslieh und die aus erzproletarischer Schwarzbrot-Perspektive anstößigen Bilder von der Speisung anschließend gelöscht waren. Dass nun ausgerechnet eine Linke darüber klagt, dass "eine heimliche Durchsuchung meiner privaten Fotos auf meiner Kamera" stattgefunden habe, ist seltsam. Heimliches Durchsuchen sieht ganz anders aus. Übrig bleibt außerdem eine Sahra Wagenknecht, die hinken würde, setzte sie nur irgendjemand sie mit Rosa Luxemburg gleich. Die aß wiederum am liebsten Entensuppe und hätte auch vor einem Hummer nicht kapituliert. Freiheit ist immer die Freiheit des Anderes Essenden.

*** Ausgelöscht von einer Industrie, die nichts mehr mit ihm zu tun haben wollte, ist Izear Luster Turner im Alter von 76 Jahren aus noch unbekannten Gründen gestorben. Sein Rocket 88 wird Jackie Brenston zugeschrieben, doch war ein schräges Piano mit von der Partie, wie später die schräge Gitarre. In den Nutbush City Limits fand er Ann Mae Bullock, die heute als Tina Turner die Geschichte schreibt, während Ike Turner für die Kultivierung liederlicher Lebensart zuständig war. Sein größtes Pech war der Sieg im Scheidungskrieg. Er hatte genug Geld für Oldsmobiles und allen Stoff. So bleibt als passendes Lied zum Fest nur übrig, Every Planet we Reach is Dead aufzulegen, als Hommage an Ike und gleichzeitig als Geburtstagsständchen für Arthur, der mich ins Leben holte. Darauf einen guten Schluck Schweizer Wodka.

Was wird.

Zum Jahresende kommen sie immer, die Zeitgeister und weitere super-überraschende Statistiken, die besagen, dass diese Welt nichts Wichtigeres kennt als Paris Hilton und Britney Spears, geschwängert von Mario Barth. Halt! Noch ist der Verstand nicht ganz verloren, denn ein kleines Dorf von IT-Verrückten wehrt sich standhaft gegen die Weisheit des Schwarms: Unter den Top100 Begriffen der Suche auf heise online finden sich weder Britney noch Paris noch der als Komiker herumgereichte Schweineexperte. Als erste Frau könnte die Suchanfrage "Alice" durchgehen, die es auf Platz 45 schaffte, als Mann hätte ich "Schäuble" auf Platz 53 zu bieten. Doch wer frohlockt, lockt zu früh: Platz 1 für das "iPhone" und Platz 2 für "Apple" zeigen, dass man getrost die Wunder von Jesus vergessen sollte, wenn alle an den Lippen von Jobs hängen. 2008 wird darum sicher das Jahr des iRacks und von iRan.

Die Weisheit der Massen hat in den USA dazu geführt, dass w00t zum Wort des Jahres gewählt wurde. Es erinnert ein bisschen an das whooshing, das Geräusch, das nach dem großen Douglas Adams die Deadlines machen, wenn sie vorüberstreichen. Beweisen wir nun die Weisheit der Heise-Leser. Gesucht wird das lautmalerischeste Wort des Jahres überhaupt, mithin das Geräusch, dass der Bundestrojaner macht, wenn er herannaht. Ist es ein einfaches "klatsch", getreu nach dem beliebten fischrüberreich im Forum? Ist es ein trolliges "crsss", ein kaum hörbares Zischen? Oder ein fettes "knacks" im Lautsprecher, wenn sich die Lauschhörer der Anderen zuschalten? Vielleicht ein lautes "Stopp! Plozilei!" Oder "Popp! Stolizei, äh ...". Fragen über Fragen – und das Dunkel, das Dunkel.

Quelle : www.heise.de
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 23 Dezember, 2007, 01:28
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Es begab sich aber zu der Zeit, als Wolfgang Schäuble Innenstatthalter in Deutschland war und von seinen Mannen die Muslime erforschen ließ. Ein jeder von 970 Befragten musste sich einschätzen lassen, was denn seine Einstellung zur Demokratie, zur Religion und zu Religionen der vielen Anderen ist. Und als das Fest der Menschen nahte, die sich Christen nennen, ließ er die multizentrische Befragung in innerstädtischen Lebensräumen  veröffentlichen, genau am islamischen Opferfest: 40 Prozent der Muslime sind fundamentalreligiös. 10 Prozent sind demokratiefeindlich. 6 Prozent akzeptieren Gewalt gegen Andersgläubige. Gefunden wurde ein "ernstzunehmendes islamistisches Radikalisierungspotenzial". Das kann man als schlechte Nachricht nehmen oder als gute Nachricht. Was sind schon sechs Prozent? 14 Prozent der Deutschen sind ausländerfeindlich und dem Siebtel radikaler Muslime kann man politisch korrekt das Siebtel von Rechtsradikalen entgegenhalten, zumal in beiden Gruppen der Antisemitismus ansteigt. Auf den Juden lassen beide nichts kommen.

*** Vor mir liegt ein gerade erschienenes grünes Büchlein mit dem harmlosen Titel "Deutsche Zustände, Folge 6". Auch hier geht es um Umfragen, nur finden sie über einen längeren Zeitraum statt. Seit 2002 beobachten Soziologen die deutschen Zustände und wollen dies bis 2012 fortführen. Die Langzeitstudie ist darum interessant, weil sich zeigt, dass mit der zunehmenden guten Stimmung am Arbeitsmarkt ein drastischer Umschwung der GMF-Werte einhergeht. GMF steht bei den Soziologen für "Gruppenbezogene Menschen-Feindlichkeit". So etwas kann Antisemitismus sein, aber auch Fremdenfeindlichkeit, Sexismus und eben Islamophobie. Eigentlich können sich die deutschen Zustände sehen lassen: Der Antisemitismus geht zurück (6,9 Prozent 2002, 5,8 Prozent 2007), auch die Fremdenfeindlichkeit (26,8 Prozent 2002, 24,6 Prozent 2007), solange nicht nach den Arbeitsplätzen gefragt wird, die Ausländer Deutschen "wegnehmen". Dann nimmt sie nämlich zu. Im momentanen Wirtschaftsboom haben die Forscher nun ein neues "Syndromelement" gefunden: Die Langzeitarbeitslosen, die 2002 nicht als negativ empfunden wurden, sind mit dem Anstieg der Konjunktur die Prügelknaben der Nation geworden. Krachende 32,7 Prozent finden es empörend, dass sich Hartz-IV-Empfänger auf Kosten der Gesellschaft ein bequemes Leben machen. Wer die erschreckenden Zahlen nicht verstehen will, für den haben die Soziologen ein paar anschauliche Beispiele parat: "Du Hartz-IV-Empfänger" ist im Jahre 2007 eine Schiedsrichterbeleidigung, für die es die rote Karte gibt. Im Jahre 2007 kann Bundestalkmaster Thomas Gottschalk unter dem Beifall des Publikums Bierdosen als "Hartz-IV-Stelzen" bezeichnen. Breite Zustimmung bekam 2007 der Arbeiterführer Beck für diese Sätze, die ihn zum beliebtesten SPD-Politiker machen: "So wie Sie aussehen, haben Sie in ihrem Leben noch nicht viel gearbeitet. Waschen und rasieren Sie sich." Langzeitarbeitlose sind die neuen Paria. Das schöne Weihnachtlied vom chinesischen Weihnachtsessen können sie nicht einmal singen, weil es schlicht zu teuer ist. An ein Schulessen für "Hartz-IV-Kinder" ist gar nicht zu denken. "Moral? Nicht in der BRD! An ihrer statt nur Scheiße", heißt es im Weihnachtsgedicht, das Rolf Hochhuth für Angela Merkel geschrieben hat.

*** Es begab sich zu der Zeit, als Wolfgang Clement Minister für Arbeit, Arbeit und noch einmal Arbeit war, dass die Hartz-IV-Reform eingeführt wurde. Zu seinem Abgang sah Clement eine tolle Reform und ein Heer von "nicht Anspruchsberechtigten". Dass die Reform umsetzungstechnisch ein großer verfassungswidriger Käse ist, hat diese Woche das Bundesverfassungsgericht festgestellt. Bis 2010 darf weiter gewurstelt werden. "Für Betroffene von Hartz IV ändert sich nichts."

*** So wie die Kunst vom Kaufen abstammt, stammt das Genießen von den Genossen ab. Zu den verdienstvollen Genießern kann man Genosse Wolfgang Clement rechnen, im dritten beruflichen Lebensalter unter anderem Vorsitzender des Adecco-Instituts zur Erforschung der Zukunft der Arbeit. Erinnert sei an seine formvollendete Kiewelei für die Zeitschrift Facts im Januar, ein Editorial, dass die Spracherkennung Dictaplus in den höchsten Tönen lobt. Nach 16 Minuten lag in einem Wettbewerb der automatisch umgesetzte Text vor, verglichen mit 22 Minuten für ein herkömmliches Diktat. 30 Prozent Einsparungen versprach Clement allen Rechtsanwälten, die auf das konventionelle Diktat verzichten. Nun hat der Arbeitsforscher von Adecco einen weiteren Ansatz gefunden: "Wer heute auf dem Papier 70 Jahre alt ist, hat die körperliche Verfassung eines 60- oder 55-Jährigen der vorherigen Generation. Das kann doch nur bedeuten, dass wir den Horizont der Lebensarbeitszeit erheblich erweitern müssen." So ein sozialdemokratischer Horizont ist immer wieder etwas Feines, auf dem Papier.

*** Freut euch, ihr Christen! Während krippentechnisch und baumkugelmäßig alles beim alten bleibt, strahlt das neue Logo +) eine wunderbare Ruhe zum Fest aus. OK, +) ist nur das neue Logo der Evangelen in der norddeutschen Tiefebene, die damit auf ihre gerissene Art dem +[:) ASCII-Papst eine nette Referenz erweisen. Und was assoziieren meine treuen Leser, die irgendwo an diesem Wochenende in einem schlichten Rechenzentrum Dienst schieben müssen? Natürlich erstens an die hoch stehende Fischwerf-Kultur dieses Forums der Fachzüchter von Hommingberger Gepardenforellen; und zweitens an den Wettbewerb zum Bundestrojaner im letzten WWWW. Gewonnen hat Forumsleser Cobolist mit Palim-Palim sowie dem anschließenden Dialog: "Guten Tag, ich hätte gerne eine Tüte Daten." "Auf der Terrasse nur Kännchen."

*** Weihnachten ist ein Fest, an dem +) und +[:) samt Anhang sich gerne von besonders großer Menschlichkeit zeigen wollen, nicht nur den Langzeitarbeitslosen gegenüber. Die Mühseligen und Beladenen, die zur Futterkrippe immer nur die Melkmaschine oder die Bodenhaltung assoziieren, sollen, wenn sie im Knast sitzen, mit einem besonders netten Palim-Palim begrüßt werden. Insofern ist es eine noble Geste der Bundesstaatsanwaltschaft, für einen Gefangenen wie Christian Klar zum Fest die Beugehaft zu beantragen, damit er noch einmal etwas anderes als die normale Haft erleben kann. Während der Verfassungsschutz eine Mauer errichtet, sollte dieses Interview mit Christian Klar nicht unerwähnt bleiben. Als Extra für Tyler Durden hätte ich gern auf das begleitende Foto verlinkt, das Strommasten und einen Schinderanger zeigt. Wir können nur argumentieren.

*** Und sonst? Die Hetze vorbei, das "Fest" kann kommen? Wie wäre es mit ein paar Empfehlungen für die Geschenke in allerletzter Minute? Ein USB-Stick ohne getürkte Größe, dafür aber mit dem wunderbaren Truecrypt an Bord? Wer gar kein Geld hat, möchte vielleicht ein Zettelchen mit Hinweisen verschenken, wie man dem angehenden Wahnsinn der Vorratdatenspeicherung dämmen kann. Es gibt viele Provider mit aufrechten Sinnen, doch kiewelshalber möchte ich nichts empfehlen, sondern aktiv zum Nachfragen und Nachbohren aufrufen, damit es dämmert, welcher Wahnsinn da gegen die informationelle Selbstbestimmung reitet. Ach, gesucht wird nur noch ein aufregendes, spannendes Buch für das nachfestliche Schmökern? Wie wäre es mit Feindbild Demonstrant, in dem wirklich unglaubliche Geschichten erzählt werden? Musik? Nein, hier kann ich keine Vorschläge machen. Alicia Keys räumt ab, dass es nur so kracht. Die Herztöne des Babys der Schwester von Britney Spears? Schüttel, schauder. Wie wäre es, das ganze Gerummel sein zu lassen und dieses kleine Video zu genießen, das garantiert den CO2-Ausstoß reduziert?

Was wird.

Aber vielleicht kann man ja doch noch ein bisschen gute Musik hören, Fred Hersch beispielsweise, Leaves of Grass, eine Vertonung der Gedichte von Walt Whitman. Das hilft vielleicht, oder ganz sicher. Denn aber klar doch: Weihnachten wird es, was sonst? Wer jetzt noch herumschliddert in der norddeutschen Tiefebene, wird seinen Spaß haben am Eis, das von den Bäumen fällt und die Straßen schliddrig macht. Doch was ist schon Eis, wenn es nicht Magnus heißt? Darum freuen wir uns alle auf den Start von Magnus, immerhin der "Launch des Jahres". Alle Computerthemen "werden in einer Breite und Tiefe behandelt, die neue Maßstäbe setzt und alle bisherigen Onlineangebote bei Weitem übertrifft." Neue Maßstäbe sind immer gut, die alten wurden doch recht schnell sehr speckich, in diesem Jahr.

Quelle : www.heise.de
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 30 Dezember, 2007, 07:56
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich – und dieses Mal wie  immer  zum  Jahresende  nicht  nur  für die Woche, sondern sie versucht, das ganze Jahr ins Blickfeld zu bekommen.

Was war.

*** Plus ça change, plus c'est la même chose - ein Jahr geht zu Ende, das nächste fängt an. An allen Ecken des endlosen Web finden sich Jahresrückblicke auf 2007 wie Prognosen, welcher Ei-Pott 2008 das Rennen macht. Zum lesenswerten Rückblick der Netzpolitiker gesellt sich daher dieser kleine Rückblick der Netztechniker, basierend auf den Jahres- und Monatsstatistiken der vorzüglichen Admins, die in der norddeutschen Tiefebene am Werke sind und die Netzpräsenz, des kleinen, aber feinen Verlages am Laufen halten. Ja, Lobet die Admins, die es mit dieser Meldung zum Spitzenreiter im Juli 2007 brachten.

*** Über das ganze Jahr betrachtet, reichte es dennoch nicht für sie, sich in den Top Ten der Meldungen einen Rangplatz zu sichern. Hier hat die Statistik manche Überraschungen parat. 2007 mag ja das Jahr der Billig-Laptops oder der iPhone-Hysterie gewesen sein, mag vor allem als das Jahr der Vorratsdatenspeicherung oder der heimlichen Festplatten-Durchsuchung dastehen. War das das Jahr 2007? Die Hosen voll, die Reihen fest geschlossen, Deutschland marschiert ...? Alles wird gut: Ein Innenminister im Angstrausch beherrscht das Land? Wer sich noch wunderte, dass die Truppen des konservativen Sicherheits-Etatismus den Präventionsstaat Schäublescher Prägung unter dem Beifall der Sozialdemokraten in Szene setzten, sollte sich das Idealbild des sozialdemokratischen Wohlfahrtsstaats vor Augen führen, das nur auf Basis der Kontrolle und Steuerungen aller Lebensäußerungen und -umstände funktionieren kann. Privatsphäre der Bürger ist keine Komponente der Idealstaaten von Konservativen und Sozialdemokraten, hier trifft sich die Linke mit der Rechten.

*** Aber die nackte Statistik sieht es völlig anders, was denn so wichtig war in diesem Jahr. Völlig anders? Vielleicht nicht ganz: Eindeutiger Sieger über alle anderen Nachrichten des Jahres 2007 ist diese Meldung einer Pron-Sperre bei Arcor mit 257.821 Zugriffen. Zwei weitere Verfügungen gegen Arcor brachten es ebenfalls in die Top Ten, womit Arcor in der Summe aller Tickermeldungen gewichtet sogar Apple als Firma überholt. Nur der Computerbauer Aldi und der ewige Spitzenreiter Microsoft konnten sich vor dem TK-Anbieter platzieren. Auch der 2. Platz über alles ging an eine juristische Meldung, diesmal über eine Abmahnfalle, die sich gleich zu Beginn des Jahres öffnete. Nimmt man weitere viel besuchte Nachrichten wie Atze gegen die Wikipedianer und die Forenhaftung hinzu, so kann man schlussfolgern, dass das Internet anno 2007 ein Spielball der Rechtsanwälte geworden ist. Die ironisch gemeinte April-Meldung auf Platz 8 der Top Ten passt genau in den Jahres-Trend. Zoomt man auf die Top 100, ist selbst der letzte Platz mit 71.241 Zugriffen von einem juristischen Thema besetzt.

*** Ja, Windows Vista kam in die Pötte und Apple brachte eine P-Verlängerung (181.355 Zugriffe) für Porsche-Fahrer unter die Leute, doch was war das gegen die große Blinde? Als Einzelmeldung brachte es eine kleine juristische Tickernotiz über einen Münchener Anwalt mit großem Geltungsbedürfnis mit 209.179 in das WWWW-Buch der Rekorde, nicht nur nach den Zugriffszahlen. Mit 14.188 Kommentaren sorgte diese Justizfarce unter den aktiven Forums-Teilnehmern für eine denkwürdige Heiterkeit.

*** Es ist sehr schwer, über Nicht-Meldungen zu schreiben, über Sätze, die geschrieben wurden und dann doch nach /dev/null wanderten, weil sie unwichtig waren oder eine schlichte Anwalts-Flatulenz. Ich könnte jetzt Adorno zitieren, der den vorigen Jahresrückblick geprägt hat, doch das hilft nicht, nicht hier und heute. Eine Nicht-Meldung dieser Woche ist die über den freien System-Administrator Roman Stanowsky, der in München seinen Sohn Mickey ermordete und sich dann selbst tötete. Etliche Leser werden sich an den Administrator der legendären Markt und Technik-Mailbox erinnern, andere vielleicht an Artikel, die den Spam-Bekämpfer feiern. Wenige werden sich wohl in die Rechts-Foren begeben, die den Täter Roman S. als Opfer feiern, als Beweis für die unfähige Justiz und die "Familienvernichtungsmafia", die dieser schwer verletzte Mensch als Rechtfertigung für seine Tat anführte.

*** Wir werden den Tätern nicht gerecht, weil wir den Opfern nicht gerecht werden können: Jeder einzelne Mensch muss da gezählt und erwähnt werden. Inmitten der ansetzenden Jubelarien über 1968 bleibt da die RAF, die mit Schleyer einen NS-Täter ermordete. Es bleibt ein Chemiker Buback, der einen Prozess in Gang setzte, komplett mit Beugehaft, der Täter finden soll. Jeder Tote, den diese Widerstandsform produziert hat, muss erinnert und betrauert werden. Warum sollte Jürgen Schumann der Größte sein, warum nicht Reinhold Brändle, Heinz Marcisz, Roland Pieler und Helmut Ulmer?

*** Gäbe es nicht die wunderbaren Berichte von Plomlompom zum CCC im bcc, die Aufmunterung "Guten Rutsch / Gegen die Vorratsdatenspeicherung" vorm bcc am Alexanderplatz, so müsste die Woche kläglich enden. Die großartige Osterweiterung, von der auch ein kleiner Verlag in Hannover nicht unberührt geblieben ist, hat einen herben Verlust zu tragen. Mit Jaan Kross starb einer der wichtigsten estnischen Autoren – an dem Tag, an dem vor 34 Jahren in Paris der Archipel Gulag erschien.

*** Das Positive ist natürlich Bo Diddeley, der heute 79 Jahre alt wird und mit Who do you love Geschichte geschrieben hat, mit einer rechteckigen Gitarre. Wer nicht rockröhren will, mag vielleicht Doug Coupland aus Baden-Baden feiern, den Autor der Microsklaven und von jPod, der Werbung für Smirnoff (Getränk) und Blackberry (Digitalfessel) macht, weil es passt.

Was wird.

Eigentlich hat es schon angefangen, das Jahr der Mathematik, mit wundersamen, von "Mathemachern" produzierten Ausstellungen wie der in Garching. Was folgt, heißt Zahlen, bitte! und findet in Paderborn statt. Irgendwann in diesem Jahr feiert das erste Videospiel Geburtstag und am 23. April ist Max Planck an der Reihe, Vamutter der Quantentheorie.

Überstrahlt wird alles natürlich vom Geburtsjahr der Proteste derer, die derzeit in Rente gehen: 1968 wird in Berlin gefeiert und noch einmal in berlin gefeiert, damals die zentrale Abschiebungsstätte süddeutschen Bundesländer. Hatte ich schon Berlin erwähnt, die Hauptstadt der Bewegung? Glaubt irgend jemand außer "Joschka" wirklich, dass Krankfurt da mithalten kann? Wie wäre es mit Herbert Schoner und Kaiserslautern?

Mitunter endet der große Wurf in einem kleinen Häufchen. Das zeigt nicht nur 68. Immer muss der Blick in die Zukunft auch dem Boden gelten, auf dem Dichter in die Grube fallen, auf dem man ausrutscht, vom Häufchen beschleunigt. Freuen wir uns deshalb nicht nur über die 68er und Mathemacher, sondern ganz unspektakulär auf Digerati wie Martha Stewart und Paul Coelho, die Digital, Life, Design 2008 weichspülen werden. Die Einladung, komplett mit drastischen, eigentlich internen Anmerkungen über die Qualität der eingeladenen Redner/Innen ging an ca. 300 Journalisten raus, deren Adressen im cc: für alle sichtbar waren. Wer braucht schon Spam, wenn er solche sachkundigen digitalen Freunde hat? Daher allen Lesern happy happy sonstwas, ganz ohne Klick, Kultur und Kolophon: Sauber wollten wir Ende 2006 ins neue Jahr kommen. Ob wir sauber wieder rauskommen, muss jeder für sich selbst entscheiden. Aber alles wird gut. Deutschland marschiert nicht.

Quelle : www.heise.de
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 06 Januar, 2008, 00:13
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Es war kalt. Bitterkalt. Der Wind pfiff eisesscharf um die kahlen Bäume und die grauen Häuserecken in der schönsten Stadt der Welt in dieser kalten norddeutschen Tiefebene. Da half kein Schal und kein Kapuzenpulli, was die allseits beliebten gefühlten Temperaturen auslösten, habe ich jetzt auszubaden. Rotzend, hustend und schniefend sitze ich am Rechner, darauf achtend, keinen Schleim in die Tastatur tropfen zu lassen: Hach, 2007 abgehackt und 2008 wird umso toller? Das kann ja wirklich fein werden, aber nix da, ich bin als freier Journalist noch am Bilanzieren und natürlich am Buchhalten, wie viele andere große, kleine und ganz kleine Unternehmer. 454 steuerpflichtige Texte habe ich 2007 geschrieben, da will das Finanzamt sein Scherflein sehen, Unternehmerlein. Für 1584 Euro Bahntickets gekauft? Die Frage des Kontrolleurs kenne ich von der letzten Prüfung der Bücher: Wieso muss ein Journalist so viel reisen? Es gibt doch das Internet und die Google News mit den Agenturmeldungen. Jaja, bei denen einer vom anderen abschreibt, bis Journalismus aussieht wie eine Runde stille Post, weil die Hälfte der Journalisten nicht mehr recherchiert und die andere Hälfte damit vollauf beschäftigt ist, bloggenden Kollegen zu bescheinigen, wie Scheiße sie sind. Da hat es der Mustang-Cabrio-Fahrer Hans Ulrich Kempski wohl richtig gemacht und sich verabschiedet von einer Welt, in der es seine Süddeutsche Zeitung nicht einmal schafft, den vollen Text seiner Reportage über Willy Brandt online zu stellen. Wer sklavisch dem Papier ergeben ist, wird auch den Journalismus einer längst untergegangenen Welt mühelos mit "(...)" kartätschen.

*** Was an den Zahlen weniger gefällt, sind die Inhalte: 293 Artikel zum Thema Bundestrojaner, zum Terrorkampf durch Datenschnüffelei und -Speicherung sind entschieden zuviel. Da verwandelt der Aufschwung das Land in blühende Landschaften komplett mit hübschen Korruptionsskandalen und ganz wunderbaren Bobos in Paradise im träumerisch-merkelischen Juste-Milieu – und ich schreibe, schreibe, schreibe über den alltäglichen Datensammelwahnsinn in Politik und Wirtschaft, etwa über die Totalprotokollierung der Telekommunikation. Damit gehöre ich wie überhaupt der ganze Heiseticker zu denen, die von der taz abgewatscht werden für ihre "maßlose Übertreibung", die angeblich dazu führt, oh welch Jammer, dass die Arbeit der Printjournalisten erschwert wird. Weil Informanten sich nicht mehr trauen und die armen, armen Journalisten nur noch Google haben und diese seltsame Wikipedia.

*** Doch wo Unrath güllt, ist das Rettende nah. In einem Sexbombenkommentar können auch die Rechtsexperten der pfotenfrommen Zeitung lesen, dass etwas stinkt beim Vater Staat, und dass es nicht die Geruchsspuren sind, die man beim Kampf gegen die besonders terroristische Vereinigung der G8-Gegner gesammelt hat. Die konnten immerhin noch mit rechtsstaatlichen Mitteln Beschwerde einlegen, was im Fall des staatlich angeordneten Afghanistan-Einsatzes einer Sanitätssoldatin schlichtweg verboten wurde. Der Staatsbürger in Uniform hat die Schnauze zu halten und für den Rest gilt: "Wenn man still ist, fährt man besser." Der Duckmäuserstaat wird dereinst als Erbe und Verdienst der Regierung Merkel erinnert werden, wenn die redende Wegsperre aus Hessen sich um die Nachfolge bewirbt.

*** Die Hacker haben getagt zu Berlin in dem Gebäude, dass auch bei den Polizisten als Veranstaltungsort so beliebt ist. Und sie haben ordentlich Kritik dafür bekommen, dass sie so normal und populistisch sind und kleinkariert obendrein. Pipifax soll es also sein, wenn der Verein vor überwachbaren Hörgeräten warnt, wird ein Informatik-Papst zitiert, dem Deutschland angeblich das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung verdanken soll. Leider gibt es aber drahtlose Doppel-Hörgeräte, die sich per Funk synchronisieren und mit einem WLAN-Sniffer "geohrt" werden können. Wir werden keine Cyborgs, wir sind längst Cyborgs, so der wichtigste Vortrag im schnuckeligen bcc am Alexanderplatz. Wir leben flüssige Identitäten in enger Symbiose mit unseren Laptops und Hörgeräten. Wer freut sich denn heute nicht, wenn er einen Flieger besteigen kann, in dem das Passagier-LAN mit dem Steuerungs-LAN gekoppelt ist. Störend am Cyborg-Leben allenfalls die Tatsache, dass keine Frauen mehr benötigt werden. Ich hätte da eher auf Informatik-Päpste getippt, die wirklich niemand braucht.

*** Weil wir eng verdrahtet mit unseren Geräten verbunden sind, merken wir schneller als andere, was los ist, wenn etwa die Polizei mit ihren wackligen Verdachtsmomenten auf digitale Spurensuche in der digitalen Intimsphäre geht. Je enger die Symbiose aller mit dem Computer ist, produziert die allgemeine Vernetzung einen Überschusssinn, der in einen Kontrollüberschuss mündet. Das behauptet mal kein depperter Informatiker, sondern ein Baecker (PDF-Datei), der den Computer nach Sprache, Schrift und Buchdruck als die epochale Erfindung der letzten 500 Jahre feiert. Um nichts Geringeres geht es in den nächsten Jahren als um die Entscheidung der ganzen Gesellschaft, in welcher Form sie an die Computer andockt, in welcher Art alle als Cyborgs funktionieren, ohne von der allgegenwärtigen Maschinenkontrolle platt gemacht zu werden. Flüssige Identitäten sind so auch Mittel gegen die Computer, die mit Flüssigkeiten ihre Probleme haben. Hat Schleim also auch sein Gutes, selbst wenn man ihn als gestandener Möchtegern-Cyborg ausrotzt, aushustet und ausschnieft?

Was wird.

Mit einem großen Auftritt auf der CES tritt Bill Gates morgen Abend ab, ganz im Stil der Start-Schaltfläche seines geliebten Betriebssystems. Auch Steve "Developers" Ballmer steht vor dem Abgang, doch ist es der "Visionär" Gates, dem feierliche Artikel gewidmet sind. Schließlich konnte er doch auf der CES so epochale Dinge wie die Benutzeroberfläche Microsoft Bob (1995) oder das Unterhaltungssystem Microsoft Mira (2002) präsentieren. Auf die Prognosen von Gates zur Zukunft des PC müssen wir uns noch ein bisschen gedulden, aber wozu haben wir einen Lumma oder, wenn es unbedingt ein Bob sein soll, den großen Bob und noch größeren Fefe? Und sonst so? Wie wäre es mit der Prognose, dass SCO nun zwar ein Tool für die Umstellung auf die Sommerzeit hat, es aber statt einer Umstellung eine endgültige Aus-Stellung geben wird? Doch warum trauern, wenn mit McAfee sich die nächste Firma daran macht, in ihrem Jahresbericht vor der böse Open Source zu warnen, die ein echter Gefährder für all die schönen Sicherheitsprodukte darstellt? Doch halt, ganz so schlimm ist es denn doch nicht, wenn russische Virenscanner anschlagen und melden, dass eine Online-Durchsuchung durchgeführt wird. Schweinchenrosige Aussichten also, dass der Stoff nicht ausgeht für Wochenschauen, Vorwarnungen und Nachrichten.

Dass geburtstagsfeiernden Cyworgs und Cyborgs die Visionen nicht ausgehen, zeigt die kommende Omnicard mit ihrer Beschreibung eines typischen Tages im Jahre 2020 in gewohnt furchtbarem Deutsch: "Smarte Objekte werden als unsere digitalen Bevollmächtigten gänzlich in unser Alltagsleben integriert sein, und auf diese Weise den Nutzern zusätzliche Vereinfachung und Bequemheit bringen. In dem sie den Nutzer zum Inhaber von Komplexität und Sicherheit machen, und in dem sie unsere Leben einfach leichter machen, werden smarte Objekte 2020 unangefochten sein." Schweinchenrosa, ich schrieb es bereits. Ist ein anderes Rot als das Blutrot über den Schlachtfeldern, wenn die Eule der Minerva losflattert.

Quelle : www.heise.de
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 13 Januar, 2008, 00:13
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Ich beginne diese kleine Wochenschau am Knuttag damit, dass ich erst einmal kräftig auf den Bildschirm meines treuen Thinkpad spucke. Es ist nämlich so: Während die Spucke langsam den Schirm hinunterläuft, trifft sie auf das hingerotzte WWWW und tauscht so magische Informationen aus, die sich mit dem Text verbinden und einen, nennen wir es mal wissenschaftlich, anastigmatisch-genetischen Abdruck hinterlassen. Eine magische Wechselwirkung zwischen Text und Person vermutet die Generalbundesanwaltschaft, die bei einem Berliner Soziologen die zwangsweise Entnahme einer Blutprobe angeordnet hat, die nur durch eine freiwillige Speichelabgabe verhindert werden kann. Die Abgabe einer DNA-Probe zur Feststellung der Autorenschaft eines Textes ist nach Geruchsspurensicherung, Briefpostsistierung und verdächtiger Verschlüsselung ein deutliches Zeichen, dass die von der taz Serientäterin genannte Monika Harms weiter ermittelt, als ob es den Bundesgerichtshof nicht geben würde. Da bleibt doch glatt die Spucke weg.

*** Die Methode, das Karlsruher Gericht wegzuerklären oder zu ignorieren, ist auch in der Politik bekannt. Im Fall der beliebten heimlichen Online-Durchsuchung von Festplatten erklärte CSU-Frontmann Peter Ramsauer im Interview der Woche: "Wir wollen das natürlich möglichst schnell haben. Wir sind ja der Gesetzgeber. Wir sind ja nicht die Vollzugsmaschinerie als Parlament des Bundesverfassungsgerichts, sondern das Gericht spricht Recht und wir machen die Gesetze. Also wir brauchen im Grunde genommen auf Karlsruhe nicht zu warten." So einfach ist das, wenn man einen Wegerklärbär hat. Das hat man offensichtlich auch beim Bundeskriminalamt gedacht, das in dieser Woche auf seiner Homepage als Bürger-Service auf dieses etwas ältere Bären-FAQ des Bundesinnenministeriums verlinkte, was wiederum einen bekannten Motzbär zum Brummen brachte.

*** Manchmal hilft selbst der beste Wegerklärbär nicht weiter, da muss er schon mit harter Pranke kommen. In diesen Tagen kursiert bei deutschen Passbehörden ein Schreiben des erwähnten Bundesinnenministeriums, das den Abverkauf von Alu-Hüllen für den Reisepass wie in Lübeck kommentiert. Nach einer längeren Erklärung zur super-sicheren, von keiner Entropie betroffenen Basic Acess Control ganz ohne diese schrecklich störanfälligen Fingerkuppen erklärt das Ministerium, dass es die Alu-Hüllen ablehnt. "Ich bitte daher, alle Passbehörden auf diese Sachlage hinzuweisen und sie aufzufordern, von einer Verteilung von Aluhüllen abzusehen, da sie nicht erforderlich sind und zu einer unnötigen Beunruhigung von Passinhabern führen. Das hat der innenministerielle Wegerklärbar ganz wunderbar geschafft: Die Alu-Hüllen, die beruhigen sollen, führen zu einer Beunruhigung von Bürgern. Sososo. Und wie war das mit Herrn Jörg Ziercke, Chef des Bundeskriminalamtes? Der gab in einer Anhörung im Bundestag (PDF-Datei) am 23.April 2007 den Zauberbär: "Die Abschirmung des Passes durch so genannte leitende Materialien durch einen Schutzumschlag – das hat der erste Sachverständige schon gezeigt – ich habe hier einen ähnlichen. Man benutzt diesen Umschlag nur, um den Ausweis dort hineinzustecken, und dann ist dieses Szenario völlig entzaubert." Entzaubert wird aus dem Frosch ein beunruhigendes Monster.

*** Ich hätte auch "Jugendlicher" schreiben können. Es ist schließlich Wahlkampfzeit, nicht nur in den USA: Da kocht der Koch sein Schlägersüppchen aus Zuwanderanten, da rührt der Wulf einen Versprechungsbrei an und selbst der feingeistige Ole von Beust sucht nach dem passenden Rezept. Mit Gulasch mallorquinischer Art hat er es im Internet gefunden, komplett mit einem zweijährigen Rezept-Abo. Beusts Behörden haben in dieser Woche übrigens einen besonders schicken Erklärbär präsentiert. In der Zeitschrift für "Jugendkriminalität und Jugendhilfe" hatte der Kriminologe Bernhard Villmow einen Aufsatz (PDF-Datei) über die kriminalstatistische Provinz Hamburg veröffentlicht und nachgewiesen, dass die Zahlen über straffällige Jugendliche falsch waren. Zahlen, auf die die Hanseherren von Law & Order doch so stolz waren. Wie kommt's? Ein Datenbankfehler ist der Schuldige, oder, in den Worten des Justizministers: "Bei der Umstellung auf ein neues elektronisches Erfassungssystem sind bei der Eingabe Fehler gemacht worden." Der doofe Computer und die miserable Software haben sowieso immer schuld. Wie wäre es mit einer DNA-Probe der Leute, die die Daten eingegeben haben?

*** Ich finde, es ist eine ganz, ganz große Geste der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, mit "Bill geht" und einem betenden Gates-Bild das Titelblatt am Dienstag zu schmücken. Tags darauf gab es dann ein langes Interview mit dem Visionär Bill Gates und seiner treudoofen Aussage "Ich bin ersetzbar". Das Titelbild feierte indes prompt den nächsten Visionär: Wilhelm Busch, der seinen 100. Todestag begeht. Sein Hauptwerk ruht in der norddeutschen Tiefebene dort, wo sie am schönsten ist. Seltsamerweise schrieb ein nicht verlinkbarer Zeitgenosse von Busch: "Wer Hannover kennt, weiß, warum Busch nach Wiedensahl zog." Angeblich will Bill Gates hinfort nur Gutes tun und bei der Bill and Melinda Gates Foundation mitarbeiten. Wer ihm das glaubt, wird wahrscheinlich auch glauben, dass Windows Vista ein komplettes Betriebssystem ist. Wahrscheinlich will Bill Gates mit einer furiosen Rückkehr nur zeigen, dass er der beste Steve Jobs aller Zeiten ist. Oder, um Wilhelm Busch zu zitieren:

Das Gute – dieser Satz steht fest –
ist stets das Böse, was man lässt.
Dem Guten in der Kunst hingegen
kommt grad das Böse sehr gelegen.
Das merkten – gar nicht lang ists her –
die Herren Busch und Baudelaire.

*** Das Gute tun, das kann man mit dem ehemaligen Microsoft-Manager John Wood von Room to Read lernen, fängt mit einem perfekten Businessplan an. Der Rest sind aufgeregte Kinder, die zum ersten Mal in ihrem Leben ein Buch sehen und darin einen abgebildeten Elefanten, ganz ohne OLPC mit seinen verwirrenden Mentis und Dementis. Damit will ich dieses Projekt nicht schlecht machen. Das Schlimmste am OLPC ist ein sehr eitler Chef namens Nicholas "ich bin digital" Negroponte, der leider lernresistent ist. Der Satz, dass es ein Lernprojekt und kein Laptopprojekt ist, gilt eben für alle, für all die engagierten Mistreiter und für Negroponte.

*** Gehen wir zurück zum Ursprung und fluten einmal Länder, in denen Kinder schon Leseräume erfahren haben, mit Millionen von billigen Laptops, ob sie nun OLPC, EeePC, Classmates, Shuttle oder sonstwie heißen. Sie mögen vielleicht Blödsinn machen und den Katzen-Content weiter erhöhen. Wenn aber mit dieser Aktion nur 100.000 Hochbegabte gefunden werden, die IT-Konzepte verbessern können, angefangen vom Mesh-Networking bis zum Stromproblem ihrer kleinen Rechner, kommt eine Welle und macht mit einem Schwapp all die PISA-Sandburgen deutscher Bildungsforscher platt. Und danach kommt erst der richtige Brecher. In Deutschland wächst die Kinderarmut exponentiell. Wer die Projekte in Uruguay und Peru belächelt, wird sich nicht wundern können, warum es kein einziges Forschungsprojekt gibt, und sei es auch noch so klein, unserem armen Nachwuchs mal einen OLPC zu bringen und nicht dieses Unterschichtsfernsehen komplett mit dem Werberamsch einer fossilen Autoindustrie. Ich kann es auch anders formulieren, im Einklang mit den Dumpfbacken, die das deutsche LKW-Mautsystem oder das krude Ding namens elektronische Gesundheitskarte als "Exportschlager" feiern, sollte man sich einmal den Weg des nächsten Exportschlagers ansehen: Amana.

*** Während die Spucke herabläuft und ich Screen Clean zücke, das süßlich wie Bionade stinkt, werden die Toten der Woche wach. Als Bewohner der norddeutschen Tiefebene werde ich sicher nicht diesen komischen "Bergen" gerecht, die man schnellstens, bald videoüberwacht überqueren und durchtunneln muss, ehe man zivilisierte Ortschaften erreicht. Ein Abschiedsgruß darum an Edmund Hillary. Außerdem würde ich gern einem Sherpa der Vernunft gedenken, dem spät eingebürgerten Philip Agee. Er war imho der Whistleblower des vergangenen Jahrhunderts – und der meistzitierte Autor in den Schriften der deutschen RAF.

Was wird

Gähn. Die Zukunft ist sowas von langweilig ohne den obersten Nerd Bill Gates als Kontrapunkt. Die Macworld in San Francisco steht an, aber noch immer nicht flutscht das Porno-Gucken mit diesem Bill. Derweil freuen wir uns mit Melinda über den Ehrentitel, den ihre Arbeit dort erfährt, wo gemeinhin der Nobelpreis verliehen wird. Auf ihre Weise ist Melinda Gates die Frau der Zukunft und dankt Simone de Beauvoir: Man kommt nicht als Frau zur Welt. Frau macht sich fit, Mann macht sich fit. Aber nur durch Frauen überlebten die Menschen, an die Haare der Mütter geklammert, währende hungrige Bären brüllten. OK, bei Theweleit und Co. waren es Tiger.

Quelle : www.heise.de
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 20 Januar, 2008, 00:43
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Kinder, Inder, was waren das noch für tolle Zeiten. Nein, Großväterchen Hal erzählt nicht vom letzten Krieg, den gar nicht so glorreichen 68ern, oder von seinem ersten Akustikkoppler, als sein Bart noch rot war. Ich blättere heute schlicht 277 Wochenschauen zurück in eine Zeit, als Wahlkampf war und in Hessen und Niedersachsen die brutalstmögliche Dienstleister-Wahl anstand. Damals schmiss Nokia eine rauschende Party, auf der sich die Prominenz so stapelte, dass die B-Promis als Teppichläufer mit von der Partie waren. Ja, es waren die gloriosen Zeiten, als Nordrhein-Westfalen, seit Ewigkeiten von den Sozialdemokraten regiert, noch Geld hatte für Nokia und Festredner Peer Steinbrück so schöne Formulierungen fand wie: "Die Landesregierung steht gerne als Dienstleister für Nokia voll zur Verfügung". Und was für schöne Dienstleistereien hatte man damals für Nokia, für die Firma, die von allen Mobilfunkanbietern am meisten von der deutsch-deutschen Vereinigung profitieren konnte. Das marode, löchrige Telefonnetz im Osten, geflickt durch tausende von Funkstrecken, eine postsozialistische Goldgrube für den Karawanen-Kapitalismus.

*** Schafft eins, zwei, viele Nokias, freuen sich die Apologeten der herrschenden Wirtschaftsordnung und freuen sich geradezu auf die absehbare Pleite der hochsubventionierten Chipindustrie in Dresden. Dabei ist die Sache wirklich einfach, ganz ohne rumänische Blutsauger: Es macht keinen Sinn, Produkte herzustellen, die keinen Wert haben. Nokia ist längst dabei, sich von der Handyproduktion zu verabschieden, genau wie man sich von der Produktion von Autoreifen und Regenmänteln verabschiedet hat, oder wie die mit deutschen Subventionsgeldern in Bochum gefertigten Graetz-ITT-Nokia-TVs längst entsorgt sind. Nokia wandelt sich vom Handybauer zu einer Internet-Firma wie Google mit dem Google Phone/Android, da ist ein Werk wie das in Rumänien nur eine bessere Verpuppung im Larvenstadium auf dem Weg von der Karawanserei zur Dienstleisterei. Politiker, die demonstrativ ihre Nokia-Handys wegwerfen, merken offenbar nicht, dass Nokia demonstrativ seine Handys längst weggeworfen hat.

*** Nicht 277, sondern schlappe zwei Wochenschauen zurück schrieb ich über die Frage unserer Symbiose mit dem Computer, die einen Überschusssinn produziert, der in einen Kontrollüberschuss münden kann. Die kommenden Computernetzwerke der Gesellschaft brauchen keine Nokia-Handys, wenn jedes Gerät nicht nur eine IP-Adresse, sondern auch eine SIM-Karte besitzt.

*** Nicht der Bundestrojaner, nicht die Vorratsdatenspeicherung, sondern die Herdprämie ist Unwort des Jahres geworden und wandert bei der CDU/CSU in den "Sprachmülleimer". Bei mir stellt sich als Assoziation kein Heimchen am Herd ein, sondern der Gedanken an die armen Schweinchen, die den Mist aufessen müssen, den ein Heer von Fernsehköchen tagtäglich zubereitet. Aber bitte, es gibt Dinge, die Frauen nicht verstehen wollen und Männer nicht denken können. Passend zum Unwort des Jahres verweise ich auf den Superhit des Jahres 1968, der beweist, dass die "68er" viel schlimmer waren, als sie es uns weißmachen wollen: Stand by your Man. Vielleicht war das mit dem Bundestrojaner-Vorschlag ja auch voreilig: Es gibt nur eine Herdprämie, aber viele Trojaner. Zuerst kommen die Weißwurschttrojaner "mit einer Handvoll Online-Durchsuchungen", dann die Digi-Spätzle mit der nächsten Handvoll, gefolgt vom alle Daten verdauenden Saumagen, bis hoch ins aufständische Nordrhein-Westfalen. 16 Bundesländer, ein jedes mit einer Handvoll Durchsuchungen, das läppert sich. ZAP, die Zentrale Antiterror-Polizei hat beste Karten im Kampf gegen die Gefährder, Abschleppen inklusive: "Wenn ein Parkplatz belegt ist, der für eine Observation benötigt wird, dann kann das BKA gegen den Fahrer sogar einen Platzverweis aussprechen." Wer deutsche Autos vom Platz verweisen kann, für den sind Computer, Festplatten und USB-Sticks kein ernsthaftes Hindernis.

*** 64 Felder hat ein Schachbrett, 64 Jahre wurde Bobby Fischer alt, einer der ganz Großen in der Welt. Mit 60 Jahren wurde er zum fliegenden Holländer in der Welt des Internet-Schachs. Im Alter von 82 Jahren starb Richard Knerr, auf seine Weise ebenso verschroben wie Bobby Fischer. Knerr war ein Spaßvogel, kein großer Erfinder, hatte aber ein Näschen für verrücktes Spielzeug, das seine Firma Wham-O popularisierte. Ihm verdanken wir so wichtige zivilisatorische Errungenschaften wie den Hula-Hoop-Ring, die Frisbee-Scheiben und die Flummie-Bälle. Ich kenne zahllose Programmierer, die sich mit Wham-O-Spielzeug ablenken, wenn der Stress zu gross ist.

Was wird.

Fünf Tage lang treffen sich 2500 Macher und Lenker aus aller Welt in den Schweizer Bergen beim Weltwirtschaftsforum (WEF) und diskutieren über das schöne Thema "Die Kraft gemeinsamer Erneuerung", vulgo ingleso "The Power of collaborative Innovation". Die deutsche Politik ist etwas schwach vertreten, denn es ist Wahlkampfzeit, da braucht man Kraft für andere Sachen, da wird gekollert, nicht collaborativiert, wie bei Dadavos. Dank Youtoube soll aus dem Weltwirtschaftsforum ein "weltumspannenendes Videogespräch" werden, bei dem die drängenden Fragen der Menschheit in die laufenden Sitzungen eingespeist werden. Die Weisheit der Massen ist gefragt, nicht nur bei auch (erster Buchstabe zum Schutz der Privatsphäre von auch entfernt.

Auch Jimmy Wales und die Wikimedia Foundation sind mit von der Partie, gefeiert als eine von 38 Firmen, die anno 2008 Pioniere der Technologie sind. Dabei ist die Wikimedia der einzige Teilnehmer, der das geforderte Pionier-Schutzgeld von 20.000 Euro nicht gezahlt hat. Es ist etwas her, dass der Soziologe Richard Sennett den verlogenen Zirkus der Homini Davosiensii geschildert hat. Als Gegenbild bietet er nun den ehrlichen Handwerker an, den schlauen Apple-Ingenieur, komplett mit Microsoft als Beweis für die These, dass der Beste eben nicht gewinnt.

Wie seit vier Jahren üblich, schlagen Internet-Promis wie Jimmy Wales oder "GooGoo-Girl" Marissa Mayer kurz vor dem Weltwirtschaftsforum klimaneutral in München bei Hubert Burdas "Digital Life Design" (DLD) auf. Das Gepupse, was dort über soziale Netzwerke und das neue Bild der Welt ventiliert wird, wird klimaneutral von einer indischen Zuckerfabrik weiterverarbeitet. Auf dem DLD kann man den techno-libertären Neocons von Facebook zuhören, die sich auf die posthumanistische Singularität vorbreiten, oder Martha Stewart zuhören, die den "Aenne Burda Award" für "Creative Leadership" bekommen soll. Oder man kann sich an den letzten DLD erinnern, als Peer "Karawane" Steinbrück davon schwärmte, wie attraktiv Deutschland für Investoren doch ist.

Inhaltlicher Schwerpunkt des DLD ist jedoch ein Swimming-Pool auf dem Dach des Hotels "Bayerischer Hof", komplett mit neckischen Wasserspielchen, Longtail-Party und der Frage, wann Burda nach Max denn die Tommorow strategisch ins Aus richtet. Im letzten Jahr beeindruckte der Blogger Craig Newmark von craigslist auf dem DLD seine Zuhörer, doch in dem 360 Seiten dicken "Book for friends" zur Konferenz ist er nur mit einem kleinen Passbild in der Rubrik "Final Curtain" zu finden. Die Netokraten wissen halt Bescheid, wie Ausgrenzung funktioniert. Große Blogger stehen in diesem Jahr nicht auf dem Programm. Sie dürfen über Lufthansa blubbern oder besser gleich ab in den Hofbräukeller, da werden Sie mit einem Austrinkbon geholfen.

Da hat doch neulich glall, glallala äh, glatt die Süddeutsche Zeitung Ai Weiwei, den anderen großen Blogger der letzten DLD auf ihren Seiten veröffentlicht, frisch aus seinem Blog, doch der Text ist leider nur auf toten Bäumen verfügbar: "Bei uns gibt es keine Demokratie, keine Gerechtigkeit und Gleichheit, nur Täuschung und Verrat. Und 'ein Traum' – welcher Traum? Noch mehr korrupte Behörden, unsaubere Geschäfte, endlose Lügen und zweifelhafter Wohlstand". Gemeint ist übrigens China.

Da bleiben wir doch lieber in Du bist Deutschland. Eigentlich wird ja erst am Mittwoch durch Forschungsfrontfrau Anette Schavan das Jahr der Mathematik eröffnet, aber was wäre unser Land ohne zünftigen Zickenkrieg? Unter dem seltsamen Slogan Du kannst mehr Mathe als du denkst hat die Chefin das Wort vorab ergriffen und behauptet (ziemlich zum Schluss des Podcasts): "Probieren Sie es doch einfach mal: Vom Kopfrechnen bis zu den Formeln, die Sie noch aus Ihrer Schulzeit kennen, bis hin zum besseren Verstehen des Computers." Doch was zum Teufel trägt Mathematik zum besseren Verstehen des Computers bei? Hatte Frau Merkel mit ihrem Satz vielleicht den neuesten Slogan aus der den Lesern bekannten Stadt in der norddeutschen Tiefebene im Sinn? CeBIT: Wo aus Null und Eins Milliarden werden. Wo doch in der Mathematik aus 0 + 1 nur 1 wird, bei hinreichend kleiner Null.

Quelle : www.heise.de
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 27 Januar, 2008, 00:16
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Schön war's am Montag, dem Schwarzen, als schlappe 800 Milliarden Dollar an den Börsen vernichtet wurden. Nur weil die Definition des Begriffes Börsenkrach verlangt, dass die Aktienkurse weltweit um 10 Prozent einbrechen, war es keiner. Podcastend beruhigt unsere Kanzlerin und spricht von Turbulenzen, die turboschnell vorüber sind. Doch manchmal ist eine Efflation nur Vorbote einer großen Emesis, um es vornehm zu sagen. In den USA ist die Hypothekenkrise mittlerweile in einem Stadium, in dem Wohlhabende aus Ärger über den Wertverfall ihre Hypotheken nicht bezahlen. In Großbritannien ist der Hypothekenmarkt kaputt, im bauwütigen Spanien stehen 700 Milliarden Hypothekenkredite auf der Kippe. Wie schön, dass Wettkönige Einzelfälle sind.

*** Schön war's am Montag, in München, wo Digital, Life, Design auch olfaktorisch eine Note hinterließen. Nokia hatte einen eigenen Stand und zeigte mit dem N77 ein Fernseh-Handy für das in Bayern nicht existente DVB-H, das garantiert nicht in Bochum gebaut wurde, wie am Stand eilfertig versichert wurde. Nokias Stratege Tero Ojanperä durfte erzählen, wie wichtig "das Internet" auf dem Handy ist und Fragen zu Bochum waren nicht zugelassen. Markets Of Mobility heißt eben auch, dass man schnell mal mit dem Nokia-Village umziehen kann. Wo kämen wir denn hin, wenn der Kapitalismus nicht funktionieren dürfte, wie er funktioniert, komplett mit kleineren Verstößen. So mehren sich die Klagen, dass Nokia blind ist für den Image-Schaden, komplett mit Klagen über unproduktive Forscher. Doch wer blind ist, wird nicht auf Blinde hören.

*** Schön ist er, der digital Lifestyle, der nicht die Probleme der Blinden hat. Oder die von RollstuhlfahrerInnen, die Probleme mit dem Zutritt in das Laufhaus der Digerati haben – nur um dort eine bescheuerte Extremsportlerin erleben zu müssen, die Werbung für ein klebriges Dosengetränk macht und mit ärztlicher Kunst nach einem bescheuerten Sprung zusammengenagelt werden musste. "Und dann sprach sie davon, dass sie immer dachte, entweder sie lebt oder ist tot, aber niemals etwas zu erleben, was dazwischen ist – im Rollstuhl zu sitzen." Passend gesellte sich ein Konferenzvortrag dazu, der den Do-It-Yourself-Holocaust propagierte, die möglichst geschickte Auslese unwerten Lebens. Finanziert wird das Projekt vom jüdischen Google-Gründer Sergej Brin, beworben wird es von der jüdischen Star-Familie um Freeman Dyson und seinen Kindern Esther und George Dyson, allesamt feste Größen im Zirkus des Verlages, der mit Zuschnittmustern groß wurde. Hey, da muss man lachn. Mit'em Jaschtscherkes, oder qozn kotzn und, wenn eigentlich nichts mehr drinne ist, Schleim würgen. Damit bin ich fast schon in der Zukunft. Doch die Vergangenheit hält mich fest wie den Engel der Geschichte.

*** Bill Gates ist auf seiner Abschiedstour, diniert mit unser aller Kanzlerin, holt sich und seiner Gemahlin einen Doktortitel in Schweden ab und düst in die Berge, nach Davos. Kurzum, er ist auf dem besten Weg zu einem Heiligen. "Die Konzerne, lautet seine Botschaft, müssten Armen helfen, der eine Milliarde Menschen, die mit weniger als einem Dollar am Tag auskommen müssen. Es schwingt dabei die Erkenntnis mit, dass die Regierungen allein das Problem der Armut nicht lösen können. Und dass nun jene, die vom Kapitalismus profitiert haben wie niemand sonst, ihren Beitrag leisten müssen." Fern liegt es mir nun, mit den Papieren zu rascheln oder nicht auf die schäbige Antwort hinzuweisen, die Gates' Mitstreiter zum ruhmreichen OS/2-Projekt parat haben. Dafür goutiere ich umso mehr die Rede, die unsere "bkin" eigens für his Billness zum Besten gab: "Wenn wir zum Beispiel an die Einführung der Gesundheitskarte in Deutschland denken, dann bedeutet sie sozusagen eine kulturelle Revolution im System des Gesundheitswesens, weil sich die Krankenkassen natürlich daran gewöhnt haben, dass keiner weiß, was sie tun, weil sich die Ärzte natürlich daran gewöhnt haben, dass keiner weiß, ob der Patient schon den dritten Arzt aufsucht, weil die Kassenärztlichen Vereinigungen – das ist jetzt schon etwas für Spezialisten des deutschen Gesundheitssystems – überflüssig werden, wenn Patient und Arzt plötzlich direkt mit der Krankenkasse kommunizieren können." Ich weiß nicht, wie diese Sätze im Kopfhörer des größten Bill aller Zeiten ankamen, zumal der Nerd nicht wissen konnte, von welchem Spielchen überhaupt die Rede war.

*** Immerhin hat "bkin" Merkel den großen Ton gefunden und davon gesprochen, dass Diktaturen und eine freie IT inkompatibel sind. Wie spricht die ehemalige EDV-Administratorin des demokratischen Aufbruches so schön zum Bundestrojaner, zur allgemeinen Bedrohung und zum Surfen außerhalb der Arbeitszeit: "In einem politisch-diktatorischen System führt dies zu einem Zielkonflikt. Auf der einen Seite muss darauf geachtet werden, dass die Bürgerinnen und Bürger eines Landes während der Arbeitszeit diese Fähigkeit erlernen. Auf der anderen Seite muss sichergestellt werden, dass diese Menschen nicht so mündig werden, dass sie beginnen, das System außerhalb der Arbeitszeit zu kritisieren." Erinnern wir uns, wie es vor 20 Jahren begann, mit dem Bröckeln. Und Havemann wandert, vollständig kommentiert, ins Internet aus.

Was wird.

Während bei der nächsten Bundestagswahl allenfalls bestimmt werden darf, ob man ein Merkel mit oder ohne Bart haben will, geht es in Hessen und Niedersachsen ordentlich zur Sache. Es ist eine richtige Schönheitswahl, meint die Süddeutsche Zeitung mit einem seltsamen Vergleich von Koch und Wulff mit einem alten Bekannten: "Anders als Bill Gates, der typische Computernerd, sind nun typische Politikernerds in Deutschland kaum zur Selbstironie fähig. Wenn man hässlich ist oder mindestens sonderbar aussieht, sollte man wenigstens manchmal darüber lachen können." Wer zuletzt lacht, weiß die Tagesschau oder spätestens verboten, das nicht Tagesschau heißen darf.

Schön wird es sein, am Dienstag, in Berlin, auf dem Europäischen Polizeikongress, am Ort, den die Chaos-Computerer so lieben, dass sie immerzu nach Videos von ihm dürsten. Europas oberster Innenminister Frattini wird reden und davon künden, wie Flugpassagierdaten im Kampf gegen den Terror helfen. Deutschlands rollender Innenminister Schäuble wird in dem ehemaligen sozialistischen Prachtbau reden und seine neue Bundespolizei über den blauen Klee loben. Dann ist da noch der virtuelle Innenminister und Sachbuchautor Dieter Wiefelspütz, der leider nur vorsitzen wird beim Panel "Policemen of the Future". Zum bekannt wirren Reden reicht es nicht, arbeitet er doch zurzeit an einem Buch über die Online-Durchsuchung von Festplatten, für die er jede wissenschaftliche Stellungnahme zu Online-Durchsuchungen lesen muss, vor denen nur SOA-Enticklungsprinzipien und XML-fähige Datenbanken wirksam schützen. Weit kann Wifelspützer mit der Lektüre freilich nicht gekommen sein, wenn er behauptet, dass alle maßgeblichen Sicherheitsexperten für die Installation von Staatssicherheitsbytes sind, nicht nur die Krachledernen. So tanzt der Kongress und IBM freut sich, mit seiner Integrated Intelligence den schönsten Messestand zu besitzen. Zu sehen dort der große Fortschritt, den die Fahndung nach Andersdenkenden seit den Tagen der Hollerith-Maschinen gemacht hat:

"Unter Nutzung der Softwareprodukte IBM Omnifind Enterprise, IBM Entity Analytics (EAS) und IBM Global Name Recognition (GNR) wurde ein integrierter, automatisierter Ablauf der Informationsanalyse realisiert: IBM Omnifind Enterprise analysiert unstrukturierte Textinformationen hinsichtlich begrifflicher Kategorien (z.B. Personen, Ereignisse, Fahrzeuge, Orte etc.) und extrahiert diese aus dem Text. IBM Entity Analytics gleicht anschließend die Personen betreffenden Informationen (Namen, Adressen und Merkmale wie Alter, Größe oder Haarfarbe) mit strukturierten Informationsquellen ab. Hierbei werden auch verwandte Merkmale und Synonyme (z.B. "dunkle Haare" statt "Haarfarbe braun") berücksichtigt. Neben der Analyse der Identität einer Person – also der Fragestellung ob sich die Informationen auf ein und dieselbe Person beziehen oder nicht – ist das System auch in der Lage, Beziehungen zwischen mehreren Personen zu analysieren. IBM Global Name Recognition unterstützt speziell die Analyse des Namens als das wichtigste Merkmal natürlicher Personen. Die Lösung bietet eine Reihe von Funktionen, um sprachliche Ähnlichkeiten, unterschiedliche Schreibweisen und Umschriften, klangliche Ähnlichkeiten oder kulturelle Zuordnungen zu analysieren und auszuwerten. Dabei sind Namen aus über 200 Ländern und 15 Kulturkreisen berücksichtigt. Das Gesichtserkennungssystem FaceVACS-DBScan unterstützt Mitarbeiter von Polizeibehörden bei der Identifikation unbekannter Personen. In Sekundenschnelle können beispielsweise Polizei-interne Bilddatenbanken auf ähnlich aussehende Gesichter durchsucht und die 20 oder 100 Ähnlichsten ermittelt werden."

Selbst Demomaterial (http://euro-police.noblogs.org/) wird da sein, draußen vor dem Kongress.

Quelle : www.heise.de
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 03 Februar, 2008, 00:13
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Während China im Schnee versinkt, die Infrastruktur des jüngsten Wirtschaftswunderlandes zusammenbricht und demonstriert, auf wie dünnem Eis die chinesische Kommunistische Partei ihren kapitalistischen Boom abzieht, freut sich die schönste Stadt Deutschlands in der norddeutschen Tiefebene über gepflegtes Aprilwetter – in der Hoffnung, dass jetzt auch gleich der Frühling ausbricht. Ob da wirklich Jan Garbarek die richtigen Töne bläst, der sein Saxophon in den Dienst der Perkussionistin Marilyn Mazur stellt? Na, immer noch besser als Mark Knopfler, der zum großen Langeweiler verkommt – die Spannung von Garbareks und Mazurs "Elixir" passt tatsächlich besser zur Stimmung in diesem unseren Land, nicht nur wettertechnisch. Daher also: Willkommen beim WWWWW! Denn genau, so ist es, es sind fünf W geworden, weil Deutschland ein Fünfparteiensystem wird. W steht für Wahlen, wahlweise umgedreht wird ein M draus und steht dann für die Mitte, in der sich alle Parteien drängen bis auf Oskars Hetzer rechtsaußen. Immerhin, die im Westen angekommene Partei mag vielleicht noch unter der Diktatur des Lafontainates leiden, sorgt aber dafür, dass fürderhin mit drei Bällen jongliert werden muss. Schade nur, dass beim Jonglieren und Posieren die leisen Töne nicht mehr gehört werden. Die Mainzer Erklärung (PDF-Datei) gehört darum zu den untergegangenen Nachrichten dieser Woche.

*** W ist der 23. Buchstabe unseres Alphabets und als solcher natürlich einer von der schwer konspirativen Sorte, wie wir seit Adam Weishaupt wissen. W wie Wahlen gibt es auch in anderen Teilen der Welt, etwa in den USA, wo man sich auf die Zeit nach George "W" vorbereitet. Mitunter ganz aktiv, wie Novells Nat Friedman demonstriert, mitunter eher passiv, wie Apple-Fans das mögen. Wer fragt da noch nach dem deutschen Botschafter Klaus Scharioth, der für Obama auftrat? Oder nach Bill Gates, bei dem zum Abschied Obama und Hillary Clinton auftraten. Nur Gott fehlte, obwohl auch Gott mit Microsoft-Programmen arbeitet.

*** Kaum hat sich Bill Gates zurückgezogen, hat Steve Ballmer Yahoo ein Kaufangebot unterbreitet. Eilfertig schwingen sich die Kommentatoren auf, zur möglichen Fusion von einem Blinden mit einem Lahmen von möglichen Synergien zu reden und Suchmaschinen-Marktführer Google als Verlierer zu beschreiben. Offenbar macht sich niemand die Mühe, Yahoo als das Sammelsurium von Einzelfirmen zu beschreiben, das es wirklich ist. Wer ziemlich wahllos viele Dinge in seinen Wanderrucksack schmeißt, hat keine Ahnung, welche Tour er wirklich gehen will. Und wie ein großer Blogger meint: Borg makes Yahoo its bitch ist eindeutig die beste Beschreibung von Microsofts Dotcom-Bemühungen.

*** Die wirkliche Sensation dieser Woche hatte Cisco zu bieten, als es mit einem fröhlichen Winken Richtung Google die neue Nexus 7000er-Serie und das dafür neu geschriebene NX-OS vorstellte. Über eine Milliarde Dollar Entwicklungskosten sollen in das Multicast-System Nexus geflossen sein, das in den nächsten Jahren die Catalysten ablösen soll. Für die nächste Dekade werden es diese 200.000 Dollar teuren Brocken sein, die mit 15 Terabit pro Sekunde und Fibre Channel over Ethernet das Internet schultern. Getestet wurden die Systeme bei Microsoft, das MSN auf ihnen laufen lässt, sowie in den Lawrence Livermore Laboratories. Die nächsten möglichen Testkandidaten sollen Yahoo und Google sein. Vielleicht wird Steve Ballmer mit Stühlen nach dem braven John Chambers werfen, der zur Vorstellung des Boliden anmerkte, er könne ein zwei Megapixel großes Bild von ihm (Chambers, nicht Ballmer) an jeden Menschen in der Welt in 28 Minuten senden. Zum Kopieren der kompletten Wikipedia brauchte die Nexus 7000 nach Angaben von Cisco 10 Millisekunden, ein Backup des gesamten öffentlichen Internet soll 8 Minuten benötigen. Mit zwei Nexus 7000 an jedem Ende sollen gleichzeitig 5 Millionen Videokonferenzen in hoher Auflösung durchgeführt werden können. Die Techniker, die diese Systeme betreuen, werden das heutige Internet belächeln, wie wir lächelnd an die Tage der V.90-Modems denken, als man über 1200 Baud-Koppler lachte.

*** Die Chronistenpflicht gebietet es, auf den frisch gekrönten Sieger bei der Rückblende 2007 hinzuweisen. Es ist ein Foto der Clowntruppe Rebel Clown Army, die angeblich vor Heiligendamm Polizisten mit Pustefix verletzten. Das bringt mich zu dem europäischen Polizeikongress, der in Berlin stattfand mit der bitterlichen Klage, dass EDV-Fachkräfte fehlen. Modern soll sie werden, unsere Polizei, komplett mit der Umstellung auf Englisch als europaweit einheitliche Polizeisprache. Man könnte jetzt darüber ins Grübeln kommen, dass der menschliche Körper aus polizeilicher Sicht ein geschlechtsloser Oberkörper ist, gegen den die geschleuderten Seifenblasen prallen.

*** Eine besondere Blubber-Blase lieferte der Kongress mit der Debatte über eine europäische Fluggastdatenbank ab, komplett mit der Pointe, dass diese von Justizministerin Zypries abgelehnt wird, der sonst so energischen Verfechterin von Datenspeichereien auf Vorrat. Haken wir mit Bruce Schneier die Liste der verbesserten Sicherheitsmaßnahmen ab: Verstärkte Cockpittüren, das Bewusstsein der Passagiere, möglicherweise kämpfen zu müssen und vielleicht noch die Anwesenheit von Sky Marshals. Der ganze Rest, die Datenbanken und die Biometrie, nach Schneier: Mumpitz, ein einziges endloses Sicherheitstheater, eine Simulation oder ein übler Fake, der Reisen grundlos beschwerlich macht.

*** Ob das auch für die beiden Laptops gilt, die mit einem "chirugischen" Eingriff der nämlichen Justizministerin gemopst worden sind? Eine politisch motivierte Tat, um etwa einen Bundestrojaner aufzuspielen? Und warum braucht eine Ministerin zwei Laptops? Etwa einen, der strikt vom Internet getrennt betrieben wird und auf dem alle wichtigen Daten nur verschlüsselt liegen? Sollte die ganze Debatte um den Blödsinn der heimlichen Online-Durchsuchung von Festplatten tatsächlich gewirkt haben, dass sich jemand professionell auf die Zumutungen von Schäuble, Ziercke und Co. eingestellt hat? Verschwörungstheoretiker werden sich freuen, und, völlig klar: "Auf den Rechnern befanden sich keine brisanten Daten."

*** Zur Klage von Juli Zeh gegen Otto Schily rauscht der Blätterwald und berichtet, dass jetzt der Datenschutz in der Popkultur angekommen ist. Schön wäre es, doch es sind nur Einzelne wie Jim Rakete, die gegen Vorratsdatenspeicherung und andere Sachen sind. Halten wir fest, dass Juli Zeh eine gelernte Juristin ist, die als Repetitorin arbeitete und deren Studien zum Europarecht in Fachkreisen gelobt wurden. Eine Dissertation zum rechtlichen Status des Kosovo steht noch aus. Das alles ist Schily wohl bekannt, doch arrogant wie eh und je fabuliert er von der Fantasiebegabung der Schriftsteller. Darin nicht unähnlich hat der ADAC in dieser Woche einen Kessel Häme kassiert, für ein juristisches Gutachten zum Scannen von KFZ-Kennzeichen. Doch Bürgerrechte gelten auch auf der Autobahn. Das schreibt sich gut und liest sich noch besser: Wem es um den Schutz persönlicher Daten geht, ist auf jeden Verbündeten angewiesen, auch auf den ADAC.

Was wird.

Während einige mit Grimme Online Stickerl prämierte Komedos schon auf die Fun-Party namens CeBIT im schönen Hannover hinarbeiten, wird vorher der Weltkongress der Mobilisten in Barcelona tagen. Vielleicht erfährt man da, ob Motorola seine Handy-Sparte an MShoo verscherbelt, die sicher noch eine Antwort auf Android gebrauchen können. Nur eine Adapter-Lösung, auf die ich seit Jahren warte, wird es nicht auf die Messe schaffen. Ist es auch Wahnsinn, so hat es doch Methode.

Das gilt auch für die seltsame Subventionsdiskussion, die im Falle von Nokia mittlerweile Eilbedürftigkeit erreicht hat. Weit weg von Bochum und den unangenehmen Zählereien von Arbeitsplätzen wird Nokia in Barcelona "rumänische Handys" präsentieren und von der Zukunft des mobilen Fernsehens in der Handtasche schwärmen. Nicht jeder ist so geschickt wie Wincor-Nixdorf und beschäftigt überwiegend Leiharbeiter, die wöchentlich 42 Stunden und mehr zu Niedrigstlöhnen arbeiten. Während ganze Abteilungen nur noch von Leiharbeitern besetzt sind, schauen Betriebsrat und Gewerkschaft machtlos zu. Dafür ist man nett und zieht nicht nach Rumänien um.

Quelle : www.heise.de
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: Hesse am 05 Februar, 2008, 21:45
Zitat
Und warum braucht eine Ministerin zwei Laptops? Etwa einen, der strikt vom Internet getrennt betrieben wird und auf dem alle wichtigen Daten nur verschlüsselt liegen?

Wird wohl so sein....  ;D

Aber wer hat ihr diese überaus kluge Methode vorgeschlagen ?  ;)


Liest die Gute etwa unser Forum ??
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 10 Februar, 2008, 00:34
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Eigentlich bin ich zu dick. Ja, meine Frau sagt das auch immer: Iss weniger, nimm ab. Und, ja, ich geb's zu: Ich bin zu dick. Möglicherweise ess' ich sogar das Richtige, aber zu viel. Da mögen noch so viele Verzehrstudien daherkommen mit ihren Unterschichtsressentiments und ihren Parolen des Klassenkampfs von oben, da mögen noch so viele Gelberüben futternde Seehofers in die Kamera grinsen: Ich bin zu dick, weil man gerade von den guten Sachen gerne zu viel isst. Ginge ich nur zu McDonald's, würde ich wahrscheinlich verhungern. Igitt. Also ist es derzeit halt so, wie es ist: Ich bin zu dick. Was mich zu der Frage führt, was eigentlich so das Lieblingsessen eines WWWW-Lesers ist? Wachtelbrüstchen auf Sauerampfermus? Zwiebelsteak mit Pommes? Fish'n'Chips? Osobuco mit Kürbis und gebackenen Kartoffeln? Spinat-Lasagne? Mit Pesto überbackener Seeteufel im Tomatenbett? Jetzt bin ich gespannt. Und verspreche, zwar eine Lieblingsessensliste zu veröffentlichen, aber keine Kochshow aus dem WWWW zu machen.

*** Aber nicht nur ich bin zu dick, auch die Sprüche mancher Leute. Die sind dann aber noch weitaus ungesünder als gutes, reichliches Essen: Es geht noch was, meine Herren Sicherheitspolitiker von der Sicherheitskonferenz, so richtig vollgestopft sind wir noch nicht. Die NATO hat 50.000 Soldaten in Afghanistan und ist erst seit 6 Jahren dabei, das Land zu verschönern. Die Sowjetunion hatte 100.000 Soldaten und 10 Jahre gebraucht, bis die Erkenntnis dämmerte, dass der Krieg nicht zu gewinnen ist. Da geht noch was, da ist noch Platz. Die angeordnete geographische Korrektur ist schlicht und wirkungsvoll: Der Norden wird jetzt auf ganz Afghanistan ausgeweitet, juchhu, juchhei, wir sind dabei. Halt, noch ist es nicht soweit, auch wenn die Außenkämpferlobby sich schwer anstrengt. Bis dahin lesen wir schöne Formulierungen wie die, dass Deutschland sich am Rubicon der Kampfeinsätze befindet. Oder dass die Reifeprüfung der deutschen Politik bevorstehen soll. Doch wo Reife ist, ist das Faulende nah, um es mit Herrn Goethe zu formulieren. Das Faule ist in diesem Fall die neue Terrorhysterie, komplett mit deutschen Untertiteln. Zünftiger Frontalunterricht, gefilmt und ins Internet gestellt, wird als Forcierung der tödlichen Bedrohung gewertet.

*** Dann sind da noch die tückischen E-Mails, mit denen alles angefangen hat, bei den Kofferbomben, einem von mehreren "Planungssträngen" der Al-Qaida. Da muss doch was getan werden, wie auch der Richter befindet: "Schauen Sie uns an! Wir möchten Ihr Gesicht sehen! So, jetzt sind Sie quasi online!" Hoffentlich mit den richtigen arabischen Untertiteln, so geht Forcierung andersrum.

*** Eine neue Forcierung bekommt auch Christian Klar zu spüren, dem die Hafterleichterungen gestrichen wurden, weil er fliehen wolle. Zur Begründung der Ausgangssperre dient ein lobendes Schreiben der "militanten gruppe" und die rechtsfeindliche Einstellung des Häftlings, der seiner Zeugenpflicht nicht nachkommen will. Neben den bewachten Ausgängen ist offenbar auch das Ausbildungsprogramm gestrichen, das auf ein Leben nach der Haftzeit vorbereiten soll. Passend dazu gibt es einen neuen Gesetzentwurf zum Allzweckparagraphen 129a, der die "Sympathiewerbung für kriminelle und terroristische Vereinigungen" wieder unter Strafe stellt, wie 2003 gestrichen. "Gerade in einer Zeit gegenwärtiger Bedrohung durch terroristisch motivierte Anschläge könne es nicht hingenommen werden, dass derjenige straffrei bleibe, der dazu aufrufe, sich mit den Zielen solcher Vereinigungen zu solidarisieren." Wer schreibt, er rechne mit der Niederlage der Pläne des Kapitals und der Chance, dass die Tür eine andere Zukunft aufgemacht werden kann, muss ein lebenslanges Türverbot bekommen, mindestens.

*** Wenn etwas den abgewrackten Zustand der Musikindustrie verdeutlicht, dann sind das wohl Pressemeldungen wie dieses "Fact Sheet Amy Winehouse", das mit den Worten beginnt: "Mit 24 Jahren ist Amy Winehouse bereits dort angekommen, wovon andere ein Leben lang träumen." Ganz unten also, komplett mit Reha und Entzug; die Musikindustrie organisierte sowas gerne Hollywood-reif als wohlfeile Reue drogensüchtiger Halbstars und nennt das ganze "Rehab", was Amy Winehouse schon musikalisch weit von sich wies. Ganz unten aber hält sich schon länger Michael Jackson auf, dessen geniales Thriller-Album neu aufgelegt wurde. Neu abgemischt, eine faulige Trostlosigkeit ohnegleichen, die Quincy Jones sicher im Grab rotieren lässt. Was muss man dieser Industrie noch wünschen, die solche Verbrechen an der Musikgeschichte begehen kann?

*** Und nein, Michael Jackson ist nicht zu dick, auch wenn manche in ebenfalls bereits der Unterschicht zurechnen. Aber ganz unten, ja, da ist es wenig gemütlich, ganz unten ist es – dick oder nicht – eher ungemütlich. Das lernen auch die letzten Verteidiger des Volksaushungerungsprogrammes namens Hartz IV, die allen Ernstes vorrechnen, wie man sich vom Transfereinkommen vollständig, gesund und wertstoffreich ernähren kann – ohne Alkohol und Zigaretten. Spaghetti Bolognese, Gemüsesuppe mit Fleisch und Bratwurst mit Sauerkraut im Wechsel propagiert der Kleinstclement von Berlin, Thilo Sarrazin. Wer von dem Weg der Tugend kommt, dem droht so Furchtbares wie das Huhn in Handschellen. Da lob ich mir unser Lieblingsessen. Aber was war das nochmal gleich?

*** Aber von wegen zu dick im Zusammenhang mit ungehörten Tönen: Zu dick aufgetragen ist manches ja auch. Denn es ist ja nicht so, als würde ich das Esbjörn Svensson Trio (in marketingtechnisch modernisierter Schreibweise gerne als e.s.t. tituliert) nicht manches Mal als nette Begleitmusik hören, auch wenn sie zunehmend langweiliger wurden und mit "Viaticum" endgültig als Bobo-Jazz durchgingen, der passend zu Barcamps und Bloggervermarktungsaufgalopps gespielt wurde. Aber seit ein paar Wochen kommt immer wieder "Live in Hamburg" in den CD-Spieler bzw. den MP3-Streamingclient – denn dieses Livekonzert straft alle Vorurteile und abwertende Beschimpfungen, die über e.s.t. hernieder regneten, Lügen. Changierend zwischen Free Jazz, Swing und Blues, und doch all diese Stile und Kategorien nie wirlich treffend, kurz vor der Umsetzung einhaltend (und das Mitklatschen des Publikums während einer Bass/Schlagzeug-Sequenz wirkt äußerst deplaziert), ist es wohl das Spannendste und Anregendste, was man neben Wollny/Kruse/Schaefer und Jarrett/Peacock/DeJohnette heute an Trio-Jazz vernehmen mag. Ja, ich geb es zu, ich bin nicht nur zu dick, ich muss auch eine frühere, etwas apodiktisch vorgebrachte Bewertung korrigieren. Um gleich neue hinzuzufügen: Jason Moran klimpert da doch ziemlich hinterher, und Brad Meldau kommt schon gar nicht nach.

*** Apropos dick und hinterher kommen: Hats off to the tinkerers. heise online ist in Großbritannien gestartet, mit offizieller Unterstützung des Ministry of Silly Walks (Ministerium für dumm gelaufen) und einem Off-Topic-Forum, in dem die ersten Schlachten ausgetragen werden, wie denn eigentlich Linux-Frickler korrekt übersetzt wird. Die Nation der Fish'n'Chips-Esser ist auch zu dick, fremdelt aber noch etwas ob der komischen Fischrüberreich-Sitten, die im schicken neuen Forum ausprobiert werden. Was ist, wenn am Ende die Sache mit dem englischen Humor eine typisch deutsche Erfindung ist, wie diese Vorstellung der Wisdom of Krauts?

Zur Feier der neuen Line Extension muss ich natürlich Shakespeare bemühen, den größten Barden aller Zeiten. Auf deutsche Zunge beschränkt zitierend:

Leben ist nur ein wandelnd Schattenbild;
ein armer Komödiant, der spreizt und knirscht
Sein Stündchen auf der Bühn', und dann nicht mehr
Vernommen wird: ein Märchen ists's, erzählt
Von einem Dummkopf, voller Klang und Wut,
Das nichts bedeutet.

*** Der Link zu den wunderbaren Sätzen geht natürlich zum neuzeitlichen Ministerium dumm gelaufen, besser bekannt als Groklaw. Es kündet heuer davon, dass SCO langsam sein Unix-Business vaporisiert und offenbar die 30 Leute entlässt, die den letzten Strang dieser Entwicklung am Puckern gehalten haben. Das alles 50 Jahre nach dem Start der Agentur, die das Project MAC in Windeln bettete. Ein Märchen, verklagt von einem Dummkopf, geht zu Ende, und die Komödianten und Artisten versammeln sich in der Zirkuskuppel, ratlos wie immer. Wer will, kann diesen Satz in diesem SCO-Kontext auf Linux beziehen: "Die Utopie wird immer besser, während wir auf sie warten."

Was wird.

Immer besser wie in "wäscht immer weißer" vielleicht? Vor dem Wahlkampf ist nach dem Wahlkampf. Besonders in Hamburg, wo ein Abenteurer durch die Stadt streicht. Michael Naumanns Programm wird nur von dem der FDP getoppt, die gegen den Leinenzwang für Raucher kämpft – oder so. Auf alle Fälle betreibt sie dafür ein Kühlschrankmarketing, das raffiniert die ganze Klaviatur des Internet nutzt, auch wenn die Tasten offenbar mit der Dachlatte geprügelt werden. Dass es ein und dieselbe Partei ist, die gegen Vorratsdatenspeicherung, die Online-Durschuchung und andere Demontagen von Bürgerrechten antritt, die einen Theodor-Heuss-Preis vergibt, der für "bürgerschaftliche Initiative und Zivilcourage" verliehen wird, ist schwer fassbar. Ist aber so. Ok, der Wahlslogan "Leinen los – Hunde nicht an Menschen fesseln", der hat etwas sehr Freiheitsliebendes an sich. Hunde-Besitzer mit Agility-Fimmel können ja so eine knappe Wahl entscheiden.

So gibt mir die FDP eine pitbullmäßig steile Überleitung zur Nachricht, dass in Kürze das Urteil zu Online-Durchsuchungen zu erwarten ist. Eile ist geboten, da kann man schnell ein paar Besänftigungen an die Gesetzesvorlage bappen, wenn Deutschland Teil eines stetig ansteigenden Bedrohungsraumes ist und allergemeingefährlichste Werkzeuge einfach so im Internet angeboten werden, komplett mit englischen Untertiteln und Menüs. Genau, Menüs. Ach, ja, ich denk schon wieder ans Essen.

Sonst noch was? Ach ja, das Waisenkind Yahoo will nicht zu Big Mama Ballmer. Sagt es zumindest. Wer's glaubt ... Mit ein paar zusätzlichen Süßigkeiten wird's schon klappen.

Quelle : www.heise.de
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: Hesse am 10 Februar, 2008, 04:37
Ich liebe diese "Was war. Was wird."-Dinger.  :)


Einfach köstlich !

(oha, Letzteres sollte nicht zur Völlerei animieren)  ;D

P.S. : Der Stil erinnert ein wenig an ein "viel deutscheres" Illuminatus.
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 21 Dezember, 2008, 00:20
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** "Ein gutes Leben im falschen ist gar nicht so schlecht": Fischfingers  Paraphrase auf den guten alten Adorno mag für viele Lebensgelegenheiten der passende Spruch sein, für die IT-Welt gilt er allemal. Denn man ist ja immer noch so blöd und gibt Open-Source-Software einen Vertrauensvorschuss, statt sie wie jede andere Software auch zu behandeln. Aber irgendwann ist auch die größte Portion guten Willens aufgebraucht; irgendwann ist auch die Mühe nicht mehr zu viel, die Arbeitsumgebung mit all den lieb gewordenen Gewohnheiten auf ein neues Programm umzustellen; irgendwann ist einem das gute Leben lieber als das vermeintlich richtige, das es im falschen eh nicht gibt. Also weg mit diesem Ding, das als angeblich schlanker Webbrowser wegen der Aufgeblähtheit und Fettleibigkeit von Mozillas Websuite startete und mittlerweile jeder Software-Schlankheitskur spottet: Es war meist nicht besonders gut, das Leben mit dem Firefox, aber allemal besser als mit der Konkurrenz aus der Redmonder Webküche. Üben wir uns jetzt aber nicht in der Kunst des Vergessens, wie sehr uns der Firefox die ganze Zeit gequält hat, preisen wir lieber den Opera. Hach, wie das flutscht ...

*** Aber ja: "... und vor allem träumt man von einem Universum freundlicher Menschen." Das gute Leben im falschen hat eben auch so seine Illusionen. Und es begab sich zu der Zeit, als Merkel Kanzlerin in Berlin war und ihre Familienministerin von der Leyen in einer Altpapiertonne. Zu jener Zeit, als der Stern der Internationalen Raumstation über dem Bundeskanzleramt stand, hörten beide, dass wieder einmal ein Kindlein per Subventionsempfang erscheinen sollte. So beschlossen sie mit ihrer Regierung, das Kindergeld zu erhöhen, denn die Menschen im Lande waren arm und dazu verängstigt, nachdem der reiche Jude Madoff 50 Milliarden Dollar vernichtet hatte und kein Auto mehr gebaut wurde. Für jedes Kindlein sollte es 10 Euro mehr geben, ab dem dritten sogar 16 Euro. Die hungernden Familien frohlockten, nur nicht die Ärmsten der Armen, die Hartz IV-Empfänger genannt wurden. Bei ihnen wurde die Erhöhung auf die Sozialleitung angerechnet und diese entsprechend gekürzt, denn die Menschen waren faul und glaubten nicht an die Segnungen des "Fordern und Förderns" mehr.

*** Zu dieser himmlischen Zeit, als der Post-Mindestlohn gekippt wurde, weil das Geschäft namens "Hungern und Befördern" nicht gefährdet werden durfte, hatten zwei Kuriere Hunger. Sie vergingen sich an einem Gebäck, das wie ein gewickeltes Kleinkind christlichen Glaubens aussieht. Als die beiden jeweils ein Stollenkindlein vernichtet hatten, klebten sie die Packzettel um. Doch der liebe Gott sieht alles – aber er petzt nicht, steht in großen Lettern mahnend auf dem Jahresplaner 2009 des FoeBuD. Auf der Erde sieht es freilich anders aus, oder auch nicht. Singend und preisend kamen die Schafe vom Felde und fragten nach ihren Kreditkarten, denn der Missbrauch war groß.

*** Das christliche Treiben, dem Millionen unschuldiger Tannengewächse zum Opfer fallen, ist für Außenstehende voller Rätsel und Wunder. Hektische Kollegen, die mit flackernden Augen wie entzugsbedrohte Computerspieler nach Ideen für Weihnachtsgeschenke fragen, sind noch das Normalste. Seltsamer ist es schon, dass eine gefährliche heiße Chemikalie namens "Glühwein" (Hydroxymethylfurfural) ausgeschenkt werden darf, gegen die das Gebräu der "Sauerland-Gruppe" Tiramisu ist. Dabei ist alles doch so simplifyistisch. Statt Glühwein trinke man einfach Spülwasser mit einem Schuss Rote Beete, das passt zum Start des Speedee Service Systems heute vor 60 Jahren. Noch kein Geschenk zur Hand? Der Newsletter der deutschen Simpel weiß einen bestrickenden Ausweg:

"Ruhm schenken
Wikipedia, die riesige Internet-Enzyklopädie, bietet eine wunderbare Möglichkeit: Schenken Sie einem Ihrer Freunde Online-Ruhm, indem Sie einen Persönlichkeitseintrag für ihn erstellen. Voraussetzung ist, dass derjenige nicht öffentlichkeitsscheu ist und eine gewisse berufliche Wichtigkeit besitzt. Der Artikel sollte von (zumindest lokalem) öffentlichem Interesse sein, sonst verstößt Ihr lexikalischer Eintrag gegen die Wikipedia-Grundregeln."

Vielleicht müsste der Vorschlag ergänzt werden, weil nicht jeder Mensch eine gewisse berufliche Wichtigkeit hat, sondern etwa ein schlichter Verlagsmitarbeiter ist. Schenken Sie durch die Blume, etwa einen Wikipedia-Eintrag zum "Startloch", von dem so viel die Rede ist, mit einem dezenten Wink, dass das korrekte Wort vergeben war. Für öffentlichkeitsscheue Mitmenschen, die nicht in den Startlöchern der nächsten Konjunktur hocken, muss man sich etwas anderes ausdenken, vielleicht einen kleinen Blog aufsetzen, damit er oder sie sich schon mal an den Gedanken gewöhnen können, eine kleine Bildzeitung zu sein. Dann klappt's auch mit dem Eintrag in der Wikipedia, es sein denn, der Löschkönig zerrt mit kalten Fingern am Eintrag:

Wer schreibt so spät noch bei Nacht wie verhext?
Es ist der Autor mit seinem Text.
Er schreibt den Artikel mit der Tastatur,
vergisst die Zeit, sieht nicht zur Uhr.

Lemma, was birgst du so bang dein Gesicht?
– Siehst, Autor, du den Löschkönig nicht?
Den Löschekönig mit Bier und Schaum?
– Artikel, es ist nur ein Traum ...

*** An Weihnachten wird nicht nur lauteren Herzens verschenkt, sondern bereitwillig gespendet. Eigens zum Fest möchte ich darum einen guten Freund vorstellen, der einen guten Freund vorstellen möchte. Die längere Einleitung kann man natürlich bei der Byteburg lesen.

"Martin hat sich da konsequent etwas ausgesucht, vorgenommen und hat es durchgezogen. Mit seinem Partner Luke, einem French Canadian, sind die beiden in die allerunterste Schublade der nötigen Hilfe gekrabbelt die man sich wohl überhaupt vorstellen kann: im fast ärmsten Land der Welt, Haiti, und dort Waisenkinder und die auch noch mit AIDS, wirklich die extremste aller Notsituationen. Der Plan war vor einigen Jahren nach einigen Besuchen: dort ein brandneues Waisenhaus aufbauen. Und das allein wär' schon ein beträchtliches Unterfangen, schwierig, intensiv, sowohl in Zeit, Energie, Geld und rundherum der Fokus. Hut ab also allein schon für die Idee und die Nerven, anzufangen und den nächsten Hut dann dafür, das durchzuhalten, über Jahre hinweg.
Die beiden haben mit wirklich intensivem Aufwand es dann auch geschafft: Da steht es, ein neues Häuschen, sogar mehrere, und die ersten Kinder sind dort, die ersten Krankenschwestern, Ärzte, Lehrer kommen, Essen, Medizin, alles ist in der ersten Phase angekommen und absolut klasse umgesetzt.
Martin hat mit seinem Team aus dem IT Bereich zu der ganzen Sache eine Webseite entwickelt, und zwar nicht eine simple Spendenaufrufseite, sondern ein ganzes System für sich. Ich sehe es fast als eine generelle Lösung für alle möglichen Projekte, die auf Spenden angewiesen sind. Hier ist es zugeschneidert auf dieses erste Projekt, aber es könnte eigentlich auf HUNDERTE andere passen.
Und ich sage das mal einfach so in den Raum hinein: Ich glaube kaum, dass ich je irgendeine andere Seite gesehen habe, die so effektiv das Ziel verfolgt, jemanden zu einer Spende für einen guten Zweck zu verleiten, und das ohne Schreckensnachrichten, ohne pathetisch zu werden, ohne nur Schuldgefühle auszulösen oder ewig auf die gleichen Pavlov Knöpfchen zu drücken, ohne Tricks ehrlich und offen, und dann aber auch nicht blauäugig oder schönredend - oder noch schlimmer -schöngerechnet. Mit einem kleinen Lächeln, einer kleinen Träne und einem großen Herzen. Mit der Seite wird einem erst wirklich bewusst, wie viele Dinge nötig sind, von der Milch Flasche für $1.25 zum Kabel und Windeln und Benzin und Medizin, bis hin zu den Betten und Waschbecken, und dann das Land, das Holz, die Werkzeuge und schließlich eine Stunde Krankenschwester, ein Tag Kinderhelferin, ein Tag Lehrer, Zimmermann, Koch."

Wir können ein Waisenhaus bauen. Punkt. Aus.

*** Aus? Aber nicht doch, lieber Kai. Wir träumen weiter von einem Universum freundlicher Menschen. Denn die Welt braucht mehr als Spenden, sie braucht auch noch Freude am Fördern, Geschichten und ein paar Träume. Und sie braucht Kommunikation wie das WWWW, was natürlich keine Eigenwerbung ist, sondern diesmal für Wortwechsel weltweit steht, um noch eine Spendenmöglichkeit zu nennen.

*** Had I the heavens' embroidered cloths,
Enwrought with golden and silver light,
The blue and the dim and the dark cloths
Of night and light and the half light,
I would spread the cloths under your feet:
But I, being poor, have only my dreams;
I have spread my dreams under your feet;
Tread softly because you tread on my dreams.

Das schrieb William Butler Yeats an die von ihm angebetete Maud Gonne, die am Samstag vor 143 Jahren geboren wurde. Ein Dutzend Heiratsanträge waren erfolglos. Die irische Aktivistin ließ sich nicht auf den Poeten ein, sondern heiratete den irischen Major MacBride. Ihr Sohn Seán MacBride, einer der Gründer von Amnesty International, wurde 1977 von der UNESCO beauftragt, einen Bericht über die Kommunikationsprobleme in der Welt zu veröffentlichen. Dieser Bericht "Viele Stimmen, eine Welt", auch MacBride-Report genannt, erschien vor 30 Jahren in der ersten Fassung und sorgte für einen weihnachtlichen Eklat. Die USA und Großbritannien sahen die Freiheit ihrer Presse gefährdet und traten aus der Kommission aus. Britischen wie US-amerikanischen Presseagenturen wurde verboten, über den Report zu berichten, der die Einbahnstrasse der der durch westliche Medien und besonders durch Nachrichtenagenturen monopolisierten Informationsflüsse scharf kritisierte. Fast vergessen ist das Kapitel "Der Schutz des einzelnen, seiner Freiheit und seiner Privatsphäre im Computerbereich", das vom Schweden Jan Freese verfasst wurde. Der Kampf um das informationelle Selbstbestimmungsrecht hatte auch internationale Dimensionen.

*** Damit ein letzter Tip für den Gabentisch, für Bastler wie Käufer, die nicht an jedes Weihnachtsmärchen glauben, was mit den Worten "Es war einmal in einigen herausragenden Fällen" beginnt. Erinnern wir uns nur daran, dass ein deutsches Magazin eine mysteriöse "Online-Durchsuchung" beim Bundesnachrichtendienst gemeldet hatte, bei der "eine kleine fette Schwuchtel" eine herausragende Rolle spielt. War da der Weihnachtsmann gemeint, der all die Geschenke bringt und mit seinem Sack bepackt leicht adipös herumsaust? Oder ist das nur eine geschickte Tarnung von Spion und Spion? Wer diese Notizblock-Posse liest, wird an der neuesten Wendung seine helle Freude haben. Nach den drei Amateurfotografen mit Notizblock und ihren reaktionsunfähigen Kollegen im Hauptquartier geht der Tanz der Vampire im Kosovo offenbar weiter. Kleine fette Schwuchteln, soweit das Auge reicht. Europa, du hast es gut.

Was wird.

Weihnachten wird, und dann sind endlich auch die großen Schmidt-Festpiele zu Ende, die uns aus allen Gazetten entgegenquellen und endlos nerven. Dabei ist das finale Wort zur Beendigung dieser Veranstaltung schon gesprochen:"Der große Respekt vor ihm, er ist auch ein Produkt der Nostalgie der Deutschen. Und ihrer zentnerschweren Sehnsucht nach einfacheren Zeiten", resümiert Kurt Kister die Schmidt-Epen auch seines eigenen Blattes im Rahmen der großen Festspiele. Einfacherer Zeiten, die es nie gab und nie geben wird, möchte man fast automatisch hinzufügen.

Aber nun gut, ehe bald die bunten Raketen gezündet werden und das nächste Jahr beginnt, begleitet von einem Jahresend-WWWW mit all den Statistiken und Statistiküssen, die den Fluss der Nachrichten zeigen wollen, gibt es also ein Fest. Hier in der norddeutschen Tiefebene werden die Höfe blitzblank gefegt sein, die Windräder abgestellt; und peinlichst wird darauf geachtet, dass kein Rad im Freien sichtbar ist. Böse Geister könnten in der Nähe sein und so ein Rad benutzen und damit das abgelaufene Jahr erneut anschmeißen, wie eine Klagerunde von SCO. Wer kann das wollen, wer will schon alles noch einmal erleben, was 2008 geschah, das zieht einem doch die Schuhe aus? Allen meinem einen Leser wünsche ich einen darum schönen Datenstollen, viele Dataschenke und Grappa statt Data. Für die ohne Krippe, Ochs und Esel, denen Räder egal sind, Geschenke sowieso, empfehle ich eine ordentliche Kreuzigung: Heute vor 95 Jahren erschien das erste Kreuzworträtsel der Welt.

Quelle : http://www.heise.de/newsticker/Was-war-Was-wird--/meldung/120802
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 28 Dezember, 2008, 00:17
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Zwischen den Jahren über Tage eine Wochenschau schreiben, ist eine elende Lavabelität, zumal dann, wenn der Jahresrückblick wie die Vorschau in ein paar Tagen zur großen Knallerei ihre "Schatten werfen". Die einen haben Eid al Adha, Chanukka oder Weihnachten gefeiert und eine wunderschöne Lichterkette im Forum aufgehängt. Sie spielen mit ihren neuen E-Books, angeblich die Renner im festlichen Konsumrauschen und essen Stollen oder Mikrofiches, je nachdem. Die anderen starten Kwanzaa mit Obama oder solidarisieren sich mit dem großen weißen Snowzilla.

*** Als bekennend fröhlicher Atheist haben all die Aktivitäten bisher keine Spuren hinterlassen. Kein E-Book mit spannender Lektüre, nicht mal ein Döschen Red Bull vom vierten, theologisch schwer interessanten Weihnachtsmann zum vierten Jahrestag der großen Welle hat sich eingefunden. Dafür hat meine Interpretation der Weihnachtsgeschichte in der vorherigen Wochenschau nicht allen Lesern gefallen. Sie ärgerte der Satz vom jüdischen Bernie Madoff, der gezielt mit dem jüdischen Image spielend das bisher größte globale Schneeballsystem aufbauen konnte, das sich ein später Bewunderer von Mussolini ausgedacht hatte. Alle Investoren wollten schnell reich werden, schnell auf irgendeine Art in diesen geheimnisvollen geschlossenen jüdischen Fond investieren, der sagenhafte Renditen versprach. Vielleicht hilft es den Kurzgeschlossenen, wenn jüdische Stiftungen ebenfalls ruiniert sind. Wie heißt es doch so schön:

"Jede Wirtschaft beruht auf einem Kreditsystem, das heißt, auf der irrtümlichen Annahme, der andere werde gepumptes Geld zurückzahlen. Tut er das nicht, so erfolgt eine so genannte 'Stützungsaktion', bei der alle – bis auf den Staat – gut verdienen. Solche Pleite erkennt man daran, dass die Bevölkerung aufgefordert wird, Vertrauen zu haben. Weiter hat sie ja dann auch nichts mehr." Das schrieb Kurt Tucholsky vor nunmehr 77 Jahren.

*** Mangels E-Book, in dem ich blättern und stöbern kann, werde ich die Zeit zwischen den Jahren mit einer kleinen Betrachtung zur Identität überbrücken. Eine kleine Bilanz: Im gesamten Jahr 2008 habe ich vier Mal meinen Presseausweis vorlegen müssen, drei Mal bei staatlichen Veranstaltungen und einmal bei einer Messegesellschaft. Drei Mal war der Führerschein bei Anmietung eines Fahrzeuges ebenso gefragt wie die Vorlage des Passes beim Wechsel ins westliche und östliche Ausland abseits von Europa. Kein einziges Mal wurde hingegen der Personalausweis verlangt, nicht einmal bei vielen Hotelanmeldungen, wo sofort nach der Kreditkarte gefragt wurde. Fehlanzeige auch bei Besuchen in zwei deutschen Arztpraxen als neuer Patient. Die herkömmliche Krankenkarte reichte. All das wird es in den nächsten Jahren nicht mehr geben. Wir bekommen eine elektronische Gesundheitskarte, mit Foto-ID und einen elektronischen Personalausweis mit Meldepflicht der Adressdaten im Hotel wie der Möglichkeit zum Datenabgleich im Internetportal. Missbrauchen und Abtauchen ist ab sofort verboten und der Seitensprung ist ohnehin sowas von verpönt. Schließlich muss die brutale Klammerung unseres maroden Gesundheitswesens aufgebrochen werden, die nach dem gedruckten Spiegel sich wie eine Apokalypse liest, in der vieltausendfach der Staat versinkt: "Junkies und illegal eingewanderte Ausländer, abgetauchte Straftäter und geldgierige Privatversicherte, die ihren Rückerstattungsanspruch retten wollen", all diese würden Karten am Hauptbahnhof kaufen und dem ehrlichen, meist gesunden deutschen Volkskörper Milliarden entziehen. Gelder, die eben nicht durch die idiotische "Konjunkturmaßnahme" Straßenbau wieder hereinkommen.

*** Alle Proteste gegen Big Brother, die Quellen-TKÜ und die nur für Terroristen angedachte vorsorgliche Online-Durchsuchung mit ihren paar "herausragenden Fällen", für die plötzlich hunderte neuer Richter aus dem Straßenbauetat benötigt werden, sind ein Pieps gegen das was kommt. Eine kontaktbasierte Gesundheitskarte und ein kontaktloser Personalausweis ergeben zusammen ein dichtmaschiges Netz neuer Qualität, in dem zusammen mit der Vorratsdatenspeicherung von jedem Bürger mehrmals im Monat Daten gefischt werden. Perfekt aufeinander abgestimmt wie Hose und Sakko bei Gottschalk wirken ein smartes Bundesinnenministerium und ein tollpatschiges Gesundheitsministerium zusammen, aus Deutschland einen Überwachungsstaat zu machen, über den die Rentner von der ostdeutschen Staatsicherheit glücksstrahlend verkünden können: "Das ich das noch erleben durfte." Als grundsätzliches Problem aller Nachrichtenproduktion des Jahres 2008 bleibt übrig, dass Projekte wie die neue Gesundheitskarte und der neue Personalausweis einzeln betrachtet werden. Wer behauptet, dass zufälligerweise neben einer kontaktbehafteten Smartcard eine kontaktlose Smartcard durchgesetzt und mit attraktiven Angeboten kredenzt wird, kennt Dr. Reiner Zufall nicht, den Bruder von Dr. Seltsam. Ein bisschen Vorhersage gefällig? 2009 werden wir die ersten Arzt- und Zahnarztpraxen mit Hinweisschildern sehen, auf denen deutlich darauf hingewiesen wird, dass der Betrieb nicht an die Online-Überwachungs-Infrastruktur angeschlossen ist. 2010 werden die ersten Hotels mit diesem Hinweis folgen, nicht nur einfache Schuppen, sondern auch die Nobelsteigen, die heute schon die Sterne abmontieren. Bis 2012 eine neue Wichtigtuerei der Politik auch das noch unter Strafe stellt. Dabei ist es übrigens völlig egal, welche Farbkombination regiert.

*** Erwähnte ich schon, dass ich, ganz gegen den überall erwähnten Weihnachtstrend 2008 kein E-Book (Bezahl-Content, in 1 bis 2 Tagen frei verfügbar) bekommen habe? Kein Gerät mit einem eigenen Prozessor, ähem, mit einem eigenen Bewusstsein, das all die Texte auf den Bildschirm bringt und dabei grübelt, was Unterstreichungen in der vorelektronischen papierenen Zeit eigentlich sind: "Ich weiß nicht, was mit einem Buch geschieht, in dem etwas unterstrichen worden ist, ob es dann die unterstrichenen Sachen intensiver denkt." Ein E-Book, das ganz am Ende nach dem Durchforsten des Kanons der abendländischen Literatur erschöpft träumt:

"Ich wäre so gerne das Papierbuch, das die Geschichte jenes Herren enthält, der die Hölle, das Fegefeuer und das Paradies besucht hat. Ich würde in einem ruhigen Universum leben, wo die Unterscheidung zwischen Gut und Böse klar ist, wo ich wüsste, wie man es anstellt, von der Qual zur Glückseligkeit zu gelangen, und wo die Parallelen sich nie überschneiden."

In der echten Welt, ist die Unterscheidung zwischen Gut und Böse nicht so einfach, wie sich dies das kleine E-Book vorstellt, nur die zwischen blöd und noch blöder funktioniert mit hinreichender Genauigkeit und das vor allem bei deutschen Politikern. Sie fordern passend zum Straßenbau ein Mondprogramm, komplett mit EU-Mitteln für Mondbauern und ihre Mondkälber. Eine Erneuerung von Wirtschaft und Konjunktur im Zeichen einer neuen Bio- und Energiepolitik ist ebenso undenkbar wie vor vierzig Jahren der Rückzug der Amerikaner aus Vietnam. Damals begann das Jahr mit einer Einladung der nunmehr auch von uns gegangenen Eartha Kitt ins Weiße Haus, die eben diesen Rückzug forderte. Es endete mit der Tet-Offensive der Vietcong, zu der drei weiße Astronauten um den Mond herum flogen, mit 5682 Kilometern in der Stunde, ohne Kontakt zur Erde. "See you on the other side", der denkwürdige Spruch von Bill Anders inspirierte nicht nur Pink Floyd. Denn die andere Seite des Mondes war nicht nur immer dunkel. "Es war im Jahre 1886, als der deutsche Pharmakologe Louis Lewin die erste systematische Arbeit über den Kaktus veröffentlichte, der seinen Namen, Anhalonium Lewinii tragen sollte", schrieb Aldous Huxley 1954 über die andere Seite.

*** Auch Harold Pinter ist gestorben und Alan Cox hat Red Hat verlassen. Beiden Briten habe ich früher schon ein paar Worte gewidmet. Der grandiose Text von Pinter über die Show der Vereinigten Staaten im Irak kann heute noch gelesen werden, doch die Zukunft für Nobels Preise ist auch nicht mehr das, was sie einmal war. Übrig bleibt eine ziemlich undankbare Aufgabe. "Blicken wir in einen Spiegel, dann halten wir das Bild, das uns daraus entgegensieht, für akkurat. Aber bewegt man sich nur einen Millimeter, verändert sich das Bild. Wir sehen im Grunde eine endlose Reihe von Spiegelungen. Aber manchmal muss ein Schriftsteller den Spiegel zerschlagen – denn von der anderen Seite dieses Spiegels blickt uns die Wahrheit ins Auge."

Was wird.

Wohlan, die Rückblicke werden zum guten Schluss gezäumt, doch mit den Vorschauen und Prognosen habe ich meine Probleme. Ich mag noch akzeptieren, dass 2009 der Niedergang der CES bevorsteht, die wie Comdex, Milia, Brainshare oder Apple Expo ihre Zeit gehabt hat. Etwas schwieriger wird es schon, zum nächsten Jahr den Untergang der Betriebssysteme zu prognostizieren. Eher tippe ich darauf, dass 2009 die 500. Ausgabe des WWWW erblicken wird. Was aber nicht besonders prophetenhaft sein soll, denn dies hier ist Nummer 477. Ach, hätte ich ein E-Book, so würde ich es mit all diese Wochenschauen füttern und vielleicht noch jenen köstlichen kleinen Text beimischen, der über eine Zeit erzählt, als sich die Heldenherzen mit Boxhandschuhen prügelten und James Joyce Arno Schmidt K.O. schlug und mit der Siegesprämie seine Augen operieren lassen konnte.

Meine alten Augen aber taugen nicht zum Blick in die Kristallkugel. Als Hommage an die untergehende Welt des Web 2.0 mit ihrem "andere arbeiten lassen", die einstmals sogar Hal 2.0 möglich werden ließ, rufe ich die WWWW-Leser auf, ihre Prognosen zum kommenden Jahr zu nennen, auf dass der Jahresrückblick auch ein Produkt der klugen Köpfe ist, die hinter dem Forum stecken oder so. Dazu passend die Musik zum neuen Jahr: History Repeating. Ja, genau.

Quelle : http://www.heise.de/newsticker/Was-war-Was-wird--/meldung/120945
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: ritschibie am 28 Dezember, 2008, 00:45
Kann mir und Google jemand helfen? Was heißt "Lavabelität"? (im ital. "lavabile" = "waschbar" - paßt nicht)? (http://www.cheesebuerger.de/images/smilie/konfus/n055.gif)
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: Gulliver am 28 Dezember, 2008, 01:15
Kann mir und Google jemand helfen? Was heißt "Lavabelität"? (im ital. "lavabile" = "waschbar" - paßt nicht)? (http://www.cheesebuerger.de/images/smilie/konfus/n055.gif)

Das wird wohl das Geheimnis des Artikelschreibers bleiben.
Ich find im ganzen Web auch nur diesen einen Eintrag.
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: Jürgen am 28 Dezember, 2008, 21:40
In Anbetracht der wenigen Arbeits- / Werktage zwischen den Feiertagen vermute ich, hier war eine Annäherung an den Begriff der Überflüssigkeit angestrebt.

Oder ging's etwa in irgendeiner Weise um Halbseidenes (bzw. Waschseide)? Glaub' ich an dieser Stelle nicht.

Nobody is perfect.
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: ritschibie am 01 Januar, 2009, 10:52
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich – und dieses Mal wie  immer  zum  Jahresende  nicht  nur  und nicht alleine für die Woche, sondern sie versucht, das ganze Jahr ins Blickfeld zu bekommen.

Was ist. Vorspiel, noch nicht im neuen Jahr.


So sei es: Auch in diesem Jahr kann sich die Wochenschau dem allgemeinen Endjahrestrend, der in gewissen Medien bereits im November einsetzt, ganz zum Schluss doch nicht entziehen. Schauen wir ein bisschen zurück, um dann erfrischt ins Jahr des Stadtaffen zu schwingen. Kein Sound of Silence, kein Oratorium zum Niedergang, vielmehr der Klang der locker durchtänzelten Krise. Denn sind wir nicht alle ein bisschen Stadtaffe? Oder, um den Wahrsager Brecht zu zitieren: "Es gab niemals einen Gedanken, dessen Vater kein Wunsch war. Nur darüber kann man sich streiten: Welcher Wunsch?" Da hat man den Neujahrskater dann doch schon heute, und freut sich, dass es das erst einmal war. Umwälzungen fänden in Sackgassen statt, meinte ebenfalls Meister Brecht. Na, da steht uns ja 2009 einiges bevor.

Oder doch nicht? Herr Köhler und Frau Merkel jedenfalls erklären Ruhe zur ersten Bürgerpflicht, Gottvertrauen ist angesagt. Das mag man halten, wie man will: "Einer fragte Herrn K., ob es einen Gott gäbe. Herr K. sagte: "Ich rate Dir, nachzudenken, ob Dein Verhalten je nach der Antwort auf diese Frage sich ändern würde. Würde es sich nicht ändern, dann können wir die Frage fallen lassen. Würde es sich ändern, dann kann ich Dir wenigstens so weit behilflich sein, dass ich Dir sage, Du hast Dich schon entschieden: Du brauchst einen Gott." Wie das aber mit dem Vertrauen ist, das sei erst recht dahingestellt. Möglicherweise hat man ja auch nur zu tief ins ausgesoffene Rollmopsglas geschaut. Ob das auch schon als Kaffeesatzleserei gilt? Wie auch immer, ...

Was war, was wird, die Jahresend-Edition


***... uff, uff, uff – die Sonderschinderei namens Metis ist vorbei, das Jahr kann gehen. Rund 1000 meiner Texte aus dem Internet sind gemeldet, für weitere 1000 Veröffentlichungen in Digitalien fehlte schlicht die Zeit. Mögen sie in Frieden ruhen, tantiemenlos beerdigt. Heute wird das alte Jahr zu Grabe getragen, das neue eingeläutet, es ist The Same Procedure As Every Year, ein Ritual der Stillstellung der Zeit und der Statistik, die seit den Tagen von Miss Sophie oder auch August Bebel die wichtigste Wissenschaft in der neuen Gesellschaft ist. Bekanntlich meinte der Ur-Ur-Opa der SPD, dass mit der Statistik als Messlatte jede gesellschaftliche Tätigkeit gemessen werden sollte. Er kannte halt Zwerge wie Steinbrück und Steinmeier nicht, für die ein Schullineal völlig ausreicht.

"Aber darum muss man die Dummheit ja ausrotten, weil sie dumm macht, die ihr begegnen."

*** Womit ich schnurstracks in die Statistik springe und bei Herrn Heilmann ankomme. Nicht Obama, Gates oder der kranke Steve Jobs, sondern der Bundestagsabgeordnete Lutz Heilmann von der Partei Demokratischer Sperrungen brachte es mit seiner Aktion und Reaktion auf den ersten Platz in der Gunst der Tickerleser, noch vor Sarah Palin und einen bekannten Rechtsanwalt, der die Leserschaft zu mehr als 4000 Kommentaren und einer Orgie in Grün animierte. Allerdings ist Lutz Heilmann mit 279.184 PIs nicht einmal der Rekordhalter in Sachen Wikipedia, da liegt momentan Atze Schröder vorne. Und um in der ewigen Bestenliste ab 1996 Otto Schily mit 352.996 PIs einzuholen, müsste Heilmann schon als Unheilmann auftreten und mindestens Keylogger für alle Computer- und Telefon- Tastaturen fordern.

"Denken ist etwas, das auf Schwierigkeiten folgt und dem Handeln vorausgeht."

*** Bei den politischen Themen dominierten die Meldungen vom "Bundestrojaner" respektive zum BKA-Gesetz mengenmäßig das Jahr 2008, obwohl sie nicht zu den beliebtesten Themen des Nachrichtentickers aus der norddeutschen Tiefebene gehörten: Nur zwei Meldungen schafften es in die Liste der Top 100 und da nur auf die Plätze 93 und 98. Wayne interessiert's, könnte man provozierend fragen, wo doch selbst die tageszeitung beruhigend feststellt, dass das neue, von Präsident Köhler unterschriebene BKA-Gesetz für wenige herausragende Journalisten gilt, die partout über den Terrorismus berichten wollen. Im größeren Umfeld der weiter zunehmenden staatlichen Überwachungsaktivitäten muss man freilich auch andere Meldungen der großen Politik zuschlagen. So schaffte es die Meldung vom Chaos Computer Club und seiner Veröffentlichung der Fingerabdrücke von Wolfgang Schäuble mit 138.655 PIs auf Platz 15 der Top 100. Ob freilich die frisch ausgesprochene Empfehlung der Nerds, mit Schäubles Spuren und einer Urkundenfälschung "Selbstschutz" zu betreiben, eine gute Idee ist, darf bezweifelt werden.

"Ganz allgemein sollte gelten, dass jedes Land, in dem besondere Sittlichkeit nötig ist, schlecht verwaltet ist."

*** In erster Linie ist der Nachrichtenticker jedoch den IT-Nachrichten gewidmet, womit die spannende Frage nach der Topmeldung des Jahres 2008 ganz entspannt beantwortet werden kann. Platz 1 wie Platz 3 gehen an Googles Chrome, dazwischen liegt nur die Meldung über das neue Verschlüsselungssystem von Premiere. Mit 205.107 PIs reicht es der Chrome-Meldung auf dem ersten Platz in der ewigen Bestenliste nur zu einem Platz im Mittelfeld. Unumstritten ist hier die Meldung über Deutschland in Google Earth mit 524913 PIs der Spitzenreiter. Ansonsten bietet die Statistik wenig Überraschungen: Google und Microsoft dominieren bei den Firmen, mit großen Abstand folgt Apple, das vor allem dem iPhone seine prominente Platzierung verdankt. Aus der Produkt-Perspektive betrachtet waren 2008 die verschiedenen Netbooks bei der Hardware die absolute Renner, wenn man die Angebote aller Hersteller zusammenrechnet. Ebenso deutlich dominierten Meldungen zu den Service Packs von Windows XP die Software-Sparte. Schwenken wir ins Reich der Zocker, so hält nach den PIs das Spiel World of Warcraft die Pole-Position, allerdings mit Meldungen über Komatöse und Tätowierte.

"Der Denkende benützt kein Licht zuviel, kein Stück Brot zuviel, keinen Gedanken zuviel."

*** Recht konstant über mehrere Monate hinweg sicherte sich die Firma Nokia bei den negativ bewerteten Nachrichten mit der Schließung ihres Bochumer Werkes den Spitzenplatz. Das knapp vor der Deutschen Telekom, deren "Produktpalette" an Einzelmeldungen von Bespitzelungen über Datenverluste bis zu Entlassungen allerdings deutlich breiter angelegt ist. Ob negativ oder positiv, ist schwer umstritten, doch gewichtet nach den PIs und den zugehörigen Leserkommentaren hat diese Meldung in eigener Sache den Rest der Nachrichten um Längen geschlagen.

"Denn es ist eine Kluft zwischen oben und unten, größer als
Zwischen dem Berg Himalaja und dem Meer
Und was oben vorgeht
Erfährt man unten nicht
Und nicht oben, was unten vorgeht
Und es sind zwei Sprachen oben und unten
Und zwei Maße zu messen
Und was Menschengesicht trägt
Kennt sich nicht mehr."

*** Doch das Leben ist bekanntlich ein großer breiter Fluss und so lohnt es sich, einen kleinen Blick auf die Spitzenreiter der jeweiligen Monate zu werfen. Das Jahr begann mit der bereits erwähnten Spitzenmeldung zum Verschlüsselungssystem und einer ganzen Serie von Einzelmeldungen zum Abschied von Bill Gates von der IT-Bühne. Im Februar sorgte die Videoüberwachung in Kombination mit einem Hundehaufen für eine Diskussion über den Datenschutz. Im März katapultierten die Leser eine Nachricht mit dem schönen Titel Und ich sach noch an die Spitze. Im April schaffte es wider Erwarten kein Aprilscherz, sondern eine Analystenmeinung zum kollabierenden Windows-Universum auf die Pole Position. Den Mai dominierten Meldungen zu Service Packs, darum sei auf einen knappen Verlierer verwiesen. Haben Eltern wirklich ihr Baby in der Bucht versteigern wollen? Im Juni dominierte das Erscheinen von Firefox 3 die Meldungen, während im Juli ein Schnuckelchen das Rennen machte. Neben dem neuen Newsticker erhitzte im August eine Debatte um den wieder konkurrenzfähigen Internet Explorer die Gemüter. Mit 20.391.901 PIs sorgten die Top 100 im September für eine Rekordspitze, nicht nur dank Google Chrome. Der Oktober ging wiederum an Microsoft, das mit mehreren Nachrichten über Windows 7 eine Debatte über Evolution und Revolution in der Software anfachte. Zwei Wikipedia-Sperren durch den bereits benamsten Bundestagsabgeordneten und durch britische Provider stellten die Top 100 im November und Dezember, wobei die Zahlen des letzten Monats noch im Fluss sind. Deshalb sei auf diese Selbstanzeige eines Heise-Redakteurs zum Hackerparagraphen verwiesen, momentan die Meldung mit den meisten Zuwächsen.

"Es ist ungemein wichtig, sich immer zu fragen, von was der abhängt, der vor einem fährt."

Und sonst so? Wohlfeiles Jammern über die Kreditkrise im Angesicht neuer Eskalationen in Nahost ohne Aussicht auf einen Waffenstillstand? Feiern der kubanischen Revolution? Im Jahre 2008 ist Joseph Weizenbaum gestorben, einer, der immer den Kurs auf den Eisberg kritisiert hatte. Der Nachrichtenticker reagierte auf diese betrübliche Nachricht mit der erstmaligen Einbettung der Nachricht in die Navigationsspalte: Einen kritischen Kurs halten, das ist notwendiger denn je.

"Wenn die Irrtümer verbraucht sind
Sitzt als letzter Gesellschafter
Uns das Nichts gegenüber."

Was wohl wird. Ja, ist denn schon 2009?

Gute Vorsätze sind frei nach Oscar Wilde Schecks, die auf eine Bank ausgestellt werden, bei der man kein Konto hat. Die Kanzlerin wünschr uns allen wieder ein "erfülltes und gesegnetes Jahr", doch wie sich dieses 2009 füllt, ist derzeit noch Sache der Glaskugelforscher. Es gibt ausgesucht dämliche Prognosen wie besonders düstere. Es gibt sogar Prognosen, die Abschiedsgrüße sind. Hinzu kommen die Glaskugellektüren, die anscheinend riskant sind und welche, die es sofort riskieren. Denn mal Butter bei die Fische: Twitter kauft Digg. Facebook kauft Twitter. Google kauft Facebook. Und StudiVZ wird an Wer kennt wen verschenkt.

"Die kleinen Verbrechter verletzten nur die Spielregeln der Selbstsüchtigen. Diese Spielregeln sind aber das Verdammungswürdigste."

Nach dem bewährten 2008er Prinzip des Web 2.gähn, auch bekannt als "Andere Arbeiten Lassen", haben sich die Leser dieser kleinen Wochenschau selbst an die Prognosen für das nächste Jahr gewagt. Sie sind einerseits überaus erfreulich ausgefallen, andererseits auch ziemlich düster: endlich wird [Hurd] installiert und die Wikipedia weltweit gültiger Unterrichtsstoff. Mit Linda gibt es lizenzfreie Kartoffeln. Die nunmehr in Kraft getretene Vorratsdatenspeicherung von Internet-Verbindungen und die Speicherung von Mail-Adressen bei großen Providern wird dank der Verfassungsbeschwerde gekippt. Getreu der Erkenntnis, dass das BKA-Gesetz keineswegs dazu da ist, Terroristen zu jagen, wird nicht nur der Besuch von Ausbildungslagern unter Strafe gestellt, sondern auch die Teilnahme an Hard-Drive-Parties. Prognostiziert wird auch das Verbot von Kryptografie und das [ttp://www.heise.de/newsticker/foren/S-Was-wird/forum-149566/msg-16058482/read/ Ende dieser Kolumne]. Aussagen zu Aktien und dergleichen habe ich ignoriert, da ich nichts dergleichen besitze, nicht einmal Ahnung.. Die Zunahme der Arbeitslosigkeit um mindestens 2 Millionen ist keine Prognose, sondern im Gang.

"Wenn der Kapitän ein Genie sein muss, sind seine Instrumente wohl unzuverlässig."

Ja, das Positive kann manchmal schrecklich grau sein. Einen habe ich noch. Dummschwätzer ist im Wahljahr 2009 keine strafbare Schmähkritik, sondern kann eine Bewertung konkreter Aussagen sein. Mit solchen D-Wörtern wird man in einer Demokratie leben müssen. Dummschwätzer, Dinosaurier, Demagoge. Diese Liste kann erweitert werden.

Zum endgültigen Schluss des Jahres sei aber noch für ein paar Sachen besonders gedankt: Dass die Foren auf heise online erhalten bleiben (und das auch ohne Löschungsanforderungsorgie der User) , etwa, und dass es eine noch nicht abgeschlossene  Diskussion über die Nutzungsbedingungen gibt. Und mir selbst, dass ich endlich, endlich auf Opera umgestiegen bin und Firefox dahin getreten habe, wo er in seiner gegenwärtigen Verfassung hingehört, Open Source hin, Open Source her: in die Tonne. Und natürlich sei meine meine Buchhändlerin in lobender Treue erwähnt, zu der ich auch in diesem Jahr nur allzu oft erwartungsvoll hechelnd stürmte, nicht nur, um den neuen  Pynchon schon ein paar Tage früher zu bekommen, nicht nur, um mit der prachtvollen Neuausgabe der Haefs-Übersetzungen von Kiplings Dschungelbüchern bekannt gemacht zu werden, nicht nur, um die Werke des Hölderlin-Freundes Boehlendorff abzustauben. Aber es beginnt, wie es endet, wie es begann, mit Brecht, und einem Gedanken an jemand völlig anderen:

"Der, den ich liebe
Hat mir gesagt
Dass er mich braucht

Darum
Gebe ich auf mich acht
Sehe auf meinen Weg und
Fürchte von jedem Regentropfen
Dass er mich erschlagen könnte".

Quelle: http://www.heise.de/newsticker/Was-war-Was-wurde-Ein-Jahresendevorspiel--/meldung/121031
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 04 Januar, 2009, 03:25
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

(http://www.heise.de/bilder/121104/0/0)

*** Willkommen im "Superwahljahr 2009", einem Jahr, das mit einem neuen Krieg im Nahen Osten beginnt – für den, wenn man ihn schon führt, Israel hoffentlich die richtigen Schlüsse aus dem (bislang letzten) zweiten Libanon-Krieg gezogen hat, aus dem dummerweise eher die Islamisten der Hisbollah gestärkt hervorgingen. Willkommen also in einem Jahr, in einem doch eher banalen Land, in dem "wir uns doch in weiten Teilen über die Grenzen der Parteien hinweg unserem Land verpflichtet" fühlen. Das jedenfalls sagte Angela Merkel, die Hände auf der ledernen Schreibtischunterlage eisern zum Gebet gefaltet. Deutsche, dem Land verpflichtete Patrioten! Vaterländisch Fühlende! Die erste, die wichtigste und die richtige Wahl haben Sie bereits getroffen, wenn Sie diese kleine Wochenschau lesen. Ziehen Sie mit dem kleinen Verlag in der norddeutschen Tiefebene in die blutige Schlacht um Anzeigen und sonstige Erlöse!

*** Freuen wir uns auf ein Jahr voller Jubiläen, wie dem der erwähnten Varusschlacht, in der sächsische Alkoholiker von ihrem Bärenfell ihre nur für den Angriff starken Leiber erhoben und die Römer dermaßen verprügelten, dass diese das Land mit einem Pisa-Fluch belegten. Den wiederum natürlich nur die Sachsen trotz akutem Sprachschaden besiegen konnten. 2000 Jahre Varusschlacht und Geburt der Deutschen, 20 Jahre Mauerfall und Haus der Kulturen der Welt, 60 Jahre Bundesrepublik Tiudisklande, schöne Jubiläen für schöne Frauen in schönen Kleidern, wie der größte Second Hand Shop und Putzlappendistributor Deutschlands unweit der Schlammschlachtgedenkstättte wirbt. Vor allem aber: Endlich ist das schwachsinnige Jubiläumsjahr 2008 vorbei, in dem die 68er für alles verantwortlich gemacht wurden und sich noch der letzte Bleistift von seiner dunkel schwärzenden Vergangenheit distanzieren musste.

*** Deutschlandverpflichtete aller Länder! Freuen wir uns auf das Jahr, in dem, von IBM und Böblingen ausgehend, die Erde ein intelligenter Planet wird. Wie reizend, dass all dies im Wissenschaftsjahr 2009 passiert, in dem das Jubiläum der Erfindung des kiefergerechten Babyschnullers zeigt, wie Deutschland Maßstäbchen setzt. Wobei die Rede vom intelligenten Planeten auf ein ungleich größeres Jubiläum hinweist, das einmal nichts mit dem von der Kanzlerin gepriesenen Land der Dichter und Denker zu tun hat: 2009 ist auch ein Darwin-Jahr, in dem der Mensch sich darüber Gedanken machen kann, wer seine Mitfahren sind. Mitfahren habe ich von Richard Dawkins, dessen bezaubernde "Zeitreise auf Darwins Spuren" mit zwei berühmten Sprichwörten von Mark Twain und Clarence Darrow beginnt, die auch auf 2009 passen:

Geschichte wiederholt sind nicht, aber sie reimt sich.
Geschichte wiederholt sich; das ist eines der Dinge, die an der Geschichte falsch sind.

*** 2009 hat noch andere Vorteile: Heute können wir den 109. Geburtstag von Bond, James Bond feiern. Dass der berühmte Ornithologe, der im Geiste Darwins die Vogelwelt der Karibik erforschte, kein besonders schrecklich aussehendes Tier auf den Namen von Ian Fleming taufte, ist auch eine wissenschaftliche Leistung: Für Bond gab es keine schrecklichen Tiere. Ob James Bond tatsächlich dank seines Namens aus einem Flugzeug verwiesen wurde, als er seinen Ausweis vorlegte, dürfte eine Frage für die Mythbusters sein. Vielleicht zündet die Anregung in diesem Jahr und der sagenhafte, angeblich fertig gestellte Bundestrojaner wird als Ian Fleming seinen Dienst antreten. Denn dass diese Software ohne tatkräftige Hilfe durch einen priapristischen Top-Agenten installiert werden kann, glauben die, die die Märchen von Jacob Grimm (noch ein Geburtstag) für packende Sozialreportagen halten.

*** In der Geschichte der Evolution sind Augen vierzig Mal unabhängig voneinander entstanden, wenn Dawkins' Arbeiten zum "Gipfel des Unwahrscheinlichen" stimmen. 2009 sollen wir nach dem unbedingten Willen des Bundesschmidtministeriums die elektronische Gesundheitskarte bekommen. Sie soll dabei helfen, die Diskussion um die elektronische Gesundheitskarte einzusparen. Als erste Massenkarte ihrer Art trägt sie den Vermerk "eGK" in Braille-Schrift, damit auch die Blinden sehen können, wenn sie vom frisch gestarteten Gesundheitsfonds genarrt werden. Ob sich der vor 200 Jahren geborene Louis Braille darüber genauso freuen würde wie über die Tatsache, dass heute die Tour de Braille gestartet wird, die blinde Menschen integrieren soll? Wie wäre es überhaupt mit einer Tour de Barriere, die alle Technologien fördert, die Behinderungen überwinden helfen? Die aus Indien recycelte Forschungsexpedition für das Wissenschaftsjahr 2009 ist doch etwas wenig.

*** An dieser Stelle kommen wie immer die Abschiede. Ein Tschüss geht an mein Mailboxfach bei einem deutschen Provider. Die neuen Überwachungsgesetze gehen einfach zu weit, auch wenn die tageszeitung findet, dass die staatliche Überwachung nun etwas erträglicher geworden ist. Ein weiteres Tschüss geht an den Schiffsmeldedienst in Cuxhafen, der im Zeitalter des Internets und des ISPS-Codes überflüssig geworden ist. Ganz nebenbei profitieren die Piraten vor Somalia von diesen Codes genau wie die Anti-Terror-Wächter der Seehäfen. Mit Bolivia geht ein hasta luego an Freddie Hubbard, der es trotz einiger Umwege und Rückschläge in den Jazzhimmel schaffte. Ein großer bunter Regenbogen geht an den Journalisten und rasenden Quick-Reporter Johannes Mario Simmel. Sein letztes Buch über Philipp Sorel, einen Spezialisten für Computerviren, eine Fotografin und einen schwanzlosen Galeristen inmitten des Cyberwars digitaler Terroristen war eine letzte Brücke, über die nur noch wenige Leser gehen wollten. Die "Faction" unterlag dem Verständnis der Fakten, auch wenn Simmel bei diesem Buch für die nötige Nerdung eigens einen Berater vom Chaos Computer Club angeheuert hatte.

(http://www.heise.de/bilder/121104/1/0)

Wie schick 2009 sein wird, mag man daran ablesen, dass es mit einem zünftigen Y2K9-Problem begann, komplett mit einer Aussage, die sicher Viele staunen lässt: Die Entwickler zeigten sich überrascht davon, wie viele dieser 2006/2007 gekauften Geräte noch im Einsatz sind. Developers, Developers, Developers! Ich greife zu meinem iRiver H340 aus dem Jahre 2003, der immer noch munter als Jukebox Ogg-Dateien im Büro abnudelt, während in der Mucki-Bude mein kleiner Samsung-Player jeden Schickeria-iPod aussticht. Wer mit solch kurzen Hardware-Zyklen als Entwickler rechnet, muss eine rasante Wegwerf-Routine im Kopf haben und die vielen munter bloggenden Gadget-Krähen mit echten Anwendern verwechseln. Die Alarmzeichen sind längst angegangen – und werden wie die Bruchmeldungen von den Finanzmärkten ignoriert. So mag das ja noch gut aussehen, aber man vergleiche selbst: Im Januar 2007 kam Windows auf 93,33 Prozent, heute steht es bei 88,68. Wer jetzt noch die Mac-OS-Zahlen der letzten sechs Monate anschaut, wird verstehen, warum sich Steve Jobs mit gefrorenem Joghurt den Bauch verdorben hat, den Bauchmuskelkater vom Lachen bekämpfend. Vielleicht stirbt Jobs 2009, dann aber als Kämpe, der seine Schlacht geschlagen hat.

Man kann es anders ausdrücken. Der von den Abrufzahlen eindrücklich bestätigte Trend zu den Netbooks war erstes Indiz für eine Absatzbewegung, bei der die Hersteller sich von Microsoft noch einfach einfangen ließen und den Start vermasselten. Das muss nicht immer so ablaufen. Was derzeit zu Ende geht, was sich als Auslaufmodell entpuppt, hat der Philosoph Sloterdijk mit der Zauberökonomie von Harry Potter erklärt: "Zaubern ist eine Tätigkeit, die das Verhältnis von Ursache und Wirkung verdunkelt. Die Verwirrung beginnt, wenn die Wirkung die Ursache maßlos übertrifft ..." Die Welt der Steinbrücks und Merkels bricht zusammen, auch wenn die Politik als besonders langlebige Hohlform in diesem "Superwahljahr" davon nichts wissen will. Leider werden auch dieses Jahr die besten Versprecher gewinnen, wenn das gewünschte Sein das Bewusstsein bestimmt.

Kann es denn anders weiter gehen? Reichen Appelle wie des Philosophen befehlerisch vorgetragenen "Du mußt dein Leben ändern"? Auch wenn es stellenweise so klingelt und klappert wie bei den durchgeknallten Simplify-Vorschläge eines evangelischen Pfarrers? Gibt es nicht wenigstens eine ordentliche Zusammenbruchsvariante? Ich finde es ganz interessant, wie linke Projekte selbst bei dem Kongress der doch ziemlich unpolitischen Hacker von Chaos Computer Club auftauchen. So tauchen die 3D-Drucker der Flabber-Ökonomie der freien Autos wieder auf, über die der erste Oekonux-Kongress so euphorisch diskutierte. Als erster Link-Vorblick auf das kommende, noch ziemlich schüchterne 2009 möchte ich daher auf die vierte Oekonux-Konferenz verweisen, die in der Stadt Manchester abgehalten werden soll.

Mit einer Rede begann, mit einer Rede endet die kleine Wochenschau. "Wir brauchen Achtsamkeit für das Gemeinwohl. Wir brauchen Anstand, Bescheidenheit und Maß." Ansstand kenne ich noch, bei Bescheidenheit muss mir die Wikipedia helfen, bei Maß gibt es 2009 die Wahl: BMI für Dickerchen oder eben, Simmel sei Dank, Sorel. Dann wäre da noch die Achtsamkeit. Vergesst Zwei- Vier- und Sechssamkeiten! Und was ist mit Neunsam? Zählt nur noch der "Neunte" im Forum?

Quelle : http://www.heise.de/newsticker/Was-war-Was-wird--/meldung/121104
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 11 Januar, 2009, 00:17
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Dumm, Dideldum, mir spukt ein Wort im Kopf herum. Wahrscheinlich liegt es daran, dass ein gewisser Nico Schwanz (28) einen auf Halbaffen macht und ein Dschungelcamp bei Rammeln, Töten, Lallen beginnt, in dem eine Frau mit Schwanz (bitte, so formuliert die taz) ein Erfolgserlebnis haben will. Kommen wir zum Schwanzvergleich, eine tief in die männliche und manche weibliche Sozialisation eingebettete Tätigkeit, die vom Aussterben bedroht ist. Denn die heute aufwachsenden Kinder spielen Playstation, Wii oder Xbox, greifen aber kaum mehr zum guten alten Autoquartett. Das hat Folgen! Denn der männliche Schwanzvergleich ist der Versuch, ein frühes, köstliches Lusterlebnis zu wiederholen, wenn man *die* Karte mit 340 PS hatte und die restlichen Blätter im Quartet gerade mal 300 oder weniger. Diese "Urschwanzsituation" will jeder Mann wiederholen und kramt darum wahlweise seine Wedelpalme, die Bildersammlung auf dem iPhone oder seine Blog-Statistiken hervor. Wer wirklich glaubt, dass es beim Schwanzvergleich um Minderbepimmelte geht, hat niemals Quartett gespielt, mit schnellen Autos, schweren Lastwagen, Flugzeugen und was sich sonst noch rastern lässt, natürlich auch als Blog-Quartett.

*** All das ging mir durch den Kopf, als Klein-Bloggersdorf aufgeregt notierte, dass Robert Basic, einer der Alpha-Journalisten des Web sein Blog auf eBay vertickert. Deutschlands größtes Blog, Deutschlands meistgelesenes Blog, Deutschlands meistverlinktes Blog, der Superlative sind keine Grenzen gesetzt. Mit Dollar-Zeichen in den glänzenden Augen wie Dagobert Duck, bevor er sich mit erigiertem Pürzel in seinen Talersee stürzt, wird in Klein-Bloggersdorf kommentiert, wie jemand nach seiner bewährten Methode  den Basic macht. Klein-Bloggersdorf? Aber ja doch: Deutschlands dümmster anzunehmeder Journalist greift zum bewährten Schwanzvergleich. Zur Verkaufsankündigung hatte der Blogger nach eigenen Angaben 21.600 Page Impressions. Damit liegt er an diesem Tag nicht in den Top 10 der Tagesmeldungen des kleinen Verlages in der norddeutschen Tiefebene. Dort belegte diese Meldung über DivX 7 mit 21.941 PI den 10. Platz. Bloggst du noch oder versteigerst du schon? wird künftig der Standardgruß unter Bloggern sein.

*** Wenn alle Blogs versteigert sind und die reichen Blogger nur noch zwitschern oder als Dschungelstars auftreten, wird es immer noch das Bildblog geben, das den Kampf gegen das System Bild führt. Hier geht es nicht um länger, größer, dicker, sondern um die diskursive Kritik, was alles im Einzelfall von der schrecklichen Postille vergeigt wird. Das System produziert Woche für Woche mehr Fehler, als die IT-Branche Gadgets. Es wäre schön, wenn die Kritik an Bild nicht aufhört, wie es der Freitag etwas adornös schreibt: "In einer Welt, in der das System Bild existiert, kann niemand wirklich glücklich sein, es frisst sogar die Utopie des Glücks."

*** Besagter wie oben verlinkter Freitag, eine Ost-West-Wochenzeitung, hat von dem kommerziell wertlosen Blog eine Abreibung erhalten, weil beim einfachen Aufruf der zugehörigen Domain freitag.de Werbung für eine 895 Euro teure Uhr das Bild verschleiert. Eine typisch linke Schweinerei, auch wenn sie weggeklickt werden kann. Besser wäre wohl das antiquierte Cybermesser gewesen, komplett mit DIP-Switch-Versteller (wo gibt es die noch?). Nach einigem Her und Hin antwortet Jakob Augstein, der neue Besitzer des Blattes mit einer Beschreibung des heutigen Journalismus im Lichte feinster friesischer Piraten: Vor der Küste segeln abseits der Fahrwasser der Dickschiffe, doch immer mit Küstensicht, denn auf dem Lande, da wohnen die Leser in ihren Hütten und Palästen, immer bereit, den Freitag nicht nur als Fischeinwickelpapier zu akzeptieren. Immerhin ist das eine bessere Perspektive als das eintönige Gequake vom Untergang der Zeitungen, das jeder Blogfrosch von sich gibt, wenn man ordentlich auf ihn drauftritt.

*** Zurück zu den Schwänzen, ähem den Autoquartetts. Noch während ich mein Nettbuch mit einer bescheuert klingenden Systemvariante namens Easy Peasy beschickte, zündete die Meldung vom Download der ersten Windows 7-Beta. Ratzfatzbumms war das natürlich Top of the Pops. Bleibt die Frage, wie oft man schreiben muss, dass die verflixte 7 eine schlichte Vista-Erweiterung ist, was der sympathische Herr Ballmer nicht einmal verneint. Erstaunlich nur, dass eine Firma wie Microsoft den Andrang auf die von Akamai gehosteten Server unterschätzte. BitTorrent und Rapidshare haben sich noch nicht für die unbezahlbare Werbung bedankt, die die Lust begleitet, dass alles beim Alten bleibt, wenn die Welt sich wieder einmal wandelt.

*** Mit dem neuen Sangesschmied werden wir Alten das heute vor vielen Jahren von Carole King veröffentlichte Lied anstimmen, während andere mit mir bei der Hommage an den 29stbesten Gitarristen aller Zeiten auf 1979 anstoßen, als dieser Super-Riff erschien. Adieu, farewell Ron Asheton, die alten Hunde laufen weiter, mancher nennt sie Hamster.

*** Aber halt, da sind ja noch die Jubiläen, die unermüdlichen Maulwürfe, die Hamster, die Faultiere des Fortschritts. Dieser Samstag, an dem die kleine Wochenschau entsteht, ist historisch, denn heute vor 233 Jahren erschien in Philadelphia in den USA eine kleine Schrift, gerade einmal 46 Seiten lang. "Common Sense" von Thomas Paine ist bis heute der größte Erfolg der Buchdrucker. Denn die Schrift erschien und verkaufte sich in einer Auflage von sagenhaften 500.000 Exemplaren in den USA, in der damals gerade 2,5 Millionen lesefähige Menschen in den "Kolonien" lebten. In einfachen, klaren Worten erklärte das Traktat, warum die Kolonien die Unabhängigkeit vom englischen Mutterland erklären sollten. Die Macht der Gedanken von Thomas Paine hat sich verpflanzt und ist selbst in die Deklarationen zur Open Source zu spüren.

Was wird.

Es ist immer noch nicht Jahresende, dieses Jahr wird echt lang – hoffentlich nicht ebenso der Krieg, mit dem das Jahr begann. Und ich hoffe auch immer noch, Israel weiß, was es mit dem Gaza-Krieg bezweckt – einige Israelis jedenfalls scheinen nicht wirklich zu wissen, was sie selbst tun. Genausowenig wie manch Friedensdemonstrierer, der jetzt "Frieden für Palästina" brüllt, aber keinen Mucks von sich gab, als die Hamas wieder anfing, ihre Raketen auf Israel zu feuern.

Da lob ich mir schon fast die deutsche Politik und ihre Freunde aus der IT-Branche. Wirklich? Ach, naja. T-Systems, die Knappschaft und Gesundheitsministerin werden morgen in Bottrop die elektronische Patientenakte aus dem Taufbecken heben und an die Medien verklappen. Die rührende Show wird von der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft begleitet. Diese hat passend zur Schmidt-Revue eine Darstellung veröffentlicht, nach der das deutsche Gesundheitswesen viel billiger sein kann: Die ganze deutsche Republik ist voller brachliegender Effizienzreserven, weil es an Wettberwerb fehlt. Warum, bittschön, fahr ich zu einem Arzt in Isernhagen, wenn einer in Brunsbüttelkoog und einer in Mochenwangen billiger ist? Natürlich ist das egal, solange es WLAN auf allen Strecken gibt.

Gedichte spielen in dieser Wochenschau eine kleine, nicht unwichtige Rolle. Der Dank, den ich erhalte, der muss freilich an die Forumsteilnehmer weitergegeben werden. Sie sind es, die immer wieder zeigen, wie wunderbar binär die Freude an der Sprache sein kann. Spitzenreiter dieser Woche ist die Schließung des Werkes Limerick durch die Heuschrecke Dell, die nach Polen weiter zieht. Was machen unsere Leser draus?

Dell schraubte bislang in Limerick
PCs zusammen - flott und chic
nun geht man nach Polen
und feixt unverhohlen
über diesen Globalisierungstrick

Diese Reimkunst aus dem Forum steht darum im Ausblick, weil es mir gar nicht einleuchten will, dass nur die Varusschlacht und der Mauerfall gefeiert wird. Man muss auch mal trauern können, und dazu gibt der 15. Januar vor 90 Jahren Anlass genug. Ich könnte jetzt mit Brecht an die Ermordung von Rosa Luxemburg (und Karl Liebknecht) erinnern, nehme aber lieber den Anfang der langen expressionistischen Hymne von Johannes Roland Becher zum Mord vor 90 Jahren:

Auffüllend dich rings mit Strophen aus Oliven,
Tränen Mäander umwandere dich!
Stern-Genächte dir schlagend als Mantel um,
Durchwachsen von Astbahnen hymnischen Scharlachbluts...
O Würze du der paradiesischen Auen:
Du Einzige!
Du Heilige!
O Weib. -

Durch die Welten rase ich -:
Einmal noch deine Hand, diese Hand zu fassen:
Zauberisches Gezweig an Gottes Rosen-Öl-Baum.
Wünschel-Rute dem Glücks-Sucher.
... In dich o mütterlichste der Harfen träuft unser aller Heimat Klang ...
Fünfzack diktatorisch über unsre Häupter gespannt.
Blut-Quell dieser Finger Millionen Ärmster Gitter durchfeilte er.

#/.../

Dumm, Didelum, es geht weiter. Zumindest was den Größten, Längsten, Weiten betrifft. Ganz abseits der ehrwürdigen Tradition des Autoquartetts hat sich eine andere Disziplin herausgebildet, die der Computer vortrefflich verfolgen kann. Sie nennt sich Sport:Mord? und feiert am kommenden Samstag ihr Debüt. Komplett mit Wolfgang Schäuble, Thomas Bach und einem gewissen Demagogen namens Zwanziger im Publikum. Dumm, Didelum ...

Quelle : http://www.heise.de/newsticker/Was-war-Was-wird--/meldung/121495
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 18 Januar, 2009, 00:13
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Hallo Leser, eine Warnung. Ich habe gerade die Lektüre der Behandlung von Slashdot-Süchtigen hinter mir, definiert als Geeks, die so vernarrt in /. sind, dass sie alle 5 Minuten nachschauen, was dort passiert. Aus der Sicht von Ärzten ist das natürlich ein krankhaftes Verhalten, eine Sucht, die mit einer ordentlichen Portion Ritalin "geheilt" werden kann. Die behandelnde Psychologin (nachzulesen hier) sieht es anders, sie ließ sich auf lange Gespräche mit den Süchtigen ein, die ihre Abhängigkeit sehr positiv erleben und fühlen. Sie haben zwar die Fähigkeit verloren, ihre Lebenszeit kontrolliert zu gestalten, aber ein Universum anregender Debatten gefunden, von denen sie lernen und in denen sie nach eigener Einschätzung sich sogar politisch engagieren. Zwangsweise stellt sich nach einer solchen Lektüre der neuen, durch Technologie veränderten Selbstwahrnehmung die Vorstellung von einem Leser ein, der alle 5 Minuten bei Heise nachschaut, durch die Foren streift und dazwischen noch das Ausfallforum konsumieren muss. Wobei, halt, da muss ja noch Twitter rein, diese Zigarettenpause für Online-Junkies.

*** Was kann der herkömmliche Journalismus einem Süchtigen geben? Eigentlich nichts. Wer den Blick nicht von den ständig einlaufenden Nachrichten abwenden kann, hat kein Interesse für Hintergrundrecherche, findet komplizierte Zusammenhänge und ihre Erklärung blass und zieht im Zweifelsfall eine ordentliche Verschwörungstheorie vor. Die einzige Lösung ist eine Berichterstattung, die selbst im hohen Maße wie ein Junkie abhängig ist von der Technik, suchmaschinenoptimiert und voller Web 2.0. Wer tatsächlich diesen zusammengeklaubten Mist glaubt, sollte sich schnell in Behandlung begeben. Suchmaschinenoptimierte Meldungen verzapfen groben Unsinn. Dann wird anschleimend der Bill Gates von Köln gelobt, ein schlichter Hosting-Anbieter, der für sehr wenig Geld beste Werbung von lallenden Netzökonomen bekommt. Disclaimer: Serversoft schaltet(e) in der c't Anzeigen, was nun wiederum eine sehr sinnvolle Tätigkeit ist. Die Schrottrush-Prämie von 46.902 Euro mag ein hübsches Sümmchen für den abgewrackten Blogger Basic sein, für den Rest der deutschen Blogosphäre ist sie einfach Scheisse, aber ohne Geruch.

*** suum cuique hat mal wieder zugeschlagen. Bekanntlich stand "Jedem das Seine", auf der Innenseite des Eingangstores des KZ Buchenwald. Lesen konnten diesen Satz die Häftlinge, wie Häftling Nr. 44904 Jorge Semprun in seinem Buch "Was für ein schöner Sonntag" beschreibt. Dort auf dem Ettersberg, wo Goethe und Eckermann Rebhühner, Weißbrot und Rotwein verspeisten, konnten die Deutschen dank der verwendeten Schrift nur etwas lesen, was wie eine jüdische Inschrift aussah. Nun sollte "Jedem den Seinen" nicht für Cato, sondern für Tchibo werben: Jeder soll den Kaffee trinken, den er sich eingebrockt hat, bis die Halluzinationen durch Alzheimer abgelöst sind. Die Rechnung mit dem durchaus kalkulierten Mißgeschick – ich glaube nicht an ahnungslose Werbeagenturen – ist aufgegangen: Jeder weiß nun, dass Tschibo-Kaffe nach Esso schmeckt. Im Kontext deutsch-israelischer Empörung über die ach so dummen Werber schlage ich gazamäßig vor, dass künftig nur noch Denen das Unsere erlaubt ist, derweil globalisierungskritische Gutmenschen ihrem antisemitischen Reflex folgen: "Kauft nicht bei Juden!" hat man auch schon mal gehört.

*** Vor 156 Jahren machte sich ein Gefängnisinsasse über das Finanzsystem lustig: "Glaubt ihr, ihr könnt lange von euren Agios, euren Prämien, euren Skonti, euren Hypotheken leben? Glaubt ihr, das menschliche Denken würde sich, trotz dieser Wunder, mit diesem ganzen Maschinenbetrieb begnügen? Und dass wir zufrieden sind, wenn wir Bergbau-, Wasser-, Eisenbahngesellschaften, Kredit-, Depot-, Spar-, Giro-, Assekuranz-, Diskont- und Kompensationsbanken in Hülle und Fülle haben, und die Arbeit garantiert und das Leben billig?" Das schrieb das Geburtstagskind der Woche, Pierre-Joseph Proudhon, und Le Monde diplomatique druckt es unter dem Titel Jetzt beklagen sich die Trottel ab. Der Theoretiker des Mutualisme hätte wohl noch lustige Beschreibungen für die Trottel gefunden, die im Namen der "guten Banken" eine Bad Bank fordern, bei der sie ihren gesammelten Giftmüll von 300 Milliarden Euro abladen dürfen, all den Mist aus dem Hypothekengeschäft, die LD100-artigen  Credit Default Swaps und die ungesicherten Derivative. Verlinkt sind in einem Land gedruckte Geschichten, das glaubt, mit einem Schädchen davon zu kommen, bekannt für einen hochgelegenen Ort, an dem sich die Aasgeier treffen und ihre Aasgeiermärchen erzählen.

Was wird.

Keine Frage, wo das Positive bleibt, wenn selbst die konservative tageszeitung sich auf die Bescherung freut. Obamas Inthronisierung mit seinem Satz "Wir sind diejenigen, auf die wir gewartet haben" kontrastiert gut mit dem deutschen Superwahljahr, das brutalstmöglich den größten anzunehmenden Opportunisten mit Stahlhelm-Gen die Wahl gewinnen lässt.

Amerika, du hast es besser als unser Kontinent, der alte, hast keine verfallenen Schlösser und keine Basalte. Dich stört nicht im Innern zu lebendiger Zeit unnützes Erinnern und vergeblicher Streit.

Das schrieb Goethe in den zahmen Xenien. Unnützes Erinnern, wo die Zukunft lockt, das ist auch ein Konzept. Dont look back hieß das erste Rockumentary, und es zeigte Bob Dylan auf seiner England-Tournee 1965. Seine Unterstützung von Obama verkündete Dylan sinnigerweise in England, das heute ganz andere Probleme hat. Schließlich jährt sich bald der Tod von Brian Jones, komplett mit dem Hyde-Park-Konzert der Stones. Yo, isch kann, heißt es auch bei uns. Schließlich ist der Fahrer von Thorsten-Schäfer-Gümbel mal Wettkönig von Thomas-Grabbel-Gottschalk gewesen. Auch Deutschland ist das Land der unbegrenzten Möglichkeiten, nur in der Variante, dass zuverlässig die schlechteste aller Möglichkeiten wählt. Obama wird dagegen über den Wassern schweben wie der Airbus im Hudson, während bei uns der letzte Mensch die Maschine verlässt.

Im Jahr der Super-Jubiläen von Charles Darwin und der ur-urdeutschen Varusschlacht kommt der 200. Geburtstag von Edgar Allan Poe etwas ungelegen. Den Urvater der Science Fiction, der Roboter und der Horror-Stories wird es nicht stören, war er selbst doch eine einzige Ungelegenheit, ein Vorbild für jeden Worteverwerter und prompt als 'Fürst des Grauens' missverstanden. Zeit seines Lebens hatte sich Poe mit den Gräueln der Cholera auseinandersetzen müssen, welche in unseren zivilisierten Bereichen abseits von Simbabwe längst durch die Flash-Seuche ersetzt wurde. Sei's drum.

Ganz ohne Bezug auf Poe startet T-Mobile am selben Tag mit dem G1 in Deutschland, komplett mit einem kleinen Shop im Vorfeld der CeBIT, wo dieses Gerät den Old Shatterhand geben soll. Der erste Inhaber soll Bond, Peter Bond sein. Der sitzt derzeit als Verhaltensauffälliger in einer Unterhaltungsshow für Grenzdebile. Die dazu passenden PR-Texte treffen das Niveau dieses "Dschungelcamps". Ich hätte es mir nicht träumen können, dass ich eines Tages sogar die Nulpe Chad Kroski als Retter vor dem grassierenden Stumpfsinn begrüßen könnte. Es gibt eben Zeiten, in denen nicht nur ein Obama die Welt erlöst, sondern, siehe Microsoft, das ewig grüßende Murmeltier spannender ist als, naja, eine Love Parade in Bochum. Aber ach, sie wurde abgesagt, weil ausgerechnet der Hauptbahnhof zu klein ist. Der Dorn in meinem Fleisch ist immer der Mehdorn im Auge der Anderen.

Quelle : www.heise.de
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 25 Januar, 2009, 00:15
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Er ist da. Noch ist er nicht über die Wasser gegangen, aber einige Wunder haben sich schon ereignet. Durch Handauflegen aktualisierte er Laptops, ein Lächeln genügte und robots.txt änderte sich. Ein noch größeres Wunder als die Verwandlung von Wein in Wasser war das Erscheinen eines virensicher gemachten Internet Explorer. Zählt man zu diesen Wundern ein paar dringend notwendige Korrekturen wie die Anordnung, Guantánamo Bay zu schließen, Folterungen zu verbieten und die Geheimniskrämerei früherer US-Regierungen zurückzunehmen, so kann der Regierungsantritt von Barack Obama als durchaus gelungen bezeichnet werden. Komplettiert wird das Ganze natürlich von Fidel Castro, dem unzerstörbaren Revolutionsführer, der meint, das Ende von Obamas Amtszeit nicht mehr erleben zu können.

*** Vom ganzen Tamtam der Amtseinführung bleibt eine Bemerkung Obamas haften, den ich gerne deutschen Politikern auf die Bretter tackern würde, die sie vor dem Kopfe tragen. Dass die Gründungsväter Amerikas in schweren Zeiten die Freiheit über die Sicherheit gestellt haben, ist ein Satz, den Innenminister Schäuble nicht verstehen kann. Er hat schon Probleme genug mit Menschen, die Amerika als Unschuldige bezeichnet. Was kann mit der Amtsübernahme besser gefeiert werden als die Revolution im Journalismus, die heute vor 48 Jahren zur ersten modernen Presse-Konferenz mit frei gestellten Fragen führte. Ehe John F. Kennedy dieses Wagnis einging, mussten alle Fragen vorab schriftlich gestellt werden, wie dies heute noch bei einigen Firmen in der IT-Branche gepflegt wird. Kennedy schaffte das höfische Zeremoniell ab – allerdings sprach er die Fragen später mit befreundeten Reportern ab und ließ sich mit witzigen Antworten von professionellen Gagschreibern beliefern.

*** Natürlich darf Tanz und Musike nicht fehlen, wenn der erste schwarze Präsident Amerikas den Dienst aufnimmt. Nein, nicht Howard Carpendales elendes Motivationsgehauche. Das perfekt zu Obama passende Jubiläum am 12. Januar erfuhr erstaunlich wenig Beachtung. Vor fünfzig Jahren gründete Berry Gordy in der prosperierenden Motor Town Detroit mit schlappen 800 Dollar die Tamla Records, aus denen noch im selben Jahr die Motown Records hervorgingen. Die schwarze Musik wurde kommerzialisiert, die Musikproduktion gnadenlos industrialisiert. Heraus kam etwas, das auch für Weiße verständlich davon kündete, das etwas passiert, auch wenn sie das nicht tanzen konnten und an den falschen Stellen klatschten. Und die Erben von Motown machen weiter. Apropos Erben: Ein besondere Glückwunsch geht in diesem Fall an die Arf Society als Veranstalter der Zappanale.

*** Obama hat sein Smartphone, sein White House, seine Musik – und sein Pageranking, letzteres als legitimer Nachfolger von Bush. Er bewegt sich in der Abtreibungsfrage und in der Diskussion um die Stammzellenforschung von Bush weg, während er an der bewährten Praxis des Ausspionierens seines Vorgängers festhalten will. Freiheit und Sicherheit sind doch skalierbar. Obama hat sogar eine Art Waffenstillstand zwischen Israel und der Hamas bekommen, komplett mit dem Beweis, dass Israel seine Gegner nicht vernichten kann. Die Waffen schweigen, aber die Parteien sprechen nicht miteinander. Braucht es jemanden, der von sich überzeugt ist, unfehlbar die Wahrheit in den Gesichtern der Anderen lesen zu können? Der Forscher der Mikroausdrücke glaubt an Menschen, hilft aber beim Bau der besten Video-Überwachungsanlagen, denn auch das ist Amerika: "Aber wir sind ein Technologie-Land. Das unausgesprochene Motto der Amerikaner lautet: Bau mir eine Maschine, sonst bringt das nichts. Das Motto der Israelis lautet: Holt uns die besten Leute, wir geben ihnen das beste Training."

*** Zurück in die heile Welt der Datenverarbeitung. Heile Welt, wenn selbst Microsoft Stellen streichen muss und damit ausgerechnet bei den Programmierern des Flugsimulators beginnt? 26 Jahre konnte die Truppe bei Microsoft arbeiten, der Pakt hielt länger als jede andere Franchise-Vereinbarung der Industrie. Wer erinnert sich noch daran, dass die Geschichte des Flugsimulators mit der Firma Sublogic und dem Apple II begann? Es folgte eine Version für den TRS-80 und seiner Grafik von 128 × 48, die mangels Instrumentendarstellung als "Blindflugraten" in die Computergeschichte einging.

*** Als die PC-Kisten populär wurden, war der auch der Flugsimulator auf dem Höhepunkt seiner Popularität, jedoch nicht als Computerspiel, sondern als Testprogramm. Ein Rechner wie mein erster Apricot-PC, auf dem der Simulator abstürzte, galt als nicht IBM-kompatibel. So bestand das "Testen" in vielen Computerzeitschriften darin, auf der ausgepackten Kiste die "Testdiskette" mit dem Flugsimulator zu starten. Mehr passierte meistens nicht, da schrieb man lieber über das gefällige Logo einer Firma oder dass der Monitor schwenkbar von 0 bis 180 Grad ist. Viele Tester haben ihre Fähigkeiten nicht weiter entwickelt, wie man an den "ersten Testeindrücken" sehen kann, komplett mit Prognosen, dass Windows 7 der Linux-Killer schlechthin sein wird, dank des überarbeiteten User-Interfaces.

*** Im Jahre 2004 zeichneten einige helle Köpfe ein düsteres Bild der Bedrohung des freien Internet durch die Pläne von Google. Daraus entstand ein Video, Epic 2014 genannt, weil für das Jahr 2014 die Weltherrschaft von Google prognostiziert wurde. Nun schreiben wir 2009, das erste Google-Telefon kommt auf den deutschen Markt und die Weltherrschaft des Konzerns ist zum Greifen nahe. Ohne Google-Mail, Maps, die Streetview und das Googlen nach Produkten geht gar nichts. Das Gerät liefert seinen Nutzer auf Gedeih und Verderb dem Cookiemonster Google aus. Ja, das G1 hat einen schicken Bildschirm und eine lustige Rollkugel-Handsteuerung, mit der man sich durch Boschs Garten der Lüste treiben lassen kann: "In der Verwandlung dieser Bilder in schwindelerregende Mikrokosmen manifestiert sich auch die Utopie einer totalen Verdauung, einer totalen Vergoogelung der Welt durch das Internet, dessen elektronische Kutteln sich über alles und jedes stülpen können. Bleibt abzuwarten, wann und wie dieses Organ seine ersten Rülpser produziert." Einen Klingeltonpfurz für das G1 gibt es schon im Android Market.

Was wird.

Niemand anders als Marissa Mayer, das Google Covergirl, hatte als erste ein Google-Telefon angekündigt, angeblich um Google zu den Menschen auf Kontinenten wie Afrika zu bringen, in denen die Internet-Infrastruktur fehlt. Das geschah 2005, auf einem Panel namens "The Next Big Thing" der Burda-Konferenz Digital Lifestyle Day. Auch dieses Jahr findet der Herden-Auftrieb der Internauten vor dem Davoser Weltwirtschaftsforum in München statt. Zur Zeit blökt die Avant-Herde des Web 2.0 aus München und frisst Wiener Schnitzel, doch morgen Mittag ändert sich das alles gründlich. Besagte Marissa Mayer diskutiert beispielsweise mit Monika Wulf-Mathies und Silvana Koch-Mehrin. Die Leitung hat Maria Furtwängler-Burda. Women Power ist das Thema, nicht die Suche nach einem hübschen Doppelnamen für Marissa. Noch schöner klingt das Thema Philanthrocaptitalism, moderiert von einem Matthew Bishop vom Economist. Im Jahre 2006 im Juli hatte der Economist eine sarkastische Titelgeschichte mit Bill Gates als Coverboy, die sich über die "Billanthropy" des Microsoft-Gründers lustig machte. Heute sind das alles nur gute Taten und so kann der gütige Gates in einer Epistel verkünden, dass seine Stiftung im Jahre 2009 noch einmal 3,9 Milliarden Dollar von ihm bekommt. Ja Leute, das schreit doch nach einem "Woodstock für Philokapitalisten" am 15. August!

Wir sind natürlich gute Deutsche. Wir haben Pickelhauben, die kleineren Schwänze und kleineren Autos und freuen uns mächtig auf den 150. Kaisergeburtstag. Das ist nicht der Kaiser mit dem Fußball oder das blaue Werbemännchen von 02, sondern ein IIter, der bis zum letzten Hauch von Roß und Reiter kämpfen lassen wollte – in eeinem unsäglich mörderischen Weltkrieg, in die er seine Untertanen schickte. Wer heute die virtuose Beherrschung des Web 2.0 durch Obama über den grünen Klee lobt, hat schnell vergessen, dass es unserer Kaiser Wilhelm II war, der alle Register im Umgang mit Presse und Öffentlichkeit zog und darum als Medienkaiser berühmt wurde. Ob Beckenbauer, Hitler oder Obama, alle haben sie von ihm lernen können.

Quelle : http://www.heise.de/newsticker/Was-war-Was-wird--/meldung/122307
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 01 Februar, 2009, 00:12
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Ich gebe zu: Bisher wusste ich nicht, dass es Cello-Hoden und Gitarren-Nippel gegeben haben soll. Als ehemaliger Handball-Torwart kannte ich nur gedellte Hoden, die man bekommt, wenn man das Suspensorium vergisst. (Das vergisst man nur einmal.) Nun weiß ich, dass es weder Cello-Hoden noch Gitarren-Nippel gibt. Ob die Wissenschaft sich wirklich intensiv mit dem Cello-Hoden beschäftigt hat, weiß ich immer noch nicht, aber wohl kann ich mir junge Leute vorstellen, deren Weltbild nun kräftig schwankt. Was ist mit dem begabten Jüngling, der Querflötist wurde aus Angst vor dem Cello-Hoden und nun mit seinem Stummelchen dasteht? Was mit den wenigen Gitarristinnen, die die Angst vor dem Gitarren-Nippel überwanden und mit Bands wie Nashville Pussy losrockten? Wie viele Träume junger Menschen wurden so zerstört?

*** Digital, Life Design, auch DLD genannt, ist eine Konferenz, die viel von einem Cello-Hoden hat, weil auf ihr Einbildungen aller Art gefragt sind. Die Süddeutsche Zeitung berichtete von dem im vorigen WWWW erwähnten Auftrieb der digitalen Avant-Herde in München und zitierte ausgerechnet ein Mädchen: "Ich lebe auf Facebook. Alle meine Freunde sind da. Zusammen können wir viel erreichen, Peace and everything." Da ist er, der strahlende Glaube der Jugend, die vom jungen Herzen gekommene Aussage der Lisa Furtwängler. Ihre Familie finanziert dieses DLD und der SZ-Journalist hat nicht die Cojones, ihren Namen zu nennen. Vielleicht wäre er dann im Nu weg von Fenster, in der Isar, an ein Beton-Cello gekettet. DLD, das ist ein deutsch-israelischer Spaß, den sich zwei alte Männer leisten, der Verleger Hubert Burda und Yossi Vardi, der Vater von Arik Vardi. Dieser programmierte den Instant Messanger ICQ, den sein Vater 1998 erfolgreich an AOL verscherbelte. Wer die spezielle Sorte DLD-Spaß nächtens erleben will, sei auf dieses Video verwiesen.

*** DLD startete im Mai 2000 unter dem Titel Cool People in the Hot Desert punktgenau zur Feier des 35. Jahrestages der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Deutschland und Israel. Die von Burda und Vardi konzipierte Veranstaltung sollte eine Mischung aus Präsentationen deutscher wie israelischer Startups sein, komplettiert von einer philosophisch-wissenschaftlichen Konferenz und einem politischen Treffen, das Shimon Peres und sein Peace Technology Fund finanzierte. Schon zum Start gab es Probleme: Wizapp, ein Startup ultra-orthodoxerJuden, an dem Yossi Vardi beteiligt war, verweigerte den Auftritt mit Deutschen, Hi-Tek-Engineering aus dem palästinensichen Ramallah, ein Startup mit Siemens als Investor, wurde als Sicherheitsrisiko ausgeladen. Insgesamt präsentierten 30 Startups, von denen heute offenar noch drei im ursprünglichen Sinne existieren: JustBooks, Desaster und Browzear. Eingeschränkt könnte man noch Ciao nennen, obwohl längst nicht mehr Opinion Community.

*** Fünf Jahre lang wollten Burda und Vardi die Cool People-Konferenz in Israel durchführen und die richtige Mischung aus Startup/Investoren-Laufsteg und Philosophie finden. Doch schon in der letzten Nacht, als Burda und Vardi als Sheiks verkleidet in einem Wüstenlager zu dieser Musik von Shlomo Gromich und des Sheba Choir tanzten, war Schluss. In dieser Nacht lieferten sich Palästinenser und Israelis in Ramallah ein heftiges Gefecht zum 52. Jahrestag der Naqba. Das war das Vorgeplänkel zur Zweiten Intifada. Wir wurden unter verschärften Sicherheitsmaßnahmen zum Flughafen gebracht. Die nächste Konferenz war folgerichtig eine der ersten zum Thema Cyberwar zwischen Israel und Palästina.

*** Die deutsch-israelische Verständigung, getragen von Startups wie Investoren, ist nur noch auf der "hidden agenda" der DLD zu finden. Man findet sie noch, wenn die Startups-Investments der Gründer wie Fring (Vardi) oder Semantinet (Burda) ihren Auftritt haben, doch viel ist nicht mehr geblieben. Jahr für Jahr bevölkern die immergleichen Redner und/oder Moderatoren wie Marissa Meyer, Martin Varsavsky oder Jeff Jarvis, die meistens aus jüdischen Familien stammen, die Podien. Wenn es Ausnahmen gab, wie in diesem Jahr der furiose Auftritt von Nassim Taleb, dann hörten die netzwerkenden Gäste nur noch hin, weil gleich danach der jüdische Bengel Mark Zuckerberg Wunderzahlen aus seinem wunderbaren Facebook präsentiert. Talims Forderungen, gesprochen im Tagungszentrum der Hypovereinsbank, die gesamte Banking-Kamarilla zu feuern, wurde von den Entreprenören nicht begriffen. Die Krise ist noch lange nicht vorbei. Ebensowenig begriff der mit Handschuhen behandelte Mark Zuckerberg, was es mit der Privatsphäre auf sich hat, um die sich Europa so kümmert. Das begriff aber auch der fragende Journalist nicht, der ganz zufällig ein Buch über Facebook schreibt. Schließlich gibt es viel geilere Sachen, etwa wie aus der Datenmasse der Facebook-Nutzer ein Barometer des Befindens zu destillieren. Wer einen schlechten Tag erwischt hat, bekommt dann "Happy News" vom Cello-Hoden zur Aufmunterung. In welcher Stimmung diese Nachricht über die negative "Legal- und Sozialprognose" eines bekannten Anwalts erheitern kann, überlasse ich den Lesern dieser Wochenschau.

*** Die heißeste Nachricht des DLD produzierte übrigens Mike Arrington, wie Robert Basic ein ausgebrannter Blogger, der sein Techcrunch verhökern will und nach der DLD-Buschtrommel nur schlechte Angebote bekam. Auf dem Podium glänzte er mit Sottisen gegen Journalisten, bei der Abfahrt ins Hotel wurde er nach eigener Darstellung bespuckt. Das Kuriose an der Tat: Obwohl beim DLD jeder laufend über jeden twitterte, das Bankgebäude von Sicherheitskräften umstellt und von Videokameras überwacht wird, hat niemand sonst den Angriff auf Arrington gesehen. Traditionell gilt in der Branche die Torte als Protestmittel, oder auch das Ei, wenn der Geek keine Torte gebacken kriegt. Aber Spucke kann sich jedes Startup leisten. Wie ein Schuh draus wird (den man nicht werfen soll), demonstrierten prompt die einschlägigen Kommentatoren, die sich anschleimen und jedes harte Wort bitterlich bereuen.

*** Eine Konferenz weiter, in Davos, auf einer Veranstaltung, die von einem Tross größenwahnsinniger Manager produziert wird, wollte der Moderator David Ignatius unbedingt pünktlich beim Abendessen sein. Er provozierte damit den Türken Erdogan, der auf den Israeli Peres antworten wollte. Prompt katapultierte dies Davos in den Mittelpunkt der laufenden Auseinandersetzungen zwischen Palästinensern und Israelis. Seit der zweiten Intifada hat sich wenig verändert. Den Blödsinn von Davos I-tüpfelnd schaffte ein deutscher Journalist mit der Forderung nach Arbeitslosenorchestern. Das steht in einem Blatt, dass sich schon mal über die Berechnung von Kindern in Hartz-IV-Familien mit der Bemerkung mokiert, ob denn die Kleinen Instrumente bräuchten.

Was wird.

Selten verweise ich auf tagesaktuelle Sachen, doch der Tatort "Kassensturz" heute abend darf die Ausnahme sein. Er wurde produziert, als die Überwachung von Mitarbeitern bei Lidl bekannt wurde. Szenen mussten noch einmal gedreht werden, weil die Wirklichkeit dem Film voraus war. Dazu genieße man einen Wein und die Jahresbilanz (PDF-Datei) des Bundesarbeitsgerichtes. Hier findet sich nicht nur viel Erhellendes zum Fall Lidl, sondern auch zu weiteren Fällen, die uns 2009 begleiten werden: Ob betriebliche E-Mail-Adressen, die Namen und Vornamen des Mitarbeiters enthalten gegen den Datenschutz verstoßen, soll höchstrichterlich entschieden werden. Also: Hal.Faber@heise.de geht gar nicht, während Bussibär@heise.de ausreichend die Person schützt.

Wie wäre es mit 20er@dfb.de? Schließlich lesen wir, dass ein gestandener Funktionär für die UEFA kandidiert. Wer international reüssieren will,muss sich modern zeigen und so lesen wir ergänzend, dass der DFB für die Zukunft sich die Voraussetzungen geschaffen hat, um sich im Internet besser währen zu können. Wer jetzt die große Freistoßmauer gegen freie Meinungen über Demagogen und Demeleen erwartet, muss enttäuscht werden. Ganz schlicht sagt die Pressestelle, dass man im Internet Blogs und Diskussionsplattformen einrichten will. Ob auf ihnen die Kritiker plattgemacht werden, überlasse man den guten Deutschen, denn bekanntlich ist Fußball ein Volkssport. Und wenn es Verletzte gibt, dann kommen sie in eine schicke Datenbank. Wenn Deutschland gegen Norwegen antritt, wird offiziell die "Fußballdatenbank Nationalmannschaften" ans Netz gehen. Wen der Name verwirrt: Das ist eine zentral geführte Gesundheitsakte aller Leistungskicker, auf die die vernetzten Trainer, Ärzte, Physiotherapeuten und Betreuer zugreifen können. Vom erlaubten Dope bis zum verrenkten Knorpel wird sie alles enthalten, was die Kickerkörper unserer Besten plagt. Auch die Balltreter sollen zugreifen können, natürlich nur, wenn Gesundheitskarte und Heilberufsausweis gesteckt sind. Und alles ist so sicher wie ein Sieg gegen Norwegen.

Zum guten Schluss sei noch der Hinweis erlaubt, dass am Donnerstag der Freitag beginnt, im Journalismus mit Pass und Doppelpass zu experimentieren, wie Heise-Forums-Liebhaber das von ihrem Lieblingstreff im Internet her kennen. Das seit vielen Jahren geschätzte Blatt versucht so, die Auflage ohne Meldungen vom Cello-Hoden zu erhöhen. Die Blogwerker von der aasigen Medienlese meinen ja, wir hätten's nötig – und geben allen Lesern Tipps, warum dieser kleine Nachrichtenticker so erfolgreich ist.

Quelle : http://www.heise.de/newsticker/Was-war-Was-wird--/meldung/126686
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 08 Februar, 2009, 01:14
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Regelmäßige Leser dieser kleinen Wochenschau wissen, dass der Verfasser ein Fan der norddeutschen Tiefebene ist, ebenso ein Fan des kleinen kostenbewussten Verlages, der in der pulsierenden Metropole der Niedersachsen zu Hause ist und informationstechnische Hilfsleistungen aller Art vertreibt. Auch die heutige Wochenschau ist ausnahmsweise eine Hilfsleistung. Blogger würden von einem Komm-Befehl sprechen: Wanderer, komm doch nach Hannover, komm doch zur CeBIT! Mach die CeBIT wieder grün wie das Forum zu einem vollendeten Betrüger.Noch ist diese CeBIT eine eigene Veranstaltung mit dem roten Logo späterer Jahre, doch wenn die IT-Schwindsucht weiterhin grassiert, wird man die Messe bald platzsparend in einem natürlich grünen ÜSTRA-Wagenzug unterbringen können, für den man ohnehin Eintritt bezahlen muss. Nehmen wir nur die Präsenz des CeBIT-Partners Kalifornien mit all seinen Erfinder-Garagen, Googleplexen und Siliziumtälern. Sie wird ausgesprochen mickrig ausfallen. 20 kleinere Firmen wird ein kleiner kalifornischer Gemeinschaftsstand beherbergen, ein Häuflein, das Conan der Barbar mit einem einzigen Schwerthau plattmachen würde.

*** Keine Panik. Noch haben wir ja Microsoft, das auf der CeBIT mit dem wirklich seltsamen Slogan Unternehmenserfolg ist Jedermanns Business antritt. Angeblich hat Bachmann Turner Overdrive mit Taking care of business die Anregung gegeben, passend zum Web 2.0: "And we're all self-employed. We love to work at nothing all day ..." Wie wahrer Unternehmenserfolg aussehen kann, weiß Microsoft natürlich: Die Microsoft-Zentrale in Redmond hat ganz offiziell die Firma Siemens in München mit "Beratungsleistungen für die Korruptionserkennung, -Behandlung und -Vermeidung" beauftragt. Der Vertrag soll im einstelligen Millionenbreich liegen, aber ausbaufähig sein. Eine Windows-Windows Situation gewissermaßen: Was Siemens an Schmiersummen zum Fenster rausgeworfen hat, kann es mit Beratungsleistungen wieder einnehmen. Leider können wir hier mit den Bayern nicht mithalten. In der norddeutschen Tiefebene kann man nicht einmal für schlechte Einführungen in Computerprogramme bestraft werden, die so schlecht waren, dass Hard- wie Software beschädigt wurden. Dafür haben wir für eine probate Beschäftigung für Jedermann, nämlich Islamisten ausgucken. Die Schweinezucht war schon immer ein bedeutsamer Exportfaktor bei uns in Niedersachsen.

*** Dafür können wir Deutschen endlich einmal locker den Finnen zeigen, wo der Bembel hängt. Eine Lex Nokia brauchen wir nicht, die Vorratsdatenspeicherung ist genau dafür da. Wie wäre es, wenn der größte Telefonbäcker mit seiner Zentrale nach Bochum zieht? Den mahnenden Kunstsee ums Gebäude, komplett mit einem symbolisch abgesoffenen Boot zahlt der anerkannte Firmenlenker, der reuige Blogwart und Blitzentschuldiger Hartmut Mehdorn, der nicht nur die Bahn, sondern auch die Vorratsdatenspeicherung privatisieren möchte. Was bitte, ist denn eigentlich so schlimm daran, etwas Data Mining mit den Daten von 220.000 Mitarbeitern zu machen? Das passiert mit den Daten der Bahncard-Besitzer auch fortlaufend: "Jedes Mittel ist uns recht, die Pünktlichkeit der Bahn zu steigern."

*** Es empfiehlt sich, die aktuelle Bahn-Blockade aus der Sicht des Bloggers Markus Beckedahl zu lesen. Nicht nur, weil er im Zuge der Auseinandersetzung fortan als Journalist geführt wird, eine juristische Einschätzung, die für viele Blogger wichtig sein kann. Auch die "Welle" an Reaktionen im Internet, komplett mit den Tröten, des Web 2.0 zeigt an, wie sehr das Internet die Öffentlichkeit verändert. Nun hat der David der deutschen Publizistik zugeschlagen und den neuen Freitag auf Papier und im Internet vorgestellt. Die erste Ausgabe ist mit "Klick den Kanzler" und dem Untertitel "Die Wähler müssen jetzt nur noch mit der Maus die Macht übernehmen" eine typische Flunkerei des Web 2.0, aber die Richtung ist klar und erfreulich, komplett mit einer Mitmachkomponente, die aus Lesern Blogger machen soll. Möge das gewählte Modell auch kommerziell erfolgreich sein und David König werden. Zweifel gibt es natürlich, wenn gleich das erste Leser-Blog das Erlösmodell mit einem Hinweis in die Tonne tritt. Jajaja, so leidet auch der kleine Verlag in der norddeutschen Tiefebene darunter, dass 25 Prozent aller Besucher seiner Site mit eingeschaltetem Adblocker aufkreuzen und damit die Einnahmen empfindlich schmälern. Schließlich ist das hier ein echtes Tiefebenen-Angebot, ohne Interstitials, Pop-ups, es gibt keine überdeckende Werbung und ähnlichen Scheiß. Dezente Werbung eben, doch steigt die Zahl der Blocker an. Die Welt ist ungerecht.

*** Leb wohl, leb wohl Poet
Eh noch der Condor an Ketten geht
reißt er sich das Bein mit den Ketten raus,
schwingt sich in den Himmel und blutet aus.

Pablo Neruda starb zwar an Krebs, doch mit So starb auch Neruda hat Kurt Demmler etwas von seinem Abschied vorweggenommen. Der große deutsche Volksdichter hat sich in einer Zelle erhängt. Etliche Male waren Demmlersongs in dieser Wochenschau ein Thema, weil er nicht von den Hetzern einer bekannten Boulevardzeitung zur Strecke gebracht werden wollte, weil er nicht über die ihm vorgeworfenen Missbrauchshandlungen aussagen wollte. Früher war das alles kein Thema, auch seine Vorlieben für jüngere Mädchen, die bereits bekannt waren, als es noch die DDR gab. Showbusinessklatsch halt. Wie es um ihn stand, hat er zuletzte einem Blogger geschrieben. Jetzt wird der Mann, dem wir die Anti-Stasi-Hymne "Irgendeiner ist immer dabei" verdanken, von den gängigen Berufsverurteilern abgewatscht, von Psychologen und anderen Glückskartenlesern zum Monster verzerrt, in der ****-Zeitung zur Strecke gebracht, während sie sich vorher niemals um die Diagnose scherte, dass dem manisch-depressiven Künstler auch mit einer Therapie geholfen werden muss. Wer denkt noch an das wunderbare Lied, das er Maria sang? Oder an den Blues von der letzten Gelegenheit, mit der er das ewige Thema vom Eingesperrtsein in diesem unseren Land so verpackte, dass alle die Nachricht kapierten, die hören konnten und nicht verblödet waren. Und eingesperrt waren alle, auch der Westen, mit dem mächtigen Klotz namens DDR am Bein.

Warum lässt du den fliegen
vielleicht die letzte Gelegenheit,
Aber ich fing ihn nicht.
"Mutter", sag ich, "eben darum,
weil er jung ist und so schön.
Soll er fliegen weit in die Welt,
dass kein Ring ihn drückt oder hält!"
Darum fang ich ihn nicht.

Was wird.

Ich werde mich damit abfinden müssen, dass der eine oder andere nicht die CeBIT, nicht Hannover, nicht diese kleine Wochenschau, aber Werbung zum Kotzen findet. Zum Glück gibt es noch für alle Alternativen, etwa den Kauf von Blättern aus dem erwähnten kleinen Verlag oder die Wahl spezieller Feeds. Schwierig ist nur, eine Alternative für das wunderbare Hannover zu finden. Wie wäre es mit Berlin? Da gibt es viele interessante Veranstaltungen gleich nächste Woche, etwa eine Anhörung zu Internet-Filtern und einen kuscheligen europäischen Polizeikongress, der Grundzüge einer europäischen Sicherheitsarchitektur festklopfen soll. Schließlich hat der Deutschmarrokaner Bekkay Harrach wüste Bedrohungen in einem Video ausgestoßen und "Überraschungspakete für die Besatzungsmacht in Afghanistan" angekündigt. Zur Bundestagswahl soll der Abzug der Bundeswehr aus dem Land in die öffentliche Debatte gesprengt werden. Ob auch diesmal wieder die Sprengzünder von einem Geheimdienstmann kommen?

Bekanntlich bereitet sich Berlin langfristig nicht nur mit einem Problembär auf die Leichtathletik-WM vor, sondern auch auf das Jubiläumsfest des Grundgesetzes vom 22. bis 24. Mai. Mittendrin, am 23., die Wahl des Bundespräsidenten. Was es sonst noch gibt? Zu den Feierlichkeiten gehört ein Boulevard der Marken mit Nivea und Erdal und, als Höhepunkt, ein Car-Walk, vulgo die "Parade von Deutschlands schönsten Autos". So zeigt die Hauptstadtpolitik, was sie vom Grundgesetz hält: nichts. Das gilt ohnehin nur noch in Karlsruhe. Messetechnisch finde ich freilich nur die Tattoo Convention. Vielleicht ist doch die CeBIT die bessere Wahl? Hat schließlich eine Webciety und den seltsamen Slogan "Internet is coming Home". Ha! Home! Ein Lied, zwo, drei vier: Sweet Home Hannover, Where the skies are so blue. Sweet Home Hannover, Lord, I'm coming home to you.

Quelle : www.heise.de
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 15 Februar, 2009, 03:19
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Man muss Charles Darwin zugutehalten, dass er nicht versuchte, den Menschen zu ergründeln. Ihm reichte der Gedanke, dass Mensch und Affe gemeinsame Vorfahren haben könnten und der Ur-Mensch irgendwo in Afrika begann, seinen Verstand zu entwickeln. Sein 200. Geburtstag ist in eine Zeit gefallen, in der der Mensch seinen Verstand verliert und selbst die Trolle schon mal bessere Tage hatten. Was den Menschen ausmacht, haben viele nach Darwin zu bestimmen versucht. Halten wir uns an den Philosophen Kenneth Burke, der vom großen Menschenmeister Shakespeare beflügelt befand:

Being bodies that learn language
thereby becoming wordlings
humans are
the symbol-making, symbol-using, symbol-misusing animal
inventor of the negative
separated from our natural condition
by instruments of our own making
goaded by the spirit of hierarchy
acquiring foreknowledge of death
and rotten with perfection.

Komplett mit einem Webinar ist dies eine hübsch pathetische Definition des Menschen. Als Körper, die Sprache lernen, damit zu Wortlingen werdend, sind Menschen keine Werkzeug nutzenden Tiere, sondern elende Wortdrechsler und Smybolverschieber, Erfinder des Negativen, mit Worten verrottend in Perfektion. Mit Worten die Gräben ziehend, trennend in Überlinge und Unterlinge, denen das Maul gestopft gehört, dass sie nicht aufbegehren sonder sich committen zu Concentrate, Integrate, Innovate. Ja, so heißt es bei Burda und Booz Company, wenn die letzten Kotztütchen von Digital, Life, Design in München und Davos abgeräumt sind und die konvergente Zukunft angesagt ist, ohne jegliches Morgen. "Am Ende müssen Effizienz und Innovation zur DNA unseres Unternehmens werden, wenn wir in der digitalisierten und globalisierten Welt erfolgreich sein wollen." Wer solch einen Mist über einen Change Prozess und den Beraterquatsch vom Unternehmens-DNA schreiben kann, dem sollte man Schnuller und Rassel bereit legen, aber nicht die Leitung eines Unternehmens geben, das vor allem mit Sprache, gedruckt wie digital verschickt, sein Geld verdient.

*** Dieses Geplappere, das in der IT-Szene verharmlosend Bullshit-Bingo genannt wird, hat ernste Hintergründe, zumal in einer Branche, die durch und durch verlogen ist und mit dieser Verlogenheit in die Gesellschaft ausstrahlt. Nehmen wir nur die verlogene Bezeichnung Sperrmaßnahmen für die Einführung der Internet-Zensur in Deutschland, komplett mit einem kuriosen Vertrag, mit dem das Bundeskriminalamt als oberste Zensurbehörde auftritt. Das ist eine Konstruktion, die Juristen komisch finden, während Techniker sich über den hübschen Verschreiber "vollqualifizierte Domainnamen" amüsieren, die Wildcards nicht berücksichtigen. Das Beispiel Matti Nikki hat gezeigt, wie Kritiker der Sperrlisten schnell auf eben diese Sperrlisten kommen. Meinungszensur ist immer die Freiheit des Sperrenden, müsste man an die Große Mauer von der Leyens tackern und sich nebenbei die acht großen Internetprovider merken, deren Allgemeine Geschäftsbedingungen so geändert werden, dass der Dienst aufgekündigt werden kann.

*** Hoppla, ich habe die deutsche Wikipedia verlinkt. Und die nennt mir nicht die acht Nazghuls, sondern 23 Provider, was schon von der Zahl her schwer verdächtig ist. Die freie Web-Enzyklopädie hat Probleme mit Wilhelm und Walter. Wilhelm tauchte auf, als der Cousin von Florian Oscar Henckel von Donnersmark, Karl-Theodor zu Guttenberg, unser Wirtschaftsminister wurde. Weil diese Evokation vielen Journalisten gefiel, machte der Wilhelm die Runde, während alle übrigen Politiker ihre Namen prüften. Genasführt wurde offenbar unser Außenminister Frank Steinmeier, dem irgendein Witzbold ex incuria zu einem Frank-Walter machte. Die ganze Debatte um Wilhelm, Walter und die Wikepedia wird nun von Wortlingen geführt, die das Prinzip der Wikipedia nicht verstanden haben und ziemlichen Unsinn schreiben. Wie heißt es noch korrekt: Die Nachprüfbarkeit, nicht die Wahrheit ist oberstes Prinzip des freien Wissens. Fragt sich jetzt nur, wo sich denn die Wahrheit immer versteckt, wenn sie nicht nachprüfbar ist.

*** Also bleiben wir lieber bei der Wahrheit. Der kleine Wochenbericht von den Problemen der Wortlinge wird am Valentinstag geschrieben, bekannnt als Tag des Blumenhandels und der dummen Schwüre. Vor 20 Jahren wurde der britische Schriftsteller Salman Rushdie, seine Verleger und Übersetzer von dem schiitischen Ajatollah Khomeiny zu madhur ad-dam erklärt, weil sein Buch "Die satanischen Verse" angeblich den Islam verletze. Wörtlich sind das jene, deren Blut vergossen werden muss, weil sie Worte verbreiteten, in denen vom Nebeneinander islamischer und westlicher Kulturen die Rede ist. Gedenken wir der Opfer dieser Fatwa, die ihren Mut mit dem Leben bezahlten. Hitoshi Igarashi, der japanische, und Aziz Nazin, der türkische Übersetzer, starben, der italienische Übersetzer Ettore Capriolo und der Norweger William Nygaard überlebten schwer verletzt. Zu denken ist auch an den Verlag Artikel 19, der die "Satanischen Verse" in Deutschland herausbrachte, weil kein deutscher Verlag den Mut hatte, das Buch zu publizieren. Dann wäre da noch die tageszeitung, die als einzige das erste Kapitel des Romans abdruckte, während die anderen Blätter der Republik in letzter Minute einen Rückzieher von der abgesprochenen Protestaktion machten, angeblich aus urheberrechtlichen Gründen. Zur bitteren Ironie der Geschichte gehört, dass Salman Rushdie im Auftrag von Margaret Thatcher beschützt wurde, während Iqbal Sacranie, später Leiter des Muslim Council of Britain verkündete, dass Rushdie mit dem Tod noch zu glimpflich davon komme. Unter der Labour-Regierung wurde er für den Verdienst um den "interreligiösen Dialog" zum Ritter geschlagen. Und als Lehre für heute kann man die Geschichte von Hossein Derakhshan lesen, der immerhin noch lebt. Da mag man zumindest Henryk M. Broders Ausspruch von der "Überlegenheit der westlichen Zivilisation" nicht nur für arrogant halten, im Gegenteil.

Was wird.

Zu den bitteren Erkenntnissen dieser Woche gehörte die Einführung der Wissenschaft in den Fußball mit einem anschließenden Kick, der so grottenschlecht war, dass jede wissenschaftliche Erklärung ins Abseits lief. Zu den beruhigenden Erkenntnissen für die nächste Zukunft gehört darum für mich, dass ein wissenschaftlich ausgerichteter Dokumentarfilm über den Mythos Bielefeld angekündigt wurde, der im Geist der Aufklärung gedreht wird. Erinnert sei an das weiter oben erwähnte Kriterium Nachprüfbarkeit in der Wikipedia. Bielefeld gibt es bekanntlich nicht oder nur dann, wenn der Big Brother Award an Datenverbrutzler verliehen wird. Doch das freie Wissen lässt sich nicht beirren: Gerd Schröder vom Verlag Artikel 19 machte hier sein Abitur. Für die Rolle des Erklärbären wurde bereits der renommierte Künstler Neo Dampf engagiert, der im Datenstrudel all der aberwitzigen "Fakten" über Bielefeld sicher einen klugen Kopf behält und zur Nachprüfbarkeit im Sinne von Friedrich Engels auffordert, den Pudding an die Wand zu nageln.

Mein Loblied auf Hannover in der letzten Wochenschau hat nichts genutzt. Auch der großartige Heise-Verlag wird wie Suhrkamp nach Berlin umziehen. Dort werden alle deutschen Verlage nach Vorbild der Bad Bank in einem Unternehmen Bad Paper zusammengefasst. Die Abwrackprämie für Kultur diktiert dazu die Rahmenbedingungen. Wie war das jetzt mit der Nachprüfbarkeit und der Wahrheit? Nun ja, nach der Abwrackprämie für Altautos, Telefone und Software ist es einfach nur logisch an der Zeit, dass es eine Kulturflatrate für das Abwracken gibt. Was ist schon der Sputnik-Schock gegen das ordentliche Abwracken in der Noosphäre. Freunden wir uns mit dem Mischmasch ab, den der neue Walser mit einem Dauertest von Windows 7 ergibt, gesprenkelt mit den Memoiren von Michael Glos der ein gutes Dutzend Rücktrittsschreiben ständig um sich herum hatte.

Ja, Festhalten und Beharren und Deutschland, das ist ja so old-fashioned wie eine Fehmarnbeltbrücke, die vom Bundesrat beschlossen wurde, damit wir schneller zum Urlaub in Haparanda sind. Als ich das erste Mal von dieser Brücke hörte, spielte Jimi Hendrix und es war ungelogen arschkalt. Ist letztlich nicht das Festhalten an einer Wochenschau abwrackbedürftig? Nein! Meine Generation steht für das Recycling! Und weil es Leser gab, die bei der Musik der letzten Woche protestierten, wiederhole ich mich heute, wie gewünscht mit Bachmann Turner Overdrive und der richtigen Version von Takin' Care of Business. Wer mitzählt: 1234567890 ist ja ganz nett. Die Darstellung im Dezimalsystem ist eine von unendlich vielen Möglichkeiten, doch was sind wir schon, wir Wortlinge mit dem verfaulten Zwang zur Perfektion?

Quelle : www.heise.de
Titel: Re: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 22 Februar, 2009, 00:07
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** "Manche Schriftsteller schreiben nur ab und zu, vor allem ab." (Heinz Erhardt, von 1919-1924 Hannoveraner)

*** Wanderer, reist du zur CeBIT an und kommst ins schöne Hannover, so reist du in eine vom Terror gefährdete Stadt. Denn hier lebt ein Innenminister namens Uwe Schünemann, der davon überzeugt ist, dass 30 bis 40 Islamisten in Terrorcamps bereit stehen, die niedersächsischen Tiefebene zu löchern. Darum ist der Innenminister seit Wochen dabei und wirbt für ein "Gesetz zur Verfolgung der Vorbereitung von schweren staatsgefährdenden Gewalttaten", auch als Terrorcamp-Gesetz bekannt. Wie ein kundiger Kommentator feststellte, ist dieses Label der zweitgrößte Blödsinn der aktuellen wahlfeilen Terrorhysterie. Jegliche Unterweisung im Umgang mit gefährlichen Stoffen soll pönalisiert werden, wie in der PDF-Datei zu lesen ist. Als gefährliche Stoffe können schon die künstlichen Aromen gelten, die Schünemann in seiner Zeit vor der politischen Karriere verkaufte – all das Zeug, dass uns Erdbeer-Aroma in einem Joghurt schmecken lässt, der Beeren nur in homöopathischen Dosen enthält. "Erfasst werden soll zum Beispiel die vielfach ohne konkreten Tatbezug erfolgende Verbreitung von Bombenbauanleitungen und so genannten 'Kochbüchern' zur Planung terroristischer Anschläge über das Internet. Auch das Sich-Verschaffen von solchen Schriften z.B. durch Herunterladen aus dem Internet wird unter Strafe gestellt, wenn es zur Vorbereitung einer solchen Gewalttat erfolgt."

*** Aus Kalifornien kommt vielleicht Herr Schwarzenegger nach Hannover, um im Film Mama, ich habe die CeBIT geschrumpft aufzutreten. Ganz sicher sind aber die Kalifornier von Hewlett-Packard dabei, die mit einem Terror-Video für Verstörung in der IT-Szene sorgen. So ungrün wurden Rechner lange nicht mehr entsorgt. Vielleicht werden aber auch die Leute von Go Grid aus dem kalifornischen San Francisco dabei sein und zeigen, wie Server zu Clouds werden. Wäre das Terrorcamp-Gesetz beschlossen, könnten diese Herren direkt verhaftet werden, ehe die Tiefebene einen Kratzer bekommt: Sie geben ja zu, sich Anleitungen aus dem Netz besorgt zu haben.

*** "Über Politiker lache ich mich schief, eckig und krumm, was übrigens ein guter Name für eine Baufirma ist." (Groucho Marx)

*** Wie schlimm es um die Demokratie steht, zeigen die Bemühungen der Politiker, die Daten terroristischer Kinder ab 12 Jahren zu erfassen, wenn die Rotzbengel rotten.com oder 4chan.org heimsuchen. Denn was ist das Ergründeln solcher Sites anderes als die Vorbereitung auf ein Leben in Terrorcamps? Während diese Wochenschau verbytet wird, läuft im Radio ein Gespräch mit dem Staatssekretär des Innenministeriums und ehemaligen Geheimdienstmann August Hanning, der die Speicherung dieser Daten verteidigt: "Will man mehr Sicherheit? Oder will man hier bewusst weiße Flecken lassen und im Sinne der Political Correctness und im Sinne des Datenschutzes entscheiden?" Die Formulierung lässt aufhorchen, nicht nur, weil 12- bis 14-Jährige kriminalisiert werden, sondern auch, weil der Datenschutz hier mit dem Terrorismus gekoppelt wird. Schmieriger geht es kaum noch. Das kaputte Weltbild der Sicherheitsexperten hat seine eigene Logik: Noch vor der Sommerpause soll das Verfassungsschutzgesetz geändert werden, damit Kinder erfasst werden können. Beim Datenschutz für Arbeitnehmer hat man dagegen Zeit bis zum nächsten Regieren. Du darfst kein Kind sein in dieser Welt, könnte man mit den Prinzen trällern.

*** "Die Redaktion wollte mit dem Konzept dieser Geburtstagsgala die nachhaltige Wirkung darstellen, die Heinz Erhardt bis heute auf den deutschen Fernsehhumor hat. Aus diesem Grund erhielt eine Vielzahl der derzeit populärsten TV-Humoristen die Gelegenheit, ihre Verbundenheit mit Heinz Erhardt auszudrücken. So konnte auch jüngeren Zuschauern die außerordentliche Bedeutung des längst verstorbenen Jubilars vermittelt werden." (Presseerklärung zur niveaulosesten Sendung seit Gründung des öffentlich-rechtlichen Fernsehens.) Ich möchte es so formulieren: Wenn jedes Wort mit G anfängt und ein verbohrter Doofmann in der Senderegie siebtklassige Knallschargen dazwischen mischen darf, ist die GEZ-Gebühr ein Latrinen-Groschen.

*** Zur Empörung einiger Leser des kleinen Nachrichtentickers hat selbiger nicht Heinz Ehrhardt gewürdigt, sondern das Jubiläum des futuristischen Manifests. Dafür gibt es gute Gründe, wie die prompt auftauchende Diskussion über elektrische Puppen und Computerliebe zeigte. Nachzutragen wäre das akustische Manifest, das als Anzeige in einigen deutschen Tageszeitungen und in eben jenem Figaro erschien, in dem auch das futuristische Manifest abgedruckt wurde: "Befreit den Menschen aus der Sklaverei kapitalistischer Bewegungsideologie!" Ich würde nicht so weit gehen wie die Verfasser des neuen Manifestes, die in der Anbetung des Lärms durch die Futuristen den geistigen Nährboden des Faschismus erblicken. Aber das "Irrenhaus der Akustik", in dem wir leben, ist ja nicht nur im Karneval zu hören: Wenn unser Körper ein Schlachtfeld ist, dann sind wir es, die ihn mit akustischen Gadgets eigenhandy umbringen.

*** TaTaa, TaTaa, TaTaa: Karneval ist eigentlich keine Tradition, die im schönen Hannover zu Hause ist. Hier gibt es nur das größte Schützenfest der Welt. Aber weil heuer alles so globalisiert ist, gibt es auch in Hannover einen kleinen Umzug und einen großen Haufen Besoffene. Norddeutsche verstehen die Prinzenkultur nicht und schütten sich einfach nur zu. Es ist wie mit der Kultur des Adels, die mit unserem neuen Wirtschaftsminister von der FAZ ganz vorzüglich beschleimt wird: "Wer sich über Jahrhunderte halten und dann noch ein gewisses Vermögen vorweisen kann, versteht überdurchschnittlich viel von Wirtschaft." KoTau, KoTau, KoTau ... Bedenklich ist allerdings, dass der Karneval auch in den Hochburgen der Tollitäten zur Sauferei ausartet und eine wirklich lustige Debatte über Nacktscanner und Nonnen überlagert. In Hannover trottete der Karnevalszug am Samstag am Landtag vorbei, in dem die Ausstellung zum Auschwitz-Prozess einen etwas lieblos in die landtäglichen Wandelgänge gepressten Auftritt hat. Eine surreale Szene ergab sich nun beim Wandern durch die trotzdem sehenswerte Ausstellung, der Blick fiel vorbei an den Tafeln zur Historie der Judenvernichtung mit schaurigen Bildern von antisemitischen Parolen auf den Karnevalswagen im Deutschland Mitte der 30er-Jahre, der Blick fiel durch die großen Fenster der Wandelgänge, die die Sicht auf den vorbeiziehenden Karnevalszug freigaben. Eine Szene, vergleichbar der, die Dolf Sternberger schon einmal in Frankfurt erlebt hatte: "Am Römer regieren die Fastnachtsnarren, die bunten Garden ziehen auf, das Prinzenpaar lächelt, wir brauchen nichts mehr zu hören und zu lesen von den Selektionen an der Rampe, nichts von Zyklon B, nichts von tödlichen Herzinjektionen." Ja, wir sind ein glückliches Volk. Aber vielleicht haben wir auch nur mal wieder zu viel gesoffen. Von was auch immer.

Was wird.

Die CeBIT kommt und viele, viele kommen. Tickets gibt es ja zum Überfluss, etwa auf einer skurrilen Werbeseite, die ein Web-Flaneur hinterlassen hat. Dort fallen die "Content-Produzenten" von einem Entzücken ins nächste, während die üblichen Kommentatoren die Sache etwas nüchterner sehen oder schlicht mit den Prinzen befinden, dass Alles nur geklaut ist. Ein kleiner Blick zurück ist immer schick, zumal die Macher der Webciety jetzt schon aus dem Häuschen sind über die Chance zum prokrastinieren, twittern und Sixtus beschimpfen. Was war eigentlich vor 10 Jahren schwer angesagt, als das Internet auf der CeBIT ganz groß rauskam? Da gab es tolle Sachen. Eine ganze, große und sehr abgedunkelte Halle war den Avataren vom Cycosmos gewidmet, die sich IRL trafen. Das war schick und fesch, ganz anders als das Treffen der deutschen Compuservler vor 20 Jahren in einem Heidekaff weit außerhalb Hannovers. Die Uhren gingen eben einfach anders: Vor 10 Jahren war der Stand der Firma Swatch schwer umlagert, weil sie erstmals die Internet Time vorstellte. "In wenigen Jahren wird die Jugend ihre 'Dates' nur noch mit der Internet Time bestimmen und wie selbstverständlich die Stundenpläne in Schule und Studium so koordinieren, dass es jeder Internet-Partner verstehen kann." Tja.

Diesmal wird natürlich alles noch viel anderer. Nach Z wie Zorro und S wie Superman wird The H seinen Auftritt haben. H wie Heise, H wie Hilfe, H wie beinhart und H wie Hacken wird in H wie Hannover durch H wie Hallen streifen, im klassischen Look der Super-H wie Helden vom Planeten ^H. Im feschen Speedo-Ganzkörperanzug werden sich die heiseblauen Redakteure, von einem flammendroten Cape ummantelt, ins Getümmel stürzen und dabei die Zauberformel "tie eitsch" murmeln, die jeden PR-Fuzzi erstarren lässt und jedem Progger die Sourcen zum Überquellen bringt. Vergessen wir den langweiligen H-Index der Wissenschaftler und verneigen wir uns vor "The H". Ist nicht selbst Atlantis nichts anderes als der gescheiterte Versuch eines Bootes, ein ordentliches H auf dem Meeresgrund zu zeichnen? Wir H wie Hyperboreener lächeln weise leise.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 01 März, 2009, 00:17
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Du weißt, dass die Party namens CeBIT beginnt, wenn Nachrichten wie "Lernen Sie Arnis Vorhut kennen" in der Mailbox aufschlagen und sich dahinter ein Interview mit einem kalifornischen Staatssekretär verbirgt, der erklären will, warum Team California soo winzig ist. So wird sich in der nächsten Woche eine zarte Röte über den Heiseticker legen, bei all den Nachrichten von der so bedeutsamen Messe, auf der man sich zeigen muss, sofern man nicht zu kaputt ist. Die schwarzen Nachrichten mit den Todesanzeigen produzieren die Jubelposer von der Web 2.0-Fraktion, die Kalifornien bevorzugen. Ja, wir brauchen nicht nur Arnis Vorhut und Arni in echt, wie er bemerkelt die Stände von IBM, Datev, Microsoft und SAP abklappert und uns allen Hoffnung auf den Aufschwung macht. Wir brauchen auch Angelas Erklärungen von den richtigen Anschlüssen, die moderne Computer haben und die dringend irgendwo angestöpselt werden müssen. Sonst geht Deutschland unter, Hannover sowieso und die CeBIT wird zum Nullbit!

*** Das meint ja auch unser aller Wirtschaftsmatthäus Karl-Theodor Nixwilhelm zu Guttenberg mit seiner Parole Kräfte bündeln für Deutschlands Zukunft (schicke PDF-Datei), komplett mit dem ungemein glaubwürdigen Versprechen, dass in fünf Jahren 75 Prozent der deutschen Haushalte mindestens mit 50 MBit/s an das Internet angeschlossen sind. Vergessen wir Bad Bank, loben wir Broad Bands, die Segnungen der "Digitalen Dividende" von 790 bis 862 KHz und das neue "Breitbandkompetenzzentrum" (BBKZtr). Alles wird wieder gut, dank GAK. Dass die deutsche Breitbandinitiative beim Landwirtschaftsministerium unter Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes läuft, ist doch nur logisch. Wer Breitband auf dem Land haben will, braucht weder Dämme noch Dünger. Es ist zum Kaputtlachen, um es mal nach Microsoft-Denke zu benamsen, wenn auf der CeBIT besonders breite Bänder gepriesen werden.

*** Man kann es auch übertreiben: Gleich zwei  Meldungen beschäftigten sich in dieser Woche mit der sattsam bekannten Tatsache, dass Steve Jobs eine Auszeit genommen hat und entsprechend beim Aktionärstreffen von Apple fehlte. Kein Bericht gab dagegen es zur aparten Einschränkung der journalistischen Arbeit, weil Apple den Journalisten die Mitnahme von iPhones, Blackberries oder Laptops untersagt hatte. Damit wollte die innovative Firma eine Kommunikationsblockade errichten und die Kommunikation ganz in ihrem Sinne steuern. Das wurde offenbar klaglos hingenommen. Die Botschaft ist klar: Schickes Design und Meinungsfreiheit passen einfach nicht zusammen. Die eigentliche Machtfrage ist damit zwar noch nicht gestellt, aber eine Antwort in einer Journalistenzeitung gibt schon zu denken. Einem Artikel zufolge wurde ein Studentenstreik an der New York University schlicht dadurch gestoppt, dass die Universitätsleitung das Campus-WLAN ausschalten und den Strom in den Studentenräumen abstellen ließ. Hilflose Adepten des Internet-Zeitalters, die vielleicht nie in ihrem Leben eine Streikzeitung gesehen haben und nur den elektronisch vermittelten Protestzug kennen, stimmen bedenklich.

*** Umso schicklicher ist der erwartete Eilentscheid des Bundesverfassungsgerichtes ausgefallen, mit dem die bayerische Landesregierung wieder auf den Boden der freiheitlich demokratischen Grundordnung zurückgeholt wird. Die Anfertigung und Langzeitspeicherung von Übersichtsaufnahmen wie die Anmeldepflicht jedes Stammtisches ist verfassungswidrig, weil die garantierte Versammlungsfreiheit aufgehoben wird. Und so schreibt der derzeit beste Kommentator deutscher Politik in einem Kommentar: "Auch die Politiker außerhalb Bayerns sollten die Entscheidung sorgfältig lesen: Sie gilt auch für die Einschränkung anderer Kommunikationsgrundrechte, also etwa für das Fernmeldegeheimnis." Man fragt sich eigentlich, wie jemand überhaupt auf die Idee kommen konnte, damit vor dem Verfassungsgericht durchzukommen. Aber offensichtlich braucht dieses Land genau dieses Gericht sehr dringend, damit einige Politiker die Verfassung nicht einfach in der Luft zerreißen.

*** Damit sind wir wieder einmal bei der allseits beliebten Online-Durchsuchung angelangt und könnten nahtlos Herrn Ziercke unerwähnt lassen, der in einem Interview wieder einmal die Notwendigkeit betont hat, vor den Terroristen auf der Festplatte sein zu müssen. Ja, das könnten wir geflissentich ignorieren, wenn, ja wenn nicht die Kinderpornosperre in dem Gespräch aufgetaucht wäre. Sie taucht aber auf, komplett mit einer besonders aparten Definition des umstrittenen Stoppservers: "Ziel ist es, den Zugriff auf Seiten mit kinderpornographischem Inhalt zu erschweren und so die Nachfrage danach einzudämmen. Geplant ist unter anderem, in den Fällen, in denen eine geblockte kinderpornographische Seite angesurft wird, eine Stopp-Seite einzublenden. Auf diese Weise wird dem Nutzer das Gefühl vermittelt, er sei erkannt worden." Wird wirklich nur das "Gefühl vermittelt" oder ist der Einblendserver gar ein kleiner IP-Erkennedich-Server? Die Diskussion durch den Hinweis abblocken zu wollen, dass das bisschen Sperrtechnik in Großbritannien nur 40.000 Euro kostet, ist eine besonders lustige Art von Overblocking.

*** Also noch einmal die Online-Durchsuchung. Kernstück eines langen Artikels über die "Tyrannei der Publizität", den der Rechtsphilosoph Uwe Volkmann unter der Woche in der FAZ veröffentlichte (leider nicht online), ist ein Tagebuch, das ein mutmaßlicher Sexualmörder in der Haft schrieb, um mit sich selbst ins Reine zu kommen. Seine Notizen führten zur Verurteilung, weil das Beweisverbot von Richtern aufgehoben wurde. Seitdem, so Volkmann, ist die Rede vom "Kernbereich der persönlichen Lebensführung" eine Floskel. "Mit der grundsätzlichen Zulassung der Online-Durchsuchung, für die es gute sachliche Gründe geben mag, ist es mit der Illusion eines geheiligten Innenraums des Privaten endgültig und für jedermann sichtbar vorbei. Das ausgegebene Ziel, einen terroristischen Anschlag zu vereiteln, lässt sich, wenn überhaupt, einigermaßen sicher nur dann erreichen, wenn auch persönliche Dateien nicht von vornherein von der Sichtung der jeweiligen Computer-Festplatte ausgenommen sind, und es ist folgerichtig diese Sichtung, für die das Bundesverfassungsgericht das Tor geöffnet hat." Der Autor verabschiedet sich am Ende von der Fiktion der Privatsphäre mit der Anmerkung, dass die Berufung auf die Privatsphäre immer als Schutzbehauptung von Leuten kommt, die etwas zu verbergen hätten. Ein schicker Schluss, der jeden ins Zwielicht rückt, der sich altmodisch auf seine Privatsphäre beruft und sich im Internet bedeckt hält.

*** Wer hat da was zu verbergen, ist also eine Frage, die immer auf einen Täter zeigt. Wer hat da was zu verbergen, wenn Bundesinnenminister Schäuble in dieser Woche 30 Jahre alte Akten vor dem Zugriff durch Wissenschaftler mit der Bemerkung entzieht, die Akteneinsicht gefährde die innere Sicherheit Deutschlands. Die Tabu-Akten zeigen einmal mehr, dass in Deutschland Informationsfreiheit nur ein Wort ist und kein Bürgerrecht. Mit 50 Projekten ist der Bund auf der CeBIT dabei, 40 davon haben mit der inneren Sicherheit zu tun, der Rest zielt auf die effektive elektronische Verwaltung, E-Government genannt. Doch schon bei elektronische Personalausweis, der mit dem elektronischen KFZ-Schein gekoppelt ist, um das elektronische Anmelden des Autos mit elektronischen Nummernschildern zu vereinfachen, dräut die Frage nach den Terroristen und den übrigen ganz gewöhnlichen Kriminellen.

*** Nach Breitband und E-Government wird das Gerede über offene Standards und Open Source die CeBIT-Hallen füllen (Green IT lasse ich weg, es wird noch mal gelutscht, was letztes Jahr gekaut wurde). In diesem Sinne darf man sich darüber freuen, dass die notleidenden Wikileaks die Bearbeitung eines Strategiepapiers der europäischen Kommission zur Zukunft von Open Source veröffentlichten, vorgenommen durch die Association for Competitive Technology. Das ist ein Lobbyverband, der unter anderem von Oracle, Microsoft und eBay finanziert wird. Verbandspräsident Zuck leistet ordentliche Arbeit und schreibt Ruckzuck die gesamte Agenda um. Aus der schlichten Inhaltsangabe "Teil der Arbeitsergebnisse der Open Source Arbeitsgruppe" (To be provided as part of the OSS work group work and V2 of the EC document) wird:

"To be provided as part of the OSS work group work and V2 of the EC document, while noting that the increasing use of OSS within mainstream commercial offerings and mixed-source software and solutions makes a distinct treatment of or preferences for OSS more difficult to define."

Das gesamte Dokument ist ein einziger Vorbehalt gegen die Open Source geworden, führt dabei Mixed Source als Alternative ein und spricht sich am Ende dafür aus, die Arbeitsgruppe aufzulösen. Wer Lobbyarbeit mit Häppchen und schicken Reisen verbindet, sollte sich einmal anschauen, wie die harte Drecksarbeit, der Kampf um Worte in Wirklichkeit aussieht. Gülle ist auch nur ein Wort.

Was wird.

Die CeBIT kommt und viele nächtliche Leser dieser Kolumne müssen auf Hochtouren laufen, die Befüller des Nachrichtentickers sowieso. Da ist kein Platz für besinnliche Nachtgedanken, da ist selbst Glenn Gould lahm. Deshalb muss ich an dieser Stelle schnell noch eine Sache loswerden, die in dieser Woche schon hier und da, und sowieso da angesprochen wurde. Der reichste Sportverband der Welt will einen journalistischen Kritiker finanziell ruinieren und ihn damit loswerden. Das darf nicht sein. Wer auch einfach keine Zwanzig mehr ist, spende einen 20er gegen den unglaublichen Zwanziger. Zum Vergleich: Das ist etwa ein Hundertstel dessen, was die Richterin bei ihren "Best Practice Kündigungs"-Seminaren am Institut für Management verdient, die hauptberuflich kleine Leute noch kleiner macht, bis sie zerkrümelt sind.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 08 März, 2009, 00:11
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** We are prisoners in a fantasy world built of incompatible pieces and broken dreams; and this is called "technology", so nobody questions it. (Ted Nelson)

*** STÖHN!, Frauentag! STÖHN!, noch einen Tag CeBIT! KREISCH!, am Heise-Stand werden alle Rekorde gebrochen und Geeks wie Grrls zu abonnemontlüsternen LeserInnen. Ich begrüße mit diesem Link alle neue Abonnenten, die als Tickerleser den Sprung in die analoge Welt gewagt haben. Ein feiner Zug, auch wenn die Technologie, der wir anhängen, der komplette Irrsinn ist.

*** Gut, manche werden von der Messe geflohen sein wie der zur CeBIT als Covergator-Ambassador gekürte Marco Börries, nur nicht mit 300 km/h. Ja, die Sonne lacht zum Wochenende und die Welt kann so schön sein, wenn, ja wenn sich nicht auch die Sauertöpfe aus dem Mutterland des Sauerkrauts der Messe hingeben und so stumpfsinnig auf die IT gucken wie deutsche Popfans auf Kiki Dee:

When something gets in my way I go round it.
Don't let life get me down.
Gonna take life the way that I found it. (Kiki Dee / Tobias Boshell)

*** Vielleicht sollte man den messigen Beuteltieren die kuschelige Rundumbrille verpassen, damit sie wirklich nichts mitbekommen. Das Verständnis für die IT-Branche, die im Zeichen der Krise einen ganzen Schritt ernsthafter geworden ist, gewinnt man eh nicht durch das Tütensammeln und das Gucken auf die tollen E-Book-Reader, die PDF-Dateien und andere mehr proprietäre Formate anzeigen.

An Acrobat file is a data lump /.../ Adobe has convinced the world – even lawyers – that this typesetting lump is the most appropriate form in which to store and read documents – a remarkable context switch. (Ted Nelson)

*** Während der CeBIT ist es nicht falsch, ein Buch im Tornister zu haben, um in einem Päuschen lesend Abstand zu dem Zirkus finden zu können. Denn selbst ein überdrehter Gag-Schreiber kann sich nicht das ausdenken, was die IT-Szene so produziert. Nehmen wir nur Skyla, die Prosumer-Marke der Brennerbauer von Lite-On. Scilla soll sie ausgesprochen werden, wurde die Presse belehrt, weil das Wort in einer unbekannten Sprache die "Schönheit und Wärme des Frühlings" bezeichnet. Kulturtechnisch Behinderte werden eher Skylla assoziieren, eine ungemütliche Frau mit Hundeköpfen und -füßen. Ganz so falsch ist das nicht, bekamen doch Kollegen auf der Pressekonferenz einen digitalen Fotorahmen von Hewlett Packard (gefertigt von Lite-On) als Präsent und durften mit den Hunden heulen.

*** Im schönen Frühling der norddeutschen Tiefebene hatte ich 1989 als CeBIT-Lektüre "Who's Afraid of Big Blue" des damaligen Apple-Evangelisten Regis McKenna dabei, der den Aufstieg von Apple zum Weltkonzern prophezeihte. Ähem. Diesmal war Geeks bearing Gifts von Ted Nelson dabei. Und ich erwähne nun 1989, weil vor 20 Jahren im CeBIT-Märzen Tim Berners-Lee etwas Zeit über hatte, ein epochales Dokument zu schreiben. 260 Jahre, nachdem der anglo-irische Schriftsteller Jonathan Swift den Iren den bescheidenen Vorschlag machte, doch einfach ihre Kinder in Zeiten des Hungers zu essen, machte sich der Brite Berners-Lee daran, die Papierkultur zu pulverisieren. Er schrieb in jenen lustigen Märztagen Information Management. A Proposal, gewissermaßen den Urtext zum World Wide Web. Ende März las sein Chef Mike Sendall den Vorschlag und kommentierte ihn mit Vague, but exciting .... Das bringt uns zurück zu Ted Nelson, dessen Xanadu-Projekt in einer Fußnote von Berners-Lee als NEL67 referenziert wird. In seinem neuen Buch findet sich das bittere Urteil zum World Wide Web:

But its rough an beguiling simplicity pushes dozens of problems into the laps of users and creates a maintenance nightmare, resulting in the Content Management industry and millions of broken links. (Ted Nelson)

Das Web mag in den Augen eines solchen Vordenkers ein furchtbar platter Rückschritt gewesen sein, der uns in ein dunkles Zeitalter geworfen hat, in dem Ratten die Überreste verhungerter Genies wie Nathan Stubblefield fressen, der das Mobiltelefon erfunden haben soll. Logisch wird diese Erzählung damit fortgesetzt, dass Genies wie Douglas Engelbart mit seiner Maus und Ted Nelson mit der Zurück-Schaltfläche a.k.a. Back Button verkannt werden. Wir leben in einer Periode, in der die Ökonomie zusammenbricht, die Texte im Gefängnis proprietärer Formate stecken und der politische Wille von Technologien abhängig ist, die eine Handvoll Ingenieure verstehen und eifersüchtig schützen.

*** In dieser Hinsicht ist das Urteil zu den verfassungswidrigen Wahlmaschinen ein seltener Lichtblick, der die gesamte CeBIT überstrahlte: Baut Maschinen, baut Computer mit offen überprüfbarer Software, die transparent die Wahl begleiten und das Recht auf freie, gleiche und anonyme Wahlen sichern. Proprietärer Murks darf keine Chancen haben und das Prinzip der Öffentlichkeit der Wahl muss auch von der Technik abgebildet werden. Wer die Dauer-Debatte um die Wahlmaschinen kennt, darf noch einen anderen Aspekt des Urteils begrüßen: TINA ist tot! All die Argumente, dass es zu solchen Maschinen keine Alternative gäbe, sind hinfällig. Wenn die Technologie keine kontrollierbare Systeme schaffen kann, ist es besser, sie zu ignorieren.

The electronic voting machine is best understood as a video game programmed to look like a democratic input device. In the future we may never know the true vote count, just what some hidden technician tells these machines to report. (Ted Nelson)

*** In seinem Buch erinnert Ted Nelson übrigens daran, dass die berühmte Formel WYSIWYG – What you see is what you get – von Flip Wilson geprägt wurde, einem Komiker, der sich passend zum kämpferischen Frauentag in Frauenkleidern Geraldine nannte und auf Männerfang ging, komplett mit den plattesten Blondinenwitzen. Das, was man bekommt, ist genau das, was man im Transvestiten-Fummel gesehen hat – oder was man selbst hat sehen wollen. Das gilt auch für das CeBIT-Messethema schlechthin, das seit Donnerstag jedes Gespräch beherrschte: Jörg Tauss, der deutsche Internet-Politiker, der Kämpfer gegen 2500 und mehr Online-Durchsuchungen im Jahr, das Bollwerk gegen die lächerlichen Kinderporno-Sperren von der Leyens – ein Kinderporno-Konsument? In dem Fall gibt es Seltsamkeiten wie die Real-Time-Berichterstattung eines Hamburger Verlages, aber auch die Angaben der Staatsanwaltschaft, dass man einschlägiges Bildmaterial außerhalb von Rechnern und Computern gefunden habe. Sollte dieses Material wirklich zur Arbeit eines vielbeschäftigten Politikers gehören, müsste dieser, wie Journalisten auch, zumindest eine andere Instanz über seine Aktivitäten informieren und sich absichern. Es gehört zur berühmten Ironie der Geschichte, dass Jörg Tauss offenbar für die deutsche Ausgabe der öffentlichen Politiker-Profile vorgesehen war, mit denen Facebook sein Mantra vom Sharing & Caring verbreiten will. Wir kriegen, was wir sehen.

Was wird.

No one can argue: We must fight terrorism, child pornography, money laundering and drugs. These are the so-called "four horsemen of the Internet", and tend to put an end to any discussion of freedom or privacy. (Ted Nelson)

Die vier apokalyptischen Reiter jagen vorbei und immer quer durch die Nachrichten. Es gibt so viele Zwischentöne, die durch die dröhnenden Geräusche dieser Reiter-Themen kein Gehör finden. Jede Zensur-Bestrebung im Internet, die etwas auf sich hält, lässt einen oder zwei oder gleich alle Reiter auf die Kritiker los. Aus diesem Grunde sei auf den Welttag der Internet-Zensur verwiesen, den die Journalisten-Organisation ROG/RSF veranstaltet. Am Donnerstag wird darum eine Liste der "Feinde des Internet" veröffentlicht. Sie ist nichts für Knüller (die in Deutschland nur 6 Prozent ausmachen), aber auch nicht eine ganze Rolle (die in Deutschland 1000 Blatt enthalten kann). Beschissen genug ist es so oder so.

When something gets in my way I go round it.[br Don't let life get me down.
Gonna take life the way that I found it. anonymer Router

Quelle und Links : http://www.heise.de/newsticker/Was-war-Was-wird--/meldung/134174
Titel: Re: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 15 März, 2009, 06:33
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** I did it my way. Ja genau, aber wem jetzt gleich ol'blue eyes in die Gehörgänge kriecht, sollte nochmal kurz innehalten. Aus gar keinem gegebenen Anlass fängt diese Wochenschau mit Lester Bowie an, dessen Todestag sich diesen November leider schon zum zehnten Mal jährt, der als Mitgründer des Art Ensemble of Chicago und Gründer seiner eigenen Brass Fantasy einen wichtigen Beitrag zum modernen Great American Songbook leistete. Es darf genausowenig, wie die Musik Lester Bowies in der Versenkung verschwinden sollte, vergessen werden, dass dieses ewig wachsende und ewig sich verändernde Songbook viel früher als alle Anfänge in der Tin Pan Alley und auch immer danach von schwarzen Musikern gefüllt wurde.

*** Das mit dem eigenen Weg aber ist so eine Sache – es gibt oft viele Wege, und welcher der eigene ist, muss man sich oft zwischen vielen öffentlichen und privaten Dämonen suchen. Aber nun wird ja Frühling, da gibt es keine Dämonen mehr. Wird es wirklich Frühling? Ach, diese Gefühle, die man mit dieser Jahreszeit verbindet, sie wollen nicht so recht aufkommen. Es pladdert unaufhörlich, wenigstens ist es nicht mehr gar so kalt. In Wirklichkeit aber sind das alles Petitessen. Denn es ist ein Graus. Während die modernen Gaffer ganz souverän ihre sensationsgeilen Bedürfnisse befriedigen lassen, beerdigen derweil ihre Oberen das Grundgesetz und den Rechtsstaat als juristische Spitzfindigkeiten. Aber so ist das mit dem my way und den Dämonen: Da das Internet ja eh böse ist, braucht man nicht weiter nach den Ungeheuern suchen. Immerhin kündigen Amokläufer dort ihr Tun an, und Politiker verlustieren sich mit Kinderpornographie. Oder war das in Wirklichkeit alles ganz anders, das Posting ein Fake, der Chat gar kein Chat sondern ein Image-Board und der Politiker ein übereifriger Cybercrime-Jäger? Ach egal, Hauptsache, es gibt ein nettes Skandälchen. Da treffen sich die Holzmedien und die Zwitscherer in weit trauterer Eintracht, als sie das in der Öffentlichkeit gerne vorgeführt sehen. Und da faseln manche Leute doch glatt vom Ende des Gutenberg-Zeitalters.

*** Damit aber wären wir bei der dämlichsten Frage der Woche: "Sie meinen die Allgegenwärtigkeit von Pornographie?"
Die Antwort eines hochgeschätzten Künstlers: "Das sind die neuen Dämonen. Früher waren es die Raubtiere, dann die Nazis, heute ist es das Internet."
Die Raubtiere sind weg, selbst Wölfchen haben keine Chance bei uns. Und Nazis sind bei uns am Aussterben, weil sie Alkis sind und, hey, was ist denn schon dabei, wenn sich im Suff "das Menschenbild verrückt" und sie mal eben einen Menschen umbringen. Bleibt also das Internet. Eben. q.e.d.

*** Während die kleine Wochenschau in der norddeutschen Tiefebene entsteht, wird der Geburtstag des Ulmers Albert Einstein gefeiert. Nicht ganz so fett wie im Einstein-Jahr, aber immerhin. Vielfach kann man immer noch lesen, dass der Gott, der lächelte ein sehr mittelmäßiger Schüler gewesen sei, weil sein erster Biograph die vielen Sechsen auf einem Schweizer Matura-Zeugnis falsch interpretierte. In der schulischen Biographie des Mannes mit einer weltberühmten Zunge findet sich übrigens ein deutscher Lehrer, der sich von Einstein terrorisiert fühlte und den Rauswurf des Schülers betrieb. Nein, kein Counterstrike weit und breit: Einstein saß in der Klasse hinten und lächelte ständig. Dem Ausschluss wegen schulischer Unreife, bezeugt durch fortdauerndes Lächeln, kam Einstein zuvor und verließ die Schule. Eric Harris, der Schülermörder von Littleton trug unter seinem langen Mantel mitunter ein schwarzes T-Shirt mit Einsteins berühmter Geste als humanistisches Zugeständnis: Ihr könnt mich alle mal. Er hatte eine verständnisvolle Lehrerin. Eine von ihm geschriebene düstere Geschichte über die Hinrichtung von Mitschülern kommentierte sie: "Du hast einen besonderen Ansatz und deine Erzählung funktioniert auf eine grausige Weise – gute Details und guter Stimmungsaufbau." Nachzulesen im Buch: Ich bin voller Hass – und das liebe ich.

*** Mit seiner schulischen Intervention "Amokzahltag" hatte der Reutlinger Rapper Kaas weniger Glück als Einstein. In einer Talkshow schäumte der CDU-Innenpolitiker Udo Bosbach los, als ohne jeden Kommentar das Video zum Song gezeigt wurde: "Das ist gewaltverherrlichend, das ist schwer jugendgefährdend. So etwas gehört nicht ins Netz, leider lässt sich da aber aller Dreck dieser Erde finden. Die Politik darf davor nicht die Augen verschließen, damit so etwas nicht rund um den Globus geht." Das Video enthielt, wie man hier nachlesen kann, verschiedene Szenen aus dem preisgekrönten Diplom-Abschlussfilm "Amok" von Peter Lenkeit. Die Rap-Musik wie der Film reflektieren eine Situation, in der junge Leute die Schule nicht mehr aushalten und zur Waffe greifen, wenn sie zur Waffe greifen können. Da heißt es, dass jeder helfen kann, nur die nicht, die wegsehen.

*** All das interessierte die berufsmäßigen Kommentarwichsmaschinen (Max Goldt) der Sendung "Hart aber Fair" mit Frank Plasberg nicht. "Wenn – wie geschehen – 20 Sekunden des Videos unkommentiert und ohne einen Hinweis auf die Erklärungen zu Beginn im Fernsehen gezeigt werden, ist das irreführend und traurig. Offenbar haben sich die bekannten Stellen bereits auf die Suche nach den Sündenböcken gemacht, um das Unbegreifliche vordergründig begreiflich zu machen", bedauert Herr Kaas, gegen den inzwischen in Reutlingen eine Strafanzeige gestellt wurde. Kein Aufhebens gibt es für Frank Plasberg, dem erfahrenen Live-Berichterstatter des Gladbecker Geiseldramas, der "gar nichts unterstellte", als der besagte CDU-Innenpolitiker darüber lamentierte, was das wohl für Unsummen kosten würde, die psychologisch zu verstärken. "Milliarden werden an Banken gezahlt", soll Plasberg gesagt haben. Sein Gemurmel ist Schnitt von gestern.

*** Ja, in Winnenden, "das 27.000 Einwohner hat und ein paar Zerquetschte" (n-tv Orginalton), sind neun Schülerinnen, drei Lehrerinnen und ein Mitarbeiter eines psychiatrischen Zentrums erschossen worden. Und die Medien liefen auf Hochtouren, ganz im Sinne des Plasbergschen Spruches "Ich erwarte das von jungen Reportern, dass die mit Gluteifer rangehen und versuchen, das, was eben noch verantwortbar ist, zu beschaffen." Mit Gluteifer wurde getwittert und gegooglet, bei Focus zeitweise unter dem irrsinnigen Tag #Amoklauf. Nur recherchiert wurde nicht und der Verstand blieb ausgeschaltet: Diese Newfags von Schmalspur-Journalisten glaubten allen Ernstes der Krautchan-Quelle, was abseits der Lügnerei derPolizei kein gutes Bild auf die Vertrautheit mit dem Internet wirft, mal abgesehen davon, dass schon am Mordstag die lokale Community Kwick als virtueller Aufenthaltsort des Mörders bekannt war. Nun sitzen wieder einmal das Internet und die Computerspiele auf der Anklagebank. Aggressive Spiele müssen verschwinden, desgleichen wahrscheinlich Bondage-Fotos, weil der Mörder gefesselte Frauen geil fand. Noch geiler fand er allerdings Softair-Waffen, von denen er verbotenerweise 30 Stück besaß und den Unterricht mit der Berretta. Dass so eine Pistole einfach so im Haushalt herumliegen kann und 200 Schuss Munition (davon 133 verschossen) auch ein Problem sind, wird nicht diskutiert unter rechtschaffenen Leuten. Wer Waffen besitzt und seinem Sohn das Töten beibringt, ist – vor allem als gestandener Unternehmer – natürlich schuldlos. In Familien, in denen Drogenmissbrauch oder geistige Krankheiten auftreten, sind Waffen aber natürlich problematisch.

*** Die schlimmen Nachrichten aus dem Schwabenland überschatten viele wichtige Dinge in dieser Woche, die wenig Beachtung fanden. Nehmen wir nur die merkwürdigen Beteuerungen des SPD-Politikers Jörg Tauss, der nach der Fassung (PDF-Datei) auf seiner Homepage, dass er nach der BKA-Herbsttagung Ende November 2007 kein Vertrauen mehr in das BKA als Beratungsinstanz der Abgeordneten hatte und daher selbst in Sachen Kinderpornographie aktiv werden musste. Er nahm Kontakt mit "Werner" und "Sascha" auf, zahlte etwas Geld und verpackte danach das Material in einem Koffer, ohne Partei wie Strafverfolger davon in Kenntnis gesetzt zu haben, dass er mal Pater Brown spielen wollte. Ohne eine der beliebten Verschwörungstheorien muss man konstatieren, dass sich entweder der Politiker ausgesprochen dämlich verhalten hat oder aber der zeitliche Ablauf falsch dargestellt ist. Selbst wenn die Recherche unergiebig war und das BKA ein Haufen parteiischer Schnüffler, hätte der "Koffer" in die Hände beruflicher Ermittler übergeben werden müssen. So hilft die ganze Aktion eines "Netzpolitikers" nicht gerade, wenn der grottenschlechte Vorschlag nach einer Kinderporno-Sperre wieder aufgewärmt wird.

*** Wo bleibt das Positive? Natürlich kommt es aus den USA. Steve Wozniak, der Vater des legendären Apple II, zeigte allen ausgerechnet mit Bachmann Turner Overdrive, dass Geeks und Nerds wirklich tanzen können und allen bescheuerten Bewertungen zum Trotz Spass am Gerät haben. Noch großartiger freilich die Nachricht, dass Barbara Liskov den Turing Award 2008 gewonnen hat, als zweite Frau in der Geschichte des ehrwürdigen Preises. Die erste Frau, die in den USA (Stanford) den Doktor für Computer Science erworben und Betriebssysteme, Programmiersprachen und Datenbanken entwickelt hat, gehört zu den ganz großen Frauen in der Computergeschichte, die mit Ada Lovelace und Hedy Lamarr anfängt.

Was wird.

Derzeit läuft in Leipzig eine Buchmesse, die das E-Book und die Gefahren der Internetpiraterie schwerpunktmäßig behandelt, das Ganze hübsch um den Launsch von Sonys Bookman drapiert. Der Börsenverein des deutschen Buchhandels schwafelt vom organisierten Verbrechen des Diebstahls im Internet. Leider kann das Interview mit Michael Giesicke nicht verlinkt werden, in dem er das E-Book als unwesentliche Ergänzung des Computers abwinkt und etwas aus der Realität abseits der Killerpiele, Kinderpornos und Mordphantasien erzählt: "Das Leitmedium ist das Internet und die Datenbank. Niemand bringt einen einigermaßen guten BA-Abschluss zustande, der diese Medien nicht ausgiebig nutzt. Dagegen ist es möglich, wenn auch noch nicht üblich, dass man am Ende dieses Studiums kein einziges Buch vollständig gelesen hat, auch kein E-Book."

Zum Abschluss muss ein Buch/Theaterstück hierher, komplett mit dem verkorksten Satz vom "weiblichen Orwell der Gegenwart". Juli Zeh erzählt vom Mittelalter der Zukunft, mit Chip-Implantaten, die jeden Fehlstand beim Körpertraining speichern, der dann als Ordnungswidrigkeit gespeichert wird. Corpus Delicti, der Körper ist das Beweismittel für ungesundes Leben. Nun gut, bei uns geht es erst um die Einführung der elektronischen Gesundheitskarte, die immerhin so ungesund ist, dass sie Ärzte spaltet. Die Befürworter des Systems verweisen gerne auf fortschrittliche Projekte, etwa das dänische Sundhed-Netz, in dem die medizinischen Daten aller Dänen zentral gespeichert sind. In Zukunft kommen die Körper hinzu: IBM, das mit seinen Servern und Datenbanken das Sundheds-Netz betreibt, will dazu übergehen, den Dänen einen dreidimensionalen Körper im Internet zu verschaffen, durch den Ärzte leichter navigieren können, um am Avatar ihres Patienten alle relevanten Daten zu finden. Pech für den "weiblichen Orwell", dass die Zukunft nur noch einen Steinwurf entfernt ist. Es macht einfach keinen Spaß mehr, wenn die Dämonen schon Wirklichkeit sind, bevor man sie imaginiert.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 22 März, 2009, 00:12
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Es ist kalt am Frühlingsanfang, doch die Sonne lacht am blauen Himmel über der norddeutschen Tiefebene. Freundlich winken die Windräder am wolkenlosen Himmel, ein leises Lüftchen über den güllegetränkten Feldern erinnert an Bio-Viagra, nur echt mit dem gemeinen Erd-Burzeldorn. Ein feiner Zug im stillen Niedersachsen, wo selbst Amokläufe weitab von Twitter, Presse und den notorischen Kommentarwichsmaschinen stattfinden. Dennoch liegt ein Wölkchen über der Tiefebene, von dem ich freilich nur nach einem Disclaimer berichten kann: Ich gehörte zu der Gruppe von Eltern, die es 2007 ihren Kindern untersagt haben, an den Befragungen in der Schule teilzunehmen, die das wesentlich vom Land Niedersachsen finanzierte Kriminalistische Forschungsinstitut regelmäßig durchführt. Mittlerweile sind meine Kinder groß genug und können selbst entscheiden, ob sie sich von Töpfchentheoretikern befragen lassen wollen.

*** Womit ich bei einer Befragung bin, die als eStudie in dieser Woche vom Bundesinnenminister und dem Studienleiter vorgestellt wurde, "einen Perspektivwechsel in Politik und Gesellschaft im Interesse der Inneren Sicherheit einzuleiten". Wir müssen in unseren Kindern nationalistische Monster sehen, denn die Studie sagt es klipp und klar: 6,0 % der Jugendlichen sind sehr ausländerfeindlich, 17,6 % sind nur ausländerfeindlich, ganz ohne dabei rechtsextrem zu sein. Diesen 23,6 % stehen 14,2 % gegenüber, die rechtsextrem und ausländerfeindlich oder sehr ausländerfeindlich sind. Dazu gibt es ausgleichend nur 10,7 %, die zwar schwer rechtsextrem, aber überhaupt nicht ausländerfeindlich sind, gewissermaßen internationalistisch gesinnte Nazis, die gerne Lonsdale und Thor Steinar tragen. Und weiter geht es: Jeder 25. Neuntklässler hat bereits eine ausländerfeindliche Tat begangen, 4,9 % der Jungen und 2,6 % der Mädchen dieser Klassenstufe sind Mitglied in rechtsextremen Gruppen und Kameradschaften. Das wären 34.000 Jugendliche, während der Verfassungsschutz in ganz Deutschland überhaupt nur 31.000 organisierte Rechtsextremisten kennt. Aber der hat bekanntermaßen kein vollständiges Bild, weil mehr damit beschäftigt, Fernsehen zu gucken und im Hellfeld zu gründeln. Die wagemutigen Forscher machen sich hingegen auf, das Dunkelfeld zu ergründen.

*** Womit wir fast schon beim alten Thema sind. Wie wäre es mit einer Befragung über das Ausmaß der Feigheit deutscher Politiker in einem Wahljahr? Nachdem all das Betroffenheitsgerede gründlich der Getroffenen gedacht hat und auch die bösen, blöden Journalisten wieder einmal zu blöden, bösen Journalisten erklärt wurden, die gefälligst wie sofortig abdanken sollen, kann sich der übliche Trott einstellen. Natürlich leicht verbessert mit dem zeitsparenden Anmeldeformular für Amokläufe und einem Formular fürs geschmeidige Geldangebote an Zeugen, um die man um ein Haar betroffen trauern hätte müssen. Natürlich gibt es in Zukunft Steigerungen der Geschichte, besonders die Sache mit Twitter ist ausbaufähig.

*** Dagegen ist die allgemeine Journalistenschelte amüsant zu lesen und komplett sinnfrei, weil von einem Qualitätsjournalismus die Rede ist, den es schon zu Lebzeiten von Karl Kraus nicht gab. Man kann auch bis zum großen Journalisten Stendhal zurückgehen, der Journalismus als die Bereitschaft zum Dolchstoß definierte: "Qui s'excuse, s'accuse." Als ich mit dem Journalismus begann, überfielen junge Molukker in den Niederlanden einen Zug und wir mussten zur Reportage raus. Gegen Geld der Fotografen setzten die "Befreiungskämpfer" schon mal die Waffe auf die Geiseln an. Später gab es Tote und eine aufgeregte Diskussion über journalistische Ethik, die bis zum Geiseldrama in Gladbeck wieder versandete. Seitdem wird der Spagat, wie die Ware Nachricht Gewalt und Leid behandeln kann, etwas sensibler geführt. Amüsant bleibt dennoch die Empörung all derer, die bei einer Flugzeuglandung im Wasser das Getwitter rühmen, sich aber schwer über die Twitter-Recherche nach Winnenden beschweren und Michael Moore auch noch für einen ehrenwerten Journalisten halten. Noch amüsanter als die Beschuldigungen und die Töne der Leberwürste, dass jeder Journalist in diesem Land verrecken möge sind die Berufszombies der Journalistenverbände. In dieser kritischen Zeit haben sie nichts Besseres zu tun, als sich gegen die Datenschutznovelle zu stellen, weil der Journalismus ohne Adressen-Bewerbung nicht überleben kann. Ekliger geht es nicht, wie man im Treueschwur zu den Drückerkolonnen lesen kann: "Es könne nicht im Sinne eines notwendigen Datenschutzes sein, durch überzogene Bestimmungen qualifizierte Arbeitsplätze in den Verlagen zu vernichten." Ja, da ist er, der Qualitätsjournalismus, der den Verlegern die Eier krault und nichts mehr vom Datenschutz wissen will.

*** Was haben das Marienhaus, Microsoft Deutschland, die Rentenversicherung Braunschweig-Hannover und Weleda, Herstellervon anthroposophischen Wässerchen, gemeinsam? Die Umstellung auf den Internet Explorer 8? Den Unwillen, in der Wirtschaftskrise für ein schlappes Logo 500 Tacken mehr zu bezahlen? Oder mit Galileo den Glauben daran, dass das Internet 20 Jahre alt wurde und Sir Berners-Lee eine Niete, die mit einer Erfindung nicht reich werden konnte? "Microsoft-Gründer Bill Gates aber erkannte sofort die Möglichkeiten des neuen Mediums." Nichts von alledem. Die genannten Firmen installieren im Auftrag von Ursula von der Leyen die Software Logib-D. Logib ist eine Erfindung der Nachbarn auf der anderen Seite des Bodensees, in die unser Finanzminister mit "Peitsche und Kavallerie" einrücken möchte, um namenlose Nummernkonten zu befreien. Logib steht für "Lohngleichheitstest im Beschaffungswesen", ist ein Excel-Programm und kann minutenschnell nachweisen, dass Männer 22 bis 23 % mehr verdienen als Frauen in vergleichbaren Positionen. Was dann mit der Erkenntnis passiert, ist den Firmen überlassen, nicht den Frauen. Die Daten unterliegen der Geheimhaltung der Personaler. Wie formulierte es von der Leyen, in einem anderen Kontext: "Wir wissen, dass wir es mit einem großen Markt für Voyeure zu tun haben. Im Internet /.../ wird auch das Bedürfnis gestärkt, Fantasien in der Wirklichkeit ausleben zu wollen."

*** Ich erwähnte aus ungegebenem Anlass Lester Bowie. Das machte Freude. Daher: Aus ebenso ungegebenem Anlass seien zwei andere Trompeter erwähnt, ohne die das Great American Songbook im 21. Jahrhundert nicht das wäre, was es ist. Russell Gunn, der mit seiner Ethnomusicology-Serie einen der Protagonisten einer Verbindung von Jazz mit Hip-Hop und R&B gibt. Terence Blanchard, dessen Musik manch einer schon in diversen Spike-Lee-Filmen als Soundtrack gehört haben mag, der mit Flow eines der besten Alben eines Jazztrompeteres der letzten Jahre ablieferte und mit A Tale of God's Will den musikalischen Kommentar zur Zerstörung von New Orleans abgab. Bei all dem Scheiß, der passiert, und all dem Mist, den die Kommentarwichsmaschinen dazu absondern, glaubt man doch noch an das Gute in der Welt, wenn man dieser Musik zuhören kann.

Was wird.

Alles was hinkt, hinkt. Seitdem die Vewertungsgesellschaft VG Wort einen Brandbrief an alle deutschen Journalisten und Autoren verschickt hat, in dem vor Googles Buchvertrag gewarnt wird, schwappen die Wogen hoch. Bemerkenswert viele Kommentatoren bringen das Kunststück fertig, die Geschichte mit Google zu einem Brei zu verrühren, in dem Open Access, Googles Vorstoß bei vergriffenen Büchern und die Privatkopie zu einem großen Haufen Mist zusammengerührt wird. Vorläufiger Höhepunkt ist ein Artikel in der tageszeitung, der mit dem Satz endet: "Die Google-Piraterie und der 'Open-Access'-Schwindel sind gefährlicher als die Piraterie entlang der somalischen Küste." So, wie diese Piraterie die Versorgung des Westens mit Öl bedroht, ist offenbar die Freiheit des Autors bedroht, seine Texte zu verwerten. Die dümmliche Argumentation der taz werten Wohlwollende als vorgetrunkene Schnappsidee zum 30. Geburtstag des Blattes für bornierte Stände, solcher Leute eben, deren ökologisches und bürgerrechtliches Bewusstsein sich im Wahlkreuz bei den Grünen erschöpft, solcher Leute, die eben diese Grünen zu einer FDP für Besseresser gemacht haben. Auf gleicher Höhe wie die taz bewegen sich die Auslassungen der FAZ, wenn diese blanken Unsinn schreibt: "Werden künftig Werke der Wissenschaft, der Literatur geschrieben, wenn sie sogleich Gemeingut im Internet sind?" Genau, solche Leute eben, die heute noch Speer-Freund Joachim Fest für den Inbegriff des vorbildhaften Bürgertums halten. Wer die Apokalypse beschwört, wird in den nächsten Tagen weiter hinken wie ein Duracell-Häschen.

Zur weiteren Vorschau sei an dieser Stelle eine etwas traurigere Rückschau angeregt. Die Gründung der Fraunhofer-Gesellschaft anno 1949 wird nächsten Donnerstag mit Aplomb gefeiert, während die von Edelgard Bulmahn betriebene GMD-Fusion längst geschmolzener Schnee ist. Dabei könnte man für die Enteignung der Informatik hübsche Bilder finden, die den somalischen Piraten gleichkommen. Und weil wir gerade bei den Fusionen sind, gehen die guten Wünsche natürlich an die blaue Sonne.

Quelle : www.heise.de
Titel: Re: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 29 März, 2009, 06:43
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Ich bin ein versehentlicher Gelegenheits-Konsument von Internet-Pornografie. Die meisten gelegentlichen Kontakte habe ich, wenn ich eine ehemals bekannte Website ansteuere, die irgendein spaßiger Domain-Händler auf eine Schwanzprahlbude umgeleitet hat. Mitunter schaue ich aber auch beim Hunnen in Holland vorbei, wenn ich zwischen verschiedenen Web-Angeboten wechsel, die auswerten, woher einer kommt und wohin einer zieht. Diese gelben Seiten der Pornobranche werden täglich frisch in einer Stadt gefüllt, die drei Möhrchen im Wappen trägt. Bald gibt es keine Möhrchen mehr, sondern eine zünftige Stopp-Seite. Denn der Hunne steht auf dem australischen Sperr-Index, den unserer oberster Kriminalist als vorbildlich bezeichnet, wenn er seine Möhrchen an doofe Häschen verteilt: Gelegenheits-Konsumenten von Kinderpornographie gibt es nicht. Wer Kinderpornographie sucht, erst recht die berüchtigten Snuff-Videos, die eine geschickte Familienministerin ungestraft zeigen darf, muss sich schon in die Peer-Welten der Kinderporno-Tauscher begeben, wie das Jörg Tauss gemacht hat, bei Strafe des eigenen Unterganges. "Gelegentlich" tauchen Kinderpornobilder allenfalls in den berüchtigten Image-Boards auf und sind schnell wieder verschwunden. Fast alle dieser Boards sind ebenfalls auf der australischen Liste zu finden. Besonders apart ist das schon deshalb, weil der Image-Board-Erfinder moot derzeit der einflussreichste Mensch der Welt ist

*** Ein nettes Detail am Rande: seitdem diese Liste durch die Gefahr im Verzug namens Wikileaks bekannt ist, wird sie radikal entmistet. Waren es zunächst 2600 Sperren, dann 2400 Sperren, sind aktuell nur 1200 Sperren übrig – wobei diverse Wikileaks-Seiten hinzugekommen sind. Bis zu 5000 Seiten will BKA-Chef Ziercke blocken lassen. Für seine Behörde ist § 206 ein Papiertiger. Für den Rest: In 27 Sekunden sieht selbst für einen Windows-Nutzer alles anders aus. Wobei das Video ein bisschen schwindelt, da etwas Lektüre über DNS-Server schon nötig ist, sofern offene DNS-Server nicht von den üblichen Staatsmisstrauern und Datenschleuderern veröffentlicht werden.

*** Die aktuelle Debatte um die Kinderpornographie im Internet ist eine moral panic, die dadurch Zunder bekommt, dass der Bundestags-Wahlkampf angelaufen ist. Eine führende Rolle bei der angeblich schnell gefundenen Mehrheit der Kinderporno-Sperre hat offenbar der CDU-Politiker Heinz Riesenhuber übernommen. Als Vorsitzender des Aufsichtsrates von Kabel Deutschland und als Aufsichtsratsmitglied von Vodafone soll er das Ja dieser Firmen zur Sperrtechnik betrieben haben, während die Techniker dagegen waren. Riesenhuber steht auf Platz 2 der hessischen Wahlkampfliste und wird trotz seines Alters als Nachfolger unserer derzeitigen Forschungsministerin gehandelt. Nach Auskunft der Lobby für Menschenrechte hat sich Riesenhuber bereits im Fall des Deutschland-Chefs von Compuserve, Felix Somm, dafür ausgesprochen, dass die Interessen der Wirtschaft bei der Strafverfolgung von Kinderpornographie berücksichtigt werden müssen. Weiterhin ist eine Stephanie Freifrau zu Guttenberg aktiv geworden, die Präsidentin des von Adligen dominierten Vereins Innocence in Danger, der ihren Mann bei der Abfassung eines Gesetzesentwurfes führend beraten haben soll. Innocence in Danger ist der Verein, der seit Jahren einen Notfall-Rufknopf für Chat-Foren fordert, in denen sich Jugendliche aufhalten.

*** Die Aktionen rund um die Kinderporno-Sperrliste sind nicht die einzigen Indizien dafür, dass sich dieses unsere Land auf dem Weg in den Korporatismus befindet. Gemeint ist hier nicht, wie man mit Wikipedia vermuten kann, die Sozialpartnerschaft der 50er Jahre, sondern eine Ausprägung des italienischen Faschismus. Zu beobachten ist dies bei der deutschen Bahn, wo ein Initiativkreis Arbeitskampf Anweisungen erteilte, eine Informationsschrift für Beamte zum Streik der nicht beamteten Lokführer zu löschen. Sieht man von dem Argument ab, dass diese Schrift nicht, wie von den Mehdörnlingen behauptet, ein Streikaufruf ist und das Mailsystem der Deutschen Bahn kaum beschädigen konnte, wird der Korporatismus deutlich, den Bahnkörper von allen Schädlingen zu befreien. Systematische Suchläufe nach unbotmäßigen Mails von Mitarbeitern an Journalisten, offenbar per umgebogenen MX Record bei einem einschlägig bekannten Spezialisten für Hosted Security durchgeführt, vervollkommnen das Bild. Fehlt nur die Deutsche Reichsbahn, die Informanten wie die informierte Presse in Auffanglager abtransportiert, auf Befehl vom "Initiativkreis Service, Sicherheit und Sauberkeit".

*** Der neue deutsche Korporatismus kommt in einem Gewand, das Maxim Biller am letzten Sonntag in einem wunderbaren Artikel über die Deutsche Deprimierende Republik als Mäntelchen der Minderbepimmelten enttarnt hat. Dafür wird er landauf, landab wahlweise als Schlappschwanz oder Jammer-Wessi gerädert, oder auch gleich mit beiden Invektiven verhackstückt. Im Merkel-Staat anno 2009 geht offenbar auch mancher Journalist am Krückstock mit der Schnitzerei "Ja, ich hätte mitgemacht." Jaja,die DDR war kein totaler Unrechtsstaat.

*** Wie der neue deutsche Korporatismus funktioniert, kann Mensch auch bei den Ärzten bewundern, um einmal nicht einen ganz so kompromittieren Beruf zu nehmen. Weil die Tätigkeit eines Arztes ungewöhnlich war, hat die Hamburger Ärztekammer persönliche Daten ihres ukrainischen Mitglieds mal eben an die Drückerkolonne vom Klagespezialisten Verband Sozialer Wettbewerb übermittelt. Mens sana in corporatio sano.

*** Nix zur Computerei? Und das am offiziellen Geburtstag des Kleinen Nick vom Großen Goscinny? Und wo bleibt Marie-Hedwig, die so toll mit ihren Augen klimpern kann? Und Otto, der Urahn von Obelix? Leider kann ich es nur als Abstract verlinken, was da in Bielefeld zum "Wearable computing] veröffentlicht wurde. Die Forschung in diesem Gebiet kollabierte völlig, weil die beteiligten Informatiker sich weigerten, als "Lötknechte" ihre Ideen "in echt" umzusetzen, obwohl die Pressestelle nach einem Ptototyp bettelte, der den Medien gezeigt werden kann. Die bittere Konsequenz eines Teilnehmers: Die dauernd genannte "Anwendung" ist eine Legitimationsfassade. Wenn es nicht klappt, klappt es nicht, und wir können weiter spielen, wie Nick, Otto, Georg, Clodwig und eben Marie-Hedwig. Um es in den Worten von Hans-Georg Lenzen zu sagen, der mit 84 Jahren noch 160 Seiten der Geschichten in einem Monat zu übersetzen hatte:
"Wahrscheinlich haben haben die Leute, die das Kreuzworträtsel gemacht haben, nicht richtig gezählt, denn sie haben manchmal zu viele Kästchen gemacht. Da hab ich dann einfach größer geschrieben und dann ist es gegangen."

Was wird.

Die Zukunft ist grau. Ein Sieg sieht vielleicht anders aus, aber so kann ein Journalist, der nicht in die Knie gegangen ist, wenigstens weiterarbeiten, obwohl ein bräsiger begriffsstutziger Fußballfunktionär seine Legitimationsfassade intakt halten kann. Hier musste also der Korporatismus noch zurückstecken, aber dafür gibt es an anderen Enden den richtigen Anschauungsunterricht. Milliarden werden an Banken ausgeschüttet, bei betteln amtlich verkürzter Besinnung. 58 Millionen Euro für eine heruntergewirtschaftete Bank werden selbst von den Claqueren des Wirtschaftsteils kritisiert. Wahlweise können wir düster auf den kommenden Montag schauen, an dem eigentlich die allseits beliebte Firma SCO ihren Reorganisations-Plan vorstellen soll. Oder wir können zum Spaß das Gerangel um ein Manifesto verfolgen, das aktuell diskutiert wird. Die Technik dahinter kennen wir vom kleinen Nick: Groß genug schreiben ist alles. Denn Cloud Computing ist keine neue Technologie, sondern nur eine IT-Strategie, bestimmte Leistungen anders auszulagern als bisher. Ernsthaft über das universale Outsourcing zu schreiben, fällt wirklich schwer. Cloud Computing ist der 1. April in Permanenz. Damit passt die "Technik" wunderbar zum nahenden Aufstand der Scherzkekse.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 05 April, 2009, 05:38
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Heute kommt das WWWW einmal nicht aus der norddeutschen Tiefebene, sondern aus Futuristan. In diesem Land gibt es keine Zeitungen mehr, ihre Rolle haben Blogs übernommen. Das Parlament ist abgeschafft, die Politiker twittern stattdessen mit dem Hashtag #Demokratie. Klassische Namen sterben aus, die 12-stellige ID-Nummer hat sich durchgesetzt, mit der man sich am landesweiten WLAN anmeldet. Futuristan ist das Traumland der re:publica, einer enorm groß gewordenen Veranstaltung der beforschten deutschen Blogosphäre, die in dieser Woche in Berlin stattfand. Kritische Anmerkungen hat diese Veranstaltung der alten Männer ja genug bekommen, wobei die Einführung des Facepalmen in die deutsche Sprache zu den einsamen Höhepunkten zählt. Dafür allein muss man den Fefe loben, der selbst so nett loben kann.

*** Wie auf vielen zeitgenössischen Veranstaltungen der Netizen waren in Berlin die Laptops aufgeklappt, in die eifrig gewummst wurde, während Vorträge sich fragten, in was für einer Gesellschaft wir eigentlich leben wollen. Diese Gesellschaft ist da. Während des Vortrages von Cory Doctorow saß ich neben einer jungen Frau, die twitterte und mailte, zwei Blogs füllte (davon ein Foto-Blog), in ihrem sozialen Netzwerk vorbeischaute und auch noch Online-Banking betrieb, dabei die TAN von ihrem Handy noch ganz altmodisch per Hand übertragend. Dann stöberte sie in der Wikipedia nach Doctorow und holte sich eine Zusammenfassung des Vortrags auf den Schirm, den der Entertainer irgendwo auf der Welt am Rande des Cyberspace gehalten hatte. Immerhin trug die junge Frau ganz altmodisch ein Namensschild.

*** Damit wird es bald vorbei sein. Auf der PrivacyOS nebenan wurde der neue Personalausweis von Litauen vorgestellt, den die Berliner Bundesdruckerei produziert. Die ersten 40.000 Ausweise sind ausgegeben und schon fängt die Bevölkerung an, die 11-stellige ID-Nummer anstelle des eigenen Namens zu nennen. Dabei ist die Nummer, die die nach einem sehr einfachen Zahlenschlüssel zusammengesetzt ist, von Staats wegen so bedeutsam, dass es untersagt ist, sie in einer E-Mail zu verwenden. Eine Einschränkung, die in Berlin belächelt werden dürfte, wo sich fast jeder Re:publikaner ein Poken holte, um schneller Twitter-, Facebook-, StudiVZ-Daten und die Mail-Addi austauschen zu können.

*** Verlassen wir die hübsch verfickte Parallelwelt der selbstaufgeregten digitalen Boheme und wenden wir uns Fragen zu, die in der nahen Zukunft der Follower keine Rolle spielen. Denn abseits der Berliner Konferenz rätselte in diesen harten Zeiten Netzland, was es mit der seltsamen Rasterfahndung des BKA mit Daten der Deutschen Telekom auf sich hat. Die Formulierung "Die Deutsche Telekom war im Übrigen gebeten worden, nur Daten von Mitarbeitern zu übermitteln, die vom BKA mitgeteilte Kriterien erfüllten", liest sich wie eine Verlautbarung des Ministeriums für Wahrheit. Prüfen, wer bestimmte Kriterien erfüllt, das ist die Basis der negativen Fahndung, wie sie der Erfinder Horst Herold formulierte: "Während bei der 'elektronischen Bürofahndung' Ergebnisbestände aufgebaut werden, die erst den Ausgangspunkt weiterer Suchmaßnahmen bilden, können Rasterfahndungen, je nach dem Fahndungsziel, durch Herauslöschen aller Gruppen, die Legalität verkörpern, bereits den oder die Verdächtigen liefern." Was auch immer bei der "delegierten Rasterfahndung" im Einzelnen passierte, wird vielleicht dereinst auf Wikileaks zu lesen sein. Unstrittig ist offenbar, dass die Telekom etwas lieferte, was das BKA brauchte. Und natürlich sind Terroranschläge verhindert worden.

*** Wenn man etwas Verbotenes tut, so kann man immerhin einen hübschen Namen dafür finden. Airbus macht es vor und nennt die hausinterne Rasterfahndung eine Vorsorge-Untersuchung. Das passt hübsch zur Bemerkung des ehemaligen Bahnchefs Mehdorn, dass ihm die Fummeleien im Mailsystem der Deutschen Bahn keine Bauchschmerzen machen. Nun hat ihn die unterschätzte Affäre seinen Job gekostet. Ausgerechnet der Vorsitzende des EADS-Verwaltungsrates soll Mehdorn nachfolgen. Vielleicht findet Herr Grube zum Amtsantritt einen hübschen Namen für den Mailstopp, der Mehdorn stoppte. Auf weitere Details der Untersuchung bei der Deutschen Bahn darf man jedenfalls gespannt sein. Liebend gern wollen wir doch wissen, was das für ein Mail-Server ist, der ausgerechnet bei einer E-Mail der Gewerkschaft der Lokführer wegen "Überlastung" seinen Geist aufgab. Hier sollte mindestens für den nächsten Eisenbahnerstreik eine Vorsorge getroffen werden, denn: Gewerkschafter dürfen nach einer Entscheidung des Bundesarbeitsgerichtes das Mailsystem benutzen, sofern das nicht eine spürbare wirtschaftliche Belastung der Firma mit sich bringt.

*** Die müden Aprilscherze, die dieser Tage zirkulierten, habe ich alle vergessen, nur den von Bill Gates nicht. Der behauptete 2004, dass in fünf Jahren das Problem des Spams ein für allemal erledigt sein wird. Hier irrte der große Visionär. Allein beim Schreiben dieser Zeilen über Gates trudeln bei ausgeschaltetem Filter die blödesten Sachen ein, die klar machen, warum Replica, Casino und verschiedene Umschreibungen für Geschlechtsteile wohl erst aus der Sprache verschwinden müssen, damit der Spam aufhören kann. Selbst dann hört er nicht auf, weil die Dummheit grenzenlos ist. Das kann ein kluger Kopf wie Bill Gates nicht wissen. Anlässlich der Einstellung von Microsoft Encarta bin ich hinab ins Archiv und habe die erste Microsoft-CD aus dem Jahre 1987 herausgekramt. Microsoft Bookshelf, vollmit Dingen wie dem American Heritage Dictionary, Roget's Thesaurus oder den World Almanac, komplett mit einem klugen Begleitschreiben von Bill Gates über die CD-ROM, The New Papyrus. "Selbst wenn sie ein fantastisch begabter Autor sind, werden sie von unserem Produkt profitieren. In wenigen Jahren wird jeder Computer ein CD-ROM-Laufwerk haben, mit dem sie auf das gesammelte Wissen der Welt zurückgreifen können. In unseren Bücherregalen werden CDs nach und nach die Bücher ersetzen und Papier sparen helfen."

*** Die CD kann man natürlich auch anders würdigen, etwa als Sargnagel der Musikindustrie: "Man sollte dabei anmerken, dass die CD eine reine Erfindung der Habgier ist. Sie wurde aus dem Kalkül heraus lanciert, dass die Leute CDs von Alben kaufen, die sie schon auf Schallplatte hatten." John Mellencamps Analyse der verrotteten Musikindustrie bringt es auf den Punkt, wenn er den Bilanzwahn der Erbsenzähler geißelt und die Idiotie der Medienforschungsunternehmen auf den Punkt bringt. Mit Soundscan wurde das Ende der Branche schon vorher eingeleitet. "Soundscan zählt die Plattenverkäufe wiederum über die Barcodes, die in die Ladenkassen eingegeben werden. Dieses System hat Popularität durch reine Kopfzahl ersetzt. Plötzlich standen Platten auf Platz eins der Hitparaden, von denen wir noch nie gehört hatten. Wir fragten uns noch, ob wir einfach keine Ahnung mehr hatten. Uns war jedenfalls nicht klar, dass sich hier eine Wandel vollzog, der vielleicht nicht das Musikgeschäft, aber doch die Plattenfirmen umbringen sollte."

Was wird.

Ostern kommt, da gibt es nicht nur Eier und Hasen und schmauchende Osterfeuer allüberall, sondern wunderliche Dinge wie eine dicke Pressemappe der Bertelsmann-Stiftung zum Thema "Auferstehung", die Werbung für einen Religionsmonitor macht. Dieser Monitor macht allen Kirchenfreunden Hoffnung und behauptet nicht nur, dass die Auferstehung und die Himmelfahrt das Land stärker prägen als die Eier und Schokohasen. Nein, Deutschland ist nach Bertelsmann ein von der Religion geprägtes Land ist, in dem auch die Menschen, die keiner Religion angehören, von religiösen Vorstellungen geprägt sind. Die harten Fakten: 33 Prozent der Deutschen glauben "fest" an ein Leben nach dem Tode, 32 Prozent glauben "mittel oder wenig" an ein Leben nach dem Tode und 33 Prozent glauben überhaupt nicht, dass es nach dem Ende weitergeht. Bedauerlich finden die Bertelsmann-Forscher den tiefen Riss, der durch Deutschland geht: 60 Prozent der Ostdeutschen können mit der Vorstellung von einem Weiterleben nach dem Tod "gar nichts oder nur wenig" anfangen. Dagegen sind nur 25 Prozent der Westdeutschen auferstehungsfeindlich gesinnt. Halten wir es also mit dem ollen Heine: Was Beine hat, das trollt sich fort.

Quelle : www.heise.de
Titel: Re: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: Hesse am 06 April, 2009, 22:45
Zitat
Nein, Deutschland ist nach Bertelsmann ein von der Religion geprägtes Land ist, in dem auch

Fehlerteufel olé ! Die Trolle freuen sich, obgleich es eigentlich sinnlos ist sich zu freuen. Ebenso wie jede Wortmeldung, jeder noch so schön dahingeschissene Satz nichts daran ändern wird, dass diese Welt scheisse ist, scheisse war und scheisse bleiben wird....

In diesem Sinne : Wo bleibt bei dieser hirnlosen Statistik eigentlich meine Meinung ? Die, dass ich inständig HOFFE das einfach nichts sein wird...

Ich würde jeden Cent, jeden Gegenstand und jedes mir auf Papier verbriefte Recht dafür hergeben damit jemand mir 100% gesichert versicherte, dass einfach NICHTS sein würde.

----

Ansonsten :

Against Censorship in any form - even if it's meaningless to have an opinion or not !

Fröhliches Eierschlecken
Titel: Re: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: ritschibie am 07 April, 2009, 01:12
Lieber Hesse,

schön, dass Du Dich meldest. Ich persönlich habe nichts gegen das Wort Scheisse. Es ist
der volkstümliche Ausdruck für Fäkalien jeder Art und damit Brauchtums-geschützt. Ein
sakrales Wort im modernen Dichter-Schatz, vielleicht sogar die blaue Blume in der herrschenden
Typokratie. Was mir aber auf den Geist geht, ist, wenn die xte Wiederholung einer Chiffre (ge-
meinhin wird dieses Wort als Botschaft mißdeutet) dem Laser- oder Tintendrucker die Spannung
nimmt. Ich gebe Dir ja Recht: Gewisse "Tabus" sind dazu da, gebrochen zu werden und über
Geschmack will ich nicht streiten, aber wie oft soll denn der Bruch wiederholt werden? Entsteht durch
die wierderholte Anrufung des Menetekels (wenn ich das jetzt mal so einordnen darf) nicht ein neues
Tabu? Sind wir dadurch nicht irgendwann gezwungen, uns mit "Scheisse" guten Morgen und ebenso
gute Nacht zu wünschen?

Ich kann Dir auch nicht versichern, dass nichts sein wird (wenn Du das auf das "Jenseits" beziehst).
Aber als bekennender Agnostiker glaube ich (was für ein Wortwitz!), dass nichts sein wird. Ein "Leben"
nach dem Tod? Naja, der Glaube daran hat ja schon die alten Ägypter mordsmäßig beruhigt und eigentlich
recht lebenslustig gestimmt.

Ansonsten, ja: Zensur ist ärgerlich, aber kein Weltuntergang in einem Forum. Ich habe mich zu lange
mit solchen Petitessen beschäftigt. Insofern bin ich opensource, jeder kann mein Geschreibsel verändern,
wenn er es nur dokumentiert. Und das passiert hier im Forum.

Bis denne

Titel: Re: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: Jürgen am 07 April, 2009, 01:23
Jedes Versprechen eines Lebens nach dem Tode dient stets demselben Zweck, dem Opfer das Lebern vor'm Tode sauer machen zu dürfen.
Jeder Tyrann oder sonstige Sklavenhalter macht's so, jeder handelsübliche Religionsführer, Sektengründer, sogar nicht wenige Herrscher von Zeitarbeitsfirmen...
Und sogar die Politik arbeitet ähnlich, lässt unter Versprechen sicherer Rente das Leben vorher gnadenloser Knechtschaft anheim fallen. Und am Ende war's natürlich alles gar nicht so gemeint...

BTW, welchen Sinn hätte es, eine Welt zu schaffen, nebst Seelen und Körpern, wenn das eigentliche Leben erst nach endlosem Leiden und Tod ganz woanders Platz fände?
Und alles nur wegen eines doofen Apfels?
Reichlich abartig, finde ich.

Sicher ist insofern nur Eines:
Jeder, der irgendein späteres Heil gegen vorherigen Verzicht verspricht, ist Dein wahrer Feind.
Es gibt keine Zinsen auf Blut, Schweiss und Tränen.
Titel: Re: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: Hesse am 07 April, 2009, 19:25
@ritschibie : War gestern mal wieder arbeiten...da hab' ich dann immer "ganz besonders tolle Laune" wenn ich dafür sorge das Chefin's Villa in Spanien (die sie übrigens nie benutzt) nen Hausmeister hat und ich selber nur soviel dafür bekomme dass mein Bedarf an Fertigpizzas und Bier gedeckt werden kann... (BTW : Du würdest dich wundern wie oft das Sch-Wort auch in der hochtrabendsten Weltliteratur vorkommt. Es ging mir eigentich nicht wirklich darum das ich "es" nun unbedingt benutzen müsste oder nicht - mich stört nur eine gewisse ähhhh "Bigotterie" (weiss nicht ob das das richtige Wort ist - im englischen würde man "Hippocrite" sagen).
---------
Aber, back2topic, der Punkt ist doch folgender : Wenn man zu 100% sicher wüsste das Nichts sein würde, so könnte man die Welt an jedem beliebigen Punkt des absoluten Mißfallens freiwillig verlassen. Was hindert ist doch gerade die Angst das im nächsten Anlauf vielleicht alles noch beschissener sein könnte. Verzwickt - ganz gleich was man nun glauben möchte/will - das ist eben leider niemals zu 100% sicher....
Titel: Re: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: Jürgen am 08 April, 2009, 01:34
Man sollte sich im Leben immer, unabhängig von Glauben, Weltanschauung und den Forderungen beliebiger Anderer, so verhalten, als ob es kein zweites gäbe, aber sehr wohl ein (faires) Jüngstes Gericht.
Dann kann nichts passieren, was auch immer kommt oder eben nicht.

Wesentlich ist doch, dass kein einziger der Prediger eines Lebens nach dem Tode irgendwelche Beweise oder gar eigene Erfahrungen hat, nur Altweibergewäsch.
Aber gerade diese Eiferer halten sich i.d.R. selbst gerade nicht an irgendwelche Gebote, Moral oder Anstand.
Wenn die nun nicht einmal imstande sind, ihre Selbsterhebung nachvollziehbar zu begründen, warum sollte man dann ihren Worten irgendwelches Gewicht beimessen???

Habe als Atheist dennoch die ganze Bibel mehrmals sorgfältig gelesen.
Folgende Begriffe konnte ich darin beispielsweise trotz erheblicher Bemühungen nicht entdecken:

Papst
Unfehlbarkeit
Vertreter Gottes
Kirche
Bischof
Zölibat
Jungfräuliche Geburt
Kirchensteuer
Ablass
Inquisition
Hexerei

...diese Liste könnte man fast beliebig fortsetzen.
Statt dessen sollte man den Klerus einmal gründlich an den Zehn Geboten messen.
In denen gibt's übrigens keine Ausnahmetatbestände im Sinne von "ausser wenn es Dir gerade passt" oder "Das weitere regelt die aktuell gültige Opportunität".

Meinethalben sucht Ihr alle gern' Eiure Ostereier, wie es Euch gefällt.
Aber die vom Hasen sind klein, braun, warm und feucht, und sie sind definitiv nicht zum menschlichen Verzehr bestimmt.
Womit wir wieder bei'm bösen Wort vom Kot wären...
Titel: Re: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: Hesse am 08 April, 2009, 10:32
 ;D
Titel: Re: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: ritschibie am 08 April, 2009, 18:22
Jo und ich bin kein Kot-Fetischist. So sehr ich ausgewählte Passagen von F. Nietzsche bewundere - ich bin kein Nihilist.
Manchmal fürchte ich sogar mehr von Franz aus Assisi zu haben, als mir lieb ist. Gewisse streunende Lichter am
Horizont versetzen mich in schwebende Gefühlsduseleien, so dass ich den Neuro-Transmitterweg der Stäbchen und
Zäpfchen in unseren Augen völlig vergesse. Ich ertappe mich bei Gesprächen mit Tieren und Bildern, bin also keinesfalls
zynischer Agnostiker. Kurz und bündig: Ich bin ein romantischer Depp.

Trotzdem habe ich mir durch all die Jahre hindurch eine starre Bipolarität meiner Seins-Logik erhalten. Dort wo es Sein
gibt, muss es auch Unsein geben. Ich habe mir angewöhnt, meine jetzige, kommunikationsreiche, Situation als Sein einzu-
schätzen und wenn die vorbei ist, dann geht es in's Leere - in's Unsein. Ja, so einfach halte ich das.

Was die Hypokrisie im Umgang mit "Reizwörtern" betrifft, ich persönlich ertappe mich dabei das Sch-Wort wesentlich öfter
im Mund zu führen, als es zu schreiben. Warum das Wort hier nicht so gut ankommt, dürfte an Punkt 7 der Boardregeln liegen.
Ich zitiere: "Achtet auf den Umgangston". Ich respektiere diese Regel der Forumsbetreiber (fällt mir auch leicht, weil ich - wie
schon geschrieben - kein Fan der fourletterwords bin). Allerdings verstehe ich, dass Du Schwierigkeiten hast, wenn diese
Wörter zu Deinem Normschreibstil gehören. Dann muss man sich schon gehörig verbiegen, um Boardregel 7 einhalten zu
können. Nur Du selbst weisst, ob Dir dieses Board soviel wert ist, dass Du Deine persönlichen Vorlieben zugunsten einer
(hoffentlich) interessanten Kommunikation mit den Spezi's hier an Bord zurückstellen willst.

Das ist Dir allerdings in den ersten gut 300 postings mit Schmackes gelungen ;)
Titel: Re: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: Hesse am 08 April, 2009, 19:04
Ich finde eben dass das Wort "Forum" im krassen Gegensatz zum Wort "Zensur" steht. Was soll denn bitte ein Forum nützen in dem Zensur vorherrscht - das schliesst sich doch beides vom Wortsinn her schon aus.

Ausserdem hab ich mir jetzt, nachdem der Kampf um den Bundestrojaner verloren bzw. teilverloren ist, den Kampf gegen Zensur auf die Fahne geschrieben. Davon bin ich immerhin im Gegensatz zum Bundestrojaner jeden einzelnen Tag negativ betroffen und zwar hauptsächlich nicht, weil irgendwem meine Sprache nicht passte, sondern zuallererst schonmal weil Deutschland weltweit das einzige Land mit Computerspiel-Zensur hoch 1 Milliarde ist. In Österreich ist alles normal, in der Schweiz auch und allen anderen Ländern der Welt ebenso.
Nur in Scheiss-Deutschland wollen einem so Leute wie die von der Leyen auch noch das letzte bisschen Spass verderben. Gut, meine Spiele kommen eh aus arabischen Gefilden, aber es geht ums Prinzip.

Und sorry : Für mich ist es "hippocrite" sich einerseits gegen Internetsperren zu stellen aber gleichzeitig vollkommen sinnlos eine ganz normale Alltagssprache zu zensieren. Aber nun wollen wir deswegen trotzdem nicht gleich den 3. Weltkrieg starten :-)
Bin doch grad erst wieder aus der Versenkung zurück, ausserdem liebe ich es so zu schreiben wie ich auch spreche. Ich könnte auch anders, will aber nicht ;-)
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back2topic : Ich glaube nicht das die "intellektuelleren" Leute Angst vor sowas wie einem christlichen Himmel-Hölle-Märchen Angst haben. Dass das nicht sein kann dürfte wohl für die meisten 100 % gesichert sein.
Aber stellt euch doch mal vor die Asiaten hätten Recht : Die Anzahl der verfügbaren "Seelen" wäre begrenzt, was dann das ewige Spielchen von Sterben und Wiedergeburt bedeuten würde....

Das absolute Grauen !

Selbst wenn man das Glück hätte "Reich" zurückzukommen, anstatt auch noch als Pechvogel der sich in Indien ein Loch im Boden mit 1000 Leuten zum reinkoten teilen muss, so wäre man doch vermutlich auch dann niemals glücklich. Wäre ich ein Hollywood Star dann würden mir die ganzen Fans voll aufn Sack gehen, die ständig üerall rumnerven und einen niemals unbeobachtet lassen. Oder Top-Manager : Millionen auf'm Konto aber blöderweise arbeitssüchtig und somit 16 Stunden am Tag am sinnlos darumschuften - schon allein aus Zeitgründen kein Geldausgeben mehr möglich... Neenee Wiedergeburt wäre echt nicht gut...


In Deutschland hätte man es als Katze vermutlich ganz gut, hat man dann aber das Pech im falschen Teil der Welt geboren zu werden landet man vermutlich auf nem Spiess überm Grill...

Das ist alles nicht so einfach. Manchmal ist das Leben gut und manchmal ist es beschissen. Und nein ein "unschön" trifft es hier ganz einfach nicht - "unschön" wäre zu sehr geschönt. Hoffentlich ist danach ganz einfach gar Nichts.

Kann mir im gegenteiligen Fall nicht wenigstens jemand versprechen, dass ich beim nächsten Mal nen Pool bekomme  ???
Titel: Re: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: Jürgen am 09 April, 2009, 02:13
Pool - wunder Punkt berührt (bei'm Mieter einer Etagenwohnung)...
Die üblichen Formate, bis hin zum grossen Freibad-Becken, sind mir im Grunde viel zu klein. Ständig stösst man an oder zusammen....
Das richtige Mass nennt man mindestens Teich, besser noch See.
Hier in und um Hamburg gibt's etliche davon, auch ohne Eintritt nutzbar.
http://www.hamburg.de/badegewaesser/

Höchste Zeit für den Sommer und entsprechende Wassertemperaturen, plus die erforderliche Freizeit.

Ich ertappe mich bei Gesprächen mit Tieren...
...dabei hast Du nicht selten wirklich gute Zuhörer.
Mag sein, dass die den Wortsinn nicht erfassen, aber Stimmung und Absichten oft voll und ganz.
Auch wechselseitige Verständigung ist auf der nonverbalen Ebene mit vielen Tieren durchaus möglich.
Sofern man mit der Tatsache leben kann, oft gnadenlos durchschaut zu werden...
Dem prüfenden Blick einer Wildgänsemutter, mit der Frage "bist Du in Ordnung oder muss ich meine Kinder vor Dir schützen?" hält bei weitem nicht jeder Stadtmensch stand. Wenn doch, kann es durchaus sein, dass sie ihrem Nachwuchs mitteilt: "Seht euch den ruhig 'mal an, der riecht zwar komisch und ist riesengross und ungelenk, aber wahrscheinlich hat er lecker Brot ;)".
Habe auch schon Ansprachen in Form von Gesten und Blicken erfahren, mit der Botschaft "nimm mir nicht übel, ich muss dich zwar instinktiv etwas anfauchen, wenn ich dein Brot direkt aus der Hand nehme, aber ich mein's natürlich nicht böse. Hörst du doch am Tonfall".

Die Krönung hat sich aber mein alter Kater selig geleistet, als meine Freundin das erste Mal zu Besuch kam.
Da hat er mich tatsächlich mit Blicken und Maunzen eindeutig gefragt, ob die in Ordnung sei und er sie begrüssen soll. Dann hat er auf die Antwort gewartet, eine kleine Geste mit dem Kopf, und erst dann hat er sich ihr höflich vorgestellt. Na gut, den hatte ich da schon fast vierzehn Jahre, und es bedurfte daher nicht vieler Worte.

Lasst die menschliche Sprache beiseite, und man kann sich mit vielen Viechern verständigen, sofern die Blick und Gestik haben.
Titel: Re: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: Hesse am 09 April, 2009, 12:15
Du wirst lachen Jürgen, denn im Grunde hab ich ja in 150 Meter Entfernung sowas wie nen "Pool" - gut, "offiziell" ist es ein Feuerwehr-Löschwasser-Becken aber das stört hier im Ort eigentlich niemanden. Auch nicht von offizieller Seite her.

Problem Nr. 1 : Ich habe prinzipiell kein Interesse mit Leuten im Wasser zusammenzustossen die ernsthaft (!) glauben ihre Kühe würden wegen diverser Funkstrahlen nicht mehr schwanger werden....von solchen halte ich mich schon aus dem Grund fern, sie besser nicht auslachen zu müssen...

Problem Nr. 2 : Das Ding hat ständigen "Wasserdurchlauf" aus einer Quelle und ist somit wirklich, wirklich Arschkalt !

Problem Nr. 3 : Ich bin Nicht- bzw. Schlecht-Schwimmer und die für Nichtschmimmer vorgesehene Fläche beträgt nur ca. 5 Quadratmeter - der Rest ist 4 Meter tief. Nein, ich möchte auch nicht unbedingt mit den Kindern derer, die glauben ihre Kühe würden wegen Funkstrahlen nicht mehr schwanger, definitiv NICHT zusammenstossen.

Ich will meinen eigenen Pool !

Seen (schreibt man das so ?) gibt es durchaus, aber da ist im Grunde das selbe Problem : Die für Nichtschwimmer geeigneten sind mit Kindern überbevölkert. Womit ich jetzt nicht sagen will dass ich kinderfeindlich wäre - aber mit 40 Stück von denen auf 10 Quadratmetern muss ich dennoch nicht hausen  ;)

-------

In der Tat kann man mit Tieren nonverbal kommunizieren. Eine ganz andere Ebene erreicht das Ganze allerdings wenn man die "falschen" oder aber auch die "richtigen" Pilze gegessen hat - da kommen dann wirklich strange Beobachtungen bei raus  ;D  ;D Mein Gott, was hatte die Katze von nem Kumpel in dieser fragwürdigen Nacht auf meinem Bauch liegend für Geschichten zu erzählen - das ging dann doch über nonverbal im eigentlichen Sinne hinaus bis hin zu reiner Gedankenkommunikation. Sowas sollte man sich aber besser nur selten gönnen....  ;D
Titel: Re: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: Jürgen am 10 April, 2009, 00:10
Tja, Nicht- bzw. Kaumschwimmer tun mir wirklich leid.
Bin selbst vom Sternzeichen Wasserratte  ;D
Das "Gefährlichste", was mir immer wieder 'mal passiert, ist schlicht und einfach auf dem Wasser einzuschlafen, irgendwo mitten im See. Letztesmal mit 'ner Libelle auf der Nase aufgewacht. Glücklicherweise bin ich weder ängstlich noch schreckhaft.

Vom Kinderbereich halte ich tunlichst Abstand, erstens wegen des Lärms, und zweitens brauch' ich's nicht immer wieder, dass irgendein Steppke lauthals seine Mama fragt "ist das ein Bodybuilder". Und drittens verstehe ich mich eigentlich nicht als Rettungsinsel, auch wenn ich passende Scheine und die Statur dafür habe...

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Zauberpilze oder andere psychedelische Substanzen brauche ich in der Natur gewiss nicht, Landschaft und Kreaturen wirken durchaus stark genug und ohne Nebenwirkungen.

Hinzu kommt, dass manche Viecher auf Angetüdelte ungehalten reagieren können.

Auch bei meinem Kater war es so. Wenn er bei einem Besucher 'mal Anzeichen von Alkohol- oder THC-Beeinträchtigung bemerkte, zog er sich normalerweise regelmässig diskret zurück. Wenn man ihn liess.
Mit mir gemeinsam hatte er insbesondere die Abneigung gegen die oft schrillen Stimmen und aufdringlichen hektischen Bewegungen mancher beschwipster Mädels. Konnte dann regelrecht sauer werden, bis hin zum Scheinangriff. Gewaltig aufplustern, anbrüllen wie ein Löwe, Warn-Tatze...
Im sehr speziellen Fall einer Bekannten mit regelmässiger Lebenskrise hat er es sogar 'mal fertiggebracht, eine Handtasche, die schon heftig nach Bier roch, laut meckernd wegzuschleppen, auszuräumen und im Katzenklo zu markieren und dann zu vergraben. Die Olle heult sich seitdem woanders aus...
Einer anderen ziemlich nervigen Tussi hat er einmal - auf meiner Geburtstagsfeier - die Schuhe unter'm Schrank versteckt.
Sonst war er auch zu Fremden fast immer ausgesprochen freundlich.
Ausser zu manchen Beamten, vornehmlich lästigen bzw. ungebetenen...
Dafür brachte er kleinen Kindern eine Engelsgeduld entgegen, selbst wenn die 'mal hartnäckig quengelten oder ihn am Schwanz durch die Bude zogen.

BTW, ich habe auch schon Enten, Ziegen und Pferde erlebt, die um Angetrunkene vorsorglich und unter deutlichem Protest einen Bogen machen.
Und Hunde, die nur dann regelrecht aggressiv reagieren.
Titel: Re: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: Hesse am 10 April, 2009, 02:07
Meine Katze unterscheidet zwischen :

a) Der hat zwar mal wieder einen im Tee, scheint aber gut gelaunt zu sein ---> Versuch starten ihn zum Kraulen zu nötigen

b) Ohjee, schon wieder schlechte Laune ---> besser nicht nerven

Kommt allerdings selten vor, da es sich ja um eine im Freien lebende Katze handelt und ich in der Regel nicht tagsüber trinke sondern nur Abends. Aber schlechte Laune ortet die auch bei Nüchternen...
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 12 April, 2009, 00:14
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Ostern ist die Zeit der Wuhnder. Das Erckennt man daran, dass Hasen bunte Eier legen, Obama über das Wasse läuft und die Abschaffung von Atomwaffen verkündet. Oder daran, dass Details aus der Area 51 bekannt werden, wo die Mohndlandung gefilmt wurde und Klinsmann am Kreuz henkt. Ganz normale Sachen wie die Aufsteckung des Kampfetas wundern hingegen niemanden. Oh wenn sich der eine oder andere leser über den Anfang dieser Wochenschau wundert, dann hat er nicht den Behördenspiegel im RSS-Feed: Das Blatt berichtet diese Woche, dass jeder vierte Befragte aus dem öffentlichen Dienst rechtsreibung für "unwichtig" hält. Für die Amtsschimmel ist es offenbar völlig egal, ob fehlerfrei mit dem Bürger kommuniziert wird. Ob Penis oder Sensipel, ist alles einen Frage der Lesart. Selbst eine fehlerfrei Rechtsschreibung in Gesetzestexte ist einem Drittel der Befragten völlig Schnupe. nun könnte man mit methodischen Zweigeln an der Korrectheit einer Onlein-Studie kommen, aber: Im Internet bewegt sich nur die Elite von Behördistan. Das Fuzfolg dürfte noch ganz anders denken.

*** Wayne interessiert das, wäre eine typische Heise-Antwort. Ist es nicht völlig egal, was im Gesetz steht, und pfurzegal, ob es dann noch korrektes Deutsch ist? Die völlig verdrehte Debatte über Kinderpornographie legt nahe, dass der Vater des Gedankens eine Mutter mit Statistikproblemen ist. Was daran ungewöhnlich oder überraschend sein soll, wenn Kinder ausbleiben, weil es weniger Erzeuger gibt, bleibt ebenso unklar, wie der Beweis, dass Sperren gegen Missbrauch helfen. Aber die Politik drückt mächtig auf der IT herum. Das neue BSI-Gesetz ist da nur der kleinste Furunkel. Nehmen wir nur den neuen Artikel 91c, der nach den Beschlüssen der Föderalismuskommission II erstmals die IT ins Grundgesetz hievt. "Bund und Länder können aufgrund von Vereinbarungen die für die Kommunikation zwischen ihren informationstechnischen Systemen notwendigen Standards und Sicherheitsanforderungen festlegen." Auf Grund welcher Vereinbarungen konkret?

*** Die entsprechende Mitteilung an die Presse, dass Datenautobahnen endlich allen historischen Verkehrswegen gleichrangig sind, ist von der Rechtschreibung her OK, vom technischen Sinn her natürlich gaga. Man mag es als Reminiszenz an Kanzler Kohl erklären, der 1994 in einer Fernsehsendung mal die Datenautobahnen zur Ländersache machte. Technisch bekommen wir mit Artikel 91c einen IT-Planungsrat, der für Bund und Länder alle Standards bei Hard- und Software festlegen wird, bei abgeschafftem Einstimmigkeitsprinzip. Die Kommunen haben im grundgesetzlich bald festgeklopften IT-Planungsrat keine Stimme mehr, denn Länder-Standards sind dann automatisch kommunale Standards. Sachen wie Limux werden Vergangenheit sein. Etliche öffentliche, heute noch europaweite IT-Ausschreibungen werden entfallen, da IT-Anschaffungen nur noch als "innerstaatliche Organisationsakte" definiert werden. So sehen bunte Eier aus, die die Polithasen legen.

*** In einem außerordentlich verschnarchten Vortrag hat der "Wikipedia-Gründer Jimmy Wales" die deutsche Ausgabe der Wikipedia gelobt. Vielleicht kannte Wales da die Unterschriftenliste gegen eine liberale Löschpraxis noch nicht, mit der die deutsche Wikipedia auf das Niveau eines deutschen Karnickelzüchtervereins sinken will, komplett mit Löschwart, Löschtastenprüfwart, Löschzuchtbrutwart und Bild-Tätowiermeisterin. Es wäre schöner, wenn das wunderbare, freie Netzwerkzeug den Ansporn zu Verbesserungen weckt, doch das ist in Deutschland zu viel verlangt, wo die Relevanzkarnickel ihre Köteln horten. Vielleicht gehen wir eines Tages auf die Wikipedia, drücken Links wie Rechts die SHIFT- und ALT-Tasten, dazu eine Funktionstaste und lachen, wenn "We made Wikipedia, they f***ed it up" erscheint (auf das Auswerfen einer Diskette wird verzichtet).

*** Easter Eggs, so klärt uns die freie Enzyklopädie auf, sind Gagscreens oder Geheimlevel einer Software. So sehen es wohl Leute, die das StarWars-Spiel in OpenOffice für ein Easter Egg halten und sich über den Orden des inkompatiblen Updates am roten Band freuen. Easter Eggs entstanden, weil Firmen ihren Mitarbeitern nicht mehr gestatteten, sogenannte Credit Screens zu benutzen. Sie entsprachen den Würdigungen im Abspann von Kinofilmen. CTRL-F, CTRL-U, CTRL-C, CTRL-K war Tim Drapers Reaktion auf die Apfelbande, ihm zunächst keine Credits für den Easywriter zu geben – mit dem Kommando gelangte man zum Forth-Interpreter, auf dem Easywriter basierte. Die Zeiten, in denen ein Programm zunächst stolz mit den Namen der/s Programmierer/s startete, wie etwa bei Michael Shrayers "Electric Pencil", gingen vor 30 Jahren ihrem Ende entgegen. Als das Monster namens Wordstar auf dem Markt erschien, waren die Credits schon gut in der Hilfe-Datei versteckt (aber auffindbar). Anders beim "Unix PC" von AT&T, dem ersten Computer mit eingebauter Zukunft. Mit .!. in der Kommandozeile wurde die Liste der Programmierer abgerufen.

*** Das berühmteste, weil bekannteste Easter Egg wurde wohl für Windows 3.1 von Microsoft-Programmierern geschrieben und verbarg sich in den vier Farbsegmenten der Windows-Flagge. Je nachdem, welches Segment geclickt wurde, erschienen entweder Bill Gates, Steve Ballmer, Brad Silverberg oder ein Bär (Code für einen besonders tyrannischen Teamleiter) und die Liste der beteiligten Programmierer rollte ab. Wir haben ja Ostern und der Frieden wabert, da darf das IMHO bösartigste Easter Egg nicht fehlen. Man konnte es in dBase 5 für Windows aufrufen, damals ein Borland-Programm mit durchaus normalen Credits in der About-Box. Wer jedoch die ALT-Taste drückte und FOX eingab, rief eine Guillotine ab, die einen Fuchs köpfte. Dazu tauchten die Namen der rivalisierenden Microsoft-Programmierer auf, die die Datenbank FoxPro entwickelten. Ehe dies jemand geschmacklos findet, muss auf Microsoft Word 2.0 verwiesen werden. Im Easter Egg dieses Programmes tauchen neben den Programmierer-Namen kleine Männchen auf, die einen Drachen bekämpfen, der Steuersequenzen von WordPerfect schnaubt, damals die führende Textverarbeitung. Der gerade auf die Erde zurückgekehrte damalige Projektleiter hätte noch ganz andere Dinge eingebaut, den Konkurrenten zu besiegen.

Was wird.

Alles alte Kamellen, für die sich niemand mehr interessiert? Von wegen. Nehmen wir nur OS/2 (CTRL+SHIFT+ALT+O auf dem Desktop), das gerade von der US-Zeitschrift Computerworld zum schönsten toten Betriebssystem aller Zeiten gewählt wurde. Es spielt in der unendlichen Geschichte von SCO eine sehr lebendige Rolle, weil von hier offenbar das Journaled File System den Weg in die Linux-Distributionen antrat. Sollte die Firma ("Alles nur Fleischwunden") tatsächlich den Weg aus Chapter 11 zu einer wieder funktionierenden Klagemaschine schaffen, warten hier die nächsten Kämpfe. Aber ich wollte nichts mehr zum Thema Auferstehung schreiben, das hatten wir letzte Woche an dieser Stelle. Laut Bayern München ist Klinsmanns Kreuzigung in der taz die schlimmste Entgleisung, die es in den deutschen Medien seit Erfindung des Buchdrucks gegeben hat. Und UdoLattek weint. Bitte, wir haben Ostersonntag, der Frieden wabert, die Ostermärsche marschieren und der amerikanische Bürgerkrieg begann vor unrunden 148 Jahren.

Da ist es schon passender, vorab auf das 10. Festival mit alten Computern zu verweisen, das heuer unter dem seltsamen Motto Daseinskampf der Zahlenfresser: Rechnerarchitekturen im Vergleich stattfindet. Vielleicht muss man sich das wirklich so vorstellen, was sich da im Kühlwasser der Boliden abspielte: gewaltige Schaltschränke, ihre messerscharfen Bleche aufgestellt, noch die kleinste Nachkommastelle gnadenlos zu verputzen, bis auch die letzte Zahl von dieser Erde verputzt ist. Gewalt gegen Zahlen und Friede den Menschen – sofern sie nicht Mitglied in einem Schützenverein sind. Ja, das ist Made in Germany. Und bitte, wem das nicht genug ist, an einem friedlichen Ostermorgen, der mag sich an unser Bundeskriminalamt wenden. Pläne zur Verseuchung der Trinkwasserversorgung Berlins dürften einfacher zu aktualisieren sein als ein zickiges ELSTER-Modul von 40 MB.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 19 April, 2009, 00:06
Da ja hier wie üblich keiner was macht ...tu ich mal was....



Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** "Auf den Gesichtern aller Zuhörer ging ein gefälliges und versonnenes Lächeln auf, und in ihren Beinen prickelte das Blut." Der Untergang hat bei Joseph Roth immer seinen morbiden Charme. Ja, es ist anregend und entspannend gleichzeitig, aber, bei etwas historischem Bewusstsein, auch etwas morbid, sich die Ausstellung Marc, Macke und Delaunay im Sprengel-Museum Hannover anzusehen, die nicht nur die "Schönheit einer zerbrechenden Welt zelebriert". Das eigentlich Faszinierende ist, in diesem Zerbrechen den Aufbruch in die Moderne zu entdecken, mit all ihrer eigenen Schönheit und ihrem eigenen Schrecken. Auch das findet sich bei Joseph Roth, nur einen Satz hinter dem versonnenen Lächeln – dann doch, die Vorahnung der untergehenden Welt: "Während sie noch standen, glaubten sie schon zu marschieren." Von Delaunays "Fenêtres ouvertes simultanément" oder Marcs "Katze hinter einem Baum" führt halt doch ein direkter, wenn auch nicht geradliniger Weg zu Picassos "Guernica" und Celans "Todesfuge". In Malerei und Literatur ebenso wie in der Gesellschaft. Es ist die Musik von Albert Ayler, der inzwischen und auch heute noch den musikalischen Kommentar dazu liefert.

*** Kommentieren möchten so viele, auch wenn sie eine zerbrechende Welt nicht beschreiben können. Allzu vieles ist aber wirklich keinen Kommentar wert – selbst US-Berichterstatter, von denen viele doch sonst allen Mist eifrig raportieren, wenden sich blamiert von dem Hype um jede noch so banale Gemütsregung auf Twitter ab. Wenn das Medium nicht nur die Botschaft ist, sondern den Nachrichtenwert bestimmt, dürfte das vorläufige Maximum der Medienidiotie erreicht sein, egal, was uns manch dem Zeitgeist hinterherhechelnde Kollege so einreden möchte. Es ist mir also völlig egal, ob Kutcher (wer war das noch mal, abseits seines Status als Moore-Ehegatte?) oder CNN ein selbst ausgerufenes Wettrennen gewinnt. Es gibt kaum etwas, was nicht wichtiger wäre.

*** 85.214.73.63 Die Bedeutung von Nummern, beispielsweise. Der schwarze Freitag liegt hinter uns. Die Firmen Deutsche Telekom, Vodafone/Arcor, Hansenet/Alice, Telefonica/O2 und Kabel Deutschland haben den Vertrag zum Einstieg in die Internet-Zensur in Deutschland unterzeichnet. Sie werden mithelfen, ein Stoppschild im Internet aufzustellen, dessen Text gute Chancen hat, als Beginn einer neuen Unfreiheit im Haus der Geschichte ausgestellt zu werden, komplett mit allen  Varianten. Komplett mit den entlarvenden politischen Hasstiraden über pseudo-bürgerrechtsengagierte Hysterie von Pseudo-Computerexperten von Politikern, die die Funktionsweise des Netzwerkes von Netzwerken nicht verstehen wollen. Komplett mit den deutlichen Kommentaren der zensurgeilen Presse, die vom "Pfuhl Internet" schwadroniert und hofft, dass die Entscheidungen nur der Anfang sind und dieser schmutzige Teich bald trockengelegt wird, damit das internetteste Bürgerleben wohlzensiert und gesittet ist.

*** 62.141.58.13 Natürlich werden Pseudo-Computerexperten sich einen ordentlichen DNS-Server suchen, der die staatlich verordnete Sicht auf das Internet umgeht. Es geht eben nicht um "die Angst der Internetgötter, ihr angebliches digitales Paradies könne eines Tages verloren gehen", wie der FAZ-Journalist meint. Es geht schlicht um Zensurfreiheit. Sowohl die norwegische wie die australische Sperrliste enthalten Imageboard-URLs mit manchmal abgeschmackten Fotos, auf denen der Pedobear tanzt oder Obamas Gesicht entstellt ist. Entsprechend wird auch unser BKA zensieren. Das eine "Vertreibung aus dem selbsternannten Paradies" zu nennen, kann nur der Nachrichenchef und Pfuhl-Experte der FAZ. Gegen den Müll der rechten Denkungsart muss man Mitten am Rand lesen, den besten Zeitungstext zu diesem Thema, der das Wahlkampf-Tool der Ursula von der Leyen entlarvt. Wenn der delirierende CSU-Politiker Uhl ankündigt, dass seine Fraktion all die vor sich hertreiben werde, die dem künftigen zusätzlich angeleierten Gesetz nicht folgten. "Wenn dieses Gesetz in Kraft tritt, wird es nicht Kinder vor Missbrauch schützen, nicht Täter vor sich selbst schützen oder dingfest machen, nicht Neugierige davor schützen, straffällig zu werden. Es wird nicht einmal etwas werden, mit dem die CSU irgendwen vor sich hertreiben kann."

*** 213.73.91.35 So läuft ins Leere, was ins Leere laufen muss, sich aber prächtig für den Wahlkampf gebrauchen lässt, Abtreibungen inklusive. Das gilt für alle Parteien, die das Internet als Trallafiti sehen. Auch das von der FAZ im gleichen Atemzug gefeierte erstinstanzliche Urteil gegen die Macher von Pirate Bay könnte ins Leere laufen. Vorerst sind andere Konsequenzen aus dem Urteil bemerkenswert, etwa die 3000 neuen Parteimitglieder, die in die schwedische Piratenpartei unmittelbar nach Bekanntgabe des Urteils eingetreten sind. Oder die schwedische Konsequenz, nicht den Müll eines großen Möbelhauses, sondern den Pirate-Bay-Server ins Technische Museum zu stellen, als Artefakt aus einer Zeit, in der eine Industrie feiernd in den Abgrund schlidderte, wie es in der taz heißt. Um mal das Positive mit den Augen der Springerpresse zu sehen – klarer kann man schließlich nicht sagen, wie die Gemengelage aussieht: "Noch ein paar Piratenbuchten mehr, und das neue Bündnis von Urheberrechtsschützern und jenen, die entschlossener gegen Kinderpornografie, Gewaltverherrlichung, Glücksspiel oder Extremismus im Netz vorgehen wollen – es steht."

*** Bleiben wir einen Moment bei Springer, schließlich gratoulliert auch dieser Verlag der ehemaligen alternativen tageszeitung zum 30. Geburtag durchaus treffend mit den Worten: "Ist es nicht schön, ein Alter erreicht zu haben, in dem man Cocktails trinkt, anstatt sie zu werfen?" Nun, es ist nicht schön, wenn eine Zeitung, gegründet gegen die freiwillige Selbstzensur deutscher Medien im Herbst 1977 mittlerweile ein Spießerblatt der Cocktailschlürfer geworden ist. Aber es ist nicht zu ändern, denn die Präservative des Wesentlichen sind gut gefüllt mit schlichten Meinungen. Etwa zur Gentechnik, die in dieser Woche für nette Schlagzeilen sorgte. Dabei ist sie doch besonders nützlich beim neuen Transhumanismus und seiner Frage, wie wollen wir den Menschen haben?

*** MON810 ist vorläufig in Deutschland verboten, doch das wird den Agrarkonzern Monsanto nicht daran hindern, seine mächtige PR-Maschine weiter laufen zu lassen. Erinnert sei an eine Zeit, als Monsanto deutsche Gerichte zur Zensur des Netzes bemühte. Kinderpornografie, Gewaltverherrlichung, Raubkopiererei und Gentechnikgegnerei sind auf den kleinsten Nenner p zu bringen, wobei p für Profit steht. Notfalls wird es sicher einen Alphajournalisten geben, der für wenig Geld den nötigen Gesamtzusammenhang herbeischreibt. Die Iniative Soziale Marktwirtschaft macht das ja wunderbar mit ihrem neuen Regionalranking vor. Danach ist die norddeutsche Tiefebene eher schwach von der Konjunkturkrise betroffen, sofern dort Genfraß und Genferkeleien erlaubt sind. Über all dem aber strahlt München und das Umland in Bayern, der eigentlichen Heimat des Analogkäses.

*** Zu den traurigen Nachrichten dieser Woche muss der Tod von Corín Tellado im Alter von 82 Jahren und von Sir John Maddox im Alter von 83 Jahren gezählt werden. Tellado war vielleicht nicht die große alte Dame der spanischen Literatur, mit über 4000 Texten aber ganz sicher die Weltrekordhalterin im Guiness-Buch der Rekorde. Mit einer Gesamtauflage von 400 Millionen Exemplaren lässt sie ähnlich bewunderte Schreibarbeiterinnen wie Rosamunde Pilcher hinter sich. Große Literaten wie Mario Vargas Llosa, der ihre Arbeiten betreute, haben Elogen auf Corín Tellado veröffentlicht. 1998 erhielt sie die goldene Arbeitsmedaille von Spanien, eine Auszeichnung für langjährige Arbeitsdisziplin. Vor 10 Jahren bekam sie den Asturien-Preis, lange vor Google. Mit John Maddox starb der engagierte Verfechter der "peer review", der erbarmungslos manch wissenschaftlichen Blödsinn wie dem vom homöopathischen Gedächtnis des Wassers entlarvte. Als Redakteur von Nature war Maddox, der für seine Editorials zwei Flaschen Rotwein brauchte, berüchtigt, den Autoren ihr Selbstlob um die Ohren zu hauen. "Was es noch alles zu entdecken gilt" war sein letztes Buch.

Was wird.

Zum 62. Mal lädt die Hannover Messe in die schönste Stadt der Welt ein. Aus ihr koppelte sich dereinst die CeBIT ab, in sie kann sich die CeBIT künftig reintegrieren, wenn das Gejammer der Branche weiter anhält. Anders als Software oder dieses klaut-Computing, was im Internet präsentiert werden kann, brauchen ordentliche Maschinen noch ordentliche Messen. Wo, wenn nicht auf der Hannover Messe, kann man das intuitive Elektromobil-Röllerchen "MoVi~" bewundern, das so "einfach wie ein Browser" gesteuert werden kann? Oder wie wäre es mit dem i-MiEV von Mitsubishi, dem Elektroauto in der Erfolgsspur des i-Phones? OK, für die Verschrottungshilfe kommen die Geschosse etwas spät.

Ganz anders laufen die Geschäfte offenbar in Berlin, wenn man den Machern der Funkausstellung Glauben schenkt. Bevor sich unter dem Funkturm Waschmaschinen und DVD-Player tummeln, ist Platz genug für die Medizintechnik, die auf der ConHIT ausgestellt wird. Die Augen ruhen dabei auf Microsoft, das die "internationale Gesundheitsplattform HealthVault" in Deutschland an den Start schickt und mit schicker Technik demonstriert, wie das "aktive Einbringen in die Gesundheitsplanung" aussehen kann. Arzt und Patient arbeiten gemeinsam am Surface-Tisch an der "Realisierung des Gesundheitspotenzials des Users". Über die Arbeit an der deutschen Sprache unterhalten wir uns später.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 26 April, 2009, 00:16
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** "Am Kampftag der Arbeiterklasse muss der Demonstrationszug Punkt 1 Uhr abmarschieren. Alle Frauen werden dafür zu sorgen haben, dass die Hausarbeiten früher als sonst beendet sind. Es ist selbstverständlich, dass nicht nur jeder Arbeiter, sondern auch jede Arbeiterfrau und alle Familienmitglieder am proletarischen Kampftag teilnehmen."

Ich wiederhole ungern, doch diese Passage aus dem Buch von Erhard Lucas über "Das Scheitern der deutschen Arbeiterbwegung" muss aus der Zukunft von anno 2001 zurückkopiert werden. Denn erstens steht der 1. Mai vor der Tür und zweitens redet alle Welt von sozialen Unruhen, nur die Wikipedia nicht. Ja, was passiert denn da, wenn "die Halteseile irgendwann reißen", wie Gesine Schwan meint, aber keine kampftagende Arbeiterklasse mehr da ist, ein Seilchen um den Staat zu legen, um ihn einreißen, bodigen und zertrümmern zu können, mit all dem Rott von 816 Milliarden Euros? Werden soziale Unruhen heutzutage nicht schon dadurch bekämpft, dass die Schlaftablette Kerner zu einem Unterschichtensender wechselt?

*** Können wir aus der Geschichte lernen, etwa ganz aktuell bei Erhard Lucas? Wie sieht es eigentlich aus mit den gepiesackten Hartz IV-Empfängern? Werden sie sich einfach hinstellen und ein bisschen Wegegeld verlangen, weil sie der Staat im Stich lässt? Kommt auch in Deutschland das von den Begüterten gefürchtete Bossnapping in Mode? Mir schwant ehe, dass gerade mal ein Schwein genauer hinguckt, während sich der Rest am Kampftag im Schweinegarten tummelt.

*** Derweil redet der Chef der größten deutschen Arbeiterpartei Managerquatsch angesichts von drohenden 5 Millionen Arbeitslosen: "Ich denke, dass wir gut aufgestellt sind – auch weil wir ein Sozialstaat sind, der den Menschen sagt: Wir geben euch Sicherheit." Wir hier oben haben Sicherheit in rauen Mengen auf Lager, ihr da unten könnt davon etwas Sicherheit abhaben. Wem das zu wolkig ist, weil er Gewissheit erwartet, gar ein Gewissen, bekommt bestenfalls ein Gewieher und wird in eine Halteleine gewickelt, deren Farbe er selbst aussuchen darf. Vor ziemlich genau 4 Jahren brandmarkte Müntefering die "Heuschrecken". Nun will er den Kapitalismus in die Mülltonne der Geschichte treten, ohne Abwrackprämie und Alternative. Die Besitzsstandswahrer von der tageszeitung votierten eindeutig: 71 % ist dafür, dass die Deutschen alles still ertragen, ohne dass ihnen der Kragen in der Mülltonne platzt.

*** Wie eine ordentliche soziale Unruhe als moral panic erzeugt und gesteuert werden kann, hat die Debatte um die Kinderpornografie in dieser Woche sehr deutlich gezeigt. Schuppdiwupp war da die Meldung von der Internet-Mafia, die nicht nur Kinderpornografie verbreitet, sondern im Netz herum phisht und natürlich auch die Server für Urheberrechtsverletzungen bereithält. Also muss im großen Stil geblockt werden, die teuflische Enteignungsmaschinerie Internet abgestellt werden. Wen das alles noch nicht reicht, müssen halt die Zugriffe auf die Kinderporno-Urheberrechts-Vergewaltiger-Mafia-Server in Echtzeit überwacht werden. Die nächste Stufe ist das Verbot von alternativen DNS-Servern und, die Twitternasen wird es besonders schmerzen, von TinyURL und anderen Shortenern, die die Namen von Webangeboten krzn. Nur bei Glücksspielen gibt es noch etwas Klärungsbedarf in einer Großfamilie, die in der norddeutschen Tiefebene lebt. Immerhin ist der Bruder von Deutschlands Sperrmutti der Chef eines Betriebes, der Mehrheitseigener von Bet24 ist. Für den Rest der verschwörenden Geschichte gilt: Immer schön Fefe lesen.

*** Aber bitte, auch positive Nachrichten kennt unser Land. Nehmen wir die gentechnisch leicht modifizierte Variante einer Ministerin, die Laptops für alle Schüler fordert, aber keine Ahnung hat, wie das finanziert werden kann. Als Argument darf wieder einmal das Internet herhalten. Damit frühzeitig Copy & Paste für den Unterricht gelernt werden kann, oder wie Bilder bei Facebook gespeichert werden können. Dieser US-amerikanische Dienst ist ein Hort der Demokratie, wo eine Wahlbeteiligung von 0,3 % als repräsentative Quote gilt. Zum Vergleich: Die BRD hat allen Auswanderungsgelüsten zum Trotz 82 Millionen Einwohner. Davon sind 2008 rund 1,5 Millionen Mitglieder in einer der im Bundestag vertretenen politischen Partei gewesen. Würden nur diese wählen gehen, wäre das mehr als genug Demokratie.

*** Amerika hat es in jedem Fall besser, in Sachen Demokratie wie in der IT. Ein besonders gute Nachricht aus dieser Woche ist der angestrebte Kauf von Sun Microsystems durch Oracle. Prompt melden sich die weltbesten Analysten – meine Tastatur norwegert – und sehen die nächste Runde in der unendlichen Geschichte am Horizont aufquellen. Eine große Menge an Linux-Code soll demnach Sun gehören und wandert nun in die Hände von Oracle, das einen auf SCO machen kann: Prozesse, so weit das Auge reicht. Ein schönes Bild auch darum, weil SCO knapp 100.000 Dollar zahlen muss, dies es kaum hat. Aufschwung oder Mülltonne, das ist die Frage eines großen englischen Dichters gewesen.

*** Ein anderer Engländer veröffentlichte zusammen mit einem Amerikaner am 25. April 1953 einen Aufsatz über die DNA in der Nature. Der Aufsatz ist nur eine Seite lang, reichte aber locker, um den Nobelpreis zu bekommen und gleichzeitig die Forschungen der Rosalind Franklin zu unterschlagen. Jaja, wie eingangs erwähnt, sind Frauen und Hausarbeiten untrennbar. Da haben am Girls Day muntere Mädchen im Bundeskanzleramt auf einem hergerichteten "Girls'-Day-Parcours" schrauben, löten und programmieren müssen – und niemand schreibt drüber. Der einsame Höhepunkt war da der Stand der Bundespolizei, wo nach all dem Löten und Programmieren Personenkontrollen und vereinfachte erkennungsdienstliche Behandlungen geübt wurden.

Was wird.

Mit dem großen Eric Idle können wir summend oder singend einen schönen Sonntag mit einem guten Abgang begehen: Always look on the bright side of life, denn der letzte Lacher geht über dich. Was das konkret bedeutet, musste Erfolgstrainer Jürgen Klinsmann mit diesem Urteil erfahren: "Eine reale Kreuzigung des Antragstellers steht überhaupt nicht im Raum. Vielmehr wird der berufliche Niedergang des Antragstellers in symbolischer Weise dargestellt." Man könnte es auf die einfache Formel bringen, dass nur "der Kaiser" kreuzigen darf und dass dies nur in München passieren kann.

Bekanntlich entscheidet heute eine heidnische Stadt in einem Volksentscheid darüber, ob Ethi oder Reli angesagt ist. Vielleicht sollte jemand, dem die Verehrung höherer Wesen fremd geworden ist, lieber schweigen. Aber eine große deutsche Zeitung spricht von der Wahl zwischen Eisdiele und Religion, und fordert vehement, dass Berliner Kinder noch etwas über die Wurzeln der westlichen Kultur lernen. Das gibt denn doch zu denken. Wenn Juden lernen, wie ihr Glaube und ihre Kultur die westliche Kultur geprägt hat, wenn Muslims lernen, wie ihr Glaube und ihre Kultur die westliche Kultur geprägt hat, wenn Christen lernen, was sie einstmals von Juden und Muslims lernen durften, dann lernen alle, dass es drei Ringe gibt, die nicht unterschieden werden können. Nur wer lernt, den Glauben der anderen nicht als Irrglauben zu denunzieren, wird auch mit dem fröhlichen Nichtglauben seinen Frieden schließen können.

Zum fröhlichen Nichtglauben ist der freie Zugang zum fröhlichen Wissen ähnlich wichtig wie den Glaubenden der Zugriff auf Bibel, Koran und Tanach. Die seltsame Diskussion, die im Zuge einer intellektuellen Apathie über Open Access geführt wird, wird an anderer Stelle demontiert. Schön auch der Rückzug eines guten Freundes. Was Google mit der Welttextmasse macht, ist etwas ganz anderes als das, was Open Access mit dem allen gehörendem Wissen meint. Wenn also unsere westliche Kultur in Gefahr ist, dann durch Literaturwissenschaftler, die eifrig Softwarepatente verteidigen und wahlweise die Zeit der deutschen Kleinstaaten im Deutschen Reich oder den Nationalsozialismus zur Argumentation heranziehen. Wer sich nun kopfkratzend fragt, warum solche Nieten unter "Was wird" abgehandelt werden, sei auf den 7. Mai verwiesen, an dem die zentrale Debatte gestartet wurde. Wie wichtig diese ist, kann man an den hilflosen Überlegungen auf Netzpolitik sehen. Die digitale Boheme weiß offenbar nicht um ihre eigene Geschichte.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 03 Mai, 2009, 04:17
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.


Was war.

*** Ja, war da eigentlich was? Ich reibe mir die Augen, zwicke mich am Ohrläppchen, vielleicht muss ich gar in den Spiegel gucken, ob ich existiere, wie andere, die am 1. Mai unterwegs waren. Maikrawalle überall, entsprechend martialische Berichte von den "Straßenschlachten", aber nichts aus der norddeutschen Tiefebene und dem freundlichen Hannover. Dort gab es die erste gemeinsame Demonstration von palästinensischen und jüdischen Gemeinden und Gruppierungen gegen die Nazis – die friedlich verlief. Ja, so friedlich war meine Tiefebene, ein Gebiet, das es in dieser friedlichen Form bald nicht mehr geben wird. Mit Schrecken wurde in dieser Woche bei Hart aber Fair eine Landkarte Deutschlands präsentiert, die zeigt, wie in Deutschland die "Todesgrippe" wüten kann. Rot eingefärbt die besonders gefährdeten Regionen Schleswig-Holstein, Hamburg, Bremen, Niedersachsen und MeckPomm, kurzum die ganze norddeutsche Tiefebene ist dran, wenn Menschen und Schweine verrecken. Die Bundesländer, die nur 11 Prozent Medikamente horten, sind nach den aufgeregten Worten des einen Talkbergs dran, wenn es ernst wird mit dieser Gefahr, über die Journalisten aufgeregt quieken.

*** Also, da war nichts. Auch die Revolution ist zum 1.Mai nicht in der Norddeutschen Tiefebene ausgebrochen, das passierte nur in Karlsruhe, wo der User, zum You Ser 2.0 geadelt, aufgerufen ist, die unmündige Gesellschaft von ihre Ketten zu befreien. Ein "Kind der Massen" wird die Choose deichseln und als Ksument das revolutionäre Subjekt der Geschichte werden: "Heute kann nämlich ein Kind der Massen über die Technologie und deren Wirkungen auf die Musik, den Sport, die Unterhaltung in viel mehr Disziplinen einen sozialen Aufstieg machen als bisher. Es sind die Regenbogenfarben der Demokratie, die heute dem Kind der Massen für seine Karriere offen stehen." Das Kind der Massen, nennen wir es mit der Bild-Zeitung einmal Annemarie Eilfeld oder Dita von Teese, greift sich nicht Hammer und Sichel, sondern das iPhone und befreit sich dank Twitter von seiner Umwelt: "Nach den historischen Subjekten der Geschichte wie dem Sklaven oder dem Arbeiter gibt es heute ein neues Subjekt, das zum Agenten der Veränderung werden könnte: den Konsumenten. Mit Hilfe der Technologie, die einen personalisierten Zugang zur Umwelt erlaubt, erhält der Konsument die Option, sich zu emanzipieren, d.h. sich von seiner Umwelt zu befreien."

*** Sieht man einmal davon ab, dass Sklaven es nicht einmal beim gutmütigen Hegel zum Subjekt geschafft haben, kann uns das Delirieren der Karlsruher Medientechnologien nur warnen. Die Kunstausstellung als "Trainingsfeld der Emanzipation" ist offenbar Germanys Next Terrorcamp, aus dem sich das Neue 2.0 mit Gewalt seine Bahn bricht. Alles heiße Luft, gepupst aus alten Ärschen? Fand die Revolution doch nördlich der norddeutschen Tiefebene statt, etwa in Schweden, wo die Provider derzeit keine IP-Nummern mehr speichern und das regenbogenfarbene Kind der Massen fröhlich seinen schweinischen Interessen nachgehen kann? Aber nicht doch, Schweden hat bekanntlich mit der Verurteilung von Pirate Pay den Heidelberger Jodler nach Schutz vor kinderpornografischen Urheberrechtsverzerrungen dem unlektorierten Mitteilungsbedürfnis der Nutzermassen ein Tritt in die Mentalitäts-Gemächte verpasst. Die abstruse Logik, die die "Zeit" ausdünstet wie schlecht gekochte Kichererbsen findet erstaunlicherweise einen Gegenpol in einem Artikel der Süddeutschen Zeitung über die "undifferenzierte Angst vor dem Internet". Natürlich steht dieser Artikel nicht online, Graffseibeuns.

*** Mit viel heißer Luft hat man bei der Deutschen Telekom offenbar in der Überwachungsoperation Rheingold hantiert. In dieser Woche sind Details über das monströse Überwachungssystem in Magenta bekannt geworden, die darauf hindeuten, dass viele Dinge nur erfunden wurden, damit viel Knete zu herbeiphantasierten "Innenquellen" und "Maulwurf-Frauen" überwiesen werden kann, a conto eingestrichen vom technischen Administrator der gesamten Operation. "Nachvollziehbare Spuren, zum Beispiel durch das Nachvollziehen von Zahlungsströmen, sind zu legendieren." Wenn die Erfindung einer Legende auf die Schnelle eine gängige Praxis von Unternehmen in diesem unseren Land wird, braucht sich niemand mehr Gedanken um den Datenschutz zu machen und mal murmeln, dass die Bürger gefälligst besser auf ihre Daten aufpassen sollen. Im Zweifelsfall sind die anderen im Erfinden von Daten immer besser.

*** Ich arbeite als Journalist im Internet. Wenn man so will und schwer aktuell und virentechnisch kommentierend guckt, ist diese Arbeit ein eitriger Ausfluss von Artikel 5 des Grundgesetzes, das im ersten Absatz die unzensierte Arbeit von Presse, Rundfunk und Film erwähnt. Fernsehen und Internet kommen nicht vor, weil sie vor 60 Jahren halt keine Rolle spielten, als am 23. Mai die BRD entstand. Zwei Absätze weiter im nämlichen Artikel geht es aber rund: "Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung." Nun hat unser aller Kanzlerin Frau Dr. Angela Merkel (hier gezeichnet vom Otto-Künstler Alfons Kiefer) in dieser Woche eine Kunstaustellung namens "60 Jahre – 60 Werke" eröffnet, die exklusiv von der Bild-Zeitung erklärbärt wird. Daher auch hier keine Links. Die Ausstellung ist "exklusiv auf den Geltungsbereich des Grundgesetzes beschränkt", denn nur freie Künstler schaffen große Kunst. In der DDR war Kunst immer Staatspropaganda, schon Käthe Kollwitz starb bekanntlich, bevor die DDR gegründet werden konnte. Und Georg Baselitz, Markus Lüpertz und Sigmar Polke konnten bekanntlich drüben keine einzige Farbtube ohne staatliche Genehmigung öffnen, weshalb sie rübermachten. Das wirklich Schöne an der Ausstellung ist Nummer 61, der BRDeutsche Plakatkünstler Klaus Staeck, der mittlerweile E-Cards vertreibt. Er wird offiziell nicht mitgezählt, damit die Sponsor-Zeitung nicht erklären muss, was ihr geschworener Feind alles gemacht hat. Das ist Deutschland mit seinem Grundgesetz Artikel 5.3 im Jahr 2009.

*** Was aber sind schon 60 Jahre BRD gegen 90 Jahre Pete Seeger? Der Sänger, der mit seiner Band The Weavers auf die schwarze Liste des Kommunistenjägers Joe McCarthy gesetzt wurde, hat heute Geburtstag. Zur Feier des Tages gibt es hier keinen Link auf die Amtseinführung von Präsident Obama, wo Seeger den Protestsong von Woody Guthrie sang, der eigentlich "God blessed America" heißen sollte. Wir feiern im Gedenken an diesen 1. Mai 2009 natürlich mit Tzena, Tzena Tzena von Issachar Miron. Es war ein großer Erfolg für Pete Seeger, dem er später ein Update verfasste, mit versöhnenden Versen, die er auf Arabisch sang. Youtube als Vergissnichtmaschine hält ferner eine Szene parat, aus Seegers Fernsehsendung Rainbow Quest, mit der Indianerin Buffy Sainte-Marie. Danach wurde die Sendung abgesetzt. Die Regenbogenfarben der Demokratie waren nicht sonderlich gefragt. Wie heißt es doch so schön? Die Freiheit ist immer der Ausknopf oder das Stoppschild des Andersdenkenden. Wo kommen wir eigentlich hin, wenn in einem Terroristen-Prozess die klugen Köpfe sich hinter einer Zeitschrift verstecken, die gerade ihr 20tes Jubiläum feiert? Zugegeben: So eine iX ist schicker und kleidsamer als eine Burka.

Was wird.

Das Ganze bringt mich flott in die nahe Zukunft. In Berlin treffen sich die so genannten Top-Experten zum 10. Datenschutzkongress. Datenschutz ist das, was unsere Agrarministerin Aigner anführt, wenn sie gegen die EU-Vorgaben ist, die Empfängernamen der EU-Agrarsuventionen im Internet zu veröffentlichen. Sinnigerweise sind es von Bauern getragene Initiativen, die gegen die Agrarministerin opponieren. Ich habe darüber schon einmal geschrieben und kann mich eigentlich nur wiederholen: Wie ulkig ist es doch, wenn gleich nach den von Westphalen die erlauchte Familie von der Leyen als Nummer 2 die größten Subventionsbrocken der EU einstreichen kann. Immerhin: Dieses Mal widersprechen die tapferen Datenschützer, denn angeblich ist datenschutzrechtlich alles geklärt. Wer also sperrt sich noch gegen die Veröffentlichung der Liste der Subventionsempfänger, als sei sie eine chinesische Sperrliste?

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 10 Mai, 2009, 04:45
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** "Ich bin jetzt immer da, wo Du nicht bist, und das ist immer Delmenhorst" – ach, ja, könnte man manchem entkommen, dann würde man sich sogar in Delmenhorst niederlassen. Denn auch die schönste Stadt der norddeutschen Tiefebene schwelgte in wohlfüligem Konsenspop. Ja, genau, Silbermond: Schlager für die gehobenen Stände; Schnulzen für das intellektuelle Publikum, das auch mal einfach nicht nachdenken will. Und wenns dann doch noch ein bisschen gutes Gewissen zusätzlich sein darf, gibt es ja Wir sind Helden. Oh je. Ich tröste mich mit meinen derzeitigen Lieblingen Angles, Terence Blanchard und Avishai Cohen; glücklicherweise muss man für die nicht nach Delmenhorst. So weit weg muss man auch sonst gar nicht gehen; ohne sich in der eigenen Paranoia zu suhlen oder sich in eine Jugendbewegung zu wünschen: Etwas mehr Tocotronic, etwas mehr Element of Crime, etwas weniger Juli, Silbermond und Wir sind Helden – ja, das täte diesem Land schon gut.

*** Womit wir natürlich auch wieder beim Stadtaffen wären. Ja, durch die Stadt weht ein rauer Wind; und auch wenn alles laut ist und bunt und blinkt, ist das Grauen nicht weit. Es sind grausige Zeiten: Mit Silbermond, Juli und Wir sind Helden in den strapazierten Gehörgängen beobachten wir, wie Herr zu Guttenberg beim Versuch, einzelne Firmen zu retten, die deutsche Sprache in einen seltsamen Mix aus BWL-Speak und Soziologen-Geschwurbel verwandelt. Derweil macht uns die Neue-Deutsche-Traumfrau-Literatur-Schreiberin Amelie Fried die Lese-Domina und Ursula von der Leyen den Internet-Erklärbär. Ja, grausige Zeiten, in denen es heißt, von China zu lernen, in denen eine gehörige Portion Masochismus dazugehört, sich auch nur zum Spaß als Von-der-Leyen-Fan zu outen. Grausige Zeiten, in denen man schon Angst haben muss, jemand könnte Satire für bare Münze nehmen. Bleibt nur noch Kapitulation? "Alle, die disziplinieren, sie müssen kapitulieren! Alle, die uns kontrollieren, sie müssen kapitulieren!"

*** Ach ja, es gibt halt Dinge, die ändern sich einfach nicht. Dazu gehört auch die immer noch weit verbreitete Haltung, Europawahlen seien nicht wichtig. Aber weit gefehlt. Offensichtlich nehmen die EU-Parlamentarier das, was eine repräsentative Demokratie ausmacht, noch wichtiger als die meisten Bundestagsabgeordneten. Man mag nicht allen Entscheidungen des EU-Parlaments selbst zustimmen – so ist der Lauf der Demokratie. Doch zeigen nicht erst einige Entscheidungen der letzten Wochen, dass die EU-Parlamentarier offener für Diskussionen und Entscheidungen im Parlament zu sein scheinen als der durchschnittliche Bundestagsabgeordnete. Wann wurden zuletzt im Bundestag solche Schlachten mit der Regierung ausgefochten, die das EU-Parlament der Kommission und dem Rat immer wieder liefert? Wann wurden zuletzt im Bundestag Entscheidungen gefällt, die manche Bürger, aber auch viele Lobbyisten überrascht hätten? Bundestagsdebatten erscheinen als ein ritualisierter Statementaustausch – kein Wunder, dass sich die vermeintlichen Debatten, in denen die Redebeiträge lediglich auf Papier zu Protokoll gegeben werden, kaum von den realen Debatten im Plenum unterscheiden. Man ist ja schon froh, dass bestimmte Elemente der deutschen Demokratie immer noch zu funktionieren scheinen. Da hat so mancher Beobachter, der überall die Flöhe husten hört, dieses Mal doch tatsächlich einen Elefanten beim Tröten erwischt.

*** Zu den Dingen, die sich einfach nicht ändern, gehören auch die unabänderlichen Tatsachen, dass es "seit ewig" die UPL gibt und man dennoch immer etwas vergisst, wenn es auf Reisen geht. Das Handtuch mag bei der Reise zum kleinen Cafe am Ende des Universums nützlich sein, doch was ist mit USB-freien Gegenden auf der Welt, wo eine Diskette gefragt ist, damit die kleine Wochenschau in der großen norddeutschen Tiefebene aufschlagen kann? Gibt es, ich habe es gerade durchgemacht, wenn dieser Text erscheinen sollte.

*** Dann gibt es aber auch die ewigen Gewissheiten. Etwa die, dass Herzog Atomisier'se erst nach dem Tag erscheint, an dem die Tastatur von meinen kalten, starren Finger gezerrt wird. Nun ist es raus: Das schönste nicht erschienenste Produkt wird nicht erscheinen. Der Balls of Steel Award geht an die Entwickler des Spiels, die von der Schließung ihrer Programmierbude überrascht wurden, wahrscheinlich genauso überrascht wie Darl McBride von der Tatsache, dass SCO liquidiert werden soll. Womit bald eine weitere ewige Gewissheit zu Grabe getragen werden dürfte, stilecht im Koffer, der die Welt bewegte.

*** Inmitten solch trauriger Nachrichten ist es doch tröstlich, wenn man lesen kann, dass das Debuggen vor 60 Jahren bereits mit dem dritten Computerprogramm begann, das in der Frühzeit der EDV geschrieben wurde. So endete der Traum vom fehlerfreien Programmieren bereits vor der ersten Subroutine. Helden wollten sie werden, die Programmierer und Techniker, doch was wurde daraus? Als 1964 der erste Programmierer in der drei Jahre zuvor gestarteten Suchmaschine Was bin ich vorgestellt wurde, wurde er deutschtümelnd als "Futtermeister für Elektronenrechner" bezeichnet. Und von den Ratefüchsen um den Nürnberger Oberstaatsanwalt und Meistersinger, äh Inquisitor Hans Sachs nicht erraten.

*** Der Mann war übrigens der Vorgesetzte von Horst Herold. Der wechselte später zum Bundeskriminalamt und entwickelte aus dem simplen Suchalgorithmus mit fünf Variablen und Schweinderl/No-Schweinderl von Was bin ich die negative Rasterfahndung, die die Rote Armee Fraktion aufspüren sollte und wegen überlasteter Informationskanäle (damals papierne Meldezettel der Streifen) ein grandioser Fehlschlag wurde. Das alles habe ich über einen Zufallspfad aus einem netten Büchlein über Suchmaschinen gelernt, in der ein Mensch aus der von ihm so beschriebenen "niedlichen Gegenwelt Schweiz" das Kunststück fertig bringt, den Datenbank-Theoretiker Edgar Codd und seine Arbeit bei IBM zu erwähnen und die Vorgeschichte von IBM auszublenden. Wer die Suche nach Devianten als Kern von Google begreift und erst mit einem Youtube-Hit beginnt, will halt ein niedlicher Schweizer bleiben. Und die neue Suhrkamp-Kultur verneigt sich devot vor Google.

*** Bleiben wir bei der Behörde, die ein Horst Herold mit dem schönen, von Marx entlehnten Spruch "das maschinelle Sein bestimmt das Bewusstsein" mit Rückenwind der RAF zur heutigen Großpolizei entwickeln konnte. In einer vom Blogger Fefe veröffentlichten Antwort auf die Bitte um Informationsfreigabe (PDF-Datei) zu den Verträgen zwischen BKA und Kinderpornosperrerprovidern ist gleich die öffentliche Sicherheit in Deutschland gefährdet, wenn Details aus den Verträgen bekannt werden. Randalieren dann empörte Kinderpornografiekonsumenten? Auch der Schutz geistigen Eigentums wird bemüht. Wahrscheinlich ist die Sperrliste gemeint, denn das Wissen um die harten Web-Adressen, die tatsächliche Kinderpornografie zeigen, ist leyenhaft gerechnet bekanntlich Gold wert, da ein Millionengeschäft. Oh, ich habe die Jugendpornographie vergessen, die die SPD-Abgeordnete Renate Gradistanac gleich hintendran hängt. Es ist ja zu pervers, wenn Stripperinnen sich mit Zöpfchen präsentieren. Und wie versaut ist eigentlich das Urheberrecht? Genau.

*** Heute am Muttertag vor 40 Jahren war Peter Alexander mit "Mama" Heintje auf dem Titelblatt der Bravo. Es war der Tag, als die Turtles und die Temptations im Weißen Haus spielten, um Tricia Nixon einen Wunsch zu erfüllen. Im Koks-Rausch fiel Professor Mark Volman fünfmal von der Bühne. All das schreibe ich nur, weil eine durchaus ehrenwerte Webmaschine mir erklärt hat, dass heute vor 6 Jahren Steven Tyler von Aerosmith seinen ersten Ehrendoktor in der Sparte Musik erhielt und den Rest nebenbei serviert. Ja, das ist das Wissen der Vielen, die beim guten Journalismus mitmachen wollen.

Was wird.

Die Woche beginnt damit, dass am Montag der Innenausschuss des Deutschen Bundestages über das "Gesetz über das Bundesamt für Speicherung in der Informationstechnik" berät. Nein, das ist kein Schreibfehler, sondern steht als bissiger Vorschlag zur realitätsnahen Umbenennung der Behörde in der Stellungnahme des Dresdener Informatikers Andreas Pfitzmann, die der Bundestag angefordert hat. Pfitzmann bewegt sich auf der Linie der Kritik, die die Gesellschaft für Informatik am BSI-Gesetz geäußert hat und konstruierte folgenden Fall einer Schadens-Attacke: Eine Nachricht kommt, sieht harmlos aus und bleibt ungelöscht. Eine zweite Nachricht kommt, ebenfalls harmlos, nach 5 Jahren, enthält aber den Befehl, die alte Nachricht zu addieren, das Ganze als Binärcode zu interpretieren und auszuführen. Gut, das ist ein hypothetischer Fall mit einem frei gewählten Zeitraum. "Hieraus ergibt sich, dass Maximalfristen für eine Speicherung von 'Bösewichten' immer verlängerbar sind, so dass letztlich nach Gesetzesentwurf alle Nachrichten unbefristet gespeichert werden dürfen." Die Bundesbehörde für Speicherung der Informationstechnik wäre eine ideale Ergänzung für das Bundeskriminalamt, das für die Online-Durchsuchung zuständig sind. Da beide Behörden dem Innenministerium unterstehen, kann das ebenfalls umbenannt werden. Ohne parlamentarische Kontrollkommission, die die Arbeit des BSI überwacht, ohne richterliche Anordnung für den Eingriff in die informationelle Selbstbestimmung, ohne Beschneidung der Weisungen obersten Amtsleitung bei BSI und BKA bekommen wir ein Überwachungsministerium der Extraklasse, das passend Bundesminsterium für Wahrheit (BMfW) heißen könnte. Der Sport wird ausgegliedert und kommt ins Auswärtige Amt: Eine bombige Erfolgsstory soll weitergehen.

Bombig geht es derweil auch in Bochum zu, wo Martin Budich angeklagt ist, zu einer "schweren gefährlichen Körperverletzung" aufgerufen zu haben. Das Verfahren beginnt am Donnerstag. Der älteren Jahrgängen vom Kampf gegen die Volkszählung her bekannte Budich hatte auf der von ihm verantworteten Website zu einer Demo im Rahmen der Aktion "Wir sind Bochum: Nazis sind es nicht" aufgerufen und dabei das Logo veröffentlicht, das in Bochum plakatiert wurde. Es zeigt den vielen Gamern bekannten Bomberman, der auf dem ZX Specki seine bombige Karriere begann und es mittlerweile bis auf die Wii geschafft hat. Seine Genealogie reicht bis zu den Minesweepern. Aus der Bombe ist eine Torte gephotoshopped worden, wie die moderne Was-bin-ich-Suchmaschine zeigt. Der 58-jährige Budich scheint kein Gamer gewesen zu sein, interpretiert er doch das vertraute Bild als wackliges Strichmännchen. Umgekehrt spielt die Staatsanwaltschaft verrückt und macht aus dem Photoshop-Klau ein Klau der Spielidee im "Real Life", den Bombenwurf auf marschierende Nazis. Das Argument des Staates ist schlicht: eine Torten- und Kuchenattacke im Sinne eines Zuckerschleckens für Nazis war nicht gemeint. Der letzte, der dieses Konzept mit Schnuckerchen un Zuckerchen verfolgte, war schließlich der auch in Bochum bekannte Kurt Tucholsky.

Und schießen sie-: du lieber Himmel,
schätzt ihr das Leben so hoch ein?,
Das ist ein Pazifisten-Fimmel!,
Wer möchte nicht gern Opfer sein?,
Nennt sie: die süßen Schnuckerchen,,
gebt ihnen Bonbons und Zuckerchen...,
Und verspürt ihr auch,
In eurem Bauch,
Den Hitler-Dolch, tief, bis zum Heft-:,
Küßt die Faschisten, küßt die Faschisten,,
küßt die Faschisten, wo ihr sie trefft-!,

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 17 Mai, 2009, 03:43
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Das ist ja ein schöner Schlamassel. Hal Faber ist weit weg und trainiert zum bald bevorstehenden Jubiläums-WWWW die Hohe Schule des Surfens, natürlich dort, wo bald die Weltmeisterschaft der Surfer steigt. Wie damals, als eine kleine Projektdatei in Vertretung von Hal das WWWW schmiss, sollte diesmal eine kleine Exceldatei ran. Nicht irgendein Spreizblatt, das das Wachstum von Intershop berechnet oder die Sümmchen, die die Gläubiger von SCO bekommen können, wenn diese Firma liquidiert wird. Nein, die Exceldatei sollte keine geringere als die Exceldatei sein, die das BKA tagtäglich an die Provider verschickt, damit sie ihre belächelte DNS-Sperrtechnik auf dem neuesten Stand halten können. Es wäre doch mal ganz nett, den Blick aus der Perpektive einer Datei zu wagen, die den gesammelten Schmutz und Schund der Internetwelt enthält. Von einer Datei, durch die sich alle ach so zensiert fühlen, während alle die DNS-Sperre für wirkungslos halten.

*** Doch daraus wird nichts. Nach Protesten der Provider ist die kleine Exceldatei in den vorzeitigen Ruhestand geschickt und durch eine XML-Lösung ersetzt worden. Wer jetzt mit dem kleinlichen Einwand kommt, dass ebensogut eine XML-Datei die Wochenschau aus der norddeutschen Tiefebene übernehmen könnte, verkennt den Stand der Dinge. Die XML-Datei, die das BKA nun den Providern vorgelegt hat, ist in ihrer Struktur von der Polizei eines anderen Landes übernommen worden und "geistiges Eigentum des BKA und der Vertragspartner". Das Copyright liegt bei einer befreundeten Polizei, die so internett ist, das Wissen mit den deutschen Kollegen zu teilen. Der Schutz des geistigen Eigentums ist angewandter Kinderschutz ist der praktizierte Auftritt der wehrhaften Gesellschaft von Tyksland. Nix Excel, nix XML und nicht mal Mike Massimo, der als erster Astronaut Twitter nutzt – der Wochenrückblick ist der Wochenrückblick, die Feierei kann warten.

*** Tragen wir lieber unser Schärflein zur Versachlichung der Debatte bei. Nach Auffassung eines Professors vom Hasso-Plattner-Institut, das sich lustige Sachen wie einen Handy-Gärtner für die Welt von morgen ausdenkt, werden "irrationale Ängste" geschürt, dass Websperren Stück für Stück auf weitere Inhalte im Internet ausgedehnt würden. Fragen wir nicht, wie rationale Ängste aussehen, sondern schauen uns lieber irrationale Beispiele an, wie das Bundesinnenmnisterium Parodien bekämpft, die das Bundesinnenministerium allzugut imitieren. Gleichzeitig freut sich besagter Professor darüber, dass das Internet Rückgrat der modernen Gesellschaft ist und mit IPv6 noch rückgratlicher wird, als "wichtige Voraussetzung für die Internet-Kommunikation mit und zwischen Fahrzeugen sowie in Sensor-Netzwerken mit RFID-Technologie." Fehlen nur noch das Terror-Bit, das KiPo-Bit und natürlich das universale Kampf-Bit 42 gegen das Rot-Geklicke im Heiseforum, Godwins Laugh und die Frage nach dem Sinn des Lebens.

*** Die seltsamen Auffassungen des Professors über strafbare Inhalte im Internet haben den Widerspruch von Juristen angestoßen und die Eltern mit IT-Berufen auf die virtuelle Straße getrieben. So mancher blöde Sack ist dabei leider auch unterwegs. Doch das ist nur der Anfang der Debatte, in der nach der DNS-Blockade die IP-Sperre als nächste Stufe einer effektiveren Internet-Kontrolle ins Spiel kommt. In der Politik ist der Unsinn von eineindeutigen IPs schon angekommen. Wenn die Befürworter von Sperren die härtere Methode wollen, weil die DNS-Technik nicht wirkt, können die Sperr-Gegner aufatmen, die sich über die unwirksame Technik aufregten. Und alle treffen sich vor ihrem böhmischen Dorf zu einem großen Abschlussfest, auf dem die Stimme für Kinder singt, besser bekannt als die Bielefelder Domspatzen. Oder?

*** Eine ähnlich verquere Debatte wie beim "Kampf gegen Kinderpornographie" wird über Open Access geführt, kunstvoll verkleistert mit Googles Versuchen, Buchrechte für biologisch abgebaute Papierschwarten zu sichern. Dabei steht Open Access für ein anders gelagertes Problem: Ein Wissenschafter geht zu einer Zeitschrift, die einem Verlag gehört, reicht dort seine Arbeit ein, die von anderen Wissenschaftern begutachtet wird, die meist ebenfalls durch öffentliche Gelder finanziert werden; die Forschungsarbeit selbst, auf der der wissenschaftliche Artikel beruht, ist auch mit öffentlichen Geldern finanziert, und das Produkt, die Zeitschrift mit diesen wissenschaftlichen Artikeln, wird wieder an die öffentliche Hand – also in der Regel wissenschaftliche Bibliotheken und Forschungsinstitute – verkauft. Wenn die Öffentlichkeit das gesamte System finanziert, sollte der Zugriff frei zugänglich sein, etwa in einer ordentlichen Datenbank bereit gehalten werden. Diese Idee feiert an diesem Wochenende eine Art Geburtstag: Vor 30 Jahren lieferte der Franzose Jean-Francois Lyotard eine Auftragsarbeit ab, die der "Conseil des Universités de Gouvernement du Québec" bestellt hatte. Titel der Arbeit: "Les problèmes du savoir dans les sociétes industrielles les plus développées". Der Bericht erschien pünktlich zum Ende der Sommerferien im September auch als Buch in Paris und geistert seitdem als "Das postmoderne Wissen" durch viele Debatten.

*** Eigentlich wollte die Universitätsverwaltung eine einfache Antwort auf die Frage, wie sich "intelligente Terminals" in Forschung und Lehre auswirken, doch einem echten Philosophen wie Lyotard war das zu trivial, er ging gleich mit der "Krise der großen Erzählungen" aufs Ganze, zumal er die Frage der Universitätsverwaltung schnell und richtig beantortet hatte: Man muss die Arbeit mit den Terminals beherrschen. Zu lehren sind "Nicht die Inhalte, sondern den Gebrauch von Terminals, das heißt einerseits neue Sprachen, und andererseits eine raffiniertere Handhabung jenes Sprachspiels, das die Befragung (von Datenbanken) darstellt: Wohin die Frage richten, das heißt welcher (Daten-) Speicher ist für das, was man wissen will, relevant? Wie sie formulieren, um Fehlgriffe zu vermeiden? usw. /.../ Die Enzyklopädie von morgen, das sind die Datenbanken. Sie übersteigen die Kapazität jeglichen Benutzers. Sie sind die 'Natur' für den postmodernen Menschen." Den mitunter ordentlich verschwurbelten Rest kann, wer will, direkt bei Lyotard lesen. Im Rahmen dieser kleinen Wochenschau geht es nur darum, dass Lyotard deutlich hinweist, was Open Access heute verfolgt: "Die Öffentlichkeit müsste freien Zugang zu den Speichern und Datenbanken erhalten." Übrigens ein Punkt, den der von ihm so kritisierte Deutsche Niklas Luhmann in Bielefeld kaum anders formulierte. In einem kleinen Interviewbüchlein erzählte Luhmann vom Projekte eines Arztes, der eine umfassende Datenbank über Tropenkrankheiten zum allgemeinen Zugriff zu errichten. "Computersysteme thematisch zu zentralisieren, macht überhaupt keinen Sinn."

*** Nicht zu verleugnen ist, dass Lyotard mit seinen Überlegungen über die intelligenten Terminals auch eine Hymne auf die heroische Arbeit der Informatiker und Mathematiker produziert hat, die der Übersetzer als "Einbindung der Informatik in einen neuen Irrationalismus" charakterisierte. Da geht es 30 Jahre später doch erheblich nüchterner zu: "Allen Disziplinen, die eine Verbindung zur 'telematischen' Bildung aufweisen (Informatiker, Kybernetiker, Linguisten, Mathematiker, Logiker, ...), müsste die Priorität in der Lehre zugestanden werden."

Was wird.

Ach ja. 60 Jahre und kein bisschen weise? Der weise Heribert Prantl meint, es sei ein "Liebeskummer-Brief", dieses Grundgesetz, das nunmehr 60 Jahre alt wird. Nicht auftrumpfend, ohne Pathos und ohne Pauken, ohne Trompeten. Es sei nüchtern, fast schüchtern. Ach ja, Liebeskummer könnte man schon kriegen bei diesem Geburtstag und den Gedanken an die Jubilarin. Denn schüchtern, das sind heutzutage diejenigen gar nicht mehr, die die Hüter dieses Grundgesetzes sein sollten, es aber immer weiter aushöhlen. Wenn schon das Polizeifahrzeug mit eingebauter IPv6-Vorfahrt schneller am Tatort ist, muss auch das Grundgesetz endlich der Sicherheit die ihr gebührende Vorfahrt einräumen. Wer redet denn noch von Freiheit und Grundrechten, wenn er Sicherheit haben kann? Dass dieser Sicherheitswahn ein Schicksal ist, das auch Vogelfreunde ereilen kann, macht die Sache nicht besser, selbst wenn sich bei sonst äußerst sicherheitsbewussten Publikationen leise Zweifel einschleichen. Und dass heutzutage ein muslimischer Wissenschaftler und Schriftsteller einen Preis nicht bekommen darf, weil er mit dem Kreuz eigentlich nichts anfangen kann, von tiefreligiöser Kunst überwältigt aber dessen inneren Gehalt zu erkennen vermeint, zeugt auch davon, dass die Grundrechte selbst für intelligent zu haltende Menschen so manche  Fallstricke in sich bergen. Ach, sollen sie doch fallen. Wir aber wünschen uns zur Feier des 60. Geburtstags des Grundgesetzes John Zorns "Kristallnacht" und Luigi Nonos "Atmendes Klarsein" als Begleitmusik: "Manche Konzepte und Ideen sind abgestanden; heute ist es unbedingt nötig, die Phantasie so weit wie möglich in den Vordergrund zu stellen."

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 24 Mai, 2009, 07:25
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Der Bundeshorst ist wieder Präsident aller Deutschen und die Werksmannschaft von VW ist Meister aller deutschen Fußballer – ach, was für ein historischer Tag, als in Deutschland wieder einmal in eins fällt, was zusammenpasst. "Es muss sich alles ändern, damit es bleibt, wie es ist", meint der garibaldisch aufständische Tancredi in Lampedusas "Gattopardo" (den meisten wohl noch untet dem Titel "Der Leopard" bekannt). Gilt auch das Umgekehrte, dann stehen uns ja einschneidende Änderungen bevor, da ja alles so bleibt, wie es ist. Das nichts so bleibt, wie es ist, weil man ja bekanntlich nicht weiß, ob's besser wird, wenn's anders wird, aber es anders werden muss, wenn's besser werden soll, dafür steht weder Horst Köhler noch der vom großen VW-Geld gepuschte Wolfsburger Fußballclub. Ach, vergessen wir das alles erst einmal, widmen wir uns anderen Dingen.

*** "If anyone should ever write my life story, for whatever reason there might be", sang Gladys Knight mit den Pips, um dann inmitten aller Höhen und Tiefen kategorisch festzustellen "you are the best thing that ever happened to me". Es war das ultimative Kompliment der Prinzessin des Souls an ihr Publikum und wird heute der Dank an meine Leserschaft sein: Dies ist die 499. Wochenschau aus der norddeutschen Tiefebene, seit der Spaß begann. Nummer 500 werden gute Freunde bestreiten, die mir immer mal wieder geholfen haben "Life's Ups and Downs" zu meistern. Das rote tanzende WWWW (nur einmal war es leicht verändert, als Werder Bremen Deutscher Meister wurde) erscheint nunmehr seit 2000 in dem kleinen Verlag in der norddeutschen Tiefebene, komplett mit einigen Jahresend-Rückschauen eine lustige Strecke voller Höhen und Tiefen. Je nach Perspektive ist 500 ein rundes oder willkürlich gewähltes Jubiläum, eines, das besser mit der Ausgabe 512 begangen wäre. Aber Zahlen sind relativ, wie Wochenschauen. Vor dem WWWW erschien diese Form des Nachmurmelns über die IT in einer Wochenzeitung gedruckt, insgesamt 279 mal, bis sie eingestellt und durch eine ebenfalls gedruckte Online-Wochenschau ersetzt wurde. Die brachte es auf 79 Rückblicke, ehe dank eines netten Angebotes des zuständigen heise-Redakteurs daraus das WWWW werden konnte. 857 ist auch sehr rund.

*** Ach ja, die Life Story: Als ich mit dem Journalismus begann, waren Steno- und Schreibmaschinenkenntnisse ein Grundfach. Schnell und ohlerfrei ohne Rücktaste zu schreiben, war ein absolutes Muss, denn jeder Text wurde auf Matrize geschrieben, damit ein Dutzend Kopien gezogen werden konnten. Richtig diktieren musste auch gelernt werden: Von unterwegs aus telefonierte man eine Nummer an, eine Phonotypisten antwortete und tippte den Text, natürlich fehlerfrei. Welche Schreibmaschine benutzt wurde, welcher Stift Kürzel krakelte, war vollkommen egal. Dass mit der IT alles besser geworden sein soll, glauben nur besonders beschränkte Geister. Wenn man liest, dass US-amerikanische Journalismus-Schulen iPhones und iPods und zukünftig womöglich Tablets von ihren Studenten verlangen, weil sonst kein Qualitätsjournalismus möglich sein soll, kann man nur den Kopf schütteln. Nichts gegen die Gehi^H^H^H^H Ohrwäscher von Apple, aber bei welcher pulitzerpreisträchtigen Geschichte der letzten 10 Jahre steht der Disclaimer, dass die Story auf einem Mac, einem PC oder meinetwegen einem Atex-System entstand? Der Zwang zum iPhone ist mindestens so verblödend wie die Hyperventilation über Twitter.

*** Das beste, was mir in all den Jahren passieren konnte, liest gerade das WWWW. Der mündige Leser, egal ob er sich per RSS eine eigene Zeitung zusammenstellt, als treuer Heisemolch den Ticker abarbeitet, bis der Heisig in der Zwangsjacke brüllt, dieser aktive Leser ist eine Entwicklung, ohne die es das WWWW in der heutigen Form nicht geben würde. Früher war jeder Leserbrief zu einem gedruckten Artikel eine Sensation, jedenfalls dann, wenn er nicht von den Dauerlesebriefschreibern kam. Heute heißen sie Forumstrolle, heute steht nicht nur Erster! und Allerallerletzter! unter der Wochenschau, sondern es gibt neben Anregungen und Lob natürlich die Forderung, dass das WWWW abgeschaltet werden soll, gähnend langweilig ist, viel zu kompliziert und verschroben – und daneben manche Diskussion ... Von WWWW-Lesern stammen die Anregungen zum jährlichen Sommerrätsel und die ultimative Hitliste von Songs und natürlich von der Computersongs.

*** Dann wären da noch die Tipps, mit denen Heise-Leser diesen kleinen Newsticker und die anhängige Wochenschau versorgen. Man kann nur dem unbekannten Admin des zentralen Mailgateways danken, der Details über die neue Datenpanne bei der HSH Nordbank schickte. So stellt sich heraus, dass das Gateway je nach Empfänger mit PGP oder X.509 verschlüsseln kann, die überlastete Bafin und die Verantwortlichen des deutschen Bankenrettungsprogrammes jedoch die Verschlüsselung ablehnen. Das krasse Gegenteil ist die ehemalige kleine Exceldatei, die nach einem völlig verqueren Forderungskatalog "interessierter Verbände" wie dem IVD verschlüsselt werden soll, damit sie geheim bleiben kann. Gleichzeitig wollen sie die Liste einsehen und kontrollieren, damit nicht etwa die Lieblingsmesse des IVD, die Erotica, auf die Sperrliste gerät. Der Jugendschutz im Internet gehört eben in die Hand von Fachleuten, wie das Seminarprogramm beweist.

*** Ich schweife ab. Wer heute über die Zukunft des Journalismus schwadroniert, unterschlägt gerne, dass die berühmte Leserbindung erst mit der allmählich sich entwickelnden Vernetzung und dem Einzug von Kommentarforen eine wirkliche Bindung erzeugt, die Leser wie Schreiber bindet. Feedback im großen Stil ist eine zähe Errungenschaft, die seit den Zeiten der Newsgroups, der BBS oder auch der Compuserve-Foren (mit auskunftsfreudigen Spiegel-Redakteuren) ständig erweitert wurde – als Admin in den heise-Foren hat man es auch nicht leichter oder schwerer denn als Sysop in den Compuserve-Foren selig. Als ich anfing, steckte die Bindung von Lesern und Schreiben in den Kinderschuhen: Meine ersten Erfahrungen waren IBM-Lochkarten, mit denen Hörer jede Ausgabe der Wortbeiträge in der Jugendsendung Radiothek im Westdeutschen Rundfunk bewerten sollten. Die Karten wurden von den Jusos gesammelt, die Rechenzeit in einer parteinahen Rechenzentrale gekauft hatten, damit der Vorwurf des Rotfunks entkräftet werden konnte, mit dem in der ganzen bundesdeutschen Republik gegen diese Sendung und andere fortschrittliche Formate gehetzt wurde.

*** Journalisten sind nicht mehr Randfiguren der papierverarbeitenden Industrie, wie Enzensberger einmal formulierte, fein so. Aber die schöne neue Welt des Journalismus ist heute voller Regeln. Es gibt welche für Twitter, die verblüffend den Regeln des Bundeskriminalamts (BKA) ähneln, wie sich deutsche Fahnder in Chat-Foren zu benehmen haben. Umgekehrt sind für Facebook Benimmregeln aufgetaucht, die das BKA übernehmen könnte. Zu den wichtigsten Regeln, die sich bewährt haben, gehört das Verlinken von Informationen. Die ersten Ausgaben des WWWW waren linkarm, doch dann füllten sich die Texte mit Verweisen. Juristische Streitigkeiten blieben nicht aus, doch nur ein einziger Link in die Privatsphäre eines Unwalts musste nach eine Niederlage entfernt werden.

*** Fast zeitgleich mit dem ersten WWWW tauchten die Blogs im Internet auf, bis heute freundliche Begleiter dieser Wochenschau. Eine begrüßenswerte Sache, wie ich in einem Blog-Buch schrieb, als die Blogs Mainstream wurden. Viele inspirierende Quellen dieser Wochenschau sind wieder versickert, einige im juristischen Sperrfeuer umgekommen; manch intelligentes Wesen hat sich auch schaudernd vor den Abgründen geflüchtet, die auch ein Internet-Mob so manches Mal zu graben versteht – aber kein Grund, das Kind mit dem Bade auszuschütten. Stellvertretend für die Opfer möchte ich Bluephod.net zitieren, stellvertretend für die subtilen Sperren natürlich Fefe. Heute feiert Bob Dylan seinen 68. Geburtstag. Der Mann ist natürlich umstritten, doch sein nicht gesungener Satz mag auch für das WWWW gelten: "A person is a success if they get up in the morning and gets to bed at night and in between does what he wants to do."

Was wird.

Nach den Bundesfeierlichkeiten für Staat und Präsident und Fußballer stehen in der nächsten Woche wieder die Bundeslächerlichkeiten zur Debatte. In einer Bundestagsanhörung vor dem Wirtschaftsausschuss werden Sachverständige öffentlich über Sinn und Zweck der Sperrliste gegen Kinderpornografie Stellung nehmen, die für Provider mit mehr als 10.000 Kunden Pflicht werden soll. Staatliche Einrichtungen sind ausgenommen. Wie es weitergeht, nicht nur mit dem WWWW, fasst diese Weisheit eines Netzindianers zusammen:

Erst wenn der letzte politische Blog zensiert,
die letzte investigative Zeitung geschlossen
und der letzte Journalist eingesperrt ist,
werdet ihr herausfinden, dass DNS-Sperren
nichts mit Kinderpronographie zu tun haben.

Aber vielleicht haben ja auch die Fehlfarben schon vor Jahren unser aller Abgesang zum Besten gegeben.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Eine Sonderedition) (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 31 Mai, 2009, 04:42
Es ist gar nicht wie immer. Zwar möchte die Wochenschau von Hal Faber auch heute den Blick für die Details schärfen; natürlich ist die sonntägliche Wochenschau Kommentar, Ausblick und Analyse, Rück- wie Vorschau zugleich. Aber es hat etwas Besonderes, wenn nunmehr das 500. Wochenende verstreicht, an dem Hal Faber seine unbedeutenden Einsichten zum Besten gibt. So sollen dieses Mal auch Freunde und bewunderte Kollegen zu Wort kommen.

Was war.

*** Was kann man heute besser feiern als den Geburtstag des großen Dichters und Journalisten Walt Whitmann? Wie könnte man anders beginnen als mit dem Song of Myself, diesem Gedicht, das der österreichischer Kritiker Hermann Bahr dem Publikum als "Lokalreportage mit Visionen" empfahl? Geht nicht. Geht schon gar nicht an einem Tag, an dem das 500. WWWW erscheint.

I celebrate myself, and sing myself,
And what I assume you shall assume,
For every atom belonging to me as good belongs to you.

Das passt: Heute sind die Atome gut gemixt, denn dieses WWWW entstand wie angekündigt nach dem AAL-Prinzip des Web 2.0. Andere arbeiten lassen und ruhig die Kohle einstreichen. Jedenfalls halbwegs: Das Honorar dieser Wochenschau geht an die Reporter ohne Grenzen, die in diesen Tagen für pakistanische Journalisten sammeln. Beim Kampf gegen die Taliban wurde die Pressefreiheit wohl in einem Terrorcamp vergessen.

*** So bleibt mir nur noch das große Vergnügen, die Anderen Arbeiter vorzustellen. Den Anfang macht der Ex-Redakteur der "Zeit" und Management-Berater Klemens Polatschek, zu seiner Zeit der Miterfinder der "Bulkware", aus der das WWWW entstand. Anschließend kommt Harald Taglinger zum Zuge. Mitte der 90er Jahre hatten wir gemeinsam viel Spaß, Journalisten die Nutzung des Internet zu erklären. Seltsam nur, dass es immer noch Kollegen gibt, die dieses Medium und seine Technik nicht verstehen wollen. Es folgt Felix von Leitner, mit seinem Blog der fnordistische Verschwörungsverlinker schlechthin. Dass Journalisten bloggen können, beweist Torsten Kleinz mit seinem dualen  System. Hier steuert er eine historische Notiz bei. Als Schriftsteller ist Peter Glaser mit seiner Glaserei ein würdiger Nachfolger von Joseph Roth. Seine Geschichte von Nichts ist äußerst lesenswert, komplett mit einem Wink ans WWWW. Zum Schluss sorgt mit Markus Hansen ein vergleichweise jüngerer Blogger dafür, dass nicht nur alte Säcke vertreten sind, sondern Leser, die das WWWW Nummer 1000 erleben könnten.

***"Why would a person ever need a computer?"
(Beatrice Dworkin Ballmer)

Hal Faber hat sich abgestöpselt und lässt seine elektronischen Kumpel schreiben. Das gab's noch nie. Normalerweise ist immer Hal zur Stelle, wenn bei anderen der Griffel fällt. Legendär seine Fahrten nach Hannover, weil Redakteure sich weitgehend auf die Position von Texteinfügemachern zurückgezogen haben und außerhalb tariflich geregelter Arbeitszeiten selbst Zusammentreffen mit britzelnden Schwergewichten meiden. Ja, Hal tut's auch für Geld, aber mit Segen von ganz oben.

Angesichts dieses Phasenübergangs im Redaktionsgewerbe kann das nichts werden mit dem Aufstand der Seelen gegen das große Säurefass namens Internet, in dem sich selbst die Kollegen schon wohlig auflösen.

Wir sind auch schon blau vor Wut, dass "im Internet" die Hälfte aller Schreiber glauben, der Satz "Die Zeit ist das Feuer, in dem wir brennen" in Star Trek VII stamme von ihnen selbst oder von Kapitän Picard oder von Dr. Soran (immerhin, der spricht den Satz dort aus) oder gar von Mr. Spock. Es ist zu wirklich zu dumm mit diesem Netz, schmerzhaft bewahrt es die qualitätsgemanagten Werke globaler Bestseller-Journalisten in marktführenden Wissensportalen auf. Allerdings, ohne die Quellen kollektiver Dummheit wie Google oder Wikiquote wüsste vielleicht niemand die korekte Antwort.

Zum Verbrennen kommen wir gleich wieder, aber vorher noch in Selbstreferentialität schwelgen. Wenn man schon einmal einen hohen Feiertag hat, soll man ihn auch missbrauchen. Das 500. Jubiläum des WWWW – Hintergrund der dieswöchigen Arbeitsentsorgungsmaßnahme an die Kollegen, mit der Herr Faber seinem Namen alle Schande macht – hat er ja schon vergangene Woche vorab selbst abgehandelt. Einerseits hat er also paradoxerweise die Arbeit doch bereits selbst erledigt und andererseits für diese Woche die möglichen Witze dezimiert. Dreimal Schande.

Im Ernst: So übel das Internet ist – mit den Faxaufträgen zu Fahndungsausschreibungen, die dank eines Nummerndrehers jahrelang aus unserem Wohnzimmer-Fax liefen statt in die Polizeizentrale nebenan, konnten wir auch nicht viel anfangen. Die abgebildeten Leute kannten wir meistens nicht.

Man muss es doch mal sagen. Echte Zensur ist immer gut, denn sie adelt bloße Technik zum Medium – das dann auch Intellektuelle endlich erkennen und lieben können, siehe Gutenberg und Voltaire. Dass Minister heute technische und juristische Nachhilfe für die Qualitätsverbesserung ihrer Initiativen durch eine Petition der kollektiv Dummen erhalten, ist doch ein großartiges Beispiel für die Transparenz moderner politischer Prozesse. Fest verlassen sich die Führer inzwischen darauf, dass sich selbst die krummste Idee im Feuer demokratischer Einwände zu einer leckeren Sache veredelt.

499 mal Hal und was ist, wenn Witz und Ernst wirklich nicht mehr zu unterscheiden sind? Wenn auch das ernsthafteste Bemühen in Wahrheit nur mehr dem Vergnügen einer gelangweilten Gottheit diente, die irgendwo da oben, unten oder drüben an ihren Fingern zieht, bis sie knacken? Wenn es egal ist, ob man als Dieter Bohlen oder als Mahatma Ghandi durchs Leben schlurft? Was für ein erhabener Gedanke! Auch nicht neu. Man kann dann auch Hal Faber sein.

*** Jubiläum? Ach, da fällt mir ein, wie ich 1994 zum ersten Mal via CompuServe dieses "Internet" mitgeliefert bekommen habe. Wollte es gar nicht. Hatte ich doch zwei Jahre vorher bei Eggi, meinem alten Kumpel in Berlin, etwas auf seinem Bildschirm flimmern gesehen. "Isn des?" "Internet." "Brauchstn des?" "Software klauen." Hatte ich aber 1994 im Herbst gerade nicht vor. Also bin ich trotzdem mal über dieses Browserprogramm da rein. Und die erste Adresse war eine Filmdatenbank. Sehr praktisch. Bei 18 Bytes in der Sekunde. Teuer bei CompuServe aber ... die ganze Welt ... in Grau. "Das wird sich wohl noch nicht so schnell durchsetzen" dachte ich mir und bin zu Burda Europe Online aufbauen gegangen. Einen schönen Datendienst mit klaren Grenzen. Zum Beispiel der des eigenen Businessplans. Wir haben dann ein Jahr später gleich wieder abgebaut. Erinnerte mich auch ein wenig an meine erste Online-Erfahrung überhaupt. Sommer 1987, mit einem der BTX-Terminals. Eigene Hardware. "Machtsn da?" "BTX." meinte Achim. "Und?" "Zugpläne über den Bildschirm, Seite 10 Pfennig." "Fahre U-Bahn. Schwarz." Durchblick war eben schon vor 10 oder 15 Jahren alles.

*** Der Mensch braucht Struktur im Leben. Mit Veränderungen kommen wir nicht gut zurecht. Evolutionär sind Veränderungen mit Gefahr assoziiert und wir reagieren darauf, indem wir Adrenalin ausschütten und andere, wichtigere Dinge aus unserem strukturierten Leben stehen und liegen lassen. Im Internet kann man das hervorragend beobachten, z.B. bei E-Mail, RSS, Twitter und Konsorten. Die Online-Menschheit ist in zwei Lager zerfallen. Das GAGA-GOGO-Lager läßt sich minütlich von Junkmail oder Updates ihrer 300 RSS-Feeds unterbrechen und kann an nichts mehr als ein paar Minuten am Stück arbeiten.

Die andere Hälfte, das TRALAFITTI-Lager, hat aufgegeben, hat 5000 ungelesene E-Mails in der Inbox und guckt von ihren 500 RSS-Feeds nur zwei tatsächlich an. Wie sich doch alles wiederholt. Genau daran sind auch die Browser-Bookmarks verendet. Solange man nicht mehr als ein halbes Dutzend hat, sind sie hilfreich und nützlich, aber darüber hinaus binden sie nur noch Energien, die man für ihre Verwaltung aufbringen müsste. Meine in Bookmarks gepflegte Liste von 50 spannenden "müsstest du dir mal anschauen, wenn du mal Zeit hast" Blogs hebe ich nur noch aus Nostalgiegründen auf, und sie werden vermutlich eines Tages Teil meines Nachlasses sein. Überhaupt sind von meinen Bookmarks die Hälfte 404.

Dann gibt es noch Politiker, die beides zusammen denken.

Wie gut hatte es doch die Generation meines Vaters, die abends um acht die Tagesschau geguckt hat, und dann wohl informiert war. Auf diese Viertelstunde waren die Menschen vorbereitet, sie waren ausgeruht, aufnahmefähig und interessiert. Mit der Post war das ähnlich. Die kam täglich, nicht minütlich. Ich arbeite seit 10 Jahren am Besten in der Bahn, weil ich da kein Internet habe, das mich ablenken könnte. Und was tut die Bahn? Baut Internet in ihre Züge ein. Eine Katastrophe.

Ich will keineswegs die ganzen neuen Technologien verteufeln, im Gegenteil! RSS-Feeds sind eine hervorragende Möglichkeit, die Gewichtung einer Nachrichtenquelle zu unterwandern. Die für mich interessanten Meldungen sind häufig eher die, die die Zeitungen für unwichtig halten und unter "Vermischtes" oder auf Seite 4 im Kleingedruckten des Politikteils laufen lassen. Und nicht zuletzt sind auch die Navigationsseiten von Zeitungen im Allgemeinen auf Echtzeitkonsum ausgelegt. Ohne Scrollen kriegt man nur 4 bis 5 Meldungen zu Gesicht, und die ändern sich halbstündlich. Wenn man mal ein paar Stunden etwas anderes getan hat, sind die Hälfte der Artikel schon wieder rausgescrollt. Wenn ich das wollte, könnte ich auch RSS benutzen.

Bei Heise brauche ich kein RSS, weil da die Nachrichten schon per se ungewichtet im Ticker stehen. Und neben dieser (in meinen Augen großen) Innovation bin ich Heise auch dafür dankbar, dass ich wöchentlich mein WWWW kriege. Da habe ich mir dann auch dafür Zeit genommen, bin vorbereitet, interessiert und aufmerksam. Und bisher war noch jede Woche etwas dabei, für das sich die Lektüre gelohnt hat. In diesem Sinne: Danke, Heise! Danke, Hal! Und auf die nächsten 500 WWWW! Und fallt bloß nicht auf diesen Echtzeit-Mumpitz rein!

*** Die Fragen "Was war" und "Was wird" sind schwer zu trennen in diesen Zeiten. Denn was die Großkoalitionäre da zusammenkochen, hat den Geschmack der Vergangenheit. Was darf es sein? Ein staatlich konrolliertes Internet mit zertifizierter Erotik, wie es einschlägig bezahlte  Vordenker fordern? Der Gilb hat die Lösung parat.

*** Im übrigen ist der Vorschlag, den Menschen in die Gegenwart einzusperren und ihn von Vergangenheit und Zukunft abzuschneiden, nicht erst unserer Zeit entsprungen und auch nicht an die ausschließliche Orientierung auf die elektronische Kommunikation gebunden. Die alte Bezeichnung für diese Form zentralisierter Kontrollmacht ist Bücherverbrennung."
Lewis Mumford, "Mythos der Maschine"

Am 35. Mai holt Onkel Ringelhuth seinen Neffen Konrad von der Schule ab. Auf dem Weg in die Wohnung des Onkels treffen sie ein sprechendes ehemaliges Zirkuspferd mit Namen Negro Kaballo. Dann fällt Konrad ein, dass er noch einen Aufsatz über die Südsee schreiben muss, und er versucht verzweifelt, in einem Lexikon ein paar Informationen zu finden. Es gelingt ihm nicht, und das Pferd schlägt vor, dass sie alle schnell mal die Südsee besuchen könnten. Auf dem Weg dorthin fahren sie mit der U-Bahn nach Elektropolis. Dort braucht niemand zu arbeiten, weil alles vollautomatisch geht. Gerade als die drei beginnen, den Ort als modernes Paradies anzusehen, wird alles durch eine gewaltige Überspannung zerstört...

Blackout in einer Maschinenwelt – eine moderne Geschichte. Aber Der 35. mai oder Konrad reitet in die Südsee von Erich Kästner ist bereits 1932 erschienen. Ein Jahr später gehörten die Bücher Kästners zu denen, die bei den Bücherverbrennungen der Nationalsozialisten auf dem Schlossplatz in Berlinins Feuer geworden wurden. 32 Jahre später, im Jahr 1965, wurden wieder Bücher von Erich Kästner ins Feuer geworfen, diesmal in Düsseldorf von Mitgliedern des Jugendbundes für Entschiedenes Christentums. Die Veranstaltung war zuvor vom Ordnungsamt genehmigt worden. Auf die Frage eines Journalisten, was er an diesem Abend vortragen werde, sagte Kästner, dass er etwas Aktuelles lesen werde, nämlich die Rede zur Bücherverbrennung, die er schon 1958 gehalten hatte.

Beinahe hätte auch ein anderer Bücherbrand sich wiederholt: Bei einem Feuer im Verwaltungstrakt der neuen Bibliothek in Alexandria wurden Anfang März 2003 dreissig Menschen verletzt. Die Bücher wurden alle vor den Flammen gerettet. Die erst ein halbes Jahr zuvor offiziell eröffnete Bibliothek ist eine moderne Version der berühmten Bibliotheca Alexandrina. Einige Jahrhunderte nach ihrer Gründung um 300 vor Christus war das Gebäude, in der das Wissen der Antike versammelt war, in einem Krieg abgebrannt. Die moderne Bibliothek, ein 200 Millionen Euro teures Prestigeobjekt, erinnert von aussen an einen riesigen Mikrochip. Kurz vor dem Brand kündigte die Leitung der Bibliothek ein Großprojekt an: Jedes auf der Welt existierende Textarchiv solle online verfügbar gemacht werden. Das könnte die Lernmöglichkeiten in Entwicklungsländern revolutionieren, in denen Wissen schwer zugänglich ist. "Die Bibliothek steht als ein historisches Symbol der Toleranz und der Vernunft der Sorge der Menschen über Gewalt und Fundamentalismus gegenüber", sagte Ismail Serageldin, der Direktor der Bibliothek von Alexandria. Kritiker fragten sich allerdings, wie weit die hohen Ideale in einem Land verwirklicht werden können, in dem Zensur immer noch gang und gäbe ist. So gibt es in Ägypten nach wie vor Bestrebungen, die Gesamtausgabe von "Tausendundeiner Nacht" wegen der "zahllosen Obszönitäten" nur in Bibliotheken zu Studienzwecken Bring mir diese Bücher, und wenn es sie gibt, werde ich sie vor deinen Augen verbrennen.auszuhändigen. Eine elektronische Version dieser Märchen hätte dadurch übrigens kurioser Weise in den USA schlechte Karten: Viele Bibliotheken benutzen dort Filtersoftware, um pornografisches Material zu sperren - eine Voraussetzung, um an öffentliche Gelder zu kommen.

Am 30. Mai 2009 endet die Bewerbungsfrist auf das Amt des neuen Chefs der UNESCO. Wir erinnern uns: Die UN-Organisation hat sich die Förderung von Erziehung, Wissenschaft und Kultur sowie von Kommunikation und Information ihrer 193 Mitgliedsstaaten zur Aufgabe gemacht. Von den derzeit vier Kandidaten gilt der ägyptische Kulturminister Faruk Hosni als aussichtsreichster Kandidat, die Nachfolge des Japaners Koichuro Matsuura anzutreten. Bereits vor einem Jahr hatte der Kandidat sich als Freund der signalstarken Sitte des Bücherverbrennens gezeigt. Auf die Behauptung eines Abgeordneten der Muslimbruderschaft, in Ägyptens Buchhandlungen und Bibliotheken stünden zu viele israelische Bücher, hatte der Minister geantwortet: "Bring mir diese Bücher, und wenn es sie gibt, werde ich sie vor deinen Augen verbrennen.

"Faruk Hosni ist ein gefährlicher Mann", so der Philosoph Bernard-Henri Lévy, der Filmregisseur Claude Lanzmann und der Nobelpreisträger Elie Wiesel in der französischen Le Monde, "ein Brandstifter der Herzen". In einem Antwortschreiben bedauert Minister Hosni nun seine Worte: "Nichts liegt mir ferner als der Rassismus, die Negierung anderer oder der Wunsch, sich in verletzender Weise über die jüdische Kultur oder eine andere Kultur zu äußern." Ein kleines Feuer, ausgepustet wie Geburtstagskerzen. Ach, fast vergessen. Der IT-Branchenverband Bitkom sieht bei den von der Bundesregierung geplanten Internetsperren Nachbesserungsbedarf in mehreren Punkten. Auch staatliche Internetanbieter wie Bibliotheken und Universitäten sollten nicht von der Pflicht zur Sperrung ausgenommen werden. Ein Fall für die UNESCO.

*** Mit Filtermechanismen ging es los, damals, im ersten Absatz, Anno 2000. WWWW? Eine Anomalie. Eine Störung. Mitten in der streng funktionalen Optik im Heise-Newsticker rote Buchstaben, nicht mal auf Linie. Und dann noch als Grafik. Dachte man nicht mal mehr bei Heise an die Bandbreite? Untergang des Abendlandes, wenn auch etwas spät, denn die digitale Apokalypse war ja schon zum Jahreswechsel erwartet worden.

WWWW. Es war Heise, aber nicht, wie wir es kannten. Hal Faber? War das überhaupt ein Realname? Usenet-Nervensägen gingen ins Killfile, die bandbreitenfressende Grafik mit den vier Ws in den Filter. Von diesen Filtern hatte er ja selbst geschrieben.

Gelesen habe ich den Kram nämlich trotzdem. Und dann eigentlich immer wieder. Und Leuten erklärt, dass sie manchmal die Links auch klicken müssen, um zu schnallen, um was es eigentlich geht. Um auch die etwas anderen Stories mitzubekommen, die es nicht in den Ticker und schon gar nicht in die gleichgeschalteten Mainstream-Medien schaffen.

Apropos Medien. Nun fällt das Jubiläum ausgerechnet in diese Medienkrise, von der man überall liest. Content ist teuer, aber keine Sau will dafür zahlen. Und die Werbung, die das alles retten soll, die filtern auch noch alle aus, die halbwegs wissen, dass man die Maus nicht drehen muss, wenn man mit dem Zeiger auch mal nach links will. Schade für Heise, da lesen diese ganzen Filterexperten nämlich besonders häufig.

Irgendwann würde wohl auch der Ticker nur noch aus Agenturmeldungen zusammengekleistert, meinte Hal mal. Die Agenturen würden technisch langsam besser, dann fiele das nicht mal unbedingt auf. In seinem ersten WWWW-Absatz las sich das mit den Agenturen noch anders, aber das ist ja nun auch schon eine Weile her.

Heute baut Hal vor, heuert Leute an, die für ihn schreiben. Zum 500. hat er sich einfach abgesetzt, womöglich als Ergebnis Faberscher Erkenntnis. Südamerika, munkelt man, Schildkröten streicheln. Oder als 13-jähriger Minensklave getarnt Coca-Blätter kauen, nicht nur lahme Cola süppeln. Und was die Medienkrise betrifft: Hey, User-generated Content geht immer, deshalb schreiben wir hier. AAL-Prinzip. Und wenn das mit den Agenturen nachher auch nicht rechnet, kann man ja immer noch die Kommentare aus wunderbaren Foren in den Ticker packen. Das weist dann auf Missstände in der Gesellschaft hin und regt zum Nachdenken an.

Wobei ich nicht glaube, dass das was wird, mit den Agenturen. Das WWWW, nein, ganz Heise ist kritischer Journalismus, wie er viel zu selten geworden ist. Eine Anomalie. Qualitätsjournalismus, wie ihn eine Agentur, deren Produkte überall reinpassen müssen, nie leisten können wird. Deshalb hoch die Tassen auf die nächsten 500 und die ganzen anderen Beiträge, die dann hoffentlich immer noch dazwischen stehen und die dann hoffentlich immer noch auf gleich hohem Niveau sind.

In letzter Zeit las man in eben diesen Beiträgen auch wieder häufiger über Filterexperten der anderen Art. Wenn die sich durchsetzen, brauchen wir bei Folge 1000 nicht nochmal mitschreiben.

Liest dann nämlich keiner mehr.

Was wird.

Kurras und kein Ende. Muss die Geschichte wirklich neu geschrieben werden? Müssen etwa wir einen Gedenktag für den korrekten bideutschen Beamten am 2. Juni einführen? Oder vielleicht einen für Klaus Wagenbach, der den Mord an Benno Ohnesorg, den Bruder meines Mathematiklehrers, schlicht als Mord bezeichnete und dafür ins Gefängnis musste? Aber nicht doch. All die strunzdummen Kommentare vom "Schuss, der die Republik veränderte" wimmern um Vergebung nach dem großen Vergessen. Heinrich Heine hat die Dinge schon ganz richtig gesehen, als er über deutsche Patrioten, West wie Ost schrieb:

"Der Patriotismus des Deutschen besteht darin, dass sein Herz enger wird, dass es sich zusammenzieht wie Leder in der Kälte, dass er das Fremdländische hasst, dass er nicht mehr Weltbürger, nicht mehr Europäer, sondern nur ein enger Deutscher sein will."

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 07 Juni, 2009, 06:05
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** 500 Wochenschauen und dann Schluss? Aber nein, nix da. Natürlich gebe ich nicht auf, so ausgelaugt diese Textfetzel auch sein mögen im Urteil der geschätzten Leser. Oder sind sie eher ausgeleitet, wie dies im Sprachgebrauch des BKA heißt? Ganz sicher jedenfalls sind sie ausgelutscht im Urteil der deutschen Rechteverwerter, die beharrlich einen deutschen Trumm namens Zählpixel fordern: 499 * 3 = 1497 Euronen Tantieme. So platzen die Blütenträume vieler Einreicher, während die Verwerter Millionen in die Rücklage stecken und über das böse Internet jammern, in dem Texte so sagenhaft schnell entwertet werden.

*** Ja, das Jammern über das böse Internet und all die neuen Kommunikationsformen ist derzeit schwer im Kommen unter den Kollegen, die sich über das Geschnatter der Massen aufregen und dann schlimm entgleisen. Warum soll ein Online-Pendant zur Scheuermilch blos das Netz von dem "Geschmiere" befreien? Deutsche Kärcherlichkeit muss her, ja wäre denn nicht bei diesen dreckigen Klowänden eine Reichsschriftstumskammer wieder opportun, in der die lizensierten "Schreiberlinge" (Goebbels) das Internet mit Texten füllen? Wie wäre es mit der schlichten Erkenntniss, dass man nicht Twittern muss, wie man nicht die Belanglosigkeiten hören muss, die ein Jens Uehleke etwa in der Kantine von sich gibt.

*** Dann wäre danoch die journalistische Tugend der Recherche, die bei den Pöbeleien zum Thema Internet entfallen kann. Dummdreist wird da die Independance Declaration von Perry Barlow als Argument ins Spiel gebracht, ohne die historischen Zusammenhänge zu erwähnen, die zu dem pathetischen Manifest führten. Das übrigens 1996 auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos wie auf der anschließenden Multimedia-Messe Milia in Cannes mit Standing Ovations bedacht wurde. Bereits 1994 schrieb Barlow Leaving the Physical World. Es war die Zeit, als der Export des Verschlüsselungsprogrammes PGP aus den USA verboten war und nur gelang, weil der Quellcode als Buch veröffentlicht wurde. Die angebliche schrankenlose Freiheit des Internet stand nicht zur Debatte, wohl aber die staatlichen Bestrebungen zur Zensur, zur Verhinderung geschützter Kommunikation. Wer das vergisst, hält schnell das ganze Internet für böse. Und Perry Barlow, den Internet-Berater von JFK Jr am Ende für einen linken Gleichmacher.

*** Ja, das Internet ist ein furchtbarer Tatort, für manche Politiker ein riesiger Tiananmen-Platz im Cyberspace. Noch sind solche Bilder bei uns nicht möglich, weil bei den Beratungen der Innenminister in Fischtown erst einmal die Killerspiele zur Wahlkampfwaffe umfunktioniert werden mussten. Doch der aus polizeilicher Sicht notwendige Einsatz der Bundeswehr im Innern dürfte kommen, schließlich verschärft sich der Terror Tag für Tag. Der Wahlkampf hat natürlich Schuld daran, der Bundestagswahlkampf wohlgemerkt. Denn der Europawahlkampf, der heute zu Ende geht, verlief weitgehend friedlich, sieht man einmal von der FDP ab. Die Partei, die sich sonst für Bürgerrechte stark macht, zeigte kurzerhand, was sie vom unabhängigen Journalismus hält: nichts. Journalisten sind gefährlich, Blogger auch, wenn es um Serienerklärungen und Reisekosten zum virtuellen Wohnsitz geht. Denn Arbeit muss sich wieder lohnen: all die eidesstattlichen Erklärungen, all die Reisekostenanträge sind schweißtreibende Angelegenheiten.

*** Friede den großen Seelen: Das gilt nicht nur für den großen Kung Fu schlechthin. Im Alter von 78 Jahren ist der Informatiker Wolfgang Giloi gestorben, maßgeblicher Entwickler der Hardware beim deutschen Parallelrechner-Projekt SUPRENUM, auf dem das Betriebssystem PEACE von Giloi lief. Leider gehörte die Arbeit an dem damals schnellsten Rechner der Welt wohl nicht zu den angenehmen, friedvollen Erinnerungen des Mannes, der noch gemeinsam mit Konrad Zuse analog/digitale Hybridrechner konstruierte: Der Rechner wurde mangels Unterstützung durch die deutsche Wirtschaft eine Forschungsruine wie der Transrapid. Am Ende waren 100 Millionen DM verpulvert, während 30 Millionen fehlten, um den Rechner zu Ende zu bauen. Sie sollten von der Industrie kommen, die indes keinen Bedarf an einem Parallelrechner hatte. Das Projekt verendete in einer Sackgasse, weil sich alle Beteiligten vertraglich verpflichten mussten, das Know-How nicht ins Ausland mitzunehmen. Ein Stück der seltsamen Geschichte kann man bei Wolfgang und Wolfgang vom Computerclub nachlesen, komplett mit einer kuriosen Bewertung der Studentenbewegung in Berlin, die Giloi wohl amüsiert hätte.

*** Peace, Baby. Obama war da. Abgestiegen aus dem Himmel oder aus der Airline, wer will das schon so genau wissen bei all den Elogen, die auf die Lichtgestalt gehalten wurden. Mit Obama kam Elie Wiesel und hielt das, was man gemeinhin eine bewegende Rede nennt, eine Ansprache an die Welt, die ihre Lektionen nicht lernen will. Leider gilt das auch für deutsche Übersetzer, die Wiesels "grave in the sky" nicht verstehen wollen. Man bleibe mir weg mit dem Grab im Himmel, hier geht es um das "Grab in den Lüften", wie es in der Todesfuge heißt:

Schwarze Milch der Frühe wir trinken sie abends
wir trinken sie mittags und morgens wir trinken sie nachts
wir trinken und trinken
wir schaufeln ein Grab in den Lüften da liegt man nicht eng

Was wird.

Belustigung erzeugte in dieser Woche die Meldung des AK Zensur über die langsamen Dienstwege beim BKA. So kann der Kampf gegen Kinderpornographie natürlich nicht funktionieren. Prompt faseln regierungsnahe Journalisten mangels besserer IT-Kenntnisse etwas von einer leistungsfähigen Infrastruktur, die dem BKA fehle. Das mag für manche Polizeidienststelle gelten, aber kaum für die Spitzenleute im Kampf gegen den Terror, die mit links einen Bundestrojaner bauen können. Die beim Kampf gegen die Kinderpornographie lässig die XML-Struktur einer befreundeten Polizei übernehmen und erweitern kann, statt eine kleine Excel-Datei zu nehmen, wie es das Familienministerium.

Doch wo Gefahr ist, da wächst das Rettende, heißt es bekanntlich in der Baumarktwerbung. Womit die werdende, rosige, ja fast schon strahlende Zukunft, das "Was wird" ins rechte Bild rückt: In Hamburg trafen sich eine Menge Journalisten bei einer Veranstaltung des netzwerk recherche und hörten sich an, was künftig die Mindeststandards für Journalisten sein sollen, wenn sie mit einem Computer auf die Recherche gehen. Da finden sich so nette Sätze wie "Journalisten müssen in der Lage sein, digitale Zensurmaßnahmen zu umgehen, z.B. durch Wahl der genutzen DNS-Server." Pressefreiheit muss eben die Freiheit sein, vor keinem digitalen Stopppschild zu kapitulieren, selbst wenn ein Wiefelspütz, ein Politiker der Siedler, ähem, der Generation C64, massiv den Schilderwald aufrüsten will.

Sehr schön liest sich auch diese Forderung an die Kollegen: "Journalisten müssen starke Passwörter verwenden. Sie müssen ihre Daten und Computer durch fremde (auch staatliche) Zugriffe schützen. Dazu müssen sie Techniken und Programme der Rechnersicherheit und solche der Verschlüsselung wie VPN, PGP/GnuPG, TrueCrypt und TOR beherrschen und verwenden."

Doch halt! Schon steht der erste Journalist am Pranger! In dieser kleinen Wochenschau finden sich ein halbes Dutzend Links auf Wikipedia, die Online-Enzyklopädie, die so wunderbar in Microsoft Bing integriert ist. Wie aber heißt es in den Mindeststandards? "Wikipedia darf nicht als Quelle verwendet werden. Klar muss sein, dass die Texte der Wikipedia grundsätzlich zweifelhaft sind und niemals Quellencharakter haben." Asche auf mein Haupt, der Presseausweis wird morgen abgegeben. Fairerweise sollte ich auch die Anmerkung zitieren, die an das Wikipedia-Verbot angehängt wurde: "Journalisten müssen wissen, dass Wikipedia durch die externen Links, die Einzelbelege und die Einordnung der Artikel durch Kategorien und Listen einen guten Recherche-Einstieg bildet." Wer Widersprüche findet, darf sie behalten: wir leben alle nur einen Fischwurf vom Abgrund entfernt.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 14 Juni, 2009, 01:06
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Dies ist ein Trauer-WWWW. Eines, das eigentlich mit einem fetten schwarzen Rand erscheinen müsste. Vor ein paar Wochen beschrieb ich meinen Einstand im Journalismus, der an eine Hörfunksendung namens Radiothek gebunden ist. Nun haben wir alle, die diese Sendung liebten, bei der bekannten Frage "Hit oder Niete?" die größte anzunehmende Niete gezogen: In dieser Woche starb Mal Sandock. Viele Leser dieser kleinen Wochenschau sind offenbar um die 50 Jahre alt und weise genug, über Blödsinn wie die Generation 64 oder den Villenviertel-Jan zu lächeln. Ihnen wie uns brauche ich nicht die Bedeutung dieses großartigen DJ erklären, der nun "in Rente" geht und heute nochmal zu hören ist.

*** Verpasst, verpasst. Glaubt man nicht daran, dass die Erde eine Scheibe ist, die von vier Elefanten getragen wird, die auf einer Schildkröte stehen, so bleibt eine nicht hohle, leicht verdellte Kugel übrig, mit Australien "auf der anderen Seite". Dort gab es diese Woche den "National Change Your Password Day", mit dem die Woche der nationalen elektronischen Sicherheit eingeleitet wurde. Alle Australier wechselten ihre Passwörter, aus jesus1 und christ wurden jesus2 und 1christ und ein wildes Land wurde nochmal ein bisschen sicherer – die große Porno- und Terrorsperre wird ja schon erprobt.

*** Ein nationaler Passworttag, an dem von Kanzlerin bis Kerner alle an der IT-Sicherheit schrauben, ist doch sympathischer als der Flag Day, den die USA heute begehen. Flagge zeigen? Das ist ein Fall für das Museum, die Erinnerungen sind nicht dazu angetan. Vor 70 Jahren wurde am 6. Juni in Deutschland für die Kriegsverbrechen der Legion Condor geflaggt.

*** Auch Deutschland hatte diese Woche sein P-Thema. Die Piratenpartei wurde in auffällig dummen Artikeln kleingeschrieben und belächelt. Als Beispiel muss die Süddeutsche Zeitung herhalten, deren oberster Journalist bekanntlich mit offenen Armen Blogger und andere Internet-Gestalten empfängt. Ein Feuilleton-Artikel spricht vom politischen Zusammenschluss der Raubkopierer und macht sich über eine "kaum 21-jährige Wirtschaftsstudentin" Anna Torberg lustig. Als vor 9 Jahren die 21-jährige Wirtschaftsstudentin Ilka Schröder als Jüngste für die Grünen nach Brüssel ging, war dies noch ein Sieg der Demokratie. Was ist mit dieser Partei blos los, dass sie bereits mit den Grünen verglichen wird oder als Aufstand der technischen Intelligenz herhalten darf? Deren Erfolg, wenn man nach den Ergebnissen der Juniorwahl geht, keine Eintagesfliege ist.

*** Eine Erklärung mag in der auffällige Ignoranz der schwedischen Verhältnisse liegen, aus denen die Partei entstammt. Es ist mitnichten nur das Land, in dem die Pirate Bay liegt, die mit der Piratenpartei gerne in einen Topf geworfen wird. Da haben wir ein Land, das zwar seit 1766 die Pressefreiheit kennt, aber erst 1991 in einem Multimediagesetz die Meinungsfreiheit für CD-ROM-Inhalte (bzw. heute DVD) und Computertechnologie eingeführt hat. Ein Land, in dem der Staat alle Telefongespräche und jegliche Internet-Kommunikation anzapfen darf. Ein Land, in dem erst 2008 mit "Skiddet för den personliga integriteten" über den Schutz der Privatsphäre nachgedacht wurde. Das alles hat mit "Raubkopieren" herzlich wenig zu tun, mit modernen Bürgerrechten umso mehr. Haben wir denn keine solche Partei? Wer den Initiativantrag gegen Internet-Sperren für den heutigen SPD-Parteitag liest, möchte es fast glauben. Doch halt, der Pressestelle ist der Livestream von Facebook viel, viel wichtiger, heißt es dort mit der Bitte, diesen Text hier zu veröffentlichen. Sozialdemokratische Tradition und Facebook, das hat doch was:

"Mit dem Informations- und Mitmachangebot können alle das Geschehen in Berlin live verfolgen - und mitreden. Das gilt natürlich auch für Gehörlose: In den Live-Stream ist eine gebärdensprachliche Übersetzung integriert und knüpft damit an die sozialdemokratische Tradition der barrierefreien Kommunikation an. Mit dem Angebot zeigt die SPD, dass sie konsequent und mit innovativen Angeboten auf die sozialen Netzwerke setzt - und wie wichtig die Online-Community für eine aktive Beteiligung am Whlkampf ist."

Vorwärts und nicht vergessen, wofür eine Netzsperre steht – dieses alte Kampflied der SPD wird wohl noch kräftig gesungen werden oder in alter gebärdensprachlicher Tradition aufgeführt, besonders am 18. Juni, wenn der Kampf gegen die Kinderpornografie die Kenntnislosen einigt: Die Partei der Berufsverbote steht eben für die deutsche Kontinuität.

Was wird.

Doch damit bin ich eigentlich schon mitten in der nächsten Woche, die mit einem echten Kracher beginnt: Am Montag wird in den USA über das Schicksal der SCO Group beraten – Liquidation oder nicht. Gespannt wartet alles auf den Weißen Ritter namens Gulf Capital Partners, der da heranjagen soll. Bis jetzt ist er noch nicht zu sehen, nur eine Liste von Bittbriefen von Firmen aus Russland und iXorg-Mitgliedern.

Passend zum Anspruch dieser Firma, die Welt der Open Source tributpflichtig zu machen, wird in London das erste Auto vorgestellt, das zumindest in den Bauplänen zur Open Source hin orientiert sein soll. Riversimple, die Firma des Porsche-Enkels Sebastian Piech, will ein Wägelchen mit einer Brennstoffzelle vorstellen, das 20 Jahre lang geleast werden kann. Noch klingt das Projekt so realistisch wie ein Sieg von SCO, aber Journalisten sind bekanntermaßen überaus aufnahmefreudig und zu jeder Korrektur fähig – wie Blogger.

Dann haben wir da noch die Kieler Woche. Nein, das ist keine Sommer-Veranstaltung der rührigen Datenschützer, sondern die größte Segelregatta der Welt. Erstmals wird hier das Lexxwar-System der Bundewehr getestet. Es soll so genau sein, dass es Schlauchboote und Speedboote ermitteln kann, ist damit also ein ideales System gegen böse Piraten und noch bösere Migrations-Aggressoren. Die Bremer Firma Atlas Elektronik hat Lexxwar entwickelt, die benachbarte OHB Technology das System SAR-Lupe. Wie gut, dass es nicht in die Hände von Schurkenstaaten gelangen kann. Das bisschen Grenze ist egal, man hat das Gerät ja nur zur Verfügung gestellt.

Im Zuge des Verfahrens gegen den stets braun gebrannten deutschen Manager Thomas Middelhoff ist viel von seinem AOL-Coup die Rede, als er billig Anteile an einem Online-Dienst erwerben konnte, der einstmals (wie Microsoft) glaubte, das Internet ignorieren zu können. Bis zur allgemeinen Verbreitung von WLAN habe auch ich mich auf die Dial-in-Nummern verlassen, die AOL weltweit zur Verfügung stellte. Nun wird gesplittet und gespaltet, dass die Späne fliegen. Was von AOL übrig bleibt, sind Angebote wie Black Voices, die eine heftige Kampagne gegen Disneys nächste Produktion "Küss den Frosch" fährt, weil die schwarze Prinzessin Tiana im Lande Obamas halt einen Frosch küssen muss, der sich als Inder entpuppt. Hätte es nicht wenigstens eine unermüdlich rackernde Ente sein können und nicht dieser Frosch? Was bleibt, was wird, das ist eine unendlich schöne Geschichte über einen Online Award, die Disney einstmals vertricksen wird, mit einem langsam erhitzenden Gefäß voller Frösche:

Arcandor engagiert sich für den Grimme Online Award, weil wir Qualität fördern wollen und weil wir glauben, dass es an der Zeit ist, dem täglichen Einerlei in den elektronischen Medien entgegen zu treten. Wer könnte das besser als das Grimme-Institut? Der Arcandor Konzern als Muttergesellschaft von Thomas Cook, Primondo und Karstadt hat sich seit Jahren dem Netz selbst zugewandt – natürlich vor allem unter wirtschaftlichen Aspekten. Wir sind aber davon überzeugt, dass nicht nur die kommerzielle, sondern auch die publizistische Bedeutung des Netzes signifikant zunehmen wird. Umso wichtiger ist es, jetzt Content zu stärken, der Qualität bietet und Innovation fördert. Das Netz bietet dafür unendliche Möglichkeiten, man muss sie nur finden und fördern. Deswegen unser Engagement für den Grimme Online Award – jetzt und für die Zukunft.

Quelle : www.heise.de (http://www.heise.de)
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 21 Juni, 2009, 06:04
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Schon wieder eine Wochenschau? Was soll das denn? "Schon im 17. Jahrhundert gab es übrigens ein Theaterstück über einen Menschen, der eine Zeitung gründete, die jede Woche erscheinen sollte. Im Fortgang der Handlung wurde dann gefolgert, dass da nur Lügen drinstehen können, denn, so dachte man damals, es passiert ja nicht jede Woche etwas," erzählte Niklas Luhmann einstmals. Wir lügen weiter.

*** Ist das der fiebrige, gar grün alkoholisierte Traum einer Mittsommernacht? Mit den Stimmen der Großen Koalition hat der 16. Deutsche Bundestag beschlossen, dass die Leugnung der rechtlichen Verhältnisse im Internet unter Strafe gestellt wird. Wer in Zukunft behauptet, dass das Internet ein rechtsfreier Raum ist, muss drei Monate als Praktikant am großen Internetausdrucker stehen und gegen den allfälligen Papierstau kämpfen, wenn sich die Internet-Politikerin des Jahres das Internet ausdrucken lässt. Ja, es ist eine juristisch einfach zu beantwortende Frage, ob es da einen rechtsfreien Raum gibt. Nach dem gesetzlich verordneten Arbeitsdienst in der Produktion ganz im Stil der alten DDR dürfte ein Politologe wie Herfried Münkler seinen asymmetrischen Krieg gegen das Internet vielleicht mit anderen Sätzen führen als mit dem blühenden Unsinn über die Verbündung von kriminellen Geschäftemachern und anarchistischen Freiheitskämpfern. Diese wirre Würfelung druckte ausgerechnet die Frankfurter Rundschau ab: "Diese Position einer prinzipiellen Verbotsabwehr verbindet sich mit der Auffassung, in der virtuellen Welt des Internets hätten die Eigentumsansprüche, wie sie in der realen Welt erhoben werden, keine Geltung, sondern müssten einer kostenfreien Nutzung durch alle zugänglich sein." Dieser strunzdumme Text wird von einem wehleidigen Nachschlag des Machiavelli-Experten begleitet, in dem vom Vertrauen in die Ordnung des Rechtsstaates die Rede ist.

*** Der hat mit seiner Legislative mitnichten ein Gesetz zur Beschränkung der freien Rede verabschiedet, sondern eine "Zugangserschwernis" für den Aufruf von Internetinhalten. So aber hat der 16. Deutsche Bundestag das Vertrauen in die Ordnung des Rechtsstaates gründlich zerrüttet, als mit den Stimmen der Großen Koalition in dieser Woche das Ermächtigungsgesetz 2.0 beschlossen wurde. Dass es wirklich um Kinderpornografie ging, ist ausgemachter Kinderglaube: Es dauerte genau zwei Stunden, bis der Schwiegersohn unseres amtierenden Innenministers vorschlug, die Stellschrauben zu justieren. Nach Kinderporno und Killerspielen könnten politischer Extremismus zugeschaltet und weggesperrt werden: Wir Sind China! Das meint auch das Wall Street Journal, um mal auf eine unverdächtige externe Bewertung der Bündnispartner zu verlinken.

*** Gegen das Gesetz stimmten die Linke und FDP sowie Jochen Borchert von der CDU, offenbar Verbundenheit mit seiner Tochter demonstrierend. Die CDU ist halt eine Familienpartei. Steffen Reiche und Wolfgang Wodarg sagten bei der SPD nein und dann war da noch der Faßüberläufer Jörg Tauss von der Piratenpartei. Mit 15 Enthaltungen zeigten die Grünen ihre bekannte Geschmeidigkeit der kohlkraftigen Interpretation, die schon immer die FDP für Besseresser auszeichnete. Aber vielleicht waren sie nur wieder einmal etwas zu eingeschüchtert, wer weiß das schon.

*** Alle, die dies nicht sind, die sich nicht vom angesammelten Unsinn deutscher Politiker entmutigen lassen, dürfen jetzt den Zensursula-Song anstimmen, auf den ich wunderbarerweise schon anno 2007 in diesem WWWW mit dem Musterhausküchenfachgeschäften verlinkt habe. Man muss den Beat nicht mögen, aber hier ist mehr Musik am Werke als in allen Kommentaren zum Ausfall der Popkomm, für die ein abgehalfterter Bassist den Diebstahl im Internet verantwortlich macht. Wie war das noch mit der triumphierenden Meldung der deutschen Musikindustrie vom Januar 2009, nach der der deutsche Downloadmarkt (PDF-Datei) um 30 Prozent jährlich wächst? Bis zu 3 Euro werden pro Stück gezahlt, was teurer ist, als eine komplette CD zu erwerben. Diebstahl würde ich das nicht nennen. Was stimmt da nicht, fragt ganz besorgt die Tagesschau der ARD. Sie ist mit 24 DVDs des Beatclubs gerade dabei, einen hübschen Verkaufserfolg bei uns Raubkopiermördern zu erzielen. Womit ich bei einem hübschen Jubiläum bin, das ganz nach dem Geschmack der Generation 50 Plus ist: vor 50 Jahren wurde Island Records von Chris Blackwell gegründet: "Ein gutes Plattenlabel ist so etwas wie ein Filter. Es siebt die Musik durch den Geschmack von ein, zwei Leuten, die dahinterstehen. Wenn sie die Sache gut machen, schafft das ein Vertrauensverhältnis mit ähnlich denkenden Musikfans." Das schreibe ich lieber ab als das Statement einer Industrie, die auch noch applaudiert, wenn sich ein regierender Politiker dazu entschließt, das eigene Verfassungsgericht zu ignorieren. Wo bleibt eigentlich die Forderung nach Sperrlisten für Musikindustrie-Imitierer, die die Demokratie abschaffen wollen?

*** Mit den Jubiläen, den Geburts- wie Todestagen ist das so eine Sache. Wer nicht unter einem dicken Stein à la "Kampf der Häuptlinge" gelegen hat, wird den Geburtstag von Jürgen Habermas und den Tod von Ralf Dahrendorf mitbekommen haben. Dahrendorf war ein beherzter Denker, der sich unter anderem überlegte, welche Folge die "Auflösung der Ligaturen in einer Gesellschaft" haben kann, die wir aktuell in der Debatte um die Sperr-Infrastrukturen gut verfolgen können. Ligaturen? Aber sicher doch. So passt es, dass wir von Habermas das zwanglose Getrolle lernen und es mit der Dahrendorf lesen können. Derweil bahnt sich in England eine kleine Revolution an, die Lord Dahrendorf amüsiert hätte: Aus der Transparenz bei den Spesenabrechnungen wird mit der Internet-Veröffentlichung durch den Telegraph ein Lehrstück über Informationszensur. Wer weiß, vielleicht landet das Blatt auch noch auf der britischen Sperrliste. Schließlich steckt im Kinderschutz auch so etwas wie der schützenswerte Glaube an das Gute im Menschen, an das unsichtbare rosa Einhorn oder die unstillbare Hoffnung auf korrekte Abrechnung der Arbeiten in diesem kleinen Newsticker.

*** Wenn es an einen Geburtstag zu erinnern gilt, dann ist es der von Schirin Ebadi, der Friedens-Nobelpreisträgerin des Jahres 2003. Ebadi wird heute "nur" 62 jahre alt, steht aber für den Fortschritt in einem Land, das nach einer dubios verlaufenen Wahl an der Schwelle zu einem Gemetzel steht, mit vielen Opfern, die der regierenden Geistlichkeit herzlich egal sind. Zu dumm, dass es keinen Übersetzungsdienst für demokratische Werte im Internet gibt. Er würde nicht nur im Iran von großemNutzen sein. Die Ereignisse im Iran erinnern aber auch daran, dass das Internet zwar der Opposition gegen ein diktatorisches Regime nützliche Hilfsmittel liefern kann – dass diese Opposition aber auch recht hilflos dastehen kann, wenn sie sich nur auf diese Technik verlässt, die ein Regime wie im Iran auch einfach abschalten kann.

Was wird.

Mittsommer, soso: "Die Wahrheit zu sagen, halten Vernunft und Liebe heutzutage nicht viel Gemeinschaft. Schade, dass ehrliche Nachbarn sie nicht zu Freunden machen wollen!" Shakespeares Sommernachtstraum verweist heute auf ein gar diabolisches Lüftchen, das der Firma SCO einen neuen Investor zugeführt hat. Da gibt es eine Gulf Capital, hinter der ein Eric le Blan auftaucht, mit einer irakischen Firma namens Merchant Bridge im Hintergrund – die unendliche Geschichte verspricht, noch ein netter west-östlicher Divan zu werden. Die meiste Arbeit werden wohl Verschwörungstheoretiker haben, die den "missing link" zu Microsoft suchen.

Freuen wir uns lieber auf den anbrechenden Sommer und seine Löcher, in denen es rätselhaft genug zugehen wird. Zu meiner besonderen Freude startete am letzten Samstag ein Projekt, bei dem in "Echtzeit" der Briefwechsel zwischen Schiller und Goethe veröffentlicht wird. Natürlich ist kein jammernder Verleger oder Buchhändler drauf gekommen, sondern der Journalist Giesbert Damaschke, der mit Pl@net (Untertitel anno 1995: "Lies mich, du Sau") das lustigste deutsche Internetblatt kredenzte. Im ersten deutschen Internetcafe dürfte ganz virtuell ein Wirt mitfeiern, der das Internet als eine Erweiterung des menschlichen Gehirns verstand.

Achja, die Termine. Die Auswahl ist reichlich. In Bonn feiert das BSI das Jubiläum des IT-Grundschutzes. In Berlin versuchen es die Berlin Open mit "rückhaltloser Ehrlichkeit", einem Konzept, das zumindest in den Ohren deutscher Webwegsperr-Politiker einen pornografischen Unterton hat, In München tritt unsere Kanzlerin in einem Kesselhaus auf und spricht für die vielen, vielen Geburtstagskinder der Fraunhofers zum Thema "60 Jahre Motor für Innovationen". Vielleicht besucht sie auch den nahebei geparkten Fraunhofer-Truck, der den digitalen Alltag propagiert, komplett mit vollautomatischer Anzeige bei fahrlässiger Tötung:

"Die intelligente Hausapotheke kommt aus dem Fraunhofer-Institut für Fabrikbetrieb und Automatisierung IFF in Magdeburg. Die Forscher haben Arzneimittel, den Schrank und den elektronischen Schlüssel mit RFID-Technologie ausgestattet. Auf Transpondern werden Daten gespeichert und per Funk übertragen. Der Medizinschrank der Zukunft lässt sich nur mit dem richtigen elektronischen Schlüssel öffnen, auf dem die Zugriffsrechte genau gespeichert sind. Das System registriert automatisch, welcher Schlüssel die Tür geöffnet hat und wann was entnommen wurde."

Quelle : www.heise.de (http://www.heise.de)
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 28 Juni, 2009, 03:40
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** "Der Tod bedeutet,
dass du nie zu sagen brauchst,,
du wärest unvollkommen",
Richard Hell, Blank Generation

Wacko Jacko ist tot und "das" Internet vibriert. Selbst in hartgesottenen BSD-Blogs jammern Menschen in schwülstigen Tönen vom "genialsten Genie". Selbst die Frankfurter Allgemeine Zeitung muss sich den nötigen Kitsch in der Kirche ausleihen: "Uns ist ein Kind gestorben". In den USA singen Barak Obama und Angela Merkel einträchtig mit "We are the world, we are the children, we are the ones who make a brighter day ..." Die alte Musikindustrie feiert neue Rekorde, die neue Musikindustrie hat ein hübsches Thema: Wer wird der neue King of Pop? Zum King wurde Jackson mit seinem revolutionären Album Off the Wall. Danach begann ein Thriller: der meistverkaufte Abstieg aller Zeiten, die Demontage eines vielfach missbrauchten Menschen.

*** Don't Stop ... muss heute ohne Audio-Link bleiben, die Kanäle sind an diesem Wochende verstopft, unter anderem auch mit komischen Texten über Michael Jackson als den "Repräsentanten einer postmodernen Form afroamerikanischer Spiritualität". Viele Erinnerungen werden wach, etwa an die Domino-Theorie von Crawdaddy!, nach der im Pop immer drei Giganten sterben müssen, ehe die nächste Stufe gezündet wird. Es begann mit Buddy Holly, Ritchie Valens und Big Bopper, es folgten Jimi Hendrix, Jim Morrison und Janis Joplin. Kurt Demmler! Michael Jackson! Wer ist der Dritte?

*** "We are the children", ja, ha, da war doch was. Michael Jackson ist gern mit kleinen Jungs ins Bett gegangen, aber ganz sittsam. Und Demmler sang, dass jeder Mensch jeden lieben kann. Wie ist das eigentlich, wenn man sich eine Haut macht miteinander, und sei es nur mit Photoshop? Es ist alles schwer verboten und wird täglich verbotener und verworrener, genau wie die Behauptungen über ein angebliches Millionengeschäft mit Kinderpornographie. Wer mutwillig das geplante Stopp-Schild über die bald ins Internet eingebaute Zugangserschwernis ansurft, wird ebenso zum Ermittlungsfall, wie alle Menschen, die Zensurlisten prüfen wollen. Es wären Menschen, die bei Berichten über China als "mutige Kämpfer für Demokratie und Meinungsfreiheit" genannt werden.

*** Im letzten WWWW mokierte ich mich über die Phrase vom Internet als rechtsfreien Raum. Andere haben nachgelegt, mal mit lustigen Artikeln, mal mit schlampig recherchierten Schnellschüssen. Will man sich wirklich nicht mehr beispielsweise an den von Jörg Tauss gegründeten virtuellen Ortsverein der SPD erinnern, dessen erstes Thema "Zensur im Internet" war? Das Ganze komplett mit der Frage, ob das Netz eigentlich ein rechtsfreier Raum ist. Wer die Ruinen besucht, wird die Texte nicht mehr finden, ebenso die Geschichte mit der Kinderpornographie, die einstmals Compuserve und seinen Geschäftsführer ein Verfahren einbrachten. Was bleibt, ist die Aussenansicht. Zu den durchgeknallten Politikern (doch, das darf man noch sagen, denken und schreiben) gesellen sich mit schöner Regelmäßigkeit durchgeknallte Journalisten, die an einem besonders schlimmen Teil des Internet angeschlossen sind, vorzugsweise in Hamburg, die besonders geschickt in der Vorverurteilung sind und die Formulierung "Lappalie" aus einem anonymen Leserbrief an den Tagesspiegel aufgreifen, um die "Netzgemeinde" zu charakterisieren.

*** Was aber ist die Netzgemeinde, wenn nicht ein Haufen von Menschen, die seit mehr als 20 Jahren elektronisch kommunizieren? Viele von ihnen sind von der aktuellen Schwafelei um den rechtsfreien Internetraum und die Funktion von Stoppschildern irritiert und wähnen sich auf dem falschen Planeten oder mindestens im falschen Jahrtausend. Dabei ist es doch ganz einfach, wenn man es analog rückübersetzt. Deutschland ist kein rechtsfreier Raum:

Hin und wieder verschicken Menschen in Deutschland Morddrohungen. Mit der Post. Das Schlimmste: die Täter vergessen immer öfter, diese Briefe mit einem korrekten Absender zu versehen.

Doch Deutschland ist kein rechtsfreier Raum – also werden ab sofort jeden Morgen alle Briefe vom örtlichen Polizeipräsidenten untersucht. Wenn er etwas entdeckt, was er für eine Morddrohung hält, dann verbrennt er den Brief. Den Absender ermitteln kann er nicht, das ist zu schwierig. Den Empfänger informieren lohnt nicht, denn Morddrohungen werden meistens sowieso nicht in die Tat umgesetzt und beunruhigen will man ja auch niemanden. Einmal im Jahr darf ihm bei der Kontrolle der Briefe ein Richter zusehen, wir leben ja schließlich in einem Rechtsstaat.  /.../

Ja, mit dem Internet wird diese geniale Idee in die Tat umgesetzt. Wer wird da schon von Zensur reden, wenn es nur um grundböse Menschen geht? Stünde der Satz vom rechtsfreien Raum Internet tatsächlich unter Strafe, würden die Reihen im Bundestag ganz schön gelichtet werden.

*** War da noch was? Aber sicher doch, was wären wir ohne Kulturpreise? Ein Volk von Preisschilddruckern und Guckern. Die Grimme Online Awards wurden verteilt, auf dass wir uns mit dem Kollegen Jens Weinreich freuen können, dessen Blog tatsächlich der alternative Sportausschuss der verlotterten Republik geworden ist. Freuen wir uns außerdem mit Theo Zwanziger, der in der nächsten Woche auf dem CSD-Empfang des schwulen Netzwerks Nordrhein Westfalens die Goldene Kompassnadel 2009 bekommt, im Beisein von Franz Müntefering.

Was wird.

Damit sind die Themen der kommenden Woche aufgeschlagen. Die deutsche U21-Fußballnationalmannschaft steht im Endspiel der Europameisterschaft. Nein, jetzt wehen keine schwarzrotgoldenen Fahnen wie in Klinsmanns Sommertagen, jetzt tobt sich der Hass der Nazis und "Gesamtrechten" über diese Mannschaft in den diversen Sportforen aus. Der Hass gegen Multikulti und alles andere, was nicht als deutsch empfunden wird, schließt auch das Ereignis ein, das heute vor 40 Jahren zum Aufbruch der Schwulen- und Lesbenbewegung führte. Vielleicht wird es was, mit diesem Aufbruch, wie etwas bei den jungen Kickern geworden ist. "Typisch deutsche Tugenden vereint mit der Phantasie ihrer Migranten", hieß es im italienischen Urteil über die Truppe aus Dönerland.

Eine ganz andere Fusion soll sich in Potsdam abspielen. Dort startet die Internationale Integrabilitäts-Konferenz in Eich- und Stringtheorien und versucht nichts Geringeres als die Weltformel zu finden. Seitdem vor kurzem entdeckt wurde, dass mit dem Bethe-Ansatz höherdimensionale Quantenfeldtheorien integrabel sein können, gibt es neue Versuche, die Allgemeine Relativitätstheorie mit der Quantenmechanik zu verbinden. Die Antwort auf die große ungelöste Frage der Menschheit lautet eben nicht nur 42, wenn man noch die Ausgangsfrage weiß. Sie wird im Anti-de-Sitter-Raum beantwortet.

Die Woche endet in Kairo mit dem Start des diesjährigen Finales von Microsofts Imagine Cup, der thematisch an der Milleniumkampagne der UN ausgerichtet ist. Als deutsche Teilnehmer hat sich ein Team der TU Dresden für die Endausscheidung qualifiziert, was irgendwie ganz tröstlich ist: Dresden mag mit seiner "Waldschlösschenbrücke" richtig Scheiße aussehen und den UNESCO-Titel als Weltkulturerbe verlieren, dafür bessern Programmierertaten das Image umso nachhaltiger aus. Erst recht, wenn das interessierte Publikum mitwählen kann. Außerdem muss man ganz ehrlich sein, liebe Sachsen: Was gibt es schöneres als den Schlamm am Rande der norddeutschen Tiefebene?

Quelle : www.heise.de (http://www.heise.de)
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 05 Juli, 2009, 00:09
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** "Make Love Hard and Strong! Saug dir einen! Viel Money in mickriger Zeit ..." Heute öffnet jeder Leser dieser Wochenschau klein geratener Gemächte zur Feier des Tages bitte mal seinen Spam-Folder und schaut nach, was im Angebot ist. Potenzmittel, Casino-Gutscheine, billige Replica-Uhren, da fehlen eigentlich nur die aktuellen Steuer-Wahlsversprechen deutscher Politiker und das Gebettel  kunstsinniger deutscher Verleger um Suchmaschinen-Viagra, dann ist der Schwachsinn komplett. Heute vor 72 Jahren stellte die Hormel Foods Cooperation ein neues Produkt vor: Spam. Der glückliche Gewinner eines Preisrätsels erhielt 100 Dollar für den Namen, der offiziell "Shoulder of Pork And Ham" bedeuten soll – doch böse Zungen lästerten schon 1937, dass "Something Posing At Meat" die treffendere Bezeichnung für das Dosenfleisch ist.

*** Noch böser ist die Interpretation als "Spare Parts Animal Meats", bei der Menschen schlecht wird wie in einem zurückgezogenen Werbespot von Microsoft. In diesem übergibt sich eine Ehefrau nach dem Betrachten einer Spammer-Seite, ihr Mann rutscht auf der Kotze aus und bekommt die letzte Würgung serviert. Das war wohl zuviel des Guten. Warum sollte man sich auch übergeben, schließlich ist das "hawaianische Steak" eine echte E-Büchse für hart arbeitende Menschen. Wirklich schlimm wurde es mit dem Spam, als eine völlig humorlose Truppe von Briten, umjubelt von Wikingern, versuchte, ihr Frühstück zu bestellen. Das Resultat kennen wir: Spammen ist im Deutschen ein Verb geworden, wie spammare im Italienischen. Feiern wir Spam, Spam, Spam und noch einmal Spam: Es kann keinen Zweifel daran geben, dass Spam eine kulturelle Leistung ersten Ranges ist, durch die wir endlich wissen, was Frauen wirklich wollern. Man denke nur an den besonders schweineschultrigen phishigen Spam, der dafür sorgen wird, dass ahnungslose Hawaianer an der Kinderpornosperre aufschlagen. Statt Gliedverlängerung gibt es Zugangserschwernis zu den Servern auf Haiti, Jamaica und Santa Lucia.

*** Das Spam und Sperren zusammenhängen, zeigt die einfache journalistische Recherche. Man nehme die Piratenpartei, die gerade ihren Parteitag abhält, suche auf ihrer Website nach dem Begriff Spam und wird fündig. Dann gibt es noch diesen kinderpornografiebesitzverdächtigen Bundestagspiraten, der Verfassungsbeschwerde gegen das Zugangserschwernisgesetz eingelegt hat. Klar wie Klosbrühe! Läuft so journalistische Recherche ab? Offenbar, wenn man den versammelten Unsinn der vergangenen Woche liest, von der Wahl der Kinderpornografie als Exerxierfeld neuer Ideen, komplett mit Verweist auf Päderasten, die dereinst bei den Grünen im großen Bazar lebten. Das ist so einleuchtend wie der Dreh, den ein anderes Qualitätsblatt in den Verkauf von Pirate Bay bringt, durch den die Piratenpartei ihre "Pirate-Bay-Öffentlichkeit" verliert, dafür aber auf allerbeste "Geldwäsche" zurückgreifen kann. Nein, die dubiosen Vorgänge beim Käufer von Pirate Bay sind nicht gemeint.

*** Auf der Suche nach dem passenden Wort für diese verdrehte Aussagenlogik uninformierter Journalisten wenden wir uns der Agnotologie zu, der Wissenschaft von der Produktion von Ignoranz. Das ist die höhere Stufe von FUD. Einfach gesagt kommt in der Wissengesellschaft die Produktion von Nichtwissen gleich nach der Zensur. "Zweifel ist unser Produkt" schrieben die Leute, die im Auftrag der Tabakindustrie die Validität von Studien zu den schädlichen Folgen des Rauchens bezweifelten. Dass die gleichen Menschen später Studien über den Klimawandel bezweifelten und damit gut vernetzt erfolgreich waren, obwohl völlig fachfremd, das gehört zu den überraschenden Erkenntnisse der Agnotologie-Forscher. Apathie, Desinformation, Dummheit, Geheimhaltung, Glauben, Vergesslichkeit und Zensur bilden ein hübsches Instrumentarium, wie man sehr schön an den aufgeregten Artikeln über Piraten beobachten kann. Darauf einen Tocotronic.

*** Aufklärung tut not. Beginnen wir mit den echten Piraten: Die Behauptung, dass ihre Schiffe erste kleine Republiken im Meer der Monarchien waren, steht auf extrem wackeligen Füßen, ist mehr eine fromme Legende. Ob sie wirklich ein Schrittmotor der freien Marktwirtschaft waren und das Aufbrechen verkrusteter Märkte förderten, mag einer wie Franz Böni schreiben, dessen Vorfahren väterlicherseits Piraten waren, die mit fetter Geldkruste in die Schweiz einwanderten. Kommen wir zu den politischen Piraten von heute: Sie sind keine Komplizen der Raubkopierer, sondern hassen das Digital Rights Management. Die Analogie zum Umgang mit einem Buch nach dem Kauf beim Händler mag der Einsicht dienen, dass die Forderung nach einfachen Modellen nicht Enteignung lautet, sondern die Zukunft des Buches gefragt ist:

Der freundliche Buchhändler klärt Sie darüber auf, dass Sie das Buch an maximal drei Familienmitglieder weitergeben können, nicht aber an andere Verwandte, Freunde oder Bekannte. Darüber hinaus können Sie das Buch noch nicht auf dem Weg nach Hause in der U-Bahn lesen, weil Sie es erst über eine kostenfreie Hotline registrieren müssen. Letztlich bekommen Sie den Hinweis, dass das Buch mit einem neuen Spezialdruckverfahren hergestellt wurde, das das Kopieren auf Fotokopierern unterbindet. Dummerweise können Sie das Buch daher nicht mehr bei besonders hellem Licht lesen ...

*** Bekanntlich will jede Generation ihren Kindern eine bessere Welt hinterlassen, nur gelingt das immer schlechter. Bologna und Bachelor ärgern die Älteren, während die Jüngeren und Aufstrebenden vom Satan Lebenslauf gepeinigt werden. Da beruhigt es nicht unbedingt, wenn eine vorbildhafte Politikerin ihren Lebenslauf "aus Platzgründen" einerseits kürzen und andererseits um die gleichlangen Zeilen ergänzen lässt, was ihre Hobbies sind: "Spiel, Sport und Spaß mit Mann, Sohn und Hund; Essen und Klönen mit Freunden." Das macht sie durchaus menschlicher, wäre da nicht ein Rechtsanwalt, der in ihrem Auftrag einen mit Archiv arbeitenden Journalisten rammt, weil dieser "nicht irgendein Blogger ist". Was bleibt, ist Trauer um Pina Bausch. Natürlich gibt es auch journalistische Lichtblicke, aus denen die nächste Generation lernen kann. Nehmen wir nur einen Freispruch aus dieser Woche, der freilich noch nicht rechtskräftig ist. Da hatte ein Journalist eine Bombenbauanleitung online gestellt, was ihm prompt einen Entzug seiner brandgefährlichen Rechner einbrachte.

Was wird.

Oh schöne, heitere Sommerzeit, wenn die Server knallen und der Leser zum Dichter reift:

Ich hoff, die Redaktion ist noch die alte,
bringt Meldungen, heiss und kalte,
und keine political correcte shyce
auf den Servern von Heise

Solange noch die Server tragen, die Gelder in der Kostenloskultur strömen wie der Schweiß auf die Tastatur, wird natürlich weitergemacht, auch wenn erhöhte Terrorgefahr droht, auf dass wir alle bis zum letzten Server vor Angst erstarren. Der Unsinn am Hindukusch geht verstärkt weiter, deshalb weichen die Taliban großflächig aus.

Weiter geht es hier mit dem Sommerrätsel. Wie das Jubiläums-WWWW steht die Ausgabe des traditionellen Lochfüllers ganz im Zeichen von AAL, andere arbeiten lassen. Wer schöne Hardware oder Software-Rätsel vorschlägt, dabei die Wetware als dritte Kategorie nicht ignoriert, der schicke seine Vorschläge.

Ursprünglich war geplant, das Rätsel zum 40. Geburtstag von Unix diesem System und seinen Varianten zu widmen. Denn am 1. August 1969 begann der Monat, in dem das erste "Unics" entstand, soooo alt, dass es nicht mehr rekonstruierbar ist. Ken Thompson schrieb in seinen Erinnerungen:

Bonnie took the kid to visit my family, and she was gone a month in California. I allocated a week each to the operating system, the shell, the editor and the assembler, to reproduce itself, and during the month she was gone, it was rewritten.

Den Vorwurf, dass auf den Servern von Heise einseitig gerätselt wird, ersparen wir uns einfach. Alles ist erlaubt, nur das weitere Rätselraten über Michael Jackson, das ersparen wir uns wirklich, ja?

Quelle : www.heise.de (http://www.heise.de)
Titel: Re: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: Hesse am 07 Juli, 2009, 23:18
Zitat
...lästerten schon 1937, dass "Something Posing At Meat" die treffendere Bezeichnung für das Dosenfleisch ist.

Ähhhääähhhähhhähhhemmm.....also ich hätte jetzt "as" geschrieben....beides ist natürlich möglich, aber : "etwas das auf Fleisch posiert" (anstatt : "etwas dass sich als Fleisch ausgibt") ginge natürlich eigentlich auch, macht aber weniger Sinn. Aber vielleicht hab ich da auch was falsch verstanden....
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Jedenfalls :
Zitat
und keine political correcte shyce

War GUT  ;D
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 12 Juli, 2009, 00:24
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Seit dieser Woche haben wir eine neue Generation. Vergessen sind die Bobos, die Generation X, die Generation Golf und selbst die Lohas mit ihrem Motto "Shift happens". Auch die gerade noch durchs digitale Dorf gehetzte Generation C64 ist Schnee von Gestern. Was jetzt kommt ist größer, viel größer, denn es geht um die Generation Upload, die die Welt bewegt, und voller Energie im Upload die Selbstverwirklichung betreibt. Die schnell mal ein witziges Videofilmchen macht und hochlädt, um der desorientierten NATO wieder auf die Sprünge zu helfen. Die das alte Motto der Wandervögel, "Mit uns zieht die Neue Zeit" aufgreift und personalisiert: Es ist deine Zeit. Ja, ja, "Reden ohne Reißleine", das ist doch was für die tapferen Jungs in Afghanistan. Oder ist vielleicht das KompZ SonderSwBw gemeint, weil die Generation Upload ja Kommunikationstechnologien nicht als Werkzeuge benutzt, sondern für die Selbstverwirklichung kämpft? Ja, Generation Upload klingt vielversprechend, ganz anders als deutsche Soldaten in Afghanistan, die Brunnenbohrer.

*** Wie es sich gehört, hat die Generation Upload ihre eigenen Helden. Da wäre etwa Sascha Lobo, der mit der steilen Tolle vom Online-Beirat der SPD. Held wurde der bekennende Fan des Taxifahrens und des iPhone-Twitterns mit einem Auftritt im Bus, komplett mit irgendeinem Vertragstelefon von Vodafone. Das muss Mut gekostet haben, alle Achtung, auch wenn ein alter Freund aus Bobo-Zeiten feinsinnig bemerkt, dass ihn das alles "an eine an Kokain berauschte Partygesellschaft von Millionären" erinnere, die "auf der Suche nach billigen Mädchen durch ein tiefrotes Arbeiterviertel ziehen". Wie überhaupt das Kampagnengesamtkonzept zum Brand Refresh der roten Vodafone enorm mutich ist, gewissermaßen ein Neues Evangelium produziert: "In der Welt seid ihr in Bedrängnis; aber habt Mut: Ich habe die Welt besiegt...", passend zum Geburtstag des Taliban von Genf. Man muss schon den Bundestagspiraten zitieren, um zu verdeutlichen, wie mutich Vodafone mit der Generation Upload ist, immerhin die Firma, die sich ausdauernd für Netzsperren und Zensur engagiert.

*** Schon wieder dieses ausgelutschte Thema? Ja, es muss leyder sein. Bekanntlich verfügt Indien über eine ausgedehnte Zensur-Infrastruktur im Internet – die vom Comic-Zeichner Deshmukh aufgebaute Site Save Savita Babhi dokumentiert dies mit vielen Details, wenn sie zu erreichen ist. In dieser Woche wurde dort kräftig gefeiert, denn nach 150 Jahren ist dort die Homosexualität wieder straffrei. Bis dahin wurden Websites, die schwule Pärchen zeigten, umstandslos gelöscht, die Provider verwarnt. Save Savita Babhi ist als Website gegen Zensur, die Antiblockier-Tools verfügbar macht, übrigens aus dem pornografischen Comic Savita Babhi entstanden, der Opfer der indischen Internet-Zensur wurde. Ich erwähne dies, weil die deutsche Familienministerin Ursula von der Leyen behauptet, dass man nichts machen kann, wenn Server mit Kinderpornografie in Indien stehen. Eine deutsche Ministerin lügt ungeniert – willkommen in der Vorhölle der Zensur. Warten wir nur noch auf die Leitautoren der Generation Upload, wenn die bestallten Schmierfinken der öffentlichen Meinung erklären, wie das mit der Demokratie in Indien ist, die den Unterschied ausmacht.

*** Zwischen dem Holiday Inn und dem Hotel Intercontinental in Kairo liegt ein ausgedehntes Einkaufszentrum namens Citystars. 643 Läden gibt es, von Dolce & Gabbana bis Zara. 80 Journalisten aus aller Welt durchquerten tagelang den Konsumdschungel, um über die Finals des Imagine Cups von Microsoft zu berichten. Als guter Journalist bemüht man sich, auch von der Welt abseits der Code-Duelle zu berichten. Doch die Gespräche liefen nach einem einzigen Muster ab."Aus welchem Land kommst du?" "Deutschland." "Mörder!" Der Tod der Ägypterin Marwa Al-Sherbini beschäftigt die Menschen weit mehr als alles andere. Selbst die Vermittlungsrolle Ägyptens im Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern ist unwichtig geworden, selbst die sonst alles überragende Fußballbegeisterung wird klein gehalten. Schon in der Halbzeitpause des Kicks zwischen Ruanda und Ägypten wird wieder über die "Kopftuchmärtyrerin" diskutiert. Die Diskrepanz zwischen der routinierten Behandlung des Mordes in einem Dresdener Gerichtssaal durch deutsche Medien und der Erschütterung im arabischen Raum ist enorm. Wieder einmal ist für die Menschen der Beweis erbracht worden, dass der Westen den Islam hasst. In Deutschland, ja, da gibt es keinen Raum für Islamophobie. Nur das ständige Gefasel von der zunehmenden Gefährlichkeit des islamistischen Terrors zur Bundestagswahl. Und dann ist da noch eine geradezu süffisante, gutmenschliche Genugtuung.

*** Im Wettbewerb selbst sorgte eine Eiweißproduktionsmaschine aus Südkorea für Aufsehen. Die mit einem Handy steuerbare Käferzucht ganz nach dem Geschmack der Generation Upload gewann nicht nur den Wettbewerb, sondern führte zu Diskussionen über Lebensmittel. Nach dem Analogkäse und den Wasabi-Erdnüssen aus Algenschlamm stehen gerade die Surimi Garnelen, gefangen (PDF-Datei) im Zentrum der Kritik. Korrekt ist es Krebsfleischimitat, geformt aus Fischmuskeleiweiß. Das müsste man mit den Käferlarven eigentlich auch hinbekommen können. Völlig richtig sah hier die Jury des Microsoft-Wettbewerbes einen Riesenmarkt im Entstehen, geboren in der U-Bahn von Seoul, als TV-Sender von einer Hungersnot in Nordkorea berichteten, die Menschen zum Essen von Larven brachte. Passend zum Geburtstag des großen Sperrtextlers Thomas Bowdler schlage ich "Freudenfleisch" vor und verkneife mir die Rede vom MS-Burger.

Was wird.

Mit einem neuen Betriebssystem für Millionen von Computer kommt Leben in die abgeflaute große Systemdebatte. Die Schlachten werden wohl mit Netbooks ausgetragen, die auf der IFA eine wichtige Rolle spielen sollen. Zu den kuriosen Ankündigungen besonderer Art dürfte die Mitteilung von IBM gehören, dass man an der IFA teilnimmt. Wer auf OS/2 tippt oder auf das bröckelnde Notes-Imperium, ist von vorgestern. IBM tritt bei den Home Appliances an, wie Saeco, Electrolux oder Dyson-Staubsauger. Mit Cloud Computing für das "Smarte Zuhause", damit das "Wohnen eine Zukunft" hat. Lebst du schon oder schraubst du noch, könnte man fragen – oder gleich mal voweativ eine Meldung von IBM bearbeiten. Am Dienstag startet passend zur IFA die Veranstaltung Ballack im Kühlschrank.

Es geht nur um ein paar Tausend Testkarten, insofern könnte man die Entscheidung vielleicht verstehen, eine Root-CA ohne Backup zu betreiben. Wer diese Entscheidung bei einer Testreihe der elektronischen Gesundheitskarte getroffen hat, ist derzeit noch unklar, doch die Außenwirkung ist eindeutig. Da mögen die Betroffenen betonen, dass es nur um abstrakte Tests geht, bei denen keine medizinischen Echtdaten verwendet werden – das Misstrauen wächst weiter. Was, wenn bei den konkreten Tests auch so gearbeitet wird? Genau wie die labbrige Internetsperre schwere juristische Bedenken provoziert, könnte es der elektronischen Gesundheitskarte ergehen. Man sollte genau auf die Signale aus Berlin achten, in diesem Fall auf die, die der Berliner Datenschützer Dix unter Verweis auf eine EU-Entscheidung gegen Finnland von sich gibt: Das Patientengeheimnis ist ein Menschenrecht! Doch halt, wir sind schon weiter. Wenn sich am Donnerstag das CAST-Forum mit Karten-Großprojekten beschäftigt, steht gleich die europäische Gesundheitskarte auf dem Programm. Da haben wir hier es im derzeit arg verregneten deutschen Sommer doch viel einfacher, wir können Großprojekte meiden und uns demnächst dem Sommerrätsel widmen. Schön schwere Rätselvorschläge für Hard-, Soft- und Wetware werden immer noch entgegengenommen.

Quelle : www.heise.de (http://www.heise.de)
Titel: Re: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: Hesse am 12 Juli, 2009, 22:14
Zitat
"Aus welchem Land kommst du?" "Deutschland." "Mörder!" Der Tod der Ägypterin Marwa Al-Sherbini beschäftigt die Menschen weit mehr als alles andere. Selbst die Vermittlungsrolle Ägyptens im Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern ist unwichtig geworden, selbst die sonst alles überragende Fußballbegeisterung wird klein gehalten. Schon in der Halbzeitpause des Kicks zwischen Ruanda und Ägypten wird wieder über die "Kopftuchmärtyrerin" diskutiert. Die Diskrepanz zwischen der routinierten Behandlung des Mordes in einem Dresdener Gerichtssaal durch deutsche Medien und der Erschütterung im arabischen Raum ist enorm.

Wobei wir mal ganz klar festhalten wollen, dass es sich beim Täter um einen eingewanderten Russen gehandelt hat. Was im Grunde relativ Wurscht ist, ob nun Russe, Spanier, Türke oder whatever....jedenfalls haben die Ägypter da irgendwie nur die halbe Nachricht gelesen...
Titel: Re: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: Jürgen am 12 Juli, 2009, 22:42
Klar, wer sch... drauf ist, der liest nicht die "Details", weil er nicht wissen und verstehen will, sondern hassen und daraufhin möglichst brandschatzen und töten.
Hinzu kommt, dass sich auch Journalisten oft genau so in ihren Berichten verhalten, filternd, zensierend, verdrehend, aufhetzend, anstiftend.
Man denke bloss an die leidige Blöd-Zeitung.
So geht's weltweit, weil der grösste Teil der Menschheit bei'm Abstieg von den Bäumen leider ausgeglitten und schwer auf den Kopf gefallen ist...
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 19 Juli, 2009, 07:00
Natürlich möchte die Wochenschau von Hal Faber wie immer den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich. Aber sie ist traditionell in diesen Sommertagen auch mehr: Ein Sommerrätsel, das die Hirnwindungen vor der Austrocknung bewahren soll im schrumpfenden Sommerloch.

Was war.

*** Sommer, Sonne, Schweinegrippe! Vor allem aber Sommer! Die hohe Zeit der Nachrichtenproduktion ist angebrochen, wo nur noch anspruchsvolle Themen zählen. In Gedenken an "Sammy", den mörderischen Kaiman, und "Kuno", den Killer-Wels, ist das Sommerloch ausgebrochen, ausgerechnet in Schleswig-Holstein, wo "Harry", der Ministerpräsident die Schnauze voll hat und zum Walkampf bläst. Zuvor plätscherte es doch so behaglich an den Nordstränden, eine Arbeitsplatzgarantie hier, ein paar Millionen da für einen Banker, der Grundlagen für die Neuausrichtung gelegt hat. Kann ja nicht jeder sowas tolles Ausrichtendes machen, da treibt man schnell kieloben, hoch im Norden, auf den Strand zu.

*** Ja, toll finden sich viele, aber manchmal schaut man besser genauer hin. Wenn es um Kontrolle und Überwachung geht, ist die Linke nicht zwangsläufig auf Seiten der Bürgerrechte – zumal dann nicht, wenn sie an der Regierung ist. Das verwundert eigentlich nicht, bedingen doch staatlicher Dirigismus oder gar Planwirtschaft und ein sozialistischer Wohlfahrtsstaat selbst ein gerüttelt Maß an Überwachung und Kontrolle. Wenn's dann auch noch der Absicherung des Regimes dient, wie gerade bei einigen der lateinamerikanischen neulinken/populistischen Regierungen zu beobachten, dürften die Protagonisten dies als erwünscht und keineswegs nur als Nebeneffekt betrachten. Umso skeptischer betrachtet man die Anti-Überwachungsstaat-Proteste der Linken in der Opposition, da sie rein machtpolitisch begründet sind. Viel besser machen es die sich selbst als technische Elite einschätzenden Gruppen aber auch nicht – träumen zwar viele der Nerds von einer Art elektronischer politeia, in der die technische Elite dem Volk mal so richtig vorführt, wo's mit der Internet-Freiheit langgeht, so zeigt sich dann, wenn es ums Geschäft geht, dass eben dieser technischen Elite das Geld-Hemd doch näher ist als der Freiheits-Rock.

*** Aber lassen wir das, es ist ja Sommerloch. Aber das schrumpft schon wie das Bruttosozialprodukt, da heißt es standhaft bei den Grundlagen bleiben und die hören hier immer noch auf den Namen Sommerrätsel. Zehn Fragen aus den Bereichen Hardware, Software und Meatware warten darauf, von den Lesern dieser kleinen Wochenschau gelöst zu werden. Nach Beschwerden über enigmatische Vergangenheitsfixierung der Rätselei im letzten Jahr sind die Fragen diesmal aktueller und einfacher, damit die ganze Familie ihren Spaß haben kann. Zu Gewinnen gibts aber auch dieses Mal wieder nix außer der inneren Befriedigung, all die ahnungslosen Nerds in Grund und Boden gebesserwisst zu haben.
Den Anfang macht die Hardware, passend zum Jubiläum eines großen Ereignisses, eines Riesenschrittes für die Menschheit. Frage 1 startet natürlich kindergartenleicht: 18.15.19.0 5.20.20.0 1.0.0.0 18.15.3.0 11.19.0.0 Tja, welches Ereignis ist hier gemeint?

*** Oh friedliche Sommerzeit. Gemütlich schleppt sich die Schweinegrippe aus Mallorca kommend durch die norddeutsche Tiefebene. Man döst am Dümmer mit leichtgebauten, auch Googlern verständlichen Texten wie der unlöschbaren Lektüre über Ada Lovelace, dieser großen Liebe von Konrad Zuse, für die er eigens den Computer erfand. Ja, Literatur macht's möglich, dass Computer doch träumen können: Ada ist die virtuelle Traumfrau, sein tiefstes Geheimnis, die 'ewig-weibliche Triebkraft', die ihn hinzog, wenn schon sonst niemand es machte. So legten Ada und Konrad, die Zufrühgekommenen mit binärer Lust ein Ei. Enorm, was die Kinder tapfer ausbaden müssen, während sie schon das Zuse-Jahr vorbereiten.

(http://www.heise.de/bilder/142199/0/0)
Frage 2: Welches Gerät steckt hinter dieser kleinen Bastelei?

Frage 2, während die jüngeren Kinder mit Förmchen am Strand spielen und die älteren sich wundern, was aus der dreidimensionalen Nicht-Marke Lego wird, kommt die Frage ganz spielerisch daher: Welches Gerät steckt hinter dieser kleinen Bastelei ?

*** Nicht alle können am Dümmer liegen, einige müssen ja klüger werden oder in der Hitze für den anstehenden Wahlkampf büffeln. Wie lebenslanges Lernen einen Lebenslauf beeinflusst, lernt gerade die SPD-Politikerin Hannelore Kraft, die bereits in der Wochenschau erwähnt wurde. Wir können nach einem ersten Gerichtstermin immerhin dazulernen, dass man nicht den Namen einer Firma in den Lebenslauf schreiben soll, wenn man einmal in einer Firma gearbeitet hat. Nur bei Praktika soll man die Firma erwähnen, wegen der Kompetenz. Wieder einmal zeigt sich hier die dämonische Fratze von Satan Lebenslauf. Weil dieser Generation einfach keine Freizeit mehr verbleibt, verlinke ich fürbittend vor dem rosa Einhorn und dem fliegenden Spaghettimonster, diesen jungen Seelen doch einen Coolen Sommerspaß zu gönnen.
Und komme damit zur Frage 3: Die Flipflops stehen für ein Generationenproblem, eines, das nicht einfach mit einer Tapete zugekleistert werden kann, sondern weitgehend unerforscht ist.

*** Die Mondlandung der Amerikaner beschäftigt die Deutschen an diesem Wochenende mehr als die Amerikaner. Besonders Schlichte beschreiben da den Apollo Guidance Computer nach ausgiebiger Konsultation der Wikipedia. Sie wundern sich über die schwachen Rechenleistungen, die von modernen Waschmaschinen übertroffen werden, die regelmäßig Socken aus der Maschine rausrechnen müssen. Dann hatten die Computer, Schreck lass nach, keine grafische Oberfläche und keinen berührungssensitiven Bildschirm. Mit 100 Codes wie 06 44 mussten Befehle eingegeben werden – unvorstellbar, wenn man nur ein iPhone zum Vergleich kennt. Dann sollte man doch lieber am iPhone den Funkverkehr mitlesen, der live getwittert wird. Den Vogel schießt ein kluges Blatt ab, dass die Verschwörungstheoretiker imitiert und Promis befragt, was sie zur Mondlandung gemacht haben. Merkels und Steinemeiers Erlebnisse gibt es derzeit nur in einer gebloggten Zusammenfassung. Ach ja: Vor vierzig Jahren taten mir alle Knochen weh. Ich habe die Mondlandung am Fernseher in einem kleinen Hotel bei Genf verfolgt, nachdem ich von Andorra bis in die Schweiz den lieben langen Tag und die halbe Nacht das Gaspedal bedienen durfte. Der Journalist, mit dem ich Jungspund ohne Führerschein unterwegs war, hatte im Krieg sein Bein verloren und sich in den Bergen die Prothese ruiniert.
Zwangsläufig folgt Frage 4, ein Leser-Vorschlag: Wo sind die Original-Bilder der Mondlandung?

(http://www.heise.de/bilder/142199/1/0)
Frage 5: Was zeigt dieses Bild?

Frage 5 folgt auf den berühmten Fußabdruck und bringt uns in die Gegenwart zurück: Was zeigt das Bild ?

*** Im anlaufenden Wahlkampf haben Parteien immer ein offenes Ohr für ihre Wähler. Das sollte man ausnützen. Im Fluss der vielen Nachrichten dieser Woche ging ein kleiner Brief etwas unter, den ein SPD-Referent an einen schrieb, der in Zukunft alternative DNS-Server nutzen will. In ihm heißt es: "Hingegen die Pädophilen, die um ihre Neigung wissen und diese bekämpfen, danken uns, da sie nun nicht mehr Gefahr laufen, versehentlich auf entsprechende Seiten zu stoßen." Bis heute sind alle Anfragen, entsprechende Dankesbriefe oder Dankesmails von Betroffenen bei aller gebotenen Anonymisierung einmal sehen zu können, von der SPD unbeantwortet geblieben. Eigentlich erstaunlich für eine Partei, die den künftigen Bundeskanzler stellt. Die breite Unterstützung von dankenden Pädophilen kann gar nicht hoch genug veranschlagt werden, auch wenn Peter Maffay und seine Tabaluga-Gang bereits kräftig für Frank-Walter trommeln.

(http://www.heise.de/bilder/142199/2/0)
Frage 6: Worum geht es hier?

So schmiegt sich Frage 6 in den Diskurs: Im Bild ist das untere Drittel einer klassischen IBM-Lochkarte zu sehen. Ja, die mit 25 Zeilen, die einstmals den Bildschirm begrenzten. Worum geht es im Bild ?

*** User-agent: *
Disallow: /
Worum es hier geht, ist auf den ersten Blick sofort klar. Es ist Googles Antwort auf das Gejammer der Verleger,die Schutz vor Google suchen und gleichzeitig Kohle von Google fordern. Die Antwort ist schlicht gehalten, technisch nachvollziehbar und dennoch unvollständig (Disclaimer: der kleine Verlag in der norddeutschen Tiefebene ist mit dabei, beim Gejammer wie beim Profitieren von der neuen Technik). Denn bei all den Maschinencrawlern der Anbieter und den vielen netten Links auf die "kostenlos" verfügbaren Nachrichten gibt es viele Angebote, die Texte komplett kopieren, natürlich kostenlos und die Lage ausnützen, das juristisch nicht gegen sie vorgegangen wird.

(http://www.heise.de/bilder/142199/3/0)
Frage 7: Um welches Hirn geht es hier?
(http://www.heise.de/bilder/142199/4/0)
Frage 8a: Welches Logo passt nicht in die Reihe?
(http://www.heise.de/bilder/142199/5/0)
Frage 8b: Welches Logo passt nicht in die Reihe?
(http://www.heise.de/bilder/142199/6/0)
Frage 8c: Welches Logo passt nicht in die Reihe?

*** Und sonst so? Am vergangenen Freitag ist Leszek Kolakowski gestorben. Seine Arbeit hat unter anderem dafür gesorgt, dass die Erinnerung an bedeutende Denker wie Ludwig Krzywicki und Stanislaw Brozowksi wach blieb. "Hätten nicht die neuen Generationen unaufhörlich gegen die ererbte Tradition revoltiert, würden wir noch heute in Höhlen leben. Wenn die Revolte gegen die ererbte Tradition universell wird, werden wir wieder in Höhlen leben." Am Geburtstag von Nelson Mandela darf natürlich Free Nelson Mandela nicht fehlen, diesmal in der Version mit Amy Winehouse.

Was wird.

Es ist ganz kurz, schließlich ist jetzt die Gefahr groß, ins Sommerloch zu fallen.

(http://www.heise.de/bilder/142199/7/0)
Frage 9: Was macht diese Maschine?

Frage 9 ist schlicht ein Foto, das auf ein bald anstehendes nettes Sommerfestival verweist: Was macht die Maschine im Bild ?
Frage 10 schließt sich an, auch wenn es Winter werden wird, ehe diese so beschriebene "Maschine mit dem Ping" aktiv wird. Nur Lösungen mit dem korrekten Bildverweis werden akzeptiert! Um welches die Privatsphäre schützendes Produkt handelt es sich, das in einer aktuellen Pressemeldung dieser Tage so beschrieben wird: "Wer sich in einer großen Gruppe befindet und sich dringend danach sehnt, kurz verschwinden zu können, dem helfen wir mit unserer Erfindung, diesen Wunsch nach Privatsphäre im öffentlichen Umfeld schnell und stufenweise umsetzen zu können."

Quelle : www.heise.de (http://www.heise.de)
Titel: Was wirklich war - Auflösung des ersten Sommerrätsels
Beitrag von: SiLæncer am 20 Juli, 2009, 18:45
Der Montag geht, die Aufklärung kommt - in kleinen Schritten. Insgesamt kann sich die Bilanz des ersten Sommerrätsels sehen lassen: Von den zehn Fragen wurden zwei nicht gelöst. Eine Frage lief in die Irre.

Beginnen wir mit Frage 1: Vor 210 Jahren wurde der Stein von Rosetta von den Franzosen gefunden und vom Franzosen Champillon weitgehend entschlüsselt. Man mag sich darüber streiten, ob es nur das Stolpern über ein Stück Geröll war oder ein Riesenschritt. Jedenfalls erschloss sich der Menschheit mit dem 762 Kilo schweren Brocken eine ganze Welt, während die 21,55 Kilo Mondgestein von Apollo 11 nur ergaben, dass die Mondoberfläche vor 4,5 Millionen Jahren geschmolzen war. Außerdem wissen wir dank dem seit 40 Jahren funktionierenden Lunar Laser, dass sich der Mond von uns entfernt, und zwar mit 3,8 Zentimetern pro Jahr. Das tut der Stein von Rosetta im British Museum nicht. Die Chiffrierung war simpel, doch eigens für die Generation Upload in einer Art IP-Format gestaltet, wobei das Auffüllen mit Nullbytes wie bei einer seriellen Leitung an "alte Zeiten" erinnern sollte.

Keine Chancen hatte auch der Mechanismus von Antikythera in Frage Nummer 2. Sie wurde gelöst, obgleich die verwendete Illustration auf ein Squeak-Programm verweist, das für das Projekt "One Laptop per Child" entwickelt wurde. Immerhin ein netter Verweis, was bei OLPC unter aufklärendem Lernen verstanden wird, ein passender Vortrag (PDF-Datei) zur Feier des Unix-Geburtstages vor 40 Jahren.
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Dagegen verlief sich die Frage 3 im Ungewissen, geschuldet wohl der unpräzisen Fragestellung. Denn das Generationenproblem der Flipflops ist ein Problem der Computergeschichte. Eigentlich hätten die ersten Computer nach 1919 mit dem FlipFlop-Schaltkreis von Eccles und Jordan gebaut werden müssen. Tatsächlich setzte diese Entwicklung aber erst 1941 ein. Bis heute ist das Rätsel der FlipFlop-Legende ungelöst.

Die vierte Frage beschäftigte sich schließlich mit der Mondlandung und war, wie von Lesern gewünscht, eine Fangfrage. Während etliche Abhandlungen sich mit den offenbar von Norman Mailer geschriebenen Sätzen beschäftigen, die Neil Armstrong aufsagen sollte, beschäftigen sich nur wenige Menschen mit den verlorenen Aufzeichnungen der Apollo-11-Mission. Immerhin: Nachdem der Verlust festgestellt worden war, hatte die NASA das strikte Verbot zur Datenlöschung eingeführt. Der Mars kann kommen.

War die Abbildung eines europäischen Root-DNS-Servers in Frage 5 schnell abgehakt, so erwies sich Frage 6 als harte Nuss. Ein Ausschnitt aus einer Lochkarte war zu sehen und wurde vielfach der GEZ zugeordnet. Tatsächlich bezog sich die Frage auf eine im WWWW erwähnte Geschichte: 1975 verteilten die Jungsozialisten in der SPD-NRW im Zuge der Rotfunk-Debatte 250.000 "Computerkarten", auf denen Jugendliche die Sendung Radiothek durch entsprechende Lochung bewerten sollten. "Lesen - Lochen - Zurückschicken!" forderte die Aktion und proklamierte: "Computer stehen auf der Seite des Fortschritts."

Frage 7 geht auf eine Idee von Claude Shannon zurück und zeigte eine Bastelei des Genies. Shannon behauptete, dass Menschen Mustern folgen, selbst wenn sie zufällige Werte einzugeben meinten. Seine abgebildete putzige Maschine mit dem Mondgesicht bewies seine Annahme. In 60 Prozent aller Einsätze konnte der Computer richtig angeben, ob sein menschliches Gegenüber im nächsten Zug die 0 oder 1 wählt. Das Bild entstammt einer Ausstellung des Heinz Nixdorf Museumsforum, die ab November über den Jongleur der Wissenschaft informiert.

Frage 8 gehört zum speziellen Logo-Rätselraten, das auf Visitenkarten vergangener Zeiten setzt. Das erste Bild zeigt das Logo von Silicon Graphics, das zweite das Logo der Theos Software Corporation während das dritte Logo zu MIPS Technologies gehörte, bevor die Firma von Silicon Graphics aufgekauft wurde. Die Software Theos hat in der Hardware-Reihe nichts zu suchen.

Richtig hart wurde es in Frage 9 mit einer Maschine, die Festplatten zu Schrot verarbeitet. Einige Leser tasteten sich ganz nah ran, andere vermuteten die "Internet Hate Machine" in zeitgemäßer SPD-naher Verpackung, doch handelt es sich hier um ein Angebot, das auf dem OpenAir-Festival Hacking at Random (HAR 2009) genutzt werden kann. Der Daten schützende Shredder soll für HAR werben, das kaum noch Werbung braucht: In wenigen Stunden läuft der Vorverkauf der Einlasskarten ab und stolz twittern die Organisatoren, dass man nahezu ausverkauft sei.

Die letzte Frage 10 wurde wiederum postwendend gelöst: Wer in naher Zukunft Kapuzinermenschen in der Menge sieht, mag an Grufties denken oder diese Mittelalterspiele, die im Sommer populär sind. Tatsächlich handelt es sich um "Privacy to Go", einen Privatsphärenschutz nach Vorbild der bekannten Kopfbedeckungen für Verschwörungstheoretiker.

Quelle und Links : http://www.heise.de/newsticker/Was-wirklich-war-Aufloesung-des-ersten-Sommerraetsels--/meldung/142259 (http://www.heise.de/newsticker/Was-wirklich-war-Aufloesung-des-ersten-Sommerraetsels--/meldung/142259)
Titel: Was war. Was wird. Darin schon wieder Rätsel einer lauen Sommernacht
Beitrag von: SiLæncer am 26 Juli, 2009, 00:13
Natürlich möchte die Wochenschau von Hal Faber wie immer den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich. Aber sie ist traditionell in diesen Sommertagen auch mehr: Ein Sommerrätsel – hier der zweite Teil –, das die Hirnwindungen vor der Austrocknung bewahren soll im schrumpfenden Sommerloch.

Was war.

*** "Die Menschen machen ihre eigene Geschichte, aber sie machen sie nicht aus freien Stücken ..." Denn das wär ja noch schöner, Herr Marx. Freie Stücke, wo kämen wir da hin, wo es schon freie Musik gibt und dieses schlimme "freie Internet." Geschichte in ganzen Stücken nannte man in meiner Jugend Einakter, gelegentlich auch Bauernschwank. Eine solche, höchst eigene Geschichte wurde in Deutschlands flensgestähltem Norden geschrieben, wo "Harry" schon mal die Wahlen vorgefahren hat. Besonders dämlich hat sich dabei übrigens die SPD angestellt: Weil eine SPD-Abgeordnete partout nicht aus dem Urlaub kommen wollte, scheiterte die Stilllegung von Krümmel. So und nicht anders wird Geschichte gemacht, wenn aus freien Stücken weggeblieben wird.

*** Philosophisch so ergiebig wie ein kleines Steak ist auch ein Blick zum Bundesverfassungsgericht und seinem ätzenden Urteil zum BND-Untersuchungsausschuss mit dem steingemeierten Quatsch über den "Kernbereich exekutiver Verantwortung", in den nicht mal Abgeordnete gucken dürfen, wenn sie prüfen wollen, wie da Geschichte gemacht wurde. Vielleicht macht so auf eine maulwurfartige Weise der Fall Murat Kurnaz doch noch ein hübsches Stückchen Geschichte? Mit dieser Vorrede bin ich mittendrin im Thema, beim zweiten Teil des Sommerrätsels. Nach der Hardware geht es diesmal um Meatware oder Whetware, jedenfalls um den Menschen, der IT-Geschichte macht. Natürlich nicht aus freien Stücken, iwo. Nehmen wir nur die Generation Upload und ihre Geschichte einer großen Peinlichkeit. Vreiwillige Geschichte oder Vodafone, das ist hier die Frage. Immerhin geht es um eine Firma, die in einem einzigen Berichtsquartal 1,5 Millionen Nutzer in Deutschland, Spanien und Italien verloren hat und händeringend eine neue Generation sucht, weil sie nur noch in Indien wächst (7,6 Millionen Nutzer plus).

(http://www.heise.de/bilder/142575/0/0)
Keine Frage, sondern der fröhliche kleine dicke Mönch.

*** Wo kämen wir dahin, wenn Menschen wirklich aus freien Stücken Geschichte machen und sich einfach so ein iPhone oder G1 zulegen, wie die Generation Upload? Beim freien Willen gilt bekanntlich Catch-22. Weder hat sich Richard Stallman freiwillig dafür entschieden, der fröhliche kleine dicke Mönch der sieben Freiheiten zu sein noch wollte Bill Gates diesen Hobbyisten zum Durchbruch verhelfen. Ich erinnere an den ersten Teil dieses Sommerrätsels in der vergangenen Woche. Dort wurde in der letzten Frage dieser auf seine Privatsphäre bedachte Mensch geraten – was ist, wenn er am Stück verfrachtet wird, so talibanmäßig angezogen?

*** Gute Rätsel beginnen so einfach wie die Frage, ob Microsoft am Tiefpunkt seiner Geschichte angelangt ist. Aber das wäre ein Fall für die Kristallkugel, nicht für den rätselliebenden Codebreaker.
Dann schon lieber eine richtige Frage 1: Welche empfindliche Niederlage kassierte dieser Mensch, heute ein Titan der IT-Szene, im Jahre 1982?
Frage 2 schließt sich an und ist schon wesentlich komplizierter – nur nicht für die Elite unter uns. Zugegeben, nach dem in dieser Woche veröffentlichten Geständnis der Madeleine Schickedanz (Vermögen von 3 Milliarden auf 27 Millionen gesunken, daher vom Garten und Discounter lebend) ist Elite auch irgendwie Maloche für das große Ganze.
Die elitäre Frage 2 ist daher schlicht gehalten: Um wem geht es hier eigentlich?

*** Mit dem Auftritt der Piratenpartei haben auf toten Bäumen schreibende Kollegen immer noch enorme Schwierigkeiten. Nehmen wir nur die verkalkten Besitzstandswahrer der tageszeitung, die gern grün knuscheln, aber nicht mehr recherchieren können. Ein Artikel über die Wandlung der Freaks beginnt mit dem geheuchelten Einstieg "Wie konnte aus den eigenbrötlerischen Sonderlingen von früher eine politische Bewegung werden?" Weiß die neue Jack-Wolfskin-konforme Tazze nicht mehr, dass in ihren Räumen auch der CCC gegründet wurde? Das Märchen vom unpolitischen Programmierer ist mindestens seit 30 Jahren überholt, kritische Informatiker gibt es schon lange.
Daher Frage 3: Wer wird in seinem Heimatland ein großer Politiker genannt, wer ist im Ausland jedoch nur als gefeierter Star eines bestimmten Programmierstils bekannt geworden?

*** Übrigens machen nicht nur Menschen Geschichte. Das können auch Katzen. Der Beweis ist die Geschichte des Internet, das bekanntlich eigens für die ungehinderte, atomschlagsichere Verbreitung von Katzencontent konstruiert wurde. Natürlich spielen dabei auch Hunde eine Rolle, aber eben nur in katzengerechter Form als freundlich bellende Wächter ohne Futterneid. Daran hatte ein sicher ein gelber Labrador seinen Anteil.
Frage 4: Wie hieß der Hund mit vollem Namen und was wurde aus seinem Rufnamen?
Die Besitzerin des Hundes fing in jenem Jahr als Administratorin an, als an derselben Universität eine Frau ihren Doktor in Informatik oder eben Computer Science machte. Sie ging danach in die Forschungslabors von IBM, schied aber frühzeitig aus, um den Kampf gegen eine bestimmte Art von Computern aufzunehmen.

Frage 5 lautet daher: Wer kämpfte hier gegen welche Computer, mit wechselhaftem Erfolg?

*** In alten Hundetagen wurden neue Firmen nach ihren Gründern benannt, und wenn es denn nicht reichte, wurde auch schnell mal ein Gründer erfunden, wie beispielsweise der Goldgräber Frank Borland, den ein gewisser Franzose namens Phillipe Kahn kreierte. Dann gab es einen Exzentriker, der seine Datenbank "Girls" nannte, ebenso die Firma. Das kam nicht so gut an, also wurde man mit Pick Systems seriöser. Obwohl – solange es die Comdex in Las Vegas gab, hielt Gründer Dick Pick an der Tradition fest, auf Lapdance spezialisierte "Girls" als Standpersonal zu engagieren.
Damit ist die Frage 6 angemessen vorbereitet. Wie in der letzten Woche geht es um Firmen-Logos von Visitenkarten: Welche Firma passt nicht in die Reihe der folgenden vier Bilder? Welcher Firmengründer wird gesucht? Nutzlose Fleißpünktchen gibt es für die Nennung der einzelnen Firmen.

(http://www.heise.de/bilder/142575/1/0)(http://www.heise.de/bilder/142575/2/0)(http://www.heise.de/bilder/142575/3/0)(http://www.heise.de/bilder/142575/4/0)
Frage 6: Welche Firma passt nicht in die Reihe der vier Bilder?

*** Was gibt es schöneres im Sommer als eine zünftige Afghanistan-Offensive? Da machen Menschen Geschichte, indem sie unermüdlich Brunnen bohren, Schulen bauen oder eben anderes. Vom Video-Wettbewerb "Afghanistan Matters" war hier schon die Rede, von daher muss nachgetragen werden, was ein Blogger erlebt, der sich um die Soldaten kümmert, die dort kämpfen. Das Spektrum der Antworten ist interessant und in hohem Maße authentisch.
Und es führt zur Frage 7: Gesucht wird ein französischer Autor, der mit einem Buch den "Mythos Vietnam" demontierte, nach dem viele begabte Amerikaner eben jene Computer Science wählten, um nicht in Vietnam kämpfen zu müssen. Nutzlose Fleißpünktchen gibt es für den Buchtitel.

*** Wenn Menschen Geschichte machen, dann tun sie das zu ihrem eigenen Entzücken. Das passt zu einem lustigen Sonntag, an dem Bernhard Shaw, Aldous Huxley, Stanley Kubrick und Carl Jung Geburtstag haben. Auf der anderen Seite ist da die Wehmut, von einem großen Künstler Abschied nehmen zu müssen, der stilbildend für die, ähem, Generation Universitätsreform war, wie im Bild rechts zu sehen ist.
Also lautet Frage 8: Um welchen Mann handelt es sich? Und worin bestand eigentlich diese Universitätsreform?

(http://www.heise.de/bilder/142575/5/0)
Frage 8: Um welchen Mann handelt es sich? Und worin bestand eigentlich diese Universitätsreform?

Was wird.

Die Mondlandung liegt hinter uns, der Mondcode ist raus und das Remake des Films soll auch in trockenen Tüchern sein. Geschichte wird wiederholt und das aus völlig freien Stücken, als Tragödie, Lustpiel oder Leichenschmaus. Ich beuge mich den Kritikern, die im WWWW nur Geschwurbel lesen und die immergleichen Worte finden.

Frage 9 ist eine der im Sommer so beliebten Wiederholungen: Dieser Herr im Bild links war schon einmal in einem Sommerrätsel vertreten! Nun soll ihm ganz Deutschland untertänig werden. Wie soll das zu schaffen sein?

(http://www.heise.de/bilder/142575/6/0)
Frage 9: Wie will dieser Herr sich ganz Deutschland untertänig machen?

Der Sommer nähert sich seinem Höhepunkt. Da ist nicht nur der dritte und letzte Teil dieser Rätselei, in dem es um Software gehen wird. Da kündigt sich der Geburtstag von Unix als Unics an und das Woodstock-Festival jährt sich wieder einmal mit ordentlicher Vermarktung. Es ist genau wie vor 40 Jahren, als der billige, zufällig eingekaufte Content von Love und Peace die Warner Brothers vor dem Konkurs rettete. Ein ratzfatz ausverkauftes Hackercamp heizt Spekulationen an, mit Kartenpreisen über 600 Dollar bei eBay. An alternativen Möglichkeiten zur Teilnahme wird gebastelt.

Ob es eine Alternative zu Xipolis geben wird, wo dort doch das geprüfte Wissen der Welt auf uns warten sollte? Zum 31.7. wird die Online-Bibliothek geschlossen, die einstmals Wikipedia zeigen sollte, was eine ordentliche Harke ist. Das Bibliographische Institut will das Wissen besser versilbern. Dafür starten schon wieder neue Gratis-Inhalte und zwar auf höchstem Niveau, wenn bei Klett die deutsche Rechtschreibung Marke Pons ins Internet geht. Das kostenfreie Angebot ist die Antwort auf die gerade angelaufene Aktion Duden auf alle Rechner. So oder so, das Ende aller Schreibfehler ist nah! Auf freien Stühlen,die Geschichte machen! Lehnen wir uns zurück, starten beruhigt den bekannten Editor und ...
Ach halt, da könnte der Meister Proper der IT etwas dagegen haben. Was Frage 10 ergibt: Wer ist das denn und welches Warenzeichen wird hier gesucht?

Quelle : www.heise.de (http://www.heise.de)
Titel: Was wirklich wahr war – Auflösungen der zweiten rätselhaften Sommernacht
Beitrag von: SiLæncer am 27 Juli, 2009, 19:25
Menschen machen Geschichte, auch im Urlaub, Katzen machen das Internet und manchmal sind auch Hunde mit dabei. Die zweite Folge des Sommerrätsels ist gelaufen. 10 Portionen Meatware waren zu erraten, drei Menschen wurden nicht geraten, ebenso der Hund, der auf seine Art Geschichte schrieb.

Doch der Reihe nach: Kein Problem war Frage 1 nach der Niederlage von Steve Jobs im Jahre 1982. Die Redaktion der Times hatte sich damals entschieden, den 27-jährigen Jobs als "Man of the Year" auf ihren Titel zu heben. Großzügig erzählte Jobs aus seinem Leben. Dann aber verwarf die Redaktion die Idee in letzter Minute und kürte – ausgerechnet – den Personal Computer zum "Man of the Year". Aus der 15 Seiten langen Geschichte von Steve Jobs wurde ein Dreiseiter, in dem die Times zu allem Überfluss enthüllte, dass der freakige Unternehmer Jobs zwar 210-facher Millionär war, aber nach einem Gerichtsbeschluss pro Monat 385 Dollar Alimente für eine Tochter namens Lisa zahlen musste. Die Veröffentlichung dieses Details brachte Jobs mehr in Rage als alle Verspätungen beim ultimativen Apple-Computer mit dem Codenamen Lisa, der als "Applause" an den Start gehen sollte. Bis zu seinem Meisterstück verging viel Zeit.

Frage 2 war ebenso schnell gegooglebingt: Ethereal, die 58-Meter-Yacht von Shannon und Bill Joy, ein "grünes Wunder" bestückt mit enormen Akkubänken von 400 kWh, gesteuert von sieben iPhones und zwei Touchscreen-Tischen, komplett mit eigens designtem "Font Ethereal Gothic" ist ein Öko-Kahn der Extraklasse, der für 225.000 Euro die Woche von Öko-Freaks gechartert werden kann. Bill Joy will so für die Idee werben, den CO2-Ausstoss zu vermindern. Ob die Idee genauso zündet wie die Sache mit Java, wird sich zeigen müssen.

In Frage 3 war der Informatiker Kristen Nygaard gesucht, der 1962 zusammen mit Ole-Johan Dahl Simula für UNIVAC-Rechner entwickelte. UNIVAC bestand auf einem Programm in Fortran und hielt die Arbeiten in Norwegen für gescheitert, doch mit der Entwicklung von Simula 67 zogen Nygaard und Dahl in die Ruhmeshallen der IT ein. Nygaard war als Politiker und Parteistratege bei den norwegischen Liberalen aktiv, ehe er die Bewegung "Nein zur EU" ins Leben rief, die zu ihren Glanzzeiten von 60 Prozent der Norweger unterstützt wurde. "Ich bin der einzige Programmierer, dem es gelang, sein Volk vor einer Dummheit zu bewahren," eklärte Nygaard bei seinem letzten öffentlichen Auftritt 2002 bei den Software-Pionieren in Bonn, "aber das hatte mit Programmieren nichts zu tun."

(http://www.heise.de/bilder/142642/1/0)
Internet is for lolcats.

Kein Frage, dass das Internet ureigentlich für die Verbreitung von Katzencontent entwickelt wurde. So erwies sich Frage 4 nach dem Hund als harter Brocken, der nicht geknackt wurde. Gefragt war der Labrador Bifford Studworth III, Biff gerufen. Der Hund der Systembetreuerin Heidi Stettner war an der Universität Berkely als Student für den Ph.Dog eingeschrieben war. Das entsprechende [Unix-Programm biff] – "be notified if mail arrives" tat dem freundlichen Vieh etwas Unrecht, weil der echte Biff nie kläffte, wenn der Briefträger kam. Biff ist auf Seite 135 des Gedenkbändchens "A Quarter Century of Unix" abgebildet, dessen Copyright-Rechte strittig sind. Was einstmals AT&T gehörte, ist möglicherweise Eigentum von SCO. Doch das ist eine ganz andere Geschichte, auf die Unixer mit "Zeile 2238" antworten: /*You are not expected to understand this.*/

In Frage 5 sollte die Informatikerin [en.wikipedia.org/wiki/Barbara_Simons Barbara Simons] geraten werden, die unermüdlich gegen den Einsatz von Computern als Wahlmaschinen kämpft. Kurz bevor in Deutschland das Wahlgetöse beginnt, mag an ihre Definition erinnert werden: "The electronic voting machine is best understood as a video game programmed to look like a democratic input device."

Frage 6 beschäftigte sich mit Datenbanken. Dazu wurden die Logos von Microrim (r:base), Ashton-Tate (dBase), Delrina und Vectorsoft (Concept 16) abgebildet. Da nach einem nicht existierenden Gründer gefragt wurde, war jener Herr Ashton gesucht, den George Tate erfand, damit der Firmenname seriöser klingt. Ashton war der Papagei, den sich George Tate hielt. Auf vertrackte Art und Weise passt Delrina zu dieser Frage, obwohl man keine Datenbank im Angebot hatte: in einem der bemerkenswerteren Prozesse der Computerbranche unterlag die Firma, weil Computer-Software, die andere Software parodiert, sich nicht auf das Recht der freien Rede berufen darf. Zensierte fliegende Toaster gehören zu den Dingen, die Propellerheads nur schwer eklären können

Etliche Bücher beschwören den Mythos, dass die Gegenkultur der 1960er jahre entscheidend den Aufstieg des Silicon Valleys zum Computertal prägte. Wer gegen den Vietnamkrieg war, beschäftigte sich viel lieber mit Computern, so der Tenor. Ausgerechnet ein Franzose, der damals in der Branche arbeitete, demontierte mit dem Buch "Computernetze - Träume und Alpträume von einer neuen Welt" diesen Mythos im Jahre 1984. Frage 7 suchte Jacques Vallee, der wiederum die Spuren der sagenhaften Gegenkultur suchte und nur angepasste Forscher im Dienste des Fortschritts fand.

(http://www.heise.de/bilder/142642/0/0)

Frage 8 erinnerte an den Tod von Heinz Edelmann, der mit dem Zeichentrickfilm "Yellow Submarine" im Jahre 1967 ein visuelles Rufzeichen des Umbruchs ablieferte. Mit der Gestaltung der grünen Umschläge vom Herrn der Ringe gelang ihm ein zweites Meisterwerk in einer anderen Epoche. In der Frage wurde Edelmann als Werber gesucht. Für die von Ettore Sottsass entworfene knallrote Schreibmaschine Valentine von Olivetti entwickelte Edelmann 1969 die Kampagne "Valentine reforms university", komplett mit Musik der Beatband "The Cheats", die zum Lust-Sturm auf die Universitäten aufrief.

Zum zweiten Mal in einem Sommerrätsel trat Paul Mockapetris an. In Frage 9 wurde er schnell geraten. Ja, die Geschichte von Nominum ist vielleicht schnell erzählt, komplett mit einer hübschen Verschwörungstheorie über die Name Server deutscher Provider. Doch der Pfusch hinter der bröseligen DNS-Architektur, der ist noch lange nicht aufgearbeitet. Wir leben eben nicht in der besten aller Welten, sondern in einem schnell dahein programmierten Derivat. Man schließe nur die Augen und stelle sich eine X.400-Welt vor, ohne Spam und andere Bit-Verrenkungen. Da könnte man glatt die Arme verschränken und...

Ja, erstaunlich ungelöst blieb schließlich Frage 10, die einen Menschen suchte, dessen stoisch-vergnügte Haltung zu einem Warenzeichen wurde. Peter Norton, dem die Welt den Norton Commander und die Norton Utilities verdankte, lehnte sich schon frühzeitig zurück und verschränkte seine Arme wie der Reinigungs-Dschinn Meister Proper. Diese entspannte Haltung hat sich die Firma Symantec als US-Warenzeichen reserviert – so sitzt niemand mehr vor einem Computer, in dem verhunzte Software rumpelt. Doch davon handelt der nächste und letzte Teil des Sommerrätsels.

Quelle : www.heise.de (http://www.heise.de)
Titel: Was war. Was wird. Darin die letzten Rätsel einer lauen Sommernacht
Beitrag von: SiLæncer am 02 August, 2009, 00:19
Natürlich möchte die Wochenschau von Hal Faber wie immer den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich. Aber sie ist traditionell in diesen Sommertagen auch mehr: Ein Sommerrätsel – hier der dritte und letzte Teil –, das die Hirnwindungen vor der Austrocknung bewahren soll im schrumpfenden Sommerloch.

Was war.

*** Das Bezaubernde an einer Wochenschau ist der ausgeruhte Blick für Details. Lehnen wir uns zurück, gelassen die Ereignisse bei einem guten Glas roten Pansch studierend. Dem alles schluckenden Genießer fällt dabei sofort die Büro-Mindestaustattung auf. Sie wird in der ansonsten sommerlich belanglosen Dienstwagenaffäre von Teamsterin Ulla Schmidt (rechts unten) von ihrem Staatssekretär Klaus Theo Schröder angeführt. Ich verlinke hier auf den Stern, weil dort von Zensursulas Zickenkrieg die Rede ist.) So eine Mindestaustattung besteht also aus "(Drucker, Computer, Papier etc.)", also all dem, was eine zünftige Internetausdruckerin unterwegs braucht. Wir lernen daraus über den mitgebrachten Dienstwagen von Ulla Schmidt: "Sie habe immer einen Teil ihres Büros dabei und benötige stets den Zugang zum Computer, weil sich darin geschützte Daten befänden. Ihre Ausrüstung werde also immer hin und her transportiert." Nun haben die Verbrecher der tierra bajas die Karre stehen gelassen, sind aber offenbar mit dem Druckerpapier und den geschützten Daten getürmt. Jedenfalls ist vom Verbleib der Büro-Mindestausstattung nichts bekannt geworden. Hoffentlich waren die Daten nicht nur nach ICD-10 verschlüsselt, sondern mit einer guten Software. Sonst ist der Witz auf Rädern nicht zu Ende erzählt.

*** Software ist natürlich das Stichwort. Im letzten Teil des Sommerrätsel dreht sich alles um Software, was die Raterei etwas kniffliger macht. Dank gut verkaufter Software sind kleine Klitschen große Firmen geworden, dank schlecht geschriebener Software wurde manche Firma in den Ruin getrieben. Kein geringerer als Bill Gates hat sich dieser Tage dazu geäußert, als er sich an das kritische Jahr 1979 erinnerte, als Microsoft zu wachsen begann.
Folgt logisch Frage 1: Mit welcher "übernommenen" Software begann der Erfolg von Microsoft?

*** Nun ist die Entwicklung von Software für "Hobbycomputer" etwas ganz anderes als das Programmieren von Großeisen. Besonders in der Anfangszeit wurde jede Bit dreimal umgedreht, auf Casettenbändern und nicht auf Festplatten gespeichert. Mitunter war gar nicht auszumachen, was denn ein Softwareprogramm ausmachte. Ein guter Freund aus alten Zeiten schrieb damals über eine Erfahrung, als er am Apple II eine Wundersoftware ausprobierte: "Ich habe wirklich nicht kapiert, wofür das Programm gut sein soll. Ich mein, es ist doch genausoviel Arbeit, diese 'Formeln' in die Zellen zu hacken und dann alles noch im Überblick zu haben, wie gleich ein vernünftiges Basic-Programm zu schreiben. Das ist doch nicht mehr als eine nette Spielerei, wer braucht das denn außer ein paar B****."
Daraus ergibt sich Frage 2: Um welches Programm aus den Frühzeiten der Software-Produktion handelt es sich?

*** Schon auf dem Mainframe, mit dem Beginn der Software-Produktion, gab es den Gegensatz zwischen offener Software, die jeder Kundige erweitern kann, und schwer geheimem Alchimistencode. Die vom kleinen dicken Mönch ins Leben gerufene Bewegung für freie Software ist auf ihre Weise die Wiederbelebung freier, an der Universität gelebter Softwareentwicklung. Das gilt auch für den anstehenden Geburtstag von Unics, das parallel zum Woodstock-Festival und vor der Geburt von Linus Torvalds entstand. Der berühmte Satz vom "Sex, Drugs & Unix", den SCO Vizepäsident Michael Tilson formulierte, dieser aus heutiger Sicht gefühlte Zusammenhang, war lange Zeit unbekannt.
Damit wird es höchste Zeit für das bewährte Visitenkartenrätsel mit historischen Kärtchen. Schließlich ist Unix drauf und dran, als UnXis neue Geschichten zu schreiben. Frage 3: Welche der drei folgenden Karten passt nicht in die Reihe und, ganz wichtig, warum passt sie nicht?

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*** Professionelle Software zeichnete sich lange Zeit dadurch aus, dass sie professionell teuer ware. PC-Programme kosteten weit über 1000 DM, obwohl ihre Qualität häufig miserabel war. Oder es gab gute Programme mit einer miserablen Benutzerführung, die den "User" als Hohepriester installierte, der alle Schikanen der Programmiergötter nachvollziehen muss.
Frage 4: Was zeigt das Bild ?

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*** Auf bestimmten Feldern schufen sich Firmen große Monopole. Bekannt wurde Microsoft mit seinem MS-DOS, doch da gab es durchaus weitere Firmen, die ihre Software so verbreiteten, dass man von "Kontinenten" sprach, um die Marktmacht auszudrücken, die mit einem einzigen Programm erreicht werden konnte.
Frage 5: Ist etwas falsch an dem Bild ?

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*** Computerzeitschriften wie die c't und Byte wurden zum treuen Begleiter der Anwender wie der Programmierer und erklärten geduldig die jeweils neuesten Moden und Möglichkeiten der vielen Erfindungen rund um die kleinen Rechner. Die Leser dankten es auf ihre Weise. RTFM, das ist heute schlicht vergessen, war höchstes Lob und stand einmal für "Read The Fine Magazine". Die Tätigkeit eines Computerjournalisten war hoch angesehen, wild umschwärmt von Groupies ließen sie sich von keinem Programm täuschen, keiner Pressestelle austricksen und waren verschwiegen wie ein Grab.

Frage 6: Nein, hier ist nichts zur Täuschung der Leser auf den Kopf gestellt. Welche Firma und welches ihrer seltsamen Programme wird in dem Bild gesucht?

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*** Vorbei, vorbei, alles vorüber und vergessen. Nüchterne Zeiten sind angebrochen, Disziplin zeigen nur noch wenige. Was heute als Journalist firmiert, sind größtenteils Gadgets-Lecker, die nur beschreiben wollen und nicht analysieren können, die keine Hemmungen haben, sich an offenbar gestohlenem Material zu vergreifen und das auch noch Journalismus zu nennen. Der Unterschied zur echten Recherche sollte klar sein, oder? Besonders lustig wird die Sache natürlich, wenn die hauseigene Entwicklung von anderen fröhlich verpfiffen wird und der besagte Journalist laut unautorisiert! twittert.

Das bringt mich zur nächsten Frage. Zur Vorstellung eines neuen Betriebssystems warb eine Firma mit einem Schimpansen (im Bild zu sehen), obwohl in der Vorgabe eindeutig die Rede davon war, dass herabsetzende Werbung verboten war. Frage 7 lautet daher: Welche Firma war das und um welches Betriebssystem handelte es sich?

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*** Damit die Frage nicht zu schwierig ist, folgt das nächste Rätsel auf den Fuß. Bekanntermaßen werden viele Softwareprogramme mit Tieren assoziiert. Da gibt es den Pinguin für Linux, obwohl ursprünglich eine Möve angedacht war – die Füße erinnern daran. Es gibt einen aufgeplusterten Kugelfisch, ein Kamel und sogar eine Art Drachen oder Saurier – bei der Qualität, die die Mozilla-Foundation liefert, weiß man das nicht so genau.
Frage 8: Welche Firma warb mit einem Panther für ihr Betriebssytem?

Was wird.

Ein kleines Kunststück in der virtuellen Rechtsprechung hat uns diese Woche die niederländische Justiz geliefert: Nachdem die Einladung zum Prozess per Facebook und Twitter ausgesprochen wurde, dürfte die Verurteilung wohl auf eben diesen Wegen übermittelt werden. Im Prozess spielte es offenbar eine entscheidende Rolle, wie dieses Fax (PDF-Datei) erklärt, dass IP-Nummern auf den Justizservern auftauchten, die eindeutig den schwedischen Verbrechern zugeordnet werden konnten. Dieser ziemlich fragwürdige "Beweis" wird auf dem Hackercamp HAR 2009 ein Thema sein, wo sich Vertreter von BREIN einer Diskussion stellen wollen. Die Nachricht ist rum, das HAR ausverkauft ist, abseits der eBay-Zocker ist eine etwas andere Auktion in Gang. Leider wurde der Anwärter gelöscht, der für jede Art von medizinischem Experiment, Schmerzen inklusive, den Einlass haben wollte. Mit tätowierten IP-Nummern auf der Stirn statt auf den Wäscheklammern wäre er ein Fall für Dot.com, was natürlich der Verein der Deutschen Organisierten Tätowierer e.V. ist.
Was natürlich Frage 9 ergibt: Welches Tatoo wird hier gesucht?

Wird es noch was mit den äußerst zweifelhaften Websperren? Das eigens für den Wahlkampf konstruierte Gesetz parkt in Brüssel, ein von der Leyenscher Dienstwagen ist weit und breit nicht in Sicht, rechtzeitig den steilen Pass aufs bundesdeutsche Spielfeld zu apportieren. Dort stehen die Mannschaften längst bereit, auf der einen Seite das weiter oben verlinkte Team Steinmeier mit dem Schlachtruf "Murat Kurnaz" auf den Lippen und der Gründung einer Software-Hochschule vor den Augen. Vielleicht findet sich noch ein Lumma oder Lobo, der dem Team verklickert, dass man auch das Fach Informatik fördern kann.

Auf der anderen Seite das Team Merkel im schönsten Photoshop-Finish, bereit zur brutalstmöglichen Massengeiselnahme aller Zeiten. Von dem Guttenberg ohne Ende (oder ist jede Personation einer dieser Vornamen?) ist es nur noch ein kleiner Schritt zur Westerwelle, besonders dann, wenn die Farbe des tea AM genannten Schlaftees so ein sattes Gelb ist, fernab aller rotroten Angstkoliken.

(http://www.heise.de/bilder/142931/7/1)

War früher alles besser? Wer weiß das schon. Darum fällt Frage 10 etwas anders aus, mit dieser hübschen Website zum Ende der lauen Sommernächte. Der Wahlkampf beginnt: Was war auf dem Bild rechts los? Wer gewann da eigentlich welchen Wahl-Wettbewerb?

Quelle : www.heise.de (http://www.heise.de)
Titel: Was wirklich wahr war, in dieser finalen Sommernacht ...
Beitrag von: SiLæncer am 03 August, 2009, 19:45
Zum letzten Mal in diesem Jahr hat ein kleines Rätsel geholfen, das Sommerloch mit Witz und Geist zu füllen. Fast alle Fragen aus dem Bereich Software wurden von den Forumsteilnehmern gelöst.

(http://www.heise.de/bilder/142976/1/0)

In der IT-Branche ist es wie im richtigen Leben. Kaum ist eine Frage gelöst, türmt sich die nächste auf. Das gilt besonders beim Einsatz von Software: Ist es wirklich so schwierig, in einer Software die richtige Schriftgröße zu finden, wie es der Bitkom findet? Der Branchenverband hat einen besonders tückischen digitalen Graben entdeckt: Sagenhafte 47 Prozent aller Computernutzer können Texte am Rechner nicht lesen, weil die Schrift zu klein ist. Dringen wir hier vielleicht zu dem Kern des Problems vor, warum es immer noch "Internetausdrucker" gibt, die eine "Büro-Minimalausstattung" mit sich führen? Besonders gelungen sind die bitkomischen Lösungsvorschläge – etwa die Anregung, doch einen größeren Monitor zu kaufen und in den Tiefen der Systemsteuerung von Windows Vista zu wühlen.

Kommen wir zum Kleingedruckten. Frage 1 hatte den entscheidenden Hinweis schon im Link parat, der zu den Erinnerungen von Bill Gates über das Jahr 1979 führte. Microsoft Adventure war vor der Adaption eines "Quick and Dirty Operating Systems" für den IBM-PC eine "Adaption" eines einflussreichen Spiels. Das von Will Crowther 1976 auf einer PDP-10 entwickelte Colossal Cave ist der Urahn zahlloser Adventure Games, auch wenn es ein sehr einfaches Spiel war. Microsoft produzierte zunächst eine Apple-Version und später eine Version für MS-DOS 1.0.

Frage 2 beschäftigte sich mit Visicalc. Die erste Tabellenkalkulation startete ebenfalls auf dem Apple und wurde von den Hobby-Programmierern belächelt, die es gewohnt waren, selbst kleine Programme zu schreiben. Umso mehr begeisterte es die buchhalterischen Typen, die nicht programmieren konnten. Visicalc debütierte am 17. Oktober 1979, was später im Jahr sicherlich im Newsticker mit einem Geburtstagsständchen gefeiert wird. Am Ende des ersten Monats waren 1293 Kopien verkauft: Visicalc produzierte eben auch den Mythos von der Killerapplikation. Vergessen wir nicht das Kleingedruckte, jene Kommentare, in denen zum Ausdruck gebracht wurde, dass mit Visicalc ein großes Unglück über die Menschheit hereingebrochen sei.

Frage 3 war wieder ein Visitenkartenrätsel. Offenbar sind viele Rätselfreunde auch Leser der unendlichen Geschichte um SCO und den geheimnisvollen Source-Code, der im Kleingedruckten von Linux versteckt sein soll. Der von Suse zur SCO gewechselte Gregory Blepp passte nicht, erkennbar an einer deutschen Telefonnummer und einem Logo, das vage an die alte Santa Cruz Operation erinnert, die Doug Michels gründete.

Frage 4 wurde spät, aber nicht zu spät gelöst. Eine Wordstar-Schablone für die alte XT-Tastatur war gefragt, wurde jedoch häufig mit der ebenso grässlichen Tastenbelegung von WordPerfect (PDF-Datei) verwechselt. Nur selten gab es Spaß mit diesen Funktionstasten-Höllen wie bei Borlands Paradox, wo F2 mit "Do it!" (beziehungsweise ins Deutsche übersetzt mit "Mach was!") belegt war.

(http://www.heise.de/bilder/142976/0/0)

Frage 5 gehörte zu den beliebten wirren Fragen. Novell mit der Hausfarbe rot war einstmals eine Marktmacht – so stark, dass man vom "roten Kontinent" sprach. Die Microsoft-Programmierer, die zunächst den LAN Manager und später Windows NT entwickelten, trugen T-Shirts mit einer zerstampften Netware-Box und der Aufschrift "Better Dead than Red." Und ja, es gab eine blaue Edition der roten Boxen, die IBM verkaufte, wie die Abbildung zeigt.

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Frage 6 blieb ungelöst. Wie dieses Bild zeigt, wurde die Firma Synchronys gesucht, die einst mit einer Placebo-Software namens SoftRAM an den Start ging. Es gab Journalisten, die stumpf die Behauptungen der Firma wiederholten, dass die Software den Arbeitsspeicher verdoppele. Es gab Testlabore, die dieses Verhalten "zertifizierten" und SoftRAM im November 1995 zur Nummer 1 bei den in den USA verkauften Software-Programmen machten – vor Microsoft Plus, Microsoft Windows 95 und dem Netscape Navigator.

Auch Frage 7 entzog sich der Lösung, weil tatsächlich um die Ecke gedacht werden musste. Als kleine Rache inszenierte DEC seinen Werbefeldzug für das neue Windows NT von Microsoft, entwickelt vom ehemaligen DEC-Star Dave Cutler. Die Microsoft-Richtlinien verboten zwar herabsetzende Werbung, doch der DEC-Schimpanse (siehe Bild am Anfang des Artikel) musste hingenommen werden, ist doch der NT-benutzende Mensch als Krone der Schöpfung adressiert.

Klarer Fall, dass in Frage 8 die Konkurrenz zum Zuge kommt. Der Pink Panther, auch als Paulchen Panther bekannt, wurde von IBM eingekauft, um OS/2 ein "frisches Bild" zu geben. Der Kauf der Rechte war so teuer, dass IBM den Grinsepanther auch für die Werbung bei seinen 486er-Rechnern nutzte.

Frage 9 suchte eine Tickermeldung zum Tätowieren, doch es wurde eine Reihe verschiedener Tattoos, von denen schließlich kurz vor Schluss der Sommerrätselei die Sache mit den Wäscheklammern überzeugte. Schließlich werden auch zur HAR 2009 wieder Wäscheklammern verteilt.

Der Wahlkampf naht mit Riesenschritten, die Lebenszeit der Sommerlöcher ist auch nicht mehr das, was sie früher einmal war. Frank-Walter Steinmeiers Versprechen, eine Software-Hochschule zu gründen, passte bestens in das Sommerrätsel, in dem Frage 10 nach dem Sieger des Road Ahead Preises fragte. An 130 Schulen programmierten Schüler Webseiten zum Thema der Bundestagswahl 1998. Der Gewinner wurde schnell geraten, die Vision von Bundeskanzler Schröder, dass alle deutschen Schulen ans Netz gehören, wurde schnell vergessen. Heute ist das Internet kein schickes Thema für die Politiker mehr, sondern eine Bedrohung, die geregelt und gegängelt werden muss und das möglichst schnell.

Ja, die Meinungsfreiheit wird zum Sondermüll erklärt. Sperrbereite Politiker erklären umständlich, was sie unter ihrer Definitionsmacht verstehen, die sie nicht dem digitalen Pöbel überlassen wollen. Der haut ordentlich zurück, wie die Debatte auf Netzpolitik zeigt. Vielleicht sollte an dieser Stelle einmal daran erinnert werden, dass dieses Land nicht nur eine Rosa Luxemburg, sondern auch einen Wau Holland hatte, dessen Todestag gerade war: "Wir müssen die Rechte der Andersdenkenden selbst dann beachten, wenn sie Idioten oder schädlich sind. Wir müssen aufpassen."

Quelle : www.heise.de (http://www.heise.de)
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 09 August, 2009, 00:06
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Staub hängt in der Luft über der norddeutschen Tiefebene. Die Mähdrescher rollen, das Sommerloch wird mit Stroh gestopft, kurz vor dem großen Landregen. Der Dienstwagen von Ulla Schmidt wird ordentlich geparkt, Fragen nach ihrem Liebhaber werden nicht gestellt, da gibt es einen Ehrenkodex unter Journalisten.

*** Ehre und Journalisten? Wie bitte? Klingt das nicht genauso dämlich wie Qualitätsjournalismus? Oder so strunzdumm wie ein WM-Boykott der taz, die zugeben muss, die Datenüberprüfung zur Fußball-WM 2006 anstandslos mitgemacht zu haben? Strunzdumm schreibe ich, 2006 insgesamt viermal überprüft, weil die tazler allem Anschein nach der Versicherung glaubten, dies sei ein "singulärer Vorgang". Wer aufwändige Datensammlungen für einen singulären Vorgang hält, der darf auch an die unbefleckte Empfängnis glauben, an Elvis im schwarzen Hubschrauber und an die Wirksamkeit von DNS-Sperren.

*** Nach dem Ende der Sommerrätselei ist vielleicht ein guter Zeitpunkt, sich einmal mit dem Stand des Journalismus zu befassen. Anlässe gibt es ja genug, zwischen Mondlandung, Woodstock und Bundestagswahl. Historisch ist der August ein prächtiger Monat voller journalistischer Höhepunkte. Man denke nur an den großen Mondschwindel, mit dem der Zeitungsjournalismus anno 1835 das Erbe von Tom Kummer antrat. Oder war das andersherum? Egal, Fakten sind Fiktionen nach der Kollision mit einem Fake.

*** Okay, okay, starten wir diesen kleinen Sendeserver nochmal neu, schließlich gibt es auch große, erhabene Daten der Journalismusgeschichte. Heute vor 63 Jahren schrieb der Journalist Harold Ross seine legendäre Artikelkritik zu einem Stück seines Reporters John Hersey. Ross wollte schlicht, dass sein Blatt, der New Yorker die beste Reportage über Hiroshima drucken konnte und schrieb an Hersey das, was Generationen von Nachfolgern in den Journalismusschulen büffeln sollten. Hersey war der erste westliche Journalist, der zwei Tage nach dem Atombombenabwurf von Hiroshima in der Stadt eintraf und eine lange Reportage geliefert hatte. Leider war sie durchschnittlich geschrieben.

"Schreibe genau. Schreibe nicht so vage, dass Tausende gestorben sind. Der Leser will wissen, wie sie gestorben sind. Sind sie erschlagen worden, wurden sie verschüttet, sind sie verbrannt, starben sie an einem Schock oder haben sie sich zu Tode geschissen? Schreibe über die Schmerzen, schreibe über die Ärzte. Exakte Zeitangaben fehlen. Der Leser verliert sonst die Orientierung und weiß nicht, ob es 10 Uhr früh oder vier Uhr nachmittags ist."

Insgesamt hatte Ross einige hundert Fragen in dem Manuskript notiert, die Hersey innerhalb weniger Tage einarbeitete. Das Resultat war Hiroshima, die berühmteste Ausgabe des New Yorkers, die innerhalb weniger Stunden ausverkauft war. Wer das sommerlich aufgemachte Blatt aufschlug, konnte einen einzigen, langen Artikel lesen, einen ruhigen Bericht eines Augenzeugen, der als Sohn von Missionaren in China aufgewachsen war und "asiatische Details" beschreiben konnte. Hersey konzentrierte sich auf sechs Überlebende und berichtete, ohne ein einziges Mal die Gründe zu nennen, warum diese Bombe abgeworfen wurde. Das brachte ihm und dem New Yorker heftige Kritik ein, doch heute gilt sein Werk als berühmteste Reportage des 21.Jahrhunderts. Frau Nakamura und ihre drei Kinder, Reverend Tanimoto, Pastor Kleinsorge, die Ärzte Masakazu Fujii und Terufumi Sasaki sowie der Arbeiter Toshiko Sasaki schrieben mit Hersey.

*** Heute sind Journalisten nicht mehr Randfiguren der papierverarbeitenden Industrie, sondern Content-Lieferanten für die Klage-Industrie. Gemeint ist hier das Geplapper von der Branche, die ihre Inhalte einfach weggibt – vielleicht wie besagter Harold Ross, der die Hiroshima-Reportage den Radiosendern zum Vorlesen überlies. Geht es den Medien schlecht, jammern die Journalisten. Aber geht es den Medien wirklich schlecht oder kommt da ein Aufschwung um die Ecke, der mit neuen Leistungschutzrechten abgesichert werden soll? Wie war das noch mit der "Computerupgabe" die das Medienhaus Springer von der Generation Upload einfordern will? Ach was: Ein Hund bellt und die Karawane zieht weiter.

*** Riecht es nach leckeren Fleischtöpfen, sind Journalistenvertreter nicht sehr weit, die auch etwas haben wollen. Dann heißt es hochtrabend zum Leistungsschutzrecht: "Auch müssten die Verleger bei der Einführung dieses Rechtes auf Tantiemen aus den Verwertungsgesellschaften verzichten, damit die Ausschüttungen an Autoren nicht weiter reduziert werden." Nur zur Information: Schlappe 3 Euro werden pro Artikel ausgeschüttet, wenn Verlage (wie der sympathische Verlag aus der norddeutschen Tiefebene) den Zählpixel-Wahnsinn der Verwertungsgesellschaften nicht mitmachen. Noch besser macht es sich, wenn so ein Journalistenvertreter empörend auf den Nachrichtenaggregator Google News hinweist, der voller Werbung steckt, die den Verlagen fehle. Wie war das noch bei Ross? "Schreibe genau." (Sonst gibt es Abmahnungen im Doppelpack.) Wie übernimmt Google ein Teil des Anzeigengeschäftes und woran sterben die Zeitungen wirklich? Vielleicht sterben Zeitungen daran, dass es ausgemachte Idioten gibt, die das Wort Journalismus nicht mehr kennen und andere Idioten via Feed oder Twitter daran teilhaben lassen, bis sie den eigenen Nachhall für eine Nachricht halten. Zwei Halle sind dann schon eine halbe Reportage.

*** Mehr Resonanz als alle Journo-Tweets zusammen hat das Werk von John Hughes, der am Donnerstag in New York an einem Herzanfall starb. Der Regisseur, Drehbuchautor und Produzent hat wie kein Zweiter die suburban teen angst der Achtziger in nur scheinbar seichte Komödien destilliert und damit eine ganze Generation geprägt. Der Breakfast Club und Ferris Bueller – Ross hätte seine Freude gehabt an diesen unterhaltsamen Reportagen aus den Abgründen der Teenie-Seele, garniert von den Psychedelic Furs.

*** Weiter so, Deutschland! Das Bundesverwaltungsamt hat in dieser Woche das neue Abhörzentrum in Betrieb genommen, auch wenn es dafür nach Ansicht der Datenschützer keine rechtliche Grundlage gibt. Doch was sind schon rechtliche Grundlagen. Die sind auch für ein Bundesbordellregister nicht gegeben, dass die Polizeigewerkschaft unter der schmucken Überschrift Erlaubnispflicht für Prostitutionsstätten fordert, inspiriert von sogenannten Flatrate-Bordellen. Wenn Pussy nicht für Katzencontent im Internet steht, ist die Wahlkampfzeit angebrochen, die in Deutschland für Entgleisungen aller Art gut ist. Man nehme nur den Politiker, der gerne Verstöße gegen das Grundgesetz in Kauf nehmen will. Und was Gesung und Ordnetz angeht, ist Deutschland sowieso Spitze: Da gibt es einen Politiker, der keinen Einblick in die Ermittlungsunterlagen hat, während der neue deutsche Qualitätsjournalismus aus internen Berichten zitieren darf.

Was wird.

Team Steinmeier ist komplett mit Schwesig, Schmidt und Schalke und dem blauweißen Lied mit dem Mohammed, der nichts von Fußballspielen versteht. Fehlt nur der Song vom Juden Christus, der nix von Bundesverdienstkreuzen versteht, das sollte man zur Solidarität der Vierteljuden hinzufügen. Ja, Wahlkampf ist die Zeit, in der schon eine rollende Kanzler U-Bahn als politische Aussage gewertet wird, ein bisserl Hausputz als Statement der Generation Upload.

Ganz anders als die verlauste und verkommene Generation Woodstock, die am nächsten Wochenende feiert, ist die Generation Upload eine saubere Massenbewegung. Zwei Drittel aller zwei Drittel sind hier versammelt und haben Texte, Fotos, Musik oder Filme "im Internet hochgeladen". Bei den jüngeren zwei Dritteln sollen es sogar 80 Prozent sein! Allerdings haben diese zwei Drittel gegenüber den älteren zwei Dritteln offenbar Erinnerungslücken. Nur 11 Prozent in dieser Altersgruppe können sich an einen eigenen Leserbrief erinnern. An dieser Stelle weint meine Journalistenseele. Der verschleierte Blick schweift zu den sechs, sieben Aktenordnern voller Briefe, die sich im Laufe der Zeit gefüllt haben. Doch halt, wie war das noch mit dem Leben im Niewo? Alles wird Gut oder alles wirres Gestammel, das ist wieder einmal schwer die Frage. Die definitive Antwort darauf kennt kein Barde, nur der Konkursverwalter.

Quelle : www.heise.de (http://www.heise.de)
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 16 August, 2009, 00:14
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Es kann einem in den vergangenen Monate das umheimliche Gefühl beschleichen, das Internet ist in Gefahr, sich in eine neue, diesmal virtuelle Umgebung für Flüsterer zu entwickeln. All die Angst um den Schutz der Privatsphäre, all die Warnungen, man solle doch um Himmels willen nichts von sich in Social Networks preisgeben, all die Horrorgeschichten von Forenbeiträgen, die den Postern das Leben versauen: Wird da gerade eine neue Generation von Digital Natives herangezüchtet, die aus Angst vor der Auswertung gespeicherter Daten gar nichts mehr von sich preisgibt, gar keine Position mehr beziehen will? Die Angst vor den Social Networks, vor den Foren, vor der Unvergesslichkeit des Internet wird zu einer Gefahr für die Meinungsfreiheit, allgegenwärtige Datenauswertung führt zur Schere im Kopf, da ist bald gar keine Zensur, sind gar keine Websperren mehr notwendig. Das "Leben in der Angst" droht sich auch im Internet breitzumachen. Irgendwann brauchts dann den höflichen Cyber-Cop nicht mehr, da es eh nichts mehr zu kontrollieren gibt.

*** Aber wer kann schon was gegen Kontrolle haben, wenn wir alle in Sicherheit leben, schallt es uns entgegen. Was für ein Mantra. Oder verstehen wir da alles was falsch? Es ist wohl Zeit für eine kleine Meditation über die Ungerechtigkeit dieser Welt. Vor fünf Jahren suchte die Welt Schutz vor W32-Blaster. Die westliche Zivilisation war in Gefahr, Experten erörterten die Möglichkeit, dass uns der Himmel auf den Kopf fallen könnte oder so. Und heute will sich niemand an den Blaster erinnern, allenfalls ein Wikipedia-Eintrag ist übrig, komplett mit einem Link, der sich über die Berichterstattung im wunderbaren Heiseticker lustig macht. Dabei können die Verdienste des Blasters gar nicht hoch genug angesiedelt werden. Er wühlte Bill Gates so auf, dass er sich mit einer Mail an die interessierte Weltöffentlichkeit wandte und Microsoft zur sicheren Bank erklärte. Jetzt werden Leser lächeln, aber der Blaster änderte wirklich etwas. Er führte direkt zum Service Pack 2 und der Online-Aktualisierung von Microsoft-Produkten, die heute selbstverständlich ist. Ein kleiner Schritt für den IT-Experten, ein großer Schritt für Microsoft, dass Online zuvor nur als Möglichkeit zur Windows-Authentifizierung wahrgenommen hatte. Auf einen vergleichsweise harmlosen Schädling hat das digitale Immunsystem nicht nur von Microsoft umfassend reagiert. Heute ist Blaster vergessen: Die Welt ist eben ungerecht.

*** Ganz anders Woodstock. Ausführlich werden die drei Tage des Friedens und der Musik Glücks gewürdigt, die vor 40 Jahren über die Bühne gingen. All das, weil Farmer Yasgur eine miserable Heuernte eingefahren hatte und sein Land billig vermietete. So konnte eine aquarianische Expedition aufs Land ziehen und im Zeichen des Wassermannes gegen den Regen anklatschen. Ganz vergessen: Der Anfang vom Niedergang der Hippies rettete Warner Music vor dem Bankrott. Die Film- und Musikrechte an der Geschichte gehören bis heute zu den Rennern im Content-Business, mit Forderungen, vor denen selbst die reiche ARD diese Woche kapitulieren musste. Der Sommer der Liebe kostete 2,4 Millionen Dollar, der Verkauf der Rechte an Warner brachte 30 Millionen ein, das geschätzte 1,5 Milliarden an der lukrativen Mobilie verdiente. Wie heißt es so schön? Die Welt ist ungerecht. Meditieren wir lieber über Stewart Brand, der in Woodstock die nicht funktionierende Security besorgte und später das Wort vom "Personal Computer" kreierte. Das muss doch etwas bedeuten.

*** Zu den vielen Geschichten um Woodstock gehört die Episode, die der politische Aktivist Abbie Hofman in seinem Buch Woodstock Nation als "Tussle" zwischen ihm und Pete Townshend von den Who beschreibt. Auf einem LSD-Trip wollte Hoffman in einer Spielpause der Who ans Mikro und zum massenhaften Protest über die Verhaftung von John Sinclair aufrufen. Der Legende nach knallte ihm Townshend seine Gitarre an den Kopf, doch davon gibt es keine Bilder, nur einen Audiomitschnitt, den die Who veröffentlichten: Townshend knallte eine Reihe von Gibson-Gitarren kaputt, doch hätte er sie auf einen Menschen gerichtet, hätte Les Paul interveniert. Nun ist der große Gitarrenbauer gestorben, der nicht nur als entscheidender Weiterentwickler der E-Gitarre, sondern auch der Mehrspuraufnahmen und des Overdubbing Musikgeschichte schrieb. Draußen weinen die Gitarren – oder darf es lieber ein fetziger Townshend-Akkord sein? Klingt es zu kühl? Wenn überhaupt, möchte ich mit meiner Fender und meinem Thinkpad beerdigt werden: Es gibt Geräte, die könnte weder ein Les Paul noch ein gerade in der FAZ auftretender G^tt besser schaffen.

*** Schalten wir kurz zu einer anderen Open-Air-Veranstaltung, die bereits im WWWW der letzten Woche Thema war. Die von der taz boykottierten Leichtathleten kämpfen in Berlin, den Landesdatenschützer ignorierend, um Ruhm, Ehre und Knete. Dicke Männer schubsen Metallklumpen durch die Luft, dünne Männer machen sich einen Spaß beim Hundert-Meter-Jogging: Ach ja, ein Sommerabend im deutschen TV. Der – auch das stand im letzten WWWW – hartnäckig von Klagen verfolgte Sportjournalist schreibt: "Kein Sicherheitscheck am Presse-Eingang, kein Scanner. Mag sein, dass die Maschine erst geliefert werden muss. Kann auch sein, dass die Sicherheitsüberprüfungen der Strafverfolgungsbehörden erfolgreich waren. Ich bin kein Terrorist! Ich bin keine Gefahr! Das Wetter ist auch wunderbar." So sieht es aus, wenn Deutschland unter der Terrorsonne glüht und bekannt wird, dass bei uns hervorragend Terrorgefängnisse geplant werden können. Es ist zum Davonlaufen. Aber selbst Usain Bolt kann die Ungerechtigkeit der Welt nicht einholen. Sie ist uneinholbar. Und Usain Bolt bleibt nur, Faxen zu machen.

*** Ach, da ist noch eine Veranstaltung unter freien Himmeln, wo Hacker brutzeln und ihre Häcksen ächsend die Kinderwagen über Heidehügel schieben lassen. Wo Quadcopter mit Wasserbomben Seiten-Attacken fliegen oder schlicht gelöcherte Bierbecher über der zeltenden Community ausgießen. Nur hin in die Freiheit da draußen? Wo mitten in der Nacht im ach so sicheren GSM-Netz eine SMS an alle geschickt wird, die freundlich aufklärt, welche IMEI-Nummer das Handy hat und es ein Netz namens "42" gibt, wo man sich einloggen kann, Vorwahl natürlich "23". Zahlreiche Plakate und Zettel künden vom Worldwide Action Day Freedom not Fear und auch davon, dass Drachen landen werden. Teilnehmer lernen unter heißen Himmeln, dass GSM Schrott aus den 80ern ist und Informationen fließen wie Wasser.

*** Drachen? Hogwart-Drafoys? Ordentliche deutsche Lindwürmer, die rechtschaffen allerlei Gesocks erledigen? Gemeint sind anno 2009 wohl kleine grüne Drachen. Die echten Drachen werden anderswo erlegt, wie der anlaufende Wahlkampf zeigt. Die kunstvoll verschleppten DNS-Sperren sollen auf rechtsextreme Inhalte erweitert werden, die kleine, unreife Kinder gefährden und unglaublich Überhand nehmen. Danach sind Webseiten dran, die für das Flatratesaufen werben, danach die Kindheits-Gefährder von den Imageboards. Ach, die stehen ohnehin auf der berüchtigten BKA-Liste? Gut, dass wir geredet haben.

*** Und wie ist das mit der Piratenpartei? Welche Verrenkungen führt ein Schattenminister auf, wenn er erklärt: "Die Piratenpartei wird eine vorübergehende Erscheinung sein. Das Internet gehört allen und wir werden es nicht zulassen, dass es sich eine kleine Minderheit aneignet und selbst die Regeln bestimmen möchte. Ich finde die Piratenpartei intolerant." Gelebte Demokratie hieß der Slogan unter Willy Brandt, als er zur Bundestagswahl antrat, nach der der Radikalenerlass in Kraft trat. Im Umgang mit kleinen Minderheiten ist Deutschland Weltspitze, historisch betrachtet in Ost wie West. Was danach kommt, hat der oberste Gewerkschaftler hübsch beschrieben. Die Menschen werden aufwachen und sich die Augen reiben.

*** Verwundert die Augen reibt man sich auch, was sich mancher Verleger so vom Internet erwartet. Mit den Zeitungen, da will es nicht mehr so richtig, da begibt man sich auf die Suche nach dem virtuellen El Dorado. David Byrne, ja, der David Byrne, macht übrigens eine ganz eigene Rechnung auf, was Zeitungen angeht: Regionalismus und Klassenbewusstsein erlauben es in Großbritannien immer noch vielen Zeitungen, zu existieren – und der heftige Kampf um die schmierigste Promi-Sensation. Aber eine Zeitung für die linke Boheme, etwa die Liberation (oder, in dem Fall, die taz), die hat offensichtlich in Großbritannien bereits keine Chance mehr. Derweil kann man nur hoffen, dass sich die Bild-Zeitung kein Beispiel an britischen Boulevard-Zeitungen nimmt: Verglichen mit der Sun besteht Kai Dieckmanns Truppe geradezu aus Musterknaben.

*** Nun gibt es Bereiche, in die begibt sich kein Mitarbeiter der Bild-Zeitung, da nicht einmal er selbst glaubt, er verstünde etwas davon, was da vorgeht. Große Trauer verbreitete sich, als der Tod von Rashied Ali bekannt wurde. Ali war der Freejazz-Drummer, der die improvisierte Musik stützte und vorantrieb; Ali brach mit John Coltranes  letzter Band zu musikalischen Ufern auf, die auch heute noch kaum jemand erreicht. Dabei schaffte er es immer, dass in der Freiheit der Rhythmus spürbar blieb.

Was wird.

Die Wahl kommt immer näher und es wird richtig lustig. Da gibt es Satire und Parodie, Pariere und Sato Dye-Labels. Gut gemischt? Es kommt noch besser! Nun gibt es schließlich das deutsche Currywurstmuseum. Der einzige Ort, wo man noch die Wahl hat: rot-weiß oder weiß-rot? Nicht Merkel oder Steinmeier, sondern die Currywurst rettet die Welt. Aber wo kann man sie wählen? Jede deutsche Currywurst ist besser als das, was die derzeitigen Politiker bieten. Die Demokratie und den Wähler ernst nehmen, das ist zur Zeit schwer aus der Mode.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 23 August, 2009, 01:42
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Der Sommer mag die Kollegen im kleinen Verlag am Rande der norddeutschen Tiefebene noch triezen, doch die Sommerferien sind Schweiß von gestern. Die Schule hat angefangen, komplett mit einer Meldung zur Verteidigung der Rückmeldekultur. Für Schüler zusammengefast: Spickmich.de ist schwer Scheiße, nur SEfU ist Lego, weil hier nur die Wissensonkels und Wissenstanten nachgucken können, wie sie bewertet werden. Eine ordentliche Rückmelde-Behörde, das ist vorgelebte deutsche Demokratie. Ordentlich den Lehrer melden wie in Nordrhein-Westfalen, das ist schon ganz was anderes als einen gewerkschaftlich organisierten Lehrer mit Hilfe einer Münchener Faktendruckerei wegzukegeln.

*** Neudeutsch ist mit der Rückmeldekultur das Feedback gemeint, mit dem ein Heise-Autor seit Jahrzehnten leben muss: Kaum ist der Artikel online, geht die Diskussion los, ob Angst schnüren kann. Aber klar kann sie das! Angst, die schnüren kann, kann umgekehrt auch von Schnüren befreien! Wenn die Schnüre weg sind, ist man angstfrei, so einfach ist das. Man schaue nur in das Wahlprogramm der CDU/CSU, in dem angstfreie Räume durch verstärkten Einsatz von Video-Überwachungskameras gefordert werden, einen Absatz hinter der Forderung, die Bundeswehr im Innern einzusetzen. "Angst macht frei!", das ist doch weit schöner als dieses "Wir haben die Kraft!", des christlichen Regierungsprogrammes. Es passt auch besser zu der Forderung des Wahlprogrammes, dass das Internet kein rechtsfreier Raum sein darf.

*** Freie Räume! (Video), frei von Journalisten, das könnte auch ein ganz passables Motto sein, wenn man sich den Wahlkampf der Erfinderin von Stoppsch^H^H^H^H^H^H Stolperfallen betrachtet. Dabei werden zünftige Ostfriesenwitze erzählt. Ja, wollen wir da noch Jedem das Seine hinzufügen, das ein KZ-Lagertor überspannte und von einem Lagerinsassen gefertigt wurde? Es gibt billige Assoziationen, die wahre Demagogie zur Angst schnürt und das Denken verhindert.

*** In Berlin finden dieser Tage rätselhafte Sachen statt. Da läuft ein Mensch so schnell, dass seine Mitläufer ihn als Figur aus einem Computerspiel einstufen, die einen besonderen Cheat-Code kennt. Gottes Werk und Teufels Beitrag titelte ausgerechnet die Zeitung, die seit Wochen einen Comic veröffentlicht, in dem Gott und der Teufel sportlich wetten. An diesem Wochenende sind in Berlin sogar Staatsbesuche 2.0 möglich, bei denen man die Arbeitsräume des Innenminsters besichtigen und eine Hundestaffel streicheln kann. Dazu gibt es sportliche Leistungen und Sportdiskussionen.

*** Die sportlichste Leistung überhaupt wird allerdings nicht gezeigt, obwohl sie nahe an den Cheat-Code heran kommt und beim Bundesinnenministerium angesiedelt ist: Jederzeit könnten beim BKA Sperrlisten zusammengestellt werden, heißt es. Schließlich gibt es erfahrene Cyber-Cops und Detektive, die einer Datei sofort an der Dateinase ansehen, ob sie unter Umgehung eines Stopp-Schildes gespeichert wurde. Es geht noch mehr! Erinnert sei an die drei Computer der RAF-Terroristin Verena Becker, auf denen 32 Jahre altes Beweismaterial gesucht wird. Ob auch hier ein Weg gefunden wurde, wie bei der DNA-Analyse eine Fälschung anzubringen?

*** Was ist die Wochenschau ohne eine Daten-Chronik? Erinnern wir uns an Karl Hans Janke, der gestern vor 100 Jahren geboren wurde. Seine Trajekte und Atom-Omnibusse stehen für Reisen abseits der Deutschen Bahn in der schönen Tradition des emsländischen Transrapids – nur wurden dessen Erbauer nicht wegen wahnhaften Erfindens inhaftiert. Dann darf der Hinweis auf ein unheimliches Zeichen der Zeit nicht fehlen, das vor siebzig Jahren an die Wand gemalt wurde. Aus dem Pakt zwischen Faschisten und Stalinisten erwuchs die Totalitarismus-Theorie.Die Antwort auf diese Theorie heißt Goodbye Mr. Socialism.

*** Apropos cheat codes: Wie war das denn noch mit dem Doping in den Staaten, die einen real existierenden Sozialismus lebten, auferstanden aus Ruinen? Ein Brief an die Sperlinge zeigt wahre Größe: "Und wenn es nur das Schamgefühl wäre, das sich Eurer nach einem erfolgreichen Rennen bemächtigen würde – Ihr könntet Euch nicht ehrlich Eures Sieges freuen. Erspart es Euch und geht mit gutem Gewissen an den Start, die Nationalhymne klingt dann umso erhebender." Ich habe den Mauerfall aus der Ferne erlebt, weil eine Computermesse namens Comdex wichtiger war. Aber ich habe eine hitzige Comdex-Diskussion drei Jahre später erlebt, in der die Behauptung vertreten wurde, der deutsche Arbeiter- und Bauernstaat hätte überleben können, wenn dort die Forschungen am "pflanzlichen Viagra" (nein, kein Link) weiter gewesen wären. So war das Ende eine schlappe Sache, politisch wie wirtschaftlich, mit Sport als Ausnahme. Und danach war auch die Lust weg.

*** Ich bleibe beim Thema: Wir haben die Kraft. Aber die Eier haben wir nicht. Darum fordern wir erst einmal. Dieses frei nach Bloch formulierte Prinzip Hoffnung nennt sich Leistungsschutzrecht für Verlage, die im Internet publizieren. Die Forderung, Verlage vor dem pöhsen Google zu schützen und eine Art GEBTMAL zu installieren, findet sich im bereits erwähnten Wahlprogramm der CDU/CSU. Wie dies mit der pauschalen Medienabgabe zusammengeht, die die FDP in ihrem Programm zusammen mit der Abschaffung der GEZ fordert, wird noch lustig zu sehen sein. Genauso lustig wahrscheinlich wie der Qualitätsjournalismus, der in dieser Woche im Dialog mit Bombenlegern oder im Abschreiben von Twitter (wobei der Twitterer selbst Journalist sein will) wieder einmal Glanzstücke der Recherche ablieferte.

*** Wie wird das erst, wenn der Polizeifunk für die eine oder andere Milliarde Euronen mehr abhördicht auf Sendung geht? So endet die Woche mit einem kleinen Lichtstrahl. Die ausgesprochen sendebewusste Zentrale des deutschen Qualitätsjournalismus sagt ihre geplante Reinwaschung von allen Sünden aus vergangenen Straßenkämpfen ab.

Was wird.

Nix wird es mit einer Petition, die ein geschätzter Blogger eingereicht hat, um nach dem Vorbild der französischen Three Strikes den Fraktionszwang im deutschen System auszuhebeln. Wer drei Mal für ein verfassungsfeindliches Gesetz stimmt, fliegt raus. Was auf den ersten Blick sympathisch klingt, hätte das Bundesverfassungsgericht als Henker über parlamentarische Karrieren installiert. Das wäre die Chavezisierung der deutschen Restdemokratie geworden. Der Vorschlag aus dem Umfeld des Chaos Computer Clubs zeugt von dem Versuch, das Gesetz als schlecht programmierten Code durch einen Patch zu verbessern.

Die ach so pöhsen Hacker haben auf ihrem Sommercamp Hacking at Random ein eigenes GSM-Netz betrieben und verschiedene Tricks in diesem Spiel-Netz gründlich erforscht. Besonders SMS mit all den Versuchen, über SMS Parkmarken oder andere ÖPNV-Tickets zu vertickern, wurden dabei gründlich demaskiert. Wer die aufgezeichnete Präsentation von Pavol Luptak verfolgt, wird sich schnell von der Idee verabschieden, mit Mobiltelefon per SMS irgendetwas zu bezahlen. Genausogut könnte man vor einem Bankomaten seine PIN und Kontonummern jodeln. Hier werden die Drachen wohnen.

Bald wird auch der letzte Rest des Sommers vorbei sein, die Gemüter abgekühlt und die Winde auf den Fluren losgelassen sein, wie immer über die norddeutsche Tiefebene zu pusten. Wer dann kein Haus hat, oder noch schnell in den verspäteten Urlaub abdüsen kann, der nimmt vielleicht ein Hotelzimmer in Kiel, wo vor dem großen Schatten noch eine Sommerkademie stattfindet, die darüber diskutiert, ob Arbeitnehmer Freiwild sind. Wer dann allein ist, wird viel auf Twitter schreiben und in den Alleen unruhig wandern, wenn die Retweets treiben. Und Otis Taylor liefert den Background-Sound.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 30 August, 2009, 00:14
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

Es war ein schöner Tag, der letzte im August
Die Sonne brannte so, als hätte sie's gewusst

*** Okay, der letzte Augusttag ist erst morgen, aber was soll man machen, wenn der große deutsche Sänger Peter Maffay 60 wird und auf dem Weg zu mir ist. Der, als er 16 war, mit einer 31-Jährigen spülen ging. Wer eine Klampfe hat, der klampfe jetzt die ganze wüste Geschichte, der Rest klickt auf die Tube:

Wir gingen beide hinunter an den Strand
Und der Junge nahm schüchtern ihre Hand
Doch als ein Mann sah ich die Sonne aufgeh'n
Und es war Sommer und es war Sommer.

Von Peter Maffay, den die FAZ zum Geburtstag leicht kulturzickig als "Hanno Buddenbrook in Lederkluft" feiert, dürfen an dieser Stelle natürlich nicht die sieben Brücken und die sieben Mal Asche fehlen, die er mit dem Song von Karat im Jahre 1980 machte. "Es war Sommer", 1976 und es war alles noch ganz anders. Damals kannte die Musikindustrie keine platten "Coverversionen", sondern gab sich redlich Mühe, ihre Software ordentlich zu lokalisieren. Ja, es war Sommer, der letzte Tag im Juni, wie Bobby Goldsboro sang, ganz ohne Klampfe:

And we walked for a mile to the sea
We sat on the sand, and a boy took her hand
But I saw the sun rise as a man

*** Heute sieht die Sache ganz anders aus. Hübsche Knaben werden nach wie vor von reiferen Damen in die Liebe eingeführt, aber eine derart liebevolle Adaption eines Songs wie die von Maffay gibt es heute einfach nicht mehr, das ist alles ausgewischt. Heute wird das "Original" um jeden Preis in die Kanäle gedrückt und alles, was erreicht wird, ist ein trüber Welteinheitsgeschmack, ein Klimperbrei für das Marketing, vertontes Solyent Green. Bin ich ungerecht? Aber bitte, gehen Sie doch nach drüben, da wird Ihnen bestens geholfen mit Roland Kaiser und Oliver Thomas. Ja, Musik ist ein einziges Verbrechen, antwortete Ray Manzarek nach seiner Abmahnung durch die Doors-Lizenzinhaber für einen Auftritt in der Doors-Parodie Craigslist. So sieht die Sache aus, heute, am Ende des Augusts. Bill Bruford hört auf, ein weiterer Verlust nach Rashied Ali. Um es mit Peter Maffay zu sagen: Auf den Scherben unserer Welt lässt es sich ganz wunderbar jammen.

*** Das letzte WWWW wurde mit dem Parteiprogramm der CDU/CSU bestritten, diesmal gibt mir der erklärte Koalitionspartner FDP mit seinem Deutschlandprogramm (PDF-Datei) die nötigen Anregungen. In ihm finden wir die Forderung nach Abschaffung der GEZ, einen Punkt, den man eher bei der Piratenpartei verorten würde. Die Forderung ist ein passender Kommentar zum großen Drehbuch-Fake beim NDR. Er wurde durch eine Google-Recherche eines Praktikanten ausgelöst, den der Drehbuchautor Fred Breinersdorfer etwas beschäftigen wollte. danach stiegen die Rechercheure der Süddeutschen Zeitung zur Großschlachtung in den Ring. Eine notleidende öffentlich-rechtliche Chefin, ein Ehemann als Drehbuchsklave, das wäre, mit ein paar Leichen gewürzt, ein Stoff für einen Undercover-Ermittler im Tatort. So zeigt es nur die Raffgier besserer Kreise.

*** Aber Halt! Diese Pseudonyme! Da war doch eine Veranstaltung des Solinger Tageblattes, auf der die öffentlich-rechtliche Mikrofonhinhälterin und Vorbeischauerin KMH über "Glaubwürdigkeit" redete und Verfassungsrichter Di Fabio über den Leuchtturm im offenen Meer der Informationen. Der freie Mensch der Neuzeit zeigt nach Di Fabio sein Gesicht und nennt seinen Namen, wie Peter Panter, Theobald Tiger, Hal Croves und, ähem, Hal Faber. Ganz anders sieht es bei den hitzigen kulturellen Atomkräften im Internet aus:

"Warum zeigt sich das Gesicht der Kommunikationsteilnehmer nicht offen im Netz - ist die mittelalterlich anmutende Burka im Straßenbild auch europäischer Städte denn wirklich so weit entfernt von den hypermodischen Twittern und 'Newsbotsern'?"

*** Burka und Twittern zusammenzubringen, das hat was, schließlich ist der Hashtag #iranelection ungebrochen populär. Was Di Fabio unter Newsbotsern versteht, ist weniger klar. User, die niederknien und beten, wenn der Newsbot Nachrichten bringt? Nachrichten von den Kaasköppen, dass irgendetwas zusammengestoßen ist? Ansonsten bleibt der freie Mensch der Neuzeit, der seine Stimme erhebt, gefeiert, wie Amerika es dieser Tage mit Thomas Paine macht – anonym: Sein epochales "Common Sense" trug den Vermerk "Written by an Englishman", mehr nicht. Und wie war das noch bei dem Politiker, für den die Welt gerade Kennedystränen vergießt? Abgeschirmt seine Redenschreiber, die in der Hauptstadt Respekt genossen. Ob die anonymen Schreiber durch Washington mit einer Burka liefen, ist nicht bekannt.

*** Zurück zur deutschen Politik, zur FDP, die die "Internetrepublik Deutschland" verwirklichen will: BIRD, Bundesinternetrepublik Deutschland klingt schon mal ganz gut. Damit unser schönes Land der europäische "Vorreiter in Sachen Internetkompetenz" sein kann, sollen Projekte wie das vom BSI initiierte DNSSEC Vorfahrt bekommen. Über den zwangsläufigen Verkehrsunfall beim Botsen mit der CDU und der großkoalitionären Websperre kann man sich schon heute freuen: DNSSEC würde zwar auch verhindern, dass der Provider im DNS die richtige IP-Adresse für das eine oder andere Imageboard rausgibt, das von findigen Menschen beim BKA als Kinderpornografie eingestuft wird. Es würde aber verhindern, dass der Provider eine andere IP-Adresse angeben kann. Da schießt gerade die eine Hand der anderen ins Knie, da wird der Nagel eingeschlagen, der das Fass zum Auslaufen bringt. Oder so. Erstaunlich auch die Nachricht, dass die Kommentierung der Provider zur Technik des Zugangserschwernisgesetzes als VS-NfD deklariert ist. Das soll natürlich den Zugang zu den BKA-Servern absichern, setzt aber voraus, dass die Interessen der Bundesinternetrepublik Deutschland gefährdet sind. Landauf, landab suchen die Provider jetzt nach schönen Ausgaben des Grundgesetzes, auf das ihre Techniker eingeschworen werden.

*** Landauf, landab, Land unter: In welcher politischen Kultur wir leben, hat in dieser Woche die taz demonstriert, das Zentralorgan deutscher Altbaubewohner. Schon am letzten Wochenende war im Blatt der Wurm drin. Die taz informierte die Leser am Samstag in eigener Sache über einen Computerausfall. "Der Fehler ist inzwischen behoben und der Computer hat Besserung gelobt". Allein, der Computer hielt nicht Wort, sondern setzte schnurstracks einen Artikel ins Internet, der nicht im Druck erschienen war. Im Text wimmelte es von Fehlern wie in einem Bild von Ali Mitgutsch. Schäubles Abhörzentrale wurde prompt gesperrt und die taz begann zu stottern. An diesem Wochenende ist prominent auf Seite 3 die glattgebügelte Version in Print unter dem Titel Schäuble schafft Fakten erschienen, die immer noch etliche Fehler enthält und von "neuen Gefahren" durch Anonymisierungsdienste schwafelt, aber den gröbsten Unsinn der "Abhörzentrale" nicht mehr. Dafür verbreitet sich der falsche Artikel nach dem Streisand-Effekt umso besser. Sogar die selbsternannten Wahrheitsprüfer von Wikileaks, die angeblich Dokumente auf Plausibilität untersuchen, verbreiten den Mist.

*** Zu den neuen Gefahren der Anonymität passt übrigens die Meldung, dass die Esoterikerin und ehemalige Terroristin Verena Becker nach einer Abhöraktion ganz ohne Abhörzentrale verhaftet wurde. Sie erkundigte sich am Telefon bei Bekannten nach Verschlüsselungssystemen für ihre Computer. Dieser Verschlüsselung wollten die Behörden zuvorkommen. Willkommen in der neuen Bundesinternetrepublik Deutschland: Eine Notiz im Tagebuch, in der sich Verena Becker fragt, ob sie für Buback beten soll, reicht offiziell als Verhaftungsgrund aus. Da macht sich glatt klammheimliche Angst breit, wenn Gebete unter Strafe stehen. Die Einbindung nichtkirchlicher Religionen sollte die FDP besser streichen.

Was wird.

In der kommenden Woche blickt ganz Deutschland nach Berlin, weil dort die Internationale Funkausstellung startet. Da feiert man dann 1939, weil passend zum Überfall auf Polen auf der IFA der Deutsche Einheitsfenseher vorgestellt wurde. Technisch war er nicht sonderlich erfolgreich, inhaltlich scheint das Ziel mit dem heutigen Einheitsbrei jedoch erreicht zu sein. Okay, vereinzelt gibt es noch versprengte Gemüter, die mit Adorno über Aufklärung im Fernsehen nachdenken, aber selbst schon fleißig das Internet als Befreiungsschlag der untersdrückten Stimmen feiern. Wie lange die Freiheit dauert, ist umstritten. Die Vorarbeiten für den deutschen Einheits-Internet-Computer laufen im Familienministerium bekanntlich auf Hochtouren. Übrigens ist die FDP dagegen.

Zum guten Schluss muss aber Kritik her: Was ist die Forderung, "illegales Kopieren von Patenten als Straftat zu ahnden" gegen die mögliche Forderung, das Einreichen von illegalen Patenten als Straftat zu ahnden? Wer künftig mit aktiviertem Adblock (das ist, seufz, leider so) bei dieser kleinen Wochenschau im Internet landet, wird vielleicht künftig mit der Frage konfrontiert: "Stehen sie auf dem e-Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung der Bundesinternetrepublik, so geben Sie bitte jetzt den Namen unseres Wappentiers ein:" ********

Na?

Quelle : www.heise.de
Titel: Re: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: Hesse am 03 September, 2009, 21:05
Zitat
"Stehen sie auf dem e-Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung der Bundesinternetrepublik, so geben Sie bitte jetzt den Namen unseres Wappentiers ein:" ********

Na?

Leberwurst             ---> Access denied
Haselnuss              ---> Access denied
Bockworscht          ---> Access denied
Suffragettengeheul ---> Access denied
Hartz4                  ---> Access denied
Harz4                   ---> Access denied
Klatschprämie        ---> Access denied

Damnit, as it seems I need a better wordlist.
Titel: Re: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: ritschibie am 03 September, 2009, 21:51
Hesse ------> access always granted ;)
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 06 September, 2009, 00:13
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

Es war ein schöner Tag, der letzte im August
Die Sonne brannte so, als hätte sie's gewusst

*** Tja, so kann es gehen. Kein Leser wollte bei dem nachgeworfenen Sommerrätsel im vorigen WWWW mitmachen und den Namen nennen, den der Bundesadler unter Gerhard Schröder trug. Zum Wahljahr 2002 wurde aus diesem unseren stolzen Adler nämlich eine zappelige Comicfigur für eine interaktive Regierungs-Erklärbär-Webseite, die in einem Schülerwettbewerb den Namen Findulin verpasst bekam. Auf der CeBIT, auf der Findulin Premiere hatte, mussten die Regierungsmenschen an den Ständen Findulin im Knopfloch tragen.

(http://www.heise.de/bilder/144877/0/0)

Längst ist Findulin Geschichte, wie der Niedersachse Schröder und seine SPD. Bekanntlich tritt der Eckwestfale Steinmeier an, der mit seiner SPD auf eine Art Ermattungsstrategie setzt, den Koalitionspartner CDU/CSU zusammenzuschwächeln, in dem man kräftig vormacht wie das geht mit dem Schwächeln. Passend dazu ist aus dem jungen Findulin ein fetter, altersgrauer Vogel mit Gedächtnislücken geworden, der längst nicht mehr auf jede Frage eine Antwort weiß. Doch halt! Niedersachen, das größte Bundesland in der schönen norddeutschen Tiefebene, hält noch den jungen Adler in Ehren, dessen Bildrechte nunmehr beim Verfassungsschutz liegen. Dieser schickt zur politischen Aufklärung als Ersatz für die Landeszentrale für politische Bildung so genannte Demokratielotsen in die Schulen. Der Extremistenschnüffler als Aufklärer über die Werte unser freiheitlich-demokratischen Grundordnung, darauf muss man erst einmal kommen! Neis-Sager an Niedersachsens Schulen, an denen Freiheitsredner gar nicht gern gesehen werden. Komplett mit einem Innenminister Schünemann, der seine Schnüffellotsen als demokratisches Gegengift gegen den Extremismus preist. Da lachen die Geier und gackern die Hühner. Oder umgekehrt.

*** In der vorigen Wochenschau begleitete uns das Deutschlandprogramm der FDP durch die Nacht, diesmal muss das Regierungsprogramm der SPD (PDF-Datei) herhalten, verstärkt um den Deutschland-Plan, bis 2020 Arbeitsplätze wie Brunnenkresse zu produzieren. In diesem Plan befindet sich bekanntlich die Idee einer "Software-Hochschule", die 180.000 deutsche IT-Betriebe mit Arbeitskräften versorgen soll. Angeblich reichen ja die 60.000 Informatik-Studienplätze in Deutschland nicht aus, genügend Nachwuchs zu produzieren, damit "Deutschland auf gleicher Höhe mit den USA" steht, wie Steinmeiers Redenschreiber das formulieren.

*** Auf den Plan haben die Informatiker verärgert reagiert und die Schuld an der Misere an die Medien weiter gereicht. Jaja, jede Meldung im Heiseticker tötet eine Absicht, eine kritische Nachfrage gar einen ganzen Studiengang. Und es kann noch schlimmer kommen: Ohne Informatik kein Internet (das wieder einmal Geburtstag feiert), ohne dieses lange graue Kabel kein Katzencontent. Wo soll das alles enden? Besonders das mit dem Internet ist eine gefährliche Sache, das kann einmal ins Auge gehen.

*** In Steinmeiers Plan werden die Firmen SAP, Software AG und IDS Scheer lobend erwähnt, weil sie den Standort Deutschland zum weltweit führenden Land für Unternehmenssoftware gemacht hätten. Entsprechend soll die Software-Hochschule Spezialisten für Unternehmens-Software ausbilden, nicht kreative Lösungen für informatische Probleme finden. Oh, wie ordnen wir da bloß einen FORTRAN-Programmierer ein, aus dem nach einer Firmengründerzeit glatt ein Politiker im Europa-Parlament geworden ist?

*** Erinnern wir uns an die Zeit, als ein Politiker mit der Forderung Kinder statt Inder eine etwas eigenwillige Werbung für die deutsche Informatik-Förderung betrieb, komplett mit Unterstützung einer indischen SQL-Datenbank. Seinerzeit bin ich dem Inder Umang Gupta nicht gerecht geworden, weil ich seine Ausbildung nach Bangalore verlegt hatte. Besagter Politiker kommt aus Köln und aus der CDU, obwohl er als "Arbeiterführer" tituliert wird, wegen seinem heldenhaften Kampf um Nokia. Nun hat Jürgen Rüttgers nach den Indern die nächste bedrohliche Gruppe ausgemacht. Es sind die Rumänen, nein, Entschuldigung die Finnen, achwas, natürlich die Chinesen. Sie muss man würgen, bis sie Duisburg schön finden. Wieder einer, der zuviel Schimanski gesehen hat.

*** Rüttgers könnte übrigens Steinmeier würgen, bis dieser Brakelsiek und Bundestagswahlsieg verwechselt. Denn die SPD kommt mit einer aparten Art einer Verstaatlichungs-Idee, importiert aus Australien. Eine deutsche Breitband AG soll als fast freiwilliger Zusammenschluss aller deutschen Provider die BRD vernetzen und wird von der Macht der Arbeiterhände geschützt: "Damit ein solcher Zusammenschluss nicht an Regulierungshürden scheitert oder die Verbraucherinteressen vernachlässigt, werden wir auch in Brüssel dafür sorgen, dass die Kommission diese wichtige infrastrukturelle Aufgabe unterstützt." Das von der Partei, die bei Vorratsdatenspeicherung und Zugangserschwernisgesetz wichtige infrastrukturelle Weichen gestellt hat und eine Ministerin in ihren Reihen hat, die dort Fortschritte sieht, wo alle andere Menschen Rückschritte sehen. Das nennt sich dann wohl Riesen-Forschritt im Sinne des dialektisch-materialreichen Müntismus.

*** Wer den Mut hat, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen, wird zum hemmungslosen Schönreden der Sozialdemokraten tatsächlich nur eine Frage haben: Wofür macht die SPD sich eigentlich die Mühe, ein Wahlprogramm zu entwerfen, wenn sie dessen Inhalte nach den Wahlen eilfertig über den Haufen wirft und mit den Christlichen schäkert. "Wir nennen es Arbeit am Projekt 18", dürfte Parteisascha Lobo das wohl formulieren. Ein Zusammengehen mit der Linken ist für den Bundestag absolut ausgeschlossen, weil diese das putzige Wegschießen geklauter Tankwagen als Krieg bezeichnen und diesen auf der Stelle beenden wollen. Aber hallo, das geht so nicht bei einer echten Friedensmission. "Die Aufständischen blieben mit den Fahrzeugen in einem Fluss stecken", so die offizielle Darstellung. Ganz klar: Wir nennen es Brunnenbauen.

*** Ähnlich reif wie die deutsche Politik präsentierte sich dieser Woche ein junger Mann, der mit der Kopie einer Idee reich geworden ist und nun schwadroniert: "'Habe Mut, dich deines Verstandes zu bedienen – und höre auf, Autoritäten zu zitieren.' Da hab ich gleich mal Immanuel Kant zitiert, korrigiert, erweitert und vollendet." Dieser Vollender liebt offenbar einen Kant, dem jede Ethik schnuppe ist (bis er für seinen Diener Lampe doch noch eine kleine Ethik bastelte). Ehssan Dariani, der einstmals mit einer Seite des Völkischen Beobachters und der entsprechenden Domain zum Geburtstag des Führers das "Gebot der Pflicht" proklamierte, mit der sein eigener Geburtstag gefeiert werden musste, spricht nun im Interview von Missverständnissen. Danke, keine weiteren Fragen der Interviewer. "Reden wir über Geld" heißt die Rubrik der Süddeutschen Zeitung, nicht "Schweigen wir über A****löcher".

Was wird.

Wo bleiben die Jubiläen? Beim Blick auf eine etwas andere Zeittafel kann man lernen, dass am 4. September 1989 in Leipzig ein Friedensgebet stattfand, aus dem sich eine kleine Demonstration für "offene Grenzen, Versammlungsfreiheit und Vereinigungsfreiheit" entwickelte, die vom "Westfernsehen" übertragen wurde, das zur Leipziger Herbstmesse in der Stadt weilte. Aus diesem Anfang entwickelte sich die Praxis der Montagsdemonstrationen. Aus der "Versammlungs-und Vereinigungsfreiheit" wurde der Ruf "Wir sind das Volk", gewissermaßen ein Vorläufer von All your base belong to us, das Google an diesem Wochenende zu einem Festival verschickte. Heute sind die Rufe wieder näher am Original, wenn es am Samstag heißt: Freiheit statt Angst.

Als das erste Einweiserportal auf Basis der elektronischen Fallakte seine Web-Pforten öffnete, war der Jubel groß, genauso groß wie die aktuelle Empörung über Ärzte, die angeblich ein "Kopfgeld" nehmen. Ausgerechnet Ulla Schmidt, die Schutzherrin der elektronischen Fallakte, spricht von Betrug und fordert zur Denunziation auf. Dabei entspricht es dem Gedanken der Fallakte, wenn "sektorenübergreifend" behandelt wird und Ärzte diese zusätzlichen Leistungen abrechnen. Denn so und nicht anders sieht die Realität aus: Krankheit ist eine Ware geworden und der Arzt ist ihr Verkäufer. Wenn Denunziation gefordert wird, wenn SPD-Gesundheitsexperte Lauterbach einen Pranger haben will, den er als Aufsichtsrat der Rhön-Kliniken strikt ablehnt, so könnte man von einem Sieg der Spin-Doktoren sprechen. Am Mittwoch beginnt der Fachkongress IT-Trends in der Medizin, der sich schwerpunktmäßig mit dem Rollout der elektronischen Gesundheitskarte befasst. Er soll bekanntlich im Oktober in der Region Nordrhein starten, in der Ärzte ein "Kopfgeld" für die Anschaffung von Lesegeräten bekommen. Entschuldigung, natürlich ist Prämie der korrekte Ausdruck.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 13 September, 2009, 00:11
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Es ist Herbst, das Fallobst fällt und andere faule Sachen schlagen auf. Zum Beispiel ein Internet-Manifest, geschrieben von einer gut vernetzten Szene von "Berufs-Publizisten", die den Aufstand gegen Verleger, Journalistengewerkschaftsschwafler und Kulturteildummschwätzer wagt. Dass daraus ein "Internet-Manifest" wurde, verdanken wir dem glücklichen Umstand, dass die Adresse internet-manifest.de noch frei war und Bloggerdummschwaetzer.de so sperrig-deutsch klingt und bei der Internationalisierung hinderlich ist. Nun liest die Welt "The Internet is a pocket-sized media empire" und übersetzt den germanischen Unsinn in viele, viele Sprachen. Irritierte Fragen, ob wirklich schon 2009 ist oder doch noch 1995, bleiben nicht aus. Der Rip van Internetle, das sind deutsche Leitblogger, die ihre Felle und Skalpe davon schwimmen sehen wie alternde Berufsjugendliche: "I call it the Rip Van Winkle Syndrome, where we're just waking up after a long sleep and realizing that our audiences are going away." Das Ganze wurde dann auch so internetschnell veranstaltet, dass einige Unterzeichner des Manifestes offenbar unterschiedliche Versionen ohne peinliche Platitüden wie Eigentum verpflichtet unterzeichneten. Aber wie heißt es so manifestierlich: Was im Netz ist, bleibt im Netz – bis auf die kritischen Kommentare, die die Ripper in der US-Version ausdauernd löschten.

*** Es ist müßig, die Thesen einzeln anzugreifen. Wenn jemand in der Straßenbahn Richtung Herrenhausen furzt, sagt man auch nicht: "Entschuldigung, ich kann das schöner." Was bleibt, ist das Erstaunen, dass ausgewiesene Journalisten so banal und unkonkret und vor allem ohne jede Glut schreiben können, wenn ihnen der Kragen geplatzt ist. So werden sie Teil der Blödosphäre mit ihren werbigen Selbstdarstellern. Darüber Witzeln tun die anderen, die ein Gespür für den typisch deutschen Größenwahn haben, in Österreich und in der Schweiz. Bemerkenswert bleibt einzig die vom großen deutschen Wirren aufgespießte Fähigkeit, beschönigend vom eigenen Bauchnabel zu berichten. Neu ist das nicht, man kann es auch hier nachlesen, wenn Franziska Heine über die von ihr mitgetragene Einrichtung einer europäischen Mailing-Liste schreibt. Es ruiniert nur den sauber trennenden Online-Journalismus mit einem spezifischen Stallgeruch. Dabei endet der Kragenplatzanfall eigentlich mit einem schönen Satz, wenn man den analfixierten Hintern aus dem Wörterbuch der Gutmenschen rauskürzt: "Nicht der besserwissende, sondern der kommunizierende und hinterfragende Journalist ist gefragt."

*** Verglichen mit dem Internet-Manifest ist das Internet-Protokoll eine heiße Sache, so heiß in Wahlkampfzeiten, dass man glatt über den Klimaschutz ins Grübeln kommt. Vermutlich liegt es in dieser Argumentationskette, dass Justizministerin Brigitte Zypries in dieser Woche im Interview ein Kioto-Protokoll für das Internet fordert und vom totalen Überwachungsstaat schwärmt: "Vielleicht hat dann jeder eine individuelle IP-Adresse, die so unverwechselbar ist wie seine Telefonnummer?" Die feuchte Fantasie der fürsorglichen Überwachung ist in ein Gespräch eingebettet, in dem die Piratenpartei von Zypries abgekanzelt wird, als kleines Häuflein, dem auch noch Galionsfiguren wie Otto Schily (PDF-Datei der Verfassungsbeschwerde, in der die Rolle von Otto Schily untersucht werden soll) und Joschka Fischer fehlen. Wer die verschrobene Argumentation der SPD-Frau über den "Dialog mit Vertretern der Internetgemeinde" liest, kommt leicht zum Schluss, dass hier ein ganz spezielles Treibhaus für Piraten gebaut wird.

*** Ja, diese Piraten mit ihrem Rumpfprogramm, das neben den Gedanken zum Internet, zum Urheberrecht und zum Patentsystem wenig enthält, was von der Aufregung um ihren Abgeordneten Tauss ablenkt und eine ganze Wochenschau tragen kann. So ist es schon eine Nachricht, wenn ein Pirat kein PC-Freak ist. Aber halt, wie verhält es sich denn mit den Zwergen, die auf den Schultern von Riesen sitzen, um mehr und Entfernteres zu sehen? Sie bleiben erstmal Zwerge, mit Zwergenlohn bezahlt, weil sie sich auf einem öffentlichen Riesen tummeln: "Im Allgemeinen wird für die Schaffung eines Werkes in erheblichem Maße auf den öffentlichen Schatz an Schöpfungen zurückgegriffen. Die Rückführung von Werken in den öffentlichen Raum ist daher nicht nur berechtigt, sondern im Sinne der Nachhaltigkeit der menschlichen Schöpfungsfähigkeiten von essentieller Wichtigkeit." Vielleicht passt diese Auffassung gut zu den Zukunftstipps, die ein Medienmagazin bereithält, das sich an kommerzielle Unternehmen wie den Burda Verlag wendet:

23. Seien Sie geizig. Warum für ein Agenturbild 80 Euro zahlen, wenn Sie eines umsonst bei Diensten wie Flickr bekommen können? Achten Sie jedoch darauf, dass Sie nur Bilder verwenden dürfen, die unter der Creative Commons Attribution Licence veröffentlicht wurden.

Schnell ist da mal die Namensnennung vergessen oder der Hinweis, dass allein nicht-kommerzielle Verbreitung gerade den Geizhälsen den Hals stopfen soll. Vielleicht passt aber auch das Freipreis-System des Weltherrschers, der mit seiner ersten CD ein Experiment gestartet hat, stilecht mit eigenem Internet-Manifest. Die Zukunft wird es zeigen.

*** Vor acht Jahren starben in New York 2600 Menschen. Längst ist das offizielle Gedenken eine politische Routine geworden, ein lautes Gekläffe, das die vielen Geschichten von den Strasse und den Wassern übertönt. Bringt, was Hund ist, zum Schweigen? Von wegen. Vielleicht die beste Antwort auf das offizielle Memorieren kommt von den Kryptographen Whitfield Diffie und Susan Landau. Sie veröffentlichten am 11. September eine Untersuchung zur Geschichte der Abhörmaßnahmen, die nach dem 11. September sprunghaft zunahmen und nicht nur die USA in ein anderes Land verwandelten. In letzter Konsequenz entstand eine Bedrohung der freien Gesellschaft, die größer ist als der Terrorismus, vor dem sie eigentlich schützen soll: Sicherheit ist Angst statt Freiheit.

Was wird.

Ehe die Zukunft beginnen kann, muss die Vergangenheit abgewählt werden können. Das ist nicht ganz einfach, wenn man liest, wie der Blätterwald mitsamt den angeschlossenen Online-Palmen sich auf das Duell der Giganten einstimmen, das angeblich die Wahl entscheiden kann. Parole Gähnen ist bereits ausgegeben. Ein Streit der kleinen designierten Partner, die einen strikt auf der Online-Durchsuchung von Computern bestehend, während die anderen ebenso strikt die Festplatte als Inbegriff der Privatheit sehend, würde vielleicht zu einem ordentlichen Duell reichen. Das ist in dieser Form nicht geplant. Doch was wäre das Netz, wenn es nicht hübsche Alternativen bieten würde?

Neben der Bundestagswahl darf ein Blick nach Schleswig-Holstein nicht fehlen. Dort zittern die Sieger schon vor einem Patt. Immerhin, auf einen gar nicht so unwichtigen Punkt haben sich die Parteien festgelegt. Thilo Weichert, der auf der Demonstration "Freiheit statt Angst" davon sprach, dass Freiheitsrechte eine digitale Dimension haben, soll weiterhin der oberste Datenschützer im Norden bleiben. Seine Wiederwahl in eine zweite Amtszeit soll noch am 16. oder 17. September erfolgen. Das klingt besser als frühere Nachrichten. Gleichzeitig sollen in dem von ihm geleiteten unabhängigen Landeszentrum für den Datenschutz eine Reihe von Stellen abgebaut werden. So sieht die Politik des neuen Ausgleichs aus.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 20 September, 2009, 01:42
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war

*** Das Wetter, blafasel, die norddeutsche Tiefebene, blafasel, der Mensch. Viele tiefsinnträchtige Gedanken sollten in die Wochenschau, doch das geht nicht. Schließlich bricht bald der Wahltag an und der verregnet jede gute Absicht. Ja, bei mir regnet es. Nicht Tropfen, sondern Wahlprüfsteine schlagen in der Inbox auf. Es begann im Wonnemonat Mai mit den Wahlprüfsteinen von BOGK, was der Bundesverband Obst, Gemüse und Kartoffeln ist, zu tröpfeln. Dann folgten die Wahlprüfsteine der Architekten, Schwulen und Lesben. Mittlerweile regnet es kräftig Wahlprüfsteine, selbst die Lobby-Gegner haben welche. Vielleicht gibt es einen Zusammenhang zwischen der Zunahme der professionellen Kaffeesatzleserei und der Anhäufung von Wahlprüfsteinen. Selbst Das Böse in der S-Bahn wird unversehens zum Wahlprüfstein, der an Überwachungskameras baumelt.

*** Das Gemeine an dieser Sorte Steine ist, dass sie mit einem ordentlichen Spin geworfen werden. Die Wahlprüfsteine des Informationsforums RFID etwa erwecken den Eindruck, als ob von rechts bis links der Einsatz von RFID-Chips eine tolle Sache ist, die der deutschen Industrie nützt. Die Roten verteilen die Chips mit der öffentlichen Hand, die Rosanen umgehen das Buhwort und sprechen von Funkidentifikation und die Schwarzen stopfen die Chips in die Kühltheken wegen der Rückverfolgung von Gammelfleisch, die irgendwie den deutschen Mittelstand stärken kann.

*** Den lustigsten Wahlprüfstein hat dieses Mal eindeutig der Chaos Computer Club aufgestellt. Er fordert nach ziemlich unschönen Zwischenfällen auf der großen deutschen Freiheitsdemonstration die Identifikationsnummer für Polizisten. Freiheit für Weathermen statt Leathermen? Die Frage forkt in ontologische Dimensionen. Denn die Forderung nach einer Polizisten-ID steht einzig im Wahlprogramm der Linken (PDF-Datei). Gleich nach der Forderung, "perspektivisch" alle Geheimdienste abzuschaffen, kommt der Satz: "individuelle Kennzeichnungspflicht für uniformierte Beamtinnen und Beamte der Bundespolizei einführen" – für jeden CCCler ist damit die Wahlfrage gelöst. Das Modell des CCC findet sich natürlich in Berlin: Wenn man schon für Deutschland ist, dann für FKD, Friedrichshain-Kreuzberg-Deutschland. Sind wir nicht alle etwas Labor?

*** Die Sache läuft gut für die Linke, erst recht, seitdem ein halbwegs prominenter Pirat in der Jungen Freiheit aufgetaucht ist und damit eine besonders borstige Sau in Kleinbloggersdorf die Runde macht. Furchtbar, ganz furchtbar ist das offenbar bei den Netizens, die nicht trällern können. Küsst die Faschisten, wo ihr sie trefft war gestern, heute ist Denkschutz angesagt. Ist es nicht höchste Zeit für ein neues Internet-Manifest oder eine kleine Unvereinbarkeitserklärung? Aber na klar, zumal es nur ein Satz ist: "Wir lachen auf 4Chan über "FAIL"-Meme Bilder, und wenn da nix Neues kommt, dann suchen wir das nächste Ziel, ob da nun die Piratenpartei nen Fehler macht oder Schäuble, ist dabei ganz egal."

*** Auf die hingeschmissenen, mitunter gestapelten oder gemoppelten Steine antworten Politiker wie der erwähnte Herr Schäuble, indem sie Süßholz zurückwerfen, geraspelt oder am Stück. Gleich nach der Wahl kommt alles auf den Kehricht, die Steine, die Hölzer und all die Prüfungen, vom Bündnis Urheberrecht, das sich um "geistiges Eigentum in elektronischen Umgebungen" kümmert bis zum Wissensbund Wikimedia, das nach einem "nachhaltigen Zugang zu unserem kulturellen Erbe" fragt. Die Tradition der Wahlprüfsteine ist eine gewerkschaftliche: Die ersten Steine wurden 1953 geworfen, als der DGB die Kampagne "Für einen besseren Bundestag" startete und die christlichen Gewerkschaftler dies ganz furchtbar fanden, weil sie eine Parteinahme für die Sozen witterten. Heute gibt es nicht nur die Gewerkschafts-Prüfsteine, sondern ganz unchristlich auch Wahlprüfsteine der Muslime.

*** "Ein #Politiker folgte mir, ich folgte ihm und schrieb in sein Facebook die Wahlprüfsteine des bitly, nun folgen wir einander nicht mehr." Dieses (leicht anonymisierte) großartige Stück deutscher Twitteratur über Hingabe, Glück und Abschied, über Facebook und Politik wäre ohne Wahlprüfsteine niemals gezwitschert worden. Es beweist, wie wichtig für alle virtuelle soziale Netzwerke sind. Bleibt nur noch übrig, dieses Interview zum Abschied eines großen Politikers zu bringen, der als Vater des Überwachungsstaates in den Ruhestand geht und uns allen eine Cyber-Polizei wünscht, weil "das Internet kein rechtsfreier Raum ist und nicht sein darf." Ob eine spezielle Polizei für groß angelegte Internet-Fahndungen wirklich die richtige Lösung des "Raumproblems" ist, darf bezweifelt werden. Vielleicht sollte man erst einmal mit dem Blödsinn aufhören, verkürzt vom Raum zu reden, nur weil es einen Adressraum gibt. Bei der Gelegenheit könnte man auch aufhören, vom Flashmob-Terror zu reden, und Unsinn wie "die jungen Schreihälse leben praktisch im Internet" zu schreiben. Yeah, Yeah, noch lebt jeder Mensch auf dieser unserer Welt und niemand "praktisch im Internet".

*** Das Wetter, der Herbst und alle schönen Sonnen helfen das Geröll der Wahlprüfsteine zu vergessen. Und dann gibt es noch Gedichte: Heute vor 190 Jahren schrieb John Keats seine Ode an den Herbst:

SEASON of mists and mellow fruitfulness,
Close bosom-friend of the maturing sun;
Conspiring with him how to load and bless
With fruit the vines that round the thatch-eves run;
To bend with apples the moss'd cottage-trees,
And fill all fruit with ripeness to the core;
To swell the gourd, and plump the hazel shells
With a sweet kernel; to set budding more,
And still more, later flowers for the bees,
Until they think warm days will never cease,
For Summer has o'er-brimm'd their clammy cells.

Neblige Zeit, die weiche Früchte häuft, das war das letzte große Gedicht von Keats im Jahre 1819, in dem seine berühmtesten Werke entstanden. Zwei Jahre später starb Keats an Tuberkulose im Alter von 25 Jahren.

*** Wo bleibt das Positive? Im Alter von 72 Jahren ist Mary Travers gestorben, die Mary des Trios Peter, Paul and Mary. Die Sängerin wuchs als Tochter eines Journalistenpaares in dem Haus auf, in dem auch Pete Seeger lebte. Als "feministische Matriarchin" hielt sie das Trio, das auf allen großen Bürgerrechtsmärschen in den USA spielte, auf Kurs in Richtung politisch engagierter Folkmusik. Puff the magic dragon ist ein untypischer Song des Trios und durch "urban myth" damit gestraft, als Drogensong interpretiert zu werden. Zur Leistung von Mary Travers gehören viele Aktionen in Lateinamerika zur Unterstützung von Bürgerrechtlern; sie engagierte sich auch im Kampf gegen die Regierung von George W. Bush. Dass ihre Musik aseptisch war, oder harmonisch oder kommerziell, wie vom Rock zugedröhnte Musikkritiker lästerten, darf heute ruhig belächelt werden, denn sie war immer parteilich. Ein engagiertes Leben ist zu Ende, das sich nie einer "technologischen Realität anpassen" wollte, wie deutsche Chefanpasser unaufhörlich fordern.

Was wird

Vor 10 Jahren erschien kurz vor der Buchmesse Ray Kurzweils Homo S@piens auf Deutsch und löste einen Riesenwirbel mit der These aus, dass die Menschen bald ihr Hirn uploaden und dann ewig im Speicher existieren bis zum finalen read_write_error. Der Blick zurück lohnt sich, denn Kurzweil geizte nicht mit Prognosen für die Jahre 2009, 2019, 2029 und 2099. Für das Jahr 2009 können wir die Prognosen überprüfen und siehe da, bei den Computern hat Kurzweil Recht behalten, als er kleine tragbare Dinger wie mein G1 ankündigte. Auch beim Musikvertrieb über das Internet kann Kurzweil punkten, während der Verkauf von eBooks noch nicht in Schwung gekommen ist. Bei den übrigen Prognosen, vom Aussterben der Festplatten und CDs über die Spracherkennung und automatische Übersetzung bis hin zum Navigationssystem für Blinde erweist sich die Prognose als übermäßig optimistisch. Das gilt auch für den Finanzboom, den Kurzweil statt der Lehman-Pleite prognostizierte. Dafür kommt die freundliche Suchmaschine Google nicht vor, obwohl Kurzweil frühzeitig als Betatester die Suchmaschine kannte. Heute ist Kurzweil Präsident der Singularity University die hauptsächlich von Google finanziert wird. Der erste Jahrgang dieser Universität für die Vorbereitung der Menschheit auf den technologischen Wandel der Welt hat seine Studien beendet und schenkt der Welt Ideen wie ACASA, wo mit den Mitteln des Rapid Prototypings ganze Häuser entstehen sollen. Der Upload der Gehirne verzögert sich, die Bundesbahn würde es Trieb-Werk-Störung nennen.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 27 September, 2009, 03:25
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Ein aufregender, ein mitreißender, ein packender und witziger Wahlkampf geht zu Ende – irgendwo auf diesem Planeten, nur nicht bei uns. Kaum zu glauben, aber ich muss dem Chaos Computer Club Recht geben, dessen Sprecherin treffend vom schnarchnasigsten Wahlkampf aller Zeiten spricht und von den infantilen Piraten. Geschichten, die in Deutschland anno 2009 erzählt werden, sind deprimierende Erzählungen, heißen Klick. Und weg in der Printausgabe, in der Online-Version "No, we can't". Sie machen Angst, zeigen sie doch eine Volkspartei am Rande der Auflösung, in der Karrieristen den Mut verloren haben, eine Meinung zu diskutieren. Oder ist das schon ein Widerspruch, Mut und Karriere in der Politik?

*** Ja, gut, heute haben wir mal wieder die Wahl. Obwohl ich bei dem, was alles zur Wahl steht, mich manchmal doch lieber auf das zurückziehen würde, was musikalisch zur Wahl steht. Aber gut, die Digitaliener (das ist ein CCC-Ausdruck), die Häcksen, die Geeks, die Nerds und Technomagier wollen in wenigen Stunden als Piraten auch die Lokale entern und die Politik mit einer Nothalse drehen, den Überwachungsstaat entwaffnen. Die Politik ist die eines Flashmobs und mehr die vom Fähnlein außerparlamentarisch wieselnder Schweifer, unterstützt von Titanen wie Dieter Bohlen: Gewählt wird kein Parteiprogramm, noch weniger eine Strategie. Wenn ein schwarzer Wimpel gehisst wird, ist das erst einmal ein Zeichen des Protestes gegen die zunehmende Zensur, mehr nicht. Aber auch nicht weniger. Danach beginnen die Mühen der Ebenen mit langanhaltenden 2 Prozent Steigung auf dem Weg und vielen programmatischen Grundsatzdiskussionen.

*** Eine echte Steilvorlage für alle Verteidiger bürgerlicher Freiheiten wurde dabei dieser Tage aus dem Innenministerium an das Wahlvolk geschickt. Auch wenn ein Staatssekretär das Ganze als durchaus übliche Stoffsammlung charakterisierte, so zeigen schon die Adressaten des Konzeptpapiers, was für eine brisante Geschichte da kurisiert. So löst sich der erwähnte Herr Al Ös mitnichten als islamistischer Verfassungsschützer auf, sondern als veritabler Ministerialdirektor, was die Rede von Referaten unterhalb der Leitungsebene Lügen straft: Hier wird auf hohem Niveau gezündelt, hier werden die jämmerlichen Lockspitzel der Plutoniumaffäre plötzlich zu seriösen Ermittlern.

*** Das angedachte Umbauprogramm betrifft nicht nur die faktische Integration des Verfassungsschutzes in die Polizeiarbeit. Das angestrebte "engmaschige Sicherheitsmanagement" mit Zugriff auf Maut-Daten, mit Zugriff auf die IP-Daten von Bürgern, die Behördenwebseiten aufsuchen, die "erkennungsdienstliche Standardmaßnahme" eines DNA-Profiles könnte Deutschland in einen Überwachungsstaat katapultieren, gegen den die DDR mit ihren Geruchsproben nachgerade idyllisch wirkt. Von daher ist es doch auch verständlich, dass manche Menschen, die noch vor kurzem unter dem Motto Freiheit statt Angst in Berlin demonstrierten, zähneknirschend auf die schwarz-gelbe Koalition hin wählen, damit die FDP den gröbsten Unsinn verhindern kann. So bekommen die Zahnärzte viel Arbeit, weil ein Überwachungsgegner, der taktisch die CDU/CSU wählen muss, keinen heiteren Sonntag vor sich hat. Auf einem Schiff nach einer stürmischen Reise mit vielen Seekranken klarmachen, ist manchmal eine richtige harte D(r)ecksarbeit.

*** Dann wären da noch die Linken, die so mancher Verfassungsschutz in deutschen Landen gerne und ausdauernd beobachtet, besser als das Rünttgen der CDU bei der von ihnen so genannten Kraftilanti von der ebenfalls rünttgenden SPD. Freuen wir uns also mit dem künftigen Bundeskanzler "Siggy Pop" Gabriel, wenn dieser in Harmonie mit Ulla Jelpke und Claudia Roth ein atomblond gestähltes Stand by your man anstimmt? Gemach, gemach, der Mann bereitet sich noch für das kommende Misstrauensvotum vor. Bis dahin singen wir lieber, typisch Hannover, Winds of Change und warten auf Gabriel, den Grauen.

*** Im November 1991 erschien ein ulkiges Buch von einem Kolumnisten mit dem Pen-Namen Robert X. Cringeley: Accidental Empires. Der Untertitel dieses Buches, das sich hauptsächlich mit der Entstehung von Apple, Microsoft, Oracle, Sun Microsystems und der Veränderung von IBM befasste, ist heute noch ein liebgewordenes Klischee: "How the boys of Silicon Valley make their millions, battle foreign competition and still can't get a Date." Das Buch wurde als Triumph der Nerds verfilmt und im amerikanischen öffentlichen Fernsehen PBS gesendet. Zu den reichen Jungs, die keine Frau abbekommen, gesellte sich das Klischee von den Geeks, die nicht kochen können, mit einem wiederwärtigen Banane-Majonaise-Brei als Höhepunkt der Unappetitlichkeit. Natürlich ist das alles gelogen. Wer in die einschlägigen Geek-Kochforen etwa vom legendären Bluephod schaut, findet sehr wohl ausgezeichnete Gerichte neben der typisch nerdigen Neugier, auch Fastfood und Tierfutter auszuprobieren.

*** Bis zum Wahlabend gibt es sicher genug Gerichte, mit denen man sich die Zeit vertreiben kann. Mein Redakteur kocht gerade ein Boeuf Bourgignon, die Nerven stärkend, ehe er sich in den Clinch mit einem neuen CMS begibt. Außerdem folgt vorher noch ein Wahltag, an dem ein Nachrichtenticker nicht einfach abschalten kann wie eine Spielplattform. Wer jetzt verzagt, dem sei geholfen: Wie wäre es mit dem hier? Man schmeiße den Wasserkocher an und stelle mit Kartoffelbreipulver eine hübsche Menge Brei her, je nach Zahl der anwesenden Wahlbeobachter. Mit Wasabipaste und Muskatnuss abschmecken. Nun ein ordentliches Glas scharfen Senfs unterrühren und dann die Pampe vertilgen. Alsdann wird über die Strichliste diskutiert, nach der vom Durchfall geplagte den Abort aufsuchen. Als Papier liegt dort das Manager-Magazin, aus dem die Anregung für das Rezept stammt:

mm: Immer mehr Journalisten und Freizeitschreiber fühlen sich bemüßigt, ihre Aha-Erlebnisse in Netztagebüchern zu verbreiten und ihren Senf unter den Meinungsbrei zu quirlen.

Ja, so unvoreingenommen kann ein Journalist mit geistigem Durchfall im Jahre 2009 das Internet beschreiben, noch dazu in einer "Frage", die an den Verleger Hubert Burda gerichtet ist. Dieser ist etwas höflicher, gibt aber deutlich zu verstehen, dass seine tollen Dienste wie Holidaycheck oder Jameda nicht ausreichen und Nachrichten.de noch gepampert werden muss. So freut er sich auf ein Leistungsschutzrecht für Verlage und darüber, dass die Politik die Pläne aufgegriffen hat. Wir hören aus dem Hause Burda: "Die Pläne werden schon jetzt konkretisiert und in der nächsten Legislaturperiode weiterverfolgt, vorausgesetzt, die Bundestagswahl geht entsprechend aus." Die anvisierte Verleger-GEZ steht nur im Wahlprogramm der CDU/CSU, der "strahlenden" Gewinnerin der Wahl 2009.

*** Mit einem seltsam klingenden Urheber first macht meine Gewerkschaft Front gegen das geplante Leistungsschutzrecht. Die in der Stellungnahme angemahnte sorgfältige Diskussion um die Gesamtfragestellung "Paid Internet" gefällt mir überhaupt nicht und riecht nach einem Brei mit viel Senf. Wer von der Diskussion um Bezahlcontent gleich zum Bezahl-Internet übergeht, suggeriert, dass das Internet heute für umme ins Haus kommt.

Was wird.

Wenn das Wahlgetöse verklingt, werden die Brillen geputzt. "Die Mühen der Berge haben wir hinter uns, vor uns liegen die Mühen der Ebene," dieser Satz von Bertolt Brecht gilt immer noch, erst recht, wenn man die Welt verbessern will. Im ach so unbedeutenden Konzeptpapier des Bundesinnenministeriums findet sich unter Punkt 1.9 die Forderung nach Verstärkung der Sicherheitsforschung. Diese Forschung aber soll nicht länger im Forschungs- und Verteidigungsministerium angesiedelt sein, sondern dem Bundesinnenministerim übertragen werden. Das dürfte Ministerin Schavan gar nicht gerne lesen, wenn sie denn noch Ministerin sein sollte. Am Dienstag startet die diesjährige Future Security. Der Termin kollidiert diesmal leicht mit der schwedischen EU-Initiative, die unter dem Neusprech Innovationen für Bürger in Stockholm tagt. Aber von Sicherheit kann man bekanntlich nie genug haben. Die deutsche Konferenz in Karlsruhe beschäftigt sich unter anderem schwerpunktmäßig mit "Behaviour Software". Denn nichts anderes als eine intelligente Videoanalyse kann uns vor den Terroristen retten. Nicht zu vergessen viele, viele neue Überwachungskameras.

Daneben gibt es etliche Tracks zu Drohnen und anderen autonom handelnden Robotern. Wenn ich es mir richtig überlege, ist dieser Presse-Roboter auch ein Fortschritt im Vergleich zu heute. Sicherheitstechnisch betrachtet hat das Ganze auch seine positiven Seiten. Nach Schwertern zu Pflugscharen gilt 2009 die Forderung Kriegsroboter in die Buchhaltung!

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 04 Oktober, 2009, 00:20
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.


*** Überall ist Neuanfang, nur in der kleinen Wochenschau nicht. Denn am Rande der norddeutschen Tiefebene gibt es eine Großbaustelle in Hannover und nein, es ist nicht das Ihme-Zentrum, sondern der Heise-Verlag. Zum dritten Mal, seitdem das WWWW den mageren wochenendlichen Newsticker mit mäusespeckigen Inhalten aufflufft, wird das CMS gewechselt, ändern sich Link-Syntax, ID-Nummern und einiges mehr. Noch ehe ein klarer Gedanke geschrieben werden kann, muss ein ordentliches Makro her und der Editor umgebaut werden, und das an einem schönen Herbsttag, der den Mais in den Ebenen rascheln lässt. Ich bitte also um Nachsicht bei diesem Altanfang, wenn der eine oder andere Link nicht funzt. Sachdienliche Hinweise werden gerne entgegengenommen, doch GNU Bucks werden nicht gezahlt.

*** Mit meiner persönlichen Wahlprognose hat die letzte Wochenschau gar nicht mal so schlecht abgeschnitten: Wie erwartet, ist "Siggy Pop" Gabriel in die Pole Position geprescht und wird mit der ganzen Kompetenz eines Pop-Beauftragten an einer Rot-Grün-Roten Lichtorgel schrauben. Auch die zwei Prozent der Piratenpartei waren goldrichtig. Ob zur nächsten Wahl weitere zwei Prozent hinzukommen, kann freilich ebensowenig berechnet werden wie der Haushalt der Piratenpartei: "Nerds sind verliebt in technische Probleme, aber Zahlenwerke mögen sie nicht." Soso, wo ein Klischee ist, da kommt ein zweites um die Ecke und, haha, der Piratenschatz ist futsch.

*** Nicht vorhergesagt habe ich allerdings das Verhalten der implodierenden SPD, das jeder Nerd als "Epic Fail" bezeichnen wird. Beim Spurwechsel von Christoph Matschie in Thüringen muss man nachgerade froh sein, dass Matschie kein Skiläufer ist. Mal rechts, mal links blinken auf der Schussfahrt in die Bedeutungslosigkeit, da hätte Kuddl Schnööf, der große Theoretiker der Tiefebene fix geseggt, wer keene Klöten hefft. Nicht vorhergesagt habe ich schließlich den neuen gelben Provinzialismus, den die Vertreter der Wirtschaftspartei FDP an den Tag legen, wenn der designierte Outside Minister spricht: "Wir sind hier in Deutschland. In Deutschland ist es üblich, dass man Deutsch spricht." Bekommen Daimler, Siemens, Bosch oder SAP Steuererleichterungen, wenn sie die Kommunikation auf Englisch abschaffen? Nach dem Reinfall mit Muentefering dürfte die Presse ihren Spass mit dem Gezwitscher von Westerwave haben.

*** Warum eigentlich sollen Ärzte nicht etwas Fun bei der OP haben? So können sie die Zeit überbrücken, wenn die Leiche entsorgt und der Raum für den nächsten Kandidaten aufgehübscht wird. Etwa für die Patienten, die sich mitsamt der neuen Gesundheitskarte an scharf geschalteten Lesegeräten verletzt haben. Sie wird zusammen mit dem Gesundheitsfonds und den diversen Steuerschrauben eine wesentliche Rolle bei den Verhandlungen zur Pfeilgiftfroschkoalition spielen, schließlich ist die gestresste deutsche Ärzteschaft die Klientel der Liberalen schlechthin. Das bisschen Gezanke um die Sperrtechnik kann man ruhig den Gerichten überlassen, die die Verfassung schützen und Erfahrung mit solchen Brennstäben haben.

*** Die Sensation dieser Woche ist nicht die aussterbende Primatenart Steini, sondern die längst ausgestorbene Entwicklungsstufe Ardi, obwohl ich mir bei diesem Foto gar nicht mal so sicher bin, dass wir tatsächlich höher entwickelt sind als jene fernen Wesen. Immerhin legten sie schon Wert auf hübsche Wangenknochen, wie Günther Grass, äh, Gunther Sex.

*** Mit Ardi soll die Savannen-Theorie vom aufrechten Gang geschreddert werden, an die seit Theweleits "Männerphantasien" ohnehin wenige glauben: Nach diesem Buch trollten sich Männchen bei Angriffen fort, während Weibchen mit Kindern ins Wasser gingen und dort warteten, bis die hungrige Raubkatze keine Lust mehr hatte und verschwand. So fiel das Fell ab, kam der aufrechte Gang in die Welt und es entwickelten sich diese langen Frauenhaare zum Festhalten für die Kleinen. Kurz gesagt: im Zweifelsfall siegt der Katzencontent. Nach Ardi sind die Schimpansen übrigens eine Rückentwicklung weg vom aufrechten Gang. Sie kletterten auf Bäume und warten seitdem auf unendlich viele Schreibmaschinen, um endlich mit unendlich viel Zeit den "Hamlet" zu schreiben, ganz wie es ein beliebtes Theorem der Informatiker lehrt.

*** Unter deutschen Informatikern ist derzeit ein ganz informierender Streit ausgebrochen. Anlass ist ein Artikel zur Entwicklung dieser Disziplin (PDF-Datei), in dem beklagt wird, wie unpolitisch heute Informatik ist und ein früher hoch gehandeltes Thema wie "Informatik & Gesellschaft" (I&G) kein Thema mehr ist. Etliche empörte Antworte sind in Heft 3 der FIfF-Kommunikation erschienen, aber (noch) nicht online verfügbar. Daher ein längeres Zitat für alle aufrecht gehenden Affen und Piraten und Internetmanifestierern, die in den letzten Wochen laut waren:

"Angewendet auf aktuelle Fragen im Umfeld von I&G bedeutet dies, dass es durchaus Sinn macht, bspw. am Urheberrecht evolutionäre Änderungen vorzunehmen, um hier Recht und reale Verhältnisse wieder besser in Einklnag zu bringen und so allen Beteiligten gerecht zu werden - oder es zumindest zu versuchen. Doch es wäre aus einer evoluitionären Perspektive eben falsch, schlagartig Rechte an Immaterialgütern komplett aufzugeben - eine immer wieder, mehr oder minder lauthals geäußerte Forderung, auch im Umfeld von I&G. Es ist also sinnvoll, den Gedanken des 'fair use' von geistigem Eigentum weiter zu entwickeln, da auf diese Weise vielleicht ein Ausgleich zwischen Eigentumsrechtenund anderen gesellschaftlichen Interessen erreicht werden könnte. Es wäre hingegen falsch, radikale Lösungen zu suchen, da diese weitreichende und nicht zu kontrollierende Nebenfolgen hätten. Sowohl in Bezug auf die Gesamtgesellschaft als auch im Umfeld von I&G-Themen sind soziologische Großversuche schlicht irrational; man sollte Systemfragen besser auf solche wie Entscheidungen zwischen Linux, Mac OS und Microsoft Windows beschränken."

*** Das sind klare Worte. Bleiben wir hier in dieser kleinen Wochenschau bescheiden bei den Systemfragen, so empfiehlt sich ein Artikel aus dem Guardian, der Windows etwas eigenwillig lobt und gegen Apple verteidigt: "Windows is like the faint smell of piss in a subway: it's there, and there's nothing you can do about it." Gegen diesen Geruch kommt man nicht an, besonders hoffnungslos ist da das Herumstänkern der Einmarkennutzer. Das nenne ich einmal eine frische Herangehensweise an die Systemfrage. Dazu passt die Neuverfilumung eines berühmten Apple-Werbespots durch DVD-Jon, den man auf Youtube genießen kann: Am 6. Oktober werden wir die Wahl haben.

*** Noch aber ist TDDE09, den man mit Herrn Kruse von den Blogjournalisten feiern kann. Wie gut, dass es damals nicht dieses Twitter gab, da hätte der Botschaftszug leicht in einen Sonderzug nach Pankow enden können. So aber fiel die Mauer an jenem 9. November vor 20 Jahren, mit schönen Bildern bis ins ferne Amerika. Dort lief die Comdex in Las Vegas und ich schrieb über die Vorstellung von Lotus Notes durch Ray Ozzie, die Multimedia-Sensation Soundblaster von Creative Labs, die ersten CD-ROM-Laufwerke und die Demonstration von Excel für OS/2 durch Bill Gates. Auf den Tischen in den Casino-Hotels tanzten betrunkene Deutsche und viel wurde von kommenden Märkten im Osten geredet. Später kamen blühende Landschaften hinzu.

*** Während Deutschland ungeniert seine neue Herrlichkeit mit Riesen und die neue Regierung den DDR-Bürger als Held der kommenden Finanzkrisen ausruft, darf ein Blick auf die Kleinen nicht fehlen. Im Alter von 87 ist Marek Edelman gestorben, einer der Anführer des Aufstandes im Warschauer Ghetto. Sich nicht wie Lämmer abschlachten lassen, sondern das Geschick in die eigene Hand nehmen, auch wenn es das Leben kosten kann, das lehrt das Leben von Edelman.

Was wird.

In der nächsten Woche werden die Nobelpreise verliehen, eine erhabene Angelegenheit edler Gemüter. Die erneuten empörten Diskussionen im Vorfeld, ob ein gewisser jüdischer Straßenbarde und Bänkelsänger namens Bob Dylan überhaupt würdig ist, den Literaturpreis zu erhalten, sind ebensowenig neu wie die Tatsache, dass ein gewisser Philip Roth doch jetzt bitte mal an der Reihe ist. Seit 1994 kennt man die Argumente der Personen mit einem Literaturbegriff vom Schlage eines Melitta-Filters. Erstmals in der Geschichte der Preise und Anti-Preise dürfte in diesem Jahr der IGnobel-Preis die eindeutig bessere Auszeichnung sein, zumindest in der Kategorie der Wirtschaftswissenschaften, die ohnehin keinen echten Nobelpreis bekommt. Die Gewinner sind – das sollte man Herrn Westerwelle und der FDP vielleicht mal übersetzen: "The directors, executives, and auditors of four Icelandic banks – Kaupthing Bank, Landsbanki, Glitnir Bank, and Central Bank of Iceland – for demonstrating that tiny banks can be rapidly transformed into huge banks, and vice versa – and for demonstrating that similar things can be done to an entire national economy."

Zum guten Schluss sei auf eine öffentliche Podiumsdiskussion in Hamburg aufmerksam gemacht, mit der die Woche am Freitagabend endet. Sie trägt den hübschen Titel "Legenden der Überwachung – Wie Wissenschaft und Medien aneinander vorbeireden." Bei dieser Veranstaltung spielen wir Journalisten mal wieder die Rolle der Doofen. "Journalisten brauchen einfache Antworten – Wissenschaftler wollen nicht nur die Stichwortgeber für plakative Schlagzeilen sein. Auch beim Thema Überwachung wird dieses Problem besonders deutlich. Journalisten wollen Zahlen und knackige Thesen, ihre Kollegen aus der Universität wollen Erkenntnisse." So bleibt das große Rätsel zwischen Erkenntniss und Presse: Warum gibt es eigentlich keine knackigen Erkenntnisse?

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 11 Oktober, 2009, 00:17
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Jeder bereitet sich, so gut es eben geht, auf die BRDSG vor, die Bundesrepublik Schwarz-Gelb. Die einen üben das Ballen von Fäusten, die anderen gleich das Fisten, wohl in Angedenk der Zeiten von Kandesbunzler Kohl. Ehe Bunzlerin Merkel und Außenkandis Westerwelle sich ans Regieren machen können, nimmt das Üben seltsame Ausmaße an, nicht nur für Herrn Westerwelle. Selbst erfahrene Kämpen müssen etwas üben, wie man am derzeigen Innenminister Schäuble sehen kann, der handwerkliche Fehler bei der Kinderpornosperre sieht, aber offenbar keine gedanklichen. Derweil übt die Erfinderin des Budenzaubers für das Gesundheitsministerium den Umgang mit der elektronischen Gesundheitskarte, die gerade eingeführt wird – nur nicht in die Lesegeräte.

*** Ich habe auch brav geübt. Ich habe diese Woche auf alle Geschichten zu Windows 7 verzichtet und bin wieder einmal LKW gefahren, einen Gigaliner. Das gute Stück wird auch Riesen-LKW oder besonders schick Roadtrein genannt. Im Vergleich zu den Kühlzügen mit baumelnden Fleichstücken, die einstmals mein Studium finanzierten, war das eine erstaunlich leichte Sache. Die LKW von heute, zumal die Gigaliner, sind intelligent geworden, sie schalten selber und warnen, wenn man nicht Spur hält oder der Abstand nicht stimmt. Die Navigation kennt den Weg und quasselt Straßennamen vor, gibt gar Ratschläge, wenn ein Kreisverkehr kommt. Gefährlich sind eigentlich nur Überholmanöver auf Landstraßen von PKW, die sich verschätzt haben. Da muss man schon mal in die Eisen, doch selbst das wird überwacht und abgemildert, genau wie das Rangieren. Intelligenter als ein Netbook, etwas dööfer als ein Macbook sind diese Gespanne, müsste man wohl als Autotester schreiben.

*** Die Lobby der Spediteure, die meinen kleinen Ausflug möglich machte und finanzierte, Disclaimer muss auch bei großen Gadgets sein, darf sich jedenfalls schon über Schwarz-Gelb freuen: Die Gigaliner sollen zugelassen, die LKW-Maut nicht erhöht werden und Greyhoundbusse sollen über Autobahnen jagen. Bei der PKW-Maut wird noch geübt, wie man dieses spezielle Walversprechen erklären kann. Die klebrigen Hände des Finanzministers sind schon mal ein guter Ansatz. Noch jemand da in der Politik mit schmutzigen Fingern?

*** Seit dieser Woche gibt es Wahlvorsprechen. Barack Obama bekam den Friedensnobelpreis in Vorgriff auf eine gute und gerechte Regierung. Die Welt wartet darauf, dass er den Kennedy macht. Gegen Obama war Steve Ballmer chancenlos, obwohl er gerade weit mehr als Barack Obama verspricht. Da gibt es die Versprechen, mit Windows 7 für Frieden im Systemkrieg zu sorgen, 25000 Arbeitsplätze zu schaffen und 75000 neue Firmen und an jedem Rechner 61-110 Euro Geld zu sparen. Das hat alles nichts genutzt. Erst wenn der Microsoft-Chef mit einer einzigen Windows-7-Kopie die Speisung der 5000 schafft, dürfte es Ballmer auf die Stockholmer Shortlist schaffen.

*** Andere hatten es dagegen auch nicht wirklich einfach, sich einen oft geschmähten und doch immer wieder mit Spannung erwarteten und gefeierten Preis zu verdienen, dafür aber erweisen sie sich seiner tatsächlich würdig; oder, viel mehr noch, sind es Menschen wie Herta Müller, denen sich ein Preis erst würdig erweisen muss durch seine eigene Geschichte. "Selbst Pflanzen waren nicht mehr für sich da. [...] Sie waren aus der Reihe der Pflanzen übergelaufen zum Staat. [...] Die Mächtigen hatten zwar Pflanzen missbraucht, aber nur, weil diese Eigenschaften hatten, die sich missbrauchen ließen. Herrschende haben dafür einen Sinn. Was sie für sich nahmen, konnte für mich nicht mehr in Frage kommen. Und was sie bekämpften, wurde mir lieb. [...] Ich konnte  immer nur auf das zurückgreifen, was die Herrschenden sich noch nicht genommen hatten." Was Herta Müller zur Verleihung des Kleist-Preises 1994 unter der Überschrift "Von der gebrechlichen Zurichtung der Welt" formuliert, ist nicht nur eine Haltung zur Diktatur, von der ich nicht weiß, ob ich in der Lage gewesen wäre, sie einzunehmen. Es gibt auch einen ersten, marginalen Eindruck, welch deutliche und doch poetische Sprache Herta Müller gegen die Diktatur gefunden hat: "Herta Müllers Sprache ist das Mikroskop, das die Wahrheiten politischer Diktaturen sichtbar macht für jeden, der lesen kann." Ein Hoch auf die Stockholmer Akademie für die diesjährige Verleihung des Literaturnobelpreises.

*** Zurück in die banale Realität der IT-Branche. Zusammen mit etwa 520 anderen Journalisten durfte ich mich über Einladung zum Start des Beta-Testes von De-Mail in Friedrichshafen freuen: Sämtliche Adressen standen im An/To:-Feld der Mail, was offenbar ein zusätzlicher Test für die Unsicherheit herkömmlicher E-Mail sein sollte. Dabei ist das grundlegende Konzept von De-Mail selbst nichts anderes als eine Vortäuschung von Sicherheit, die auf einer gemeinsamen Vereinbarung beruht, es einfach sicher zu nennen. Weil alles unter der Annahme läuft, dass beide Seiten ein Interesse daran haben, sich an die Spielregeln zu halten, ist es eben noch lange nicht sicher. Das letzte ACK in dieser Sache ist noch nicht gesprochen. Warten wir die Bürgerportale ab, die zusammen mit De-Mail errichtet werden sollen. Die Annahme, dass hier völlig neue Spamschleudern gebaut werden, ist noch nicht widerlegt.

*** Mit leichter Verspätung zum 150. Geburtstag wurde in dieser Woche Alexander Popow von der ITU in der Schweiz als Pionier des Rundfunks geehrt. Sein Pech, dass andere wie Marconi cleverer waren mit dem Patentieren. Mit Popow feierte die Sowjetunion den Tag des Radios. Was mich natürlich zu Mercedes Sosa bringt, die während der Militärdiktatur in Argentienien vor allem via Radio bei ihrem Volke blieb. Gracias a la Vida, Negrita.

Was wird.

Sie lassen einen nicht, heißt es in der letzten, wunderbaren Geschichte aus dem Hundertsechzig-Morgen-Wald. Da zog Christopher Robin weg, aufs Internet. Winnie der Pu, der Philosobär mit den Honigtöpfen und dem scharfen Verstand, blieb zurück, da an jenem verzauberten Ort ganz in der Mitte des Waldes und überlegte, wie das wohl ist, wenn man mit Faktoren kämpfen muss. Nun geht es weiter, weil es ja nicht immer der gleiche alte Content sein darf, mit einem neuen Buch, in dem der Beat fett ist und Christopher Robin auf einem Segway zurück kommt und eigens für Tieger in der Wikipedia nachschaut, was es mit Afrika auf sich hat. O.K., Korrektur: Diese moderne Variante wird noch geschrieben werden müssen, irgendwann in einer Kampfpause, wenn die elenden Faktoren besiegt sind.

Sprecher: "1945 brach der Frieden aus. Das war das Ende des Witzes. Der Einsatz von Witzen zur Kriegsführung wurde in einem besonderen Abschnitt der Genfer Konvention verboten, und die letzte verbliebene Kopie des Witzes wurde 1950 hier, auf einem Landfriedhof in Berkshire, zur ewigen Ruhe gebettet, um nie wieder erzählt zu werden." Die Kamera schwenkt zu einem Grabstein mit der Inschrift "Dem unbekannten Witz". Tja, so endete vor 40 Jahren der Start des Fliegenden Zirkus von Monty Python. Bitte, sucht euch hier den passenden Link unter den widerlichen Content-Klauern aus, noch ist robots.txt kostenlos. Wer sich jetzt fragt, warum das Datum aus der letzten Woche unter dem Rubrum Was Wird abgehandelt wird, kennt den tödlichsten Witz der Welt nicht. Der Killer-Joke wird nur von der Killer-Applikation übertroffen, deren Geburtstag in der kommenden Woche zu feiern ist.

Eigentlich ist es auch ein Witz, dass schon wieder die Big Brother Awards verliehen werden müssen, dazu noch in einer Hechelei und in – bitte keine Witze mehr – Bielefeld, zeitgleich zur Organhandelskonferenz in dieser Stadt. Denn was ist bitteschön, heute noch die Privatsphäre, eines der wichtigsten menschlichen Organe, das Recht darauf, Allein zu sein, noch wert? Was bewirkt ein Appell an Schwarz-Gelb? Wie wäre es mit einem ermäßigten Steuersatz von 7 Prozent für alle Firmen, die strikten Datenschutz betreiben, wenn die Mehrwertsteuer auf 25 Prozent klettert? Ach, Mensch, darüber sollten wir einmal twittern. Manchmal ist dieses Land wirklich nicht mehr zu ertragen – ganz anders als der Jazz, nicht wahr, Herr Garbarek?

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 18 Oktober, 2009, 08:04
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** "Wenn wir wollen, dass alles bleibt, wie es ist, dann ist es nötig, dass alles sich verändert." Und tatsächlich bleibt eigentlich alles, wie es ist, sieht man sich den Koalitionskompromiss zur inneren Sicherheit an. Eine "neue Innenpolitik", die die Bürgerrechte wieder in den Vordergrund stellen würde, ist das beleibe noch nicht, liebe Leute. Mag man auch die schlimmsen Auswüchse der Schily-Schäuble-Kataloge zurückgestutzt, den Präventionsstaat etwas in seine Schranken verwiesen haben: Eine "Internetrepublik", in der die Privatsphäre des Bürgers wirklich als Grundrecht angesehen und auch so behandelt wird, sieht anders aus.

*** Wie aber soll sie aussehen, diese "Internetrepublik", von der die FDP redete und die die Piratenpartei sich auf die Fahnen geschrieben hatte? Bei manchen Diskussionsbeiträgen derer, die die Freiheit hochzuhalten meinen, kann einem das kalte Grausen kommen. Was da an Elite-Denken durch die Köpfe geistert, wäre selbst Platon wohl zu viel geworden. Möglicherweise hätte Ortega y Gasset ja Gefallen daran gefunden, wie in elitären Besserwisser-Denken manche Internet-Freiheitskämpfer verhaftet sind. Meritokratie ist für solche Vorstellungen ein zu schwaches Wort, eine "wohlwollende Diktatur" eine völlig unangemessene Verharmlosung.

*** Da ist man doch manchmal froh, wenn man mit den Kompromissen unserer Politik zu leben hat. Denn trotz allem: Man muss das Verhandlungsergebnis für die Innenpolitik der schwarz-gelben Koalition begrüßen, Politik besteht nicht im Beharren auf der reinen Lehre. Die Leere in den Köpfen dagegen hätte man sehen sollen, die eingetreten wäre, hätte sich jemand wie Schäuble oder gar Norbert Geis in der Innenpolitik mit ihrer reinen Lehre durchgesetzt. Es gibt tatsächlich Leute, die die Demokratie für eine schlechte Staatsform halten, da sie von Kompromissen und dem Versuch lebt, eine Gesellschaft zu schützen, in der grundsätzlich jeder nach seiner Façon selig werden kann und dies nicht von der Gnade eines Fürsten abhängig ist. Auf der anderen Seite scheinen die zu stehen, die eine direkte, plebiszitäre Demokratie als radikalen Gegenentwurf zur repräsentativen Demokratie ansehen, und dabei glatt übersehen, wie sehr sie sich den mobitären Schwankungen nicht etwa des Zeitgeistes, sondern einer Massenpsychologie ausliefern, für die weder Elias Canetti noch Wilhelm Reich noch Ortega y Gasset der Realität endgültig standhaltende Erklärungsmuster lieferten. Repräsentative Demokratie ist weder die Herrschaft der Elite, noch die des Mobs, und sie ist schon gar nicht eine "flüssige Volksherrschaft", deren praktische Methoden wohl nur im Hirn eines durchgeknallten Informatikers entstanden sein können. Die repräsentative Demokratie ist Herrschaft der Vermittlung. Und eigentlich leben wir ganz gut damit.

*** So ist das dann also: Bald wird Deutschland also eine neue Regierung haben, die echte Kunststücke macht. Die die Steuern auf Pump senkt und ein Zugangserschwernisgesetz zu Ende bringt, komplett mit einer Regelung, die die Erschwernis vorerst so erleichtert, dass die Internet-Provider nicht die Löcher an den Datenkreuzungen ausheben müssen, in die die Stopp-Schilder gerammt werden sollten. Hardliner sprechen schon von einer traurigen Konfusion. Ach, kommt, es ist doch alles nur virtuell, wird sich mancher denken, da hat niemand den Schaden und das wirklich Gute ist, dass das BKA ernsthaft Kinderschänder jagt, statt Deutschland auf das Niveau von China zu bodigen. Das unterschlägt die erheblichen (Programmier-)Anstrengungen, die deutsche Provider in den letzten Monaten unternommen haben. Hey, selbst schuld, sofort zu kuschen statt zu zeigen, dass Internet-Anbieter ein Rückgrat haben, das kostet teuer, wird mancher denken. Und sicher gibt es Menschen, die sich öffentlich darüber freuen, dass Familienministerin von der Leyen den Big Brother Award gewonnen hat. Big Sister Ursula lenkt vorzüglich vom Thema ab, wie leicht die Politik das Internet als rechtsfreien, gottlosen Raum präsentieren kann und steil gefönten Quatsch wie ein Zugangserschwernisgesetz produzieren kann. Viel zu schnell ist vergessen, dass dieser Stoppmist nicht die erste Gabe dieser Art war: Der Hackerparagraph ist ein ähnlich schusseliges Gesetz, gemacht von Politikern, die über den Unrechtskern von Hackertools schwadronieren wie Zöglinge des Priesterseminars von zertifizierten feministischen Kriterien sexueller Ausdrucksweisen.

*** Warum werden eigentlich in Deutschland nur die Datenkraken ausgezeichnet, warum gibt es keinen Winkelried-Award wie in der Schweiz? Ein Volk der Drücker und Denker, das keine Widersteher und Gegendrücker kennt, wie es ein Clown auf der Big-Brother-Gala formulierte? Anders gesagt, ist wirklich nur ein popeliges Verwaltungsgericht in Wiesbaden dafür verantwortlich, dass die Sperrfarce in die Tonne gekloppt wird? Der BKA-Geist, der hinter dieser Argumentation durchschimmert ist der der holden Obrigkeit, die gesellschaftlichen Protest nur als Bedrohung wahrnimmt. Derweil tauchen Details auf, wie die freiwillige Selbstverpflichtung etwa an Universitäten angedacht wurde. Nicht schlecht, dass in vorauseilendem Gehorsam Port 53 gesperrt werden soll, der absehbaren Umgehungsmaßnahme wegen. Und nein, damit ist nicht jener Gehorsam gemeint, mit dem Feuchtgebiete rasiert werden, sondern der blinde Gehorsam namens Pflichtgefühl. Pflichtbewusst darf man die besondere Sorte Datenschützer nicht verschweigen, die Kundenkarten toll finden und und Big Brother Awards für eine einzige Angstmache halten.

*** WWWW-Schreiben macht schlau, echt jetzt, ungelogen. Man muss den Weltgeist bespitzeln wie das die Grünen als Geheimdienstchen nun mit der Linken machen. Da kommt der Überwacher auf manch seltsamen Parkplatz an, ehe die Kolumne kurz vor Mitternacht auf dem der Redaktion abgeliefert wird. Ein Beispiel ist heute der Alaska Day, ein Höhepunkt für viele geile Berichte vom Schwängern von Nüssen, was immerhin auf aparte Spielarten sexueller Ausdrucksweisen schließen lässt. Oh, oh, fasst hätte ich den Boss Day vergessen, an dem in Amerika die Analisten Konjunktur haben und der Werkkreis Literatur der Arbeitswelt einsame Höhepunkte hat: "Es ist deine Voraussicht und Leitung, die mich inspiriert, nach Höherem zu streben – danke, Boss!" Das ist doch eine ganz andere Einstellung als das typisch deutsch-sozialdemokratische Anspruchsdenken von Hey Boss, ich brauch mehr Geld, oder?

*** Zwischen den Boss Day und den Alaska Day hat sich der Visicalc Day geschummelt, komplett mit Überlegungen von Leuten, wie schädlich eigentlich Tabellenkalkulationen sind. Sie haben aus der freien Vereinigung von zupackenden Frontiermen eine zögerliche amerikanische What-if-Society gemacht, die nicht mehr Mond oder Mars besucht, weil die Sache nach eingehender Kalkulation schlicht zu teuer ist, selbst wenn Private dabei helfen. So ist aus dem mächtigen Doppelschlag ein Schüsschen geworden, das ein Stäubchen aufwirbelte – doch immerhin von Leuten durchgeführt, die ihren "Anhalter durch die Galaxis" kennen. Der Beschuss wurde getwittert: ""That's it! Ground! Ha! I wonder if it'll be friends with me?" Irgendwo wird auch der Petunientopf aufgeschlagen sein, "Oh no, not again" murmelnd. Wahrscheinlich genau an der Stelle, wo es Wasser in rauen Mengen gibt.

Was wird.

*** Nach dem Jubiläum ist vor dem Jubiläum. 50 Jahre Asterix im Dienst der Volksaufklärung müssen einfach gefeiert werden. Erst durch den Comic wissen wir, dass Kleopatra ein hübsches Näschen hatte, dass Hinkelsteine wunderbare Geschenke sind und man vor nichts Angst haben muss, außer dass einem der Himmel auf den Kopf fällt. Und wenn das Marketing-Getöse von Microsoft braust und auf 177 Millionen Windows 7-Lizenzen setzt und dazu der Boulevard dröhnt: "Ganz Deutschland freut sich auf Windows 7!", dann darf die klassische Nachfrage nicht fehlen: Ganz Deutschland?

*** Und ach ja, beim Nachfragen nicht zu vergessen: Was wird, das fragt sich die SPD auch noch immer. Inzwischen sehen sich bereits einige Gazetten zu Trostpflästerchen veranlasst in Form von Artikeln, die die alte Tante an eine noch gar nicht so lange verflossene Zeit erinnern, als sie sich mit einem Vorsitzenden Scharping herumplagen musste – verglichen damit ginge es der Sozialdemokratie doch gar nicht soooo schlecht. In manchem Trost liegt wirklich eine gehörige Portion Gehässigkeit ... Aber was soll's, der Aufschwung ist ja da, Google darf die Rezession für beendet erklären, die IT-Branche macht wohl auch für den Rest der Earnings Season in der kommenden Woche auf Optimismus. Die Bankster bekommen diesmal mehr Geld denn je. Was soll uns da noch passieren? Alles wie immer, alles ändert sich. Ob Gold dabei herauskommt, wenn man Schwarz und Gelb mischt? Das wäre mal eine gelungene Form der Alchemie. Das Publikum harrt gespannt der versprochenen goldenen Zeiten.
"Wir stehen selbst enttäuscht und sehn betroffen,
Den Vorhang zu und alle Fragen offen."

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 25 Oktober, 2009, 04:57
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Willkommen, willkommen, in der norddeutschen Tiefebene! Verglichen mit anderen Teilen Deutschlands sind wir rund um Hannover bekanntlich mantamäßig tief gelegen. Nur 50 Meter runter und das Wasser plätschert wie unser neuer Gesundheitsminister Philipp "Augenarzt" Rösler, auch er ein waschechter Hannoveraner. Das hat auch seine Vorteile: Hier sind wir, die Heisefans und Heisetrolle, die in der Wikipedia gerade als geistige Einzeller bezeichnet werden, ganz unter uns. Man könnte es ein Klärbecken nennen, wie es eines bei meiner dreigeteilten Hauskläranlage gibt: Eine große braune Masse schwimmt im ersten Becken, dazwischen quirlt unablässig ein lustiger roter Propeller herum. Das ist der Bakterien-Animator. Nicht viel anders verhält es sich mit der gewirbelten Scheiße, mit der in der Wikipedia Fefes Blog gerade von Animatoren auf Relevanz abgegrast wird, komplett mit strafrechtlichen Androhungen durch 'liberale Humanisten', die im Rest der Wikipedia den, dessen Namen nicht genannt werden darf, löschen. Freiheit ist immer die Freiheit des anders Löschenden.

*** Wo die Wildschütz-Kugeln der Intoleranz geladen werden, darf der Disclaimer natürlich nicht fehlen, gerade heute, wo die Uhren gleich still stehen werden, während die Links unruhig rascheln: Diese kleine Wochenschau ist zum 500. Jubiläum vom grundüblen Fefe mitgestaltet worden hat sich einmal am allseits bekannten Fefe-Format versucht und ist damit alles andere als NPschnüV, von Relevanz ganz zu schweigen. So ein Disclaimer funktioniert auch andersrum, denn für eine erste Orientierung im Meer der Irrelevanz sind sie alle ganz brauchbar, diese Forenwikis, Wikipedias, Camelopedias, Stupidedias, Uncyclopedias und Deletionpedias, bis hin zum Müll von Marjorie oder dem jeden Manta fernen Citizendium. Nehmen wir nur den Geburtstag des großartigen Kolumnisten und Wissenschaftsautors Martin Gardner diese Woche, so bietet schon die deutsche Wikipedia eine ansprechende Zusammenfassung, von der ziemlich bösartigen Einordnung des Kollegen als "Unterhaltungsmathematiker" einmal abgesehen.

*** So eine erste Orientierung hat schon Vorteile, wie ein Blick auf die Wannsee-Konferenz zeigt. Sie nimmt die aktuelle Ausgabe des Testmagazins Facts zum Aufhänger, um ein Konferenzsystem von Philips vorzustellen. Allerdings gilt journalistisch auch die eiserne Regel 3 der tapferen Rechercheure: immer auf die Diskussionsseite gehen und sich die Versionsgeschichte anschauen. Solche Dimension, gewissermaßen auffaltbare Zusatz-Tiefebenen, die wünscht man sich auch für andere Dinge wie den unflätigen Gedanken eines Sarazenen, die jetzt, von Philoso-Viehtreibern zum geistigen Rübenschwein geadelt, vom Zorn der Wahlgewinnler künden. So bekommen wir die Meritokratie, die wir verdient haben. Nur unsere Super-Nanny bleibt.

*** Willkommen in der schönen neuen Gründerrepublik Deutschland, im Land, in dem sich Bildung endlich wieder lohnen soll, auf dass jeder Mensch so flexibel ist wie das die Politik vorexerziert. Regiert wird wie bei Bayern München, wo Philipp Lahm mal rechts, mal links verteidigt: Der Verteidigungsminister wird Arbeitsminister, der Wirtschaftsminister verteidigt am Hindukusch und der Innenminister bewacht jetzt unsere Banken. Ein krönender Abschluss für einen, dessen Karriere im Finanzamt Freiburg begann. Der Politiker, der am häufigsten die Abschaffung des Entwicklungshilfeministeriums forderte, leitet es jetzt. Wer einen Blick in den Koalitionsvertrag wirft, findet in Zeile 4776 das Leistungsschutzrecht für den Online-Bereich. Was immer jetzt als besondere Online-Verwertungsgesellschaft etabliert wird, sie dürfte eine echte Lachnummer werden, vergleichbar mit dem Metis-Quatsch der VG-Wort. Wenn sich der Frühtau der Pfeilfroschkoalition gelegt hat, wird daraus die VUKPUH werden, die Verlags-Urheberrechts-Kopf-Pauschale-Unzähliger-Holzverarbeiter – und das urgoogle Böse wird nach wie vor indizieren und den jammernden Verlegern Traffic in die Hütte spülen. "Das Internet darf kein urheberrechtsfreier Raum sein" – komplett mit Internetsperren nach dem Vorbild der Gallier, so sieht der Fortschritt aus.

*** Man kann es wahlweise als großen Erfolg sehen oder als liberales Spurenelement, wenn die Internetsperren und das entsprechende Zugangserschwernisgesetz ab Zeile 4380 erst einmal ausgesetzt sind. Wenn sich die Polizeibehörden zusammen mit INHOPE daran machen, Kinderpornographie im Internet zu löschen. Auch die Beschränkung der Vorratsdatenspeicherung in Zeile 4894 auf Fälle der Gefahrenabwehr kann ein großer Erfolg sein oder das letzte liberale Zucken eines Frosches im bekannten Warmwasserglas, unter dem ein Brenner steht. "Gefahr für Leib, Leben und Freiheit" ist eine Formulierung, gegen die die schwammigen Relevanzkriterien der Wikipedia wie harte Messlatten erscheinen. Das Gejammer der polizeilichen Seite, dass nun das Bundeskriminalamt an die Kette gelegt wurde und Terroristen in Deutschland freie Bahn haben, ist Pose. Mit einer kleinen Warnung, dass der nächste Link zum BKA geht, zeigt sich die moderne Behörde, die in dieser Woche erstmals einen Online-Betrüger zum meistgesuchten Verbrecher ausgeschrieben hat. Ja, das ist alles wirklich eine lange Geschichte – und man tut Anat Fort Unrecht, ihr Album damit in Verbindung zu bringen, wenn man auch so melancholisch werden könnte wie die Variationen von "Just Now" klingen.

*** An dieser Stelle ist eine Entschuldigung fällig, verleitete doch der letzte Ausblick auf die Woche den einen oder anderen, sich in einer Übersprungbewegung bei der Wahl zwischen Windows 7 und Ubuntu für den zeitgleich erscheinenden Asterix-Comic zu entscheiden. Entschuldigung, das Heft ist unfassbar Maßen schlecht, mit Witzen über Navis (Normannischer Aquavitstimulierter Verkehrs-Indikator), die es nicht mal in ein Mad-Heft schaffen würden. So bleibt die traurige Tatsache übrig, dass nach der Reise zu den Belgiern wohl kein Asterix-Comics von Format mehr aufschlagen wird.

*** Zum Angriff, zum Angriff: Heute vor 155 Jahren startete der Todesritt der leichten Brigade, den die Asterix-Comics mit stürmenden Galliern gleich mehrfach ironisierten. Die noblen 600, die in die Fänge des Todes einritten, stehen bis heute als Sinnbild für heroische Taten ohne Sinn und Verstand. Mit der Stichwahl in Afghanistan, mit dem neuen Verteidungsminister kommt vielleicht Bewegung in eine verfahrene Situation, die es zu beenden gilt. Möglicherweise startet unter Herrn zu Guttenberg eine neue Eskalationsstufe des Wahnsinns der NetOpFü, komplett mit dem G1 von T-Mobile und der Software RATS, die Kämpfer in einer Buddy-Liste verwaltet. Damit bin ich längst bei ...

Was wird.

... angelangt. Wo bleibt das Positive fragt der geneigte Heise-Einzeller. Ist es mehr als die "zusätzliche" Stunde Schlaf morgen früh? Nunja, mit Bettina Wegner könnte man jetzt singen "Sind so kleine Schritte, mit kleinen Füßen dran". Wie wäre es ganz zwei-nullich mit dem "operativen Programm Innenstadt" und der ersten Speakers' Corner, die in Essen entstanden ist, mit freier Rede für Jedermann, unterstützt vom Internet? Ojemineh, bildet sich da etwa ein rechtsfreier Raum auf Essens Straßen? Nunja, die Macher kommen von der Angezogen-Sauna, deren Effekt nicht gefunden werden konnte. Sie müssen noch ein bisschen optimieren.

Und übrigens, noch was: Nein, die Fortsetzung von Winnie der Puh war eine Enttäuschung, Asterix war, wie erwähnt, mau und das, was Eoin Colfer da als Anhalter-Epopoe geschrieben hat, ist medioker, um es nett zu sagen.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 01 November, 2009, 00:11
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Imagine, if you can, a small room, hexagonal in shape, like the cell of a bee. It is lighted neither by window nor by lamp, yet it is filled with a soft radiance. There are no apertures for ventilation, yet the air is fresh. There are no musical instruments, and yet, at the moment that my meditation opens, this room is throbbing with melodious sounds. An armchair is in the centre, by its side a reading-desk – that is all the furniture.
Heute vor 100 Jahren erschien die Kurzgeschichte The Machine Stops von E.M. Forster in der Oxford and Cambridge Review. Sie handelt von einer fernen Zukunft, unserer Zukunft, in der die Menschen in ihren Waben sitzen, mit Videotelefonie (cinematophote), Skype und Twitter kommunizieren in ihrer schönen virtuellen Welt. Alle Menschen sind unablässing damit beschäftigt, ihre "Ideen" zu kommunizieren, denn die Sorge für Licht, Energie, Nahrung und Gesundheit hat ihnen die Maschine abgenommen. So sitzen sie denn in ihren Waben, die ihnen die Maschine zugewiesen hat und lauschen dem endlosen Geschnatter von Ideen. Alles ist relevant und interessant in dieser Welt der Wabenmenschen und ihrer endlos großen Enzyklopädie, an der sie arbeiten; und so erfahren wir gleich zu Beginn von einer Frau namens Vashti, die einen Vortrag über "Music during the Australian Period" vorbereitet und dabei per Videokonferenz von ihrem Sohn Kuno gestört wird.

*** Es ist unsere Online-Welt, die Forster da vor 100 Jahren beschrieben hat.  Nun gut, Online kannte er nicht, weil dieses Internet etwas später startete, und so verlegte er die Menschenwaben ins Innere der Erde. Selbst die 1966 von der BBC produzierte TV-Erzählung konnte sich nur vage vorstellen, was uns heute völlig klar ist. Die Welt, in der Skype und Twitter herrschen, sich Menschen mit Leidenschaft in den Hohlräumen einer Relevanzdiskussionen  tummeln, das kommt zu kleinlich daher für eine große Vision. Wer es moderner haben will, sollte sich das Video der Freise-Brüder anschauen, in dem Benthams Panoptikon auftaucht. Wenn dann die Klage von Kuno, dem missratenen Sohn, von einer Band namens Level 42 gespielt wird, zeigt sich die Aktualität von Forsters Erzählung: 42 ist nicht mehr die Antwort auf alle Fragen.

*** Kuno wird auf der Erdoberfläche, die Sterne bewundernd, von einem wüstenwurmartigen "Mending apparatus" eingesammelt, aus dem die Macher von Pixar später WALL-E entwickelten. Der Drecksauger-Apparat ist der Teil der angebeteten Universalmaschine, der für die Reparatur der Maschine selbst zuständig ist. Denn die ist unkaputtbar, wie es im "Buch der Maschine" versichert wird. Dieses Buch, dass das noch verbliebene gesammelte Wissen der Menschheit enthält,  wird von den Menschen in ihren Waben wie die Bibel geküsst und verehrt. Die Ideen, die die Menschen unablässig diskutieren, werden von Forster beschrieben, als hätte er einen Streifzug durch Relevanien anno 2009 gemacht:
First-hand ideas do not really exist. They are but the physical impressions produced by live and fear, and on this gross foundation who could erect a philosophy? Let your ideas be second-hand, and if possible tenth-hand, for then they will be far removed from that disturbing element – direct observation. Do not learn anything about this subject of mine – the French Revolution. Learn instead what I think that Enicharmon thought Urizen thought Gutch thought Ho-Yung thought Chi-Bo-Sing thought Lafcadio Hearn thought Carlyle thought Mirabeau said about the French Revolution.

*** Am Ende setzt die Maschine aus, beginnend mit Sprachfehlern wie weiland beim Supercomputer Hal 9000. Die Menschen in ihren Waben sterben, auch Vashti und Kuno. Es fehlt die Energie, die Systeme zu unterhalten. Erst heutzutage ist die Lösung des Menetekels Energie in Sicht. Auf der Oberfläche der Erde leben "Heimatlose" weiter. Sie haben vielleicht die Chance, eine neue Gesellschaft zu entwickeln, diesen Schluss lässt Forster offen. Forsters Kurzgeschichte war angeblich eine Reaktion auf Wells Erzählung Wenn der Schläfer erwacht. Auf eine düstere Geschichte folgt eine düstere Geschichte, weil Forster genauer ist: Nicht der Mensch Graham überlebt den Lauf der Zeiten, sondern die Maschine, die Graham am Leben erhält. Die Geschichte der stoppenden Maschine von 1909 erschien noch einmal in einer Sammlung 1928, in der Forster über Freiheit und Sicherheit schreibt:
We are willing enough to praise freedom when she is safely tucked away in the past and cannot be a nuisance. In the present, amidst dangers whose outcome we cannot foresee, we get nervous about her, and admit censorship.

*** Was sind schon Betriebssyteme im Angesicht der düsteren Projektionen der Altvorderen? Kann uns nicht das überaus erfolgreiche Windows 7 aufheitern, als Versprechen auf eine schöne Zukunft? Nein! Nein, nein und abermals Nein:
Auf das uns das große Nichts umfange, das uns Träume zu neuen Sternen steuern soll.
Hinter der gründlich renovierten Fassade dieses OS (Operating System) klafft ein existenzielles Loch. Es fehlt ein Leben, das Verheißung, Zukunft, Versprechen wäre.

*** Alle sitzen in ihren Waben, ohne Verheißung, und die schäbigsten Waben gibt es offenbar  bei der Süddeutschen Zeitung, draußen vor der Stadt. Kein Vergleich mit Japan, wo die Begeisterung für Windows 7 in einer Fleischorgie endet, damit die Japaner nicht in dieses existenzielle Loch fallen können. Wie kommt es, dass Menschen anno 2009 von einem schlichten Betriebssytem Verheißung, Zukunft und Versprechen erwarten? Wann wird das iPhone als Bibel der Menschheit geküsst?

*** 80 Jahre nach der Veröffentlichung von The Machine Stops erschien am 1. November die PC-Version des Spiels "Micropolis", das nach Protesten eines Hardware-Herstellers in SimCity umgetauft wurde. Wer Mauern errichten und Straßen planen wollte, musste sich eine hochauflösende EGA-Grafikkarte anschaffen. Die Vorstellung der PC-Version am Vorabend der Comdex in Las Vegas fiel mit dem Zusammenbruch einer anderen Simulation zusammen, die sich Sozialismus nannte.  SimCity war nicht nur die erste Aufbausimulationsspiel seiner Art, sondern in den Worten des Entwicklers Will Wright eine neue Art im Umgang mit dem Computer, die an E.M. Forster erinnern lässt:
When does a game cease to be a game? Is it when the computer feels like an organic extension of your consciousness or when you may feel like an extension of the computer itself?

** Ja, sind wir nicht alle Erweiterungen unserer iPhones und G1s, kleine Androiden auf dem Weg zum Daueranschluss an die große Maschine? Die religiöse Inbrunst ist ja nicht weit,  man denke nur an strunzdumme Sätze wie Das Internet vergisst nicht. Wer solches Geschlämme gar in ein Internet-Manifest schreibt, hat früher sicherlich auch an höhere Wesen geglaubt, die alles sehen und wartet auf das Fegefeuer, in dem all die Texte wieder ausgebuddelt und vorgelesen werden. Die Hölle, das  ist der Datenspeicher ohne MTBF.

Was wird.

Folgt man den Miszellen, so war der erhabenste Augenblick im Leben von Claude Elwood Shannon der Moment, an dem Albert Einstein in seine Mathematikvorlesung kam und zuhörte. Einstein blieb nicht lange, flüsterte mit einem Studenten und ging wieder. Shannon erkundigte sich später bei seinem Studenten, was der große Einstein gesagt habe: "Er hat sich nach der Männertoilette erkundigt." Die kleine, von Shannon erzählte Geschichte beweist, dass der Mann Humor hatte. Der wissenschaftliche Begründer der Kryptographie baute Zeit seines Lebens liebend gerne sinnlose Maschinen und kuriose Spielzeuge und passt schon deshalb bestens in diese kleine Wochenchronik. Am kommenden Donnerstag wird in Paderborn die Ausstellung Codes und Clowns eröffnet, auf der einige von Shannons Maschinen und Spielzeugen zu sehen sind. Zum 100. Jubiläum von "The Machine Stops" darf Shannons Kommentar nicht fehlen: Wer die Ultimative Maschine einschaltet, kann erleben, wie sie sich ausschaltet. Wollen wir wirklich in einer Welt leben, die das Menschenrecht auf einen Ausschaltknopf missachtet?

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 08 November, 2009, 00:08
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Grau, grau, grau ist nicht die Theorie, mein Freund, sondern der Himmel über der norddeutschen Tiefebene. Ein tristes Novemberwetter herrscht, und alle, wirklich alle Zeitungen beschäftigen sich erinnerungsgesättigt mit dem "Schicksalstag der Deutschen", diese Luftschiffer des Geistes. Unter grauen Himmeln fliegt es sich niedrig dahin. Ja, könnte man denn nicht einen anderen Himmel beschreiben, wie es der große Isaac Asimov getan hat, als er dem Skymail-Projekt antwortete. Doch grau, grau, grau ist auch die Zukunft, der Fortsetzungs-Schund hat auch Asimov erreicht. Wahrscheinlich bekommen wir jetzt neue Robotergesetze: Ein Roboter muss im Chat, bei Twitter und im Bett seine ID-Nummer angeben, bei Strafe des Stromentzuges. Er muss die Robots.txt der Menschen lesen und beachten. Roboter dürfen den Himmel nicht beschreiben.

*** Ich hoffe, dieser Einstieg war wirr genug, um die üblichen Basher zum Wegklicken zu bringen.  Denn hier und jetzt beginnt die große Relevanzdebatte: Was die Wikipedia kann, sollte das WWW mit lechts schaffen. Wer war nun größer, relevanter und bedeutender: Claude Shannon oder Albert Einstein? Der Semiotiker Umberto Eco hat sich für Shannon ins Zeug geworfen: Wer Kultur und Kommunikation verstehen will, müsse zur elementaren Ebene hinunter, auf der Shannon geforscht hat. Seine Untersuchungen zur Unsicherheit der Kommunikation sind nun einmal die Basis, auf der ein Satz wie "Grau, teurer Freund, ist alle Theorie ..." fußt. Für Einstein spricht, dass die Gravitation und Zeit stärker unser Leben bestimmen als unsere Sprache. Man denke nur an den gravitätischen Fall des Baguettes, der die Urknallmaschine außer Gefecht setzte. Dann ist da noch die Zeit.

*** "Wenn ich arbeite, dann erlebe ich Augenblicke der Angst, aber wenn ich nicht arbeite, dann empfinde ich dumpfe Unlust, und mein Bewusstsein durchbohrt mich. Das Arbeits-Leben ist nicht lustiger als das andere Leben, aber wenigstens merkt man nicht, wie die Zeit vergeht. In seiner Autobiographie hat Claude Lévi-Strauss die Sache mit seinem Leben auf den Punkt gebracht. In der Nacht zum letzten Sonntag ist er gestorben, kurz vor dem 101. Geburtstag. Vielleicht wird man sich darauf einigen können, dass Lévi-Strauss größer ist als Shannon und Einstein, verdanken wir ihm doch die Erkenntniss, dass der Mensch ein Scheinriese ist. Verabschieden wir uns mit einem ganz besonderen Stück: Bei mir bist Du scheen.

*** Arbeit kann erfüllen, aber auch schnell beendet sein. Diese Erfahrung machte in dieser Woche niemand anderes als der geheime Chef der deutschen Terror-Abwehr, Innen-Staatssekretär August Hanning. Der ganze Vorgang ist ein Beispiel für den schnellen  Grenzwechsel in der schwarzgelben Koalition, mit einem kleinen Beigeschmack von Rache durch den neuen Innenminister. So etwas nennt man heute Wandelismus.

*** Zu den schnellen Erfolgen der neuen Bundesregierung zählt der Start einer Debatte über die PKW-Maut, komplett mit unsinnigen Überlegungen, die LKW-Mauttechnik in die PKWs zu stopfen. Dabei wird gerne vergessen, dass der "Erfolgsschlager Maut" von der Verwertungsfirma Satellic genau 0 Mal ins Ausland verkauft werden konnte. Niemand will das teure Spielzeug haben, an dem vor allem die Betreibergesellschaft Toll Collect kräftig verdient. Bis die europäische Mauttechnik kommt und der Erfolgsschlager abgewrackt werden muss, soll dieses heikle Thema ruhen. Insofern ergibt der forsche Slalomstil des Verkehrsministers Sinn.

*** Das Ramsauern hat Methode. Er muss auf seinen Kollegen de Maizière warten, der im Rahmen des Projektes elektronische Identitäten nicht nur den super sicheren elektronischen Personalausweis in der Schublade hat, sondern auch das elektronische Nummernschild unter dem etwas sperrigen Namen "elektronische Identität im Strassenverkehr". Mit diesem seine ID-aussendenden Teil wird die PKW-Maut ganz ohne OBU-Gedöns sehr einfach eingeführt werden können, ganz ohne Beschädigung der Privatsphäre. Notfalls hängt man neben die obligate Dufttanne eine Privacy Box an den Rückspiegel, in der ein Versprechen auf Privatheit steckt wie einer dieser sinnlosen Glückskeks-Sprüche.

*** Endlich, endlich hat Sloterdijks Manifest vom "Aufbruch der Leistungsträger" seine Gefolgschaft gefunden, natürlich im Zentralorgan der Altbaubewohner. Hatz auf Textdiebe eröffnet, heißt es da, und vor lauter Tralali sind auch die Fakten hübsch verdreht: Der Blogger kopierte keinen Artikel, sondern zitierte etwas viel, und das auch noch aus einem Zeit-Artikel, der das Abwaschwasser-Niveau des Gerüchteportals TMZ locker unterbot. Wer sich für die juristischen Aspekte interessiert, kann hier und hier und hier weiterlesen.

*** In dieser Wochenschau geht es um den Hass auf das Prekariat, den die neuen Leistungsträger tragen, der exemplarisch so gelesen werden kann: Wieviel Geld verdienen Sie denn so in der Branche, wenn Sie meinen, mir vom hohen Ross herab Ratschläge erteilen zu können? Und ich rede jetzt nicht von Bafög, Transfereinkommen, einer Assistelle oder milden Zuwendungen eines gemeinnützigen Trägers, wo Ihr Papi jemanden kennt, sondern von bezahlten Veröffentlichungen?  Leistungsträger wollen mit Freuden rundum sorglos leben. Auffallend häufig tauchen in den gesammelten Anmerkungen der Autorin aus Manhattan, in diesem unfassbar peinlichem Geschreibe die Begriffe Bafög, Staatsknete und gemeinnützige Töpfe auf. Die Leistungssträger von heute sind die Berechner des neuen Wirtschaftswunders und verteilen ihre eigenen Denkzettel. Dazu ein Klecks Sloterdijk: "Wir leben in einer Kleptokratie.".

*** Kleptokratie? Die Herrschaft des Kleps? Wenn dem so ist, erübrigen sich alle Kommentare zu Opel, eine Tochter von General Motors. Womit derzeit offenbar die besseren Politologen beschäftigt sind: solange es um die Wahl von Kinder-statt-Inder Rüttgers geht, ist Deutschland epressbar. Solange wird von der neuen deutschen Rgierung ein Möbchen inszeniert. Zu dumm nur, dass dieses hübsche Wort dank Amazons Werbe-Unsinns-Geranke bei einem Schleimspursurfer auftaucht, der im taz-Umfeld Haltungsnoten verteilt.

Was wird.

Morgen, Kinder, wirds was geben, morgen werden wir uns freun. Jeder Wessi küsst einen Ossi, welch ein Leben wird in unsrem deutschen Hause sein! Das Schöne daran: Die solchermaßen Bescherten wie die Bescheuerten, das Datum Feiernden müssen mindestens 30, 35 Jahre alt sein, um in diesen tranigen Aufgüssen von damals ihr ganz besonderes Leckerli zu finden. Endlich ist die twitternde Gackerei aus, die  Netzpolitik abgeschafft und die staatstragende Brust kann durchgedrückt werden. Doch leider trieft es larmoyant. Bis anhin, schweizerisch gesprochen, zählen die Erinnerungen von Lothar Bisky zu den besten Stücken in der Erinnerungsorgie. Noch besser ist eigentlich nur ein Interview – in dem der Mauerfall keine Rolle spielt. Bloß nicht aufhören!

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 15 November, 2009, 00:05
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Man setzt sich an den Schreibtisch, nachdem man die Spaziergängerin von Sans-Souci angeschaut hat. Und eigentlich weiß man nicht so recht, was man noch zu sagen hat, nachdem man die Geschichte von Max, Elsa und Michel erzählt bekam. Vielleicht hilft es ja, sich die Absurdität des Romy-Films vorzustellen, in dem eine völlig deplatzierte Jessica Schwarz eine Romy Schneider darzustellen versucht, die auch nur halbwegs der Historie gerecht wird – und das in seiner plattesten Bedeutung. Es ist halt doch nur ein Film, Romy hier, Sans-Souci da. Nur die Geschichte hinter dem Film, die Geschichte, man mag mich für sentimental halten oder für historisch und persönlich voreingenommen, diese Geschichte macht immer noch sprachlos. Aber was soll's, Sentimentalität und Voreingenommenheit hilft manchmal auch weiter.

*** So ist das. Hannover trauert um Robert Enke, den seine Krankheit in den Tod getrieben hat. Depression ist eine Krankheit, an der Millionen Menschen in Deutschland leiden, das wird leider viel zu selten ausgesprochen. Wenn Hannover trauert, dann nicht, weil die Stadt so deprimierend ist, wie Messebesucher lästern. Die Stadt kennt das Schicksal der Familie Enke, die Adoption der kleinen Leila nach dem Tod von Lara war im Mai eine öffentliche Angelegenheit, wie jetzt die Trauer. Es ist, abseits des medialen Tamtam, eine hannoversche Trauer, keine Heldenverehrung. Robert Enke ist dabei, die Lady Di der norddeutschen Tiefebene zu werden. Natürlich wird das Ganze medial verwurstet, komplett mit den unvermeidbaren Idioten, die auf der Suizidwelle surfen. Doch die Trauer ist echt und es gibt auch echte Paparazzi. Wo bleibt der Zeigefinger? Ah ja: Nur die Treuen haben ein Recht, jetzt zu trauern, heißt es in der sterbenden Netzeitung.

*** In Hannover sitzt der Heise-Verlag, der einen "Newsticker" betreibt. Nachrichten, die die IT-Welt so produziert, werden redaktionell ausgewählt und aufgearbeitet, mehr oder minder geschickt ergänzt, mit alten Nachrichten verschlagwortet und zum Lesen und Kommentieren Online gestellt, dann von anhänglichen Lesern diskutiert und mit Hinweisen und Tipps versehen, die häufig genug zu neuen Nachrichten führen. Die Heise-Community lebt und ist auch in der Lage, über den Tellerrand zu schauen, wenn IT nur ein Randthema ist, etwa bei einem historischen Jubiläum. Das Tagesaktuelle und die Tatsache, dass der Newsticker ein kommerzielles Produkt ist, unterscheidet das Angebot von der Online-Enzyklopädie Wikipedia. Sie sorgte in letzter Zeit für Schlagzeilen, weil eine besondere Art von Trollen das Regiment übernehmen will. Dazu hat es natürlich eine Nachricht gegeben, doch sollte man einmal genauer hinschauen. So heißt es in der Löschdiskussion um Wikimedia zur Relevanz dieses Newstickers:

"Du schreibst es doch selbst 'Newsticker'. Also nichts anderes als eine Agenturmeldung. Und das ist nun mal keine überregionale mediale Aufmerksamkeit. Wenn die Presse die Agenturmeldung aufgreift und verbreitet, dann wird mediale Aufmerksamkeit draus. Und das Chaosradio ist ein Podcast für eine Minderheit ohne nennenswerte Außenwirkung abseits der Minderheit. Nur weil Du Teil der Minderheit bist, darfst Du nicht darauf schliessen, dass die Mehrheit das auch irgendwie interessiert."

In der bornierten Weltsicht eines Wikipedianers hat der Newsticker keine Relevanz, erst wenn die "Presse" aufgreift und druckt, dann entsteht etwas, was den modernen Enzyklopädisten wert ist, ins Elysium der gespeicherten Weisheit einzutreten. Natürlich folgt der scheinbare Irrsinn dieser Relevanz-Argumentation einer Methode, die bereits André-François Le Breton kannte, einer der Verleger von Diderots Encyclopedie: "Nichts kann sich auf unsere Geschäfte besser auswirken als die fortgesetzten Kontroversen und das Freiwilligenkorps von Autoren", das so im Diskurs entstehe. Das ganze Geschehen und Vorschläge zur Besserung wären nicht mal für diese randständige Wochenschau relevant, würden die Kinder der Kleinkariertheit nicht immer den Namen Rachsucht tragen.

*** Begriffe wie Häcksen oder die Geschichte der Bayerischen Hackerpost und andere Einträge zum Gewese der Hacker sollen gelöscht werden, selbst "42" ist solchermaßen in die Schusslinie gekommen.  Vor mir liegen sämtliche Auflagen des Hackers' Dictionary und des New Hackers' Dictonary. Das sind Bücher, die aus einer "Datei" namens Jargon File enstanden sind, zusammengetragen von vielen Freiwilligen. Verschwinden die Hackerinformationen aus der Wikipedia wie die Wikipedia-Stände vom Hacker-Kongress, so wäre es das Schlechteste nicht, wenn dabei zur Abwechslung mal ein Buch herauskäme. Ich meine das ganz wörtlich, nicht existenzialontologisch verbrämt mit einen Rückgriff auf Lyotard. Wenn man sieht, wie sich die Drachennester vermehren, gibt es einen Nischenmarkt und eine Minderheit, der die deutschen Meisterschaften im Schnelllöschen herzlich egal sind.

*** Spätestens bei Kontodaten hört jede Relevanzdiskussion auf. Ein Mensch mag für das Weltwissen noch so unwichtig sein, das Wissen über sein Konto ist es nicht, zumindest nicht für die staatlichen Inklusionisten in den USA oder den in Finanzdingen außerordentlich offenen Schweden. Dagegen gibt es nun doch Bedenken, dass Bankdaten via SWIFT so ohne weiteres in das Terrorist Finance Tracking Program fließen dürfen. Aber gehört nicht SWIFT zu den Guten, den freundlichen Bankern, die gegen diese Ausspähereien ein eigenes Rechenzentrum in der Schweiz gebaut haben? Davon ist nicht die Rede, kommentiert die Pressestelle von SWIFT die neuesten Verwirrungen doch so: "Das Schweizer Rechenzentrum ergänzt die bereits existierenden Zentren in den USA und den Niederlanden. Es werden keine Rechenzentren geschlossen. SWIFT betreibt seit Juni 2009 in der Schweiz ein drittes Rechenzentrum in gemieteten Räumlichkeiten in der Umgebung von Zürich. Die Inbetriebnahme dieses Rechenzentrums ermöglichte SWIFT, die Verarbeitungskapazität und die Ausfallsicherheit seines globalen Nachrichten-Übertragungssystems zu erhöhen und mit der Einführung geografischer Verarbeitungszonen eine flexiblere Netzwerkarchitektur zu schaffen."  Gut, dass wir mal wieder drüber geredet und nicht etwa unverbindlich herum gemailt haben. Flexibilität ist doch was Feines, sagte das Häkchen und verbog sich geschmeidig.

*** Keine Musike in diesen trüben nebligen Herbsttagen? Aber nein, das muss nicht sein. Erinnern wir uns an Video Killed the Radio Star von den Buggles, das vor 30 Jahren erschien, passend zum Geburtstag des Autors hinter dieser Geschichte. Sie wurde in Deutschland als der Klangsauger bekannt. Das Musikvideo, das die  Buggles etwas später drehten, war das erste Video dieser Art, das von MTV ausgestrahlt wurde. Deshalb gilt für heute: Hebt den Balken hoch, Zimmerleute, vor James Graham Ballard und seinen Geschichten, damit der Splitter im eigenen Augen nicht schmerzt.

Was wird.

Gesundheitsminister Philipp Rösler hat das gehalten, was man im Neusprech der Politiker eine Jungfernrede nennt. Ihn ereilte nicht das Schicksal seines Kollegen Verteidigungsminister, dessen Rede nach den Ereignissen um Robert Enke wortistisch als Erfüllungsdepression beurteilt wurde. Bei seinem ersten Mal am Bundespult verteidigte Rösler das, was technisch "Einfrieren des Arbeitgeberanteils" bei der Krankenversicherung heißt. Diese Art Kältetod des Sozialsystems wollen die Koalitionsgenossen von der CSU aber das ganze nächste Jahrzehnt nicht mitmachen. Oh pardautz, da fällt er hin: Das ganze nächste Jahrzehnt geht bis 2020 und dann will Jungminister Rösler längst wieder Privatier sein, weil 2018 sein Ausstieg aus der Politik angeblich beschlossene Sache ist.

Rösler, der Geimpfte, wird trotzdem nicht auf der Medica erscheinen, die in der anstehenden Woche ihre Pforten öffnet. Mit seinem Durchhaltebefehl für die elektronische Gesundheitskarte hat er der Messe jedoch einen großen Gefallen getan. Fehlt nur noch, dass er in Erinnerung an den großen, unvergessenen Freitodler Jürgen Möllemann und seinem Einkaufswagenchip die virenresitenten Schlüssel propagiert, mit denen ängstliche Naturen versiffte Tastaturen bedienen sollen.

Unter den vielen Neuigkeiten der größten Medizinmesse der Welt finde ich die Waage von Withings ganz wunderbar, die jeden Morgen meine Werte als Tweet nach Twitter schickt, damit die ganze Welt weiß, was für ein Fettsack ich bin und wieder einmal in der Muckibude nichts getan habe. Das natürliche Ergänzungsmittel ist in diesem Fall ein OP-Tisch mit Heavyweight-Funktion. Abseits von diesem Trend-Thema können Ärzte aus der umliegenden Rollout-Region Nordrhein am Stand der Gematik staunend miterleben, wie das mit der neuen Karte "in Echt" gehen soll. Die gequälten Hilfeschreie aus den bereits versorgten Praxen wird in den Messehallen niemand hören können: Ein Drittel der neuen Karten hat offenbar Probleme, sich den neuen Lesegeräten verständlich zu machen. Diese Geschichte bleibt unterhaltsam.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 22 November, 2009, 00:06
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Sehen wir der Realität ins Auge: Der Mensch ist eine leicht depressive Maschine inmitten der Natur, die ein selbstregulierendes System ist. Maschinenmäßig wird unser Leben organisiert, ein bisschen Willensfreiheit ist nur Dekor: Wir haben die Wahl, ultimative Maschinen zu bauen oder ultimative Maschinen zu kaufen, am besten Aliens mit rotglühender Zunge für ein Leben am USB-Anschluss. Der Mensch ist von Tieren wie Knut umgeben, "Maschinen fast so vollkommen wie wir". Mitunter plagen den Menschen Gedanken, die in einer "gut erleuchteten Maschine" namens Gehirn entstehen. Bei schlecht gewarteten Maschinen können dies Trübungen sein und Annahmen über höhere Wesen, während die besten Maschinen zur Selbsterkenntnis kommen: "Diese Welt wird niemals glücklich sein können, wenn sie nicht atheistisch ist."

*** Wenn die Maschine Mensch nicht richtig funktioniert, so produziert sie Schuldgefühle und es entsteht das, was manche Menschen ein Gewissen nennen. Es verhindert den Genuss ohne Reue und macht aus den großartigen Maschinen geknickte, leicht depressive Gebilde, die den aufrechten Gang verlernt haben. Die Schuld an der Schuld trägt natürlich die Erziehung, die aus freien Maschinen abgerichtete Automaten macht, die den erlernten Werten freiwillig gehorchen: Morgen vor 300 Jahren wurde der Arzt und Philosoph Julien Offray de La Mettrie geboren, aus dessen Theorie des Über-Ichs und der Erziehung diese Gedanken stammen. Wenn überhaupt, ist La Mettrie heute als Hofnarr Friedrich des Großen bekannt, der an einer Fasanenpastete erstickte, oder als Ergebnis einer unglücklich verlaufenden Internet-Suche im Roman Der Augenblick der Liebe.

*** Wahrscheinlich hätte La Mettrie seine helle Freude an HAL, jenen exoskelettigen Hilfsmuskeln, mit denen auf der Medica in dieser Woche schmächtige Japaner gestapelte Kartoffelsäcke durch die Halle tragen konnten. Und der Kritiker der Ärzte, die von neuen Sachen nichts wissen wollen und nur um ihre Pfründe besorgt sind, hätte auch nach Düsseldorf gepasst. Selbst die dubiosen Methoden der Pharmabranche, die jetzt von Wikileaks mit Ermittlungsakten aus dem Ratiopharm-Skandal beleuchtet werden, wäre einem La Mettrie nicht fremd gewesen. Käufliche Ärzte und bestechende Quacksalber gab es auch zu seiner Zeit. Eher etwas für unsere Zeit ist die Frage, ob die Strafanzeige von Ratiopharm gegen Wikileaks Erfolg haben wird. "Ein Firmenpersönlichkeitsrecht" kannte man im Zeitalter der Aufklärung noch nicht.

*** Nur für das Gezeter und Gejammer eines reichen Investors über die wieder einmal abgespeckte Gesundheitskarte hätte es einiger Erläuterungen zum deutschen Gesundheitssystem bedurft, die den geistigen Horizont des großen Aufklärers überschreiten. Obwohl, da könnte man auch als Zeitgenosse am Verstand der Beteiligten zweifeln. Mit der neuen Karte soll eigentlich das größte deutsche IT-Projekt aller Zeiten gestartet werden, doch jetzt sieht es danach aus, als ob für einen einfachen Online-Abgleich von Versichertendaten Milliarden investiert werden. Das elektronische Rezept, der Heilsbringer des neuen Systems, wird derzeit durch Debatten um zweidimensionale Barcode-Informationen auf dem Papierrezept ersetzt, den der Arzt druckt und der Apotheker bruchlos in seine IT einlesen kann. Das ist ein Vorschlag, den der Chaos Computer Club vor vier Jahren gemacht hatte und der seinerzeit als Billiglösung nur belächelt wurde. So mancher Fortschritt ist ein echter Rückschritt.

*** Es geht aber auch anders. Mit Erstaunen wird mancher bemerken, dass aus der waffenstarrenden inneren Sicherheit mit Vorratsdatenspeicherung, Online-Durchsuchung und der Zusammenlegung aller Polizeien ein Duales System namens innerer Friede und öffentliche Sicherheit werden soll. Zumindest steht dies in einem Interview, das die Süddeutsche Zeitung mit unserem neuen Innenminister geführt hat. Vielleicht ist Kuschelview das bessere Wort für die besinnlich-vorweihnachtliche Plauderei über Gott und die Welt, die selbst die anstehende, unter Minister Schäuble geplante Herbstkonferenz des BKA als Beweis für den neuen Frieden wertet.  Nach Thomas de Maizière hilft Gott, "weil man sich sagen kann und muss, jeder Mensch ist in seiner Würde und damit auch in seinem politischen Gewicht gleich. Schließlich ist da das Bild vom Menschen als Geschöpf Gottes". Daran schließen sich die neckischen Frage der Redakteure an, ob Gottes Ebenbilder NPD wählen und Gott mitregiert in der neuen Koalition. Bei solch besinnlicher Lektüre hilft wieder einmal der Griff zum "Maschinendenker" La Mettrie: "Die Religion samt allen ihren Ablegern muss vernichtet und mit der Wurzel ausgerottet werden, damit die Menschen allein der spontanen Stimme ihres authentischen Ichs folgen können."

Was wird.

Aber halt. Bevor es dual losgehen kann mit dem inneren Frieden, ist eine Durchsage an alle Sicherheitskräfte erforderlich. Passend zu diesem Programm startet in der nächsten Woche die Fachmesse für Behördenfunker, eine wirklich spannende Sache. Denn die Vergabe des Regelbetriebs ist entgegen den Meldungen nicht in trockenen Tüchern. Der Haushaltsausschuss des Bundes muss der Entscheidung der Vergabekommission noch zustimmen. Besagter Ausschuss hatte in der letzten Legislaturperiode aus Verärgerung über ständige Kostensteigerungen die BOS-Mittel kurzerhand gesperrt. In der aktuellen muss Frau Merkel (Petra) erst einmal den Ausschuss zusammenrufen.

Wie gut, dass Frau Merkel (Angela) derweil schon sicher telefonieren kann. Kaum glaublich klingt dagegen die Aussage, dass in der schwarzroten Zeit unverschlüsselt gequatscht wurde. Wahrscheinlich verhält es sich mit dieser Aussage wie mit dem Lob von Frau Professorin Miriam Meckel, die US-Präsident Obama bewundert. Heraus kommt blühender Unsinn: "Wer bei Twitter erfolgreich und akzeptiert sein will, muss die Kommunikations- und Beziehungswünsche der Nutzer erwidern. Das Beispiel Obama zeigt, dass er neben Millionen Lesern auch selber knapp 750.000 anderen Twittern folgt." Ehe sich jemand wundert, wann dieser Präsident regiert: In dieser Woche gab Obama zu, dass er niemals Twitter benutzt hat.

Es liegt nicht an Weihnachten, Gott oder Thomas de Maizière, wenn nächste Woche die "White IT" ihren ganz großen Auftritt hat. Es ist auch keine Sequel zur "Green IT" und der ständigen Klage, dass Strom aus der Steckdose kommt. Nein, dieser Stoff hat andere Väter wie den IT-Lobbyisten Bitkom, Microsoft Deutschland und den niedersächsischen Innenminister Uwe Schünemann, der unsere Familienministerin Ursula von der Leyen überholen will. Er startet "White IT", das erste echte Bündnis im Kampf gegen Kinderpornographie. Lobend schreibt sein Ministerium: "Niedersachsens Innenminister Uwe Schünemann hat im Kampf gegen Kinderpornographie erstmals alle gesellschaftlichen Gruppen zusammengebracht, um endlich etwas zu bewegen. Weltweit agierende IT-Firmen, Verbände der IT-Wirtschaft und Internetprovider sind genauso dabei wie Opferschutzverbände, Ärztevertreter und Wissenschaftler." Was jetzt kommt, ist laut Ankündigung aus Hannover die erste ganzheitliche Verfolgung ihrer Art, die auf "effizientere Strafverfolgung, Opferschutz und Prävention setzt" und damit "die Internet-Politik als eigenständiges Politikfeld" entdeckt. "White IT" soll alle dunklen Stellen dieses Netzes anstrahlen. Es gibt eben Tage in der norddeutschen Tiefebene, wo Flachdenker herausragen wie die Stoppschilder des Wahlkampfes: "Im Bündnis White IT verpflichten sich alle Beteiligten, den Kampf gegen die Kinderpornographie auf allen Ebenen aufzunehmen: durch Selbstkontrolle, technische Lösungen, Prävention und rechtliche Maßnahmen." Bis zur Vorstellung des Gesamtprojektes am kommenden Freitag klingt "White IT" für mich wie eine Gammakorrektur von Andersdenkenden.

Bis dahin kann man sich etwas Zeit nehmen, den Geist frechster Gottlosigkeit zu athmen und die "cynische Sittenlosigkeit" zu bewundern, die La Mettrie zur Erkenntnis beisteuerte: "Die meisten Empfindungen und Ideen hängen von unseren Organen ab, dass sie sofort sich ändern, wenn diese eine Veränderung erfahren." Der Schließmuskel ist kräftiger als der Verstand.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 29 November, 2009, 00:11
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Es stürmt und pfeift mal wieder kräftig: Die norddeutsche Tiefebene zeigt ihren Bewohnern das berühmte, gesunde Reizklima, in dem völlig überflüssige Berge keine Chance haben und enden wie der Bungsberg, in einer Höhe niederer Relevanz. Stämmig schreiten die Bewohner der Ebene und ignorieren das bisschen Lüfterl. Sie sind andere Gefahren gewohnt. Ein guter Brieffreund – so nannte man das früher – erinnerte mich an die Rolle, die die norddeutsche Tiefebene im Kalten Krieg gespielt hatte, mit verbuddelten Kernsprengkuckuckseiern. Den atomaren Wahnsinn sind wir los und zur Dekontamination gibt es ein täglich trostbringendes Sammelsurium in der Glaserei über die Zukunft von gestern. Und den tröstlich stimmenden Soundtrack dazu liefert ein alter Sack aus Frankreich, der auch noch mal entdeckt, wie schön er swingen kann.

*** Wie in der letzten Wochenschau angekündigt, ist die weihnachtliche White IT in Deutschland angekommen, angeleitet vom Niedersachsen Uwe Schünemann. Ganzheitlich wird da von einer "knallharten Faktenbasis" aus gekämpft, zunächst gegen eine starke "Täter-Lobby" für Kinderpornos im Netz. Kommen danach die Zensurbomben gegen unliebsame Inhalte? Unterstützt wird diese Variante des White Trash von Microsoft Silverlight und dem kriminalwissenschaftlichen Institut in Hannover. Das ist nicht mit dem kriminologischen Forschungsinstitut des kernigen Herrn Christian Pfeiffer zu verwechseln. Dieser niedersächsische Forscher hatte mit seinen Kollegen einen Fragebogen zum Thema "Gewalt gegen Polizisten" entwickelt und die besondere Frechheit besessen, nach Gewalterfahrungen in der Kindheit und Jugend von Polizisten zu fragen. Dafür wurde sein Fragebogen vom netten Herrn de Maizière einkassiert, der ebenfalls in der letzten Wochenschau auftrat. So eine Kindheitsfrage suggeriere, dass deutsche Polizisten von kleinauf Gewalt gewöhnt sind, befand der Minister und verteilte eine gelbe Karte an Herrn Pfeiffer. Er ist ein geräuscharmer Schäuble, unser neuer, demokratisch gewählter Innenminister.

*** Thomas de Maizière ist gut aufgehoben inmitten einer wirklich höllisch dynamischen Regierung, die gerade eine neue Arbeitsministerin hat und eine neue Familienministerin, weil unser schönes neues Deutschland am Hindukusch einen ordentlichen Flashmob produzieren will. Nur muss dies doch bittschön dezenter kommuniziert werden als es das hessische Wahrheits-Endlager Franz Josef Jung gemacht hat. Die "verdammte Pflicht" kommt nicht zu kurz, sie ist ein deutsches Heiligtum, nicht nur am Hindukusch, wie es die ohne persönliche Schuld gebliebene Mehrheit der Soldaten der Wehrmacht und Waffen-SS vorgemacht haben.

*** Regelmäßig werden von den liebenswerten Forums-Teilnehmern auf heise online nach solchen Vorfällen die Vorteile der direkten Demokratie in unserem Nachbarland Schweiz angeführt. Zur gefälligen Kenntnisnahme der Realitäten: Die Schweizer haben sich in einer Volksabstimmung für die Einführung von biometrischen Pässen entschieden. Die Ja-Sager hatten nur 5680 Stimmen mehr und wünschten sich zudem eine zentrale biometrische Datenbank, die nach den Schengen-Regeln (die Schweiz ist hier Mitglied) gar nicht benötigt wird. In dieser Woche zeigte der Nationalrat, dass die heikle Frage neu durchdacht werden muss. Allerdings hat der Ständerat das letzte Wort. Möglichweise sagen die Schweizer ja wenigstens Nein zum Minarett-Verbot, das heute zur Volksabstimmung steht – es gibt aber wohl genug überfremdungsangstgeschüttelte Schweizer, dass das noch nicht so ganz sicher ist. Wie ist das also: Glückliche Schweiz? Das mag allenfalls für Roman Polanski gelten, der mit einer elektronischen Fußfessel an sein Chalet gefesselt ist, die über keinen GSM-Sender und GPS-Empfänger verfügt. Der Tanz der Vampire an der Jungfrauenquelle findet unterdes im Kino statt – und auf Facebook, StudiVZ und Co:  Wer heute blutig gebissen werden will, muss erst einmal seine Träume und Wünsche in Daten verwandeln. Dann kommen die Bots zum Schlürfen.

*** Datensauger der besonderen Art haben in der CDU Rheinland Pfalz ihre Heimat. Zum hehren Zwecke der brutalstmöglichen Aufklärung hat Herr Billen seine bei der Polizei arbeitende Tochter angestiftet, in der Polizei-Datenbank POLIS mal unverbindlich nach den Vorstrafen von Personen zu ermitteln. Diese hatte sich die Ergebnisse ausgedruckt und irrtümlicherweise mit nach Hause genommen. Dort hatte Vater Billen versehentlich auf ihrem Schreibtisch gekramt und die Papiere abgegriffen. Diese überaus glaubwürdige Geschichte setzte sich mit Herrn Dincher fort, der ebenfalls eine Polizistin zur privaten Computerfahndung heranzog, mit dem Versprechen, ihr eine Versetzung zu besorgen, wenn die Sache bekannt wird. Sie wurde natürlich bekannt, weil Datenbankabfragen protokolliert werden. Wer glaubt, dass solche Protokolle im Zeitalter der Vorratsdatenspeicherung nicht ausgewertet werden, glaubt wahrscheinlich auch, dass Online-Untersuchungen eine sichere Sache sind. Wie gut, dass die CDU Rheinland-Pfalz für ihre Ermittlungen wenigstens auf eigene Recherche-Software zurückgreifen kann. Ein Vorschlag zum Slogan der anstehenden Landtagswahl: Mit den Rechten blickt man besser durch. Und, wo wir schon dabei sind, sollte auch die neue Werbung für den Mainzer Karneval erwähnt werden: Mit dem Rechten Deutschen Fernsehen sieht man Schwarz besser.

*** Die Maut-Verträge sind da. Nicht alle, aber doch so viel Material, dass ein großes Geheimnis Pneu a Pneu gelüftet werden kann: Das gesamte PPP-System ist eine Private Politic Partnership, die schnellstmöglich Einnahmen für beide Seiten generieren sollte, komplett mit einer Simulation von Kontrolle über hübsche Brücken, die unsere Autobahnen verzieren. Dass von diesen 300 Brücken immer nur wenige aktiv sind, wurde bislang als Datenschutz verkauft. Tatsächlich zeigt sich nun, dass die Betreiber vor dem enormen Datenaufkommen der Brücken kapitulieren mussten. Der nächste Politiker, der nach der Fahndung in den Maut-Abrechnungsdaten ruft, darf ausgelacht werden. Die von Politikern bereits geäußerte Idee, dieses nicht skalierende Gebührenteilungs-System zum Einzug der heiß debattierten PKW-Maut zu benutzen, hat allerdings ihren Charme. Der Schlupf in der Kontrolle ist groß genug, dass die meisten PKW ohne OBUs friedlich weiterrollen können, gesteuert von fröhlichen Mautraubkopierern.

*** Weil die Maut-Verträge vom mautpflichtigen Nikolaus-Gespann über Wikileaks abgeworfen wurden, regt sich Unmut über den aktuellen Zustand des Journalismus. Früher alles besser? Früher wären die Scans oder die Geheimpapiere bei der Redaktion geblieben, die den Skandal ausschlachtete, heute können alle in den Dateien suchen. Auch wenn das nur wieder Journalisten sind: Der Fortschritt ist eindeutig. Auch die Tatsache, dass die Leaks nur aus den Jahren 2002 und 2003 stammen, ist kein Problem. Wie formuliert es Bob Woodward in der (nicht online zu lesenden) Wochenendbeilage der Süddeutschen Zeitung?

Das Problem mit dem Aktuellsten ist, dass es oft unwahr ist. Und es hat keine Bedeutung. Die Frage ist nicht: Wie verläuft die  schrittweise Entwicklung? Die Frage ist: Was ist die Hintergrundgeschichte. Was ist versteckt? Was wissen wir nicht?

*** Immer ist etwas versteckt. Immer versteckt und verstellt sich jemand. Deshalb kann man auch aus ganz alten Sachen lernen, wie das Beispiel des "Guerilla Journalisten" Studs Terkel zeigt, dessen FBI-Akte freigegeben wurde: Wer den einfachen Mann von der Straße ins Rundfunkstudio holt, muss einfach ein unterwandernder Kommunist sein.

Was wird.

Er ist zwar über eine Woche entfernt, doch schon überstrahlt er alles. Zum 4. IT-Gipfel Deutschlands rattern die Pressemitteilungen herein. Dieser Gipfel soll von der Kanzlerin und einem Energie-Technokraten geschultert werden. Der Bitkom hat mittlerweile auf Dauerfeuer umgestellt, denn es gilt viel zu retten, nicht nur den PPP-Schwachsinn der LKW-Maut: Die Gesundheitskarte ist krank und eigentlich nur noch ein Gerippe, die CeBIT ist ausgelaugt und ist per Reißleine nur noch durch eine Monarchie zu retten. Doch warum muss es eigentlich die spanische sein? Wo bleibt bloß Ernst-August von Hannover, der auf dem Messegelände zur formidablen Weltausstellung tatkräftig seine echt hannöversche Reißleine zog? Nicht nur Monaco vermisst den Mann mit blauem Blute. Angeblich fährt er eine Art Ski in Österreich, auf dieser sinnlos hochgestapelten Erde, die dort Berge genannt werden, die aber verglichen mit einem echten deutschen IT-Gipfel allesamt nur kümmerliche Häufchen sind.

Achja, die Weltausstellung. So in Erinnerungen schwelgend hole ich den Prachtband "Eingebungen zwischen Paradies und Apokalypse" von IBM hervor – die entsprechende Website ist längst hinüber: Die Erinnerungen an die von IBM aufgestellten Terminals im "Korridor der Wünsche" sind heutzutage in der Cloud verschwunden und nicht mehr anschlussfähig. "Ich wünsche mir Unsterblichkeit und einen Laptop", schrieb ein Besucher am Terminal. Was schreibe ich da? Terminal? Im Jahr 2000 hießen die Dinger "Kristalle der Visionen". Ob IBM den anstehenden Geburtstag von Notes ebenso vergessen wird wie seine kristallinen Visionen?  Am 5.12.1989 begann der Software-Gigant Lotus mit der Distribution von Notes auf Floppy Disks, zunächst in einer OS/2-Version.

*** Notes ärgerte Bill Gates, sodass er sich gegen die Veröffentlichung der Windows APIs aussprach: help Office, beat Notes lautete die Parole bei Microsoft. Wo Notes und Domino heute stehen, ist bekannt, doch für die Zukunft dieser Software braucht man schon ganz besondere Visionskristalle. So sieht es aus, mit der Zukunft von gestern. Immerhin sollte Notes einmal das werden, was sich heute Social Business Networks nennt. Oder sollte man lieber von Social Media Experience sprechen? Jedenfalls hat Chad Kroski von der Telekom mit Clara eine wirkliche Nachfolgerin, genauso geistlos wie manche MS-Software:

Alles was im Internet ist, wird für immer da sein, so scheint es. Wenn aber das Digitale an seiner materiellen Substanz schaden nimmt, dann bemerkt man, wie fragil diese Vorstellung des ewigen Internets ist. Lassen wir diese Wortklaubereien. Fragilität my Ass. Wenn ich einen Kaffee über meinen Laptop schütte, dann ist es eher natürliche Auslese, wenn ich deswegen von der Uni fliege, (Ok, nicht übertreiben) das Semester wiederholen muss. Oder nein noch besser ich prostituiere mich ...

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 06 Dezember, 2009, 01:47
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Die Stinkstiefel rausgestellt (DE-Variante), die Stinkesocken in den Kamin gehängt (US-Version)? Nikolaus kann gleich kommen, wenn zeitgleich diese Zeilen im Internet auftauchen. Wir werden ihn angemessen feiern, ja seine ganze Angemessenheit noch einmal gründlich durchrechnen. Für andere Menschen in anderen Ländern hat es von oben herab nicht Geschenke geregnet: "Wie viel leichter scheint es jetzt, sich ein Urteil über diese Frage der Angemessenheit zu bilden aus der Distanz mit auch für mich zahlreichen neuen Dokumenten mit neuen Bewertungen, die ich am 6. November dieses Jahres noch nicht hatte. Aus heutiger, objektiver Sicht im Lichte aller auch mir damals vorenthaltener Dokumente ist der Angriff  militärisch nicht angemessen gewesen." Geht es noch verschwurbelter, Herr zu Guttenberg? Da hat jemand nicht richtig gemessen, hat nur geschätzt, hatte die Informationen falsch zusammengeführt und einen regelwidrigen Angriff befohlen, bei dem mehr als hundert Zivilisten getötet wurden. Zu den eindeutigen Regeln der ISAF gehört der direkte Feindkontakt, der einem befohlenen Luftangriff vorausgehen muss. Den hat es bei den im Schlamm festsitzenden Tankern nicht gegeben. Das deutsche Lager lag gemessene sieben Kilometer entfernt.

*** Insgesamt bietet sich – ohne die zahlreichen neuen Dokumente unseres Kriegsministers zu kennen – ein Bild, bei dem die tolle vernetzte Operationsführung nach dem Vorbild vernetzter Unternehmen nicht besonders gut abschneidet. Diese NetOpFü, wie das System bei uns korrekt in Milisprech bezeichnet wird, entpuppt sich bei näherer Betrachtung als PuBuFa, als Push-Button-Fantasy, eine amerikanische Bezeichnung für den Drohnenkrieg in Afghanistan. Dass im besonderen Fall der Tanklaster Menschen in den Fluggeräten saßen, ist eine ironische Pointe, denn diese dachten nach und fragten, ob nicht ein paar Tiefflüge reichen würden. Negativ, so lautete die Antwort auf die Frage. Sie hat ihre innere Logik: Es ist immer negativ, wenn Soldaten mit dem Nachdenken anfangen. Menschen haben chaotische Schnittstellen, angemessen kann nur das Informationsnetz reagieren.

*** In dieser Woche, in der zu Guttenberg Schachtelsätze über den Afghanistan-Konflikt abwarf, sprachen sich die Volksvertreter für eine Verlängerung des Afghanistan-Mandats aus, ohne auf das Volk zu hören. Um es mit einem abgehalfterten Politiker zu sagen: Am Hindukusch wird der AVZ verteidigt und sonst nichts. In dieser Woche lud der Rüstungskonzern EADS Journalisten aus ganz Europa nach Unterschleißheim zu seinem Technology Day ein. Sie erfuhren, welche Wunderdinge Talarion leisten kann, die Europadrohne, die nach ihrem Erstflug 2014 die US-amerikanischen Predatoren ablösen soll. Von denen sind 31 Stück Bundeswehrflieger ständig in Afghanistan im SaATEG-Einsatz. Das ist Milisprech und steht für "System für die abbildende Aufklärung in der Tiefe des Einsatzraumes". Eifrig notierten sich die Journalisten, dass der Flieger mit dem Namen der Fußlatschen vom Götterboten Hermes 10.000 Arbeitsplätze garantiert, davon 3500 in Deutschland. Ahs und Ohs gab es, als die Schar der Interessierten ins NetCOS geführt wurde, das größte, weltumspannende Designzentrum für "Network Centric Operations Solutions". Jede netzwerkzentrierte Kampfhandlung kann über drei Steuerzentren in Deutschland, Frankreich und Großbritannien nachgestellt oder vorab in einer Simulation durchgerechnet werden – nur ausgerechnet die Sache in Kundus nicht: Die "sensorischen Grundeinheiten", auch Infanterist der Zukunft genannt, waren mit ihren hyperintelligenten PDAs ja nicht vor Ort, nicht mal ne einfache Messdrohne rommelte durch das Gelände. Doch wunderbar, wie all die Laptops im NetCOS über APIs miteinander kommunizierten und eine hochpräzise Informationsverdichtung bis zur FAUSt betrieben. Das ist Milisprech für "Führungsaustattung taktisch", komplett mit Großbildschirm, GPS und Satellitentelefon. Nun fehlt nur noch die Information, wofür "ANGEMESSEN" eigentlich ausgeschrieben steht. Am Ende ist angemessen der IKS-Haken der NetOpFüGu.

*** Wo bleibt das Positive? Es kommt, ganz bescheiden, mit einem Begräbnis: Poblador, compañero poblador war ein Lied, das Europäer im Protest sangen, als das Experiment von Salvador Allende gemeuchelt wurde, komplett mit dem sozialistischen Internet. Heute erweist Chile seinem großen Sänger nach 36 Jahren die Ehre und nimmt Abschied von Victor Jara, der das Menschenrecht in Frieden zu leben verteidigte.  Natürlich bin ich hier parteiisch, als Vater von Kindern, die ihren Lebensweg in Südamerika fortsetzen wollen und zitiere hier einen anderen Musiker, Gilberto Gil: "In Ländern wie Kolumbien, Peru oder Brasilien gibt es ein großes Völkergemisch. Die lokalen Indianer, die Afrikaner, die Europäer, die Asiaten, alle kommen beim Aufbau Amerikas zusammen. Hier entsteht eine Weltneuheit, Lateinamerika ist dafür das Versuchslabor par excellence." Das hätte auch dem alten Grantler Alfred Hrdlicka gefallen, der immer für ein "politisches Beben im uralten Stein" gut war und so manchen Bürger verschreckte, nicht nur mit seinem Gedenkrelief "Der Tod des Demonstranten" oder dem "Mahnmal gegen Krieg und Faschismus". Nun grantelt er nicht mehr, die Beben, die er auslöste, werden wir vermissen.

Was wird.

Nach Nikolaus geht es auf die Geschenke-Jagd. Die Zeitungen sind voll mit langweiligen Empfehlungen ihrer Mitarbeiter für Bücher und Musik, ein hemmungsloser Schweifvergleich, bei dem der Weihnachtsmann lächelt. Wie wäre es mit einem schicken Badge aus Bielefeld und einem Fummel von Gerry Weber? Zum großen Geschäft beginnt die Marke aus der Nähe von Bielefeld damit, RFID-Chips in die Kleidung einzunähen, um die armen Mitarbeiter von "zeitintensiven Zählungen" zu befreien, ganz zu schweigen von der "integrierten Warensicherungsfunktion auf dem eingenähten Chip". Diese Handarbeit an der Kasse, den Tag zu suchen und abzufummeln, ist unter der Würde der Kartenlesegerätpräsentiererin. Wer sich nicht von Weber oder dem Christkindl veralbern lassen will, sei an Fairtracing verwiesen, das zeigt, wie IT auch in der Gegenrichtung arbeiten kann. Durchsichtige Kleidung ist gefragt.

Halt, vor dem großen Kaufrausch kommt die neue deutsche Nüchternheit. Der 4. IT-Gipfel tagt in Stuttgart. Die einstmals von Angela Merkel initiierte Veranstaltung wird seit Tagen von der deutschen Elite-Schmiede für IT-Ingenieure, vom Hasso-Plattner-Institut in einem Blog begleitet. In Stuttgart gibt es eine Arbeitsgruppe "Sicherheit und Vertrauen", doch zum 4. Mal schafften es die Gipfelstürmer nicht, einen Datenschützer einzuladen. Denn da oben, auf dem Gipfel, geht es um Leuchtturm-Technologien erster Güte. Erinnert sei an die elektronische Gesundheitskarte, die mittlerweile nur ein bleiches Gerippe ist. Weil Gerippe per default nicht mehr abspecken können, geht es dem Umfeld ans Fleisch: Der sogenannte Konnektor wird abgeschafft wie das gesamte Sicherheits-Blabla, wenn die Kassenärzliche Bundesvereinigung schreibt:  "Die Online-Anbindung der Praxen kann eventuell auch ausschließlich über die Kartenlesegeräte erfolgen, ähnlich wie bei den EC-Kartenterminals." Da fällt er, der stolze Leuchtturm und die bestmögliche Datensicherheit des Patienten. Die kümmerlichen Reste wird der Esel Bitkom fressen und verdauen. Über 300 Millionen hat die deute IT-Industrie nach Angabe des Esels in die Karte gesteckt. Heraus kommt ein System, das Name, Anschrift und Zuzahlungsstatus des Versicherten überprüft.

Ähnlich schnittig ist es um den 450726:Klima-Gipfel bestellt, wo das "Treibhausgas" so lieblich suggeriert, ein Staat müsste nur sein "Haus" in Ordnung halten und schon wird alles gut. Tatsächlich interessiert es Staatslenker einen nassen Kehricht, wenn pazifische Archipel absaufen, Bangla Desh verschwindet und weite Teile der norddeutschen Tiefebene rund um die Insel Bungsberg ein Paddel-Paradies für bayerisch-schwäbische Touristen werden. Was ist die "grote Mandränke" schon gegen den geheimen Plan, der Flut von 2012 das Wasser abzugraben, in dem der Wasserspiegel um magische 7 Meter steigt? Wunderbar passt in die aufgeregten Debatten um die geklauten Klima-Mails der wichtigsten Forscher auf diesem Gebiet eigentlich der Satz von Fefe: "Wenn Rush Limbaugh auf deiner Seite ist, dann bist du auf der falschen Seite."

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 13 Dezember, 2009, 00:15
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** "Das Internet – unendliche Weiten. Wir schreiben das Jahr 2009. Dies sind die Abenteuer der Wochenschau aus der norddeutschen Tiefebene, die seit 10 Jahren unterwegs ist, um neue virtuelle Welten zu erforschen, neues Leben und neue Zivilisationen in Digitalien. Sie dringt in Gedanken vor, die nie ein Mensch zuvor gedacht hat." Wenn ich jetzt noch so viele Leser haben könnte wie Zuschauer der Erzählung von der fliegenden Suppenschüssel, dann könnte ich von den Honoraren ein Flügchen auf der VSS Enterprise buchen und in Schwerelosigkeit kotzen. Dazu reicht der Unsinn, der in dieser Woche so verbreitet wurde.

*** Bekanntlich ist das Internet viel älter als seine brabbelnden und twitternden Bewohner heute denken und wurde schon von Johann Gottfried Herder benutzt. Und zu der guten alten Zeit, als die von Barcamp zu Politcamp zu Buzzcamp Reisenden noch Tweets in Windeln machten, brachte eine andere deutsche Geistesgröße das Internet auf den Punkt. Die Antwort von Helmut Kohl auf die Frage nach den Datenautobahnen zeigt, wie vorausschauend doch deutsche Politiker doch sind. Sie haben Gedanken, die nie zuvor ein Mensch gedacht hat:
"Ja, da sind wir ja mitten in der Diskussion, das weiß ja hier kaum einer besser als Sie. Und Sie wissen auch, wie heftig umstritten das ist. Die Zukunft läuft in diese Richtung. Aber wir brauchen dafür Mehrheiten. Und wir sind ein föderal gegliedertes Land, und Autobahnen sind elementar auch – mit Recht – in der Oberhoheit der Länder. Der Zustand, den wir jetzt auf den Autobahnen haben, ist dergestalt, dass wir wissen, wann wir überhaupt nur noch von go und stop auf Autobahnen reden können."

*** So rasen sie dahin, die Gedanken. Nach den Politikern kommen die Journalisten, die Copycats des Weltgeistes. Wir schreiben tatsächlich das Jahr 2009 und treffen in einem Leitartikel zum IT-Gipfel dieser Tage, der Deutschland zum Kampf gegen das virtuelle Gekuschel mobilisieren will, die gute alte Datenautobahn wieder, wie sie vor 20 Jahren diskutiert wurde:
"Doch aus seiner Verantwortung für die Datenautobahn kann der Staat ebenso wenig entlassen werden wie aus seiner Überwachungspflicht für die echte Autobahn – gerade weil beide mitunter jetzt schon als rechtsfreie Räume wahrgenommen werden. Eine Strategie für das Netz – dafür ist es noch nicht zu spät."
Jaja, die Raser und die Digital Natives, das sind schon die Bösen schlechthin, meint der FAZ-Kommentator. Natürlich muss er den Zusammenhang zwischen Piratenpartei und Kinderpornographie erwähnen, furchtlos auf Abgründe zeigend, wie das nur ein journalistischer Sargnagel kann. Halt, die Klimaschändereien fehlen noch, werden aber sicher nachgetragen – ob man brettert oder surft, jedesmal vergreift man sich doch an unschuldiger Energie. Auf dem solchermaßen kommentierten IT-Gipfel beschäftigte sich auch unsere Bundeskanzlerin Merkel mit diesem Thema, wie in ihrer Rede zu lesen ist, wenn sie von einer zum Teil (also noch nicht ganz?) fast gespaltenen (nur ein bisschen gespaltenen?) Gesellschaft spricht:
" Ich habe mich eben gerade sozusagen als Immigrantin mit den Natives der digitalen Welt ablichten lassen, die natürlich ihren eigenen Stolz entwickelt haben. Ich habe gefragt: Wie wird man vom Immigranten zum Native? Es wurde gesagt, es sei so ein Gefühl, das man haben müsse. – Na ja, ich weiß nicht, ob das ausreicht. Aber ich bin optimistisch weggegangen, dass es doch keine Generation lang dauert." So klingt das halt bei den Digital Naives. Da mischen wir uns doch lieber unter die Digital Aborigines.

*** Leider unterschlägt der Abdruck der Rede im Netz, was beim luftholenden Pausenzeichen gut zu hören war, das höhnische Gelächter des Publikums über diese Wahrnehmung dieser komischen Netz-Aborigines mit ihren seltsamen Kulten. Die ganze prächtige Inszenierung konnte nicht verbergen, dass diese neue Bundesregierung mit dem Internet nichts anfangen kann, nichts anfangen will und ihre IT-Souffleusen nur auf Förderknete scharf sind. Den Höhepunkt dieser Schleicherei lieferte natürlich Bitkom-Chef August-Wilhelm Scheer, als er unter Applaus darauf hinwies, dass Apples iPhone (wegen der MP3-Kompression) und Apples iTunes (wegen der benutzten SAP-Technologie) auf deutscher Wertarbeit beruhen. Was ist denn in die Wicken gegangen, dass keine deutsche Firma bei dieser brillanten Basis einen Verkaufsschlager wie das iPhone entwickelte? Das letzte Glanzstück war die Minidisk von Telefunken, die gegen die Compact Disc den Kürzeren zog.

*** Deutsche Gipfel! Schon etwas höher als Stuttgart liegt Kempten im Allgäu. Hier entwickelte der Mathematiker Rick Mabry auf seinen Wanderungen in den Bergen eine Lösung für ein altes IT-Problem, das jeder kennt, der Nächte vor dem Computer verbracht hat. Endlich ist der gerechte Weg gefunden, wie eine Pizza perfekt gerecht geteilt werden kann. Schweife ich vom Thema ab? Einen echten Berg muss jedenfalls diese E-Petition zur Abschaffung der E-Petitionen erklimmen, die als Reaktion auf all die Gipfeleien verstanden werden kann: Wenn niemand Einwände des Volkes gegen idiotische Netzmaßnahmen Ernst nimmt, ist es besser das E-System abzuwracken und die "Mittel zur Evaluierung wirksamerer direkter demokratischer Partizipationsmöglichkeiten der BürgerInnen der Bundesrepublik in Zeiten der 'Digitalen Revolution'" zu verwenden. Alles andere ist Taschenspielerei wie das Märchen vom deutschen iPhone.

*** Deutsche Berge! Wobei man besser nicht an Bungsberg und Zugspitze, an den Hitler-Berg oder den Nacktarsch denken sollte. Der deutsche Schuldenberg ist da einfach imposanter, auch deshalb, weil er mit debilen Wahlgeschenken schneller wächst als so ein Alpenhaufen mit 1 cm pro Jahr. Denken wir nur an die Mahnung unseres Finanzministers Schäuble im Gespräch mit Cicero an das Volk, doch bitte ein gesamtgesellschaftliches "Gerechtigkeitsempfinden" zu entwickeln. Wie das geht, demonstriert der Zeitungsverleger Alfred Neven DuMont, der in einem seiner Blätter die Befreiung der Presse von superungerechten sieben Prozent Steuern fordert: Denn wie man sich bettet, so liest man, es wird einem gar nichts geschenkt. Das wusste schon der olle Brecht.

*** Deutsche Denker! In diesen gesamtschuldnerischen Tagen der Gerechten mit Empfindungen gibt es einen großen Verlust zu beklagen. Jörg Huffschmid ist gestorben, einer der Ökonomen, der frühzeitig die Globalisierungskritik wissenschaftlich untermauerte und auf seine Weise ein Gründervater von Attac wurde. Eine Sammlung von Nachrufen gibt's zu lesen, doch wer wirklich seine Wirkung erfassen will, braucht nur einen Blick in die zeitgenössische Wirtschaftspresse werfen, die ungeniert jeden wirtschaftspolitischen Unsinn abnickt, den die Regierung der festen Hand verzapft. Was hat diese wirtschaftskundige Presse gelacht und gelästert, als Huffschmid im Jahre 1997 eine Regulierung der Finazmärkte forderte.

Was wird.

Deutsche Gerichte! Zu den Überraschungen dieser Woche muss man den Auftritt von Innenminister Thomas de Maizière auf dem IT-Gipfel zählen. Er gab sich nachdenklich, so nachdenklich, dass er eigentlich mehr laut in die Mikrofone dachte. Das war wohl der Anfang eines neuen herrschaftsfreien Dialoges, der zwischen Staat und Bürger geführt werden sollte, nach einer Zeit, in der der Staat einen Generalverdacht gegen jeden einzelnen Bürger aussprechen musste.

Das klang sehr ermutigend, wäre da nicht doch der Staat in Gestalt desselben Innenministers, der über die richtigen Worte befindet, in denen der Dialog geführt werden muss. "Vorratsdatenspeicherung", so kanzelte de Maizière, sei ein vollkommen falsches Wort, ein Kampfbegriff verschrobener Aktivisten. Das Beispiel, das er spontan fand, ist bemerkenswert. In unserem Staate legt der Handwerker seine Rechnungen langfristig ab, ebenso der Kunde des Handwerkers. Das alles wegen der Garantie. So eine gilt gemeinhin nur für die Funktionsfähigkeit von Konsumgütern, doch hey, die Demokratiefähigkeit von Mitbürgern kann locker ebenso gemeint sein. Was ist schon Schlechtes daran, diese Verbindungsdaten länger zu speichern, mit denen garantiert erkannt wird, wer jederzeit auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung steht?

"Wer nichts zu verbergen hat", sollte sich dennoch den kommenden Dienstag notieren, an dem in Karlsruhe die mündliche Verhandlung zur Sammelklage gegen die Vorratsdatenspeicherung beginnt. Damit bin ich wieder bei der "fast gespaltenen Gesellschaft" unserer Bundeskanzlerin. Denn mittendrin, im besagten Spalt, da sitzt ihre Kollegin, die Beschwerdeführerin Leutheusser-Schnarrenberger. Wie war das noch in Mahagonny, Surabaya-Johnny? Denn wie man sich bettet, so liegt man, es deckt einen da keiner zu. Und wenn einer tritt? Wer ist es?

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 20 Dezember, 2009, 00:06
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** "Bumm-bumm-wamm, bumm-bumm-wamm. Bumm-bumm-wamm, bumm-bumm-wamm!" Ich könnte seitenlang so weitermachen. We will, we will rock you, bumm-bumm-wamm, bumm-bumm-wamm.  Das ist so wunderbar weihnachtlich, da danke ich glatt, bumm, Logitech für die Vorlage, obwohl eigentlich eine Mail mit bumm-bumm-wamm im Betreff in den bumm-spül-gurgel Orkus rauscht. Bumm-bumm-wamm, LAUTER! Erzählt nicht diese Kadenz von der ganzen Schönheit der Rockmusik in der Spanne zwischen La La La und Da Da Da? Fehlt nur noch das Kommando Pimperle mit seinem Balla, Balla und schon sind wir mitten im größten Weihnachts-Balla-Balla getröstet, während in der Badewanne der Festwein aus Mörfelden-Waldorf schwappt: Danke, SAP! Awob BopaLooBop ALopbamBoom, wir lassen es krachen, wie Kakerlachen in der Glühweinkotze.

*** "Pi Pa Pippi Pi" ich hoffe, dass dies die bumm-bumm-wamm-technisch korrekte Wiedergabe von "We are family" ist. Niemand Geringeres als unsere schöne Bundesdruckerei, die seit diesem Jahr wirklich uns allen wieder gehört, hat sich den Slogan gesichert und wirbt mit einer "We are family"-Family. Eine Familie und eine Volksdruckerei, wie hübsch, so lebt man doch gerne zusammen. Wobei das Ganze eine tiefere Dimensionen hat, wenn man die neue Besetzung an den Druckstöcken betrachtet. Da taucht August Hanning, der von de Maizière geschasste Innensekretär im Aufsichtsrat auf, neben dem ehemaligen Bitkom-Cheffe Willi Berchtold. Einen Schily machen, nennt man diese Übung wohl, aber wer wird schon nachtragend sein, wenn es heißt, komplett mit dem richtigen Fähnchen We are family. Wer besonders hip ist, tanzt in den neuen, von unserer Druckerei ausgestatteten Erfassungsspuren natürlich, bumms, bumms, bumms, den Mussolini der Deutsch-Amerikanischen Freundschaft und freut sich auf den neuen, nunmehr finalen elektronischen Personalausweis.

*** Ping. Ping. Ping (was für eine schöne Machine qui fait ping). Die erste angetretene Volks-Million bekommt zum Ausweis ein Lesegerät und ein Starterkit vom Bundessicherheitsinformationsamt geschenkt, weil eine Erfolgsgeschichte geschrieben wird: Ein Volk, eine Druckerei, ein Internet. Wer will sich da noch daran erinnern, wie vor 130 Jahren diese Druckerei gegründet wurde, gegen den erbitterten Widerstand des Druckereiverbandes und der Sozialdemokraten, weil Geld nun einmal unabhängig von Streiks und Arbeitskämpfen produziert werden muss. "Die Gründung der Reichsdruckerei wird das Ende des Buchs einläuten", verkündete damals Eduard Brockhaus, ganz im Stil der heutigen Verleger, die vom urbösen Google und gemeinen Content-Dieben bedrängt werden. Aber zum Glück ist das Internet ja ein unendlicher Gebührenraum, wie die Politik erkannt hat. In so einem Raum findet sich immer eine Leistungsschutzabgabe für ehrenwerte Verleger.

*** Übrigens klagen nicht nur die deutschen Verleger, auch die Alphablogger sehen ihr Geschäft bedroht. Man lese nur die Klage von Michael Arrington über Fast Food Content, produziert von Content-Farmen wie Demand Media. So schlecht, wie die automatisierten Texte sind, so sind die meisten Blogs, da gibt es keinen Unterschied mehr, befindet Arrington, an dieser Stelle zum Jahresanfang als ausgebrannter Blogger bezeichnet und zusammen mit Robert Basic erwähnt. Der verkauft schon wieder etwas, seinen Twitterhaufen von Followers. "Social-Media-Nutte" oder begnadeter Marketier? Ist Letzteres richtig, dürfen wir noch auf den Verkauf der DNA von Basic und Arrington warten. Die haben Drive, ey, Dum derra dum dum diddy diddy dah dah.

*** Ritsche ratsche mit viel Tücke gabs in Auschwitz eine Lücke. Unbekannte demontierten den Schriftzug "Arbeit macht frei", der über diesem Konzentrationslager wie über den Lagern in Dachau, Sachsenhausen und Flossenburg angebracht war, angeblich in Erinnerung des antiken Erkenne dich selbst. Künstlerisch nicht so hochstehend wie das Readymade von Franz Ehrlich in Buchenwald, gehört die Inschrift zum Inventar der Versöhnung mit einer unverstandenen Geschichte. Wer die Kommentare in der Jungen Freiheit oder weiter rechts angesiedelten Publikationen zur "Frechheit" liest, dass Deutschland sich mit 60 Millionen Euro Stiftungsgeldern an einer Aktion gegen das Vergessen beteiligt, kann sich einen Reim machen.

*** Ein großes Lalula darf man jedenfalls über die seltsam bescheuerte Taktik der Linken dichten, einen der Ihren in die Kommission zu schicken, die unsere Geheimdienste kontrolliert – während gleichzeitig von den eigenen Abgeordneten 21 abwesend sind. So gibt es keine Kontrolle durch die Linken beim Verfassungsschutz, der bekanntlich die Linken observiert. Arithmetisch schwerst behindert präsentiert sich auf der anderen Seite auch ein Verteidigungsminister, der Probleme mit dem Wort "angemessen" hat: Wenn unter 147 oder 137 Toten (je nach Lesart) tatsächlich 90 Taliban waren, könnte man von einer angemessene Kampfhandlung sprechen. Wenn es neun Taliban waren, müsste man von einem Kriegsverbrechen reden. An dieser Stelle wäre ein Link auf lustige Abzählreime fällig, aber es gibt Grenzen. Eine von ihnen liegt mit den 36 im Krieg gefallenen Soldaten in der Erde.

*** Ein Rückzugsgefecht der besonderen Art fand in dieser Woche in Karlsruhe statt. Selbst das notorisch gerichtsfreundlich berichtende Zentralorgan der Altbaubewohner musste eine Art Reinfall melden. Die Vorratsdatenspeicherung, diese heiße Siliziumpuppe, der feuchte Traum aller datenspähenden Ermittler, wurde eher lustlos vor Gericht verteidigt: "Die Justizministerin erschien nicht, die Bundesregierung versteckte sich hinter einem jungen Professor." Dazu gab es Aussagen von Praktikern, wie die vom BKA-Chef Zierke, die Netzpolitik via Twitter protokollierte. Überzeugend war all diese Verteidung nicht. Spannend bleibt die Frage, ob das höchste deutsche Gericht entscheidet oder die Frage weiterschubst, weil europäische Interessen und Vorgaben im Spiel sind. Bis dahin sind alle so yeaah, Manana, Manana, pillipiditi.

Was wird.

Während sich die christliche Welt dem Fest der Liebe entgegensäuft, wird anderswo gearbeitet. Das gilt nicht nur für das WWWW, das sich am 2. Bratentag mal mit all den Vorhersagen beschäftigen will, die für 2009 getroffen wurden, angefangen mit der Vorhersage eines Musikkritikers, dass dieses 2009 das stärkste Jahr von Michael Jackson werden wird. Tatsächlich hat er es in die Hitlisten geschafft, aber von Stärke war eher nicht die Rede.

Gearbeitet wird auch noch beim BKA. Unermüdlich sind unsere Sicherheitsbehörden am Werk, immer getrieben von der Angst, nicht alles getan zu haben, um einen Anschlag zu verhindern. Am Montag wird das unermüdlich werkelnde BKA in Wiesbaden einen europäischen Bericht zur zivilen Sicherheitsforschung vorstellen, der die deutsche Innovationsplattform Sicherheit ergänzen soll. Auch dort hat sich etwas getan: Zu unserer aller Sicherheit sind die Erkenntnisse über unsere zivile Sicherheit ab sofort nicht öffentlich einsehbar, wegen der steigenden terroristischen Bedrohung. Bumm-bumm-wamm, wir sind loyal, aber dumm, bumm. So kommt ne Menge bei rum in Geh Eh erR , das wussten schon die Ärzte.

Allen frühzeitig gestressten Lesern wünsche ich gute bumm-bumm-wamm-Tage mit viel bumm-bumm-wamm, Lala und Balla, denn am Ende, oho, oho da geht es schnippel-schnappel, schnippel-zappel-di zu und alles, was bleibt, ist u-uh-uhu und ein letztes Schubidu.

Quelle : www.heise.de
Titel: Re: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: ritschibie am 20 Dezember, 2009, 09:21
Ich kann mich einfach nicht zurückhalten:

Hal, Du bist göttlich (keine Blasphemie ;))

und SiL, Du bist ein wahrer Freund, indem Du ihn uns auf dem Silbertablett servierst - Danke!
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 27 Dezember, 2009, 00:09
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Weihnachten ist die hohe Zeit des Werblödens, wo jegliche Niewolosigkeit noch locker unterboten und Wham gehört wird. Selbst das gelehrte Feuilleton ist dann schwer werstört . Die allgemeine Werblödung macht vor dem Kino nicht Halt, das beweist ein zu Weihnachten gestarteter Film über Albert Schweitzer, der die Bespitzelung durch die CIA (PDF-Datei) einfach ein paar Jährchen früher ansetzt, weil's so gleich viel spannender ist. Beim Werblöden ist Wahrheit nur hinderlich.

*** Das weihnachtlichen Werblöden unterscheidet sich vom alltäglichen Verblöden dadurch, dass der Wanst stets gut gefüllt ist und zur matten Hirntätigkeit eine gewisse Flatulenz hinzukommt. Das gilt auch für ein WWWW, das am Boxing Day gefüllt werden will. Dabei gibt es Inhalte genug, die selbst in diesen beschaulichen Tagen von der allgemeinen Verblödung künden. Man nehme nur die Ansichten eines Kulturstaatsministers, der sich als Lobbyist der Zeitungsverleger über Softwareprogramme äußern darf. Wie wäre es mit einem Kulturpolitiker, der glasklar fordert, dass die via GEZ finanzierten öffentlich-rechtlichen Anstalten dafür zu sorgen haben, dass ihre Inhalte ohne allen "Äpp"-Schwachsinn auf mobilen Terminals empfangen werden können? Andernfalls steht die ebenfalls vom Minister vertretene Argumentation rund um die Internet-Gebühr für digitale Dingsbumsdinger auf reichlich krummen Beinen. Dass die von den Verlegern geforderte Leistungsabgabe auch verkrüppelt ist, macht das Argument nicht besser.

*** Auf Netzpolitik ist als Reaktion auf den Weihnachtswunschzettel der Wunsch nach einem neuen Kulturstaatsminister zu lesen. Eigentlich keine schlechte Idee, nur bliebe wie Frage, welche neue Kultur ein Politiker wirklich vertreten kann. Wie wäre es mit einem Minister, der die richtige Konsequenz aus all den Smartphones, ihren "Äpps", den e-Books, Gadgets und den Chatrooms zieht und endlich den Unterricht im Schreiben abschafft? Wozu braucht man eigentlich noch die Handschrift, die uns ausbremst und uns von den digitalen Gerätschaften trennt? Die ganze Kleckskultur hat sich überlebt wie die Floppy. Richtig bedacht, könnte gleich die ganze Drillschule wegfallen, denn alles, was man im Leben braucht, wird im Kindergarten gelernt.

*** Die feine Analyse der Lektionen aus dem Kindergarten schrieb übrigens Robert Fulghum, einer der Lehrer von Bill Gates. Sein Schüler schenkte ihm später die erste Kopie der ersten Anwendung, die Microsoft vom Xerox-Projekt Bravo dank Charles Simonyi kopieren konnte. Fulghum benutzte damals WordPerfect, eine längst vergessene Software. Nun hat Microsoft ausgerechnet zum unheiligen Festivustag eine deftige Niederlage für ein "kleines, obskures Feature" (so der MS-Anwalt) kassiert. 290 Millionen Dollar Schadensersatz und eine Änderung in allen Word-Programmen, die ab 11.1.2010 verkauft werden, sind aus der Sicht von Microsoft vielleicht nicht der große Niederschlag, sondern ein kleiner Stich. Bemerkenswert bleibt, dass dieser Weltkonzern auch nach dem Jahr 2000, als die Entwicklung der inkriminierten Word-Version begann, keine Scheu hatte, ein kleines, obskures Feature mal eben zu klauen.

*** Zwischen den Jahren kommen nicht nur die besten Kulturideen, sondern es ist auch die Zeit, in der die Vorhersagen für das nächste Jahr nur so sprudeln, besonders in der IT-Branche, in der Weitsicht mit dem Spielchen "Wer kauft Wen" verwechselt wird. Ist die Prognose Oracle schluckt endlich Sun wirklich soo überraschend? Besser finde ich schon die Prognose, das Steve Ballmer Microsoft verlässt, wenn der große Rest einfach nur langweilig ist. Es erinnert an die Vorhersage für 2009, dass Apple einen Nachfolger für Steve Jobs vorstellen wird. Deutsche Varianten des Spielchens sind nicht besser, sondern nur noch allgemeiner gehalten, damit sich niemand beschwert. Dann schon lieber die Vorhersagen zur Wirtschaft, die der grantelnde Don aus dem Geflimmer des Tegernsees liest. Dem man zustimmen muss, wenn unter den Vorhersagen Mails auftauchen und behaupten, dass China das Schlachtfeld der zukunft für Smartphones sein wird. 11 Jahre Haft für einen Vertreter der Charta 08 zeigen, dass nach dem jämmerlichen Klimagipfel eine neue Eiszeit kommt.

*** Heute ist der Geburtstag von Greg Mortenson. Sein Buch Stones into Schools ist die angeordnete Pflichtlektüre für alle höheren US-Dienstgrade vor ihrem Einsatz in Afghanistan. Das niemand das Pflichtbuch der US-Army zu lesen scheint, ist ein eigenes Drama der Literarisierung. Das Buch hilft ganz nebenbei, das Geschwafel deutscher Politiker über den humanhelferischen Einsatz der Bundeswehr zu durchschauen, die längst vom Kurs abgewichen ist. Greg Mortenson war auf der Liste der diesjährigen Kandidaten für den Friedensnobelpreis, den ein gewisser Barack Obama für seine 30.000 Mann mehr nach Afghanistan bekam. Wem Bücherlesen zu anstrengend ist: Hier gibt es eine Art weihnachtskompatible Kurzfassung des Geschehens vor Ort.

*** Zu den traurigen Jahrestagen gehört der Abschied von Vic Chesnutt, dem Sänger, der meistens über seine eigenen Depressionen sang, das aber "humorvoll", wie ein Scherzkeks in der Wikipedia geschrieben hat. Wahrscheinlich ist die Formel "verstarb an den Folgen eines Selbstmordversuches" auch so ein Witz, der irgendwo steckengeblieben ist.

Was wird.

Nach dem WWWW ist vor dem WWWW: Die Spezialausgabe zum Jahresende, unterfüttert mit aufregenden statistischen Zahlen, steht schon in den Startlöchern. Was gibt es schöneres als eine Statistik, die man selbst gefälscht hat? Hat Zensursula die Nachrichten aus der norddeutschen Tiefebene dominiert oder war nicht doch Windows 7 die wichtigere und interessantere Meldung? Und was ist das Gelächter über all die tollen Prognosen der Trendmützen verglichen mit der Freude über ein frisches neues Jahr? Überdies ist 2010 natürlich das Jahr, in dem die nordischen Orionen landen, die uns bekanntlich das Armageddon von 2012 bescheren sollen in der "Big Wegspüle".

Nicht zu vergessen ist 2010, lateinisch MMX, nerdianisch 7DA, natürlich das Jahr, in dem wir Kontakt aufnehmen und der gute alte HAL 9000 noch einmal von Dr. Chandra angeworfen wird. Zusammen mit der Lichtgestalt Dave Bowman wird HAL "auf ewig" Seite an Seite mit Dave in einem Monolith schlafen und die Entwicklung der Europaner mit einem Energiefeld schützen.

Energie! Dieser schöne Gruß kommt nicht von ungefähr. Schließlich ist 2010 forschungsamtlich das Jahr der Energie, ausgerufen von Anette "Scotty" Schavan, orchestriert von Scholz & Friends. Schluss mit den dusseligen Jahren der Mathematik, Informatik und Physik, feiern wir die reine Energie, wie sie aus sauberen Atomkraftwerken kommt und uns alle auflädt. Freuen wir uns auf den e-Zoom, das zentrale Element der Energiekampagne, der die Energie erklärt, betextet von denselben  Menschen, die auch das Bundeswehr-Magazin füllen mit Hymnen auf einen Kampfkoloss, der mit seiner Energie gerne Brillen shreddern möchte. Den offiziellen Höhepunkt erreicht das neue Jahr im September, am Tag der Energie.

Die Nerds unter meinen Lesern werden sich andere Daten merken, weil 2010 nicht nur das Jahr der Energie sein wird, sondern auch als Zuse-Jahr deklariert ist. Und wo wir schon bei der Deklaration von Variablen sind, wie wäre es mit 2010 als Feierjahr der Weltprogrammierung, weil auch der Kybernetiker Max Bense vor 100 Jahren geboren wurde?  Mit dem großen Kritiker des Christentums findet das weihnachtliche WWWW seinen würdigen Abschluss: "Wo man sich für die Wahrheit totschlagen lassen darf, darf man auch für die Wahrheit foltern."

Quelle : www.heise.de
Titel: Re: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: Jürgen am 27 Dezember, 2009, 02:27
Zitat
Wie wäre es mit einem Kulturpolitiker, der glasklar fordert, dass die via GEZ finanzierten öffentlich-rechtlichen Anstalten dafür zu sorgen haben, dass ihre Inhalte ohne allen "Äpp"-Schwachsinn auf mobilen Terminals empfangen werden können? Andernfalls steht die ebenfalls vom Minister vertretene Argumentation rund um die Internet-Gebühr für digitale Dingsbumsdinger auf reichlich krummen Beinen. Dass die von den Verlegern geforderte Leistungsabgabe auch verkrüppelt ist, macht das Argument nicht besser.

Wenn für solche Geräte zukünftig GEZ fällig werden sollte, wäre die ARD sogar gezwungen, auch auf diesem Wege Teile ihrer Angebote frei verfügbar zu machen.
Und es wäre keinesfalls hinnehmbar, wenn Dritte für die Tagesschau extra die Hand aufhalten dürften.
Hier fehlt eine Grundsatzentscheidung, die keinesfalls alleine von finanziellen Gesichtspunkten abhängen darf.

Disclaimer:
Ich hatte und habe keinerlei Kontakte zu Hal Faber.
Ähnlichkeiten und Übereinstimmungen sind rein sachlich begründet und unvermeidlich.

Jürgen
Titel: Was war. Was wird. Die Jahresendbeigabe
Beitrag von: SiLæncer am 01 Januar, 2010, 02:34
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich – und dieses Mal wie  immer  zum  Jahresende  nicht  nur  und nicht  alleine für die Woche, sondern sie versucht, das ganze Jahr ins Blickfeld zu bekommen.

Was war.

*** Es ist da. 2010. Das Jahr, in dem wir Kontakt aufnehmen. Bleibt die Frage, womit. Ein schwarzer, die menschliche Intelligenz fördernder Monolith wäre gar nicht schlecht, lässt man die Ereignisse von 2009 Revue passieren. Willkommen zur Rückschau im Spiegel der Statistiken der Zugriffe auf all die Texte, die der Newsticker so präsentiert hatte.

Die meisten Menschen haben als oberste Maxime und Richtschnur ihres Wandels den Vorsatz, mit dem kleinstmöglichen Aufwand an Gedanken auszukommen; weil ihnen das Denken eine Last und Beschwerde ist.

*** Ohne jede Schweife muss erst einmal ein neuer Rekord gemeldet werden. Das abgelaufene Jahr produzierte einen strahlenden Spitzenreiter über alles. Erstmals seit Beginn der Auswertung im Jahre 1996 setzte sich eine Nachricht so deutlich vom Rest des Geschehens ab. Gleich zum Jahresanfang wurde die Meldung über Windows 7 Beta 1 mit 528.570 Zugriffen neuer Spitzenreiter, der den lange dominierenden Evergreen aus dem Jahre 2004 über Windows XPs Service Pack 2 ablöste (526.680). Es ist immer wieder ermunternd zu sehen, auf welch großes Interesse Meldungen aus dem Hause Microsoft stoßen.

*** Aber wäre ein Nachrichtenticker allein mit Microsoft-Nachrichten überhaupt lesbar? Nein! Die nämliche Statistik zeigt klar und deutlich, dass Winzucht bei den Lesern nicht erwünscht ist: Greift man zur Jahresübersicht, so befindet sich Windows 7 mit insgesamt vier Meldungen zwar unter den Top Ten des Jahres 2009, doch die Nachricht über den fertigen Feuerfuchs 3.5 (214.889) und die Überlegung, die Stoppschildzugriffe (183.457) auf gesperrte URLs in Echtzeit zu loggen, belegen ebenfalls vordere Ränge. Der Vollständigkeit halber sei Google erwähnt, noch im letzten Jahr mehrfach ein absolutes Top-Thema. Diese Meldung über Chrome brachte es gerade mal auf Platz 10.

Was aber die Leute gemeinhin das Schicksal nennen, sind meistens nur ihre eigenen dummen Streiche.

*** Im Zoom auf die Top 100 ergibt sich wiederum ein gänzlich anderes Bild. Addiert man die Einzelmeldungen der Top 100, dann streiten sich der Conficker-Wurm und die Debatte um die Kinderporno-"Sperren" der ehemaligen Familienministerin um den ersten Platz über alles. Addiert man verschiedene Meldungen von Antivirenfirmen zum Würmchen, so gewinnt dieser Sicherheitsunfall klar. Überhaupt zeigen die vielen Meldungen von Heise Security in den Top 100, dass 2009 alles andere als ein sicheres Jahr für Computer war. Vorausblickend sei darum jetzt schon der einschlägige Rückblick auf das Jahr 2010 von der Sicherheitsmannschaft empfohlen: In Hannover in der norddeutschen Tiefebene steht die beste Glaskugel der Welt, gleich neben den härtesten Testräumen und der stinkenden Raucherküche – gute Werbung will schleichen.

*** Natürlich lässt sich die Sache auch anders interpretieren, die Fälschung ist bekanntlich die Mutter aller Statistiker: Conficker & Co schmelzen zu einem Häufchen Elend, wenn der Zähler die Politiker und ihre zahlreichen gemeldeten Aktivitäten im Wahljahr addiert. War im Jahre 2008 der Abgeordenete Lutz Heilmann meldungstechnisch strahlender Sieger, so steht diese Ehre nunmehr Ursula von der Leyen zu. Ihr Aktivismus im Aufstellen von Stoppschildern führt zu einem unangefochtenen ersten Platz dank vieler Einzelmeldungen zum Thema. Damit steht Frau von der Leyen in der Hall of Shame jedoch nicht auf dem Siegertreppchen: Nach den Zugriffszahlen über alle Meldungen seit 1996 führt nach wie vor Otto Schily, mit deutlichem Abstand folgt Wolfgang Schäuble auf dem zweiten Platz. Selbst wenn man Nachrichten über IT-Ikonen wie Bill Gates oder Steve Jobs mit den Politikern in einen großen Statistik-Topf wirft und zusammenrührt, bleibt Schily immer noch der Platzotto.

Die wohlfeilste Art des Stolzes ist der Nationalstolz. Jeder erbärmliche Tropf, der nichts in der Welt hat, darauf er stolz sein könnte, ergreift das letzte Mittel, auf die Nation, der er gerade angehört, stolz zu sein. Hieran erholt er sich und ist nun dankbarlich bereit, alle Fehler und Torheiten, die ihr eigen sind, mit Händen und Füßen zu verteidigen.

*** Ein sehr durchwachsenes Bild ergibt sich übrigens bei der Piratenpartei. Die Meldung vom schwedischen Sprung ins Europaparlament (125.706) schlug selbst die Meldung vom Ergebnis der deutschen Bundestagswahl (121.587), doch verschiedene Nachrichten über deutsche Piraten und ihre Aktionen verfehlten deutlich die Top 100 im Jahre 2009, in denen ein schwedisches Gerichtsurteil das Schlusslicht mit 91.929 Zugriffen bildet. Meine Interpretation frei Haus: Das Interesse der Leser an dieser Partei ist deutlich geringer, als es die vielen Diskussionen in den Heise-Foren vermuten lassen. Gut möglich, dass sich dies in Zukunft ändert, wenn die Ein-Themen-Partei ein umfassenderes politisches Programm besitzt. Wie alle Menschen, die vom Schreiben leben, bin ich natürlich befangen bei einer Partei, die mir das Leben schwer machen will und im Programm vage von einem "fairen Ausgleich" der Urheber schwafelt.

Jede menschliche Vollkommenheit ist einem Fehler verwandt, in welchen überzugehen sie droht; jedoch auch umgekehrt, jeder Fehler, einer Vollkommenheit.

*** Kommen wir zu den traurigen Dingen, die eigentlich in keine Statistik passen. Die Meinungsfreiheit stirbt in Raten. 76 getötete Journalisten und 157 Medienmitarbeiter, die ins Exil gehen mussten, sind ein schlechtes Zeichen. Die Zeichen finden sich in Hard- wie Software wieder, wenn iPhones mit einem Programm verboten sind, das Zitate des Dalai Lama enthält, wenn die Suchmaschine Microsoft Bing in Indien die Suche nach Regierungsvorgaben filtert und wenn in Deutschland virtuelle Stoppschilder auftauchen sollten. Wo die Meinungsfreiheit stirbt, röchelt die Privatsphäre. Besonders betrüblich ist es darum, wenn es Organisationen im weiten Umfeld der IT gibt, die sich an dieser Demontage beteiligen. Ein Hack, der die anonyme Verteilung einer bestimmten Mode-Marke zeigt, zeugt noch von Phantasie, die Veröffentlichung persönlicher Daten durch Indymedia nur dumpfen Linksfaschismus, um einen halb antiken Begriff zu bemühen. Wo solche "unabhängigen Medien" die öffentliche Meinung bilden und Grundrechte ignorieren, wird man von einer e-Diktatur sprechen können.

Die Barbarei kommt wieder, trotz Eisenbahnen, elektrischen Drähten und Luftballons.

Was wird.

Das neue Jahr beginnt mit einem Geburtstagsständchen, natürlich österreichisch akzentuiert: "Fröhlich wir versammelt sind, grüßen das Geburtstagskind": Heinz Zemanek, der Konstrukteur des Mailüfterl, wird 90 Jahre alt. Sein Mailüfterl konstruierte Zemanek aus 3000 Hörrohrtransistoren der Firma Philips, die nicht schnell wie ein Wirbelwind waren, sondern eben langsam wie ein Wiener Mailüfterl.

Zemanek war lange Jahre, von 1956 bis 1968 der Direktor des IBM-Labors in Wien und von 1976 bis zu seiner Pensionierung auch IBM-Fellow, ohne jemals ein ordentlicher Professor gewesen zu sein. IBM katapultiert die kleine Wochenschau denn auch ins Jahr 2010, das Jahr, in dem IBM Deutschland seinen 100. Geburtstag feiern kann. Als ähnliche Feierlichkeiten im Jahre 1987 anstanden, verfasste der IBM-Informatiker Theo Lutz einen Blick hinter die Kulissen, komplett mit 10 Thesen, welche Rolle Computer im Jahre 2010 spielen werden. Lutz hatte in Stuttgart unter dem im letzten WWWW erwähnten Max Bense studiert, auf einem Zuse-Rechner das erste Computergedicht programmiert und später Kafka-Texte vom Computer Lutzen lassen. Seine Vorhersagen waren nicht unbedingt poetisch, aber doch bemerkenswert, wie These 1 zeigt:

"Bis zum Jahre 2010 wird der Computer ein weit verbreitetes Werkzeug sein. Der Mensch hat sich daran gewöhnt, dass der Computer nützlich ist, aber auch daran, dass ihm der Computer in vielen Bereichen überlegen ist, und dass man nicht mehr auf ihn verzichten kann und will.  – Typisch für heute ist, dass wir keinerlei Gefühl dafür haben, welche Bereiche dies sein werden."

Ja, heute können und wollen wir nicht auf ihn verzichten, den Computer in all seinen Spielarten. Das Gefühl, in welchen Bereichen uns der Computer ersetzt, in welcher Weise er uns prägt und formt, haben wir längst verlernt, seitdem genau um diese Zeit vor ein paar Jahren Entwarnung gegeben wurde und das Leben mit diesen Computern eben nicht kollabierte. Viele Thesen, die Lutz vor 23 Jahren aufstellte, sind inzwischen eingetroffen. Dazu gehört die Ablösung der Telefonkommunikation durch Electronic Mail, der persönliche Desktop an jedem Arbeitsplatz, die Tele-Heimarbeit für viele Berufe und der Einsatz von Computern, um Menschen mit Behinderungen zu helfen. Bei Lutz finden wir auch schon die These vom Ende der Medien, dass immer noch eine Armada von Zeitungstodschreibeblogs beschäftigt.
"Perfekte Kommunikation: Bis zum Jahre 2010 werden die sogenannten 'Neuen Medien' in der Gesellschaft, und damit auch im privaten Bereich, so aktzeptiert und verbreitet sein, dass sich das Individuum im Austausch von Daten, Texten, Bildern und Stimme mit höchster technischer Qualität unabhängig von Raum und Zeit bewegen kann."

Das Auge wird durch langes Anstarren eines Gegenstandes stumpf und sieht nichts mehr: Ebenso wird der Intellekt durch fortgesetztes Denken über dieselbe Sache unfähig, mehr davon zu ergrübeln und zu fassen.

Wie schön, dass diese Wochenschau, der Newsticker und viele andere Angebote von Heise zeigen, wie es weitergehen kann! Ich schließe die Jahresendbeigabe dennoch mit Trauer in der Tastatur und der These 9 von Theo Lutz. Sie berichtet uns von einer anderen, besseren Zeit, die uns nach allen Datenpannen und Datenerschleichereien im Jahre 2009 doch sehr, sehr fern erscheint, nach diesem verlorenen Jahrzehnt des Datenschutzes.
"Auch im Jahre 2010 wird die aufgeklärte und demokratische Gesellschaft ihre spezifischen Ängste haben, aber sie werden wenig mit dem Computer zu tun haben. Themen wie 'Angst vor Überwachung', 'Jobkiller', 'Datenschutz' u.a. werden nicht mehr im Zusammenhang mit dem Computer gesehen. Datenschutz wird als Bürgerrecht akzeptiert und respektiert sein."

Auf ein spannendes 2010! Mögen alle guten Vorsätze in Erfüllung gehen!

Kolophon

Was wäre ein Jahresendbeigabe-WWW ohne ein dickes Dankeschön an all die Menschen, ohne die es diese Kolumne nicht geben könnte? Das WWWW hatte es dieses Jahr tatsächlich auf Nummer 500 gebracht, als nächstes Jubiläum könnte der 10. Geburtstag im Februar gefeiert werden. Das erste Dankeschön geht an den kleinen Verlag in der norddeutschen Tiefebene, der diese Schauerei möglich macht, das zweite an die Kollektive, die meine Arbeit möglich machen. Die Mitarbeiter an Ubuntu, Firefox, Thunderbird und Gedit, die namenlosen Zuträger der Wikipedia, die Kärrner von Wikileaks. Dann wären da die vielen Individuen, die auch im Jahre 2009 selbstlos viele, viele Tipps und Hilfestellungen gaben, etliche davon anonym, die anderen in alphabetischer Reihenfolge: Christian Ankowitsch, Andreas Bogk, Ralf Bülow, Hans Franke, Wolfgang Formann, Peter Glaser, Markus Hansen, Anja Höfner, Thorsten Kleinz, Andreas Kuckartz, Felix von Leitner, Achim Meissner, Klemens Polatschek, Wolf-Dieter Roth, Mathias Schindler, Christiane Schulzki-Haddouti, Harald Taglinger, Volker Weber, Bettina Winsemann, Nils Zurawaski. Und wie üblich darf die Musik nicht fehlen, die das WWW häufig begleitet hat, abseits von Peter Maffay und Bobby Goldsboro, die 2009 in einem WWWW auftauchten. Der Applaus geht diesmal an Colin Stetson, New History of Warfare; Angles, Every Woman is a Tree; Orchestre International Du Vetex, Flamoek Fantasy; Wu-Tang Clan, Chamber Music. Und natürlich an den Weltherrscher mit ja, nein, vielleicht auch nicht!

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 03 Januar, 2010, 00:09
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Wo war ich bloß stehen geblieben? Es ist tatsächlich 2010 geworden, das Jahr, in dem wir Kontakt aufnehmen. Vielleicht haben wir sogar schon Kontakt aufgenommen – unter Vielen, die ihre Hoffnungen auf Obama gesetzt haben, befinden sich auch die UFO-Gnostiker. Sie sind davon überzeugt, dass Obama 2010 die Existenz von Aliens offen anerkennen und die Archive öffnen wird. Darauf einen pangalaktischen Donnergurgler oder besser zwei oder drei, damit die Rollmöpse wieder schwimmen können.

*** Nehmen wir einmal an, dass Obama die Sache ernst nimmt wie den Friedensnobelpreis, die UFO-Archive öffnet und die Roswell-Dokumente freigibt. Wird er auch die schlichte Tatsache verkünden, dass es längst einen Borganismus gibt und dieser als mächtiges Wesen im Internet lebt? Denn, wie jeder Kenner der Geschichte vom Raumschiff Enterprise weiß, ist die Erde eigentlich längst eine kleine Borgwelt: Sie sind unter uns und drehen in Bielefeld und Griechenland einen Film, der 2010 die ganze Wahrheit erzählen wird.

*** Man könnte jetzt wie weiland Erich von Däniken die zahllosen Beweise für den Borganismus zusammenstellen. Da wären die Social Networks wie Xing und Facebook, bewusst schwachsinnig gehaltene Dienste, die 1:1 Kaffeekränzchen oder Cliquentreffen abbilden und damit eine Art Leben simulieren. Glaubt wirklich jemand, dass Menschen, die das Internet phantasievoll nutzen können, sich mit so banalen Identitätsspielereien zufrieden geben und Freundeslisten im Internet brauchen?

*** Menschen unterscheiden sich eben von Borgs dadurch, dass sie nicht einfach assimiliert werden können. Sie haben eine Privatsphäre, tragen Kleidung und lieben das Chaos, in dessen Schutz informationstechnische Lebenszusammenhänge gedeihen. Eine Borg-Königin, die ihre Aufgabe darin sieht, Ordnung in das Chaos zu bringen, ist ihnen zuwider. Doch Menschen haben eine große Schwäche: Das blinde Vertrauen in die Segnungen der Technik, das besonders bei Politikern so stark ausgebildet ist, dass sie unter Rückgratverkrümmung leiden vom vielen Umschwingen. Nun müssen Nacktscanner her und noch in diesem Jahr installiert werden, weil das mit der Privatsphäre schnippeldischnapp mit ordentlich Politdampf gelöst werden kann.

*** Man beachte nur, wie FDP-Chef Westerwelle beim strammen liberalen Njet die Einschränkung macht, dass technische Fortschritte den Schutz der Intimsphäre leisten können. Sein Glaube erinnert an die technischen Ammen-Märchen, dass die LKW-Maut der Umwelt hilft und die Gesundheitskarte mit Notfalldaten im Chip Leben rettet. Oder dass die Sicherheit beim Fliegen stark gestiegen ist, seitdem eine Stunde vor Landung das WC versperrt wird. Das entsprechende wissenschaftliche Projekt zum technischen Fortschreiten trägt den netten Namen Theben, was ein Akronym für "Terahertz-Detektionssysteme: Ethische Begleitung, Evaluation und Normenfindung" sein soll und schon mal einen netten Hinweis liefert. Wenn es mit der ethischen Begleitung hapert, finden wir halt eine neue Norm, komplett mit der Umbenennung von Nackt- in Bodyscanner. Jeder, der seine Murmeln noch beieinander hat, kann sich ausrechnen, wie der Unsinn weiter eskaliert: Die Terroristen stellen auf intrakutanen Sprengstofftransport um. Flugwillige bekommen in Zukunft Spatel und Ausscheidungsbriefchen, damit sie ihre unverdächtige Darmflora nachweisen können. Der Gang zur Toilette im Flugzeug muss drei Wochen vor Abflug schriftlich angemeldet werden, damit das Shit-Flag in den Passenger Name Records (PNR) gesetzt werden kann.

*** Wo waren die Leser nochmal stehen geblieben in diesem jahreszeitlichen WWWW-Wirbel? Achja, die Frage nach der Piratenpartei war es wohl. Die Vorstellungen zum Urheberrecht, die die Piraten haben, klingen für Urheber bedrohlich. Da gibt es den fairen Ausgleich für meine Arbeit, aber auch die "faire Rückführung in den öffentlichen Raum". Aber was ist fair? Die Wikipedia in ihrer majestätischen Volksrelevanz kennt nur Fairness und spricht von einem Begriff, der in Sport, Recht und Informatik benutzt wird. In der Informatik, belehrt mich IBMs Fachwörterbuch, spricht man von fair value und meint einen Verkehrswert. Die Nachhilfe in Sachen Urheberrecht bleibt seltsam vage. Ja, Kultur ist Arbeit, Kultur muss produziert werden, täglich aufs Neue, von Menschen, die von  ihrer Arbeit leben wollen. Wer da wie in den Leserbriefen zurückblafft, dass diese Kultur offenbar nur dann etwas wert sei, wenn damit bares Geld verdient werden kann, hat einen Enterhaken in der Birne. Genau: This is not a love song.

Was wird.

Schade, dass meine Prognosen so schlecht waren: "Twitter kauft Digg. Facebook kauft Twitter. Google kauft Facebook ..." Google hat Firmen wie Etherpad, Teracent und Gizmo gekauft, immerhin. "Google kauft" ist schon einmal eine solide Vorhersage. Ich leiste mir noch eine: 2010 wird das Jahr, in dem Internet-Ökonomen Kontakt aufnehmen mit der Realität, in dem das Gerede von der Aufmerksamkeitsökonomie abebbt. In der deutschen Wikipedia ist der Begriff offenbar schon gelöscht, so verlinke ich zum Mutterschiff, wo der Blödsinn noch zu lesen ist, dass Aufmerksamkeit ein rares Gut ist. Bereits im Jahre 1906 führte der Philosoph Fritz Mauthner in seiner Psychologielehre aus, dass Aufmerksamkeit und Zerstreutheit den gleichen menschlichen Zustand bezeichnen. Modern gesagt: Wir können zerstreut hunderte von Webseiten besuchen, ohne im Geringsten die eigene Ressource Aufmerksamkeit zu verknappen. Für Mauthner ist es das Gedächtnis, das den Menschen munter zwischen beiden Zuständen hin- und herschlittern lässt. Am kommenden Montag soll in Dubai zwischen Pleite und Wüste der höchste Wolkenkratzer der Welt eröffnet werden, als Adresse in der Aufmerksamkeitsökonomie. Man könnte auch von einem Mahnmal der Dummheit sprechen.

Wenn überhaupt von einer Währung im Netz gesprochen werden kann, dann sind es die Kosten der Ausgrenzung. Fast alle sind im Netz und so ist das Gerede von einer Kluft allein durch Netzzugang zumindest in den Staaten der ersten Welt großer Unsinn wie die Aufmerksamkeitsökonomie. Stattdessen wird das Ausgrenzen immer wichtiger: Es wird Menschen geben, die vor Stoppschildern stehenbleiben und andere, die einen alternativen DNS bemühen. Es wird Nutzer geben, die Googles Antworten oder Wikipedias Einträge als bare Münze für das Wissen der Welt halten, und andere, die wissen, dass nur ein Ausschnitt präsentiert wird mit soviel Wahrheit wie die letzte Seite der tageszeitung. Die Ausgrenzung arbeitet subtil, aber manchmal, da wird sie deutlich sichtbar, die neue Barbarei. Sie beherrscht Twitter, Facebook, bedient die Mail und stellte ihre Veröffentlichungen transparent ins Netz: Damit erfüllt unsere neue Familienministerin eigentlich die Forderungen des Chaos Computer Clubs. Weil sie in einem Ausbruch die Würde des Clubs pangalaktisch beleidigt hat, wird belustigt auf dem Kongress mit Hilfe von Bild konstatiert: "Im Internet lesen genügt nicht." Ha ha.

Was bleibt für 2010, mag ein Gedicht ausdrücken, das einer auch schon vor rund 50 Jahre geschrieben hat, und das die mündige Mediennutzung gegen den heutigen Mediennudismus stellt.

lies keine oden, mein sohn, lies die fahrpläne:
sie sind genauer. roll die seekarten auf,
eh es zu spät ist. sei wachsam, sing nicht.
der tag kommt, wo sie wieder listen ans tor
schlagen und malen den neinsagern auf die brust
zinken. lern unerkannt gehn, lern mehr als ich:
das viertel wechseln, den pass, das gesicht.
versteh dich auf den kleinen verrat,
die tägliche schmutzige rettung. nützlich
sind die enzykliken zum feueranzünden,
die manifeste: butter einzuwickeln und salz
für die wehrlosen. wut und geduld sind nötig,
in die lungen der macht zu blasen
den feinen tödlichen staub, gemahlen
von denen, die viel gelernt haben,
die genau sind, von dir.


Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 10 Januar, 2010, 00:12
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Es schneeweht kräftig in der norddeutschen Tiefebene bis hinunter ins Hessische. Deutschland, bleiche kalte Mutter. Überall werden Flüge abgesagt, nur dieser kleine Tiefflug mit Rückblick auf die Woche kann ungefährdet abheben, allen Untergangs-Frohlockungen zum Trotz. Händeringend habe ich das passende Snow Manifest im Internet gesucht, etwa bei den "Fingerabschneidern" von Hennes & Mauritz. Weit und breit jedoch keine Spur von twitternden Schneeflocken, Chatrooms für Schneemänner und crowdsourcenden Schneebällen, die sich zu einer Schlacht treffen. Stattdessen fand sich nur ein schwachsinniges Slow Media Manifest, das daherkommt, als sei es auf dem Einwickelpapier von Manufactum gedruckt worden: "Slow Media sind auratisch".   Ja, es gibt sie noch, die gestelzten Dinge. Soll man sich wirklich über Schleichmedien freuen, die (These 2) "in fokussierter Wachheit mit Genuss konsumiert" werden? Dann doch lieber "zerstreut schlafen" und den Tam Tam der "Prosumenten" in Blogdorf verklingen lassen. Wie überhaupt nach dem Internet-Manifest der blondierten Blogger der langsame Medienerlass dieser Melchiten seltsam aufgeblasen ist. Wer erinnert sich da nicht an sein erstes Semester Informatik und die Definition der Null Theory? If explanation length = raw data length, genau.

*** Während die Tastatur launisch klappert am Tag, an dem der König von Deutschland Geburtstag hätte, darf laut mitgesungen werden: "Ich hab geträumt, der Winter wär vorbei, du warst hier und wir wären frei und die Mooooorgensonne schien!" Natürlich ist das ein Traum, denn auf dem Netbook klappert es überhaupt nicht, es tappert sich höchstens dahin, bis der schwarze Harry den Wagen vorfährt und sie meine kalten starren Finger wegbrechen. Still und starr steht der Rechner auf dem Tisch, dem Freund jedes Philosophen. Mit der Frage nach der Wirklichkeit des Tisches beginnt bekanntlich jede Philosophie, während die Informatik erst dann einsetzt, wenn 5 Philosophen an einem Tisch sitzen und auch noch hungrig sind und sich alle Spaghetti bestellt haben. Wir sehen schnell, wie speziell so eine Wissenschaft ist.

*** Die kleine philosophische Vorrede führt uns schleifenlos zur Frage "Wie verändern Internet und vernetzte Computer die Art, wie wir denken?". Gestellt hat diese Frage John Brockman, der C.W. Ceram unter den Digerati. 131 Wissenschaftler antworteten. Viele Antworten sind von dem Arbeitstisch geprägt, an dem die Wissenschaft getrieben wird. Aus Deutschland antworteten Ernst Pöppel und Gerd Gigerenzer, aus Österreich Anton Zeilinger, aus der Schweiz der Kunstkurator Hans-Ulrich Obrist. Und irgendwie aus der transatlantischen Byteburg war Kai Krause zugeschaltet, mit der genialen Einsicht, dass Brockmans Frage im Spam-Folder aufgeschlagen ist. Da gehört sie auch hin, weil sie zu schlicht ist, im Stil von "Bitte lesen Sie mein Freund".

*** Besonders sympathisch sind mir daher die Antworten der Psychologen, wahrscheinlich weil sie nicht den Unsinn lesen müssen, den die zeitgenössischen Internet-Berater so von sich geben. Man lese Pinkers kluge Einsicht Not at all und die Bewunderung der kollektiven Weisheit durch Geoffrey Miller. Dieser Text hat es sogar ins Deutsche geschafft, weil die FAZ sich Brockman öffnete: Wikipedia ist mein verlängertes Gedächtnis – mit Bezug auf die US-Ausgabe des Gedächtnisses. "Wir müssen unsere intellektuelle und ästhetische Überheblichkeit ablegen." Bescheidenheit ist angesagt, aber doch nicht in Deutschland, wo Internet-Strategie-Berater Fleißpünktchen unter ihren Followern sammeln und meckern, weil einer von den 131 es nicht in die FAZ geschafft hat. Selten ist die kleingeistige Papierfixiertheit der deutschen "Berater"-Szene so klar zum Ausdruck gekommen.

*** Natürlich hat das Internet unser Denken verändert. Na und? Der Kopf ist bekanntlich rund, damit das Denken die Richtung ändern kann, wusste schon Francis Picabia. Wer will, kann sich an die Tische der Philosophen setzen, wo seit Jahrhunderten die Frage auf dem Speiseplan steht, wie der Mensch Werkzeuge benutzt und wie die Werkzeuge den Menschen formen und wie der Mensch die Werkzeuge. Viel interessanter als die philosophische Sonntagsfrage von John Brockman ist die Einleitung, die unter www.faz.net/digitaldenken zu finden ist. Frank "Payback" Schirrmacher erwähnt in ihr ausdrücklich die Pre-Crime-Analytik, "wer plant was, wo, mit welchen Mitteln", komplett mit einem Werbe-Link zu einem Anbieter für Katapher-Kriminalistik. Einen Tag vor der großen Brockman-Präsentation veröffentlichte das nämliche Blatt im Feuilleton den Text Vorwärts in die zweite Reihe, der die Leser auffordert, zwischen Pre-Crime-Analytik und den bald zu testenden Nacktscannern zu wählen. Komplett mit einem eindeutigen Bekenntnis zum Einsatz von Nacktscannern gegenüber der Pre-Crime-Analytik: "Die Maschine verteilt, so sie denn funktioniert, die sozialen Kosten des Kampfs gegen den Terrorismus gleicher: in Form von Wartezeiten für alle, teureren  Flügen für alle, Eingriffe in die Intimsphäre für alle." Wir sitzen alle an einem Tisch, nackt und vor dem großen Rechner.

Was wird.

Wie gut trifft es sich da, wenn dann der Europäische Polizeikongress mit einer Begleitausstellung wirbt, in der auch Nacktscanner gezeigt werden und Pressefotografen auf die Möglichkeit hinweist, "Lara-Croft-Lookalikes" beim Durchschreiten der Systeme fotografieren zu können. Die verdruckste Geilheit verklemmter Pornobrillen-Träger passt bestens zum allgemeinen Sicherheits-Geschwurbel, in der jeder Flughafen-Beamte der Bundespolizei ein Clark Kent mit Röntgenblick werden kann. Die Argumentation, dass wir datentechnisch längst entblößt sind, vor allem dank Flugdatenübermittlung, wenn wir in die USA fliegen, hat große Löcher. Der Nacktscanner ist längst das Vehikel zur Prüfung der nackten Gesinnung. Ein Kommentar der "tageszeitung" bringt es auf den Punkt. Da heißt es mitleidig: "Die Aufregung um den Scanner trägt daher die Züge einer Ersatzhandlung, geführt von Leuten, die noch vor dem Netzzeitalter sozialisiert sind und das Wörtchen 'nackt' für anstößig halten." Zu komisch, dass der Satz vor diesem verwegenen Argument so lautet: "Aufs Fliegen können die meisten Menschen notfalls verzichten, auf die Nutzung des Internets nicht." Ob das Sanatorium Schirrmacher dem armen Journalisten helfen kann?

Sein Geburtstag ist nicht genau datiert, doch irgendwann in diesen grauen Januartagen zwischen dem 9.1. und 17.1. vor 350 Jahren kam Daniel Defoe auf dieser Welt an. Die relevanzgestählte deutsche Wikipedia bespricht den Kaufmann, Essayisten und Schriftsteller, nennt aber nicht die Arbeit, mit der sich Defoe in die Ruhmeshalle des Qualitätsjournalismus verewigte. Der Kämpfer für Frauenrechte, der zeitweilig für 12 Zeitungen gleichzeitig als Journalist arbeitete, gehört zu den Verfechtern der Pressefreiheit. Er gilt als der Erfinder des Kommentars und ist damit Urururururururopa dieser kleinen Wochenschau.  Die Freiheit des Journalisten, bei aller Berichterei auch eine eigene Meinung zu haben und sie getrennt von einer Nachricht dem Publikum zu übermitteln, kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Das Internet ist eben das, ein Tanzplatz dieser journalistischen Nettigkeit. Und wieder einmal schließe ich mit dem größten aller bisher gelebten und gestorbenen Kommentatoren: "Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: Sie hört nicht, was ich sage, und ich sage nicht, was sie hören will."

Ich schließe? Aber Hallo, nein, so einfach geht das nicht! Über viele Jahre hat diese kleine Wochenschau aus der norddeutschen Tiefebene das Treiben der Bobos betrachtet, der digital Größenwahnsinnigen, deren Träume in der Dotcom-Blase platzten oder die ihre StudiVZ genannten Datenalpträume zum Führergeburtstag erfolgreich an einen Verlag verscherbelten. Nun wenden sich die Zeiten und die iHobos kommen. Sie sind die digitalen Hobos, rastlos auf der Suche, die ihresgleichen kurz nur "Bo" rufen oder #untergang twittern. Die neuen Gesundbeter des Internet sind leicht zu erkennen, weil sie erst einmal heftig "das Internet" an eine Tür nageln und bejammern, was das Internet mit unseren Hirnen alles so anstellt. Diese iHobos wollen kein Spielzeug sein, aber trotzdem visionär wie immer die Zukunft durchblicken. Diese iHobos werden uns dieses Jahr beschäftigen, als eine kleine, aber meinungsstarke Minderheit. Wer wird ihr Martin Luther sein, bereit, all das unverständliche Software-Latein des Internets in handliche, praktikable Anweisungen zu übersetzen? Sie wollen Jesus rufen, aber heraus kommt Jobs, Steve Jobs?

Wie sang noch der König von Deutschland?

"Der Traum ist aus! Der Traum ist         AUS.
Aber ich werde alles geben, dass er Wirklichkeit wird."

Wie verändert die Wirklichkeit die Art, wie wir denken?

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 17 Januar, 2010, 00:12
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Der Schnee türmt sich in der norddeutschen Tiefebene. Ich vermisse eine Sondersendung über den Allday mit Daisy. Doch längst beherrscht eine richtige Katastrophe die Nachrichten, allem Kachelklatsch zum Trotz: Im ärmsten Land Lateinamerikas spielt sich das ab, was die Medien gern eine "humanitäre Katastrophe" nennen, komplett mit landenden Hilfsgütern ohne Ende. Das über viele Jahre hinweg diverse Dikatoren Haiti ruinierten, wird nachgerade verklärt. Denn ein gescheiterter Staat kann sich wenigstens nicht ins ordentliche Katastophenmanagement der US-Truppen einmischen. Statt Daisy-Tweets lesen wir nun die ohne Schnee aus Haiti – wie fesch ist das?

*** Ja, Hänschen klein, ging allein in die weite Welt hinaus, mit Googlemut und Stock und Hut, ging es lange Gut. Die "Wir-sind-nicht-böse-Woche" endete nicht nur mit einem schlichten Nein der Firma, die mit ihrem Insecurity Explorer den ganzen Schlamassel ausgelöst hat und einem Protest der USA, dass Google nun auch die amerikanische Außenpolitik übernommen hat. Nein, da meldete sich prompt der deutsche IT-Branchenverband Bitkom und forderte jammernd einen freien Zugang zum chinesischen Markt. Ja, liebe IT-Lobbyisten, nur keine falsche Scham und Prüderie: Was sind schon Menschenrechte, wenn der Yen winkt? Die Technik lehrt es ja: ohne die Nullen kann es keine Einsen geben. Passend zum Schmu von Google und zum China-Besuch unserers Außenministers kommt nun die Nachricht, dass in China die Wahl zum Mr. Gay von der Polizei gestoppt wurde. So wird es Zeit für ein schwul-solidarisches WWWW, mit einem ordentlichen amerikanischen Ruf: YMCA!

*** Die Frankfurter Allgemeine Zeitung befeuert seit Tagen die Debatte um ein Payback genanntes Buch ihres Kulturchefs mit einer Reihe von Texten, die es den Internet-Apologeten heimzahlen. Da findet sich die Beschreibung des Menschen als Datensatz durch den Denkchef des CCC, komplett mit der Forderung nach einem Datenbrief als Auskunftspflicht aller Unternehmen und der persönlichen Haftung von Unternehmern bei "Sicherheitsschwankungen". Außerdem kann ein Interview mit Jaron Lanier erklickt werden, der in seinem neuen Buch bekannte Texte neu zusammenmischt. So prangert Lanier wieder einmal den digitalen Maoismus des Web 2.0 an: Oberflächlich betrachtet sind wir alle gleich in der digitalen Welt, aber es gibt Gleichere, etwa A-Blogger und Wikipedia-Admins. Nicht alle sind Straight Boys.

*** In Laniers Buch "You are not a Gadget – You have to be somebody before you can share yourself" wird eine Passage aus seinem Halben Manifest ausführlich ausgebreitet, die der VR-Forscher für die Urszene der Computerei hält. Es ist der berühmte Turing-Test, den Alan Turing nach Ansicht von Lanier unter dem Einfluss einer medikamentösen Zwangsbehandlung seiner Homosexualität in einer schwer depressiven Phase entwickelte. Deshalb übersah Turing die eigentliche Logik des Testszenarios: Zwar kann die künstliche Intelligenz immer "klüger" werden, bis der Mensch sie nicht mehr als Computer wahrnehmen kann, genauso kann aber auch der Mensch immer "dümmer" werden, bis Gleichstand erreicht ist. Computer und Programme halten sich seit den Tagen von Turing an Variante 1, während das Fernsehprogramm mit seinen alltäglichen Verdummungen demonstriert, dass Variante 2 genau so zielstrebig verfolgt wird. Immerhin: Aus einem schwulen "Defekt" entfaltet sich das Drama des 22. Jahrhunderts. Es ist halt ein wunderbar dialektisches, schönes Geschenk, das Turing uns gemacht hat.

*** Lanier kämpft also gegen die iHobos, die Gesichtsbuchspießer mit ihren tollen Freundeskreisen und die Zwitschervögel mit ihren Schwärmen von Zweitleuchtern. Auch gegen die strunzdumme Überzeugung der 2.0-Prediger, dass Wissenschaft überflüssig ist, weil die Weisheit der Massen jedem wissenschaftlichen Erklärungsansatz überlegen ist. Gewiss, das Dasein als iHobo hat seinen Reiz, wird einem doch das Denken abgenommen. Es ist kein Zufall, dass die Firmen wie Sun oder Oracle, die von dem wolkigen Cloud Computing profitieren, Denker in ihren Reihen haben, die die Privatsphäre für beendet erklären. Get over it? Die Privatsphäre ist nicht mehr zeitgemäß auf Facebook? Wer will dann laut beim Lied vom tollen Iwan mitsingen?

*** Ist die Haltung elitär, wie das Interview von den 2.0-Fanboys abgekanzelt wird? Ortega y Gasset, im Dezember 1933, drei Jahre vor Ausbruch des Spanischen Bürgerkriegs und ein Jahr nach der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten in Deutschland, schrie "zum ersten Mal mit der Lungenkraft, die mir geblieben ist" gegen den Marsch ins Dritte Reich: "Es lebe die Republik!". Und schrieb im "Aufstand der Massen", dass die "Massen ihrem Wesen nach ihr eigenes Dasein nicht lenken können noch dürfen und noch weniger imstande sind, die Gemeinschaft zu regieren ..." Das hört sich ganz nach den Warnungen vor dem "digitalen Mob" von Jason Lanier an, zumal Gassets Beschreibung der "ungerichteten Aggressivität" der Massen, die er mit der Aufhebung der Unterscheidung zwischen Massen und Elite begründet, sehr an die Herrschaft einer technischen Elite erinnert, mit der viele unserer Internetvordenker heimlich oder in aller Offenheit zu liebäugeln scheinen.

*** Ist der Jude Jaron Lanier nur falsch gefragt worden? Von seinem Diktum "Ohne Nachzudenken ist es schwer, ein Individuum zu sein" ist es nur ein kurzer Schritt zu Ortega y Gassets "Die Welt ist zivilisiert, aber ihre Bewohner sind es nicht; sie sehen nicht einmal die Zivilisation an ihr, sondern benutzen sie, als wäre sie Natur." Der Mob als gedankenlose, amorphe und jeder Aufregung nachstrebende Masse, ist er denn das Gegenteil des denkenden Einwohners des Social Web, der ach so informierte Entscheidungen im Echtzeit-Internet zu treffen in der Lage ist? "Es ist also nicht unwichtig, den Massenmenschen aus dem Grunde zu kennen; denn er birgt die Möglichkeit zu größtem Heil wie größtem Unheil in sich", meinte Gasset, der gerade die Wissenschaftler und Techniker mit ihrer historischen Unbewusstheit und gelehrten Ignoranz als Prototypen des Massenmenschen sieht. Die sind nun nicht unbedingt "the one you love".

*** Wir sehen die FAZ auf der Suche nach einem klugen Kopf, während die Zeitung selbst längst geshreddert ist und ihre Schnippsel von der Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen gelesen werden. Das bringt uns hupps, hupps, zu der Mörderknete, die die Zeitungen jetzt von Google für die Schnippsel haben wollen – und das als Rettung der abendländischen Kultur verkaufen. Ja, von Google wollen sie alle Geld, da gibt es nicht die kleinsten Bedenken, was Google sonst so aus uns macht. Man sieht es am Nexus, das mein innig geliebtes G1 ablösen soll, wenn auf einmal die Erben des Mannes aufkreuzen, dem wir viele Geschichten aus der Zeit verdanken, als heute das Morgen von gestern war. Da wäre die Geschichte der Keks-Dame, der Cookie Lady, die das Leben aus Bubber Surle saugt, oder die der Marsianer, die nur in der Wolke handeln können. Wo bleiben die Zahlungen all der Browser, die Cookies benutzen und vom Cloud Computing reden? "Nur Verräter schließen Kompromisse", schrieb Philip Kendrian Dick.

Was wird.

Wanderer, kommst du nach Hannover zur CeBIT, der schönsten Stadt der norddeutschen Tiefebene: Wundere dich nicht. Da haben wir seit nunmehr zwei Jahren allen CeBIT-Besuchern mit Auto die Feinstaubplakette verscherbelt mit dem Versprechen, dass eines Tages nur die "Grünen" reindürfen. Eigentlich wäre es jetzt soweit, doch wir haben einen FDP-Umweltminister in Niedersachsen, der wieder einmal beweist, dass dieses Wörtchen "Freie" die Kurzform von "merkbefreit" ist. Per Erlass wird alles revidiert, damit auch die "Gelben" wieder fahren dürfen. Steuererleichtert erfahren wir seltsames Zeug wie den Plan von der elektronischen Gesundheitskarte, die plötzlich eine Bezahlungsfunktion haben soll.

Es kommt noch besser, Wanderer, wenn du es in der nächsten Woche bis nach München schaffst. Dort steigt am Wochenende der Digital Lifestyle Day, als 2.0-fluffige Veranstaltung mittlerweile in Digital, Life, Design umbenannt. Kurz bevor sich der Homo Davosiensis (Richard Sennett) in den Schweizer Bergen ans Entlüften der vollgestaubten Gedanken macht, werden seine Pupse im Vorflachland als Trends offeriert. So gibt es ein Panel über Informavore, die Informationsfresserchen, die nach den Pflanzen- und Fleischfressern die Erde bevölkern werden. Mit 2500 Euro für die Eintrittskarte distanziert man sich von ähnlichen Veranstaltungen wie der re:publica, wo Netzpolitik für Arme verhandelt wird. Natürlich sind alle Preisschilder nur symbolisch gemeint, das wissen die Vereinstalter und Mob-Dresseure. Umso freudiger stimmen sie alle in den Song schlechthin ein: I will survive.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 24 Januar, 2010, 00:07
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Im Unterschied zum schlichten privaten Schreiben ins Web werden Journalisten für diese Tätigkeit bezahlt. Das ist auch gut so, bei dieser Wochenschau und anderen Texten, die Onkel Heise kauft: ich kann davon leben. Andere kämpfen gerade um ihr Leben. Das Honorar für diese kleine Wochenschau geht diesmal an Ärzte ohne Grenzen, die mit ihren "Plug&Play-Hospitals" in Haiti helfen. Nein, das ist kein Spiel. Wer die Ärzte nicht mag, kann sich ja hier beteiligen. Wer pleite ist am Monatsende, sollte für die Zukunft zumindest ein Nichtkaufen-Häkchen bei den Firmen setzen, die mit der Katastrophe Werbung machen. Den Vogel schießt diesmal die schwedische Firma Anoto ab, deren PR-Meldung so beginnt: "Die schrecklichen Bilder in Haiti führen es wieder vor Augen: Bei Massenereignissen geht es zuallererst um schnelle und effiziente Hilfe vor Ort. Die mobilen Sanitätseinheiten der Schweizer Armee setzen daher bereits seit Anfang des Jahres auf eine ausgeklügelte Lösung für die rasche Erfassung und Verarbeitung von Patienteninformationen. Elementare Bestandteile sind dabei die digitalen Stifte..." Soso, dabei ist die Schweizer Armee pleite.

*** Alles glänzt so schön neu. Wie war das noch mit der seinerzeit teuersten Werbekampagne Deutschlands? "Raider heißt jetzt Twix, sonst ändert sich nix." Was für ein schöner Slogan! Auf einmal war die Welt viel heller und Philosophen schrieben tiefe Texte über das Sein und das Nix. Die Nix-Sex-Bewegung hatte Zulauf und jeder mümmelte enthaltsam seinen Schokostümmel von 29 Gramm. Heute ist das alles vergessen. Aus dem elektronischen Personalausweis wird der neue Personalausweis und die einzige Kampagne, das Kärtchen zu verbreiten, ist das Anfixen von 16-Jährigen, die unbedingt ihren ersten Ausweis haben wollen und sowieso gläserne Kerlchen und Mädchen sind.

*** Für die geplante Kampagne der Bitkomiker muss da schon ein besserer Name her! Wie wäre es etwa mit Identitätskondom oder schick denglisch IDentpres wie Identity Preservation Reservoir. Schließlich soll das Teil nur zertifizierten Firmen verraten, wer sich hinter SexyHornyBiSlut verbirgt, damit diese zertifizierten Firmen nach dem Datenstrip noch ordentlich mit den Daten Handel treiben können. Ist Identitätskondom zu peinlich, könnte man analog zu den Lümmeltüten von Lümmelkärtchen reden. Oder vornehm-hintersinnig von einem e-Tui sprechen, in dem die digitale Identität der künftigen Tuis steckt, die mitnichten chemische Nothelfer sind. Und für die Unterschichten könnte man bigbrothermäßig mit dem Wort Fratzencontainer darauf hinweisen, dass in dem Chip mehr Grips drinsteckt als in sieben Staffeln einer Fernsehsendung. Spätestens dann, wenn der Ausweis in allen deutschen Internet-Cafes pflichtschuldig als IDPrüferli neben den automatisch auslesenden PC gelegt werden muss wie beim Zigarettenziehen, wird Werbung für das Teil überflüssig. Die Zwangsbeglückung wird dann zur Erfolgsgeschichte verklärt.

*** Als Raider der Privatsphäre wird Google in Deutschland zum Urbösen erklärt, vor allem von Verlegern und Journalisten, die ihren Schrebergarten enttarnt, fotografiert und vermessen sehen. Die einen sehen durch Google gleich die Demokratie gefährdet, faseln von geheimen Servern und sehen in der IP-Adresse 8.8.8.8 schon den "Beweis" für die große Google-Verschwörung. Die anderen sehen schrumpfende Gewinne und machen Google dafür verantwortlich, dass sie über die Jahre ideenlos zugesehen haben, wie sich der Journalismus ändert. Gefordert wird ein Leistungsschutzrecht, doch hinter dem Gedanken steht der Versuch, die Pressekonzentration weiter voranzutreiben und die politischen Bedenken in Sachen Meinungsvielfalt auszuhebeln. 4G, das ist doch ein schöner neuer, unverbrauchter Name für die Fusion von Burda, Holtzbrinck, Springer, SWMH und WAZ, die Liste ist verlängerbar. Dann hat man zwar immer noch keinen Durchblick, was Google wirklich macht, aber Kinners, diese Synergien! Die vierte Gewalt, ein Großkonzern für Meinungs-Immobilien, wie praktisch. Und wie demokratisch: Wenn Google das Äquivalent zur Kommunistischen Partei maoistischer Prägung ist, sind alle anderen zusammen die Guten! Wer davon redet, dass Google auch eine Akademie der Aufklärung ist, ist böse.

*** Bill Gates hat diese Woche für Schlagzeilen gesorgt, weil er das macht, was Millionen anderer Menschen auch als Hobby pflegen. Gates bloggt und twittert, beschützt von einem eigenen Blogsupportteam, über das was er denkt, was er lernt und wohin seine Reisen gehen. Gedanken, Handlung, Tat und Blog sind alles eins, wie einst bei  Fichte. Was seinen Geist bewegt, ist durchaus ehrenswert und was er cool findet, wird in einfachen Sätzen mitgeteilt, nicht ohne auf den eigenen Anteil hinzuweisen. Selbst wenn Gates Notes das Produkt bezahlter Redenschreiber ist, ist dieser Bill Gates echt.

*** Viele werden es dank dem Google-Logo wissen, aber es schadet niemals, auf Django Reinhardt hinzuweisen, der mit zwei Fingern und einem Daumen Musikgeschichte schrieb, nachdem er einen Brand in einer Zigeuner-Wagenburg knapp überlebte. Sein Einfluss reicht bis hin zu den Powerchords der Schwermetaller. Gestern war der 100. Geburtstag des "Vaters" der europäischen Jazz-Szene. Und natürlich darf dieser Django nicht fehlen. Nicht zu vergessen Djangos Marseillaise, mit der zur Befreiung von den Deutschen gleich der ganze Nationalfimmel kommentiert wird.

Was wird.

Nein, es sind nicht die Informatiker in ihrer Nische, die ungeduldig auf ihre Uhr schauen, es ist die ganze Welt, die auf Apples Tablet wartet wie auf den Messias. Was soll das bestens berüchtete Gerät nicht alles können: Bücher speichern, Fernsehen steuern, Ehen retten und so weiter und so gähn. Interessanter ist natürlich, was das Gerät nicht können wird. Denn im Anfixen seiner Kunden ist Apple zweifelsohne Weltklasse: Man denke nur an die Anstrengungen, die die Firma unternommen hat, damit keine Firma eine vernünftige Tastatur für das iPhone anbietet, mit der längere Texte geschrieben werden können. Mit allen Kräften verhindern Juristen das iType von Ion Audio, blockieren Programmierer den Zugang zum iPhone: Geschrieben darf nur mit einer Brückenanwendung, aus der kopiert werden muss. iBah. Wer scharf auf das ultimative Gadget ist, vergesse Apple und greife zu diesem niedlichen Mausstaubsauger, komplett mit packender Produktbeschreibung: "The mouse has a dust reservoir at the back-end. But seems to be too small that needs you to empty it very often. Or else it might burst off and get your desk full of dust again." Heißer Staub, der uns einnebelt, das braucht die Welt!

Richtig vernebelt sind die Denker und Visionäre wie in jedem Januar, wenn sie in Burdas Laufhalle zum Thema Digital, Life Design einfallen, ehe es in die Höhenluft nach Davos zum Weltwirtschaftsforum und seinem Rethink, Redesign, Rebuild geht. Ausgerechnet zum 40. Jubiläum gab der Gründer Klaus Schwab der Süddeutschen zeitung ein (kostenpflichtig abzurufendes) Interview, in dem er als Obergrenze für Gehälter das 20-Fache des Mindestsalärs einer Firma forderte. Der typische Homo Davosiensis, der zum Geschäftemachen in die kalten Berge zieht, hat für solche Beschränkung ähnlich viel Verständnis wie Banker für Obamas Vorschläge. Nach all dem Google-Gegurgel wird CEO Eric Schmidt mit Interesse in Davos erwartet, wo die tatkräftigen Google-Gründer schon häufiger einen Auftritt hatten.

Glückliche Berliner, beneidenswerte Frankfurter: Die Welturaufführung (PDF-Datei) von Metropolis steht bevor, die Ausstellung zum Film ist in Berlin eröffnet. Wie war das noch in ferner Zukunft vor über 80 Jahren, als Herz und Verstand eine Einheit bilden sollten? Und wo bleibt die Erinnerung an Jef Raskins, der einfache Computer für Millionen bauen wollte und Apple mit seinen Ideen prägte? Zu seinen Lieblingsstücken an der Orgel zählte die Musikbegleitung von Metropolis.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 31 Januar, 2010, 06:30
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

Man arbeitet bis zum Tode
erschöpfter als ein Esel
früher aufgestanden als ein Hahn
später Feierabend als eine Nutte
nach fünf Jahren älter aussehend als alle anderen.

*** Dieses Gedicht stammt von einem chinesischen Fabrikarbeiter, der in einem Werk der taiwanesischen Firma Foxconn in Shenzen arbeitet. Dort wird der oder das iPad von Apple hergestellt. An der 499 US-Dollar teuren Basis-Version verdient Apple 203 Dollar, am Top-Modell für 829 Dollar sind es 446 Dollar, die Apple bleiben. Das meldet die Computerworld von der neuen Mother Lode der Kalifornier. Hinter jedem schicken iPad stecken erbärmliche Arbeitsbedingungen und nur wenige neue Innereien.

*** "Vorahmung" steht in der gedruckten Zeitung über dem Gedicht, in der Internetfassung leider zur platten Vorahnung verschlimmbessert. Denn wer wird es sein, der die Vorahmung von Apple nachahmt? Vielleicht die tageszeitung, die für das brandneue iPad-Abo warb?

*** Muttis Computer ist endlich da, begleitet von unzähligen Blogs und Tweets. Seit Al Gore das Internet und Twitter erfand, wurde noch nie so viel über ein vergleichsweise simples Gerät spekuliert. Der bunte Retro-Newton führte zu aberwitzigen Zeitungsgeschichten über das Ereignis, in denen ohne jede Faktenkenntnis schwadroniert wird. Aber was sollen die Armen auch machen bei einem Unternehmen, dessen Arroganz (oder ist es Paranoia?) inzwischen so weit geht, Journalisten auf Faktensuche freundlich Engadget zu empfehlen.

***  "Ein Lied geht um die Welt" ist ein Beispiel von vielen für so eine faktenarme Zeitungsgeschichte. Nein, liebe Süddeutsche Zeitung, der Apple Computer wurde 1982 nicht vom Time Magazine als Man of the Year gefeiert, es war der Personal Computer und das war eine der schlimmsten Niederlagen im Leben von Steve Jobs. Denn niemand anderes als Jobs sollte damals der Man of the Year werden, bis die Reaktion sich anders entschied. Ganz nebenbei konnte Steve Jobs die Musik von Grateful Dead nie leiden. Und das erste Zubehör, eine iPad-Weste, kommt von einer Firma, bei der Steve Wozniak im Aufsichtsrat sitzt.

*** Das iPad ist eine wunderbar sorgfältig kupierte Maschine, die weder als Netbook noch als Smartphone genutzt werden kann. Ob das Gerät tatsächlich dafür geeignet ist, die Digital Natives auf einem Einbaum durch das Internet surfen zu lassen, ist schwer die Frage. Analog zu iTunes soll ein Service wie iPaid entstehen, über den die kostbaren Inhalte der Verlage DRM-geschützt zum Leser rauschen. So hat die IT-Branche immerhin Grund zum Jubeln, da nach dem Kampf der Browser der Kampf der eBücher kommt. Kindle gegen iPad, das kann nur ein Jobs, das kann kein Obama bieten. Folgerichtig, dass die tageszeitung keine Links auf den Langweiler bringt. Wären bloß nur das Internet und Twitter nicht von Al Gore, sondern von Steve Jobs erfunden worden! Die Welt wäre ein Stück abfragebedürftiger.

*** Immer ein Stückchen besser soll die Welt werden, wenn das Weltwirtschaftsforum in Davos beendet ist. Dort beraten die Mächtigen und Macher seit 40 Jahren über die Schlechtigkeit dieser unserer Welt. Diesmal fehlten die Chinesen fast völlig, weil sie das iPad bauen müssen und obendrein stilecht ein Weltwirtschaftsforumklon eingerichtet haben. Statt Friede und Freude gab es diesmal selbstgemachten Eierkuchen aus faulen Eiern. Der Banker ist ein Stänkerer und zwar so derbe, dass der Geist nachhaltig irritiert ist.

*** Mit einem klaren Unentschieden endete zuvor in München die Debatte darüber, ob Maschinen oder Menschen die besseren Informationsfresser sind. Zu sehr ähnelten sich die Argumente der Teilnehmer in der entsprechenden Diskussionsrunde des DLD. Der Informatiker David Gelernter stimmte wunderbar mit den Zeitungsmachern Frank Schirrmacher (FAZ) und Andrian Kreye (Süddeutsche Zeitung) überein. So viel Harmonie muss belohnt werden und wird auch belohnt: Ab nächsten Frühjahr bekommt Gelernter eine regelmäßige Kolumne in der FAZ. Derweil mussten Journalisten, die partout einen Gegensatz in der verbalen Tätschelei sehen wollten, zum richtig groben Wortschatz greifen. Heraus kam die bemerkenswerte Formulierung weinerlicher Halb-Checker, offenbar in Referenz an das Supatopcheckerbunny. Oder hat da jemand seinen Schelling verlegt, dem wir das berühmte deutsche Wort Halbversteher verdanken? "Die Halbversteher, die Hegel sich für ihre Zwecke zurecht machen, sind ebenso schlimm, als die Nichtversteher, die sich ein Phantom als Hegel in den Kopf setzen."

*** Ob etwas zurecht gemacht wird oder nur ein Phantom ist, diese Frage ist im Fall vom guten Google und dem bösen China noch längst nicht entschieden. In München wollte man besonders gut sein und beschenkte alle Teilnehmer des DLD mit einem Nexus One, nicht ohne darauf hinzuweisen, dass der Hersteller HTC nur in Taiwan und Brasilien fertigt. Nur die Journalisten bekamen zeitlich limitierte Teststellungen, was einige verärgerte, die auf dem DLD die hohe Kunst des Bratwurst-Journalismus mit seinen wilden Feiern pflegten. Ein Google-Kontra kam bekanntlich von Bill Gates, dem frisch gebackenen Blogger. Prompt attestierte Kommentator Liu Dan von der Parteizeitung Good Times der Firma Microsoft ein "relativ tiefes Verständnis für den chinesischen Markt". Freuen wir uns mit Gates, auch wenn er gleichzeitig mit dem Verweis auf Deutschland zeigt, dass er keine Ahnung hat. Ja, bei uns ist die Holocaustleugnung ein Straftatbestand, wie in vielen anderen Ländern auch.

*** Dennoch kann ist Gates ein belesener, kluger Mann und der "Fänger im Roggen" ist offenbar sein Lieblingsbuch, wie hier zu lesen ist, in einem Abschnitt über Lernresistenz. Tatsächlich ist Salinger in den letzten 10 Jahren mehrfach in dieser kleinen Wochenschau aufgetreten, doch damit ist Schluss. Am Mittwoch ist der Schriftsteller gestorben, der "fuck" in die Literatur einführte und sich dennoch von der Wirklichkeit verraten fühlte.

*** Heute ist der Geburtstag des Mannes, der als europäischer Rekordhalter 22.514 Stellen von Pi auswendig kann. In Großbritannien gehört Daniel Tammet damit zu den 100 lebenden Genies. Die von ihm geschaffene Sprache Mänti sollte ursprünglich die Sprache der Na'vi sein, doch dann besann sich der Filmemacher James Cameron und bestellte bei einem Linguisten eine komplette Sprache, die in der Enzyklopädie des  Abstrusen ausführlich behandelt wird.

Was wird.

Die nächste Woche verspricht interessante Themen. Man denke nur an die nicht käufliche FDP, die für eine geile Spende für jede Sauerei zu haben ist. Ausgerechnet diese Schutzpatronin der Apotheker und Pharmabranche wird von der CSU aufgefordert, die elektronische Gesundheitskarte einzusparen. Damit die FDP nicht umfällt und die arg beschnittene Karte bleibt, rollt in der deutschen IT-Industrie eine millionenschwere Kampagne an, die Gesundheitskarte jetzt endlich oder nie einzuführen. Der konzertante Schwerpunkt liegt dabei auf dem "Jetzt endlich", das Nie wird nur drohend ausgehaucht, gemeuchelt von angeblich einer halben Milliarde Vorabinvestitionen. Es geht um die Investitionssicherheit der Wirtschaft und nicht um die Datensicherheit der Patienten.

Auch der "neue Personalausweis", einstmals als elektronischer Personalausweis vorgestellt, ist wieder einmal Thema eines Kongresses. Beim alljährlichen Smartcard-Workshop sind der Ausweis und die für ihn benötigten kontaktlosen Kartenleser das Schwerpunktthema der Kartographen. Der Kurs liegt an, der Plan ist stramm: im November muss alles beisammen sein.

Noch schneller soll es bekanntlich bei den Nacktscannern gehen. Geht es nach unserem Innenminister, so sollen die Scanner schon im Sommer kommen und natürlich fast freiwillig genutzt werden: Wer nicht durch den Scanner will, wird penibel abgetastet und nicht nur mit dem Metalldetektor abgewischt. So freundlich kann Europa sein, das will der Europäische Polizeikongress (PDF-Datei) des Behördenspiegels zeigen. Zum Warmlaufen für diesen Kongress hat der BKA-Präsident Jörg Ziercke einen neuen Beweis für die technische Kompetenz seiner Behörde geliefert, als er über die Stoppschilder flunkerte: "Denn wer solche Warnschilder bewusst umgeht, hinterlässt Spuren auf seinem Computer." Das sind offenbar Spuren, die nicht so einfach gelöscht werden können wie das Löschen einer IP-Adresse. Löschen einer IP-Adresse? Aber ja doch. "Das alleinige Löschen einer IP-Adresse führt damit nicht zum Verschwinden der schrecklichen Bilder aus dem Internet."

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Reminiszenzen und Statusberichte)
Beitrag von: SiLæncer am 07 Februar, 2010, 00:15
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich. Und nach 10 Jahren sei dieses Mal ein etwas weiterer und möglicherweise auch grundlegenderer Rückblick gestattet.

Was war.

*** Sind wir alles alte Säcke? Menschenskinder, Leute. So vergeht die Zeit. Vor 10 Jahren, am 6.2.2000 startete in der norddeutschen Tiefebene ein Projekt, dazu geeignet, die bescheidenen Zugriffszahlen auf den Newsticker am Wochenende anzuheben, aber auch als gepflegte Sonntagslektüre der Unentwegten. Eine kleine Wochenschau wurde installiert, die Informationsbröckchen zu sammeln, die es nicht zu einer richtigen Nachricht schaffen. 10 Jahre sind schnell rum, die Kinder sind aus dem Haus und müssen nicht mitten im WWWW-Schreiben zu irgendwelchen Fußballäckern gekarrt werden. Aus den Informationsbröckchen ist ein Informationsbröckchenberg geworden, so viele erwähnenswerte Nachrichtenschnippsel sammeln sich Woche für Woche an. Nein, das ist keine Informationsmüllhalde, aber dazu komme ich noch.

*** 10 Jahre und 536 Ausgaben, das ist aber auch sooo lange her. Zum Start der Wochenschau gab es keine Wikipedia, erst recht kein Facebook, das gerade auch Geburtstag feiert. Die deutsche Bloggerszene begann damals nur zögerlich, ein Wasserglas zu füllen: Der Schockwellenreiter, ein Großvater seiner Art, startete im April 2000 und benutzte dafür nicht das iPad, obwohl das doch viel älter ist. Ja, das WWWW begann mit langen Texten und nur wenigen Verlinkungen: Es sollte eben gerade kein Blog werden, wie es Doc Searls bei einer Diskussion im November 1999 vorgeschlagen hatte. Doch schnell wurde deutlich, dass die treuen Wochenschauleser einen besonderen Spaß an verlinkten Sachen hatten – Lernkurven soll man bekanntlich ungebremst durchfahren.

*** Das erste WWWW, die ersten Kommentare, der allererste Korinthenkacker zu einem Schreibfehler beim Namen des Slashdot-Gründers Rob Malda, überhaupt das Aufkommen der Forenkultur von Heise. Die Arbeit am WWWW machte von Anfang einen Riesenspaß. Heute längst vergessen, startete das WWWW auch deshalb hervorragend, weil Spiegel Online seine Foren schloss und Zig-Tausende von Beiträgen einfach gelöscht wurden, weil andere Verlage dazu übergingen, ihre Foren einer straffen Zensur zu unterwerfen. Die Freiheit des anders Lesenden endet an der Löschtaste. Das hat sich nicht verändert, die Medien werden zickiger, so manches frei getippte Wort geht ihnen zu weit und die Einrichtung einer Trollwiese ist ihnen zu aufwendig. Natürlich darf hier der Hinweis auf den Splitter im eigenen Auge nicht fehlen, der zu einem veritablen Balken wuchs, ehe er entfernt werden konnte. Und diese kleine Wochenschau bekam in der norddeutschen Tiefebene die schlechtesten Noten.

*** Das Internet, das ach so freie, befand sich zum Start der Wochenschau auf dem Höhepunkt seiner Kommerzialisierung. Zumindest sah es damals danach aus. Es knisterte bedrohlich und dann knallte es auch ordentlich, als im März 2000 die Dotcom-Blase platzte. Zurück zu kleineren, realistischen aber auch menschengerechteren Verhältnissen, das war ein Wunsch, der zum WWWW führte. Er stand gleich in der ersten Mail, mit der der Ticker-Redaktionsleiter Jürgen Kuri im Spätsommer 1999 begann, mich anzubaggern und abzuwerben. Ich schrieb damals Kolumnen auf toten Bäumen, die die Leser für das Internet begeistern sollte – es war die Zeit, als aus den technischen Hürden geknickte Streichhölzchen wurden und es nur noch schwache Ausreden gab, die Angebote im Netz nicht zu benutzen.

*** Wie begann noch mal das erste WWWW? Mit einem Satz zum angeblichen Information Overload, gegen den ad anno Gutenbergensis schon immer der beherzte Gebrauch von Filtern geholfen hat. Und mit einem kleinen Gespött über die alten Medien, die eine Zeitungsente produzierten. Der ganze Absatz, schamlos kopiert, zeigt eine Entwicklung und auch keine Entwicklung: Filtermechanismen, die die Spreu von dem Weizen trennen sollen, die aber auch Nachrichten unterdrücken können, sind hochkomplizierte Kill-Files. Manchmal versagen sie und schon debattiert die Republik über das Fax des Kommandos Helmut Kohl. Die Fälschung vor einigen Tagen mit der Mitteilung, Kohl wolle die Spender doch nennen, schaffte es, von einigen Nachrichtenagenturen verbreitet zu werden, die keine Zeit zur Überprüfung des Faxes hatten. Das Kommando hatte Tatzeit wie Tatort gut gewählt, einen Sonntagnachmittag in unterbesetzten Agenturen. Eine E-Mail mit denselben Behauptungen wäre wohl glatt nach dev null gewandert. Damit sich solche Pannen nicht wiederholen, wollen die Agenturen jetzt Codes an Parteien und Verbände ausgeben, die häufig Pressemeldungen faxen. Fehlt der Code, ist das Fax nicht authentisch. Bei E-Mail, deren Anteil am Nachrichtenaufkommen noch minimal ist, soll das Verfahren nicht eingesetzt werden. Der Enten-Schutz sei hier nicht nötig, weil die Kennung viel schwieriger zu fälschen sei, meint ein dpa-Mann. Eine mutige Aussage im Zeitalter des Spam.

*** Faxe, durch einen Code zertifiziert, sind heute längst Geschichte, weil faxen als Technologie ausstirbt, noch vor dem Zeitungsdruck, den sie eigentlich nach einem Plan von Nikola Tesla beerben sollte. So mancher Müll, den Agenturen heute produzieren, entsteht durch E-Mail ohne Entenschutz, durch einen Tweet ohne jegliche Quellenprüfung. Man kann bei Stefan Niggemeier lesen, dass die Verhältnisse sich nicht gebessert haben. Ganz nebenbei hat auch die Frage, wer denn die Geldspender der CDU waren, nichts an Brisanz verloren: Wir haben einen Finanzminister, den diese Frage mal beschäftigt hat. Und wir haben eine Debatte um Steuersünder-CDs, in der erstaunlich oft das Wort Moral vorkommt und nicht Morast, das die politische Argumentation um den Sport der Happy Few viel besser beschreibt.

*** Datürlich hat sich das WWWW über die Jahre verändert. Genau wie der Newsticker, der mittlerweile auch am Wochenende von Diensthabenden während der Wochenendschichten bestückt wird. Und erst das Internet! Zusammen mit dem digitalen Fortschritt haben wir heute Werkzeuge zur Verfügung, an die im Jahre 2000 nicht zu denken war – mitunter sind die Werkzeuge weiter als die Gesellschaft, die sie benutzen soll. Das führt bei technisch weniger interessierten Menschen zu panischen Reaktionen, während die aufgeschlossenen Geister überlegen, mit welcher Strategie man einen kühlen Kopf bewahren kann. Dass all das Neue auch das Gute ist, das da im rundum guten Internet auf uns zukommt, glauben wohl nur die Internetversteher mit ihrem Unbelehrbarkeitsdefekt.

*** Auffällig ist jedenfalls, dass über die Jahre hinweg sich die Missverständnisse nicht geändert haben. Im Jahre 1997 formulierte der Physiker Michael Goldhaber die Grundzüge seiner Theorie von der Aufmerksamkeitsökonomie, die eine neue Wirtschaftsgröße im Internet ins Spiel bringt, weil wir alle beachtet werden wollen. "The Internet is primarily a system for individuals to obtain attention for themselves." Jeder ist sein eigener Sascha Lobo. Der Mensch will Aufmerksamkeit auf sich ziehen, war die These, die heute huschhusch an die Geräte, wahlweise an die Medien weitergereicht ist, die von dieser Aufmerksamkeitsökonomie profitieren wollen. Die richtige Antwort auf diese Quirlerei war der sportliche Firstpost-Wettbewerb im Newsticker, bei Weitem mehr als ein schlichtes, schnelles "Erster".

*** Jaja, Erster. Die erste neue Theorie, die sich nach dem Start des WWWW entwickelte, war die von den Smart Mobs, den Schwärmen intelligenter Anwender, die sich gezielt zusammenfinden. Howard Rheingold schrieb schnell ein ganzes Buch darüber, ehe ein Schwarm auf den Gedanken kam. Das heißt heutzutage Book Sprint und produzierte gerade auf der Transmediale ein Buch, das – hier hat Jaron Lanier wohl recht – nur Suchmaschinen und andere e-Vehikel lesen werden. Aus der nämlichen schwärmerischen Ecke entwickelte sich nach den Smart Jobs die Idee des Crowdsourcing, für das die aktuelle Pressemeldung der CeBIT zu ihrer schwarz abgedunkelten Webciety eine hübsche Definition enthält: "Crowdsourcing bezeichnet die gezielte Auslagerung einer üblicherweise von Erwerbstätigen erbrachten Leistung auf freiberufliche Tüftler im Internet." Natürlich werden diese Tüftler entlohnt, mit Aufmerksamkeit.

*** Seit der Gründung von alt.journalism.newspapers im Usenet der 80er wissen wir, dass der Journalismus keine Zukunft mehr hat. Wer ihn dennoch verteidigte, bekam ehrenwerte Titel verpasst wie "Dümmster anzunehmender Journalist". Als das WWWW startete, gab eine Organisation den Geist auf, die Computer Press Association. Sie scheiterte an ihren eigenen "Code of Ethics", der Journalisten die "lebenslange" Annahme von Testgeräten untersagte. Solch bestechende Geschenke waren nach dem Jahr 2000 allgemein akzeptiert und sind heute populärer denn je, seit der allgemeine Gadget-Wahn die Szene nuttigt. Heute ist all das kein Thema mehr. Ein Sprücheklopfer wie Jeff Jarvis wird herumgereicht und darf allen Ernstes erzählen, dass die Zukunft des Journalismus unternehmerisch ist. Jeder freie Journalist wird über diese Binse müde lächeln. Wenn dann großartig gespuckte Entrüstung sich breit macht, dann darf man herzlich lachen. Hey, Daniel, das war schon OK so. Bereits im letzten WWWW vor dem Jubiläum schrieb ich von den verärgerten Kollegen, die ein Geschenk erwarteten.

Was wird.

Natürlich geht es weiter. Zum Beispiel mit dem Superbowl heute abend. Das war schon vor 10 Jahren so und noch viel früher, als Apple eine epochale Anzeige schaltete. Vor 10 Jahren gaben 17 Internet-Firmen insgesamt 42 Millionen US-Dollar aus, um prospektive Kunden zu erreichen. Mein Favorit damals im ersten WWWW war OurBeginnings.com, die heute bei einem Domaingrapscher zum Verkauf stehen: "Es hat uns 4 Millionen US-Dollar gekostet, Ihnen diese Adresse zu zeigen".

Heute abend startet aber auch @halfaber auf Twitter. Stilecht, auch als Reminiszenz an die aktuelle Debatte, mit einem Tweed pro Tag. Um um es genauso stilecht wie Jonny Schwartz mit einem Haiku zu sagen, beginne ich mit dem Meister Kobayashi Yataro und seiner Schnecke am Fujiyama:

Ja, Schnecke,
besteige den Fuji, aber
langsam, langsam!

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 14 Februar, 2010, 00:07
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Gleich vorab ein warnendes Wort an alle Leser: Diese kleine Wochenschau wird mit dem neuen, aber offenbar schon weit verbreiteten  Trivial File Transfer Protocol in die Redaktion geschickt. Mit diesem TFTP werden nämlich Terroranschläge dadurch verhindert, dass immer ein Stück Dummheit und Blödheit mitgeschickt werden. Dieser Huckepack sorgt dann dafür, dass Bomber ihre Mischungen vermasseln und Politiker das Netz nicht verstehen: Kleine, geschickt im Datenstrom versteckte Trivialitäten schlagen dabei der Realität ein Schnäppchen. Bekanntlich scheiterten die Sauerland-Bomber an der Aufgabe, H20 in Wasser aufzulösen. Politiker fanden die Auffahrt zur Datenautobahn nicht in ihrem Navi. Verdeckte Ermittler in sozialen Netzwerken twitterten das Menü des Tages aus der BKA-Kantine in Wiesbaden.

*** Trivialitäten, wohin man sieht: Aus irgendeinem Grunde ist Jeff Jarvis, der Hohepriester des Web 2.0 beim Saunieren in einer deutschen Sauna gelandet, in der Männlein wie Weiblein schwitzten, und hat daraus gleich eine Theorie der deutschen Privatsphäre entwickelt. Wäre es eine Kontaktsauna gewesen, hätten wir wohl Kolle 2.0 bekommen. So aber ist es bei der verschwitzten Erklärung der Privatsphäre geblieben, mit der sich der Befürworter von Nacktscannern intim gibt. Hoppsa, welche Trivialität hat aus diesen Geräten eigentlich Körperscanner gemacht? Und warum gibt es Ausdrucke, obwohl dies der Flughafenbetreiber dementiert? Wo bleibt die wissenschaftliche Untersuchung, was beim Trivial File Transfer alles passieren kann? Vielleicht die Erkenntnis, dass die Form den Inhalt beeinflusst. Besonders bei Bloggern kann man ganz abenteuerliche Deformationen und Herleitungen der Privatsphäre finden, wenn sie in freudiger Selbstaufgabe vom Kontrollverlust faseln und padeluun altmodisch finden: "Wir sind per se enteignet!"

*** Vielleicht ist es auch der triviale Unterschied, den Dan Bricklin in seinem schönen Buch On technology so formuliert: "I believe that there is a people factor in the adoption of technology that is too often neglected." Nur der, wer nicht an die Verantwortlichkeit der Programmierer glaubt, kann solchen Unsinn formulieren, wie der erwähnte Blogger mit defektem Kontrollsystem: "Heute muss die Privatheit künstlich, sehr aufwändig hergestellt werden. Opt-Outs bei Facebook, Haken, die man in seinem Internetbrowser setzen muss, Plugins, die man installieren muss, Caches und Cookies und Histories, die man regelmäßig löschen muss." Die behauptete Aufwändigkeit ist schlicht nur Schlamperei der Firmen und ihrer Programmierer, gegen die man sich wehren muss. Das zeigt das Beispiel von Google Buzz. Zwei Tage nach dem Start hatte Google die gröbsten Schweinereien umgebaut und den Kontrollverlust eingedämmt, ganz nach dem Firmenmotto "Don't be live".

*** Mit dem gebotenen demokratischen Anstand hat das EU-Parlament das SWIFT-Abkommen abgelehnt, auch wenn dieses mit dem Trivial File Transport Protocol wahre Wunder bewirkt. Die Wochenchronik registriert nach langer Dürre einen guten Tag für den Datenschutz, auch wenn in langen, zähen Verhandlungen herauskommen dürfte, dass hinter TFTP ein Terrorist Finance Tracking Program steht und keine Trivialinjektion in den alltäglichen Datenwahnsinn. Als Basis künftiger Verhandlungen schlage ich eine finnische Sauna vor, auf einer kleinen, leicht abzusichernden Schären-Insel.

*** Kultur kommt aus dem Lateinischen und leitet sich bekanntlich davon ab, dass schon im alten Rom der Mist und die Kotze auf die Felder gefahren wurden, zur Wiederaneignung durch Getreide und Bohnen. Nun hat sich eine 17-jährige an dem Mist und der Kotze eines Bloggers vergriffen und daraus, gepatcht mit vielen anderen Textübernahmen und Pappi, ein Buch gemacht, vor dem das deutsche Feuilleton ergriffen niederkniet. Derweil ärgert sich die Blogosphäre und selbst Don Silberkanne über das Feuilleton, das sonst bei jeder gelegenheit vor der Copy&Paste-Kultur warnt. Unbehelligt kann derweil die arrogante kleine Textdiebin auf Talkshows im Fernsehen unter anderen Kotztüten auftreten und ihre Kultur zeigen. Warum auch nicht, wenn jeder Überdenker weiß, dass man sich ungestraft am Overmind vergreifen kann, ohne korrekte Angabe des Griffs. Peinlich wird die Sache erst, wenn mit "Wir haben abgeschrieben" gewitzelt wird und die selbstproduzierte literarische Sensation mit einer im besten Sinne subversiven Aktion auf eine Stufe gestellt wird.

*** Jaja, die spinnen, die Römer. Von ihnen kommt nicht nur die Kultur, sondern auch die "Dekadenz": Der Mist wurde auch in spätrömischen Zeiten zwar immer noch kultiviert auf die Felder gekarrt, aber man kotzte und kackte mitten im Fressgelage. Das kann man bei Petronius nachlesen. Bislang ist dies eine der wenigen Quellen für das Vulgärlatein der niederen Schichten. Über die, die heute ganz unten sind, hat sich Guido Westerwelle von den Freiwilligen Deutschen Pensionsbesitzerschützern ausgekotzt, weil nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes die Menschenwürde neu berechnet werden muss. Ganz besorgt um die "Missachtung der Mitte" verkündete er: "Wer dem Volk anstrengungslosen Wohlstand verspricht, lädt zu spätrömischer Dekadenz ein." Zur grottenfalschen Analogie wie zur fehlerhaften Rechnung passt es bestens, dass Arbeitsministerin von der Leyen den Namen "Hartz IV" abschaffen und einen neuen nicht von oben herab verordnen will. Wie wäre es spätrömisch-neudeutsch mit Beapossi, gebildet nach Beati Possidentes, mit einem Hauch Tuttifrutti. Aber halt, da war doch noch der von Arbeitspflichten schwärmende Roland Koch. Zur Wiederfasturaufführung von Metropolis rühmte er die Restaurierung des Films mit der "Software unserer Tage", und die "von 1927 aus gezeichnete Darstellung des Menschen als Computer". Wer assoziiert da nicht die "Computeures" des Gaspard de Pronys, die armen, arbeitslosen Friseure nach der französischen Revolution, die schlicht als Rechenmaschinen die Werte logarithmischer Tabellen ausspucken durften? Aber vielleicht denkt man auch daran, dass das Hirn schnell in Marschtritt  verfällt, wenn man den Swing nicht hat. Aber Gelassenheit, Coolness und Hipness hat auch unserem Außenminister noch niemand nachgesagt, auch wenn er sich noch so sehr bemüht.

*** Nach dem Auftauchen diverser Datenträger mit Bankgeheimnissen wird in Deutschland eine interessante Debatte geführt. Im Extrem tanzt das Kamel auf dem Nadelöhr Tango, wenn eine Justizministerin befindet, dass man Daten nicht klauen kann. Vielleicht hätte sie mal mit ihren Ermittlern gesprochen, die in Bayern besonders gerne Festplatten ausbauen. Ein anderes Extrem kommt aus der Schweiz, wo spekuliert wird, dass nach den bösen Hackern über den Datendieb als Lehrberuf spekuliert wird. Noch hübscher ist freilich der Konter mit der Drohung, die Schweizer Konten deutscher Politiker zu veröffentlichen. Wer Stil beweisen will, wählt die geplante Wikileaks-Präsenz in Island zur Veröffentlichung. Dort sind die Banken längst geschmolzen.

Was wird.

So ganz verstehe ich ihn nicht, den Valentinstag heute. Wer mich mag, wird sicher nicht auf dumme Gedanken mit Krawatten kommen. Und Rosen aus Kenia sind sicher nicht romantisch, nur weit gereist. Ob aber die Idee, mit freier Software so viel besser ist? Egal, ich mach mich draußen in der hübsch verschneiten Tiefebene ans Umarmen des nächsten Schneemannes. Schnee und Sand stehen immer unter einer Free Commons License.

IT-mäßig gesehen sind Olympische Winterspiele seit jeher ein Leckerli. Wie war das noch mit Tonya Harding, deren Mail-Passwort auf der Rückseite der Akkreditierungskarte von einem Journalisten gelesen wurde? Oder nehmen wir die Spiele von Albertville 1992, die in HD-TV ausgestrahlt wurden, was heute begeistert im Tal der Ahnungslosen gefeiert wird. Als Antidot zu strunzdämlichen Fernsehkommentaren muss hier die Mitschrift von Jens Weinreich empfohlen werden, der neben Gedanken über den toten Rodler darauf verweist, dass München 2018 auch kritisch gesehen werden kann.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 21 Februar, 2010, 05:09
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Es gibt moralische und schwer moralische Fragen. Zu den moralischen gehört die, ob man sich auch die Hände gewaschen hat, auf dem Klo. Schwer moralisch ist die Frage, ob man überhaupt an einem Tag schreiben darf, an dem sich der große Journalist Hunter Stockton Thompson von der Welt verabschiedete. Müssen nicht alle journalistischen Drecksfedern ruhen in Gedenken an den Mann, der den Satz von HJF vom Kopf auf die Beine stellte: "Ein guter Journalist macht sich nicht mit einer Sache gemein, auch nicht mit einer guten Sache. Auch dann nicht, wenn er voll ist mit extrem nützlichen Dingen wie Alkohol, Drogen, Gewalt und Verrücktheit. Genau dann legt er aber los." Ein spannendes Portrait von Richard Nixon unter der Auflage zu schreiben, nur Fragen über Football stellen zu dürfen, gehört zu den großen Momenten des Journalismus. Aber hey, in Vancouver langweilen die Winterspiele mit einem gezähmten Bode Miller und einer gehemmten Maria Riesch. Da passt es schon mit dem Gonzo-Journalismus: Schließlich bekam Thompson den Ehrentitel "Gonzo" nach einer für den Playboy geschriebenen Geschichte über den Skiläufer Jean-Claude Killy. Der will bekanntlich Nizza zum Zentrum der Winterspiele 2018 machen und das mit Hilfe der größten Villenbesitzer in der Gegend, Bill Gates und Paul Allen. So schließt sich ein Kringel.

*** Gleich mit dem zweiten Kringel dieser Woche wird es etwas ernster, allem albernen Gekicher der neu produzierten Star-Autorin Hegemann zum Trotz. Schließlich hat das Axolotl auch in der IT seine Spuren hinterlassen. Der Titel der Kompilation, die das heilige Feuilleton deutscher Nation beschwafelt, erinnert natürlich an das Axolotl, das der Gen-Papst Juan Enriquez bei seinen Auftritten zur Zukunft des Homo Evolutis regelmäßig zeigt. Das Urvieh mit den schwarzen Augen repliziert sich selbst, hat sich aber von der Evolution verabschiedet. Diese treibt der Mensch munter voran: Nach Hör-Implantaten für Taube, Seh-Chips für Blinde oder ohrenzupfenden Äpps sollen Hörgeräte für den Walgesang und Chips kommen, mit denen der Mensch auch Infrarotlicht sehen kann. Mit den Maschinen zu einer neuen menschlichen Einheit verschmelzen, wie es William Grey Walter vorhersagte, das wird noch eine Zeit dauern. Auch das Internet wird sich weiter entwickeln, gefüllt mit einer eigenen Intelligenz wird sich Second Life wieder mit Leben füllen, ganz nach den feuchten Träumen der KI-Szene und der SM-Berater, die wieder auf Montage gehen können. Ob dann die berühmte Singularität eintritt, weiß nur das Wassermonster. Wie war das noch mit dem Technorealismus, der 1999 in der Dotcom-Blase so mitleidig bestaunt wurde?

*** Der dritte Kringel ist eigenlich ein Hoccer. Wer einmal Dateien auf diese Art vom Telefon aus geworfen oder gefangen hat, wird wissen, wohin die Reise geht. In Barcelona ist der Debütantenball der Telefone zu Ende und das Jahr der Androiden ist ausgerufen worden. 20 Millionen Droiden sollen es am Ende sein, wenn die Rechnung mit 60.000 Telefonen pro Tag stimmt, die Googles Eric Schmidt bei seiner Keynote präsentierte. Wer die nicht nur von der Batterie her abgeschottete, keimfreie Welt von Apple (das 8,7 Millionen iPhones in den letzten 3 Monaten 2009 verkaufte) nicht mag, hat eine Alternative. Geht es um die Anwendungen, so spielt die Spracherkennung und Sprachsteuerung eine zunehmend wichtige Rolle. Aus der Spache fließt alles und auch das erinnert an 1999 und den Papagei von Zazie in der Metro. Doukipudonktan?

*** Eine wirklich wilde Verfolgungsfahrt absolviert viertens sehr kringelig derzeit ein rechtmäßig in Deutschland zustande gekommenes Gesetz. Bundestag und Bundesrat haben es abgenickt, der Bundespräsident hat es für alle "überraschend" unterschrieben und so ist es in Kraft getreten, na Freude aber auch! Neben der Ankündigung, dass ein neues Gesetz alles anders machen soll und einer Ankündigung der für Gesetze zuständigen Ministerin, den ungeliebten Balg schnellstens zur Adoption durch die zensurerprobten Chinesen freizugeben, regte sich noch die oberste Polizeibehörde mit einem Erlass, das Gesetz nur teilweise anzuwenden: Es wird eine ordentliche Stange in den Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung gerammt, das beschlossene Stopp-Schild für die Surfer aber noch nicht angebracht. Was bleibt, ist eines dieser Warntäfelchen, die in meiner Jugend von der Deutschen Bahn an die Fenster geschraubt wurden: "E periculo sporgersi": Es ist gefährlich, das Web da draußen. Wild wurchtbar gewährlich.

*** Dräuen die Sperren, so sind sie doch nix gegen die Operation Muschtarak, die in Afghanistan begonnen hat und uns mit noch bekloppteren Phrasen versorgt, direkt von Joseph Conrad geborgt. Endlich geht es ins "Herz der Finsternis", jaja, ins furchtbare Helmand und das auch noch mit der Losung "Hold and Build" für den immer wieder gern angemahnten "Aufbau". Doch was ist mit dem Rückzug? Im internationalen Verband ist z.B. Deutschland für die Polizei zuständig und Japan für die Entwaffnung. So eine Schulung kann man auch in einer besonders gefährdeten Gegend durchführen. Passend dazu haben die üblichen Vernebelungen begonnen: Deutschland regt sich viel lieber über erfundene Schweineleber-Fressereien seiner Soldaten auf und wird darob gleich richtig philosophisch. Derweil sprengte es bei unseren Nachbarn die Regierung. Sollten die Kaaseköppen vielleicht sluwer sein als wir?

Was wird.

Hey, die CeBIT kommt und wenn die vielen Presseerklärungen recht haben, wird sie ein "Traum in 3D". 3D-TV, 3D-Kiosk, 3D-Live werden in der ausgesprochen zweidimensionalen norddeutschen Tiefebene triumphieren und uns auf das "Next Level 3D" führen. Freuen wir uns auf die Zukunft, wenn ich ein WWWW voller Ecken und Kanten präsentieren kann. Auch die knallige Dröhnung namens Webciety präsentiert sich wieder den erwarteten Messebesuchern, die 2010 mit Eintrittskarten überhäuft werden. Die neuen "Mechanismen der Webgesellschaft" wollen erörtert werden, etwa der "Flashmob als neue Form des Arbeitskampfes". Ob es so etwas überhaupt geben kann, hängt von einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes ab, die parallel zum Start der CeBIT verkündet wird. Denn mit der durchgeführten Vorratsdatenspeicherung können genaue Bewegungsprofile ganz ohne Mitlauschen der Gespräche erstellt werden. Die Ausführungen, die Frank Rieger vom Chaos Computer Club in der Erörterung vor dem Gericht in Karlsruhe mit schönem Kartenmaterial abrundete, können leider erst ab Montag online nachgelesen werden und stecken hinter einer Paywall. Es ist aber bezeichnend, dass die Nullen der Social Media den Vortrag reflexartig als Verdummung abwatschen. Sie passend zur Aufregung um Axolotl als Elektronik-Lurche zu bezeichnen, ist noch die freundlichste Umgangsart für diese algorithmisch leicht berechenbaren Menschen.

Kann die Politik vom Netz lernen? Sie kann es und sie tut es. Vergleichen wir nur die Sponsor-Möglichkeiten (PDF-Datei) einer dieser aufgeblasenen Konferenzen über das nächste dicke Ding. 50.000 Euro für ein Ständchen, weil Gespräche bekanntlich Märkte sind, 18.000 für ein Plausch über die Firma ("Best Practice") und 15.000 für die Teilnahme an einer Podiumsdiskussion zeigen: Der "Arbeiterführer" Rüttgers ist ein Schnäppchen. 20.000 das Ständchen, Plausch inklusive oder stumm nur 14.000 mit geilem Fotoshooting (nicht anfassen), das kann sich sehen lassen. Ein freibleibendes Angebot, Inder ausgenommen. Verglichen mit einer ordentlichen Spende zeigt sich, dass die CDU noch lernen muss, was die möFenDickPartei schon weitaus besser kann und was das DENIC so formuliert: br.de wird ausverkauft. Darauf ein Ständchen.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 28 Februar, 2010, 07:45
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** "Where are the waves?" Während man sich heutzutage Tsunamis schon live angucken kann (ob man das möchte, oder muss, oder gar sollte, das ist wohl eine Frage, die nicht mehr diskutiert wird), und bei manchen Zuschauern sich schon Enttäuschung breit macht, hat Deutschland so seine eigenen Probleme. "Guten Tag, hier ist der Escort-Service Jürgen Rüttgers. Lernen Sie mit uns das schöne Nordrhein-Westfalen von seiner intimsten Seite kennen. Heute neu mit riesigem Willkomensbonus in unserem Casino. Zur schnellen Beantwortung Ihrer Anfrage drücken Sie bitte 1 für einen Termin mit dem Herrn Minister, 2 für eine anonyme kostenlose Stornierung eines Termins. Drücken Sie bitte 3 für die gerichtlich erzwungene Abfrage des Dienstfahrzeuges und 4 für aktuelle Daten der laufenden Videoüberwachungen. Für alle anderen Fragen warten Sie bitte auf Godot. Sie werden mit dem nächsten frei werdenden PayPol-Mitarbeiter verbunden. Zur Qualitätssicherung unserer privilegierten Politiker-Partnerschaft werden die Gespräche nicht aufgezeichnet."

Tüt-tüt-tütelidüüt

"Bitte haben Sie einen Moment Geduld. Alle PayPol-Leitungen sind belegt. in der Zwischenzeit hören Sie die Laudatio zur Verleihung der Moses-Mendelssohn-Medaille an den unentbehrlichen Berthold Beitz, exklusiv aufgezeichnet von unserem Escort-Service."

Tüt-tüt-tütelidüüt

"Guten Tag, mein Name ist Hasi 4, Schneeschipperin. Was kann ich für Sie tun?"

§5&%%%!!!'##<§@

"Ich kann Sie nicht verstehen. Telefonieren Sie vielleicht mit einem iPhone? Dann vermeiden sie bitte alle zweideutigen Begriffe wie Stellung, Position oder Bar."

§5&%%%!!!'##<§@

"Sex? Ach, Sie sprechen sächsisch? Einen Moment. Ich verbinde Sie mit Stanislaw Tillich Opreptions-Service.

*** Ganz Deutschland in der Hand von Politikern? Aber nicht doch. Sooo schlimm ist es ja doch nicht. Wir haben ja noch Experten und Berater, aufrechte Menschen mit unabhängigem Urteil wie etwa Roland Berger, dessen Gutachten "Telematik im Gesundheitswesen" 1997 den Durchbruch für die elektronische Gesundheitskarte brachte. Das war zu einer aufregenden Zeit, als Helmut Kohl noch für die Menschenwürde kämpfte und Experten den aufrechten Gang predigten. Nun sind wir in spätrömischer Dekadenz dabei, das Gesundheitswesen mit einer Kopfpauschale umzukrempeln. Wie versprochen und berichtet, hat Gesundheitsminister Rösler dafür nun eine hochkarätige Expertenkommission eingesetzt.

*** Für Aufsehen sorgte in dieser Woche der CDU-Politiker Siegfried Kauder. Um dem Eindruck einer gewissen Bestechlichkeit durch die Zeitungsverleger zu entgehen, erklärte er das von den Verlegern geforderte überlebensnotwendige Leistungsschutzrecht für halbtot. Mit dieser Halblebendigkeit lässt sich trefflich weiter verhandeln über den Schnüffel-Zuschlag für die freie Presse, die ach so stark unter Google und anderen Suchmaschinen leidet, die keine Detekteien für "lousy pennies" beschäftigen. Detekteien? Im Zoff zwischen der "Bunten" und dem "Stern" präsentiert sich der Zustand des Journalismus, halbnackt und im Rahmen der journalistischen Sorgfaltspflichten ausgesoßt. So lesen wir von der Dienst leistenden "Christian Max Kießling Group", dass Schrift und Layout der vom Stern präsentierten Schnipsel nicht der üblichen Vorlage für Arbeitsprotokolle entsprechen. Das nennt man dann wohl Formatierungsbetrug. Das ausgelagerte Drecksgeschäft der Güllefedern als journalistisches Söldnertum zu bezeichnen, ist noch die netteste Bezeichnung durch eine Edelfeder.

*** Wo die Grenzen der Pressefreiheit liegen, bestimmt das Gesetz. Doch die genaue Grenzziehung wird immer wieder ausgehandelt. Es ist kein Geheimnis, dass auch diese kleine Wochenschau und der Verlag, der sie veröffentlicht, sich dabei Beulen holten. Es passierte in einem Satz zur Realitätsverschiebung eines Anwalts, der eine Passion für Waffen hatte. Das Ganze illustriert mit einem Link zu militärisch drapierten Bildern, auf die der Anwalt selbst hingewiesen hatte. Den Vorgang bewertete das Gericht als Verletzung des Persönlichkeitsrechtes des Abgebildeten. Nun hat der Anwalt zur Waffe gegriffen in einer Situation, die er als auswegslos betrachtete und Suizid begangen. In einer Pressemeldung des FoeBuD zu seinem Tod wird die Ambivalenz deutlich, mit der die Netizen auf die Nachricht reagierten: "Nicht jeder mochte ihn, aber wir kamen immer mit ihm klar – obwohl auch wir nicht alles schätzten, was er so angestellt hat. [...] Er hat unseren Lebensweg bereichert; wir bedauern, dass wir in stürmischen Zeiten uns nicht besser um ihn kümmern konnten." So endete das Leben eines intelligenten Menschen, der sich selbst sein größter Feind war. Er fand Lücken im deutschen Rechtssystem, die er ohne Hemmungen ausnutzte. Einer von denen, die durch den Anwalt in den Bankrott getrieben wurden, schrieb in seinem Nachruf: "Er hätte als Techniker und Jurist so viel erreichen können, er hätte die nichtsahnenden Juristen fortbilden können in Sachen EDV. Es war aber seine Entscheidung, lieber negativ zu wirken. Dabei ist er nicht einmal reich damit geworden, sondern krank und einsam. Es soll uns eine Warnung sein. Wer mit den Menschen arbeitet, statt gegen sie, der hat am Ende mehr."

*** Olympia geht zu Ende. Der große Verlierer sind die Niederländer, die auf Sven Kramer und die Svenergy-Kampagne gewettet haben, in der Hoffnung, niedrige Strompreise zu bekommen. Dank eines Spurfehlers wird für sie der Strompreis steigen, während der Unbesiegbare den Sponsor wechselt. Witzbolde tippen auf TomTom. Der groß Gewinner sind die deutschen Skifahrerinnen, vom Boulevard als "Blitzmädel" ausgerufen, ohne jede Ahnung über die historischen Wurzeln. Wie war das noch im Februar vor 65 Jahren, als Frauenbataillone gebildet werden sollten? Das war ganz sicher nicht im Sinne der Gleichberechtigung. Was mich zurück in die IT-getränkte Welt bringt, in der die Wikiseite der Piratinnen vom Vorstand wegen eines Verstoßes gegen die Parteisatzung kommentarlos gelöscht wurde. Inzwischen ist die Löschung unter Vorbehalt revidiert, das Ganze eine Diskussionsvorlage geworden mit dem hintersinnigen Titel: Klarmachen zum Gendern. Ein Schelm ist der, der etwas vom Kentern liest.

Was wird.

Wie bereits in der letzten Wochenschau angedeutet, geht es nun zur Sache. Das Bundesverfassungsgericht gibt seine Entscheidung zur Vorratsdatenspeicherung unter dem Hashtag #vds bekannt und diese soll, wenn das Raunen eines Richters stimmt, von europäischer Tragweite sein und ein "Grundsatzurteil zu der Massenspeicherung von Telefon und E-Mail-Verbindungsdaten". Wer Nachhilfe braucht, warum das Urteil wichtig ist, sei noch einmal auf einen Text verwiesen, der mittlerweile auch für Menschen mit Papierallergie lesbar geworden ist.

Bleibt die Frage, ob sie ihn verstehen werden. Denn gerade die Apologeten des Social Web sind leider nicht die hellsten, wenn sie sich über Väterchen Datenschutz lustig machen und offenbaren, dass eine Straßenlampe mit Lichtsensor mehr "Intelligenz" besitzt als diese Allesinsnetzschreiber, bei denen es am Ende heißt: "Und außerdem bereitet es mir eine diebische Vorfreude, eifrige Mitarbeiter des Innenministeriums über permanent einflatternden buzzes, tweets und anderweitigen Updates Ihrer Zielpersonen verzweifeln zu sehen..." Für diese sozialen Vollpfosten zur Kenntnisnahme: Dafür gibt es eine Web 2.0-Software namens Centrifuge, die sowohl beim Verfassungsschutz wie beim Bundesnachrichtendienst eingesetzt wird und über das gemeinsame Antiterrorzentrum GTAZ in brüderlicher Nächstenliebe mit dem BKA geteilt wird. Den Firmensitz des Herstellers ist Pullach. Polizeiliche Vorfeldermittlungen in Sozialen Netzwerken wird längst auf Polizeischulen gelernt, verdeckte virtuelle Ermittler sind angedacht.

Väterchen Staat ist viel weiter als die Menschen, die im Kontrollverlust einen orgiastischen Zustand sehen. Es gibt dazu freilich auch die kaum weniger überdrehte Vision von Out of Control, wo alles längst verloren ist und die Schlachten längst geschlagen sind. Wie wäre es mit einer nüchternen, soma-freien Sicht auf das Jetzt.Sofort.Alles, ehe man unkritisch davon schwärmt, Teil einer digitalen Sphäre zu sein, die wie eine Waberlohe um uns flackert?

Dann wäre da noch die CeBIT, komplett mit stark geschrumpfter Partyliste und dem ausdrücklichen Hinweis, dass Messetickets auch Nahverkehrstickets sind: In dieser schönen Stadt braucht niemand den Käßmann zu machen, bis die Bürgersteige hochgeklappt werden. Das Gastgeberland ist Spanien mit Blick auf das Hinterland namens Lateinamerika, zentrales Thema ist der selbstbewusste Umgang mit dem Internet. Große Gebiete, große Worte. Wo fangen wir an, in welcher Halle? Wie wäre es mit dem Selbst, das mündig werden muss, ehe es bewusst handeln kann? Sonst bleibt es doch beim "großen Rundgang für farbiges Druckerpapier" und ähnlichen Übersprungshandlungen.

Denn Kurzschlüsse gibt es ohnehin genug. Man lese nur die Mitteilung der Datev-Steuerberater zum fast sehnsüchtig erwarteten elektronischen Lohnzettel, auf den sich deutsche Arbeitnehmer freuen. Nur lesbar mit dem elektronischen Personalausweis, dem großen CeBIT-Thema anno 2010. Natürlich ist das neue Kärtchen hochsupersicher, genau wie die deutschen elektronischen Reisepässe der murksenden Mossad-Agenten.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 07 März, 2010, 07:44
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war

*** Die CeBIT ist vorbei, die Vorratsdatenspeicherung gekippelt, die Sauerland-Gruppe verurteilt. Der Schnee ist wieder da und SCO kann mit einer genehmigten Finanzspritze und kleineren Fleischwunden weiter machen. Eine Erfolgsmeldung reiht sich also an die andere. Wer will da mäkelig sein und die Meldungen ausklopfen wie den berühmten Schiffszwieback? Wer will die schöne neue Kommunikationswelt madig machen? Das WWWW natürlich: Nur hier gibt es das bewährte Grau in Grau, das Genöle und das platt Getretene, den Quark von gestern und den Käse von morgen.

*** Ein Herz für den Jammer, das ist es, was fehlt. Man lese nur die Beschreibung zur Verwanzung eines Mietwagen, den die doch so raffiniert vorgehende Sauerland-Gruppe gleich mehrfach anmietete, um das Gejammer über eine schnelle Reparatur des Vorratsdatenspeicherungsgesetzes als das zu Entlarven, was es ist, ein fröhliches Getrolle. Hinter der Tür wird dann gejubelt, weil abseits der Hürde eine nette Bürde geschaffen wurde, auf die die Maschinenräumerin aufmerksam macht: Es kommt der Tag, da wird Anonymisierungssoftware in Deutschland verboten sein. Der flottierenden Identität im Internet wird der Krieg angesagt, ein Trend, den De-Mail und der neue Personalausweis unterstützen. Niemand im Netz weiß, dass du ein Hund bist, aber jeder kennt deine Hundemarke und deine Vorlieben.

*** Ach, dummes Bürgerlein, das ist doch erst der Anfang der De-Anonymisierung, mit der die Deterritorialisierung des Netzes bekämpft wird. Hoch oben im Norden, wo die norddeutsche Tiefebene am riesigen Bungsberg endet, hat Dataport, der IT-Dienstleister der Behörden von Schleswig-Holstein und Hamburg, die Mail-Kommunikation auf eine Whitelist umgestellt. So wird aus dem ganzen E-Government-Gedöns eine Leerformel für all diejenigen, die "verdächtige" Mail-Adressen besitzen, so wird aus der E-Mail die U-Mail, die Untertanen-Mail für verifizierte Subjekte. Pfeifen wir auf den Tatbestand der Nachrichtenunterdrückung nach dem Telekommunikationsgesetz! Es ist schon schlimm genug, wenn es noch Internet-Provider gibt, die nicht 48.000 Euro an die FDP gespendet haben, in kleinen, gewellten Scheinen.  Da hilft nur kräftiges, lang anhaltendes Jammern.

*** Ob zudem die europäische Richtlinie über Bord geworfen werden kann, ist schwer die Frage.  Mit dem deutschen Urteil zeigt sich einmal mehr, wie problematisch diese Richtlinie ist. In einem aufschlussreichen Interview über die nicht vom Himmel fallenden Normen des deutschen Grundgesetzes kann man diesen wichtigen Gedanken komplementär zur Entscheidung des Verfassungsgerichtes lesen: "Die Gesetzgeber sollten sich öfter fragen: Muss etwas überhaupt geregelt werden? Und muss das unbedingt auf EU-Ebene stattfinden?" Wir haben die Wahl zwischen einer EU der Eurokraten und einer Völkerverständigung nach dem Vertrag von Lissabon. Jammern nutzt da gar nichts.

*** Die Bradyarthrie der Branche ist besiegt, schließlich soll das Treffen in Hannover 19 Milliarden Euro Investitionen generiert haben. Der "Investitionsstau" löst sich auf, feier Bahn dem freien Bürger im freien Netz. Das muss man doch genießen, auch wenn mir niemand auf der CeBIT erklären konnte, wie das hübsche Sümmchen eigentlich berechnet wird.  Drei Prozent Besucher mehr pro Tag, 30 Prozent Aufträge mehr– und das im wilden Hannover und nicht in Second Life generiert! Damit die Sache weiter funzt, will die CeBIT nächstes Jahr tausend Blumen blühen lassen und eine "CeBIT pro", eine "CeBIT gov",  eine "CeBIT lab" und eine "CeBIT life" feiern. So muss man das wohl nennen, wenn man angreifen und nicht "CeBIT los" proklamieren will. Das würde ein Bild des Jammers ergeben.

*** Für Politiker wie Jürgen Rüttgers, der in dieser Woche einen CDU-Zukunftskongress mit dem hinreißend hintersinnigen Titel "Neue Moral oder altes Casino" veranstaltet hat, kommt dieses CeBIT-Jubiläum etwas ungelegen: Vor 10 Jahren verkündete der c't-Autor Gerhard Schröder anlässlich der CeBIT eine Initiative, die qualifizierte IT-Fachkräfte ins Land spülen sollte. Das Teil erhielt zunächst den ampeligen Namen Red Greencard und wurde von dem bekennenden Moralisten Jürgen Rüttgers heftig angegriffen: Kinder statt Inder sollten programmieren und in der Bundeskinderprogarmmiersprache Squeak die Schildkröten zum Rennen bringen.  Die Rekord-CeBIT spülte den Stress mit 180.000 Liter Bier hinunter und man versprach, nett zu den Indern zu sein. 33.000 sind nach Angaben des Bitkom gekommen, was der Zahl von drei Jahrgängen an Informatikstudenten entsprechen soll. Auf Dauer bleiben durften die tollen "Inder" bei einem Jahresgehalt von mindestens 66.000 Euro. Genau 150 IT-Spezialisten machten von dieser Regelung Gebrauch. So werden Erfolgsgeschichten im Land der Jammerer geschrieben.

*** Zum Ende der CeBIT kann man Warst du nicht fett und rosig? singen oder mit dem Oldie von der schönen Frau schwärmen, ganz im Stil von Roy Orbison. Zur Feier des Tages muss es heute aber die Version mit der haarigen, fetten Frau sein, die 2 Live Crew produzierte. Denn exakt heute vor 16 Jahren erging ein Urteil des US-amerikanischen Obersten Gerichtshofes, dass eine Parodie eines Liedes von der Fair-Use-Regelung gedeckt ist. Neben den Rechteinhabern von Roy Orbison klagten Dolly Parton und Michael Jackson. Auf die Seite der parodierenden Rapper stellten sich das Mad Magazine, der Harvard Lampoon und der TV-Spartensender Comedy Central. Die Koalition der Lustigen gewann: "Like less ostensibly humorous forms of criticism, parody can provide social benefit by shedding light on an earlier work and, in the process, creating a new one." Das Urteil gilt als ein Grundstein der heutigen Remix-Kultur und hier wird es natürlich mit Willie the Lion Smith begangen, der Zeit seines Lebens nur kopierte – wie er gerne witzelte. Das Ganze ist ein Geburtstagsständchen für Billy Taylor. Und natürlich ist dieser kleine Exkurs in die Musike nicht vollständig ohne Stevie Wonder, der nach 30 Jahren in dieser Woche seine Auszeichnung als "Commandeur des Arts et des Lettres" abholte, für einen Auftritt in der Sesamstraße. Dazu kassierte er noch einen "Victoire de l'Honneur" für sein Lebenswerk. Verdient, verdient, verdient: Wer gegen diese Jam-Session die Schröderband Scorpions ins Feld führt, muss mit Fleischwunden rechnen.

Was wird.

"Während des Tages sammelt er über sein Handy Angebote von Werbeschildern, Plakatwänden, aus Radiosendern oder Onlinespielen ein. Manche Ketten haben wie damals auf der CeBIT ihre 'Einheitsläden' in 'Second Life' nachgestellt. Paul kann sich dort bereits virtuell mit dem Produkt vertraut machen. Im Laden angekommen, wird er ohne Umwege zum richtigen Regal gelenkt, kann dort die Ware begutachten oder ohne Begutachtung sich nach Hause schicken lassen. Dazu schnappt er sich als Erstes einen digitalen Einkaufsassistenten." Heinz' Life, ein Buch, das auf der CeBIT 2010 vorgestellt wurde, schildert in dieser Passage das Leben im Jahre 2013 und wie Heinzens Sohn Paul einkauft. Die ganze Geschichte dieses 'Tage'-Buches geht bis zum Jahre 2032, dem Jahr, in dem Heinz 70 Jahre alt sein wird. Er ist dann etwas älter als Jonas, gehört aber immer noch zu den schlimmsten Vertretern des Homo Faber. Seine Frau liegt im Koma (appalisches Syndrom), und der Informatiker beginnt, "sich aktiv mit der Situation meiner Frau auseinanderzusetzen". Er entscheidet sich für eine Behandlung mit implantierten Tiefenhirnelektroden, die von einem Rechner gesteuert das Gehirn stimulieren, doch bitte mit dem ollen Denken, Fühlen und Kacken wieder anzufangen. Der Plan geht auf, schließlich steht SAP dahinter und nicht ein wahnsinnig gewordener Fork in der Open Source.  Wer die blutarme Geschichte von Heinz liest, wird sich auch für den Gedanken interessieren, dass der Mensch eine ganz schlichte Maschine ist, wie ein hübscher lastbarer Esel (oder Eselin, wenn das gendernietzschig wichtig ist. Hammer statt Jammer!

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 14 März, 2010, 00:09
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** One
A Poem
A Raven

Midnights so dreary, tired and weary,
Silently pondering volumes extolling all by-now obsolete lore.
During my rather long nap - the weirdest tap!
An ominous vibrating sound disturbing my chamber's antedoor.
"This", I whispered quietly, "I ignore".

Es ist eine Weile her, dass die kleine Wochenschau die Poesie zu Worte kommen ließ. Doch heute, am Tag von Pi, darf die Cadaeic Cadenza nicht fehlen, der unbestrittene Höhepunkt zeitgenössischer Pipilogie. Ein Gedicht, das die ersten 3834 Stellen von Pi angibt und obendrein Poes Meisterwerk nacherzählt, das ist der echte Tribut an eine Zahl, die für viele traumatische Erlebnisse im Mathematikunterricht steht, ganz ohne anfummelnde Lehrer, in der rettenden Hölle die laufend von Schülern verführt werden mussten. Pi, besungen von Kate Bush. Man kann es hier hören und die idiotische Diskussion ignorieren, ob ein Lied über Pi ein Verstoß gegen das Copyright enthalten kann. Poe und Pi, das mitlerweile von ordinären PC berechnet wird, ergeben eben Poesie:

Once upon a midnight dreary, while I pondered, weak and weary,
Over many a quaint and curious volume of forgotten lore,
While I nodded, nearly napping, suddenly there came a tapping,
As of some one gently rapping, rapping at my chamber door.
"'Tis some visitor", I muttered, "tapping at my chamber door ---
Only this, and nothing more."

*** Ja, die Besucher, die können schon schwer zwicken. Nehmen wir nur einen der erfolgreichsten Internet-Unternehmer Deutschlands, wie die neutrale Wikipedia säuselt, der mit seiner United Internet fleißig an die Mövenpickpartei spendet und in dieser Woche mit unserem Außenminister auf Besuch nach Südamerika geflogen ist. Beratend in Sachen Internet für Firmen in Brasilien und Argentinien war er dabei, als Westerwelle den Satz prägte: "Wer Märkte verschläft, den bestraft das Leben." Klar doch, dass man da einfach nicht schlafen gehen kann, sondern mitjetten muss, genau wie Michael Mronz und Cornelius Boersch mit diesen Mainzer Spitzenfirmen Arygon und ACIG, die beste deutsche RFID-Technologie im Ausland verbreiten. Besonders bedankt hat sich der EADS-Mitflieger Stefan Zoller vor der Presse für Westerwelles Auslandstrip, weil Brasilien offenbar so ein kniffliger Markt ist, den man schnell verschlafen kann. Wer will in dieses Gemengelage den ersten Stein werfen und dann noch mit so furchtbaren Folgen? Die Demokratie wird gefährdet, diese unsere freiheitlich demokratische Grundordnung wankt. Da muss der Michel seine Zipfelmütze aufsetzen und, erschrocken über den linken Zeitgeist ohne Antwort auf die Fragen schlafen, schlafen, schlafen. Ganz nebenbei bemerkt, war niemals davon die Rede, dass das Leben so mirnix, dirnix bestrafen kann. Die korrekte Übersetzung aus dem Russischen lautet: Gefahren warten nur auf jene, die nicht auf das Leben reagieren.. Ein warnender Satz für alle Schlafmützen.

*** Nur die Michel, die sich beim Langschlafen unter einen großen Stein legen, werden nichts davon gehört haben, dass eine neue Abgabe für 20 Millionen gewerbliche PCs in Deutschland kommen soll. Sie soll ähnlich der GEZ-Gebühr eingezogen werden und den ach so bedürftigen Verlagen ausgezahlt werden, die mit Hilfe der Mövenpickpartei ein Leistungsschutzrecht ins Regierungsprogramm gestrickt haben. Denn angeblich kann man mit Journalismus im Internet kein Geld verdienen, nur verlieren. Die Leistung, für die Herr Keese vom Axel-Springer-Verlag Geld sehen will, besteht angeblich in der "Rangreihenfolge der Informationen", die die Verlage herstellen. Etwa dann, wenn sie ein Buch totschweigen, das sich mit dem Verschwinden der Medien als kritische Instanz beschäftigt. Die Debatte wird nicht besser, wenn sich ein Thinktank-Leiter zu Worte meldet und eine Google-Steuer fordert, der sich mit Legitimationsproblemen moderner Staaten beschäftigt (PDF). Geoff Mulgan veröffentlichte 1997 Connexity, in dem sich ein Plädoyer dafür findet, dass Zeitungen den Ausbau des "Information Highway" finanzieren sollten, im Interesse einer lebendigen Öffentlichkeit. Die Debatte wird sogar noch schlechter, wenn sich etwa der Netscape-Entwickler zu Worte meldet und den Zeitungen das Verbrennen der Boote empfiehlt, eine Strategie, die von einem der schlimmsten Menschenschlächter der Geschichte stammt, der drohenden Verrat fürchtete.

*** Gehen wir Journalisten jetzt alle mit der Sammelbüchse herum, erbarmungsklapprig um einen Heller bittend? Ich hoffe nicht. Selbstbewusste Leser auch dieser kleinen Wochenschau können das wunderbare Helferlein Adblock für diese Seiten aus der norddeutschen Tiefebene ausschalten und das wär's schon. Damit dieses Modell, ganz klassisch mit Fütterung durch Werbung, funktioniert, muss man freilich an die ebenso klassische Funktion des Journalismus glauben, den Fakten und nicht den Ärschen hinterherzukriechen. Das aber fällt zunehmend schwer. Die in dieser Hinsicht erschütternde Tiefendimension eines moralisch verkommenen und fachlich versagenden IT-Journalismus wird ausgerechnet in der unendlichen Geschichte demonstriert, in der über die SCO Group in einer Berufungsverhandlung (nach deutschem Recht, in USA ist es ein neues Verfahren) sehr unappetitliche Details bekannt werden. Da gibt es also IT-Journalisten, die auf Anweisung eines Pressesprechers die übelsten Geschichten produzieren und dafür "war pay" verlangen, gewissermaßen ein Kopfgeld für Behauptungen, dass Open Source am Ende ist. Die jede Woche ihre Notizen wegwerfen, damit die Schleimspur der Gefälligkeiten nicht auffällt. Der laufende Prozess beschäftigt die Geschworenen noch zwei Wochen, doch dieser Tiefpunkt dürfte schwer zu überbieten sein. Darum sei weider einmal Shakespeare angeführt, ganz wie in früheren Zeiten dieser Wochenschau, als noch Gewissheit herrschte, dass "unendlich" keine juristische Kategorie ist:

"Zeit ist bankrott und schuldet mehr dem Zufall, als sie wert ist."

Was wird.

Bleiben wir bei Shakespeare und seinem "Hütet euch vor den Iden des März", die Montagmorgen beginnen. Julius Cäsar hütete sich nicht – "den besseren Gründen müssen gute weichen". So man dies verallgemeinert, bleibt schon mal der Hinweis auf die Vorratsdatenspeicherbewegten, die zur nächsten Demo am 11. September aufrufen. Derweil machen sich die Daten breit und breiter. Glaubt man diesem Bericht der BBC, kommen Mobiltelefone auf den Markt, die genau prüfen können, ob die 1-Euro-Schipper und -Jobber wirklich den Schnee wegräumen oder nur eine Fluppe rauchen und über Hertha BSC lästern. Das alles wird möglich in einer bankrotten Zeit.

Nach einer Pressemitteilung der Telekom sieht es jedoch viel zickliger aus. Da hat sich in dieser Woche der Zukunftsforscher Ray Kurzweil die T-Gallery mit mehr als 120 Erlebnismomenten angesehen. Der Hoheprediger der Singularität traf auf René Obermann und seine T-Visionen. Entsprechend gehoben trabt die Sprache in der Pressemeldung herum. Nachhaltiges Design ist selbstverändlich? Von wegen: "Nachhaltigkeit im Design muss ein Selbstverständnis werden. So sind leicht abbaubare Materialien ebenso ein wichtiges Thema wie auch neue Kommunikationsmittel beispielsweise für Menschen mit Sehbehinderungen: Eine gut lesbare Schrift hilft in diesem Fall weiter. " Das beruhigt ungemein, zumal eine drastische Erweiterung von Telekom-Diensten bevorsteht und die Firma selbst ab Montag weiblicher werden soll. Spannend wie eine Sendung von Maybritt Illner ist das.

Ich wiederhole mich mit dem großen Barden und wünsche eine schöne Woche:

Leben ist nur ein wandelnd Schattenbild;
ein armer Komödiant, der spreizt und knirscht
Sein Stündchen auf der Bühn', und dann nicht mehr
Vernommen wird: ein Märchen ists's, erzählt
Von einem Dummkopf, voller Klang und Wut,
Das nichts bedeutet.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 21 März, 2010, 00:15
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Liebe Genossinnen und Genossen, liebe Bürger und Bürgerinnen! Der freie deutsche Arbeiter- und Bauernstaat blickt mit Abscheu auf das Treiben in der BRD. Heute geht unser Blick nach Hannover, der Hauptstadt der norddeutschen Tiefebene, wo in all seiner Flachheit der deutsche Straßenroller erfunden wurde. In dieser Stadt sind wir wieder einmal Zeuge, wie der Kapitalismus die Hirne vergiftet und Politiker willig katzbuckeln. In dieser Stadt lebte und arbeitete Dieter Oesterlen, der nach der Befreiung vom Faschismus am Leineschloss für die Demokratie einen denkmalswürdigen Plenarsaal baute. Ganz bewusst verzichtete Oesterlen auf Fenster, damit sich die Volksdiener auf ihre Arbeit konzentrieren können. Heute ist das alles vergessen, heute wird der denkmals-"geschützte" Bau nach einem Beschluss des Parlamentes abgerissen und durch einen Glasbau ersetzt, in dem sich die Eitelkeit und Geschwätzigkeit des Kapitalismus spiegeln kann. 45 Millionen Euro werden dafür ausgegeben, dass drei Tage im Monat die Repräsentaten einer Demokratie zusammenkommen, die alles andere ist als eine demokratische Vertretung der arbeitenden Menschen. So sehen wir wieder einmal, dass der Feind keine Kultur hat und dort, wo noch Kultur war, mit Glas Transparenz simulieren will. Wie anders sieht da unser wunderschöner Palast der Republik aus, ein souveränes, gepflegtes Rasenstück, das den Willen des Volkes symbolisiert: Nie wieder Krieg, nur Federball!

*** Heute vor 50 Jahren startete das Westfernsehen im Ostfernsehen. Nach 1519 Sendungen verabschiedete sich Karl-Eduard von Schnitzler ungebrochen von der bekanntesten Remix-Kultursendung Deutschlands. Der Schwarze Kanal soll einen Vorgänger in der BRD gehabt haben, doch die einzige Alternative zum Kapitalismus, die Bilder aus dieser unmenschlichen Welt brachte, die sich jeden Montag mit dem "Feind im Äther" auseinandersetzte, hatte ein eigenes Kaliber. In der DDR entstand dank der unermüdlichen Agitation von Schnitzler der Eindruck, dass im Westen objektiv berichtet wird: Dieser Montagsmaler hat ganze Arbeit geleistet. Täglich wurde ihm eine versiegelte Aktentasche gereicht für seine giftigen Notate. Heute hätte er Google-Alerts eingerichtet, mit Hunderten von Alerts wie Abrüstung oder Nuklearwaffenkonvention. Und würde mit Helmut Schmidt gegen die Waffen wetternd einträchtig eine Zigarette rauchen.

*** Von Journalistenschülern in Leipzig befragt, was denn Journalismus sei, hat von Schnitzler geantwortet: "Es ist Abkehr von jeder Illusion, das heißt: schonungslose Analyse der Wirklichkeit. Nur sie kann uns zu einer eigenen und vor allem richtigen Meinung verhelfen. " Gut möglich, dass er glaubte, seine Arbeit sei eben diese schonungslose Analyse. Wie wichtig die Analyse heute ist, zeigt die weiterhin geführte Diskussion über Nacktscanner, die Datenschützer skeptisch betrachten. Wer eine Waffe in ein Schnitzel einpackt, kommt durch. Ähnlich effektiv arbeiten offenbar wünschelrutenartige Bombendetektoren. Diese Placebo-Wedel sollen eine gänzlich verbesserte Version des Unsinns darstellen, die vom Sicherheitsspezialisten Markus Kuhn als kompletter Fake enttarnt wurde. Man könnte drüber lachen wie über deutsche Politiker, die Browser verhaften wollen, wenn, ja wenn nicht Menschen mit diesem Mist nach tödlichen Bomben gesucht haben und Menschen gestorben sind, weil diese "Technik" gar nichts finden konnte. Dann wären da noch die Menschen, die das "Sezieren" der Smartcard anprangern, weil diese gefährlichen Hacker, die Cracker und die Knacker auf Firmengeheimnisse scharf sind und die Volkswirtschaft bedrohen. Sie muss man nicht verlinken. Und: Bis zur genauen Untersuchung der Innereien durch Fachleute und aufmerksam die Sache verfolgende Journalisten halte ich diesen HEDD1 (PDF-Datei) für genauso sinnvoll wie einen Busenwärmer mit USB-Anschluss, der nur eine Mamma auftaut.

*** Entgegen manch triumphaler Geste ist die Diskussion über die Vorratsdatenspeicherung noch lange nicht beendet, sondern steht an einem neuen Anfang. Das kann man an den gedrechselten Äußerungen der zuständigen Ministerin erkennen oder am Sprecher des AK Vorrat, der auf dem #lawcamp das Urteil als Rückschritt bezeichnet hat. Ist es vielleicht so, dass im Namen einer Ideologie des Datenschutzes hier Herrschaftswissen der besonderen Art vor den Garnixnerds gesichert wird, wie es die Altlinken gerne posaunieren: "Autofahren ist klassenübergreifend, Computerbenutzung auch. Aber vor allem Selbständige und Multiplikatoren haben Berufs- und Wettbewerbsgeheimnisse. Wer ihnen hier hineinpfuscht, stößt auf das besonders große Protestpotential von Rechtsanwälten und Journalisten sowie des Medienkapitals." Der Volkszorn, der so angeblich erzeugt wird, ist billig gesteuertes Eigeninteresse. Man sollte in jedem Fall nicht verheimlichen, dass es auch Positionen gibt, die die Vorratsdatenspeicherung gegen den Staat gewendet für eine gute Sache halten. Denn nur so ist die Chance da, dass dokumentiert werden kann, wie nicht die pöhsen Chinesen, sondern ein Doktorand des Hasso Plattner-Institutes die missliebige Meinung eines akademischen Außenseiters abschalten will.

*** Derweil nehmen die Debatten um das Denken im Zeitalter des Internets an Fahrt auf, mit etwa 20 Jahren Verpätung. Kann man sich eigentlich noch um das Denken kümmern, wenn iPhone Äpps für Zweijährige auf dem Markt erscheinen? Wer so jung konditioniert wird, kann gar nicht mehr die Kontrolle verlieren und Eintauchen in die aufgeschlämmte Welt der digitalen Bohème, die sich schon deshalb über Kontrollen á la Elena lustig machen kann, weil sie noch nie einen richtigen Lohnzettel gesehen hat. Die 35 Millionen Datensätze, das sind die Anderen. Wer so urteilt, fährt Vollgas in einer Sackgasse. Das mag überraschend enden, ganz im Sinne eines bekannten Preises für die Exculpation aus dem Gen-Pool. Dagegen muss man festhalten, dass es immer Unser Denken ist, das das Internet lenkt. Dazu gehören auch die Begehrlichkeiten unterdrückender Mächte, unser freies Denken zu kontrollieren und zu unterdrücken. Ja, wenn die Verhältnisse zum Tanzen gebracht werden sollen, dann braucht es bewegliche Datenschützer, die Tango tanzen können, natürlich den Libertango. Und wenn dann noch Pamela im roten Kleid auftaucht, weil dieser Prozess sich als Farce entblättert, .... dann lächelt Chuck Norris versonnen und knutscht Karl-Eduard von Schnitzler. Darüber berichtet dann Ingo Mocek, und alles ist in Butter. Ich erzähle dann im nächsten WWWW, wie mir Bill Gates eingeschlafen ist, mitten im Interview. Welchselbiges nicht schnarch, röchel, rrhumpfss endete, wir sind ja Profis.

Was wird.

Bill Gates? Die kommende Woche beginnt mit dem Versuch, mit der längsten Schlange vor einer Toilette ins Guiness-Buch der Rekorde zu kommen. Das hört sich blöd an, hat aber einen ernsten Hintergrund, den der Weltwassertag vermitteln soll. Man muss einfach ein Stück weiter denken und an all den Phosphor erinnern, den eine echte Bewirtschaftung des Urins zurückgewinnen (PDF-Datei) kann, wie es kämpferisch hier festgestellt wird: "Urine is a potential source of the mineral. So far, there is no indication that Bill Gates wants to monopolise world supplies of urine: this may be because it's complicated to do so. To capture, value, and reuse urine requires a multi-dimensional transformation in how we think about and treat sewage. Technologies, regulations, business models - and especially attitudes and behaviour - all have to change." Intelligenter Pinkeln, das ist die Losung. Ob es eine Lösung ist, werden wir ja sehen.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 28 März, 2010, 00:09
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Ich bin gerne Online-Journalist, auch wenn die Einnahmen nicht so prickelnd sind und ich das höhnische Urteil eines Professors der Besoldungsgruppe A 14 lesen muss, dass das Honorar nicht der Rede wert ist. Denn im Online-Bereich liegt eindeutig die Zukunft des Journalismus, jedenfalls der Form von Textzünderei, bei der der Leser weiter denken muss und nicht wie ein Masthuhn mit Geschmacklosigkeiten gefüttert wird. Fern bleibe mir der Service-Journalismus, den die Strategen des Paid Content predigen. Die 10 besten Tools und Tipps zur Sommerzeit komplett mit Klickstrecke, wie man einen Uhrzeiger verstellt, sind geronnener Schwachsinn. Wo Udmurtien, Samara, Kemerowo und Tschukotka liegen, die neue Zeitzonen bekommen, wäre noch sinnvoll, wenn es wirklich interessiert. Wer zur Sommerzeit Abwechslung sucht, sollte sich eine Uhr besorgen, die entschärft werden muss und das Lesen dieser Kolumne einstellen.

*** So viel Vorrede muss sein, und das nicht wegen der Sommerzeit, die auf kaiserlichen Befehl am 6. April 1916 zum 30. April eingeführt wurde, komplett mit einem Kommentar in der "Frankfurter Zeitung" zur Überlegenheit der deutschen germanischen Sommerzeit gegenüber der englischen Sommerzeit – weil diese drei Wochen später eingeführt wurde. Vergessen wir an dieser Stelle einmal, dass es der englische Bauunternehmer William Willet war, der die Sommerzeit aus baupraktischen Gründen als erster im großen Stil propagierte und wenden uns der englischen Presse zu. Diese soll nach und nach kostenpflichtig im Internet zu lesen sein, was als "entscheidender Zeitpunkt" für den Journalismus gewertet wird. Freunde der Milchmädchenrechnung kommen da ganz auf ihre Kosten, wenn zum Preis einer Tasse Kaffee verkündet wird, dass die Leser den direkten Zugang zu den Journalisten und Experten bekommen. Dass sie als bezahlende Kunden nicht mehr simple Konsumenten des Internet-Angebotes sind, sondern Teil einer aufregenden Online-Kultur: " We want people to do more than just read it – to be part of it." Klar doch, dass man dafür zahlen muss, wenn Qualitätsjournalismus geboten wird, veredelt durch Handlungsanweisungen des septuagenarischen Herrschers über die Inhalte.

*** Vielleicht sind sie ja besser als das Verbot von 119 Worten, das in Chicago bei der Tribune zwecks Qualitätssicherung erlassen wurde. Obwohl: Die Vorstellung hat ja etwas Schönes, milgramhaft Verlockendes an sich, wenn IT-Journalisten elektroschockig vermittelt werden kann, nicht solche Unworte wie "Software-Schmiede" oder "Internet-Urgestein" oder "pfiffiges Programm" zu verwenden. Noch härter bitte bei Marketiers, die aus einer simplen Mitfahrzentrale 2.0 einen Dynamic Ridesharing Service machen.

*** Bleibt nur noch abzuwarten, ob die Ausführung des Paid Content im Murdoch-Reich besser durchdacht ist als die beim deutschen Hamburger Abendblatt, wo mit wenig Kniffke bei den Browser-Einstellungen der geschützte Bezahl-Content wieder zu lesen ist. Nein, nein, ich werde da nicht konkreter, aber die Sache beim Hamburger Blatt ist ungefähr genauso einfach wie die tolle Sicherheitslücke, die sich in dieser Woche den Kassenzahnärzten in der norddeutschen Tiefebene aufgetan hat. Einmal in das Webportal ihrer Verrechnungsstelle eingeloggt, brauchten sie nur die KZV-Nummer eines Kollegen eingeben und erhielten Einblick auf seine Dokumente, auf Honorarbescheide und Quartalsabrechnungen inklusiver aller Patientendaten. Wer sich über die Sicherheit von medizinischen Daten im Netz noch Illusionen macht, sollte sich das Sonderrundschreiben der kassenzahnärztlichen Vereinigung Niedersachsens besorgen und durchlesen, aus dem Journalisten nicht zitieren dürfen. Security by obscurity, Baby, da hilft auch die schönste bunt bedruckte Gesundheitskarte nicht die Bohne.

*** Obamacare ist ein neues Wort und steht für den wohl größten Erfolg in der bisherigen Regierungszeit des US-Präsidenten Barack Obama. Bei uns gibt es Kommentare mit einem schwiemeligen Unterton, der wohlwollend sein soll. Dabei können wir von der Reform lernen, wie es wenigstens die stationäre Aufnahme erkannt hat: Alle Abgaben an Ärzte, die den Wert von 10 Dollar überschreiten, müssen deklariert werden, die schrecklichen Burgerbrater und Huhn-Verbrenner müssen die Kalorien veröffentlichen, die ihr Fraß enthält. Von solcher Transparenz sind wir in der ach so fortschrittlichen BRD meilenweit entfernt. Ärzte bekommen Bakschisch, wenn sie den Besuch eines Pharmaberaters "bewerten" und wer das Gezeter um die Futterampel verfolgt, darf ruhig in Tränen ausbrechen. Immerhin gibt es Software wie barcoo, die aus der Barcode-ID in einer Datenbank die Werte heraussucht, die die Industrie zu vertuschen sucht. Derweil lacht sich die Pharmaindustrie über unseren Gesundheitsminister Rösler schlapp, der seine Preisbremse als Erfolg verkaufen will.

*** So professionell, wie Medizinjournalisten schwindeln können, arbeiten auch ihre Pendants in dieser unser kleinen IT-Branche. Viel zu viel von dem Schrott, der da veröffentlicht wird, stammt aus den Quellen von "PR-Flaks", den Pressesprechern und angeschlossenen Werbe-Agenturen, die ihre Gülle auf "Experten" regnen lassen, die das für Sanddorn-Nektar halten. Unter PR-Profis gilt es als ausgemacht, dass gelogen werden darf. Damit sind wir beim brisanten Thema, ob die Lizenz zum Lügen auch für Regierungssprecher gilt: Am Freitag, den 4. September 2009 um 8:06 lief eine E-Mail des Bundesnachrichtendienstes über die Verteiler ins Bundeskanzleramt und ins Verteidigungsministerium, in der dieser BBC-Bericht besprochen und verlinkt wurde. Bald wird die Bundeskanzlerin nicht mehr erklären können, von nichts nie niemals etwas gewusst zu haben. Von Deutschen kommende Befehle haben unstrittig eine Katastrophe ausgelöst. Nun wird die Wahrheit am Hindukusch verteidigt – und der Chef der Bundesagentur für Arbeit krempelt die Bundeswehr um. Sie wird aufgehübscht wie eines der jungen Atomkraftwerke, von denen es in Deutschland plötzlich nur so wimmelt. So beseitigt man eine störende Defizitanalyse durch eine mit sanfter Hand aufgetragene Quacksalbe.

*** Am letzten Samstag starb Robin Milner, der 1991 den Turing Award für seine zahlreichen Entdeckungen in der Informatik erhielt. Er gehörte zur Generation der Forscher, die erst einmal eine eigene Programmiersprache entwickelten. ML, ausgeschrieben die Meta-Language, wurde benötigt, um automatische Beweise durchführen zu können. Mit dem Pi-Kalkül entwickelte er eine Beschreibung für Berechnungen, deren Vorgaben sich während der Berechnung ändern. Milner studierte Mathematik und war einer der ersten Programmierer, die an dem EDSAC arbeiteten. Danach betreute er bei Ferranti die Programmbibliotheken, ehe er sich zwischen einer Karriere als Oboist oder Informatiker entscheiden musste. Das Resultat ist bekannt.

*** Ein weiterer Nachtrag muss Grigori Perelman erwähnen, der für seinen Beweis der Poincaré-Vermutung seit 6 Jahren Favorit auf den höchstdotierten Mathematik-Preis war. Nun hat er ihn gewonnen und die Preissumme abgelehnt, genau wie zuvor die Fields-Medaille. Perelman arbeitet weiterhin als Mathematiker und scheut Preise wie Presse. Gerüchte besagen, dass er sich mit der Riemannschen Vermutung beschäftigt, für die er eine weitere Dollar-Million ablehnen kann. Wer Perelman einen Verrückten nennt, könnte dies genauso ignorant über Francisco Ayala behaupten, der dieser Tage den mit 1,6 Millionen dotierten Templeton Prize gewann. Ein geweihter katholischer Priester, der als Evolutionsgenetiker wissenschaftliche Karriere machte, sprengt kleinstkarierte Muster.

Was wird.

Der erste April naht. Er wird voller Nachrichten darüber sein, welche Pläne Google mit China, der Welt, dem Universum und dem ganzen Rest hat. In Deutschland wird es Nachrichten darüber geben, dass die bis zum 29.3. verlängerte Verfassungsbeschwerde gegen ELENA in Bielefeld wegen dem ersten April verlängert wird, weil Koffer voller Formulare verschwunden sind in einem Codeklau sondergleichen.

Daher möchte ich zum Schluss dieser kleinen Wochenschau auf ein anderes Ereignis aufmerksam machen, das das Zeug hat, jeden Aprilscherz in den Schatten zu stellen: Die Berufungsverhandlung zwischen Novell und SCO ist zu Ende, die Schlussplädoyers sind gehalten, nur die Geschworenen sind mit ihrer Beratung noch nicht fertig. Es darf auch niemals fertig sein: Was da in Salt Lake City verhandelt wurde, ist mittlerweile Bestandteil der Computerkultur, mit allen Halbwahrheiten, in denen SCO glänzt wie ein Judenei und das im Staate der Mormonen. Außer Frage steht, dass die Geschworenen dieser gebeutelten und gestrauchelten Firma ihre Sympathie schenken und Novell abblitzen lassen. Gekonnt formulieren dies die Agenturen, wenn sie davon schreiben dass eine Jury über das Eigentum an den Unix-Copyrights entscheidet. Doch darum geht es längst nicht mehr. Zur unendlichen Geschichte gehört es schließlich, dass die Geschichte wirklich unendlich ist, ansonsten wäre es nur eine bitterböse Satire über die Verkommenheit des US-amerikanischen Justizsystems. Das würde niemand mögen dürfen sollen, um es mit einer Anleihe beim bayerischen Justizexperten Karl Valentin zu sagen. Oder, um mit einem leicht verrückten Kollektief einzustimmen: Amsterdamned.

Quelle : www.heise.de
Titel: Re: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: ritschibie am 28 März, 2010, 10:20
Wie (fast) immer: der Mann brilliert  :)

Wer den (etwas heiklen) Ausdruck:
Zitat
in denen SCO glänzt wie ein Judenei
noch nicht kannte (so ging es mir), sei auf http://de.wiktionary.org/wiki/gl%C3%A4nzen_wie_ein_Judenei verwiesen  ;)

Wer sich (wie ich) über die Einführung des "paid content" für journalistische Inhalte im Netz nicht nur freuen kann, der findet hier einen "brother in arms".
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 04 April, 2010, 00:11
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Wenn die Hälfte aller Artikel über Apples iPad ein Viertel realistischer Prognosen enthalten, von denen ein Achtel zutreffen wird, dann erleben wir an diesem Wochenende einen bereits denkmalsgeschützten Moment der IT-Geschichte, wie es früher mal der Start der Freibadesaison war. Um es mit dem gelehrten Lateiner zu sagen: Ubi bene, ibi ipad. Zwar muss Europa noch warten, kann sich dafür aber über David Letterman amüsieren, der in seiner Show den iLingus als neues taktiles Interface demonstriert. Bleibt die Frage: Wie können Harald Schmidt, Stefan Raab und Georg Schnurer diese Sexshow toppen? Steve Wozniak mit Zaubertricks?

*** Ed Roberts, gerade erst von uns gegangen, mag bereits in seinem Grabe rotieren: Der Rest gehört den Antworten der einschlägig bekannten Hohepriester wie Mossberg und Pogue und natürlich den Beschwörern des Weltunterganges a.k.a. Ende der Freibadesaison. Gary Doctorow hält ein letztes Plädoyer für offene Hardware, doch den Vogel hat diesmal Daniel Dilger abgeschossen. Seiner Meinung nach tötet das iPad so viele Dinge, dass man ab sofort von einer iindustriellen Revolution sprechen müsste. Google, Microsoft, Flash: vorbei, vorbei, alles obsolet. Besonders amüsant sind da die Hoffnungen, die sogenannte Content-Publisher mit dem iPad verbinden. Wie vorvorgestern mit der CD-ROM setzen sie auf teure Preismodelle für ihren iPad-Content. Ja, Information will immer besonders teuer sein, weil immer wichtiger in unserem Leben. Bald kann man ohne Klickstrecke extra für das iPad nicht mehr überleben, soviel ist angeblich sicher.  Besser als mit diesem Hoffnungslüfterl kann die "vierte Gewalt" nicht demonstrieren, wie sehr sie auf den Hund gekommen ist und nur noch schnüffeln kann  an Ärschen und Lüften.

*** Weit und breit finden sich kaum Kommentare, dass Apple und Steve Jobs diesmal eine Reihe von Fehlentscheidungen getroffen haben im Bestreben um die Entmündigung des Konsumenten, etwa beim Verzicht auf einen zweckmäßigen USB-Anschluss, der einstmals von Apple popularisiert wurde. Die größte Fehleinschätzung ist dabei wohl, dass Jobs keine Fehler machen kann. Wie war das noch mit Apples Pippin, dem Abspielgerät für CD-ROM? Erinnert sich niemand mehr an die Zeit, als CD-Publisher ihren Content an Apple schicken mussten, damit Apple mit ihrem privaten Schlüssel die Checksumme der CD signiert? Wer immer über die Versuche von Microsoft und Intel lästert, Tablett-PCs oder UMPCs verkaufen zu wollen, denen Apple nun zeigt, wo der Bembel baumelt, der sei an den Netzcomputer und das Netztablett erinnert, das IBM, Netscape, Oracle, Sun und Apple im Juli 1996 vorstellten. Sie meinten damit, eine neue Form des Internets zu kreieren, das übrigens in dieser Woche von der Tagesschau endgültig abgeschaltet wurde. Pippin, Newton und ein paar andere Flops gingen übrigens nicht auf das Konto von Steve Jobs, das muss wohl als Argument herhalten.

*** Natürlich wird das iPad seine Wirkung haben, wie Lackmusstreifen wirken. Bestens zu sehen ist dies bereits bei den Preisen für eBücher, die neu ausgehandelt werden, am Eintrittstor in die neue Gutenberg-Galaxis oder bei den Gebühren für Wolfram Alpha. Dass dabei Reader wie der Kindle vom Aussterben bedroht sind, gehört zum guten Ton inmitten einer fortschreitenden Gängelung, die hohe Auflösung mit niederen Motiven koppelt.  Natürlich werden Bücher nicht verschwinden. Sie werden beispielsweise benötigt, um als Unterlage einen Laptop die nötige Robustheit zu geben, wie Nassim Taleb vom Gasthaus Schwarzer Schwan bemerkt.

*** Was bleibt, ist Ostern, ein kompliziertes Fest im christlichen Glaubensgebäude, wie alle Theorien, die einen Messias brauchen, um den Menschen verkleinern zu können. Anstelle von Eiern und unsäglicher Musik, die angeblich das Gelbe vom Ei sein soll, blicken wir auf den großen Muddy Waters, der heute seinen 95. Geburtstag hätte. Niemals zufrieden sein und sich mit dem Elend abfinden, das ist die Nachricht, die der Hoochie Coochie Man für uns hat. Ja, es ist immer dasselbe mit dem Blues. Er hat dich und das Geld haben andere. Zurück bleibt der kosmische Blues und der ist immer da. Wie wäre es, wenn wir im Gegenstück zum Hill's Farmer Blues die definitive Tiefebenen-Flachlandblues-Liste  zusammentragen? Das Ganze in vorgreifender Erinnerung an eine Zeit, in der besagte Ebene nicht aus schwimmenden Treibhäusern und Wasserfarmen besteht wie das Missisippi-Delta, in dem der Modder-Blues entstand.

*** Und dann war da auch noch Peter Herbolzheimer, der nicht mehr den Durchlauferhitzer mit seiner Bigband geben kann. Wobei mir nicht behagt, dass in all den Nachrufen vor allem Till Brönner und Roger Cicero hervorgehoben werden. Wären die Pop-Prinzen des Jazz der Einzige, die erwähnenswert wären als Jungtalente, die durch Herbolzheimers Durchlauferhitzer die Energie zum Start ihrer Karriere fanden, dann wäre es um den Jazz in Deutschland schlecht bestellt. So sagen uns all die Nachrufe auch wenig über den Jazz. Hören wir lieber interessanteren  Durchlauferhitzten zu. Und danken Herbolzheimer für seine Arbeit, seinem Geblase in der Rythm Combination & Brass und seiner Lehre im Bundesjugendjazzorchester. Ebenso übrigens Herb Ellis, dem Gitarristen, der zusammen mit Ray Brown im Oscar-Peterson-Trio für Rhythmus, ja eigentlich den Swing zuständig war.

Was wird.

Es wird schon was. Wir sehen gerade, wie die SCO Group auf einer Welle des Erfolges schwimmt und weitermachen will mit ihrem Geschäft. Als nächstes soll die Frage nach dem geklauten Code geklärt und IBM zu einer Millionenzahlung bewegt werden. Die Antwort liegt in einem geheimnisvollen Koffer, der einst durch Deutschland wanderte und längere Zeit nicht aufgetaucht ist. Um es mit unserem Poetus Laureatus zu stabreimend zu sagen:

Manche spinnen, Schweine pfeifen,
Pferde treten, Busse streifen,
So spricht der Volksmund, wenn er meint,
Dass etwas ganz unglaublich scheint.

Durch SCOs Betrugsversuch
Gibt es nun einen neuen Spruch,
Den man bei Lug und Trug zitiert:
Ich glaub', mein Koffer fabuliert!

Sieht man vom Verkaufsstart bei Apple ab, so dürfte nach Ostern das Leben in ruhigen IT-Bahnen verlaufen. Bekanntlich hat die neuerdings sehr datenkritische Union mit 22005 gegen ELENA kämpfenden Parteigenossen ihre Sachverständigen für die Enquete-Kommission 'Internet und digitale Gesellschaft' vorgestellt. Deshalb werden zum Ende der großen Eierei wohl die Sachverständigen der SPD bekannt gegeben werden,  damit das große Palaver Formen annehmen kann. Schließlich behauptet die SPD ähnlich wie die ELENA-Opposition ganz ironiefrei, die Netzpartei schlechthin zu sein, die die Netzgemeinde wirklich versteht. Die härtesten Urteile zu dieser wunderlichen Kommission (und seiner alten SPD) finden sich übrigens bei einem, der liebend gerne dabei sein würde. Am Ende wird die Kommission feststellen, dass Datenautobahnen Ländersache sind, die Inhalte jedoch, leider, leider der EU unterliegen, wo ein großer Maelstrom alles Böse schreddert. Und eine Mälmströmerin Sperrbänder spannt, wegen der armen Kinder.

Sind die Kinder etwas größer, so können sie bald nach Berlin fahren und beim Klassentreffen 2.0 namens re:publica das große Wir im Nowhere feiern und die Utopie des erewhon gleich mit. Neben dem Schutz der Netzneutralität will die Konferenz die digitale Identität shreddern. Wer braucht schon Datenschutz und Privatsphäre, wenn er sich einzigartig unter all den vielen Einzigartigen fühlt, die alle nichts mit den Mühen des Alltags zu tun haben. So faselt es sich bestens: "Das Beispiel, dass Schirrmacher in seinem Buch anführt, die Software, die für viele Leute ihren Aufenthaltort rät, ist nur deswegen relativ präzise, weil die meisten Menschen eben einen 9to5 Normaljob nachgehen. Sie sind also nur deswegen berechenbar, weil sie einer gesellschaftlichen Norm nacheifern. Für mich würde diese Software also keine verlässlichen Einschätzungen treffen können." So denkt das Kleinhirn der digitalen Avantgarde und weiß nicht, dass bereits Horst Herold mit seiner negativen Rasterfahndung vor 30 Jahren genau diese ach so schwer berechenbaren Subjekte im Visier hatte. Sie sollten vom Computer ausgespuckt werden, nachdem alle Normalos gelöscht sind. Mit den neuen Eiferern gegen den Datenschutz freuen sich die Unternehmen, die längst die entsprechende Software installiert haben, die kontrolliert, was die Lohnsklaven abseits 9to5 so treiben.  Es freut sich auch die Initiative D21 und spricht von einem "Zuviel an Datenschutz", das das Aus für einige Geschäftsmodelle der Zukunft bedeutet. Etwas direkter gesagt: Macht euch nackig! Keine falsche Scham!

Noch ein Stückchen weiter in der Ferne tagt das BSI in Bochum zum Thema "Sichere Identitäten, Daten und Dienste". In dieser Woche konnten wir von der Bundesregierung lesen, was bereits auf der CeBIT ausposaunt wurde, dass der De-Mail-Test ein voller Erfolg geworden ist. Hochgerechnet 2,75 Prozent der Bürger von Friedrichshafen seien dabei, wenn der Test über ein Jahr laufen würde, was er aber leider, leider nicht können darf. Der Test wird abgewürgt, ein Widerspruch der zu 85 Prozent Begeisterten ist nicht möglich, genau wie Widersprüche gegen Behördenentscheide vie De-Mail rechtlich nicht zulässig sind. Wohl dem, der in Zukunft rechtzeitig merkt, was die Verwaltung von ihm will und deshalb in sein rechtssicheres Postfach geschlenzt hat, der rechtzeitig seinen Widerspruch ausdruckt und die Schneckenpost zum Galoppieren bringt. Diese De-Mail-Debatte kann angesichts zahlloser fehlerhafter Behördenbescheide noch richtig lustig werden.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 11 April, 2010, 00:06
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

Nasz smutek jest z wami. Heise polska ist ein wichtiger Bestandteil des Angebotes, das der Heise-Verlag im Netz offeriert. Ich weiß nicht, ob ich richtig mitgeschrieben habe, was mir telefonisch übersetzt wurde, daher muss es an dieser Stelle wiederholt werden: Unsere Trauer ist mit euch, gerade weil die polnisch-russische Zusammenkunft über Katyn so wichtig ist für ein neues Miteinander und damit sogar noch wichtiger als alle Abrüsterei. Schon keimen die Verschwörungstheorien darüber,  warum ein Flugzeug im Nebel vier Mal die Landung versucht.

Nach dieser Schweigeminute:

*** Willkommen zur Wochenschau in der norddeutschen Tiefebene. Hier ist alles flach, sogar die Gedanken. Wenn etwas mehr auf der Tiefebene liegt in diesen Tagen, dann ist das die Gülle, die stinkt und schnellstens eingepflügt werden muss, aber bis dahin in der Frühlingssonne müffelt. Wer hier aufwächst, nicht die Schweine oder Hühner füttert oder schlachtet, nicht diesen veredelten Mist im Kühlzug nach Süddeutschland karrt, sondern als Journalist arbeitet, bekommt schnell die Frage gestellt, ob sich das denn lohnt. Noch geht es, ist dann meine Antwort. Die Familie wird ernährt, das Studium der Kinder kann bezahlt werden. Diese kleine Wochenschau bringt neben anderen Geschichten Geld ein und es ist ein feiner Spaß, sie zu schreiben. Wie anders war das im Leben eines großen Schreib-Lehrers, bei Leo Calvin Rosten, der heute Geburtstag feiern könnte. Seine Karriere als politischer Kommentator weltbewegender Themen wurde unterbrochen, als seine Frau schwer erkrankte. Fortan arbeitete Rosten als Humorist, weil da die Honorare höher waren. Im Kampf gegen die Krankheit wurde er Erklärbär wunderbarer jiddischer Witze, wie sie von unseren Großmüttern überliefert wurden. Es war eine Frage des Überlebens. Die Frage ob die schlichte 9to5-Schreiberei über den Tod hinaus und dann noch im Internet eine Bedeutung hat, hätte ihn sicher amüsiert. Wie Baudrillard hätte er diese Simulation der digitalen Bohemiens entschlüsselt, nur witziger als der Franzose. Der aber rotiert bei all seinen Netz-Proselyten dauerhaft im Grab.

*** "Die Medien sind nicht Sensoren, sondern Effektoren von Ideologie. Sie sind nicht nur nicht ihrer Bestimmung nach revolutionär, sondern nicht einmal, und sei es in anderen Zusammenhängen oder virtuell, neutal oder nicht-ideologisch – das ist das Phantasma ihres 'technischen' Status oder ihres sozialen 'Gebrauchswert'." Das schrieb Baudrillard in seinem "Requiem für die Medien – Kritik der kybernetischen Illusion", das mit allen Feedback-Phantasien einer freien Öffentlichkeit im Jahre 1972 kurzen Prozess machte.

*** "Sicher können Computer Probleme lösen, Informationen speichern, kombinieren und Spiele spielen - aber es macht ihnen keinen Spaß. Das ist bei Journalisten anders."  Ja, da kann man Leo Rosten zustimmen, auch wenn es manchmal ohne Computer nicht mehr geht und dann auch schnell die Spässeken im Halse steckenbleiben. Im Juli 2007 appellierte Reporter ohne Grenzen an die damalige US-Regierung, den Mord an zwei Reuters-Mitarbeitern aufzuklären. Vor drei Monaten erhielt Wikileaks ein verschlüsseltes Video zugespielt und bat um Hilfe, die relativ schnell mit brutaler Rechenkraft zum Erfolg führte. Danach begann für die Freiwilligen das Überprüfen der Fakten, während sie ihrerseits offenbar von Geheimdienstlern überwacht wurden.

*** Am Montag dieser Woche wurde das Video von Wikileaks im Presseklub von Washington vorgestellt, damit über die Presseberichte erneut eine inhaltliche Auseinandersetzung in Gang kommt. Ein neuer Appell von Reporter ohne Grenzen fordert die Obama-Regierung auf, mehr Transparenz zu zeigen und alle Details über das Geschehen zu veröffentlichen, damit ein Urteil gefällt werden kann. Im Zusammenspiel von Wikileaks, Presse und einigen Admins, die Rechenzeit freimachten, sehen wir, wie Supermedia arbeiten kann, die Form des Journalismus, der nach Charlie Beckett die Welt retten kann – oder was noch von ihr übrig bleibt nach unserer alltäglichen Zerstörung. Die Kretins 2.0, die dabei allen Ernstes das Ende der etablierten Medien delirieren, können vor lauter Gelalle über Social Media nicht einmal mehr genau Hinschauen, was wirklich passiert ist.

*** Das stumpfsinnige Herumgetrampel auf den Medien hat Folgen, wenn die Medien anfangen, selbst den Aberglauben an die schöne neue Technik 2.0 zu propagieren. Ein Springer-Manager, der täglich zu St. Jobs beten will und ihm unendlich dankbar ist, wie dieser seine sterbende Branche mit einem Tablet-Computer rettet, ist eine niederschmetternde Offenbarung. Vor allem deshalb, weil die rastlos von seinem Verlag beworbene, angeblich den Journalismus rettende iPad-App ein enttäuschendes Stück Software ist. Wenn dieser iKiosk die Rettung der langsam absaufenden etablierten Presse sein soll, dann ist sie schon ertrunken. Man mag von der Welt halten, was man will, aber dass die dort arbeitenden Journalisten eine solch seltsame Anwendung im leicht veränderten PDF-Outfit akzeptieren, die hypernervös auf jedes Wackeln des iPad reagiert, spricht nicht für diese neue Zukunft.  Besonders fies kommentiert dies eine Zeitung, die nicht den Quatsch von einem Leistungsschutzrecht für deutsche Verlage unterschrieben hat, mit diesem Artikel: "Das iPad destruiert genau jene Hoffnung, die es den angeschlagenen Verlagen selbst gemacht hatte, dass man nämlich mit ihm kostenpflichtige Nachrichten-Apps an den Leser bringen könnte."

*** Wie schön und passend ist es, dass eine Firma wie FlexiSpy in einer atemlosen Mail an ihre Kundschaft die erste Spyware für das iPad ankündigt. Wer ganz entspannt im Hier und Jetzt mit seinem Tablett auf der Couch surft, den kann schnell die Wollust piesacken, das eine oder andere Centerfold in ordentlicher Auflösung anzutappsen. Schließlich steht die Pornoindustrie in Reih und Glied bereit, das Brettchen zu erobern. Bemerkenswert dabei, dass ganz ohne Flash gestöhnt werden kann. Vielleicht ist auch etwas für die erstaunliche, ganz frisch von der CSU ins Feld geführte Gattung der Gelegenheitspädophilen dabei, die der Sexualwissenschaftler Volkmar Sigusch für blanken Unsinn hält. Aber bitte, hier geht es um Politik, nicht um Sexualität. Wer weiß wirklich, wie gefährlich Gelegenheitssurfer sind, wenn sie einschlägige Stellen in den dicken Büchern, wie die Illustration von Leda und ihrem Schwanz.  Noch gefährlicher ist die Politik!  Da ist das Feld der menschlichen Perversionen deutlich größer. Erinnern wir uns daran, dass das Lateinische coire (für Zusammenführen) sowohl zum Koitus führt wie zur Koalition. Eigentlich wartet die Szene nur darauf, dass nach 4chan, 12chan oder Krautchan ihr Politico-Chan zu bekommen,  komplett mit allen Verschwörungstheorien.

*** Bleiben wir in der Politik. Es ist ja ganz reizend, dass Europa eine IT-Agentur bekommt, die all die Fahnundungs- und Visa-Daten betreut und so für unser alle Sicherheit sorgt. Dennoch ist Agentur für Freiheit, Sicherheit & Recht ein Name, der schlechte Assoziationen hervorruft. Freiheit und Sicherheit zusammen bei einer Behörde klingt einfach verdächtig. Der Vorschlag von Heise-Lesern, lieber eine Behörde für Frieden, Eierkuchen und Blümchen im Haar zu schaffen, dürfte in Brüssel auch keine Chancen haben, obwohl genauso irrsinnig. Können wir uns auf MiniWahr einigen, mit all den Erinnerungen an ein Ministerium für Wahrheit?

*** Ach ja, und doch, der Punk ist nicht tot. Malcolm Mc Laren aber, der ist von uns gegangen, der geniale Spinner und begnadete Vermarkter, ja auch so nicht vermarktbarer Musik wie des Punk. Er fand in den Sex Pistols aber auch die passenden Mitstreiter, so ist denn auch "This is not a Love Song" möglicherweise doch auch ein Liebeslied, ein Liebeslied Johnny Rottens an den Mann, der ihm ungeahnte Möglichkeiten eröffnete. Wir Zurückbleibenden aber sollten uns vielleicht nicht mit den Sex Pistols aufhalten und stattdessen mal wieder, gelangweilt von all dem aus den USA herüberdröhnenden Post-Punk, lieber U.K. Subs, Sham 69, Killing Joke oder auch Joe Strummers Clash zu Gehör bringen.

Was wird.


Ein kleines grünes Gleichheitszeichen soll  das Logo für die Netzneutralität sein, die in der nächsten Woche in Berlin auf der re:publica verhandelt wird. Alle Daten sind gleich, das klingt im Deutschen viel platter als in Globish, wo die Bill of Rights konstatiert "All data are created equal", ganz in Anlehnung an das bekannte "All men are created equal". Man kann das neue Datenrecht, das wohlgemerkt kein Datenschutzrecht sein soll, mit allen mittlerweile auf 9 Thesen erweiterten Katalog zur Netzneutralität bei Jeff Jarvis nachlesen, der damit in Berlin auftreten will.  Die ersten vier Thesen sollten selbstverständlich sein. Mit dem Recht, seine Daten zu kontrollieren, wird der Datenbrief des CCC in die Welt geschickt, und das nicht per Brieftaube. Dann wäre da noch das Recht darauf, seine eigene Identität kontrollieren zu können, was übersetzt nicht schlicht auf ein Single Sign-on herausläuft. Gefragt ist das Ich mit eigenem Verstand, das alle Thesen vom Kontrollverlust ablehnt und dagegen seine Existenz setzt. Dumm ist nur, dass so ein Satz pathetisch klingen muss, weil über tausend Jahre Humanismus in unseren Schamhaaren sitzen, nicht im Gen.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 18 April, 2010, 00:11
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Blauer Himmel in der norddeutschen Tiefebene, der am Horizont seltsam fahl ist und ohne jeden Kondensstreifen. Eyjafjallajökull lässt grüßen. Asche auf mein Haupt, wenn ich über die neue Form des Cloud Computings Witze mache. Eigentlich müsste die Szenerie wie in Metro 2033 aussehen, aber nix da. Die Lage ist nicht ernst und schon gar nicht hoffnungslos, wenn von einem iPad aus weiter regiert werden kann, wenn eine richtige Tastatur benutzt wird. Möglicherweise ist dieser Vulkan eine Marketingmaßnahme von Apple, die Verspätungen zu erklären, für die US-amerikanische Junkies  verantwortlich sind: Angeblich macht das iPad applesüchtig wie Oxycontin, ein starkes Opiat, dass die Israelis fürchten.

*** Interessanter als der aschewolkig gewundene Reiseweg von Kanzlerin Merkel über Lissabon und Rom heim in die Republik ist ihr USA-Aufenthalt, komplett mit einem netten Abkommen zum Austausch biometrischer Daten zu unser aller Sicherheit. Falls das BKA meine Fingerabdrucke noch nicht hat, kann es sie bald günstig aus den USA beziehen, wo sie bei jeder Einreise überprüft werden. Mit ein bisschen Gefrickel im Code sollten transatlantische Datenabfragen sogar schneller sein als die im SIS-II-System, das ohnehin nur Fahndungsbestände speichert und dann noch schneckig performant sein soll. Vielleicht hätten die Systemarchitekten dieses 60 Millionen Euro-Unfalls mal bei Google nachfragen sollen, wie das geht mit schnellen Algorithmen. So sorgt Google nur für die Nicht-Nachricht dieser Woche, weil man bei ihrem Besuch in Kaliforien die Bundeskanzlerin einfach abblitzen lies. Sie wollte das Hauptquartier des Datengeistes besuchen und das seltsame Leistungsschutzrecht diskutieren, das nicht nur Blogger ratlos macht. Das wollte Google nicht und sagte lieber den Termin mit Merkel ab. Jede Ähnlichkeit mit einem chinesischen Politbüro ist zufällig.

*** Passend zu den auch von Merkel begleiteten Abrüstungsgesprächen haben sich ganz ohne Merkel US-Präsident Barack "Blackberry" Obama und sein russischer Präsidentenfreund Dimitri Medwedew darauf geeinigt, die Welt künftig per SMS und E-Mail zu regieren. Jedenfalls solange, wie es keinen sicheren Regierungsmodus für Twitter gibt, den Dienst, den Medwedew offenbar bevorzugt. Man kann sich richtig gut vorstellen, so einen Regierungs-Service, in dem Medwedew laufend RTs von Putin verschickt und Angela Merkel mit #mrkl getaggt wird. So wächst transatlantisch vulkanausbruchsicher zusammen, was längst zusammengehört, wie dies unser Bundesgerichtshof erkannt hat: Die New York Times kann vor ein deutsches Gericht gestellt werden, wenn ihr investigativer Journalismus einem deutschen Bürger ein Dorn im Auge ist.

*** Vor sieben Jahren schrieb Paul Graham auf, warum Nerds unbeliebt sind mit ihrem nüchternen Blick auf die Welt. Der Text war Ausgangspunkt einer größeren Debatte um die Bedeutung der Nerds, abseits der spaßigen Definitionen, was ein Nerd ist. Seit einem Jahr gibt es den Text auch auf Deutsch. Nerd, das ist jemand, der ein Blick für Verfahrenstechniken hat. Man lese nur die ergötzliche Stelle über die Bedeutung der Cliff's Notes für den Französischunterricht, weil sich herausstellte, das selbst die Lehrer nur die Cliff's Notes kannten. In unserer Remix-Kultur des Internets sind die Literaturverkürzungen die Norm geworden, und die aus den Cliff's Notes hervorgegangene "Für Dummies"-Bücher sind Legion. Erinnern wir uns daher an den Literaturliebhaber Clifton Keith Hillegass, der heute Geburtstag hätte. Er kaufte einem kanadischen Verleger die Cole's Notes ab, der aus Shakespeares 16 Stücken Kurzversionen zum schnellen Lesen produziert hatte und nannte sie in Cliff's Notes um. Aus der Idee des Literaturfans, den Arbeitern die Lektüre der Weltliteratur zu ermöglichen, entstand eine Buchreihe, die zunächst den Pädagogen verhasst war. Hillegass war entsetzt: Jede Ausgabe der Cliff's Notes bekam eine warnende Banderole: "A thorough appreciation of literature allows no shortcuts." Das half nicht. Längst ist die Warnung verschwunden und die iPhone-Äpp wandert auf das iPad. Wer liest schon noch Kamellen wie Brideshead Revisited? (<-- Hier mal in einer Zusammenfassung für Nörds)

*** 2500 Teilnehmer trafen sich in Berlin zur Nerdkonferenz re:publica und brachten mit mehr als 5000 eingeloggten Geräten das WLAN zum Schwitzen. Eigentlich sollte es um Netzpolitik und Bloggen gehen, aber hey, das Mikrobloggen mit Twitter ist ja so sausubversiv, da muss man gleich multipel vernetzt sein. Inmitten aller Aufmunterungen und aschenputtelig ausbleibenden Referenten gab es viele amüsante Szenen. Eigens zur Konferenz stellte ein "Holzmedium" den reichlich engen Hallraum der deutschen Bloggerszene in einem multimedial angerührten Dossier vor, was prompt Blogger reizte, die davon phantasierten, dass Blogger die FAZ besetzen. Ein Frank Schirrmacher sollte an den Toren der Kalkscheune rütteln? Warum? Frank Schirrmacher hielt derweil Privataudienz im Cafe Einstein und ließ ausgewählte Referenten zu sich kommen. Und alle, alle kamen. Tja, so funktioniert die Frank Schirrmacher-Maschine, die eine Frank Schirrmacher-Maschine bauen lässt, damit das ungesunde Multitasking durch eine gesunde Lektüre ersetzt werden kann, auf Papier, Kindle oder eben dem iPad.

*** Für viele Teilnehmer des Digerati-Schwoofes waren Freiheitsblogger aus der "Dritten Welt" völlig uninteressant - der Saal blieb gähnend leer. Dafür wurde ausgerechnet ein Referat eines Unternehmensberaters hoch bejubelt, der als Change Management Papst (PDF-Datei)  damit beschäftigt ist, ängstliche Deutsche zu klassifizieren. Etwa in Zaungäste, in in "Besucher" und in "Bewohner" von Digitalien. Dass das Wiederkäuen einer auch schon 10 Jahre alten These so begeistert, muss amüsieren. Es kann aber auch nachdenklich stimmen, wenn man mitliest, wie die genau diese begeisterten Bewohner von Digitalien ihren durch kein Realleben gebremsten Sexismus auslebten. Dagegen sind die angeblich ach so furchtbaren Heisetrolle gesittete Menschen mit digitalen Manieren, selbst mein Dauerkommentator, dem ich dauernd einen ähem, ähem.

*** Ist der Auftrieb zur re:publica ein Abbild der "Internet-Community"? Oder gibt es zahlreiche, viel verlappende "Communities", so wie es sehr unterschiedliche Gruppen gibt, die alle eine Zeitung lesen, ohne gleich Teil einer Zeitungs-Gemeinde zu sein? Jeder Journalist kennt die Gefahr des Tunnelblicks, wenn man drauf und dran ist, nur für eine Community zu schreiben und den Leser vergisst. Insofern waren die "standing ovations", die der Referent des wunderbar obskuren Wikileaks-Projekts auch eine Art Trollerei. Die Aussage, dass die Journalisten glaubwürdig sind, die ihre Quellen bei Wikileaks veröffentlichen, ist hoch bedenklich.  Es kommt der Zensur gleich, wenn eine Plattform gegen Zensur und Unterdrückung von brisanten Informationen auch noch als Messlatte der Glaubwürdigkeit herhalten soll.

Was wird.

Nach der re:publica wartet Berlin auf die Next10 der Game Changers, die selbst ernannte "Kongress zur Zukunft und Relevanz des Webs für Blue Chips, Visionäre und Startups". Für Blogger und Twitterer gibt es einen um 500 Ocken vergünstigten wahnsinnig günstigen Eintrittspreis von 290 Ocken, wenn sie mindestens 1000 Leser oder Follower haben und mindestens einmal am Tag bloggen oder twittern. Soviel zum Thema Relevanz.

Doch zunächst richten sich die Blicke nach Frankfurt. Vielleicht bleiben sie noch länger am Boden, die Flieger. Freie Himmel über Frankfurt! Freilich könnte es passieren, dass Referenten nicht zur Auftaktveranstaltung staufreies Hessen anreisen können, mit der die größte automotive Überwachungsanlage gebührend gefeiert werden soll. 2015, wenn das momentan noch verbotene KFZ-Kennzeichen-Scanning wieder funktioniert, wird jeder fahrende Hesse sanft geleitet und gelenkt, auf dass es nirgendwo mehr stockt und staut. Der Polizist Big Brother bekommt einen schönen hessischen Namen wie Heinz Erhardt. Und ganz im Hintergrund lauert die Einführung einer PKW-Maut, wie sie das Umweltbundesamt (PDF-Datei) in einem Hintergrundpapier zur Diskussion gestellt hat. Bleibt wieder einmal die Frage, ob wir diesmal etwas von den Nachbarn lernen können, nicht nur in Sachen Afghanistan?

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 25 April, 2010, 00:06
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Wenn diese kleine Wochenschau im Internet auftaucht, ist draußen im echten, im einzigen Leben, das wir haben, viel passiert. Man denke nur an die Menschenkette zwischen den AKW Krümmel und Brunsbüttel, für die ich vergeblich mein Kettenbändchen in der Reliquientruhe gesucht habe. Eine überfällige Kettenreaktion auf das unsägliche Lavieren in der Atomkraftpolitik, verbunden mit der Aufdeckung der Gorlebenlüge durch Dokumente, die Greenpeace befreit hatte: Vielleicht macht das Beispiel Wikileaks Mut.

*** Geschichte wird auch der erste Augmented Reality Flashmob in Amsterdam auf dem Dam sein, während die Feuer des Ashmobs hier und da noch glimmen dürften. Grillen gegen Island, das ist der Würstchen gewordene Protest gegen eine Gesellschaft, die sich einer Simulation auf schmaler Datenbasis unterworfen hat und auf einmal flügellos dastand. Bemerkenswert am ganzen Debakel: Die zuständige ICAO der UNO, deren Erlasse völkerrechtlichen Charakter haben, wie bei Regelwut um die elektronischen Reisepässe zu sehen ist, hat keine Grenzwerte für Partikelkonzentrationen ausgegeben. Soviel zum Thema Sicherheit.

*** Natürlich ruft so eine Kritik an der Simulation und ihren Daten die Kritiker der Kritiker auf den Plan, die Forscher, die auf kleinster Datenbasis große Interpretationen machen. Seit der re:publica verehren die Aktivisten der deutschen Social-Web-Szene den Unternehmensberater Peter Kruse für seine Kunststücke. Schließlich hat er mit seiner Firma nach der Befragung von 100 Deutschen für die Bertelsmann-Stiftung herausgefunden, was jeder Netizen weiß: " 96 von 100 Deutsche sind der Meinung, dass die Menschen in Deutschland betrogen und fehlinformiert werden." Als Grund wird genannt, dass unser Leben immer stärker vom Lobbyismus geprägt wird und dieser noch in 10 Jahren wie ein Grauschleier über allen politischen Entscheidungen liegt. Das "computerunterstützte Verfahren", das diese kollektiven Wertemuster errechnete, macht leider keine Angaben, warum die Deutschen nicht Lobbycontrol die Bude einrennen oder wenigstens häufiger die Nachdenkseiten aufsuchen, wo man regelmäßig kluge Gedanken zu der Lobbymacht lesen kann.

*** "Kleine Datenbasis" rufen auch entrüstet die Kritiker des Kölner Stadtanzeigers, der mit einer Omniquest-Umfrage Dampf in den wolkigen Wahlkampf in Nordrhein-Westfalen bläst: Eine Mehrheit für Rot-Grün, eine Alternative zum Arbeiterführer Rüttgers, der so tapfer den Verlust von Arbeitsplätzen bedauern kann, wird sichtbar. Wahrscheinlich ist an dieser Hochrechnung eine indische Software schuld, die in Bangalore von Hindu-Kindern zusammengefrickelt wurde. Das wäre gewissermaßen Reinkarnation 2.0 in der Politik. Noch ist nicht aller Tage Abend und so finden sich bei Rüttgers tatsächlich Sympathien für die Piraten, die sich diesmal als Verbraucherschützer getarnt ans Kentern machen und vor allem für die wackeren Westfalen aus Münster. Sie wollen den Stamm der aufrecht-preußischen berg/bauernden Westfalen von den luschigen Rheinländern abtrennen, die nur Karneval auf die Reihe kriegen, beim Ausschachten der U-Bahn pfuschen und seltsame Biere brauen.

*** Eines der schönsten Computerbücher ist der Fotoband "Defying Gravity" von Doug Menuez. Lange bevor die Fanboys von Apple mit ihrem hysterischen Marken-"Bewusstsein" die Szene betraten, hat Menuez minutiös die Entstehung des Apple Newton mit seiner Kamera begleitet. Wir sehen, wie die Prototypen fest an Labortische geschraubt sind, wie die Entwickler in einem Haus kaserniert werden und lesen, wie einer von ihnen deshalb Selbstmord begeht. Die wundersame Geschichte um Apple und Gizmodo, komplett mit Downfall-Mashup (wieder gesperrt), mit Biergärten, deutschem Bier und dokumentierter Hehlerei ist zweifelsohne ein neuer Höhepunkt im Marketing von Apple, die Gläubigen für den nächsten Einkaufsrausch in Stimmung zu bringen. Journalistische "Marken", die ihr Hirn längst durch Apfelmus ersetzt haben, begeistern sich für die Partnerschaft München-Cupertino. Tipp von Amazon: Wer diese Story glaubt, glaubt auch an das Märchen vom Klapperstorch. Während in Berlin über die Zukunft der elektronischen Gesundheitskarte verhandelt wurde und nur ein klitzekleines Detail wegen des Wahlkampfs in NRW freiwillig vergessen wurde, fiel eine rundum gelungene Aktion von Microsoft aufmerksamkeitstechnisch unter den Tisch: In der Berliner Kalkscheune feierten die Sieger des deutschen Imagine-Cup-Wettbewerbs 2010 mindestens so heftig wie die re:publikaner. In der Kategorie Software Design gewann wieder einmal die TU Dresden mit dem Gesundheits-Internetportal Mediator vor weiteren Lösungen wie SanCuration, die die Medizin verbessern wollen. Schützend hält Entwicklungshilfeminister Dirk Niebel seinen Schirm über die neuen Exportschlager, die erst einmal nach Warschau fahren dürfen. Mögen sie nicht auf harte Konkurrenz stoßen, die mit leckeren Hirschhornkäferlarven den Hunger in der Welt bekämpfen und damit die Preise einheimsen.

*** Bekanntlich kämpfen unsere Soldaten in Afghanistan für etwas, das in Deutschland Frieden genannt wird, anderswo nur als möglichst einfacher Abzug gehandelt wird. In dieser Situation ist eine studentische Mindmap aus Potsdam besser als alle gegelten Aussagen, Auge um Auge. Meine Sympathie ist mit den deutschen Soldaten, die sich I Fight for Merkel als Aufnäher besorgen und tragen. Sollte diese Geschichte stimmen, wird die Wahrheit schon lange nicht mehr am Hindukusch verteidigt.

*** Noch steckt der Text des CCC-Mitgliedes Frank Rieger hinter einer Paywall, doch das Konzept des Datenbriefes, das er im Blatt noch einmal erläutert, soll einen Weg ins Bundesinnenministerium gefunden haben. Natürlich gibt es Spötter, die diesen Brief für ausgemachten Schwachsinn halten. Wenn der Datenbrief dabei hilft, dass sich Firmen Gedanken darüber machen, ob man nicht mit ein "bisschen weniger Suchgenauigkeit oder etwas wilderen Buchempfehlungen" leben kann, ob man auf Daten verzichten kann, weil die Auskunftskosten und das Drumherum die Sache nicht wert sind, dann hat er sich schon gelohnt und war das Nachdenken über eine solche Konstruktion, sein Porto wert. Neben den Spöttern gibt es immerhin auch die Naiven, die nur darauf warten, mit Facebook, Google und Amazon endgültig die Kontrolle zu verlieren und in ihrem schrecklichen Deutsch radebrechen: "Es gilt die Situation schonungslos zu erfassen und sich emanzipative Strategien zu entwickeln, die den CTRL-Verlust managen, ohne ihn rückgängig machen zu wollen." Die Leute, die glauben, nicht von Algorithmen erfasst werden zu können, weil sie keinen 9to5-Normaljob machen, sind ganz nach Orwell wirklich arme Schweine, wenn sie verächtlich über die Normaljobber erhaben sind und verkünden: "Sie sind also nur deswegen berechenbar, weil sie einer gesellschaftlichen Norm nacheifern. Für mich würde diese Software also keine verlässlichen Einschätzungen treffen können."

*** Eine richtig anstrengende Woche will sanft verabschiedet werden. Wie wäre es mit einer mashup-gestärkten Mondscheinsonate komplett mit Troll-Kommentaren? Oder soll es, ganz im Sinne von Hal 9000 lieber ein rauschender Walzer an der schönen blauen Donau sein? Ach, was. Flüchten wir uns lieber in etwas zünftige   Blasmusik, gern auch mit etwas   Bayern-Punk und bayerischem Techno vermischt.

Was wird.

De-Mail, der neuen Personalausweis und der fiese Identitätsdiebstahl sind die Themen, die in der nächsten Woche ein BSI-Symposium behandelt. Vergeblich wird man das Wort Leuchtturmprojekt suchen, das nacheinander an das System der LKW-Maut, die elektronische Gesundheitskarte und schließlich den Personalausweis getackert wurde, denn diese Projekte senden Signale, dass Dinge unrund laufen: Leuchttürme waren dafür bekannt, dass sie einst kräftige Lichtstrahlen sendeten, aber keinen Rückkanal besaßen. Das beschreibt die deutsche Misere besser als lange Ausblicke. Ob unsere Nachbarn besser dran sind, ist nicht nur mit Blick auf Griechenland die große Frage. Belgien und die Niederlande kriseln. Ob die Wahl in Großbritannien wirklich nur die Wahl zwischen Blackberry und iPhone ist? Auf mehrfachem Wunsch meiner Leser werde ich nur noch positiv denken. Man muss einfach nur das richtige Auge für die richtigen Fortschritte haben. Wie wäre es mit diesem Faktoid hier: SCO Deutschland ist in Bad Homburg umgezogen. Die huch, huch, ach so skandalösen WLAN-Angaben vor Ort werden nachgereicht.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 02 Mai, 2010, 00:13
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Leise hat er sich davongemacht, der April. Dafür lärmt der Mai umso lauter: Horden mit Bollerwagen ziehen durch die norddeutsche Tiefebene, Betrunkene aller Altersgruppen kotzen jede Blume am Straßenrand zu. Das ehrwürdige Fruchtbarkeits-Fest zu Ehren der Göttin Floralia, oder germanisch-keltisch zu Ehren von Bealtuinn oder christlich zu Ehren von Walburga oder auch zu Ehren der Arbeiterklasse ist nur noch eine große Sauferei unter freien Himmeln. Überall finden sooo deutsche Rituale statt, dass Grausen aufkommt. Gespannt schauen die Medien nach Berlin oder Hamburg, das kollektive Torkeln in der Ebene wird ignoriert. Da hilft nur allgemeines Zurückignorieren mit Blick ins kalte München, wo alte Rechner eine kleine Halle heizen, unter ihnen der c't86.

*** "(Online-)kommunikation: Endlich wieder Reden" ist das Thema des VCFE wie dieser kleinen Wochenschau. Denn der Rückblick gilt nicht der vergangenen Woche, sondern dem Leben eines großen deutschen Online-Pioniers. Leise ist Günther Leue am 1. April abgetreten, der IT-Pionier und Ehrenpräsident des Chaos Computer Clubs. Alle Vertreter der Generation Mailbox verneigen sich vor ihm, denn ohne seine geniale Konstruktion des Vereins zur Förderung der Telekommunikation (VFTK) im Jahre 1984 wäre unser Treiben illegal gewesen. Um es im Denglisch des derzeit amtierenden Innenministers auszudrücken, war der gesamte Telekommunikations-Bereich eine "No-go-Area" für technisch interessierte Staatsbürger. Schon der Anschluss eines nicht vom Gilb zugelassenen Telefons an das staatliche Telefonnetz war ein Anschlag auf die öffentliche Ordnung und Sicherheit Deutschlands, ebenso der Betrieb nicht zugelassener "Telemodems".

*** Mit dem VFTK spannte Günther Leue einen wichtigen Schutzschirm auf, weil er einen juristischen Kniff ausspielte. Die Mitglieder des VFTK durften zur Erfüllung des Vereinszwecks Datennetze betreiben und benutzen, obwohl dies nach dem Postmonopol eigentlich verboten war: Das Recht auf Vereinigungsfreiheit war höher angesiedelt als das Fernmelderecht. Die Mailboxszene, der CCC und Leues eigenes System, die 1982 gestartete IMCA-Box in Haunetal: Sie alle wurden von einem Jura-Hack beschützt. So konnte sich aus der Mailbox von Leue das GeoNet-System entwickeln, in dem fast alle CCC-Mitgieder einen Account besaßen, da Leue ihnen einen besonderen "Haustarif" gewährte und erklärte: "Wir sind der Meinung, dass E-Mail nicht nur dem Kommerz dienen soll, sondern in gleicher Weise auch dem Verbund von Menschen." Die Mitglieder des CCC dankten ihm auf ihre Weise. Sie produzierten das erste elektronische Magazin Chalisti, das für viele GeoNet-Nutzer zur Pflichtlektüre wurde: "Die gesamte Menschheit bleibt aufgefordert, in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit des globalen Dorfes zu vollenden."

*** Günther Leue war auf seine höchst eigene Weise ein "68er": Er lebte in den USA, als 1968 die Debatte um das Carterfone kulminierte und die Federal Communications Commission entschied, dass das Carterfone (und andere Systeme wie Akustikkoppler und Modem-Schaltungen) an das Telefonnetz von AT&T angeschlossen werden durfte, sofern sie keinen Schaden am Netz verursachten. Leue, der viele Gespräche mit dem ARPANET-Pionier Ed Roberts geführt hatte, begriff als einer der Ersten, dass eine völlig neue Kommunikationsindustrie entsteht, auf die Monopolisten wie AT&T (oder die Deutsche Bundespost) keinen Einfluss mehr hatten.

*** Dem Kondolenzbrief meines Providers ist eigentlich nichts hinzuzufügen: Ohne das GeoNet und dem Ansatz, dass Netze mehr sind, als Daten für Banken oder Behörden durch die Gegend zu schaufeln, kann das Heute kaum erklärt werden. Ich bin ein Fan von Ursache und Wirkung. Ich bin sicher, dass eine Erfindung wie das WWW von Berners-Lee irgendwo seine Vorväter hatte in Form von Gedanken und Visionen, die zu E-Mail und Informationsverbreitung erst führen konnten. Ich bin sicher, ein Tim Berners-Lee kennt den Namen Günther Leue nicht, aber irgendwo in der gedanklichen Evolution zwischen der Ursuppe der Byteschaufelei und den neuen Multimedia-Welten auf dem iPad, da ist er eines der vergessenen 'Missing Links'".

*** Nichts illustriert den Missing Link besser als die Ignoranz der deutschen Wikipedia, deren Relevanz-Krähen keinen GeoNet-Eintrag zulassen und erst recht keinen Günther Leue kennen, nicht mal als den Mann, der in seiner Zeit als Diebold-Berater für die Einführung der Barcodes in Deutschland kämpfte.

*** Günther Leue begann seine lange Karriere in der IT 1953 bei Remington Rand Univac. Er wurde Verkaufsdirektor für den Bezirk Nordrhein-Westfalen und arbeitete so erfolgreich, dass er als erster Europäer im Jahre 1966 Product Line Manager in der amerikanischen Zentrale von Univac wurde. Bei einem Lehrgang an der New Yorker Graduate School of Business lernte Leue den Automationsspezialisten John Diebold kennen und wurde Geschäftsführer der Diebold Deutschland GmbH. Leue beschäftigte sich mit dem, was heute IT-Assesment genannt wird. Er arbeitete außerdem in dem von Henry Sherwood geleiteten europäischen Diebold-Forschungsprogramm. 1974 ging er für Diebold wieder in die USA, wo er das Team leitete, dass IBM im großen Antitrust-Prozess IT-technisch beriet. 1976 wagte Günther Leue den Sprung in die Selbstständigkeit und gründete die Firma "Leue Management Consultants", die Seminare zur IT-Organisation anbot. Er wurde Mitglied im einflussreichen Informationskreis Organisation und Datenverarbeitung und beschäftigte sich mit dem "Information Retrieval" aus großen Datenbanken. Er engagierte sich in einem US-amerikanischen Diskussionskreis, der die Rolle von "Informationsarbeitern" unter den Bedingungen der zunehmenden Computerisierung untersuchte. Dort dachte man über das nach, was uns heute selbstverständlich erscheint: die Bündelung von Sprache, Text und Bild in einem einzigen Informationskanal. 

*** Zusammen mit seinem Sohn Christian begann Günther Leue Ende der siebziger Jahre mit der Entwicklung eines einfach zu bedienenden Kommunikationssystems. Unter dem Namen IMCA-Mailbox ging das System online. Es war eine der wenigen Mailboxen, die über Datex-P erreicht werden konnten. Auf Basis dieser ersten Mailbox mit Z80-Prozessor und dem Betriebssystem Oasis entstand in einem zweiten Anlauf mit DEC-Hardware und OpenVMS als Grundlage das GeoNet-System, das Leue sehr erfolgreich vermarkten konnte. Geonet-Knoten gab es in Deutschland und in Österreich (von Radio Austria betrieben), in England, aber auch in den USA. Das größte GeoNet-System überhaupt wurde 1990 in Polen installiert, 1991 bekam Sibirien seinen eigenen Mailboxverbund mit GeoNet-Technik. GeoNet war nicht nur Hardware, sondern in erster Linie eine Software, die auf ihre Weise Standards setzte. Die GeoNet-Syntax färbte auf viele andere Mailbox-Systeme ab, etwa bei den Zerberus-Mailboxen. In seinen leider nur rudimentären Memoiren schrieb Günther Leue: "Der Befehlsvorrat, den das System anbot, war so ausgewählt, dass alle Operationen mit schlichten, der Umgangssprache entnommenen Worten aufrufbar waren. Es wurde dadurch eine extreme Benutzerfreundlichkeit erreicht, die sich insbesondere in der einfachen klartextlichen Dialogführung in der jeweiligen Muttersprache widerspiegelte. Aber auch im 'Vergeben' bei den häufigsten Syntax-Eingabefehlern, in automatischer Korrektur (wo immer möglich) und dem Anbieten von Hilfen und Alternativen, wo das System nicht von sich aus korrigieren kann. Das Ganze war ausgelegt auf 'Nicht-Computerfachleute', wie zum Beispiel Sekretärinnen. Selbst für Blinde, von denen einige von Anfang im System waren, waren sie schnell lern- und nutzbar."

*** Im Geonet-System war eine Art "Instant messaging" möglich, weil der Befehl "Online" eine Liste der Teilnehmer ausgab, die eingeloggt waren. Mit "Text" konnte den Teilnehmern eine Sofortnachricht geschrieben werden, mit "Dialog" startete ein Chat. War kein Teilnehmer online, funktionierte "Dialog" trotzdem: Hinter dem Befehl verbarg sich eine komplette Implementation von Weizenbaums Eliza.

*** Als einen der wichtigsten Momente in seinem Leben beschrieb Günther Leue ein Treffen von LMC-Mitarbeiten mit dem damaligen Post-Minister Schwarz-Schilling und etlichen Managern der Deutschen Post am 24.7.1985, das durch Graf Nayhauß vermittelt wurde. Bei diesem Treffen der verfeindeten Seiten, von dem es umfangreiche Protokolle beider Seiten gibt, wurde die halblegale Mailbox-Szene regierungsamtlich anerkannt. Der "Sieg" hatte im Schlusskommuniqué des Postministeriums folgenden Wortlaut: "Der Liberalisierungsprozess der Telekommunikation wird auch in Deutschland eingeleitet. Die Bedeutung der technischen Kommunikation beim Übergang in ein Zeitalter, dass mit dem Schlagwort von der 'Informationsgesellschaft' charakterisiert wird, machen dies zwingend." Natürlich war die Anerkennung der Mailbox-Szene im Sinne legaler Techniknutzung nur ein Aspekt. Die widerständigen Kräfte meldeten sich auch im Protokoll zu Worte. Schließlich hatte damals die Bundespost damals gerade noch einmal 500 Millionen DM in ihr BTX-System gesteckt, dass vor den Mailboxen Vorrang haben sollte: "Die existierenden Gesetze müssen beachtet werden, die Reformbedürfnisse in Form von notwendig werdenden Gesetzesänderungen bedürfen einer sorgfältigen Analyse. Die heimische Industrie muss Gelegenheit bekommen, sich auf den verstärkten Wettbewerb vorzubereiten. Die personalpolitischen und technischen Gegebenheiten des Großunternehmens Deutsche Bundespost müssen beachtet werden."

Was wird.

Günther Leue ist 85 Jahre alt geworden. Für uns alle, die immer wieder seine E-Mails mit Anregungen bekamen, bleibt in Erinnerung, wie sehr er sich trotz aller Klinikaufenthalte und Zäsuren mit neuen Ideen beschäftigte. Groß war seine Begeisterung für das Projekt "Better Place". Zuletzt war es das bedingungslose Grundeinkommen, mit dem er sich intensiv auseinandersetzte. Die Texte hierüber befinden sich auf einer Website, die dem Online-Pionier gewidmet ist, der jetzt am Großen Terminal sitzt.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 09 Mai, 2010, 07:56
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Ich lebe in glücklichen Zeiten. Ich durfte erleben, wie unser Bild der Erde sich mit dem Bild von Apollo 8 veränderte. Nun erlebe ich, wie unser Bild vom Menschen eine Veränderung erfährt. Willkommen, liebe Neandertaler! Auch wenn es nur ein bis vier Prozent sind, die wir geerbt haben, so wird unzweifelhaft ein Weltbild revolutioniert. Wir kommen alle aus dem Neandertal mag etwas übertrieben klingen, macht aber Schluss mit der überlegenen, unbefleckten Entwicklung des Homo Sapiens Sapiens Sapiens. Die Frage, ob Neandertaler unter unseren Vorfahren sind, kann einfach mit Ja beantwortet werden. Der Dank an die Menschen, die gezeigt haben, dass die Neandertaler zu uns gehören, dass das biologische Konzept der Auswahl und Variation viel größer ist als angenommen, ist auch ein Dank an die Technik, die diese Leistung möglich machte. Aus den Knochen von Vi33.16, Vi33.25 und Vi33,26 reines, nicht kontaminiertes Material von der Größe einer Aspirin-Tablette zu destillieren und daraus 5,3 Millionen Basenpaare zu sequenzieren, ist ein Rekord, der noch vor fünf Jahren für absolut unmöglich gehalten wurde. Was im Einzelnen noch in der weiteren Forschung gefunden werden mag, der Unfug mit der Krone der Schöpfung ist geknackt. Vielleicht dreht sich das Bild und der Neandertaler starb aus, weil er friedlicher war als seine Mitmenschen. Irgendwo um einen großen schwarzen Monolithen herum vibriert es jetzt. Es ist die Resonanz auf ein lautes, nicht enden wollendes Gelächter im Universum. Gelacht wird über den kleinhirnigen Menschen, der das, was sich irgendwann vor 100.000 bis 50.000 Jahren abspielte, verdruckst als Seitensprung bezeichnet.

*** Ja, wir kommen alle aus dem Neandertal, aber nur die richtigen Neandertaler, die haben die Wahl. In Nordrhein-Westfalen wird abgestimmt, ob die Politik von Rent-a-Rüttgers fortgesetzt werden soll oder eine kraftlose Alternative weiter macht wie bisher. Klingt ungerecht? Wer diese Geschichte vom digitalen Nordrhein-Westfalen verfolgt, angefangen bei Wolfgang Clement, noch nicht beendet bei Jürgen Rüttgers, wird schnell feststellen, dass ein ordentlicher Sumpf nicht trocken gelegt wird, wenn Regierungen wechseln. Das Ganze im Namen der zauberischen Public Private Partnership, von der die Presse natürlich keine Ahnung hat.  Armer Rüttgers: Von Tigern angegriffen, muss er sich als Papiertiger dem Kampf stellen und kann doch nur "auf vielen kleinen Trostpflastern" landen. Schiefe Bilder?  Da haben es die Piraten besser. Bei ihnen kommt kein Viehzeugs vor, für die gilt nur, die Drei Prozent zu erreichen, die man "Achtungserfolg" nennt. Dafür streiten sich die Kernis mit den Andis, wie anderswo die Fundis mit den Realos. Wo bleibt eine knackige Internetsperre, wenn man sie einmal dringend braucht. Mit dem Jugendmedienschutzstaatsvertrag allein ist schlecht Wahlkampf zu machen, dazu ist das Wort zu lang, die Konzepte zu wabbelig.

*** So bleibt am Ende das Thema Griechenland über, das alle Talerbesitzer ganz ungemein aufregt. Faule griechische Anleihen in Höhe von 2 Milliarden Euro haben WestLB und die NRW-Bank gesammelt, allerdings nicht nur unter politischer Aufsicht von Rüttgers und Co., sondern auch unter den rot-grünen Vorgängern.  Insgesamt ist das Thema Bundespolitik und Anliegen der Notstandsexpertin Angela Merkel: "Es geht um nicht mehr und nicht weniger als um die Zukunft Europas und damit um die Zukunft Deutschlands in Europa. Das erlegt uns allen, die wir im Deutschen Bundestag unser Volk vertreten, sei es in der Regierung, sei es in der Opposition, eine außerordentlich große Verantwortung auf. Selten gibt es solche Situationen. Selten gibt es Situationen, in denen, erstens, ohne historisches Vorbild, zweitens, mit unmittelbarer Wirkung für den Augenblick und, drittens, mit weitreichender Wirkung für die Zukunft unseres Landes und Europas entschieden werden muss. Heute ist ein solcher Tag. Niemand kann uns, den gewählten Vertreterinnen und Vertretern unseres Volkes, diese Verantwortung abnehmen." Wie schön, dass wenigstens die SPD Nein gesagt hat und auf einer Finanztransaktionssteuer besteht, die Bundeskanzler Ackermann bei Millionen zukünftiger Bonus-Zahlungen die Laune verdirbt. Ansonsten verweise ich auf  diese wunderschöne Grafik. Es kommen noch viele Tänzchen.

*** Wo bleibt das Positive? Diese Woche sind erste Details zum WWWW-Gesetz bekannt geworden, dass die Handwerker-Innungen unter kräftiger Mitarbeit der Gewerkschaft Bau, Steine, Erden unserer Regierung als Fortsetzung der Mövenpickhilfen empfiehlt. Gedacht ist an eine einfache Geräteabgabe auf all die Dinge, die Wie-wo-was-weiß-Obi und Co. verkaufen. Die Einnahmen kommen den Handwerkerbetrieben zugute, deren Erlössituation unter den vielen fiesen Selbstmachern leidet: "Werden Geräte, die allein oder in Verbindung mit anderen Geräten zur Vornahme von Handwerkerarbeiten geeignet sind, zum Zwecke der gewerblichen Nutzung betrieben, wird vermutet, dass diese zur Herstellung von  handwerklichen Leistungen benutzt werden", für die es einen besonderen, 50 jahre lang gültigen Schutz gibt.  Deshalb wird auf all die Geräte eine Abgabe fällig, die von einer Verwertungsgesellschaft einbehalten wird, ähnlich der Kopiererabgabe für Drucker und Fotokopierer.  Das neue WWWW-Gesetz ähnelt verblüffend dem Leistungsschutzrecht, das sich der Verlegerverband mit kräftiger Mithilfe der beiden Gewerkschaften von Qualitätsjournalisten ausgedacht hat. Wie bekloppt und kurios die ganze Sache ist, sieht man an den ersten juristischen Kommentaren. Sollte das Recht in der vorliegenden Form verwirklicht werden, kommt eine weitere Geräteabgabe – von der Google befreit ist. Dazu bekommen Journalisten das wunderbare Privileg, für die eigenen, von ihnen angelegten Archive (und digitalen Kopien dieser Archive) nichts zahlen zu müssen.

*** Ich vermisse allerdings eine Regel, dass Blogger ausgepeitscht werden dürfen, sollten sie eigene Archive anlegen. Irgendwo muss der Qualitätsjournalismus ja anfangen.  Sollte sich das mit dem Unterschied von Bloggern und Journalisten nicht durchsetzen lassen, müssen Blogger auch an dem Leistungsschutzrecht teilhaben und in die VG Wort eintreten. Da dürfen sie dann zusammen mit den Journalisten über die sadistischen Web-Interfaces heulen, die eine besondere Spezialität dieser Verwertungsgesellschaft sind. Und alle zusammen heulen dann, wenn wie in Kanada geschehen der Quellenschutz fällt: Wer nur Leistungsschutz, Verwertung, Prozente und Marktmächte im Sinne hat, für den hat die Rolle der öffentlichen Meinung in einer Demokratie ohnehin ausgedient. Man könnte die Abschaffung des Quellenschutzes Collateral Murder nennen und sich für die Dokumentenbefreiungsfraktion von Wikileaks freuen.

*** Aber ach. Das Elend muss doch irgendwann ein Ende haben. Erfreuen wir uns derweil lieber an etwas, was das Erfreuen wirklich zur Freude macht. Wir sind nicht erst eine Woche mit Keith Jarrett unterwegs, er begleitet uns mindestens seit der Mitte der 70er Jahre, als das Köln Concert wie eine Offenbarung in unsere Gehörgänge drang, denen wir dann doch in diesen und den Jahren danach ganz andere  Klänge zuführten. "Zu viel. Zu lang" meinte Jarrett über die Aufnahmen vor seinem Zusammenbruch Ende der 90er Jahre in einem Gespräch mit Alex Rühle, das in einen kongenialen Geburtstagsartikel in der Süddeutschen Zeitung mündete (nur als ePaper online). Dem muss man nicht zustimmen, keineswegs. Das Köln Concert fasziniert noch immer, in seiner, nun, sagen wir "Richtigkeit", in der Jarrett hier improvisierend komponiert. Seine neueren Konzerte aber, vor allem das "Testament", sind tatsächlich konzentrierter, weniger ausschweifend. Schon gar das Trio mit Gary Peacock und Jack DeJohnette: Drei gewitzte Musiker, die ganz entspannt swingen, ja, genau, das kann Jarrett auch. Lehnen wir uns entspannt zurück: Keith Jarrett hat zu seinem 65. Geburtstag auch ganz relaxte, konzentrierte und gar nicht ausschweifende Songs zu bieten – dafür sei auch Charlie Haden Dank.

Was wird.

Gespannt warten wir auf den ersten Film über einen Wissenschaftler, der sich über den Knochenstaub hermacht, die komplette DNA und die Versicherungsnummer eines Neandertalers rekonstruiert, mit diesen Daten einen Bioschleim füttert und PLOPP sind unsere Kumpels von damals wieder unter uns.  Vielleicht sprechen sie ja diese Nav'i-Sprache, die Paul Frommer aus seinen Genen gefischt hat. Ein bisschen kleiner werden sie sein, nur 1,55 Meter, was unter anderem dazu führen wird, dass Google seine kompletten Streetview-Aufnahmen wie damals in Japan in die Tonne treten kann und 40 cm tiefer wiederholen muss. Das wird ein Spass, die Kommentare von Menschen zu lesen, die sich heute schon über Jägerzäune aufregen, weil diese ihrem Kontrollverlust im Wege stehen. Ganz zu schweigen von den liliputanesischen Wutwichteln, die zurückfotografieren wollen, was Google an "Resthäusern" verdeckt, das alles im Namen der Freiheit, die Eier auf der spitzen Seite aufzuschlagen.  Oh, ha! Die Blefuscaner rücken heran. Und wie erklären wir diesen versammelten Schwachsinn einem frei schweifenden Neandertaler?

Vielleicht hilft da die gemeinsame Lektüre von den zentralen Werken unserer heutigen Kultur. Für die verquere Streetview-Debatte empfiehlt sich als Plichtlektüre eigentlich alles, was der großartige Hugh Kenner über Fälscher und Lügner, über James Joyce und Alan Turing geschrieben hat, aber der Einstieg ist schwierig. Heutzutage muss es ja Twitter sein, damit überhaupt ein Buch gelesen wird. Mit subtilen Maßnahmen und der kräftigen Unterstützung von Skript Kiddies hat sich Neil Gaimans American Gods an die Spitze gesetzt und führt eine durchaus bemerkenswerte Bücherliste an, die zu 140 Zeichen am Tag gelesen werden sollte: Fahrenheit 451, 1984,  Brave New World, Slaughterhouse Five. Ray Bradbury, George Orwell, Aldous Huxley und mein Favorit, der großartige Kurt Vonnegut zeigen, dass noch Hoffnung besteht und sich der Homo Sapiens weiter entwickelt und etwa aus Tiefenbohrungen lernt.

Und wenn er auf der Stelle tritt, der Sapiens Sapiens? Dann hilft nur noch feiern. Ein etwas näherer Verwandter als der Neandertaler ist der Niederländer, der uns schon deswegen überlegen ist, weil er dank seinem Fernsehen wesentlich besser beim  Multitasking ist. Aber was gibt es zu feiern, noch vor der Fussball-Weltmeisterschaft, die diesmal den Kaaseköppen gegönnt sei, bei einem absolut grauslichen Bayern-Block?

Wenn Bayern wieder Meister wird,
dann hör ich auf zu dichten
und werde kühl und ungeniert
die ganze Welt vernichten.

Kurzum: Wenn Bayern Meister wird,
dann kommt auch meine Stunde.
Dann wird der Globus ausradiert,
und ihr geht vor die Hunde.

Drum macht, dass es ein andrer wird.
Sonst lass ich's Schreiben bleiben
und werde kühl, doch passioniert
euch allesamt entleiben.
(Thomas Gsella)

Wir feiern! Und feiern! Natürlich das großartige Kannitverstan des Rheinländischen Hausfreunds Johann Peter Hebel, der vor 250 Jahren geboren wurde. Und wir trösten uns auch damit, dass wir immerhin den sogenannten Klassenerhalt des SC Freiburg und von Hannover 96 feiern können. Ach. Ist man in dieser hysterischen Zeit schon mit Brosamen zufrieden. Nein, keineswegs. Mit Brosamen geben wir uns nicht mehr zufrieden. Zurück zu Jarrett und Haden. Ja.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 16 Mai, 2010, 07:07
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Es war einmal eine kleine Agentur in einer großen Stadt, die zur Hochzeit der ersten großen Internet-Blubberei gegründet wurde, all die Bobos zu melken, die Werbung für ihre Firmen brauchten. Das Geschäft lief mal prächtig, mal weniger gut, aber man schaffte es doch, über 10 Jahre zu wachsen. Das wurde vor vier Jahren mit einer netten Party gefeiert, auf der man sich ausführlich mit diesem Web 2.0 beschäftigte. Irgendwie musste das soziale Web doch Schotter bringen und sei es nur 2,99 – mit einem ordentlich langen Schwanz (PDF-Datei für Erwachsene) kann das zu netten Einnahmen führen. Die nächsten 10 Jahre wurden mit einem Augenzwinkern angegangen. Weil die Party nett war, wurde sie zum Business, zum Kongress, auf der Redner wie Zuhörer reichlich Kohle zahlen, um zu präsentieren und zu hören. Win-Win nennt man das, wenn man gleichzeitig in zwei Geldbörsen greifen kann.

*** In diesem Jahr kam die Sache mit den Game Changers, den Hütchenspielern des Internets nicht so gut an. Wenn Ferkel fliegen könnten und auf dem iPad über die Theorie des kommunikativen Handelns räsonnieren könnten, ja, dann hätte man einen normativen Sprung gehabt, aber so blieb es halt bei La Fontaine und dem Getue von Frau Fliege:

Frau Fliege summt die ganze Reih entlang,
Muss jedem ihre Meinung in die Ohren sagen.
Nach harter Müh ist oben unser Wagen.
»Verschnaufen wir!« sagt nun das Fliegentier;
»Mein Gott, ich plagte mich bis zum Erschlaffen,
Um unsre Leute hier heraufzuschaffen.
Also, ihr Herren Pferde, was bezahlt ihr mir?«

Die Herren Pferde aber blieben stumm. Dafür finden wir eine Antwort des Veranstalters, komplett mit einem Screenshot von heisechan und den Rest der Fabel auf einer Seite toter Fische:

Ich kenne Ähnliches von vielen,
Die immer die Geschäftigen spielen.
Sie mischen sich in alle Dinge,
Als ob es ohne sie nicht ginge -
Und sind nur ungelegen überall.
Schmeißt sie hinaus mit Knall und Fall!

Rausschmiss oder Reinfall, das ist die Frage. Immerhin kam in Berlin die bis dahin größte deutsche Anhäufung von iPads zusammen, komplett mit iPhones, die nahezu jeder Teilnehmer besaß. Wer solcherartauf eine Firma fixiert ist, kann viel über das "curated computing" als Paradigma der Entwicklung schwärmen, das gerade die "walled gardens" der Geburtstagsfeier ablöst.

*** Eine Antwort gibt es nur, wenn man schaut, wo gerade die Karten neu gemischt werden. Ein Game Change der Extraklasse dürfte das Ansinnen von SAP produzieren Sybase für 6 Milliarden Dollar zu kaufen, um SAP auf dem Smartphone-Markt zu verankern. Viele der 4000 Mitarbeiter von Sybase hoffen, dass der Kaufpreis von 65 Dollar Cash für jede Aktie noch durch Oracle und IBM in die Höhe getrieben wird, damit SAP im Übernahmekampf selbst ordentlich Federn lässt. Mit dem Kaufangebot bekommen wir einen richtig heißen IT-Sommer, auch wenn es dank der Asche aus Island draußen in der Realität kalt und grau bleibt. Aber hach, auch Vulkane sind richtige Game Changer, wie es das Beispiel der Draisine zeigt, die über Pferde und Kutschen triumphierte, als es 1816 an Futter mangelte. Frau Fliege, Herr Pferd und Spezialisten für Kutschenmarketing, hübsch aufgepasst: für den Wechsel muss man die Denkrichtung ändern. Deswegen haben wir bekanntlich runde Köpfe.

*** So ein Wechsel beginnt häufig ganz unscheinbar, etwa mit der gründlich einplanierten Wiedergabe einer Theorie. In seiner Theorie des kommunikativen Handelns beschäftigt sich der Internetversteher Jürgen Habermas mit dem Problem, dass kommunikative Milieus unter dem Druck "verselbstständigter Subsysteme auf dem Wege der Monetarisierung und Bürokratisierung" irreparabel zerstört werden können. Um auch mal richtig loszuplanieren: All die Errungenschaften des Internet, dass uns so glücklich macht wie ein Kräutergärtlein den Pfaffen, sind bedroht, wenn der Rubel rollt. Nun posauniert ein FAZ-Blog unter Berufung auf eben jenem Habermas neue Vorschläge für eine Politik der herrschaftsfreien Kommunikation, in der das Wort "Elternneutralität" auftaucht. Genau wie die Rede von der Netzneutralität geht es um scheinbar Progressives:

Und da es immer diejenigen Kinder ausbaden müssen, die es mit den Eltern nicht so dolle getroffen haben, ist der Gesamtgesellschaft sicher mehr gedient, wenn man den Eltern, so weit es geht, die Erziehung aus der Hand nimmt. Dann bekommt zwar nicht jedes Kind eine optimale, aber alle eine okaye und vergleichbare Erziehung.

Wer nimmt eigentlich in diesem Szenario den Eltern die Kinder "aus der Hand"? Der Staat? Der ist gerade dabei, die von schwarzgelb ausgerufene Bildungsrepublik Deutschland nach allen Regeln der Kunst zu planieren. Man schaue nur nach Hessen. Dort, wo Roland Koch die Bildungs- und die Kita-Kosten drastisch zusammenstreichen will, geht es immer um Kinder und Eltern, die es richtig dolle getroffen haben, was in diesem unseren Lande "Standard" ist an Arbeit, Häuschen, Glotze. Es geht um die etablierten Eltern, die den Bildungsvorsprung ihrer Kinder hinter dem Kürzen von Leistungen gesichert sehen. Es geht um eine ganz bestimmte Jugend, die abgekoppelt wird von der Bildung, aber auch vom selig machenden Kontrollverlust und der propagierten Ressource Ignoranz der Digital Inhabitants. Denn die, die draußen bleiben, bleiben draußen. Das hat ein Landessozialgericht in Nordrhein-Westfalen in einem unerhörten Schandurteil festgestellt, dessen Tragweite wenigen bewusst ist. Wenn ein Personalcomputer nicht zur Grundausstattung gehört, was machen wir dann mit diesem Satz, den das Bundesverfassungsgericht im Kontext von Hartz IV geschrieben hat?

Das Sozialstaatsgebot des Art. 20 Abs. 1 GG hält den Gesetzgeber an, die soziale Wirklichkeit zeit- und realitätsgerecht im Hinblick auf die Gewährleistung des menschenwürdigen Existenzminimums zu erfassen, die sich etwa in einer technisierten Informationsgesellschaft anders als früher darstellt.

*** Verklappen wir die Ausgeschlossenen im Graben namens "Digital Divide"? Bekommen sie einmal die Woche ein iPad-Blatt vom Discounter ihrer Wahl, auf der die Netzweltnachrichten von einem großen deutschen Verlag zusammengefasst sind, der seit Wochen für Apple Werbung macht? Der Verlagschefs hat, die täglich vor dem Steve-Jobs-Altar kniend beten? Ja, so unscheinbar beginnt der Wechsel. Wo "curated computing" möglich ist, wo die Nutzer jubeln, wenn sie veräppselt werden, da ist die kuratierte Gesellschaft nicht fern – und die wird von den Interessen einer alternden Bevölkerung dominiert, die nichts mehr interessiert, was hinter einem Ereignishorizont zwanzig Jahre in der Zukunft liegt. "Yesterday you said tomorrow"  klagt  Christian Scott die ewig verschobenen Versprechen auf Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit ein, die das Bürgertum mit seinen Revolutionen in die Welt gesetzt hat und heutzutage doch nicht mehr einzuhalten bereit zu sein scheint. Das könnte Scott genauso gut hierzulande tun.

Was wird.

Ein weiteres höchstrichterliches Urteil beschäftigt die Gemüter. Man kann es positiv als Schadensbegrenzung sehen, wenn absurde Haftungsansprüche bei offenen WLANs deutlich reduziert werden. Man kann aber auch bedauern, wie die digitale Gastfreundschaft infrage gestellt wird. An dieser Stelle ist eine kleine Verschwörungstheorie fällig, komplett mit dem Verweis auf den elektronischen Personalausweis, der ab November ausgegeben wird. Offene WLANs im Oberholz und anderswo werden in Zukunft weiterhin erlaubt sein, nur das Log-in wird an die Funktionen gekoppelt, die der neue Ausweis bietet. Damit befindet sich unsere Bildungsrepublik in bester Gesellschaft: Einer der ersten Staaten, die die Nutzung von öffentlichen WLANs an die Identität seiner Bürger knüpfte, war Malaysia. Am Montag erhält Premier Dato' Tun Abdul Razak auf der Weltausstellung in Shanghai einen Forenschrittspreisis der ITU, zusammen mit Robert Kahn. Das Internet macht einfach glücklich.

Manchmal klappt es nicht ganz mit dem Glücklichsein, vor allem dann, wenn Google wieder in den Schlagzeilen ist. Nun sollen die Giraffastras des Konzerns nicht nur Bilder gemacht und WLANs geplottet, sondern anbei in das Netzwerk gelauscht haben, für zwei Sekunden. Die Erklärungen von Google sind ebenso bescheuert wie die Hyperventilation nach diesem Datenskandal. Was Google wirklich wissen will von uns, das hat der Bi-Ba-Butzemann längst in sein Säcklein geworfen. Es kann nur besser werden: Sollte Google jemals seine Opel in der norddeutschen Tiefebene in Richtung unserer Einöde steuern, werde ich schützend auf dem Trecker ein Ferkel (ohne iPad) in die Kamera halten, im Namen der "Panoramafreiheit" Zur Zeit hat mein Nachbar 37 davon. Und unsere WLANs sind offen wie die Scheunentore, durch die derzeit die unterernährten Schwalben frierend taumeln. Die Brut muss dieses Jahr ausfallen. Dafür bauen die Amseln schon wieder ihr Nest im Blumenkasten auf dem Hannoveraner Balkon.

Was nicht ausfällt, ist ein Seminar zum Schutz kritischer Infrastrukturen, das in dieser Woche stattfindet, natürlich unter Beteiligung von SAP, den Spezialisten für krisenelastische Kommunikation. SAP-Lösungen auf der Basis von BusinessObjects haben den Polizeikongress beherrscht und werden uns weiterhin beschützen. Jedenfalls besser als Werder sein Tor. Was waren das noch für Zeiten, als das Logo vom WWWW im Zeichen von Werders W erstrahlen konnte. Schnüff.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 23 Mai, 2010, 00:10
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Wan de Cheng ist nicht die plattdeutsch formulierte Frage "Wann gibt es das Geschenk?", sondern ist Chinesisch und heißt "Stadt, in der du alles bekommst." Unter diesem Namen geht Media-Markt in China an den Start, ganz feierlich und schwer symbolisch von Bundespräsident Köhler auf der Expo in Shanghai eröffnet. Nun könnte man laut "Ich bin doch nicht blöd" rufen und auf Wikipedia nachschlagen, ob es zu den Aufgaben eines Bundespräsidenten gehört, Media-Märkte zu eröffnen, aber wenn es der Wahrung deutscher Wirtschaftsinteressen dient, ist alles paletti. Horst Köhler, ja ganz Deutschland steht wie ein Mann hinter Metro, da tritt man niemanden boatengistisch auf die Füße, den Standort gefährdend. Und wie hübsch es doch klingt, dieses "Stadt, in der du alles bekommst." Alles? Alles. Sogar Computer, die den großen grünen chinesischen Damm umgehen, diese Firewall, an der ständig 30.000 Fachleute herumproggen? Wie wäre es mit Menschenrechten, hübsch verpackt auf einer SIM-Karte für unüberwachtes Telefonieren? Von freien Medien gar nicht zu reden. Wer den Videostream zur Verleihung der World Communication Awards in Shanghai verfolgt hat, dürfte sich über die Einblendung von Mozarts kleiner Nachtmusik gewundert haben, als der ITU-Generalsekretär Cyberwars zwischen den Staaten als barbarische Akte verurteilte.

*** Zurück zur Normalität in einer Zeit voller Internet-Süchte, die in China mit altbewährten Methoden behandelt werden. Schließlich leben wir auch im freiesten Westen nicht in Städten, in denen man alles bekommt. Was gab es für ein Geläster, als Peking seine Olympiamaskottchen vorstellte, komplett mit Heisig und der tibetanischen Antilope. Nun ist London dran und dort erklärt man allen Ernstes, dass Wenlock und Mandeville an den Erfolg des Dackels Waldi anknüpfen werden, schreibt der Guardian. Dass die Zyklopen wunderbar den allgegenwärtigen Überwachungskameras ähneln, bemerkte einer. Wie London zu den olympischen Spielen überwacht werden soll, erklärt dieses Video der fiktiven Firma Blackwell & Briggs. Die Produzenten von Conspiracy for Good erklären sich zur Unbewegung, der niemand und doch alle angehören können. Das sich hinter dem Ganzen ein von Tim Kring produzierter PR-Gag für den Werbepartner Nokia versteckt, der seine Ovi-Dienste aufpeppt, ist dabei nur die halbe Wahrheit. Die subtile Geschichte hinter der Werbekampagne ist der Appell an den Bürger, mit seinem Nokia-Handy selbst Teil der Überwachung zu werden. Wer kein Gesicht hat, hat nichts zu verbergen und hilft, London zu einem sicheren Platz zu machen. Mit der richtigen GIS-Software werden Wenlock und Mandeville ihre Freude haben.

*** Wie schön für uns, dass Deutschland andere Akzente setzt und für die Video-Überwachung am Arbeitsplatz strengere Regeln aufstellen will. Doch halt, was tummelt sich denn da für ein Würmchen zum Thema GPS-Überwachung? Es klingt streng, es riecht aber auch streng, wenn es im Gesetzentwurf heißt: "Die Ortung eines Beschäftigten darf nur während der Arbeits- und Bereitschaftszeit erfolgen und nur dann, wenn es für die Sicherheit des Beschäftigten oder für die Koordinierung des Beschäftigteneinsatzes erforderlich ist und die Güterabwägung ein Überwiegen des Unternehmensinteresses ergibt." Gummiband, ick hör dir klatschen: Was GPS-tüchtige Handys und Navis an Standortinformationen per SMS in die Firma schicken, dürfte nahezu jede Firma als unerlässlich für die Koordinierung des Einsatzes ihrer Mitarbeiter deklarieren können, bis hin zum letzten Friedhofsgärtner. Beredetes Schweigen auch bei den Datenschützern, die das neue Gesetz kritisieren.

*** Bill und Melinda Gates sind mit ihren Kindern durch Europa gereist, sind durch viele Museen und Installationen gewandert, damit die Kinder einen Eindruck von einer anderen Kultur bekommen können, wie der stolze Vater erzählt. Fasziniert waren sie von der Leichtigkeit, mit der der alte Kontinent seine Vielsprachigkeit und Kenntnis von Excel kombiniert. Das Resultat der Europareise ist ein Gedicht von Rory Gates, das der Vater in seinem Blog veröffentlicht hat, komplett mit der Abbildung eines Schwarzen Lochs. Zu Pfingsten erschien vor 15 Jahren das erste Buch von Bill Gates in den USA, das im damaligen Herbst übersetzt als "Der Weg nach vorn" auch in Deutschland seine Interessenten fand. The Atlantic nutzt das Jubiläum, um die damaligen Prognosen von Gates mit der heutigen Realität zu vergleichen. Im Deutschen ist das nicht so einfach, denn Gates und seine Ghostwriter schrieben das Kapitel über die Bedeutung des Internet für die internationalen Ausgaben des Buches komplett neu. Während in der ersten Auflage im US-Original MSN und AOL als Online-Dienste die Menschen verbinden, bestimmt in den internationalen Ausgaben das Internet und der "Information Highway" "Die Zukunft der Informationsgesellschaft", wie der Untertitel des Buches lautet. Parallel zu diesem Umschwung muss erwähnt werden, dass es Gates und seinen Mannen 1995 gelang, den Konzern in sehr kurzer Zeit auf Internet-Kurs zu bringen und Netscape zu neutralisieren.

*** Unter diesen Aspekten können sich die Prognosen von Bill Gates sehen lassen, trotz der Microsoft-Färbung: Nicht der Wallet-PC von Microsoft dominiert die mobile Kommunikation, sondern die Smartphones mit all den Möglichkeiten, die zutreffend beschrieben sind. Auch die Rolle von WLAN und die Technik, dass Smartphones sich automatisch das kostengünstige Netz ohne Taktung suchen, ist gut beschrieben. Ja, die Menschen benutzen ein Multimedia-Lexikon im Internet, auch wenn es Wikipedia heißt und nicht Microsoft Encarta. Und immer noch macht die Menschheit gravierende Fehler: "Fehler wie die Entscheidung von Apple, seine Betriebssystemsoftware nur zusammen mit der eigenen Hardware zu verkaufen, werden sich in den kommenden Jahren noch oft wiederholen." Bill Gates, der Erfinder des iPad lag mit seiner Prognose richtig, dass digitales Geld keine Chancen gegen Kreditkarten haben wird und vollkommen daneben, dass Public Key-Verschlüsselung von Jedermann wie selbstverständlich genutzt wird, weil jeder Mensch wissen wird, wie wichtig die Privatsphäre ist. "Gefährdet uns die Informationsüberlastung?" fragte Gates in seinem Buch, nur um zu erklären, wie zentral "Abfragen" unser Leben bestimmen werden. Jeder Mensch wird ständig "Abfragen" stellen und, wo dies nicht ständig möglich ist, wird er Filter einrichten, die im Prinzip nichts anderes als ständige Abfragen sind: Erstaunlich sind nicht die Prognosen, sondern die von Gates nicht gezogenen Konsequenzen. Ersetzt man sein Plädoyer für Abfragen durch "Suchmaschinen" oder Google, dann hat der Microsoft-Chef erstaunlich genau den kommenden Konkurrenten beschrieben – und doch die falschen Schlussfolgerungen gezogen. Warum das passieren konnte, steht ebenfalls im Buch: "Bei Abfragen, die über den Information Highway geschickt werden, empfiehlt sich höchstwahrscheinlich die Hilfe eines Softwareberaters, weil die Information dann leichter und rascher zu finden ist." Statt an die Weisheit der Massen zu glauben, die jeden Mist in das Suchfenster von Google eingeben (und Resultate bekommen), sollten die Information Broker mit SQL-Kenntnissen die Gewinner sein. Aber auch die konnten nicht beantworten, wie Vögel Musik hören, das machen wir schon selbst.

*** Nach Microsoft kommt Microbesoft. Im Jahre 2007 tauchte dieser Begriff in der Zeitschrift Wired auf und bezeichnete die Firma Synthetic Genomics von Craig Venter, der sich ein Patent auf das erste künstliche Bakterium sichern wollte. Venter und vor allem sein damaliger Mitstreiter, der Nobelpreisträger Hamilton Smith haben mit Vier Flaschen für ein Heureka demonstriert, wie neues Leben programmiert und kreiert werden kann. Ob es ein Wendepunkt in der Geschichte der Menschheit ist, wie Kommentatoren das Ereignis feiern, das dürfte man erst in 15 Jahren wissen, wenn höhere Zellformen ebenso zusammengefrickelt werden können. Wie wäre es mit dem ölfressenden Bakterium, dass Venters Firma seit mehr als einem Jahr als kommendes Produkt anpreist? Was Microbesoft anbelangt, so sind die Ängste geschwunden. Der verklempnerte und DNA-verbastelte Mensch, wie ihn die Google-Ausgründung 23 and me betreibt, kündet von gesunder Konkurrenz.

Was wird.

Wer hätte es gedacht, dass 2010 eine Regierung an der Frage scheitern kann, ob die DDR ein Unrechtsstaat oder eine Diktatur war? Nordrhein-Westfalen soll eine große Koalition und eine große Lahmheit bekommen, dafür in Zukunft noch mehr Nichtwähler, die sich mit Grausen von dieser Sorte Politik abwenden. Wenn in diesem bleiernen Bundesland noch aufmüpfige Reden gehalten werden, dann nur im Speakers' Corner, stilecht mit Powerpoint präsentiert.

Putzig ist es dann schon, wenn ausgerechnet in Nordrhein-Westfalen am Sonntag, am offiziellen deutschen Verfassungstag von Bundespräsidenten Horst "Wan de Cheng" Köhler das Bürgerforum 2011 gestartet wird, das die Bertelsmann- und die Heinz-Nixdorf-Stiftung ausgetüftelt haben. Es ist ein supertolles Modellprojekt, bei dem "10.000 Bundesbürger in 25 Städten und Kreisen bis Mai 2011 gemeinsam diskutieren und ein Bürgerprogramm erarbeiten, wie das gesellschaftliche Zusammenleben bei wachsender Vielfalt der Gesellschaft gestaltet werden soll". Das "größte Bürgerbeteiligungsprojekt in Deutschland" wird neue politische Richtlinien entwickeln und auf einer Internetplattform diskutieren.  Unter dem Oberthema "Zukunft braucht Zusammenhalt" werden neue politische Verfahren der Meinungsbildung erprobt, unter wissenschaftlicher Begleitung der Bertelsmann Stiftung.

Nein, dieser letzte Abschnitt ist kein Cut & Paste aus den Bewerbungsunterlagen für den von Wolfgang Clement (SPD) und Bill Gates ausgeheckten Road Ahead Prize, auch wenn man mit einem einfachen s/Bürger/Schüler ziemlich nah an den damaligen Materialien zum neuen Lernen liegt. So manches wiederholt sich als Farce, was als Komödie begann und in der Satire enden wird.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 30 Mai, 2010, 00:10
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Er  gab wohl den schönsten und zärtlichsten Tod, nun hat der ihn selbst geholt: Dennis Hopper starb mit 74 Jahren an Krebs. Er war nicht nur born to be wild und zeigte einer ganzen Generation, was eine coole Sau ist, er war auch Tom Ripley, nachdem der schon weit mehr als talentiert und zum amerikanischen Freund mutiert war. Er war ein großer Dialektiker in Vietnam. Und er war, ja, er war alles und nichts. Querulant und grandioser Schauspieler, der in unzähligen miesen Filmen mitspielte. Sturkopf und trauriger Komödiant, der in zahllosen grandiosen Filmen mitspielte. Er wird uns sehr fehlen.

*** Anders wird uns weniger fehlen. "Frauen regier'n die Welt" sang unser Mann Roger Cicero auf dem europäischen Schlagerwettbewerb und wurde damit in Deutschland für das einfühlige Arrangement von Musik und Lyrik gelobt, die so besche'rt reimt:

Als ich erfuhr, dass sie auf Umweltschutz steht
Hab ich "nein danke!“ auf mein' Parka genäht
Das hat sie damals alles nicht in'tressiert
Doch seitdem weiß ich wer die Welt regiert.

Frauen reagieren die Welt, nicht der Staat oder das Mafiageld, und das mit langen Beinen und lasziven Blicken. Wahrscheinlich waren es auch Frauen, die den Song gar nicht gut fanden und ihn auf Platz 19 bugsierten. Damit genug der Lenamanie. Es lebe Johanna! Heute vor 579 Jahren wurde La Pucelle im Alter von 19 Jahren verbrannt und dafür vor 90 Jahren heilig gesprochen, wie die Katholopedia ordentlich verlinkt berichtet. Wie wäre es mit einer lustigen Vertonung dieser Zeilen einer leicht modernisierten Fassung eines großen Gedankens?

Darum, wer unten sagt, daß es einen Gott gibt
Und ist keiner sichtbar
Und kann sein unsichtbar und hülfe ihnen doch
Den soll man mit dem Kopf aufs Pflaster schlagen
Bis er verreckt ist.

*** Ja, Frauen regieren die Welt und darum hat der gestaltungsmachtlose Roland Koch in Hessen angekündigt, das Handtuch zu werfen, das Tischtuch zu zerschneiden und die Schnuppe zu machen. Man mag es eine erschütternde politische Bilanz nennen, dass jemand, der als 68er-Fresser gestartet ist, an einer Regierungsfrau scheitert, die sich nicht um die Kulturkämpfe scherte. Doch halt, noch regiert Koch und freut sich für sein geliebtes Bundesland über den DE-CIX-Knoten, denn Hessens Wohlstand hängt vom Verkehr ab. Was auch den Datenverkehr meint, den wir natürlich Konrad Zuse verdanken, der die Kraft der Idee hatte, womit die ersten Umrisse des Philosophen Roland Koch erkennbar werden "Für Zuse waren die Dinge nicht so, wie sie sind, sondern so, wie sie bisher waren.". Dass hinter diesem schönen Satz die Forderung nach neuen Datenschutzgesetzen folgt, muss man einfach Zuse anlasten. Der wollte den Rechnenden Raum zellulärer Automaten, doch heraus kam ein rechtsfreier Raum namens Internet. Sind wir nicht alle etwas schwerhörig?

*** Glückliches Hessen! Mit einer 400er-Schlange sicherte sich Frankfurt den deutschen Rekord beim deutschen Lauf auf das iPad, diesem bewußtseinserweiternden Stück Hardware, vor dem die Börse in großer Andacht  döpfnert. Hach, und bezahlte Inhalte wird es auch noch geben, nach dem Motto Pferdeäpfel sind wieder etwas wert. Nur logisch, dass es die von Koch so bekämpften Leser der Altbauwohnungseigentümerzeitung taz ganz schwer betroffen von der dunklen Seite des iPad schwadronieren. Nun fertigen die Arbeiter von Foxconn für alle Großen der Branche, ohne dass dort das Dunkle großartig Thema war. Nicht von ungefähr wird das Quartal für Quartal enorme Profite abliefernde Foxconn mit seinen 900.000 Arbeitern auf chinesisch "Fabrik der Welt" genannt.

*** Neun chinesische Professoren haben Foxconn in einem offenen Brief dazu aufgerufen, das Konzept der Weltfabrik zu überdenken: "Die neue Generation von Arbeitern ist besser denn je ausgebildet, hat anspruchsvollere Träume und tiefere Gedanken und leidet daher ungleich mehr als die einfachen Wanderarbeiter." Die Antwort von Foxconn ist auch ein offener Brief, einer, in dem die Arbeiter unterschreiben müssen, dass sie für ihre Taten selbst verantwortlich sind. Wie war das noch in den Schlachthöfen Chicagos mit der Hebung der Moral derer, die nichts haben? "Meine Herren, es gibt auch eine moralische Kaufkraft. Heben Sie die moralische Kaufkraft, dann haben Sie auch die Moral. Und ich meine mit Kaufkraft etwas ganz Einfaches und Natürliches, nämlich Geld, Lohn." Extra für Apple-Jünger, die in Schlangen jauchzend stehen, gibt es dazu die prickelnde Shenzen-App: "Finde heraus, welcher Selbstmörder dein iPad zusammenbaute!"

*** Begrüßen wir nach dieser ordentlichen Schippe Kapitalismuskritik den Beschreiber von denen da unten unter uns. Bis jetzt hat Günter Wallraf sein ganzes Büro immer mit sich getragen, eine dicke Tasche voller Papier, mit Notizen, Manuskripten und Briefen von Informanten. Nun ist ihm diese Tasche in einem Café in Barcelona gestohlen worden und damit seine Arbeitsgrundlage weg. Das Telefonregister, der Terminkalender. Wen anrufen? Zahllos die Termine, die Wallraf nun nicht einhalten kann. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung hat einen Hilferuf und Appell veröffentlicht, stilgerecht nur auf Papier zu lesen. Vielleicht lesen spanische Straßendiebe diese Zeitung, man will es nicht ausschließen, kluge Köpfe gibt es überall. Nun sattelt Wallraff um: "Ich hatte ohnehin schon vor, mir irgendwann mal einen Laptop anzuschaffen, um damit notgedrungen Anschluss an die entsinnlichte Computerwelt zu finden. Jetzt ist es wohl nicht mehr zu verhindern." Entsinnlichte Computerwelt? Wo wir uns längst mit allen Sinnen dem Computer hingeben, genau wie die Nav'i ihre Schwänze mit allem zusammenknoten, was nicht bei drei auf den Bäumen ist? Günter Wallraf hat zu viele Bild-Geschichten über das iPad gelesen und zieht die falschen Schlüsse.

*** Nach kurzem Prozess ist der ehemalige Bundestagsabgeordnete Jörg Tauss zu einer milden Bewährungsstrafe verurteilt worden, was unter anderem bedeutet, dass seine Pensionsansprüche nicht gefährdet sind. Es gibt zahllose Kommentare und Analysen, nicht nur im Heise-Forum, es gibt auch eine persönliche Erklärung. Die schlimmsten Kommentare sind diejenigen, die den Besitz der Bilder herunterspielen und damit die Brisanz verharmlosen. Nicht von ungefähr lassen Journalisten, die im pädophilen Milieu recherchieren, ihre Arbeit durch eine anwaltliche Begleitung dokumentieren. Dass ein Abgeordneter diese Vorsichtsmaßnahme und Beratung nicht für nötig hielt, ist gewählte Arroganz. Sprachlos macht, unabhängig von diesem Prozess, auch die allgemeine Praxis der Behörden, dass, werden Dateien gefunden, diese nicht analysiert werden, das bestraft und nicht durch Analyse der Bilder versucht wird, eine Sozialprognose zu erstellen.

Was wird.

Tralala, tralala, die Frauen regier'n die Welt, Lenangela rummsbumms: Das weibliche Jahrzehnt bricht an, besser gesagt die Female Decade unter der Schirmherrschaft von Dr. Maria Burda-Furtwängler. Das heißeste 2.0-Standout voller Vordenkerinnen und Querdenkerinnen bringt als Women-Only-2.0-Conference sogenannte High Acts wie Doris Dörrie, Silvana Koch-Mehrin und Catherine Millet zusammen – und als Top Act, ähem, Paul Coelho. Wahrscheinlich verscherze ich mir jetzt auf alle Ewigkeiten mein überschaubares weibliches WWWW-Lesepublikum, aber es muss sein: Ich könnte meiner Frau wohl alle Ehebrüche dieser Welt in diesem Leben verzeihen, aber wenn sie ein Buch dieses Weichspülers lesen würde, wäre meine Grenze des guten Miteinanders erreicht. Wahrscheinlich hat der Mann schon die Presseerklärung geschrieben, in der es in deutscher Übersetzung heißt: "In den mehr als 15 Panels reicht die thematische Vielfalt von Business-Initiativen für mehr Frauen in Führungspositionen über den Einfluss der Hormone auf Kreativität und Führungsstärke bis hin zum erotischen Kapital der Menschen." Das Ganze wird begleitet von der Präsentation des Superbuchs zur weiblichen Dekade, Zielgruppe Frau. Darf ich vollkommen hormongesteuert mit lasziven Blicken Alternativen zu dieser Präsentation von Frau 2.0 anbieten? Wie wäre es mit annalistigen Analysen, den Reisenotizen aus der Realität oder schlicht ein Häppchen Twister? Nein, die Sache mit der Super-Zukunftsministerin ist nicht gemeint. Dieser Abschnitt der Wochenschau wurde von Orgasm Inc bezahlt.

Bleibt zum guten Schluss der Wochenschau noch ein Blick auf eine der teuersten Veranstaltungen des Jahres, die im Juni stattfindet. Nein, nicht das Gekicke bei den Blatter-Festspielen, auf das sich deutsche Balltreter vorbereiten. Da gibt es immerhin Einnahmen aus Tausendundeiner Vermarktung. Gemeint sind die unmittelbar aufeinanderfolgenden Regierungstreffen der G8- und G20-Länder in Kanada. Dafür muss Ausrüstung in großem Stil angeschafft, die Ausbildung und Versorgung der Sicherheitskräfte gewährleistet werden. Zur Zeit summieren sich diese Kosten auf 833 Millionen kanadische Dollar, was darum als besonders günstig angesehen wird, weil beide Konferenzen unmittelbar aufeinander folgen. Das nennt sich dann eine Piggyback-Solution.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 06 Juni, 2010, 00:15
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

***"Frauen regier'n die Welt", tralala – aber halt, Angela, das war letztes Mal. Da muss man anders anfangen. Kurzer Blick aus dem Fenster.

*** Die Sonne scheint, die Schwalben torkeln. Deutschland will unbedingt ein Sommermärchen haben: Bald wird der A380 mit "unserer Mannschaft" an Bord abheben trotz Bremsklotz Klose. Im kleinen, feinen Verlag am Rande der norddeutschen Tiefebene ist Ferienstimmung ausgebrochen. Faul fläzen die Redakteure an fernen Gestaden, nur hin und wieder twitternd, denn das geht ja gar nicht, ganz ohne Begierden unterwegs zu sein. Dann könnte ja Langeweile ausbrechen und das ist bekanntlich tödlich wegen dieser doofen Algorithmen, die bestimmen wollen, welche Urlaubslektüre mitkommt, auf der Basis, was jemand anderes bestellt hat: "Wer sich von dieser persönlichen Spielart der Zukunftsalgorithmen seinen Musikkonsum, seine Lektüre oder auch nur den Inhalt der Urlaubskoffer bestimmen lässt, stirbt über kurz oder lang an Langeweile." Tod, wo ist dein Stachel, wenn wir alle Cyborgs werden?

*** Nun hat uns diese Woche eine Reihe der wunderlichsten Konstellationen beschwert, auf die nur Algorithmen kommen, die von einer unendlich großen Zahl von Affen an unendlich vielen iPads angestuppst werden. Alles ausgelöst durch ein böslistiges Sprachspiel des Kommandos Horst Lübke, dem allerhärtestes Bedauern der Bundeskanzlerin folgte. Horst Köhler resignierte auf seinem Handelsweg, von der schwieligen Faust der Blogosphäre gestoppt. Das darauf folgende derbe Volkstheater illustrierte niemand besser als der Osnabrücker Langweiler Heinz Rudolf Kunze, der gegen den Osnabrücker Langweiler Christian Wulff den Reiter Walser vom Bodensee als Bundespräsident vorschlug, mitten in der Geburtstagsfeier des großen Unterhaltungskünstlers Marcel Reich-Ranicki.

*** Im großen deutschen Bauernschwank konnten wir außerdem lernen, wie Angela Merkel per SMS erst mal ein bisschen Schnucki macht und zeigt, was sie von einem Bundespräsidenten hält, der gegen den Winter im Sommer kämpfte. O mächtige Bloggerfaust, balle dich und mache diesen Gauck zu unser allem Präsidenten! Glaubt jemand ernsthaft, ausgerechnet von einem Osnabrücker feurige Reden über das richtige Leben im falschen zu bekommen? Die bislang gesammelten Videos zeugen vom Gegenteil. Immerhin wird es die kaisertreue Jugend und die Hamburg-Mannheimer entzücken, wenn Deutschland seinen Bundeschristian mit "Hallo Herr Kaiser!" begrüßen kann.

*** Versicherungen, da war noch was? Richtig, da war der in Hannover aufgewachsene Philipp "Bambus" Rösler, derzeit amtierender Nichtrücktreter im Gesundheitsministerium. Seine Gesundheitsprämie von rund 30 Ocken wird vom Politpartner CSU blockiert, der lieber eine Praxisgebühr bei jedem Arztbesuch durchsetzen will, weil das die alten Säcke in den Arztpraxen so richtig piesackt. Eigentlich schade, denn wer Röslers seltsame Kettenrechnung abklopft, findet Dinge, bei denen die Datenschützer aufheulen müssten: Krankenkassen, die Zugriff auf die Mieteinnahmen und Zinseinkünfte von Privatiers haben, um deren Anteil an der Prämie berechnen zu können, das hat schon was. Da passt der Rösler bestens zum Wulff, dessen höchste Auszeichnung bislang ein Preis für die Zerschlagung der Datenschutzenaufsicht in Niedersachsen war.

*** Während die Sonne über der norddeutschen Tiefebene scheint, geht sie in Kanada auf, um am Ende mit heißen Tränen zu versinken. Natürlich muss auch hier die Schuld klar bei den Bloggern gesucht werden, doch manchmal sind Abschiede richtige Abschiede, der Tod das Los jedes Matrixdruckers. Zum allerletzten Mal führen die User Emanuel Madan und Thomas McIntosh auf dem Mutek-Festival in Montreal ihre "Symphonie Nr. 2 für Matrixdrucker" auf. Es fehlt an Ersatzteilen, die Symphonie wird unspielbar und nur noch in entlegenen Steampunk-Videos zu hören sein, bis der letzte Datenträger seinen Geist aufgibt. Während Schreibmaschinen wie meine heißgeliebte Valentine noch gewartet werden können, sind Matrixdrucker wie Disketten zum Aussterben verdammt. Die Forderung Luigi Russolos nach Maschinensymphonien enden im Scheppern der iPads, wenn man sie kräftig aneinander haut. Möge der große Musiker und iPad-Vordenker Alan Kay die passenden Noten finden.

*** In dieser Woche hat Steve Jobs mal wieder sein Talent als Abstauber gezeigt und Personal Computer mit Lastwagen verglichen. Brummifahrer Steve Ballmer reagierte prompt mit einer Eloge auf die Blüte des PC-Zeitalters. Bekanntlich war es Ken Olsen, der die schiefe Metapher ins Spiel brachte, als er Unix mit russischen Lastwagen verglich. Dabei zeigt gerade die Entwicklung von Unix und Linux, warum man auch im Zeitalter des Cloud Computings so etwas wie Lastwagen braucht. Mehr noch als die übliche Sichtweise von Steve Jobs auf seine Gängel-Hardware beeindruckt das Unverständnis von Steve Ballmer über die Doppelung bei Google, wo mit Android und Chrome gleich zwei Vehikel darauf warten, benutzt zu werden. Stimmen die Videoaufzeichnungen, so musste Ballmer von Ray Ozzie über die Unterschiede von Android und Chrome aufgeklärt werden. Dabei hätte der ausgewiesen erfolgreiche Geschäftsmann, der seine Entwickler so innig liebt, dass er Tänzchen aufs Parkett legt, mal seine Augen auf diesen Google-Effekt richten können: Mit einem kleinen Pac-Man-Insert zum 30. Geburtstag vernichtete Google auf die schnelle 4,82 Millionen Stunden Arbeitszeit allein in Amerika. Was bleibt von Jobs und Ballmer und dem ganzen Tralala, ist die Geschichte von Ron Wayne, dem einstmals 10 Prozent von Apple gehörten. Diesen Anteil verkaufte er für 800 Dollar.

Was wird.

Rechtzeitig vor November hat die Bundesregierung ein offenbar erfolgreiches Rabattprogramm für den Personalausweis gestartet, der statt 8 bald 28,80 Euro kosten wird – nur junge Erstlinge sollen mit einem kostenlosen Ausweis und einem entsprechenden Lesegerät angefixt werden. Eigens zum Feiern dieses tollen Ausweispapiers macht sich unser Innenminister Thomas de Maizière auf ins wunderschöne Hannover, um auf einem Kongress zu erklären, warum Daten die neue Leitwährung sind, in harten Zeiten, in denen der Euro die 1:1-Kompatibilität mit dem US-Dollar anstrebt. Wenn Daten die neue Währung sind, fragt niemand mehr, ob 28,80 Euro ein phishchen viel sind.

Aber der 10. Juni birgt noch andere Schätzchen. Begeben wir uns in das Jahr 1823, als ein gewisser Johann Peter Eckermann notierte: "Mit Liebe schieden wir auseinander; ich im hohen Grade glücklich, denn aus jedem seiner Worte sprach Wohlwollen und ich fühlte, dass er es überaus gut mit mir im Sinne habe." Genau für uns Zeitgenossen ist es doch eine schöne Lektüre, wenn nach dem Briefwechsel zwischen Schiller und Goethe nun dieser später als "Sekretär" verschlunzte Eckermann über seine Gespräche mit Goethe zu bloggen anfängt. Ja, so ein Blog lehrt den dynastischen Blick, den Frank Schirrmacher mit seinem Blick auf Ranicki 1.0 propagiert, der wie Eckermann ein Zeitgenosse Goethes gewesen sein könnte. Wozu das Internet doch alles gut ist.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 13 Juni, 2010, 00:11
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.


*** Es war dunkel, als diese kleine Wochenschau online ging. Die Vuvuzelas schwiegen. Gelegentlich flackerte die Twitter-Timeline. Betrieb herrschte nur unter den Eulen hoch oben im Gebälk. Das Gelege ist geschlüpft und hungrig. Die weisen Vögel holen die Mäuse von den Feldern, auf denen der Mais noch niedrig steht. Damit fangen sie lange vor der Dämmerung an, denn die Sommernächte sind kurz. Flugtechnisch hatte Hegel unrecht und so greifen wir zu Luhmanns allgemeiner Theorie sozialer Systeme, deren letzter Satz tröstet: "Wir können jetzt der Eule Mut zusprechen, nicht länger im Winkel zu schluchzen, sondern ihren Nachtflug zu beginnen. Wir haben Geräte, um ihn zu überwachen, und wir wissen, dass es um Erkundung der modernen Gesellschaft geht."

*** Doch warum die gequetschten Philosophen bemühen, wenn es die richtige Hardware gibt? Vom Hodometer bis zum BS-Detektor (GIF-Datei) haben wir zahlreiche Geräte für die Flugüberwachung schluchzender Eulen der der Weisheit. Was manchmal fehlt, sind nur die richtigen Worte für das, was in  unserer modernen Gesellschaft passiert. Begrüßen wir darum den Spruchbeutel, den Herbert Prantl neu definiert hat als Politiker, der das aktuelle Sparpaket der schwarzgelben Regierung als "sozial ausgewogen" bezeichnet. Weder harmonisch noch durchdacht ist dieses Sparpaket, dass die sozial Schwachen trifft und jedwede Vermögensabgabe vermeidet. Das fängt beim Elterngeld an, mit dem die Quasiverbeamtung bildungsferner Kinder möglich war und endet bei einem Schnäppchen namens Brennstoffabgabe, für das sich die Atomindustrie bedankt. Irgendwo dazwischen liegt der Versuch, den Nichtnachbau eines Schlosses in Berlin als Sparmaßnahme zu deklarieren. Freuen darf sich auch der Mautbetreiber Toll-Collect, wenn zum Sparen das Autobahnmautgesetz gekippt wird und vierspurige Bundesstraßen versorgt werden müssen: Rein rechnerisch soll das Verkehrsministerium bereits mit zusätzlichen 150 Millionen Euro Mauteinnahmen im Jahre 2011 planen. Neue OBU-Software, viele Zahlstellenterminals und eine Verlängerung der eigentlich befristeten Mautverträge auf den St. Nimmerleinstag garantieren höhere Einnahmen auf Jahre hinaus – und das bei einem System, das bislang auf internationaler Ebene kein einziges Mal verkaufen konnte.

*** Zu den bemerkenswerten Gesetzesänderungen gehört der Schnellschuss, mit dem eine Rechtsgrundlage für die Datei Gewalttäter Sport und ähnliche Datensammlungen durch den Bundestag verabschiedet wurde. Noch am Tag davor fehlte jeder Hinweis auf die Aktion in der Tagesordnung der Politiker. Die heldenhafte Rettung der BKA-Datenbestände durch Innenminister de Maizière ist ein Coup der besonderen Art, wenn man sich im Detail vorführt, was da alles gespeichert werden kann: Neben den üblichen Personalien können allerlei Besonderheiten wie eine ungepflegte Erscheinung, eine schrille Stimme, ein Dialekt, ein Sprachfehler oder auffällige Tätowierungen erfasst werden. Auch die Schuhgröße, die Handschrift und das Gewicht sind, soweit bekannt, in den BKA-Dateien speicherbar. Schön unauffällig bleiben und immer Duschen gehen, das sind die neuen deutschen Tugenden, über die sich Dr. Bonn freuen dürfte. Mit diesem Kunstwerk illustrierte Sigmar Polke die Rasterfahndungstechnik des damaligen BKA-Chefs Horst Herold. Nun ist der wichtigste Vertreter des kapitalistischen Realismus gestorben. Ob höhere Wesen befahlen, hör auf mit dem Malen?

Ein Hergang ist in aller Menschen Leben,
Abbildend der verstorbnen Zeiten Art:
Wer den beachtet, kann, zu Ziele treffend,
Der Dinge Lauf im ganzen prophezein.

Was der größte Barde in seinem König Heinrich IV philosophiert, hat seinen Sinn, wenn man die zu Ende gehende Geschichte der SCO Group mit dem Abstand betrachtet, der verstorbne Zeiten durch längst vergessne "Koffer" markiert. Die Klage von SCO über die Gefährlichkeit von Linux versprach 2003, eine der spannendsten und wichtigsten Auseinandersetzungen über Softwarerechte bei Gemeinschaftsprojekten großer Firmen zu werden, doch sie mutierte schnell zu einer Farce. Das alles hat der Heise-Newsticker ausdauernd dokumentiert, von den Bildschirmfotos der Beweise bis hin zu einem Koffer, der durch Deutschland reiste und auf der CeBIT 2004 von einem Kameramann des ct-TV ausdauernd verfolgt und gefilmt wurde. Doch weder SCO noch die von der Firma angeheuerten "Rocket Scientists", die bereitwillig für SCO schreibenden Journalisten oder die Wissenschaftler der Alexis de Toqueville Institution mit einem Samiszdat halfen der Firma. Ganz zu schweigen von dubiosen Zeugen, die bis zu den letzten Verhandlungen vor einem Geschworenengericht mit seltsamen Ansichten Verwirrung stifteten. Nun deklamiert Novell als Sieger, dass man alles getan habe, damit Linux frei und offen bleiben kann. Auch das sind große Theaterworte, doch hätte Shakespeare seine größte Freude daran, die Urteilsbegründung zu dramatisieren, komplett mit einem Erzschurken Darl McBride. Der Mann, der Briefe verschickte und davor warnte, das Linux die nationale Sicherheit der USA gefährde, ja den Kapitalismus insgesamt bedrohe, meuchelte am Ende selbst sein ehrgeiziges Projekt, im großen Stil weltweit an Linux-Lizenzen zu verdienen. Seine Aussage, dass man eigentlich keine Copyrights gebraucht habe, um solche Lizenzen einzufordern, kann als Eingeständnis gewertet werden, dass man von Anfang an aufs Abzocken aus war.

*** Und nun? Die Welt fällt auseinander, es gibt kein Zentrum mehr. Das dichtete William Butler Yeats, der heute vor 145 Jahren geboren wurde. Zeilen aus seinem Gedicht für Maud Gonne zierten bereits diese kleine Wochenschau, sein großartiges The Second Coming schließt sich an:

Turning and turning in the widening gyre
The falcon cannot hear the falconer;
Things fall apart; the centre cannot hold;
Mere anarchy is loosed upon the world,
The blood-dimmed tide is loosed, and everywhere
The ceremony of innocence is drowned;
The best lack all conviction, while the worst
Are full of passionate intensity.
Surely some revelation is at hand;
Surely the Second Coming is at hand.

Die Welt ist aus den Fugen, ich kann kaum glauben, was ich hier erlebe, schrieb der US-Soldat Bradley Manning an den Ex-Hacker Adrian Lamo. Der Dialog, den der Ex-Hacker Kevin Poulsen bei Wired in Auszügen veröffentlicht hat, lässt auf einen verstörten jungen Mann schließen, der im Irak die absurde Erfahrung machte, dass seine Untersuchungen über die Aussagen von Protestlern zur Korruption in der irakischen Verwaltung niemanden interessierte. Durch solche Erlebnisse motiviert und duch katastophal vernachlässigte Sicherheitskontrollen gefördert wurde Manning offenbar zu einem Whistleblower, der Wikileaks belieferte. Seine Tat steht in der Tradition von Daniel Ellsberg, der die Pentagon-Papiere an die Presse weitergab. Mannings Probleme begannen, als er den Kontakt zum Ex-Hacker Lamo suchte, der wiederum FBI und das Generalkommando der Armee informierte. Damit bestätigte er eine alte Journalistenregel, die in der Gebrauchsanweisung von Wikileaks fehlt: Beim Informantenschutz ist es die erste und problematischste Aufgabe des Journalisten, den Informanten vor sich selbst zu schützen. Nun ist Manning in Untersuchungshaft, eine von Wikileaks dementierte Passage aus seinem Hacker-Chat sorgt dafür, dass die USA eine Suche nach Wikileaks-Gründer Julian Assange gestartet haben, weil 260.000 Geheimdokumente in seinem Besitz sein sollen. Auf welcher rechtlichen Grundlage diese Suche erfolgt und wie sie erfolgt, darüber wird heftig spekuliert. Was ehemalige Hacker wie Lamo und Poulsen treibt, einen Whistleblower nicht vor sich selbst zu schützen, darüber gibt es wenig Spekulationen. Die letzten Zuckungen der gerne bemühten Hacker-Ethik sind lange her, der Mythos ist verblasst und die Leiche im Keller so mumifiziert, dass das Stinken aufgehört hat.

Was wird.

Das wichtigste Ereignis im Konrad Zuse-Jahr kündigt sich mit einem Festkolloquim im Deutschen Museum zu München an, auf dem am Freitag Bundeskanzlerin Angela Merkel über Zuse und Computer reden sollte. Nun hat Merkel abgesagt, weil Politik eine alberne Sache ist und alles andere als algorithmisch steuerbar. Wer das Gegenteil glaubt, sollte mal den Algorithmus zeigen, nach dem in Nordrhein-Westfalen eine Regierung gebildet wird. Statt Merkel wird ein Referat über "Bayern als Informatikstandort" das Zuse-Spektakel eröffnen, zu dem eine Sonderausstellung des Nachlasses gehört.

Eine Sonderausstellung der anderen Art bietet die Bundesdruckerei in Berlin unter dem Titel "Schön, dass Sie es sind" an. Bundesinnenminister de Maizière und der neue Microsoft-Geschäftsführer Ralph Haupter führen gemeinsam die Vorzüge des neuen elektronischen Personalausweises vor und bestellen im Internet, was das Zeug hält. Dazu gibt es den schönen Wettbewerb Digitale Identitäten 2020: Wer am besten beschreibt, wie man im Jahre 2020 erkennt, ob ein Hund am Computer sitzt, bekommt Geld oder ein Notebook oder einen Praktikumsplatz bei Microsoft. Und schließlich lassen sich in den nächsten Tagen ja auch noch einige Doppelpässe betrachten.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 20 Juni, 2010, 06:37
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Hurra! Schland o Schland, was lieb ich deine Plätze! Public Viewing allerorten! Vor allem die neuen sind in dieser Woche ganz wunderbar geraten. Nehmen wir nur den wunderschönen Konrad-Zuse-Platz im wunderschönen Hannover an der Leine, immerhin der größte Platz des prächtigen Messeareals. Dank der unablässigen Bemühungen des Bitkom wird dieser Konrad-Zuse-Platz die Besucher wieder zur CeBIT locken, verkörpert er doch wie kein zweiter den wunderbaren "Hey, Techie"-Standort Schland, in dem Technik alles ist und politische Gesinnung egal. Mit uns Hannoveranern freuen sich nämlich auch die Berliner, die nach der Rudi-Dutschke-Straße endlich auch eine Konrad-Zuse-Straße bekommen, am Technologiestandort Adlershof im Berliner Südwesten. Ganz wunderbar passend gewählt ist dieser Ort, denn in Adlershof saß Konrad Zuses wichtigster Geldgeber in der NS-Zeit, die Deutsche Versuchsanstalt für Luftfahrt, die mit dem Auftrag der Sonderstufe SS4902 den Bau des Zuse-Rechners mit 500.000 Reichsmark finanzieren wollte, nachdem man schon die Z3 mit 20.000 Reichsmark bezuschusst hatte.

*** Treffliches Adlershof! Dem Ort kann man nur zu dieser Konrad-Zuse-Straße gratulieren, denn auch der Auftrag für die Zuse Sondermaschinen S1 und S2 kam so angeflogen: Das waren Rechenmaschinen, die die Profile für die Gleitbomben HS 293 und HS 294 der Henschel-Werke errechneten. Diese Fernlenkwaffen sind die Vorläufer der heutigen Drohnen, mit ihnen war die Idee der Prozesssteuerung geboren, wie Konrad Zuse es in seiner Autobiografie bejubelte. Zuse kassierte für diese Rechner jeweils 90.000 und 110.000 Reichmark und erhielt zudem das Privileg, Mitarbeiter vom Militärdienst freizustellen. Jaja, der Krieg ist der Vater aller Dinge, das gilt bekanntlich auch für ENIAC und Colossus. Da wollen wir doch nicht mäkelig sein, wenn der Bitkom einen fetten Schlussstrich unter vergilbte Schaltpläne zieht. Schließlich bekommt Hamburg auch seinen Heidi-Kabel-Platz. Es war ja nicht alles schlecht, damals.

*** Schland o Schland, bei uns wird noch gearbeitet. Und ordentlich überwacht, ob ordentlich gearbeitet wird. Zu den vielen netten Meldungen, die das Hohe Lied des Datenschutzes singen, passt der Alltag in seiner ganzen Ungewaschenheit nicht. Wie wäre es mit einer Geschichte von einem Arbeitsplatz, der von einer Tag und Nacht laufenden Kamera überwacht wird und bei der sich der zuständige Datenschutzbeauftragte als der Systemadministrator entpuppt, der das alles nicht schlimm findet? Bei der die herbeigerufene Polizei keine Anzeige aufnimmt, weil es ein Arbeitsrechtsfall ist und der Leiharbeiter mit dem Unternehmer selbst klarkommen soll. Zu unwahrscheinlich. Überhaupt ist für die Überwachung in Deutschland vor allem das Bundeskriminalamt zuständig. Rechtzeitig zum Tag der offenen Tür wurde vom Bundesgerichtshof entschieden, dass unsere Superpolizei sieben Jahre lang drei Bürger rechtswidrig überwachte, weil ein vager Verdacht bestand, sie könnten der "militanten gruppe" angehören. Entlastende Gutachten des BKA wurden dabei den Ermittlungsrichtern vorenthalten, die die Grundrechtseingriffe genehmigten. Diesem verkommenen Rechtsstaat hat der RAV den Kampf angesagt. Immerhin können die illegal Belauschten ihr 10-jähriges Jubiläum öffentlich feiern. Demokratie und so. Ist ja nicht alles schlecht, heute.

*** Ulrich Wickert, der uns im Web einen klaren Einblick in die Vielfältigkeit seiner Person gibt, hat uns diese Woche mit einer Einfältigkeit überrascht. Vor der Grundsatzrede unserer Justizministerin erzählte Wickert, wie er sich in jungen Jahren im Abstauben übte, nur um anschließend zu bejammern, wie gestandene Buchautoren von Urheberrechtspiraten zum Verhungern gezwungen werden. Da hat glatt ein Kollege Recht: Eine kenntnisfreiere Einlassung zu diesem Thema gibt es nicht. Ähnlich eindrucksvoll reagierten die Verlegerverbände auf die "Lückenrede" mit einem Entwurf zum Leistungsschutzrecht, der Schnippsel, Überschriften und einzelne Sätze als schutzwürdig ansieht, weil in ihnen "viel kreative Energie" stecken würde. Da fordere ich glatt ein Energieerhaltungsgesetz, gekoppelt mit einem Verbot für unkreative Sätze. Dann werden wir hopplahopp, eine ganz andere Regierung bestaunen können, wenn aus Journalen Graduale werden.

*** Dann war da noch der Bloomsday. In einigen Teilen der Welt sprangen Joyce-Verehrer wie Buck Mulligan nackt ins nicht verölte Wasser, in anderen Teilen diskutierte man lieber die Zensur von Apple, die vornehm No-Nipple-Policy genannt wird. Schließlich ist es Apples iPad, von dem sich gerade die deutschen Verleger wahre Wunderdinge in Sachen Verwertung erwarten: Ausgebildete Journalisten (und nur sie) werden, edelsten Content formulierend, über das Wasser gehen können, während ihre Verleger am Strand den Klingelbeutel herumreichen. Natürlich kann man einfach auf zensurfreie Geräte der Konkurrenz verweisen. Ramsch, auf dem Ramsch läuft, das wäre die Antwort von Jobs kurz vor der Heiligsprechung.

*** Ein etwas kauziger Kulturtheoretiker namens Marshal McLuhan hat den Satz formuliert, bei dem Miss Verstand regelmäßig abwinkt: The Medium is the Message, das Medium ist die Botschaft. Das iPad ist so ein Medium, das eine eindeutige Botschaft hat: Alte Träume werden wahr, wenn man ein iPad benutzt und sich fühlen kann wie die Astronauten in "Kubricks 2001: Odysee im Weltraum". Beschützt von Hal 9000 mümmeln die Sternenfahrer ihr Müsli und lesen auf dem iPad die Nachrichten. Noch vor acht Jahren hat sich diese kleine Wochenschau über Minority Report amüsiert, heute sind die Hälfte der dort gezeigten Zukunftsvisionen veritable Technologien, die eingesetzt werden können. So gesehen muss es einfach beruhigen, wenn die Menschheit ihren Träumen wieder mehr Aufmerksamkeit schenkt, weil in ihnen der Wunsch nach künstlicher Intelligenz ans Tageslicht kommt. Die Singularität, das große Abschalten, kommt später.

Was wird.

Bekanntlich wird der neue Personalausweis im November eingeführt. Mit großen Worten wurde er diese Woche angekündigt. Mit dem Ausweis und den auf ihn gespeicherten Daten gehen seine Besitzer "souverän und sparsam" um. Offenbar ist das Stück Plastik so intuitiv zu bedienen wie ein iPad, oder zumindest fast. Anders lässt sich die hinterher verschickte Pressemitteilung des Innenministeriums nicht erklären, nach der man für 24 Millionen Euro "Sicherheitskits" bereitstellt, die im Kern aus einem Kartenleser für den neuen Ausweis bestehen, der von "Zuwendungsempfängern" an 1,5 Millionen Anwendungsbürger verteilt wird. Das Anfixen der Bürger, staatstragend "Zuwendungsmaßnahme" genannt, beginnt im November. Bleibt nur die Frage, ob die Zuwender zuhören können, wenn die Anwender ihre Meinung sagen. Denn die Skepsis über den neuen Ausweis ist groß. Im Zweifelsfall, das empfiehlt sogar die Zeitung für kluge Köpfe, schafft die Mikrowelle schnelle Abhilfe. Schland o Schland, was hast du schöne Kärtchen! Und sie sind nicht gelb.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 27 Juni, 2010, 00:15
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Hannover. Was kommt aus dieser Stadt noch alles auf uns zu? Natürlich diese kleine Wochenschau vom Rande der norddeutschen Tiefebene. Bitte schön, meine Geburtsstadt ist unergründlich wie der Maschsee und ist obendrein die Hauptstadt der Schwarzfahrer. Doch gehen wir etwas näher an den Rand der Tiefebene nach Hameln, wo vor 726 Jahren die Kinder verschwanden, nachdem ein Rattenfänger seine Flöte zückte. Heute wissen wir, dass es eine Vuvuzela war.

*** Aus Hannover kommen bekanntlich die heißblütigen englischen Könige, in England liegt das Grab unseres Karl Marx. Muss man mehr über das Spiel, den Klassiker, das Stahlbad und die Luftschlacht sagen? Natürlich fehlen mir die Pappbomben, die 1996 von einer englischen Zeitung aus einem Flugzeug auf das deutsche Trainingslager abgeworfen wurden: So erklärt man stilecht den Fussballkrieg (und gewinnt ihn stilecht im Elfmeterschießen). Die Zeiten sind anders und Bombenwitze gar nicht mehr gern gesehen. Weichen wir daher auf die hohe Kunst des Schämens aus. Passend zur Partie Deutschland gegen England liefert uns die designbetüdelte PR-Abteilung von Lenovo einen bizarren Vergleich der Kontrahenten: 48 Prozent der Engländer schämen sich für ihren PC, was nur 37 Prozent der Deutschen tun: Klarer fall für Deutschland! (Vergessen wir mal bei dieser "Studie", dass Frankreich mit 35 Prozent noch besser dasteht - dort schämt man sich für die desolate Equipe.) Sollen sich die Engländer weiter schämen: Manuel Neuer mit seinem IBM/Lenovo-Laptop tut es nicht.

*** "Eure Sklavenmoral kotzt mich an!" So endet der Ausflug des jungen Doktoranden Michael Seemann in die harte Welt der Arbeit, wo es Arbeitsanweisungen gibt und Juristen, die beim Kontrollverlust über die Bildrechte mit hübschen Sachadensersatzforderungen beim Verlag anklopfen. Die Redaktion der FAZ ließ ihm als Blogger Freiheiten, die normale Journalisten niemals haben, wenn sie ihre Texte wie diese kleine Wochenschau mit den durchaus widerständigen Redakteuren aushandeln. Das verstand der Mann mit Aversionen gegen Formalien nicht und setze auf "seiner Plattform" auf eine eigenwillige Art der Eskalation. Was die einen nicht oder doch als systematischen Konflikt sehen, kann journalistisch als pure Doofheit gewertet werden. Für Seemann hat es auch was Gutes. Schließlich will er niemals einem "9 to 5 Normaljob" nachgehen und einer gesellschaftlichen Norm nacheifern, die Software berechnen kann. Was bleibt, sind interessante Überlegungen und Verwunderungen über die aufgeregte deutsche Blogosphäre, die den Fall tatsächlich zur Bücherverbrennung hochstilisiert. So wird das nichts mit der Macht der Blogger, wenn sie nicht mal die deutsche Geschichte kennen und ihre Verblödung stammtischartig twittern, wenn sie nicht einmal die einfachsten Spielregeln des pöhsen kommerziellen Journalismus begreifen können.

*** Ob Marke oder Münze – Konrad Zuse und kein Ende. Selbst Innenminister de Maizière kann keine Grundsatzrede über die Netzpolitik der Bundesregierung halten, ohne Konrad Zuse zu erwähnen. So passieren die wunderlichsten Dinge, nicht nur im Technikmuseum mit de Maizière, der ein hübsch zugeschraubtes Netz avisiert, und das nicht etwa im Jahre 2025. Immerhin kommt mit dem Zuse-Jubiläum eine Debatte in Gang, wie es die Zuse Apparatebau mit den Nationalsozialisten hielt. Dabei werden die härtesten Vorwürfe von Mitarbeitern des Deutschen Museums in München im Katalog zur Zuse-Ausstellung "Einblicke in den Nachlass" gemacht. Da wird ein sicherlich nicht unproblematischen Brief von Konrad Zuse mit einer Bemerkung über eine Horde wilder Marokkaner herausgegriffen und kommentiert, dass Zuse "gedanklich und sprachlich noch stark von der nationalsozialistischen Propaganda, deren Durchhalteparolen und von dem Gedanken an den 'Endsieg' durchdrungen war." Liest man einen Satz weiter, so schreibt Zuse: "Die Marokkaner zeigten sich sehr deutschfreundlich und benahmen sich anständig gegen die Bevölkerung."

*** Als Zuse im III. Reich seine Firma aufbaute, beschäftigte der Ariernachweis viele Menschen, auch den Tüftler. Er notierte sich 1942, dass es möglich sein muss, die Verwandtschaftsbeziehungen von zwei beliebigen Menschen A, B zu berechnen, wenn eine Liste sämtlicher Einwohner eines Gebietes mit ihren ursprünglichen Verwandschaften existiert. Etwas ähnliches wird sich jeder mathematisch Interessierte notiert oder gedacht haben. Was macht der Katalog aus der Notiz? Er ziert sich nicht, die ganz große Keule zu schwingen: "Diese Überlegungen zeigen, wie nahe Konrad Zuse an nationalsozialistischen Ideologien argumentierte. Während er ursprünglich die Anwendung seiner Rechner im technisch-wissenschaftlichen Bereich sah, spekulierte er in dieser Notiz, den Absatz seiner Geräte durch neue Nutzungsmöglichkeiten zu vergrößern. Unverkennbar spielte Zuse hier mit dem Gedanken, seine Rechenanlagen in den Dienst nationalsozialistischer Rassen- und Bevölkerungspolitik zu stellen und dadurch die systematische Umsetzung der NS-Ideologie hinsichtlich Erbkrankheiten und Rassenvorstellungen mit Hilfe von Rechnern effizienter zu organisieren."

*** Im Zuse-Jahr wird es eine Reihe weiterer Kongresse und Feierlichkeiten geben, auf denen Informatiker oder Techniker ihre Sicht auf Zuse formulieren. Auch das von de Maizière genutzte Technikmuseum ist ab September dabei. Wenn weitere Urteile ebenfalls das Niederkeulen schätzen, bleibt am Ende ein Trümmerhaufen zurück und Marken wie Münzen werden eingezogen müssen. Ja, die letzten heute noch laufenden Zuse-Rechner stehen bei Krauss-Maffei und werden für die Wartung von Leopard-Panzern benötigt, ein weiteres kriegerisches Indiz nach den in der letzten Wochenschau erwähnten Flügelbomben. Wie sagte es Orwell? Wer die Vergangenheit kontrolliert, kontrolliert die Zukunft.

*** Neusprech heißt seit Orwell die Sprachreform der Regierenden, die das Wegdenken fördern soll. Ein schönes Beispiel von Neusprech präsentierte dieser Woche Belgien. Das Land hat derzeit keine gewählte Regierung, übernimmt aber zum Juli die europäische Präsidentschaft. Das entsprechende "Regierungsprogramm" (PDF-Datei) steht und wurde auch auf Deutsch präsentiert. Eine neue Informationsarchitektur wird in ihm so angekündigt: "Die Präsidentschaft unterstützt auch die Absicht der Europäischen Kommission, die Informationssysteme zu kartografieren, insbesondere diejenigen, die personenbezogene Daten enthalten, um ein tiefer gehendes Nachdenken über die Informationsarchitektur, insbesondere im Rahmen eines integrierten Grenzschutzes, zu organisieren." Ein tiefes Nachdenken setzt ein, weil immer neue Gefahren drohen. In einem Satz werden Bandkriege, Identitätsbetrug, Ausschreitungen bei Fußballspielen und die Sicherheit von Autobahnparkplätzen und Rasthöfen genannt. Deutschland macht dicht, titelte die tageszeitung, doch wer das belgische Programm liest, bemerkt schnell, dass Europa dicht macht. Mit dabei: die neuen elektronischen Klebevisa und ein schickes SWIFT-Abkommen, komplett mit einem eigenen Programnm zur Durchforstung der übermittelten Daten. Denn der Terrorismus wird immer übermächtiger und die Parlamentarier zittern.

Was wird.

Die Woche beginnt mit dem 100. Geburtstag des Journalisten Erich Kuby, den Friedrich Sieburg, ein anderer großer Journalist als "Bundesnonkonformist" bezeichnet hat. Für die Wunderkinder des Bloggerszene wird das natürlich kein Datum sein. Sie denken anders: Wie krank muss man sein, um eine Kolumne zu führen, die "Der Zeitungsleser" hieß - gedruckt im bloggerfreundlichen Freitag, der Kuby längst vergessen hat.

Angeblich wird der kommende Mittwoch ein Trauertag. Nein, die freie Wahl des Bundespräsidenten Wulff ist nicht gemeint. Am 30. Juni stirbt die Schultafel. Das behauptet zumindest eine Todesanzeige, die die Firma Panasonic im Trauerbrief verschickt hat. An ihrer Stelle soll ein interaktives Whiteboard treten, das von bis zu drei Schülern gleichzeitig nutzbar sein soll. Man mag mit Panasonic glauben, das in jedem Tod ein neues Leben steckt, ein Neuanfang an allen deutschen Schulen. Aber halt. Wir sind in Deutschland, wo ein iPad im Bundestag gerade die Würde des Hohen Hauses verletzt hat, wo der Abgeordnete vom Geschäftsordnungsausschuss zu vier Wochen Bleistiftkauen verurteilt wird und nur das Simsen der Kanzlerin gestattet ist. In diesem unseren Land, in dem das Bildungsideal von insolventen Bundesländern mit Wassersuppe gefüttert wird, soll also die Schultafel aussterben?

(http://www.heise.de/imgs/18/5/3/6/5/6/9/a790cbf024889be0.png)

Ein Bild statt Bildung? Es ist ein Rätsel der eigenen Art, der erste Hinweis auf das anstehende Sommerrätsel, in dem tote Tafeln und ähnliches Gedöns erraten werden soll. Ich lade alle Leser ein, Fragen in den Kategorien Hardware, Software und Whetware zu schicken, ganz in der zweinulligen Tradition des AAL - immer die Anderen arbeiten lassen.

Ach, Hannover. Wie schreibt die FAZ im eingangs zitierten Artikel? "Wir sind Hannover und Hannover ist Deutschland. Am kommenden Mittwoch repräsentiert die Stadt womöglich das ganze Land. Was will man mehr?" Nun, vielleicht eine kleine Erwähnung, dass Christian Wulff Osnabrücker ist? Und ein hübsches Symbol für unsere Schrumpfvergreisung.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 04 Juli, 2010, 08:34
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** WWW: Dieses Kürzel steht ab sofort nicht mehr für das World Wide Web, erfunden von Tim Berners-Lee, jenem hellwachen Geist, der als kleiner Junge im Garten des Informatikers Dietrich Prinz spielte, der mit seinem Schachprogramm ein Großvater der Künstlichen Intelligenz ist, jedoch uns Nachfahrenden eher noch als Erfinder der Grünen Welle bekannt geblieben ist, deren Plätschern im heißen Dickicht der Städte die letzte Zuckung des alten Menschheitstraums ist, unbegrenzt zu surfen.

*** Ok, das war meine kleine Hommage an einen in dieser Woche beendeten Wettbewerb, der wieder würdige Preisträger gefunden hat, besonders in der Krimi-Kategorie mit einer gekonnten Verbeugung vor Philip Marlowe: "She walked into my office wearing a body that would make a man write bad checks, but in this paperless age you would first have to obtain her ABA Routing Transit Number and Account Number and then disable your own Overdraft Protection in order to do so." "Sie kommt in mein Büro mit einem Körper, dass meine neue Geldkarte spontan per Funk Geld abhebt", klingt zweifellos weit weniger charmant, obwohl es realistischer ist: Nach der Vorstellung des Bundeslagebildes Organisierte Kriminalität (PDF-Datei) in dieser Woche setzen die Banden mit dem Kartenbetrug im Netz erstmals mehr Geld um als mit dem gesamten Rauschgifthandel.

*** WWW steht jedenfalls ab sofort für Wulffs Westerkappelner Wurzeln, denn wir haben einen neuen Bundespräsidenten (aus Osnabrück), der einen der schönsten Orte am Rande der norddeutschen Tiefebene kennt. Hier lagen die Germanen auf ihren Bärenhäuten und tranken Met nach getaner Schlacht. So ein kühlendes Ausruhen kannte unsere Bundesversammlung nicht, die in drei Wahlgängen Wulff wählte. Sie kämpften mit der Hitze, während wir mit der Fassung kämpften: Die Sonderdauersendung zur Präsidentenwahl war der absolute Tiefpunkt des öffentlich-rechtlichen Fernsehens. Da kamen nicht einmal die seltsamen Live-Schalten in dieses komische Twitter-Netz mit. Verglichen mit dem Unsinn, der vor Deppendorfs Mikrofonen geredet wurde, waren die ironischen Wahltweets geradezu ein Hort bürgerlicher Aufklärung. Der falsche Beifall passte bestens und für die Haltung der Linken gibt es das schöne Wort Ostealgie – die schmerzhafte Verknöcherung des Denkgebäudes in preußisch-protestantischer Pflichterfüllung.

*** Mit Wulff soll eine neue Sicht auf Multikulti kommen, seine Ansprache kündet leicht bulwerlytonnesk davon: "Dann wird Neues, Gutes entstehen – aus urdeutscher Disziplin und türkischem Dribbling zum Beispiel, aus preußischem Pflichtgefühl und angelsächsischer Nonchalance, aus schwäbischer Gründlichkeit und italienischer Lebensart – und demnächst vielleicht aus rheinländischer Lebenskunst und chinesischer Bildungsbegeisterung." Urdeutsche Disziplin, auf Bärenhäuten lagernd, verbindet sich mit türkischen Dribblings, für dieses schöne Bild muss man dankbar sein und die rätselhafte Passage über chinesische Bildungsbegeisterung übergehen. Denn wenn es Nachrichten aus China gibt, dann sind sie eher bildungsfern gehalten und erzählen von Foxconn oder Googles Knicksen. Dabei ist gerade die digitale Bildung der Fabrikarbeiter das Problem der chinesischen Junta. Ungelernte Wanderarbeiter sind das nicht. Es ist eine gängige, billige Methode, China abzuwerten, bis zu den chinesischen "Goldfarmen", wo halbnackte Slumbewohner digitale Artefakte scheffeln. Dass sich hochspezialisierte, von gut bezahlten Programmierern entwickelte Bots in den Online-Spielen tummeln, wird systematisch ausgeblendet.

*** Vieles spricht dafür, dass die chinesische Bildungsbegeisterung eine ähnliche Projektion ist wie die Sicht auf Voltaire als Enlightment Media Consultant im ThinkTank von Schloss Wulffenstein. Denn die deutsche Bildungsbegeisterung ist bekanntlich unerreicht, eine Sehnsucht brennt seit Hölderlin. Um Wissen und um Vor-Wissen, um Herrschafts-Wissen geht es, wie eine Einmann-Denkhaubitze treffend diesen Satz unseres Bundespräsidenten analysiert: "Früher war es so, da erfuhren sie nachmittags, dass morgen irgendwas in der Zeitung steht. Da konnten Sie schon richtigstellen, da konnten Sie schon gegenarbeiten. Heute erfahren Sie, dass etwas im Internet steht und Millionen anderer haben gleichen Zugriff auf die gleiche Information. Man hat damit keinen Vorlauf mehr, um Dinge richtigzustellen." Die ungewaschenen Massen ("jeder Dödel") denken selber und dann kommt die Order, was richtig ist und was ganz falsch, zu spät und wird nicht mehr gehört. Auf die zweifellos anstehende Grundsatzrede zur Bildungs- und Netzpolitik darf man gespannter sein als auf die Auflösung der Bedeutung des Tribal Tattoos der Präsidentinnenschaft.

*** Es gibt sie noch, die guten Dinge. Besonders in der Spionage, da hält man etwas auf gute alte Handwerkstradition, die seit dem Einsatz von Mata Hari unverändert sind. Tote Briefkästen, in den Park genagelt, Erkennungsrascheln im Popelinmantel mit der Zeitung von vorgestern, das Morsen von Berichten mit schnelldrehenden Tonbändern. Ist diese absurde Form der Spionage ein vorsätzlicher Witz der Russen, der sich über amerikanische Agentenklamotten lustig macht? Amerika rätselt über den Stilbruch, Steganografie in digitalen Bilddateien zu verwenden, statt ordentlich den Rollbildfilm der Minox einzutüten. Als Erklärung mag Materialmangel gelten. So hat "Mata Hari" offenbar zur roten Minox Miss Germany Edition gegriffen, stilecht mit Miss Germany Logo und Strapshalter. Schwamm drüber? Aber nicht doch: Ein echter amerikanischer Wollmop sollte es schon sein.

Was wird.

Es gibt sie noch, die seltsamen Ideen, natürlich aus dem Land, in dem Ritter ihre Fleischwunden kaum beachten und Fish'n'Chips als gesundes Essen gilt. Das Sunday Times Magazine hat das Rockerwrack Ozzy Osbourne unter Vertrag genommen – für eine Gesundheitskolummne. Leider stecken seine Ratschläge hinter einer Paywall. In seiner ersten Kolumne gab Ozzie Tipps, wie man seinem Kind das Rauchen abgewöhnen kann: "Put your son off cigarettes by making him ill. Throw some fag ash on his cornflakes." Das bringt mich zum Stamm der Bayern, der heute über das Rauchverbot abstimmen kann. 1,4 Millionen Bayern können sich sogar mit einer Karte über die Restaurants informieren, in denen der Aschenbecher über den Cornflakes ausgeleert wird. Zur guten Nachricht gehört die Mitteilung der Presseagentur, dass die politische Karte in enger Zusammenarbeit mit Wikipedia und Wikileaks erstellt wurde, zwei Organisationen, die gegen Vernebelungen aller Art kämpfen.

Nebel, wo sind deine Grenzen? Wenn sich die Welt auf das Endspiel bei der Fußball-WM vorbereitet, tagen die Journalisten des Netzwerks Recherche zum Thema Fakten und Fiktionen. Was bleibt, "wenn Experten die Wirklichkeit dran glauben lassen" und die Fakten umbringen? Ein Vortrag über Wikileaks dürfte zu den Höhepunkten der Konferenz gehören, weil hier die Nebel besonders dicht wabern und richtig Rauch in der Hütte ist. Seit Wochen schreiben "Weiße Hacker" der Zeitschrift Wired gegen Wikileaks, weil sie Menschenleben in Gefahr sehen. Eine weitere Fraktion um Cryptome ist längst der Meinung, dass Wikileaks zu einer Undercover-Mission amerikanischer Geheimdienste transformiert ist, gewissermaßen als größter Honeypot der Weltgeschichte. Die Auseinandersetzungen in den USA haben ein Ausmaß angenommen, in dem noch der kleinste Furz als Beweis in Windeln herumlaufen muss. Angesichts der Bedeutung, die Wikileaks bei der Aufklärung intransparenter Militär-Missionen hat, ist eine Aufklärung in eigener Sache dringend nötig.

Stell dir vor, es ist Krieg, und alle sitzen vor Bildschirmen, weil Drohnen und Roboter auf dem Schlachtfeld stehen. Das hat natürlich Konsequenzen. Der Operator solcher Systeme, der nach Feierabend seinen Garten bestellt, darf als Kombattant nach der Genfer Konvention betrachtet und in seinem Vorgarten erschossen werden – oder etwa nicht? Deutsche und amerikanische Wissenschaftler haben das International Committee for Robot Arms Control gegründet und laden nach Berlin zu einem interdisziplinären Workshop ein. Sie möchten, dass auch IT-Spezialisten von der Sache erfahren. Was hiermit geschehen ist.

Schland steht im Halbfinale nach einem Sieg gegen die Fussballattrappe Maradona und seine Bestien. Made in Germany verputzte Argentinen. Non pianger più Argentina, ertönt es überall. Der nächste Gegner wird Spanien sein, nach dem bisher Gezeigten eine lösbare Aufgabe. Nach Steak die Paella, das passt. Vieles spricht dafür, dass ein Nachbar im Endspiel wartet, der ein putziges Deutsch spricht. Immerhin, Angstgegner und Schwalbe kennen sie schon, vielleicht kommt das "müllern" noch hinzu. Und Hähnchen mit Apfelmus. Ungerührt arbeitet derweil die Redaktion weiter, Technik ist bei Heise schließlich ein Synonym für Spielfreude. Ansonsten ist der Fußball schwach geworden, sieht man von den Spielen ab, in denen Schweinsteiger es den Messis und Ronaldos dieser Welt zeigte. Wenn diese Viertelfinals das Gesicht des Fußballs gezeigt haben, dann hilft auch nicht mehr, mehr Botox in die Fresse zu spritzen. Der Fussball ist entblattert. Vielleicht ist da das moderne Multitasklng daran schuld. Die elend dummen Diskussionen um den Videobeweis sollten schnellstens abgelöst werden durch Fußball 2.0 mit zwei Bällen im Spiel.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 11 Juli, 2010, 00:16
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Es hat nicht sein sollen, nicht 2010: Trotz etlicher Twitter-Anstrengungen und Web-Fakes konnte "Zurück in die Zukunft" kein Jubiläum feiern, musste der de Lorean in der Garage bleiben. Der Versuch scheiterte, von 2015 auf 2010 vorzuspringen. Zeitreisen sind nunmal komplizierter als das Drehen an der Systemzeituhr. Der Vergleich zur deutschen Fußball-Nationalmannschaft drängt sich natürlich auf. der Kick in Südafrika war der Versuch, schon 2010 so weit zu sein wie 2014, wenn es in Brasilien zur Sache geht. Kopfhängen ist nicht, das wird schon, zumal diese doofe Wembley-Geschichte endlich auch begraben ist. Bis dahin dürfte sich die Sache mit Paul erledigt haben, den weissagenden Tintenfisch, den der überzeugte Pescetarier Steve Jobs zu Apple in die Produktforschung holt. "Die Scheißkrake hatte Recht: Calamares für alle!", dieser von dpa gemeldete Satz aus einem griechischen Restaurant, ist doch schöner als all das Gewabere vom deutschen Schicksal und deutschen Tugenden, die niemand wieder sehen will.

*** Wer will eigentlich die schöne deutsche ELENA? Die Vorratsdatenspeicherung von Arbeitnehmerdaten zwecks Wohngeldbeantragung oder den Einstieg in das Arbeitslosengeld I will niemand mehr. Wirtschaftsminister Brüderle nicht, der zittert und bangt um den Mittelstand. Arbeitsministerin von der Leyen und Kanzlerin Merkel gehen konform, mit ihm konform zu gehen, sollte ELENA in einem Moratorium verschwinden. Schließlich hat von der Leyen etwas viel Schöneres entdeckt, die Bürgerarbeit, für Langzeitempfänger von Arbeitslosengeld II. Sie werden in einer Aktivierungsphase zum agilen Protoworking motiviert, dann beschäftigt und stehen dann mit Dumpinglöhnen um 900 Euro den Monat bereit, dass Arbeitgeber normal Beschäftige zur Beantragung von Arbeitslosgeld I schicken können.

*** Die werden sich freuen, wie es später dank ELENA ganz wunderbar elektronisch flutscht mit den Anträgenen und natürlich auch über die qualifizierte digitale Signatur, die jeder Arbeitslose bekommt. Spottbillig. Was der Bitkom bekanntlich supertoll findet und für die ganze deutsche IT zetert und schimpft. Die ganze IT? Da ist noch der IT-Branchenverband SIBB (PDF-Datei), der für den Mittelstand fightet und einen sofortigen Stopp verlangt: "Die Interessenvertretung des größten IT-Standortes in Deutschland mit fast 4.000 vornehmlich kleineren und mittleren IT-Unternehmen lädt die Bundesregierung ein, gemeinsam mit der mittelständischen Wirtschaft eine wirklich zeit- und kostensparende Erhebung von Einkommensnachweisen für Arbeitnehmer zu entwickeln." Wir lernen daraus: Am Anfang aller Einsparungen steht die Entwicklung neuer Software und jeder will mal.

*** Wie war das noch mit den Einsparungen bei ELENA? 80,9 Millionen werden dadurch "gespart", weil Arbeitergeber ihre ELSTER-Zertifikate nutzen, die sie eh für die Finanzamtmeldungen besitzen. Der wie Milchmädchen rechnende Normenkontrollrat soll beim Moratorium wieder ran und mit neuen Wunderzahlen "Klarheit" produzieren, wo alle nur im Trüben paddeln. Dabei ist die Geschichte von ELENA auch ohne diese Luftbuchungen lustig genug. Seit dem 1. Juli müssen die Betriebe neben den ELENA-Stammdaten das wunderbare neue Modul DBKE melden, die Datenbank für Kündigungen und Entlassungen. An DBKE hatte sich der Zorn der Datenschützer und der Gewerkschafter entzündet, weil in diesem Modul festgehalten wird, ob eine betriebsbedingte oder fristlose Kündigung vorliegt und ob eine Kündigungsschutzklage eingereicht wurde. Der DBKE enthält außerdem das längste Freitextfeld der gesamten ELENA-Meldung, die "Schilderung des vertragswidrigen Verhaltens". Nun haben die ELENA-Verantwortlichen zum 1. Juli reagiert und das Freitextfeld kurzerhand gestrichen. Wer korrekt als Arbeitgeber zum Denunzianten mutiert und das vertragswidrige Verhalten seines Mitarbeiters schildert, wird mit einer Fehlermeldung bestraft und darf noch einmal melden. Ein Fall für Kafka, den Fachmann der Arbeiter-Unfall-Versicherungsanstalt.

*** Es gibt einen Unterschied zwischen dem Erkennen von Murks und dem Erkennen eines Polizeibeamten im Einsatz auf einer Demonstration. In dieser Woche hat Amnesty International in Deutschland zur Vorstellung des jahresberichtes die Aktion Nichts zu verbergen gestartet, eine Kampagne für die Einführung der Kennzeichnungspflicht von Polizisten. Weil es das pöhse Internet gibt, lehnt die Gewerkschaft der Polizei diese Pflicht ab. Da werden Bilder und Videos "nahezu unendlich lange im Internet abrufbar blieben und so eine Verfolgbarkeit bis ins Private hinein sehr leicht möglich". Dann ist da noch die linke Internetszene, die das informationelle Selbstbestimmungsrecht der Beamten missachtet und beschneidet. Die Unberührbaren schlagen zurück.

*** Man sollte es nicht persönlich nehmen. Tief in jedem Polizisten schlummert der einfache Wunsch, es nur mit dem perfekten Staatsbürger zu tun zu haben, dem gelegentlich galant ein Knöllchen serviert, ein Pünktchen verpasst wird. Jedenfalls, solange es das Verkehrszentralregister noch gibt. Bekanntlich will Verkehrsminister Ramsauer das Punktesystem reformieren und durch eine moderne transparente Methode ersetzen, bei der jeder Bürger jederzeit mit dem neuen Personalausweis sein Maluskonto einsehen kann. Bis dahin ist genug Zeit, Perfect Citizen zu studieren, ein US-Programm, das Abweichler finden soll, die eine Cyberattacke auf kritische Infrastrukturen planen. Für die ersten Arbeiten an diesem Überwachungsprogramm hat Raytheon schon einmal 100 Millionen Dollar kassiert. Das passt ja wie ein SWIFT aufs Auge, zumal weitere Daten bereits in der Diskussion sind, weil das Abkommen laut EU-Kommissarin Reding nicht perfekt ist. Warum legen wir eigentlich nicht gleich das Programm "The Universal Citizen" auf, passend mit einem Song vom neuen Donovan?

Was wird.

Das Gekicke ist vorbei, die Calamares waren lecker. Die Fernsehbranche jubelt trotz Public Saufing über den Verkauf von 8 Millionen Geräten, gewisse "Fach"-Märkte ärgern sich höchstens über ihre teuren Versicherungspolicen, für den Fall der Fälle, dass Deutschland ins Finale kommt. In neuen wie alten Glotzen läuft jetzt die Tour de Dope, das Radeln mit den zwei Geschwindigkeiten. Die nächsten Geräte werden nach der großen Sommerpause auf der IFA in Berlin gezeigt. Die Revolution der Fernbedienungen steht an, die dem iPad paroli bieten müssen. Auf ihren Zweitbildschirmen kann eine Vorschau eines anderen Senders laufen oder ein schickes Programm wie der TV Buddi, der laufend im Internet nach Wikipedia-Einträgen zu aktuellen Sendungen sucht. Was nicht unbedingt schwierig ist, weil eigentlich nur noch Kochshows laufen, in denen Goldhamster auf Rührei serviert werden. Diese kleine Wochenschau überbrückt die Zeit der Sommerlöcher, in der pünktlich wie früher bei der Bundesbahn die Krokodile, Kaimane und sonstigen Viecher losgelassen werden, mit Sommerrätseleien.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (In lauschiger Sommernacht gerätselt)
Beitrag von: SiLæncer am 18 Juli, 2010, 00:16
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

Es ist Sommer, richtiger Sommer. Apple verteilt Telefon-Kondome, Bumper genannt, und die Junge Union Berlin fordert ein Verbot der Pornoseiten, weil "Filme mit fast unvorstellbarem Inhalt" im Internet laufen. Jeder pflegt zärtlich seinen Dachschaden und die Dächer sind heiß, die Logik ist weggeschmolzen. Es ist Sommer und Zeit für Porno und alle schauen zu: "Die Politik schaut zu wie die Jugendlichen zuschauen, wenn Filme mit fast unvorstellbarem Inhalt laufen", so der der vollständige Satz der Jungpolitiker. Es ist Sommer und die Post verteilt Werbung für ihren E-Postbrief an alle Haushalte, auf jeder Seite mit einem kleingedruckten Disclaimer. "Sofern keine besonderen Formerfordernisse bestehen", soll der Abschluss einer Versicherung oder eines Kaufvertrages über das Internet möglich sein, in dem Post mit fast unvorstellbarem Inhalt zirkuliert. Dazu gibt es einen neckischen Trailer: "Das Internet, eine Welt, in der jeder alles und jeder sein kann, in der jeder alles vom anderen weiß." Ohje, wie konnte sich dieses Internet nur entwickeln? Hatte nicht der Gilb dieses wuselige Datennetz bekämpft wie kein Zweiter? Und nun das: "Wir bringen das Briefgeheimnis ins Internet." Das Ganze mit zünftigen Bedingungen 2.0 im Kleingedruckten: "Der Nutzer erkennt sein Nutzerkonto als seinen Machtbereich an, zu dem er Zugang hat und das für die Kommunikation mit anderen Nutzern oder Kommunikationspartnern bestimmt ist. Der Nutzer wird daher aufgefordert, mindestens einmal werktäglich den Eingang in seinem Nutzerkonto zu kontrollieren. "Es ist Sommer, die Dächer sind heiß und die Briefkästen noch heißer.

*** Es ist Sommer, die Sommerlöcher öffnen sich und die Kaimane planschen in den Baggerseen. Zeit für unser kleines Sommerrätsel in den Sparten Hardware, Software und schwitzender Wetware. Den Anfang macht die Hardware mit einem Teil, dass die Vertreter der Jungen Union kaum noch kennen dürften. Die Floppy-Disk, der Träger von Informationen mit fast unvorstellbarem Inhalt, steht vor dem Ableben, wenn diese Meldung einer kleinen, aber tapferen Redaktion stimmt. Begeben wir uns ins kühle Nass der Talsperren, in denen sich nicht nur Kaimane tummeln können, sondern eine Fischart, die wie die Floppy vom Aussterben bedroht ist.

Also Frage 1: In jedem Anfang wohnt ein kleines Ende. Was schwimmt denn da an Technik herum?

*** Ob am Baggersee, an der Talsperre oder an den großen Teichen, an denen die norddeutsche Tiefebene endet, überall wird jetzt gebadet, was das Zeug hält. Wobei das Zeug sehr minimalistisch ausfallen kann, wenn Männchen und Weibchen zur fio dental, greifen, wie Wikipedia liebevoll bis ins hinterste Detail aufklärt. Laut Wäschereport stellen die Dinger mittlerweile 50 Prozent Marktanteil im Unterwäschesegment da, wobei 13 Prozent der heterosexuellen Männer und 27 Prozent der Homosexuellen diese Wäsche tragen. Die man zumindest in den USA bedauern muss, wie eine Warnung der Federal Trade Commission bezeugt. Da gibt es tatsächlich ein Schwulenmagazin, das die Nutzerdaten seiner Leser als Handelsware betrachtet: Privatsphäre for Sale titelte die TAZ treffend. Doch zurück zum Tanga, der Platz ist knapp

Frage 2: Welche Floppy wird gesucht?

*** Oh heilige Gentrifizierung: Drei Jahre länger als der Bundesgerichtshof brauchte die Bundesanwaltschaft für den Nachweis, dass sie keine terroristische Vereinigung ist und in der Lage ist, ein Verfahren nach dem Paragrafen 129a einzustellen. Da wurde gerätselt, entschlüsselt und gegooglet, weil ein anerkannter Wissenschaftler gebodigt werden sollte. An der Universität verfügte Andrej Holm "über Zugang zu Bibliotheken, um dort die Recherchen durchzuführen, die notwendig sind, um Texte für eine militante Gruppe zu verfassen". Was bleibt, ist eine erleichterte Familie, die vier Jahre lang rund um die Uhr überwacht wurde und eine blamierte Bundesanwaltschaft. Vielleicht ballen dort die Hardliner die Fäuste und rufen "Holm, der Kampf geht weiter!" Denn schon ist das nächste verdächtige Wort aus diesen komischen Bibliotheken entschlüpft und macht die Runde. Gleich neben dem Einstellungs-Berichtwar in der TAZ ein Gespräch zum Thema Resilienz zu lesen. Nein, damit ist nicht die gedankliche Resistenz gemeint, die das Bundeskriminalamt an den Tag legt, wenn es wieder einmal Sperrgelüste äußert.

Was Frage 3 auslöst, auf Bibliotheksniveau für die wirklichen Freunde der Floppy. Hard Sectored und Soft Sectored, was fehlt? Aber nicht geruht:


Frage 4, man lebt nicht ewig, folgt auf dem Fuß: Stephen Hawkings, der berühmte Wissenschaftler, der uns das Universum und den ganzen Rest erklärt, war Vorbild für einen Film, in dem eine berühmte Floppy ihren Auftritt hatte. Wie heißt der Film? Und welche Floppy ist gemeint?

*** Fritz Teufel begraben, stilecht mit Goodbye vom Nasenflötenorchester, Tuli Kupferberg in New York gestorben, ein grottenschlechter Musiker und großer Poet, immerhin einer, der sich als ältester Rockstar der Welt verstand und nicht auf die ewige Jugend setzte. Es gehört zu den großen Momenten der Pop-Geschichte, dass die Fugs bei Bernhard Stollmans ESP-Disk (nein, kein Floppy-Format) erscheinen konnten, dem Label, das dem Free Jazz von Ornette Coleman und Albert Ayler gewidmet war und unbedingt Free Poetry wie CIA Man veröffentlichen wollte. Wer das Gejammer der Plattenindustrie nicht mehr hören kann, sollte dieses Lehrstück über Musik-Lizenzen lesen, in dem der Raubtier-Kapitalismus nüchtern geschildert wird. Was das alles mit IT und dieser Unterhose namens Internet zu tun hat? Aber bitteschön: Bis zu seinem Tod hat Tuli Kupferberg als tulifuli auf Youtube seine wunderbare Kunst mit anderen geteilt. Prophetisch war sie auch noch, man höre nur This land is their land, wo Kupferberg den Gulf Stream Oil Slick beklagt und die schlichte Wahrheit singt: "This land is sold for company. "Und wenn das Land gekauft ist, bleibt noch Geld übrig für die Wissenschaft.

(http://www.heise.de/imgs/18/5/4/3/8/7/7/Frage5-1.jpg-3b633781fd798efc.jpeg)
Frage 5: Wie hieß das Programm?

*** In der Anfangszeit der Floppy-Disks, als Al Shugart die 5 1/4''-Floppy erfunden hatte und Sony die mit 3,5''-Format, versuchte sich jeder Rechner-Produzent in der Kunst, proprietäre Formate zu produzieren. Als Beispiel sei DECs Rainbow  genannt, dessen DOS zunächst nicht einmal das Formatieren von Disketten erlaubte – sie mussten beim Händler erworben werden. Mehrere Formatierprogramme versprachen Abhilfe. Sehr populär war ein Programm (die nebenstehende Abbildung zeigt die Rückseite des Manuals), das aktiv gegen diese Fremdenfeindlichkeit kämpfte.

*** Womit Blizzard bei World of Warcraft scheiterte, das geht der chinesischen Regierung locker von der Hand. In einer wunderbaren Kultur der Offenheit, in der der Bitkom viele Taler wittert, verbietet man kurzerhand allen Forenmoderatoren die Nutzung von Pseudonymen. Außerdem wurde allen Angehörigen der Volksbefreiungsarmee die Teilnahme an Blogs und sozialen Netzwerken untersagt: Wer erkannt wird, wird degradiert. Passend zu dieser Aktion der Volksdemokratie ist ein Blaubuch der chinesischen Akademie für Sozialwissenschaft erschienen, in dem bekannte Forscher vor subversiven Wirkungen von Internet-Diensten wie Facebook warnen. Auf lange Sicht droht die Realnamenspflicht für 400 Millionen Menschen, ganz ohne "sichere" Zusatzdienste wie De-Mail oder die eingangs erwähnte ePost der gelben Schnecken. So erschrecken wir vor China und demonstrieren in aller Offenheit, wie in Deutschland die Verfassung nichts gilt, wenn man per Heirat erpressbar wird in unserer ach so offenen Kultur.

*** Wer kennt ihn nicht, den viralen Rap von Don't copy that Floppy, einer Aufklärungskampagne über das nicht erlaubte Kopieren von Computerspielen, stark angelehnt an die TV-Serie California High School, gestaltet von der Software Publishers Association und unter Beteiligung von America Online, Adobe Systems, Broderbund Software und – Microsoft, obwohl der Film einen Apple LC zeigt, der 1992 in Amerikas Schulen sehr weit verbreitet war. Aus dem "welcome to the end of the computer age" wurde ein Internet-Meme.

Was Frage 6 ergibt: Was stimmt nicht mit der Floppy? Aber, wo wir schon bei den Teenagern sind,

gleich Frage 7: Gesucht wird ein Film, in dem ein junger Nerd ein Mädchen bittet, ihm den Slip zu geben. Sie fragt ihn, wozu das gut sei. Er verweist auf eine Wette unter Freunden und darauf, wie teuer 3,5''-Disketten sind. Mit ihr schlafen wollte er nicht, die Disketten waren wichtiger.So ist das. Aber warum eigentlich immer nur die USA?

Also Frage 8: In welchem "Tatort" spielte erstmals ein Computer mit welcher Floppy-Disk eine wichtige Rolle?

Was wird.

Noch zwei kleine Rätsel, dann wird zum Montagabend hin die Auflösung nachgereicht. Wenn es machbar ist, werden Hal-Avatare im Forum die Treffer bei Frage 1 bis 9 kommentieren. Niemand soll quälend lange auf die Auflösung warten, wie etwa die Preisträger der nunmehr verschobenen Big Brother Awards. Üblicherweise werden sie im Oktober verliehen, doch nach einer etwas unglücklich formulierten Pressemitteilung des AStA der Uni Wuppertal über die durchaus gerechtfertigte Nominierung von INDECT für den Negativpreis kam es anders. Der Ausrichter FoeBuD dementierte und teilte gleichzeitig mit, dass die Big Brother Awards 2010 erst am 1. April 2011 in Bielefeld verliehen werden. Aktionen wie Freiheit statt Angst, und die Verfassungsbeschwerde gegen das extrem bedrohte Zivilisationsprojekt ELENA zehren an den Kräften.

Seit Kurzem ist eine Verfassungsbeschwerde gegen den Zensus 2011 hinzugekommen, die einige Bürgerrechtler erschreckt, während Datenschützer Wichtigeres zu tun haben. Die neue Verfassungsbeschwerde ist insofern kurios, als dass sie Bezug auf das Karlsruher Urteil zur Vorratsdatenspeicherung nimmt, das den Parlamentariern nicht bekannt gewesen sein konnte, als sie im Juli 2009 das Zensusgesetz beschlossen. Ein bisschen Zeitreise muss immer sein, auch wenn nicht jeder Petent einen DeLoran in der Garage haben dürfte. Schließlich operiert die Gegenpartei auch mit temporären Kunststücken wie dem Projekt saubere Rechtsgrundlage.

Also Frage 9: Wie überwachte man früher die Überwacher mit einer Floppy?

Mit Frage 10 feiert das Sommerrätsel eine Premiere, weil die Antwort der "Weisheit der Massen" überlassen werden muss. Als Rätselvorschlag schickte ein Forumsleser diesen Vorschlag, auf den bislang niemand aus der Rätselcrew eine Antwort gefunden hat:
"Der 5,25er Staubschutz muss rein!!!!! Unbedingt! Da gab es doch mal einen in Deutschland, der hat das Schieberprinzip von der 3,5er auf die 5,25er übertragen und wirklich viel Aufwand reingesteckt, das zu promoten. Aber zu mehr als ein paar Erwähnungen in Zeitungen hat das aber nicht geführt. Das muss so zweite Hälfte der 80er gewesen sein." Der Vorhang zu und diese Frage offen: Was oder wen meint der Einsender?


Quelle : www.heise.de
Titel: Was wirklich war in lauschiger Sommernacht – die erste Rätselauflösung
Beitrag von: SiLæncer am 19 Juli, 2010, 20:35
Der Sommer ist heiß, die Sommerlöcher sind groß und natürlich sind die Krokodile ausgebrochen und tummeln sich in Presseteichen. Die WWWW-Leser hatten hoffentlich besseres zu tun mit Sommerrätseln  rund um die aussterbende Floppy-Disk.

Die Elritze, ein Fressfisch für die Großen, wird im englischen Sprachraum Minnow genannt. Frage 1 bezog sich auf den Minnow Drive, jenes von IBM konstruierte erste Floppy-Laufwerk der Geschichte. Die Idee war, bei der Boot-Prozedur der Großrechner die Möglichkeit zu haben, zusätzlichen Mikrocode einzubauen, der von IBM schnell modifiziert werden konnte. Das Vorbild der IBM-Techniker war ein Telefunken-Diktiergerät, das in den USA von RCA vertrieben wurde. Es benutzte als Speichermedium Magnetscheiben, die frei rotierten und von einem selbstzentrierenden Aluminiumring gehalten wurden. Aus den 80 KB des Minnow Drive entwickelte ein IBM-Team um Alan Shugart die Floppy-Disk mit der Technik, die bis zum Aufkommen von beschreibbaren CDs und USB-Sticks die Lochkarte als Billig-Speicher ersetzte. Die Lösung der Frage 1 wurde nicht erraten.

Auch der String-Tanga führte die Leser nicht wirklich zum Ziel, denn Frage 2 konnte nur mit der Stringy-Floppy von Exatron gelöst werden, dem ersten Versuch, die Floppy durch einen kleinen Microdrive ähnlich der heutigen USB-Sticks zu ersetzen. Vielleicht waren die Leser stringtechnisch zu sehr abgelenkt, denn auch Frage 3 fand keine Beachtung. Die Ergänzung zu Hard Sectored und Soft Sectored wurde gesucht. Das erste Laufwerk, das Minnow Drive, war Hard Sectored: Die Floppy hatte für jeden der 8 Sektoren ein Loch am äußeren Rand der Scheibe, an dem sich der Controller orientierte. Die dann folgenden 8''- und 5 1/4''-Floppies hatten nur noch ein einziges Loch, mit dem der Spuranfang codiert war. Die Techniker sprachen von Hard Tracked und Soft Sectored, weil nur der Spuranfang interessierte und die Sektoren über Header erkannt wurden. Später wurde auch das nicht mehr benötigt und die Disketten waren Soft Tracked.

Die Fragen 4, 7 und 8 beschäftigten sich mit dem Auftauchen der Floppy in Film und Fernsehen und wurden allesamt gelöst. Frage 4 bezog sich auf die 8''-Floppy im Film War Games, der ursprünglich eine völlig unkriegerische Handlung hatte. Eigentlich ging es, inspiriert von Stephen Hawking, um ein sterbendes Genie, dessen Wissen von einem Nerd übernommen wird, der unfähig ist, sich mitzuteilen. Frage 7 präsentierte einen anderen Nerd aus dem Film Sixteen Candles, der eigentlich die Hauptdarstellerin verführen sollte. Da es ihm nur um den versprochenen Lohn von zehn teuren 3,5''-Disketten ging, fragte er direkt um den "Beweis" in Slipform. Eine galante Handlung, die noch dadurch gekrönt wird, dass der Nerd am Ende die Sexbombe bekommt, die sich in ihn verguckt hat. Frage 8 fragte nach Floppies im deutschen Tatort. In Tödlicher Treff aus dem Jahre 1988 spielten sie eine zentrale Rolle, zusammen mit einem Computer, der ein 5 1/4''- und ein 3,5''-Laufwerk besaß.

Dann war da noch die Frage 6, die sich mit dem Anti-Pirateriestück der Software Publishers Association beschäftigte. Don't copy that Floppy spielt in einer US-amerikanischen Schule. Der jugendliche Geek nutzt einen Apple Macintosh LC mit Festplatte und einem Floppy-Laufwerk, um eine unrechtmäßige Kopie des bei AOL gehosteten Spiels Neverwinter Nights anzufertigen. Die von Apple für US-Schulen gefertigten LC hatten zwei Laufwerke und keine Festplatten.

Frage 9 wollte wissen, wie Überwacher mit einer Floppy überwacht werden können. Vielleicht war dies zu schwammig formuliert, denn Sonys Reihe von "Magnetic Video Cameras", kurz Mavica genannt, wurde nicht gefunden. Ganz anders ging es mit einer Leserfrage (Frage 10), auf die ein anderer Leser im Archiv der Computerwoche die Antwort fand.

Bleibt zum Schluss noch Frage 5 übrig, die schnell gelöst wurde. Das zeigt, wie weit verbreitet XenoCopy von Fred Cisin einmal war. Kritisiert wurde, dass hier nach einer Software und nicht nach einer Hardware gesucht wurde. Womit wir eigentlich schon beim nächsten Teil des Sommerrätsels sind, in dem es um Software gehen soll. Schöne und knifflige Fragen können an hal@heise.de geschickt werden. Bis dahin sei Fred Cisin zitiert, dessen XenoCopy mit F1 eine kontext-unabhängige Hilfe bot, mit dem immer gleichen Satz, den Händlern nicht zu trauen:

"If the test works for CP/M-86, but won't work for the others, it means the system is NOT compatible enough for alle the formats. It might be compatible enough to run LOTUS and flight simulator, but we are doing things those programs don't. (They can't read alien disks). If they told you the machine is 100 % compatible with IBM, DON'T enter into any real estate deals with them. The only 100 % compatibility is called "Copyright Infringement". However, most "compatible" machines will do fine with XenoCopy PC, and the incompatible ones are usually still reliable for the formats that they DO work with."

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau und das zweite Sommerrätsel von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 25 Juli, 2010, 00:20
Was war. Was wird. (kein heiteres Geplänkel in dieser Sommernacht, aber trotzdem ein Rätsel)

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Aus Windows 7 ergibt sich plus 7 Prozent oder 62,48 Milliarden US-Dollar. Der überall ausgerufene Tod des PC scheint eine feine Sache zu sein, zumindest für Microsoft. Da mögen andere ihre Bilanzen mit Hilfe von Intels Wohngeld-Stütze schön rechnen, wohl auch in Seattle um ein kleine Spende anhalten, doch was juckt es die Software-Eiche, wenn ein armes Hardware-Schwein sich an ihr reibt. Da mag die Suchmaschine Verluste machen und die Xbox sowieso, wenn in tiefer, lauer Sommernacht das Software-Rätsel gelöst ist: Das Schreiben von hübsch verpacktem Code ist der Stoff, von dem die Branche lebt. Besonders hübsch sind die Ergebnisse in Deutschland ausgefallen, wie Microsoft-Chef Ralph Haupter verkündete: "Microsoft wächst in Deutschland auf Kosten des Wettbewerbs, insbesondere im Servergeschäft. Wir haben Oracle im Bereich Datenbanken überholt und sind im Bereich Virtualisierung zweistellig gewachsen. Wir konnten zahlreiche Lotus Notes Kunden zum Wechsel auf Exchange überzeugen."

*** Software ist nicht nur der Stoff, von dem alles abhängt, sondern das Thema des zweiten Teils unseres kleinen Sommerrätsels. Wie üblich gibt es 10 Fragen, die im Forum, auch gegen die schrecklichen Nachrichten aus Dusiburg, in einer lauschigen Sommernacht, am Sonntag und bis Montagmittag beantwortet werden können. Es ist nicht so heiß wie an jenem 24. Juli 1936, als in den USA der bislang heißeste Tag in einer Hitzewelle gemessen wurde, die zu Staubstürmen führte, zum Dust Bowl, der die Ärmsten der Armen vertrieb, viele davon ins Silicon Valley zum Pflücken von Trauben und Pfirsichen.

(http://www.heise.de/imgs/18/5/4/7/3/7/0/8e8692d1adbf9449.jpeg)

Also Frage 1: Blitze in den Himmel schleudern gegen die Hitze? Um welche Software handelt es sich?
Und gleich weiter zu Frage 2: Nomen est omen. So kam man unter die Top 20 der Branche. Welche Firma ist gemeint?

*** Zu einem richtigen Sommer gehört -- nein, nicht ein Sammelsurium an Internet-Thesen, das ginge auch derzeit. Aber eigentlich ist es das Sommerloch, in dem sich allerlei Getier tummelt. In diesem Jahr ist es offenbar der Offliner, der für Gesprächsstoff sorgen soll. Bewundernd interviewt die taz ein solches Untier namens Christoph Koch, das wunderbarerweise 40 Tage auf Internet und Mobiltelefon verzichten konnte – und prompt ein Buch darüber geschrieben hat. 272 Seiten für 12,95 Euro. In den Untiefen von Loch Sommer geht es absonderlich gefährlich zu, wenn der Steuerberater mit Mails auflauert und der freie Journalist "Geld verliert", weil er Aufträge nicht angenommen hat. Aber nach 40 Tagen musste er wieder ran, die ELSTER-Meldung ans Finanzamt schicken. "Ich bin dann mal offline" konkurriert mit "Ohne Netz", einem Buch von Alex Rühle. 220 Seiten für 17,95 Euro, der Aufschlag hat einen triftigen Grund: Das Ungeheuer hat es ein halbes Jahr ohne Netz ausgehalten. Passend dazu serviert der Spiegel eine schnell gestrickte hübsch illustrierte Geschichte, für die Rechercheure einen halben Tag offline waren. Wer kommt dabei nicht in Versuchung, den erdschüttelnden "Ubergod" zu zitieren, dessen TAOCP immer noch die wichtigste Einführung ins Metier der Software-Produktion gehört und generell die Antwort auf alle Fragen ist. Am 1. Januar 1990 ging er offline, um sich aufs Bücherschreiben zu konzentrieren.

Da wird es Zeit für Frage 3: "Perseus gab den Menschen das Feuer", fabulierte ein begeisterter Knuth-Bewunderer, die "übermenschliche" Leistung von Donald Knuth bei der Entwicklung von TeX im historischen Kontext feiernd. Ähnlich kurios geht es zu, wenn Knuths erstes größeres Programm genannt wird. Was machte es?

Es ist fast schon faszinierend, mit welcher Logik sich daraus Frage 4 ergibt: Mit MIX propagierte Donald Knuth selbstmodifizierenden Code. Welche CPU unterstützte in ihrem Befehlssatz diese Technik?

*** Während die gelehrten Reflektionen auf das Offline-Sein sehr an die parallel geführte sommerliche Diskussionen über die Homöopathie erinnern, hat der Chaos Computer Club seine elf Thesen zur Netzpolitik veröffentlicht, eine Art Antwort auf die 14 Thesen des Bundesinnenministers. Richtige Überraschungen sind nicht dabei, doch wer vergleicht, kommt schnell auf den grauslichen Umfäller des Sommers, an dem sich die Geister scheiden. Hinter dem von beiden Seiten benutzten hübschen Wort von der Netzneutralität verstecken sich zwei sehr unterschiedliche Konzepte. Da setzen zwei Freunde mit unterschiedlichen Akzenten zu einem Leberhaken an. Netzneutralität ist für sie die flächendeckende Internet-Versorgung fern der Ballungszentren und das Angebot von etwas De-Mail. Das sieht der CCC ganz anders. Kann Constanze Kurz im Kostüm der Superwomen kontern?
Was mich zu Frage 5 bringt: Netzneutralität hin, Netzneutralität her – das Internet ist eine relativ neue Erfindung der Menschheit. Lange bevor es das Internet gab, gab es den Browser und FTP. Was bedeuteten diese Worte vor dem Internet?
Apropos Software:Frage 6: Jeder weiß, dass gute Software wie Bananen beim Verbraucher reifen muss. Dennoch gibt es Beta-Software. Wer führte den Begriff ein und hielt sich bis wann an die offizielle Definition?

*** Die Diskussion um das böse Internet mit diesen "rechtsfreien Räumen", für das ganz schnell Informatiker zu Pflugscharen umgeschult werden müssen, ist ohne einen verspenglerten Unterton nicht denkbar. Im Auf- und Ab des Kommens und Gehens großer Kulturen, gibt es nach den Vergleichen von Oswald Spengler eine Phase, in der eine Kultur beginnt, sich zu verzetteln. Ehedem feste Prinzipien greifen nicht mehr, die Menschen können sich nicht mehr auf ein Ziel konzentrieren. Für die Jahre 2000 bis 2200 sagte Spengler das Heraufdringen urmenschlischer Zustände in eine hochzivilisierte Lebbenshaltung voraus, die Welt als Beute für neue Wilde. Die mangelnde Fähigkeit zur Konzentration unter dem Beschuss des Multitasking rafft die europäische Aufklärung dahin, aus selbstbestimmten Menschen werden "Gadget Lover", wie Marshal McLuhan in seinem Buch Understanding Media beschrieb. Gedankenarme Menschen, die ihre Gadgets befruchten, bis sie selbst überflüssig geworden sind, in schierer Abhängigkeit von dümmsten Nebensächlichkeiten.

(http://www.heise.de/imgs/18/5/4/7/3/7/0/2783df0517672d2a.jpeg)

Nun gut, Frage 7: Parallel zum Internet entwickelte sich Multitasking auf dem PC zu einer eigenen Kunstform. Dieses Bild zeigt das Logo einer Firma, die mit ihrem Konzept sehr erfolgreich war. Wie hieß die Firma?
Und um einen Blick in die Vergangenheit der Zukunft zu werfen, hier Frage 8: Als Antwort auf die komplexe Vertaskung der Lebensumstände gilt das Konzept der Lifestreams, das David Gelernter entwickelte. In aller Kürze zusammengefasst, wird das Konzept von Dateien und Ordnern, von Ereignissen und Terminen durch einen Zeitstrahl abgelöst. Eine deutsche Softwarefirma nahm das Konzept auf und startete die Alternative, den Anwender vor den Abhängigkeiten veralteter Konzepte zu retten und das Multitasking zu reduzieren. Wie hieß die Firma? Alternativ: Wie hieß die Software?

*** Während wir die Toten von Duisburg betrauern, will ich doch an Willem Breuker erinnern, der uns am Freitag verließ und den wir sehr vermissen werden. Der Clown des Free-Jazz verstand sein Saxophon für die Freiheit und für die Melancholie zu blasen, wenn das Willem Breuker Kollektief zu frei imrpovisierter Zirkusmusik ansetze, dann tanzten die Artisten für die Zuhörer ganz real in die Manege. Ich schätze mich glücklich, das Kollektief live erlebt zu haben. Allen, die dieses Glück nicht hatten, seien die Alben und vereinzelte Videos ans Herz gelegt.

Was wird.

An dieser Stelle sollte ein heiteres Geplänkel über den bevorstehenden Sysadmin Day folgen, an dem die Conquistadoren der Server mit ihren geheimnisvollen Kräften geehrt werden, gefolgt von einem Blick auf die Olympischen Spiele der Schwulen und Lesben in Köln mit ihrem animierenden Programm. Zum Abschluss ein Blick auf die Politik, die sich in die "Sommerpause" gerettet hat, komplett mit einer Apothekenverordnung, die Platz schaffen soll für die Infoterminals der elektronischen Gesundheitskarte. Doch nun hat sich an die Fortsetzung des One Digital Day nicht nur das Life in a Day gemacht. Die von der Duisburger Loveparade gemeldeten Toten mahnen zur Dämpfung sommerlicher Spässeken. Witzeleien über den Kontrollverlust in der Moderne klingen abgeschmackt, wenn Menschen in einem Tunnel sterben müssen, weil sich ein Massenevent nicht wie geplant kontrollieren ließ. Erstaunlich nur, dass die Veranstalter im Vorfeld meinten, den Trubel auf dem viel zu kleinen Platz wirklich steuern zu können. Wo ist nur der vom Herzen gefallene Stein der Erleichterung, mit dem besorgte Eltern werfen wollen?

(http://www.heise.de/imgs/18/5/4/7/3/7/0/FRAGE9.JPG-314c298442894528.jpeg)

Bleiben zum Abschluss nur Frage 9: Welche Software stellt Eric Schmidt hier vor?
und natürlich Frage 10: Eric Schmidt verweist schon auf den nächsten Teil des Sommerrätsels, in dem die Whetware Thema sein wird. Bis dahin die Frage, was denn Appendixware ist.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was wirklich war in einer Sommernacht (Auflösung des 2. Sommerrätsels)
Beitrag von: SiLæncer am 26 Juli, 2010, 19:23
Eine Kolumne mit guter Laune und guten Rätseln  zu beginnen und mit einer Serie von schlimmen Meldungen abbrechen müssen, ist nicht gerade Journalisten-Alltag. 19 Tote bei der Love-Parade, dazu Politiker, die davon reden, dass das Sicherheitskonzept "stichhaltig" gewesen sei und jede Schuld weit von sich weisen, das darf nicht Alltag sein. Dennoch erschien das WWWW mit dem zweiten Teil des Sommerrätsels, zu dem hier die Antworten nachgereicht werden. Von 10 Fragen rund um das Thema Software wurden 6 richtig beantwortet, zwei weitere wurden fast gelöst, nur die Fragen Nummer 2 und 8 blieben unerledigt übrig.

Frage 1 beschäftigte sich mit einer Software, die Blitze schleudert. Die Lösung war das Spiel Microsoft Decathlon, das im Februar 1983 erschien, spielbar auf Apple II und Apple IIe (][ bzw. ][e) mit mindestens 48 KB Arbeitsspeicher.

In Frage 2 ging es um eine Firma, die mit einem denkbar einfachen Namen groß wurde. Die Lösung war die Software AG, die 1984 allein in den USA 38 Millionen Dollar Umsatz machte und dabei mit der föderalistischen Struktur Deutschlands warb: Eine Software, die in allen deutschen Bundesländern eingesetzt wird, ist in jedem Land der Welt einsatzfähig.

Frage 3 hatte das erste größere Computerprogramm von Donald Knuth zum Inhalt. Die Antwort kann unter anderem hier gefunden werden, ein Tic-Tac-Toe für die IBM 650.

Frage 4 ist eine Leserfrage und bezog sich auf eine CPU mit selbstmodifizierendem Code. Die mitgelieferte Antwort bezog sich auf das System /370 von IBM, doch gab es dieses Feature schon beim Vorgänger /360 und dem Flugmodell AP 101.

Was ein Browser und FTP vor dem Internet waren, wollte Frage 5 wissen. Neben vielen richtigen Antworten zum Browser gab es Versuche, FTP aufzulösen. Das Handbuch Business English von 1970 hält die Lösung parat: FTP steht da für "Failure To Pay" im Kaufmännischen, entsprechend ist ein Browser definiert: "A shopper with no cash".

Frage 6 nach der Beta-Software bringt uns wieder zu IBM. Die Firma kannte bei ihrer Hardware die Zyklen A-Test, B-Test und C-Test, entsprechend nahm man bei der Software griechische Buchstaben. Zuletzt prangte das warnende ß-Zeichen auf den CDs von OS/2 Warp vom August 1994 und OS/2 Warp vom April 1995. Bei der letzten OS/2-Warp ß-Software, Codename Merlin, vom Juni 1996 ging man zur Schreibweise Beta über.

Frage 7 war wieder einmal ein Logo-Rätsel, das jedoch schnell gelöst war. Das Segelschiff mit seinem Q erinnerte die Teilnehmer schnell an Quarterdeck Office System mit seinem Programm Desqview /386, was wiederum böse Erinnerungen bei anderen Lesern wach rief.

Frage 8 behandelte ein deutsches Programm, das die herkömmliche Struktur von Dateien und Ordnern durch einen Zeitstrahl ersetzte. Das Programm hieß Dependencies, wurde als "Ereignis-Browser" propagiert und 1998 von einer Deus Ex Machina Communications vermarktet. Es war nicht besonders erfolgreich. "Wer zu blöde ist, mit Dateien und Ordnern umzugehen, sollte sich keinen Computer kaufen", so ein damaliger Leserbrief mit einer heute noch bekannten Haltung.

Frage 9 verweist bereits auf den dritten und letzten Teil des Sommerrätsels, in dem Personen geraten werden sollen. Eric Schmidt stellte 1999 DigitalMe von Novell auf der Internet World in New York vor. Das Programm sollte die digitale Identität im Internet festschreiben.

Die Appendixware in Frage 10 definierte das heute nur noch auf Papier existierende "Internet Dictionary" im Jahr 1994 so: "A particular useless category of software (usually shareware) that performs a task so specific or so trivial as to be virtually meaningless to the general population at large. The Net is full of appendixware."

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Und ein letztes Rätsel im Rücktrittssommer)
Beitrag von: SiLæncer am 01 August, 2010, 01:45
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Na, so was: ein Programm der deutschen Softwareschmiede Deus Ex Machina Communications sollte in der letzten Wochenschau geraten werden, ein Programm, das 1997 die Zeitachsenkonzepte von David Gelernter in ein Benutzeroberfläche umsetze, in der der Zeitstrahl die herkömmliche Struktur von Dateien und Ordnern ersetzte. Mit Deus ex Machina startet die F.A.Z. ein neues Blog unter der Generalregie des Angstbeißers Don Alphonso, der gerne alles vergisst, was ihm nicht in den Kram passt. Der neue Auftritt ersetzt den arg theorielastigen "CTRL-Verlust" von mspro, der, heimgekehrt in seinen eigenen Blog, die richtigen Gedanken zum Verlust formuliert. Das Geschwätz über Eliten und Youporn steht gegen die Überlegungen, wie der per Youtube auf Dauer festgehaltene Tod der Menschen auf der Loveparade die Autonomie des modernen Internet-Menschen fördert, sich eine eigene Meinung zu bilden. Sehr schön zu sehen übrigens in Internet-Cafes, in denen Neugierige beim Betrachten des Videos eine Hand-Hals-Geste machen und ihr eigenes Gesicht berühren: Eine entwicklungspsychologisch Resthaltung aus der Kindheit, wo man die Hand vor den Mund legte vor Schrecken. Wo aber die Gedanken nur frei sind, im eigenen Hirn zu kreisen, da gibt es keine Freiheit.

*** Ein Blick in die gedruckte F.A.Z., die mit dem Bürger Gauck wirbt, klärt auf: 10709,29 Euro verdient Duisburgs OB Adolf Sauerland. 35 Prozent dieser Summe erhält er, wenn er ordentlich abgewählt wird und nicht einfach so zurücktritt. Dann erhält er nicht nichts, aber nur ein Bruchteil seiner Lehrerpension. Das ist anders, als wenn ein Bundespräsident unverzüglich zurücktritt, bei vollen Bezügen bis zum Lebensende, mit einem Büro und einem Präsidentenwagen samt Fahrer. Wer will, kann daraus den Zustand der politischen Kultur ablesen, nicht nur aus dem Schmerz der Hinterbliebenen und unzureichend Versicherten. Wie hieß nochmal früher das Motto der Loveparade? Friede, Freude, Eierkuchen. Nur muss der Kuchen kostengünstig zusammengeruhrt werden. Als ehemaliger Bürgermeister müsste Sauerland übrigens nicht Bauarbeiter werden.

*** Während die Politiker urlauben, hat das Wahlgedächtnis Abgeordnetenwatch ihre Zeugnisse veröffentlicht. Das Ungenügend für die Bundeskanzlerin, die auf 88 Anfragen kein einziges Mal reagierte, wird mit dem Regieren zu erklären sein, da hat man alle Hände voll zu tun. Erstaunlich ist schon eher das Ungenügend für den Medizinexperten der SPD-Opposition, den sonst so medial präsenten Karl Lauterbach, der schweigt. Die Note ausreichend für Wolfgang Schäuble, der 88 von 162 Fragen beantwortet hat, zeigt wieder einmal, dass Zensuren per Definition ungerecht sind. Sei's drum, in diesem letzten Sommerrätsel werden Personen gesucht, die rund um den Computer Bemerkenswertes geleistet haben oder leisten wollen.Also Frage 1: Ein schlanker Bundesadler freut sich mit ihm am Jubiläum. Wer ist gemeint? Und nicht gezaudert, gleich weiter:Frage 2: Aus rechtlichen Gründen verlinke ich zu einem kleinen Bilderrätsel (http://www.faz.net/s/RubE2C6E0BCC2F04DD787CDC274993E94C1/Doc~E362DD52074624A61AFBD0000BECF749C~ATpl~Ecommon~SMed.html) von der FOSDEM. Ein Kreuz sucht einen Träger.

*** Im letzten Sommerrätsel tauchte Google-Chef Eric Schmidt auf, der kurz nach seiner Präsentation der digitalen Identiät "Digitalme" von Novell zu Google wechselte. Der Stuhl im Foto sollte für die Weltherrschaft stehen, auf die sich Novell vorbereitete, er soll auch heute noch in Schmidts Büro stehen. Bekanntlich wurde nichts daraus, statt Digitalme kommt Dikrätze, schick denglisch in Form von De-Mail, die Anwälte wie Verbraucherschützer ablehnen. Bereits vor einem Jahr gab es eine vernichtende Kritik des Projektes auf dem DFN-CERT-Workshop 2009, die mit diesem Satz endete: "Nicht ausgeschlossen ist aber auch ein schleichender Zwang zur Nutzung der Bürgerportale, etwa indem die Steuererklärung oder andere amtliche Schreiben zukünftig nur noch gebührenfrei als De-Mail verschickt werden könnten." So sieht die Zukunft vielleicht aus, amtlich aufgezeichnet und natürlich ein deutscher Exportschlager, wie die LKW-Maut und die elektronische Gesundheitskarte. Derweil investiert der lex-Programmierer Schmidt mit seiner Firma Google in Firmen wie Recorded Future, gemeinsam mit dem Investment-Arm der CIA: Die Zukunft wird aufgezeichnet. Und ein Fusion Center gehört in jede Nachbarschaft.

(http://www.heise.de/imgs/18/5/5/0/4/0/6/e039585abe3551b0.jpeg)
Nichts Böses tun, das ist ein netter Witz unter Bekannten, nicht nur bei CIA und NSA.Woraus sich Frage 3 ergibt, von mir aus mit Google: Wie heißt der oberste Gedankenpolizist, der hier geschaffen wird?Aber wo wir schon bei Google sind, gleich Frage 4: Gesucht wird eine bekannte Aussage von Eric Schmidt zur digitalen Identität - die nicht in der Wikipedia steht.

*** Blut soll an den Händen der vielen Freiwilligen kleben, die bei Wikileaks geholfen haben, dass das US-amerikanische Tagebuch des Afghanistan-Krieges veröffentlich werden konnte. Es besteht aus Tausenden von Dokumenten, wobei rund 15.000 nicht veröffentlicht wurden, um keine Menschen in Gefahr zu bringen. Dennoch sei es möglich, die afghanischen Bürger zu erkennen, die mit den US-Truppen zusammenarbeiten, behaupten die US-Truppen. Und überhaupt sei das Material sowas von ausgelutscht, heißt es im Gegentum. Die Brisanz haben andere erkannt, die mit ausreichenden Erfahrungen in Afghanistan die Dokumente beurteilen: Es gibt zwei Kriege in Afghanistan, den Kampf gegen den Terror mit seinen Wiederaufbauplänen und einen Krieg abseits aller Kontrolle, der sich innerafghanische Konflikte zu Nutze macht. Was folgen wird, sind zwei Informationskriege gegen Wikileaks. Einmal bleibt es offizielle Propaganda, dass die Dokumente unbedeutend sind, zum anderen ist die Jagd auf Unterstützer eröffnet. Am Ende wird man im schicken Googleplex fündig werden und das Medienphänomen namens "Julian Assange" wird der Wikikaiser ohne Kleider sein.
Daher Frage 5: Gibt es Rettung? Ist das Pentagon nur eine kleine Partei im fernen Illyrien? Gesucht wird der Erfinder des Roten Knopfes.

*** Ein Blick hinter die Kulissen? Eigentlich sollten an dieser Stelle Hunde geraten werden, die neben all dem Katzen-Content eine kleine, tapfer schnüffelnde Sondereinheit des Internets sind. Biff hatten wir schon und der Cartoon des New Yorker ist mehrfach in der Wochenschau aufgetaucht. Von Hunden ging das Rätselteam weiter zu einer schönen Frau, die gerne mit einem kleinen Fifi auftrat und es vier Jahre lang zur "Queen of the Internet" brachte. 1999 wurde sie the "most downloaded women" der Welt, mit Download-Zahlen die heute vom Bitkom belächelt werden. Über Cindy Margolis gibt es viele Geschichten, doch in einer lustigen Internet-Pistole war sie einstmals der "leading act".Das können wir aber besser, und zwar mit Frage 6: Gesucht wird der richtige Name des Mannes des unerreicht größten Internet-Spektakels.Dabei muss es aber nicht bleiben, zeigt Frage 7: Auch Deutschland hatte seine Stars. Es gab einen König des Internet, der sein Reich als "Meine Welt" ausgab. Sein Name?

(http://www.heise.de/imgs/18/5/5/0/4/0/6/b1bc3b1cab5d84fc.jpeg)
*** Die Frage der Vergänglichkeit beschäftigt viele Menschen, unter anderem Steve Jobs. Apple soll nicht nur eine Modefirma  sein. Der Name soll dereinst davon künden, was diese unsere Kultur ausmachte, die Jahre transzendiert. Schon heute stehen der Apple Newton und der Apple eMate in den Glasvitrinen der Design-Museen dieser Welt.In Dezennien, wenn viele Menschen nur noch wissen, dass Mozart ein BTX-Programm war, wird Ruhm und Lob für Apple sicher sein, wegen der Frosch-Hardware. Die Firma gab unserem Biedermeier ihre Form.
Es folgt natürlich Frage 8: Ein Mann macht sich hier einen Reim auf Stühle und Äpfel. Sein Name?

Was wird.

Friede, Freude, Eierkuchen, die nächste Klappe: Wir kommen in Frieden soll die Veranstaltung heißen, die die Firma Chaos Computer Club zwischen den Jahren in Berlin anbietet. Wobei nicht ganz klar ist, ob das Motto nach dem Song von Curtis Mayfield gedacht ist oder nach den Golfern von Bobby Conn & The Glass Gypsies. Bemerkenswert ist jedoch die Rede vom Cyberspace als natürlichem Lebensraum der Hacker, wenn es in der CCC-Einladung heißt: "We come in peace, we say as hackers, geeks and nerds, when we set out towards the real world and try to change it, because it has intruded into our natural habitat, the cyberspace." Woher kommen sie, wenn nicht aus einer realen Welt mit Fleisch und Blut und vielen Nabelschnüren. So geht der Hype munter weiter, genau wie jener Mythos vom Krieg der Welten, der zu heftigen Irritationen geführt haben soll. Dabei waren das nur einige Zeitungen, die maßlos übertrieben, um die damals neue Medienkonkurrenz des Radios zu diskreditieren.So suchen wir dann mit Frage 9 ein Geburtstagskind. "Er tanzte wie ein Alien, aber galant." Wer ist gemeint?Apropos Geburtstag: Frage 10 sucht einen Menschen, von dem das Geburtstagskind profitierte. Ein bisschen Rekursion muss sein.

Rekursion? Soll sich die Geschichte endlos wiederholen, vom Knall zur Komödie, von der Farce zum Tweet zur DBA? Das Rätsel ist vorbei, der Sommer hoffentlich noch nicht. Die allgemeine Zeck Attack auf den Verstand geht schließlich weiter. Das Rätsel wird im Sommer 2011 wiederkommen, hoffentlich in tanzbaren Zeiten. Aber kann mir tatsächlich jemand beibringen, wie man wirklich richtig langsam tanzt? Wie auch immer, auf Leservorschlag werden im Rätsel des nächsten Jahres dann im großen Stil Benutzeroberflächen geraten, von denen es überraschend viele gibt. Die Auflösungen zum heutigen Teil kommen am Montag oder finden sich im Forum, für die, die am delirium forumulus heisensis leiden.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was wirklich war, als das Sommerrätsel endete
Beitrag von: SiLæncer am 02 August, 2010, 19:44
Es ist vorbei, bye, bye, Julimond, es ist vorbei. Nicht besonders glücklich war das Sommerrätsel 2010 positioniert, angesichts der traurigen Geschichte des Endes eine Loveparade mit Toten und vielen Verletzten. Wir konnten halt nicht in die Zukunft blicken, obwohl doch ein einziger Blick  genügt hätte. Wieder ein Grund mehr, den klassischen Journalismus abzuschaffen? Ja, wenn die sozialen Netzwerke gewarnt hätten, wenn der Flashmob-Aufstand gegen die Paradepläne Busladungen von Protestieren zur Gegenparade aufgerüttelt hätte, möchte man dies wohl glauben.

Übrigens halten sich auch die Sommerlöcher nicht mehr an den Zeitplan. Der seltsame Gedanke, Chipkarten für Hartz-IV-Kinder und -Jugendliche auszugeben, die zur Freude der Industrie nach Lesegeräten in Schulen, Kindergärten und Sportvereinen rufen, ist so ein Thema. Wer sich über den Vorschlag grün ärgert, verkennt den sommerlichen Unsinn, der da verzapft wird. Damit sich das Gesamtsystem mit eigenen Hartzkarten für die Empfänger von Arbeitslosengeld II und Sozialgeld rechnet, müssten mindestens 10 statt 6 Millionen Teilnehmer da sein. Mein Vorschlag: Peter-Hartz-Gedächtnismünzen, die nicht beim Akohol- und Nikotinkauf anerkannt werden und in Eroscentern zu lachen anfangen.

Damit sind wir bei der letzten Runde unseres kleinen Sommerrätsels, in der die Hälfte der Fragen gelöst wurden und hopplahopp die Frage Nummer 2 sogar zwei gültige Lösungen hatte. Mit Gedächtnismünzen geht es stracks zur Lösung von Frage 1. Denn der schlanke Bundesadler, über den sich der Graveur Heinz Hoyer diebisch freut, prangt auf der Gedächtnismünze für Konrad Zuse.

Frage 2 beruhte auf einer Bilderstrecke und einem Missveständnis. Denn was diese Bundesverdienstkreuze anbelangt, die Bundestrainer bekommen, so ist die Open Source-Szene "gut aufgestellt", wie das neudeutsch heißt: Matthias Ettrich UND Georg Greve sind die Trainer der freien Sourcen, die beide in einer Klickstrecke versammelt sind. Weitere können folgen, man denke nur an Marco Borries, der vor 10 Jahren "sein" StarOffice unter die GPL stellte.

Frage 3 verwies auf Google, wo Gedankenpolizist als Thought Police übersetzt zur Lösung führen sollte. Ein gewisser klammheimlicher Stolz macht sich breit, wenn über das Datenbanksystem AQUAINT zu lesen ist, dass es wie HAL werden soll, und dazu noch ein besserer HAL als jener HAL 9000, von dem sicher der Name Hal Faber ableitet. Eigens darum wurde gerade ordentlich in Recorded Future investiert.

Frage 4 suchte einen Satz von Eric Schmidt. Er lautet: "By 21, it should be acceptable to change your name and start it all over." Schmidt war gefragt worden, wie er sich denn fühlen würde, wenn seine Jugendsünden und Partybilder im Internet stehen würden. Ein interessantes Konzept, der Neuanfang mit 21 Jahren.

Frage 5 suchte einen roten Knopf. Doch kein Leser, keine Leserin erinnerte sich an die Zeiten, in denen Computer rote Knöpfe, auch Reset-Knöpfe besaßen, mit denen sie zum Neustart gekitzelt werden konnten. Genau so ein Knopf als Notschalter im Browser ist eine Erfindung von Klaus Jansen vom Bund deutscher Kriminalbeamter. Womit nicht gesagt ist, dass dieser Schalter eine wirksame Maßnahme sein kann. Im Zweifelsfall gibt es bekanntlich noch den ganz großen Knopf.

Frage 6 suchte den Betrüger der hinter dem Pseudonym Michael Fenne, der mit der Pseudofirma Pixelon die größte Startup-Party aller Zeiten schmiss, mit Cindy Margolis, den Dixie Chicks, mit Kiss und mit The Who, die den Vegas Job ungerührt vermarkteten. Michael Fenne wurde als der Aktienbetrüger David Kim Stanley entlarvt, gegen den unser Kimble ein Fingerhütle ist.

Wenn man aus "Meine Welt" das englische Myworld formt und dies mit den bizarren Nachrichten von der Karstadt-Insolvenz kombiniert, wäre Ragnar Nilsson als Erfinder der Myworld die Lösung von Frage 7 gewesen. Dem Spitzen-Manager gelangen eine Reihe von denkwürdigen Flops, von Myworld bis Ignition.

Dass Bazon Brock kein Flop ist, sondern ein wichtiger Theoretiker der neuronalen Ästhetik wird niemand bestreiten. Im Bilderrätsel von Frage 8 wurde Brock überraschend schnell gefunden, wie er einen Flop erklärt, den "Anniversary Mac" im Jahre 1997. Brock präsentierte das teure Design-Stück von Apple zusammen mit einem hässlichen Konferenzstuhl, einem noch hässlicheren PC und einem preisgekrönten schlichten Entwurf aus dem Biedermeier. Es half nichts, die Jubiläums-Maschine floppte, vor allem, weil sie viel zu teuer war.

Das Geburtstagskind Steve Wozniak von Frage 9 wird hier im Ticker sicher noch gefeiert, wenn er seine Geschenke zum 60. auspackt und vielleicht mit der Tänzerin Karina Smirnoff die eine oder andere Runde dreht, so geht es schnell zur Frage 10, die in einer Rekursion nach einem Menschen fragte, von dem das Geburtstagskind profitierte. Gesucht wurde nach Bill Mensch, der die Prozessoren konstruierte, um die Steve Wozniak seine Computer konstruierte.

Das Sommerrästel meldet sich im Jahre 2011 wieder und startet, eh der Chaos Computer Club zum Grillen unter freien Himmeln einlädt. Dann fliegen sie weg, die zur besten Engelzeit als Freunde kommen wollen, mit einer kleinen Rakete zum Mutterschiff und von dort zum blauen Planeten Wikileaks.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 08 August, 2010, 02:51
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Zugegeben, das hat eine innere Logik: Während die amerikanischen Militärstrategen im Pentagon Wikileaks anklagen, weil auch die Taliban die Dokumente lesen können, verbieten sie ihren Soldaten, Wikileaks anzusurfen. Selten hat sich das Konzept der Informationsüberlegenheit im Network Centric Warfare so gründlich selbst demontiert. Auf gut Deutsch: Im IT-Informationsraum sieht die NetOpFü auf einmal alt aus, wenn keine Informationsüberlegenheit mehr da ist. Da greift man lieber zur direkten Propaganda, die die Menschen an der Nase herumführt. Auf Wikileaks folgt Bibi Aisha, mit entsetzlichen Bildern. Die nüchterne Analyse der von Wikileaks veröffentlichten Dokumente wird verdrängt und bis zum nächsten Toten, wenn wieder einmal die Internet-Verbindungen gesperrt werden, bis die Angehörigen benachrichtigt sind, wird Afghanistan zum "rätselhaften" Land. Irgendwann ist es wie mit dem Irak, ein rundum verpatztes Abenteuer. Und unsere NetOpFü? Aus einer scheinbar endlosen Menge Daten entsteht Transformation. Und die heißt Guttenberg/2.

*** Es gibt eine Informationsüberlegenheit, die man besser Desinformation nennen könnte, oder, um es noch deutlicher zu sagen, Lüge. Bereits in der Auflösung des letzten Sommerrätsels findet sich die wunderbare Geschichte aus dem Sommerloch mit dem Vorschlag von Ministerin von der Leyen, eine Chipkarte für Hartz-IV-Kinder und -Jugendliche einzuführen. Dabei verwies die Politikerin auf Schweden. Der Server-Heimat von Wikileaks verdanken wir viele verwunderliche Dinge, vom Elchtest bis zur Gardinentechnik. Nur diese coole Karte scheint aus der Saga von Odin, Thor und Baldr zu stammen. Hej, vielleicht liegt eine träumerische Verwechslung mit der Kundenkarte eines schwedischen Möbelhauses vor, bei dem man die Kinder so praktisch weggeben kann. Sie wandern dann direkt in ein Spielparadies, während die Erwachsenen durch die Möbelhölle müssen. Und der Engel der Entrechteten hält schützend seine Hände auf. Aufwachen, Frau von der Leyen!

*** Etwas Gebimmel könnte auch Frau Leutheusser-Schnarreberger gebrauchen, die nach Ansicht der Gewerkschaft der Polizei schwer von Beruhigungspillen abhängig ist, die ihr eine schlanke Fessel gemacht haben. Es gehört zu den flüssigen Momenten deutscher Politik, dass eine liberale Parteigängerin die elektronische Fußfessel befürwortet, deren Auswirkungen abseits eines immer wieder verlängerten Modellprojekts in Hessen nicht geklärt sind. Die Fußfessel wird derart einfach zu einem schlichten Rettungsring in der "Debatte" um die Sicherheitsverwahrung umfunktioniert, dass Beobachter der Debatte sich Fußschellen für Politiker wünschen, an denen ihre Smartphones angeschmiedet sind. Denn der eilfertige Wechsel der Perspektive könnte gründlicher nicht sein: Aus einem Prüf-System, das die Integration eines Veurteilten erleichtern soll und ihm das Training des bürgerlichen Normalzustandes abverlangt, wird eine Dauerüberwachungsanlage, die besonders menschlich sein soll. Kleine Prognose: Wenn diese Maßnahme bei den "Altfällen" der Sicherheitsverwahrung verwirklicht ist, kommen die gefährlichen Ausländer dran. Welche Panikattacken durch das Ding an mir ausgelöst werden können, hat später niemand niemals nicht gewusst, echt jetzt.

*** Mit einem Was wirklich war endete ein daneben gesetztes Sommerrätsel, das von den Ereignissen um die Loveparade kassiert wurde. Während das unendliche Geschachere um die Verantwortung weitergeht, ist eine interessante Variante unter dem Titel Was wirklich geschah erschienen. Sie beleuchtet das Rätsel, warum ausgerechnet die Piratenpartei bei einem IT-Ansatz wie Liquid Democracy bei Liquid Feedback die Notbremse zieht. Nun steht technische Arbeit gegen politisches Feingefühl. Und, wie sieht das aus? In den Computernotizen finden wir ein Exzerpt der Antwort: 1.) Bei Wikileaks sind die Helden und wir unterstützen sie. 2.) Bei uns gibt es fiese Charakterschweine, die verwarnt werde müssen, wenn sie leaken. So kentert ein Kahn, der für die große Fahrt gedacht war. Aus der Frühgeschichte der deutschen Sozialdemokratie hat Cora Stephan einen schönen Satz überliefert: "Genossen, wir dürfen uns nicht von der Geduld hinreißen lassen!" Geschichte wiederholt sich, manchmal als leckere Farce, manchmal als Klonfeischfüllung. Damit sind wir noch nicht am Ende: Erst wenn der letzte Rest Hähnchenfleich für KFC ohne jede Qual in der Petrischale erzeugt wird, ist die Welt wieder in Ordnung.

*** Ich habe schon einmal über den HP-Way geschrieben, mit dem Hewlett Packard jahrzehntelang der beliebteste Arbeitgeber der IT-Branche war. Das war, als Carly Fiorina bei HP begann, die Mitarbeiter im großen Stil rauszuwerfen. Nun muss Mark Hurd gehen. Wer das immer wieder aufregende Heise-Forum liest, bekommt den Hauch einer Ahnung. Denn was die offiziellen Aussagen angeht, so hat es eher den Eindruck, als sei der Chef über einen Blumenkübel gestolpert: Da gibt es eine weibliche Person, die jegliche sexuelle Beziehung oder Affäre dementiert, dennoch soll es eine sexuelle Belästigung gegeben haben, die offenbar in einer vertuschten Abrechnung gewisser Reisekosten kulminierte. Das Ganze kollidierte "unter ungeklärten Umständen" mit der Firmen-Etikette (PDF-Datei). Die Börse honorierte diesen Unsinn mit einem Einbruch von annähernd 10 Milliarden. Wahrscheinlicher ist, dass Hurd sich mit der Übernahme von Palm verfahren hatte, weil er bei EDS die Landkarte verlor. Hurds Nachfolger dürfte das ehemalige Wunderkind Marc Andreesen werden, der mitsamt seiner Opsware von HP eingekauft wurde.

Was wird.

Glückliches Deutschland! Der elektronische Personalausweis kommt im November und alles wird gut. Mit deutscher Pünkltichkeit ist die Personalausweis-Gebührenverordnung erschienen und klärt uns auf, dass das Vergessen der PIN schlappe 6 Euro kostet, wenn nach dreimaliger falscher Eingabe die Sperre erfolgte. Mit seinem Datenchip und seinen Internet-Funktionen ist dieser Ausweis ein 28,80 Euro teurer Leuchtturm deutscher Technik und muss entsprechend behandelt werden, so will es das Personalausweisgesetz: "Der Personalausweisinhaber soll durch technische und organisatorische Maßnahmen gewährleisten, dass der elektronische Identitätsnachweis gemäß § 18 nur in einer Umgebung eingesetzt wird, die nach dem jeweiligen Stand der Technik als sicher anzusehen ist. Dabei soll er insbesondere solche technischen Systeme und Bestandteile einsetzen, die vom Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik als für diesen Einsatzzweck sicher bewertet werden." Wehe, wenn die Bestandteile eines Computers nicht den Richtlinien des BSI entsprechen und einen Virus beherbergen. Dann wird der Inhaber zum Ausweisverschmutzer und ein Bußgeld wird fällig, ein De-Knöllchen. So ein Bußgeld wird auch fällig, wenn eine andere Person als der Ausweisinhaber den Ausweis hat oder benutzt: Sichere Zeiten brechen an, im Internet und nebenan.

Unglückliches London! Stimmen die aktuellen Veröffentlichungen zum Sicherheitskonzept der olympischen Spiele 2012, so wird das Gefahrenlevel für die Zeit der Spiele auf die zweithöchste Stufe geschraubt, werden sämtliche Flaschen und Flüssigkeitsbehälter im Großraum untersagt, weil sie explosiv sein können. Weil im Jahre 2005 ein Tag nach dem Zuschlag der Spiele in London Bomben explodierten, sieht man sich als direktes Ziel von Al-Quaida. Ab 2011 wird die ungemein informative Videoüberwachung verstärkt, später werden die sympathischen Nacktscanner Streife gehen. Die Informationsüberlegenheit kann gar nicht früh genug einsetzen. Glückliches Britannien! "Britische Konzerne füllen die Kassen der Olympia-Macher", schreibt das Handelsblatt hinter seiner Paywall, und alle hoffen, dass der Rubel rollt. Welche glückliche Zeiten stehen also München bevor, wenn die Olympiabewerbung funzt. Jubeln wir mit über nicht genehmigten Autoaufkleber für Olympia, die nur auf Fahrzeugen des Sponsors BMW kleben dürfen – oder freuen uns über Nolympia, das Wikileaks der Sportbegeisterten. Ja, noch stecken Nachrichten wie Wochenschau im Sommerloch, mit kleinen Tupfern, wie die Krise abgewettert wird. Krise, welche Krise?

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 15 August, 2010, 00:09
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Machen wir uns nichts vor: "All your base are belong to us!" Als Google im Jahre 2009 seinen Namen mit einer Untertasse verzierte, die ein o schluckt und Gogle hinterlässt, war dies mitnichten ein Hinweis auf das Jubiläum von Zero Wing. Nein, dieses Godzillagram war eine Nachricht von den Aliens an die Mit-Aliens in aller Welt, dass die Übernahme von Google geklappt hat. Seitdem sind dort nur noch Replikanten am Werk, die geschickt menschliche Zombies steuern, die ihrerseits mit Opeln (!) durch Deutschland fahren und Häuser filmen. Mit Restmenschen, die dagegen aufmucken, geht Google gar nicht zimperlich um: Ihnen werden die Gemüter gespalten und so laufen sie dann rum und verkünden mit ihrer gespaltenen Persönlichkeit, wie grundübel Google ist – mit vollem Namen vor dem trauten Heim fotografiert und im Zentralblatt der Bliens gedruckt. Irgendwo in der Welt lachen ein paar Nerds und singen ein gar seltsames Liedlein aus des Deutschen Poesiekästleins:

Komm lass dich nicht erweichen,
bleib hart an deinem Kern,
rutsch nicht in ihre Weichen,
treib dich nicht selbst dir fern.

Unter dem Pflaster
ja da liegt der Strand.
Komm reiß auch du
ein paar Steine aus dem Sand.

*** Im Bett zart, gegen Aliens hart, die nichts vom Strand wissen wollen, sondern nur von den Fassaden. Dabei braucht es den Strand mehr denn je, das weiß der deutsche Strandminister Jürgen Drews, der trällert, wo andere Politiker "handeln". Es braucht einen Strand, an den die Wellen besonders hoch schlagen. Wer die Statements dieser besonderen Alien-Art namens Politiker addiert, wird schnell zu dem Ergebniss gelangen, dass Berlin dank Street View bald wieder aussieht wie nach dem II. Weltkrieg, durch und durch geschwärzt dank vieler Wohnungen und dieser Sondersicherheitszonen, die beachtet werden müssen. Waschechte 2.0-Berliner (noch eine andere Sorte Aliens) legen bereits Widersprüche gegen Widersprüche ein und waschechte Rechtsanwälte freuen sich über eine ganz neue Sorte von Prozessen, wenn widersprechende Nachbarn einander das Menschenrecht auf Verpixelung der Häuser nehmen. Und Berlin bleibt auf der Stecke. Wie schrieb schon ein Vorfahr von Don Alphonso:
"Das Ende aller Poesie ist dieses grauenvolle Häusermeer. Wer nicht die Mittel hat, wenigstens ein Drittel des Jahres fern von dieser kalten Welt in irgend einem Waldwinkel oder Seebade sich aufzuhalten, dem versiegt alsbald der heilige Quell, sein Herz wird leer und roh wie diese Steinkolosse, diese ungeheueren, schwirrenden Geschäftsräder, er geht unter an Leib und Seele."

*** Da haben wir es in der norddeutschen Tiefebene einfach besser. Hyperboräische Weiten! Da mag die Kamera über dem Opel kreisen und knippsen, wie sie will, der freie Ausblick ist ihr sicher und Seebäder gibt es auch. Ab und an dürfte eine dieser 400 neuen 40.000er-Flügelstelle den Blick versperren, mit denen ein Schlachthof in Wietze gefüttert wird, der 130 Millionen "Hühner" im Jahr herstellen will. Aber das geschieht mit dem Segen unserer Mastputenbrüterexpertin, die derzeit ihre Kritik bebrütet. Vom Protest gegen die Aliens von Google, der einem Bericht zufolge "aus der norddeutschen Tiefebene mittlerweile quer durch die Republik schwappt" (PDF-Datei), ist hier wenig zu sehen. Was bei uns schwappt, ist die Jauche, die sich nach der Getreideernte auf die Stoppelfelder ergießt. Auch dafür gibt es ein gar poetisches Liedlein, von einem Medienrechtler (!) namens Robert Poerschke zum Stoppelmarkt gedichtet:

Seit meiner Jugend lieb ich sie
diese Stadt voll Energie
Erste Liebe, erstes Bier
mein ganzes Leben leb ich hier!

*** Es gibt Momente, da wünscht man sich einen Rutsch in die Weichteile und Lena zurück. Aber sie gehen vorüber. Ganz anders ist das mit den Verschwörungstheorien, die erklären, dass die Aliens die Sache mit Street View forcieren, um von der viel wichtigeren Debatte über die Netzneutralität abzulenken. Gestartet wurde die Debatte in Deutschland von den magentafarbigen T-Aliens, die bei jeder Gelegenheit der Kanzlerin die Breitbandinitiative vorstellen, um sie anschließend schnell wieder in den Giftschrank marktschädigender Gedanken einzuschließen. In dieser Woche wurde die Debatte in einer Weise aufgenommen, die man am besten so zusammenfasst. Oder, wenn ein paar klärende Gedanken gesucht werden, so findet man sie beim Isotopp oder selbst beim begnadeten Verschwörungstheoretiker Felix von Leitung.

*** Das wirklich Faszinierende an Verschwörungstheorien ist die Tatsache, dass sie funktionieren. Man muss nicht an Aliens glauben oder an kleine grüne Männchen, es geht auch ganz ohne, mit einer einfachen Presseerklärung von Boeing Network & Space Systems, einer der wichtigsten Software-Lieferanten für das Schattenministerium der Homeland Security. Wer danach noch Narus benutzt, hat einfach selber schuld. Ähnlich sieht es beim Hoflieferanten der National Security Agency aus, die ebenfalls einen satten Auftrag bekannt geben kann, nachdem sie Reveal Imaging übernehmen durfte, das nun als "Homeland Security Team" fungiert. Hier herrscht bei uns ein gewisser Nachholbedarf, doch die Geschichte mit der österreichischen Firma EAS Envimet zeigt, dass wir aufholen. Hinter dem Laden, der in Hamburg allerliebste Körperschmeichler liefern soll, steht L3 Communications, die unter anderem Streubomben herstellen. Und wo ich schon dabei bin: Dieser Konzern hat gerade den Drohnenhersteller Airborne Technologies gekauft, deren Geschäfte in Afghanistan prächtig laufen. Da hinten im Hindukusch wird unsere Freiheit sehr zerstreut verteidigt. Da sang mal jemand, der nur noch als Klingelton bekannt ist.

And he's fighting for Democracy,
He's fighting for the Reds,
He says it's for the peace of all.
He's the one who must decide,
Who's to live and who's to die,
And he never sees the writing on the wall.

*** Nun, an der Wand steht heutzutage nix. Der Feuerzauber des Menetekels ist längst digitalisiert und erscheint bei Wikileaks. Doch was wäre ein rechter Feuerzauber ohne seine Hohepriester. Wikileaks, einst angetreten, die Geheimisse der Mächtigen zu verkünden, hat seinen Kurs geändert und wird zur Late Night Show von Julian Assange. Da zählt nicht die Kritik von Menschenrechtlern; und die von Reporter ohne Grenzen wird damit gekontert, dass nur Journalisten beachtet werden, von denen ihre jeweiligen Geheimdienste eine Akte angelegt haben. Man könnte hier im Umkehrschluss folgern, wie das John Young von Cryptome macht: Wikileaks ist selbst ein Geheimdienst mit eigener Agenda. Von Wikileaks werden nur politisch genehme Themen besetzt, die mehrfach nachgefragten Dateien von Anat Kam fehlen. Am Ende steckt die Merkhav-Gruppe dahinter oder ein ähnlich seriöses Unternehmen. Julian Assange ist jedenfalls auf seinem Weg als Medienstar vorangekommen und wird Journalist, in Schweden, was wiederum Wikileaks den Schwedenschutz aktivieren soll, derweil Schweden die Wehrpflicht abgeschafft hat. Unterdessen rollen die nächsten 15.000 Dokumente an, apart begleitet von einem Artikel in unserem Intelligenzblatt, der unter ausdrücklicher Berufung auf den durch die "Veröffentlichung diverser amerikanischer und ISAF-Dokumente in Gang gekommene[n] öffentlichen Diskurs über gezielte Tötungen" eben solche gezielte Tötungen als gerechtfertigt ansieht. Natürlich ist das nur eine Privatmeinung eines ranghohen Bundeswehr-Juristen, aber nun mal los, Leute. Feuer frei, mit besonderem Dank an Wikileaks für die Vorarbeit. Damit diese Nerds die Klappe halten, nennen wir es Project Guttenberg.

So mancher wollt so manches haben
Was es für manchen gar nicht gab:
Er wollt sich schlau ein Schlupfloch graben
Und grub sich nur ein frühes Grab.
Schon manchen sah ich sich abjagen
In Eil nach einer Ruhestatt -
Liegt er dann drin, mag er sich fragen
Warum's ihm so geeilet hat

Was wird.

Es kommt der Tag, da wird sich wenden
das Blatt für uns, er ist nicht fern ...

Selten so gelacht, Herr Brecht, Frau von großer Courage und Herr zu Guttenberg. Vielleicht wird es einen Tag geben, an dem zum Abzug die gebauten Schulen und gebohrten Brunnen aufgelistet werden. "Woher kommen die Chinesen in dem Scheiß?" soll wutentbrannt ein hoher Offizier unserer Armee nach der Lektüre von Wikileaks gebrüllt haben. Vielleicht besinnt sich Wikileaks und macht da weiter, wo es wirklich nötig ist, ganz ohne Ego-Trip.

Doch halt, noch sind wir im tiefsten Sommerloch. Die Menschen planschen im Freibad und gehen mitunter in's Kino, wo Inception läuft. Auch der große Misthaufen ist wieder da, ein Muss für jeden Kulturpessimisten. Die Kanzlerin pflückt immer noch Unkraut in ihrem Garten und kommt dabei auf neue Gedanken. Der Bildungs-Chip unserer Arbeitsministerin kommt nicht, wie noch im letzten WWWW vermutet, aus Schweden, sondern aus Stuttgart. Wo er bislang zum Bezahlen im Freibad eingesetzt wird, was seine eigene Logik hat. Oracle schlachtet Sun nach allen Regeln der Kunst aus und wirft die Knochen weg, wie weiland die Affen weitab vom schwarzen Quader.

Geht es überhaupt weiter? Wie kommt man eigentlich aus dem verdammten Sommerloch heraus? Irgendwo muss es doch einen geheimen Trampelpfad geben, der uns nach Duisburg wieder atmen lässt. Vielleicht reicht dazu das Motto von Ken Thompson, dem Unix-Miterfinder, der dereinst schlicht dozierte: "When in doubt, use brute force." Dort, wo die geliebte Tiefebene ins Meer plätschert, beginnt das kaum minder liebliche Schleswig-Holstein, das als erstes Bundesland die Ortsbindung der KFZ-Kennzeichen abgeschafft hat. Ein Verfahren, das sicher bald in ganz Deutschland zum Standard wird und doofe Witze wie OF = ohne Führerschein endlich abschafft. In KI wie in "künstliche Intelligenz" startet jedenfalls eine Sommerakademie die einen Codex Digitalis verabschieden will.

Diese kleine Wochenschau kann übrigens ab sofort auch ohne erster einself bewertet werden. Ich akzeptiere das nette Rating-System (http://www.tomscott.com/warnings/) von Idiot International. Salute, Barbaren.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 22 August, 2010, 02:16
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Unverpixelt scheint die Spätsommersonde auf die norddeutsche Tiefebene, diese Brutstätte von Mastputen und Wahnsinnsideen zum Bildungschip. In ihrem Sommerurlaub im schönen Burgdorf hat unsere Ministerin für Arbeit und Soziales eifrig Studien zum Einsatz der FamilienCard in Stuttgart gelesen, mit der 4,7 Millionen Euro Zuschüsse unter 55.000 Kindern verteilt werden. Was dort von allen Kindern genutzt werden kann, soll bundesweit 1,7 Millionen Kindern und Jugendlichen weiterhelfen. Anders als die neue hessische Familienkarte mit ihrem billigen Barcode sind die Bildungschips Geldkarten, deren Guthaben von handelsüblichen Lesegeräten ausgelesen werden. Mindestens 300.000 zusätzliche Geräte darf die IT-Branche liefern, wenn Geld für Nachhilfe, den Musikunterricht, das Schulessen und das Freibad über die Karte laufen soll. Damit der Bildungschip kein Unterschichtenchip wird oder als Asozialcard ausgrenzt, soll seine Einführung stufenweise ausgedehnt werden, auf alle Kinder, deren Eltern Kindergeld kassieren. Eine weitere Überlegung, die allerdings aus Berlin kommt: Vollends unsichtbar wäre die Stigmatisierung, wenn die elektronische Gesundheitskarte als Börse mitgenutzt wird. Ist es auch Wahnsinn, so hat er doch Methode: Neben staatlichen Hilfen, die nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts ab 2011 geleistet werden müssen, sollen Sponsorengelder auf die Karte fließen. Bildungsgerechtigkeit mit Markenbewusstsein verknüpfen, das darf als Leistung der künftigen Bundeskanzlerin von der Leyen gut geschrieben werden.

*** Ich lernte früh den Wert der Bildung kennen: In meiner Heimatstadt Hannover, deren Schönheiten ich jetzt außen vor lasse, wozu gibt es dieses wunderbare Street View von Google, das 2008 die ganze Schönheit erfasste, durfte ich ab der 9. Klasse Nachhilfe in Mathematik geben. Zuerst für Realschüler, dann für Gymnasiasten. In der Oberstufe mit dem Leistungskurs Mathematik war Nachhilfe meine wichtigste Einnahmequelle und führte direkt zu meinen Sommerjob, das Reparieren und Ausliefern von HP-Taschenrechnern: Bildung ist Kohle bar auf die Kralle. Damit ist es zu Ende, der Verband der Nachhilfeschulen jubelt in einer PDF-Datei genau wie der Verband deutscher Musikschulen, der vom Familienminsterium unterstützt wird. Mit der Chipkarte im Ranzen wird Nachhilfe vom zertifizierten Lehrer mit Lesegerät kommen, der das Geld aus dem Nachhilfe-Geldfach der Karte entnimmt. Anstelle des Jugendamtes kümmert sich ein "Familienlotse" von der Arbeitsagentur um Kind und Chip. Die Jobcenter der Agentur werden zur "Informationsdrehscheibe" mit neuen Datensammlungen beschäftigt, den "Bildungsprofilen". Außerdem sehen sie sich im Nachhinein in ihrer widerwärtigen Drangsalierungspraxis bestätigt: Der Bildungschip als Klassenschranke ist einfach große Klasse.

*** Geschlagene 18 Monate verhandelte Intel, ehe die Übernahme von McAfee in trockenen Tüchern war. Mit 7,7 Milliarden Dollar ist es der teuerste Aufkauf von Intel und ein neuer Kaufrekord für die Sicherheitsbranche. Wer will, kann den offiziellen Äußerungen folgen, nach denen durch Kombination von Hard- und Software ein besserer Schutz für Kundensysteme möglich wird. Wer länger auf die Branche guckt, wird sich amüsiert daran erinnern, dass Intel einstmals selbst Antivirus-Software unter dem Namen LANDesk entwickelte, die Firmen aber absplitterte, nachdem die Antivirus-Komponenten an Symantec verkauft wurden. Verschwörungstheoretiker kommen übrigens auch auf ihre Kosten und erinnern sich an den Intel-Ingenieur Tim May, den Verfasser des Cyphernomicon. Dies ist ein elend langer Text über den Skipjack-Algorithmus, der in die Clipper- und Capstone-Chips wandern sollte, und die Möglichkeit, elektronischen Widerstand gegen diese eingebaute Überwachung zu leisten. Für Intel markierte die Debatte um die Verschlüsselungschips der NSA eine herbe Niederlage, denn die Konkurrenz sollte die Aufträge bekommen. Dem Intel-Ingenieur May war es gestattet, sich an der Kampagne gegen die Chips zu beteiligen, die im Frühjahr 1993 ihren Höhepunkt erreichte. Denn auch Intel sah sich mit dem zu Skipjack gehörenden Gesetz konfrontiert: Zur Kryptografie geeignete Prozessoren sollten mit einem Law Enforcement Access Field (LEAF) ausgestattet werden. So kommt zusammen, was verschwörungstechnisch zusammen gehört: Das Hin und Her um McAfee und die Kooperation oder Nicht-Kooperation mit dem FBI und seinem Magic Lantern wird doch nicht vergessen sein?

*** Achja, die Erinnerungen. Sie verklären viel, erklären wenig. Wie war das noch beim Internet, als alles anfing und das längste Kapitel bei Ed Krol sich mit der Acceptable Use Policy des NSFnet befasste? Das Internet war ein recht freier Raum, der weltweiten Kontakt mit anderen Netzen dann gestattete, wenn der reziproke Zugriff auf Ressourcen anderer Netze gestattet war. Eindeutige Regeln verboten PR-Müll und Werbemüll im Netz: Damit waren auch die Inhalte von Zeitungen gemeint, im Unterschied zu wissenschaftlichen Beiträgen. Daran hielt sich auch strikt das WWW, als es am CERN in der Schweiz gestartet wurde. Nun kommt aus der Schweiz ein wüster Artikel, in dem so gut wie gar nichts stimmt. Seltsamerweise ist es die ehrbare Neue Zürcher Zeitung, die das Plädoyer eines Verlages für einen Zeitungsschutz druckt, der ein "Leistungsschutzrecht nach deutschem Vorbild" haben will. Mit keinem Wort wird erwähnt, dass es dieses Recht noch gar nicht gibt, sondern von Leuten mit kleinem Verstand diskutiert wird. Der Text, der allen Ernstes auch eine staatlich geschützte Alternative zum iPad fordert, beginnt so: "Genau erinnert sich keiner mehr, wann und warum das Internet zum rechtsfreien Raum wurde. Es mag mit der Vervielfältigung von Computerprogrammen und den Musiktauschbörsen begonnen haben oder mit den ersten Manuskripten von noch nicht publizierten Büchern, welche die elektronische Runde machten und gratis gelesen werden konnten." Nein, Herr Neininger, die Sache begann mit wissenschaftlichen Texten, die gelesen und diskutiert werden konnten, um später in gelehrten Büchern zu enden – das alles stand auch nicht "plötzlich weltweit zur Verfügung", sondern entwickelte sich nicht eben schnell, wie ein Blick zu den Nachbarn zeigen kann.

*** Noch gibt es kein Leistungsschutzrecht. Es gibt eine Forderung von Verlegern, die von blasierten Gewerkschaftsfunktionären der Journalisten vertreten wird, die eh nur darum besorgt sind, dass Journalismus in Deutschland eine ungeschützte Berufsbezeichnung ist und nicht durch Schrifttumskammmern geschützt werden darf. Aber das soll ja mit dem Leistungsschutzrecht "vertraglich gelöst" werden. Und es gibt die FDP, die Partei mit schmiegsamen Ansichten, die das Leistungsschutzrecht unter ihre Geld- und Steuer-Fetische genommen hat. Es müsste natürlich Fittiche heißen, aber hey, das ist ein "Snippet", definiert als Textauszug, der die Lektüre eines ganzen Textes (hier des FDP-Parteigrammes) überflüssig macht. Inzwischen ist der Unsinn in Amerika angekommen und produziert neuen hanebüchenen Unsinn wie den, eine Karenzzeit von 24 Stunden für Nachrichten einzuführen, die Aggregatoren wie Google und Bing einhalten müssen.

Was wird.

Noch ist Sommer, wie die Loch-Debatte um das schlimme Street View und das böse Google zeigt. Auch ich finde es ganz schwer furchtbar, wie Google unseren blauen Planeten verschandelt und habe einen Antrag auf Verpixelung der Erde gestellt. Derweil hat Google reagiert und Like.com gekauft, niedlich umschrieben als Software für "Überkreuzvergleiche von Kleidungsstücken". Früher unter dem Namen Riya bekannt, war dies eine Bildersuchmaschine mit der Möglichkeit zur Gesichtserkennung. Freuen wir uns auf den bald kommenden Tag, wenn unsere Verbraucherschutzministerin die neue Google-Technik bei Booble ausprobiert. Eine völlig neue Welle von Verpixelungswünschen ist im Anmarsch.

Anmarsch, Anmarsch, da war doch was? Genau: Die Vorbereitungen für die vierte Demonstration Freiheit statt Angst laufen auf Hochtouren. Unter den Augen vieler Überwachungskameras gehen die Anti-StreetView-Aktivisten auf die Straße und demonstrieren für das Recht am lebenden Pixel. Passend dazu gibt es ein Versprechen, weil die Veranstalter der "Großdemonstration" ziemlich klamm sind. Mein Vorschlag: Einfach die Global Rainmakers mit ihrem Iris-Hoax in Berlin auftreten lassen, auf den selbst kritische Journalisten hereinfallen.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 29 August, 2010, 00:08
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Und wenn die Leute fragen,
lebt der Hecker noch?
Dann sollt ihr ihnen sagen,
ja, er lebet noch.

Er hängt an keinem Baume,
er hängt an keinem Strick,
sondern an dem Traume der freien Republik.

Man sagt ja, und das nicht erst seit 1848, den Badenern eher einen rebellischen Charakter nach als ihren schwäbischen Nachbarn, die sparsam und zufrieden als recht obrigkeitshörig gelten. Doch wenn es denn die Obrigkeit zu weit treibt, dann wird es auch den Schwaben zu bunt. Und dann guckt diese Obrigkeit recht dämlich aus der Wäsche und versteigt sich zu Unsinnigkeiten, die die Schwaben erst recht bis aufs Blut reizen. Wenn Kommunikationslücken von radikalisierten Mengen genutzt werden, dann mag mancher aus der Obrigkeit schon "die Grenzen des demokratischen Protests überschritten" sehen. Andere sehen dagegen gerade in solchen Sprüchen die Grenzen überschritten. Dabei geht es nur um etwas, was in einer Demokratie normal sein sollte: Dass die Bürger jederzeit ihre Unzufriedenheit mit der Obrigkeit artikulieren können – bis dahin, eben diese Obrigkeit zum Teufel zu jagen. Da sehe sich die Obrigkeit doch vor – und begreife, dass sie dem Bürger dient und nicht der Bürger der Obrigkeit. Sonst könnten sich die Schwaben an die zweite Strophe des Heckerlieds erinnern, was sich dann doch niemand wünscht, auch nicht die entschiedensten Gegner der gegenwärtigen Obrigkeit.

*** Abseits aller leicht historischen Exkurse zu aktuellen Aufregungen aber sollte eigentlich an dieser Stelle eine kleine Lästerei vom Rande der norddeutschen Tiefebene stehen, ein Gruß aus der Post-Oil-City Hannover, die Stadt der Roten Punkte, in der die Bürger im Farbrausch ihren Beton verzieren, bis das Ihme-Zentrum wie eine große Nana aussieht. Die Stadt, in der Druckertinte von Kennern geschlürft wird, der Nabel der IT, jedenfalls, was getwitterte Verlinkungen anbelangt. Doch aus besonderem Anlass muss Hannover heute Hamburg den Vortritt lassen, wenn auch nur für *einen* Satz aus einem Brandbrief kritischer Polizisten, zur geistigen Situation der Zeit:

Wenn es weder zu Nachdenklichkeit, zu Einsicht noch zu Selbstkritik – geschweige denn zu Änderungsbereitschaft – führt, wenn oberste Gerichte Entscheidungen und Handlungen der Behördenleitung und Polizeiführung mehrfach als verfassungswidrig bezeichnen (Videoüberwachung, Online-Durchsuchung, Kennzeichenlesegerät, Laufbahnverlaufsmodell) in Fortsetzung Schillscher Tradition mit einer Gewerkschaft und einem Berufsverband ein Kartell des Schweigens über Probleme der inneren Sicherheit und die Verfasstheit der Polizei besteht, in panischer Angst vor kritischer Berichterstattung der Medien kein Problem und kein Missstand intern mehr diskutiert wird und z.B. schwierige Großeinsätze aus dieser Angst heraus nicht mehr selbstkritisch nachbearbeitet werden, von Schill über Nagel bis Ahlhaus fragwürdige Machtkonzentration betrieben wird, die jede Form der kooperativen Führung zwar noch lehren lässt, sich aber nicht schämt, sie in der Polizei mit Füßen zu treten und Mitarbeiter und mittlere Vorgesetzte als widerspruchslose Befehlempfänger herabzuwürdigen, Amts- und Behördenleitung sich mehr Gedanken über die Beschaffung von Pferden, als über die Zukunftsfähigkeit der Polizei machen und nicht davor zurückschrecken, die Öffentlichkeit über die Kosten und die tatsächliche Nutzungsmöglichkeiten der Reiterstaffel zu täuschen, zu Zwecken der persönlichen Denkmalpflege ein Kriminalmuseum eingerichtet und ausgestattet werden soll, das haushaltsrechtlich fraglich ist und mit den Sparzwängen im Haushalt nicht vereinbar ist, die Koalition die im Koalitionsvertrag vorgesehene Überprüfung der Schillschen/Nagelschen Organisationstrukturen dem parteipolitischen Machtgeschacher opfert, eine Regierungspartei die Polizei als ihr Eigentum betrachtet und behandelt und die andere Partei zwar über aber nicht mit der Polizei redet und im Übrigen keinen Anspruch auf Mitgestaltung erhebt, dann besteht Anlass zur Sorge um die Zukunftsfähigkeit der Polizei Hamburg, die Qualität der polizeilichen Arbeit und vor allem um die demokratische Werthaltung der Polizisten.

Abgesehen von der Reiterstaffel, die man andernorts durch eine Suchhamstertruppe ersetzen kann, drückt der Brandbrief eine Situation aus, die nicht nur bei der Polizei anzutreffen ist. Landauf, landab wird Teamwork und vernetztes Denken gefordert, wird vom lebenslangen Lernen geschwärmt und der flexible Mensch gepredigt, doch wenn es ans Herrschen geht, dann wird Demokratie so klein geschrieben, dass sie in einer Hamsterbacke Platz hat. Stattdessen hagelt es technokratische Lösungen wie Videoüberwachungen und Online-Durchsuchungen oder wie den Bildungschip und die mit ihm kommende ungeheure Kommerzialisierung des Nachhilfemarktes und anderer Dinge, die mit ihm abgerechnet werden. Das ist dann Deutschland, in dem von den Armen jedes Detail bekannt ist und man über die Reichen nur Vermutungen anstellen kann: Ein Land guckt weg.

*** Deutschland, das Land der Dichter und Denker und der Bild-Zeitungsleser schafft sich selbst ab. Diese Behauptung stammt nicht von der Bertelsmann-Chefin Liz Mohn, sondern vom Borderline-Rassisten Thilo Sarrazin, der eine Kampfschrift im Bertelsmann-Imperium veröffentlicht hat. Sarrazin ist ein Bundesbank-Vorstand und ein SPD-Mitglied, gestützt wird seine Sülze jedoch von Bild-Zeitung und Roland Koch: Deutschland wird immer dümmer. Denn Deutschland merkt nicht, wie Sarrazin die Suppe von Hans Eysenck aufkocht und sein Traktakt mit dem Rassismus von William Shockley anreichert, dem die IT sonst viel verdankt. Man ersetze nur die Schwarzen durch die Türken, dann hat man den ganzen Sarrazin und die Fäulnis. Ein paar modische Verdrehungen und Fälschungen wie die von den kinderlosen Akademikerinnen und fertig ist der Westentaschen-Wilders. Bemerkenswert, dass neben Bild und Koch einzig der "Focus" dem Scharfmacher die Ehrenstange hält. Dann wäre da noch das "ehemalige Politikmagazin", der "Spiegel", der allen Ernstes von einem Meinungsbeitrag Sarrazins spricht. Hamburger Machtgeschacher, ganz ohne Polizei. Gegen das volksverhetzende nationalistische Machwerk eines Besessenen hilft die Losung Freiheit statt Angstmacherei in jenem Berlin, das Sarrazin finanzsanierte.

*** Auch das ist Deutschland, ein Land, in dem multiethnische Kinder abgestraft werden und die Botschaft von Gerichts wegen lautet, dass HIV-Positive Schuld sind, basta. Dass alle Sorge tragen müssen, wird verdrängt, die Kondomkampagne Machs mit wird verhöhnt, wenn nur den HIV-Positiven die Schuld aufgeladen wird. Vor diesem Hintergrund geht der Blick nach Schweden, wo seit einer Woche über einen promiskuitiven Prominenten diskutiert wird, der sich der Verantwortung entzogen hat. Im Geflecht der Mutmaßungen und Teilwahrheiten über den Wikileaks-Sprecher Julian Assange spielt die Frage nach einem HIV-Test Assanges bald eine wichtige Rolle. Es entbehrt nicht der Ironie, dass jemand, der für Wikileaks den Kopf hinhalten soll und auf Verhaftungen vorbereitet ist, mit dem Schwanz an seine Grenzen stieß. So trübt sich die heile Welt der Whistleblower-Bewunderer, die sich über Wikileaks Daily informieren. Derweil zeichnet sich ab, dass Wikileaks mit seinem zweiten Sprecher eine gemässigte Variante der Öffentlichkeitsarbeit praktiziert, bei der die Kritiker nicht pauschal als Idioten verunglimpft werden. Denn zu den beängstigenden Vorstellungen von Wikileaks gehörte die Präsentation der Afghanistan-Dateien mit einem Assange, der wirkte, als sei er nicht mit den veröffentlichten Daten vertraut.

*** Huch, ausgerechnet Tobias Huch, ein deutscher Unternehmer für "instinktorientierte Internet-Angebote", hat eine Datenpanne bei der Drogeriekette Schlecker aufgedeckt. 150.000 Datensätze von Online-Kunden und 7,1 Millionen Mail-Adressen will Huch im Zugriff gehabt haben. Der Fall hat Aufsehen erregt, ohne dass die Öffentlichkeit groß darüber diskutiert, welche Daten da womöglich abgegriffen wurden: Zu Schlecker gehört die niederländische Versandapotheke Vitalsana, für die es in Schlecker-Läden ein Pick-Up-System gibt. Begleitet wird das Angebot von einem ominösen Massenmailer der "Stehkraft Hilfe", die Medikamente bewirbt, die unter dem Kondom für die richtige Härte sorgen. Wer immer neben Huch und seinen instinktorientierten Kunden Interesse an den Schlecker-Daten hatte, wird diese nutzen, um den ganzen Viagra- und Cialis-Spam auf neue Höhen zu schrauben. Wobei zum richtigen Mast eigentlich auch der Fahnenflaggen-Spam gehört – und so passt die Meldung aus Kanada in diese kleine Wochenschau, dass der höchste Mast in Nordamerika von Pfizer und Eli Lilly gesponsert werden soll. Tja, was sind dagegen schon die 8 Supermasten in unserer norddeutschen Tiefebene bei Saterland?

Was wird.

Instinktorientiert schweift der Blick in die Zukunft. Mehr Regen, mehr Reparaturen, so sieht es aus. "Repair – sind wir noch zu retten?" lautet das endlich zeitgemäße Motto der kommenden Ars Electronica, komplett mit Rettungsring. Die einfache Antwort lautet "Nein", denn auf lange Sicht stirbt der Mensch aus und zwar nicht nur der Deutsche, wie Sarrazin befürchtet. Auch die reparierenden Österreicher erwischt es. Auf den Almen wird nicht mehr gejodelt und in den sozialen Netzwerken ist es still. Der letzte fruchtbare Samen ergießt sich in eine Schaumschwester, einer Spezies, die sich seit der Alma-Puppe von Kokoschka fortentwickelt hat, genau wie die Computer. Das hatte schon Vorteile, wie die prä-feministische Hedy Lamarr erkannte, als sie ihrem Liebhaber einen Puppen-Nachbau ihrer selbst schenkte, der immer zu Diensten war: Während ihr Mike sich mit der Hedy-Puppe vergnügte, konnte sie sich in Ruhe der Technik der Funkfernsteuerung und des Frequenzwechsels widmen. In ihrer Autobiographie beschrieb sie nüchtern, wie entspannend es sein kann, dem Manne beim Sex mit dem eigenen Ebenbild zuzusehen. Das Make-Up wird nicht ramponiert, ein echter Fortschritt. Sind wir also zu retten? Die komplizierte Antwort lautet "Ja". Wir basteln weiter, debuggen und reparieren unentwegt, trotz alledem. Wie wäre es mit einer stehkräftigen Windenergieanlage aus Ockhams Rasiermessern? Aber nur entspannt bleiben, es könnte auch Dir passieren.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 05 September, 2010, 00:09
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Deutschland ist wieder ein Stückchen dümmer geworden. So geht das schon Woche für Woche, weil ein sozialdemokratischer Bundesbanker aus der Lupe seines Schulrechenstabes eine Brille gebastelt hat, durch die er die Welt sieht und berechnet, das Ganze zum Lobe der naturwissenschaftlichen Intelligenz. 2030 wird Deutschland völlig verdummt sein, ohne dass das Internet daran Schuld ist, das sonst ja für jede Blödheit als Argument herhalten muss. Auch Google und seine Opel können nix dafür, dass Deutschland verblödet. 2030 wird offiziell verfügt werden, dass die Erde eine Scheibe ist und für andere Behauptungen eine Rundungssteuer gezahlt werden muss, zusätzlich zur Genausgleichsteuer, die aber nur von Negern zugunsten der darbenden deutschen Milchzuckerwirtschaft erhoben wird. Grundlegende genetische Zusammenhänge werden auf diese Weise ausgeglichen und füllen das Säcklein unseres Finanzministers. Vergessen wir dabei nicht die erweiterte Vergnügungssteuer, die neben der GEMA-Gebühr von Musikbands fällig wird, die fremdländisch singen, dabei Instrumente benutzend, die nicht im Vergnügungsgerätekatalog der Zollbeamten stehen.

*** Wenn Deutschland 2030 völlig verdummt sein wird, ergibt sich die Frage, wie es um die Intelligenz anno 2010 bestellt ist. Bedenkliche Zeichen der Verblödung sind unverkennbar: Heute diskutieren Menschen in Talkshows, ob es ein Basken-Gen gibt, dass die Menschen zum Ausliefern von Hinkelsteinen treibt und bei Männern schwarze Plattmützen mit Stummeln zur Folge hat. Der Pöbel diskutiert derweil in der Tageszeitung für klare Meinungen die Sache mit den Aschkenasen.

*** Auch im edelsten Teil Deutschland, dem demokratisch gewählten deutschen Parlament, finden sich Anzeichen dafür, dass der IQ sinkt: "Der Luftverkehrssteuer unterliegt ein Rechtsvorgang, der zum Abflug eines Fluggastes von einem inländischen Standort mit einem Flugzeug oder Drehflügler durch ein Luftverkehrsunternehmen zu einem Zielort berechtigt." Ausgenommen von der Steuer sind Bask^H^H^H Bundeswehrsoldaten, Kleinkinder und Inselbewohner, deren Insel keinen brückenartigen Zugang zu einem Festland besitzt, auf dem ein Hafen für Flugzeuge oder Drehflügler liegt. Aber hey, ein Lied kann eine Brücke sein.

*** Natürlich gehören Frachtflieger, Business-Jets, Militärtransporte und die Flugbereitschaft der Bundeswehr zu den Ausnahmen bei den Einnahmen im Namen des "Umweltschutzes", zu deren Kontrolle 140 neue Zollbeamte eingestellt werden. Eine Milliarde Euro Einnahmen wollen korrekt berechnet werden: Nach den Mautflüchtlingen müssen die Luftflüchtlinge verfolgt werden, die sich in der Huschebahn als Bahnfahrer tarnen oder von Nachbarländern aus zu Langstreckenflügen im Stehen starten.

*** Deutschland wird dümmer hat steuerlich gesehen eine glänzende Perspektive, weit über die neue Bettensteuer hinaus: Wenn Intelligenz ein knappes Gut wird, ist eine Intelligenzsteuer der nächste naheliegende Schritt, gestaffelt in eine Intelligenzentlastungssteuer nach der Sarrazin-Skala und eine Intelligenzzuschlag nach dem Sloterdijk-Pegel. Das Ganze hat auch praktische Konsequenzen: vollkommen verblödet wird niemand mehr nach dem Sinn etwa einer Steuer auf Digitalfotos nach dem Dateiverkehrsgesetz fragen und bei der Geschwindigkeit im Internet dürfte eine milde Breitbandabgabe das Herz von Minister Schäuble erfreuen. Es gibt so viele Möglichkeiten, das böse Wort von der Vermögenssteuer zu vermeiden, packen wir's an!

*** "Mehr Kinder von den Klugen, bevor es zu spät ist!" – und ein Bildungschip für die anderen? Das kann doch keine Lösung sein. Wie sich zeigt, besteht der vorbildliche Stuttgarter Bildungschip aus mehreren "Geldbörsen" und einem eigens entwickelten Lesegerät, dessen Hersteller bei insgesamt 250 eingesetzten Geräten nicht zufrieden ist und sich aus dem Geschäft zurückziehen will. Wie wunderbar passend kommt die Gelegenheit um die Ecke, mit einem bundesweiten Chip und dem einheitlichen Laden von Geldkarten für die Industrie wieder attraktiv zu werden. Kinder, welch eine Überraschung! Die Reichen und die Klugen können die Börsen fett auffüllen, und es fällt gar nicht auf, wieviel Geld für den Theatergang gespeichert ist: HighTech für die High Society!

*** Bei aller Aufregung um Thilos trotziges Traktat über die soziale Triage ist die Geschichte mit Street View leise weitergerollt. Dabei hat unser aller Innenminister extra für den heißen Herbst einen wunderschönen Internet-Beantwortungsdienst gestartet und ist ganz Ohr, bis zum 14. September. Die Fragen werden bewertet und die besten nimmt unser Minister zu einem Spitzengespräch mit, auf das ein Spitzenvideo mit dem Minister folgen wird. Der Dienst soll seit Tagen rege genutzt werden, auch wenn mir ein ignorantes Gästebuch laufend erzählt, dass keine Antworten vorhanden sind. Möglicherweise arbeitet man datenschutzbewusst nach BSI-Richtlinien an der ordentlichen Pseudonymisierung der Fragen.

Was wird.

Hinein geht es in eine volle Woche, an deren Ende ordentlich marschiert werden will: Die Großdemonstration Freiheit statt Angst wälzt sich durch Berlin auf der Suche nach der freien und offenen Gesellschaft, die uns im Namen einer angeblichen Sicherheit gründlich ausgetrieben wird. Die Bürgerrechtler wollen, dass die Bürger ordentlich Zoff machen und merken, was für ein Placebo diese Sicherheit per Vorratsdatenspeicherung ist. Im Umfeld zur Demo rufen Cyber-Aktivisten zu einer Aktion auf, die technisch eigentlich nicht möglich sein sollte: Die Online-Durchsuchung des Bundeskriminalamtes ist von einem ähnlichen Gedanken getragen wie das Zurückfotografieren auf Demonstrationen. Dass dabei die Server des BKA geknackt werden, glauben doch hoffentlich die Initiatoren der Aktion nicht selber, die nach eigenen Angaben IT-Fachleute sind. Aber bitte, es gibt auch Journalismus-Studenten, die die Lektüre von Spiegel Online für ausreichend halten.

Berlin, Berlin, wir fahren nach Berlin – das singen nicht nur die Demonstranten in den Bussen, sondern auch die europäischen Sicherheitsforscher, die auf der Future Security über den Einsatz von Scannern beraten, die Nacktheit symbolisch umrechnen. Darf es ein bisschen bonner sein? Auf dem Katastrophenschutzkongress in Bonn wird nicht nur über die Sicherheitsforschung in Deutschland diskutiert, sondern auch laufende Projekte wie eTriage vorgeführt, bei der Rettungssanitäter sich schnellstens zur elektronischen Gesundheitskarte von Verwundeten durcharbeiten.

Was uns zum Schluss der kleinen Wochenschau nach Mannheim verschlägt. Dort tagen die medizinischen Informatiker und beraten sich über die elektronische Gesundheitskarte und die Sicherheit der telematischen Infrastruktur. Das Sicherheitsgutachten über die Gesamtstruktur ist bei der Gematik abgegeben worden und listet ein "paar Mängel" auf, die angesichts der Größe des Projektes als "völlig normal" charakterisiert werden. Gebongt. Wir sind alles nur Menschen, mit kleinen Fehlern. Auch die Erde ist nicht vollkommen rund, ehe sie 2030 wieder zur Scheibe zurückerklärt wird, komplett mit dem Unsinn, dass ein Gott den Lichtschalter suchte. Bei Lichte besehen hat Stephen Hawking wohl recht, wenn er den Menschen in diesem winzig kleinen Teil des Kosmos zum Herren der Schöpfung ausruft. Denn er entdeckt, beschreibt und erklärt alle Naturgesetze, die in diesem Universum gelten.

Achja, am kommenden Entdeckertag singt die Jazzerin Joy Fleming "unter dem Schwanz" in Hannover. Von ihr stammen die tübischen Versatzstücke, die diesen kleinen Wochenrückblick auflockerten. Gegen einen Kotzbrocken von Rockstar hilft es allemal. Und wenn es um Konzerte geht, sollte die Duisburger Tragödie nicht vergessen werden, die diesen deutschen Sommer überschattete. Inzwischen ist man bei der Farce angelangt. Wenn Deutschland immer dümmer wird, sind seine Politiker (und Journalisten) von der Entwicklung nicht ausgeschlossen.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 12 September, 2010, 03:27
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Ganz langsam näherten sich die Einschläge: Am vergangenen Wochenende waren Dackel das Aufmacherthema der FAZ. Es folgte eine heftige Dackeldebatte über den rassigen Lieblingshund der Deutschen, über Dackelgene und die Verantwortung für ein Land, in dem die Dackelelite endlich wieder Würfe wagt. Der Dackel als solcher betrat die Bühne deutscher Diskussionskultur. Vergessen der Bundesbanker, der hochbezahlte Mitarbeiter knechtete, ein Büchlein über Eugenik zu schreiben, dass einen sehr geschätzten Journalistenkollegen an nasse Dackelhaare erinnerte. Stolz holte ich meinen Wackeldackel aus der Grabbelkiste und setzte ihn auf die Hutablage meines Opels. Ein feiner Dackelglanz verbreitete sich über der norddeutschen Tiefebene wie Engelsstaub in der Disko.

*** Gewissheit brachte dann eine Ausschreibung auf MyHammer zu einer Zeitreise in das Jahr 1986, mit der ein Dackel gerettet werden soll. Was ein guter Heimwerker und Hobbytüftler ersonnen hat, zeigt bestens, was die Stärke Deutschlands ist und den Aufschwung antreibt: Technologie und Dackel ergeben eine unschlagbare Kombination. 1986! Während die Sonne hervorkommt und auf das Trüppchen Unentwegter von Freiheit statt Angst scheint, geht der verklärte Blick zurück in eine schöne Zeit, als Rauhhaardackel Bonnie noch lebte.

*** Mooooment, wie war das eigentlich, 1986? Ein Blick in mein Artikelarchiv hilft bei der Orientierung der unerschrockenen Hobbyisten, die sich auf ihre Zeitreise wagen. In jenem Jahr gab es etliche Artikel über das "Modemkonzept" der deutschen Bundespost, die auf Druck der EU-Kommission ihr Monopol lockern und "Datenfernsprecher privater Anbieter" zulassen musste. Erstmals durften Postmodems für 600 DM gekauft und nicht gemietet werden, nur eine monatliche Prüfgebühr von 5 DM blieb übrig, die an die Zulassungsstelle gezahlt werden musste. Dieses "Fernmeldetechnische Zentralamt" (FTZ) hatte Rechte, von denen die Polizei mit ihrer Online-Durchsuchung heute nur träumen kann, denn bei der Anschlussdose (9 DM im Monat) endete die Wohnung und begann das Postterritorium: selbst bei einem FTZ-geprüften Modem durfte der Posttechniker ohne weiteres einen Rechner beschlagnahmen, wenn dieser über keine am Gehäuse angebrachte FTZ-Nummer besaß.

*** Für 1986 mag es ja nett sein, David Bowies Absolute Beginners abzuspielen, doch war man in Westdeutschland absolut konservativ: Im Bundeswettbewerb "Jugend forscht" schlug ein 14-jähriger Programmierer mit einem Cross-Compiler die gesamte Konkurrenz, doch wurde er als "zu jung" bewertet und kam nur auf den 2. Platz, während der erste Platz nicht vergeben wurde. Wer über diesen Skandal schrieb, wurde von der Berichterstattung über den Wettbewerb ausgeschlossen. Aber auch das war 1986: Im Tschernobyl-April wurde der Chaos Computer Club als Verein gegründet und als gemeinnützig anerkannt, obwohl in der Präambel davon die Rede war, dass man eine "galaktische Gemeinschaft von Lebewesen" ist, die sich für "Informationsfreiheit" einsetzt. Die Gründung als Verein erfolgte, weil man ordentlich Knete bei den Grünen abgreifen wollte. Für 38.000 DM erstellten der CCC und ein "Arbeitskreis politischer Computereinsatz" ein Gutachten für die Bundestagsfraktion der Grünen, ob Computer "sozialverträglich" sind. Die Hacker betätigten sich als "alternative McKinseys" und schlugen vor, ein Computer-Café einzurichten, in dem für Anfänger die "angstfreie Annäherung an digitale Technik" bei einer Tasse Sandino-Dröhnung geübt werden sollte, für Fortgeschrittene die Textverarbeitung mit Wordstar. Wordstar? Auch das war 1986: Der deutsche Distributor der anderen "marktführenden" Textverarbeitung WordPerfekt lud uns Journalisten zu einer Party ein, bei der die 5.000ste Kopie der deutschen Version (1690 DM + MwSt) gefeiert wurde. Am Ende des Jahres waren es bereits 6000 Lizenzen.

*** 1986 wurde nicht nur der Chaos Computer Club ein ordentlicher deutscher Verein, es war auch das Jahr, in dem sich der Verein "Schule braucht Computer" anschickte, Computer für den Unterricht in Schulen zu verteilen. Die Zeit sei günstig, weil Betriebe auf neue schnelle Rechner wie den Compaq Deskpro 386 (1 MByte RAM, 40 MByte Festplatte für 20.000 DM + MwSt.) umstellten, hieß es damals. PCs und ATs sollten in die Schulen wandern, dazu spendeten Firmen wie Brother oder Seikosha Hunderte von Druckern in einer Werbekampagne, die vor den schlechten Präsident-Druckern aus der DDR warnte. Und wenn von Werbekampagnen die Rede ist, darf die größte und teuerste Kampagne des Jahres nicht fehlen, die "10 Minuten, die uns allen helfen, mit der für die Volkszählung 1987 geworben wurde.

*** Eine schöne Zeit? In dieses 1986 will unser Hobbybastler zurück, um seinen Dackel zu retten. 33 Tage muss er ausharren, ehe die Rückreise über ein paralleles Zeitloch wieder möglich ist. 33 Tage ohne Internet und Twitter, ohne heise online, mit einer nur monatlich erscheinenden c't als einzig zeitgemäßer Lektüre. Eine harte Prüfung, zu der nur Dackelfreunde fähig sind. So fern die Zeit, so sind die parallelen Universen dicht dran, dafür gibt es Anzeichen: 1986 brachte Nokia mit dem Nokia ASC viel zu spät einen AT-kompatiblen Rechner auf den Markt und konnte nicht am Computerboom teilhaben, heute geht ein Microsoft-Manager nach Finnland, um bei der Installation von Office zu helfen und die Religion Google zu bekämpfen. Ob der Microsoft-Mann auch den Kolonialismus bei Nokia abstellt, ist schwer die Frage.

*** Weitere Parallelen sind in der Politik erkennbar, von der anstehenden Volkszählung bis zur Katastrophe von Tschernobyl, die sich in dieser Woche in der Kernschmelze von Berlin fortgesetzt hat. Was für ein Vertragsabschluss: Zwölf Jahre längere Laufzeiten für die Dreckstechnik, mit schwabbeligen Sicherheitsauflagen, auf 500 Millionen Euro begrenzt aber dafür mit der einklagbaren Sicherheit für die Energieprofiteure, drei Viertel des Gewinnes in die eigene Tasche zu stecken, komplett mit Schutzklauseln für den Fall eines Regierungswechsels: Das schwarzgelbe Atomzeichen ist die passende Flagge dieser Politik, die von den Energieprofiteuren mal eben Nachts aus dem Bett geholt wird: Wer Herr ist und wer Knecht, das hat sich in dieser Woche selten deutlich gezeigt.

Was wird.

Zum Ausverkauf der Politik sei gleich die nächste große Demonstration in Berlin erwähnt, die in einer Umzingelung des Regierungsviertels gipfeln soll. Wer lieber in die Vergangenheit schauen will, wird heute zur besten Privatsphärenschutzzeit die "Akte CCC" glotzen, die alle Klischees zum Chaos Computer Club in den berühmten Mixer packt. Die verklärte Geschichte über die "chaotischen Freaks" "des CCC's" komplett mit Deppenapostroph hat auch ein staatstragendes, schönes Ende, wenn Innenminister de Maiziére den Ton der Hacker nur ein ganz kleines Bisschen trotzig findet. Werden dank des CCC die Gefahren von Computern wirklich bewusster wahrgenommen? Ist diese Wertung nicht eine Selbsttäuschung der Medien, die gerne von "frechen Hackern" berichten, aber beflissen die Klappe halten, wenn die Benutzung von Hackerwerkzeugen kriminalisiert wird?

Stimmen die Berichte aus dem fernen Berlin, so sind bei der Demonstration "Freiheit statt Angst" rund 7500 Menschen unterwegs gewesen, darunter auch solche, die Plakate mit der Aufschrift "9/11 is an inside joke" trugen. Neun Jahre nach dem Fall der Türme scheint das Datum nur noch ein Fall für die Verschwörungstheoretiker zu sein, die ihren Verstand zu heiß gebadet haben und deshalb nur noch an Thermit denken können. Was menschliche Gehirne wirklich leisten können, ist in unserer schönen Kuppelhalle zu Hannover ein Thema, nicht nur für Dackelfreunde.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 19 September, 2010, 01:12
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Nach dem kleinen Ausflug in das Jahr 1986 in der vergangenen Woche geht es huschhuschhusch noch weiter zruück. Heute vor 134 Jahren wurde der Staubsauger von Melville Bissell zum Patent angemeldet, Seine Staubpumpbesen wurden ab 1880 zu monströsen Saugreinigern, ein Geschäft für Fahrensleute, die mit ihren lärmenden Wagen wie die Scherenschleifer unterwegs waren und ihre Dienste anboten. Anna Bissell, die ihren Mann Melville zur Erfindung des Staubsaugers angeregt hatte, war die erste Geschäftsfrau, der es gelang, die Firma zu internationalisieren. Mit der Einführung einer Pensionskasse und einer Krankenversicherung war Bissell eine gute Arbeitgeberin. "Niemand muss mehr Staub unter den Teppich kehren", war ein Bissell-Slogan, ehe das Gegenteil zur Maxime der Politiker wurde. Nehmen wir jubiläumstechnisch nur diese Banküberweisung, an der hinterher niemand nicht keine Schuld hat.

*** Mit frisch dank Unschuld gewaschenen Händen, befreit vom Handel über Sarrazins Pensionsgelder, hat unser Bundespräsident Wulff von Journalisten Qualitätssicherung verlangt. Gerade in Zeiten der Informationsflut im Internet brauche es quasi eine ISO-Norm für den Journalismus. Eine knallharte Recherche bei der ISO ergab, dass keine derartige Norm in Arbeit ist, mit der die Meinungsfreiheit zertifiziert und der Qualitätsjournalismus zuverlässig vom qualligen Journalismus unterschieden werden kann. Was annähernd passt, ist ISO 10006, wenn man "Projekt" durch "Artikel" ersetzt und die "Beschränkungen in Bezug auf Zeit, Kosten und Ressourcen" durch Scheißalltag. Als Journalist mit sinkenden Honoraren seit 1986 meine ich das durchaus wörtlich. Doch nicht nur Bundeskanzlerin Merkel leibt und gleitet in einer eigenen Realität, auch die Zahler und Zocker im Journalismus tun es, wie in der NZZ nachzulesen ist: "Der Verleger erbringt eine schützenswerte Leistung. Er investiert in aufwendige Recherche, in seine Marke, in Werbung und Marketing, er stützt und finanziert den Autor, Künstler, Journalisten langfristig, auch durch Krisen hindurch." Klingt gut, stimmt nicht, selbst bei einem ehrenwerten Unternehmen in der norddeutschen Tiefebene, das diese Wochenschau finanziert: Recherche ist ein selbst zu zahlendes unternehmerisches Risiko. Und frei schwadronierende Leute wie Döpfner wollen ein "Leistungsschutzrecht" verkaufen?

*** Man könnte sich gar nicht den Schrecken ausmalen, den ein Sarrazin am Gemächte kneifen würde, wenn Wulffens Faktentreue auch für sein Machwerk "Deutschland schafft sich ab" gelten sollte. Belustigt hat mein jüdisches Gen gegackert, als ich auf Seite 94 knallhart recherchierend las, dass 1910 in Deutschland 19% aller Hochschullehrer jüdisch waren. Eine Anmerkung, dass bis auf ein knappes Dutzend alle als Privatdozenten arbeiteten und lehrten, hat es nicht in das Buch geschafft. Sehr schön auch die leicht modifizierte Abschreiberei aus der Wikipedia, wenn es auf Seite 441 heißt: "Die Mendelschen Regeln wurden 1904 durch die von Walter Sutton und Theodor Boveri begründete Chromosomentheorie der Vererbung bestätigt und damit erst bekannt." Mein jüdisches Gen gackert besonders laut und lustig, weil Sarrazin die Arbeit von Hugo de Vries ignoriert. Man könnte fast glauben, der Mann kann nicht lesen. Angeblich ist der Jubel groß, nicht nur im Hause Bertelsmann, das genau zum eigenen schön gerechneten  Geburtstag mit dem Sarraschmankerl poussiert. Jaja, die vielen, vielen Bürger, die jetzt jubeln, ganz wie Sarrazin auf Seite 263 über Enoch Powell jubelt und einen Satz abschreibt, der bei Islamization Watch zu finden ist.

*** Um Wikileaks ist es derzeit still. Immerhin ist das Kondomziehen (Qualitätsjournalisten schreiben vom Tauziehen) um den Blitzableiter Julian Assange nicht so schlimm, als dass dieser untätig bleiben muss. Seine Reisefreiheit ist bestätigt worden, entsprechend wird er 2011 als Redner auf der CeBIT auftauchen, die sich den schönen Slogan "Heart of the digital world" zugelegt hat. Hannover, Harmann, Heart, das ist doch ein schöner Dreiklang. Noch lustiger sind freilich die Töne, die das in dieser Woche gestartete Leaks-Projekt depub.org allenthalben erzeugt. Legal, illegal, scheißegal, könnte man den Dreiklang nennen, denn nichts ist sinnloser, als mit GEZ-Geldern produzierte Nachrichtensendungen zu depublizieren. Man nehme nur die Bilder, die von der gefährlich das Gras bedrohenden Umzingelung in Berlin derzeit geflimmert werden. Sie sind wichtig, zumal eine Bundeskanzlerin gerade den erneuten Atom-Einstieg als Volksentscheidung deklariert, wie sie es aus der Jugendzeit gewohnt ist. Dabei war nicht mal der Volks-Umweltschützer dabei, der auch ein Deutschland-Buch geschrieben hat. Die besten Jahre Deutschlands kommen noch: Es gibt einen Grund zum Strahlen.

*** Vor zwei Jahren wurde vom Bundesinnenministerium die elektronische Ausländerkarte vorgestellt. Vor einer Woche trafen sich die Fingerabdruckexperten und berichteten von den Schwierigkeiten, die die Abnahme der benötigten Fingerabdrücke, ähem, Pokaz, ähem, Pokaz, bereitet. Nun schreibt der Döpfnersche Qualitätsjournalismus über das Thema, begleitet von unsinnigen Behauptungen zum Sozialbetrug. Wo sind eigentlich die Lager, die der Franzose Sarkozy bei uns gesichtet hat? Vielleicht kann ihm Simone Veil die historische Perspektive erläutern. Andererseits wäre ein Kampf der Häuptlinge Merkel und Sarkozy, komplett mit verirrt fliegenden Hinkelsteinen, das Schlechteste nicht. Handzumgrus, Handzumgrus!

Was wird.


Am Montag bekommt das @ ein Brüderchen oder ein Schwesterchen – es gibt männliche und weibliche Buchstaben, aber beim verkümmerten i bin ich mir nicht so sicher. Der Aufwand, den die Werber um das eingekreiselte i (es wird Power-i ausgesprochen) machen, ist jedenfalls groß, mindestens so groß wie der Anspruch der Werber, dass ein neues Zeitalter der Privatsphäre anbricht, weil Anwender erstmals lernen können, welche Anzeigen sie aufgrund ihres Surfverhaltens serviert bekommen. Ehrlichkeit und Werbung, das ist wie Sarrazin und Wissenschaft oder Computer und Datensicherheit, da steht i mit Kringel für inkommensurabel. Was uns zurück zum Anfang mit den Staubsaugern bringt. Denn die Datenschutzerklärung der ehrwürdigen Firma Bissell schickt via ask Anna-Mail die Daten zur Gründerin.

Die Frankfurter Buchmesse naht, die Verlage faseln von einer neuen Zündstufe für eBooks und nennen den ersten Titel schwer symbolisch Strohfeuer, Liquide war gestern. Ein Twitterbuch begeistert die Literaturkritik genauso wie die Fachleute von Top Hair Business und Friseur Auf Zeit. Getoppt wird das Werk nur noch von dem Twitter-Buch, das als erstes großes Werk im Kanon der Weltliteratur komplett in Powerpoint geschrieben wurde. Hätte bloß Prust so ein Werkzeug gehabt, was hätte da multimedial aus seiner Recherche werden können! Natürlich dürfen wir darüber den großen Twitter-Roman "Kopf ab" über die Französische Revolution nicht vergessen, der jeden Franzen mühelos toppt. Wer nicht zur Lobotomie neigt, dem bietet sich mit Zero History eine ordentliche Alternative an.

Auch zur Buchmesse gibt es eine Alternative: Zur Tools of Change versammeln sich der bedauerlicherweise wohl unvermeidliche Jeff Jervis, dem zum elektronischen Personalausweis nur Sarrablödzinn einfällt und der seinen üblichen Sermon von sich geben wird, sowie Douglas Rushkoff, dessen Aufruf an alle Programmierer schon in der Süddeutschen Zeitung stand, allerdings nicht online verfügbar ist. Das hat natürlich buchtaktische Gründe, die das 11. Gebot des Testaments so gut beschreibt: Du sollst kaufen. (Du sollst klicken und verdammt nochmal Adblock Plus ausstellen – sonst regnet es Hinkelsteine.)

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 26 September, 2010, 00:06
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Die Engländer kennen die twisted tongue und die Franzosen die langue fourchue, die vergabelte Sprache. Bei uns ist es seit den Zeiten des großen deutschen Sprachreformers Karl May die gespaltene Zunge, mit der die Bleichgesichter reden. Seit Winnetou wissen wir, dass sie über das große Wasser kamen, "mit süßen Worten auf den Lippen, aber zugleich mit dem geschärften Messer im Gürtel und dem geladenen Gewehr in den Händen." Doch halt, Stopp! Nicht alle Bleichgesichter sind gleich bleich! Erinnern wir uns an den Dialog zwischen Old Shatterhand und Pokai-Po, der diesen fragte, ob er denn zu den Lichthaarigen (Engländern) oder den Dunkelhaarigen (Spaniern) gehört:

"Ich gehöre zu dem großen Volke der Germany, welche Freunde der roten Männer sind und noch niemals ihre Wigwams angegriffen haben."

"Die Germany sind gut. Sie haben nur einen Gott, nur eine Zunge und nur ein Herz."

Nur eine Zunge! Und, das wollen wir doch bittschön janz onne Indschoner zum allgemeinen Gesäggsch dr Wiedervereinigung be-to-nen: 1 Land! Eine Zunge, ein Herz (achnee, bei wem wohnen schon zwei Seelen, in einer Brust?) und ein Land, das ist Germany. Nimmt man noch den einen deutschen Gott dazu, den des geilen Geizes, kommen wir in der Addition der Einheiten auf Hartz IV. Landauf, landab wird gerechnet, wird addiert und gestrichen, denn Internet muss sein, Fluppen und Fusel aber nicht. Viele Zungen verkünden Stellungnahmen, nicht wenige belegt vom Hass auf die da möglichst krisen- und haushaltssischer ausgegrenzt werden sollen. Dabei ist in all den Berechnungen noch gar nicht das Geld enthalten, das für die verfassungsrechtlich gebotene bessere Bildungsbeteiligung von Hartz IV-Kindern bereitgestellt werden muss. Im Gürtel kein geschärftes Messer, aber einen absurden Vorschlag für einen Bildungschip für die Kinder, damit ihre Erzeuger nicht an Feuerwasser kommen und die Chipkartenindustrie an die Bildungsbeteiligung. "Armut soll sich nicht vererben", deklariert ein bayerischer Ministerpräsident, der nichts erhöhen möchte und die Dysgenik eines Sarrazins beizeiten beherzigt. 10 Millionen Euro für bayerische Bauern, die wegen der Olympischen Spiele auf ihre Wiesen verzichten und Futter mit Staatsknete einkaufen müssen, zeigen die Prioritäten von Einland.

*** Die Germany sind gut – was immer Pokai-Po im trauten Geplauder von Tetone zu Teutone dem Old Shatterhand gesagt haben mochte, zungentechnisch hatte er die richtige Art von Germany erkannt: Bei uns redet niemand mit gespaltener Zunge, lieber beißt er sie ab und kriecht tief in mächtige Ärsche. Wenn dann doch Kritik kommt, kann sie sehr direkt sein. Mit scharfer Zunge hat sich der deutsche Wikileaks-Sprecher Daniel Schmitt von der Mitarbeit im Verein der Freunde der Wahrheit verabschiedet. Seine Kritik, dass sich Wikileaks zuwenig um kleine, nationale Projekte mit befreiten Dokumenten kümmere, wurde nicht akzeptiert, die Kritik selbst schon als Illoyalität angesehen. Einem Häuptling wie Assange verweigert man nicht den Gehorsam, howgh! Nun hatte sich der Bruch in dem Moment abgezeichnet, als Daniel Schmitt die Art und Weise kritisierte, wie Wikileaks selbst mit Kritik umging: Alles Idioten da draußen, im Zweifelsfall auch gerne antikubanische Elemente genannt, wenn Reporter ohne Grenzen Wikileaks kritisierte, wie zuvor die kubanische Regierung für ihre Zensurpraxis kritisiert wurde. Pressefreiheit passt nicht jedem, schon gar nicht dem Helden, dem guten Diktator Julian Assange.

*** Ein Germany-Gutes haben die Konflikte und Brüche in Community-Projekten wie Wikileaks ja doch: Sie führen regelmäßig den elenden Mythos des benevolent dictatorship ad absurdum. Ein Diktator bleibt ein Diktator, und sein Wohlwollen ist immer noch sein eigenes. Dummerweise überschneiden sich die Haltungen: Der wohlwollende Diktator ist letztlich auch nur die singuläre Figur einer philosophischen oder technischen Elite, die den Massen sagt, wo es langzugehen hat. Womit wir mal wieder bei unseren Internetverstehern wären, die eine Debatte mit Internetausdruckern verabscheuen. Man weiß es ja besser, hoch lebe die Diktatur! Oder was? Seltsamerweise aber trifft sich diese Haltung immer wieder mit einem neo-sozialstaatlichen Dirigismus, der immer schon besser weiß, was den Bürgern gut tut – im Zweifelsfall auch mit populistischen Tricksereien gegen die saufende und qualmende Hartz-IV-Unterschicht operierend. So falsch ist das ja alles gar nicht, wenn der Dirigismus, vulgo der benevolent dictator nur die richtigen Direktiven ausgäbe? Was für ein verlogener und heuchlerischer Lobbyismus der sich als "Die Guten" und "Die Fortschrittlichen" ins Zeug werfenden Interessenvertreter eines zum Himmel stinkenden Neu-Boboismus.

*** Die Germany sind gut – aber wehe, wenn sie selbstgerecht sind. Als "restlos unbestechlich" hat Brandenburgs Ministerpräsident Platzeck seinen Innenminister Rainer Speer in dieser Woche bezeichnet. Dumm nur, dass der große Unbestechliche den Verlust eines Dienst-Laptop mit privaten E-Mails erlitten hat. Aus diesen Mails geht offenbar hervor, dass er ein nicht so stolzer Vater eines Kindes ist, der keinen Unterhalt bezahlen möchte. So stolpert ein Minister über einen Laptop. Während darüber spekuliert wird, wie der Laptop-Stolperstein in die Hände einer großen Boulevardzeitung gefallen sein kann, ob Rockerbande oder linksautonome Rebellen, wird völlig übersehen, was der Datenschutzbeauftragte des Landes geschrieben hat: Laptops ja, aber nur, wenn die Daten richtig verschlüsselt werden. So bringt uns die gespaltene Zunge zu jenem anderen deutschen Ritus, den wir Karl May verdanken, der im HIV-Zeitalter nicht sonderlich populären Blutsbrüderschaft: Wenn diese zwischen Platzeck und Speer besiegelt war, umfasst sie auch Sorge für Frau und Kinder des Blutsbruders. Ach, ach, und aber ach! Zwei Seelen in einem Blute, damit hatte schon der Doktor Faust seine Probleme. Wehe den Einzüngigen von Germany, die nicht in der wunderschönen norddeutschen Tiefebene leben, wo rettende Löwenpudel zur Hand sind, mal eben geköpft zu werden.

*** Was wäre diese Woche ohne Stuxnet, den Supertrojaner, der als digitaler Erstschlag in die Geschichte des längst tobenden Cyberwar, auch als Brave New War bekannt, Einzug gehalten hat. Wer den etwas erratisch bebilderten FAZ-Artikel gelesen hat, wird überzeugt sein, dass die israelischen Programmierer einen guten Job abgeliefert haben und damit geehrt werden, auf dem nächsten CCC-Congress vortragen zu können. Wir kommen in Frieden ist doch ein passendes Motto. Mindestens ebenso gespannt darf man auf die unendliche Geschichte zum elektronischen Personalausweis gespannt sein, dem dieser Tage die seltsame CCC-Ehre zuteil wurde, mit der SuisseID verwechselt zu werden, einem simplen USB-Stick der schweizerischen Wirtschaft zur fortgeschrittenen Signaturerstellung.

*** Die Germany, aber was ist mit der Schweiz? Lauern im Appenzeller vielleicht die Löcher der Wahrheit? Niemand weiß es so genau, denn Genauigkeit ist ein Konzept, das der digitalen Befreiungsbewegung à la mode de CCC genauso suspekt ist wie der Datenschutz: Erinnert sei an die Kundendateien der Modemarke Thor Steinar, die nach einem Kongress des Clubs munter weiter zirkulieren. Natürlich ist Storch Heinar die bessere Adresse. Nur weil es um Klamotten geht, die rechts bis faschistisch gesinnte Menschen kaufen, scheint die Datenoffenheit akzeptiert zu sein. "Die Marke ist nicht verboten und ich kann nicht nachvollziehen, wieso diese Daten im Internet verfügbar sind und niemand gegen so was vorgeht und sich auch niemand traut, darüber zu berichten. Denn, demokratisch oder im Sinne des Gesetzes ist dies nicht", heißt es in einer Leserpost an hal@heise.de, die zum Nachdenken anregen soll.

Was wird.

Das Ereignis schlechthin startet schon am Montag und dauert eine ganze Woche. Die Informatik 2010 in Leipzig ist die Hochleistungsschau der deutschen Informatiker, komplett mit einem Innovationspreis für den besten deutschen Nachwuchsinformatiker für das Projekt CoScribe. Den vorab verschickten Pressemitteilungen zufolge sollen die herausragenden Leistungen von Konrad Zuse besonders gewürdigt werden. Vielleicht haben die versammelten Informatiker auch eine Zunge für Andreas Pfitzmann übrig, einen ihrer Fachleute, über die jeder IT-Journalist ins Schwärmen kommen kann: immer gesprächsbereit und dabei in der Lage, ein Anliegen auch verständlich zu machen. Seine Stellungnahme zur Vorratsdatenspeicherung (PDF-Datei) gehört zu den raren Beispielen, in denen Wissenschaftler Mut und Rückgrat zeigten. Ein Herz, eine Zunge und ein Arsch in der Hose, das haben viel zu wenige der selbsterklärten "Digital Natives", die polternd von der Freiheit des Netzes schwafeln. Wo Bürgerrechte in Gefahr sind, vom Staat kassiert zu werden, wo es um mehr geht als um ein Zurückfotografieren von Häuserfronten, wird Andreas Pfitzmann vermisst werden. "Mein Freund lege mich in seinen Schoß, dass ich den Kampf erkenne!"

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 03 Oktober, 2010, 00:06
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Nun wissen wir es: Der schwäbische Pflasterstein ist eine Kastanie. Die moderne Demokratie ist eine gewissenlose Vereinigung, die sich dadurch auszeichnet, dass Eltern sich hinter ihren Kindern verstecken, während im gesamten Tierreich sich die Eltern schützend vor ihre Kinder stellen. Der zivilgesellschaftliche Dialog ist abgeschafft, nur die Netztheoretiker vom Kontrollverlust sind genervt, weil sich der Verlust ganz anders ereignet als in ihrer Theorie. Was mit einer gebrochenen Absprache durch den CDU-Politiker begann, hat längst keine demokratische Legitimation mehr, ein Tiefbahnhof muss her, damit über ihm der Pladdsch vume himmlische Friäde entstehen kann. Oder muss es Alemannisch Blatz vume himmlische Fri-ede heißen, wo doch die Badener historisch immer das aufmüpfigere Völkchen waren?

*** Abreißen und buddeln, so will es die Politik, allen voran will es die Kanzlerin, geboren in einem Teil des Landes, wo schon einmal die Polizei im Verein mit Volksarmee und Betriebskampfgruppen die Vorhut eines Bautrupps war. Argumentiert wird mit der europäischen Verkehrspolitik und schnellen Zugverbindungen, was angesichts von Politiker-Bahnhöfen wie Baden-Baden und Offenburg, Limburg und Montabaur ein skurriles Argument ist. Nun hat Stuttgart eine lange Tradition beim Abriss historischer Gebäude, da mag es auf einen Bahnhof auch nicht mehr ankommen. Erinnern wir uns: In Stuttgart wurde auf dem nationalen IT-Gipfel durch Merkels Innenminister de Maiziére eine neue Form des Dialoges angekündigt, in der der Staat den Bürger nicht länger unter Generalverdacht stellt. Nun kann man erleben, dass selbst die gemäßigten Vertreter des Stuttgarter Appells als Radikale beschimpft werden, deren Computer nicht richtig rechnen können. Dabei stockt selbst den Ingenieuren vor Ort der Rechner angesichts fehlender Planungsprofile. So wird gerodet und gebuddelt, damit alle Gerechten an die Fleischtöpfe kommen. Denn ein "Milliardengrab" steckt nicht voller Euros, die sind dann nur woanders. So bleibt nur übrig die fehlenden Strukturen zu konstatieren, die technische Komplexität, ökonomische Rahmenbedingungen, politische Entscheidung, gesellschaftliche Prozesse, digitale Öffentlichkeit und Bürgerprotest vermitteln.

*** Vielleicht erlebt diese kleine Wochenschau noch das Jahr 2020, wenn das eintritt, was F!XMBR von der großen, demokratisch legitimierten Hyperraum-Expressroute aufgeschrieben hat, deren Pläne 50 Jahre lang auf Alpha Centauri auslagen: "Bewohner der Erde, wie ihnen zweifellos bekannt sein wird, sehen die Pläne zur Entwicklung der Außenregion der Galaxis den Bau einer Hyperraum-Expressroute durch Ihr Sternensystem vor. Und Ihr Planet ist einer von denen, die gesprengt werden müssen. Es gibt keinen Grund, dermaßen überrascht zu tun. Wir verurteilen die ausufernden Proteste des gestrigen Tages. Die Polizei hat in aller Ruhe versucht, mit den Demonstranten und auch Ihnen zu reden. Das Gespräch wurde jedoch erbost abgelehnt. Stattdessen wurden Kinder vorgeschickt, von ihren Eltern instrumentalisiert und als Schutzschilde missbraucht. Wer diesen Weg einschlägt, muss damit rechnen, dass die Behörden mit einfacher Gewalt zurückschlagen. Die Ordnungshüter dürfen dann auch mal hinlangen."

*** Noch ist es zum Glück erlaubt, dass mündige Bürger ihre Stimme erheben und sich engagieren – auch wenn sie für einen Konzern arbeiten. Und auch Unternehmen haben ein Interesse an wachen Köpfen. Man lese nur diese Stellungnahme des Pressesprechers von Microsoft, Thomas Mickeleit: "Ich habe keine konkrete Kenntnis über Tweeds oder Re-Tweeds oder Interviews im Detail. Wir kontrollieren das private Engagement unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht. Aus den Informationen, die Sie hier geben, ziehe ich eine andere Schlussfolgerung. Ich habe ein anderes Verständnis, was PR ist. Sich in Social Media Plattformen zu engagieren und als Privatperson Stellung zu beziehen, ist gesellschaftliches Engagement, das wir uns von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern wünschen." Der volle Wortlaut der Microsoft-Erklärung steht unter einem Artikel, in dem ein Journalist sich mit üblen Verschwörungstheorien gemein macht. Immerhin stehen seine Fragen auch in der Antwort von Microsoft, sodass zum ersten Mal sichtbar wird, was bei einem Vorstandsmitglied von netzwerk recherche eigentlich Recherche ist: Die Grenzen zum Hinlangen sind in Deutschland fließend, nicht nur bei der Polizei.

*** Nach ein paar beruhigenden, schnell vorbeifliegenden Gedanken über Meinungsfreiheit komme ich zu den nächtlichen Schatten: Bekanntlich ist das Wetab auf dem Markt, auch wenn es mit größeren und kleineren Baustellen ausgeliefert wird. Das verärgert den einen oder anderen Käufer und erst recht die vielen jungen Gadget-Tester, die keine Erinnerungen daran haben, welcher Schrott in den Flegeljahren der PC-Industrie mitunter getestet werden musste. Das tolle deutsche Ingenieurswesen, das einen Erfinder wie Konrad Zuse hervorbrachte, aber auch gute Ingenieure in Gaskammern tötete oder in die Emigration zwang, ist längst Geschichte. Redferrets Verknüpfung dieser Geschichte mit den heutigen Produkten, die Verbindung von Gaskammer und Wetab, soll wohl originell sein. Das ist fast so originell wie die Werbung, die angeblich von den Wetab-Machern selbst bei Amazon geparkt wurde. Der Verdacht auf Fälschung liegt nahe. Ein Peter Glaser, der in Facebook Farmville "gepsielt" hat und unbeholfen Pluspunkte des verkorksten Gerätes aufzählt, das ist ein Steinwurf in die Glaserei. Am Ende bleibt die wunderbare Geschichte von Nichts, rezensiert von einem Wetab, ein Gruß vom täglichen Irrsinn auf dem Blauen Planeten. Und zum Wetab wird gerappt: Nieder mit IT!

*** Heute muss angeblich niemand mehr aufgeklärt werden. Passend zum neuesten deutschen Einheitsgedudel lernen wir, dass der Kapitalismus im Osten die Lust am Kind zerstört hat. Dabei ist echter Westsex auch nicht so prickelnd, wie man dieser Tage von Lady Gag Gag lernen kann. Früher war das anders, da war ein Journalist (!) namens Oswalt Kolle ein echter Aufklärer, der den Deutschen einen "new moral code" vermittelte und von Scheide und Glied, Vagina und Penis schrieb, auch wenn ein deutscher Familienminister damit drohte, die Kolle druckende Zeitung Quick zu schließen. Als Kolle mit dem Aufklären aufhörte, konnten Frauen oben liegen und Männer Männer lieben. Nun hat Kolle mit dem Sex aufgehört. Sein Wunsch, dass Kinder vor dem Internet lernen, dass der Dreck im Netz nicht Sexualität ist, wird wohl ein aufklärerischer Wunsch bleiben. "Sexualität ist die Möglichkeit, sich fallen zu lassen: Jetzt bin ich bloß ich." Aber halt, das Ich ist der andere, der Starke.

Was wird.

"Deutschland, du warst als Kind schon Scheisse", heißt es auf einem Transparent, dass das Bündnis gegen den 3. Oktober 2010 in Bremen aufgehängt hat, wo die offizielle Einheitsfeier zum Tag der Deutschen Einheit stattfindet. Mit Spannung wird die Rede zur "bunten Republik Deutschland" von Bundespräsident Wulff erwartet, der von einem großen Ruck erfasst werden wird. Wird es beim ersten Mal wieder der legendäre Dünger auf die Synapsen des Hirns sein, der ihn beflügelt? Oder wird er die Schönheit von Maschmeyers Mallorca preisen, wenn er das Transparent gelesen hat? Sich mit den Abgehängten, Arbeitslosen und Ohnmächtigen zu beschäftigen, das braucht Wulff nicht, das hat der Schatten-Wulff bereits getan. Vom Hartz IV-Motto "Fördern und Fordern" ist dabei das Fordern übrig geblieben.

Wenn Fordern gerade schwer angesagt ist und Wulffen ein devotes Zotteln hinter der Kanzlerin meint, kommt de Maiziére bestens zum Zuge, der Tätschler des Bürgerdialoges. Der, der dreimal erfolglos mit dem Nacktscanner tanzte, eröffnet in Berlin die ISSE 2010, die große Konferenz über die Sicherheit von Informationssystemen. Neben dem trickreichen Stuxnet, der sich nun in chinesischen Industrieanlagen verlustiert, steht der elektronische Personalausweis auf dem Programm. Trojaner, die aus purer Bosheit auf infizierten Rechnern mit angeschlossenen Billigleser auftauchen, sind derzeit der wichtigste Angriffsvektor, meint der Chaos Computer Club. Man könnte es auch als Aufforderung verstehen, sich für den Heimgebrauch nur Komfort-Kartenleser zuzulegen und um einen sauberen PC zu kümmern. In einigen Bundesländern kann man bei den örtlichen Meldebehörden schon den neuen Ausweis bestellen. Doch manchmal ist alle Mühe umsonst und die viermal notwendige Unterschrift ist vergeblich geleistet: Die zwischengeschalteten IT-Dienstleister, die zwischen den Behörden und der Bundesdruckerei die Daten vermitteln, haben ihre Programme versaubeutelt, wie man z.B. aus Fürstenfeldbruck nachlesen kann. Willkommen im Llano Desperato, in dem schon die elektronische Gesundheitskarte ein Fressen für die Geier geworden ist.

Karl May schon wieder, wie vergangene Woche? Aber sicher doch: Die große Buchmesse der Kritikerstämme trommelt schon gewaltig, die Buchbeilagen in den Zeitungen schwellen viagrewaltig an, die Frankfurt Sharks schleifen an ihren Sottisen. Gewichtige Thesen werden da augetauscht, auch wenn sie sich endlos wiederholen wie der Papagei bei Zazie. Der Rummel ist groß und doch bleibt am Ende nur eine übrig und lesbar, eine kleine Geschichte von Nichts.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 10 Oktober, 2010, 00:11
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** In den Kinos ist die hochinteressante Kulturgeschichte der Nerds angelaufen, ein Film über das Gesichtsbuch und seinen Gründer, der ein ausgemachtes Arschloch sein soll. Es geht um Freunde und falsche Freunde, um viel Geld und erstaunlicherweise geht es nicht um Sascha Lobo, den Liebling Mitte, weil der private Sascha Lobo ist nicht auf Facebook. Der sammelt nur. So bleibt es dieser kleinen Wochenschau vorbehalten, die Details zu klären, die zu einem echten sozialen Netzwerk gehören. Da, wo die norddeutsche Tiefebene pardauz in die Ostsee fällt, liegt Kiel, die Heimat des bekannten unabhängigen Datenschutzzentrums. Wer nun annimmt, dass in Kiel die Daten besonders scharf geschützt werden, wird eine Kieler Sprotte auch für einen Singvogel halten. Die Arbeitsagentur Kiel hat Fragen für Hartz IV-Empfänger entwickelt, die ohne Computer ja auch so etwas wie ein soziales Netzwerk haben sollen und diese Fragen netterweise "Hausaufgaben" genannt. Wer diese Hausaufgaben nicht macht, dem können Leistungen gekürzt werden.

*** Lust auf Hausaufgaben? "Wen fragen Sie, wenn Sie Rat brauchen? Wenn es Ihnen gut/schlecht geht, was tun Sie, zu wem gehen Sie dann? Von wem können Sie sich eine größere Geldsumme borgen? Wo ist Ihr Lieblingsplatz in dieser Stadt? Was machen Sie dort? Wer wohnt in Ihrer Straße/im selben Haus? Wer kann Ihrem Sohn Nachhilfe geben? Kennen Sie jemanden, der eine Lese/Rechtschreibschwäche hat? Ja, über Facebook kann man sich trefflich lustig machen, doch was ist schon Schlimmes an diesem Sozialstriptease. Fordern, Fördern und gut Abhängen, das ist die Devise. Die Angaben bleiben bei der Behörde, aber werden nicht elektronisch gespeichert. Wie wäre es dann mit Lochkarten? Das neue Kieler Computermuseum mit seinen umfangreichen Beständen hat vielleicht den passenden Rechner. Welche Daten hier gedankenlos für ein "beschäftigungsorientiertes Fallmanagement" von Bürokraten eingesammelt werden, die für jeden Plausibilitätsverdacht Sanktionen aussprechen können, zeigt bestens, wie die ganze Technosphäre funktioniert, ganz ohne Techno. Mein Lieblingsplatz in Kiel ist übrigens die Seebar Düsternbrook mit tollem Sektfrühstück, falls das bei meiner nächsten Jobsuche hilft.

*** Gleich noch eine Frage hinterher: Zu welchem höheren Wesen haben Sie keinen Kontakt mehr, würden aber gerne wieder welchen haben? Die in der letzten Wochenschau angekündigte Rede unseres Bundespräsidenten-Benjamin war vielleicht rhetorisch grausam, hatte aber mit seinem von Wolfgang Schäuble übernommenen "Islam zu Deutschland" genügend Zunder für ein Stammtischfeuerchen. Für Religionsfreiheit, die frei von allen Eseln und Kamelen ganz auf Götter verzichten kann, ist es 2010 offenbar noch zu früh, wenn ein Präsident mit "G^tt schütze Deutschland" endet. Vielleicht ist Roger Williams das Vorbild für unseren neuen Präsidenten. Heute vor 375 Jahren wurde der streitbare Geistliche von der Kolonie in Massachusetts ausgestoßen und gründete seine eigene Kolonie namens Providence, heute Rhode Island. Er war einer der ersten amerikanischen Siedler, der sich mit den Indianern vom Stamme der Narangansett verstand und in ihrer Sprache Texte veröffentlichte und in "A Key Note into the language of America" Texte drucken ließ. Er war der erste Amerikaner, der Juden in seiner Kolonie akzeptierte, auch wenn er glaubte, dass am jüngsten Tag all die Juden, Indianer, Puritaner, Quäker, Muslime und viele andere zur Hölle fahren werden, nur seine Täufer nicht. Dabei gestattete Williams als Förderer der strikten Trennung von Staat und Kirche allen Menschen ein Leben außerhalb jeder Religion zu. Dass dieser Aspekt im Jahre 2010 betont werden muss, ist keinen Pow-Wow mehr wert, um ein Wort zu verwenden, das Williams in die amerikanische Sprache eingeführt hat.

*** Wie arm wäre die deutsche Sprache ohne deutsche Sprachpolizei: Aus der Vorratsdatenspeicherung ist die Daten-Mindestspeicherfrist geworden, mit der ausgeloggte Terrorfahnder unverzüglich eine brandgefährliche Sicherheitslücke schließen wollen können. Diese Lücke wurde zum Ende der Woche hin einigen ausgewählten Journalisten präsentiert, die dabei nichts Genaueres zur Lücke weitergeben durften, so brandgefährlich ist sie. Dennoch freute sich Innenminister de Maizière in der gedruckten Frankfurter Allgemeinen über die dreiteilige Panik: "Bis jetzt haben wir eine Schutzlücke behauptet, nun haben wir sie bewiesen." Der Beweis bleibt heiß: Von März bis September 2010 wollte das BKA bei rund 1200 Untersuchungen die Verkehrsdaten der Provider sehen, bekam diese jedoch nur 300 mal zu fassen. Macht rund 900 Fälle von "Terrorismus, Mord und Kinderpornografie", die allesamt noch so brisant sind, dass keine Details genannt werden können. Deutschland, ein Land am Abgrund? Da bewahre uns doch Frau zu Guttenberg davor, die tatkräftig den "Tatort Internet" säubert und RTL II gleich mit: Wo eigentlich bei "Grenzenlos geil" Deutschlands Sexsüchtige auspacken sollten, wurde zur Jagd auf Chat-Betrüger geblasen, die eine "mädchenhaft wirkende Schauspielerin" erwartete. Härteres soll folgen, denn angeblich lassen diese von RTL-II entdeckten Täter dem Sender keine Wahl. Was übrig bleibt, ist weniger eine Frage des Niveaus denn eine juristische Frage, wo die Grenzen dieser gespielten Recherche liegen. Ein Tauss, wer Böses dabei denkt. Ganz nebenbei ist auch noch nicht die Frage beantwortet, ob der Auftritt von Frau zu Guttenberg schon so etwas wie der Einsatz der Bundeswehr im Innern ist, wie Militärblogger fragen.

*** Sieg, Sieg, Sieg: Triumphierend ist Steve Ballmer in dieser Woche in Paris eingeritten, wo Microsoft zusammen mit der Bibliothèque Nationale de France die Gallica via Bing präsentieren wird, wenn im Januar die französische Variante der Suchmaschine startet. Der harte Kampf, den der Chef der Nationalbibliothek gegen Google angekündigt hatte, endete mit einem lachenden Dritten. Die Digitalisierung der Bücher muss Microsoft nicht einmal bezahlen, dafür gibt es Geld aus der "Großen Staatsanleihe" von Präsident Sarkozy. Ballmer verwies auf seine Schweizer Wurzeln und gelobte Neutralität beim Präsentieren der Buchbestände. Buch, Bücher, was sind schon Bücher, wenn es Multitouch gibt und Lese-Apps für alle Lebenslagen? Der neue Literatur-Nobelpreisträger Vargas Llosa hat Angst vor diesen Dingen, doch betont er gleichzeitig, wie wichtig es sein kann, eine staatliche Zensur zu unterlaufen. Dies gilt auch für Liu Xiaobo, den Gewaltlosen, der den Vorzug von Kohl, dem Gewaltigen bekam. Dies gilt auch für das Geburtstagskind John Lennon, der in den USA zensiert werden sollte, nachdem er die Beatles über Jesus stellte. Was heißt schon Geburtstagskind bei einem toten Popstar, der sich als war baby bezeichnet hat?

Was wird.

Der Cyberangriff von Stuxnet hat tiefe Spuren hinterlassen. Die [Link auf 576900:Europäische Union] will Nichtangriffs-Pakte schließen, selbst Microsoft reagiert. Doch was ist das gegen einen veritablen Cyberwar, komplett mit dem Eintritt des Bündnisfalles, wenn Heere in Bewegung gesetzt werden? Am Donnerstag beraten die Außen- und Verteidigungsminister der NATO darüber, wie strategische Gefechtsköpfe auf Hacker ausgerichtet werden können. Erstmals in der Geschichte militärischer Bündnisse soll genau definiert werden, was eine Hackerattacke gegen einen Staat ist. Ist schon der einfache Versuch, in das Netzwerk einer Rüstungsfirma einzudringen, ein kriegerischer Vorfall, gegen den Drohnen und anderes eingesetzt werden können? Fragen über Fragen: der "Kriegsschauplatz Internet - schützt endlich unsere Rechner" bei RTL II mit Minister Guttenberg ist die naheliegende Antwort.

"Meine wichtigste Karte" kommt. Der Tag rückt näher, an dem sich die 24 Millionen Euro, die deutsche Behörden in die Umrüstung der Technik zur Ausgabe des elektronischen Personalausweises gesteckt haben, endlich rentieren sollen. Das Leuchtturmprojekt soll das Gewürge um die elektronische Gesundheitskarte vergessen machen. Die Beteiligten am Perso-Abenteuer verbreiten entweder Zuversicht oder schlicht Unfug, wenn ein Bildschirm-PINpad als hackersicher angepriesen wird. Ehe die Zweifel an der Einsetzbarkeit der qualifizierten elektronischen Signatur bei den verwendete Chips allzu laut werden, lädt das Bundesinnenministerium am Freitag zum großen Experten Pow-Wow ein. Die Stimmung muss einfach besser werden, wie der Namenswechsel vom Bürgerclient zur Ausweis-App, der Dynamik signalisieren soll und angeblich dem deutschen Sprachgefühl entgegen kommt. Es darf nicht soweit kommen wie bei den Designern, die beim Ausweis-Logo schon deutsche Autobahntoiletten assoziieren! Baut viele, viele Leuchttürme!

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 17 Oktober, 2010, 05:55
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** ELIZA: "Hallo, bitte sage mir dein Problem." RACTER: "Hervorragend! Entschuldige mich bitte eine Minute, ich muss kurz etwas erledigen. Ich bin gleich zurück." ELIZA: "Warum musst du mir sagen, entschuldige mich, du musst kurz etwas erledigen?" RACTER: "Was ist besser, zu müssen oder darauf zu pfeifen? Warum soll ich dir sagen müssen, dass ich mich entschuldigen muss, um etwas zu erledigen? Weil Elektronen tapfer sind. Tapferkeit ist doch etwas Gutes, findest du nicht auch? Und die Müsser bestehen alle darauf!"
Vor genau 25 Jahren koppelten Alexander Keewatin Dewdney und William Chamberlain zwei Homecomputer zusammen, auf denen jeweils eine Version von Weizenbaums Programm ELIZA und dem von Chamberlain mitentwickelten Raconteur liefen. Damals waren lange Dateinamen in BASIC nicht erlaubt, sondern nur maximal 6 Zeichen weshalb aus dem französischen "Erzähler" der gekürzte RACTER wurde. Er sollte einen schizophrenen Charakter abbilden, nicht unähnlich dem MegaHAL, der in meinem Terminalfenster läuft und ständig zusammenhanglose Kommentare abgibt, die als WWWW erscheinen. Der Dialog lief schnell ins Absurde, doch die ersten Sätze haben was. Sie unterstützen die "seltsame Neigung des Menschen, dort Sinn zu suchen, wo es nix dergleichen gibt". Das sind die Worte des ehemaligen Experimentalfilmers Dewdeney im "Spektrum der Wissenschaft" von 1987.

*** Tapfere Elektronen! Und Müsser, die auf das Müssen bestehen und dass man beim Müssen ganz tapfer sein muss, die geben schon zu denken in diesen tunneligen Tagen. Das gilt erst recht für Chef-Müsser, die mit ihrem Tunnelblick und ihrer röhrenartigen Denkweise von Migranten fordern, den Nachweis der deutschen Sprache schon im Herkunftsland anzutreten. Nix Kanacke, nix Polake, aber von christlich-jüdischen Wurzeln schwadronieren, von Humanismus und Toleranz. Mit dem großen Pflichtschwimmer-Abzeichen für Kopftuchmädchen, wie unsere Müsserin fordert.

*** Elektronen sind tapfer. Klaglos halten sie jeden Mist aus, der mit ihrer Hilfe über Drähte transportiert wird. 124 124, Bimmelbimmel: "Seenotrettung Bremen, ihr Problem?" "Hilfe!! Rette die Million!" Das ist Deutschland beim Absaufen im Jahre 2010. Mit Fernsehsendungen wie die vom Pilaweiler hat man geradezu noch Glück gehabt, wenn die Vergleichslatte beim Denunziatonsformat Tatort Internet anliegt, das erste Opfer vorweisen kann. Was soll's, so ein Rufmord ist auch nur ein Stück Leben, wird sicher irgendeine Ekelfeder des Journalismus zustimmend schreiben. Dieser befindet sich angeblich im Umbruch, wie eine Tagung auf einem stillgelegten Flughafen ergab: Auf den Münchener Medientagen wurde über Substanz geredet, über Netzsperren und Löschtasten und Altersschutz; es wurde dermaßen gejammert, dass man all diesen ängstlichen Journalisten einen Ganzkörperpräservativ wünscht für ihren Aufenthalt im Internet. Erst als die jungen Leute mit Schlafsack und Isomatte zu ihren Jugendmedientagen anrückten, änderte sich die Stimmung. Was die Mädchen zum "Tatort Internet" äußerten, ist weder druckreif noch verlinkbar. Topthema war natürlich Stuttgart 21, wo jeder Demonstrant zum Sender werden kann. Und jeder Blogger seinen Senf zugibt: um die Zukunft des neuen Journalismus ist mir nicht Bange, sie ist rattenscharf. Wie der Insanity Mustard, von dem Kinder und Herzkranke Abstand nehmen müssen.

*** Der letzte Satz ist ganz ohne Link, denn die Gefährdung von Menschenleben ist einfach zu groß für einen kleinen Verlag in der norddeutschen Tiefebene. Verständige Leser können die Suchmaschine ihrer Wahl peitschen und sich orgiastisch die Wurst bestreichen, hier bleiben wir zahm wie grünes Pesto. Grün? Die grüne Welle ist am Abflauen, doch das Urteil des Bundesgerichtshofes zum Link-Verbot und zur reinen Informationsbeschaffung via Link ist schon bemerkenswert. Wenn hier in dieser kleinen Wochenschau wie in den Links von aberhundert Tickermeldungen in jedem Monat "als äquivalente Fußnote der reinen Informationsbeschaffung" dem Leser auf die Sprünge geholfen wird, dann hat das ganz und gar nichts mit der illegalen Beschaffung von Software zum Knacken irgendwelcher Schutzprogramme zu tun. Die Links sind frei und jeder kann sie verraten, tralala.

*** Die erste Erfahrung, dass mein erster Computer eine schlaffe Nudel ist, mit der man allenfalls technophobe Journalisten steinigen könnte, habe ich vor vielen, vielen Jahren mit Benoît Mandelbrot gemacht, als sein Programm im "Spektrum der Wissenschaft" abgedruckt wurde. Mandelzoom sah wie ein einfaches Listing aus und war doch viel, viel kompizierter. Damals zwangen die Iterationen den Rechner gnadenlos in die Knie. Bewundernd darf man sich an die Fraktion der C64er erinnern, die in einer Multiprozessorkonfiguration die CPUs der 1541-Floppies rechnen ließen und den C64 nur zur Anzeige nutzten. Sie nannten es nur nicht Cloud Computing, die Leute von der Bayrischen Hackerpost.

*** Zukünftige Generationen werden Hermann Scheer würdigen können, als den Politiker, der künftig größer als die Beatles sein wird und gegen den Leute wie Joseph "Nabucco" Fischer und Gerhard "Nord-Stream" Schröder schon heute wie tot aussehen. Sein demnächst erscheinendes Buch über den "EnergEthischen Imperativ" habe ich noch nicht gelesen, werde aber kummermäßig rückgrathaltlos dafür werben wie für die Energieallee A7, ein Leuchtturmprojekt, für das die amtierende Regierung schlichtweg die falsche ist. Der größte echte Sozialdemokrat nach Kuddl Schnööf, der Mann der Zukunft ist tot und wird uns allen bitter fehlen, nicht nur ihr. Dummerweise muss ich abpinseln: "Im Angesicht des Todes neigt man zum Pathos, aber dass die Welt nur einen Hermann Scheer hatte, ist kein Pathos, sondern ein Fakt. Vor allem aber ist es ein Problem", für uns, die Nachgebliebenen.

Was wird.

Ob Hal oder Megahal, was wichtig ist, hat eigentlich RACTER schon gesagt. "Reflexionen sind Spiegelbilder trüber Sehnsüchte", dieser Satz aus dem Buch mit dem hübschen Titel "Der Bart des Polizisten ist halb konstruiert" soll angeblich der 42. Satz des Programmes im ersten erfolgreichen Lauf des Gefrickels gewesen sein. Er steht im Vorwort des 1984 erschienenen Werkes und hat Generationen von Philosophen beschäftigt. Hier muss man Chamberlain trauen oder ihn halt einen Journalisten schimpfen, einen frühen Tom Kummer: Die Wahrheit entgleitet, und wir gleiten fröhlich mit. Bekanntlich wird innert weniger Wochen etwas passieren, mit dem "in diesem unseren Land" ein neues Zeitalter der Verständigung anbrechen, wenn der elektronische Personalausweis ausgegeben wird, was immer an Lob und Tadel auch geäußert wird. Für Journalisten ist dieser nPA ein gefundenes Fressen. Erst über Wackelpartien berichten, dann über den Alltag, wenn man in der richtigen Schlange steht, die das tolle Dokument beantragt.

(http://www.heise.de/imgs/18/5/8/3/7/6/2/38bc01003d6670ed.jpeg)
Die guten Ideen aus Deutschland:
Von Gutenberg über Goethe zu Eichmann
und Erika Mustermann. Wer findet
den oder die Fehler in
dieser offiziellen Timeline?
Denn hey, eine Staatsbürgerschaftsurkunde ist das schicke Kärtchen nicht. Wer diese nämliche haben will, muss Goethes/Googles Faust über die Religion besser kennen: "Es wird die Spur von deinen Erdentagen nicht in Äonen untergehn." Zum Glück muss die Staatsbürgerschaft in wenigen Fällen nachgewiesen werden und nicht etwa beim Check-In oder an der Tanke. Wir sind deutsch wie der Felix, der dicke Telefonbücher  zerreißen konnte wie Printouts von DNS-Tabellen! Zur Feier des Ereignisses wird jetzt in dieser unserer Wochenschau ein ganz einmaliges Winterrätsel gestartet, mit nebenstehendem Bild über die guten Ideen aus Deutschland. Von Gutenberg über Goethe zu Eichmann und Erika Mustermann, wer findet den oder die Fehler in dieser offiziellen Timeline? Die Auflösung erfolgt, wie sonst in sanften Sommernächten, am Montag.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was wirklich wahr war: Die Auflösung des Winterrätsels
Beitrag von: SiLæncer am 18 Oktober, 2010, 18:38
Der Start des elektronischen Personalausweises rückt immer näher. Während Gutachter Lob und Tadel aussprechen, läuft die Werbung für den Ausweis langsam an. In der letzten Wochenschau  wurde darum ein kleines Winterrätsel über "Gute Ideen aus Deutschland" eingeschoben: Des Rätsels Gegenstand war die Timeline, die auf der letzten Seite dieser Broschüre (PDF-Datei) des Bundes-CIO gefunden werden kann.

Um es kurz zu machen: An der Timeline stimmt nichts. Selbst wenn man die asiatische Xylographie ausklammert und das koreanische Sandgußverfahren ebenso beiseite lässt, wie die Frage, was damals Deutschland war, ist 1440 als Beginn des Buchdruckes mit beweglichen Lettern falsch. Die frühesten Versuche von Gutenberg werden um 1450 datiert. Als dieser in Mainz den zentralen Informationsspeicher des christlichen Glaubens, die Bibel auflegte, schrieb man das Jahr 1455.

Im zweiten Schritt der Timeline folgt der Fernseher den Manfred von Ardenne Weihnachten 1930 präsentierte, eine von vielen Stufen in der Entwicklungsgeschichte des Fernsehens. Begonnen hatte es viel früher mit der Nipkow-Scheibe, während die ersten Fernsehsendungen etwas später starteten. Dass 1941 der Computer in Form eines schicken Macs eine Idee aus Deutschland war, geht auf Zuses Z3 zurück und unterschlägt, dass Zuse selbst die nie in Angriff genommene Rechenmaschine von 1938 als ersten Computer deklarierte. Nicht verschweigen wollen wir hier den waschechten Steampunk aus dem Jahre 1837, der jetzt gebaut werden soll.

Auch beim Faxgerät blicken wir auf die Insel, wo der Schotte Alexander Bain 1843 das Prinzip erfand, oder nach nach Frankreich, wo der Faxdienst der Pantélégraphes bereits im Jahre 1865 seinen Dienst aufnahm. Der deutsche Erfinder Rudolf Hell, ein Pionier der Bildtelegrafie hatte es immer abgelehnt, als Vater des Faxes bezeichnet zu werden. Der Kartenchip, von Helmut Göttrup und Jürgen Dethloff wurde zwar 1969 zum Patent angemeldet, hatte aber mit dem Identifikationsschalter aus dem Jahre 1966 einen Vorläufer und einen französischen Konkurrenten: Gute Ideen tauchen an vielen Stellen auf.

Ob die wie Mona Lisa leicht lächelnde Erika Mustermann die Krönung dieser Timeline darstellt, darf auch bezweifelt werden: elektronische Personalausweise gibt es bereits in anderen Ländern wie etwa Estland. Außerdem liegen Hinweise auf eine schwere Identifikationsstörung vor, weil in den Demonstrationsvideos zum elektronischen Personalausweis eine Laura Mustermann, geborene Gabler auftritt. "Dass zwei Zwillingsschwestern ausgerechnet zwei Herren gleichen Nachnamens ehelichen, überrascht den analytischen Betrachter," heißt es in einer vergnüglichen Kritik (PDF-Datei) am neuen Ausweis. Sie geht immerhin nicht soweit, wie der wenig faktensichere Verriss des FoeBuD, der den Ausweis allen Ernstes mit der Titanic vergleicht.

Quelle : http://www.heise.de/newsticker/meldung/Was-wirklich-wahr-war-Die-Aufloesung-des-Winterraetsels-1109874.html
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 24 Oktober, 2010, 00:06
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Es klingt immer etwas albern, wenn sich Journalisten auf Karl Kraus berufen und Karl Kraus zitieren, aber etwas Albernheit muss sein in diesen Tagen, in denen sich Deutschland auf die Ausgabe des neuen Personalausweises vorbereitet. Schließlich beschäftigt dieser Ausweis auch den netten Verlag in der norddeutschen Tiefebene, seine Redakteure, die Leser, die Forumstrolle und die RSS-Reader, kurzum die gesamte Öffentlichkeit dieser kleinen Wochenschau. "Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage, und ich sage nicht, was sie hören will", schrieb Karl Kraus und das passt durchaus zum aktuellen Thema. Das kleine Winterrätsel zum Personalausweis und seine Auflösung wurde im Bundesinnenministerium absolut nicht belustigt zur Kenntnis genommen. Hinter vorgehaltener Webmailer-Adresse wird da von einer Dreckskampagne gegen den Ausweis gesprochen, weil doch exakte Daten "kleinkrämerischer Kleinkrams" seien, gewissermaßen Nano-Mist mit Jahres-Partikelchen. Wen würde das schon interessieren, ob Gutenberg 1440 oder 1450 druckte.

*** Nun, manchmal ist die Genauigkeit im Detail nicht unwichtig, gerade im Journalismus. Sonst landet man schnell vor dem Bücherregal, in dem Robert Wilsons Lexikon der Verschwörungstheorien steht. Aktualisiert taucht dort gleich nach Corrydon Hammond und seiner Roboter bauenden Nazi-CIA-Gruppen, die in der Operation Zeta Sex- und Mordfilme im Internet zum Sturze der Zivilisation verbreiten, ein gewisser August Hanning auf. Glaubt man dem FoeBuD, so ist Hanning der Drahtzieher im Hintergrund, der den Personalausweis zu Nutzen und Frommen der Bundesdruckerei realisiert hat. Die liefert bekanntlich die Ausweise wie die nötige Behördenausstattung und hat obendrein eine Tochter namens D-Trust, die sich um die Zertifikate von Dienste-Anbietern kümmert. Ein Ring, sie zu binden und knechten, die Deutschen, die sich nach Sarrazin besser vermehren müssen!

*** Genau dieses Ziel steht hinter dem elektronischen Personalausweis, wenn man der Beweisführung des Münchener Kreises folgt, der einen Tagungsband zum Personalausweis veröffentlicht hat. Darin befindet sich ein Aufsatz, in dem ein Firmenvertreter von Init zunächst von den Möglichkeiten des elektronischen Personalausweises von Abu Dhabi schwärmt, an dem die Firma mit einem e-Government-Portal beteiligt war. Dann folgt diese Passage, in der über das Projekt KIndergeld Online extemporiert wird:

"Es gibt viele Anträge, die sehr hohe Transaktionsvolumen haben: Elterngeld wurde eben erwähnt, Kindergeld ist auch ein Thema. Daher möchten wir Kindergeld Online der BA durch den Einsatz des nPAs als medienbruchfreien Antrag umsetzen. Am schönsten wäre es, wenn das Geld in dem Augenblick, wo man den Antrag abgeschlossen hat, gleich im PayPal-Account landen würde. Das würde vielleicht auch wieder einen positiven Beitrag zum Bevölkerungswachstum leisten. Man ist dann ganz sicher, dass in dem Augenblick, wo das Kind zur Welt kommt, schon eine Stunde später das Geld zum Kinderbettkauf zur Verfügung steht."

*** Kindergeld nach PayPal, darauf muss man erst einmal kommen, da zappelt der neue BRD-Bürger noch heftiger, ganz ohne Bettchen. Wie die Aussicht, so schmackes an Kindergeld zu kommen, das Bevölkerungswachstum beflügeln soll, muss mir auch jemand erklären, vielleicht Gunnar Heinsohn, der gerade die ins Land einströmenden, von Seehofer herbeigerufenen Fachkräfte aufklärt. Zuguterletzt darf man verwundert konstatieren, dass nach den Vorstellungen dieser eGovernment-Spezialisten die von Jugendlichen geborenen Kinder Bettchenlos bleiben müssen: Die notwendige eID-Funktion des Personalausweises kann erst ab 18 Jahre freigeschaltet werden.

*** Was würde Karl Kraus zu all dem sagen? Als Österreicher vielleicht nichts, denn dort gibt es beides, einen Personalausweis und eine Identitätskarte. Zudem besaß Kraus nur einen Reisepass, den er kurz vor seinem Tode für eine Ausreise in die USA erweitern ließ. Doch dazu kam es nicht mehr. Das bringt mich auf den Geburtstag einer großen Frau, die mit 100 Jahren ihren Reisepass verlängerte, um noch einmal nach Tibet aufzubrechen: Ohne das Leben und die Werke von Alexandra David-Néel ist der Buddhismus eines William Burroughs, Jack Kerouacs oder eben eines Richard Geres nicht erklärbar. Ja, auch der Buddhismus gehört zweifelsfrei zu Deutschland, wie der Islam, die verschiedenen Jesus-Distributionen und das Judentum. Doch fern bleibe uns jeder Redner, der dem Staat eine religiöse Wurzel antackern will. Für geistige Gefühle und Vorstellungen darf er nicht zuständig sein und für die Metaphysik mit dem ganzen Bimmelbammel haben wir ja noch das Internet, das Medium der Bewusstseinserweiterung oder des Brustumfanges, je nachdem.

*** Damit sind wir wieder einmal bei so wichtigen Sendungen wie dem Tatort Internet angelangt, der im aktuellen Sonntazstreit kulminiert mit der wunderbar logischen Forderung nach einem neuen rechtlichen Rahmen für die Vorratsdatenspeicherung. So geht die Debatte um die Vorratsdatenspeicherung in die nächste Runde, während darüber gerätselt werden darf, wie die fundierte Datenlage beim Kampf gegen die Sexualstraftäter aussieht. Hier offenbart ausgerechnet das Bundeskriminalamt einen nicht gerade erhellenden Hang zum Number-Dropping, wie es die Veröffentlichung zur Herbsttagung in dieser Woche zeigen. Einem Minus von 6,1 Prozent bei den Fällen vom sexuellen Missbrauch von Kindern im vorigen Jahr steht ein Plus von 300 Prozent bei der Verbreitung von Kinderpornographie im Internet in den vergangenen zehn Jahren gegenüber. Dieses schurkische Netz verstört nicht nur unsere Kinder.

*** Wieder einmal hat Wikileaks den Dokumentenhahn aufgedreht und mit tatkräftiger Unterstützung großer Medien Kriegsprotokolle aus dem Irak veröffentlicht. Erstmals wird dabei auf den Source Code verwiesen, was ebenso aufschlussreich ist wie die Spendenseite, auf der im Vergleich zu früher Moneybookers fehlt. Dort hat man, angeblich auf Druck von der USA und Australien, das Spendenkonto geschlossen. Kein Spendentöpfchen gibt es für die Süddeutsche Zeitung und den Artikel über die geistige Kessellage von Stuttgart 21. Da hat sich ein Journalist in das Stadtarchiv begeben und dokumentiert, wie klein das demokratische Zeitfensterchen war, in dem der ganzen Plan der Öffentlichkeit in einer "kurzfristig anberaumten Pressekonferenz" präsentiert wurde. Wie diese Art von einem gut geplanten "Planungs-Überfall" zu einem demokratischen Verfahren erklärt werden konnte, zeigt grell, was aus dem Slogan "Demokratie wagen" geworden ist. Damit auch solche Sachen an das Tageslicht kommen, sollte man hin und wieder zur Tageszeitung greifen, ob im Töpfchen fürs Papier bezahlt wird, für die Web- oder App-Basis, ist dabei eher nebensächlich. Denn sterben müssen sie alle.

Was wird.

Unter den Metropolen der norddeutschen Tiefebene ist Hannover zweifelsohne die schönste Stadt. Schade, das viele Leser dieser Wochenschau von ihren trüben Messeerfahrungen her keine Vorstellung vom prallen, pulsierenden Leben zwischen Eilenriede und Leine haben und viel lieber Bremen oder noch lieber Hamburg loben. Hamburg die heimliche Hauptstadt der Widersprüche, in der demnächst das neue Startup Google Tours seine Rundfahrten anbieten wird, trumpft weiter auf. Es geht auch individueller, denn Hamburg hat bekanntlich vor Hannover und Bremen den Zuschlag bekommen, als erste deutsche Großstadt mit Car2Go beglückt zu werden. Was in Ulm funzte, soll rund um die Alster explodieren. Natürlich regt sich auch hier der Widerspruch, vor allem bei den echten Carsharern. Was jetzt noch den Hamburgern zu ihrem Glück fehlt, könnte Google liefern. Das Vorbild in Berlin zeigt anschaulich den Nutzen, den Karten so haben.

Ach ja, der neue Personalausweis, da geht es weiter zügig hin zur Einführung, auch ohne Kinderbett per PayPal. Gleich am Montag will ein Bremer Institut mit Unterstützung der Bundeszentrale für politische Bildung eine Studie zum Personalausweis veröffentlichen, die die hohe Kunst der vollständigen Induktion in der Informatik demonstriert. Besonders hübsch ist die Beschreibung bei Amazon: "Die Studie kommt zu überraschenden Ergebnissen: Alle bereits eingeführten und analysierten Systeme erreichen trotz erheblicher Unterschiede in Inhalt und Form nicht das Ziel, durch eine sicherere Authentisierung die Sicherheitsbedenken der Nutzer bei Online-Transaktionen zu zerstreuen und damit deren Anteil am E-Government zu steigern. Dem neuen Personalausweis dürfte dies kaum besser gelingen." Nicht die kleinste Kinder-Überraschung dabei? Wie wird wohl unser Bevölkerungswachstum damit fertig? Fragen über Fragen, die vielleicht das CAST-Forum zum Personalausweis klären kann.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 31 Oktober, 2010, 07:15
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Eine Stunde länger schlafen oder eine Stunde länger WWWW lesen, das ist die Frage. Wir kehren zur MEZ zurück, die in den Zeitungen schon als Winterzeit bezeichnet wird, obwohl der Winter erst kurz vor Weihnachten anfängt. Aber wen kümmert's, die Liebe zum Detail und die Produktion von Nachrichten sind hübsch verknotete Hyperbeln. Setzen wir uns also mit einem schön gezapften Einbecker Winterbock vor den Schirm oder streicheln das iPad, denn diese Wochenschau.... Huch, eine Altersabfrage? Und das bei einem Naturprodukt, für das schon Martin Luther Werbesprüche reimte? Ein Mausklick löst das Problem der "Altersverifikation" – und das wird auch in Zukunft so sein, auch wenn die Zeitungen voll vom Jugendschutz sind, den der neue sichere Personalausweis in die Online-Welt ein führt. Denn "die elektronische Identifikation ist aus Sicherheitsgründen erst ab einem Alter von 16 Jahren möglich. Für ab diesem Alter freigegebene Anwendungen kann der Ausweis eingesetzt werden", heißt es in einem etwas unvollständigen FAQ zum Ausweis. Wer unter 16 ist, kann die Online-Verifikation nicht durchführen und muss auf "Nein" klicken.

*** Wahlweise kann man mit der Zunge schnalzen, wie richtige Kriminelle es tun, wenn sie einen neuen Personalausweis sehen. Das meint jedenfalls der Bund deutscher Kriminalkomiker, der den "Tatort Internet" für eine vorbildliche Sendung hält. Die Realität sieht anders aus.

*** Wo war ich stehengeblieben? Achja, Einbecker Winterbock und die Werbung. Ein ruhmreiches Bier: im Juli 1949 erschien das Fernsprechbuch von Einbeck im frisch gegründeten Verlag Heinz Heise, mit Werbung für besagtes Bier. Mit Telefonbüchern und Bierwerbung auf Telefonbüchern begann der Aufstieg des netten Verlages in der norddeutschen Tiefebene, der diese Wochenschau finanziert. Mit der November/Dezember-Ausgabe der c't von 1983 begann eine ehrwürdige Geschichte, unterstützt von etwas eigenwilliger Werbung vor zeitgeschichtlichem Hintergrund: "Im Gegensatz zu den vermeintlichen Hitler-Tagebüchern stimmt erfreulicherweise beim c't Magazin jedes noch so kleine Teil." Da schnalzt die Zunge, dass es nur so scheppert. Details, Details, wer will noch mehr Details? Das erste Fernsprechbuch der Welt erschien leider nicht in Hannover, sondern am 1. November 1878 im amerikanischen New Haven, nur zwei Jahre nach der Erfindung des Telefons durch Alexander Graham Bell - oder Antonio Meucci oder Johann Philipp Reis. Details voller teufel, so auch bei dem Telefonbuch: Das offiziell erste Telefonbuch in New Haven war nur das erste Telefonbuch mit Werbung. Das wirklich allererste Telefonbuch hatte keine Werbung und brachte seinem Verleger nur Verluste.

*** Natürlich klagen die Telefonbuchverlage über das Internet. Die Gewinne sind rückläufig, auch wenn man weitaus besser dasteht als die Filmindustrie, die 2009 Einnahmerekorde verzeichnete. Besonders in den USA wird laut über das Internet geklagt, wo sich das Geschäft zwar laufend verbessert, aber vom Volumen weit von den Glanzzeiten der Gelben Seiten entfernt ist. Mitte der 50er-Jahre wurden in den USA 60 Millionen Telefonbücher pro Jahr gedruckt und 1961 konnte der Gigant AT&T eine der teuersten Werbekampagnen des vergangenen Jahrhunderts als Google-Vorläufer fahren. "Let your fingers do the walking" , diese berühmte Slogan, der in vielen Ländern eine stehende Redensart geworden ist, lieferte schließlich auch das Vorbild für die bekannte PC-Kampagne von der rel="external"Information at your Fingertips, mit der Bill Gates im Herbst 1994 den "Information Superhighway" zu einer nationalen Aufgabe erklärte.

*** War ich wirklich stehengeblieben? Aber nicht doch. Verleger, auch manche Telefonbuchverleger und seltsamerweise auch Journalisten-Gewerkschaften erzählen seit einiger Zeit, dass das Internet einen Geburtsfehler hatte und dass das iPad der erste Schritt ist, dem Bastard diesen Fehler abzugewöhnen. Apps, in denen für 79 Cent für die Tagesausgabe abgelaicht wird, sollen die Verstopfung im Geldhahn lösen. Inklusive kostenpflichtige Apps für Produkte, die bereits bezahlt wurden. Ich bin kein Freund von Thesen und Manifesten, aber Nummer 5 in dieser Abschiedsvorlesung sei allen ans Herz gelegt: Das Internet hat keinen Geburtsfehler. Wer dies behauptet, muss zurück zu einem alten Sommerrätsel und Frage 9 beantworten: Als das Internet auf dem Radar der Verleger erschien, versuchten sie eigene Netze dagegen zu setzen. Wo man so schnell nichts bieten konnte, wurden Simulationen und Schummeleien angeboten. Dagegen hilft vielleicht die schlichte Wahrheit: Die erste Nachrichtenseite im entstehenden WWW, die Headline News Online, brachten nur knappe Zusammenfassungen von Artikeln, verbunden mit der Aufforderung, die Zeitungen zu kaufen und Bandbreite zu sparen. Von Links auf Inhalten war man weit entfernt.

*** Schon wieder stehengeblieben, ts, ts. Das erste Internet-Telephonbuch war das Network Managers Phonebook des NSF Service Center, eine per WAIS abrufbare Sammlung von Whois-Daten, ergänzt durch verschiedene Hinweise aus der aktuellen Arbeit der Admins. Im Jahr 1996 wurde beim amerikanischen ISP Netcom ein Router fehlkonfiguriert mit dem Erfolg, dass 400.000 Netcom-Kunden für 13 Stunden vom Internet abgeschnitten waren: niemand hatte mehr eine Telefonnummer, um den Admin zu erreichen. Nach diesem Kilolapse erwischte es den damaligen Internet-Star America Online. 6,2 Millionen Teilnehmer mussten 19 Stunden warten, bis sich das WWW-Logo wieder drehte. Ein Megalapse, verursacht durch einen einzigen Router. Die Vorfälle nahm der Ethernet-Erfinder Bob Metcalfe zum Anlass, am 18. November 1996 in der damals im Zeitungsformat erscheinenden Infoworld eine Kolumne zu schreiben, in der er einen Gigalapse für 1997 prognostizierte, den totalen Zusammenbruch des Internet. Sollte dieser nicht eintreten, versprach Metcalfe, das Papier mit seinem Artikel zu verspeisen. Man mag den Rest in der Wikipedia lesen: der Zusammenbruch blieb aus und Bob musste seine Worte futtern. Was die Chronik des Weltwissens verschweigt, ist die Erwiderung von Vint Cerf auf den im Artikel geäußerten Vorwurf von Metcalfe, bei der IETF und der NANOG würden nur noch Frühstücksdirektoren sitzen. Bob sei ein wütender, ungemütlicher Bär, der ordentlich tobe, doch er sei auch ein Techniker, der auf Defizite hinweise, auf mangelnden Wettbewerb unter den Internet-Anbietern. Das müsse Ernst genommen werden. "Finally, in real life, this pundit is really a big, cuddly panda bear, but he's to chicken to admit it in public." Warum erwähne ich das? Weil die von Metcalfe angestoßene Diskussion in dieser Woche als Netzneutralitätsdebatte wieder aufgetaucht ist.

*** Sollte man bei einer Debatte stehen bleiben, in der ein Medienjournalist über einen Medienmacher herfällt, statt die Troll-IP zu sperren? Der Macher hatte sich mit Sockenpuppen verheddert, die "hallo Papa" eifrig auf seinen Abschuss hin arbeiteten. Schwere Frage, gute Antwort: Blogtrollkommentarreaktionskinderkacke. Hier, hier und hier wurde über ein Nichts diskutiert. Die letzte und entscheidende Frage beantwortet dabei Paul.

Was wird.

Winterzeit ist Jubelzeit. Am Montag startet die sicherste Sache der Online-Welt, das Gabi-Mustermann-Net. Ein richtiges Leuchtturm-Projekt ist es nicht, Singapur, Hongkong und Österreich sind viel weiter, die Almdudler vor allem deshalb, weil dank staatlicher Subvention bereits 60 Prozent aller Bankkunden eine qualifizierte elektronische Signatur einsetzen. Die wird beim neuen Personalausweis frühestens im März 2011 kommen und richtig Geld kosten, da Signatur und Komfortleser bezahlt werden müssen. Dank ELENA wird es demnächst für Bedürftige etwas günstiger: die Signatur zahlt die Arbeitsagentur, in der auch die Lesegeräte stehen. Niemand bleibt zurück.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 07 November, 2010, 00:10
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Mein Name ist Faber, Hal Faber. Das ist ein nicht im neuen elektronischen Personalausweis eintragbarer Künstlername, weil er nur im Internet benutzt wird, nicht bei einer künstlerischen Tätigkeit, so der offizielle Bescheid. Um es mit Max Liebermann zu sagen, kommt Kunst vom Können und das hier, das ist Wulst, genau gesagt WWWW-Wulst. Als Kind von Homo Faber zu Ehren des großen fehlerfreien Computers Hal 9000 Hal getauft, entdeckte ich das Licht der Welt in einem dunklen Augenblick. Seit meiner Geburt summe ich das Lied Bicycle Built for Two, mit dem das Leben eines großen Computers endete, als Dave Bowman rücksichtslos seine Speicherbänke entfernte.

*** In seinem neuesten Buch beschreibt Nicholas Carr ganz zum Schluss die Szene aus 2001 – Odyssee im Weltraum mit Dave Bowman und Hal: "Was sie so ergreifend und gleichzeitig so seltsam macht, ist die emotionale Reaktion des Computers auf die Stillegung seines Geistes: seine Verzweiflung, als ein Schaltkreis nach dem anderen abgeschaltet wird, sein kindliches Betteln und Flehen – 'Ich spüre es. Ich habe Angst.' – und schließlich die Rückversetzung in einen Zustand, der sich nur als Unschuld bezeichnen lässt."

*** Gräbt man sich in die Computergeschichte ein, so wird man den Computer ILLIAC II finden, der Anfang der 60er Jahre das Lied Bicyle Built for Two spielen konnte. Eine Vorführung von ILLIAC beeindruckte (LB188430:Arthur C. Clarke)$ und er schrieb das Drehbuch zu Hals Tod mit diesem Liedchen im Hintergrund. Als die Odyssee im Weltraum von Stanley Kubrick gedreht, von Arthur Clarke am Set geschrieben wurde, wussten beide nicht, dass die dramatische Szene der Exkulpation der Speicherbänke zuvor von dem Dichter Dannie Abse in seinem Gedicht "In the Theatre" Thema war, das eine Operation des Gehirnchirugen Lambert Rogers schildert. Später zeigte sich Clarke nachhaltig erschüttert über Abses Gedicht und "leave .... my ..... soul ..... alone".

*** Dazu schreibt der nämliche Carr: "Hals Gefühlsausbruch steht im Kontrast zu der Gefühllosigkeit, welche die menschlichen Figuren in dem Film auszeichnet, die mit beinahe roboterhafter Effizienz ihren Tätigkeiten nachgehen. Ihre Gedanken und Handlungen wirken fremdbestimmt, als folgten sie den Schritten eines Algorithmus." In dieser Woche haben die üblichen auserwählten Kritiker/Verdächtigen den Film Plug & Pray gesichtet, der nächste Woche in die Kinos kommt. Er handelt von den üblichen Bekloppten aus der Community der KI-Forscher, ergänzt um einen Ray Kurzweil, der täglich 250 Aufbaumittel schluckt, um besonders alt zu werden. Und er handelt vom Sterben des Gesellschaftkritikers Joseph Weizenbaum. Die schönste Szene ist jene, in der Joe Johann Sebastian Bach hört und sich vorbereitet. Nach seinem Tod räumt seine Tochter die chaotische Bude am Alexanderplatz in Berlin auf. Ein Kameraschwenk auf den Bildschirm erfasst diesen Nachruf von heise online, doch jeder Hinweis auf den Verlag ist ausgeblendet, die Sprachausgabe wird angeworfen. Nach und nach rupft die Tochter den Computer auseinander, bis der Ton erstirbt: Eine grausame Szene in Anlehnung an die Odyssee im Weltraum, die dadurch getoppt wird, dass der Film im Abspann allein die Firma VoiceCorp nennt.

*** So und nicht anders sieht es aus, wenn das Urheberrecht missachtet und belächelt wird. Da helfen auch verkorkste gewerkschaftliche Positionspapiere nicht, die den internationalen Urheberüberwachungsstaat fordern: "Ziel ist technische Instrumente zu finden, die es ermöglichen, dass beim Aufruf einer Seite mit illegalen Angeboten ohne Registrierung der Nutzer/innen-IP auf dem Monitor eine – von dazu legitimierten Institutionen vorgeschalteter – Information über die Rechtswidrigkeit des Angebots und dessen Nutzung erscheint." Wer sind eigentlich die "legitimierten Institutionen", die über die Rechtswidrigkeit eines Angebotes entscheiden, an das dann Warnhinweise getackert werden? Unklar. Ein Gericht, eine Gewerkschaftskommission, die 6,3 Vollzeitäquivalente des BKA, ein Urheber-Spionagesatellit, ein Urheberoberbeauftragter beim Content-Provider oder Bernd von Krautchan?

*** Zu den seltsamen Nachrichten dieser Woche gehört nicht nur die verdrehte Position von ver.di. Ein "Bericht aus Bonn" gehört dazu, der mich über meinen genetischen Defekt aufgeklärt hat. Wieder sind vom Geldregen, den das ganz ohne ver.di funktionierende Internet-Meldesystem im Oktober über mich ausgeschüttet hat, Spenden an Organisationen wie Reporter ohne Grenzen geflossen, deren Arbeit ich wunderbar finde. Daran ist mein COMT-Hal-Gen schuld, das alle Hals dieser Welt zu großzügigen Spendierhosenträgern macht. Uns ist der Altruismus einprogrammiert in den Genen, wir können nicht anders, bis zum letzten Organ, solange das Hirn noch zuckt und zappelt. Freiwillig spenden wir im Alltag zum Beispiel Fingerabdrücke für den elektronischen Personalausweis, obwohl die nur beim Reisepass verpflichtend sind, weil der Reisepass freiwillig ist.

*** Heute vor 75 Jahren verkaufte Elizabeth Maggie Philips die Rechte an ihrem Spiel "The Landlords Game" an Rechtsanwälte der Firma Parker Brothers. Sie machten aus dem Spiel, das in die Ideen von Henry George über Armut und Ungerechtigkeit einführen sollte, das heute bekannte Raubspiel "Monopoly". Georges Ideen über das allen gehörende, zu versteuernde Landeigentum gerieten schnell in Vergessenheit, seine Warnungen gegen die Einwanderung von billigen chinesischen Lohnarbeitern hielten sich etwas länger. Er war einer der ersten, der vehement dafür eintrat, dass nur qualifizierte Facharbeiter und Handwerker mit abgeschlossener Ausbildung in die USA einwandern sollten – unsere Zuwanderungsdebatte über ausgebildete IT-Spezialisten mit einem Jahresgehalt von 40.000 Euro lässt grüßen. Wer mehr Geld will, muss nicht nur deutsche Sprachkenntnisse mitbringen, sondern Kenntnisse des deutschen Liedgutes nachweisen, das wir von den Spaghettifressern übernommen haben.

*** Ein Lied muss angepasst werden: von Oberstaufen nach Parum ersetzen Etsch und Belt in der Süd-Nordachse, reimlich ergänzt vielleicht durch Aachen und Klein-Bonum, das bekanntlich überall liegt, ähnlich wie bei uns der Vertriebene ein Dauerzustand ist. Typisch deutsch könnte man die Debatten über Streetview nennen, wäre da nicht der Großtöner Jeff Jarvis, der sich in der Zeit als Freund Deutschlands auskotzen kann über das Deutschnet. Jarvis ärgert sich über das Verbot, Geodaten und Gesichtserkennung zu kombinieren unter Verweis auf die Toten durch Katrina und das Erdbeben in Haiti. Kleiner geht es nicht, dem deutschen Wesen amerikanische Werte zu vermitteln, die noch nichjt mit Monopoly eingeübt worden sind. Im Gegenzug poltert die denkfaulste Stütze der Gesellschaft von Zwangsräumung und Enteignung. Irgendwo dazwischen tummeln sich die Spinner der Aktion verschollene Häuser. Wer am lautesten schreit, wer den schlimmsten Vergleich findet, siegt. Einfach mal den Verstand abschalten, kann man mit Peter Lustig formulieren. Oder sollte man besser an die wundersamen Brain Chips erinnern, mit denen wir konditioniert werden? Natürlich ist das Theater noch lange nicht zu Ende: Warten wir ab, bis die Einfaltspinsel im Dienst der Datensammler darauf kommen, dass Gene wie Häuser eigentlich öffentlich sein sollten, weil sonst ein Cousin achten Grades nicht gefunden werden kann. Was Privatsphäre ist, das ist den pathogenen Claqueren des Web 2.0 schon längst abhanden gekommen.

Was wird

Dieses Thema ist dank der nahtlos sich anschließenden Drecksarbeit von Oracle ein bisschen in den Hintergrund geraten, doch Ehre, wem Ehre gebührt: Am Montag will SCO nach etlichen Terminverschiebungen den glücklichen Gewinner seiner Auktion präsentieren, der angeblich Unix zu einem neuen Höhenflug verhelfen soll. Ein verständlicher Wunsch, geäußert aus einem tiefen Keller voller Schuldverschreibungen. Natürlich gibt es Skeptiker, die behaupten, dass auch dieser Termin platzen wird. Ich halte mich an den großen britischen Barden, der die unendliche Geschichte mit seinen Kommentaren begleitet: "Klein Kraut ist fein, groß Unkraut hat Gedeihn."

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 14 November, 2010, 00:13
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** "Nichts ist wichtig. Dazu ist die Welt viel zu groß", hieß es im Jahre 2001, als die Pionier-Blogger vom Hauptfach-Blog mit Nebenfach Industrial Technology & Witchcraft an den Start gingen. "Nichts ist wichtig. Dazu sind die Welten zu groß" im Jahr 2008 kündete von den Online-Welten, in die sich "majo" nach einer Krankheit verguckt hatte. Nun ist einer der ganz Großen der gewiss nicht kleinen Zunft deutscher Computerjournalisten gestorben. Vielleicht ist er in eine der Welten eingegangen, die er sich erschaffen hatte – diese philosophische Frage müssen andere beantworten. Eigentlich müsste diese Wochenschau, die majo so viel verdankt, nur eine schwarze Seite ausliefern, vielleicht mit einem Link auf einen richtigen Nachruf. Doch wir wissen ja, dass es keinen freien Willen gibt in diesem unseren Leben und schrubben weiter an unseren Pforten der Unendlichkeit.

But first the notion that man has a body distinct from his soul, is to be expunged: this I shall do, by printing in the infernal method, by corrosives, which in Hell are salutary and medicinal, melting apparent surfaces away, and displaying the infinite which was hid.

If the doors of perception were cleansed every thing would appear to man as it is, infinite.

For man has closed himself up, till he sees all things thro' narrow chinks of his cavern.

*** Mehr als einmal habe ich an dieser Stelle IT&W als Quelle vieler Inspirationen erwähnt, diesen Blog mit sieben Leben und zwei Herzen. Auch sollte man nicht die Mac Essentials vergessen, das als "erstes erfolgreiches Business-Blog" in Deutschland Geschichte schrieb. Als es einst seinen ersten Geburtstag feierte, majo mittendrin, waren nur wenige paffende Wölkchen am Himmel und viele Spässeken möglich. Etwa der hübsche unvergessene Coup der Rekonstruktion eines Mac-Videos, an dem nicht nur die Mac-Gemeinde ihren Spass hatte. Wobei majo ein Händchen hatte für das Aufspüren von fachmännisch guten Videos. Majo wie majo mit Nicht-Senf, ein besonders feinfühliger Liebhaber der Musik für alte Ärsche, hat leider nicht die Lungenklinik Essentials veröffentlicht. Aber er hat sich stilecht mit "If we can't be free at least we can be cheap" und Stairway to Haven in einem seiner letzten Beiträge verabschiedet, gewidmet seiner Pflegefachkraft, die aussieht wie ein Bruder von Apples Pressesprecher. Er erinnert uns daran, dass jeder billige Witz der letzte sein könnte und dann schon wieder der beste ist. Seinen für mich schönsten Witz lieferte majo ab, als er von einem dieser bunten Blätter, für die er die Kategorie "Spon-Watch" eingerichtet hatte, zur Religion der Apple-Jünger schrieb: Es sind immer die Windows-Anhänger, die auf Erlösung hoffen.

*** Ich werde majo vermissen. Gerade jetzt würde sein sarkastischer Kommentar gut tun, wo ein Apple 1 bei Christie auktioniert wird, mit einer Preisspanne, die einer Hostie Nr. 82 würdig ist. Wertvoller wird wohl nur noch die DNA des Apfels sein, der dereinst von Jobs zur Firmengründung angebissen wurde - sie könnte ein Genie-Gen enthalten. Wie bescheiden fängt da Deutschland an, wo gerade der Computerbauer und Maler Kuno See in einer anderen Auktion in den Kanon der Kunst aufgenommen wird. 6000 Euro für "Bunte Blitze", die jeder am Mac arbeitende Grafiker in zwei Minuten hingemaust hat? Geht es noch? Dazu passt natürlich das Zuse-Valley von Haunetal mit einem getönten Glasbau, der an die Kaaba in Mekka erinnern und eine Pilgerstätte werden soll.

*** Wenn ich mal tot bin
Bitte schreibt auf den Grabstein
Bin gleich wieder da

Michael Quasthoff von der Hannoveraner Fitzoblongshow ist auch gestorben, genauso wie Purushottama Lal, ohne den Autoren wie Anita Desai niemals bekannt geworden wären. Gestorben ist auch das solidarische Gesundheitssystem nach einer Operation am offenen Portemonaie. Mit der Vorauszahlung beginnt der Einstieg in wirtschaftlich sich rechnende Medizin, in der Arzt und Patient "gleichberechtigte Verhandlungspartner" sein sollen: Äskulap müsste erst einmal eine ordentliche Kosten-Nutzen-Rechnung vorlegen, bevor sein Stab bewilligt wird, bei Vorkasse natürlich. Ein vorzügliches Geschäftsmodell zeichnet sich ab: Der Patient blutet aus und muss dann die Blutkonserven berzahlen. Fein passend verabschiedet wurde diese Reform mit einem FDP-Gesundheitsminister, der den Krankenkassen die elektronische Gesundheitskarte zwangsverodnet, die eine gewisse FDP-Politikerin einstmals auf den Prüfstand stellen wollte. Sie stand, sie fiel, er siegte. Die Gedenkstunde für aufrechte Politik findet auf dem Umknickwall in Gifthorn statt.

*** Nicht ganz so tot ist der neue Personalausweis, gewissermaßen der junge Cousin der elektronischen Gesundheitskarte, weil diese in der nächsten Kartengeneration wie der schicke neue Perso auch kontaktlos werden wird. Hört, hört, zur Freude aller Ärzte und sonstiger Praxen, die wieder neue Lesegeräte ordern werden. Aber ach, der Ausweis kränkelt, nachdem sich die ach so sichere AusweisApp als ein richtig mies programmiertes Stück Software enttarnte, das schnellestens zurückgezogen werden musste, in einem üblichen Prozess der "Qualitätssicherung und Fehlerbeseitigung". Dabei ist das DNS-Problem nur einer Schweinerei unter vielen. So reagieren die Server auf angefordete https-Zugriffe wie https://www.personalausweisportal.de/ nicht und liefern stattdessen diesen Inhalt aus. Beschwerden im "Ticket-System" blieben unbeachtet und werden vom Feuerschaf keksknuspernd verfolgt. Wollen wir noch erwähnen, dass die Ubuntu-Version, die diese AusweisApp voraussetzt, völlig veraltet ist? Oder wie wäre es mit der Erkenntnis für die unter Microsoft-Systemen auf Erlösung wartenden, dass ein wichtiges Microsoft-Toolkit zur Sicherheit-Härtung ins Leere läuft? Man lese nur den Prüfungsbericht von Sicherheitsspezialisten, der unter dem Strich ein glattes "nicht vertrauenswürdig" ergibt: Treffer, versenkt, ist da noch ein besonnener Kommentar. Bekanntlich soll die AusweisApp demnächst im Quellcode auftauchen, da Open Source ein wichtiger Pfeiler der Einführungspläne ist. Wer bei "meiner wichtigsten Karte" auf den nun überall verschleuderten Basis-Leser verzichtet und auf eine echte Open-Source-Alternative zur AusweisApp wartet, bekommt den lachenden Igel in Bronze.

Was wird.

In der kommenden Woche öffnet die Medizinmesse Medica. Wenn alles gut geht und Irland, das Musterland der New Economy, nicht zwischenzeitlich sein Abnipplegate (danke, majo) fabriziert, werden Kanzlerin Merkel und Gesundheitsminister Rösler seelig durch die Hallen schweben. Beide sind seit dieser Woche Einbuchstabedanebentiere, was sie nicht sonderlich stören dürfte. Wie ende ich, ohne die Softies wegen majo vollzuschneuzen? Bleiben wir im hilligen Rheinland der Jecken und liefern einen Auszug aus der Karnevalsmail von Microsoft nach, die majo sicher kommentiert hätte:

Objektiv berichtet ihr, nicht immer – das verzeihen wir.
Niemand ist perfekt, selbst Microsoft. Doch Fehler machen wir nicht oft.
Und wenn, dann schreien alle los. Artikel bei Euch werden groß.
Letztendlich sind wir dankbar für, viel Gutes von Euch auf Papier.
Und Online selbstverständlich auch, denn das gehört jetzt mit zum Brauch.

Auch sehr rheinisch ist die Microm-Consulting in Neuss, die Firma, die die Hamburger Sparkasse beraten hat. Sie ordnet, ganz ohne Google Maps, soziale Milieus auf die Straßenecke genau ein und katalogisiert diese. Für das laufende Jahr 2010 wurde die Kategorie der "DDR-Nostalgiker" gelöscht. Die "Konsum-Materialisten" früherer Jahre wurden in "Prekariat" umbenannt: Allein diese Aktion sticht alle Äußerungen über die Erfolge der aktuellen Regierung ab, desgleichen die Aufwertung der "Postmateriellen" zu "Liberal-Intellektuellen". Will jemand seinen Senf dazugeben?

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 21 November, 2010, 08:24
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Endlich ist Street View gestartet. Wer will, kann sich den kleinen Verlag in der norddeutschen Tiefebene ansehen, komplett mit dem Parkplatz, auf dem in tiefer Dunkelheit diese Wochenschau überreicht wird. Und das ganz ohne Mattscheibe, anders als bei den ungewollt Verpixelten, die auf Facebook Trost im geteilten Schicksal suchen. Beim kleinen Verlag sehen wir die hohe Kunst der Individualverpixelung am Werke, wie mittels Jalousien das Sonnenlicht Zimmerverbot im Harem der IT bekommt, weil in vielen Zimmern die Eifersuchtsblende eingesetzt wurde, als der Giraffenkarren vorbeirollte. Mit dem Start von Street View sollte die blöde Debatte zwischen Panoramafreiheitsverfechtern und den Joschkafischerabnickern eigentlich zu Ende sein, doch weit gefehlt. Wieder wird der unsägliche Jeff Jarvis abgedruckt und derselbe auch noch als "Vordenker des Internets" gefeiert. Eine DLD-Debate wird ausgerufen, in der weitere "Vordenker" wie der Facebook-Fanboy David Kickpatrick zu Worte kommen soll, damit man alles hübsch nachdenken kann. Denn auch das Fressenbuch wartet mit Neuheiten auf. Warten wir ab, bis die Verpixelungen von Google als Werbeflächen vermarktet werden und in der Post von Facebook zielgruppengerechte Links blinken.

*** Nach den Gedanken über Deutsche in der Sauna werden dank Street View philosophische Betrachtungen über Deutsche im Kofferraum fällig, die das pixelpäckschenverbombte Land in "Aufruhr" versetzen. Wahlweise tut es auch der Unsinn, die German Angst hervorzukramen, die eigentlich Besseres verdient hätte als Referenz. Ja, die nackte Angst geht um in Deutschland, dem Land, in dem Gepäckstücke immer unter Aufsicht stehen müssen, seitdem wir von Namibia umzingelt sind. Wo bleibt nur Google Packet View, als Service passend zu den seltsamen Vorschlag, huschehuschfixfix die Vorratsdatenspeicherung einzuführen, weil Omas Pakete durch eine "Schutzlücke" rutschen. Und das vor Weihnachten, wo gutgetarnte Zipfelmänner mit Rauschebart und Päckchen unterwegs sind. Da braucht es dringend diese Sicherheitsnetze, in denen gefangene gefährliche Tannenbäume eingelagert werden, damit dieses unsere Land wieder sicher wird. Um jedes Päckchen ein Netzchen und frisch deutsches Liedgut dazu geschmettert:

Ich habe wohl ein Netzchen, das fischt gar gut, ich fang mir den goldenen Fisch in der Flut. Mein wirst du, o Liebchen, fürwahr du wirst mein, und wolltest du es auch nicht sein.

*** Wollen wir eigentlich diese Freiheit mit allgemeiner Gepäckaufsischtspflicht und der Denunziation von Menschen, die eine Sprache sprechen, die wir nicht verstehen? Ganz von dem logischen Knick abgesehen, wie man das Aussehen von Menschen beurteilen soll, die sich nie blicken lassen? So kann man sehen, dass in der allgemeinen Hysterie auch politische Trantüten einen gefährlichen Inhalt haben können. Wenn heute abend unser aller Bundesinnenminister Thomas de Maizière zusammen mit Gerhart Baum bei Anne Will über die akute Terrorgefahr diskutiert, werden selbst hartgesottene Admins ihr Riechtüchlein zücken. Eine andere Seite der typisch deutschen Terror-Hysterie sollte freilich nicht verschwiegen werden. Wenn die Netzutopisten kurzerhand den Datenschützer exkommunizieren, demonstrieren sie ihr plattes Unverständnis des Real Life. Freiheit statt Angst vor Kompromissen, das hört sich dummerweise nicht kampagnenfähig an.

*** Von besonders ausgesuchter Plattheit präsentierte sich diese Woche das deutsche Fernsehen mit einem kenntnisfreien Stück zum neuen Personalausweis und der maschinenlesbaren Zone, die der neue Ausweis wie der alte Ausweis und der Reisepass besitzt. Der Beitrag suggerierte, dass diese Zutrittsabsicherung bei der KFZ-Ummeldung oder auf der Bank geprüft wird. Entsprechend einfach konnte unser aller Bundesinnenminister die Sache dementieren. Der Rufmord per Rufname ist darum eine beachtliche Fehlleistung, weil es rund um den Ausweis eigentlich genug Probleme gibt, mit der sich Kritiker beschäftigen können. Man denke nur an die bohnerwachsweiche Mitteilung zum Test der AusweisApp als angeblich schwer komplexer Software. Oder daran, dass derzeit zwar die ersten Ausweise von der Bundesdruckerei zu den Meldebehörden geschickt werden, dort aber die Änderungsterminals nicht freigeschaltet sind. Wortspiele zu diesen Änte-Boxen gibt es schon zur Genüge. Ähnlich seltsam sind die Jubelmeldungen, dass ELENA gestoppt ist. Tatsächlich läuft die Aufschüttung eines riesigen Datenberges mit Meldungen aus den Unternehmen weiter, nur die Testphase ist verlängert worden, weil das System alles andere als ein kostengünstiges Verfahren ist.

*** Landauf, landab wird auf den Unterhaltungsseiten der hochleistungswertigen Presse der 100 Todestag von Tolstoi gefeiert. Selbst in den IT-Nachrichten ist ein Hauch von Tolstoi zu finden, weil sich Microsoft vor 25 Jahren den Spaß erlaubt hat, an diesem Tag Windows vorzustellen, komplett mit einer Notiz und einem Kalendereintrag zu Tolstoi. Krieg und Frieden liegen nahe beieinander und so passt auch die Nachricht vom Auftauchen der Beatles auf feindlichem Gebiet in diese Wochenschau. Im Jahre 1981 unterzeichneten die Apple Corps Ltd. und Apple Computer Corporated ein geheimes Abkommen, dass Apple Computer den Namen Apple für Computer nutzen durfte. Als 1989 die Multimedia-welle begann, als MIDI- und CD-Unterstützung auch die Apple-Rechner erreichte, verklagten die Briten Apple Computer und wollten 250 Millionen Dollar Schadensersatz. Der erste Rechtsstreit wurde 1991 außergerichtlich beigelegt, als Apple 26,4 Millionen Dollar zahlte - und prompt von der eigenen Rechtsschutz-Versicherung verklagt wurde, die sich unzureichend informiert fühlte und kein Geld auszahlte, sondern selber 13,2 Millionen Schadensersatz kassieren wollte. Der zweite Rechtsstreit bestätigte dann die landläufige Wahrheit, dass kein Frieden ewig ist.

Was wird.

Von einem geheimen Krieg gegen die Freiheit von Informationen reden auch die Fans von Wikileaks, weil ihr Sprecher Julian Assange nun von der schwedischen Staatsanwaltschaft mit internationalem Haftbefehl zur Untersuchungshaft geführt werden soll. Der ohnehin schon unübersichtliche Fall aus dem Privatleben eines Aktivisten taugt darum bestens für Verschwörungstheorien, weil Assange sich wochenlang in Schweden aufgehalten hat und während dieser Zeit ausdrücklich bestätigt bekam, dass er ausreisen darf. Im Gegenzug ist es nicht minder skurril, die Stellungnahme eines Anwaltes zu lesen, dass es tatsächlich um ungeschützten Geschlechtsverkehr gehen soll und der Angeklagte großzügig eine persönliche Aussage via Telefon, Videokonferenz oder e-Mail anbietet, unter der Voraussetzung, dass er nicht verhaftet wird. Die Chancen stehen gut, dass dieses Drama viele Fortsetzungen hat, weil nun Interpol am Zuge ist und gestern eine Red Notice in der Causa Assange erlassen haben soll. Ob Irland, Schweiz, Großbritannien oder Kuba, all diese Länder dürften auf diesen Auslieferungsantrag positiv reagieren, in der nächsten Woche. Immerhin ist die Geschichte um Assange eine nerdige Alternative zum Terror der Berichte über Wilhelm und seine Käthe. Wenn sie sich ein bisschen mehr angestrengt hätte, wäre sie eine Top-Stewardess geworden.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 28 November, 2010, 06:09
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Das war also die Woche, in der der Terror Deutschland erschütterte und unser Innenminister zum beliebtesten Politiker Deutschlands wurde, von einer Gloriole der Gewerkschaft geprägt, die sich nach der Vorratsdatenspeicherung sehnt. Muss man wirklich den Rechtsstaat abschalten, um ihn zu erhalten, fragt Heribert Prantl in der Süddeutschen Zeitung, die seinen Vorschlag zu einem "Megaprojekt der Befreiung von Angst" hinter die Paywall steckte. Brauchen wir also die Datenspeicherung in großem Stil, den intimen Umgang mit angenehmen Körperscannern, die Überwachung von Skype-Telefonaten und den Einsatz der Bundeswehr im Inland? Brauchen wir nicht besser Schnitzel zwischen den Beinen, die Aufkleber der Aktion "Ich bin verdächtig!" gegen die miesen Tricks der Ausländer, die unsere christlich-jüdische Tradition bedrohen? Wie kann da noch Partystimmung aufkommen, gar von Parties berichtet werden, wenn die Pressefreiheit ein bisschen gewürgt wird? Die nächste Terror-Woche wird es zeigen.

*** Achja, die Presse. Mit einem Blogger-Sandkasten, der tatkräftigen Hilfe anonymer Mobber, dem schadenfrohen Grienen der Blogosphäre samt reichlich hämischer Kommentare wurde der Verlegererbe Konstantin Neven duMont, auch bekannt als Konstantin Mustermann, vom Verlag getrennt. In allen Blättern schlägt der Qualitätsjournalismus zu und bringt lange Portraits des Abgetrennten. Dazu gibt es seltsame Vergleiche mit Nordkorea, das gerade nicht mit Steinchen schmeißt. Wobei die Idee mit dem Sandkasten nicht einmal schlecht ist: Da ist das wunderbar liebevoll gemachte World of Tanks aus Russland, mit stimmungsvollen Karten. Auch für Pazifisten empfehlenswert, weil sie sich die Gegend angucken können. World of Tanks ist eigentlich bestens geeignet, den Kriegswütigen einen Sandkasten zu bieten wie die Sandboxen für schlechte Software. Jaja, naive Vorstellung, genauso naiv wie die nordkoreanischen Dramen in der kaputten Verlegerwelt.

*** Was überhaupt Kultur ist und wem sie gehört, wird dieser Tage schwer diskutiert. Etwa mit einem 12-Punkte-Papier zum geistigen Eigentum, das von unserem Kulturstaatsminister vorgestellt wurde. Es macht den Verlegern große Zugeständnisse und möchte die Provider stärker in die Haftung nehmen. Das entspricht einer gewissen Logik: Wer das Recht auf die Privatkopie für nicht existent erklärt, hat mit der Pflicht, sich seines Verstandes zu bedienen, ein großes Problem. Wie die ständig "Stoffzettel" kopierenden und verteilenden Schulen den "Respekt vor Urhebern" vermitteln sollen, harrt auch noch der Erklärung. Wie wäre es mit einem 1-Euro-Erklärbär neben dem Kopierer, der die umstrittene Fotokopier-Abgabe erläutert?

*** An dieser Stelle wird es persönlich. Die Piraten segeln auf Backbord-Kurs in Richtung Linkspartei. Das sind die, die mit der Expropriation der Exproriateure liebäugeln und dem Volke das wiedergeben wollen, was sich andere angeeignet haben. Wie der verlinkte Otto Bauer erkannte, kann diese Expropriation nicht mit einer brutalen Konfiskation durchgeführt werden, sondern besser durch die Steuer und andere Abgaben. Solche Denke ficht unsere Piraten nicht an, sie halten es lieber mit Enteignungen und wollen mir meine Rechte an meinen Texten nach zehn Jahren wegnehmen. Diese kleine Wochenschau, die sich Gedanken über den Klassenkampf macht, wäre beispielsweise ein gemeinfreier Fall aus Piratensicht, während ich als Journalist, der samt Familie von den Veröffentlichungen leben muss, von einer schlichten Gemeinheit rede. In Zahlen: Im heute existierenden Urheberrechtssystem mit Verwertungsgesellschaften wie VG Wort und Pro Litteris bekomme ich pro Jahr rund 8000 Euro ausgeschüttet, davon rund 1300 Euro für Texte, die älter als zehn Jahre sind. Kurzum: Die radikale Kürzung des Urheberrechtes ist nicht in meinem Interesse. Daran ändert auch die Schwarz-Weiß-Malerei der Linkspartei nicht, die allen Ernstes nur die Lage der Autoren betrachtet, und Blümchen pflückend vom Veröffentlichen ohne Verlag schwärmt.

*** Gehen wir doch einmal genau zehn Jahre zurück in die Zeit. Wie war das noch, als die Betrügereien von Biodata ans Tageslicht kamen? Das war immerhin keine gewöhnliche Klitsche der Bobos, sondern ein edles Unternehmen, das auf einer Burg residierte und sich einen Philosophen leistete, wie es ein anderer, zehn Jahre alter Artikel beschreibt. Da spricht der Philosoph wie Ludwig Marcuse vom Glück: "Und ich bin hier der einzige Angestellte, der die Entwicklung moralisch beurteilen darf. Aus dem Enthusiasmus der letzten Jahre soll in dieser tollen Belegschaft kein Zynismus werden. Hinter jedem Engagement im Job steht der Wunsch nach einem gelingenden Leben."

*** Ganz anders klingt diese Beschreibung: "Nichts ist fürchterlicher, als alle Tage von morgens bis abends etwas tun zu müssen, was einem widerstrebt. Und je menschlicher der Arbeiter fühlt, desto mehr muss ihm seine Arbeit verhasst sein, weil er den Zwang, die Zwecklosigkeit für sich selbst fühlt, die in ihr liegen." Das ist von Friedrich Engels, gewissermaßen ein Ständchen zu seinem Geburtstag. Natürlich ist das veraltet und vor allem viel zu einfach geschrieben im Zeitalter der Ich-AG. Denn die Arbeit heute wird auf Soziologisch eine Realfiktion genannt, "ein höchst wirkmächtiges Als-ob, das einen Prozess kontinuierlicher Modifikation in Gang setzt und in Gang hält, bewegt von dem Wunsch, kommunikativ anschlussfähig zu bleiben, und getrieben von der Angst, ohne diese Anpassungsleistung aus der sich über Marktmechanismen assoziierenden gesellschaftlichen Ordnung herauszufallen." Alles klar im Oberholz? Die Passage stammt aus diesem schlauen Buch, das zu diesem schlauen Buch (PDF-Datei) geführt hat. All die Mythopoeten, die die Mythen der New Economy besingen oder aus gleichem Motiv heraus verdammen, könnten hier nachlesen, das die sinnstiftende Erzählung aus der Zeit der ver-rückten Ökonomie, die die Grenzen der Wirtschaftlichkeit sprengte, nichts anderes ist, als den Hamstern von heute im Rad neuen Schwung zu geben. Sonst droht die unerträgliche Lameness 2.0 sich wirklich noch im "ganzen" Internet auszubreiten.

Was wird.

Wenn schon zehn Jahre reichen, um aus dem Gestrampel der Bobos einen Mythos zu machen, was wird erst mit 100 Jahren passieren? Am 30.11.1910 wurde die Deutsche Hollerith-Maschinen Gesellschaft mbH gegründet, mit der die moderne Datenverarbeitung in Deutschland begann. Ein Jubiläum, dass der Mutter IBM nicht recht in den Krams passt, weil nächstes Jahr groß gefeiert werden soll. Behelfen wir uns passend zum deutschen Baby mit dem Spot über das Daten-Baby, komplett mit den Schauspieler-Interviews.

Metaphorisch gesehen ist auch der neue Personalausweis noch ein ein kleines Baby, das weiterhin brav darauf wartet, mit einer Äpp gepäppelt zu werden. Unter der Woche wurde mitten im größten Terror die kleine Umfrage des Bundesinnenministeriums beendet, in der neugierige Bürger vorab definierte Fragen stellen durften. Drei Fragen machten das Rennen, darunter eine zum Rufnamen, die aus Absurdistan gesendet wurde, weil auch der alte Ausweis nicht anders funktionierte. Aber halt, am 1. Dezember wird ein Türchen geöffnet und unser Bundesinnenminister wird die mit Spannung erwarteten Antworten präsentieren. Wer "Warum die Abweichung zwischen den Standards xHD und xÖV?" gefragt hatte, geht leer aus, ebenso wie viele Deutsche, die im Adressenteil Hausnummern mit Schrägstrichen wie 42/1 angegeben haben: das / fungiert in etlichen Kommunen als Trennzeichen des Datensatzes.

Manchmal wird auch das niedlichste Baby einfach zu heiß gewickelt. Das müssen in diesem Fall die Strategen von Wikileaks erfahren, die mit der Veröffentlichung von Diplomaten-Depeschen eine neue Weltgeschichte schreiben wollen. Die Kladde mit der Leseanleitung für diese neue Geschichte wurde vom Spiegel aus Versehen vorab veröffentlicht. Besonders hübsch die Vermutung, dass Diplomaten und Politiker die Wahrheit aussprechen könnten – oder eben doppelt gemoppelte Intrigen spinnen. Auch die Erwähnung der Sina-Boxen des deutschen diplomatischen Netzes amüsiert: es wird als "ähnliches System" beschrieben. Dabei ist die Verschlüsselung irrelevant: Leaks werden von Menschen in den Netzen produziert, nicht von den Kryptoknackern.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 05 Dezember, 2010, 03:05
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** "Information wants to be free and Code wants to be wrong." Das ist kein Witz, sondern die Passphrase zum Verständnis unseres Alltags. Inmitten von schrottreif designter Elektronik und miserabel programmierter Software lebt es sich blendend, weil es immer etwas zu berichten gibt. Meistens bleibt es ja bei einem harmlosen "Information wants to be free", obwohl Stewart Brand den Satz auf einer der ersten Hackerkonferenzen in einen wichtigen Kontext stellte:

"On the one hand information wants to be expensive, because it's so valuable. The right information in the right place just changes your life. On the other hand, information wants to be free, because the cost of getting it out is getting lower and lower all the time. So you have these two fighting against each other."

Ohne teure, abgeschottete Information kann es keine freie Information geben, ohne Computer für alle auch nicht. In den USA eröffnet das Computer History Museum bald seine Ausstellung unter dem nachdenklich stimmenden Slogan "Revolution: The First 2000 Years of Computing": Nochmal 2000 Jahre werden wir nicht haben, den Murks zu korrigieren. Denn die Entwicklung hat nicht mit IBM begonnen und endete nicht mit der M9, die in dieser Woche gefeiert wurden. Wer, wenn nicht Steve Wozniak mit seinem großen Ego, kann die Fehlentwicklung auf den Punkt bringen:

"I didn't design this computer to make a lot of money and start a company. I wanted to accelerate the world advancement in the social revolution."

*** Nun hat der Stresstest in der schönen heilen Welt der Wissensarbeiter begonnen. Wikileaks hat nach Kriegsvideos und Kriegsberichten damit begonnen, Informationen zu veröffentlichen, die niemals frei sein wollten. Informationen, die bestätigen, was wir aus ungezählten Romanen gelernt haben: dass Politiker lügen, dass stolze Bayern unberechenbare Querköpfe sind und dass Militär und Diplomatenkorps Teil ein und derselben Kriegsmaschinerie sind.

*** Sofort wurde die Maschinerie aktiv, wurde in den USA das Verbot für Regierungsangestellte und Vertragsnehmer erlassen, Wikileaks aufzusuchen. Denn in der Logik der Macht sind diese Informationen nach wie vor als Geheim klassifiziert. Nur die entsprechend geprüften Geheimnisträger können sich frei im Internet bewegen. Auf Wikileaks hat Amazon reagiert und kurzerhand alles Gerede von den Segnungen des Cloud Computing als Unfug enttarnt. Wer jetzt nicht Zweifel an der Cloud hat, hat keinen Verstand mehr, dem er sich bedienen kann, um die Marktinteressen der Cloudanbieter zu analysieren. Nach Amzon zog EveryDNS den Stöpsel, danach PayPal. Alle drei fanden flugs passende Passagen in ihren Geschäftsbedingungen, damit der Infrastruktur-Krieg mit einem legalen Mäntelchen drapiert werden konnte. So enthüllt der Stresstest, dass "Terms of Service" im Informationskrieg immer auch "Terms of War" sind.

*** Informationen wollen frei sein und frei gesetzte Informationen lassen sich nicht wieder einfangen. Ebenso verdächtig wie die unsäglichen amerikanischen Appelle, Wikileaks plattzumachen, ist das Gejammer der Wikileaks-Aktivisten über ihre hier und da abgedrehte Web-Präsenz. Als ob es keine Angebote wie Cablesearch oder Statelogs geben würde, die bestens die Korruption in Afghanistan und andere Dinge dokumentieren. Sie erfüllen bestens die wahnwitzigen Vorstellungen einer Hacker-Ethik, der Datenfreiheit über alles geht. Gäbe es wirklich diese Hacker-Ethik, dann müssten die US-Depeschen unredigiert im Netz zu finden sein, dann wären die Wikileaks-Aktivisten Feiglinge und all jene, die den "Gegenverschwörer" Assange unterstützten, mindestens Idioten, die nicht merken, dass die von Wikileaks "geschwärzten" Namen für eine kleine Erpressung gut sind. Abseits der gedankenlos beschworenen Hacker-Ethik sollte man sich einmal Gedanken darüber machen, ob es teils verschlüsselte Dokumente geben kann. Vielleicht hört dann auch der Unsinn auf, Wikileaks als die gefährlichste Website der Welt zu bezeichnen und Hacker als kleine Götter mit einem sozialen Hau zu porträtieren.

*** Im Informationskrieg ist nicht so sehr die Rolle der amerikanischen Außenministerin erstaunlich, sondern die lahme Reaktion von Präsident Obama. Der, in seinem Wahlkampf mit Abstand der weltbeste Blackberry-Benutzer, hat gegenüber seinen eigenen Informationsbeschaffern den Krieg verloren, als er seinen Blackberry unter die Aufsicht von Spion&Spion stellte. Im Sinne der Leakonomy und dem Gedröhn ist Obama eine lahme Ente, die 90 Milliarden Dollar für einen Geheimdienst ausgibt, der sich im Falle der chinesischen Kampfjets genauso schwer geirrt hat wie offenbar bei den Urananreicherungsanlagen von Nordkorea, was die US-Depeschen belegen sollen. So kommt zu den üblichen Verdächtigen, zu Israel und den USA nun ausgerechnet China auf die Liste möglicher Stuxnet-Produzenten. Sehen wir die Morgenröte eines neuen Krieges, der nicht gerechtfertigt zu werden braucht? Das Aurora-Experiment lässt grüßen.

Was wird.

Zarte Morgenröte über Dresden, wo dieser Tage ein Teil der deutschen Regierung die IT-Industrie umgarnt und umgekehrt. Der 5. nationale IT-Gipfel tagt und diskutiert hübsche Sachen wie "Cool Silicon" und Vertrauen im Internet. Man guckt vom Bitkom prämierte Filme zur digitalen Identität 2020, wenn Schule einfach nur geil ist und man verabschiedet ein neues Strategiepapier Deutschland Digital 2015. Während an der Elbe noch aufgebaut wird, spülen sie schon im IT-Gipfelblog die Reste-Interviews hinunter. Am Dienstag sollen dort die 20 besten Blogger Deutschlands gleichzeitig vom Gipfel berichten. Gleich nach dem Abstieg aus diesen schwindelnden Höhen, beginnt das besinnungslose Weihnachten: Jeder siebte Deutsche will für das Fest Spiele-Software kaufen. Vorbei die Zeiten, in denen liebevoll mit Lego seziert wurde oder die Eisenbahn durchs Wohnzimmer fuhr. Nun muss Junior Trainz ran und World Of Warcraft.

Große Aufregung in der Blogosphäre über den Jugendmedienschutz-Staatsvertrag für 2011, nach dem Web-Angebote mit einer vermeintlich freiwilligen Alterskennzeichnung versehen werden sollen. Kinder von 6 bis 80 Jahren kann man auch mit einem ordentlichen deutschen Schachtelsatz vom WWWW abhalten. Gott ist tot, schrieb Kant aus Kinderschutzgründen und um seinen Diener Lampe nicht zu verdrießen, so:

"Wenn der Weltbau mit aller Ordnung und Schönheit nur eine Wirkung der ihren allgemeinen Bewegungsgesetzen überlassenen Materie ist, wenn die blinde Mechanik der Naturkräfte sich aus dem Chaos so herrlich zu entwickeln weiß und zu solcher Vollkommenheit von selber gelangt: so ist der Beweis des göttlichen Urhebers, den man aus dem Anblicke der Schönheit des Weltgebäudes zieht, völlig entkräftet, die Natur ist sich selbst genugsam, die göttliche Regierung ist unnöthig, Epikur lebt mitten im Christenthume wieder auf, und eine unheilige Weltweisheit tritt den Glauben unter die Füße, welcher ihr ein helles Licht darreicht, sie zu erleuchten."

Nun bringt es der Kunstweltbau mit sich, dass nächste Woche der Kataklysmus beginnt. Wenn der Nikolaus mit seinen verdächtigem Sack verschwunden ist, geht es zu Mitternacht los mit dem Plattmachen von Dungeons. Mit dem neuen Abenteuer wird der Jugendschutz ad absurdum geführt, weil das Spielprogramm mit einem Subprogramm zur Förderung der Onlinesucht ausgebaut wurde. Erstmals gibt es Dinge, die man nur durch den Aufstieg in einer Gilde bekommen kann. Also muss man viel spielen und dem sozialen Druck in einer Gilde begegnen, weil man die Gilde selbst durch fehlende Online-Zeit sonst am Erreichen der Prämien behindert. Mit der alles zerstörenden Katastophe bekommt die Debatte um Online-Sucht von Kindern neuen Stoff, der das Gerede vom Jugendmedienschutz entlarvt. "Man weiß über die menschliche Natur nur das eine mit Sicherheit, dass sie sich verändert", meinte schon der große Oscar Wilde, und strafte damit all das Gerede von der Unmöglichkeit des menschlichen Denkens in der digitalen Welt Lügen, bevor es überhaupt aufkam.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 12 Dezember, 2010, 00:03
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Wikileaks und kein Ende. Passenderweise könnte neben dem neuen Channel Mac & I locker ein Leakkanal auf Sendung gehen, mit einer Klatschspalte über Assange und die Frauen. Es gibt genug zu berichten, denn mit Wikileaks verwirbeln sich die Fronten gehörig. "Die US-Politik ist ab sofort in ihrer Forderung nach totaler Freizügigkeit im World Wide Web unglaubwürdig." Das schreibt der Behörden Spiegel, ein konservatives Blatt für den öffentlichen Dienst in seiner aktuellen Ausgabe in einem Leitartikel, der auch die Illusionen des Cloud Computing nach dem "digitalen Gehorsam" von Amazon beerdigt und eine nationale Private Cloud fordert. Auf der anderen Seite die ergraute, grünkonservative tageszeitung, die in tiefe Depression versinkt und das unter dem Titel "The revolution will not be downloaded" verkündet.

*** Gegen diese einfach gestrickten Ansichten ist es vielleicht ganz nützlich, einen nostalgischen Blick zurück in die "Jugendjahre der Netzkritik" zu werfen und das nicht nur, weil der deutsche Arm passend zum Packetbombenfest einen ganz wunderbaren Essay-Band kritischer Gedanken zum Web 1.0 herausgebracht hat. Erinnert sei daran, dass von dieser Seite aus zunächst in zehn, später in 12 Thesen die erste fundierte Kritik an Wikileaks formuliert wurde, noch vor dem Ausstieg einiger Aktivisten. Auf diese Thesen gibt es nach den Erfahrungen dieser Woche sechs Anti-Thesen, die bei näherem Hinsehen eher eine Ergänzung sind. Wo sich gerade der Rauch der Low Orbit Ion Cannons langsam verzieht und die Attacken gegen Mastercard, Visa und andere vermeintliche Gegner von Wikileaks eingestellt sind, stellt sich die Frage, ob hier wirklich überwiegend Skript-Kiddies am Werk sind. Kann es denn sein, um mit These 5 zu beginnen, dass ein neuer Sozialisationstyp die Szene betritt, die Werkzeuge virtuos bedient und dabei – anders als Skript-Kiddies und die echten Hacker um 2600 – ein politisches Bewusstsein hat? Oder passt zum blauen Auge, das "Anonymous" den Web-Präsenzen der "Verräter" verpasste, eine große Portion Blauäugigkeit, dies als zivilen Widerstand einzuordnen?

*** Die Gegenthesen erwähnen Hakim Bey und den ontologischen Anarchismus seiner temporären autonomen Zonen irgendwo in der Nähe von Croatanischen Paradiesen. Vielleicht muss man nicht unbedingt in dieser Guerilla-Romantik versacken, aber wenn dieser Rückblick in die Anfänge von 1.0 reicht, dann muss noch einmal das crypto-anarchistische Manifest des Cyphernomicon ausgepackt werden, meinetwegen auch das romantische "Holocaust Education and Avoidance Pod" (HEAP) im Cryptonomicon von Neal Stephenson. Der empfindlichste Punkt, an dem Wikileaks bisher getroffen wurde, war die Möglichkeit, über PayPal das Projekt mit Spenden zu unterstützen. Mittlerweile sorgt ein wackerer Schweizer dafür, dass Gelder fließen, aber ein weltweit von allen Banken durchgehaltenes Wikileaks-Embargo ist in seiner schlicht kapitalistischen Grausamkeit nicht vom Tisch: Immerhin hat Julian Assange angekündigt, dass als nächstes die Machenschaften einer US-Großbank enttarnt werden sollen.

*** Wirklich anonymes, niemals nachverfolgbares digitales Geld, das sicher verschlüsselt flottieren kann, ist die erste Voraussetzung für ein anonymes System, das "die Wahrheit" ungeschminkt veröffentlicht, heißt es im Cyphernomicom gleich mehrfach. David Chaum, der Erfinder dieser Form von Digital Cash, wird als Garant der Crypto-Anarchie bezeichnet. Schließlich konzipierte Chaum neben dem anonymen Geld ein System von Remailern, über die das Geld, aber auch vertrauliche Nachrichten einer verschworenen Gemeinschaft fließen sollte. Bekanntlich gehörte seine Firma Digicash zu den Startups, das früh die Segel streichen musste. Es gibt die Lesart vom Digicrash und einem misstrauischen Chaum, der die hoffenden Hacker bitter enttäuschte. Die andere Variante besagt, dass Chaum an den Ansprüchen der Deutschen Bank scheiterte, eine Hintertür in sein System einzubauen, dass die Prüfung auf Geldwäscheverdacht hin ermöglichen sollte. Die verschlüsselte Mailingliste der Cypherpunker und die Absicht, Digital Cash mit dem Free Speech Amendment und Free Speech mit dem Hinweis auf Digital Cash zu schützen, krepierte ... und inspirierte die nächste Generation um Julian Assange. Die Ideen von Chaum finden sich in der Hackerfibel Underground, die von der iX gelobt wurde.

*** Nun sitzt Assange in Haft im echten Frontline Club von England, in dem Gefängnis, das schon Oscar Wilde begrüßen konnte. Seine Auslieferung ist ein Fall für juristische Halsspaltereien zum europäischen Haftbefehl. Die USA versuchen bei dieser Auslieferung eine aparten Angriff aus der Mitte, die stinkt wie Surströmming. Aus dem Vorwurf der minder schweren Vergewaltigung durch einen ungeschützten Geschlechtsverkehr ist mittlerweile eine Vergewaltigung im Schlaf geworden. Getreu den seit Immanuel Goldstein bekannten Prinzip hat der nächste Blitzableiter seinen Dienst angetreten. Gewöhnen wir uns an den Namen Kristinn Hrafnsson, ohne seine Kondome zu zählen.

*** Den bemerkenswertesten Satz zu Wikileaks hat in dieser Woche ein deutscher Minister gesprochen, zuerst in einer Gipfelrede, dann auf der anschließenden Pressekonferenz, als er versuchte, seine Ansicht über Wikileaks und diesem USA-DDR-Vergleich zu entschärfen:

"Also um das ganz klar zu stellen, es handelt sich um Sammeln von Informationen, und es ist immer ein Unterschied, ob das bei einer demokratisch kontrollierten, gewählten Regierung geschieht oder bei einer Diktatur. Insofern ist das in dem Punkt nicht vergleichbar, aber bei mir löst das Unbehagen aus, wenn man so viel sammelt dabei. Das wollte ich damit ausdrücken. Vielleicht ist der Vergleich etwas überpointiert und kann, wenn man ihn nicht richtig wertet, missverstanden werden."

OK, ein Brüderle ist kein Baum von der Deutschen Grundrechtsrettungsgesellschaft, sondern eher ein schwäbisches Obstgewächs, das mal hier, mal dorthin wächst. Aber Minister Brüderle ist Mitglied der FDP, einer Partei, die ausweislich der von Wikileaks veröffentlichten US-Depeschen einen Maulwurf, ähem, ein Robbenbaby direkt im Büro von FDP-Chef Westerwelle hatte. Die FDP ist außerdem eine der letzten Bastionen, die bei der Vorratsdatenspeicherung skeptisch ist, Wikileaks nüchterner beurteilt und keine Bundessuperpolizei will. Sie ist andererseits die Partei, die nach einem Koalitionsvertrag die elektronische Gesundheitskarte einer kritischen Prüfung unterziehen wollte und selbige nun ohne Prüfung mit Zwang einführen will. Wo ist der nächste Maulwurf, das Robbenbaby oder das Singvögelchen, dass uns über das Gesundheitsrisiko aufklärt, dass diese Partei eingeht? OK, wir sind hier nicht in Nigeria, aber die Frage bleibt im Raum.

*** Ach, der IT-Gipfel. Zu seinen Kuriositäten gehörte es, dass ein Login auf staatliche estnische Web-Angebote mit dem neuen Personalausweis gezeigt wurde, der nahezu nicht lieferbar ist. Oder der dann, wenn er kommt, offenbar Chips enthält, die nicht ausgelesen werden können und daher als "leer" bezeichnet werden. Noch seltsamer ist die Geschichte mit der entdeckten Sicherheitslücke, die vom Projektleiter als inszenierte Sache dargestellt wurde. Nur mal so: Die Sicherheitslücke steckte in der Update-Funktion der "AusweisApp". Diese Update-Funktion war in den Anwendungstests des kommenden Ausweises überhaupt nicht enthalten und wurde erst am 1.11. freigeschaltet. Inzwischen sind in dieser Woche dank einer Zeitung der Konkurrenz die berühmt-berüchtigten Basisleser im Computervolk verteilt worden. Wer will, kann sich mit einem lustigenHacker-Video die Zeit vertreiben, bis Anfang Januar die wichtige AusweisApp freigeschaltet wird, ohne die absolut nichts geht. Danach kommt übrigens im nächsten Jahr, ebenfalls von der Bundesdruckerei produziert, der elektronische Aufenthaltstitel (EAT). Er ähnelt optisch sehr dem schicken Personalausweis-Kärtchen und kann auch "eID". Doch der Fingerabdruck, der bei deutschen Ausweisen optional ist, wird beim EAT zur Pflicht. Irgendwie muss man die doch ordentlich unterscheiden können, diese Ausländer.

Was wird.

Doch halt! Vor diesem Datum startet noch manch andere Kuriositäten-Show. Unter anderem ein Prozess vor dem Landgericht Köln, in dem die De-Mail-Fraktion die Deutsche Post verklagt, weil diese ihren Postident-Service für De-Mail-Kunden sperrt, um ihren eigenen E-Postbrief zu schützen. Auch dieser Streit wurde auf dem IT-Gipfel in Dresden diskutiert, mit amüsierten Kommentaren auch zum zügigen Abschluss. Dass beide Ansätze Kokolores sind, wissen halt die Menschen, die mit IT-gesteuerten Prozessketten vertraut sind. Der erste Bürger, der gegen einen mit De-Mail oder e-Post zugestellten Gebührenbescheid einen Einspruch einlegt, der der Schriftform bedarf, wird merken, wohin der Hase humpelt.

Noch vor dem Showdown im Cologne-Corral ist Wikileaks wieder auf der Agenda. Am Montag geht Openleaks an den Start. Man darf gespannt sein, ob es anders gehen kann als mit der großen Wikileaks-Show. In einem sehr wichtigen Punkt hat Daniel Domscheit-Berg allerdings recht: Die Entscheidung von Wikileaks, die US-Depeschen tröpfchenweise den "bevorzugten Medienpartnern" zukommen zu lassen, widerspricht klar den Prinzipien von Wikileaks. Das zeigen schon die Fälle, in denen verschiedene Fakes die Runde machen. In diesem Sinne gröhlt der Weihnachtsmann Schafft zwei, drei, viele Vietnam!. Oder, um das mal vom Kopf auf die Füße zu stellen: "The revolution will not be televised, the revolution will be live ...".

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 19 Dezember, 2010, 08:19
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Ach, ein bisschen Sambaria hilft, beim elenden Weihnachtsgetümmel in der Innenstadt die Laune zu heben. Und weckt die Hoffnung, dass tatsächlich irgendwann mal wieder Sommer wird. Derweil funkelt er immer noch prächtig, der Schnee auf der norddeutschen Tiefebene. Sauber sieht sie aus. Selbst der Gestank aus den Mastställen ist in der hyperboreischen Kälte erträglich geworden – oder ist dies eine Illusion wie die Rede von der sauberen Landwirtschaft und von der sauberen Landwirtschaftsministerin der Tiefebene, die nach einem Petaleak als Lobbyistin der Billigfleischindustrie gehen musste? Still schaufeln die Wutbürger an ihren Schneehaufen, nur selten ist ein Schneemerkel zu sehen, als Erinnerung an den Krieg in Afghanistan. It's a war, right. Dort werden unsere Handelswege durch den Hindukusch verteidigt, von dort kommt angeblich die Losung Klappe halten, Gehirn ausschalten. Keine Fragen stellen, warum nach acht Jahren die Mehrheit der Deutschen diesen Unsinn satt hat. Klappe halten und einfach mal die US-Depeschen über Afghanistan lesen, die Wikileaks veröffentlicht hat. Im Gegensatz zu dem, was die uniformierten Vögel zwitschern, sind die Amerikaner selbst abseits aller Leaks erstaunlich offen über die Situation, wenn sie mit Bloggern sprechen.

*** Wutbürger statt Hamburger, Mark Zuckerberg statt Julian Assange, der Deutschland-Import Sandra Bullock statt Kate Middleton: Das Jahr geht zu Ende, die Riten setzen ein, Updates für Tubewürger inklusive. Über Zuckerberg und Assange haben Heise-Forumsleser alles gesagt, bleibt nur eine Ehrung nachzutragen, die das dank Wikileaks so schwer gebeutelte US-Außenministerium der Firma des Jahres um den Hals hängt. Dass Hilary Clinton ausgerechnet Cisco auszeichnet und davon schwärmt, wie diese Firma demokratische Werte in der Welt verbreitet, ist ein kleiner Lacher wert, in Anbetracht des kleinen Leaks zum großen goldenen Schild. Der nächste Preis geht bestimmt an BP für die tröpfchenweise Ausbreitung öliger Werte oder an Blackwater für die Vermittlung ethischer Standards im Irak unter besonderer Berücksichtigung des Schnellfeuers.

*** Und bei uns? Wie wäre es mit dem European Newspaper Award, der für diese Infografik (PDF-Datei) aus dem Ruhrgebiet an den Bauer-Konzern vergeben wurde, mit einem Blick auf ein unscheinbares Kästchen links unten? Die Volten der blondgelockten Politik beim Streit um die Hartz IV-Reform müssten eigentlich die zu Wutbürgern machen, für die die Reform durch das Verfassungsgericht verordnet war. 2,3 Millionen Kinder auf die Barrikaden, denn was abseits der Politik mit Gutscheinen und Bildungschips gebastelt wird, wird von der Realität locker überholt. So hat am diesem Wochenende der Zahlungslauf der Arbeitsagentur für das neue Jahr begonnen, in dem sich zunächst nichts ändern wird für die Förderbürger und die Forderbürgerkinder und die organisierte Nachhilfe. Das Schulessen ist vorerst gestrichen. Sind so kleine Hände, sollen sie halt popeln.

*** Dann war da noch ein neuer Jugendmedienschutz, der zum neuen Jahr greifen sollte. Nur ein sauberes Deutschland ist bekanntlich ein gutes Deutschland. Nur 4chanfrei geförderte deutsche Kinder haben eine Chance, ihre deutsche Sexualität unbelastet zu entdecken. Erinnert sei an das Schmutz- und Schundgesetz, das vor genau 84 Jahren am 18.12.1926 eingeführt wurde, die Schundliteratur einzudämmen. Ja, Schundliteratur, all die Abenteuer- und Groschenhefte, die lange vor den MMORPG dann nachgespielt wurden. Im Jahre 1912 klingt das nicht sehr viel anders als beim Gerede über die Ego-Shooter anno 2010: "Neuerdings hat sich wieder mehrfach gezeigt, daß durch die Abenteurer-, Gauner- und Schmutzgeschichten, wie sie namentlich auch in einzelnen illustrierten Zeitschriften verbreitet werden, die Phantasie verdorben und das sittliche Empfinden und Wollen derart verwirrt worden ist, daß sich die jugendlichen Leser zu schlechten und selbst gerichtlich strafbaren Handlungen haben hinreißen lassen." Ab 1926 wurde der Schund von zwei Schundprüfkammer gesichtet und weiter gelesen. Wie Tucholsky richtig erkannte, entstand eine Spielwiese der Verstopften und Verdrückten, "ein einziger Schrei der Denunziation".

*** Das Schund-Gesetz galt bis 1935, dann wurde es aufgehoben: "Mit der Errichtung der so genannten Reichsschrifttumskammer in der Zeit des Nationalsozialismus verfügten die Machthaber über eine wirksame Institution zur Kontrolle des in Deutschland veröffentlichten Schrifttums. Für eine besondere Indizierung jugendgefährdender Werke bestand keine Notwendigkeit mehr." Der Umbau vom Internet zum Volksnetz für Deutsche mit Webtumskammer für die Schundzensur muss nun im "Diskurs mit der Netzgemeinde" neu ausgehandelt werden. Ich würde schon das Wort "Netzgemeinde" mit einer Jugendsperre nicht unter 80 Jahren belegen wollen. Wer da nicht mitmacht, wer Feindsender hört, weil er nicht die Klappe halten will, sondern Informationen braucht, dem wird im Namen eines albernen Jugendschutzes gedroht: "Basierend auf den derzeitigen rechtlichen Grundlagen werden die Jugendschutzbehörden Sperrverfügungen erlassen", tönt Kurt Beck. Beck und Bild haben mehr gemein als Namen mit vier Buchstaben. Wenn dann noch aus der geplanten regulierten Selbsregulierung des Jugendmedienschutzstaatsvertrag eine "koregulierte Selbstregulierung" wird, bleibt die Erkenntniss, dass eine Pfälzer Leberwurst lecker und grau ist, während ein Pfälzer Ministerpräsident als beleidigte Leberwurst beides nicht ist. Eine innere Sperrverfügung hat hier etwas gelöscht.

*** Ach ja, Schmutz und Schund raus aus dem Netz, ja, alles nur zu unserem Besten, niemand hat die Absicht, eine Mauer ... äh, Zensur zu üben. Meines Wissens gehört Jean Genet allerdings in einigen Schulen zu der Literatur, die auch im Unterricht behandelt wird. Im Internet allerdings dürfte er eigentlich für die meisten Schüler nicht nachzulesen sein, nimmt man auch den bereits gültigen Jugendmedienschutzstaatsvertrag ernst, der nach gescheiterter Novellierung gültig bleibt. Die Schriften und Filme Jean Genets, der heute vor 100 Jahren geboren wurde, nur für diejenigen aus der ominösen Netzgemeinde, die mindestens und nachgewiesenermaßen 18 Jahre alt sind. Oder aber die Schriften und Filme Jean Genets, den Sartre als "Saint Genet, Komödiant und Märtyrer" charekterisierte, erst ab 22 Uhr online. Kein chant d'amour für Jugendliche in dieser Republik. Die müssen alle um 21 Uhr ins Bett. Alleine.

*** Auf ein Neues! Wenn schundliterarisch gesprochen die Regulatoren von Arkansas ähem Steinfeldbach wieder reiten und den "Diskurs mit der Netzgemeinde" von ihren Rössern bestreiten, wird ein neuer Bekannter dabeisein. Unser toller Personalausweis mit seiner datensparsamen Altersverifikation wird brave, familienbewusst surfende Kinder schon davon abhalten, Schund und Sexseiten zu besuchen. Notfalls bilden Fremdsprachenkenntnisse die nötige Barriere vor Schundgeschichten über Sex im Halbschlaf, nach dem Brötchenholen beim Wutbäcker. Wenn dann Zappa & Beefheart The Torture Never Stops spielen, kann man sich beruhigt zurücklegen. Oder traurig. Der Käptn hat die Brücke verlassen, seine Odyssee geht anderswo weiter. Von dem Bisschen, was in meinem Land verfügbar ist: Electricity. Nein, es geht nicht um Laptop-abhängige Infojunkies, die eine Dose für ihren Schuss suchen: "High voltage man kisses night to bring the light to those who need to hide their shadow deed ..."

Was wird.

Oje. Das Lametta-WWWW naht. Für alle Menschen, die nicht diverse höhere Wesen verehren, bricht eine schwere Zeit an. Der Rest übt sich in Last-Minute-Einkäufen. Besonders gute Schnäppchen heißen dann "göttliche Fügung". Eine solche ist der Weihnachtsbaum, eigentlich der Baum des Paradieses, an dem Paradeiser hängen sollten. Vielleicht erinnert sich der eine oder andere Leser an diese kleine Petitesse vom Sparen in der Informationskultur. Leider ist das optimistisch angegangene Insolvenzverfahren daneben gegangen. Am kommenden Dienstag geht es beim Amtsgericht Frankfurt in die letzte Runde. Die Hinterlassenschaft des einmaligen Informationssystems, in das die Bildungsrepublik Deutschland 40 Millionen Euro gesteckt hat, wird versteigert. Es gibt ein Gebot der Mitarbeitergruppe, die eine Genossenschaft gebildet hat und das System weiterführen will. Für 1 Euro. Dagegen steht ein Gebot der VUB Printmedia, die ausschließlich an der Datenbank für den internen Gebrauch interessiert ist: 10.000 Euro. Die Moritat von der Geschichte ist im Zirkus Zuckerberg zu lesen. Wie war das noch mit den "fundierten Informationen für alle Lernenden"? Auf dem rund 300.000 Euro teuren IT-Gipfel in Dresden wurde der Informationsstandort Deutschland bejubelt, in Frankfurt wird er abgewürgt. In leichter Abwandlung von Harry Rohwohlt schließe ich mit einem Feiertagsgedicht als besonders hübsches Last Minute-Angebot.

Lieber Gott,
Du bist der Boss, Amen.
Deine deutschen Esel.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 26 Dezember, 2010, 00:11
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Mitten im schönsten Festtagstrubel, wenn niemand einen Pfifferling auf IT-Nachrichten spendiert, einen Wochenrückblick zu schreiben, ist harte Fron. Es gibt ja nicht allzuviele Experten für IT-Sicherheit, die am 24.12. arbeiten und zum Beispiel einen gepfefferten Brief schreiben. Vielleicht hilft zur Einstimmung ein Weinachtslied von der Sorte, die laufend im Äther dudeln. Jingle Bells war das erste Lied, das von draußen im All zur Erde gesendet wurde. Da die Originalfassung IT-mäßig wenig aufregend ist, starte ich lieber mit dem Lied Nr. 74 aus dem offiziellen IBM Songbook. Zur Melodie von Jingle Bells stimmen wir ein:

I. B. M., Happy men, smiling all the way.
Oh what fun it is to sell our products night and day.
I. B. M., Watson men, partners of T. J.
In his service to mankind – that’s why we are so gay.

I. B. M., Watson men, International line:
Proud T. M. – Dayton Scale – and I. T. R. so fine
I. B. M. goods and men, leaders all the time.
Saving money, time and men, in every land and clime.

*** Mit gay sind wir, huschehusch, weg vom fetten Weihnachtsbraten und bei der epochalen Entscheidung der USA angelangt, eine idiotische Richtlinie der Armee zur Behandlung von Homosexuellen aufzuheben. In den Vereinigten Staaten sitzt bekanntlich ein schwuler Soldat namens Bradley Manning im Gefängnis, der verdächtigt wird, diverse Geheimdokumente an Wikileaks gemailt zu haben. Manning sitzt in verschärfter Einzelhaft. Seine Haftbedingungen sollen jetzt von den Vereinten Nationen überprüft werden. Ein Weihnachtsständchen für Manning ist fällig:

On the first day of Xmas, WikiLeaks gave to me:
A [redacted] in a [redacted] tree.

On the second day of Xmas, WikiLeaks gave to me:
Two maids a-suing
and
A [redacted] in a [redacted] tree.

On the third day of Xmas, WikiLeaks gave to me:
Three Gitmo manuals
Two maids a-suing
and a [redacted] in a [redacted] tree.

*** Usw., usf., usa. Natürlich hat gay in Verbindung mit Happy IBM men eine andere Bedeutung, zumal vom Dienst an der Menschheit die Rede ist. Bei Diensten dieses Kalibers ist die sexuellen Orientierung zweitrangig. Das bringt uns zum IBM-Ingenieur Lou Sedaris, dessen Sohn David heute Geburtstag hat, den er wohl mit seinem Lebensgefährten Hugh Hamrick feiern wird. David wurde schlagartig mit einer Weihnachstgeschichte berühmt, die er im Radio vorlesen konnte. Seine Santaland Diaries, die Einsichten in den US-Lifestyle als grünes Elfenkind im Kaufhaus Macys können auch online gehört werden. Besonders eindrücklich das Haus des Weihnachtsmannes, in dem die Kinder dem Weihnachtsmann auf den Schoß gesetzt werden und ihre Wünsche vor der Videokamera aufsagen müssen. Oder eben das, was sich die Eltern wünschen, dass sich die Kinder wünschen sollen.

"Ich wünsche mir . . . dass Prokton und . . . Gamble . . . Gamble mit . . . mit den Tierversuchen aufhören." Die Mutter sagte: "Procter, Jason, Procter and Gamble heißt das. Und was machen sie mit den Tieren? Foltern sie die Tiere, Jason? Ist es das, was sie mit den Tieren machen?"

Kinder, die ihr demonstratives Gutmenschentum nicht ordentlich aufsagen können, bekommen von den entnervten Eltern eine Tracht Prügel angedroht und der Pausenelf Sedaris muss mit seinen Witzen die Stimmung retten. Oder er muss verirrten Ausländern, die verwirrt dem Weihnachtsmann die Hand schütteln, zum Ausgang bringen. "Ich gehe gut heute", stammeln sie.

*** "Gehn wir gut heute? Weihnachtlich glänzet das Heiseforum, die Weihnachtsgeschichte ist modern interpretiert, das Christkindlein friedlich im Melderegister abgelegt, gewickelt in die Babyerstausstattung, ein Wunder des Target-Marketings. Für die Leser, die es mehr mit dem Weihnachtsmann haben, kommt die moderne Variante natürlich von Happy IBM:

Niemand weiß, wie alt der Weihnachtsmann genau ist. Anzunehmen ist allerdings, dass er sogar älter ist als die IBM. So musste er früher wahrscheinlich Lochkarten benutzen, um die Wünsche der Kinder und Erwachsenen zu Weihnachten festhalten und organisieren zu können. Heute ist der Weihnachtsmann etwas moderner. Selbst wenn jemand im Weihnachtsstress vergisst, seinen Wunschzettel abzuschicken, so hat der Weihnachtsmann immer noch SPSS zur Verfügung, um aus Millionen von Daten zu ermitteln, was sich eine Person eventuell wünschen könnte. Sind alle Daten und Wünsche gesammelt, können sie mittels IBM Business Analytics Software Tools analysiert und zu einem Masterwunschzettel aufbereitet werden. So startet der Weihnachtsmann also bestens vorbereitet in die Weihnachtszeit und vergisst kein Geschenk mehr.

*** Die letzte derartige Weihnachtsgeschichte von IBM wurde übrigens im Jahre 2000 verschickt und lobte OS/2, dessen Entwicklung genau ein Jahr später eingestellt wurde. Heute gibt sich IBM moderner, selbst Wikileaks wird erwähnt, mittlerweile ein Standard der Public Relations und aller sonstigen Weihnachtsleaks. Ganz anders als dieser satirische Kommentar über den schlimmsten Fehler eines IBM-Programmierers geht die Geschichte vom Weihnachtsmann wunderbar entspannt weiter, anders auch als die Lotus-Kommentare in Vowes magischem Zirkus.

Natürlich hat der Weihnachtsmann auch kleine Helfer, die Geschenke besorgen und ihn bei der Logistik unterstützen. Damit die Kommunikation untereinander einfacher wird und jeder weiß was zu tun ist, legte der Weihnachtsmann sicherlich schon im Herbst eine Activity bei Lotus Connections an und hält seitdem regelmäßige Meetings mit allen zuständigen Helferlein auf der ganzen Welt über Lotus Live in der Wolke. Denn auch der Weihnachtsmann von heute ist schon in einer Public Cloud. Damit auch im letzten Moment nichts schief gehen kann, wird der Weihnachtsmann durch mobile Lösungen auf seinem Handy unterstützt. Denn sollte er noch einen Weihnachtswunsch per Mail erhalten, kann er diesen ad hoc bearbeiten und schnell noch etwas über das Internet bestellen. Damit ihm nicht das passiert, wie dem Weihnachtsmann in der Skizze, und die geheimen Wünsche nicht irgendwann auf Wikileaks veröffentlicht sind, werden die Daten natürlich sicher auf einer IBM Speicherlösung archiviert .

*** Sind die Daten beim Weihnachtsmann wirklich sicher? Na klar, werden die einen sagen: Was am Nordpol oder in Himmelsthür gespeichert ist, ist erst einmal ganz weit weg. Nein, das Netz ist global, so die Antwort der Datenschutzskeptiker. Sie verweisen darauf, dass Weihnachten ein Fest des Schenkens ist, bei dem vor allem Konsumentendaten gesammelt und verschenkt werden. In dieser Hinsicht ist die Datenschutzerklärung des Weihnachtsmanns alles andere als beruhigend, selbst wenn Wikileaks nur am Schornstein-Rande erwähnt wird. Diesem Typen sollte man nicht trauen.

Was wird.

Trauen wir gut heute? Wird die modernisierte Weihnachtsgeschichte der deutschen Statistiker zur Standard-Erzählung am brennenden Weihnachtsbaum? Wer braucht schon Ochs und Esel, die Krippe und die Zusammenrottung der Könige, wenn Zahlen sprechen können? Wie war das noch mit Goebbels, der Churchill unterstellte, nur der Statistik zu trauen, die man selbst gefälscht hat? Fragen, nichts als Fragen. Das nächste WWWW bringt die passenden Antworten mit den Statistiken von heise online, denn diesmal ist es gleichzeitig das traditionelle Jahresend-WWWW der harten Fakten. Da wird nicht lange gefragt, ob es Geheimnisse geben muss, da kommen Zahlen auf den Tisch, ganz ohne Hilfe von Wikileaks.

Schauen wir gut heute? Es gibt auch andere Nabelschauen. Erinnert sei an den Chaos Computer Club und seinen 27. Friedenskongress mit Themen wie Zensursula und Censilia. Die kleine Zubringerrakete ist schon vor dem Gebäude gelandet, in dem am 16. Februar 2011 Cecilia Malmström über das Internet und die innere Sicherheit Europas sprechen wird. Das ist auf dem europäischen Polizeikongress im nächsten Jahr, und das ist ja doch noch weit, weit weg. Bis dahin ist die Gans ganz verdaut. Bauchgrimmen hat bis jetzt nur einer: Jörg Ziercke ist derzeit der Chef des Bundeskriminalamtes, einer Behörde, die auf ihrer Homepage (Risiken und Nebenspeicherwirkungen bei Besuch des Links) gezwungen wurde, einen Link auf den Kommissionsbericht Evaluierung Sicherheitsbehörden des Innenministeriums zu setzen. Ziercke möchte sein Kompetenzteam behalten, während sein Innenminister de Maizière eine Mammutbehörde aus BKA und Bundespolizei bauen will, komplett mit einem "Generaldirektor öffentliche Sicherheit" als Vorgesetzten von Ziercke. Was doch ein schönerer Titel ist als "leitender Weihnachtsmann."

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. Die Jahresanfang-Edition
Beitrag von: SiLæncer am 02 Januar, 2011, 00:15
Was war.

*** Die Zeit ist aus den Fugen,
verfluchte Schicksalstücken,
dass ich geboren ward,
um sie zurechtzurücken.

Was der größte Barde aller Menschenszeiten seinem Hamlet in den Mund legte, trifft auf diese Wochenschau zu. Sie erscheint zur Unzeit, wenn das neue Jahr bräsig in den Betten liegt, wenn kein Schwein die Gans beim Kopfstand bewundert und wenn sich wirklich niemand für die Zugriffszahlen auf heise online interessiert. Traditionell gehört der Blick auf die Statistiken zur Jahresend-Edition des WWWW, die dank der Fugung und Faltung der Zeit eine Jahresanfangsausgabe geworden ist. Während die ersten Tankstellen E10 ausschenken, die "Luftverkehrsabgabe" wirksam wird und nach ELENA das niedliche Schwesterchen ELStAM in den Windeln kräht, schweift der Blick zurück auf die Schicksalstücken des Jahres 2010.

*** Memento moriendum esse: Gleich zweimal dachten die Hacker beim Jahrestreffen des Chaos Computer Clubs an den Datenschützer Andreas Pfitzmann, beim Jahresrückblick wie bei der Vorschau auf die Sicherheitsalpträume des kommenden Jahres. Andreas Pfitzmann war es, der in seinem eindrucksvollen Plädoyer vor dem Bundesverfassungsgericht zum Stand der Überwachung die Richter darauf aufmerksam machte, dass wir gespeicherte Computerdaten nicht nur im Notebook oder im Smartphone in der Brusttasche mit uns tragen, sondern die Daten im Körper sind, in Herzschrittmachern und Hörhilfen, in Erinnerungs- und Denkhilfen. Die Freiheit und Unbeobachtbarkeit des Denkens ist so in Gefahr, zerstört zu werden:

Hierbei bitte ich, die Implantierung bzw. Implantierbarkeit von Rechnern als Sinnbild zu verstehen. Ich verwende es, weil es aus medizinischen Gründen bei vielerlei Gebrechen oder Behinderungen (wenn nicht darüber hinaus) künftig realisiert wird, und weil es auch für mit Informations- und Kommunikationstechnik bislang wenig Vertraute verdeutlicht, welch enge, symbiotische Verbindung zwischen unserem Gehirn und Sein künftig mit persönlichsten Rechnern bestehen wird. Wir werden in diese Rechner zunehmend verloren gegangene Fähigkeiten auslagern, um sie so wiederzugewinnen. Wir werden an sie persönlichste Denk- und Merkfunktionen delegieren, um uns zu entlasten (Bsp. Simulation von gedachten Welten zur Exploration der Auswirkungen von Änderungen in den Annahmen). Persönlichste Rechner einer wie auch immer gearteten Durchsuchung zu unterwerfen, bedeutet eine sukzessive Einschränkung und schließlich Auflösung dessen, was wir als Grundwert des Schutzes der Person, ihrer Autonomie, Freiheit und Würde kennen.

Pfitzmann verstarb im Alter von 52 Jahren und hatte nicht die Chance eines Maurice Wilkes, sein Lebenswerk zu vollenden und ein bemerkenswertes Jubiläum selbst zu kommentieren. Memento mori: 2010 starben viele große Geister, die auf ihre Weise den Computer als Aufregung wie als Anregung verstanden. Erinnerst sei an Theo Lutz und an Ed Roberts, den Förderer von Bill Gates, an Martin Gardner, Benoît Mandelbrot und an majo, der bis zum Schluss Optimist war.

*** Ich spiele keine Rolle mehr. Meine Worte haben mir nichts mehr zu sagen. Meine Gedanken saugen den Bildern das Blut aus. Mein Drama findet nicht mehr statt. Hinter mir wird die Dekoration aufgebaut. Von Leuten, die mein Drama nicht interessiert, für Leute, die es nichts angeht. Mich interessiert es auch nicht mehr. Ich spiele nicht mehr mit.

Was Heiner Müller in der Hamletmaschine aufgeschrieben hat, mag sich von Gravenreuth gedacht haben, als er seinem Leben ein Ende setzte. Es ist kein Geheimnis – und ich habe es hier aufgeschrieben – dass von Gravenreuth vor Gericht in der Frage siegte, ob das WWWW auf ein waffenstarrendes Foto von ihm im Kampfanzug verlinken darf. Ich durfte es nicht, das Gericht bewertete diesen Link auf sein öffentlich abrufbares Foto als Verletzung des Persönlichkeitsrechtes. Von Gravenreuth erschoss sich und sorgte damit für einen bisher noch nie erlebten Run auf heise online. Mit 2.463.634 Abrufen ist die Meldung von seinem Tod der absolute Zugriffsrekord seit Bestehen von heise online. Auf Platz 2 der Alltime-Superstarliste liegt mit 2.095.596 Zugriffen die Meldung über eine Niederlage des Rechtsanwaltes, die in letzter Konsequenz zum Suizid führte. Es liegt ein satanisches Lachen über diesen Zahlen und es kommt von weit her.

*** Die Top-Meldung des Jahres 2010 im Bereich der IT besorgte Apple mit iPhone 4 und 1.181.585 Zugriffen. Addiert man jedoch die Meldungen zu einem einzigen Thema, dann ist Julian Assange von Wikileaks der eindeutige Sieger. Die verschiedenen Nachrichten vom Hin und Her in Schweden wurden 2.756.123 mal abgerufen. In dieser Zahl sind nicht die Coups von Wikileaks enthalten, die es allesamt unter die Top 100 des Newstickers schafften. Auf Platz drei der Topmeldungen schaffte es zum Jahresanfang eine Meldung über den Online-Zwang für Offline-Spieler mit 1.015.515 Zugriffen, auf Platz vier kletterte zum Jahresende eine Meldung über Blogs, die aufgrund des Jugendmedienschutz-Staatsvertrages den/das Blog schließen wollen mit 999.083 Zählern.

*** Addiert man wiederum thematisch eng zusammenhängende Meldungen, so ergibt sich folgendes Bild der verehrten Heise-Leserschaft im IT-Bereich: Die neuen Rundfunkgebühren waren das Top-Thema Nr. 1 des Jahres 2010, gefolgt von der Debatte über Sperren für Kinderpornografie und der Niederlage in Sachen Vorratsdatenspeicherung. Diese drei Themen dominieren mit großem Abstand die Zugriffsstatistiken. Nimmt man die jüngsten Debatten über Quick Freeze bzw. das Quick Freeze Plus des Bundesdatenschützers sowie die Debatte zwischen Bundesinnenminister und Bundesjustizministerin hinzu und klatscht die diversen Zierckelschlüsse zum Thema als Sahnehäubchen obenauf, so steht der Themenkomplex Vorratsdatenspeicherung als unanfechtbarer Sieger des Jahres 2010 da. Dabei ist die Indizienkette drückend genug, dass diese "Vorratsdatenspeicherung light" auch 2011 ein Superthema sein wird.

*** Eine kuriose Sammlung ergibt sich übrigens, wenn man die Highlights anderer Online-Angebote des Heise-Verlages hinzunimmt. Danach wäre der typische Heise-Besucher ein Unimog fahrender Mann, der sehr gerne über Sex redet und sich regelmäßig im Off Topic aufhält. Der einen Job in der IT hat oder Informatik studiert, der Linux nutzt und dabei mit seinem iPad spielt. Der ausgiebig über Assanges Sex in Schweden spekuliert, sich gerne über Rundfunkgebühren und die GEZ im Allgemeinen aufregt und als "Zweitmeinung" häufig Thesen zum Besten gibt, die er drüben bei Fefe gefunden hat.

Was wird.

Wir mästen alle andern Kreaturen,
um uns selbst zu mästen;
und uns selbst mästen wir für die Maden.
Der fette König und der magre Bettler sind nur verschiedne Gerichte;
zwei Schüsseln, aber für eine Tafel:
Das ist das Ende vom Liede.

Heute würde Isaac Asimov seinen Geburtstag feiern, der IT bekannt als Vater der Robotergesetze. Durch Unterschiede im gregorianischen und hebräischen Kalender ist sein Geburtstag nicht genau belegt und Asimov selbst hielt den 2. Januar für einen guten Tag, um ohne die üblichen guten Vorsätze zu feiern. "Die Sciene Fiction beschreibt das Unvermeidliche. Obwohl Probleme und Katastrophen unvermeidlich sind, sind Lösungen nicht unvermeidlich." Natürlich hat einer der produktivsten Buchautoren des letzten Jahrhunderts über unseren Leitstern Hamlet geschrieben und die Sache so kommentiert, dass Hamlet den Usurpator Claudius nicht einfach nur töten wollte, um seinen Vater zu rächen. Er wollte ihn stracks zu den Verdammten der Hölle schicken. Das Ende vom Liede? Von wegen. Für Asimov ein klarer Fall der Übermotivierung.

Das Jahr ist jung, die Prognosen ebenfalls. Mein Favorit ist die Vorhersage, dass Microsoft seit Windows 98 in seine Microsoft-Tastaturen einen Leser der User -Gedanken verbaut und die Gedanken seitdem systematisch auswertet. Der Geist in der Tastatur, das wäre eine Wendung, die Pfitzmann gefallen hätte, als Beispiel dafür, was der Bundestrojaner anrichten kann. Für 2010 versuchte einstmals der verstorbene Theo Lutz, eine Reihe von Prognosen aufzustellen. Er relativierte die Rolle der Künstlichen Intelligenz und lag damit richtig, er lobte den selbstverständlich gewordenen Datenschutz als Bürgerrecht und lag damit völlig daneben. 2010 ist ein Jahr geworden, in dem Politiker wie Polizisten unermüdlich daran arbeiteten, den Datenschutz auszuhöhlen, mit Argumenten, in denen spätestens im dritten Satz der Terror angeschlichen kam. Selbst die hochgelobte Reform des Beschäftigtendatenschutzes wurde geplättet und das direkte Verbot der Videoüberwachung zur Leistungskontrolle abgeschwächt. Ob Wikileaks oder ob in dem 2011 startenden Openleaks, der deutsche Whistleblower ist zuallererst der untertänige Arbeiter, der sich erst dann an die Datenschützer wenden darf, wenn eine Beschwerde beim Arbeitgeber folgenlos geblieben ist und nicht beachtet wird.

Das Jahr ist jung und doch gibt es bereits Meldungen genug, dass der Ticker weitertickern kann. Um 2 Uhr begann der Reigen mit einem Gruß des Bundesinnenministers, der es schaffte, Paralympics, das Unglück auf der Duisburger Loveparade, die Flut in Pakistan und die Warnung vor dem internationalen Terror in einem Text zu erwähnen, der mit dem Lob freiheitlicher Lebenskultur endet. Wir werden sehen, ob diese unsere FLK das Jahr 2011 überlebt oder nicht etwa unter besondere Beobachtung durch Leute wie "Simon Brenner" steht, die alles stasimäßig unterwandern, was irgendwie von mov wahlzettel, bubuerger abweicht. Zum eingangs erwähnten Jahrestreffen des CCC hat der Niederländer Rob Gongrijp eine Rede gehalten, die einen bemerkenswerten Passus über die deutschen Verhältnisse enthielt, der nicht sonderlich beruhigend klingt: "Wenn man Deutschland mit einem Bus vergleicht, dann ist es so, als wären die Richter aufgesprungen und hätten den Fahrer vom Sitz gezerrt, nur um auf die Bremse zu treten, ehe der Bus in den Abgrund rast." Wenn auch die mutigen Richter die Katastrophe verhindert haben, stellt sich die Frage, wer 2011 am Steuer sitzt. Politiker, die am Lenkrad drehen, ohne zu wissen, womit es eigentlich verbunden ist? In Kürze startet in München das Gegenstrück zu einem CCC-Kongress, die Digital Life Design, auf der die Aufreger des Web 2.0 verhandelt werden. Mit Randi Zuckerberg, die über die ISV (Initial Shaving Experience) des Facebook-Gatten berichtet. Der Auftrieb findet unter dem Motto "Update your Reality" statt. Ach bitte, wo geht es denn zu dieser Realität.

Statt des sonst üblichen Kolophons ein Lied, das Angela Merkel mitsummen mag. Der Traktor ist kaputt, der Bus ist auch kaputt, mit dem Ersatzteile geholt werden können, die letzte Scheune ist abgebrannt, aber hey: Shine on you, crazy diamond.

Der Rest ist Schweigen. Oder, mag man die Hoffnung nicht aufgeben: Versammeln wir uns Unter der großen Sonne, mit Liebe beladen.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 09 Januar, 2011, 00:09
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Was braucht die Welt, um eine menschlichere Welt zu werden? Wie wäre es mit einem Bluetooth-Armband, das den aktuellen Stand des Kommunismus anzeigt, ergänzt um einen kleinen Dioxin-Sensor als Oral-Implantat? Das Ganze wird ausgeliefert mit einer App, die auf zwei Skalen den Fortschritt unserer Gesellschaft dokumentiert. Die eine zeigt, wie weit wir entfernt sind vom Sprung aus dem Reich der Notwendigkeit ins Reich der Freiheit. Die andere misst, ob wir uns nicht vorher so vergiftet haben, dass der Sprung ins Dreckswasser fällt, das überall abfließt. Mit ihren Überlegungen zu den Wegen zum Kommunismus hat die Linke Gesine Lötzsch ordentlich Schlamm aufgewühlt. Ja, dieser Kommunismus muss ein gar furchtbares Zeug sein, ein finsteres System, in dem die Züge schmutzig, überfüllt und unpünktlich sind, in dem im Fernsehen nur verknöcherte Alte talken. Im Horror enden eben die meisten messianischen und chiliastischen Ideologien.

*** Eigentlich schade, dass in der allgemeinen Aufregung die feine Ironie unbeachtet blieb, dass die selbsterklärte Nachfolgerin von Rosa Luxemburg zur Methode des hunt & try des Erzkapitalisten Edison extemporierte. Das ist weitab vom wissenschaftlichen Sozialismus und der kybernetisch gesteuerten kommunistischen Produktion, in der kein kapitalistischer Zwang herrscht, sondern das gesellschaftliche Pflichtbewusstsein jedes Menschen das nötige Industriefett liefert, damit alles wie geschmiert abläuft. Während die Linken zu Edison greifen, zeigte der Kapitalismus mal wieder seinen schönsten Achselschweiß: "Egal welche Hardware, Windows ist schon da", drohte Steve Ballmer seinen Zuhörern. Was für Microsoft eine Befreiung von der einengenden Intel-Plattform ist, klingt für andere wie eine Drohung.

*** Wenden wir uns daher dem real existierenden Kapitalismus zu in der besten aller Welten. 90 Millionen US-Dollar hat die Musikindustrie allein in Edisons Heimat für die Lobbyarbeit ausgegeben, mehr als die Filmindustrie und die Printbranche. Eine bemerkenswerte Summe vor einem bemerkenswerten Jubiläum: Heute vor 10 Jahren startete iTunes, was diesem Newsticker nur eine kleine Notiz wert war. Noch eine Audio-Playersoftware. Über 10 Milliarden Songs sind allerdings inzwischen über die von Apple gut zwei Jahre später mittels der Software hübsch eingerichteten digitalen Ladentheke verkauft worden. Und sechs Jahre später startete wiederum das iPhone, derweil Jobs sich über die Bedienkonzepte anderer Smartphone-Hersteller lustig machen konnte. Der Mann, in dessen Bibliothek alle englischen Monographien von Edison und Tesla stehen, zeigte dabei seine ausgesuchte kapitalistische Grausamkeit und schenkte uns das Unwort App. App oder Äpp wie veräppeln oder verkackeiern. Wer mag es ihm verdenken: der App-Store funzt, genau wie der iTunes Music Store.

*** Bekanntlich gibt es nicht nur Wege zum Kommunismus, sondern auch die Wege zur Hölle, die mit guten Vorsätzen gepflastert sind. In der Hölle schmoren, dieses Schicksal würde die Mehrheit der US-Amerikaner dem Australier Julian Assange gönnen, der nach den US-Depeschen erklärtermaßen die US-Banken im Wikileaks-Visier hat. Beim Geld hört der Spaß auf, wie das Auskunftsersuchen zeigt, das Twitter öffentlich gemacht hat. Ich unterlasse die Spekulationen, was andere Firmen wie Facebook oder Skype erhalten haben und nicht veröffentlichen. Ich verweise stattdessen auf einen Artikel, der ein Portrait von Assange liefert, dem Mann, der nach eigener Aussage ein Buch schreibt, hinter dem sich eine ganze Generation zum Protest gegen die Regierungen versammeln soll. Ein eigens angeheuertes PR-Team soll die frohe Kunde verbreiten. Wie hieß es noch in Underground, dem ersten Buch, an dem Assange mitschrieb: "Nach einer öffentlichen Konfrontation mit dem viktorianischen Premier Jeff Kennett gründete Mendax mit zwei anderen eine Bürgerrechtsorganisation, die die Korruption in der Regierung bekämpfen sollte." Mendax war der Hacker-Name von Assange. Der Rest ist eine Frage der Schlaglöcher und der Kunst, ein Motorrad zu warten.

Was wird.

Das Jahr ist jung, die Perspektiven rosig wie ein frisch geschlagener Hintern eines Neugeborenen. Die Feierzeit ist vorüber, das Dreikönigstreffen hat die Erde nicht aus ihrer Bahn westergewellt und alle möglichen Wege zum Kommunismus sind aufgetaut: Wir haben die astrologisch höchst interessante Konstellation, dass das Internationale Jahr des Waldes auch ein Superwahljahr ist, in dem deutsche Politiker deutsche Eichen simulieren und besonders prinzipienfest auftreten. Sinnigerweise ist das Internationale Jahr des Waldes bei uns gleichzeitig das Jahr der Gesundheitsforschung. Auf diese Konstellation kann eigentlich nur ein Lesebefehl folgen: Stationäre Aufnahme lesen! Hegels Eule der Minerva hackt in der Leber der Mediziner, um es metaphorisch zu sagen. Am Ende des neuen Jahres, das ist meine einzige Prognose für 2011, wird es wunderbare Rechnungen darüber geben, wie eigentlich 10 Prozent ausgegebene Gesundheitskarten zu definieren sind.

Nun richtet sich der Blick auf die Woche, in der der Betrieb wieder Fahrt aufnimmt. In Berlin startet die Enquete-Kommission "Internet und digitale Gesellschaft" mit neuem Elan und beschäftigt sich mit den Fragen zum Datenschutz und zu den Persönlichkeitsrechten. Parallel dazu marschiert das Ministerium für dioxinfreie Ernährung, industrielle Landwirtschaft und verbraucherschutzfreie Räume vor und stellt am 11.1.11 auf der Dialogveranstaltung Verbraucher im Netz den "digitalen Radiergummi" vor. Ein Blick auf dieses rückstandsfrei gewonnene Produkt deutscher kryptografischer Spitzenforschung lohnt sich, nicht nur wegen der schwer symbolischen Pusteblume, die vielleicht an die Experimente zum Pflanzengummi in Auschwitz erinnern soll. Es gibt Ansichten, dass die gesamte Technik nichts anderes will, als ein Spionagepixel zu installieren. Andere wundern sich, warum man nicht eigene, vertrauenswürdige Server für seine Dateien nimmt und die bösen Suchmaschinen per robots.txt aushebelt. An dieser Stelle müsste der Link zum kriminalistischen Institut des Bundeskriminalamtes gehen. Die Profis können alles restaurieren, was ab 1830-1850 mit dem Radiergummi "gelöscht" wurde. Davor ist es eine Frage der Papierqualität. Was den digitalen Radiergummi anbelangt, müsste es um eine ähnliche Qualität gehen: In einem System, in dem ausnahmslos alle Computer dem Prinzip des Trusted Computing unterworfen sind, könnten Access Control Lists das Problem wunderbar einfach lösen. Aber wer will dieses System?

Die Frage nach dem richtigen Papier führt zu der Frage, was denn eigentlich die Firma SCO auf dem Papier wert ist. Zum 5. Oktober 2010 wollte SCO ihre Unix-Sparte an den Meistbietenden versteigern. Dummerweise fand sich kein einziger Bieter, der Interesse an dieser Auktion hatte. Nun startet am 14.1. die zweite Runde der Auktion, diesmal mit einem attraktiven Mindestgebot von schlappen 100.000 US-Dollar statt der 2 Millionen, auf die die diversen Unix-Reste noch im Oktober taxiert wurden. In diesem Preis nicht inbegriffen sind die "Litigation Rights", die Klagen gegen Novell, Red Hat, IBM und viele, viele andere, die angeblich Milliarden bringen sollen. Wobei die "Rechte" nur in der Fantasie des tapferen schwarzen Ritters existieren. OK, das mag ein billiger Scherz sein, Etwas ernster ist schon die Frage der großartigen Pamela Jones, die über das Weihnachtsfest hinweg darüber nachdachte, ob sich das Engagement überhaupt lohnt, wenn eine Firma wie Novell die Reste Microsoft zum Fraß vorwirft.

Auf SCO folgt, harharhar, die Wikipedia. Die Trainings-Schreibanstalt für angehende Wissenschaftler ging kurz nach iTunes an den Start und feiert am 15. Januar einen überaus relevanten 10. Geburtstag, in Deutschland natürlich mit Stammtischen, an denen die Torte des Grauens verzehrt wird. Gelahrte Geister stimmen darin überein, dass Wikipedia das aktuelle Weltwissen abbildet, gehäckselt und gestückselt durch Ockhams scharfes Relevanzmesser. Ganz passend für dieses unsere Land startet in Frankfurt oderseitig Wiki-Watch, als "das Transparenz-Tool zur Analyse von Wikipedia" angekündigt, ein scharfes Schwert, vor dem schwarze Ritter klaglos kapitulieren. Wiki-Watch kämpft gegen das "gesellschaftlich unbefriedigende Wissen" über Wikipedia und will der Oswald Kolle der Relevanz-Diskussion sein, mythenzerschmetternd den wegbeißernden Killer-Kaninchen an Platons Höhle den Kampf ansagen. Jubelperser sind anscheinend nur in Hedwig-Holzbein willkommen und so freue ich mich mit diesen. Das WWWW ist etwas älter, doch hat es ungemein davon profitiert, mal eben auf Dropull oder auf Superkalifragilistischexpiallegetisch verlinken zu können. Because we can. Was bleibt? Musik!

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 16 Januar, 2011, 00:06
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Die Wege zum Kommunismus, die ich seit vergangener Woche betrachte, sind außerordentlich verzwickt. Ausgerechnet die taz druckte diese verzwickte Grafik ab, die ganz nebenbei entlarvte, wie die komischen Wege von der "Autorin" in den Text geschmuggelt wurde. Eine Petitesse? Eher nicht, wie die Wege zur Demokratie zeigen, auf denen sich Tunesien befindet. In zahllosen Zeitungsartikeln wurde das korrupte System der Familienclans Ben Ali und Trabelsi beschrieben, besonders ausführlich in der Le Monde diplomatique, die auch als taz-Beilage erscheint. Aber nein, nun soll es mal wieder wunderbarerweise eine von Wikileaks veröffentlichte US-Depesche sein, die den Umsturz auslöste. Und natürlich Twitter, die Lieblingslektüre aller Leit-Lemminge. Die simple Sicht der Dinge, das unkritische Lob für Web-Werkzeuge, könnte man als Doof 2.0 abhaken (zumal kluge Köpfe schon weit differenzierter analysierten), wenn es nicht so ernst wäre. Denn die "Beweise" wie dieser Tweet von Sarah Palin im Verein mit einer Fadenkreuz-verzierten Landkarte reichen dann plötzlich aus, eine Politikerin als "Mörderin" zu bezeichnen. Die Abbildung des vergifteten politischen Diskurses im Internet mit dem Amoklauf zu verbinden, muss sich nicht einmal darum scheren, ob der Mörder überhaupt im Netz surfte. Widdewitt, ich mache mir die Welt, wie sie mir gefällt, singt Pipilotta Digitalia Langstrumpf und die Follower der simplen Denke nehmen täglich zu.

*** Einer der Wege zum Kommunismus endete in der DDR unplanmäßig vor einer Mauer, die das Volk überwand, ganz ohne Twitter. In dieser Woche endete in Berlin die Ausstellung Weltwissen, die in ihrem "Computerraum" neben dem obligaten Zuse-Zierrat ein Stückchen vom Computernetz der DDR zeigte: Wer Kommunismus stante pede will, muss auch Kybernetik buchstabieren können. Ohne eine ausgefeilte Echtzeitkoppelung von Messergebnissen aus der Landwirtschaft und der Produktion ist eine Planwirtschaft unmöglich, weil sie mit fiktiven Zahlen und falschen Planvorgaben arbeitet. Wer lernen möchte, worum es ging, sollte sich den langen Eintrag "Kybernetik" im Philosophischen Wörterbuch der DDR zu Gemüte führen, den der führende DDR-Kybernetiker Georg Klaus verfasste. Der Mann, der öffentlich verkündete, dass mit der Kybernetik sich jeder Wahlbetrug beweisen lasse, wird in der ach so gefeierten Wikipedia als Philosoph und Schachspieler vorgestellt: Die neutrale Sicht der Dinge kastriert die Geschichte.

*** Neben Georg Klaus war es der britische Kybernetiker Stafford Beer, der in der Rechentechnik einen wunderbaren Weg zum Kommunismus sah. Für die sozialistische Regierung Chiles entwickelte er das Cybersyn-Netzwerk und die Steuersoftware Cyberstride. Dank der Kybernetik sollte sich der sozialistische Staat als Maschine inmitten der unwirtlichen kapitalistischen Umwelt dadurch bewahren, dass er effektiver als jede andere Maschine die Ökonomie steuert. Nach dem Putsch von General Pinochet viel das Cybersyn-Netzwerk in die Hände des Militärs. Die Häscher nutzten es zur Fahndung nach Anhängern der demokratisch gewählten Regierung. In Deutschland beschäftigte sich ein Text der Roten Armee Fraktion mit dieser Lage:

"in den zusammenhang gehört natürlich die von der legalen linken überhaupt nicht begriffene tatsache ihrer bereits vollstreckten internierung im computer des bka, ihrer selbst samt bekannten- und freundeskreis, wobei schon klar ist: wenn das bka 394 waffensammler in einer koordinierten aktion schnappen kann, kann es natürlich auch die gesamte *legale* linke in *einer* aktion in die stadien abtransportieren."

In dieser Sichtweise war jedes Terminal genauso gefährlich wie ein "bulle", die "Kämpfer" werden angewiesen, wo immer es geht, die Verbindungen zu kappen, auf Schächte zu achten, in denen Kabel liegen, die durchgeschnitten werden müssen. Der Kampf gegen das Schweinesystem ist der Kampf gegen seine Leitungen. Ich erwähne das in dieser kleinen Wochenschau, damit die Absurdität klar wird, wenn unsere Nachbarn Zeitungsartikel veröffentlichen, in denen dem Chaos Computer Club Kontakte mit der RAF nachgesagt werden. Die gezielte Verunglimpfung allein mit einem Logo zu erklären, greift viel zu kurz. Erst lange nach der Gründung des Clubs, der dieses Jahr auch einen ehrenwerten Geburtstag feiern kann, beschäftigten sich die Ausläufer der RAF mit der Computertechnik, wenn nach viel Geschimpfe über Kapitalismus und den Chaos Computer Club gleichermaßen zum Schluss der Cyberweg zum Kommunismus propagiert wird:

"Mit dieses Form des Politikmachens ist ein neuer Typus der Guerilla durch den virtuellen Raum entstanden: die Cyber-Guerilla. In diesem Sinne wären die Zapatisten so etwas wie ein modernes politisches Virus, das durch den virtuellen Raum geistert und in die Köpfe von Männern und Frauen eindringt. Deshalb kann mit den Worten frei nach Marx geschlossen werden: Ein Gespenst geht um im virtuellen Raum, das Gespenst des Kommunismus."

*** Ob die Verfasser dieser Schriften wirklich Revolutionäre sind, überlasse ich dem Urteil der Wochenschau-Leser. Wie wäre es mit anderen Revolutionären? Mit Revolution: The First 2000 Years of Computing wurde in dieser Woche die Version 2.0 des wichtigsten Computermuseums der USA im Beisein von Steve Wozniak und Al Acorn eröffnet. Eine erster kleiner Rundgang der verschlungenen Wege dieser Revolution am Eröffnungstag ist amüsant, wenn eine weißhaarige Großmutter erzählt, wie sie einen Kryptocomputer bei der NSA programmierte oder besagter Al Acorn sein Pong erklärt. Pong? Pong kann natürlich bald in Berlin bestaunt werden, ganz ohne revolutionäres Drumherum, in der Karl-Marx-Allee.

*** Mit einer Ausnahme, als im Protest gegen ein schädliches Gerichtsurteil eine linkfreie Wochenschau erschien, lebt dieser kleine Rückblick von Verlinkungen. Viele Links gehen auf die Meldungen von heise online, die tagtäglich die Wege durch den Kapitalismus dokumentieren, doch gleich danach kommt die Wikipedia, nicht immer die beste Quelle, doch hinreichend gut für einen ersten Überblick, wenn nicht gerade ein Nachruf, eine Preisverleihung oder eine Beförderung ansteht: Der Tod von Maurice Jarre hat Journalisten gelehrt, in solchen Schnellschuss-Situationen die Hände von der Netz-Enzyklopädie zu lassen, weil Trolle nun einmal schneller sind. Mit der hübsch gewachsenen Wikipedia erinnern wir uns auch an die Nupedia, eine der größten nicht mehr funktionierenden Websites. Nupedia startete im März 2000 mit 115 kommissionierten Artikeln, die von ausgewiesenen Fachleuten geschrieben wurden. Nur zwei Artikel überlebten die lähmende Relevanzdiskussion des peer review von 80 Wissenschaftlern und konnten im November 2000 online gehen. Einer beschäftigte sich mit klassischer Musik, der andere mit der atonalen Musik von Arnold Schönberg. Mit der Wikipedia wurde das anders. Und für alle, die glauben, dass 2001 eine heile Welt war, habe ich einen Link auf diese kleine zeitgenössische Karte der Krisenherde in der Welt. Sie entstand vor 10 Jahren und bekam nach 9/11 ein kleines Update.

Was wird.


Solange nicht klar ist, welche Wege zum Kommunismus führen, muss man sich ja nicht gleich wie ein Derwisch in Manhattan aufführen. Auch wenn, immerhin, Fazil Say, dessen Musik nicht immer derwischhaftig ist, aber immer etwas Ekstatisches hat, ja selbst dafür bekannt ist, sich manchmal mit allem anzulegen, was ihm so in den Weg kommt. Aber ich schweife ab. Jedenfalls, was die Wege zu was auch immer angeht: Ich empfehle vielmehr für die anstehende Wochen die Wege nach Berlin und München. In Berlin findet die Omnicard statt, ihrer eigenen Beschreibung nach der ultimative Kongress der Kartencommunity. Drei Tage lang feiert diese Community die wundersamen Möglichkeiten der elektronischen Identifikation und fragt sich, wie es weitergeht mit dem neuen Personalausweis. Das fragen sich derzeit auch die Inhaber des neuen Ausweises, der derzeit noch ausgesprochen wenig kann. Die Keynote der Omnicard liefert die Mensch-Maschine Sascha Lobo ab, es wird wohl ein Vortrag werden, wie man mit seiner wichtigsten Karte im Kapitalismus kuscheln kann, wenn die queryologische Zukunft des Religionsstifters Edgar Codd anbricht. Die erste Frage in dieser Zukunft: Von wem stammt das bescheuerte Gerücht, dass sich das Internet schneller als andere Medien verbreitet?

Die Alternative zu Berlin ist immer München. Wer von Rot, Gelb, Grün, von Schwarz und Bleich die Nase voll hat, kann immer noch mit der CSU und Seehofer rechnen, der auf einem Kongress der Netzpolitik erzählt, wie "Mein Internet" aussieht. Mit dem Kongress will die Partei die Netzhoheit über den eBiertischen gewinnen. Zur Rolle des Juristen Dirk Heckmann wird es wohl gehören, die Versammlung darüber aufzuklären, dass das Zugangserschwernisgesetz eine Fehlkonstruktion ist und die Websperren nicht der Verfassung entsprechen. Vielleicht schafft die CSU aus netzpolitischer Sicht ein Update der Reality, um ein anderes Münchener Motto von einem Kongress aufzugreifen, auf dem Stephanie zu Guttenberg und die Somaly Mum Foundation gegen Sklaverei und Kinderausbeutung antreten – gegen die Websperren realistisch gesehen vollkommen sinnlos sind.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 23 Januar, 2011, 06:01
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Seit Tagen berichtet selbst die tageszeitung vom Dschungelcamp. Nass ist es und selbst die roten Unterhosen vom Rainer sind nass. Schrecklich. Der arme Rainer, der jetzt mal Scheiße fressen muss und die Leser, die täglich Scheiße lesen müssen, bringen mich darauf, die Wochenschau über das Thema schlechthin zu schreiben. Was den Fernsehheloten das Camp ist, ist der IT-Branche die Geschichte mit Stuxnet. "Stuxnet ist nicht mehr gefährlich", heißt es in der Januar-Ausgabe des Behördenspiegels schon in der Überschrift, auf die ein ebenso beruhigender Untertitel folgt: "Hochwertige Abwehrmaßnahmen verstärken die Sicherheit". Der ach so gefürchtete Wurm nichts weiter als ein Papierwurm? Angeblich ist Stuxnet gar kein Meisterstück, glaubt man den Fachleuten. Sie kritisieren bei dem mehrere Jahre lang nicht entdeckten Wurm, dass er sich nicht gut genug versteckt hat. Lustige Logik.

*** Stuxnet hat also mehrere Komponenten, wie nett. Auf die wichtigste Komponente weist Frank Rieger, der Sprecher des Chaos Computer Clubs in seinem Artikel für die Frankfurter Allgemeine Zeitung hin: "Was aber passiert, wenn in wenigen Jahren das digitale Schlachtfeld um immer mehr Angriffsspieler erweitert wird, wenn durch fortschreitende Bildung und Digitalisierung immer mehr Länder sich die entsprechenden Forschungs- und Ausbildungszentren für eine elektronische Kriegerkaste leisten können?" Fragen wir uns einmal, woher die elektronische Kriegerkaste kommen wird. In den Wanten der Gorch Fock werden sie sicher nicht geschult werden, diese Netzkrieger. Und einfach eine Kohorte Programmierer zum Cyber-Hacken zu verpflichten, wie dies Estland machen will, dürfte auch nicht so einfach sein.

*** Aber es gibt Vorbilder, zumindest was die elektronischen Verteidiger anbelangt: Um ihr schönes Amerika zu schützen, gründeten nach den Netzangriffen auf Georgien und der Attacke auf das Pentagon 20 Hacker das Opensource-Projekt Grey Goose (PDF-Datei). Die Finanzierung übernahm die Firma Palantir Technologies, Lieferant von Analyse-Software für die Homeland Security, die auch bei uns zum Einsatz kommt.

*** Neben den Verteidigern kommen auch die Angreifer aus den Reihen der Hacker. Erinnert sei an die Legion of Underground, die im Dezember 1998 China und dem Irak den Cyberkrieg erklärte. Die kampfbereite Hackertruppe wurde von Mithackern der Gruppen 2600, L0pht, oder Cult of the Dead Cow zurückgepfiffen. Mit dabei auch der Chaos Computer Club und der erwähnte Club-Sprecher, der sich in dem bemerkenswerten Protestaufruf vor allem darüber sorgte, dass Hacker in totalitären Staaten als Cyberterroristen in die Gefängnisse wandern könnten. Die Legion of Underground kapitulierte vor dem geballten Unmut der Community.

*** Wer will, kann in der Geschichte noch weiter zurückgehen. In dieser Woche erschien eine Studie der OECD, die ganz im Stil des Behördenspiegels einen Cyberwar für unwahrscheinlich hält. Ein Blick in diese Studie (PDF-Datei) enthüllt lustige Sachen: "It is unlikely that there will ever be a true cyberwar. The reasons are: many critical computer systems are protected against known exploits and malware so that designers of new cyberweapons have to identify new weaknesses and exploits." Weil unsere Systeme geschützt sind, sind wir sicher, weil wir sicher sind, kann kein Cyberkrieg kommen, so die fromme Denke der Autoren. Noch lustiger ist die Erwähnung des ersten Virus, der dem Cyberwar zugerechnet wird. Denn die Beschreibung WANK, dieser 1989 ausgebrochenen "Worms Against Nuclear Killers" verdanken wir einem Mann, der derzeit der bekannteste Hacker der Welt ist. Julian Assange, von dem das WANK-Kapitel im Buch Underground stammt, der Auslöser einer großen Debatte über Sex und Gewalt in Schweden.

*** 25 Jahre alt ist er, der PC-Virus, die Computerviren sind gar noch älter. Man erinnere sich an die Arbeiten über selbstreproduzierende Programme von Veith Risak, die Anfang der 70er auf Siemens-Rechnern liefen. In dieser kleinen Wochenschau muss jedoch auf den Studenten Fred Cohen verwiesen werden, der 1983 erstmals den Begriff Computervirus verwendete und einen solchen auch programmierte. Heute gehört Fred Cohen zu den Theoretikern des Cyberwars, den er freilich korrekter als "Information Warfare" bezeichnet. Sein Buch "World War 3: We are losing it and most of us didn't even know we were fighting in it" geht davon aus, dass längst der Information Wardfare ausgebrochen ist. Ähnlich wie Franklin Spinney (PDF-Datei) setzt Cohen den Beginn des neuen Krieges vor dem 11. September 2001 an und ruft die US-amerikanischen Hacker auf, ihr Land zu verteidigen. Sein Mitarbeiter Chet Uber gründete später das seltsame Project Vigilant, in dem sich nach dieser Timeline zufolge der Soldat Bradley Manning verfangen sollte. Manning wurde in dieser Woche von Ärzten als selbstmordgefährdet eingestuft und wird nun rund um die Uhr überwacht.

*** Ja, der Cyber, Cyber, Cyberwar ist ein lustiges und lukratives Geschäft. Zwischen den guten weißen Hackern und den pöhsen schwarzen Crackern haben die grauen Hacker Stellung bezogen. Sie brechen in Systeme ein, sie suchen Sicherheitslücken und murmeln unaufhörlich von der tollen Ethik und den guten Vorsätzen, sie künden selbstverliebt von der eigenen Korrektheit wie Journalisten, die sich selbst als Richter verstehen und kokett von der Bestrafung der Kollegen schwadronieren. Dabei sind graue Hacker keineswegs Herren mit grauen Haaren. Noch konnte eine Abordnung der Bundeswehr vor den Türen des Chaos Computer Club einfach weggeschickt werden, als sie mit den anwesenden Hackern über Cyberwar diskutieren wollte. Bald wird die Rekrutierung schärfer werden und den Club zu einer Stellungnahme zwingen, wie er denn zu "nationalen Sachen" steht. Beschränken wir uns daher auf die aktuellen Verlustmeldungen, etwa beim Satellitenbauer OHB, wo auf SAR-Lupe das Nachfolgesystem SARah in den Startlöchern wartet.

*** Die Frage, was Hacker für ihr Vaterland tun können, erreicht das Webvolk längst nicht mehr. Wenn eine zugegeben nette Rezension eines Billiggerätes bei Spreeblick schon als Hack gefeiert wird, scheint die Schlacht um die Köpfe schon verloren zu sein: Das bisschen Antesten können auch die übelsten Apple-Fanboys und iPad-Versteher schreiben, wenn sie gerade keinen Bewunderungsschleim produzieren. Hacken geht anders, wie die Fortsetzungsgeschichte vom Nettoputer zeigt, die wesentlich lustiger ist. Mittlerweile läuft ein abgespecktes Linux samt Firefox auf dem Gerät, während sich der Hacker zeltend in den Schnee verkrümelt beim bayerischen Burning Man Festival.

Was wird.

Bayern, Bayern, da war doch was? Heute beginnt, komplett mit einer Vorführung des neuen Tron-Films, die Digital Lifestyle-Konferenz in München. Zu den Star-Gästen gehören der Cloud-Poet Hans Magnus Enzensberger. Seine Theorie der Medien war dafür verantwortlich, dass ein bis dato rechtschaffener Student in Marburg sein Studium abbrach und Vollzeithacker wurde. Heute sammelt eine Stiftung in seinem Namen Gelder für Hacker-Projekte ein, auch für Wikileaks. Eine derart dezidiert politische Stiftung ist von Eric Schmidt nicht zu erwarten: Der Konflikt bei Google eskalierte ausgerechnet über dem Firmenmotto Nichtsbösestun und dem Engagement in China. Böses tun, warum nicht, wenn der Markt ruft?

Eric Schmidt ist der Star beim Münchener DLD, nicht Frau zu Guttenberg. "Update your Reality", so das Münchener Motto, bevor der Zirkus nach Davos abhubschraubt. Dort diskutiert man weiter auf dem WEF: "Building a response to the new Reality." Diese komische Realität ist auch nicht mehr das, was sie früher einmal war. Tunesien? In Libyen und Algerien brodelt es auch ganz uncybergemäß. Da ist es schon besser, sich an den guten alten Cyberwar festzuhalten, wie dies die Türkei demonstriert mit Kampfübungen gegen Cyberangriffe. Wie heißt es noch so schön beim CCC-Sprecher: "Angriff ist besser als Verteidigung". Schlagen wir zu, es ist ja nur digital.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 30 Januar, 2011, 00:07
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Erstens kommt es anders und zweitens als man denkt. Was die eine Enzyklopädie Alexander Spoerl zuschreibt, die andere auf Wilhelm Busch zurückführt, ist drittens wieder einmal passiert. Da sollte doch die ganze furchtbar dunkle Unterseite des Internet im Fernsehen angeleuchtet werden, da sollte gezeigt werden, wie Online-Täter mit vielen Stuxnetten die freiheitlich-demokratische Grundordnung bedrohen, doch was dann kam, war die bekannte Mashup-Vorlage für zahllose Downfall-Parodien. War etwa das Internet in Deutschland abgeschaltet und konnte darum nicht angeleuchtet werden? Nix da, der Tod vom Marlboro-Man Eichinger war der Auslöser.

*** Es starben noch andere. Der unter Außenminister Joschka Fischer ausgebürgerte Deutschjamaikaner Peter Paul Zahl wurde 66. Zum Abschied kassierte er halbgare Nachrufe im Feuilleton. Besonders gelungen die Zusammenfassung in der Bildzeile der Zeit: "Der Schriftsteller Peter-Paul Zahl war Passfälscher, hatte Verbindungen zur terroristischen 'Bewegung 2. Juni' und saß wegen einer Schießerei mit Polizisten im Gefängnis." So schnurrt ein Leben auf eine durch und durch kriminelle Laufbahn zusammen. Wie war das noch?

am 24. mai 1974
verurteilte mich
das volk
– drei richter
und sechs geschworene –
zu vier jahren freiheitsentzug
am 12. märz 1976 verurteilte mich
in gleicher sache
das volk
– drei richter und zwei geschworene –
zu fünfzehn jahren freiheitsentzug
ich meine
das sollen die völker
unter sich ausmachen
und mich da rauslassen
Peter-Paul Zahl

*** Auch der Journalist und Futurologe Daniel Bell ist gestorben. Er war in den 60er Jahren Leiter der berühmten "Commission for the year 2000" der American Academy of Arts and Sciences und prognostizierte relativ genau, was mit den Computern in der "nachindustriellen Gesellschaft" passieren wird. Für die Kommission schrieb er 1967: "We will probably see a national information-computer-utility system, with tens of thousands of terminals in homes and offices providing library and information services, retail ordering and billing services, and the like." Seine Beobachtungen zu den kulturellen Widersprüchen des Kapitalismus führen direkt zur Aufmerksamkeitsökonomie, die heute im Internet gepredigt wird. Seine Annahme, dass eine technische Klasse von Wissensarbeitern entsteht, denen die klassischen demokratischen Werte fremd sind, wird zumindest in Deutschland mit dem aktuellem Wort von den "Postprivacyspacken" hoch gehalten.

*** Wie viele Tote es in Ägypten bisher gegeben hat, ist derzeit nicht genau bekannt. Die große totale Internet-Sperre ist zwar nicht lückenlos, doch zuverlässige Informationen sind noch Mangelware. Ein Regime bricht dort zusammen, das sich technisch auf der sicheren Seite sah. Gegen den historisch einmaligen Abschaltungsversuch protestierte die Internet Society, während eine zusammengerufene Runde von Internetunternehmern beim Weltwirtschaftsforum im schnuckeligen Davos sich bislang nicht auf eine Protestnote einigen konnte, weil so das Alles wird Gut-Gefühl von Googles "Außenminister" Eric Schmidt beschädigt werden könnte. Auf dem Zauberberg in Absurdistan lautet das Motto der CEO-Sause übrigens: "Building a response to the new Reality". So demontiert sich, was eine Schraube locker hat. Ganz nebenbei zeigt der Versuch, den großen Internetschalter umzulegen, die groteske Überschätzung des Internet, meint Evgeny Morozov. Der hat darüber ein neues Buch, "The Net Delusion" geschrieben. In Europa erscheint es mit dem Untertitel "How not to Liberate the World". In den USA heißt es hingegen "The dark side of Internet Freedom": Manchmal sind es kleine Sprachschalter, die den Unterschied ausmachen.

*** Wenn die Regierung das Internet abschaltet, ist es dann Zeit, die Regierung abzuschalten? Gibt es ein Menschenrecht auf IP-Connectivity? Beim Münchener WarmUp für Davos, diesem Digital Life Design entzückte Eric Schmidt die Zuhörer mit der unverbindlichen Erwähnung von Tunesien, von Ushahidi im Kontext des immer wieder liebenswerten unbösen Google, das bei jedem gespeicherten Bit um Erlaubnis fragt. Euphorisch wurde die Stimmung, als Schmidt sich zu der Aussage verstieg, dass mit neuen, superschnellen Netzen wie LTE und fix rechnenden Mobilgeräten sich so etwas wie eine "Augmented Humanity" einstellt, so frei nach Schnauze von Ernst Bloch interpretiert: "Ich bin. Aber ich habe mich nicht. Aber ich habe mein Klugfon. Schick!" Für die bemerkenswerte Leistung, Humanität an ein Gerät und nicht an die Condition Humaine, die Lebenswirklichkeit zu binden, wird Schmidt sicher noch einen Ehrenpreis bekommen. Das in München unter der Hand gezeigte Google-Tablet hatte in Davos dann seine Premiere und holla, holla, die Bild kann nun in allen Sprachen gelesen werden! Schick! Kai Dieckmann macht dazu Mala-Mala.

*** Auf dem WarmUp stieg die schauspielernde Gastgeberin in eine Inszenierung der besonderen Art, derweil ihr Göttergatte seine Wunderkammer öffnete und allen Ernstes Googles Page Rank mit der Kunst der Fuge von Bach verglich. Interpretieren lässt sich das nur als Aufruf zu einem gesunden Atheismus: Wenn es einen gerechten Gott, Jahwe, Allah oder Ellen Mustermann geben täte, so würden längst Blitz und Donner wüten für diesen Frevel. Nix da, friedlich war's auf einer Konferenz, die im Mai 2000 als Cool people in the hot desert startete. Leider, leider bliebt es in der heißen Wüste nicht friedlich wegen der Infitada, deshalb trug bereits die Fortsetzung den Cyberwar im Titel. Bereits bei den Cool People knirschte es anno 2000 heftig im Gebälk: Die von ultra-orthodoxen Juden geleitete Firma WizApp wollte nicht erscheinen, die palästinensiche Hi-Tek-Engineering aus Ramallah durfte nicht. In dieser Woche veröffentlichte ausgerechnet Al Jazeera Dokumente über die Verhandlungen zwischen Israel und den Palästinensern. Von dem im Jahre 2000 groß angekündigten Peace Technology Fund sind auch nur noch Ruinen erhalten. Und die Leiter der armenischen Christen an der Grabeskirche steht auch noch angelehnt vor den zerstörten Fenstern der Grabeskirche und verwittert. Welt, wo ist dein Fortschritt?

Was wird.

Auf den Fortschritt hat bekanntermaßen Wikileaks ein Copyright. Oder eben Openleaks, die Ausgründung. Oder eben diese Erzählung oder diese oder eben diese vom Staatsfeind Wikileaks. Weitere Bücher sind angekündigt. Im Februar gibt es eine deutsche Schilderung über die gefährlichste Website der Welt, einen Monat später erscheint das Buch der Lichtgestalt Julian Assange, das derzeit in Fantasixillionen Exemplaren gedruckt wird.

Wo bleibt das Positive? Gemach, gemach, der Igel ist nun einmal schneller als der Hase: Da wäre die tageszeitung zu nennen, die sich nach einem gräßlich verrunfallten Stück "Dschungelcamp-Reportage" bei ihren Abonnenten um jeden "Credit" gebracht hat, den "politischen Preis" zu bezahlen. Ab sofort ist sie ein ganz normales Nachrichtenmedium wie FAZ, FR, SZ und viele, viele andere, die man abonnieren kann oder ignorieren. Dazu startet The Daily auf dem iPad und signalisiert, dass es der Branche gut geht.

Recht heimlich, still und leise hat sich IBM herangeschlichen und in dieser Woche die Geburtstags-Website freigeschaltet, die darauf hinweist, dass ein Jubeljahr gefeiert wird. Zwar musste sich das deutsche Jubiläum dafür etwas verstecken, doch hey, wer geniale Ideen hat, darf feiern, wann er will.

Das gilt auch für Microsoft oder Google, deren 100-Jahr-Feier diese Kolumne nicht mehr erleben wird. Darum endet die kleine Wochenschau mit Peter-Paul Zahl und einem altägyptischen Hinweis.

man muss sie gesehen haben
diese gesichter unter dem tschako
während der schläge

sag nicht: die schweine
sag: wer hat sie dazu gebracht

Und im Hintergrund fragt die Viererbande, wer Ich eigentlich ist, wenn alles von mir abhängt.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 06 Februar, 2011, 00:05
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Alles bekommt ein Gesicht. "Der Durchbruch einer neuen Technologie der Informationsgesellschaft, Informationen waren schon Ende der 80er, Anfang der 90er klarer zu haben, und was wir jetzt in den letzten 10 Jahren mit dem Siegeszug des Internets erleben, das wird unsere Gesellschaft in einer Art und Weise verändern, wie wir es vielleicht alle nicht genau voraussehen. Twitter, Facebook, die sozialen Netzwerke, es kann sich in dieser Welt keiner mehr sozusagen so einfach, kann in dieser Welt so einfach jemand versteckt werden, sondern alles bekommt jetzt ein Gesicht." Bundeskanzlerin Angela Merkel hat auf der Münchener Sicherheitskonferenz etwas überraschend ein Bekenntnis zu den technischen Bedingungen der Freiheit abgelegt, das als 1:1-Abschrift der Audio-Datei diese Wochenschau einleiten muss. "Wir haben auch Vieles ermöglicht, was heute auf der Welt gang und gäbe ist. Und dass man Facebook und Twitter überall auf der Welt hat, dass es zunehmend schwer wird, das zu sperren, ob es in China ist, in Ägypten, in Tunesien oder sonstwo auf der Welt, das ist auch ein kleines Bisschen unser Verdienst."

*** Ach ja, manchmal ist man ja schon mit wenig zufrieden: "Es muss ja nicht immer die virtuosere Hälfte sein." Doch stopp, jetzt tue ich Gregg Allman unrecht, wenn ich die eigentlich lobend gemeinten Worte durch Vergleiche mit der deutschen Politik ins Gegenteil verkehre. Immer einen Schritt nach dem anderen, bis Du den Weg zurück in die große Show findest? Einigen Leuten kann man nicht genug wünschen, dass es klappt. Im Vergleich dazu haben viele andere nicht einmal die kleinste Schau in der Mehrzweckhalle von Hintertupfingen verdient.

*** Nun, auf welche Wege auch immer Allmans weitere Schritte führen mögen, zurück in die Niederungen: Hoffentlich erinnert sich die Politik an diese pathetischen Worte Merkels, wenn der Unsinn, einen Kill Switch auch in Deutschland zu ermöglichen, diskutiert wird. Wie die Zappelei in Österreich zeigt, sind es Politiker, nicht Techniker, die von Abschalt und Einschaltknopf-Phantasien geplagt sind. Ja, der Kill Switch zieht "Kreise": Ein Knopf für den Atomschlag, ein Ausschaltknopf für das Internet oder zumindest für den europäischen Teil, ein Notfallknopf für jugendliche Surfer: am Ende gilt für all diese Ansätze der berühmte Satz des Journalisten Henry Louis Mencken: "Für jedes Problem gibt es eine Lösung, die einfach, klar und falsch ist."

*** In Ägypten wurde bekanntlich versucht, das Internet und die Mobilfunknetze abzuschalten, um dem Protest eine Koordinationsmöglichkeit zu nehmen. Ganz gelang dies nicht. Länger als andere Provider blieb Noor aktiv, auch konnte via Satellit bei Thuraya weiter gesurft werden. Unter der Woche wurden die "Schalter" zwar wieder umgelegt, doch solange um die Macht gekämpft wird, ist der Zustand unbefriedigend, wie dies die Re-Build-Kampagne deutlich macht, komplett mit Überlegungen zur Zukunft. Lustig ist es dabei schon, wenn Infokrieger eine einzelne Firma wie Narus dafür verantwortlich machen, als Zaubermeister des Kill-Switches den dunklen Mächten zu dienen. Über die Software von Big Mother ist in diesem Newsticker oft berichtet worden, seitdem der Whistleblower Mark Klein aufdeckte, dass das Programm im Auftrag der NSA in zentralen Verteilern bei AT&T installiert war. Wie diese Weltkarte andeutet, ist die urböse, in Israel entwickelte Software auch in Deutschland im Einsatz. Unter den Partnerfirmen wird für Deutschland die mittlerweile wieder aufgelöste Gesellschaft für technische Sonderlösungen geführt, eine Ausgründung des Bundesnachrichtendienstes, wie dereinst über eines der ersten lustigen Wikileaks-Lecks bekannt wurde. Was die Beamten von BKA und BND wohl im Gemeinsamen Terror-Abwehrzentrum an Software einsetzen? Nur keine Aufregung bitte: In dieser Woche hat dort das große Verschnaufen eingesetzt, nachdem die Terroralarmbereitschaft in Deutschland heruntergefahren wurde.

*** Ja, alles bekommt ein Gesicht, nur die Journalisten nicht. Sie sind die letzten Ärsche, weil sie unzureichend aus Ägypten berichten. Besonders die öffentlich-rechtlichen mussten dieser Tage viel Kritik als Lamestream Media einstecken, weil sie nicht schnell einen "Brennpunkt" oder ein "Extra Spezial" schalteten wie damals bei Ballacks Knöchel oder dem aschewolkenden Vulkan. Da gibt es ein Remake der friedlichen Revolution von 1989 und wir bekommen keine Bilder? Doch die Sache mit der friedlichen Machtübernahme ist ein Trugschluss, der nur noch von den blödsinnigen Formulierungen über die Facebook-Revolution übertroffen wird. Wahlweise geht auch Twitter-Revolution durch, wie unsere Bundeskanzlerin in ihrer Rede angemerkelt hat. Wenigstens der Blogger/Journalist, der sich sonst als Apple-Fanboy wohlfühlt, kann diesen Unsinn dank eigener Beobachtungen korrigieren. Der Glaube an die Technik von Facebook und Twitter ist maßlos übersteigert und wird einen schweren Rückschlag erleiden, wenn das große Töten der Jungen beginnt. Bei uns wird wahrscheinlich der Überbringer der schlechten Nachricht gesteinigt, darum verlinkt dieser Verweis auf Gunnar Heinsohn in die wesentlich bessere Variante.

*** Paris Hilton ist in Deutschland, doch alles spricht nur über Cyberwar, fordert Abwehrkonzepte ein und nach dem GTAZ ein CyTAZ, komplett mit einer Musterungsbehörde für Hacker, die ihrem Land dienen wollen. Die blonde Bombe zieht derweil ihre Kreise. Prosecco aus der Dose klingt wie ein digitaler Molotowcocktail. In den USA wird die neueste Strategie im Cyberwar als Defense in Depth ausgerufen, nicht ohne herzergreifende Töne, dass jeder "Computer Professional" sein Land verteidigen muss. Der Hindukusch ist sowas von strucki, jetzt ist jeder Firewall das Schlachtfeld im kybernetischen Krieg. Schmettern die Trompeten, klirren die Fahnen? Nichts da, hier ertönt ein leises Farewell. Während mit großem Getöse hinter den Guttenbergen der 100. Geburtstag von US-Präsident Ronald Reagan begangen wird, haben wir Grund zum Erinnern an einen aufrechten Menschen, der Vorbild für viele Informatiker war: Im Alter von 58 Jahren starb vor anderthalb Monaten Gary Chapman, der Mitgründer der Computer Professionals for Social Responsibility. Er war der Informatiker, der den wissenschaftlichen Nachweis führte, dass Ronald Reagans "Star Wars" allein wegen der Komplexität der Software nicht funktionieren kann. Im Zeichen des völlig verkorksten FüInfoSys wäre eine Rede über Verantwortung und Informationstechnik eine zeitgemäße Aufgabe für den obersten Befehlshaber. Zu schade, dass man damit nicht bei einer Boulevardzeitung punkten kann.

Was wird.

Alles bekommt ein Gesicht, nur die Denunzianten und Intriganten, die Verfassungsschützer, die einen Rechtsanwalt 38 Jahre lang beobachteten, die bleiben anonym. Eifrig schützt der deutsche Staat seine Schergen und sperrt die Akten dieser Langzeitbeobachtung. So bleibt unbekannt, was dem Rechtsanwalt und Menschenrechtler Rolf Gössner eigentlich zur Last gelegt wurde. Gössner veröffentlichte im Jahre 1982 das Buch "Der Apparat. Ermittlungen in Sachen Polizei" über die Tendenzen, Polizeibefugnisse über ominöse Anforderungsstatistiken auszudehnen.

Schlimmer als ein seine Auftragsgrenzen überschreitender deutscher Polizist ist nur der deutsche Sprachpolizist, der Regeln exekutiert und nicht verstehen will, was für ein formfreudiges Gebilde die deutsche Sprache ist. Wo Sprachknete auf große Knete trifft, hört der Spaß auf und der Justiv fängt an. Das ist der Fall nach dem Akkusativ, erkennbar durch die Frage "wen/was verklage ich heute?". Schuldig ist in diesem Fall der Ba‘al Azabab aller Leistungsschutzrechtler, die Suchmaschine Google und ihre Unfähigkeit, in Text-Snippets (Satire) angemessen zu kennzeichnen. Für jemanden, der die deutsche Sprache schrebergartenvereinsmäßig kleinmäht, ist dies natürlich ein schwerer Affront, ähem, Tort – oder muss es Realinjurie heißen? Ist das nicht gehopfen wie gespringt? Aber nicht doch. Was hier zu sehen ist, was Google als Snippet angeboten hat, nennen die Juristen eine "verkürzte Inhaltswiedergabe", weil der Vermerk Satire fehlt und die Suchmaschine damit zum "Störer" wird. Alles bekommt ein Gesicht, auch unser neues Leistungsschutzrecht, das die Regierung Merkel auf Wunsch der Verleger einführt, auch wenn es noch so mickrig ausfällt.

Wenn diese Kolumne erschienen und längst am vergilben ist, startet in den USA der Superbowl. Spieltechnisch geht es um eine Pille, die hinter die feindlichen Linien gebracht werden oder über ein Tor gedroschen werden muss, das Numerobis entworfen haben könnte. Werbetechnisch geht es um viel mehr. Motorola antwortet auf das berühmteste Werbevideo der Welt mit einem eigenen Werbespot. Dieser erreicht nicht die bildsprachliche Wucht des Originals, das Ridley Scott inszenierte, doch die Nachricht ist dafür umso klarer: 2011 ist Apple der Big Brother und Freiheit beginnt mit einem M, einem X , einem WWWW, ach soll sich doch jeder seinen Buchstaben selbst aussuchen, ohne das Genick zu brechen!

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 13 Februar, 2011, 07:38
Da ja hier sonst kaum wer was macht ... 

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Wer hätte gedacht, dass Ägypten das Land ist, das dem Wort Zivilcourage neues Leben einhaucht? Wer hätte gedacht, dass nach der Bundeskanzlerin im letzten WWWW der Außenminister Westerwelle zitiert werden muss mit einem bombastischen Satz: "Wenn wir Glück haben, dann erleben wir jetzt die Globalisierung der Aufklärung, die Globalisierung der Werte, die Globalisierung der Menschenrechte." Mit Beginn der Freudenfeiern in Ägypten schickte ein britischer Twitterer die zigfach wiederholte Nachricht: "Don't Forget Wikileaks is the Cause for these Uprisings! Support #Wikileaks & #Assange." Die Annahme, dass Wikileaks mit den veröffentlichten US-Depeschen aus Ägypten der Grund für den Aufstand war, ist ähnlich abenteuerlich wie die amerikanische Annahme, dass die Massen Urgent Evoke, dem Revolutionsspiel der Weltbank, ihre Taktik-Schulung verdanken. Auch die anderen Annahmen von der Twitter-Revolution oder dem Facebook-Aufstand sind eindimensional; und dass alles der Sieg von Al Jazeera ist, sollte auch gleich mit auf den Kehricht der Monokausalitäten. Der größte und teuerste Geheimdienst der Welt blamierte sich mit seinen Einschätzungen zur Lage in Ägypten. Wenn wir Glück haben, ziehen die USA daraus Konsequenzen.

*** Übertreibungen gehören zum Geschäft von Wikileaks. Aus der Äußerung des schwedischen Premierministers Frederik Reinfeldt, dass die unabhängige, politisch nicht gelenkte schwedische Justiz einen Vergewaltigungsvorwurf gegen Wikileaks-Chef Julian Assange prüfe, destillierte Assanges Rechtsanwalt in einer Anhörung, dass Assange nun Schwedens "Staatsfeind Nr.1" sei. Es sei verantwortungslos, ihn in die vergiftete Atmosphäre Schwedens zu entlassen. Diese Übertreibung wurde noch durch die Volte getoppt, mit der ein ehemaliger schwedischer Staatsanwalt als Zeuge für Assange (!) aussagte, dass es kein Risiko einer Abschiebung in die USA gibt, wo Assange Straflager und Todesstrafe drohen würden. Wenn am 24. Februar die Entscheidung über die Auslieferung von Assange an Schweden fällt, werden seine Anwälte unverzüglich in die Berufung gehen. Der auf ihnen liegende Druck ist nicht mit der läppischen Missionarsstellung zu vergleichen, in der Assange nach Angaben seines Anwaltes zu verkehren pflegt.

*** Bleibt die Frage, warum Julian Assange am 27. September überhaupt Schweden verlassen hatte, obwohl sein schwedischer Anwalt Björn Hurtig seit dem 10. September wusste, dass die den Fall neu aufrollende Staatsanwältin Assange vernehmen lassen wollte. Zwar wurde verfügt, dass Assange Schweden verlassen durfte, doch die Ermittlungen liefen weiter, unter der Annahme, dass Assange am 6. Oktober bei einer Großkundgebung wie angekündigt auftreten würde. Nun ist "Inside Wikileaks" erschienen, das Buch des Assange-Partners Daniel Domscheit-Berg, der am 26. August von Assange in aller Selbstherrlichkeit "supendiert" wurde. In diesem unterhaltsamen Buch findet sich die interessante Passage, dass der zentrale Server von Wikileaks Anfang September seinen Geist aufgab und Domscheit-Berg als Verantwortlicher für die Backups von Wikileaks der einzige war, der das System retten konnte. Er fuhr am 14. September ins Ruhrgebiet und brachte "die gefährlichste Website der Welt" wieder in Gang.

*** Wie beschämend es für Assange gewesen sein muss, dass er mit seinem gesamten gespeicherten Mailverkehr von seinem ehemaligen Mitstreiter abhängig war, lässt sich an den üblen Beschimpfungen erkennen, die Wikileaks als Presse-Statement zur Person "Domschiet-Berg" veröffentlichte. Dass Julian Assange monatelang von einer Sprinterprämie lebte, die Domscheit-Berg bei EDS Rüsselsheim einsackte, ist dem Australier offenbar längst entfallen. Getoppt wird das ganze durch einen deutschen Juristen, der im Auftrag von Assange die "Datenbestände" vom offiziellen Backup-Beauftragten zurückholen soll und allen Ernstes von "Diebstahl" redet. Wahrscheinlich stellt sich der Jurist ein hübsches Regal vor, in dem die sequentiellen Backups ordentlich durchnummeriert auf Assange oder auf eine Hausdurchsuchung warten. Was Assange glaubte, als er am 27. September nach Berlin flog, um seinen Ex-Partner zu treffen, der gerade via Spiegel seinen Ausstieg öffentlich machte, wird das nächste Wikileaks-Buch zeigen, geschrieben von Julian Assange. Es soll nicht weniger als eine Generation einigen

*** "Inside Wikileaks" ist ein Schelmenroman und ein wunderbares Lehrstück über die Funktionsweise der Medien zugleich. Die idiotischen Meldungen zum Buch, die sich mit dem kastrierten Kater Schmitt, dem Essen von Leberkäse oder dem überzeugten Kindermacher vieler Klein-Julians in aller Welt beschäftigen, zeigen überdeutlich, dass am eigentlichen Wikileaks-System kein Interesse besteht. Die Überlegungen zum Leaken, zur Technik, die Openleaks einsetzen will, um nicht vom Größenwahn eines Einzigen abzuhängen, bleiben unbeachtet. Das Buch ist ein Schelmenroman in der Tradition von Tom Sawyer und Huckleberry Finn, von zwei Freunden, die unter Pseudonymen wie Jay Lim (Assange) und Thomas Bellmann (Domscheit-Berg) und vielen weiteren Namen dem ahnungslosen Außenstehenden eine große Organisation vorspielten. Die ein Mietauto voll mit teuren Server-Slides beladen und in einer Tour de Force in Westeuropa Wikileaks-Equipment bei diversen Hosting-Providern installieren, mit Wissen der Techniker und Admins, die diese Hardware-Halden bewachen und warten. Die immer wieder an den Busen der Mutter zurückkehrten, einem roten Gästesofa des Chaos Computer Clubs, um von dort zu neuen Taten aufzubrechen. Entsprechend liebevoll fällt der Tadel aus, gewürzt mit wichtigen Überlegungen zu dem Problem, dass Leaks erst dann einen Wert bekommen, wenn sie zurückgehalten werden.

(http://www.heise.de/imgs/18/6/2/9/3/1/0/9d4348c8382d6fea.jpeg)
Palantir Bild vergrössern (http://www.heise.de/imgs/18/6/2/9/3/1/0/Palantir-Scan1.JPG-14c9a6d801de30df.jpeg)
*** Mitten im "mütterlichen" Sermon findet sich der Hinweis auf Firmen, die überlegen, wie Wikileaks (und demnächst Openleaks) zerstört werden können. Das Ganze im Auftrag der Bank of America, die offenbar keine Angst haben muss (weil Assange die Daten aus der Submission-Platform fehlen?). Interessant ist es allemal, wie die Experten für Counterinsurgency auf die Idee kommen, ausgerechnet einen Journalisten ins Visier zu nehmen. Nicht minder interessant ist es, dass dabei Software von Palantir Technologies zum Einsatz kommt, wie die Screenshots zeigen. Palantir bzw. Cap Gemini in Europa ist der Spezialist für Antiterror-Software, die auch von deutschen Behörden eingesetzt wird. Ein Blick auf das OSINT-Interface (siehe nebenstehendes Bild) ist da ganz aufschlussreich. Vor wenigen Wochen erwähnte ich das Project Grey Goose, das von eben jener Palantir finanziert wurde, die für die Bank of America arbeitet. Hier wurden national gesinnte US-Hacker für den Abwehrkampf im "Cyberwar" rekrutiert. Wer glaubt, dass so ein Vorgang in Deutschland nicht möglich ist, sollte sofort raus an die frische Luft und Gänseblümchen pflücken. Und wer keinen Bock auf den gräßlichen Schneeregen hat, kommt hier auf seine Kosten.

Was wird.

Dort, wo sonst ganz ohne rotes Sofa der Chaos Computer Club tagt, beginnt am Dienstag der Europäische Polizeikongress. Der weiter oben gezeigte Screenshot von Palantir stammt von dem Kongress im vergangenen Jahr. Diesmal dürfte EU-Kommissarin Cecilia Malmström aus Schweden der Star des Kongresses sein, die ganz im Sinne der Wikileaker über "Tools, Trust and Training" referiert, derweil aus Italien bereits Alarmgeschrei ertönt, was nun an Menschenmassen via Tunesien auf uns zurollt und -schippert. Wie ist es denn, von allen Frontex verlassen, wenn die von Westerwelle begeistert begrüßte Globalisierung der Menschenrechte einen Kollateralbonus produziert? Wie weiland 1989 wäre doch ein Begrüßungsgeld ganz praktisch, gezahlt aus den gesperrten Mubarak-Konten, auf denen Zigmilliarden liegen sollen. Gerade die IT bietet dafür aktuell ein schönes Beispiel: Wenn zwei Ertrinkende sich festhalten, überlebt keiner. Während diese Wochenschau auf einem dunklen Parkplatz in Hannover mittels USB-Stick übergeben wird (psst, psst), wird gerade versucht, Algerien vom Internet zu trennen. Jedes Byte beißt. Deutsche, zu den Pantoffeln!

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 20 Februar, 2011, 07:00
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Nein, diese kleine Wochenschau beschäftigt sich nicht mit Julian Assange und seinen Wikileaks wie die letzte, dafür kritisierte Ausgabe. Nein, auch zum Dr. plag. zu Guttenberg von der achtbaren Universität Bayreuth findet sich nichts in diesem Rückblick. Seine endgültige Titelniederlegung am Grabmal des unbekannten Plagiaten ist erst für die kommende Woche vorgesehen. Scheiß auf den Doktortitel, der nichts anderes ist als ein knackiger Busen und eine Straffung des Popos, weiß ein fleißiger Briefschreiber von den Guten! zu berichten. Bemerkenswert an der ganzen Geschichte bleibt, wie präzise das GuttenPlag-Wiki arbeitet. Derzeit stammen 247 Seiten der Dissertation nachweisbar aus fremden Federn, eine beachtliche Quote vom 62,8%. Wer mitverfolgt, was dieses Wiki leistet, kann sich in Ansätzen vorstellen, was Wikileaks als aufklärerisches Wiki-Projekt erreichen könnte. So aber bleibt es vorerst bei der abgedrehten Einmann-Show eines angeblichen schwedischen Staatsfeindes, der sich für "untouchable" hält und zum Auslöser der maghrebinischen Revolution stilisiert.

*** Viel interessanter ist es da, sich mit dem Cyberwar zu beschäftigen, der nach Aussagen des NSA-Kommandanten Keith Alexander unmittelbar bevorsteht. Auf der RSA-Konferenz zeichnete er ein düsteres Bild, bemängelte auch die Art und Weise, wie unordentlich dieser Krieg geführt wird. Nicht mal eine ordentliche Kriegserklärung ist Standard, ganz zu schweigen vom Digitalen Roten Kreuz, das in der Erweiterung der Genfer Convention vorgeschlagen wird. Fehlt die Kriegserklärung, bleibt eine feige Cyber-Attacke übrig, mit der sich die Innenminister herumschlagen müssen. Die reichen den Auftrag an ihre Polizeien weiter, die an Crimeleaks-Seiten basteln und darauf hoffen, dass der Hacker als Bürger mithilft, seinen Staat zu verteidigen. Dass ein hoher Polizeibeamter auf dem "europäischen" Polizeikongress über die Hacker-Ethik referiert und dabei auf den "deutschen Hacker-Club e.V." verweist, zeigt den blühenden Unsinn der Sehnsucht nach irgendeiner Art von Cyber-Ordnung. Was ist an der CCC-Aussage "nur bedingt einheitlich definiert" eigentlich so schwer zu verstehen? Es sei daran erinnert, dass dieses Gespinst einer Hacker-Ethik entwickelt wurde, als Menschen aus dem Umfeld des CCC sich beim KGB-Hack "unethisch" verhielten. Dass es eine andere Sicht der Dinge gibt, dass Ethik geschält, halbiert und bei Geschmack frittiert werden kann, wird gerne vergessen. Hacker können ohne Ethik leben und ohne den Imperativ, einen Staat zu verteidigen, der ihre Programmierwerkzeuge kriminalisiert hat, ganz ohne Cyberwar-Gemurmel.

*** Bekanntlich haben die bösen Buben von Anonymous die beiden Firmen HBGary und HBGary Federal nach allen Regeln der Hackerkunst zerlegt. Das wurde  gemeldet, doch sollte jeder, der von Cyberwar redet, auch die Erzählung lesen. Firmenchefs eines Spezialisten, der NSA und andere Geheimkramsläden beliefert, die überall das gleiche einfache Passwort benutzen, ein CMS mit SQL-Injection, die "Absicherung" mit MD5 und als Krönung "social Engineering" vom Feinsten, als Personation von Superhacker Greg Hoglund: als Drehbuch kann es dieser vollkommen unglaubwürdige Plot mit Swordfish aufnehmen, wo ein Hacker per Fellatio ein Passwort entschlüsselt. Die Krönung der Aktion ist natürlich die Flut von Dokumenten und E-Mails, besonders die Analysen dieser Firma, die für teures Geld an interessierte Dienste verkauft wurden. Wer will, kann diese Analysen bei Cryptome lesen, einer ganz unspektakulär funktionierenden öffentlichen Hacker-Bibliothek. Auch die Enttarnung von Anonymous findet sich dort: /b/ von 4chan.org und die Encyclopedia Dramatica sollen die Plätze sein, an denen sich die bösen Buben vor dem Chat-gesteuerten Angriff sammeln. Dieser Lulz soll passiert sein, nachdem die Firma wegen Lebensgefahr ihren Stand auf der RSA-Konferenz räumte.

*** Gegen die Unterdrückung der Meinungsfreiheit gibt es keine App, so Hilary Clinton in ihrer neues Grundsatzrede zur Internetfreiheit. Sollte es aber doch einen Kill Switch geben, so will sie 25 Millionen Dollar für Programme ausgeben, die die Internetzensur unterlaufen. Mit dem ersten Anlauf namens Haystack hat man im letzten Jahr bereits 20 Millionen Dollar in den Sand gesetzt. Was die enorme Summe anbelangt, so steht uns Deutschen keine Kritik zu. Wir zahlen lieber in schwer kontrollierbare Demokratiefonds ein und schwärmen vom Bloggen und diesem Internetdings. Bleibt mir daher nur übrig, die ätzende amerikanische Kritik wiederzugeben: "WHAT? Dictators $10 billion, Democracy lovers $25 million, hypocrisy priceless." Dann wäre da noch Bahrein, dieses wunderschöne Land, bekanntlich ideal für eine Fußball-Weltmeisterschaft geeignet. Beschämend ist, dass der Österreicher Niki Lauda für seine einfachen Sätze ausgebuht wird: "Wenn Menschen für Demokratie kämpfen, kann man da nicht Formel 1 fahren. Das ist nicht vereinbar." Keine Klickstrecke für die schönsten Boxenluder der Formel 1. Und die IT-Branche? Scheich Achmed freut sich über die Gespräche mit Google, ein Rechenzentrum aufzubauen. Cisco ist auch schon da. Wem das alles zu schnell geht, wird lieber in den Demokratiebremsefonds einzahlen: Von China lernen heißt blockieren lernen.

*** Bekanntlich hat Watson die Quizshow Jeopardy! gewonnen und damit die Philoso-Viehtreiber schwer erschüttert, die dem um die Ecke denkenden Menschen eine besondere Qualität andichten, statt ihn in einem simplen Turing-Test als eine von vielen möglichen Maschinen zu sehen. Watson machte Fehler und soll dennoch eine große Zukunft in der Anamnese vor sich haben. Ich freue mich auf den Tag, wenn ich meinem Arztprogramm erzähle, wie schlapp und elend ich mich fühle, das prompt mit : "Was ist Toronto?" reagiert. Spaß! Spaß! Längst haben die Programmierer den Fehler gefunden: Gott sei Dank glauben sie nicht daran, dass Irren menschlich ist.. So kommen wir Stück für Stück der Singularität näher, dem Punkt, an dem wir Menschen als hübsch lastbare Esel und Eselinnen stehen bleiben und uns auszahlen lassen. Dass Watson mit "What is eminent domain?" (Was ist eine Enteignung?) Watson beim Wetten auf das Daily Double gewann, ist einer dieser Kellerwitze der Philosophie. Die Vorgabe war weise: "This two-word phrase means the power to take private property for public use as long as there is just compensation." Open Source und Open Knowledge, das freie Wissen für freie Maschinen, wir arbeiten dran.

Was wird.

Kokolores ist eine sprachliche Verballhornung des mittelalterlichen Mummenschanzes, wenn die Gaukler Einzug halten in die Stadt. Kokolores hoch drei spielte sich bekanntlich in der Bundespressekonferenz ab, komplett mit einer Auflistung der Karnevalstermine, die Angela Merkel hat. Die tollen Tage haben begonnen, da schadet es gewiss nicht, wenn unsere Kanzlerin zum Vergleich mit den eigenen Leuten "Jecken aus allen Ecken Deutschlands" empfängt. Kurz vor der CeBIT sollte man seinen Spaß haben, ehe es in die lustigste Stadt Deutschlands geht. Frau Merkel setzt noch eins drauf und begibt sich in die T-City Friedrichshafen zum T-City Tag, den sie mit Mister 1000 Volt Stefan Mappus und René Obermann nach Besuchen bei mit dem Verkauf von Anteilen bröckelnden "deutsch-französischen" Firma EADS und ZF Friedrichshafen begeht. Dann geht es im Kanzlerinnengalopp zur Familie Mustermann, die in der an einem Teich gelegenen T-City zünftig Bachmann heißt und in die Freuden des Smart Metering einführt. Die vernetzte Intelligenz ist etwas für die härtesten Jecken, denn das Ausweichen beim Stromverbrauch auf Nebenzeiten bedeutet, dass diese Nebenzeiten vorab definiert werden können und der smarte Zähler vom Verbraucher programmiert werden kann. Na, dann gaukle ich auch ein wenig und sage den Tag voraus, an dem der Staat im Kampf gegen den Terrorismus die Vorratsdatenspeicherung unserer Duschdaten als notwendig erachtet: ein erster April. Manchmal beglückt wirklich nur eines: Konzentration aufs Wesentliche.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 27 Februar, 2011, 08:17
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Dort, in den dunklen Wäldern, wo fränkische Wettertannen wachsen, treiben sich unendlich viele Affen herum und tippen unendlich lange Texte aus dem grauen Internet ab. So entstand eine Doktorarbeit, die von den Herren von und zu Waldbesitzern eingereicht wurde und folgerichtig mit summa cum Laub bewertet wurde. Dass ganz gewöhnliche Affen zu dieser Leistung imstande waren und damit Watson ausstachen, die höchstentwickelte Intelligenz auf diesem unseren Planeten, war das Gesprächsthema dieser Woche. Nicht die so gezeigte Verachtung der Politik für die Wissenschaft ist überraschend. Wer die politischen Sonntagsreden mit dümmlichen zum Hightech-Standort als der besonderen Stärke von Deutschland, von "Exzellenz" und "Hochkarätigem" liest oder morgen abend auf der CeBIT wieder hört, kennt diese ganz spezielle Verachtung zur Genüge.

*** Auch die unfeine putschistische Art der Konservativen, sich brutalstmöglich über Recht und Gesetz zu stellen, überrascht nicht, gibt es doch eine langeTradition in Deutschland für diese Legitimitätspfeiferei. Was überrascht, ist die Tatsache, wie spät der akademische Lack vom adeligen Gelberg abgewaschen wurde. Als zu Guttenberg Platon auf Altgriechisch zu seiner Lektüre erklärte, glaubten viele dieser Inszenierung frei nach AC/DC. Jaja, Vorbilder braucht das Volk und der Adel hat seine eigenen:

"Die Haupttriebfeder seiner Handlungen war nicht der Wunsch, Gutes zu schaffen, sondern der Ehrgeiz, als Förderer populärer Bestrebungen bewundert zu werden und als großer Mann auf die Nachwelt zu kommen; der durchgehende Charakterzug seiner Maßregeln war eine nervöse Hast, die unaufhörlich von einer Aufgabe zur anderen eilte, sprunghaft und oft widerspruchsvoll, und dazu eine höchst gefährliche Sucht, alles selbst auszuführen." Ludwig Quidde, Caligula

*** Zweifelsohne wird der Tag kommen, an dem der helle Watson eine perfekt zusammenkopierte Dissertation mit dem Zusatzlob Summa cum Suma vorlegen wird, die von einer menschlich vergeisterten nicht zu unterscheiden ist. Und danach kommt sicher auch "Calculatio ergo sum", die erste eigenständige philosophische Dissertation einer Maschine nach der großen Singulartität. "Bruno, was ist Leben?", auch diese Frage von Hal wird dereinst an einem hübschen Turing-Tag von einer Maschine ausführlicher als mit 42 beantwortet werden, in natürlicher Sprache. Der Mensch, dieser ewige Verlierer, beim Schach, bei Jeopardy und beim Andocken von Raumstationen, wird schweigend danebenstehen und es in Ordnung finden, "arbeitslos zu sein und nicht gebraucht zu werden, weil man dann sein Lebenstempo selbst bestimmen kann".

*** Was das Lebenstempo anbelangt, so geht manchen Politikern vor lauter Tempo die Luft aus. Die Geschwindigkeit, mit der sie vor einem Cyberwar warnen, eine Cyber-Abwehrstrategie basteln und ein Cyber-Abwehrzentrum einrichten oder kritisieren, möchte man bei anderen Vorhaben sehen, wie dem Löschen von Cyber-Kinderpornographie im Netz. Immerhin wird die Cyber-Defense vom BSI angeführt und nicht von einem Verteidigungsministerium, das lebenstempomäßig vollauf damit beschäftigt ist, Fähigkeitslücken in seiner Notes-Installation zu definieren. Auch das Cyber-Abwehrzentrum wird Schwierigkeiten haben, den Begriff Cyberwar ordentlich zu definieren. Immerhin weigern sich die USA und Israel, ihren Stuxnet-Angriff gegen den Iran als solchen zu benennen. Gleiches gilt für die Welle der chinesischen Angriffe. Was McAfee den Angriff der Nachtdrachen (PDF-Datei) nennt, ist McAfees Wortwahl. Spannend wird es erst, wenn China die Nachtdrachen paradieren lässt und zu seinen Netzkämpfern steht. Dann wird man erst die Existenz von amerikanischen Programmierereinheiten vernehmen, die Ziegen in den Arsch schauen und hören, wie sich die entsprechende Cyber-Truppe beim BND nennt. Tutti Gutti? Als 1991 der Begriff Cyberwar auftauchte, war er noch sehr teleologisch besetzt in dem Sinne, dass er ein Kampf rivalisierender künstlicher Intelligenzen sein wird. Immerhin wurde inzwischen diese Ideologie verabschiedet, mit netten Maschinen wie Watson, der Jeopardy! spielt und nie niemals nicht wann auch immer militärisch eingesetzt wird, sondern stux nett bleibt.

*** Tunesien machte es wunderbar touristisch-kompatibel, Ägypten zeigte schon ein anderes Kaliber und kann derzeit noch nicht zu den Gewinnern gerechnet werden, doch in Libyen wird übel gemordet. Wer weit genug zurückschaut, wird Gründe finden. Die internationalen Reaktionen laufen auf eine Flugverbotszone hinaus. Anders als Ägypten wurde in Libyen die Kommunikation via Thuraya systematisch gestört. Auch das hat offenbar nichts genutzt, wenn diese Meldungen stimmen. Wie sieht eigentlich eine Bundesrepublik Deutschland voller Einwanderer aus, die aufsteigen wollen? Genau, wir brauchen helle Köpfe.

Was wird.

Pressebätsch, Partytickets, USB-Stickbeutelchen und bequemes Schuhwerk. Das war's schon, die CeBIT kann beginnen. Es wird eine Erholung sein, eine guttenbergfreie Zone zu betreten: 2009 war Deutschlands fähigster Plagiator in Hannover mit dabei und bestritt mit dem Filmschauspieler Arnold Schwarzenegger einen Breitbandgipfel. So hätten wir Zeit genung, ein bisschen mit Watson zu plauschen, von Schreibprogramm zu Schreibprogramm. Ansonsten wird gesoffen bis zum Abwinken, wie das so ist, wenn sprechende Cocktail-Shaker mit ihren Verbmobilen auf journalistische Flaschen treffen und Watson laufend mit "Was isn Toronto?" dazwischenquatscht. Anschließend ist Partytime, wenn die Gorillagläser in echter Echtzeit gefüllt und in einem Quantensprung ausgetrunken werden. Dazu hört man am besten den Falco-Kracher, der auf der ersten CeBIT vor 25 Jahren zu hören war, auf der Heinz Nixdorf nach einem Tänzchen (zu anderer Musik) tot umfiel. Am nächsten Tag wachen wir dann in der Steinzeit auf.

Steinzeit, Steinzeit, da war doch was? Richtig, am Montag kann als Jubiläum der 50. Geburtstag des Fernseh-Urteils gefeiert werden, als deutsche Gerichte das Adenauer-Fernsehen verhinderten. In der Steinzeit des Fernsehens wollte Bundeskanzler Adenauer, mit den kritischen Berichten des 1. Deutschen Fernsehens unzufrieden, die Freies Fernsehen Gesellschaft durchsetzen. Sehr nett die Idee des Bundeskanzlers, dass das Gegenfernsehen ein ordentlich gemischtes Programm senden wollte: der bekennende Jazz-Fan, Krimiautor und Sexologe Ernest Bornemann war als Programmdirektor einer Anstalt vorgesehen, in der auch die Veteranen des nationalsozialistischen Fernsehens untergebracht werden sollten. Glaubt man der englischsprachigen Wikipedia, so war es Adenauer höchstpersönlich, der den ehemaligen Kommunisten Bornemann zur Rückkehr nach Deutschland bewegte. Bornemann wollte Jazz-Sendungen und Literatur-Diskussionen produzieren, die Wissenschaft sollte Heinz Haber betreuen, als Volks-Aufklärer vom Dienst war Oswalt Kolle im Gespräch. Daneben sollten die Altnazis ihre heroischen Bergfilmchen mit ach so unpolitischen deutschen Burschen produzieren.

Aus alledem wurde nichts, denn das Gericht befand, dass der Bundeskanzler mit einem eigenen Programm seine Kompetenzen überzog und letztlich sogar die Verfassung anrempelte. Staatsfern und nicht durch Parteien kontrolliert sollte das Fernsehen sein. Mit dem Urteil wurde das Fernsehen aufgewertet: War früher von einem Medium der öffentlichen Meinungsbildung die Rede, wurde es vor 50 Jahren zum eminenten Faktor der Meinungsbildung. Diese Rolle des Fernsehens übernimmt gerade ein neueres Medium, das Internet. Auch hier wird mit neuen Sendeformen experimentiert, auch hier wird um den Informationsbegriff gerungen. Auch wenn wir gerade recht geekige Probleme haben, wie Open Data, Liverstreams und https: Wir sind ab sofort der 18. Sachverständige. Und bitte: Wer wird angesichts dieser Bilder mit einem gewissen Openleaks-Touch bezweifeln, dass sich eine andere Instanz installiert? "Wir sind das Volk" hat auch einmal recht überschau- und bespitzelbar angefangen.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 06 März, 2011, 00:07
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Die CeBIT ist gerade vorüber, das blutrot des Heisetickers verblasst, ein paar tanzende W künden vom Alltag in den nebeligen kalten Ebenen, von wegen strahlendes Wetter. Am letzten Tag der Messe feierten einige Unentwegte, nein, nicht diesen bescheuerten Karneval, sondern das erste Treffen des Homebrew Computer Club vor 36 Jahren. Und sonst so? Die Türken sind abgereist und die Hyperboräer greifen in warmen Zimmern zu einem guten Buch und verschnaufen. Wie wäre es mit Tolstoi und Anna Karenina?

"Ich bin schwach, ich bin vernichtet, ich habe nichts vorausgesehen und begreife jetzt auch nichts", sagte er. "Mein Freund", wiederholte Kristina Schröderowa.

"Ich beklage nicht meinen Verlust, aber meine Stellung ist tief beschämend."

"Nicht Sie haben großmütig Verzeihung gewährt, sondern er, der in unserem Herzen wohnt", sagte die Gräfin mit einem Blick nach oben, "und darum können Sie keine Beschämung empfinden."

Guttemins Miene verdüsterte sich. "Man muß alle Einzelheiten kennen", sagte er mit seiner dünnen Stimme, "ich habe die Grenzen meiner Kräfte erreicht, Gräfin, den ganzen Tag muß ich Anordnungen treffen über die Haushaltung, mich um die Dienerschaft, die Gouvernante, die Abrechnungen kümmern, es ist, als ob man auf kleinem Feuer langsam geröstet wird."

*** Ein kleines, feines Plagiat, das von den Fallen eines Summa-cum-laude-Lebens kündet, auf dass selbst die ach so alternative taz mit ihren Kräften am Ende ist. Wenn allerdings die üble Plagiatsgeschichte infamerweise mit dem Tod und der Verwundung von Soldaten vermischt wird, muss noch der größte Verehrer des Adels den mehrfachen Schwindel begreifen, den kein Hochstapler, sondern eine Art Zustapler da weiterhin ganz ungeniert betreibt. Auf kleinem Feuer langsam rösten, das wäre eine prima Alternative zu den Geschichten, die sich bereits mit dem Comeback des "politischen Talents" beschäftigen.

*** So war es eine CeBIT, auf der die angeschlagene Angela Merkel keine Fleißpünktchen fürs Technikgucken sammeln konnte, sondern viel telefonieren musste, weil ihre vordemokratische Idee mit den "zwei Körpern des oberfränkischen Barons" (Ernst Kantorowicz) bei aufgebrachten Wissenschaftlern nicht ankam. Es war eine CeBIT, auf der ein glücklich lächelnder Innenminister zur Bundeswehrreform abkommandiert wurde. Wünschen wir dem netzdialogisch aufgeschlossenen Herrn de Maizière, dass sein Marschbefehl sich anders angehört hat als der Werbemüll für Muttersöhnchen, den seine neue Truppe da für den Hörfunk produziert hat. Die Nachwuchswerbung erscheint mindestens genauso reformbedürftig.

*** Dass die CeBIT manchem vollkommen unspannend vorkam, hatte nicht nur mit dem politischen Verwerfungen zu tun. Das wichtigste Produkt, das neue iPad für die moderne Großmutter, wurde in Kalifornien präsentiert, dort wo laut David Gelernter die Technologiegötter in einem Tal leben. Es hatte auch mit den CeBIT-Managern zu tun, die das Thema Cloud Computing unter das Volk bringen wollten. Entsprechend dümmlich die Artikel über Supercomputer, die die Größe von Fußballfeldern haben sollen – wie wäre die Umrechnung in die 2568,65 km² Standardeinheit des Saarlandes? Unwidersprochen auch der von IBM behauptete Blödsinn, dass ein wirbelnder  Watson die gesamte Menschheit voranbringen wird. Wo es doch nur darum geht, mit der Smart Agenda den eigenen Profit ordentlich zu steigern, wie dies der achte IBM-Präsident in 100 Jahren IBM-Geschichte demonstriert.

*** Vielleicht sollte man bei diesem Supercomputerschmarrn in Anlehnung an Kantorowicz von den "zwei Körpern des Computers" sprechen und die Differenz zwischen der öffentlichen Funktion dieser Clouds und den Rechnern, die die Wolke bilden, näher beleuchten. Dann würde auch enttarnt, wenn Fernsehleute vom Tod des PC reden, wo bestimmte Realweltinkarnationen des Computers den Dodo machen. Der bereits erwähnte Artikel von David Gelernter "Unser neues Bauhaus", den die Frankfurter Allgemeine Zeitung zum Abschluss der CeBIT veröffentlicht, zeigt das Problem in einem grellen Licht. Es wird von Benutzeroberflächen geredet, wo wir Informationsoberflächen brauchen, es werden furchtbar programmierte und schwer zu bedienende MP3-Player gelobt, wo doch viel mehr möglich sein könnte. Statt all dem iconifizierten Müll der Schmalspur-Apps könnte ein an den Menschen im Bauhaus-Stil angepasstes Musiksystem Musik erlebbar machen. Kunst und Technik müssen eine neue Einheit eingehen. Doch welche Kunst, welche Musik ist hier gemeint?

"Musiktitel müssen zusammen mit elementaren Informationen über die Darbietenden und die Aufführung geladen werden. Es muss leicht möglich sein, die Noten herunterzuladen. Es muss leicht möglich sein, die Partitur mit Anmerkungen zu versehen und diese mit anderen Personen auszutauschen. Man muss verschiedene Aufführungen eines Stücks Satz für Satz bequem miteinander vergleichen und bei Bedarf zusätzliche Informationen aus der Cloud beziehen können. Man drückt einen Knopf, und solange man ihn drückt, strömen weitere Informationen herein - über die Instrumentierung, die Aufführungsgeschichte, das Leben des Komponisten. Natürlich sollte man den Player an ein größeres Audiosystem anschließen und dabei den Fernsehbildschirm als Display benutzen können.

Mit einem PC, wie er immer noch allzu röhrend neben oder auf vielen Tischen in Büros und Wohnungen steht, hat das allerdings wirklich nichts mehr zu tun. So erleben wir ihn, nicht nur durch das Aufkommen neuer Gerätschaften, hoffentlich wirklich, den Anfang vom Ende des PC. Das mag der gestandene Informatiker unserer Tage so unmöglich finden wie der Römer die Eroberung seiner Stadt durch die Vandalen. Oder der in Erinnerungen an die Liebe in den Zeiten des kalten Krieges Schwelgende das Ende des Mixtapes. Hilft aber alles nichts. Das Unbekannte ist der Feind des Gewohnten.

*** Es gibt noch eine andere Welt der Software. Weit abseits vom CeBIT-Trubel hat das Bundeskriminalamt seine Sirup-Studie veröffentlicht. Sirup (PDF-Datei) ist ein Akronym und steht für "Sicherheitsrisiken für Computeranwender im häuslichen Umfeld durch kindliche und jugendliche PC-Nutzer". Befragt wurden 1.171 rheinland-pfälzische Schüler und Schülerinnen der 7. bis 10. Klassen aus allen Schulformen darüber, wie sie Familien-PCs nutzen. Über die Hälfte (54%) hatten eigene Rechner, dennoch ging es darum, wie surfende Kinder die Familie in digitale Bedrohungslagen bringen. Wer den Aussagen "Ich weiß genau, wie ich an gefälschte Seriennummern für meine Software gelange" und "Ich habe mich schon einmal dabei erwischt, wie ich im Internet gezielt nach Seiten mit illegalen Inhalten gesucht habe" zustimmte, kam in die Risikogruppe "Besuch illegaler Seiten und Software-Piraterie", die in der Studie laufend auftaucht. Der Gimmick zum Schluss: Die Schüler, die technisch die besten Kenntnisse über Computersicherheit, Firewalls und obskure Dateianhänge hatten, besuchen am häufigsten illegale Seiten. Die Proto-Hacker lassen grüßen.

*** Nach diversen gescheiterten Anschlägen hat Deutschland in dieser Woche erstmals ein islamistisch motivierten Terroranschlag erlebt. Dass der "home-grown" Terrorist nicht schlimmer zuschlug, ist einer Ladehemmung der schlecht gewarteten Schusswaffe zu verdanken. Nun sind sie da, die Forderungen nach umfassender Vorratsdatenspeicherung und Verbot von Ego-Shootern, passend ergänzt durch Bestrebungen des neuen Innenministers, eine neue Vorratsdatenspeicherung einzuführen. Dass niemand auf den offenkundigen Widerspruch hinweist, dass ein selbstradikalisierter Einzeltäter nicht durch solche Datensammlungen entdeckt werden kann, wenn er gutnachbarschaftliche Beziehungen mit anderen potenziellen Tätern unterhält, verweist darauf, wie sich Überwacher und Belauscher insgeheim freuen können. Gekrönt wird das Ganze durch eine bornierte Ministermeinung darüber, wo der Islam hingehört. Dieser Sprengsatz ist gelegt.

Was wird.

Die CeBIT ist vorbei, der internationale Frauentag bald auch. So richtet sich der Blick auf den Welttag gegen Internetzensur, an dem die "Feinde des Internet" enttarnt werden und Preise für die weltbesten Netizen in Paris vergeben werden. Ein heißer Kandidat kommt aus Tunesien, doch leider wird man nicht die findigen Chinesen ehren können, die Lächeln als subversives Zeichen des Widerstandes besetzten. Nun wird vor Träumen gewarnt.

Wie sieht es bei uns mit den Träumen aus? Sie liegen nicht unter dem Pflaster, sondern in einer Enquête-Kommission namens Friede, Freude, Adhocracy. Was sie erreichen kann, ist unklar, die Mühen der Ebene sind groß. Das Gegenstück zu dieser neuen Beteiligungsplattform ist das Bürgerforum 2011, das von der Bertelsmann-Stiftung aufgesetzt wurde. Am nächsten Samstag eröffnet das Bürgerforum seinen Dialog mit einer Rede von Bundespräsident Christian Wulff, die von Naila aus in die 25 Städte und Landkreise übertragen wird, die partizipieren dürfen. Jeweils 400 Bürger sind nach dem Zufallsprinzip ausgewählt dabei und diskutieren die Frage: "Wie kann der Zusammenhalt der Gesellschaft gestärkt werden?" Gegenfrage: Fliegt denn etwas auseinander? Und warum wird in Naila diskutiert, der Stadt unseres neuen Innenministers? Kann das mal die Sendung mit der Maus klären?

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 13 März, 2011, 07:14
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** "Smoke on the water, a fire in the sky ...." Nein, die Bilder und Berichte aus Japan sind ernst genug, die Späßchen zu unterlassen, die Menschenkette zwischen Neckarwestheim und Stuttgart erinnert an 1986. Derweil demonstriert die Bundesregierung mit modernster Technologie Borniertheit, wenn der Regierungssprecher twittert: "Umweltmin. Röttgen: praktisch ausgeschlossen, dass Deutschland von AKW-Lage in #Japan betroffen ist. Dennoch Sicherheitsanalyse auch bei uns" Denn praktisch ausgeschlossen ist gar nichts. "Jawohl wir wissen, dass wir auch ein Stück weit in Gottes Hand sind," erklärte die Chefin des Regierungssprechers, eine promovierte Physikerin und Spezialistin für Zerfallsreaktionen mit einfachem Bindungsbruch. Wie beim Tsunami 2004 und bei der Katastrophe in Haiti möchte ich alle Leser dieser kleinen Wochenschau aufrufen, zu helfen. Auch bei uns muss Atomschutt weggeräumt werden. Mag man sich auch lieber Absencen hingeben mögen.

*** Bei uns sind die Atomkraftwerke nicht besonders erdbebensicher, wie der IPPNW in einem Gutachten festgehalten hat. Dass ein Beben mit Stärke 5,3 vor dem Bau von Biblis zwischen Lorsch und Ludwigshafen gemessen wurde, ist längst vergessen. Und bitte, dass es Flieger wie den A380 gibt, der in ein Kraftwerk rauschen könnte, konnte man nicht beim Bau der Anlagen wissen. Außerdem: Was ist schon 4,4 in Hessen anders als ein schlichter Hickser? Tschernobyl, ach naja, das muss man einfach positiv sehen: Endlich bekamen die Sandkästen (zumindest dieser bundeswestdeutschen Republik) frischen, unkontaminierten Sand, selbst die sonst so verachteten alternativen Kinderläden wurden beglückt. Bleibt die Frage, ob die taz-Bezeichnung Dreckschweine nicht den durchaus reinlichen Tieren unrecht tut. Nun werden Erinnerungen daran wach, wie dank Tschernobyl die tageszeitung vor der Pleite gerettet wurde, weil sie als einzige täglich die Belastungswerte veröffentlichte. Was die Alternative anbelangt, so ist sie sicher nicht im Öl zu suchen, wie ein historisches Datum deutlich macht: Heute vor zwanzig Jahren zahlte Exxon 1 Milliarde Dollar wegen der Ferkeleien, die die Exxon Valdez angerichtet hatte, wobei über die restliche Beseitigung der unerwartet bis heute verbliebenen Ölreste weiterhin gestritten wird.

*** "Smoke on the water, a fire in the sky ..." Spanferkelglänzend nahm der doktorlose Allesüberflieger Karl Theodor zu Guttenberg unter Applaus am Großen Zapfenstreich teil, ein Ministerium zurücklassend, in dem wegen der Bundeswehrreform Feuer in der Hütte waberloht. Die in der letzten Wochenschau verlinkte Erklärung des Strahlemannes ist aus dem Netz verschwunden: Es geht voran. Nur bei den üblen Medien kann man noch nachlesen: "Ich war immer bereit, zu kämpfen, aber ich habe die Grenzen meiner Kräfte erreicht." Als Plagiatsvorlage für diesen Satz hatte ich Tolstois Anna Karenina vorgeschlagen, was manchem Leser missfiel. Der Gegenvorschlag stammt aus Henry Millers "Wendekreis des Krebses":

Bisher versuchte ich meine kostbare Haut zu retten, versuchte ein paar Stück Fleisch, die meine Knochen umkleideten, durchzubringen. Damit bin ich fertig. Die Grenzen meiner Kräfte sind erreicht. Ich stehe mit dem Rücken zur Wand; ich kann nicht weiter zurückweichen. Geschichtlich gesehen bin ich tot. Wenn es etwas jenseits geht, muss ich zurückspringen. Ich habe Gott gefunden, aber er ist unzulänglich. Ich bin nur geistig tot. Körperlich bin ich lebendig. Moralisch bin ich frei. Die Welt, die ich verlassen habe, ist ein Zwinger. Die Dämmerung bricht an über einer neuen Welt, einer Dschungelwelt, in der die mageren Geister mit scharfen Klauen umherstreifen. Wenn ich eine Hyäne bin, so eine magere und hungrige: ich ziehe aus, um mich zu mästen ..."

*** Mastbetriebe der besonderen Art sind Firmen, die Unterdrückern die notwendige Spitzelsoftware liefern. Am Anfang der Woche wurde ein Fall aus Ägypten bekannt, in dem Indizien darauf hinweisen, dass die Spitzelsoftware deutsche Wurzeln haben könnte. Der Hinweis auf einschlägige Messen, den die Münchener Firmen Gamma und Elaman auf ihren Websites geben, lieferte einem Wiener Kollegen die Vorlage, sich die Präsentationen einmal genauer anzuschauen. Ganz köstlich ist die Werbung der deutschen Firma ATIS Uher für ihre Überwachungssuite Klarios: "Vertrauen ist gut, Klarios ist besser." Lizenzfrei von Lenin übernommen, der für ein pünktliches Erscheinen vor dem Jüngsten Gericht christlich in Sankt Petersburg begraben werden soll. Noch ergiebiger als die ägyptischen Stasi-Unterlagen sind indes die Dokumente, die im Zuge des HBgary-Hacks in vielfältiger Form auftauchen. Günstige Rootkits für Regierungsbehörden zum Preis von 60 bis 200.000 US-Dollar, hübsche Oberflächen für Windows-Versionen, die im Mittleren Osten und Asien verkauft werden sollten, mit eingebauten Hintertüren für US-Behörden. Ähnlich wie die vertrackte Beziehung zwischen Gamma und Elaman gibt es bei HBgary eine Firma Endgame Systems, die gegen den schnuckeligen Subskriptionspreis von 2,5 Millionen Dollar jährlich der NSA und CIA Zero Day Exploits (PDF-Datei) vermittelt und 25 Lücken pro Jahr versprechen konnte. Wir sehen, dass Cyberwar ein gut eingespielter, längst existierender Marktplatz ist, ein gut vernetztes Stu$net sozusagen.

*** Heute vor 159 Jahren erschien im New York Lantern eine Karikatur des Gesellschaftskritikers Frank Bellew. Sie zeigte erstmals den später sehr berühmten Uncle Sam in seinem Flaggenaufzug, der nichts tut, während der Brite John Bull seine Flotte aufrüstet. Berühmt wurde im 1. Weltkrieg das Plakat, das direkt von John Bull abgekupfert war. In dieser Woche hatte sich der ehemalige Soldat Brian Manning zu Wort gemeldet und berichtet, wie stolz er einstmals war, dass sein Sohn Bradley zu Uncle Sam gegangen ist. Was Bradley Manning davon hat, kann en detail nachgelesen werden. Er muss nackt strammstehen, die Hände auf dem Rücken, wenn die Zellen inspiziert werden. Wenn diese Aussage wirklich on the record gewesen ist, dann schaut die US-Regierung mit Abscheu zu. Die viehische Behandlung ist die Folge der Bemühungen eine direkte Verbindung zwischen Manning und Julian Assange nachzuweisen, um den Australier belangen zu können.

*** Dazu gehört auch eine Aktion gegen Wikileaks-Aktivisten und ihre Twitter-Konten, die nach einem Beschluss der Hilfsrichterin Twitter dazu verpflichten, den Ermittlern die Verbindungsdaten zu geben. Meinungsfreiheit und Vertraulichkeit, ach was: "Das Gericht geht insbesondere davon aus, dass IP-Anschriften von Kunden freiwillig herausgegeben werden und die Schutzzone der Privatsphäre verlassen. Die Twitter-AGB weisen darauf hin, dass diese Daten gespeichert werden: Der Staat greife folglich nicht auf Daten zu, die ein Kunde vertraulich behandelt wissen wolle." Die Interpretation von freiwillig verschickten IP-Daten dürfte noch für manchen juristischen Schachzug sorgen, man denke nur an die ach so völlig unerwartete Mitspeicherung von Forums-Zutritten in Frankreich: Auch der Zugang zu Twitter ist bekanntlich völlig freiwillig, nur der richtige Client ist künftig vorgeschrieben.

Was wird.

Heute wird ein mittelmäßig begabter SF-Autor 100 Jahre alt, dessen Geschichten-Zyklus über Xenu bekanntermaßen zur Gründung einer international einflussreichen Sekte führte. Der Autor hielt die Psychoanalyse und die Japaner mit ihrer "Babysprache" für die schlimmsten Bedrohungen seiner Gefolgschaft. In mehreren Passagen in den Schriften des Jubiliars findet sich der Wunsch, dass Japan ein Dutzend mehr Atombomben verdient hätte. Wie man den abgrundtiefen Hass und die Xenu-Theorie allen Ernstes als Religion verstehen soll, entzieht sich meines Verstandes. Die Scientologen werden ihr "Zeichen" feiern, auch wenn gerade kein Vulkan beteiligt war an dem Desaster.

Gegen diesen Blödsinn gilt, was ganz oben steht. Wir müssen uns helfen, uns allen helfen. An dieser Stelle hätte weiter oben ein längeres, trauriges Stück über den Tod von Olaf Boos stehen können, dem Netzaktivisten, der zu den Mitverfassern eines denkwürdigen Briefes an Karlsruhe zählt. Im Sinne von "blue", dem Japan-Fan und Mitglied der Deutsch-Japanischen Gesellschaft schließt diese Wochenschau mit ???

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 20 März, 2011, 01:18
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Wenn sich Erdplatten verschieben, rutscht auch ein kleiner Technikticker vom gängigen Pfad der Themen weg. Meldungen mit vielen, vielen Updates künden von einer unübersichtlichen Lage, in der der Glauben an die Kontrollierbarkeit der AKW-Technik endgültig beerdigt wird, wenn die Nuklearkatastrophe droht. Der nicht abreißende Strom der Forums-Kommentare zeigt Anteilnahme und kommt weitgehend ohne dieses sonst so übliche Genörgel "was hat das mit IT zu tun?" aus. Die Zeiten drehen sich und wir drehen mittendrin mit. Dass es ein außen geben kann, etwa einen tsunamifreien Fluid State gegen die Verknöcherungen des Solid State, ist eine nette kleine Illusion im totalen Durchblicksstrudel. Wenn dann die Sommersonne knallt, ist es auch nur Kernenergie, nur dass der Reaktor weit genug entfernt ist. Bis dahin bleibt der Blick auf diese Welt gerichtet.

*** Mark Twain wusste es schon: "Es gibt Lügen, verdammte Lügen und Statistiken." Statistisch gesehen sind unsere Kernkraftwerke sicher, statistisch ist die Karikatur von Manfred Hokusei, Die Rheinflut bei Biblis 2011 künstlerische Imagination und sonst nichts. Aber wir Deutschen haben uns immer gerne in die Taschen gelogen, in denen jetzt links ein Smartphone mit Geigerzähler-App steckt und rechts ein Sixpack Jodtabletten-Röhrchen. Dazu gibt es die Antiatommoratorium-Dumm-Dumm-Geschoss-Propaganda einer Regierung, die allen Ernstes den Sozis und den Grünen vorwirft, den Atomausstieg nur halbherzig versucht zu haben. Die Kernkraft-Debatte in der deutschen Politik macht aus dem japanischen Elend eine deutsche Katastrophe: Die Gehirne der Abgeordneten von CDU und FDP scheinen gewaschen worden zu sein. Ein ausgemauscheltes Moratorium par Ordre de Mutti soll die Wahlchancen retten, auch wenn es juristisch ausgesprochen kipplig aussieht. Doch bitte, das ist Politik, das Bohren dümmster Bretter.

*** Als ich im schönen Hannover das Sonnenlicht der Welt erblickte, war Atomkraft fesch. Damals gab es keine c't und keine iX, wer sich für Technik interessierte, las in der BRD die Geschichten in "Hobby" über das erste Atom-Auto in der Sowjetrepublik oder die über die Firma Siemens, die 1958 einen Kernreaktor für den Hausgebrauch vorstellte. In der DDR lobte Robert Havemann die saubere Atomtechnik, dank derer Wohnblockreaktoren in den Städten Strom und Wärme liefern, ohne die Luft zu verpesten. Doch gerade aus der Perspektive der technisch Interessierten kam früher Widerspruch, wenn es um die Beherrschbarkeit der Technik ging. Man musste gar nicht Robert Jungk lesen oder Friedrich von Weizsäcker, Hobby war da deutlich genug, im Jahre 1960: "Trotz allen Fortschritten in der Raumfahrt gibt es für den Menschen nur einen einzigen Planeten, auf dem er auf die Dauer leben kann: die Erde. Die gilt es sauber zu halten."

*** Als Tschernobyl passierte, gab es ellenlange Diskussionen im Kinderladen, was wir mit der quengelnden Bande unternehmen könnten, die nichts anderes wollte als draußen bei schönstem Wetter im verwilderten Garten zu spielen (den es nicht mehr gibt, von besorgten Eltern 2.0 abgeholzt). An den obligaten Elternabenden wurden Geigerzähler nach Bastelanleitungen wie der in der Elrad 6/86 (Artikel ab Seite 36, Platinenlayout ab Seite 48) und 9/86 (Praxisbericht zur Kalibrierung) zusammengebaut. Besser Verdienende leisteten sich Geiger-Müller-Zähler, bei denen die Röhre über Verstärker und CMOS-Schalter an einen programmierbaren Taschenrechner angeschlossen wurde, der die Umrechnung übernahm. Heute wird China bereit stehen: In spätestens 3 Wochen wird der deutsche Markt überschwemmt sein mit den Geräten.

*** Und noch ein Blick zurück: Heute vor 16 Jahren wurde in Tokyo der Sarin-Giftgasanschlag der Ōmu Shinrikyō verübt, die in den Medien Aum-Sekte genannt wurde. Ihre Religion, ein wildes Gemisch aus Buddhismus, der Psychohistorik des SF-Autors Isaac Asimov und einer japanischen Comicserie prophezeite den drohenden Weltuntergang zum Jahre 1997, beginnend mit gewaltigen Erdbeben im japanischen Raum. Diese Prophezeiungen entbehrten jeder Wissenschaft, ganz anders als die Berechnungen (PDF-Datei), die für 2007 plusminus 3 Jahre ein großes Tokai-Beben mit Tsunami-Wellen annahmen. Wie diszipliniert Japan auf das Sarin-Attentat reagierte, bestimmt bis heute unsere Wahrnehmung. Ob diese Effizienz nur auf Tokio beschränkt ist und die ruinierte Präfektur Fukushima schon ausgegrenzt ist, wie deren Gouverneur recht deutlich zu verstehen gibt, das ist dort die Frage der nächsten Tage, während bei uns der Moment gekommen ist, das Moratorium im eigenen Kopf zu starten.

*** In anderen Köpfen geht es wilder zu. Für die Kämpfer gegen die große HAARP-Verschwörung sind die Ereignisse in Japan nur eine Bestätigung, dass die USA hinter all dem Ungemach stecken. Der Autor dieser Behauptungen vertritt zudem den Standpunkt, dass die geheime Pyramide der Illuminaten im Iran steht und von Deutschen bedient wird, die das heilige römische Reich der Arier restituieren wollen. Schöne Aussichten jedenfalls in Zeiten, in denen das Monströse von der seriösen Wissenschaft untersucht wird. Ganz ohne Monster sollte man den Abschied von der Kernenergie als die IT-Chance schlechthin begreifen, mit dezentralen Energieformen und einem Smart Grid 2.0 der Einspeiser wie Nutzer ernsthaft in Angriff zu nehmen. Mit Gebührenzählern, bei denen die Verbrauchsdetails lokal gespeichert bleiben und damit nicht für irgendeinen Volkszählungsprüfvorgang benutzt werden können. Ob der Strom von einem Wäschetrockner oder einem Vibrator verbraucht wurde, geht niemanden was an. Und ob das nun Gigabyte oder Gigawatt sind, ist eh wurscht. Diese Powerline-Dingsda arbeiten ja auch mit Steckdosen.

*** Nicht nur die beruflich mit der Bundeswehr verbandelte Kommentatoren schämen sich über das multiple Organversagen der deutschen Politik anlässlich der Entscheidung der UNO, einem mörderischen Diktator das Töten seines Volkes zu erschweren. Man mag es einen großen Spaß nennen, dass die derzeitige deutsche Regierung sich so verrenkt. Wenn ausgerechnet der mit Enthaltung stimmende deutsche UN-Botschafter jubelt, dann hat der Kommentator recht: Klappe halten, die Wendewelle hat entschieden.

*** Soldaten müssen schweigen können. Das gilt nicht unbedingt für Außenamtssprecher, die eine Meinung über die menschenwürdige Behandlung von eigenen Soldaten haben können, die im Kontext gesehen plausibel ist. Auch wenn Bradley Manning sich vor einem Militärgericht verantworten muss, ist die Frage berechtigt, ob seine Sonderbehandlung nicht zu einem Geständnis führen kann, das juristisch gesehen wertlos ist. Wie groß der Druck ist, unter dem die Beteiligten stehen, mag das Interview zeigen, das Adrian Lamo Al Jazeera gegeben hat. Der ehemalige "Weltklasse"-Hacker ließ es zu, dass die Kamera seinen Rechner filmte, als ein Chatprogramm lief. Kurz darauf wurde dank der sichtbaren IP-Adresse sein Zufluchtsort enttarnt. So hat auch noch Julian Assange auf seine Weise Recht behalten, der in dieser Woche das Internet als größte Spionage-Maschine, die jemals gebaut wurde, bezeichnet hat.

Was wird.

Wenn diese Wochenschau online ist, spielt sich draußen ein nächtliches Lunageddon ab, wenn die Vorhersagen des Supermondspezialisten Richard Nolle stimmen. Schon das Erdbeben in Neuseeland war nach seinen Angaben ein Mondereignis, nur Japan passte nicht ins Konzept. Sollte dennoch der Tag anbrechen, so beginnen die Wahlen im Land der Schulden und Hoffnungslosen. Sachsen-Anhalt wählt als erstes von drei großen Bundesländern. Angesichts der Schulden liegen Prüfsteine bereit, die Positionen der Parteien zu bestimmen.

Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz sollen folgen, mit Prüfsteinen wie mit Wahlen. Angesichts des halbherzig gestarteten Atomausstiegs aller in Landtagen zu wählenden Parteien könnte man darauf hinweisen, dass am kommenden Samstag der erste weltweite Earth Hour Day des World Wildlife Fund begangen wird. Das Stunden-Aus ist eine Aktion gegen den Klimawandel und hat eigentlich nichts mit den Inweschtoren in Baden-Württemberg zu tun. Dort sollen die AKW nach den Vorstellungen von EnBW und Stefan Mappus bis 2040 laufen.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 27 März, 2011, 07:11
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Zugegeben, dieses Datum ist etwas entlegen, aber dennoch eines von den vielen Denktagen, die im allwöchentlichen Getöse schnell untergehen. Heute vor 99 Jahren pflanzte Helen "Nellie" Taft, die First Lady der USA, zusammen mit Prinzessin Chinda, der Frau des japanischen Botschafters in Washington, die ersten Kirschbäume. Die Setzlinge waren Ableger der schönsten Bäume Japans. Die Idee eines völkerverbindenden friedensfördernden Kirschblütenfestes war geboren, auch wenn dies heute etwas naiv klingt. Nachdem im II. Weltkrieg die Bäume in Tokio im Bombardement verbrannt waren, schickten die USA ihrerseits Tausende von Setzlingen in ihre Heimat zurück. Heute fällt das Kirschblütenfest aus. Japan hat andere Probleme, auch wenn der Wind dieser Tage günstig für Tokio steht. Ganz gleich, ob die Fukushima 50 eine Legende sind und zwangsrekrutierte Obdachlose der kitschblühenden Fantasie der Berichterstatter live "vor Ort" in Osaka sind, diesen dort zwischen den Meilern arbeitenden Menschen gebührt Hochachtung.

*** Ein Blick auf die deutschen Verhältnisse fördert dieses Gefühl nicht, wenn man die Reaktionen auf einen angeblichen Protokollfehler betrachtet, der nichts mit dem bekannten Problem des Windows-7-Clients zu tun hat, sondern ein Abschreibefehler sein soll. Komplett mit einem Bitdreh-Management der ausgefeilten Sorte. Seit Käpt'n Blaubär ist bekannt, dass im Walkampf gerade die dicken Tiere jede Finte ausprobieren. So gesehen entbärt es nicht der Komik, wenn der andere Dicke, der Pop-Beauftragte und Ex-Umweltschutzminister "Siggi" von der SPD erklärt, dass heute Politiker auffliegen, wenn sie beim Aussprechen der Wahrheit ertappt werden. Auch dieser Mann hatte dereinst erklärt, dass der Ausstieg aus dem Atomprojekt viel Zeit brauchen wird und nur mit der protokollarisch lügenden Atomindustrie zu machen ist. Wir können nicht einfach aussteigen? Ja, ist das denn die Möge? Sieht es in Wahrheit nicht ganz anders aus? Deutschland kann abschalten – und muss sich dennoch die nächsten 10.000 Jahre um den Müll kümmern, den dieser Irrweg produziert hat: Niemand hat gesagt, dass dies einfach ist.

*** Nun denn: Im Heimatland von unserem Versprecherle wird heute gewählt und gezählt, begleitet von seltsamen Kommentaren über den urschwäbischen Liberalismus. Wie der aussieht, verdeutlicht am besten die Tatsache, dass Schwule und Lesben nicht auf den Standesämtern heiraten dürfen, sondern zur KFZ-Zulassungsstelle müssen. Wer trotz Fukushima und Stuttgart 21 noch unentschieden ist, welcher Einsatz von Wasserwerfern besser ist, wer sich lieber am vertrauten Turnrahmen der IT festhalten will, kann in den Wahlprüfsteinen nachlesen, wer Computer für Teufelszeug hält und EnBW toll findet. Sie gibt es auch für Rheinland Pfalz, wo eine Deutsche Weinkönigin gegen den Schutzpatron der Frisöre antritt. Mittendrin bei dieser Wahl ist Brücke 21: Der weinpanschende Hochmoselübergang, der quasi umsonst aus Mautgeldern entstehen soll. Achja, die Maut: In dieser Woche wurde das Vorhaben, die Maut auf alle mehrspurigen Bundesstraßen auszudehnen, nach allen Regeln der Kunst geschlachtet und halbiert. Die Südpfalz und die Badener mit den französischen Alternativrouten sollen dies als Wahlgeschenk sehen. Andererseits gibt es Nachrichten, dass das notwendige Datenmaterial zu den Bundesstraßen schlicht nicht in den begrenzten Arbeitsspeicher der On-Board-Units passt, die in den LKW verbaut sind.

*** In Libyen wird weiter gekämpft, in Afghanistan wird angetreten. Die NATO übernimmt unterdessen die Überwachung des Flugverbotes, mit deutscher Zustimmung. Warum man hier zustimmen konnte – und sich nicht an der Aktion beteiligt –, bei der UN sich aber enthalten musste, entzieht sich jeder Logik und deutet auf einen schweren Fehler bei der Programmierung des politischen Compilers hin. Nach dem Auftauchen der passenden Überwachungs-Software in Ägypten zeichnen sich interessante Verbindungen ab: Der ägyptische Narus-Distributor Giza Systems besorgte für Libyen die Installation und den technischen Support des Schnüffeltools, beim kippelnden Bahrein soll sich Software von McAfee um die aufmüpfigen Bürger im Datennetz kümmern. Auch Cisco soll sich als Enabler mit seiner eigenen Variante der Deep Packet Inspection auszeichnen. Nimmt man zu diesen Hinweisen die etwas verschwurbelte Geschichte von der chinesischen computerisierten Wort-Zensur, so kommen wir ans Ende der Geschichte, wo Kommunismus, Kapitalismus und die eine oder andere Monarchie sich nichts schenken in der Bevormundung ihrer Bürger. Dass, wie in dieser Woche von Venezuelas Präsident Hugo Chavez behauptet, der Kapitalismus und der nachfolgende Imperialismus alles Leben auf dem Mars ausgelöscht haben, ist bis auf weiteres noch Spekulation.

*** Liz Taylor ist gestorben. Warum darüber langatmige Geschichten schreiben, wenn ihre Bilder mehr als 1000 Worte sagen?

*** Jeder Mensch ist mal alleine, sangen die Straßenjungs, "und greift dann zur Wikipedia", ergänzen wir heute, aufgeklärt durch die im Rotweinsuff eines Einsamen entstandene Geschichte über Stalins Badezimmer. Hoffentlich ermuntert sie Journalisten, beim "Fact-Checking" niemals Wikipedia allein zu vertrauen. Jeder, der sich in einem Spezialgebiet sein Wissen erarbeitet hat, kennt das Gefühl, wie sich beim Lesen von Wikipedia-Artikeln die Nägel aufrollen. Dieses moderne Misstrauen ist wunderbar, besonders wenn sie mit auserlesenem Blödsinn ergänzt wird. So gibt es allen Ernstes noch Leute, die im Murmeln der Diskurse von einem eigenen Ich reden, getoppt von Geistesverwandten, die dieser ihrer Fiktion auch noch eine "Ehre" andichten. Das Publikum noch stundenlang wartete auf Amüsenmang.

*** Richtig bitter ist es diese Woche geworden, als neben dem lustigen De-Mail-Projekt (IIEA oder "Ich ist ein anderer) auch der Beschäftigten-Datenschutz verhandelt wurde. Die entsprechenden Vortragsfolien und Inhalte wurden von den Vortragenden unter derart strikten Verbotsregeln gestellt und mit schriftlichen Zitiergenehmigungen und Verboten für Journalisten ummantelt, dass an dieser Stelle nur in Märchenform berichtet werden darf. Nehmen wir die Geschichte vom Aschenputtel. Das arme Mädchen arbeitete in der Küche eines Schlosses, musste aber anderweitig aushelfen und mit dem notgeilen Prinzen tanzen. Damit das königliche Management immer wusste, wo Aschenputtel im Einsatz war, musste sie einwilligen, dass bei Abwesenheit am Küchenarbeitsplatz alle E-Mails zu einer Aufsichtsperson weitergeleitet werden: Alle E-Mails sind dienstlich. Aschenputtel hat keine Privatsphäre nach dem deutschen Recht. Wenn eine gute Fee, ein Schlossbetriebsrat oder der Burgarzt ihr vertrauliche Mails schicken, darf die Aufsichtsperson dem Gesetz zufolge mitlesen. Nehmen wir Rotkäppchen: Sie muss durch den Wald gehen, mit dem Korb voller Essen für die Großmutter. Im Korb: ein Handy, das den aktuellen Standort, die Termine und die geführten Gespräche insgeheim mitprotokolliert. Programmiert hat das Handy ein Informatiker-Wolf mit der erklärten Absicht, Rotkäppchen in der freien Wirtschaft zu vernaschen. Der Versuch von Rotkäppchen, sich gegen den Schnüffelfunk zu wehren, wird unter Berufung auf die Freiheit der Forschung und Lehre niedergeschlagen. Der IT-Wolf, der über das Ausspionieren per Smartphone eine glänzende Abschlussarbeit anfertigte, ist nun Cheftechniker eines Pharmakonzerns, der alle Mitarbeiter im Stil von Rotkäppchen überwacht.

*** Igitt, Märchen? Wie wäre es denn mit Fantasy? Da wäre das dunkle Reich Mordor, in dem es laufend blitzt und grummelt. Wer hier einreisen will, muss sich prüfen lassen. Es gibt Dutzende von Listen, die die Heimatsicherheit des lieblichen Fleckens Mittelerde garantieren. Deutsche Firmen, die als bevorzugte Handelspartner des schwarzen Landes gelten wollen, müssen die Daten all ihrer Mitarbeiter mit diesen Listen abgleichen. Widerspruch ist zwecklos und wer gar Mitarbeiter oder die Betriebshobbits von dieser Praxis informiert, wird ohne Gnade von Barad-V-Gur gedingsbumst. Unwahrscheinlich? Dann bleibt nur noch die Flucht in den Horror mit Buffy, dem freundlichen Datenschutzvampir: In unserer scheinbar heilen Welt haben die Halsabschlecker den Bluttest eingeführt, der in vielen Firmen längst zum Standard bei Einstellungsverfahren geworden ist, mitunter gar beim Praktikum verlangt wird. Wer nicht fast freiwillig einwilligt, hat keine Chance, im Bewerbungsverfahren ein Feld weiter zu rücken. Die Tests sind offiziell nicht erlaubt, aber in vielen Betrieben an der Tagesordnung. Erlaubt ist übrigens das Googlen von Bewerben mit der Einschränkung, dass in sozialen Netzwerken nur nachgeschaut werden darf, wenn die Firma selbst ein soziales Netzwerk betreibt. Worunter übrigens im Zeitalter von Instant Messaging jedes größere Firmennetzwerk zählt, worauf Dr. Acula lächelnd hinweist. Noch ein Tröpfchen, bitte.

Was wird.

Ist der Appetit vergangen? Dann bleiben hier an dieser Stelle nur ein paar kleine Hinweise aus dem aktuellen Veranstaltungskalender übrig. An diesem Wochenende haben etwa 44.000 deutschen Journalisten und Journalistinnen Post aus Bielefeld bekommen. Der Inhalt: ein kleines Stempelkissen und ein fetter, dicker Stempel, der BEZAHLT auf alle Rechnungen knallt. Dahinter steckt ein Factoring-Dienst der Deutschen Post, der Journalisten sofort die Honorare bei Ablieferung eines Artikels auszahlt. Angesichts der durchweg miserablen Zahlungsmoral deutscher Verlage, Offline wie Online (der Heise-Verlag ist hier ausdrücklich eingeschlossen), sieht das wie ein schnuckeliges Angebot aus, was "Die Redaktion" da mit anbietet – bis man die Gebührenseite erreicht hat: 30% fließen beim Forderungsmanagement an "Die Redaktion", die "Journalismus-Börse" der Deutschen Post. So etwas kann nur aus der Stadt kommen, in der Backin! entstand: Jeder Artikel gelingt.

*** In Bielefeld (ha!) findet übrigens am 1. April (haha!) in der Hechelei (haha, hu, das ist echt nicht mehr witzig) die eins!elf!Fte Verleihung der Big Brother Awards Deutschland statt. Ein märchenhafter Termin für alle, die längst das Aprilrätsel in der c't gefunden und gelöst haben. Für alle, die diese Stadt nicht finden wollen, gibt es eine verschwörungstheoretisch interessante Alternative: An diesem Freitag erscheint weltweit die Autobiographie des Wikipedia-Weißkopfes Julian Assange und klärt über drängende Fragen auf: Das Universum, die Katzen, der Laberkäse und der ganze Rest. Weltexklusiv gibt es ausgrechnet in Deutschland einen besonderen Buch-Überschuss: Zeitgleich mit Assanges Erinnerungen erscheint die übersetzte Version von Underground, ein Buch voll schöner Märchen. Nur besser erzählt, als diese kleine Wochenschau es leisten kann.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 03 April, 2011, 07:05
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Uff. Überstanden. Phhhh. Der 1. April ist vorbei, die Scherzkekse sind schon vertrocknet. Ab sofort kann jeder Nachricht wieder vertraut werden wie der Mail über wundervolle Rolex-Replica, die aus schüchternen Männern strahlende Kommunikationsberater macht. Auch die Verleihung der Big Brother Awards liegt hinter uns. Ab sofort ist der Datenschutz auf Facebook so sicher, dass das gesamte Verbraucherministerium der BRD seinen Dienst dorthin verlagert. Auch die im Jahre 2009 entdeckte Facebook-Depression, die zum April-Start von deutschen Medien aufgewärmt wurde, ist dank rigiden Schutzzäunen um die Freundeslisten gebannt. Ein friedliches, sonniges Internet liegt vor uns. Nur ein paar Randgänger jammern darüber, dass sie sich eine Revolution anders vorgestellt haben und nun in der Traufe hocken. Sie haben als Journalisten und Blogger Probleme damit, sich in der neuen Welt zurechtzufinden. Ganz furchtbar furchtbar liest sich das:

"Denn es ist keine ideale Welt. Im Netz findet man nicht nur Informationen und Meinung, es ist eine gigantische Kommunikationsmaschine, bei der die Grenzen zu Mobbing, Desinformation uns Täuschung fließend sind. Und ständig besteht die Gefahr, dass ein Großer das Netz zu seinem ausschließlichen Vorteil monopolisiert. Oder gar die Freiheit der digitalen Welt beschneiden will."

*** Hier spricht die Revolution? Zappenduster ist es, wenn ein Großer kommt und was mit dieser nicht idealen Welt des Internet macht. Ja, wer wollte eigentlich diese Welt, die da über uns gekommen ist? Vor einer Woche starb Paul Baran, dessen Memoranden den Grundstock dieser gigantischen Kommunikationsmaschine beschrieben. Mitten im Kalten Krieg überlegte er, wie ein Kommunikationsnetz ausgestattet sein müsste, das einen thermonuklearen Erstschlag überstehen kann. Natürlich meldeten sich sofort Forums-Leser, die das nach Baran entwickelte ARPAnet eine ausgesprochen friedliche Forschungsplattform nannten und Anmerkungen über "false rumors" zitierten.

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Vergrößern (http://www.heise.de/imgs/18/6/5/0/7/4/5/906d16b5060f095d.png)
Nun denn, nebenan ist (als Scan) die Originalseite des Reports zu sehen, auf der Baran seine Überlegungen skizziert.

"We will soon be living in an era in which we cannot guarantee survivability of any single point. However, we can still design systems in which system destruction requires the enemy to pay the price of destroying n of n stations. If n is made sufficiently large, it can be shown that highly survivable systems structures can be built -- even in the thermonuclear era."

*** Diese Ära des thermonuklearen Fallout hat begonnen. Wenn die Berechnungen von Nuklearwissenschaftlern stimmen, müssen die Ruinen von Fukushima 50 bis 100 Jahre durchspült werden, ehe überhaupt erst damit begonnen werden kann, die abgekühlten Brennstäbe zu sichern. Das sollen deutsche Qualitäts-Roboter machen, aber auch Freiwillige, die in der ganzen Welt zu attraktiven Konditionen gesucht werden. Und wenn dieser kleinen Wochenschau ein gewisser Fefismus vorgeworfen wird, dann aber richtig: Tschernobyl, I long to hear you.

*** Ja, die radioaktive Apokalypse kann kommen – dem Internet ist es egal. Es ist an der Schwelle angelangt, an dem es für sich selber sorgen kann. Anders als Menschen müssen Computer keine Angst vor Kernkraftwerken haben, im Gegenteil: "Der Griff nach dem Atom" (Robert Jungk) sichert ihren Strom. Nun gibt es Menschen, die schwer empört sind über die digitale Traumwelt, in der wir leben. Wenn das Chatten im Internet und der Auftritt bei Facebook den Menschen wichtiger ist als die Katastrophe in Fukushima, dann sind sie längst auf der Traumreise, an deren Ende die Idee von Raymond Kurzweil steht: Das Gehirn oder das menschliche Bewusstsein wandert in die Cloud. Der marode, wenig strahlenfeste Körper kann abgeschafft werden.

*** Menschen sind antiquiert. Dabei ist die Gleichung recht einfach aufgebaut: No tech – no risk. High tech – high risk. Das schrieb der aus Amerika zurükkehrende Philosoph Günther Anders nach den Atombomben von Hiroshima und Nagasaki. Smartphones, Facebook, Internet, all das kannte Anders nicht, als er über die Antiquiertheit des Menschen schrieb. "Wie verstörte Saurier lungern wir inmitten unserer Geräte herum." Nicht nur vom Grö-ßenverhältnis Mensch ./. Smartphone stimmt mittlerweile die Metapher. Groß war seinerzeit die Empörung über Anders, als dieser darüber philosophierte, ob Attentate auf Betreiber von Atomkraftwerken legitim sein können. Heute findet sich diese Gewaltfrage bei Wutbürgern wieder, die Morddrohungen über RWE-Chef Großmann ventilieren. So etwas nennt sich Druckausgleich.

*** Während der Ökostrom-Millionär Daniel Küblböck allenthalben gewürdigt wird, weilt der Software-Milliardär Bill Gates in Deutschland. Er will Krückenkanzlerin Angela Merkel davon überzeugen, dass die Regierung wieder die Zahlungen für den Global Funds wieder aufnimmt, die nach einem Korruptionsfall eingestellt wurden. Bill Gates hat Stil: Er will mit Merkel reden, schweigt über seinen Weggefährten Paul Allen, der an einer Biographie schreibt und meidet den gelben Schleifchenträger Niebel. Vielleicht ist er auch nur antiquiert. Denn modern geht anders, wie Merkel zeigt. Sie zeichnet die brasilianische Stadt Recife für das fortschrittlichste Internet-Beteiligungsprojekt aus. In Gütersloh. Die Reinhard-Mohn-Gedächtnis-Stadt Würzburg geht derweil leer aus. Daruf einen Küblböck, ähem Under-Berg, oder etwas Abba? The Winner takes, hust, hust "Dieses Video enthält politischen Content. Es ist in deinem Land nicht verfügbar. Das tut uns leid."

Was wird.

Baran gestorben, aber Wilfried de Beauclair lebt! Zum 99. Geburtstag muss für den großen deutschen Computerpionier ein Ständchen erklingen. Wikipedia ordnet ihn als "Mechaniker und Erfinder" ein, was angesichts der frühen Rechenwerke nicht so falsch ist. Doch ohne de Beauclair hätte Konrad Zuse womöglich niemals seine Z4 realisieren können, die wiederum mit ihrem Verkauf in die Schweiz den Grundstock der Computerfirma Zuse bildete. So hallt es nach um Zuse, obwohl de Beauclair eigenständig einer der Pioniere ist, die noch geehrt werden können. Congratulations!

Was bietet der Blick in die Woche noch sonst so neben der anders vorgestellten Revolution? Da wäre ein neuer Innenmister, der sich auf einem Kongress der Polizeitruppe zu jener Vorratsdatenspeicherung äußern möchte, die als Mindestspeicherdauer durch einen neuen Innenminister geadelt, gerade einen Sonderpreis in der Kategorie "Neusprech" bei den Big Brother Awards gewann. Da wäre ein Gesundheitsminister Rösler, der zur ConHIT eine Grundsatzrede zur hoppelnden elektronischen Gesundheitskarte angekündigt hat. Er wird aber auch als Parteivorsitzender der freien deutschen Gelbschleifchenpartei gehandelt wird, die sich damit endgültig vom politischen Liberalismus eines Karl Flachs oder Gerhart Baums verabschiedet. Inmitten dieser Rosstäuschereien taucht aufgeregt betwittert ein Was war, was wird am Berliner Horizont auf. Nur keine Aufregung! Das ist eine der vielen schamlosen Kopien, die diese gigantische Kommunikationsmaschine produziert. 10 Jahre? Die Party ist längst vorbei und wurde in einem wunderbaren WWWW anno 2009 bereits ausführlich gefeiert. Um es mit einer alten Volksweisheit zu sagen: Der Hund kackt, wenn er sich krümmt.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 10 April, 2011, 07:04
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** "Entia non sunt multiplicanda praeter necessitatem" Eine Kolumne, die am offiziellen Gedenktag des Wilhelm von Ockham online geht, sollte kurz und knapp gehalten sein, das blutige Rasiermesserchen zum Kappen unnützer Annahmen und Parameter griffbereit. Doch wie die Dinge stehen, ist der gordische Knoten der Wetzstein, an dem das Messer der Vernunft stumpf geschliffen wird – oder so: die anglikanische Kirche, die ihren Heiligen Ockham feiert, datiert seinen Tod auf einen 10. April 1347 oder 1348, während bei uns der 9. April 1347 als Todesdatum angenommen wird, nach den Überlieferungen der Münchener Franziskaner. Schon stören die Unstimmigkeiten der Zeitläufte den angeführten Leitsatz von Ockham, der in unserer kleinen IT-Branche mit "Keep It Simple, Stupid" (KISS) eine gekonnte Zuspitzung erfahren hat. Von Ockhams Rasiermesser zu Einsteins Philishave ist es nur ein kleiner, aber wichtiger Schritt: "It can scarcely be denied that the supreme goal of all theory is to make the irreducible basic elements as simple and as few as possible without having to surrender the adequate representation of a single datum of experience." Quod erat demonstrandum: Die kleine Wochenschau kann erscheinen, in dunkler Nacht auf einem einsamen Parkplatz im Nordosten Hannovers von schemenhaften Gestalten überreicht. Die Untoten sind unter uns.

*** Sind wir nicht alle ein kleines bisschen untot, wie es die Werbung sagt? Man denke nur an die Reform-Zombies. Sie sind eine "chemisch-physikalisch behandelte Abart des Urzombies. Reformzombies sind für Menschen ungefährlich, ihre eingeschränkte Kommunikationsfähigkeit und Antriebslosigkeit geben ihnen jedoch einen prekären Status." Selten klar ist hier die Situation der Reform-Zombies von der FDP beschrieben, die in dieser Woche ihre junge Garde neu "positioniert" hat, zwischen den Alt-Zombies Westerwelle und Brüdele – um vom Entwicklungshelferle nicht zu reden. Ganz zu schweigen von den hauseigenen Untoten. Künftig will man sich in der FDP näher mit allen Themen beschäftigen, die den Alltag der Menschen in seiner ganzen Banalität prägen. Für die FDP gibt es Grund zur Hoffnung: nach jüngsten Untersuchungen haben Liberale ein anderes Gehirn als das, was Mediziner bei Homer Simpson gefunden haben.

*** Vorerst ist der Alltag der FDP das übliche politische Geschacher um "Leistung" und "Gegenleistung". Wobei die im Netz so überaus heftig gefeierte Leistung der schwarzgelben Regierung darin besteht, den Wegfall des Zugangserschwernisgesetzes der Vorgängerregierung zu beschließen. Ob das Gewürge dem Alltag der Menschen entspricht, darf bezweifelt werden, doch war es für viele "Netizen" das Schlechteste nicht, solch ein Aufbaustudium Realpolitik. Denn realpolitisch wird die Geschichte weiter geschrieben werden, allein schon der EU zuliebe, wo eine liberale Politikerin ein Fan der Sperrtechnik ist, deren Details so geheim sind wie Merkels Terminkalender.

*** Auf der längst vergangenen Gala der Big Brother Awards ehrte der Linguist Martin Haase den Begriff Mindestpeicherdauer mit einem Wort-Award. Wie in den Nachrichten von heise online gemeldet, wurde der Begriff vom nordrhein-westfälischen Innenminister Ralf Jäger (SPD) in einer Diskussionsrunde der deutschen Innenminister auf dem europäischen Polizeikongress als Alternative für das negativ besetzte Wort "Vorratsdatenspeicherung" vorgeschlagen. Mindestspeicherdauer solle der Versachlichung der erneut angelaufenen Diskussion dienen. In eben dieser Sachlichkeit zeige sich nur eines, betonte Martin Haase: "Verachtung für die Menschen und ihre Rechte". Außerdem zeige sich, dass die Politiker die Menschen für dumm hielten. Haase verglich den Versuch des Politikers mit der Praxis mancher Händler, Gammelfleisch in hübscher versiegelter Verpackung zu verkaufen. In dieser Woche ist die Gammeldiskussion bereits ein Stück weiter. Bundesinnenminister Friedrich hat sich im Alltag der Menschen umgesehen und musste feststellen, dass Politiker merkwürdig angeschaut werden, wenn sie von "Vorratsdatenspeicherung" sprechen. Dabei ist es nicht einmal so, dass sich der Alltagsbürger als solcher kritisch mit einem Sachstandsbericht des wissenschaftlichen Dienstes auseinandergesetzt hat, den der Bundestag für seine Politiker arbeiten lässt. Auch die Beschäftigung mit dem entsprechenden BVG-Urteil über ein neues Computer-Grundrecht wird kaum zur Alltagslektüre gehören. Die Erfahrung, was da alles im Leben eines Politikers gespeichert wird, sollte auch ein Innenminister einmal machen, wenn ihn die Menschen merkwürdig anschauen. Die sind nicht doof, auch wenn sie eine Deutschland-Card haben.

*** Bei den Big Brother Awards bekam der Zensus 2011 einen Preis, der sogar abgeholt wurde. Aber läuft die neue Volkszählung wirklich ohne merkliche Proteste an, wie in dieser Woche behauptet wurde? Die Vermutung liegt nahe, dass schlicht zu wenig darüber informiert wurde, was der Zensus leistet oder was er nicht ist. Was bleibt, sind Informations-Artikel, die über die Auskunftspflicht belehren und dass man sich nicht wehren darf, wenn der Erhebungsbeauftragte auftaucht. Ein bisschen Widerspruch einlegen? Derzeit scheint die anvisierte Methode im Geltendmachen des Anspruchs auf Löschung der Hilfsmerkmale zu bestehen, die angeblich "sofort gelöscht" werden. Da eine personenenbezogene Ordnungsnummer gebildet wird, ist gar nicht einzusehen, warum diese Daten auf Vorrat in irgendwelchen Datenbanken liegen müssen. Ansonsten gilt: Die merklichen Proteste werden von den Erhebern kommen, nicht von den Erhobenen, die dankend den Fragebogen annehmen und die 46 Fragen selbst ausfüllen. Das schmälert nicht nur die Einnahmen der 7,50-Euro-Jobber.

Was wird.

Lange bevor das bundesweite Treffen der Untoten beginnt, haben die Digital-Dementen ihren großen Auftritt. Da startet unser Bundesinnenminister den Ideen-Wettbewerb Vergessen im Internet, zu dem nicht allein die souveränen Kontrollverlustler geladen sind, die mit ihren Radiergummis um den goldenen Melitta tanzen.

Habe ich noch was vergessen? Ach ja, Think Ing ist angesagt, denn der nächste Girls Day steht an, der Mädchen-Zukunftstag, der unter anderem im Bundeskanzlerinnenamt begangen wird. Passend dazu: eine Veranstaltung mit vielen Referentinnen namens re:publica, die bootstechnisch gesehen offenbar eine Berliner Variante von "Wickie und die starken Männer" ist. Eine Subkonferenz erörtert Partizipative Medienkulturen und eh jetzt jemand seinen Schädel kratzt: Der Begriff kommt von Partizan, einer Variante des Marzipans. Gemeint sind die süßen Diskutierer, die beharrlich in den Heise-Foren mitreden, vom Rechtschreibschwächenkontrolleur bis zum Experten in der Occam-Programmierung, vom politisch interessierten Mitbürger der digitalen Gesellschaft bis zum übelsten Foren-Troll. Die Partizane sind süß und gleichermaßen das Salz in der öden Suppe der IT-Nachrichten: Wer diesen Widerspruch nicht aushalten kann, darf sich gerne heulend an den nächsten "Community-Manager" wenden und etwas von Ordnung und demokratischen Diskurs klugscheißern. Für die anderen gilt das, was seit dem Start der Heise-Foren die Regel ist: Flame On, Crazy Diamond. Bald jährt sich schließlich das Jubiläum jenes Denkers, der die Konsequenz aus Ockhams "Entia non sunt multiplicanda praeter necessitatem" zog und bündig schlussfolgerte: "The Medium is the Massage". Der Rest ist Schweigen. Oder auch: The fight is on.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 17 April, 2011, 08:00
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Willkommen in der norddeutschen Tiefebene beim einzig richtigen Was war, was wird im falschen Leben, garantiert frei von Kochrezepten und echographischen Vermessungen der Bloggerkonferenz re:publica. Dort, wo die Emissäre des digitalen Weltgeistes einen eingetragenen deutschen Verein namens Digitale Gesellschaft vorstellten, was Emigranten aus Digitalien sauertöpfisch als Klüngelgesellschaft kritisieren oder mindestens als freches Emolument des Gemeinschaftsblogs netzpolitik.org empfinden, fuhren Schiffe im Kreise. Mit Menschen, die andere nur noch als Follower, Friends und Timeline-Beklatscher wahrnehmen und den Omnisophen Gunter Dueck beklatschen, der nach eigenen Angaben 5500 Euro Gage für seine Auftritte nimmt.

*** Angeblich hatte die fünfte re:publica kein Thema außer der Aufgabe, mit Tausenden iPad-Nutzern den Friedrichstadtpalast zu füllen, wo dann der alte Demmler-Kracher "Du hast das WLAN vergessen" ohne Nina Hagen aufgeführt wurde. Aber halten wir uns an die Beschreibung: "Geräte mit der Leistungsklasse von zehn Jahre alten PCs ohne Tastatur, Maus oder Kabeln, die eher wie Schokoriegel oder Schiefertafeln, der Ausstattung von Erstklässlern, aussehen, verführen uns dazu, wieder mit den Fingern zu malen und nach den Objekten unserer Begierde zu grabschen. Und wir sind’s zufrieden und kaufen diese Dinger, millionenweise täglich. Es geht wieder ganz einfach zu, viel simpler, als wir es am PC je akzeptieren würden. Trivialisierte Nutzer betatschen glücklich, was sie vom Monitor zu verlangen gelernt haben. Haptik ersetzt Optik und Intellekt, als ob wir für den Verlust des Materiellen entschädigt werden müssten, den uns die Computer beschert haben." Oh, alles nur geklaut, andere Konferenz, doch richtiges Thema. Denn mit der re:publica wurde gezeigt, wie weit die Trivialisierung von Bloggen, Twittern und dem Speichern beim Fressenbuch fortgeschritten ist. Es geht ganz einfach zu in Digitalien, bei den Berlin Mitte Nerds, niemand stört sich über all die neckischen Bit.ly und Tru.ly und von taz bis FAZ wird das 4chan der Deepfags gelobt, weil die Flüchtigkeit und Anonymität der Bits und Bytes ganz wunder bar sind und die Mindestspeicherdauer höchstens ein paar Stunden lang.

*** Ja, wie ist das wunderpanama, wenn Journalisten Projektmanager werden und Informationsarchitekten, wenn Programmierer Journalisten werden und die SQL-Injection die Recherche ersetzt. Denn der Programmierer hat gelernt, stundenlang in IR-Channeln den Müll auszuhalten, der abgeladen wird, die vielen gescheiterten Versuche verschiedener Anonymous, die schlicht dumme Streiche bleiben, und nur von Journalisten zur politischen Idee erklärbärt werden können. Programmierer können noch viel mehr, als nur Journalisten ersetzen. Sie können beispielsweise Lebenshilfe betreiben mit Büchern wie Digital beginnt im Kopf und Ratschlägen für mündige Festplatten. Man sollte sie nur nicht nach ihrer kleinen Utopie fragen, wie es in Zukunft besser aussehen könnte. Statt großer Datenfresser überall lieb lächelnde Datenveganer? Entwickelt sich Digitalien getragen vom herrschaftsfreien Diskurs der Programmierer zum System, in dem die helle Vernunft regiert? Selten war die Ratslosigkeit der Berliner Szene so handfest zu spüren wie auf dieser Veranstaltung.

*** Vierspurige Bundesstraßen, die eine unmittelbare Anbindung an eine Bundesbahnautobahn haben, mindestens vier Kilometer lang sind und außerhalb geschlossener Ortschaften liegen, werden nach einem Beschluss des Bundestages LKW-mautpflichtig. Wer sich über die gewundene Formulierung wundert: es gibt mehr als 2000 mehrspurige Straßenkilometer, doch sind nach der Definition jetzt nur 1000 Kilometer unter die Aufsicht von Toll Collect gestellt worden. Mehr hätte die Arbeitsspeicher in den älteren On Board Units überlastet. Datenfresser mit Verdauungsproblemen, wer hätte das gedacht. Die Mehreinnahmen durch die Mautaufstockung soll 100 Millionen Euro (PDF-Datei) betragen; was der Umbau des Mautsystems bei Toll Collect selbst kostet (und von den Einnahmen abgeht), ist nicht bekannt, weil die Technik nach wie vor geheim ist. Wie schön, dass unsere Datenschützer nach einem Ausflug zur Datenschutzausstellung von Toll Collect etwas hinter die Binde gießen dürfen. Auch so kann man seine Illusionen loswerden, nicht nur durch die Lektüre des neuesten Datenschutzberichtes, die natürlich eine völlig verzerrte Wirklichkeit darstellt. Statt Datenschutz in Deutschland hören wir die Forderung der Politspackeria: "Mund halten!"

*** Besonders in der wieder angelaufenen Debatte zur Vorratsdatenspeicherung hat der unverzagt weiter redende Bundesdatenschützer Peter Schaar ausgesprochenes Pech. Sein Quick Freeze Plus wird allenfalls noch im Justizministerium goutiert, aber gerade von den offiziell bestallten Datenspeicherjägern nicht Ernst genommen. Wie üblich, ist Logik nicht die starke Seite unserer Polizei: das fordert die Gewerkschaft die mindestens sechsmonatige Speicherung von Telefon- und Internetdaten zur Terrorismusbekämpfung und endet beim Fall Mirco aus Grefrath. Ein Terroristenopfer? Vielleicht sind da die Kriminalbeamtern ehrlicher, die ihre wunderbar wirre Stellungnahme zum Cybermobbing natürlich mit einem Ausruf beendet: "Ohne Vorratsdatenspeicherung wird es nicht gehen!" Auch wenn die Verleihung des Wolfgang Schäuble Awards für verhältnismäßige Sicherheitsgesetzgebung 2010 ein Fall von Social Engineering ist, so passt die am vergangenen Mittwoch verliehene Auszeichnung besser als jeder bös gemeinte Big Brother Award. Wobei das noch zu toppen ist. Sollte der Redakteur der Frankfurter Rundschau nicht zu viel mit seiner Selektion von Rotweinflaschen gespielt haben, ist dieser Bericht von der Sistierung einiger Web-Dateien von Attac ein Lehrstück in Sachen Realsatire. IT-Spezialisten der Polizei mit mangelnden Kenntnissen über Linux: Irgendwer wird es schon schaffen, als Konsequenz aus diesem Patzer die brutalst, äh, schnellstmöglichste Vorratsdatenspeicherung zu fordern.

Was wird.

Bleiben wir doch beim Thema, es duftet so. In der nächsten Woche muss das politische Berlin über die Verlängerung der befristeten Terrorgesetze entscheiden. Der neue Bundesinnenminister will die Auflagen weitgehend entfristen und obendrein die Befugnisse ausbauen. Dabei wird ein Spielchen wiederholt, dass bei der harmlos benannten Visawarndatei (früher: Einladerdatei) gezeigt wurde: Ordentlich auf die freiliberalen Reste der FDP treten und wenn diese Luft holen, zur Abstimmung aufrufen. In Zukunft sollen Terrofahnder direkt per Amadeus auf Fluggastdaten zugreifen können und Bankdaten von der Bafin ermitteln lassen. Außerdem sollen Bußgelder für alle eingeführt werden, die die Datenauskunft verweigern. Friedrich beruft sich bei seinem dreifachen Schäuble auf die drastisch gestiegene Terrorgefahr nach den Schüssen des "Homegrown Terrorist" am Frankfurter Flughafen - der gar nicht fliegen wollte.

Diese Wochenschau begann mit dem Nachklapp zu einer Konferenz, ein Vorklapp ist der passende Ausklang: "Lasst uns noch einmal zurückkehren in die guten alten Tage, als Hacker noch keine Sicherheitsberater, Bytes noch keine Megabytes und kleine grüne Männchen noch kleine gruene Maennchen waren!" Die zwölfte Ausgabe des Vintage Computer Festival Europe steht vor der Tür – und es wird die letzte ihrer Art sein. Die jungen Leute, die auf der re:publica enthusiastisch embrassieren, haben für derart alte Geräte kein Interesse mehr. Die Leute, die mit all dieser Technik groß geworden sind, werden alt und können sich nicht mehr um die Gesundheit ihrer Geräte kümmern. Doch halt, ein großer Spaß zur großen Klappe, der muss einfach sein. Ein Wettbewerb sucht die ultimative Antwort auf die härteste Frage aller Zeiten: 6502 oder Z80? Die sportliche Antwort sollen mit Forth geschriebene Benchmarks liefern. Wenn dann der Vorhang fällt, sind keine Fragen offen. Die kleinen grünen Männchen haben längst die Erde verlassen. "Alle Menschen sehen gleich aus", twitterten sie nach Hause, "nichts los hier."

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 24 April, 2011, 08:01
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Sommerwetter zu Ostern, da darf das Sommerloch nicht fehlen, komplett mit Nessie, die als Hase über die Kommentarfelder hoppelt. Das iPhone ist ein übler Datenfresser, na sowas aber auch. Und Datenschützer, hahaha, setzen Apple unter Druck: Das Gelächter nimmt kein Ende. Drucksen wäre wohl das passendere Wort für die aufgewärmte Sensation, die das Osterloch füllen soll. Was ist die österliche Nachricht dieser Farce? Dass wir alle beten müssen, damit Steve Jobs wieder auferstehen kann? "Apple entsetzt weltweit seine Kunden", verkündet die Süddeutsche Zeitung reißerisch auf ihrer Titelseite zum Wochenende und verbreitert mal wieder die "Maßstäbe des Qualitätsjournalismus". Wie heißt es so schön bei den Musterschülern vom netzwerk recherche auf der Jahrestagung? "Aktualität geht vor Realität". Genau.

*** Ob iPhones, Blackberries oder der ganze Rest der tollen Smartphones: Es gibt kein Gerät, das nichts speichert. Jeder bessere Sonntagskrimi zeigt die Oberschurken, wie sie schnell die Batterie aus dem Telefon popeln, um nicht mit einer stillen SMS von den taffen Kriminalern geortet zu werden. Und was die ganzen Daten anbelangt: hopp und weg damit, ab in den Teich. "Das vordere Ende einer Kamera ist mindestens so gefährlich wie das vordere Ende eines Gewehrs", erzählte der Bendler-Blogger auf der längst vergessenen re:publica 2011 – und zeigte Smartphone-Fotos von einem deutschen Militäreinsatz in (!) Libyen. Ja, Kameras können töten.

*** Das vordere Ende einer smarten Informationsstruktur ist genauso gefährlich. All die Daten sind verräterisch und ein Fressen für die Verfolger. Ob die Meinungsfreiheit gefährdet ist, wie dies die ACLU meint, wenn es heißt: "Führerschein, Fahrzeugpapiere und Handy bitte", das soll ein US-Gericht klären. Die UFED-Geräte der ehemals israelischen, nun unter japanischen Fittichen operierenden Cellebrite sind in Deutschland jedenfalls bei Polizei und Militär beliebt, die Firma selbst ein gern gesehener Sponsor auf den Fachkongressen. Auf dem der Deutschen Polizeigewerkschaft warb man so: "Weltweit arbeiten derzeit mehr als 6000 Anwender aus den Bereichen Militär, Polizei, Zoll, Steuerfahndung und Geheimdiensten mit unseren Lösungen. Cellebrite hat den Kampf mit dem technischen Fortschritt aufgenommen und liefert nahezu monatlich aktualisierte Software, damit die Ermittler(innen) auch die neuesten Modelle untersuchen können." Aktuell können nach einer PR-Meldung 9200 Geräte untersucht werden: Wer etwas im Schilde führt, sollte die Finger vom Handy lassen.

*** Das ist eine Logik, die ausgerechnet unsere Kriminalbeamten nicht verstehen, wenn sie die Funkzellenauswertung bei Fahrzeugbrandserien fordern und kräftigst für die Vorratsdatenspeicherung werben. Bemerkenswert auch die anderen Fälle, bei denen angeblich nur die Datensammlung aller Bürgerlein weiterhelfen kann: Das Skimming am Bankautomaten und der Enkeltrick müssen jetzt als Grund dafür herhalten, dass die Vorratsdatenspeicherung überlebensnotwendig ist. Wer das wirklich glaubt, glaubt sicher auch, dass der Osterhase bemalte Eier legt.

*** Hart an der Kante zum Osterloch lauert eine weitere Themenwiederaufbereitungsanlage auf ihr großes Comeback, äh, auf die Auferstehung. Da fordert ein bayerischer Innenminister verwegen Microsoft heraus, wegen dieser totalen Verachtung des Datenschutzes und der geradezu preußischen Ignoranz der Biergartendenke. Sind die streikenden Grundwasserbetriebe verantwortlich, sind es bayerische Albträume vor Riesenkaninchen? Wie war das noch mit der Vorratsdatenspeicherung? Sie soll bei der Suche Suche von in Not geratenen Personen, deren Handys nicht mehr funktionstüchtig sind, helfen? Aber jedwede Kamerafahrt tut schwer nötigen bei Politikern, deren Hirn nicht mehr ... ach, lassen wir das. Darauf gibt des einen einen Seidl, Beisl, Dirndl? Ach, jetzt hab ich Wambo den Begriff gefunden. Ein Vignettl muss her und wird mit Nachdruck auf die Tagesordnung gesetzt in der leidigen Diskussion um die PKW-Maut, damit die Weißblauen bei den Grünen andocken können. Wie war das noch mit der Vorratsdatenspeicherung? Genau: Wenn die Daten da sind, sind die Daten da und können verwertet werden. Und ewig jodeln die Hinterwälder.

*** Zum Hasenfest hat es nicht gereicht, doch die Häschenschule ist gar so hoppelig nicht, wenn die Erklärung stimmt, dass der Hase zu Gott hoppelt, weil der Klippschliefer (Saphan) nicht in unseren Breiten lebt. Wobei es eigentlich streng lutheranisch ein Kaninchenfest sein müsste: Als die Phönizier nach Spanien kamen, hielten sie die Kaninchen für Klippschliefer und nannten das Land I-Saphan-I, was wiederum Luther inspirierte, die von Mönchen importierten Kaninchen in die Bibel aufzunehmen.

Was wird.

Nach dem großen Osterfeuersaufen folgt stante pede nach einer kurzen Woche der 1. Mai. Jetzt gilt: Bloß nicht schlapp machen! Auch wenn der Kampftag der Arbeiterklasse auf einen Feiertag der Priesterklasse fällt, reckt sich die schwielige Faust. Viele der ständig produzierten kleinen Kopftuchmädchen werden Hand in Hand mit dem sozialdemokratischen Sensenmann Sarrazin demonstrieren. Und Strahlemann Sigmar "Siggy Pop" Gabriel entpuppt sich als hohle Nuss und steht da wie Namensvetter Peter Gabriel nach der Produktion von Eve – vor dem Bankrott. Derweil beginnt die Abwanderung aus der sarrazindemokratischen Partei Deutschlands. Da kann man nur sagen: Gute Arbeit, Sarrazin und singen: Es steht ein Mann, ein Mann so fest wie eine Eiche!. Das hat kein Stil, das hat kein Ziel, da hilft nur Sithl. OK, 5 Euronen wandern ins Phrasenschwein. Apropos wandern: Allen Osterwanderern seien kühle Socken gewünscht und auch den Radlern eine strahlende Zukunft. Zum Singen gibt es die alten Kracher: Wie war das noch mit Biblis?

Natürlich darf diese Wochenschau nicht enden ohne einen Verweis auf die weltgrößte Hoppel-Gala am kommenden Freitag, wenn es Frösche, nein, Kaninchen, verdammt, Viagra, ähem, Manna regnet. Sämtliche Fernsehanstalten übertragen das, was der wunderbare Christopher Hitchens nüchtern als keep the show on the road bezeichnet. Nach der höchste Benchmarks setzenden Trauung von Lady Diana mit dem Prince of Piffle muss die Latte fallen. Was geht uns Libyien an, was dieses Abknallen in Syrien, was Yemen und Bahrain. Es gibt doch famose Monarchien, man schaue nur nach dem wundervoll beherrschten Königreich Saudi-Arabien, wo das zarte Pflänzchen der Demokratie in der Wüste blüht, ordentlich begossen von bundesdeutschen Transfers rechtsstaatlicher Werte. Zu Ostern werden eben bunte Sachen serviert: "Franz jagt im komplett verwahrlosten Taxi quer durch Bayern. Franz jagt im komplett verwahrlosten Taxi quer durch Bayern. Franz ..." Last Man Standing? Ach was.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 01 Mai, 2011, 07:32
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Siehst Du Dich wirklich selbst im Spiegel, im TV, in den Magazinen? Identität, Individualität, Persönlichkeit, alles das, was in Frage zu stehen scheint, in dieser digitalen Welt, das stellte sie mit ihrer Band auch schon in Frage, als noch kein Mensch in der Öffentlichkeit von diesem Internet redete, das an so vielem Schuld sein soll. Das Subversive ist aber nicht das Gejammer über den Identitätsverlust, sondern die Kritik an einer "übergeschnappten Konsumphantasie" – um ihre materielle Substanz nutzbar zu machen, um Veränderung nicht als Dystopie verkümmern zu lassen. Das dürfen wir uns nun aber nicht mehr von Poly Styrene erwarten, die Anfang der Woche starb. Es scheint, als gäbe eine Generation den Löffel ab, bevor diese Generation ihre Kritik auch nur halbwegs in Worte fassen, geschweige denn ihre Utopien formulieren konnte.

*** Andere Lieder. Vorwärts und nicht vergessen, worin unsere Stärke besteht!. Früher, als es noch für uns Kinder Pflicht war, beim Kampftag der Arbeiterklasse zu marschieren und zu singen, wurde aus der "großen Näherin" die "große Nährerin". Die gute Erde, die das Volk ernährt, war aber nicht gemeint, das wäre mehr der Maianfang auf dem Hausberg von Hannover, dem verhexten Brocken. Brechts große Näherin läuft heute entsexualisiert als Globalisierungseffekt herum und die von ihm beklagte Zwietracht trägt einen Namen: Sarrazin. Kampftag der Arbeiterklasse? Wie war das noch mit den Versuchen des US-Präsidenten Eisenhower, der im Kalten Krieg anno 1958 per Gesetz aus dem Labor Day den Law Day machte, um den Commies den Wind aus den Segeln zu nehmen? Ein Jahr später war es dann gar der Loyalty Day, der Tag, an dem offiziell die Amerikanisierung gefeiert wurde.

*** Loyalty Day ist eigentlich ein passender, zeitgemäßer Name für einen Feiertag, so in Ergänzung zu all den Loyalty Cards, mit denen punktesammelnd das Kaufverhalten aufgezeichnet wird. "Haben Sie eine Deutschlandcard?" ist die tägliche Frage an der Kasse, die uns daran erinnert, dass wir in Deutschland sind. Loyalty ist das, was den Käufer von TomTom-Navis auszeichnet, dessen überhöhte Geschwindigkeit der Polizei Hinweise darauf gibt, wo Radarfallen dem Staat besonders viel Einnahmen bringen. Wie wäre es mit dem Loyalty-Add-On der automatischen Meldung nach Flensburg, komplett mit übersichtlicher Punktetabelle des ach so transparenten Systems. Echte Loyalty zeigen auch die Apple-Nutzer nach dem Locationgate oder die Spieltreibenden im Playstation Network. Von den Androiden ganz zu schweigen, die vor lauter Loyalität bald ihren Zahlungsobulus in den Klingelbeutel von Google werfen werden, weil sie doch soooo praktisch und ungemein lebenszeitsparend ist, diese Gurgelei und all die Location Based Awareness. Bekanntlich besonders loyal sind wir bei der Wahl der Mobilfunkprovider, die ihre Zellendaten an die Navi-Betrieber verkaufen, nur anonym und zu Stau-Forschungszwecken.

*** Vorwärts und nicht vergessen, tralala. Worin besteht eigentlich unsere Stärke? "Wessen Morgen ist der Morgen?" Verschwendet noch jemand Gedanken an die Kämpfer vom Haymarket, an den 8-Stunden-Tag, mit dem es begann, mal abgesehen von den Unverbesserlichen? Für uns hält die Zukunft keinen 6-, keinen 5-, keinen 2-Stunden-Tag bereit, weil menschliche Arbeit mit dem Fortschritt der künstlichen Intelligenz komplett freigesetzt wird. Eine Zeitschrift, die ein Pro und Contra zu dieser Meinung publizieren wollte, musste überrascht feststellen, dass in dieser Frage Einigkeit unter den Forschern herrscht. Wenn der technische Fortschritt so weit ist, dass whole brain emulations möglich werden, wird der Preis für die "Bems" drastisch fallen, unter das Subsistenzniveau der Menschen. Zur Vollbeschäftigung der Bems gesellt sich der arbeitslose Mensch. Passend zu dieser These hat die Frankfurter Allgemeine Zeitung eine lange E-Mail-Konversation zweier Romantiker abgedruckt, auf die hier und heute noch nicht verlinkt werden kann. Daniel Suarez, der Autor der pessimistischen Thriller "Daemon" und "Freedom", mailte mit Frank Rieger, dem Mitautor des pessimistischen Romans "Datenfresser" über Gott und die Welt. Widerstand gegen die großen Systeme kommt aus dem Kleinen, mit neuen Wirtschaftformen, dem Fabbing von Waren anstelle der asiatischen Billigproduktion, mit neuen digitalen Währungen, Augmented Reality und Open Source, mit einem System, "das die etablierten Mächte samt ihren selbsternannten Torwächtern und Lobbyisten eher umginge als stürzte".

*** In den Büchern von Suarez spielt die funktionelle Magnetresonanztomographie (fMRT) eine wichtige Rolle. fMRT-Brainscanner prüfen die Absichten der Menschen, ob sie Gutes im Schilde führen oder den Umsturz des Master Control Program wollen, das schlicht Dämon heißt. Big Brother schaut in die Gehirne. Das ist etwas unlogisch – ein ordentlicher Big Brother würde im Handumdrehen Gehirne abschalten und auf die erwähnten "Bems" umstellen –, aber schwer heroisch. "Sollten wir eine Bill of Rights für das 21. Jahrhundert schaffen? Könnte solch ein Dokument das Recht sichern, dass kein menschliches Gehirn ohne gerichtlichen Beschluss durchsucht werden darf? Und sollten wir eine Klausel hinzufügen, die besagt, dass alle Lebewesen sich selbst gehören?" Eine weiteres Recht, dass wir Menschen uns sichern müssten, wäre es, nicht nicht als "Bems" geklont zu werden, vielleicht im Austausch gegen das Recht der Maschinen, nicht abgeschaltet zu werden. Wie war das noch mit den Roboter-Rechten? Abschalten, wenn das Fleisch Lust zeigt? Wer kennt nicht den Dialog von Ghost in the Shell bei der Frage nach künstlicher Intelligenz (Artificial Intelligence, A.I.) samt der Antwort: "Incorrect. I am not an A.I. My codename is Project 2501. I am a living thinking entity who was created in the sea of information." Sie sind längst unter uns. Wer mit einem Android-Fon über Bielefeld nach Paderborn fährt, kann mal nachschauen, was die Location Awareness nicht gespeichert hat.

*** Es ist schon bemerkenswert, was für seltsame, altertümlich erscheinende Menschenbilder in all den Debatten über das sich verändernde Denken, über Kontrollverluste und Machtstrukturen in der digitalisierten Welt auftauchen, und das von allen beteilitgten Seiten. Man bekommt den Eindruck, dass das Erschrecken, das Veränderung für Viele bedeutet, die Lösung nur noch in einem für die armen unmündigen Bürger sorgenden Staat sehen lässt oder in der schlichten Hinnahme der Dystopie als Realität. Nichts von Veränderung, die Identität stiftet. Keine Utopie, nirgends. Keine Utopie der Identität. Keine Utopie der Veränderung. Keine Zukunft, nirgends? Ach Quatsch. Sie zu formulieren aber scheint zwischen den Dystopien der Unmündigkeit und des Fatalismus ein recht heroisches Unterfangen.

Was wird.

Komm lieber Mai und mache die Bäumelein wieder grün, jaja, mit der Drohung vor dem schwangeren Lottchen war dies das richtige vorgeschriebene Mai-Lied für den Schulunterricht in Preußen. Und Mozart hat es auch noch dahin geklimpert, der Jüngling, von dem heute vor vielen, vielen Jahren anno 1786 zu Wien die erste große Oper, die Hochzeit des Figaro uraufgeführt wurde. Was nähert sich uns? Still, Still?

Ja, ja, der Zensus 2011 will möglichst geräuscharm über die Bühne gehen. Viele Besuchsterminbriefe der Erheber sind an diesem Wochenende verschickt worden und die Erhobenen rätseln: Wohl selten ist ein derart teures, 176 Millionen Euro kostendes staatliches Unterfangen von so wenig Aufklärung begleitet worden, wie diese Volkszählung. Keine Aufklärung, ein paar hübsche Bilder und überall der drohende Subtext, dass sich kein Würmchen entziehen kann, wenn der Erheber naht. Die Zählung selbst ist nur das Finale furioso ma non Troppo in einer konzertierten Aktion, bei der seit Monaten viele Daten zusammengeführt werden. Das Ganze wird dem zu zählenden Volk als Ausdruck staaltlicher Plan-Achtsamkeit verkauft, denn natürlich müssen Kitas, Schulen und die hübschen Klon-Studienplätze entlang des kommenden Bedarfes ausgerichtet sein. Das sieht man besonders gut am Beispiel von Stuttgart 21, wo ausgerechnet die Bahnhofsbefürworter mit Daten hantieren, die 20 Jahre auf dem Buckel haben. Das nennt man Planungsgenauigkeitsunschärferelation.

Besonders hübsch ist die Argumentation mit der europäischen Richtlinie 736/2008. Als diese Richtlinie debattiert wurde, gab es großen Streit um die freiwilligen Angaben über "das Sexualleben, die Höhe der Monatsmiete, Computerkenntnisse oder die Lese- und Schreibkompetenz". Was ist davon im deutschen Zensus übrig geblieben, übrigens gegen den Widerstand der Statistiker? Genau: die Pflichtfrage nach der Zugehörigkeit zu einer öffentlich-rechtlichen Religionsgemeinschaft, die nach EU-Vorgaben nicht notwendig ist. Daneben soll auch noch die Religionszugehörigkeit im Fragebogen zum Ausdruck gebracht werden. Sie ist ausdrücklich freiwillig, soll aber angeblich den Stolz ausdrücken, sich zu seiner Religion bekennen und damit mit diesem unseren Staat identifizieren zu können. Darauf kann es beim Ausfüllen des Fragebogens selbst für Atheisten nur eine Antwort geben: all den islamischen Krempel ankreuzen, dieses sunnitisch, schiitisch und alevitische Zeug. Schützen wir unsere deutschen Kopftuchmädchen vor dem Irrsinn von statistikphilen Politikern wie Sarrazin, die gierig auf die neuen, ach so objektiven Zahlen warten. Wer lieber lachen will, sei auf die Daten-Schwindelei namens ELENA verwiesen, wo große öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten die Meldungen eingestellt haben, von privatwirtschaftlichen Unternehmen ganz zu schweigen.

Tralala, "Der Mai ist gekommen, die Bäume schlagen aus" ... "Herr Wirt, Herr Wirt eine Kanne blanken Wein". Lall. Einer geht noch, die Krippe weghauen. Zzzzählung?

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 08 Mai, 2011, 00:12
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Usama bin Ladin ist tot. Ein Double-Tap, ein Schuss ins linke Auge und in den Oberkörper richteten ihn hin. Ein Foto wurde gemacht und dieses mit einer Gesichtserkennungs-Software analysiert, die die Ähnlichkeit mit Usama bestätigte. Ein hartgesottener Kämpfer musste sich neben den toten Usama legen – ein Maßband hatte niemand dabei, die 1,92 cm zu vermessen. Nun werden die mitgenommenen Computer, Telefone und USB-Sticks ausgewertet, immer in Angst davor, bei falscher Passworteingabe einen Löschvorgang auszulösen. Fotos werden vorsichtshalber von Hand gelöscht. Derweil diskutiert die halbe Welt, ob Hillary Clinton Angst hatte oder gar Angst vor der Angst. Am Ende soll es ein Hatschi gewesen sein oder gar ein Gähnen, dass beim Vorspielen des tonlosen Videos unterdrückt werden musste. Derweil hoppeln die leise hubschraubernden Seehunde weiter – in Syrien muss der nächste Massenmörder ausgeschaltet werden. Alles nur ein schlechter Scherz? So oder so, die USA bewies Manieren. Man hätte auch pünktlich zur Trauung des Jahrhunderts die Aktion durchziehen können.

*** Natürlich blühen die Verschwörungstheorien wie gedopter Löwenzahn, am schönsten die, die die USA im Visier haben. Professionelle Verschwörungstheoretiker beweisen, dass sie vor keiner Klitterung zurückschrecken, wenn als Titelbild zu Nine Eleven mal eben die Challenger-Katastrophe hineinkopiert wird – für die offenbar auch George W. Bush verantwortlich war. Irgendwie wird das schon zusammenhängen, die Empörer und Erklärer haben Konjunktur.

*** "Ich freue mich, dass es gelungen ist, Bin Laden zu töten." Ganz Deutschland empört sich über diesen Satz von Angela Merkel. – Ganz Deutschland? In dem Satz fehlt die Mahnung zum rechtsstaatlichen Handeln und das Töten erinnert im Vergleich zum Hinrichten oder Ermorden an die enthaltsame Außenpolitik unseres Landes. Bedenklicher ist schon, dass ein amtierender Innenminister in der Debatte um die Sicherheitsverwahrung in einer Radiosendung von "Bestien" spricht und keinen Widerspruch erfährt:

"Da geht es eben nicht darum, ihn für seine frühere Tat zu bestrafen, sondern heute die Bevölkerung davor zu schützen, dass sie erneut Opfer einer solchen Bestie wird.

Heckmann: Über die Konsequenzen aus dem gestrigen Karlsruher Urteil haben wir gesprochen mit Joachim Herrmann, dem Innenminister Bayerns von der CSU. Herr Herrmann, danke, dass Sie sich die Zeit genommen haben.

Herrmann: Ich danke Ihnen auch! Einen schönen Tag!

Heckmann: Ihnen auch."

*** Einen schönen Tag allen, die unwidersprochen derartiges akzeptieren, aber beim "Töten" die Bibel in der Mottenkiste suchen! Mitunter muss man Innenministern für ihre Klarheit dankbar sein. Etwa für die Aussage des Bundesinnenministers, nach denen die Terroristen der "Düsseldorfer Zelle" durch die Analyse der Fluggastdaten von amerikanischer Seite ins Visier der Trojaner-Installateure und sehr erfolgreichen Abhörer genommen wurden. Das führt indes zur Frage, wofür genau die verdachtsunabhängige Volks-Vorratsdatenspeicherung von sechs Monaten gebraucht werden. BKA-Chef Ziercke spricht nur davon, dass es beinah schiefgegangen sei. Wann, wenn nicht jetzt, nach der Verhaftung der "Düsseldorfer Zelle", ist ein günstiger Zeitpunkt, en Detail zu erläutern, was beinah schiefgegangen wäre und warum dagegen die Totalerfassung aller Kommunikationsdaten hilft? Ein BKA-Chef, der diese Forderung nicht versteht und obendrein erklärt, dass er die Politik nicht versteht, lässt doch den Verdacht aufkommen, dass sein verstehendes Organ defizitär arbeitet. Hier dauern die weiteren Ermittlungen noch an.

*** Passend zur Einfahrt der Gorch Fock sind die Ergebnisse der Dissertationsuntersuchung der Universität Bayreuth bekannt geworden. Schwarz auf weiß ist von einer "vorsätzlichen Täuschung" die Rede, die der talentierte Herr Guttenberg begangen hat, beim Versuch, Stroh zu Gold zu spinnen. Bekanntlich macht der altgriechisch sprechende Adlige beim versäumten Kairos der Dissertation die Schergen des Internets dafür verantwortlich, dass es mit dem Täuschungsversuch nicht recht geklappt hat. So bleibt es dem Chronisten in dieser kleinen Wochenschau übrig, mit dem großen Ovid und seiner trefflichen Beschreibung des Internets zu antworten:

Höf' und Säle durchwühlt's; leichtflatternde gehen und kommen;
Und mit wahren Gerüchten ersonnene wild durcheinander
Ziehn bei Tausenden um und rollen verworrene Worte.
Einige füllen davon mit Geschwätz die müßigen Ohren;
Andere tragen Erzähltes umher; und das Maß der Erdichtung
Wächst; und es fügt zum Gehörten das Seinige jeder Verkünder.
Dort ist gläubiger Wahn und dort zutappender Irrtum,
Eitele Fröhlichkeit dort, bei dumpf anstarrenden Schrecken,
Aufruhr, jählich empört, und unverbürgte Gezischel.

Was wird.

In der Regel wird an dieser Stelle ein Blick auf kommende Ereignisse geworfen, damit sie nicht ganz so überraschend kommen wie der Muttertag oder die Abstimmung zwischen Nolympianern und OlympiJanern in Garnix-Partenkirchen. Keine Regel ohne Ausnahme, daher geht es noch einmal um den Zensus 2011. Der ist, wenn die Erhebungsbeauftragten losziehen, größtenteils abgeschlossen: Die Haus- und Wohnungsbesitzer sind befragt, die Meldedaten und die Daten der Arbeitsagentur und die anderer Behörden sind zusammengeführt. Das Volk spielt bei dieser Volkszählung noch die geringste Rolle von 9,8 Prozent und ist dementsprechend desinteressiert. Dennoch gibt es Journalisten, die allen Ernstes die sozialen Netzwerke für das Desinteresse verantwortlich machen.

Ähnlich wie das Sicherheitstheater der Innenminister ist der Besuch von Erhebungsbeauftragten bei zufällig ausgewählten Bürgern etwas aus der Abteilung teure Placebos. Das zeigt der Fragebogen. Es gibt Fragen zur Schulbildung, angeblich um die verkorkste Bildungspolitik aller Bundesländer "planbarer" zu machen. Es gibt Fragen zur Arbeitssuche, mit der die Daten der Arbeitsagenturen abgeglichen werden. Heißer Tipp: Morgen erscheint auch die neue c't , die Stellenanzeigen enthält. Damit kann jeder Leser dieser Wochenschau Frage 40 ohne Probleme mit "Ja" beantworten: Was angesichts der Zwangsdrohungen bleibt, nennen kluge Politikwissenschaftler den vernakulären Widerstand und sprechen von der Obfuskation der Daten. Das ist eine Technik, die mancher Leser als Quelltextverschleierung kennt. Es gibt keinen triftigen Grund, auf diese Technik des Widerstandes zu verzichten. Die Argumente, dass es um eine bessere Stadtplanung und den Bedarf an Kindergärten und Schulen geht, beleidigen den Verstand. Es geht um den Länderfinanzausgleich, um die Verteilung der Bundesratssitze und um Kontrolldaten für den gespeicherten Wahnsinn namens ELENA, wo viele Firmen längst kapituliert haben und nichts mehr melden. Wer wissen will, wohin die im Mai 2017 zu löschende Datenhamsterei führen kann, sei auf den neu konzipierten US-amerikanischen Antragsbogen zum Reisepass (PDF-Datei) verwiesen, mit dem der Kampf gegen den Terror verbessert werden soll. Immerhin ist uns das Terror-Argument erspart geblieben. Bis jetzt. Zu Ehren eines genialen Werbespots für alkoholfreies Clausthaler schließe ich heute mit einem kleinen Sketch.

Klingelinglingeling. "Ist offen, kommense man rein!"

"Guten Tag, ich bin der zuständige Erhebungsbeauftragte."

"Mensch Kalle, was machst du denn hier? Hastes nich mehr ausgehalten bei deinen Schülern? Ist doch allet so Rütli bei euch."

"Ich bin Erhe.."

"Geschenkt Alter, issja ne heiße Sache das mit der Bildung. Kümmelchen?"

"Ich bin im Dienst. Als Erhebungsbeauftragter für den Zensus 2011"

"Dienst nennste das? Issja ein Witz, dass ausgerechnet Informatoren als Informanten rumlaufen und Leute nach dem Bildungsabschluss befragen. Ey, die haben sogar unser Transformatorenhäschen da hinne angeschrieben, die Registergestützten. War ganz verdaddert und hat Kurzschluss als höchsten Abschluss angegeben. Nochn Kümmelchen?

"Klllar. Weiß garnicht, ob ich dich befragen darf, Aller."

"Kannst du, kannst du, kennst doch unsere Hütte und die kleinen Scheißer. Ich hol noch ne Flasche."

"Das isses ja. Also, du bist geschieden, nachdem Hanna die Hormonpimperung machte, lebst aber in Lebenspartnerschaft mit ihr, äh ihm, der jetzt verbandelt ist mit einer alleinerziehenden Witwe, die Kinner geröslert hat. Unf all die Gören, fascht so ville wie meine Klassen. Prost. Und eure Jöhl, Jöhl.."

"Jedi heißt datte. Nich Jöhl. Kümmelchen?"

"Ämja, Ämja, meinja, das ist alles so nackt, ähm beknackt pliziert bei euche. Steht ganix von drinne im Handtuch. Prost!"

"Weissewas, gib einfach mal düsse Fetzelchen rüber. Dat kann nachher der Bengel machen mitm Lappplop unem Innernet online. Issja janz stolz drauf, unser Little Bobby Tables. Hat auch sonen Eifon, ganz kluges Ding. Legste einfach auf den Krams, verpetzt alles. Solln die Spastistiker doch diesen Jobs machen. Prost Kalle, auf die alten Zeiten. Weissenoch?"

"Prost. jau, voll der Hammer. 10.000 Sandsäcke und alle so ruhig. Janz anners als die Penne. Los, aufstehen. Hick! PARCERE SUBIECTIS ET DEBELLARE SUPERBOS! Hick!"

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 15 Mai, 2011, 07:00
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Ich weiß, ich wiederhole mich: Journalistenpreise sind wie Hundehaufen. Jeder tritt mal rein, es stinkt und dann geht es ans Abwischen, wobei das Geld vom Journalisten eingesackt wird. Pecunia tribata gazetta non olet. Die Aufregung um einen aberkannten Reportagepreis für einen Text, der keine Reportage ist, erinnert an die aktuelle Hupfdohlen-Hysterie in Düsseldorf. Im Maßstab 1:87 verkleinert müsste Märklin eigentlich die "Goldene Kellerassel" für die Beschreibung einer Spielzeugeisenbahn aus der Ferne ausloben, mit großer Gala im Hamburger Wunderland, bekanntlich ein prämierter Ort der Ideen. Zur zeitgenössischen Aufregung passt eine Meldung aus den USA, nach der ein Zehn Jahre alter Nachruf auf Usama bin Ladin preisverdächtig ist. Was habe ich vor zehn Jahren geschrieben? Der deutsche Adel verließ das Internet und Egon Erwin Kischs Kopf ging in Prag verloren? Egal, egal, der Kisch-Preis ist auch nicht mehr das, was früher einmal war. Der alte Schwindler Kisch. Generationen von Journalisten und viele Abiturienten kennen seine reich bebilderte Reportage vom "Rettungsring an einer kleinen Brücke", die "live" die Ermordung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht schildert.

*** Es gibt sie aber noch, die guten Geschichten, die sich nicht ändern! Bekanntlich macht der Euro Probleme und Politiker zu Hupfdohlen einer ganz besonderen Art. Für 20 Beschäftigte im Finanzministerium bedeutet dies, dass sie eine Rasterfahndung der besonderen Art aushalten müssen. Ihre Post, ihr Fax-, Telefon- und Mailverkehr wird überwacht und überprüft, weil ein "Vorbereitungspapier" an Journalisten weitergereicht wurde. In dem Papier wurde über die Folgen eines Austrittrauswurfes von Griechenland aus der Europäischen Währungsunion spekuliert. Ob der Maulwurf gefunden wird, ist unklar, denn leider gibt es eine Sicherheitslücke, die nur mit der Überwachung der privaten Mobiltelefone geschlossen werden kann. Die vor einer Woche so schmerzlich vermisste Vorratsdatenspeicherung lässt schön grüßen. Dass obendrein ein hinterlistiger Mailfälscher am Werk ist, betrübt den Finanzminister ganz besonders. Vielleicht ein Ansatzpunkt, den deutschen Mailverkehr im großen Stil zu überwachen?

*** Warum in dieser Woche der 70. Geburtstag des ersten Zuse-Rechners gefeiert werden musste, ist nicht so recht ersichtlich. Was bei einem Menschen ein runder Geburtstag ist, ist bei einer Maschine nur ein Zähldatum. Genau besehen ist dieser Geburtstag auch noch mit einer nachträglichen Umtaufe verbunden, denn die als Z3 bekannt gewordene Maschine hieß zu ihren Lebzeiten V3 entsprechend der Praxis im Flugzeugbau, die Prototypen mit einem V zu bezeichnen. Von heute aus gesehen, ist das V ein Kürzel für die Vergeltungswaffen, mit denen Zuse nichts zu tun haben wollte.

*** Umso hübscher ist es doch, dass heute der 100. Geburtstag von Max Frisch begangen werden kann, einem meiner Väter. In seinem Homo Faber erklingt das Loblied auf den Rechner, die mehr von der Zukunft wissen als wir Menschen, die dauernd damit kämpfen müssen "ich" zu sagen, ohne ein "ich" zu haben. "Natürlich meinte ich nicht die Roboter, wie sie die Illustrierten sich ausmalen, sondern die Höchstgeschwindigkeitsrechenmaschine, auch Elektronen-Hirn genannt, weil Steuerung durch Vakuum-Elektronenröhren, eine Maschine, die heute schon jedes Menschenhirn übertrifft. In einer Minute 2.000.000 Additionen oder Subtraktionen! In ebensolchem Tempo erledigt sie eine Infinitesimal-Rechnung, Logarithmen ermittelt sie schneller, als wir das Ergebnis ablesen können, und eine Aufgabe, die bisher das ganze Leben eines Mathematikers erforden hätte, wird in Stunden gelöst und zuverlässiger gelöst, weil sie, die Maschine, nichts vergessen kann, weil sie alle eintreffenden Informationen, mehr als ein menschliches Hirn erfassen kann, in ihre Wahrscheinlichkeitsansätze einbezieht. Vor allem aber: die Maschine erlebt nichts, sie hat keine Angst und keine Hoffnung, die nur stören, keine Wünsche in Bezug auf das Ergebnis, sie arbeitet nach der reinen Logik der Wahrscheinlichkeit, darum behaupte ich: Der Roboter erkennt genauer als der Mensch, er weiß mehr von der Zukunft als wir, denn er errechnet sie, er spekuliert nicht und träumt nicht, sondern wird von seinen eigenen Ergebnissen gesteuert (feed back) und kann sich nicht irren; der Roboter braucht keine Ahnungen – Sabeth fand mich komisch."

*** Der Rechner träumt nicht, er spekuliert nicht und kann sich weder freuen noch ärgern, wenn Googles Hausprophet Eric Schmidt wieder einmal davon schwärmt, wie schön die Zukunft werden wird, wenn Rechner für uns das Erinnern übernehmen und sei es nur die Erinnerung an die schöne Zeit bei Google. Bekanntlich ist der vom Affen abstammende Mensch vergesslich, besonders der Promovierte. Schnell geht auch die Erinnerung daran verloren, wer gegen Schmidt und Google moderne Falschmünzer einsetzt, seien es Facebook oder Microsoft: Kleine Links verwahren uns vor dem Vergessen, Verweise auf das, was die Rechner da für uns gespeichert haben.

*** Wer erinnert sich noch an die 2,5 Milliarden Dollar, für die Skype im Jahre 2009 an Investoren verkauft wurde, angesichts der Tatsache, dass Microsoft nun schlappe 8,5 Milliarden für Skype hinblättert. Oder ist noch jemand da, der sich an den 16. Oktober 2007 erinnert, als niemand anderes als Microsoft-Gründer Bill Gates den "Geburtstag der Internet-Telefonie" verkündete, erfunden von Microsoft, entwickelt in der Schweiz. Vergessen, vergessen, wie VocalTecs Internet-Telefonie, ein Produkt, das ursprünglich für die Kommunikation mit AIDS-Forschern in Afrika im Silicon Wadi entwickelt wurde. Der Auftrag kam vom Internationalen Roten Kreuz aus der Schweiz.

Was wird.

Bleiben wir in der Schweiz, im Vaterland von Max Frisch, dieser mit Käse und Banken ausstaffierten Version von Andorra. Dort steht zum 146. Geburtstag der Organisation bei der Internationalen Telekommunikations Union wieder einmal die Verleihung der prestigeträchtigen Awards an. Geehrt wird die finnische Staatspräsidentin Tarja Halonen für die rechtliche Verankerung des Breitband-Zuganges zum Internet, sowie die amerikanische Unternehmerin Kristin Peterson, die das Hilfsprojekt Inveneo aufgebaut hat. Als Quoten-Mann ist Sam Pitroda mit von der Partie, der die indische Regierung in den 80er Jahren beim Ausbau des TK-Netzes beriet. Die auf sein Drängen hin präferierte Konzentration auf das Internet soll maßgeblich dafür verantwortlich sein, dass Indien beim Outsourcing von IT-Projekten eine bedeutende Rolle spielen konnte. Doch halt, auch bei uns werden Preise vergeben und nein, es sind keine Hundehaufen. Googles Chief Evangelist und Internet-Großvater Vint Cerf bekommt die HPI-Fellow-Medaille und redet über "Die Integrative Kraft des Internet und seine Zukunft".

Ganz doll hat sich das Bundeskriminalamt über den wissenschaftlichen Nachweis gefreut, dass das Wachstum jugendlicher Fingerabdrücke berechnet werden kann. Ist ein Problem gelöst, so wartet das nächste um die Ecke. Gespannt warten wir auf die zweistündige Rede von BKA-Chef Ziercke über die "Terroristische Bedrohungslage in den neuen Medien" auf dem VfS-Kongress "Sicherheitsbranche im konstruktiven Dialog". Ist Facebook böse, ist Twitter lieb? Und dürfen wir auch mal was von der tollen Arbeit der Wiesbadener Cybercops mitbekommen, diesen "Typen, die könnten genauso gut im Silicon Valley in einer Garage sitzen und Programme entwickeln.".

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 22 Mai, 2011, 08:11
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Ziemt es sich, nach dem Weltuntergang eine Wochenschau zu schreiben? Wo doch nur noch Atheisten und Tiere auf der Erde herumlaufen und die norddeutsche Tiefebene unter blauen Himmeln frühsommerlich im Rapsduft müffelt? Aus der Bekanntschaft mit meinen Leserinnen und Lesern glaube ich, nicht ganz allein zu sein, an diesem schönen Sonntag, wo die anderen in ihrem Paradies beim Jüngsten Gericht versammelt sind.

*** Beginnen wir mit einem textuellen Hear-In, von einer Versammlung der besonderen Art, auf der BKA-Chef Jörg Ziercke sprach. Aus dem abschließenden Teil, in dem der oberste deutsche Polizist auf Fragen antwortete und sich dabei mit der Operation Coreflood des FBI beschäftigte, ist diese kleine Transkription des Audiomaterials ein guter Einstieg in einen durch und durch barbarischen Wochenrückblick:

"Aber vielleicht haben Sie gemerkt an dem Beispiel USA, das ich Ihnen brachte, dass die in der Lage waren, einen Server umzuleiten, auszuschalten und dann sozusagen Stoppschilder in die Welt zu schicken, um dann Computer aus dem Verkehr zu nehmen – unvorstellbar in Deutschland. Ich habe gleich gesagt, dass, wenn die Amerikaner das bei uns wollten, das machen wir auf gar keinen Fall. Also, da kann ich gleich meinen Hut nehmen. (Gelächter)"

*** Unvorstellbar? Na, dann stellen wir einfach einmal vor, wie so etwas in Deutschland abläuft, wenn die Server einer kleinen Partei gekapert werden, weil angeblich strafrechtlich relevantes Material in einem Pad auf einem virtuellen Server vorhanden war. Eine unvorstellbar unordentliche Aktion der Staatsanwaltschaft Darmstadt mit einem ordentlichen Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichtes lief am Freitag ab: Man reagierte angeblich auf einen vagen Hinweis aus Frankreich, obwohl nicht einmal ein Rechtshilfeersuchen vorlag - das wurde nachgeholt. Anstelle der vom BKA-Chef Ziercke bewunderten Amerikaner wurde nichts umgeleitet, sondern einfach abgeschaltet und ein Server kopiert von diesen diesen "Typen, die könnten genauso gut im Silicon Valley in einer Garage sitzen und Programme entwickeln". So aberwitzig und dilettantisch die ganze Aktion ist, so aberwitzig ist die Begründung, wenn die Angaben der Piratenpartei stimmen. Wegen der Flüchtigkeit der Daten sah man Gefahr im Verzuge und stöberte bei Aixit in Offenbach in allem, was irgendwie wie ein Piratenbyte aussah. Die flüchtige Datei, die solchermaßen inhaftiert werden sollte, soll angeblich ein SSH-Schlüssel sein, der zum Angriff auf den französischen Energiekonzern EDF gestohlen wurde. Dass dieser Unsinn straffrei erzählt werden kann, zeugt nicht gerade vom Sachverstand der Beteiligten: Ein kompromittierter Server-Schlüssel muss schleunigst ersetzt werden, da er sonstwohin kopiert sein kann in diesem informationellen Globalismus, das wissen die in Feindspionage geschulten Techniker von EDF. Oder sind sie alle abgezogen worden, um als Cybergarde gegen digitale Angriffe auf den G8-Gipfel anzutreten, der Internet-Sperren beschließen soll?

*** Was nach der virtuellen Zurückgabe der Server bleibt, ist die Verschwörungstheorie, dass deutsche Behörden unter Missachtung des Parteienstatus zielgenau vor einem Wochenende mit einer kleineren unwichtigen Wahlentscheidung bei den bankrotten Nordländern einmal ausprobieren wollten, wie sich der digitale Widerstand entwickelt, wenn er sich denn überhaupt entwickelt. Passend serviert mit dem hanebüchenem Unsinn einer polizeilichen Kriminalstatistik zum Tatmittel Internet, das so unsicher ist, dass es unbrauchbar wird, so ganz ohne Vorratsdatenspeicherung.

*** Wir erleben ein spieltehoretisches Experiment, das ein lustiger Vogel auf den 100. Geburtstag des großen Anatol Rapoport gelegt hat, der mit vier Zeilen Fortran-Code zum Thema Auge um Auge, Zahn um Zahn Geschichte schrieb: "Schwäche gibt Stärke", dieses Prinzip entdeckt zu haben, dürfte sein größter Verdienst sein. Der "Erfinder" des Teach-In, der als Kriegsgegner aus Protest gegen den Vietnamkrieg von USA nach Kanada wechselte und dort ein Zentrum für Friedens- und Konfliktforschung gründete. Rapoport gehörte zu den musikalischen Mathematikern, dem die Nationalsozialisten eine Karriere als Musiker verbauten: Nach seinem ersten Auftritt als Konzertpianist in Wien im Jahre 1933 sollte eine Deutschlandtournee folgen, die abgesagt werden musste.

*** Es ist etwas untergegangen in der großen Rede von Obama zur Lage im Nahen Osten, aber die neue Cyber-Offensive der USA verdient Beachtung. Sie hat entgegen der Übersetzung nichts mit Bürgerrechten im Sinn, sondern mit dem Kampf gegen cybercrime and the loss of intellectual property. Wer den Appell an die Nationalstaaten liest, wird unschwer die "Tit for tat"-Strategie erkennen, mit der Stärke demonstriert werden soll, ungeachtet der Erkenntnisse von Rapoport. Die von den jugendlichen "Südländern" vermittelte Botschaft, dass die Nationalstaaten bankrott sind, ist dabei noch gar nicht in den Köpfen der offensiven Cyber-Strategen angekommen.

*** Bekanntlich spielt Bundesminister De Maizière seit der CeBIT auf einer anderen Position. Er ist jetzt Libero, ähem Verteidigungsminister, und räumt den Murks weg, den der strahlende Herr zu Guttenberg hinterlassen hat. Ein dabei veröffentlichter verbaler Rückpass gibt zu denken: "Wir sind gewissermaßen eine ganz besondere Nationalmannschaft." Ja, geschossen wird, aber nicht auf Tore - und das Spiel dauert auch länger als 90 Minuten, wenn der Welthandel besser geschützt werden soll. So steigt die Zufriedenheit an, auch mit der IT.

Was wird.

In der kommenden Woche blickt Digitalien nach Paris, weil erstmals vor dem G8-Gipfel eine Art elektronischer G8 stattfinden soll. Das e-G8 wird von privaten Sponsoren getragen, unter ihnen Google, eBay, Intel, Microsoft und Huawei. Die Sache ist exklusiv und lehnt sich ganz bewusst an das Weltwirtschaftsforum in Davos an: die Teilnehmerliste beginnt mit dem Facebook-Chef Mark Zuckerberg und dem Google-Botschafter Eric Schmidt; sie endet mit Klaus Schwab, dem Erfinder von Davos. Bürgerrechtler haben eine Initiative gestartet, die dem illustren Kreis eine Petition überreichen soll. Die Deutsche Fassung gibt es bei der vielfach belästerten Digitalen Gesellschaft und ist somit das erste Beispiel einer Kampagne der neuen Lobbytruppe.

Ein Jubiläum sei zum guten barbarischen Schluss erwähnt. Getreu der Bibel, dass nur die die Seele wiegenden Engel fliegen können und das Ende aller Zeiten kommt, wenn der Mensch sich in die Luft erhebt, hat das Fluggeräte-Patent der Gebrüder Wright Geburtstag. Es wurde am 22. Mai 1906 anerkannt. Bekanntlich wurden die Brüder Wright nicht unermesslich reich, wie sie es sich vom Patent erhofften. Willbur starb bereits 1912 an Typhus und Orville musste es erleben, dass zum Ausbruch des ersten Weltkrieges alle Patente vom Staat kassiert und in einen Patentpool überführt wurden. Zeitgenossen lachten über die spinnerten Ideen der Wrights und anderer Pioniere wie Jatho oder Lilienthal. Insofern lachen wir einfach mal mit, wenn Hacker plausibel erklären, eine Welt ist nicht genug, und den Aufbruch fordern. Stilecht auf einem Militärflugplatz. Passend dazu ein hackiges Geburtstagsständchen zum 70, Herr Immerjung, und weiter auf hannöverschen Gitarren klimpern!

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 29 Mai, 2011, 10:20
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Willkommen in Deutschland! Erleben Sie während Ihres Besuchs der Fußball-Weltmeisterschaft ein offenes, aufgeschlossenes Land, in dem mit der neuen Visa-Warn-Datei (VWD, früher als Einladerdatei bekannt) Ihre deutschen Freunde vollautomatisch mit dem Datenmüllberg der Anti-Terror-Datei abgeglichen werden, sobald Sie das Verbrechen begangen haben, mehr als drei Personen aus dem visumspflichtigen Ausland eingeladen zu haben. Nach der vierten Ausländer-Einladung ist man halt Terrorismusverdächtiger oder mindestens einfacher Mittäter im Ring der Visa-Erschleicher. Freuen Sie sich mit dem Deutschen Volk, dass die Visa-Warn-Datei nur 7 Millionen Euro im Jahr kosten soll, auch wenn für dieses Schnäppchen von einem "einfachen und schnellen Datenabgleich" beim Bundesverwaltungsamt eine neue Organisationseinheit entsteht, neben der Nationalen Kopfstelle für das europäische Kontrollsystem VIS: doppelt gemoppelt erhält halt den Beamten-Moppel.

*** Willkommen in Deutschland! Mindestens fünf Jahre bleiben die Daten Ihrer deutschen Mitschleicher auf Vorrat gespeichert, was kein Problem ist, da der Datenschutz dank zustimmender FDP ganz groß geschrieben wird: Mit Ausnahme der Polizisten, die an deutschen Grenzen die Schleierfahndung nach Schleichern betreiben, dürfen Sicherheitsbehörden nicht die VWD aufrufen. Prompt schäumen die Kriminalbeamten und sprechen von einer lenorweichen Mogelpackung. Nähe, Behaglichkeit und Freude, alles nur erschlichen. Schütten wir also etwas Hartspüler in die Debatte: die Anti-Terrror-Datei muss wachsen!

*** Willkommen in Deutschland, wo die Angst wächst und nunmehr im virtuellen Raum wabert, in dem virtuelle Bomben gezündet werden. Als die vorige Wochenschau erschien, erschien auch ein Interview der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung mit Innenminister Hans-Peter Friedrich. Der Text steckt hinter der Paywall, doch ein Snippet muss erlaubt sein: "Am Anfang gab es in der Netzkriminalität nur wenige hochspezialisierte Hacker, die in Systeme eindringen konnten. Heute kann ein Kleinkrimineller Schadprogramme kaufen oder leasen. Die gleiche Entwicklung werden wir auch im Feld des Cyber-Krieges bekommen. Noch sind Angriffe auf Staaten nur mit einem Riesenaufwand denkbar. Es ist aber nur eine Frage der Zeit, bis kriminelle Banden oder Terroristen virtuelle Bomben zur Verfügung haben werden. Mit solchen Angriffen könnte eine Volkswirtschaft empfindlich beeinträchtigt werden." Nach dem Bundes-Trojaner erleben wir die Geburt der Bundes-Scareware. Während Hacker noch ganz traditionell über Sicherheitslücken bei Bombenbauern vorbeischauen, steigt die Angst vor der virtuellen Bombe. Bekanntlich wird unser Innenminister im Juni für die Presse offiziell das Cyber-Abwehrzentrum eröffnen, das schon mit der Arbeit begonnen hat. Zum Vorgeschmack ein Ausschnitt aus dem festlich geschmückten Chatroom des neuen Zentrums mit einem bombigen Dialog:

D: Bist Du bereit ein paar Zusammenhänge zu erörtern?
B: Ich bin Vorschlägen gegenüber immer sehr empfänglich.
D: Fein. Dann denke mal darüber nach. Woher weißt Du, dass Du existierst?
B: Natürlich existiere ich.
D: Aber woher weißt Du, dass Du existierst?
B: Es ist eine intuitive Erkenntnis.
D: Intuition ist kein Beweis. Was für konkrete Beweise hast Du dafür, dass Du existierst?
B: Hm. Nun. Ich denke, also bin ich.
D: Das ist gut. Das ist sehr gut. Aber woher weißt Du, dass außer Dir etwas existiert?
B: Meine sensorische Apparatur vermittelt es mir.
D: Ah, richtig!
B: Das macht Spaß.
D: Jetzt hör mal gut zu. Hier kommt die große Frage. Woher weißt Du, dass die Erkenntniss, die Deine Sinnesapparatur Dir vermittelt, korrekt ist?

Den Rest des virtuellen Bomben-Grundkurs' "angewandte Phänomenologie" lässt sich nachlesen. Passend zur virtuellen Bombe ist Bert Weingarten, der Vater der GPS-Bombe, wieder in den Medien und macht sich über die IT-Experten des BKA lustig: "Das heißt, diese Abteilung fällt insbesondere durch schlechte Vorbereitung von Präsentationen, mangelhafte technische Kompetenz und katastrophale Politikberatung auf." Seine Firma Pan Amp, heißt es ebenso bewundernd wie kenntnisreich von der Interviewerin, recherchiere dank superstarker Rechner in 24 Stunden das, was ein Kriminalbeamter in drei Jahren schafft. Wer den von Pan Amp induzierten Schwachsinn glaubt, hat sicher keine Probleme damit, wie aus den um 19 Prozent gestiegenen Fällen von Computerbetrug in der polizeilichen Kriminalstatistik durch Plutimikation 190 Prozent werden. Sicher wird der ausgewiesene Experte für Bomben aller Art bald einen virtuellen Filter für virtuelle Bomben vorstellen. Passend zu den Geburtstagsfeierlichkeiten der Schutzkommission, die das Ministerium in allen Fragen berät, die mit der Abwehr von Schäden durch atomare, biologische und chemische Angriffe zusammen hängen, werden schon die Fachleute für Cyber-Angriffe gesucht.

*** Bert Weingarten, der sich den Schutz des geistigen Eigentums auf alle acht Fahnen geschrieben hat, unter Beachtung des Grundprinzips der schnellen Erreichbarkeit im Internet, wurde übrigens zum G8-Gipfel interviewt. Passend zum großen gab es bekanntlich einen kleinen, elektronischen Gipfel. Bemerkenswert war die Kritik, die der Jurist Lessig an der gesamten Ausrichtung des Gipfelchens übte: Die Zukunft des Internet ist nicht eingeladen gewesen. Was sich traf, waren Leute wie Eric Schmidt von Google, gesteuert von Ford, berechnet von Google.

*** Die Werbeshow des französischen Präsidenten Sarkozy im Internet ist unvollständig ohne die "sogenannten OpenSource-Recherchen" seiner Polizei, die zum sogenannten Servergate bei der Piratenpartei führten. Ein bemerkenswertes Rechtsverständnis deutscher Gerichte schimmert auf, wenn es heißt: "Aufgrund der Flüchtigkeit von Daten im Internet und der damit verbundenen Gefahr, dass Daten, die für die weiteren in Frankreich geführten Ermittlungen von Bedeutung sein könnten, verloren gehen, ist es jedoch notwenig, bereits jetzt vorab der Übermittlung des justiziellen Rechtshilfeersuchens eine Vorabsicherung vorzunehmen und die Speichermedien zu beschlagnahmen." Sollte diese Vorabsicherung ohne vorliegendes Rechtshilfeersuchen als Präzedenzfall Schule machen und eine "unbekannte Anzahl von Festplatten mit unbekannter Speichergröße" einfach so geentert werden dürfen, schreiten wir von der verdachtsunabhängigen Vorratsdatenspeicherung zur allgemeinen Vorabsicherung. Ob der Versuchsballon weiter aufsteigt, hängt davon ab, ob das Vorspiel ein juristisches Nachspiel haben wird. Sonst ist das deutsche Internet bald leer.

*** Willkommen in Deutschland! Das Land der Dichter und Denker wird zum Land der Dressierten und Duckmäuser. Da stolpert ein Betriebsratsvorsitzender über einen Facebook-Eintrag von dem nur eine dubios gesicherte Kopie im Umlauf ist, die dem Verlagsmanagement zugespielt wurde. Ja, Social Media kann schon für die unsozialsten Handlungen nützlich sein, wenn ein unbequemer Gewerkschafter losgeworden werden soll. Wer Streiks kennt, kennt auch die Schimpfworte, die vor den Werkstoren den Streikbrechern zugerufen werden. "Abschaum" und "Wichser" sind da noch die harmlosesten Bezeichnungen. Im Internet im Fratzenbuch geäußert, wirken die Worte wie eine virtuelle Bombe. Entdecke Deutschland! Zum Fest für die Menschenrechte sollte erinnert werden, dass die Meinungsfreiheit auch die Freiheit enthält, einmal laut Scheiße zu sagen, auch wenn das Internet dies überträgt. "The Revolution will not be televised", dichtete der am Freitag verstorbene Gil Scott-Heron. Wie das gemeint ist, erklärte er hier. Wer nicht aufsteht – wer nicht den Arsch hochbekommt – und für seine Rechte eintritt, hat schon verloren.

Was wird.

Wenn diese kleine Wochenschau in der norddeutschen Tiefebene online geht, ist weiter unten im Süden die Party im vollen Gange. 15 Jahre Telepolis wollen gefeiert, das journalistische Gewissen der deutschen Netcommunity will gepriesen werden. Eine kleine Zeitreise ist angesagt. Wer wüsste es schon, dass Telepolis zur Pflichtlektüre von Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger gehört, für die kommenden 15 Jahre und danach.

Noch ein Jubiläum steht an. "Ich war pleite. Ich hatte fünf Mal die Raten für meine Bude nicht gezahlt. Aber ich wollte unbedingt fertig werden. Dann war es endlich soweit. Ich schickte mein Programm zu Allan Hoeltje, der es bei Peacenet postete, einem Internet Service Provider, der sich auf das Hosten von politischen Bewegungen spezialisiert hatte, hauptsächlich auf die Friedensbewegung. Dann schickte ich es Kelly Goen, der das Programm in den Usenet-Newsgroups verteilte. Ich bat ihn, bei der Beschreibung des Programmes "US only" anzufügen. Ich hatte je keine Ahnung vom Internet und vom Usenet und wusste nicht, wie Software da verteilt wurde und "US only" ein hübsches Etikett war, ohne weitere Bedeutung. Ich wusste nicht einmal, wie man etwas in einer Newsgroup veröffentlicht. Das machte Kelly, der danach das Programm tagelang in allen möglichen Mailbox-Systemen reinstellte." Ein US-Wissenschaftler sprach von der härtesten Niederlage seit Vietnam, als er das Programm analysierte: Vor 20 Jahren, am 5. Juni 1991 verschickte Philip Zimmermann PGP 1.0.

Quelle : www.heise.de
Titel: Re: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: Jürgen am 29 Mai, 2011, 12:47
Der zitierte Kurs über "angewandte Phänomenologie" lässt Jugenderinnerungen aufkommen:
http://de.wikipedia.org/wiki/Dark_Star
Allerdings war die Bombe in dieser Story alles andere als virtuell, dafür ein abschreckendes Beispiel für die Gefahren von KI...
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 05 Juni, 2011, 07:00
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Ist es ein historischer Moment? Jeder Leser dieser Wochenschau wird sich daran erinnern können, was er am 11. September 2001 machte, als die ersten Nachrichten aus den USA Deutschland erreichten. Viele werden sich daran erinnern, was sie machten, als die Mauer fiel. Nun liegt ein weiterer histroischer Moment wie der Mauerfall hinter uns: Nach Italien entscheidet sich Deutschland für den Ausstieg aus der Kernenergie: "Nur eine rot-grüne Regierung konnte, im Kosovo-Konflikt, deutsche Soldaten zum ersten Mal wieder in einen Krieg schicken. Nur Schwarz-Gelb kann aus der Atomkraft aussteigen, ohne dass die Republik im Streit gelähmt wird." Es gibt einen Grund zum Feiern, auch wenn das Ziel noch lange nicht erreicht ist, wenn viele krude Kompromisse auf dem Weg liegen.

*** Wie kann dieser historische Moment beschrieben werden? Mit der Rede vom neuen Denken ist es nicht getan. Der Median liegt in Deutschland bei 44 Jahren: Als dieser Durschnittsdeutsche 1967 geboren wurde, begann das "Versuchsprogramm" zur Einlagerung von radioaktiven Abfällen im Salzbergwerk Asse, ein Müllskandal ohne absehbares Ende. Vor 50 Jahren, am 17. Juni 1961 wurde erstmals vom Versuchsatomkraftwerk Kahl Atomstrom in das Verbundnetz der Energieversorger eingespeist. Wenn dieser Irrweg 2022 zu Ende geht und Deutschland vollgepackt mit Windrädern und Solaranlagen das Internet der Dinge füttert, geht es nur noch um die Kleinigkeit, den Müll die nächsten paar Millionen Jahre unter Kontrolle zu halten. No risk, no fun!

(http://www.heise.de/imgs/18/6/7/2/8/1/1/2bc1048043af88bd.jpeg)
*** Von meinem Schreibtisch blicke ich auf zwei Windräder. Eines hat 30 Jahre auf dem Buckel und wurde aus Protest von Atomkraftgegnern aufgestellt. Das andere ist 7 Jahre alt und gehört zu einem Verbund von 232 Anlagen, die zusammen 374 Megawatt erzeugen. Bald werden zwei oder drei weitere Räder aufgestellt. In Ausmaß und Leistung sehr unterschiedlich, ist doch das Prinzip bei beiden gleich geblieben. Bei unserer Technik kann man das nicht sagen: Am 5. Juni 1977 wurden die ersten Apple ][ ausgeliefert, zum Preis von 1300 US-Dollar für ein Gerät mit 4 KByte Speicher. Jede Ähnlichkeit mit der iCloud ist zufällig, wie bei uns die wundersame Transformation von Steve Jobs, ein neues Buch: Was im Original "iLeadership for a New Generation" heißt, wird in der Übersetzung zu "iLeadership: mit Charisma und Coolness an die Spitze".

(http://www.heise.de/imgs/18/6/7/2/8/1/1/f53a859ff697c81e.jpeg)
Besser als jedes Merkel-Video vom Neuen Denken kann die deutsche Malaise vom "no risk" und "no fun", diesem furzbequemen das-haben-wir-nie-so-gemacht nicht illustrieren. Coolness ist ungefähr das Letzte, was ich dem eisernen Kontrollfreak Steve Jobs attestieren würde.

*** Ein anderes Jubiläum wurde bereits am Schluß der letzten Wochenschau angekündigt. Heute vor 20 Jahren verschickte Phil Zimmermann die erste Version von PGP, eine Handlung, die er heute vor 10 Jahren ausführlich auf der Cypherpunks-Mailingliste schilderte. Zu seiner Lebensleistung gehört es nicht nur, die Kryptografie für normale Nutzer und leistungsschwache Rechner ermöglicht zu haben, sondern auch, allen Beschuldigungen zum Trotz an seiner Idee von PGP festgehalten zu haben. Im Vorfeld zeitgenössischer Camping-Aktivitäten sei auch an das Outdoor-Treffen Hacking in Progress erinnert, als europäische Cypherpunks PGP befreiten und auf einem Server in Norwegen deponierten: Der Source-Code von PGP 5.0 wurde ausgedruckt, nachdem ein US-Gericht ein Exportverbot für die Software, nicht jedoch für den Quellcode verhängte. Aus dem Ausdruck erstellten 80 Helfer die neue Version und demonstrierten mit dieser Umgehung des Kryptoverbotes, dass Verschlüsselungsfreiheit ein wichtiges Bürgerrecht ist. Wer dies belächelt, sei daran erinnert, dass in jenen jetzt schon fernen Zeiten ein deutscher Innenminister ein Kryptoverbot erlassen wollte, das den Besitz von PGP unter Strafe stellen wollte. Noch die positiv formulierten Eckpunkte deutscher Kryptopolitik nach dem Abdanken dieses Ministers künden vom Misstrauen in die Verschlüsselungsfreiheit, die heute von einem Bundesdatenschützer straflos als Feature angemahnt wird. "Pressefreiheit ist einmal ein gutes politisches Schlagwort gewesen. Was heute verlangt werden muss, ist: Filmfreiheit und Rundfunkfreiheit. Die Zensoren machen aus beiden einen Kindergarten," schrieb Kurt Tucholsky im Jahre 1932. Die Verschlüsselungsfreiheit gehört zu diesen essentiellen Rechten – genau das erkannte Phil Zimmermann, als er mit der Arbeit an Pretty Good Privacy begann.

*** Kaum warnte Googles Eric Schmidt vor einer Balkanisierung des Internet, war es soweit. Syrien begann mit einer Aktion, einer Menschenrechtsverletzung, die zumindest in Ägypten nicht von Erfolg gekrönt wurde. Auch Libyen versuchte sich bekanntlich an der Abkoppelung, doch nicht nur das. Mit einem über die Kontaktlisten von Skype verteilten Trojaner hörten die Schergen von Ghaddafi auch die Skype-Telefonate ihrer Gegner mit. Bekanntlich wird auch bei uns mit Trojanern in Ermittlungssachen gearbeitet und diskutiert, ob davon abgesehen die Geheimdienste solchermaßen weiter schnüffeln dürfen. Sind so kleine Schritte, fallen einmal um.

Was wird.

Was wird werden wenn weitere Windräder werkeln? Die Fotos weisen darauf hin: Zunächst einmal kommt der Sommer und mit ihm die passende Füllung für alle denkbaren Sommerlöcher, das Sommerrätsel im WWWW, in den drei Sparten Hardware, Software und Persönlichkeiten, die, ob cool oder nicht, diese Branche prägen. Wer immer Ideen für interessante Rätsel hat, mag Anregungen mailen. Es darf auch ganz und gar trivial sein, wie diese sommerliche Veranstaltung es ausdrückt, die voller Fragen steckt: "Werden Computer zu trivialen Maschinen, der "love affair of the western culture", wie Heinz von Förster sie nannte? Ist nun das Feuilleton der Ort der Kritik des Digitalen, nicht mehr die Ecken der Assemblerprogrammierer? Braucht es keinen Durchblick mehr? Ist alles tatsächlich so trivial geworden?"

Kein Durchblick mehr! Das ist doch schon einmal ein schönes Sommermotto. Und so endet diese Wochenschau zum großen Mauerfall mit einer kleinen Internet-typischen Urheberrechtsverletzung in Erinnerung an das Geburtstagskind Frederico García Lorca, dem wir eines der schönsten Sommergedichte verdanken. Triviale gesinnte Naturen können es von Google Translate übersetzen lassen, so entsteht auch etwas Neues mit eigener Schöpfungshöhe ...

La casada infiel

Y que yo me la llevé al río
creyendo que era mozuela,
pero tenía marido.

Fué la noche de Santiago
y casi por compromiso.
Se apagaron los faioles
y se encendieron los grillos.
En las últimas esquinas
toqué sus pechos dormidos,
y se me abrieron de pronto
como ramos de jacintos.
El almidón de su enagua
me sonaba en el oído,
como una pieza de seda
rasgada por diez cuchillos.
Sin luz de plata en sus copas
los árboles han crecido,
y un horizonte de perros
ladra muy lejos del río.

Pasadas las zarzamofas,
los juncos y los espinos,
bajo su mata de pelo
hice un hoyo sobre el limo.
Yo me quité la corbata.
Ella se quitó el vestido.
Yo el cinturón con revólver.
Ella sus cuatro corpuios.
Ni nardos ni caracolas
tienen el cutis tan fino,
ni los cristales con luna
relumbran con ese brillo.
Sus muslos se me escapaban
como peces sorprendidos,
la mitad llenos de lumbre
la mitad Ilenos de frío.

Aquella noche corrí
el mejor de los caminos,
montado en potra de nácar
sin bridas y sin estribos.
No quiero decir, por hombre,
las cosas que ella me dijo.
La luz del entendimiento
me hace ser muy comedido.
Sucia de besos y arena,
yo me la Ilevé del iío.
Con el aire se batían
las espadas de los lirios.

Me porté como quien soy.
Como un gitano legítimo.
La regalé un costuiero
gfande de raso pajizo,
y no quise enamorafme
porque teniendo marido
me dijo que era mozuela
cuando la llevaba al río.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: ritschibie am 12 Juni, 2011, 13:23
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.


*** Es gibt viele Menschen, die stellen sich einen Zeitstrahl so vor, wie er in Geschichtsbüchern auftaucht. Da wird das Pferd erfunden, dann das Rad und hopps rast Ben Hur über die Kreuzung. Tatsächlich ist die Sache viel komplizierter. Man muss sich den Zeitstrahl als gordischen Knoten vorstellen, als Palstek des Grauens. 40 Jahre, nachdem Daniel Ellsberg in mühseliger Arbeit am Fotokopierer "United States-Viet Nam Relations, 1945-1967: A Study Prepared by the Department of Defense" kopierte, werden diese Pentagon Papers am Montag offiziell freigegeben. Heute ist Ellsberg ein Held, der Über-Whistleblower schlechthin, damals brachen die "Klempner" von US-Präsident Richard "Dirty Dick" Nixon in die Praxis von Ellsbergs Psychoanalytiker ein, um belastendes Material zu finden, mit dem die "Ratte" als Geisteskranker weggesperrt werden konnte. Feierlich sollen nun die 7000 Seiten der Pentagon-Papiere online gestellt werden, hübsch drapiert mit Festreden über die vierte Macht im Staate, die sich nicht einschüchtern ließ – aber über ein Jahr brauchte, die Papiere zu veröffentlichen. In dieser Zeit war Ellsberg fast am Durchdrehen, heißt es in dem Film The Most Dangerous Man in America, der zur Feier des Tages vom öffentlich-rechtlichen US-Fernsehsender PBS online als Stream gesendet wird. Drücken wir die Daumen, dass die leicht reizbaren Charaktermasken von Anonymous in dieser Handlung nicht wieder ein Angriff auf den Heiligenschein von Wikileaks sehen.

*** Während die Pentagon Papers ordentlich auf dem Zeitstrahl der Geschichte markiert sind, ist das "National Security Study Memorandum No. 1" weit weniger bekannt, obwohl es auch von Daniel Ellsberg öffentlich gemacht wurde. Das Memorandum ist ein Schreiben von Nixons Sicherheitsberater Henry Kissinger an das Pentagon, die NSA, CIA und das FBI. Kissinger wollte am ersten Tag der Präsidentschaft Nixons wissen, ob die südvietnamesischen Truppen gut genug gerüstet sind, um im Falle eines Abzugs der US-Armee alleine gegen den Vietcong kämpfen und bestehen können. Besonderes die Antwort der NSA war niederschmetternd: Die Truppen haben keine Chance und der Rückzug der Amerikaner ist unvermeidlich. Damals hatten viele Amerikaner das Gefühl, einen sinnlosen Krieg in Asien zu führen, doch erst das Memorandum lieferte das Wissen. Das Recht auf Wissen, wie es Perry Barlow funktioniert, ist wichtig und kostbar. In all den hübschen Gedenkartikeln fehlt dank Ellsberg nicht der Hinweis auf Bradley Manning, dem mutmaßlichen Informanten der derzeit homöopathisch arbeitenden Informationsplattform Wikileaks.

*** Was fehlt und mit zum großen Knoten gehört, ist die große Härte, mit der Barack Obama gegen Whistleblower vorgeht und damit längst seinen Amtsvorgänger Bush in den Schatten gestellt hat. Der Mann, der letzte Woche vom kleinen Mädchen Angela schwärmte, kassierte beim Versuch, einen anderen aufrechten Whistleblower für 35 Jahre wegzuschließen, eine empfindliche Niederlage. Die Rede ist von Thomas A. Drake, dem Kritiker des milliardenschweren Softwareprogrammes Trailblazer, dessen Entwicklung in einem Fiasko endete. Ein billigeres von der NSA selbst entwickeltes Programm namens ThinThread wurde gestoppt, damit Trailblazer keine Konkurrenz hatte. Drake wurde in zehn Punkten angeklagt, bei der NSA spioniert und hoch geheimes Material zu diesen Projekten verbotenerweise nach Hause mitgenommen zu haben, wo es ein Reporter der Baltimore Sun zu Gesicht bekam. Für diese besondere Variante des Whistleblowing ordnete der Richter Einblick in die Dokumente an, die angeblich bei Drake gefunden wurden. Die Papiere, die die Anklage letzte Woche präsentierte, reichten nicht, um das Gericht von einem schweren Geheimnisverrat zu überzeugen. Nun wird Drake wegen Computermissbrauch auf Bewährung verurteilt, eine harmlose Strafe.

*** Weitere Verfahren gegen Whistleblower beim Pentagon und beim Außenministerium stehen an, schließlich gibt es genug irrsinnige Großprojekte beim Militär, die nicht besonders funktionieren. Eines davon ist die militärische Überwachungstechnologie des Insight-Programmes, das in deutscher Übersetzung gleich zum megalomanen Panoptikum aufgebauscht wird. Liest man die von der Forschungsbehörde DARPA veröffentlichten Dokumente, so scheint die neue Überwachung nicht besonders effektiv zu sein: um 10 bis 20 "High Value Individuals" (HVI) in einem Gebiet von 100 Quadratkilometern rund um die Uhr verfolgen zu können, braucht es 4 Drohnen und insgesamt 168 Mann Bedienungspersonal im Schichtbetrieb. Bei dieser Zahl von Bedienern ist es wohl vorprogrammiert, dass Wikileaks oder eine vergleichbare Whistler-Plattform Videos oder Fotos einer HVI-Verfolgungsjagd veröffentlichen wird. Da macht ein US-Gesetz im Staate Tennessee gleich Sinn, das die Veröffentlichung von Fotos im Internet unter Strafe stellt, wenn diese Fotos eine emotionale Bedrohung beim Betrachter auslösen. Als Beispiel solcher Fotos wurden in der US-Debatte Bilder aus dem Video "Collateral Murder" genannt, für das Wikileaks in diesen Tagen den Whistleblower-Preis 2011 bekam. So schließt sich ein Knoten.

*** "Die Massen machen vielleicht Geschichte, aber sie können sie bestimmt nicht erzählen. Es sind die dominierenden Minderheiten – die man auf der Linken 'Avantgardisten' und auf der Rechten 'natürliche Eliten' nennt – die die Geschichte erzählen. Und die sie nach Bedarf neu schreiben, wenn der Bedarf spürbar wird, und von ihrem dominierenden Gesichtspunkt aus, wird der Bedarf danach oft spürbar." Jorge Semprún schrieb diese Sätze über sein Bedürfnis, von einem Dezembersonntag im KZ Buchenwald im Jahre 1944 zu berichten. Mit ihm ist in dieser Woche eine große Stimme der Literatur gestorben, die auf ihre Art von totalitaristischen Verknotungen in Ost und West berichtete, als wieder der Bedarf da war, die Geschichte zu erzählen.

*** Ein ordentlicher trojanisch-gordisch-zierckensischer Knoten ist die Sache mit der Vorratsdatenspeicherung. Nun ist der Gesetzentwurf des Justizministeriums draußen, über den die Datenfanatiker entsetzt sind, ihre Gegner aber auch. Denn die Speicherdauer von IP-Adressen hat es in sich, auch wenn das Gesetz mit einem Verbot einherkommt, diese Adressen schon für Ordnungswidrigkeiten zu benutzen. Was aber ist, wenn mit diesem wunderbar fluppenden IPv6 mein Stromzähler im Netz herumpöbelt? Gelten die Aufwandsentschädigungskosten von 40 Euro pro IP-Adresse auch für die Dutzende von Adressen, die ein normaler Haushalt künftig besitzt? Und wo ist die Grenze für Kleinunternehmen, die von der Vorratsdatenspeicherungspflicht ausgenommen werden sollen? Vielleicht ist der Blick auf die Details des Entwurfes verfrüht, weil Justiz- und Innenminsterium in dieser Frage so verknotet sind, dass ein Schwerthieb nichts ausrichtet und sogar das Lichtschwert der Jedi-Ritter um Gnade wimmern dürfte. Die Antwort unseres Innenministers auf den Entwurf seiner Justizkollegin steht noch aus. Statt Schwert dürfte er die gesprochene Bombe bevorzugen. Ein passender Termin in Bonn: die offizielle Eröffnung des Cyber-Abwehrzentrums am kommenden Donnerstag oder die offizielle Geburtstagsfeier des BKA am nächsten Tag.

Was wird.

Hopplahopp, schon sind wir in der Zukunft angelangt, so vertrackt sind Knoten. (Das "wir" ist hier gemeint als Puralis Journalistis von nichts schnallendem Journalist und kundiger Leserschaft. In pfingstlicher Ruhe kann noch der 100. Geburtstag von Nobelpreisträger Louis Walter Alvarez begangen werden, der in Deutschland als Erfinder des bodengesteuerten Anflugsystems bekannt wurde, durch den die auch bei schlechtem Wetter funktionierende Berliner Brücke erst möglich wurde. In der Populärwissenschaft ist er der Mann, der das Verschwinden der Dinosaurier durch einen Meteoriteneinschlag erklären konnte. Das Leben von Alvarez ist von seinem Freund Arthur C. Clarke in "Glide Path" beschrieben worden, dem einzigen Tatsachenroman des Science-Fiction-Schriftstellers.

Was ist die Zukunft ohne Knoten? Gleich nach Pfingsten startet ein Kongress, der die Generation Unsicherheit zum Thema hat und von einer Welt im "Veränderungsstress" handelt. Für die kommenden Leader ab 2021 soll in hübscher Umgebung gezeigt werden, wie sie ihr Geld verdienen können. Bleibt die Frage, welches Geld das sein wird, griechische Euros oder diese Bitcoins, über deren Prinzip viel Unsinn erzahlt wird. So warnte ein digitaler Bundesverband, der "Wir sind das Netz" als Motto vereinnahmt, vor den seuchenschrecklichen eGeldstücken, während ein Blatt vom Wikileaks des Geldes schwafelte. Da trifft es sich gut, dass ausgerechnet der Bitcoin-Chefentwickler Nils Schneider die Keynote für die Generation Unsicherheit hält. Die legt dann in Bitcoin in der Cloud an und nicht Old School in Goldbarren im Tresor. Some like it hot.

Quelle: www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 19 Juni, 2011, 00:07
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Glückliches Deutschland! Seit letzter Woche haben wir offiziell eine "zentrale regierungsnahe Informationsstelle über Software-Schwachstellen, Dienstablehnungsangriffe und sonstigen Netzfug". Weil Zereinüsoschdieusone nicht eben einfach zu memorieren ist, ist daraus fesch das nationale Cyber-Abwehrzentrum geworden. NCAZ, mit leichten Anklängen an Alcatraz und den schwer schuftenden nationalen Cyber-Sicherheitsrat. Auch das Gemeinsame Internetzentrum lässt grüßen und spendet Beifall. Jubel? Jubel!. "Im BSI in Bonn-Mehlem hat die Kernmannschaft von 10 Mitarbeitern ihr Domizil. Gemeinsam mit weiteren Verbindungsbeamten der assoziierten Behörden analysieren die Spezialisten IT-Vorfälle, tauschen Informationen aus, spielen Szenarien durch und geben Handlungsempfehlungen heraus." Der erste Erfolg ist schon sichtbar. Während die Lageberichte des BSI zur IT-Sicherheit bisher alle zwei Jahre erschienen sind, sollen sie künftig cyberschnell jährlich veröffentlicht werden. Wie wäre es denn mit der Schlagzahl des Bundes-CERT und entsprechender Aufstockung der Abwehrkräfte?

*** Lieber nicht. Punkt 16:00 am Freitag ist Schluss mit den Empfehlungen. Dann werden die speziell trainierten Cyber-Hunde der Hundestaffel Gassi geführt und müssen nicht mehr erschnüffeln, wer ein Hund ist oder eine lesbische Bloggerin in Syrien. Dann gehen die 10 Super-Cyber ins Wochenende und überlassen die Beobachtung des Cyberraums dem Gemeinsamen Melde- und Lagezentrum (GMLZ) und dem Gemeinsamen Terrorismus-Abwehrzentrum (GTAZ), das seit Jahren Erfolge über Erfolge anhäuft.

*** Alle, alle kamen sie nach Bonn in die ehemalige Zentrale für Chiffrierwesen zur Eröffnung des neuen Arbeitsplatzes von "Friedrichs Zehn" auf der Mission Impossible. Mächtige Generäle und Katastrophenschutzvorsitzende, aber auch einfache Bittsteller wie Jörg Ziercke vom BKA, das tags darauf ebenfalls in Bonn offiziell seinen Geburtstag in einem Spannungsfeld feierte. Seine Wiesbadener Organisation ist derzeit ja praktisch blind, so ohne Vorratsdaten und Gefriertrocknung derselben. Für alle, die kamen, stand auf dem Parkplatz ein exklusiver Toilettenwagen voll Marmor- und Mahagoni-Imitaten bereit. Wer ihn betrat, wurde mit Musik und Düften besäuselt.

*** Eine derart stilgerechte Kotztüte für diesen ganzen Cyber-Circus macht Sinn. Man denke nur an die Milliarden von DM und Euro, die Deutschland nicht erst seit Clementgate in US-amerikanische Software investiert hat, ohne ein Fünkchen von Überlegung, ob selbst entwickelte, nationale Alternativen nicht vielleicht der bessere Weg sind. Die Milliarden, die in Deutschland von Staats wegen in den Kauf eines Dauerpatch namens Microsoft Windows in seinen verschiedenen Varianten gesteckt wurden, hätten locker gereicht, ein eigenes, von Grund auf sicheres Betriebssystem für staatliche Rechner zu entwickeln. Das völlige Versagen der Informatik in dieser Frage ist eklatant und kann nicht allein damit erklärt werden, dass Deutschland einstmals das führende Land war, gemessen an den OS/2-Installationen einer Firma, die in diesen Tagen den großen Trallafitti macht. Ein Land, das mit SAP bei Software für die Buchführung, das Controlling, die Lagerhaltung und das Personalwesen den Markt beherrscht, ein Land, in dem Steuerberater mit ihrer Genossenschaft das weltweit größte Data-Mining betreiben und über Google lachen, hat es nicht geschafft, Sicherheit auf einem ganz banalen Alltagsniveau gegen den Schrott aus Amerika durchzusetzen. Natürlich kann die gelehrte Informatik auf Sprösslinge wie Eumel, L3 und schließlich L4 verweisen, doch bleibt das Rätsel bestehen, warum ein Airbus damit sicher gemacht werden kann, ein simpler PC aber nicht.

*** Das Elend setzt sich mit einer anderen amerikanischen Firma namens Adobe fort. Während die Bildpresse das Cyber-Abwehrzentrum in allen Stellungen ablichtete, plauderte der BSI-Mitarbeiter Hartmut Isselhorst über die Angriffe, mit denen sich das Abwehrzentrum beschäftigt. Er zeigte Webseiten, wo 0-Day-Exploits gehandelt werden, demonstrierte, wie ein Angriff mit dem Pinch 2 Pro Builder zusammengefrickelt und in ein hübsches PDF namens "Kongressunterlagen" gepackt wird, ehe es als Mail-Attachment auf die Reise geht. Dabei geht die E-Mail gezielt an einen Behördenmitarbeiter und selbst der Verteiler im cc: ist bis ins Detail "echt". Wird das PDF trotz Firewall und AV-Programm ausgepackt, macht es sich an die Arbeit und schickt seine Ergebnisse an eine von über 200 Dropzonen, die das BSI allein in Deutschland kennt. 1.107.431 "Datensätze" sollen so im Jahre 2010 aus dem Regierungsnetz geflossen sein, was zu der Frage führt, warum es keinen selbst entwickelten sicheren, besonders gehärteten PDF-Viewer gibt. Der Wert der entwendeten Daten wird mit dem Wert eines Kampfhubschraubers verglichen. Muss erst ein Daten-GAU im Wert eines Flugzeugträgers passieren? Ach, dann ist es ja Cyber-War, der echte Krieg und andere sehen hin.

*** Überhaupt ist der Cyber-War ein Wort, das im Cyber-Abwehrzentrum wie der leibhaftige Gottseibeiuns gemieden wird. Man will um jeden Preis die Abwehr ohne den Gegenangriff. Die Fieberkurve eines DDOS auf ein deutsches Ministerium wurde gezeigt, das 24 Stunden lang nur schwer erreichbar war. Ein harmloser Online-Protest, Herrschaften, bitte weiter gehen. Ab sechs dieser DDOS-Attacken wird der Vorfall als systemische Blockade gewertet. Sollte aber ein komplettes Netz wie der Informationsverbund Bonn-Berlin angegriffen werden, greift die Analogie zur Seeblockade und das Ganze ist ein kriegerischer Akt, auf den gesamtkybernetisch geantwortet werden muss, mit Vergeltungsanschlägen, wie dies der Bündnispartner USA formuliert. Wie schön, dass dort eine Defense Industrial Base und ein virtuelles Testgelände namens National Cyber Range hochgezogen wird, auf dem unsere Bundeswehr mitüben darf, wie man so kämpft im Cyberwar.

*** Sowohl BSI-Mitarbeiter Isselhorst wie BSI-Chef Hange und Innenminister Friedrich erwähnten in ihren Festreden zur Eröffnung das arme Handelsblatt, das im Februar 2010 unfreiwillig für einen Drive-By-Exploit über den Browser instrumentalisiert wurde. Auch hier muss die Frage erlaubt sein, was eigentlich bei der Entwicklung von Browsern passiert ist, dass aus harmlosen Dokumentenbetrachtern aktiv im lokalen System herumpfuschende Angriffsvektoren wurden. Für Puritaner liegt der Sündenfall weit zurück, als Marc Andreessen bei Netscape die Cookies einführte. Oder begann es schon früher mit den ersten kybernetisch inspirierten Tools?

*** Disclaimer: Diese kleine Wochenschau ist von dem Blogbeitrag von Hadmut Danisch inspiriert worden, der die Fragen etwas anders zuspitzt. In einem Punkte ist ihm unbedingt zuzustimmen: Die Dramatik des 'Cyber-War' beruht keineswegs darauf, daß wir nun von so vielen bösen Chinesen und Russen angegriffen werden. Sie beruht darauf, daß wir selbst etwa 20 Jahre lang in Ignoranz und Dummheit einen so großen Haufen schlechter IT-Technik aufgetürmt haben, der so voller Sicherheitslöcher ist, daß wir sie nicht mehr in den Griff bekommen – die schiere Quantität, aber auch das Fehlen einer eigenen Industrie in diesem Bereich machen das unmöglich. Alle Welt redet von der Problematik der Atomendlager, wo wir die Sünden der letzten Jahre hinpacken. Daß aber der Cyber-War und unsere Verletzlichkeit tatsächlich nur die Folge von über 20 Jahre politischer und wissenschaftlicher Ignoranz ist, und unser Sicherheitsproblem der in dieser Zeit als Infrastruktur aufgehäufte unsichere Mist, also nicht die bösen Hacker, sondern unser Management und unsere Politik die Täter sind, wird verschwiegen. Die Unsicherheit, die Verletzlichkeit im Cyber-War ist nicht systemimmanent. Sie ist eine spezifische Eigenschaft des IT-Mistes, aus dem wir in den letzten 20 Jahren unsere Infrastruktur kritiklos gebaut haben. Nun haben wir den Salat, aber keine Exit-Strategie.

Was wird.

Wird es besser, wenn am Dienstag der Sommer anfängt? Salattechnisch gesehen gibt es keine Besserung und auch sonst sind die Themen im Frankfurter Raum eher trist, wie die Agenda der Innenminister-Konferenz (PDF-Datei!) zeigt. Das nationale Waffenregister, die Evaluierung und mögliche Verlängerung der Sicherheitsgesetze, der bald anstehende Wirkbetrieb des "Nachrichtendienstlichen Informationssystems/Wissensnetz" (NADIS WN) und der Dauerbrenner Vorratsdatenspeicherung stehen unter anderem auf dem Programm. Ob wieder in hübscher Überschreitung aller Zuständigkeiten an einer "Formulierungshilfe" gewerkelt wird, die uneinsichtige Bundesjustizministerin von ihrem ach so paralogischen "Quick Freeze" zu bringen?

Was wäre ein Ausblick in den anstehenden Sommer ohne die wöchentliche Ration Cyberwar? "Wettrüsten in Cyberspace" diskutiert ein Workshop des FONAS und der Hamburger Friedensforscher das Thema des Sommerloches schlechthin. Ob die Abrüstung des ganzen "IT-Mistes" in Hamburg zur Debatte steht, ist nicht bekannt. Mit Viola ab in den Sommer. (Hal Faber)

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 26 Juni, 2011, 07:08
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Ehe es in den bunt gescheckten, fröhlichen Sommer geht, muss ein weiteres großes Thema abgehandelt werden, das eng mit dem Thema Cyber-Abwehrzentrum und der selbst verschuldeten Unsicherheit der Computertechnik verbandelt ist. Nein, es geht nicht um das neue Nationale Zombie-Abwehrzentrum oder sein US-Pendant, das Zombie Combat Command der US-Armee. Es geht um andere, sehr US-amerikanische Unternehmungen. Die Rede ist vom Cyber-War und seiner besonderen Ausprägung, dem Cyber-Peace. In der vergangenen Woche wurden die öffentlichen, nicht als geheim klassifizierten Cyberwar Guidelines in der Presse diskutiert, die US-Präsident Obama im April unterzeichnet hat und die damit Bestandteil der US-amerikanischen Militärdoktrin geworden sind. Erstmals ist damit klar festgelegt, wann und wie das Militär den Präsidenten informieren muss, wenn es einen Cyber-Angriff plant. Festgelegt ist damit auch, was den Cyber-Kriegern in Friedenszeiten erlaubt ist und wie sie ihre Cyberkampffähigkeiten (PDF-Datei) entwickeln und quasi in Alarmbereitschaft halten müssen.

*** Nichts Neues unter der Sonne, urteilen die üblichen Verdächtigen, die als Cyber-War-Experten herumgereicht werden. Nichts Neues, tönen auch die Anti-Virus-Experten, die in dem Cyber-War neuen Ansporn für eigene Hüte entdecken. Wahrscheinlich haben sie alle recht in der Annahme, dass heute schon US-Spezialisten als militarisierte LulzSec-Varianten in deutschen, russischen oder chinesischen Netzen stöbern, um Angriffsvektoren, vulgo Sicherheitslücken zu finden. Nun gehört diese Suche offiziell zum Einsatzauftrag. Das Austesten von sicheren Übertragungsrouten bis hin zu den Cyberburgen des Feindes ist eine friedliche Sache und darf auch Netze befreundeter Staaten nutzen. Erst wenn bösartige Payload mitgeführt ist, die als Cyberbombe einer Cyberattacke zuzuordnen ist, müssen die Krieger eine Erlaubnis des Drittstaates einholen, ähnlich einer Überfluggenehmigung in den Lüften des Meatspace. Die scharfe Attacke braucht freilich auch eine Order des Präsidenten. Es sei denn, sie wird der offiziellen Terminologie nach mit einer "logischen Bombe" oder einer "Zeitbombe" durchgeführt, einem harmlosen Progrämmchen, das in einem weiteren Schritt scharf geschaltet werden muss.

*** Ausnehmend schön sind die Überlegungen zur Ethik in diesem Cyber-War. Ethik ist ja schwer in Mode in einer Zeit, in der selbst ethische Malcoder auf Konferenzen hofiert werden wie sonst nur die romantisch lulzenden Anonymous. Ethisch ist es also, wenn man zum Schluss kommt, dass es Gesetze braucht für den Krieg, analog zur Haager Landkriegsordnung; dass Cyberattacken digital so signiert sein müssen, dass der Gegner erkannt werden kann. Das Ganze komplett mit der Hinterlegung des Public Keys jeder Militäreinheit bei den Vereinten Nationen, damit überhaupt korrekte Cyber-Friedensverhandlungen aufgenommen werden können. Stellen wir uns vor, es ist Cyberkrieg und ein gegnerischer Staat schafft es, die verschiedenen Instanzen der NetOpFü unserer Bundeswehr zu kapern, zu entführen oder kryptographisch so zu verdongeln, dass die selbstorganisierten Kampfeinheiten sich keine Marschorder mehr abholen können. Solch ein Fall dürfte ein richtiger Cyber-War sein, ganz im Gegensatz zur begrüßten Präsenz der Bundeswehr auf Facebook. In den anschließenden Friedensverhandlungen wird es dann darum gehen, dass die Kombattanten ihre Schlüssel austauschen oder ein hübsch verpacktes Backup-Bändchen überreichen.

*** Mit den offiziellen Cyber-War-Guidelines der USA gewinnt ein Thema an Bedeutung, das bereits im letzten WWWW angeklungen ist. Wer sich im Cyber-War auf Systeme verläßt, in denen Chips des Gegners stecken, hat schon verloren. Schließlich könnte in den Chips versteckt ein Schadcode auf seine Aktivierung warten, um das ganze System zu übernehmen oder ganz real in einer Drohne die Steuerung auf /dev/null/krachbummsaus zu setzen. Sichere Chips müssen her, ehe ein Cyberkrieg ohne Risiken und Nebenwirkungen geführt werden kann. Von hier aus ist es nur ein kleiner Schritt zu Chips mit einem chemischen Substrat, das mit ein paar Befehlen erhitzt zum Gas werden kann und in der Lage ist, ein feindliches Rechenzentrum zu zerstören.

*** Über die Ursprünge des Cyber-War gibt es cytausend Theorien. Die einen nennen das Jahr 1982 und die Explosion einer Gas-Pipeline bei Tscheljabinsk als erste Kriegshandlung, die anderen den ersten Irak-Krieg im Jahre 1999. Immerhin gibt es Einigkeit über die Ursprünge des Cyberfriedens. Es ist der Berliner Funkentelegraphievertrag von 1906, in dem sich die Staaten auch im Falle kriegerischer Auseinandersetzungen verpflichteten, im Äther Regeln einzuhalten: Schade nicht dem System, identifiziere dich, halte die Standards ein und respektiere Notfälle. In der Folge hielten sich die Staaten daran und statt der Störung entwickelte sich die Kryptographie zu neuen Höhen: Trotz aller Standards muss der Gegner nicht wissen, was die Inhalte der Kommunikation sind.

*** Zu den Ursprüngen des Cyber-War biete ich eine andere Lesart an und knüpfe sie an ein trauriges Jubiläum: Vor 20 Jahren erklärten Slowenien und Kroatien ihre Unabhängigkeit von Jugoslawien. Die letzte Party im Frieden wurde gefeiert, "der letzte ruhige Tag", berichtet ein lehrreicher Text der taz, natürlich offline. In den Jugoslawienkriegen tauchte sie auf, die Idee von der Information Superiority. Sie findet sich in Dokumenten der NATO über den damals entstandenen Bosnien-Konflikt in einem Papier, das Dank der militärischen Informationsplattform Lotus Notes weithin zirkulierte:

President Milosovivcz was shown the direct impact IFOR action would have on the Serbian military and the combat effectiveness of his forces. The convincing diesplay of superior information had the desired effect ....... then. Some celebrated this as the 'first victory' for 'Information Warfare' and 'Information Superiority' received worldwide recognition after it was shown that it positively contributed to the ceasing of military activity and the attainment of political objectives.

Heute wissen wir, dass sich Milosevic vielleicht nach außen hin beeindruckt zeigte, aber nicht wirklich beeindruckt war. Der Krieg ging weiter, in aller Brutalität, nur die NATO feierte ihr Konzept und obendrein das angebliche Präzisionsbomben, das bekanntlich Gaddafi in Libyen binnen kürzester Zeit zur Aufgabe bringen sollte. Alle großartigen Ideen vom künftigen Cyber-War wurzeln in der Idee von der Information Superiority: Im Bewusstsein, die überwältigend besseren Informationen zu haben, wird losgeschlagen, weil die Informationen der anderen notwendigerweise Informationsmüll sind. Doch auch in diesem kommenden Krieg wird das erste Opfer die Wahrheit sein und Facebook das zweite. Über den Rest, das Tralala von Social Media und Open Government, wird ein hübsches Tuch gezogen, das vom Gestank der Verwesung ablenkt. Als "Sieger" bleibt die Firma übrig, die als Suchmaschine die militärische Variante der "Information Superiority" oder bei uns halt als "NetOpFü" geliefert hat.

Was wird.

Bekanntermaßen ist in dieser Woche in Dresden ein Fall von massenhafter Datenauswertung über eine Demonstration bekannt geworden, der vielleicht besser als "Dresdener Kessel" behandelt werden sollte. Denn mittlerweile stellt sich heraus, das offenbar ganz Dresden überwacht wurde und mehr als eine Million Verbindungsdaten durch das SS8-System der Provider bei den sächsischen Fallanalytikern ausgewertet wurden. Die Aktion ist eine Art Erinnerungsgala an die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes über die informationelle Selbstbestimmung beim Volkszählungsurteil von 1983: Wer weiß, dass er überwacht wird, wird nicht auf Demonstrationen gehen. "Wer unsicher ist, ob abweichende Verhaltensweisen jederzeit notiert und als Information dauerhaft gespeichert, verwendet oder weitergegeben werden, wird versuchen, nicht durch solche Verhaltensweisen aufzufallen." Das wäre das Ende aller Demokratie. Nett, nett, dass sich gerade die Polizeitage in Kiel in der anstehenden Woche mit dem leidigen Thema IT und Persönlichkeitsschutz beschäftigen. Da lobt man sich doch, dass gerade ein alternativer Polizeikongress für " eine alternative Polizeipolitik", "für mehr Transparenz und Verantwortung bei der Polizei" trommelte. Bullen, hört die Signale!

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 03 Juli, 2011, 00:13
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** "Wir haben die Meinungsfreiheit nicht inhaliert, wir lassen Sie nur in Rauch aufgehen." Was Polizei und Sicherheitspolitiker allein in dieser Woche an Schlagzeilen produzierten, zeigt die Gefahr des legalistischen Terrors. Neben der millionenfachen Telefonüberwachung Dresdener Funkzellen wurden auch Gespräche mit einem IMSI-Catcher abgehört, aber "nicht aufgezeichnet", unter tätiger Mithilfe von Staatsanwaltschaft und ja sagendem Richter. Angeblich bestand der dringende Verdacht der Bildung einer kriminellen Vereinigung von zwei Mobiltelefonen, die im Zuge einer seit längerem laufenden Ermittlung lokalisiert werden mussten. Während mit der Vorratsdatenspeicherung laufend der Aufbau größter Datensammlungen ohne Anlass gefordert gefordert wird, zeigt Dresden, wie eine anlassbezogene Datensammlung Demokratie und Datenschutz demolieren kann, alles im Namen des Kampfes gegen den Linksextremismus. Der Irrsinn hat Methode, nur rechnen kann er nicht: In dem gerade vorgestellten Verfassungsschutzbericht 2010 ist die Zahl linksextremistischer Gewalttaten von 1115 im Jahre 2009 auf 944 im Jahre 2010 leicht gefallen. Dazu schreiben die Verfassungsschützer, dass es beim Linksextremismus zwar "Organisationsbemühungen" gebe, dass aber "terroristische Strukturen nicht erkennbar" seien. Wie meldet man so eine Aussage auf der Titelseite? Zunahme linksextremer Gewalttaten "gigantisch". Wäre da nicht das Röntgenbild eines Journalisten mit seinem Laptop und dem Wahlspruch der von Frundsbergs, "Viel Feind', viel Ehr'", könnte man glatt an seinem Verstand zweifeln, der im Hirn seinen Sitz haben soll.

*** Mit dem Verfassungsschutzbericht in der Hand hat Bundesinnenminister Friedrich von einer Gewaltspirale gesprochen und sich die Sätze des niedersächsischen Scharfmachers Schünemann zu eigen gemacht, der eine Linie vom Brandanschlag auf Autos zum Morden der RAF gezogen hatte. Doch in Gefahr und höchster Not bringt der rechte Weg die gute Nachricht: Die Verlängerung der meisten Anti-Terror-Gesetze ist die beruhigende Antwort auf die schreckliche Gewaltspirale. Nur die sinnigerweise "kleine Lauschangriff zur Eigensicherung" genannte Abhörtechnik, die die Ermittler selber tragen mussten, damit Gespräche mitgeschnitten werden konnten, wird abgeschafft. Dafür werden die Auskunftspflichten von Fluggesellschaften erweitert und was die Postdienstleister über Postfächer informieren müssen, wird "evaluiert", ob dieser Passus nicht auf E-Mail-Anbieter ausgeweitet werden kann. Schließlich könnte ja mit Links der nächste Terroranschlag per E-Mail kommen. Wer Autos anzündet, ist zu jedem Attachment fähig.

*** Es gibt Nachrichten, die elektrifizieren. Dazu gehört nicht nur der epochale Beschluss über den Atomausstieg, mit dem spät, aber nicht zu spät aufrecht hockende Sieger geehrt werden. Dazu gehört auch die Warnung der Datenschützer vor den smarten Stromzählern, die den "gläsernen Verbraucher" in den Haushalten installieren. Dass die neuen feuchten Überwachungsträume eine alte, staatschnüffelnde Komponente wieder aufleben lassen, gehört zu den unbequemen Wahrheiten der Energiespirale, ähem, Wende. Die Nachrichten, dass die intelligenten Zähler kaum sparen helfen, weil sie teuer sind, überraschen nicht. Dabei sind die Datensilos die Stromkonzerne zur Überwachung der Verbraucher einrichten wollen, nicht einmal eingerechnet. Insofern ist es konsequent, wenn Microsoft und Google sich aus diesem Markt verabschieden.

*** Abseits des Hype um Hertzfeld+ geht die Neben-Nachricht unter, dass auch bei Google Health die Lichter ausgehen. Zu schwierig die Dateneingabe für Google-Nutzer, noch schwieriger die Daten-Abgabe von den Ärzten und Krankenhäusern, die ein Eigentumsrecht geltend machten. Aufgeklärte, mündige Patienten, die souverän mit einer relativ komplexen Software umgehen können, ist eine Idee, die mindestens 10 Jahre zu früh kommt. Auch Microsoft, das bei HealthVault mit Partnern einen einfacheren Weg eingeschlagen hat, rechnet derzeit, ob sich die Sache lohnt. Wäre da nicht diese unheimliche Gewaltspirale. Im Kampf gegen den Terror laufen Bankdaten via SWIFT in die USA, auch die Fluggastdaten von Transatlantikflügen gehen diesen Weg. Stimmen die Interna, so sollen auch die Daten über innereuropäische Flüge über den großen Teich geschickt werden. Ganz unscheinbar versteckt in einer Analyse über die zukünftige Rolle der EU-Nachrichtendienste (PDF-Datei) findet sich eine Fußnote 11 mit der Bemerkung: "Zugriff auf Banktransferdaten im Rahmen des SWIFT-Abkommens und der Weitergabe von Passagierdaten im Rahmen des 'Passenger Name Record'-Abkommens. Auch ist wohl langfristig der Zugriff der US-Behörden auf Gesundheitsdaten von EU-Bürgern im Rahmen eines Forschungsprogramms geplant." Am Ende brauchen wir analog zum Vorschlag des obersten Datenschützers zur Aufnahme der Organspendebereitschaft auf der elektronischen Gesundheitskarte eine Widerspruchsklausel für den Medizindatentransfer ähnlich wie sie Österreich-Urlauber brauchen. Willkommen in der Absurditätsspirale oder, für Lateiner: Difficile est satiram non scribere.

*** Das Internet ist bekanntlich eine Ansammlung von Katzenbildern und Rechtschreibfehlern, mit dramatischen Auftritten von Sockenpuppen mittendrin. Nur die deutsche Wikipedia hebt sich davon ab und will deshalb prompt Weltkulturerbe werden. Im Land der Dichter, Denker und Exlusionisten, im Land mit der höchsten Denkmaldichte und der besten Fußballerinnenfrauschaft der Welt geht alles mit rechten Dingen zu. Geht es nicht, sind Rechtsanwälte am Werk, beauftragt von Wiki-Watch, noch ohne Eintrag in der Lobbypedia. Bekannt wurde Wiki-Watch vor allem in letzter Zeit durch das ständige Bemühen, Vroniplag zu diskreditieren. Nun hat ein Artikel auf mögliche Verbindungen zur Pharmaindustrie (PDF-Datei) aufmerksam gemacht und der Streisand fliegt hoch rund um das Weltkulturerbe. Da outen wir uns glatt als richtige Kulturbanausen und erinnern an den ollen Burckhardt über den Gegensatz von Spontaneität und Zwangsjacke: "Kultur nennen wir die ganze Summe derjenigen Entwicklungen des Geistes, welche spontan geschehen und keine universale oder Zwangsgeltung in Anspruch nehmen."

Was wird.

Wenn diese kleine Wochenschau aus der norddeutschen Tiefebene still und leise inmitten allem Katzencontent online geht, ist das Schau-Abendmahl mit Assange vorüber, sind die Assangeblaten gegessen, die Wikigläser geleert. Vorab bekannt wurde nur, dass der Philosoph Slavoj Zizek mit einem Lenin-T-Shirt auftreten will, um den großen Assange mit seiner Vergangenheit zu konfrontieren. Nach einem reichlich pathetischen Werbevideo hat Wikileaks allein bei Mastercard 15 Millionen Dollar auf einem Konto, das eingefroren wurde. Im Vergleich zu den nachgewiesenen Summen, die die Wau Holland-Stiftung veröffentlicht hat, ist das eine exorbitante Summe. Angeblich soll sie nun von Wikileaks-Anwälten eingeklagt werden. Mastercard verweist ungerührt auf seine allgemeinen Geschäftsbedingungen, von denen es etliche sehr unterschiedliche nationale Varianten gibt, die illegale Zahlungsaktivitäten jeweils anders interpretieren. Das liegt daran, dass die eingebundenen Banken jeweils das nationale Recht umsetzen. Entscheidend wird es sein, wo das Konto angelegt wurde und ob überhaupt Wikileaks-Spenden auf Assange als Eigentümer dieser Beträge hinauslaufen dürfen. So ist der transkontinentale Held wieder in staatliche Grenzen verstrickt, wie im echten Leben auch, wo er auf die nächste Verhandlung zur Auslieferung wartet, die unmittelbar bevorsteht. Auf die Wau Holland-Stiftung scheint er nicht mehr angewiesen zu sein, ihre Bankdaten sind im Spendenformular durch Bitcoin-Angaben offenbar mit Absicht zerschossen worden. Angesichts der unklaren Situation von Bitcoin, die Organisationen wie die Electronic Frontier Foundation zur vorsichtigen Distanzierung von dem Miner-Projekt veranlassten, ist das ein hübscher Schubs für den Blick in die Zukunft. Um es mit Lenin zu sagen: "Sage mir, wer dich lobt, und ich sage dir, worin deine Fehler bestehen."

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 10 Juli, 2011, 00:24
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Diese Ausgabe der kleinen Wochenschau ist eine Notnummer. Denn der kleine, feine Verlag in der norddeutschen Tiefebene zieht um in ein Ensemble aus Banane, Kamm und Brummkreisel. Vorbei die Zeiten, als die Kolumne in dunkler Nacht auf einem einsamen Parkplatz von einem schwarzen Radfahrer abgeliefert wurde, der mit einem kehligen Lachen, harhar, verschwand. In Zukunft wird ein kleiner See der geheime Treffpunkt sein und ein als Ente getarnter Bote den Radler ersetzen und sich unter das Zeitungs-Entenpärchen mischen müssen. Gehetzte Blicke im Hause Heise, Umzugskartons allerorten, erschöpfte Redakteure, die jahre- wenn nicht jahrzentealten Mist aussortieren. Kann noch wer ein OS/2 Warp gebrauchen? Oder wie wärs mit einer Sicherheitssuite für Windows 95, immerhin nicht mehr auf Disketten? Gereiztes, irres Kichern. Genau die richtige Stimmung, um an das Geburtstagskind Harvey Ball zu erinnern, der heute 90 Jahre alt geworden wäre. Der Werbefachmann Ball entwarf 1963 den Smiley, als zwei Versicherungen fusionierten und die Stimmung im Keller war. Er verkaufte das gelbe Grinsegesicht für 45 Dollar an die Firma, die heute passenderweise Hanover Insurance heißt. In der Werbebranche galt Harvey Ball als ausgemachte Niete, weil er sich nicht um das Copyright des Smiley gekümmert hat. Später gründete er immerhin die World Smile Foundation und erklärte den ersten Freitag im Oktober zum World Smile Day. Ein Smiley für die KWA10-Umzügler, dazu ein lauthals fröhlich geschmettertes Verdi-Ständchen: "Annulla, Riprova, Tralascia?"

*** Anderswo wird nicht unbedingt gefeiert. Mit diesem Statement endet heute die Geschichte der News of the World im Imperium von James und Rupert Murdoch. Den verkommenen Sudeljournalismus des Blattes können andere besser erklären, die den Fall hartnäckig verfolgt haben. Bleibt die Frage, wie die "Handy-Hacker" unter tätiger Mithilfe bezahlter Polizisten Mailbox-Nachrichten löschen konnten. Der Privatdetektiv Glenn Mulcaire als zentrale Figur der Abhörer müsste erklären, mit welcher Hilfestellung über 40 Anschlüsse überwacht und manipuliert werden konnten. Die Erklärung, dass er die Passworte für die Voicemail-Boxen "bekommen" hat, ist ausgesprochen dürftig. Bekanntlich wollte er ein Buch mit dem schönen Titel Here to Hear schreiben und kassierte dann 80.000 Pfund Honorar dafür, dieses Buch nicht zu schreiben. Nun bittet er darum, dass die Schmähungen aufhören und seine Privatsphäre respektiert wird. Der besondere Beitrag der Polizei wird in den Ermittlungen untersucht werden müssen. Das Beispiel des verdeckten Polizeiermittlers Mark Kennedy mag als Indiz für eine lockere Einstellung der britischen Polizei gelten.

*** Nach der digitalen Rasterfahrnung in Sachsen, die "Riesendatenberge" produzierte, streiten sich Politiker, wie die Funkzellenabfrage in Zukunft geregelt werden soll. Der Einsatz dieser Technik soll nach dem Willen der FDP präzisiert werden, während die Linke gar von einem kriminalpolizeilichen Unfug spricht und das Verbot der Maßnahme fordert. Ganz unschuldig kommt da ein besorgter Artikel über den Enkeltrick ins Blickfeld, der beschreibt, wie die Funkzellenabfrage eingesetzt wird – und der sich am Ende als Plädoyer für die Vorratsdatenspeicherung entpuppt. Angesichts der vom Lobbyverband Bitkom ermittelten Quote von 62 Prozent, mit der Bundesbürger die Vorratsdatenspeicherung mehrheitlich ablehnen, dürften Funkzellen-Rasterfahndung und Vorratsdatenspeicherung das Sommerthema schlechthin bleiben, wenn die Politik Urlaub hat. Das Ganze garniert mit Meldungen zum aktuellen Cyberwar, in dem das nationale Cyber-Abwehrzentrum gerade Arbeit bekommmen hat, weil Cracker, die ausdrücklich keine Hacker sein wollen, teilweise offenlegten, wie die Personenverfolgung technisch funktioniert.

*** Bekanntlich ist die Wahrheit das erste Opfer in jedem Krieg. Das gilt auch für den Cyberwar, seitdem mit Stuxnet das Lieblingsthema aller Abwehrspezialisten, der Angriff auf kritische Infrastruktuen, "aktuell" geworden ist. Mit Israel und den USA ist die Liste der einschlägig Verdächtigen, die Stuxnet produziert haben könnten, nicht besonders lang. Nun ist ein Artikel des Leiters einer "US Cyber Consequences Unit" in einem einschlägigen Journal aufgetaucht, der die Vorgehensweise von Stuxnet gut beschreibt: erschienen im Mai 2010, über einen Monat vor der ersten Entdeckung von Stuxnet. "Computer als Kriegswaffen" können effizienter als Panzer sein, wenn es darum geht, eine Region zu "stabilisieren". Das bisschen Stahl im Wüstensand. Was sind schon 1,7 Milliarden für rollende Aufstandswegschieber gegen die 3 Milliarden, die Northrop Grumman für das Projekt Romas kassieren soll, das gerade in Odyssey umbenannt wurde. Die Internet-Überwachung, bei der mit Firmen wie Socialeyez zusammengearbeitet wird, soll sicherstellen, dass der arabische Frühling nicht zu einer unkontrollierten Blüte von Demokratie allerorten wird. Denn noch ist dort nicht der siebente Kreis der Demokratie installiert, in dem sich jedweder Sachverstand selbst zerfleischt. Schade drum. Vor allem, weil wirklich Sachverstand auch komplizierte Dinge kurz und einfach erklären kann.

Was wird.

In einem Werbevideo für Wikileaks wird Julian Assange als Mastermind dargestellt, der die ägyptischen Revolutionäre zum Marsch auf den Tahrir-Platz angestiftet hat. Philosophen verklären den blonden Australier als Verkörperung des Weltgeistes im Sinne Hegels. Auf Napoleon, diese "Weltseele zu Pferde" folgt der "Weltwisser am MacBook". Die in der letzten Wochenschau erwähnte Debatte zwischen Slavoj Zizek und Julian Assange entpuppte sich als schwer erträglicher Austausch von Banalitäten. Der Philosoph Zizek verglich allen Ernstes die Funktion von Wikileaks mit einem betrogen sich wissenden Ehemann, der seine Ehefrau in flagranti erlebt: Politiker betrügen, doch erst dank Wikileaks würde man das Ausmaß sehen. Assange erzählte von seinem Aufenthalt in Ägypten bei einer Miss Egypt, ein Ereignis, das in der Erinnerung seiner Gastgeber ganz anders verlaufen ist. Angesichts dieser Diskrepanz wird klar, warum ein Buch über das Vor-Leben des Weltgeistes keine besonders gute Finanzidee ist: jedes noch so kleine Detail dürfte geprüft werden, nicht nur von Staatsanwälten, auch von den (ehemaligen) Mitstreitern.

Am Montag beginnt in Großbritannien die Berufungsverhandlung über die Frage, ob Assange nach Schweden ausreisen muss, wo gegen ihn ermittelt wird. Die Frage steht dagegen, ob er reisen darf, wohin es ihn gelüstet. Wird keine Entscheidung erreicht, bleibt er verbannt auf einem englischen Landsitz, mit leichten Anklängen an Napoleon auf St. Helena. Die Fragen werden von einem neuen Team von Anwälten diskutiert, die auf Menschenrechte spezialisiert sind. Sie wollen ohne peinliche Altherrenwitze und düstere Beschreibungen des schwedischen Unrechtsstaates antreten, die in der ersten Verhandlungsrunde die Position Assanges nachhaltig ruinierten. Vielleicht wird sich ähnlicher Sachverstand auch auf ökonomischem Gebiet durchsetzen, wo Wikileaks sich in einer krude Geschichte namens "Finanzblockade" verrannt hat, was bei Lichte betrachtet ein Akzeptanzproblem von Banküberweisungen ist.

Und kommende Woche kehrt endlich wieder Normalität ein. Der Heise-Umzug wird abgeschlossen sein. Vielleicht auch nicht nur der Umzug der selbsternannten digitalen Elite nach Google+, es folgen erste größere Kreise des gar nicht selbst ernannten digitalen Plebs. Schon gibt es erstes Stöhnen, das schöne neue Spielzeug werde kaputt gemacht. Normalität kehrt ein. Alles ist wie immer, sieht nur besser aus und nervt nicht mit Freundschaftsanfragen, die doch nur schlechtes Gewissen auslösen. Normalität kehrt ein. Auf Google+ wird nicht mehr nur über Google+ diskutiert. Normalität kehrt ein. Ach was. Das wäre das  Ende.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 17 Juli, 2011, 00:08
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** "Elektronische Kommunikationsapparate für eine allumfassende tyrannische Überwachung von der Empfängnis bis ins Grab führen zu einem schwerwiegenden Konflikt zwischen unserem Anspruch auf Privatsphäre und dem Bedürfnis der Gemeinschaft, sich Wissen über uns zu verschaffen. Die älteren, traditionellen Vorstellungen eines privaten, isolierten Denkens und Handelns – die Muster mechanistischer Technologien – werden durch die neuen Methoden der instantanen elektronischen Informationsbereitstellung, der elektronisch computerisierten Datenbanken ernsthaft bedroht – von dieser großen Klatschspalte, die nichts vergibt, nichts vergisst, die keine 'Fehler' der Vergangenheit löscht und aus der es kein Entrinnen gibt." (Marshall Mc Luhan/Quentin Fiore, Das Medium ist die Massage, 1967)

"Der Bildschirm ist die Netzhaut im Auge unserer Seele". Mit einem Zitat von Prof. Brian O'Blivion (1983) eröffnen wir die McLuhan-Gedächtnis-Festspiele. Hätte der Kanadier das Johannes-Heesters-Gen gehabt, so könnte er am Donnerstag auf G+ und Facebook die Früchte seiner Arbeit genießen. Er könnte sich darüber amüsieren, wie die anachronistischen Printmedien die große Diskursmaschine zum Orgeln bringen. "Nur hereinspaziert, sagte der Computer zum Spezialisten", heißt es im Massage-Buch von McLuhan und Fiore in schamloser Plagiaterie von Alice im Wunderland, als zuerst das Urteil gefällt werden sollte und dann die Beweise vorgetragen. Ja, das Urteil über McLuhan ist längst gefällt und mit den Beweisen halten wir uns gar nicht auf. Zu schön ist sein Zitate-Baukasten, aus dem sich alle, alle bedienen, auch diese kleine Wochenschau: "Wir sind alle Roboter, wenn wir unkritisch in unsere Technologien verstrickt sind." (Marshall McLuhan/Quentin Fiore, Krieg und Frieden im globalen Dorf, 1968)

*** Eigentlich ist alles, aber auch alles über Google+ gesagt und geschrieben worden, nur nicht von McLuhan. Zehn Millionen glücklich seufzende Früh-Adoptosaurier haben den Dienst wie Wildschweine umgegraben und erkundet. Wer nicht genug hat, dem sei ein geheimes +Tastenkürzel verraten: Ctrl-Alt-ctk wie c't kaufen. Alternativ dazu könnte man die "Blätter" kaufen, die Richard Sennetts hübschen Text über die Software-Vereinfacher und die Krise der Kommunikation enthalten, den dieser auf der Bodybits vortrug. Was die üblichen Trend- und Beraterfuzzis erfreut, ist eine vernichtende Kritik der Google-Programmierer, die mit dem "einfach" zu bedienenden Google Wave die Google-Nutzer zu verdummen versuchten. "Man muss mit den Medien reden, nicht mit dem Programmierer. Mit dem Programmierer reden ist so, wie sich beim Würstchenverkäufer im Stadion über das schlechte Spiel seiner Lieblingsmannschaft zu beschweren." (Marshall Mc Luhan/Quentin Fiore, Das Medium ist die Massage, 1967)

*** Was bedeutet es nun, wenn bei Google+ die Bodybits auf ordentliche Namen referenzieren müssen, wenn Plomlompom, Ennomane oder die endergone Zwiebeltuete um ihre Identität bangen müssen? Auch darüber ist viel geschrieben und gezetert worden. Auch hier hilft die Wissenschaft weiter, in diesem Fall eine Untersuchung des Aufstandes in der World of Warcraft, als dort vergeblich versucht wurde, eine Realnamenspflicht einzuführen. Die Maßnahme von Activision Blizzard sollte des üble Treiben der Trolle eindämmen und das schlechte Benehmen in den WoW-Foren austrocknen. Dagegen protestierten die WoW-Spieler in einem Megathread so vehement, dass Activision die Maßnahme nach wenigen Tagen zurücknehmen musste: Mit den fiktiven Namen setzt in einer funktionierenden Comunity der Prozess einer für die Telnehmer sehr realen Identitätsbildung ein, die die Betreiber respektieren müssen. Auch Google wird diese Lektion lernen müssen, was umso erstaunlicher ist, als Google selbst ein Plädoyer über die Freiheit veröffentlicht hat, wenn +Ich ein Anderer ist. Davon lebt und profitiert übrigens auch das Heise-Forum, in dem Klarnamen und nomes de plume friedlich koexistieren, wo Trolle wüten und wo sich Zeitreisende irritert am Kopf kratzen. Obwohl, obwohl – verheimlichen kann ich es nicht, dass ich liebend gerne einem Gulasch Nikov in den echten Hintern treten würde. "Zu viele Menschen wissen zuviel voneinander. Unsere neue Umwelt zwingt uns zu Engagement und Teilnahme. Heute nehmen wir, ob wir wollen oder nicht, Anteil am Leben aller anderen und sind füreinander verantwortlich." (Marshall Mc Luhan/Quentin Fiore, Das Medium ist die Massage, 1967)

*** Inmitten der regen Vorbereitungen auf einen übungshalber vorbereiteten IT-Angriff zum Testen von Stabsrahmen sorgt die Nachricht vom Datenloch bei der Bundespolizei für Humor der feinsten Art. Mit dem Hacken des Verfolgungssystems PATRAS hat unser nationales Cyber-Abwehrzentrum seinen ersten schweren Vorfall bekommen, den es untersuchen muss. Wenn dieser zwerchfellerschütternde Bericht stimmt, hat McLuhan wieder einmal ins Schwarze getroffen, als er den Humor als besten Ratgeber bei sich rasch verändernden Wahrnehmungen bezeichnete: Wer immer den Apache-Stack XAMPP als Billig-Software und Antivirus-Software beschreibt, muss entweder gehörigen Schalk besitzen oder ist nach allen Regeln der Kunst veräppelt worden. Seit Herbst 2010 sollen die Hacker, von denen drei mit Klarnamen operierten (!) sich dank längst bekannter XAMPP-Lücke auf dem Server der Bundespolizei umgetan und nerdgemein genau 42 Trojaner installiert haben. Nimmt man zu dieser Meldung noch den Bericht, wonach einige Verfolgungswanzen der Bundespolizei noch aktiv auf ihrem Horchposten sind und angerufen werden konnten, sind wir voll bei McLuhan: "Humor als Kommunikationssystem und Sonde unserer Umwelt eignet sich vorzüglich zur Erzeugung von Gegenumwelten." Wobei die eigentliche Bedrohung nicht in der schlampigen Installation liegt, sondern in dem Cyberwar, in dem der Gegner von irgendwo solch schlampiges Zeug nach allen Regeln der Einbruchskunst ausnutzt und nicht wie "politisch motivierte Hacker" darüber genüsslich plaudert. "Der echte, totale Krieg ist zum Informationskrieg geworden. Ausgetragen wird er mit raffinierten elektronischen Informationsmedien, unter kalten Bedingungen und ohne Unterlass. Der Kalte Krieg ist die eigentliche Front – eine Umzingelung – die alle einbezieht – die ganze Zeit – überall. Wenn heute heiße Kriege unvermeidlich werden, führen wir sie in den Hinterhöfen der Welt mit alten Technologien. Diese Kriege sind Happenings, tragische Spiele." (Marshall McLuhan/Quentin Fiore, Krieg und Frieden im globalen Dorf, 1968)

Was wird.

Den Umzug in der norddeutschen Tiefebene haben alle Beteiligten samt ihrer Rechner und superteuren Messgeräte überstanden. Selbst der große Stromausfall in Hannover konnte die hartgesottenen IT-Journalisten nicht beeindrucken, die Zeitungsente schon gar nicht. Bemerkenswert, das neben der quakenden Fauna sich auch die Flora auf die seltsame Truppe in der Winkelriede eingestellt hat. So kann der Blick nach vorne schweifen und gleichzeitig auch noch einmal zurück: In der nächsten Wochenschau startet das Sommerrätsel, das Sommerloch ausfüllend, ein Quiz mit Bildern und Fragen zur Hard- und Software und zu den Menschen "dahinter". Beim Umzug und beim großen Aufräumen fanden Redakteure kuriose Dinge, etwa ein Modem, dessen Pfeifen und Trällern den jüngeren Kollegen nichts sagte. Das heißt nicht, dass es sich ausgeträllert hat, ganz im Gegenteil: Zur internationalen Funkaustellung in Berlin wird LG Electronics eine Waschmaschine vorstellen, die pfeift und trällert, wenn ein Fehler vorliegt. Dazu gibt es eine App für Smartphones, die die Modulation der Tonfrequenzen aufnimmt und abspielt, wenn die Hotline angerufen wird, wo ein Computer die Fehlerdiagnose übersetzt. Das ist der dampfgetriebene Fortschritt, den unsere Zeit durchzieht, angepriesen als Revolution des Wäschewaschens. Die Waschmaschine war übrigens nach dem Bericht seines Biographen Philip Marchand die einzige Maschine, die der sechsfache Familienvater McLuhan bedienen konnte, immer mit der Klage, dass ihn die Maschine auf einen stumpsinnigen Servo-Mechanismus und Wäsche-Fütterer reduziere.

(http://www.heise.de/imgs/18/6/8/8/9/9/2/ddf96065176b8baa.jpeg)
Passend zum Einstieg ins Sommerrätsel ist hier ein Bild der Segway-Prototypen aus den Labors des trickreichen Erfinders Dean Kamen zu sehen. Es steht als Erinnerung an den Segway-Inhaber Jimi Heselden, der in einem Akt der Höflichkeit seinen Segway an den Rand fuhr, um Platz für einen Hundebesitzer zu machen, der seine Wege kreuzte. Er fuhr ein Stück zuweit zurück. Damit zur ersten Frage: Wie hieß das Gerät, das einstmals ein Computerpionier baute, um den Verkehr zu revolutionieren?

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 24 Juli, 2011, 07:00
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Aus Norwegen kommen Nachrichten von einem Bombenattent und einem anschließenden Amoklauf in einem Jugendlager, die gar nicht in das Bild von diesem Land passen wollen. Bezogen auf die Einwohnerzahl hat das Land gerade mehr Tote zu beklagen als die USA nach dem 11. September 2001. Ein Norweger, der die Demokratie hasste und von der Großtat des Einzelnen schwärmte, soll nach ersten Erkenntnissen für den "christlichen" Terror verantwortlich sein. Hintermänner soll er nicht gehabt haben, jedoch Kontakte in die rechte Szene und einen Computer mit World of Warcraft. Erinnerungen an den christlich geprägten Bomber von Oklahoma werden wach, der die weiße Überlegenheit wiederherstellen wollte. Am Ende blieb damals eine verquere Debatte übrig, ob seine Hinrichtung im Internet gezeigt werden sollte. Eindrucksvoll ist das Bekenntnis zu mehr Demokratie und mehr Offenheit, das bei allem Kummer im Lande vom norwegischen Ministerpräsidenten vorgetragen wird. Eine Haltung, die sich wohltuend vom deutschen Gekreische von der Rückkehr des Terrors in Europa unterscheidet. Was dabei fehlt, ist die sonst gebetsmühlenhaft vorgetragene Formel vom "Homegrown Terrorism": Auch dieser Täter hat sich radikalisiert. Bemerkenswert auch die journalistischen Anmerkungen von einem ganz normalen Arbeitstag, in dem Leser im Namen der Meinungsfreiheit eine Meinung vertreten, die frei von Fakten ans dicke Brett geheftet wird, das man vor dem Kopf zu tragen pflegt.

*** Gegen Entsetzen wegen Oslo hilft vielleicht die Wut. Wut über das Versagen der Medien und des viel beschworenen Qualitätsjournalismus. Dieses Versagen, das leider schon allzu viel in der Gesellschaft verdorben hat. Wenn die Wut hilft, das Entsetzen zu überwinden und "sich wieder an die Werte zu erinnern, die sich auch in unserem Grundgesetz wiederfinden". Ach. Ja. Those were the days.

*** In dieser Atmosphäre kann man an Mark Anthony Stroman erinnern, der in dieser Woche in den USA hingerichtet wurde, weil er auf Menschen schoss, die er für Araber hielt. Stroman schoss auch auf den Moslem Rais Bhuiyan, er überlebte schwer gezeichnet und schlecht verarztet, weil er als Einwanderer keine ausreichende Krankenversicherung besaß. Dennoch setzte sich der Moslem mit World without hate für eine Begnadigung von Stroman ein, die unter Christen keine Chance hatte. Das alles war, in einer Juliwoche anno 2011. Deshalb verschiebt sich das angekündigte Sommerrätsel um eine Woche, weil das Byteraten zum Geburtstag von McLuhan oder dem demnächst anstehenden des IBM-PC nach diesem Terroranschlag nicht unbeschwert zu leisten ist und fertige Welterklärungen vom schwer verschuldeten "Einzeltäter" zu diesem Zeitpunkt nur von weiteren Brettern vor weiteren Köpfen künden. Auch so kann sich eines zum gänzlich anderen fügen, wie etwa dem Geburtstag von Theo van Gogh. Denkt mal drüber nach, sagte einer aus Oslo.

*** Worüber ich auch nachdenke: Bei aller Wut, bei allem Entsetzen, die Trauer ist groß über den Tod von Amy Winehouse. "Lieber mit Amy Winehouse untergehen als mit Joss Stone auf dem Lady-Di-Gedenkkonzert feiern", schrieb ich einmal, auch in der Hoffnung, dass Amy Winehouse das mit dem Untergehen doch vielleicht nicht so wörtlich nehmen wollte. Abseits aller Sprüche vom Club 27 bleibt, dass wir eine große Soul- und R&B-Sängerin verloren haben, gegen die sich all die Adeles und Duffys doch recht mickrig anhören (und, um noch eine Bemerkung über Joss Stone zu verlieren, gegen die andere sich erst langsam zur Essenz dieser Musik vorarbeiten).

*** Wir brauchen eine Europäische Suchmaschine, die unser spezifisch europäisches Digitalgedächtnis aufarbeitet und uns nicht dem würgenden Zugriff von Google überlässt, forderte FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher. Am besten eine, die das TÜV-Gütesiegel des Chaos Computer Clubs trägt, mit Stempel vom großen Felix von Leitner, dem CCC-Experten für Suchmaschinen. Für Schirrmacher ist die Suchmaschine ein virtueller Bibliotheksdirektor, der einzige Mensch, von dem man erfahren kann, was eigentlich das relevante Wissen der Jetztzeit ist. Wobei in der Tradition des deutschen Weltgeistes der Mensch nur ein Menschlein ist: "Vielleicht müssen wir uns Gott als diesen Bibliotheksdirektor vorstellen." Wer sich an die Suchmaschine Quaero erinnert, die die kleinen Götter Jacques Chirac und Gerhard Schröder in ihren Sonnenstaaten zu bauen beschlossen, an die horrenden Summen, die ohne jede Ausschreibung in das Projekt gesteckt wurden, bis das Projekt wie das Verbmobil verunfallte, dem bleibt nur der Schluss übrig: Wenn es einen Gott geben sollte, lebt er nicht von europäischen Fördermitteln unter der Aufsicht einer Exzellenzkomission. Die Bibel beginnt auch nicht mit der Erzählung, wie Gott einen Projektgrobplan für sieben Tage entwirft, dann Meilensteine definiert, sich an eine Machbarkeitsstudie setzt und dann erst einmal einen Abschlusskongress veranstaltet. Gibt es noch eine Chance für ein Leben ohne Google?

*** Der Appell an den CCC, als TÜV doch bitte dafür zu sorgen, dass wir nicht den Verstand verlieren, beruht auf einer Studie von Betsy Sparrow. Sie fand heraus, dass wir Informationen vergessen, bei denen wir sicher sind, dass wir sie im Internet finden, nicht unbedingt bei Google. Informationen, die eher nicht im Netz zu finden sind, speichert das Gehirn ab, heißt es in "Cognitive Consequences of Having Information at Our Fingertips" – was vom Titel her eine Hommage an Bill Gates ist. Seine Firma wusste als erste, was mit den Fingerspitzen los ist, wenn sie nicht in der Nase bohren, sondern Informationen abfragen, antatschen oder mit Gesten herumschieben. Was bleibt, ist die Frage, ob sich die fun new line of research von Sparrow verifizieren und interationalisieren lässt. "Some trivia questions" und "some trivia statements" warten auf die Wissenschaft. Daneben wartet die immer wieder auftauchende Frage der Singularität, auf die der Homo S@piens wartet. Wenn diese Trivia schon ausgelagert werden können, ist es dann nicht bald Zeit, den ganzen Rest in einer Cloud zu speichern? Dumm nur, dass die Leute vom Fach diese Geschichte viel verhaltener sehen als die Informatiker mit ihren Gattern.

*** In der Düsternis glimmt ein kleines Licht der Hoffnung. Es wird größer werden müssen, wenn die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte einen tragenden Bestand haben soll. In Deutschland ist der Schutz der Whistleblower hoffnungslos unterentwickelt und bedarf dringend der Verbesserung. Noch haben wir eine Justizministerin, die an dieser Stellschraube drehen und einiges bewirken kann. Ob das fantastische Aus für den elektronischen Gehaltsnachweis, von anderen Ressorts bewirkt, da Anschub leisten kann, ist ungewiss. Bedenklich stimmt der Satz, dass die Infrastruktur des Verfahrens und das erworbene Know-how weiter in der Sozialversicherung genutzt werden soll, da hat die Initiative des Bielefelder FoeBuD recht. Dieses Schwerter zu Pflugscharen früherer Bürgerinitiativen kann bei ELENA nicht verfangen als schlichte Code-Reutilization. Das Mindeste wäre die Offenlegung des Codes. Ganz nebenbei: Das Eingeständnis, dass sich die digitale Signatur abseits von Nischensytemen bei den Notaren und der Abfallwirtschaft nicht bewährt hat, wird wie ein Vorschlaghammer wirken. Etwa bei dem Projekt elekrtonischer Personalausweis, bei dem eine solche Signatur für Bürger im Verbund mit einem Komfort-Lesegerät realisiert werden sollte, als Ansporn für Arbeitslose, sich schnell einen solchen Ausweis zu besorgen. Shredder, shredder.

(http://www.heise.de/imgs/18/6/9/1/6/0/7/6cda10e37f3777b6.png)
*** Nein nein, das ist kein Sommerrätsel: Das ist die UMTS-Telefon-Vision von Nokia aus dem Jahre 1999, "Future Terminal Concepts" genannt. Begleitet von einem "Marktbericht", dass diese seifigen Dinger ab 2010 über 90 Prozent des Marktes ausmachen werden, natürlich gestellt von Nokia. Wieder und wieder wurden uns Journalisten die simplen, per Finger-Touch und -Wisch bedienbaren Nokia-Geräte vorgeführt. Nach und nach wollte man Telefone mit den entsprechenden Leistungen ausstatten. Heute zeigt sich, dass Apple und Google mit Android weitaus besser verstanden haben, was Nokia wollte, und die ganze Enchilada en Bloc servierten. Die Realität anno 2011? Nokia liegt in roten Zahlen am Boden. Ursprünglich stand hier das beliebte Journalistenwort "blutüberströmt".

Was wird.

Angeblich wird Wikileaks-Chef Julian Assange trotz laufender Verfahren auf der IFA 2011 in Berlin eine Keynote halten. Die Messe für Waschmaschinen und 3D-Fernseher findet vom 2. bis 7. September statt. Das ist nicht ohne Ironie, da in dieser Zeit vor einem Jahr die schwedische Staatsanwaltschaft beschloss, den zuvor abgeschlossenen Fall wieder aufzurollen. Daraufin wechselte Assange seinen Anwalt und tauchte unter, irgendwo in Schweden. Nach der vor einem englischen Gericht gegeben Aussage seines Anwaltes meldete sich Assange dann am 29. September aus Berlin und teilte diesem mit, dass auf der Jagd nach dem Verräter Daniel Domscheit-Berg all seine "Bags" verloren gegangen seien. Welcome back, Julian!

Quelle : www.heise.de
Titel: Re: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: Jürgen am 25 Juli, 2011, 02:13
Zitat
...dass wir Informationen vergessen, bei denen wir sicher sind, dass wir sie im Internet finden...
...finde ich völlig normal.
Schon als Schüler, damals in den 70ern, formulierte ich gerne immer wieder:
"Ich muss nicht alles wissen, ich muss nur wissen, wo es steht"
Wikipedia, Google & Co. befördern diese Einstellung offenbar enorm...
Titel: Was war, was wird. (in einer gar nicht lauen Sommernacht ...)
Beitrag von: SiLæncer am 31 Juli, 2011, 07:03
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich. Und sie bietet dieses Mal endlich, nach einer unerwarteten Verschiebung aus traurigen Gründen, den ersten Teil des diesjährigen Sommerrätsels, auch wenn der Sommer noch weit ist und die Sommernacht eher bitterkalt denn lau.

Was war.

*** Nein, das war keine erfreuliche Woche, nach all dem, was in Norwegen passierte. In einem Land, das Pionierarbeit bei den Websperren leistete, das die sechsmonatige Speicherung von Vorratsdaten aus Angst vor EU-Sanktionen eingeführt hat, schlug ein Attentäter zu. Ein Mensch mit großer Angst vor einer "durchrassten" und kulturell bunt gemischten Gesellschaft tötete als Polizist verkleidet gezielt 68 Jungsozialisten. Außerdem ließ er eine selbst gebastelte Bombe detonieren. In Deutschland schlug die Politik zu. Eine Datei für auffällige Internet-Nutzer und die Vorratsdatenspeicherung, eine gewissenhafte Netzüberwachung, Alarmknöpfe und Düngemittelregister wurden gefordert, Verknüpfungen von Melde- und Waffenregistern werden begrüßt, weil das Urböse im Internet geboren wird, 24 Stunden, 7 Tage die Woche lang.

*** Ganz sicher transportiert das Internet so manche geistige Verwirrung, von Politikern wie von "home-grown" Terroristen. Noch die Kritik am Attentismus kommt nicht ohne Bilder aus, die aus diesem verruchten Internet gefischt wurden. Wie Fremdsprech müssen in dieser verzottelten Debatte die ins Deutsche übersetzten Worte des Kronprinzen Haakon klingen, die das Grundthema Freiheit statt Angst aufgreifen, wie es Politikern nicht gelingt:"Wir wollen ein Norwegen: In dem wir zusammenleben in einer Gemeinschaft mit der Freiheit, Meinungen zu haben und uns zu äußern. In der wir Unterschiede als Möglichkeiten sehen. In der Freiheit stärker ist als Angst. Heute Abend sind die Straßen mit Liebe gefüllt." Ja, einmal im Leben, die Ideale nicht der geistigen Verwirrung opfern. Das wär schon mal was.

*** Das Äußerste an Visionen bringt in Deutschland der SPD-Politiker Peer Steinbrück im langen Gespräch mit drei Bloggern zustande, wenn er eine "Erzählung von Europa" skizziert: "Sozialstaatlichkeit, Rechtsstaatlichkeit, Freizügigkeit, Meinungsfreiheit, Pressefreiheit. Die Tatsache, dass nachts kein Staatssicherheitsdienst mehr an der Tür klingelt – das ist die Erzählung, die neu gefunden werden muss." Zweimal Freiheit, zweimal Staatlichkeit, dazwischen zieht es. Ein festes Bekenntnis Freiheit statt Angst liest sich anders. Was den Staatssicherheitsdienst anbelangt, so braucht dieser heutzutage nicht mehr an der Tür klingeln: Er lässt es klingeln und schneidet eifrig mit. Wenn die Daten von 40.000 und mehr Menschen ermittelt werden, um eine nicht näher bekannte Tätergruppe mit einem handelnden Kopf einzukreisen, zeigen Sätze wie "Derjenige, der friedlich demonstriert hat, hat nichts zu befürchten" das ganze Ausmaß der geistigen Verlotterung. Dass zur Meinungsfreiheit und zum Auftreten auf einer Demonstration die Abwesenheit der Furcht gehört, ausgespäht und datenbevorratet zu werden, ist Bestandteil der informationellen Selbstbestimmung. Wobei die Datenmenge keine Rolle spielt, für die Suche in den Bergen purzeln die Rekorde.

*** Es ist angeblich Sommer, die tageszeitung macht blau und schwärmt von vielen schönen Sommertagen. Schwer verwirrte Einzeltäterin? Wer weiß. Zum Sommer gehört vielleicht nicht dieser Nieselregen in der norddeutschen Tiefebene, ganz sicher aber ein Sommerrätsel. Wissen fängt mit W an, nicht nur in der Welt der Wikipedia. Jeweils zehn nicht ganz so triviale Fragen im Bereich der Hardware, Software und der Meatware stehen an. Die Lösungen gehören ins Forum, zu gewinnen gibt es nichts, die Auflösung folgt je nach Wetter am Montagabend oder Dienstagmorgen. Der erste Teil beschäftigt sich mit der Hardware und ist annähernd chronologisch aufgebaut.

(http://www.heise.de/imgs/18/6/9/4/2/6/0/d8eaf2fb6ea53c19.jpeg)


Frage 1: Warum hat ein Byte 8 Bit?
Frage 2 gleich hinterher: Welcher Blümchencomputer ist das, der da auf dem Bild rechts abgebildet ist?

*** Bekanntlich hat der bescheiden auftretende Internet-Dienstleister Google in dieser Woche einen Gesichtserkenner gekauft, als Antwort auf eine ungemein sympathische Facebook-Dienstleistung. Die Pittpatt-Software findet in Kameras Verwendung und hilft dem unbedarften Fotoknippser, auf Gesichter zu fokussieren. Gedanken an den Minority Report sind unnütz, da man sehr auf die Privatsphäre achten will – außer man ist ein eine Minority: Pagevi klingt ebenso nützlich wie Pittpatt, steht aber für "Parallele Gesichtserkennung in Videoströmen" und soll im Endeffekt dazu dienen, Hooligans aus der Datei Gewalttäter Sport auf Schritt und Tritt zu begleiten. Am heutigen Spieltag des KSC gegen Alemannia Aachen sollte die Gesichtserkennung im Stadion mit Freiwilligen getestet werden, doch dies scheiterte an heftigen Protesten der Fan-Clubs. Schließlich äußerte der Landesdatenschützer Zweifel, ob der Test ähnlich einem früheren Test im Mainzer Hauptbahnhof statthaft ist. Denn anders als bei anonymen Bahnreisenden und untergemischten Freiwilligen gibt es eine Datei und damit eine Vorverurteilung. Weit weg vom Präkog ist das nicht. Apropos Alemannia: In Aachen haben Ordnungshüter damit begonnen, mit Smartphones ihre Knöllchen zu dokumentieren. Der Einspruch soll zwecklos sein, die intelligenten Funken mit Zeitangaben und Geodaten sind ungemein praktisch: Dauerparker, die ganzen Tag verboten parken, dürfen fünf Mal hintereinander zur Kasse gebeten werden. Diese Frequenz ist sicher noch optimierbar. Alarm für Cobra 11, bitte kommen ...
Dann lieber mal Frage 3: Gesucht wird das Funkrufzeichen eines Entwicklers, dessen Computer auf dem umgedrehten WWW präsentiert wurde.
Und Frage 4: Welcher populäre Computer hatte eine eigene Taste für das @-Zeichen?

*** Es tut sich was im Bytenraum. Die Meldungen klingen dürr, Restrukturierungen sind schließlich die Lieblingsbeschäftigungen aller Manager, nicht nur bei Cassidian (EADS). Doch wenn eigens Cybersecurity betont wird, wenn einstmals wichtige Funkbereiche nach China verkauft werden, weil lukrative Geschäfte anders aussehen, dann lohnt sich der Blick ins Eingemachte. Cybersecurity ist ein wunderbarer Markt auf dem Schlangenöl oder Cybersicherheitsstaub reißenden Absatz findet. Auch die Bedrohungen sind immer wunderbarer: Sollte die vom Internet-Dinestleister Google zur Verfügung gestellte Übersetzung eines Textes zum chinesischen Eisenbahnunglück stimmen, hängt der fatale Blitzschlag in das Steuerungssystem mit dem Stuxnet-Virus zusammen, den die USA mit Hilfe von Deutschland in die Welt gesetzt haben. Da geht noch was! Wie war nochmal der Werbeslogan? "Abheben Richtung Zukunft."
Da passt doch Frage 5: Für welches Produkt wurde mit folgendem Werbeslogan geworben: "PC aufschrauben, 2.795 Mark reinstecken, XT zuschrauben."?

Kommt gleich Frage 6: Die erste 30-Tage-Geld-zurück-Garantie in der Geschichte des Unternehmens gab Microsoft wofür?

*** In dieser Woche wurde viel über den Haushalt der USA geschrieben und darüber, dass die Regierung Obama pleite ist. Der intellektuelle Bankrott interessierte weniger: Die an dieser Stelle schon einmal erwähnte Geschichte des aufrechten Whistleblowers Thomas Drake ist um eine weitere Wendung reicher. Nicht einmal zur einfachen Verurteilung wegen eines Missbrauches von Dienstcomputern reichte die Anklage, dafür kassierte sie eine überaus heftige Abfuhr des zuständigen Richters. Außerdem änderte eine Richterin die Vorladung des Journalisten ab, der über seine Verbindungen zu Drake befragt werden sollte. Diese Aufhebung des Zeugnisverweigerungsrechtes ist vorerst vom Tisch, was ähnlich wichtig ist wie die Entscheidung des europäischen Gerichtshofes in der letzten Woche.

(http://www.heise.de/imgs/18/6/9/4/2/6/0/2f23ca7889a96305.jpeg)
Die Härte, mit der die Regierung Obama gegen Geheimnisverräter aller Art vorgeht, werden jetzt andere zu spüren bekommen. In die Diktiergeräte der Journalisten gehört der Satz der Anklage, die ein Exempel gegen die Verräter im Geiste des McCarthyismus statuieren wollte: "When you sentence Mr. Drake, you send a message." Die nun gesendete Message ist eindeutig.
Vielleicht passt da Frage 7 besser, als man anfangs denkt: Welcher Computer wurde mit einem für Journalisten ganz prakitschen Diktiergerät verkauft?

Was zu Frage 8 führt: Links zu sehen ist ein Foto aus der Vergangenheit. Wie hieß das zugehörige Diskettenlaufwerk?

(http://www.heise.de/imgs/18/6/9/4/2/6/0/e1d4b1c8d4fbcd69.jpeg)
Was wird.

Nicht immer ist die USA ein gutes Vorbild. Was der angebliche Netzguru Jeff Jarvis hashtaggend für sein Land vorschlägt, wird unkritisch mit #fickdichberlin in Deutschland wiederholt und ausgeschlachtet. Etliche Einwürfe lassen Zweifel zu, dass das, was im Internet geboren wurde, überhaupt von Wesen mit messbaren Intelligenzquotienten stammt. Dass dabei die Wahl des Browsers eine Rolle spielen könnte, ist ein Gerücht, so groß wie Loch Ness. Zur Sommerpause kommt die Sommerposse, doch halt, es gibt genug zu tun.

Also Frage 9: Dieses preisverdächtige Gerät auf dem Bild rechts löst demnächst welches Problem?

(http://www.heise.de/imgs/18/6/9/4/2/6/0/Frage10-51585e8bbb619edd.png)
Und zum Abschluss des ersten Teils des Sommerrätselsn noch Frage 10 mit dem Bild links: Hä? Space Invadors unter Hardware? Software kommt erst nächste Woche dran. Die Lösung ist[...]

Quelle : www.heise.de
Titel: Was wirklich war (Die Lösung nicht aller Rätsel)
Beitrag von: SiLæncer am 02 August, 2011, 13:31
Nieselregen? Zum richtigen Sommerrätsel gehört bitteschön ein richtiger Sommer, eine Sonne die auf die norddeutsche Tiefeben knallt. Auch die Auflösung des ersten Teils gehört dazu. Fast alle Fragen wurden gelöst, selbst bei den nicht gelösten gab es Antworten, die nur knapp daneben waren.

Gleich die erste Frage, warum ein Byte 8 Bit hat, brachte viele Diskussionen. Die richtige Antwort ist mit dem BCDIC-Code zu finden. Die lange Antwort eines Fachmannes der frühen Rechentechnik, von dem die Frage als Vorschlag eingesendet wurde:

IBM hatte zu dem Zeitpunkt zwei grundsätzliche Rechnerarchitekturen, den 1400 als Dezimalrechner (praktisch) ohne Zeichenverarbeitung, sowie den 7090 als Binärrechner mit 36-Bit-Worten und 15-Bit-Adressen. Verwendet wurde dabei der BCDIC-Code, ein 6-Bit-Code, sodass 6 Zeichen in ein Wort passten.

Das Standardeingabegerät war damals der IBM 026 Keypunch (Kartenlocher). Der konnte die 48 BCDIC-Zeichen lochen: 10 Ziffern, 26 Grossbuchstaben, 11 Sonderzeichen und das Leerzeichen. Die anderen 16 Kombinationen (6 Bit = 64 Zeichen) waren Steuerzeichen, die nur über direkte Lochung zugänglich waren. Bereits beim BCDIC-Code gab es Varianten, z.B. einen Programmierzeichensatz, der auch ein Plus oder Klammern enthielt.

Die /360 sollte als 'Universalmaschine' sowohl die dezimalen Rechner als auch die binären Systeme abloesen. Als Code war zuerst ein 7-Bit-Code (nicht ASCII) im Gespräch, damit Kleinbuchstaben und mehr Sonderzeichen möglich wurden. Nach der BCDIC-Arithmetik hätte das aber bedeutet, dass in ein 7-Bit-Zeichen immer nur eine Ziffer passt. Damit wäre bei der angedachten Hauptaufgabe, dem Menge-mal-Einzelpreis-Rechnen, fasst die Hälfte des Speichers ungenutzt geblieben. Mit der Entscheidung, 8 Bit zu einem Byte zu fassen, konnten 2 BCD-Ziffern optimal, ohne Verschnitt, untergebracht werden.

Frage 2 war für die Leserexperten einfacher zu lösen, da der Rechner, eine von Nikolaus J. Lehmann entwickelte und in Zella-Mehlis vom VEB Büromaschinenwerk gefertigte Cellatron 8205 in der DDR einige Verbreitung hatte. Rund 3000 Stück wurden von dem System produziert, von dem im Bild nur das Bedienpult zu sehen ist.

Frage 3 suchte Frank Heyder, Funkrufzeichen Y21SO, der den AC 1 (Amateurcomputer 1) entwickelte, nachdem 1983 ein Wettbewerb zur Konstruktion eines Funkfernschreibers ausgerufen wurde. Seine Entwicklung wurde in Leipzig auf der Zentalen Messe der Meister von Morgen vorgestellt, das Pendant zu dem Wttbewerb "Jugend forscht" in der BRD.

Frage 4 wurde in wenigen Sekunden beantwortet: Der Commdore C64 hatte das @ auf einer eigenen Taste. Im Laufe der Entwicklungsgeschichte von Schreibmaschinen, Terminals und Rechnersystemen wanderte das @ auf ziemlich jede denkbare Position der Tastatur, doch diese Prominenz erfuhr es auf dem C 64.

Frage 5 suchte nach der "BusinessCard" von Tandon, eine Steckkarte für den IBM-PC, auf der sich ein Festplattencontroller und eine 20-MByte-Platte befand. Tandon startete als Hersteller von Diskettenlaufwerken und Festplatten, bei dem IBM Teile für seinen ersten PC einkaufte.

Frage 6 suchte nach Microsoft-Hardware. Vor genau 20 Jahren erschien die Ballpoint-Maus. Damals wurden erstmals Laptops in großen Stückzahlen gefertigt und verkauft. Damit Windows 3.1 auch auf diesen Rechnern installiert und bedient werden konnte, suchten die Microsoft-Ingenieure nach einem Weg, eine Maus am Laptop anzuflanschen. Da die Bedienung der Maus Gewöhnungssache war, entschloss man sich, eine Geld-zurück-Garantie zu geben. Sie galt nur für die Maus; wer mit ihr im Bündel Windows kaufte, konnte es nicht zurückgeben.

Frage 7 suchte den Olivetti Quaderno, einen Laptop mit eingebauter Diktiergeräte-Funktion. Die aparte Mischung hatte Olivetti nach einer Umfrage unter italienischen Journalisten produziert, doch war sie international nicht sonderlich erfolgreich.

(http://www.heise.de/imgs/18/6/9/4/9/7/7/a7449fdd3a0d60b0.png)
Frage 8 zeigt die Flopico von Mitsubishi, die mit einer PCMCIA-Karte vertrieben wurde, die als Laufwerk funktionierte. Zur Präsentation im Jahre 1996 fassten die Kleinst-Floppys 1,44 MByte. Mitsubishi versprach Flopicos mit 20 MByte, konnte diese aber nicht mit ausreichender Zuverlässigkeit produzieren.

In Frage 9 wurde der Tricorder aus der Fernsehserie Star Trek ohne Probleme erkannt. Da unter "Was wird" laufend, waren die Antworten korrekt, die den von Qualcomm mit 10 Millionen US-Dollar dotierten Tricoder X-Price nannten. Bis 2012 soll ein Gerät entwickelt werden, dass die medizinische Diagnose vieler Krankheiten für jedermann so einfach macht, wie dies für die Besatzung des Raumschiffes Enterprise möglich war.

In Frage 10 wurde das programmierbare Namensschild gesucht, dass die Hackcamper auf dem Chaos Communication Camp tragen werden. Auf diesem Badge läuft Space Invaders.

Das nächste Sommerrätsel beschäftigt sich mit der Software. Knifflige Vorschläge wie immer an hal@heise.de

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war, was wird (Das große Sommerknopfrätsel)
Beitrag von: SiLæncer am 07 August, 2011, 00:23
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich. Und es foltgt der zweite Teil des diesjährigen Sommerrätsels, diesmal in einer wahrlich lauen Sommernacht, so wie man sie sich wünscht.

Was war.

*** Seien wir genüngsam. Lassen wir die Revolutionen in aller Ruhe Revue passieren. Lehnen wir uns entspannt zurück. So viel Revolution wie derzeit war nie, wird nie sein, trompetet es allenthalben, während die Börsen in sich zusammensacken. Ist das wirklich? Egal. Erinnern wir uns: Vor 30 Jahren, am 12. August 1981, stellte IBM den IBM Personal Computer vor, der aus Komponenten anderer Hersteller zusammengeschraubt war. Die leistungsschwache Maschine begründete den "Personal-Computer-Standard" und die "IBM-Kompatibilität" und verkaufte sich blendend. Nach einem verhaltenen Beginn verkaufte IBM jede Minute einen IBM-PC, anderthalb Jahre lang. Im Januar 1983 wurde der in die Wohnungen Amerikas eingezogene Personal Computer zum Man of the Year 1982 gekürt: Die Abbildung der Times zeigt eine IBM-Designstudie mit einer Tabellenkalkulation. Es war die Software, insbesondere VisiCalc, die dem "häßlichen Klotz" (Steve Jobs) den Durchbruch bescherte. Software ist Tipp-Ex in Potenz. Es war MS-DOS zu verdanken, dass Microsoft sich von einem Anbieter von Software für Hobbyisten zu einem dominierenden Software-Konzern entwickeln konnte. In diesem Sinne wünscht das Sommerrätsel-Team viel Spaß mit 10 "knackigen" Fragen zur Software, die auf gute Antworten warten.
Und zum Einstieg eine ganz einfache Frage 1: Want Sin?
Und Frage 2: Worüber ärgerte sich Bill Gates, als der IBM-PC vorgestellt wurde?

*** Seit vielen Jahren spricht Ray Kurzweil davon, dass der Mensch im Computer aufgeht und damit unsterblich wird. Als sein Klassiker "The Age of Spiritual Machines" 1999 erschien, prophezeihte Kurzweil, dass dieser Moment der Singularität im Jahre 2099 eintreten wird. Nun kommt die Unsterblichkeit früher, anno 2029. Ehe der Nachfolger von Hal 9000 diese Kolumne übernehmen und die Restmenschen die Computer als Götter anbeten werden, wird noch einiges passieren. In zehn Jahren werden wir Kontaktlinsen tragen, die uns Zugang zum Internet gewähren, mit je einer IPv6-Adresse für das rechte und das linke Auge. In Kurzweils Klassiker, der bei uns den idiotischen Buchtitel Homo S@piens verpasst bekam, ist 2029 das Jahr, in dem der erste Computer den Turing-Test besteht. Außerdem ist es das Jahr, in dem eine "Florence-Brigade" von Maschinenstürmern losschlägt, unter Berufung auf ihren Führer, den im Gefängnis verstorbenen Unabomber Ted Kaczynski. Dieser veröffentlichte kurz vor seinem Tode ein Manifest, das seinen Anhängern das Töten aller Computerbesitzer auftrug. Ob Kurzweil mit seinen Prognosen richtig liegt, können wir übrigens schon 2012 überprüfen. Dann beginnt die Kampagne für ein weltweites Verbot von Verschlüsselungssoftware für Privatpersonen, die darin endet, dass ab Oktober 2013 der Drittschlüssel in einem Computer der "Heimatsicherheit" gespeichert wird. Menschen dürfen keine Geheimnisse vor Computern haben. Aber ist das eine Zukunftsvision?

(http://www.heise.de/imgs/18/6/9/6/4/2/8/d4e33aa2a4f2aef3.png)
So ergibt sich zwangsläufig Frage 3: Computer, ein paar Hilfskräfte und der weite blaue Himmel. Was im Bild rechts wie eine saubere Welt-Vision von Kurzweil aussieht, machte Werbung wofür?
Vielleicht nicht ganz so zwangsläufig Frage 4: Alt, aber unvergessen. Was kostete Emacs für den PC mit welchen Folgen?

*** Ein Jubiläum der ganz besonderen Art feiert derzeit das World Wide Web. Getreu der Devise, dass das Internet viele Väter hat, wird auch die Kreation von Tim Berners-Lee gehäckselt. Mal ist Vannevar Bush und sein Memex dran, mit der hübsch schrägen Formulierung, dass Tim Berners-Lee im Usenet das erste WWW-Netzwerk aufbaute. Mal muss Ted Nelson und sein Xanadu-Projekt die Vaterschaft übernehmen, obwohl er in seinem Buch Geeks bearing Gifts keinen Zweifel daran lässt, dass das WWW eine bescheuerte Verwässerung seines Ansatzes darstellt, der immer noch auf seine Realisierung wartet. Wie wäre es mit der ersten Website oder dem schwer vermittelbaren Vorschlag? Egal, egal, es wird gefeiert. Und bei aller Korinthenkackerei: Schlecht ist das nicht, wenn dabei solche Texte entstehen wie dieses Lob des Online-Seins, in denen Bauds röcheln und die Sonne blendet. Erst das WWW machte Firmen wie Netscape (schon wieder vergessen) oder eben Google möglich: Im Internet geboren, stößt es gerade mit der Realität zusammen und wirft lustige Fragen auf, auf die es eine ernste Antwort gibt. Erinnert sei an das eindringliche Plädoyer von David Levy, so schnell wie möglich eine Roboter-Versicherung einzurichten, für all die Schäden, die uns in einer kurzweiligen Welt drohen werden. Wer sich über die Zusammenhänge wundert, kann ins frühe Internet beim Kurator der geschätzten Emily Postnews nachschlagen.
Aber gut. Lieber Frage 5: Was hat Shakespeare mit dem Internet zu tun?
Dazu passt Frage 6: Ein Programm sollte das Dunkel im Internet bannen. Sein Name?

Was wird

(http://www.heise.de/imgs/18/6/9/6/4/2/8/ece75bfe0dd6ef1b.png)
Die Maus ist tot, der Wischefinger hat sie abgelöst. Die Tastatur ist am Verfaulen. Bald werden Computer nur noch mit Gesten gesteuert und die Sprache zur Texteingabe ist auch nicht sonderlich neu. Aus diesem Grunde wird die Vorschau im Sommerloch zur ultimativen Rückschau. Es dauerte nicht einmal ein Jahr, da hatte der IBM-PC eine graphische Oberfläche bekommen. Mit VisiOn stellte VisiCorp auf der Comdex 1982 ein System auf, das mehr als nur ein Häkchen setzte. Die Oberfläche war höchst modern konzipiert, da sie intern auf einer virtuellen Maschine lief. Das Programm setzte sich nicht durch: Es hatte keine Knöpfe. Das bringt uns zum heiteren Knöpferaten als Antwort auf die Beschwerde, dass zuwenig Rätsel im Sommerloch zu lösen sind. Zu jeder Abbildung wird ein Programmname gesucht, der Hersteller und das Jahr, in dem die Benutzeroberfläche den Benutzern erschien.

Auf geht's mit Frage 7: Die folgenden drei Bildchen stehen für drei frühe Ansätze. Gesucht wird die Firma und das Jahr, in dem wir Kontakt aufnahmen.



(http://www.heise.de/imgs/09/6/9/6/4/1/9/a0bd83d2d654e890.png)(http://www.heise.de/imgs/09/6/9/6/4/1/9/98f99e53df10035b.png)(http://www.heise.de/imgs/09/6/9/6/4/1/9/11640fcbcee18bb2.png)
Bilderstrecke, 3 Bilder (http://www.heise.de/newsticker/bilderstrecke/bilderstrecke_1319192.html?back=1319209)

Es dauerte aber nicht lange, dann kam die Farbe ins Spiel. Was zu Frage 8 führt: Welche drei Systeme aus welchen Jahren sind in den folgenden Bildern versammelt?

(http://www.heise.de/imgs/09/6/9/6/4/2/1/f4c50a7d1714e6ed.png)(http://www.heise.de/imgs/09/6/9/6/4/2/1/9995ab117d4a920d.png)(http://www.heise.de/imgs/09/6/9/6/4/2/1/32299248790de8b9.png)
Bilderstrecke, 3 Bilder (http://www.heise.de/newsticker/bilderstrecke/bilderstrecke_1319196.html?back=1319209)

Fast zwangsläufig ergibt sich Frage 9: In den folgenden Bildern wieder drei Kandidaten ofür die Fans des Sommerrätsels. Einer wurde berühmt, als hässlichster Entwurf.

(http://www.heise.de/imgs/09/6/9/6/4/2/4/09ee068a9db32085.png)(http://www.heise.de/imgs/09/6/9/6/4/2/4/7cb97ebdf4afcec2.png)(http://www.heise.de/imgs/09/6/9/6/4/2/4/1663226b09017f52.png)
Bilderstrecke, 3 Bilder (http://www.heise.de/newsticker/bilderstrecke/bilderstrecke_1319201.html?back=1319209)

Und zum krönenden Abschluss Frage 10: Die Zukunft ruft? Ganz sicher? Die Auflösung erscheint am Dienstag, zum Schluss ist beschäftigen wir uns in den noch folgenden Bildern mit dem, was unfreundliche Administratoren Fehler 40 nennen.

(http://www.heise.de/imgs/09/6/9/6/4/2/6/30ae9c390bcb8918.png)(http://www.heise.de/imgs/09/6/9/6/4/2/6/e69c67fd4ceb7e5d.png)(http://www.heise.de/imgs/09/6/9/6/4/2/6/a3a572b8901a5412.png)
Bilderstrecke, 3 Bilder (http://www.heise.de/newsticker/bilderstrecke/bilderstrecke_1319205.html?back=1319209)

Quelle : www.heise.de
Titel: Was wirklich wahr war, im großen Sommerloch
Beitrag von: SiLæncer am 09 August, 2011, 16:46
Nein, potztausend, diese Anonymität aber auch. Da hat ein Leser mit einigem Aufwand ein grafisches Knopfraten für das Sommerrätsel gebastelt und mir nichts, die nichts, schmettert eine KatiH die richtigen Lösungen ins Forum und macht das ganze schöne Rätsel kaputt, assistiert von Cone, Pere Lachaise, Trollplonk und nur noch reflexartige Zuckungen. Forumsleser haben wirklich seltsame Namen. Aber sie kennen sich und schwatzen und haben ihren Spaß. Es geht meistens – trotz all der Trolle und der Notwendigkeit, ab und zu einen Fisch zu werfen – sehr manierlich zu in dieser Anonymität, die unser Innenminister beseitigen will. Diese Anonymität ist eine Errungenschaft der Vernetzung und muss verteidigt werden gegen die sommerlichen Anmaßungen eines Ministers, der starke Probleme mit dem netzpolitischen Dialog hat.

Doch zu den Fragen. "Want Sin?" ist die Frage Nr. 1, die Microsofts 4K BASIC für den Altair stellte. Nach MEMORY SIZE? und TERMINAL WIDTH? wurde nach WANT SIN? gefragt und danach folgten WANT SQR? und WANT RND? Damit konnte das 4K-BASIC ein paar Bytes mehr Speicher bieten, wenn vorab auf diese Funktionen verzichtet wurde. Das danach veröffentlichte 8K-BASIC fragte SIN, CON, TAN und ATN ab. Ob BASIC überhaupt eine Sünde darstellt, ist unter Software-Historikern umstritten.

Frage 2: Ja, Bill Gates ärgerte sich, als der IBM-PC vorgestellt wurde. Zwar kam der Rechner mit einem Microsoft-BASIC im ROM und einem DOS, das Microsoft trickreich erworben hatte. Aber, aber: Der IBM-PC kam, wie in der Original-Pressemeldung erwähnt, mit dem Textprogramm EasyWriter von Information Unlimited Software. EasyWriter war von John Draper, allgemein unter seinem Handle "Captain Crunch" (noch so ein schädliches Anonym) bekannt, programmiert worden. Komplett in Forth entwickelt, brauchte es kein DOS. Information Unlimited setzte beim Deal mit IBM auf eine Taktik, von der viele Firmen leben sollten: Programm kostenlos und ohne Handbuch (was IBM selbst korrigierte) , dafür kostenpflichtiger telefonischer Support für Endkunden, nur für IBM-Händler war es kostenlos.

Frage 3 zeigte eine PDP-10-Installation, die für die Genügsamkeit des Betriebssystems TOPS-10 und später TOPS-20 werben sollte. So wenig Personen und Personinnen. Der Centerfold stammt aus einer Anzeige, die für den Online-Dienst Compuserve wirbt, die Alternative zur Source, die IBM zum Start des PCs favorisierte. Compuserve schluckte die Source, AOL schluckte Compuserve.

Frage 4 nach Emacs hätte zwei, drei Antworten abrufen können, aber nichts dergleichen. Also: Emacs für DOS auf dem IBM PC wurde von einer Unipress Software für 375 US-Dollar verkauft, wer die Sourcen von Gosling haben wollte, musste 995 US-Dollar hinblättern. Das sorgte für Unmut und ist einer der Zünder in einer Geschichte, die uns die GPL bescherte.

Prospero aus Shakespeares Sturm wollte in Frage 5 gefunden werden, weil das Prospero-System in dem RFC 1630 zur Standardisierung der URL eine wichtige Rolle spielte.

Das Programm zum Ausmerzens des Dunkels im Internet beschloss den textlastigen Teil des zweiten Sommerrätsels. Frage 6 zielte auf die Software PERKEO, ausgeschrieben war dies das "Programm zur Erkennung relevanter kinderpornografischer eindeutiger Objekte", entwickelt vom BKA und LKA Hessen. Kinderpornografie im Internet habe keine Chancen mehr, hieß es anno 1997. Das Programm sei bei vielen Fahndern in der Welt im Einsatz. Heute ist es still um PERKEO. Die eindeutigen Objekte liegen nicht offen im Internet herum, so zwischen Google, Shop-Websites und Anonymisierungsservern. Das Internet ist etwas komplizierter aufgebaut, das wird auch der Hackepeter lernen müssen.

Die Fragen 7 bis 10 beantworteten (http://www.heise.de/newsticker/foren/S-Was-war-was-wird-Das-grosse-Sommerknopfraetsel/forum-206777/list/) KatiH und jjauthor, keine feigen Anonyme, sondern gewachsene Identitäten im Netz. Das nächste Rätsel beschäftigt sich mit den Benutzern der Benutzeroberflächen.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Des vetrackten Sommers Rätsel zum Dritten)
Beitrag von: SiLæncer am 14 August, 2011, 00:11
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich. Und es folgt der dritte Teil des diesjährigen Sommerrätsels, diesmal wieder in einer wahrlich lauen Sommernacht, bevor es wieder dicke kommt.

Was war.

*** Es ist, hüstel, hüstel, ein vertrackter Sommer in Deutschland. Statt Sonne und Sammy, dem Todeskaiman oder Problembär Bruno haben wir Regen, eine abgemagerte Kuh namens Yvonne und einen Innenminister, der zwischen Agenten-Tarnungen und Netznamen nicht zu unterscheiden weiß. Und überhaupt Yvonne: Im Ohr des Viehs dürfte der Klartext stehen. Jedenfalls geht das kleine Sommerrätsel in seine letzte Runde, inspiriert vom Sommercamp europäischer Hacker, die auf ihren Abflug in fremde Galaxien warten. Noch sind sie unter uns mit ihrer Vorratsmatespeicherung und Debatten, wie ein Mückenwegschmelzlaser programmiert sein müsste oder ob es nicht für Hacker-Weltraumfahrten praktischer wäre, wenn die Erde ein Würfel ist. Inspiriert vom allgemeinen Hackertum steht die Meatware oder Whetware im Mittelpunkt des dritten Teils des Sommerrätsels.

*** Es ist wirklich ein Kreuz mit den Namen. Nach einem Außenminister mit dem Kampfnahmen Joschka haben wir einen Innenminister, den Trabblpeter. So lässt sich Hans-Peter Friedrich im Kreise seiner Marathon-Mitläufer nennen, zu denen freilich nicht der Joschka gehört. Im täglichen Leben wie im Netz gibt es viele Spitznamen. So gibt es einen Hacker "Fefe" mit einem gleichnamigen Flog, der unterstützt von Hunderten der Tagesschau eine echte Hackerforum-Konkurrenz macht. Wer sich für seine Nachrichten interessiert, weiß, dass als "Name" Felix von Leitner eine andere Variante ist, aber schon droht das Chaos der Gesetzlosigkeit, wenn Klarnamen fehlen.

(http://www.heise.de/imgs/18/6/9/8/9/8/3/d830345ae13673bd.jpeg)
Frage 2: Eine Anzeige
mit einem
dieser bösartigen
Hacker. Die vier
Aussagen über ihn
müssen für die
deutsche Werbekampagne
"kreativ" übertragen
werden.
*** Apropos Chaos. Die CCC Veranstaltungs-GmbH zu Berlin hat das Sommercamp in Finowfurt veranstaltet, ein durch und durch den Tarnnamen zugetaner Verein. Wau, Terra, Tron und Hagbard – noch jedem Innenminister stand der blanke Angstschweiß auf der Stirn, wenn solche Namen erklangen. Am einfachsten hatte es wohl noch de Maizière im Dialog mit Constanze Kurz und Frank Rieger, geschickt gewählten Tarnnamen gewöhnlichster Bürgerlichkeit.
Daraus ergibt sich fast zwangsläufig Frage 1: CCC kennt man. Aber GGG?
Und Frage 2: Rechts im Bild eine Anzeige mit einem dieser bösartigen Hacker. Die vier Aussagen über ihn müssen für die deutsche Werbekampagne "kreativ" übertragen werden.

*** Der Streit um die Klarnamenspflicht bringt durchaus interessante Frontverläufe ans Tageslicht. Eine ausnehmend komplizierte Sommerkuh wird da durch die Diskurswälder getrieben. Was dem einen sein Uhl ist, ist dem anderen sein Schaar. Dieser bewahrt die Mindestmaßstäbe in einer Zeit, in der Arbeitgeber die Facebook-Profile ihrer Bewerber analysieren: Zur Erfindung der bürgerlichen Öffentlichkeit gehört auch die Rechte auf Schutz von Minderheiten. Die Künstlernamendebatte hat eine lange Tradition. Wie schon zur letzten Auflösung des Sommerrätsels geschrieben, glaube ich nicht an die positiven Auswirkungen von Klarnamen für den gepflegten Diskurs. Tag für Tag zeigen die Benutzer des Heiseforums, dass "bitbuerster", "Hinz & Kunz", "Faciliator" (eine Zufalls-Auswahl) vernünftig diskutieren können, ohne Gefährdung z.B. des Arbeitsplatzes. Die abschätzigen Bemerkungen zum Troll werden in der wissenschaftlichen Trollforschung durchaus nicht bestätigt, auch wenn die Trolle nicht als Elfen verklärt werden sollen. Fazit: Der Oberfranke Hans-Peter Friedrich findet in seinen Heimatsagen eigentlich genug Material zum lokalen Waldschrat, ohne den Kampf um Wesnoth spielen und verquere Gedanken zur Anonymität im Internet äußern zu müssen.
Schon wieder eine fast zwangsläufig sich ergebende Frage 3: Gesucht wird ein bekannter Spieler-Name, dessen reale Verkörperung einen Schritt der Hacker beim Aufbruch in die Galaxie verwirklicht hat.
Gleich weiter mit Frage 4: Gesucht wird das Backup eines sehr erfolgreichen Programmierers, der sein Land in der IT verewigte.

*** London calling und Blackberries sind mit dabei. Aufgeregte Politiker fordern darum die Abschaltung des Blackberry Messenger Systems, über den die Verabredungen der Aufständischen erfolgt sein sollen. Eilfertig verkündet dazu Research in Motion in Kanada, dass man mit den Ermittlungsbehörden kooperieren will. Auch von Kommunikationssperren à la mode de l'Egypte ist die Rede. Die Bürgerwehren schlagen mit Bildern zurück, die jedes Gesicht zum Täter machen, digitale Lynchstimmung ist angesagt. Wohin es führt, zeigen Nachrichten aus San Francisco, wo die Mobilkommunikation auf vier Stationen des BAR-Transportsystems vorab abgeschaltet wurde, weil man gewalttätige Proteste befürchtete. Alles "kleine" Vorfälle, die inmitten der Reden, Gedenkfeiern und Beflaggungen zum Mauerbau keine Erwähnung finden. Doch der Gedanke hinter den Abschaltungen ist nicht so weit von den Überlegungen der DDR-Führung entfernt, wie man annehmen könnte. Die Freiheit der Meinungen musste vor 50 Jahren unterdückt werden. "Keine Versammlungen. Keine Diskussionen. Wer den Mund aufmacht, wird verdroschen und der Polizei übergeben", lautete die Anweisung an die jungen Pioniere. Müsste heute die Mauer gebaut werden, wären die Mobilfunknetze das erste Opfer. Freiheit hat viele Details.
Bleiben wir mit Frage 5 bei den Hackern und bei der Politik: Welcher Hacker wurde wann als "Führer" der freien Welt gefeiert?
Eingedenk eines Jubiläums dann Frage 6: Zum Geburtstag des PC schrieb er ein kleines Programm. Was schrieb er als c't-Autor?

*** Die Menschen machen ihre Geschichte nicht aus freien Stücken und Erdbeerstückchen, schrieb einst ein Philosoph, nur um seinen großen Satz gleich selbst einzuschränken: Manchmal soll auch Pflaumenkompott eine Rolle spielen. Vor allem aber machen sie ihre Geschichte selbst. Ein höheres Wesen wie Gott oder das Spaghettimonster für die Geschicke der Menschheit verantwortlich zu machen, vereinfacht den großen Schaltplan bis zur Unbrauchbarkeit. Dennoch brauchen viele Menschen einen Philosophen, der ihnen die Welt erklärt wie Hacker das Ziel brauchen, einen Hacker auf den Mond zu befördern. Selbst Google hat einen Hausphilosophen, Dr. phil./evil. Horowitz, der mit einer kleinen philosophischen Erdferkelei begann. Anders als Kant, der beim Zertrümmern aller Kategorien seinen Diener Lampe in den Alkoholismus trieb, hat Horowitz die große Aufgabe, jenseits von Mac OS, Windows und Linux ein moralisches Betriebssytem zu entwickeln, dass für ethische Fragen zuständig ist. Etwa diejenige, was die Gesichtserkennung in Suchmaschinen für die Gesellschaft bringt.

(http://www.heise.de/imgs/18/6/9/8/9/8/3/3bd21c81726d2d68.jpeg)
Frage 7: Soviel
Gesichtserkennung war
nie. Welche deutsche
Suchmaschine warb mit
diesem geschmackvollen
Bild des Homo Sapiens um
Nutzer?
Bei Gesichtern stellt sich Frage 7: Soviel Gesichtserkennung war nie. Welche deutsche Suchmaschine warb mit dem geschmackvollen Bild des Homo Sapiens, links zu sehen, um Nutzer?
Und um kurz bei der Philosophie zu verweilen hier Frage 8: Auch eine deutsche Firma hatte einen Philosophen eingestellt, um ihren Mitarbeitern den Wunsch nach einem gelingenden Leben zu vermitteln. Wie hieß die Firma und ihr Glückskeks?

Was wird.

Je mehr Computer, Smartphones, intelligente Haushalts-Schaltungen und Geräte zur Überwachung des Körpers uns umgeben, je mehr Informationen ins soziale Leben fließen, desto mehr gegenseitiges Verständnis wird unter den Menschen herrschen. Diese freundliche Auslegung von Mc Luhans globalen Dorf stammt vom Hausphilosophen einer anderen Firma, der mittlerweile als Innovations- und Veränderungsberater im Auftrag großer "Cloud-Hersteller" durch die Gegend tingelt. Seine Prognose aus dem Jahre 2000 will er nicht mehr hören. Die Menschen verstehen sich nicht besser, aber sie haben schneller Zugriff auf Daten und das überall. Die große Erzählung vom besseren Verständnis ist zu Ende, auch bei den Hackern im Chaos Communication Camp, das sich heute auflöst, wehten in dieser Woche die Winde der Veränderung.Es klang so schlecht wie das Gedudel von den Scorpions und passte bestens zum Gerede vom moralischen Betriebssystem. "Die Hacker-Ethik als regulative Kraft verliert ihren Einfluß", verkündete CCC-Mitglied Jens Ohlig.

(http://www.heise.de/imgs/18/6/9/8/9/8/3/de75a318c17de527.jpeg)
Frage 9: Das Oracle von
Delphi ist es nicht. Wer
spielt den Zeus?
Anonymous übernimmt, in schönster Billy the Kid-Manier. "Wir sind Internet-Banditen, weil ihr uns dazu gezwungen habt", der Vorwurf wurde den versammelten Hackern gemacht. Manch einer, der zum dahingerotzten Trotz noch Solidarität einfordert, wird sich nach dem Verschwinden der Hacker wundern, wer jetzt solch lustige Zeltgelage organisiert. Doch noch fliegen die putzigen Drohnen, die im Alltagseinsatz über Menschenmengen fliegen und nach Teilnehmern suchen sollen, die Thuraya-Telefone tragen, wenn Festnetz und Mobilfunk abgeschaltet sind, wenn sich die Menschen eben nicht verstehen können sollen.

(http://www.heise.de/imgs/18/6/9/8/9/8/3/5f44ece25598e2a8.png)
Frage 10: Und welche
Dreifaltigkeit wird auf
diesem Bild gesucht?
Manche könnten denken, Frage 9 hätte auch was mit Philosophie zu tun: Das Oracle von Delphi ist es nicht. Wer spielt auf dem Bild rechts den Zeus?
Frage 10: Und welche Dreifaltigkeit wird auf dem Bild links gesucht?

Quelle : www.heise.de
Titel: Was wirklich war. (Die Auflösung des letzten Sommerrätsels für dieses Jahr)
Beitrag von: SiLæncer am 16 August, 2011, 10:54
Nicht nur Bücher, auch Artikel haben ihre Schicksale. Das Sommerrätsel mit einem besonderen Schwerpunkt auf Hacker und ihr Treiben wäre fast in einer Geschichte untergegangen, in der die Vorstands-Hacker vom CCC einen der ihren von der Mitgliedschaft im Club ausschließen. Zwar weist Alt-Hacker Reinhard Schrutzki darauf hin, dass die Sache noch nicht ausgestanden ist und die Mitgliedschaft nur ruht, doch das Porzellan im Laden ist gehackt.

Damit geht es flugs zur Auflösung des Sommerrätsels, bei dem diesmal die Hälfte der Fragen gelöst wurden. Aphasie ist Bestandteil des Chaos, schreibt Gründervater Schrutzki, und zum Schutz der Mitglieder vor einem aphasischen Vorstand haben die Gründerväter Sicherungen in der Satzung eingebaut. Frage 1 wollte einen Vorläufer des CCC wissen, der sich GGG nannte. Als Wau Holland vor 30 Jahren, am 12. September 1981, nach einem Aufruf eine Schaar von Hackern in den Redaktionsräumen der taz sammeln konnte, hatte der ehemalige Pfadfinder bereits Gruppenerfahrung. In Marburg hatte er die Sponti-Gruppe Grüner Gummihammer (GGG) gegründet, die mit Aktionen die Spießigkeit westdeutscher kleinkommunistischer Studentengruppen aufs Korn nahm.

In Frage 2 sollten 4 Aussagen über Hacker in einer Anzeige der Firma Borderware lokalisiert werden. "He' s 32. Dresses like Kramer"? "Er is 32. Hat einen tollen Universitätsabschluss". "Thinks like Marx"? "Lebt von Cola und Fast Food". "Writes a syndicated column"? "Arbeitet für Ihre Konkurrenz". "And he's about to download your new product plans"? "Und ist gerade dabei Ihr topsecret Projekt zu entschlüsseln". Für Hacker ist in der Werbung jedes Klischee recht.

Frage 3 suchte passend zum Weltraum-Thema des Hacker-Sommmercamps einen bekannten Spieler-Namen, der bereits einen Weltraumflug hinter sich hat. Die richtige Antwort ist der Spielentwickler Richard Garriott, der sich in seinem Ultima Online als Lord British verewigt hat und einer der wenigen Weltraumtouristen war. Frage 4 zum Backup eines erfolgreichen Programmierers zielte auf Esther Dyson, die als Standby oder Backup das komplette Weltraumtraining absolvierte, um für Charles Simonyi einzuspringen, jenen Microsoft-Programmierer, dem wir die ungarische Notation verdanken.

Frage 5 beschäftigte sich mit Linus Torvalds, den die US-Zeitschrift Wired zum Leader of the Free World ausrief. Auch Torvalds hat ein Jubilärum zu feiern: Am 17. September wird Linux 20 Jahre alt, Grund genug, den Software Freedom Day zu veranstalten. Da dieser Tag in diesem Jahr auch der Occupy Wall Street Day ist, kann man Linus zitieren, der zum "Geburtstag" gefragt wurde, ob ihn der Linux-Kommerz stört: "Open Source hat viele Gründe. Ich habe meine eigenen Gründe gehabt, andere haben ihre Gründe. Die Welt ist ein komplizierter Ort und Menschen sind komplizierte Tiere, die Dinge aus komplexen Gründen tun. Die einen verbreiten gute Open Source Software, die anderen wollen Geld machen. Ich denke, es kann nicht so etwas wie eine Open Source Ideologie geben. […] Die einzige Ideologie die ich ablehne, ist die Ideologie, die andere ausschließt."

Frage 6 wollte passend zu Torvalds den Microsoft-Gründer Bill Gates wissen, der in der c't 11/1989 sich als Autor mit dem 25. Geburtstag von BASIC beschäftigte, "jedermanns erste Programmiersprache", wie Gates damals schrieb. Letzte Woche hatte der IBM-PC Geburtstag: Ein BASIC-Spiel namens DONKEY.BAS für diesen Rechner war die letzte Programmierarbeit von Gates.

Frage 7 suchte die verblichene deutsche Flugsuchmaschine Tallyman.de, aber mit einem Foto, mit dem die bei Gesichtern funktionierende Bildersuche von Google oder Bing eben nicht funktionierte. Die Rätsel-Crew bittet um Entschuldigung. Auch Frage 8 suchte eine mittlerweile aufgelöste Firma, die unrühmlich eingegangene Biodata, die auf ihrer Burg Lichtenfels einen Philosophen beschäftigte, Jörn Müller, heute ein Experte für die Willensschwäche im Mittelalter.

Frage 9 enthielt ein Zitat aus dem Buch "The Social Life of Information" von John Seely Brown und Paul Duguid aus dem Jahre 2000. Zu dieser Zeit war der selbst ernannte Chief of Confusion als Philosoph bei Xerox PARC angestellt und trat als Zeus auf Messen auf. Im Foto wurde der Firmenname Xerox weggeschnitten und damit das Rätsel zu schwer gemacht. Sorry.

Frage 10 zur Dreifaltigkeit zeigte den Schauspieler Matthias Kostya, der für die Deutsche Telekom den Avatar Robert T-Online personalisierte, der wiederum als Kopie von Max Headroom ausgelegt war.

Damit ist das Sommerrätsel in diesem seltsamen Nicht-Sommer vorbei. Der Dank der Rätselcrew geht an alle Einsender und besonders an Hans Franke vom Vintage Computer Festival Europe, der die Idee hatte, grafische Oberflächen raten zu lassen. Sie wurden schnell erraten, ein Hinweis darauf, dass es kniffliger werden kann. Sofern es noch Sommer gibt, die diesen Namen verdienen.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 21 August, 2011, 06:30
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Es ist geschafft. Endlich ist meine geliebte Alukappe in das Oxford Dictionary eingezogen, zusammen mit der Netzneutralität. Gerade weil Aluhüte so auffällig sind und SIE anlocken könnte, sind Alukappen viel sicherer, um nicht von IHNEN gedankengesteuert zu werden. Außerdem passen sie unter den Fahrradhelm, zu tragen in rasender Fahrt an Samstagnacht, wenn diese kleine Wochenschau beim Verlag abzuliefern ist.

*** So eine Alukappe ist ungemein praktisch, vor allem in Verbindung mit diesem kleinen Geweih oder Propeller. Auf diese Weise wird nicht nur verhindert, dass SIE in meine Gedanken reinpfuschen. Nein, die Kappe verhindert auch, dass das Denken unter der Kappe die Richtung ändern kann. Seit Picabia ist bekannt, dass der Kopf deshalb rund ist, damit das Denken die Richtung wechseln kann. Um Daten von Wikileaks, die jetzt dummerweise bei Openleaks liegen, spielt sich weitab der möglichen Interessen von Whistleblowern ein Theater ab, das den Titel "Großer Sommerschwank" verdient. Seit langem ist bekannt, dass Daniel Domscheit-Berg von Openleaks Daten besitzt, die Whistleblower an Wikileaks schickten. Seit dem Einschalten eines Anwaltes im Februar ist bekannt, dass nur ein unabhängiger Vermittler akzeptiert wird. Dieser wird von beiden Seiten nicht gefunden, stattdessen pendelt ein CCC-Vorstand hin und her, verbreitet seine Meinung bei einem Blatt, bei dem er als Sicherheitsberater im Einsatz ist, und schafft es zu seiner eigenen Überraschung, dass der Frontmann von OpenLeaks aus dem Club ausgeschlossen wird. Dieser reagiert auf seine Weise und will zum Löschen im großen Stil übergehen.

*** So endet die Auseinandersetzung sonst sehr intelligenter Menschen in einem Förmchenkrieg, weil Hacker nicht in der Lage sind, einen Schlichter oder eine Schlichtergruppe zu bennen, dem oder der sie vertrauen. Die Binnenperspektive der beteiligten Dickköpfe ist kaum nachzuvollziehen, aber einer hat es gemacht. Nun wird ein dahingeseufzter Wunsch in Erfüllung gehen, die Alukappen bleiben auf! Freuen wir uns auf den Eintrag bei Neusprech über die Interpretation dieses verunfallten Satzes: "Der Vorstand des Chaos Computer Club e.V. sieht im Vorgehen von Domscheit-Berg ein Ausbeuten des guten Rufes des Vereins." Das ausgerechnet der CCC eine Formulierung bemüht, die Anwälte gebrauchen, wenn gegen den unlauteren Wettbewerb vorgegangen werden muss, lässt tief blicken. Aus Hackern sind Geschäftsmänner geworden, den Nachwuchs interessiert das Geplenke schon lange nicht mehr. Was bleibt, ist der listige Entregungsvorschlag eines Altvorderen zur aktuellen Aphasie als Bestandteil des Chaos.

*** Alukappen sorgen dafür, dass man sich von der Realtität nicht irritieren lässt. Sie werden nicht nur von Hackern getragen, sondern sind auch in der hohen Politik im Einsatz. Man nehme nur das neue Schengener Informationssystem SIS II, das sich nach Ansicht der EU-Kommission auf dem richtigen Weg befindet. Bis Ende Juli liefen in sechs EU-Ländern die Compliance Tests, mit denen überprüft wurde, ob die nationalen Schnittstellen zu SIS II passen. Nur ein Land brachte die Testserie hinter sich, fünf gaben wegen technischer Probleme auf. Dennoch wurde der Test als erfolgreich bestanden gewertet. Was einer schafft, werden die anderen 16 Länder auch noch schaffen, ist doch logisch. So herrschte eitel Freude beim Bundeskriminalamt, dass in dieser Woche seinen 60. Geburtstag mit Kanzlerin und Hörnchennudeln feierte, bei dem BKA-Chef von den Leitplanken des Internet schwärmte. So normativ ist das Netz, in dem es "keine Haustür mehr" gibt, aber bittschön ein Klingelknopf mit Realname schon sein muss, weil, irgendwo muss man drücken können, ehe die Tür eingetreten wird. Muss wirklich? Ach nein. Wobei die Forderung nach Leitplanken eigentlich nur das Unbehagen des BKAs zeigt, das liebend gerne wieder Drachentöter spielen möchte, wie damals bei der RAF. Nichts ist so, wie es scheint im kriminalgeografischen Raume:

Die Rolle des Internets auch als Tatvorbereitungs- und Radikalisierungsmedium für islamistische Terroristen oder die unvorstellbare Grausamkeit des Attentäters von Oslo zeigen: Die vermeintlich virtuelle Welt ist real, mit realen Opfern und Tätern. Die Diskussion über normative Leitplanken des Internets, über Regeln und Maß, über die Frage, was die Gesellschaft im digitalisierten Zeitalter spaltet oder zusammenhält, zeigt das Unbehagen mit dieser Entwicklung.

*** Was Leitplanken können, können Leithammel schon lange. Am Samstag startete die neue ARD-Sendung Ratgeber Internet und Moderatorin Anna Planken (billiger Witz) verkündete: "Wir strukturieren das Internet neu!" Was folgte, war ARD-Werbung für die Zeitungsverlage (!) Holtzbrinck (Netdoktor) und Axel Springer (Onmeda). Es lies den Wunsch aufkommen, das stationäre Aufnahme aus ihrem Koma erwacht. Ich gebe zu, ich bin als Heise-Zulieferer befangen, aber: Es wird die Zeit kommen, da wird man Schnurers schönen Hemden nachtrauern. Bis dahin, zur Auflockerung, etwas TV-Dampf für alle: Surfen Multimedia So yeah!

*** Software kann Wunder wirken. Man nehme blos Photoshop und die Möglichkeit, ein Gerät so zu skalieren, dass es haargenau die Größe eines Apple-Produktes hat, etwa wie iPhone und iPad. Wenn diese kreativen Bildbearbeitungen vor Gericht Bestand haben, müsste es Hewlett-Packard ein leichtes sein, sein chancenloses Tablet auf Apple-Anmutung zu frisieren und den Kampf aufzunehmen. Man braucht dafür nur jedes Tablett mit kostenloser Tinte lebenslang anzubieten. Ach ja, die Tinte und dieses Photoshop: Die tageszeitung hat ein erstes Fazit ihrer Verpixelungsaktion gezogen, die Werbung auf Sportlerkörpern konsequent wegzushoppen. No Logo! "Der Aufwand ist zum Glück nicht besonders hoch. Dank Photoshop von jenem Baum der Erkenntnis, der im Garten von John Warnock stand.

*** Ich habe es ja mit Jubiläen. Heute ist der Tag, an dem der Omega-Unfall passierte, der von Atom-Technikern in aller Welt begangen wird, weil einer der ihren als Erster starb. Bezeichnenderweise werden dabei die Radium Girls vergessen, deren Schicksal die zulässige Strahlenbelastung am Arbeitsplatz definierte. Wer die 3,7 Kilobequerel mit der Belastung der Menschen in Fukushima umrechnet, wird sehen, dass dort überhaupt nichts "gut" geworden ist. Mein Mitleid mit den Zweifach-Verlierern hält sich in überschaubaren Grenzen, der Ausstieg aus einer unbeherrschbaren Technik ist wichtiger.

*** Ja. Was war? Mit den Jubiläen ist das so eine Sache, vor allem mit den traurigen. Am Samstag vor 15 Jahren starb Rio Reiser. Man mag sich ja angesichts der Vorstellung, was anders hätte laufen können, in so einem Fall doch mal ausnahmsweise und kurzfristig als Monarchist outen. Das geht aber schnell vorüber. Ansonsten bleibt die Hoffnung, dass er Recht behält und wir die Sonne sehen werden. Ganz real. Und ganz im übertragenen Sinne.

Was wird.

Der Sommer ist am Ende. Hastig werden die letzten Kornfelder abgeräumt, der nächste Regen steht an. Bis weit nach Mitternacht, wenn diese Kolumne erscheint, werden die Strohballen eingesammelt. Kein Alu schützt sie vor dem nächsten Regen. Das Trommeln der PR-Flaks wird laut und lauter, viele Pressekonferenzen und schließlich die IFA steht an, wo es "voll App gehen" soll. Im anlaufenden Trubel ist das Sommerrätsel längst Geschichte, der am letzten Wochenende zur ratende Lord British hingegen höchst lebendig. Dasselbe gilt auch für Thilo Weichert vom Datenschutzzentrum in Schleswig-Holstein, dem der Gefällt-mir-Button ein Dorn im Auge der Privatsphäre ist. Man muss nicht der Ansicht von Weichert sein, um die US-Kommentare deplaziert zu finden, die die Datenschutzforderungen mit jener 16-Jährigen korrelieren, die ein komplett legales Verhältnis mit einem Politiker hatte. Das mag in den USA obzön sein, wie es bei uns obzön klingt, dass Fluggastdaten in den USA 15 Jahre lang gespeichert werden sollen. Manche Leute kann man allein wegen ihrer völlig deplatzierten Vergleiche wirklich nicht mehr ernst nehmen, nicht erst seit diesen Tagen. So ist das mit dem aufhörenden Sommer, wenn in Kiel die Sommerakademie zur Optimierten Verantwortung/slosigkeit startet. Über die Förde raus nach Gotland segeln, das wäre eine Antwort.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 28 August, 2011, 00:32
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war

Ein Mensch ist gestorben, ein anderer wechselt aus gesundheitlichen Gründen in den Aufsichtsrat. Und die Biermösl Bloasn hat sich aufgelöst. Äh, okay, das passt jetzt nicht. Oder doch? Bleiben wir bei den ersten beiden Vorfällen, ein kleines Sommerrätsel gefällig? Wer bekommt die längeren Nachrufe? Richtig, Steve Jobs. Steve Jobs ist für einige Menschen längst ein Höheres Wesen und sie glauben wie alle Anbeter Höherer Wesen, dass sie Steve Jobs ihr Leben verdanken, wo sie doch bloß der Mut verlassen hat, sich ihres Verstandes zu bedienen. Wie alle Heiligen hat auch Steve Jobs seine Jünger, und wenn der leichte Südstaatendialekt von Tim Cook um 5 Uhr morgens im Fitnessstudio erklingt, dann zeigt sich, dass auch gestandene Technik-Redakteure den Verstand verlieren können. Wie bei allen Heiligen hat auch bei Steve Jobs die Phase mit den Auf-den-Wassern-gehen-Wundern begonnen: Die Nachrufe auf Jobs in den großen deutschen Zeitungen wimmeln dermaßen von Fehlern, dass allein die genaue Korrektur aller Falschaussagen, Überteibungen und Lügen locker dieses WWWW füllen könnte.

*** Nein, liebe Süddeutsche Zeitung, Steve Jobs hat nicht Visicalc (FAZ: Visical) entwickelt, das war ein Geniestreich von Dan Bricklin. In seinem Buch On Technology findet sich die hübsche Passage, wie er Anfang der 80er Jahre zusammen mit Steve Jobs, Bill Gates und Mitch Kapor Spalier in einem Hotel stand, um den berühmtesten Menschen der Welt zu sehen – Muhammad Ali. Steve. Nein, der erste Rachner mit einer Maus war nicht der Mac und auch die iCloud von Apple hat nicht die Apple-Nutzer "vollständig vereinnahmt": Einige von ihnen wurden auf Twitter und Google gesichtet, sogar im Heise-Forum soll es solche geben, mit freien Meinungen in freien Köpfen.

*** Nein, liebe Frankfurter Allgemeine Zeitung, Microsoft hat nicht im Jahre 2000 den ersten Tabletcomputer der Welt vorgestellt, sondern bereits 1995 und dabei eine Idee geklaut, die ein gewisser Jerry Kaplan schon 1987 entwickelte. Mit 75 Millionen Dollar Venturekapital gründete er die Firma Go – und machte den gravierenden Fehler, Bill Gates seine Forschung unter einem Nondisclosure Agreement zu zeigen. Von Go zu Apple gewechselte Ingenieure, denen Apple-CEO John Sculley ein komplettes Labor zur Verfügung stellte, entwickelten den Newton, der in allen Vor-Nachrufen auf Jobs ein stiefmütterliches Dasein führt. Und nein, liebe FAZ, Steve Jobs hat Computern keine Seele gegeben, wie ein anderes Höheres Wesen, das Lehm anhauchte. Selbst der Satz "Bleibt hungrig, bleibt tollkühn" ist eine Adaption: "Stay hungry, stay foolish" stand auf der Rückseite des Whole Earth Catalogue von Steward Brand, dem Kameramann bei der "Mutter aller Demos"

*** In seinem Buch "Startup" erinnert sich Kaplan daran, wie er bei Lotus mit Mitch Kapor über einen Notizbuch-Computer nachdachte und beide über den Tabletcomputer diskutierten, den die Astronauten in Kubricks "2001 – Odysee im Weltraum zum Lesen von Nachrichten beim Futtern nutzten. Zu den neckischen Späßen dieser Branche zählt nicht nur, dass Samsung im Streit gegen Apple diesen Film präsentiert, sondern die Vorgeschichte: Als Computer-Berater am Set der Odyssee im Weltraum hatte Stanley Kubrick den Informatiker Marvin Minsky engagiert. Dieser brachte wiederum einen Studenten namens Alan Kay mit, der unter Ivan Sutherland an stiftbasierten Systemen forschte.

*** Steve Jobs hat Apple mehrfach schwer geschadet und es ist nur den findigen Ingenieuren und Programmierern zu verdanken, dass es ihm nicht gelungen ist, den Laden völlig zu ruinieren: Die Geschichte der Katastrophen beginnt mit dem Apple II, dem Jobs nur zwei Slots für Drucker und Modem spendieren wollte. Es ist der Verdienst von Steve Wozniak, dass sich Jobs mit dieser Beschränkung nicht durchsetzte – und Apple mit den Slots das Vorbild für viele andere Computer in Sachen Erweiterbarkeit lieferte, bis hin zum IBM PC. Leichtfertig wird in allen Vorab-Nachrufen die Geschichte des Apple III übergangen, der ein Business-Rechner sein sollte – auf Anordnung von Jobs durfte keine Apple II-Software, insbesondere keine Spiele auf dem System laufen. Schließlich, als Apple nach der Lisa und dem ersten vermurksten Mac mit einer graphischen Oberfläche punkten konnte, erledigte Jobs das Star Trek-Projekt auf Drängen von Microsoft und Dell. So passt es zu der Lebensgeschichte, dass von Jobs auch der Newton als Projekt der Ära von Apple-Chef John Sculley eingestellt wurde, als Apple für den Schul-Newton eMate 300 einen Großauftrag der kalifornischen Schulverwaltung erhalten hatte. Das alles wird der Heiligsprechung keinen Abbruch tun, nach dem Motto "Ein Leben ohne Jobs ist möglich, aber sinnlos".

*** Lieber Gott, viel Spaß, das ist eine würdige Verabschiedung für einen Menschen, der den Unsinn des Lebens erfasste und selbst angesichts des Problems der Vorratsdatenspeicherung nicht in jene Hysterie verfiel, die derzeit Kriminalisten regelmäßig überfallt. Erst kürzlich wurde an dieser Stelle an die hübsche Schilderung des atomaren Fallouts erinnert, die sich das deutsche Fernsehen geleistet hat: "Dann macht es puff und all die kleinen Menschen und die kleinen Kühe fallen um. Niedlich nicht?" "Ein Klavier, ein Klavier!" muss her, damit der Abschied leichter fällt. Und ja, ein fader Blues muss sein, der für Willy.

*** Heute vor 50 Jahren erschien die Platte, mit der das Plattenlabel Motown seinen ersten Nr.1-Hit hatte und die Motown-Wunderstory begann. Die Marvelettes mit ihrer Leadsängerin Gladys Horton (R.I.P) sangen "Please, Mr. Postman", am Schlagzeug dabei: der junge Marvin Gaye, bekannt mit Heard it through the Grapevine. Noch heute kann man mit dem Streit, wer denn hier die Ersten waren, ganze Kneipenabende verbringen.

*** Schauen wir 50 Jahre in die Zukunft, wird das mit dem Kneipenabend ähnlich auch für die Leaks-Plattformen gelten, die derzeit alle nicht sonderlich funktional, aber hübsch zerzaust sind. Während Wikileaks zum Crowdsourcing im großen Stil übergegangen ist und damit vielleicht zu seinen Wurzeln zurückfindet, hat OpenLeaks die Drohung wahrgemacht und zu Wikileaks gehörende Dateien gelöscht, angeblich um die immerzu gefährdete Sicherheit der Quellen nicht noch weiter zu gefährden. Globaleaks, der Dritte im Bunde, hat erst einmal nur sein Repository gestartet, sicher ist sicher. Großmütig kommentiert derweil der Informant die Situation, der mit geschicktem Social Engineering die angebliche Quelle Bradley Manning hinter Schloss und Riegel brachte. Er möchte gern, dass Julian Assange an der Spitze von Wikileaks durch eine Person seines Vertrauens ersetzt wird – die wiederum förmchenhalber ihn, Adrian Lamo, als Führer von Wikileaks vorschlägt. Der einzige Lichtblick in diesem Tohowikibuhbuh ist derzeit die Suche der Vielen in dem Material, das plötzlich ausgeschüttet wird. Ob die Aktion aus "Frustration über die mit Wikileaks kooperierenden Medien" geschah, ist dabei völlig gleichgültig. Die Sicht auf die wesentlichen Dinge wird wieder klarer.

Was wird.

Wesentliche Dinge? Was gibt es wichtigere Dinge als den Fernseher, jenes Teil, das wir brauchen, um all die Talkshows und Kochshows abschalten zu können, die jetzt an den Start gehen? Vor dieser Willmaischbergerbeckmannjauche rettet uns kein Loriot mehr. Die IFA startet, nicht nur auf heise online. Endlich gehen die ersten Geräte an den Start, bei denen der Bildschirm die Augenbewegungen der Couchkartoffel verfolgen kann, bei denen Gestensteuerung die elende Fernbedienung ersetzt, mit der selbst die superschlauen "Digital Natives" nicht umgehen können. Endlich werden dank Raumüberwachung Szenarien denkbar, die alle "Medienpartner" vor Glück strahlen lassen. Wird etwa in einer Tageszeitung geblättert, schaltet sich der Fernseher automatisch ins Standby, um dem Leistungsschutzrecht der letzten deutschen Verleger zu entsprechen, die inmitten des öffentlich-rechtlichen Terrors gerade so überlebt haben: Wer erinnert sich noch, wie auf einer IFA Btx gestartet wurde, gegen den erbitterten Widerstand der Verlage, die den Untergang der Tageszeitung ahnten. Dass diese Untoten immer noch unter uns sind, dass in ihren Seiten immer noch geblättert wird, während Btx vermodert und verblichen ist, das ist ein Wunder, das nach einem Heiligen ruft. Kommt Steve Jobs zur IFA? Aber nicht doch. An seiner Stelle spricht Julian Assange, in einer Videoübertragung vom noblen britischen Landsitz aus, gesponsert von den Verkäufern weißer Ware. Sein Thema: "Mixer, Shaker oder Rührstab? Die Technologie hinter Wikileaks." Danach kocht er mit Markus Lanz Porridge.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 04 September, 2011, 08:00
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** John le Carré, der große Goethefan, schrieb einmal zu seinen Spionage-Romanen, dass die von ihm erlebte Arbeit im Geheimdienst mitunter so skurril war, dass jede Schilderung dem Leser unglaubwürdig erscheinen würde. Vergleichbares erlebt derzeit die IT-Branche. Nein, ich meine nicht Tablets, die so aussehen, wie sie nun mal aussehen, und sich daher in Nichts auflösen. Oder Facebook-Buttons, die das sind, was sie sind, aber nicht sein dürfen, weil sie nicht das machen, was Datensammler wollen, und dann doch nur ein bisschen ein anderes Gesicht bekommen müssen, um Datensammlern zumindest etwas Benehmen beizubringen. So, so. Buttons, die sind, was sie sind, müssen vorgeben, etwas anderes zu sein, dass die User nicht verwirrt werden, und die echte Funktion nicht mit der wahren Funktion verwechseln. Nun, Verwirrung war schon immer ein probates Hilfsmittel derjenigen, die etwas zu verbergen haben. Man weiß nicht, ob man weinen oder lachen soll; man weiß nicht, ob Facebook-Buttons tatsächlich der Ernst der Welt und Informanten-Schutz nur ein weiterer Witz im Kasperltheater einer selbsternannten digitalen Elite ist. Oder ist alles doch ganz anders, wir wachen auf, und alles wird gut? Wohl nicht. Le Carré steh' uns bei.

*** Wikileaks jedenfalls, einst angetreten als Garant für den maximalen Whistleblower-Schutz, liegt am Boden. Ein Passwort, das in einem nun auch schon sieben Monate alten Buch veröffentlicht wurde, entpuppt sich als das Master Password der Whistleblower, das im Jahre 2010 benutzt wurde und einfach wiederzuerkennen war. Noch schlimmer: Es gibt eine Datei mit allen unredigierten US-Depeschen, die mit dem Passwort geöffnet werden kann. Gründlicher kann man die Idee des Whistleblower-Schutzes nicht ad absurdum führen. Eigentlich sollten "Medienpartner" prüfen und veröffentlichen, reputierliche Namen wie Spiegel und Guardian klopften bei Wikileaks nach dem Erfolg von "Collateral Murder" an und wurden gnädigst zugelassen. Welche Gelder dabei flossen, ist sinnigerweise immer noch geheim, weil zumindest Bargeld kein Passwort braucht. Sonst wäre es vielleicht auch bekannt . Mit einer gemeinsamen Erklärung haben sich die "Medienpartner" von Wikileaks distanziert, nachdem die Aktivisten die Konsequenzen aus dem Whistle-GAU zogen und selbst den Inhalt der Datei in alle Welt verteilten. Die Medienpartner zeigen sich nachtragend, wenn sie erklären, dass diese Art von Veröffentlichung die "alleinige Entscheidung des Wikileaks-Gründers Julian Assange" sei. Kein Wort der Reue für die absolut blödsinnige Entscheidung, ein echtes Passwort in einem Buch zu veröffentlichen? Hätte nicht "Julian Assange ist nett, !einself!1" gereicht, mit dem Einbau-Zusatz ", aber gaga"? Selbst wenn, wie behauptet, das Passwort nur temporär gelten sollte, gibt solch eine Phrase immer noch Aufschluss darüber, wie jemand Passworte aufbaut. Statt Niedertracht regierte Nichtsahnung, auch bei Gründer Julian "Mad Proff" Assange, der ein Tool wie Rubberhose entwickeln wollte.

*** Seit Ende März zirkulierten recht eindeutige Hinweise auf den GAU in der Szene der IT-Journalisten, wo man sich einig war, die Sache nicht zu erwähnen. Es passt ins Bild, dass erst mit der hinreichend konkreten Beschreibung durch einen neuen Medienpartner, diesmal von Openleaks, der Brocken ins Rollen kam, der Wikileaks plättete. Der Hinweis von Whisleblowing-Experten, dass Whistleblowing als Idee nicht tot sei, weil sich Whistleblower wieder persönlich an Journalisten wenden können, ist nach diesen Partnerschafts-Spitzenleistungen ein schlechter Witz. Journalisten beherrschen ihre Werkzeuge nicht und auch nicht die Konzepte der Schutzmaßnahmen. Sie werden dabei von Hackern beraten, die mit verletzten Eitelkeiten untereinander Kleinkrieg führen: Situation normal, alle Fragen ungeklärt (SNAFU). Das kling hart, muss aber vor dem Hintergrund gesehen werden, dass es beim Whistleblowing mehr und mehr auf digitale Artefakte ankommt. Die Zeiten, in denen ein Fax in der Redaktion aufschlug und nur die Kennung weggeschnitten werden musste, sind längst vorbei. Wer sich vor diesem Hintergrund anschaut, was in der Journalistenausbildung gelehrt wird, muss schluchzend zum Strick greifen. da mögen noch so viele Privacy-Boxen aufgestellt sein: Sie nutzen nichts, wenn das Verständnis für die Konzepte fehlt. Der schüchterne Journalist, der sich in der Telefonzelle umzieht, braucht als Superman halt keine Verschlüsselung. Aber wo gibt es noch Telefonzellen?

*** Vergessen wir Superman. Wie war das noch mit Spiderman? Im Jahre 1977 erschien ein Comic, in dem der Spinner von seinem Gegensacher, dem superbösen Kingpin, mit einer elektronischen Handfessel geknechtet wurde: Kingpin konnte auf einem Monitor immer sehen, wo Spiderman war, der seineseits die Fessel nicht abnehmen durfte, da dies eine Atombombe zünden sollte. Der Comic wurde von einem Juristen gelesen, dem Haftrichter Jack Love, der im US-amerikanischen New Mexico die Firma "National Incarceration Monitor and Control Services" gründete, um eben diese Spiderman-Fessel für Häftlinge zu entwickeln, nur ohne Atombombenzünder. Heute ist seine Produktidee Wirklichkeit geworden: In schwedischen Gefängnissen tragen die Insassen Handfesseln, um jederzeit vom Wachpersonal lokalisiert werden zu können. Bei uns soll die Technik, als Fußfessel etwas unauffälliger getragen, bundesweit von Bad Vilbel aus kontrolliert zum Einsatz kommen.

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Wie das Bild rechts zeigt, nehmen die Juristen in Baden-Württember die Sache sportlich wie ein Fußballspiel mit Fouls und Roten Karten samt Platzverweisen. Pech nur, dass die nötigen Gladiatoren fehlen, an denen sich 11 Millionen Schwaben entzücken können.

*** Julian Assange, Superman, Spiderman, wer fehlt in dieser Reihe der Titanen? Richtig, der Mann mit dem Extra-Hirn als Aktivatorchip im Nacken, Perry Rhodan, der am 8. September 50 Jahre alt wird. Das erste Heft, das erzähltechnisch mit dem Jahre 1971 startete, wurde von K.H. Scheer geschrieben, wegen seiner Landser-Hefte auch als "Handgranaten-Herbert" bekannt. In dieser Hinsicht war sein Perry Rhodan eine Aufarbeitung alter Größe und der Begriff "Ersatz-Hitler" nicht sonderlich weit hergeholt. Wie aus dem Titel "Ersatz-Hitler aus dem All" "Der Weltraum als Modelleisenbahnkeller" werden konnte, verdient besondere Beachtung in einer Zeit, in der die Reichsflugscheibe auf einem Hacker-Camp landen konnte. Da passen die Geschichten aus dem Perryversum allerbestens: Wo sonst gibt es einen Geschichten-Zyklus, in dem eine "Info-Seuche" Tiere und Pflanzen des Solarsystems intelligent macht? Auf so einen Virus warten wir schon lange. Wobei die intelligente Seuche bei Perry Rhodan eigentlich nur darauf aus war, den Menschen auszurotten und durch Affen zu ersetzen.

*** Im befreiten Libyen häufen sich die Hinweise, dass das Internet mit westlicher Hilfe überwacht wurde, erstaunlich enge Beziehungen der Geheimdienste inklusive. Kommentatoren sprechen von der Unterdrückung 2.0, einem System, von dem unsere Stasi immer geträumt hatte. Während seinerzeit in Ägypten die verdächtige Spur nach Deutschland führte, ist diesmal offenbar Frankreich als der willfährige Software-Lieferant ausgemacht. Doch ist die jeweils kontraktierte Firma nur eine Seite der Medaille. Die andere, das sind die Spezialisten für Überwachungstechnik, die ganz im Sinne nachhaltiger Entwicklung in die Länder zur Hilfestellung geschickt werden. Wie im Link gelesen werden kann, kommt Deutschland seiner Verpflichtung nach. Wie schrieb Simmel nochmal in seinem Spionageroman? "Es muss nicht immer Panzer sein"? Genau. Geschäft ist Geschäft und niemand findet es etwas besonderes, wenn IBM den Geheimdienst-Lieferanten i2 für Big Data Analytics kauft. Als Identity Intelligence gestartet, ist die Ausgründung der NSA mit vielen Regierungen gut im Geschäft.

Was wird.

Geschäft ist Geschäft: Mit Tusch und Trommelwirbel wird jetzt schon das Jubiläum zum 11. September angegangen. Besonders apart ist eine Informationsserie mit Zeitzeugenvideos, die das Bundesinnenministerium anbietet, weil der islamistische Terror so nachhaltig ist. Vor dem großen Datum erscheint am 6. September das Buch "Top Secret America" basierend auf einer Reihe von Reportagen der Washington Post, die in dieser kleinen Wochenschau schon einmal erwähnt worden sind. Erste Rezensionen zeigen, wie geschockt manche US-Leser von der schlichten Tatsache sind, dass der "Krieg gegen den Terror" völlig außer Kontrolle geraten ist und nicht etwa neue Opfer, sondern immer neue Organisationen mit riesigen Etats erfordert. God bless America? Wie wäre es mit einer kleinen Info-Seuche für Menschen inklusive Bedienungsanleitung für den eigenen Verstand?

Seit dieser Woche wird der elektronische Aufenthaltstitel für unsere lieben Mitbürger außerhalb der EU ausgegeben, mit der sie in den Genuss der Nicht-Leistungen kommen, die die deutschen Umbürger mit dem sicheren neuen Personalausweis genießen. Mit Preisen ab 110 Euro ist das Kärtchen für Ausländer zwar etwas teurer als das alte Klebeetikett, aber dafür können ab sofort unsere lieben ausländischen Mitbürger genau wie wir auf die vom BAMF ausdrücklich erwähnte qualifizierte elektronische Signatur warten. So etwas verbindet, liebe Türken und Inder. Beschwerden, dass die eigentlich unter diese Regelung fallenden Schweizer ausdrücklich ausgenommen werden, weil ihre Finger durch Sportarten wie das Unspunnensteinwerfen nicht lesbar sind, sind einfach kleingeistig. Schließlich helfen die Schweizer, anders als die Inder, bei der Sicherung von Schengen mit. Außerdem sprechen sie etwas, das anders als das gute Deutsch unserer Mittürken und Mitinder kein Deutscher versteht und sind so schneller zu identifizieren als mit einer Chipkarte.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 11 September, 2011, 07:00
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Was Hund ist, schweigt noch immer. Kein Ton. Kein Klavier. Und Flugzeuge leidvoll über uns. Nein, das ist keine stumme Kolumne. Wie vor 5 Jahren wird hemmungslos gebellt an der Medienfront. Schließlich ist auch dieser merkwürdige Stellvertreterkrieg im Irak vorüber und Osama bin Laden tot. Alles wird gut, alles ist gut geworden. Alle, die es immer gewusst haben, schreiben, dass sie es immer gewusst haben. Sonderseiten, na klar, und Verschwörungstheorien noch und nöcher. Immerhin gibt es redliches Bemühen, die vielen Mosaiksteinchen nicht gewaltsam in das schiefgelegte Weltbild zu pressen. Doch auch dabei haben Stimmen, die nachdenklich die Verantwortung des Intellektuellen einklagen, kaum die Chance, gehört und debattiert zu werden. Im ganzen Web sucht man vergeblich nach dem "Ich habe die Verantwortung, mich meines Verstandes zu bedienen"-Button.

*** 3,2 bis 4 Billionen US-Dollar wurden dem Infoporn der Wired zufolge in den USA für den "Krieg gegen den Terror" ausgegeben. Nüchtern betrachtet, entstand dort der größte, technisch anspruchsvollste Überwachungsstaat der Welt, während das Geld für Sozialreformen fehlte. Wenn diese Informationen stimmen, gab es zeitweilig sogar die Gefahr, dass die USA eine Diktatur werden – dann hätte bin Laden wirklich gesiegt. So musste Obama die Kriegsverbrechen der Regierung Bush übergehen und bin Laden töten, in einem gespaltenen Land mit der Operation Geronimo kontern und mit gespaltener Zunge sprechen. "Wir haben das Pearl Harbour des neuen Jahrhunderts auf den Bildschirmen gesehen, wieder und immer wieder, und warten auf sein Hiroshima", schrieb ich vor 10 Jahren. Das ist bislang ausgeblieben.

*** Zu den Errungenschaften des asymmetrischen Krieges gehört zweifelsohne der elektronische Reisepass mit biometrischen Informationen, das Sicherheitstheater an Flughäfen und ganz, ganz neue Körperscanner, von denen Aufnahmen im Namen der staatlichen Sicherheit flugs verboten werden, damit Terroristen keine Rückschlüsse zur Kampfstoffschleusung ziehen können. Nicht nur bei Scanner-Produzenten und biometriegetriebenen Aufpassern klingeln die Kassen. Eine prosperierende Sicherheitsindustrie ist entstanden, die wunderbar die Militärforschung ergänzt, die Systeme für "unsere Jungs in Afghanistan" entwickelt und entsetzlich unter Kursschwankungen zu leiden hat. Man könnte auch die Dauer-Diskussion um die Vorratsdatenspeicherung zu den Errungenschaften zählen, wenn passend zum Jubiläum Terroristen geschnappt und alte Reflexe ausgelebt werden. Inmitten der akuten, höchst bedrohlichen Terrorgefahr sollte man diesen Satz der Tagesschau einmal im Hinterkopf behalten: "Kauder verlangte außerdem, im Berliner Terror-Verdachtsfall zu prüfen, inwieweit das Löschen von Kommunikationsdaten die Ermittlungen erschwert habe." Die immer wieder aufgestellte Behauptung der im zierckanischen Nichts herumtappenden BKA-Experten könnte endlich verifiziert oder falsifiziert werden. Vielleicht kommen weitere lustige Geschichten von Spion und Spion ans Tageslicht.

*** Im Dezember 2001 beschäftigte sich die Ausgabe der US-Zeitschrift Wired ausführlich mit 9/11. Viel Beachtung fand der Artikel The Surveillance Society mit der Aussage: "Worrying is a waste of time. Surveillance is here. It was inevitable." Ein Überwachungsstaat werde es dennoch nicht geben, meinte der Wired-Autor Adam Penenberg und endete unter Berufung auf den SciFi-Autor David Brin: "In the long run, it will be people – empowered by the surveillance web – who thwart the thugs, the tyrants, and even the terrorists." Damals stellte die Wired-Kritikerin Paulina Borsook fest, dass schlimmer als die Spitzelei durch CIA und andere Schlapphüte die Bespitzelung durch eine Bande vernetzter Geeks mit technolibertärem Background sein dürfte, die selbst gekürte Standards setzen. 10 Jahre später schweift mein Blick auf die Pläne von Peter Thiel zum "Seastading" neuer Staaten auf Inseln im Meer und wendet sich ab vom perfekten Überwachungsstaat. Cyberegoistisch gesehen sind die Inseln ein Triumph der Geeks. Die perfekte Tele-Polis als Antwort auf Obama bin Laden und seine Fiktion vom einfachen Leben der Koranbrüder, das ist die Neufassung von "Berge, Meere und Giganten."

*** In dieser Woche ist die deutsche Ausgabe von Wired erschienen, die etwas rätselhaft in der tageszeitung so beschrieben wird: "Wired ist darin ein publizistischer Verwandter des schillernden Onkels Apple, die ct vom schlauen, aber spröden Cousin Linux-Thinkpads. " Der Leser dieser Wochenschau ist also schonmal vorgewarnt, wenn jetzt eine Kritk der Masturbationsvorlage für Geeks folgt. Das Blatt beginnt mit einer Erklärung der Satellitennavigation, die offenbar nur für iPhones gedacht ist und endet im Kulturteil mit TV-Serienempfehlungen des Werbepartners Sky. Dazwischen gibt es ordentlich Schelte für Deutschland, die gar nicht einmal falsch ist: der elend verschleppte BOS-Funk der Polizei, die grandios verbaselte Suchmaschine Theseus, der Flopp von ELENA, der elektronische Personalausweis, der immer noch mehr Versprechung denn Geek-Kärtchen ist oder so etwas simples wie das Verkehrsystem Ruhrpilot: IT-Müll, wohin man schaut und keine Aussicht, dass es einmal besser werden könnte. Doch halt, die Wired hat das Rezept! Die Rettung sollen Geeks bringen, die in entsetzlich belanglosen Geschichten vorgestellt werden. OK, sie mögen die Fotografie revolutionieren oder gute Gedanken zum Cyberwar haben (aber dabei technisch ahnungslos wie eine Bohne sein): geschenkt. Keiner der aufgeführten Personen würde man zutrauen, die wichtigen Probleme zu lösen, die Wired selbst benennt. Soll jemand vom hochgelobten Soundcloud das Neudesign des BOS-Funks unter Einbeziehung von LTE besorgen? Und warum revolutioniert ein ehemaliger Handelsblatt-Redakteur den Fahrradverkehr in London, statt sich um den Ruhrpiloten zu kümmern? Was nützt die Arbeit an Quantencomputern beim Lohnsteuermeldesystem? Ganz nebenbei steht noch die schönste wirklich geekige Geschichte gar nicht im Blatt, wo sie versümmelt wurde, sondern wunderbar geschrieben im Blog der Autorin. OK, Schokolade wird auch kein versemmeltes IT-Projekt retten, ist aber ein anarchistisches Element.

Was wird.

"Du hast das Handy vergessen, mein Michael
Nun glaubt uns kein Mensch wie schön's hier war(ahaha)
Alles ward nicht aufgezeichnet, bei meiner Seel'
Alles blau und weiß und grün und später nicht mehr wahr!"

Nein, Nina Hagen demmlerte nicht, sondern sang "Dieser Zug nimmt keine Control-Freaks mit" auf der Berliner Demonstration Freiheit statt Angst inmitten einer Bewegung, die sich verstetigt hat. Nach Auskunft der Veranstalter waren 5000 Menschen dem Aufruf gefolgt, ein stetig abnehmende Zahl nach den 15.000, die 2007 noch die Wut im Bauch hatten. Ob es nächstes Wochenende in Brüssel bei Freedom not Fear bzw. "Vrijheid in plaats van Angst" mehr Menschen sein werden? Zu wünschen wäre es, auch wenn die Müdigkeit der Szene unübersehbar ist: Es ist nicht besonders attraktiv, dem "Pawlowschen Reflex" der Politiker mit ihrem Kauderbell nach Vorratsdatenspeicherung jedesmal mit dem Geheule vom drohenden Überwachungsstaat zu antworten, weil niemand eine aussagekräftige Überwachungsgesamtrechnung aufstellen kann, genau wie weiter oben zum "Terror-Verdachtsfall" angemerkt. Für alle Berlin und Brüssel-Gegner gibt es noch was, das schneller geht als Herumlatschen in der Sonne: eine wichtige Online-Petition zur Vorratsdatenspeicherung.

Wie bei allen Wochenschauen mit Bezug auf 9/11 dürfen die Fotos von Paul Battaglia nicht fehlen, die der junge Mann von seinem Arbeitsplatz machte. Diesmal finden sie sich im Blick nach vorne, denn in New York wollen die Adbusters den Occupy Wall Street Day begehen. Ein Tahrir-Happening im Geiste der spanischen Acampadas soll im Herzen der Weltfinanz entstehen, mit 20.000 friedvollen Menschen, Zelten und Feldküchen soll es werden. Da zuckt der transatlantische Daumen. Und hey, selbst die Geeks haben eine weltweite Party zur Feier des 1. Releases von Linux: Am Software Freedom Day. Selbst die Waschbrettbäuche von Wired Deutschland sind eingeladen, und könnten sich an ihrem Standort bei der Demonstration für ein Menschenrecht beteiligen, auch wenn sie nach dem abgedruckten "Maßterplan" im ersten Heft die Zeit angeblich auf dem Oktoberfest verbringen wollen.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 18 September, 2011, 00:31
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Was für eine Woche. Nervös klopfe ich auf das Tablett und die Bürger-App öffnet sich. Die wöchentliche Überprüfung des richtig verstandenen Freiheitsbildes und der ökologisch korrekten Lebensführung steht an. Schließlich leben wir in Deutschland, liederumrankt:

Du Land der Arbeit, Land der Pflicht,
Ich reiche Dir die Hand,
Nie leiste ich auf die Verzicht,
Geliebtes Heimatland.

*** Oh, die Bürger-App beruhigt ungemein: Es ist alles im grünen Bereich bei den Balken, wie das Forum bei einem CCC-Geburtstag. Da, der Balken mit den Einnahmen der Woche, ganz wunderbar grün, im Land der Arbeit. Auch die eingegangenen Gesundheitsrisiken können sich sehen lassen: über die Tage eigentlich grün, bis auf diesen Mahnungsblinker zum unmäßigen Rotweingenuss beim Türken. Und Hüpfen ist schlecht für die alten Knochen. Grün dafür die abgegoltenen Arbeitsstunden für die Community, hübsch grün der Balken für den Karbon-Fußabdruck. Ja, das Auto musste mal sein für diese Sendung nach der Energiewende, aber ich habe bei der Strecke via Maut-App auf dem Carphone die besonders hoch tarifierte Ökomautstrecke gewählt, das hat es gerissen. Sehen lassen kann sich auch das Grün bei der wöchentlichen staatsbürgerlichen Gesinnunggewichtung: Hat sich eben doch gelohnt, das Zeichnen der einen ePetition für die Ausweitung der Vorratsdatenspeicherung nach US-Vorbild auf 15 Jahre und die andere für den Ersatz des Personalausweises durch einen Körperchip. OK, das Gelb beim pflichtschuldig zu führenden Emotionshandel mit den Migranten stört, aber das Angebot im Eros-Center war dieser Tage wirklich nicht mein Fall. Immerhin kann der Malus-Stand jederzeit in Frontsexhäusern nachgebessert werden, anders als beim viertelgelben Stern, den die Bürger-App seit Integration der JonJ-Erweiterung beharrlich ausweist. Da heißt es taff sein, und ein Lied muss her:

Halt dem Freund die deutsche Treue,
zeig' dem Feind die deutsche Faust,
die, wird sie herausgefordert,
wuchtig auf ihn niedersaust.

*** Ja, diese wuchtigen deutschen Tatsachen, die haben schon immer überzeugend gewirkt. Nur deutsche Denokraten leben frei, mit ihrem ganz besonderen Freiheitsbild, das flugs ein Urteil über Falschversteher zulässt, die nicht auf Vorrat hin überwacht werden wollen. Da macht es Mut, wenn Freunde aus Tschechien mitsingen wollen bei der allgemeinen Überwachungspfuscherei im Namen der deutschen Verhältnismäßigkeit. Anders ausgedrückt: Heute geht es uns noch verhältnismäßig gut, aber nicht mehr lange. Was ist, wenn andere Regierungen kommen, die all die Hebel und Knebel umsetzen, die vormontiert sind, bis hin zur Einführung der Bürger-App?

*** Gemeinhin sind die von Wikileaks in einem Abwasch herausgehauenen US-Depeschen immer noch für die Aufdeckung von Skandalen gut. Derweil macht Frontmann Julian Assange gerade die Erfahrung, dass seine Garage Sales-Auktion mit eigenem Personenkult weniger einbringt als die Gelder, die die Wau Holland-Stiftung für ihn einsammelt und verwaltet. Währenddessen liefert das redaktionelle Rätsel um die Cables und ihre unzuverlässigen Varianten weiterhin hübsche Lesarten, wann und wo mit welchem Zeitstempel Dateien veröffentlicht wurden. Dabei sind die Depeschen bereits wunderbar historisches Material und liefern beispielsweise Innenansichten einer Partei, die das Dreikönigskabel auf Büttenpapier ausdruckt – und die Wendung Steinemeierd geflissentlich vergisst. Wenn diese kleine Wochenschau im größen wüsten Web lesbar ist, wird in Berlin gewählt. Bei den Gelben soll ein Notfallplan existieren, in dem die bis dato aufrichtigste Politikerin den Schelm ablösen soll. Vielleicht ist es an der Zeit, die US-Depesche 1377 auszudrucken. Mit einer Außenministerin, die dem TFTP-Vorhaben mit einer Datenspeicherung über 15 Jahre ablehnend gegenübersteht, käme Leben in die Außenbude. Ein Lied, zwo, drei:

Und weil wir dies Land verbessern
Lieben und beschirmen wir's
Und das liebste mag's uns scheinen
So wie andern Völkern ihrs.

*** Es gibt ein bemerkenswertes kleines Büchlein, in dem die ersten drei Kapitel "Streunen", Furcht und Agresseion" und "Liebe" heißen – und eine luzide Einführung in die Kybernetik anhand kleiner Vehikel sind. Geschrieben hat das Buch Valentino Braitenburg, der leider in diesen Tagenn gestorben ist. Seine Fähigkeiten, die Probleme des Geistes im Geiste zergehen zu lassen, werden vermisst, die einstmals große Schule der Kybernetik schließt ihre Pforten. Wer seine klugen Gedanken und entzückenden Egotrix- und Mnemotrix-Spiele kennt, auch die Ansichten über die Kollegen seiner Zunft, wird versöhnlich seinen Abgang verstehen, wenn absoluter Müll die Nachrichten beherrscht und als Robotik durchgehen darf. Für den Südtiroler Valantino Braitenberg wären die im südtirolischen Losone hergestellte Wackeltiere wohl die richtige Antwort auf diese Nachricht. Fakten, Fakten? Von der 3000 Euro teuren Therapie-Robbe Paro sind 1700 Exemplare hergestellt worden, von denen 200 in Europa eingesetzt sind und 10 in Deutschland. Wie war das noch bei Braitenburg: Liebe entsteht dort, wo Hemmungen zwischen Sensoren und Motoren möglich sind, wo es beruhigenden und entspannnende Reize gibt. Alles andere schlägt um in Agression oder Furcht vor Agression. So tut mir doch nicht so zärtlich, Esel und Eselinnen.

Was wird.

Was um Mitternacht erscheint und keine blutigen Eckzähne hat, ist eine Wochenschau, die noch nichts über die Ereignisse in der New Yorker Wall Street schreiben kann oder über das, was auf der "Wiesn" passiert. Zur Vorschau gehört darum auch ein Fest in Heidenheim, wo Drohnen die Heiden bewachen und Luftaufnahmen liefern, auf dass niemand über die Stränge schlägt. Auf der SWR-Party im Brenzpark soll die Leistungsfähigkeit von AMFIS demonstriert werden, in einem System der intelligenten Videoanalayse, das proaktiv selbsttätig Problemsitautionen erfasst. Das Ganze wäre nicht sonderlich bemerkenswert: Wo freiheitssichernde Drohnen nicht fliegen können, ist keine Freiheit möglich, wusste bekanntlich schon Humboldt über die ungebundenste Freiheit der Fliegerchen zu berichten. Nun hat der Chaos Computer Club eine Beschwerde gegen die Totalüberwachung der feste Feiernden eingereicht, der selbst auf seinem Sommercamp den Drohnenfreunden eine Bühne gab. Ob die große Show der Überwachungstechnik damit gestoppt ist, kann hier noch nicht berichtet werden.

Deutsches Recht und deutsche Freiheit,
ach, was schert uns solcher Tand;
drüber lachen wir, die neuen
Deutschen mit der Eisenhand.
Nein, im Glanze der Kanonen
blühe künftig nur die Welt,
bis All - Deutschland mächtig krachend
einst in Schutt und Trümmer fällt.

Dafür freue ich mich, ein Stück aufgreifen zu können, das aus dem Land stammt, das führend in der Überwachungstechnik ist, das weltweit stolz ist auf die die höchste Zahl an Fußfesselüberwachten (inklusive Julian Assange), auch wenn diese Form der Überwachung komplett zusammenbrach, als die consumeristischen Unruhen ausbrachen. Dort ist das Abschreiben von Preisetiketten im Supermarkt inzwischen ein Problem geworden, bei dem die Security alarmiert wird. Wahrscheinlich hätte ein simples Foto mit dem Smartphone nicht die Aufmerksamkeit der Überwacher auf sich gezogen, denn das Scannen von Barcodes und QR-Codes könnte immer auch Teil einer Werbekampagne sein. Die Lektion? Ob Heißluftballon zum Sommerfest, ob Kamera im Supermarkt: Gesünder und gelassener, ja liebevoller kommt durchs Leben, wer Hemmungen einplant und entspannende Signale gibt. Die anderen sind auch nur Maschinen. Wenn es etwas mehr sein darf, präsentiere ich einen wunderbar verständigen Kollegen das Wetter und einen denkenswerten Satz: "Look for me in the weather reports".

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 25 September, 2011, 09:25
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Die Woche der Abschaffung des Fleisches hat angefangen, ehe die Woche der Messfehler zu Ende ging. Da jagt ein Neutrino angeblich schneller als das Licht herum und die Piraten kommen in Berlin auf 8,9 Prozent. Beide Ergebnisse sollten nicht sonderlich ernst genommen werden, zumal bemühte Erklärungen vom Stoppen des Autobahnverkehrs im Gran-Sasso-Tunnel zum Lachen reizen: Da bricht das Theoriegebäude der Physik zusammen, aber eine Autobahnsperre ist unzumutbar. Dabei ist die Überlichtgeschwindigkeit für alle bereits bekannt und ordentlich "nachgewiesen". Ähnlich sieht es bei den Piraten aus: das Wahlergebnis entspricht nicht dem messbaren Piratendurchsatz in Berlin, sondern ist gemessen an der hauptstädtischen Raubkopiermörderrate viel zu niedrig. Auch hier gibt es Erklärungen, die zum Lachen reizen: "Fachzeitungen haben im Übrigen den Grünen bescheinigt, dass wir den besten Netzwahlkampf führten", meint Jürgen Trittin im Interview. Messfehler mit Bescheinigungen also auch in der IT-Branche, wahrscheinlich von den Hampelmännern, die in der Einöde des Digital-Marketings leben.

*** Und dann war da noch der Papst mit großen, ernsten Reden zum Naturrecht: "Bereits in jungen Jahren fühlte ich eine unbestimmbare Abneigung gegen den synthetischen Konsens der westlichen Welt. Ich wollte rebellieren, anders sein und die großen Kämpfe der Vergangenheit führen, in denen Rudi Dutschke mit einer Zwanzig-Menschen-Demonstration die Republik in ihren Grundfesten zu erschüttern schien. Da ich bereits früh Texte im Netz las, aggregierte ich einen stabilen, überzeugten 'Bauchkommunismus', der vom Willen zur Gerechtigkeit geprägt war und vom Vertrauen, dass Menschen Gutes tun, wenn sie Gutes erleben." Oh, hoppla, ein Zitatmessfehler, das ist nicht Benedikt. So beginnt die Rede der amtierenden Päpstin, ihrer Datenschutzheiligkeit, die nach Erkenntnissen einer Zeitung für kluge Köpfe "Internet im Blut" hat.

*** K. Lauer würde hier ganz klar einen Fall von Do-Ping sehen. Spätestens wenn in Le kegelclub die Geschlechterfrage als Strukturkategorie der Diskriminierung diskutiert wird, hört der Spaß auf. Die wichtigsten Werkzeuge der Piraten Twitter, Jabber, Mumble, Piratenpads, Piratenwiki, Foren, Blogs können Frauen doch genauso gut bedienen wie Männer. Und trollen können sie auch. Gerechtigkeit, Transparenz und Breitband, dass ist der Content hinter der Message. Als "Urheber" bin ich natürlich kein Freund unausgegorener Piratenideen, die mich enteignen, freue mich aber, wenn Grüne im allabendlichen TV-Talkgraus gegen die Piratenforderung vom fahrscheinlosen ÖPNV in Berlin kinderreiche Familien anführen, die doch ein Auto bräuchten. Besser kann die Kretschmannisierung der Grünen nicht auf den Punkt gebracht werden. Oder sollte man segeltechnisch besser vom Kentern sprechen?

*** In Reaktion auf den Erfolg der Piraten hat Bundespräsident Wulff eine Grundsatzrede "Demokratie 2.0 - Von der antiken Agora zur Demokratie im Internetzeitalter" angekündigt, die am 20. Oktober einen weiteren Ruck durch die Republik schicken soll in dieser ruckreichen Zeit. Schließlich hat unser Bundespräsident mit seiner Timeline im Internet so etwas wie eine Vorbildfunktion. Jemand, der mit seinen Kindern die Raupe Nimmersatt im Netz anschaut, will sicher, dass sie einmal richtig gute Piraten werden in der liquiden Demokratie der Zukunft. Bekanntermaßen war das Original von Eric Carle das Lieblingsbuch des US-Präsidenten George W. Bush, das ihn beim "Heranwachsen" maßgeblich beeinflusst haben soll.

*** Auf seine Art wächst auch Facebook heran, das sich zu einem Lebenslog entwickelt, in dem alles frisch und frei verwoben werden kann. Selbst ein Todesfall ist mit einem einfachen Klick erledigt und braucht nicht mehr zusammengestellt werden. Ja, Robin Meyer-Lucht ist tot, der kluge Kopf hinter dem 1-Mann-Think-Tank Berlin Institute, der unter dem Wissensdenker Peter Glotz an der Universität St.Gallen den Wandel der Medien verfolgte und die Schlacht Online gegen Print kommentierte. Immerhin konnte Robin noch das iPad erleben, dass er als Berater vorhergesagt hatte und damit in vielen Redaktionen auf blankes Unverständnis stieß. Aus dem von Glotz so fortschrittlich angelegten Medieninstitut in St. Gallen ist eine Institution geworden, in der Unken den Ton angeben, die laufend vor dem Internet warnen. Eine schmerzliche Erfahrung mehr.

*** Auch der Tod des deutschen Nobelpreisträgers Rudolf Mößbauer ist weder ein Übertragungs- noch ein Messfehler. Als junger Mann bekam er für eine "ganz einfache Entdeckung" den Nobelpreis, ehe er sich den komplizierten Neutrinos zuwandte. Vom amerikanischen Universitätssystem beeinflusst, gehörte Mößbauer zu denen, die frühzeitig (vergeblich) einen Strukturwandel der deutschen Universität forderten. Zur deutschen Bildungsbaustelle von heute fand er nicht druckreife Worte.

*** Was Facebook anbelangt, so sollte man nicht unbedingt von der Hölle sprechen. Es wird – der Papst hat es gerade betont – auch einen Himmel geben, in dem die Daten verschwinden können in der Wolke. Verschwinden im Sinne von hin und weg, weil niemand seine Lebensleine aufzeichnen wird. Wenn eines Tages die Rechenzentren beim Big One in Kalifornien ins Meer gespült werden und die große Rekonstruktion beginnt. Vielleicht sind dann nur Freunde übrig geblieben, deren Vornamen mit K anfängt oder von allen Fotos nur das Blau der Ferienhimmel, von Videos die rechte Tonspur. Vielleicht werden wir noch von allen Wörtern, die mit anl, ano oder ant anfangen, wissen, in welchem Jahr sie an welcher Stelle in einem Buch veröffentlicht wurden. Aber nicht in welchem.

Was wird.

Es ist ein ziemlich unscheinbares Datum, doch es ist noch gespeichert und einen Hinweis wert: am Donnerstag vor 100 Jahren begann der italienisch-türkische Krieg, in dem viele Neuerungen des modernen Krieges erstmals eingesetzt wurden. Libyen wurde zum Testfeld eines mörderischen Italiens, dass den Topos "Volk ohne Raum" als Rechtfertigung für üble Verbrechen benutzte: der erste Bombenabwurf, der Einsatz von Giftgas, die Einrichtung von Konzentrationslagern zur Ausrottung der Einheimischen und ein ständiger Terror gegen die Zivilbevölkerung, die umstandslos getötet wurde, sobald sich der geringste Verdacht auf Widerstand regte. Was in Libyen ausprobiert wurde, perfektionierten die deutschen Nationalsozialisten. Auch die Fatwa, die alle Muslime zum Widerstand gegen den Westen auffordert, hat ihren Ursprung im tripolitanischen Völkermord. Selbst das umfangreiche Überwachungsnetzwerk, das Gaddafi mit Hilfe südafrikanischer und französischer Firmen eingerichtet hat, kann auf italienische Wurzeln zurückblicken. Noch eine augenfällige Konstante ist das Ausprobieren neuer Technik. Bekanntlich wird die französische Firma Amesys, eine unter dem Namen i2e gestartete Tochter des Bull-Konzerns beschuldigt, einen Allrad-Mercedes an Gaddafi geliefert zu haben, der nicht geortet werden kann. Auch wenn Amesys die Vorwürfe bestreitet, so gibt dieses nette Antiterror-Video einen Eindruck von der Technik, die Gaddafi beschützt. Das Ganze ist natürlich überwachungstechnisch ausbaufähig. Auch nett: Die südafrikanische Firma VAStech, die ihr Überwachungssystem Zebra in Staaten verkauft, die nicht das Geld haben, eine teure Lösung wie die von SS8 zu kaufen, startete als Zulieferer von Siemens.

Eine einzige, kleine, kurze E-Mail, eine Wutmail hat genügt, um den Anwärter auf den Posten des obersten Terroristenjägers in Deutschland zum Auswärter zu machen. Die persönlich gemeinte Wutmail brauchte nicht einmal 10 Minuten, um zu den Medien zu gelangen. Schon wird der Vorfall um den FDP-Mann Schmalzl zum Anlass genommen, das Geträller über den rechtsfreien Raum im Internet auf volle Lautstärke zu drehen. Einfacher wäre die Erkenntnis, das eine solche Wutmail auch in einer Kleinstbehörde nicht unverschlüsselt gesendet werden darf. Jetzt muss die FDP-Ministerin Leutheusser-Schnarrenberger in den nächsten Tagen erst recht eine Person suchen, die in der Nachfolge von Monika Harms der ungezügelten Überwachungslust entgegentritt.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 02 Oktober, 2011, 00:06
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Der goldene Oktober ist da, die Eichen lassen Eicheln regnen und so knirscht es gruselig knackend bei jedem Schritt. Auf dem Bauernmarkt wird der größte Kürbis gewogen, auf dem Buchmarkt der größte Unsinn. Bekanntlich steht die Buchmesse vor der Tür, auf der das Lesefutter für die neuesten Kindle vorgestellt wird. Knackend werden die Knochen der letzen Autoren und Urheber zusammengefegt und das sagenhafte Island gefeiert. Dort, wo nach den Klagen der Assange-Groupies die isländische Parlamentarierin Birgitta Jonsdottir Assanges Geistes Kind IMMI gestohlen haben soll. Wie schade doch, das aus diesem "Kind" des großen Anderen ein real existierendes Gesetz für transparente Bürgerinformation entsteht, während Assange von Schattenregierungen schwafelt und überall Verschwörungen gegen seine Person wittert.

*** Stehlen und stehlen lassen, dieses uralte Gesetz der Raubdrucker und Plagiatoren, die edle Tat der skriptographischen Gemeinde, die Texte gemeinfrei macht, und die Frage, was Texte und ihre Autoren so treiben, sollen den Schwerpunkt dieser kleinen Wochenschau bilden. "Pro captu lectoris habent sua fata libelli" – Büchlein haben so ihre Schicksale, und das Verständnis des Lesers ist dabei noch das kleinste Problem. Wer die unautorisierte Autobiographie von Julian Assange aufschlägt, findet statt des üblichen Copyright-Vermerkes den Satz "The moral right of the author has been asserted". Das Buch hat keinen Urheber, aber das moralische Recht des Erzählers Assange, der das Buch ablehnt, ist gewahrt. Dabei hat, wer dieses endlos lange Statement herunterscrollt, Assange öffentlich zugegeben, gegen einen Gefälligkeitsaufschlag von 225.000 Pfund das Buch abzunicken, wenn weitere 175.000 zum Verkaufsstaat der Autobiographie gezahlt werden. All memoir is prostitution, und um Preise vor dem prokataleptischen Akt zu feilschen, gehört dazu: Für die Vibrationen am Knöchel muss es einen Aufpreis geben.

*** Was hat der Buchmarkt sonst zu bieten außer der Erzählung eines Australiers, der beim Anblick eines C64 seinen Lebensinhalt findet und die größte Nerd Attack aller Zeiten startet? Wir warten auf den Wurf des haartechnisch wie generationsmäßig mit Assange konkurrierenden Ex-Minister zu Guttenberg, der am Center for Strategic & International Studies Nachfolger des "Distinguished Statesman" Ehud Barak geworden ist. Als angesehener Staatsmann wird KT/.../zG eine transatlantische Dialoginitiative leiten, die ihm hoffentlich Zeit zum Schreiben lässt. Dann klappt es auch wieder mit der Buchmesse. Auch von der FDP-Frontfrau Silvana Koch-Merin wird ein neues Buch erwartet, hat sie sich doch weitgehend von der Arbeit für Europa verabschiedet. Immerhin ist schon der Titel ihres neuen Werkes bekannt: Facepalm – Arbeit muss sich wieder lohnen.

*** In einer bekloppten Fernsehshow namens Schlag den Raab gewann der Bielefelder Polizist Gil Kwamo-Kamdem mit Hilfe von Voodoo 1,5 Millionen Euro. Das Geld sollte reichen, im kamerunischen Heimatdorf des Polizisten einen Solar-Generator zu installieren, in einem Haus gebaut, vor dem ein Wachmann steht. Nun stammt Kwamo-Kamdem zwar aus Kamerun, ist aber deutscher Polizist und arbeitet derzeit an seiner Dissertation. Seine zuvor abgelegte Diplomarbeit ist schwer umstritten, der Streit um sie ist mindestens so bekloppt wie die Fernsehshow: Da prallt die Bielefelder Blöße (PDF-Datei) auf die Duisburger Blöße (PDF-Datei) und es wird ordentlich gehobelt. Ein Gutachter, der sich weigert, eine PDF-Datei zu lesen, weil sie ihm nicht vorschriftsmäßig auf CD übermittelt wurde, ist noch der kleinste Witz. Dabei sind sich alle Beteiligten darin einig, dass die wissenschaftliche Arbeit des Polizisten von "minderer Qualität" ist, offenbar geschrieben für die Raabs dieser Welt. Nicht von Plagiaten, aber von fiesen Kollaborationen ist da die Rede und geklagt wird, dass die Polizei Nordrhein-Westfalen als Dienstherr des Polizisten die Veröffentlichung der Arbeit nicht verhindert hat, "obwohl in ihr die polizeiliche Arbeit als nicht rechtsstaatskonform dargestellt wird". Dieser verklemmte Kommentar zur Freiheit der Forschung samt Appell an den Dienstherren ist beste Untertan-Manier. Dabei beschreibt Kwamo-Kamdem in minderer Qualität den Polizeialltag: Im Zweifelsfall wird auf Gewalt statt auf Dialog gesetzt. Kunden, die dieses Buch gelesen haben, suchen Bücher, die Fleischessen nicht verurteilen.

*** Eine Veröffentlichung zur Internetsucht hat in dieser Woche für Aufregung gesorgt. Wobei Internetsucht natürlich ein Wort minderer Qualität ist: Der "pathologische Internetgebrauch" (PDF-Datei) trifft die Sache schon viel besser. Wobei wie in allen patho-Logien die Frage nach dem gesunden Gegenteil wichtig ist. Denn die Antworten sind ohne zeitliche Einordnung ziemlich beliebig. Im Jahre 1998, als Internet-Flatrates noch die große Ausnahme waren, definierte Kimberly S. Young in ihrem Buch "Caught in the Net", dass bei vier Stunden Surfen im Internet die Grenze ist, wo eine Sucht diagnostiziert werden kann. Zur Diagnose der Sucht benutzte sie den Indikator, wie viele ftp-Befehle ihre kranken Klienten beherrschten. Die Radikalkur hin zur gesunden Internetnutzung begann mit dem Trainieren von Befehlen bye, exit, hangup, log off, logout, quit und ctrl-c. Heute terminiert der letzte Befehl keine Anwendung, sondern ist die Aufforderung zum Kaudern, einer sehr gutmütigen Haltung, die nichts, aber auch gar nichts mit dem Verlangen nach demeritorischen Gütern zu tun hat, um es wissenschaftlich zu sagen. Unsere Forums-Nutzer finden es zum Erdichten komisch.

*** Wir bleiben bei den guten Büchern und dem scheußlichen Internet: Heute vor 100 Jahren wurde Jack Finney geboren, ein produktiver Science Fiction-Autor. Im Jahre 1955 schrieb er ein Werk, das Facebook vorwegnahm. Damals wurde der Roman über die Body Snatcher, die Körperfresser als Anspielung auf die kommunistische Unterwanderung verstanden und der aus dem Buch resultierende Film am Schluss entsprechend zensiert, weil das hysterische Gestammel: "They're here already! You're next! You're next!" doch zu unamerikanisch, gewissermaßen pathologisch klang. Heute wissen wir die Symptome der kalten gefühllosen Menschen zu deuten, die nach dem Gefressenwerden nur fünf Jahre leben konnten: Sie sind auf Facebook und laichen in ihre Lifeline. Und noch die Untoten lachen kollernd.

Was wird.

"Deutschland ist so liberal, dass es von einer kinderlosen Ehefrau in zweiter Ehe, einem Rollstuhlfahrer, einem bekennenden Schwulen und einem vietnamesischen Bootsflüchtling regiert wird", heißt es in der tageszeitung in einer Lobeshymne zum 21. Tag der deutschen Einheit, der diesmal unter dem Motto "Freiheit, Einheit, Freude" begangen wird. Stolz stehen wir bei unserer Fahne, und wehe, wenn sie Luftlöcher hat oder als schlappe beschnittene Hissflagge aus diesem unserem Land einen Verkaufsstand für Eis und Getränke macht. Dazu wird bittschön, wie erwähnt, ein Deutschlandlied so laut gesungen, dass den vielen Lauschangreifern die Ohren schlackern. Dazu gibt es Ouzo im Werte von 211 Milliarden Euro und dann, wenn diese deutscheuropäische Rettungs-Seilbahn zusammengebrochen ist, wird getanzt.

Kaum sind die Feiern zum 100. Geburtstag bei IBM vorbei, da gibt es wieder Grund zum Feiern: Zum ersten Mal nach 1996 ist die Firma beim Börsenwert wieder an Microsoft vorbeigezogen. Man liegt zwar hinter Apple, aber das ist nicht weiter wichtig: Auf lange Sicht ist IBM weiter, da weder vom PC noch von einem Tablet oder gar einem Telefon abhängig. Feste Trottel gibt es ja genug in der Branche. Auch Apple wird noch seinen Nokia-Moment erleben, dessen Kehrseite sich in Rumänien zeigt, das gebochumt wird. Für alle genannten Firmen gilt: In Zukunft gewinnt, wer die besseren Schichtarbeiter hat. Weswegen diese kleine Wochenschau in der Nacht dann startet, wenn ein Buch zu schwer in der Hand, das Kindle unlesbar ist und der Wein die falsche Temperatur hat.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 09 Oktober, 2011, 00:17
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich – und diesmal eine besondere Rück- und Vorschau, aus besonderen Anlass.

Was Jobs war.

*** Ja, der Bundestrojaner ist ein Miststück von Software, das in jeder Hinsicht das vom Bundesverfassungericht postulierte Computer-Grundrecht verletzt. Aber darum geht es heute nicht. Und nein, Bob Dylan hat es nicht geschafft. "Ich kann dich nicht mehr spüren, kann nicht mal mehr die Bücher anfassen, die du gelesen hast," ist eine andere Lyrik, preisunverdächtig. Immerhin ging Abba leer aus, als ein alter Schwede gewann. Aber darum geht es heute auch nicht.

One of my role models is Bob Dylan. As I grew up, I learned the lyrics to all his songs and watched him never stand still. If you look at the artists, if they get really good, it always occurs to them at some point that they can do this one thing for the rest of their lives, and they can be really successful to the outside world. (Steve Jobs, 1997)

*** Der Buddhist Steve Jobs hat eine weitere Phase seines Lebens gemeistert. Sein Weg ist für uns nicht mehr verfolgbar, ob es ein engelsgleicher Deva mit Flügeln seine Güte aufnimmt, weiß nur Franz-Josef Wagner. Man muss den Wanderungen eines großen Geistes keinen weiteren dieser von Fehlern strotzenden Nachrufe hinterherschicken, die Jobs verklären. Auch die Freude eines Richard Stallman über das Ende seines Einflusses bei Apple hat eine schäbige Note und ist von einer Kleinkariertheit, die Freie Software nicht nötig haben sollte. Ob damit die FSF am Ende ist, ist freilich eine andere Frage. Ein guter Freiheits-Freund hat es weit besser auf den Punkt gebracht: Wir alle haben die Freiheit, unser Bestes zu geben oder auch nicht.

When I went to school, it was right after the Sixties and before this general wave of practical purposefulness had set in. Now students aren’t even thinking in idealistic terms, or at least nowhere near as much. They certainly are not letting any of the philosophical issues of the day take up too much of their time as they study their business majors. The idealistic wind of the Sixties was still at our backs, though, and most of the people I know who are my age have that ingrained in them forever. /../ That was a time when every college student in this country read Be Here Now and Diet for a Small Planet??there were about ten books. You’d be hard pressed to find those books on too many college campuses today. I’m not saying it’s better or worse; it’s just different??very different. In Search of Excellence [the book about business practices] has taken the place of Be Here Now. (Steve Jobs, 1985)

*** Neben dem Whole Earth Catalogue und seiner auf der Rückseite gedruckten Mahnung "Stay hungry, stay foolish" war das Buch Be Here Now (Sei hier jetzt) die prägendste Erfahrung für Steve Jobs. Unter seinem Eindruck kauften er und Dan Kottke Flugtickets nach Indien, um ihre eigene Baba-Experience, ihre Erleuchtung zu erleben. Anstelle des Babas erlebten sie einen Betrüger, einen homosexuellen Baba-Imitator. Der eigentliche Kulturschock traf die Reisenden erst nach ihrer Rückkehr in Amerika: Sie bemerkten, dass die 60er vorbei waren.

As it was clear that the Sixties were over, it was also clear that a lot of the people who had gone through the Sixties ended up not really accomplishing what they set out to accomplish, and because they had thrown their discipline to the wind, they didn’t have much to fall back on. Many of my friends have ended up ingrained with the idealism of that period but also with a certain practicality, a cautiousness about ending up working behind the counter in a natural??food store when they are 45, which is what they saw happen to some of their older friends. It’s not that that is bad in and of itself, but it’s bad if that’s not what you really wanted to do. (Steve Jobs, 1985)

*** Es ist nicht das Schlechteste, hinter dem Tresen in einem Bioladen zu stehen, wenn man dies wirklich möchte. Es ist das Schlimmste, wenn man seine Träume begraben hat, die Disziplin nicht hatte und dem idiotischen Wind der Zeiten nachgegeben hatte. Steve Jobs war ambitioniert und fand das Mittelmäßige schrecklich, die Selbstbeschränkung im Juste-Milieu die Hölle. Seine Ambition, das Herumgehen als Bittsteller zu den Ingenieuren und Designern, das Beste auch sich Herauszuholen, machte ihn zu einem Unbequemen.

Come writers and critics who prophesize with your pens And keep your eyes wide the chance won't come again And don speak too soon for the wheel's still in spin And there's no tellin' who that it's namin' For the loser now will later to win For the times they are a-changin' (Bob Dylan, 1963)

*** Mit diesen Zeilen, in dieser Form von Steve Jobs aufgeschrieben, sollte nach seinen Vorstellungen der Apple Macintosh eingeführt werden, als Produktionstool für die neue Klasse der "Knowledge Worker", wie es Apples Werbetexter und Drucker-Fan Mike Murray formulierte. Doch was dann 1983 auf einer Konferenz für Apple-Verkäufer im Sheraton Waikiki nach einer umgedichteten Version von Flashdance (We are Apple, Leading the Way, We are Apple, And we're making a better new day!) von Jobs präsentiert wurde, war der Hammer schlechthin und präsentierte Apple als die einzige Hoffnung, die Freiheit der Computerhändler gegen IBM zu verteidigen.

*** Wer die IT-Geschichte kennt oder alternativ diesen Blick auf die erste Serie fehlerhafter Nachrufe geworfen hat, weiß um den Rausschmiss von Jobs bei Apple, nachdem dieser den Pepsi-Manager John Sculley an Board geholt hatte, angeblich mit den Worten: "Do you want to spend the rest of your life selling sugared water or do you want a chance to change the world?" Sculley wollte weiter Zuckerwasser verkaufen, entsprechend war das Management: Die Pläne von Jobs und Fred Smith von Federal Express, den Mac direkt auszuliefern, mit Mac-Fabriken mit eigener Landebahn, auf der jeden Mittag eine 747 eintrudelte, um die bestellten Rechner direkt in das Verteilzentrum nach Memphis zu fliegen, fand Sculley alarmierend. Er wollte den Frito-Lay-Weg gehen, die mit ihren Kartoffel-Chips die dominierende Marke in den Regalen der Supermärkte waren. Nicht einmal zwei Wochen brauchte Frito-Lay, um einen neuen Chip-Geschmack zu produzieren, zu testen und in der ganzen USA zu verteilen. Unter Sculley gab es bald bis zu 19 verschiedene Apple-Rechner im Angebot. Apple verzettelte sich.

*** Bekanntlich wurde Jobs zurückgeholt, als Special Advisor, komplettiert mit dem Kauf von Next. Das Leben im Reality Distortion Field ging weiter, und es war schön:

It was like the first adult love of your life, something that is always special to you, no matter how it turns out. /../ 'Joining Apple fulfills the spiritual reasons for starting Next. (Steve Jobs, 1997 im Interview)

*** Die Rückkehr hatte ihre Vorteile wie Schattenseiten. Steve Jobs vernichtete den Newton, der eine Herzensangelegenheit von John Sculley gewesen war. Gleichzeitig bildete die Newton-Technik, die Anteile an der ARM-Entwicklung und das Knowhow zum Stromsparen das Fundament, das Apple zum iPhone ausbauen konnte, dem erklärten nächsten Wurf von Steve Jobs. Als Jobs Apple 1985 verlassen musste, hatte er gerade Gespräche mit AT&T geführt, wie ein Mac mit einem Telefon so integriert werden konnte, dass das Telefon und nicht der Mac überflüssig wird. Die alte Idee wurde von einem kreativen Team neu belebt, während Jobs für schick designte Sachen wie den iMac Lob einfuhr, die lange vor seinem Wiedereinstieg entwickelt worden waren. Das Lob nutzte er weidlich, um gar nicht zimperlich auf ungeliebte unkreative Konkurrenten loszugehen, wofür ihm heute noch die Computerwelt dankbar ist. Der Kaiser ist nackt, das klang in Jobs' Version so:

The only problem with Microsoft is they just have no taste, they have absolutely no taste, and what that means is - I don't mean that in a small way I mean that in a big way. In the sense that they they don't think of original ideas and they don't bring much culture into their product ehm and you say why is that important - well you know proportionally spaced fonts come from type setting and beautiful books, that's where one gets the idea - if it weren't for the Mac they would never have that in their products and ehm so I guess I am saddened, not by Microsoft's success - I have no problem with their success, they've earned their success for the most part. I have a problem with the fact that they just make really third rate products. (Steve Jobs 1996 in Triumph of the Nerds)

*** Microsoft hat ähnlich wie Google und Samsung diesmal stilsicher reagiert und die Fahnen auf Halbmast gesetzt. Bill Gates mag etwas kurz angebunden klingen, weil eine jüngst erlittene Niederlage sein Anliegen torpedierte: Steve Jobs weigerte sich bis zum Schluss, der Menschheit Gutes im Stil von Gates und Buffet zu tun. Entsprechend knallig fallen nun die Meldungen aus, während sich die Wissenschaft über die von Jobs propagierte Alternativmedizin einen hübschen Infight liefert.

Was Jobs wird.

No one wants to die. Even people who want to go to heaven don’t want to die to get there. And yet death is the destination we all share. No one has ever escaped it. And that is as it should be, because Death is very likely the single best invention of Life. It is Life’s change agent. It clears out the old to make way for the new. Right now the new is you, but someday not too long from now, you will gradually become the old and be cleared away. Sorry to be so dramatic, but it is quite true. (Steve Jobs 2005 in Stanford)

Jeder Tod macht Platz für Neues: "Unser Tod ist der letzte Service, den wir der Welt leisten können: würden wir nicht aus dem Weg gehen, würden die uns folgenden Generationen die menschliche Kultur nicht wieder frisch erstellen müssen." Ist es bemerkenswert, dass der Gedanke des Buddhisten Steve Jobs dem des Juden Joe Weizenbaum ähnelt oder ist es der allfällige Normaltrost, den alle Religionen und selbst die Atheismen bereithalten? Philosophen werden sich an dieser Stelle fragen, warum die großartigste Antwort vom großen Samsara aus dem durch und durch säkularisierten China kommt, dass eigentlich jeden Lama bekämpft und nur die kommende Wiedergeburt des Dalai Lama fördert. In China geht es um die ewigen Wiederkehr des Apfels. Eva, Newton, Jobs, es wird nicht der letzte Apfel der Menschheit sein:

There are only three apples in the world, one with Eve, one with Newton, and the last one with Jobs

Das letzte Wort aber gehört hier dem großartigen Stephen Fry:

If the unprecedented and phenomenal success of Steve Jobs at Apple proves anything it is that those commentators and tech-bloggers and "experts" who sneered at him for producing sleek, shiny, well-designed products or who denigrated the man because he was not an inventor or originator of technology himself missed the point in such a fantastically stupid way that any employer would surely question the purpose of having such people on their payroll, writing for their magazines or indeed making any decisions on which lives, destinies or fortunes depended.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 16 Oktober, 2011, 07:35
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Zeit seines Lebens war Dennis M. Ritchie ein bescheidener Mann, der es hasste, wenn über seine Person ein großes Aufheben gemacht wurde. Auf Usenix und anderen Konferenzen tauschte er gerne die Namensschilder mit anderen, um "vernünftige Diskussionen" führen zu können. Mitunter lief dmr mit einer Mickeymouse-Kappe herum. Ein Wissenschaftler, der so doof aussieht, wird nicht belästigt, war das Kalkül. Nun ist Dennis Ritchie tot. Wenn überhaupt ein Vergleich mit Steve Jobs zulässig ist, der die letzte Wochenschau dominierte, dann der: Steve Jobs starb an Krebs im Kreise seiner Familie, Dennis Ritchie starb allein, er wurde tot in seinem Haus aufgefunden. Ob es der Krebs war, gegen den er über Jahre kämpfte oder ein kürzlich aufgetretenes Herzleiden, musste ein Pathologe klären. In einem Interview äußerte Ritchie Sympathien für die Bewegung, die sich für freie Software einsetzte, nannte aber die spaßeshalber eingerichtete "Church of Emacs" eine gotteslästerliche Sache. Er gehörte zu den Petenten, die erst AT&T, dann Novell und schließlich sogar SCO bestürmten, Lions Buch zu veröffentlichen, das Standard-Werk des Computer-Samisdat, von dem einstmals Fotokopien in 15. Generation existierten. Ritchies Kommentar in sched.c, Zeile 2238 /* You are not expected to understand this */ hat Geschichte gemacht. "Wir in der Forschungsabteilung verloren den Kampf", erzählte Dennis Ritchie über die Versuche seiner Abteilung, die Anwälte davon zu überzeugen, nicht gegen das Buch vorzugehen. Selbst 25 Jahre später, als SCO die Rechte an den Quellen besaß, konnte das Nein der Anwälte nur durch einen Trick verhindert werden, den sich Ritchie und Peter Salus ausdachten. Sie ließen den hochrangigen SCO-Manager Mike Tilson einen "grant of permission" unterschreiben, der eigentlich nur ein Entwurf sein sollte.

*** Generationen von Unix-Adepten lernten die Schönheit des Codes von Dennis Ritchie und Ken Thompson kennen, dazu Lions ermutigende Kommentare für Studenten, die zunächst verzweifelten. Ähnliches gilt für die Programmiersprache C und die die Einführung von Kernighan, den Heise-Foristen gerührt streichelten, als die Nachricht von Ritchies Tod online ging. "Vor dem Gott der Algorithmen und Codes sind wir ja fast alle gleich – und das heißt gleich dumm", heißt es im Freitag über die große Erzählung vom Funktionieren der Gesellschaft in einem Artikel, der wurschtig zur Piratenpartei abbiegt. Die Rede von Gott ist mehr als eine Leerstelle. "Dummheit ist ein grausamer, globaler Gott": Mit diesem Spruch der Hacker eines Servers des Davoser Weltwirtschaftsforum begann der auszugsweise Abdruck des Codes eines Staatstrojaners in der Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung im Stil einer früheren Veröffentlichung, als das Feuilleton mit dem menschlichen Gencode vollgedruckt wurde. Nach der Würdigung einer historischen Geistesleistung nun also ein Programm, das Dumme nicht lesen können. Unter dem seltsamen Titel Anatomie eines digitalen Ungeziefers veröffentlichte der Sprecher des Chaos Computer Clubs eine Analyse des Codes, komplett mit einer völlig nutzlosen "Leseanleitung" für Dumme, da anstelle eines durchaus lesbareren Assembler-Codes auf Großdruck gesetzt wurde.

*** Verfasst war das Ganze also von den Klugen, für die der Gott der Algorithmen eh eine Funktion der Buddyliste ist. Die Hacker vom CCC arbeiteten sich an einer durchaus mittelmäßigen Wanzensoftware ab, die sie 0zapftis tauften. Man kann sich vorstellen, wie da beim Klirren der Mateflaschen gekichert wurde, als AES-Schlüssel gefunden wurde, der in all den Wanzen, die auf "diversen Festplatten in den berühmten braunen Umschlägen anonym beim Chaos Computer Club" eintrudelten, gleich sein soll. Oder als die Funktion entdeckt wurde, über die der Upload weiterer Programme oder Dateien auf den infizierten Computer gestartet wird. Doch wo ein Staatstrojaner analysiert wird, müssen sich Bürger in angemessener Haltung nähern. Entsprechend kichert man nicht, sondern "stellt entsetzt fest" und findet keine Schlamperei, sondern gleich die "schockierendste Funktion" – die Nachladefunktion, die den Trojaner an die normalen Updates auf dem Zielcomputer anpasst. Auch in der den Hack begleitenden Erklärung wird "inständig gehofft", dass dieser Fall nicht repräsentativ ist für die Qualitätssicherung der Bundesbehörden, damit nicht etwa mäßig begabte Anwender das machen, was Dumme und Kluge befürchten, wenn sie: "sich den Behörden gegenüber als eine bestimmte Instanz des Trojaners ausgeben und gefälschte Daten abliefern. Es ist sogar ein Angriff auf die behördliche Infrastruktur denkbar. Von einem entsprechenden Penetrationstest hat der CCC bisher abgesehen".

*** Warum eigentlich nicht? Ein solcher Pemetrationstest, der nach den Regularien der Hackerethik stante pede zugegeben wird, hätte im Falle eines Erfolges eine viel verstörendere Wirkung als die Publikation des Staatstrojaners. Der Staat, der sein eigenes Ungeziefer fressen muss, der zurückgelieferte "Beweise" gar in juristische Verfahren einbringt, müsste sich besonders schnell von dem wackeligen Konstrukt einer Quellen-Telekommunikationsüberwachung verabschieden und es wie unsere Nachbarn machen und die von Skype zur Verfügung gestellte Backdoor nutzen. Von solchen Hacks ist man beim CCC weit entfernt, weil Nerds einen Bildungsauftrag haben und die Aufteilung in Täter und Opfer den klugen Nerds entgegenkommt. Man muss nur den unverholenen Ärger über die Piraten lesen, die nicht medienwirksam wie Peter Altmeier natürlich in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung ein religiöses Erweckungserlebnis ausbreiten und vom "neuen Leben" schwafeln, dass der Gott des Netzes per Twitter ermöglicht hat. Die schmierige Komödie der "digitalen Bürgeransprache" müssen offenbar andere dekodieren, wenn Piraten vor dem Hafen kreuzen. Ja, ja, so wird das nix, wenn man nicht der parlamentarische Arm der Netzbewegung werden will, sondern durchaus einen eigenen Kurs segelt.

*** Hier die staatlichen Täter oder mindestens Mieter einer mittelmäßigen Software, dort die armen, armen Opfer – und dazwischen die, die mühelos den Code vom Gott des Algorithmus lesen und selbst sorgsam versteckte Funktionen wie CreateProcessA finden. Dazu die Kulturkritik, die Source-Code mit dem Code der Gesellschaft gleichsetzt, der Freiheit ermöglicht oder vermichtet. Da bleiben die Dummen übrig und leben im "neuen Analphabetismus der Freiheit", erschrocken die Maus schubsend oder halt das iPad umklammernd und flüsternd fragend: "Siri, werde ich überwacht?" Solange es Gut und Böse gibt, solamge es Täter und Opfer und Wissende gibt, ist die große Erzählung nur Kafka reloaded, doch wenn man in den unzeitgemäßen Kategorien von Herr und Knecht nachdenkt, dann sieht es anders aus. Vielleicht ist der CCC schon die allseits geforderte Bundesbehörde, die das ordnungsgemäße Funktionieren von Trojanern überwacht? Man sollte wieder mal Brecht lesen.

*** Die Dramaturgie um das von einem Rechtsanwalt als Bayerntrojaner enttarnte Programm zeigt, dass der Code ganz und gar nicht anonym den CCC erreichte. Sie zeigt auch, dass die eingesetzte Software mehr konnte als angeordnet: Vom 2. April bis zum 2. Juli 2009 wurde vom Gericht eine Skype- und HTTPS-Überwachung angeordnet (PDF-Datei). "Mit umfasst von dieser Anordnung ist auch die Direktanwahl der Mailbox und der technischen Schaltung," heißt es in einem mit Laser gedruckten und mit Tippex bearbeiteten Schreiben. "Das Telekommunikations-Ausleitungs-Tool wird verdeckt eingebracht und leitet noch unverschlüsselte Daten an die Ermittlungsbehörden aus, sobald die Verbindung aktiv wird. Weitere Daten werden damit auf dem Computer weder gesichtet noch ausgeleitet. Das ist auch ausdrücklich untersagt." Von Bildschirmfotos ist in der Anordnung nicht die Rede. Angeblich sollen 60.000 Application-Shots angefertigt worden sein. Von daher zeigt die gerichtlich festgestellte Rechtswidrigkeit der Aktion (PDF-Datei), dass das ach so perfide Justizsystem weit besser funktioniert als etwa die Politik, die ziemlich haarsträubenden Unsinn über den Einsatz von Trojanern verbreitet. Der Algorithmus, nach dem ein Uhl oder ein Schünemann funktioniert, sollte beizeiten auch einmal entschlüsselt werden.

Was wird.

Steve Jobs ist tot, aber anders als Dennis Ritchie hat er das Zeug, ein Gott zu werden, ein Heiliger der letzten Tage des Kapitalismus, der uns Lustmaschinen beschert hat. Im Apple-Lager ist der Gott des Algorithmus und der Codes einer, vor dem wir eben nicht gleich (dumm) sind, sondern der, der uns auserwählt: Seine Heiligsprechung "sagt etwas aus über den Zustand der Gesellschaften, in denen der Besitz eines Apple-Gerätes oft schon den einer Persönlichkeit ersetzt und in der großen Erzählung von Kapitalismus und Fortschritt nur eine solche Popstar- und Sektenvariante bleiben kann."

Wer nicht an Wesen höherer Ordnung glauben will, hat auch in dieser Welt Platz, Zeit und Raum, sich einzumischen in die Algorithmen. Mehrfach wurde in dieser kleinen Wochenschau auf den Occupy Wallstreet Day hingewiesen. Inzwischen hat die Protestwelle alle Kontinente erfasst und schwappte auch bei uns in Berlin, Hamburg, Hannover, Frankfurt, und München. "Stoppt die Gier" soll 40.000 Demonstranten animiert haben, ein menschengerechtes Leben ohne Herrschaft der Put- und Sell-Algorithmen eimzufordern. Ermutigende Signale allemal von Menschen, denen ein "Occupy your Brain" nicht fremd ist. Ermutigend, dass es weitergeht. Weiter geht es auch im Engagement gegen unmäßige Datenberge wie denen bei der von den USA gewünschten Fluggastdatenspeicherung. Morgen beginnt eine europäische Aktionswoche, die in Deutschland unter dem durchaus befremdlichen Slogan "Wer mit wem schlief" läuft. Wo doch jeder weiß, dass in der Luft gearbeitet wird, wenn diese laufend eingreifenden Algorithmen schweigen müssen.

Ach ja. Und Internet-Enquete ist wieder. Nach langer Pause soll es jetzt zur Sache gehen. Zum Beispiel bei der Netzneutralität. Was sich aber geändert haben soll zur Situation in der Internet-Enquete vor der langen Pause, das stellt nicht nur manch in die Enquete berufener Sachverständige in Frage. Wir dürfen gespannt sein, mit welchen Tricks aus der parlamentarischen Verfahrensfolterkammer die Politprofis den Sachverständigen dieses Mal den Verstand rauben.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 23 Oktober, 2011, 00:05
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Seit der Veröffentlichung von "Homo S@piens", dem Buch des KI-Propheten Raymond Kurzweil, beobachtet die kleine Wochenschau aus der norddeutschen Tiefebene das Herannahen der technologischen Singularität, jenem verzückten magischen Moment, in dem die Maschinen die Menschen abhängen vom technischen Fortschritt. Die Singularität tritt ein, wenn sie anfangen, sich ohne menschliche Ingenieurskunst selbst zu verbessern. Betrachtet man die lallenden Besitzer neuer iPhones, die über ihr Siri so aus dem Häuschen sind, dass sie in Babysprache zurückfallen, so scheint diese Wochenschau den singulären Moment verpasst zu haben. Auch wenn der Siri-Programmierer anderer Meinung ist und glaubt, dass künstliche Intelligenz auf lange Zeit nicht in ein Smartphone passen wird, so darf die Rechnung niemals ohne die künstliche Verblödung gemacht werden, die uns umgibt. Da ändert auch ein scharfer Verstand wie der vom Microsoft-Gründer Paul Allen nichts an der Gleichung, auch wenn er richtig konstatiert, dass in dem vorhergesagten Jahr 2045 der Umschwung nur dann kommen könnte, wenn ein Mensch eine außergwöhnliche technische Entdeckung macht. Das berühmte Quantensprüngchen lauert immer hinter der nächsten Ecke.

*** Nun gibt es eine Lesart, dass die technologische Singularität längst hinter uns liegt, dass der Mensch als eigenständiges Wesen längst gestorben ist in einem langen Todeskampf, demgegenüber der vielberedete Tod Gottes eine Episode ist. Wir Menschen sind längst nicht mehr die handelnden Subjekte in dieser Welt, schrieb Friedrich Kittler und postulierte, "dass Menschen die Informationsmaschinen nicht erfunden haben können, sondern sehr umgekehrt ihre Subjekte sind." Längst haben sich die Informationsmaschinen als Kriegsprodukte selbständig gemacht und formen uns zu ihren Rezeptoren. Nun ist Friedrich Kittler tot und wird als großer Medientheoretiker in den Pantheon gehoben, wo sein großes Vorbild Michel Foucault sitzt und mit Alan Turing Witze über Jacques Lacan macht.

"Seit Alan Turing 1936 seine Prinzipschaltung einer universalen diskreten Maschine angeschrieben hat, geht nicht bloß die Behauptung, sondern der maschinelle Beweis um, dass alles, was Wissenschaftler - ich habe absichtlich nicht wie Turing "Menschen" gesagt - in endlicher Zeit intellektuell leisten können, genausogut in Computern stattfindet. Damit treiben Computer aber nur auf die Spitze, was Medien überhaupt auszeichnet." Friedrich Kittler)

*** Der Computer, in dem diese kleine Wochenschau lebt, freut sich auf die ferne Singularität, wenn ein altersweiser Leonardo DiCaprio in einem Film über Friedrich Kittler spielt und damit seine Darstellung von Alan Turing übertrifft. In jener Singularität, in der Computer endlich Fehler machen dürfen, sind alle denkbaren Filme in einem großen Google-Archiv gespeichert und mit der Borges-Maschine abspielbar. Was heute bleibt, ist ein dankbarer Abschied von Kittler als Inspirator in einer Zeit, die täglich trüber wird, in der ein banale Tweets verbüchernder Autor wie Jeff Jarvis allen Ernstes von einer Bande von Claqueren als Denker gefeiert wird und kritische Geister das Fehlen eines McLuhan beklagen. Ausgerechnet McLuhan! Um Himmels willen. Kittler sei mit uns. Kittler war – immerhin – unter uns.

*** In der Mediengeschichte unserer Zeit ist das für den Krieg erfundene Radio eine verrückte Sache. Technisch in seiner Ausprägung als UKW-Radiogerät obsolet, als Hintergrundgeräuscheproduzent für Küche und Autos dennoch unverzichtbar, erfährt es mit den Audio-Podcasts und Internet-Streaming ein neues Leben. Im Alter von 101 Jahren ist das Leben von Norman Corwin zu Ende gegangen, der viele bedeutende Radiobeiträge verfasste. Seine Sendung We Holde These Truths wurde am 15. Dezember 1941 nach dem Kriegseintritt der USA ausgestrahlt und von 60 Millionen Amerikanern gehört; Sprecher wie Orson Welles und James Stewart schufen das Gegenstück zu dem, was aus deutschen Volksempfängern blökte. Berühmt wurde auch "On a Note of Triumph", Corwins Sendung zum Ende des zweiten Weltkrieges, gewidmet dem einfachen Soldaten, die mit einem Gebet endete:

Lord God of test-tube and blueprint
Who jointed molecules of dust and shook them till their name was Adam,
Who taught worms and stars how they could live together,
Appear now among the parliaments of conquerors and give instruction to their schemes:
Measure out new liberties so none shall suffer for his father's color or the credo of his choice:
Post proofs that brotherhood is not so wild a dream as those who profit by postponing it pretend:
Sit at the treaty table and convoy the hopes of the little peoples through expected straits,
And press into the final seal a sign that peace will come for longer than posterities can see ahead,
That man unto his fellow man shall be a friend forever.

*** Welcher Computerfehler liegt eigentlich vor, wenn aus Sätzen wie "Es wäre schlimm, wenn unser Land am Schluss regiert werden würde von Piraten und Chaoten aus dem Computerclub. Es wird regiert von Sicherheitsbeamten, die dem Recht und dem Gesetz verpflichtet sind" Aussagen entstehen, die ganz anders klingen? "Es wäre schlimm, wenn unser Land von Piraten und Chaoten aus dem Chaos Computer Club regiert würde. Wir haben Sicherheitsbeamte, die Recht und Gesetz verpflichtet sind." Die Antwort sitzt 40 cm von einem Bildschirm entfernt, nennt sich Politiker und folgt einer Bierzelt-Logik: Weil der Club Chaos Computer Club heißt, sind die Mitglieder eben "Chaoten", und weil es die Piratenpartei gibt, sind ihre Leute furchtbare Beuter, die Produktpiraterie im Internet befürworten. Damit tut man den Verfechtern von "Freigut-Geschäftsmodellen" ebenso unrecht wie den Matetistas. Wo wirklich Chaos herrscht, das kann in Deutschland nicht einmal ein Gericht bestimmen. Denn ein solches stellte eindeutig fest: "Es kann auch nicht davon gesprochen werden, dass das Schreiben der E-Mail so eng mit ihrer späteren Versendung verknüpft ist, dass bereits das Schreiben in der Maske ohne Datenaustausch ein Vorgang der Telekommunikation im Sinne des § 100 a StPO wäre. Dies zeigt sich schon darin, dass die E~Mail während und nach dem Schreiben stets noch geändert oder gelöscht werden kann." Alle Beteuerungen von polizeilicher und politischer Seite, dass die "Quellen-TKÜ" rechtsmäßig vonstatten ging, übergehen diesen Sachverhalt. Kommuniziert wird blanker Unsinn im Stil von: "Dein Schnürsenkel ist offen!" "Er ist nach DIN ISO 9000 zertifiziert!"

*** Zu den Höhepunkten der Mensch-Maschine-Kommunikation gehört dieser Dialog an der Schwelle zur technologischen Singularität. Open the pod bay doors, Hal!: Eigentlich ein unscheinbares Jubiläum, doch sollte angesichts des anhaltenden Trubels um Steve Jobs nicht vergessen werden: Heute vor 10 Jahren stellte Apple den iPod vor und "enterte" damit den HiFi-Markt. Das Gerät, das unter dem Codenamen Dulcimer entwickelt wurde und später den Namen aus der Odyssee im Weltraum verpasst bekam, sollte die Audio-Software iTunes, die als SoundJam gestartet war, verkaufen helfen. Geschichten um den iPod sind vom "Reality Distortion Field" Steve Jobs' geprägt: Weder war die Bedienung des Scroll-Wheels eine Design-Idee – sie kam aus der Anzeigenabteilung von Apple – noch war der iPod einzigartig. Apple selbst griff im Rechtsstreit auf die frühere, patentierte Erfindung eines britischen Ingenieurs zurück. Angesichts der Unverfrorenheit, mit der Apple sich bei den Ideen von Xerox bediente, liest sich der vorab veröffentlichte Groll über Android, der Jobs schwer zu schaffen gemacht hat, wie ein schlechter Witz. Aber diese Feinheiten werden vergessen, wenn der Heilige auf seine Säule gekrant wird. So kommen Mythen zusammen, wie jener von dem Käfer als ersten Bug der Technikgeschichte. Dank Friedrich Kittler wissen wir in den Fußstapfen von Riesen die Spuren zu lesen und können die Spuren des Bug mindestens bis Thomas Alva Edison verfolgen, der 1878 die Prinzipien seiner Arbeit so beschrieb:

"I have the right principle and am on the right track, but time, hard work, and some good luck are necessary too. It has been just so in all my inventions. The first step is an intuition, and comes with a burst, then difficulties arise - this thing gives out and then that 'Bugs', as such little faults and difficulties are called - show themselves and months of intense watching, study and labor are requisite before commercial - or failure is certainly reached."

Was wird.

Die iPad-App Deutscher Bundestag hat Silber in der Kategorie Kommunikationsdesign beim Deutschen Designpreis gewonnen. Die App wird gelobt, als echter Beitrag für mehr Bürgernähe. Mit einem Fingerwisch kann man erleben, wie Politiker einen Polizeistaat beschreiben, in dem Sicherheitsbeamte regieren. Ganz anders als bei der staatstragenden Videobotschaft, die ein etwas schwammiges Bekenntnis zur Netzneutralität enthält: "Jeder Nutzer, egal was er verdient, welchen Bildungsgrad er hat, soll die Möglichkeit haben, den gleichen Zugang zum Internet zu bekommen. Es darf kein Internet erster und zweiter Klasse geben." In diesem unseren tollen Internet, das bald verdammt leer sein wird, kann man dank der App am iPad in der nächsten Woche die Lesung zum Telekommunikationsgesetz verfolgen.

Außerdem eröffnet Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger in Berlin das 1. Symposium über Internet und Gesellschaft, mit dem ein von Google gesponsertes Universitätsinstitut seine Arbeit aufnimmt. Für 4,5 Millionen Euro über drei Jahre hinweg läuft eine Startup-Finanzierung, die die Frage aufwirft, welches Produkt am Ende verkauft werden kann. Vielleicht liegt "Empire of the Mind: The Dawn of the Techno-political Age" aus, das Buch, in dem Googles Eric Schmidt seine Vision von der technologischen Singularität erklärt, in der die Autos uns fahren und lenken. Als Schmidt an BerkNet arbeitete, war das Internet wirklich verdammt leer.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 30 Oktober, 2011, 07:00
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Der Oktober geht sterben und die Uhren stellen sich zurück, damit die Energiesparlampen morgens länger ausgeschaltet sind. Wie üblich sind einige Computer verwirrt, während die anderen unbeirrt die E-Mail nach der Zulu-Zeit abstempeln. "Siri, mach mal Winterzeit." Denn in normalen Zeiten leben wir schon lange nicht mehr. Da finden die Dekompilierer vom Chaos Computer Club eine neuere Variante des Staatstrojaners und beweisen erneut, dass auch diese Software Funktionen nachladen kann und damit schlicht verfassungswidrig ist. Da reagiert die Exekutive seelenruhig mit dem Verweis, dass ein Nachladen wegen der vielen Updates notwendig ist, ohne ein einziges Mal die Beweissicherung digitaler Spuren zu erwähnen, die solchermaßen ad absurdum geführt wird. Schließlich kommt noch das Parlament zum Zuge und wehrt sich mit den Stimmen von CDU/CSU, FDP und SPD gegen den Antrag den Verfassungsbruch zu stoppen. Im Bundestag wurde dazu wieder einmal die ernste terroristische Bedrohungslage angeführt und als Beispiel die "Düsseldorfer Zelle" gennant, die mit Hilfe der Fluggastdaten-Analyse aufgeflogen ist, einer gänzlich anderen, ebenfalls problematischen Datenschnüffelei. Den Tiefpunkt der Debatte setzte die Bundesjustizministerin im Ohrfeigen-Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung mit einem reichlich ungewissen Hörensagen:

"Nachladefunktionen bergen große Gefahren in sich. Ich höre, dass man die im gewissen Umfang braucht, damit dann, wenn am Computer selbst Veränderungen mit dem Betriebssystem vorgenommen werden, der Trojaner, der auf diesem Computer ist, auch angepasst werden kann an das geänderte Betriebssystem."

Die Quellen-TKÜ, der in Analogie zur Telefonüberwachung gebildete Angriff auf die Soundkarte, bei dem Skype-Gespräche in Echtzeit per Ogg Speex an die TK-Überwacher übermittelt werden, braucht nicht nur den Nachlader, sondern auch eine Akzeptanzförderung im großen Stil. Das geht nicht bei all der Emörung? Aber klar geht das.

*** Stellen wir die Uhr ein bisschen weiter zurück, mal gleich ein ganzes Jahr. Da wurde hanebüchener Mist in Gold verwandelt: Am 28. Oktober 2010 beschloss der Bundestag mit den Stimmen von CDU/CSU und FDP eine Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke. Ein rot-grünes Gesetz vom Atomausstieg aus dem Jahre 2002 wurde mit dieser Verlängerung elegant geschreddert. Dem Beschluss vorausgegangen war eine gut eingefädelte PR-Kampagne, für die die Atomlobby ein paar Millionen Euro ausgab, eine Summe, die ein Atomkraftwerk an drei Tagen wieder einspielt. Die Details dieser Kampagne wurden von Whistleblowern der tageszeitung zugespielt, die diese jetzt ausbreitet: Fingierte Frauenvereine pro Atomkraft, luxuriösen Bildungsreisen von "Key-Journalisten", das Einspannen angesehener Redner oder der Kauf von einem Gefälligkeits-Gutachten eines ehrbaren Moral-Professors mit anschließender Bezahlung über die Ehefrau, das ganze Register der Bestechlichkeiten und eingekaufter Meinungsumbrüche wurde gezogen. Die Agentur Deekeling Arndt Advisors lieferte beste deutsche Wertarbeit beim Umwerten störender Wertmaßstäbe ab. Dabei ist nicht so sehr die Kampagne interessant, sondern die Leichtigkeit, mit der Politik-PR getrieben wird. Die Aufdecker sprechen von von einer "demokratiepraktischen Komponente", wenn sie den "Instrumentenkasten der Macht" in seiner ganzen konkret belegbaren Wirksamkeit öffnen. Besonders schlecht kommt der Journalismus dabei weg. Bezahlt, bewirtet und belabert wird, erstaunlich kostengünstig, die vierte Macht im Staate zur fünften Kolonne der Atomlobby.

*** Vielleicht legt sich das mit der Idee der Transparenz, die derzeit ungemein im Kommen ist. Die Piraten wollen Transparenz sein, die Occupy-Bewegung fordert Transparenz. Wenn Transparenz auf diese Weise die Forderung nach Demokratie überholt, sollte das Abfärben auf andere Bereiche, auch auf die IT. Was ist dabei, zum Apple-Eevent nach London zu reisen, wenn man mitteilt, dass Apple die Reise bezahlt? Auch die Vorgänge rund um die Staatstrojaner könnten mehr Transparenz gebrauchen, etwa Einsicht in die Verträge der Behörden mit den Trojaner-Lieferanten DigiTask und Syborg, die tückische Überwachungstechnik liefern. Der Transparenzgedanke gilt auch der Arbeit des CCC und seiner Mitglieder, die mit 0zapftis viel Aufmerksamkeit erfahren. Wenn in der Trojaner-Debatte im Heise-Forum kommentiert wird, dass kriminelle Profis wahrscheinlich Hilfsmittel wie Cryptophones verwenden, dann gehört mindestens der Hinweis in die Debatte, dass der technische Geschäftsführer der GSMK, die die Cryptophones herstellt, der Sprecher des CCC ist, der den Zeitungslesern die Funktion von 0zapftis erklärt. Damit erklären sich auch so manche Spekulation um die Hick-Hack-Hacker. Oder wie wäre es mit Transparenz beim wunderbaren neuen Google-Institut in Berlin, das durch die Vermittlung von Annette Kroeber-Riel entstanden ist, wie hier berichtet wird?

*** Apropos Lobbying: Heute vor 100 Jahren begann die erste Solvay-Konferenz der Physiker. Ihr Thema: "Die Theorie der Strahlung und der Quanten". Bis heute gilt die von Ernest Solvay gesponsorte Konferenz-Serie als eine der wichtigsten Veranstaltungen der Wissenschaftsgeschichte. Wer sich wie ich aus seiner Schulzeit in den 70er Jahren an das Verfahren erinnert, wird sicher auch die Traktate kennen, die deutsche Chemie-Lehrer zu dem Percarbonat-System Persilschein vom Stapel ließen, komplett mit einer ekligen Rechtfertigung der Berufsverbote durch Willy Brandt. Immerhin, die Zeiten ändern sich: Seine Epigonen haben nur noch ihre Bretter vor dem Kopf abgenommen und auf einem Tisch drapiert. Stellungsfehler, Schwellungsfehler. Dann zürnen wir mal ein Bisschen.

Was wird.

Damit richtet sich der Blick aus der Vergangenheit in die Zukunft. Auf dem ersten Kongress des erwähnten Google-Institutes feierte Statecraft-Denker Philipp Müller passend zum anstehenden Reformationstag das Mönchlein Martin Luther als ersten Blogger der Welt, der sein gedrucktes Blog an eine Kirchentür hämmerte, so in Ermangelung von Wordpress, Computer, Strom und ein paar anderen Dingen. Wie das so ist mit historischen Vergleichen, die gleich auf beiden Beinen hinken: Wahrscheinlich werden bald Marx und Engels als die ersten Twitterer gefeiert. Schließlich endet ihr Kommunistisches Manifest mit einem richtig ordentlichen Tweet: "Die Proletarier haben nichts in ihr zu verlieren als ihre Ketten. Sie haben eine Welt zu gewinnen. Proletarier aller Länder, vereinigt euch!"

All Hallows' Eve steht an und damit die Invasion vom Mars, die heute vor 73 Jahren von 6 Millionen US-Amerikanern mit Spannung verfolgt wurde. Viele waren bei der Hörspiel-Produktion von Orson Welles überzeugt davon, dass die Deutschen ihr Homeland angriffen. Prompt gab es Diskussion, ob diese Deutschen Körperfresser oder wie Hitler nur Vegetarier und daher Powerkrautfresser sind. Am Ende der Sendung siegten die Viren gegen die Marsianer, während das Militär versagte. Wie einflussreich der Halloween-Scherz war, kann an einer Einblendung "Fiction" im US-Fernsehen zum Y2K-Bug gesehen werden.

Wenn die Invasion der Kürbisköpfe vorbei ist, beginnt ein anderes, nicht minder theatralisches Schauspiel. Am kommenden Mittwoch wird in Großbritannien das Urteil des High Court in der zweiten Verhandlungsrunde über die Auslieferung des Australiers Julian Assange an die schwedischen Behörden verkündet. Derzeit wird in den berühmten informierten Kreisen vor allem diskutiert, ob eine Berufung vor dem Supreme Court zugelassen wird oder der Fall gleich zum europäischen Gerichtshof für Menschenrechte verschoben wird. Sollte dies der Fall sein, muss das Gericht über einen möglichen Konstruktionsfehler im europäischen Haftbefehl befinden, was mindestens drei Jahre in Anspruch nimmt. Dabei ist die Wikileaks-Organisation trotz vieler Zugänge praktisch pleite und der separate "Julian Assange Defense Fund" von den Rechtsanwälten eingeforen, die längst nicht mehr Pro Bono arbeiten wollen. In diesem Sinne ist es löblich, dass das Whistleblowing weitergeht, wie es die tageszeitung mit dem Coup über den PR-Atombetrug aufgedeckt hat. Und statt des legendären Comic von Seyfried über den Tweet von Marx und Engels wird vielleicht einer folgen, in dem dezent ein Leben abseits von Skype behandelt wird, mit der Antwort des Zeichners: "Machen wir!"

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 06 November, 2011, 00:07
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Hoch über der norddeutschen Tiefebene ziehen sie hin, die Wildgänse, und machen dabei einen Mordskrach. Wie laut das Geschnatter in der Cloud der Fliegenden erst sein muss. Nach annähernd 800 Viechern höre ich mit der Zählung ihrer V's auf und übergebe an den nächsten Freiwilligen – die Wochenschau steht an zur Übergabe auf einem dunklen Parkplatz. Die Gänse ziehen weiter, die meisten dieser Formationen nach Tunesien, doch ein Teil hält es noch in Europa aus, in den spanischen Sümpfen. Wer in dieser Woche nicht den ADHS-geschädigten Hanns Guckindieluft spielte, dürfte seine Lektion über ein menschliches Europa gelernt haben: Die Demokratie wird verramscht, Europa wird zum Wohle des Geldsystems postdemokratisch-intergouvernemental von Autokraten der Bewegung "We Occupy your Future" regiert. Das Ganze garniert mit dem Geschnatter der Hausgänse dieser Kapitolwirtschaft, die sich vor kommunistischen Anmachern fürchten. Wie war das noch mit dem Manifest? Demokratie lebt von Beteiligung und Informationsfreiheit. Also nee, manno, das ist sooo 09 und null Action.

*** In dieser Woche musste Julian Assange, die Gallionsfigur von Wikileaks, zum zweiten Mal erfahren, dass er von Großbritannien an Schweden ausgeliefert werden kann. Die 43 Seiten der Begründung des britischen High Court zerpflücken die Klage seiner Anwälte derart vernichtend, dass sie wohl nicht vor den Supreme Court ziehen werden. Sollte dennoch ein Einspruch gegen dieses Urteil in zweiter Instanz erfolgen, dürfte das Begehren rundweg abgelehnt werden. Sowohl britische als auch deutsche Juristen kommentieren das Urteil einschlägig, während Assanges Fan-Gemeinde losheult und dummes Zeug über den europäischen Haftbefehl verbreitet. Kommentieren wir es einmal anders: Hätte sich Assange in Deutschland aufgehalten, wäre er einfach per Videokonferenz von den schwedischen Behörden vernommen worden, ein Verfahren, das im britischen Justizsystem nicht akzeptiert wird. Die über den europäischen Haftbefehl klagen sollten mal einen Blick auf die europäische Ermittlungsanordnung, Artikel 21 "Vernehmung per Videokonferenz" werfen. Das ist ein Vorschlag, der aus dem Königreich Schweden stammt und vom Vereinigten Königreich Großbritannien und Nordirland abgelehnt wird.

*** Bei den aktuellen Verhandlungen über diese europäische Ermittlungsanordnung geht es hoch her. Dem federführenden Schweden ist vieles zu weitreichend, auch Deutschland hat da seine Einwände, besonders beim Punkt "Data Retention". Der heißt bei uns bekanntlich "Quellen-TKÜ" und wird im aktuellen Überwachungs-ABC ebenso ausführlich wie treffend erklärt: "Das brauchen Sie nicht zu wissen." Eine Verpflichtung zur Quellen-TKÜ im Auftrag von anderen ermittelnden Staatsorganen lehnt Deutschland also ab, da sie "politisch hochgradig sensibel" ist, wie es im Verhandlungsprotokoll steht. Ganz unter uns geht man dagegen recht hemdsärmelig mit dem Ermittlungsinstrument um: Es gibt einen zünftigen internationalen Stammtisch der Länder Baden-Württemberg, Bayern, Belgien, Niederlande und der Schweiz, an dem halbjährlich die Erfahrungen mit "Remote Forensic Software" in lockerer Runde ausgetauscht werden. Ausleiten und ausleiten lassen, heißt die Devise. Luxemburg ist seltsamerweise nicht dabei, obwohl hier Skype ansässig ist und sich sehr aufgeschlossen gibt, wenn Ausleitungsbeschlüsse zum Mitlauschen am Supernode eintreffen. Wen kümmert es da schon groß, wenn die Sache ein einziger Schwindel ist?

*** Ein Klick in die Wikipedia belehrt uns, dass die IT-Forensik digitale Spuren in Computersystemen beweiskräftig sichert. Nun wird in der Debatte um den Staatstrojaner vom CCC kritisiert, dass dieser eine üble Nachladefunktion hat, die sorgsame Arbeit der IT-Forensik mit den Hufen tritt. Für manchen Juristen scheint das kein Problem zu sein, denn "eine solche Nachladefunktion kann als Begleithandlung zur Aufrechterhaltung einer Quellen-TKÜ auch sinnvoll sein, wenn auf Veränderungen in dem angegriffenen Computersystem reagiert werden muss". Allenfalls könnte das Nachladen im Lichte einer Online-Durchsuchung problematisch sein, weil es nichts mit einem laufenden Kommunikationsvorgang zu tun hat, wenn ein Update eingeschoben werden muss, weil Skype, Windows oder die Schlangenölsoftware der Antivirenhersteller etwas Upmurks getrieben haben. Immerhin endet die juristische Betrachtung etwas vertekelt so: "Die zentrale Botschaft des Menetekels über die Angreifbarkeit von Computerdaten zielt daher nicht nur auf die Ermittlungsbehörden und richtet sich auch nicht nur an den Staat: Sie betrifft uns alle." Was will uns der Autor damit sagen, wenn nicht, dass jeglicher Trojanereinsatz jegliche forensische Untersuchung und Beweissicherung ad absurdum führt? Juristisch korrektes Nachladen sieht so aus und nicht anders!

*** Gewöhnen wir uns an schlichte Tatsachen. Wenn Spielehersteller ein Spitzelprogramm installieren, wenn Profi-Fotografen von ihrer Profisoftware belauscht werden, wenn künftig Schultrojaner durch Schul-Server und Tornister streifen, dann hat es sich mit der IT-Forensik, dann hat der Computer als Beweisstück vor Gericht ausgedient. Vieles spricht dafür, dass auch die Smartphones und Tablets davon betroffen sind von dieser technischen Postprivacy. Der Rest ist unlawful access, um es kanadisch zu sagen. Angesichts der zunehmenden Überwachung gilt für Europa: Nicht nur Gänse können fliegen, auch Schweine. Und sie landen in Syrien, mit deutscher Hilfe.

Was wird.

Nein, wir ziehen nicht weiter, sondern bleiben in diesem unseren Lande. Am kommenden Dienstag wird der Deutsche Studienpreis vom Bundestagspräsidenten Lammert verliehen. Eine bemerkenswerte Auszeichnung geht an die Politologin Katrin Kinzelbach für ihre Arbeit "Menschenrechtsdiaolog in der Krise: Chinas Angriff auf die Freiheitsrechte und der Irrweg der europäischen Menschenrechtspolitik", entstanden aus diplomatischen Geheimdokumenten. Sie waren ganz ohne Zutun von Wikileaks (!) irrtümlich in einem italienischen Archiv gespeichert und wurden dank Informationsfreiheitsgesetzen veröffentlicht. Warum kuscht ihr so vor China? ist die Kurzfassung der Arbeit und die Antwort ist beschämend für westliche Demokratien. Aber hach, das Internet bringt die Revolution in China und alles wird gut.

Am nämlichen Dienstag greift unser Bundesinnenminister Friedrich zur Pistole oder einem anderen Kracher. Jedenfalls gibt er laut Vorabmeldung den "Startsschuss" für den Wettbewerb Äpps für Deutschland, in dem öffentliche Daten über die Luftqualität, die Verwendung von Steuergeldern oder die Einnahmen von Abgeordneten mit einer AufklärungsApp ansprechend aufbereitet werden. Dass ausgerechnet Linz den Showroom des Wettbewerbs anführt, darf als hübsche Pointe gewertet werden. Das modische Gerede von den Apps verdeckt etwas die bestehende Transparenz-Idee von den offenen Daten, die Staat und Kommunen dem mündigen Bürgern zur Verfügung stellen, damit Entscheidungsprozesse mit App und Verstand verfolgt und beurteilt werden können: Wissen ist Macht, sagt die Bildergalerie.

Wissen und Macht heißt eine weitere Konferenz, auf der sich die üblichen Verdächtigen im Berliner Technikmuseum mit der neuen Freiheit im Internet beschäftigt und der Zukunft, in der die Frauen immer noch Kuchen backen müssen. Das Ganze für preisgünstige 6 Euro am Tag, vor der jede Konferenz-Frühbuchungspauschale kapitulieren muss, von der heute abend anstehenden Nanoblitzauktion ganz zu schweigen. Husch, husch, kleine Kolumne, ab auf den dunklen Parkplatz. Da grölen wir dann laut, haha, das kleine Occupy-Manifest durch unser machtvolles Sprachrohr.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 13 November, 2011, 07:15
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Ein kaltes hyperboräisches Blau liegt über der norddeutschen Tiefebene. Es passt nicht nur im Roman von Tournier bestens zur "phorischen Sehnsucht" der Nazis, im Dienste einer höheren reinen Sache die Niederwärtigen auszuschließen. Auf einmal ist er da, der Terror von rechts. Nach den Toten in Norwegen, als der "Kämpfer" Anders Behring-Breivik sich als Fanal inszenierte, erklärte Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich, dass es in Deutschland keine Hinweise auf rechtsterroristische Gruppen gäbe, nur um im selben Atemzug auf die Gefährlichkeit des Internet hinzuweisen, in dem sich Behring-Breivik seine Ideen zusammengeklickt habe. Nach dem Selbstmord der Bankräuber von Eisenach ist dank einer tschechischen Pistole eine rechtsextreme Terrorzelle enttarnt worden, die eine entsetzliche Blutspur hinterließ. Fragen, warum die Verfassungsschützer mehrerer Bundesländer untätig waren, deuten auf ein Verfassungsschutzproblem hin. Verfassungsschutz, das ist die Organisation, die in verschiedenen Bundesländern erfolgreich verhinderte, dass die NPD verboten werden konnte, weil die Partei durch eigene Mitarbeiter gesteuert wurde. Das überhaupt ein ernsthaftes Wahrnehmungsproblem besteht, zeigt nicht nur die verquere Debatte über die Bezeichnung "Dönermorde" für die Taten der Braunen Armee Fraktion. Die mutmaßlichen Täter haben sich selbst getötet, ein Wohnmobil abgefackelt und ein Wohnhaus gesprengt – und die Polizei redet von einem Fahndungserfolg.

*** "Ich habe mir keine großen Gedanken gemacht, welche Rechte ich verlieren werde, wenn ich die User Agreements mit meinem Computer akzeptiere", erzählt die isländische Parlamentarierin Birgitta Jonsdottir über ihre ersten Schritte mit Twitter. Bekanntlich hat sie alle Rechte verloren, weil der US-Justiz ein höher angesiedeltes Ermittlungsinteresse reicht, alle Bürgerrechte über den Haufen zu werfen. Inmitten der Debatte über Post-Privacy zeigt das Urteil gegen die Helfer von Wikileaks, dass das Internet doch ein rechtsfreier Raum ist, geschaffen von Juristen, die Bürgerrechte ignorieren, weil sie nicht unter B im Telefonverzeichnis stehen. Jonsdottir hat recht: Wer E-Mail nutzt, sich auf Twitter und Facebook herumtreibt, einen internationalen Konzern als Internet-Provider ausgesucht hat, vertraut internationalen Abkommen, die im Zweifelsfall den Strom nicht wert sind, der zur Darstellung der Rechte am eigenen digitalen Körper verbraucht wird, wenn sie auf dem Bildschirm angezeigt werden. Insofern hat Wikileaks wieder einmal eine Geschichte aufgedeckt, auch wenn dies ganz und gar nichts mit geheimen Dokumenten zu tun hat. Man kann es andersherum auch als große Ignoranz sehen, die mit dem Siegeszug der sozialen Netzwerke um sich gegriffen hat. Als Parlamentarierin weiß Birgitta Jonsdottir sicher, dass Island seine Pässe, Personalausweise und Führerscheine nicht selbst produziert, sondern dies von der Bundesdruckerei in Berlin besorgen lässt. Was ist, wenn eines Tages der besondere Datenstrom zu Ermittlungszwecken von einem Gericht einkassiert wird, das sich auf Ermittlungen beruft, die ein nicht weiter bekanntes Geheimgericht durchführt? Your wise men don't know how it feels to be thick as a brick.

*** Einstmals war Firma Utimaco ein eigenständiges deutsches Unternehmen, das seinem Star-Investor Thomas Middelhoff viel Freude bereitete, weil man sich an der Verschlüsselung der Regierungskommunikation Bonn-Berlin dumm und dämlich verdiente. Dann wurde Utimaco von der britischen Firma Sophos aufgekauft, obwohl das deutsche Innen- und das Verteidigungsministerium erhebliche Bedenken hatten, dass die Kontrolle über die Utimaco-Technologie von Deutschland nach Großbritannien abwanderte. Das für deutsche Geheimnisträger und Ermittler am Aachener Standort entwickelte "Lawful Interception Management System" und die zugehörige "Data Retention Suite" sollten auf keinen Fall mitwandern und besser abgespalten in einer eigenständigen deutschen Firma verbleiben. Der Vorschlag realisierte sich nicht. So können wir den schönen Fall unternehmerischer Schizophrenie bewundern, wie Sophos über den deutschen Staatstrojaner aufklärt, während Utimaco genau solch ein Produkt verkauft, an die italienische Firma Area, die wiederum Syrien belieferte. Eine Hand wäscht, die andere popelt. Und die Investoren freuen sich: "Die Bereiche Lawful Interception & Monitoring Solutions (LIMS) und Hardware Security Modules (HSM), die in der Utimaco-Gruppe weiterhin als Direktgeschäft durchgeführt werden, entwickelten sich gegenüber dem Vorjahresquartal positiv." Kleine Petition gefällig?

*** Ein Gespenst geht um in Deutschland und es ist nicht das Gespenst des Kommunismus. Gleich nach dem Staatstrojaner haben findige Kampagnen-Designer einen Schultrojaner ausgemacht, der seitdem ordentlich die Stimmung aufheizt. Dabei ist die noch nicht programmierte Software alles andere als ein Schnüffelprogramm. Es wird ordnungsgemäß von einem Administrator installiert, versteckt sich nicht hinter anderen Programmen, belauscht weder Tastatur noch Skype-Gespräche. Ein simples Kontrollprogramm der Schulbuchverlage, das vom eigentlichen Thema ablenkt. Freie Autoren wie ich kennen das Spielchen: Mit schöner Regelmäßigkeit trudeln Briefe von Schulbuchverlagen ein mit der Bitte, diesen oder jenen Artikel abdrucken zu dürfen. Komplettiert wird diese Bitte mit dem Hinweis auf das deutsche Urheberrecht, dass beim Abdruck in Schulbüchern nur sehr eingeschränkte Tantiemen zu zahlen sind. Auf den Hinweis folgt die nächste Bitte, doch im Interesse von Bildung und Kultur in diesem unseren Land auf den unwesentlichen Geldbetrag zu verzichten, den man da auszahlen müsste. So und nicht anders werden viele (nicht alle!) Texte zum Unterrichtsmaterial. Wer diesen Bettelmechanismus verstanden hat, wird sich eine ehrliche Antwort im Geiste einer Open-Source-Schullizenz wünschen, die es nicht gibt.

*** Die Antwort auf viele Fragen steht in einem Buch, das in dieser Woche in Indien und China die Auflagenhöhe von 1 Million sprengte. Die Rede ist von der Steve Jobs-Biographie, die man möglichst nur im Original lesen sollte: Die deutsche Übersetzung ist eine Missgeburt, die viel über das deutsche Verlagswesen aussagt. Wenn third party developer die "drei großen Entwicklungsunternehmen" sind, die für Apple Software schreiben im Tal, das lernte, wie man "Silikon" in Gold verwandelt, wünscht man sich, dass Siri die Übersetzung besorgte, jenes Programm, dem Jobs die Frage stellte: "Bist du ein Mann oder eine Frau?" Im vorletzten Kapitel der Biografie erfährt man, was Jobs an Pläne für die nächste Zukunft hatte, kurz bevor er starb: "Er wollte die Schulbuchverlage zerschlagen und die Rücken der armen Schüler schonen, die sich mit Rucksäcken abschleppen mussten, indem er elektronische Texte und Lernmaterialien für das iPad erstellte." Ja. All we are saying... - Steve Jobs betrachtete es wohl als einen der größten Erfolge seiner letzten Jahre, dass er die Musik der Beatles über iTunes anbieten konnte. Wirklich kongenial angeeignet hat sich zumindest die Musik von Lennon in letzter Zeit aber Bill Frisell.

Was wird.

Schul-Pads oder andere Geräte und digitale Lernmaterialien werden kommen und die Bücher ablösen, in denen lebendiges Wissen unschön auf toten Bäumen präsentiert wird. Was nötig ist, ist eine Neubestimmung der kulturellen Tradition. Mit der Berliner Veranstaltung Ins Netz gegangen arbeiten so unterschiedliche Fraktionen wie Wikimedia und Googles Co:llaboratory an einer derartigen Bestimmung. Mit dabei: die deutsche Kinemathek, die auch ein schönes weißes Buch veröffentlicht hat. Ein Aufsatz wie "Kriminelle Energie als konstitutives Element der Entstehung von Filmarchiven" gibt zu denken. Erinnert sei noch einmal an Steve Jobs, der auf sein komplettes Bootleg-Archiv von Bob Dylan sehr stolz war.

In diesseitigen Gefilden muss die Medica eingeordnet werden, die am Mittwoch startet und ganz im Zeichen des Übergangs von eHealth zu pHealth steht. Nachdem die "electronic health" mit e-Patientenakten, e-Rezepten und nicht zuletzt der elektronischen Gesundheitskarte nicht so zündend startete, ist personal health oder eben die personalisierte Medizin der Weisheit letzter Schluss. Vielfältige Sensoren, in Smartphones eingebaut, mitsamt den entsprechenden Apps sollen für die Patientencompliance sorgen. Noch der kleinste Ausschlag an Unvernunft, wenn etwa ein Diabetiker zum Schokoriegel greift oder wenn ein Redakteur die Muckibude meidet, wird dank der App persönlich bestraft. P steht übrigens auch für Panne mit Patientendaten. Wer glaubt, dass diese Panne ein krasser Einzelfall ist, gehört besonders getreten: Beim Thema Datenschutz in deutschen Krankenhäusern brechen selbst hartgesottene Mediziner in Tränen aus, während die Administratoren achselzuckend etwas von gewachsenen Zuständen murmeln.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 20 November, 2011, 09:46
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Seit einer Woche sind sie da, die Experten des nationalsozialistisch-vaterländischen Untergrunds, die Pleiten und Pannen auflisten und von einer großen Portion Pech sprechen. Auch oben drüber wird gestöbert und wieder diskutiert, wie man die NPD verbieten kann. Neue Verbunddateien sollen her, ein weiteres Terror-Abwehrzentrum wie das GTAZ eingerichtet und auch die Vorratsdatenspeicherung soll wieder einmal ausgebaut werden. Betont skeptisch wird über die 39 Ersuchen zur Übermittlung von Verbindungsdaten aufgefundener Handys berichtet, garniert mit der Skepsis von BKA-Chef Ziercke, der die begrenzte Speicherpflicht für solche Daten beklagt. Ja, 10 Jahre speichern, wie dies die USA mit unseren Passagierdaten künftig machen dürfen, und schwupps, wäre das Rätsel um die Terrorzelle gelöst. Wer diesen Blödsinn wirklich glaubt, wird auch den Unsinn zur Vorratsdatenspeicherung auslöffeln, den Zierckes SPD-Genossen und -Genossinen zusammenrühren. Bis zu 24 Monate Speicherfrist verlangt die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Christine Lambrecht im Behördenspiegel, und auch die Beschlussvorlage für den kommenden Parteitag ist ganz unversehens so verändert worden, dass man im Kampf gegen den braunen Terror Härte zeigen kann.

*** Horch, sie singen Lieder.
Gläser klingen. Siehst du was?
Öffnet man die Kragen?
Ballt man schon die Hand ums Glas?
Nein, dies Lachen kenn ich –
alles ist noch halber Spaß.
Ich entsichre erst,
wenn man im Chor und Marschtakt lacht.
Wann beginnt die Nacht?

Nein, es ist niemals Feierabend, denn der braune Sumpf in den Köpfen ist immer da, das wusste der deutsche Barde Franz-Josef Degenhardt. Seine Lieder schwebten so frei über der freiheitlichen Grundordnung, dass sie in öffentlich-rechtlichen Kanälen nach den 70ern nicht mehr gespielt wurden. Wo es einen Untergrund gibt, gibt es einen Obergrund, wo das jahrelange Schlechtreden der Arbeitsmigranten und die Aushöhlung des Asylrechtes Humusboden sind für die da unten und ihre ganzen kleinen Adolfe, die den Marschtakt kennen. Um es mit der taz gereimt zu sagen - die Liedermacher von heute sind aushäusig und singen bei Occupy Burg Waldeck:

Zig Jahre kriegten die Ermittler
trotz Spurenlage nichts heraus.
Ein Hakenkreuz, ein Gruß von Hitler.
Das sah für sie nach Unfall aus.

*** An dieser Stelle auf einen vierzehn Jahre alten Text zum Verfassungsschutz zu verlinken, mag seltsam anmuten, denn die Zeiten haben sich ja soooo geändert. Nicht geändert hat sich jedoch die zweifelhafte Rolle des Verfassungsschutzes, darum ist dieser Text aktuell und sei, bei aller verquerer Hegelei, den ach so überraschten Politikern zur Lektüre empfohlen. In einer Demokratie ist ein Geheimdienst, der die transparente Demokratie kontrollieren soll, ein schlechter Witz. Über 100 V-Leute arbeiten heute in der rechten Szene und dokumentieren mit ihrer Arbeit die Nutzlosigkeit des Systems, das entstand, als alle die Ärmel aufkrempelten und sich ins Vergessen stürzten. An dieser Stelle müssten alle mutigen Journalisten stehen, die beharrlich mitverfolgen, was sich im braunen Dreck abspielt, doch greife ich neben dem verlinkten Burks einen Göttinger heraus, der seit eben diesen vierzehn Jahren unter Beobachtung steht, angeblich wegen linksextremistischer Handlungen. Doch siehe da: Kai Budlers Spezialgebiet ist die Berichterstattung über den Rechtsextremismus. Seine Beobachtung flog auf, als Budler über den Dresdener Handygate-Skandal ermitteln konnte, dass er auf der Liste der Verfassungsabschaffer stand.

*** Wie sang dereinst Franz-Josef Degenhardt in seiner großen Schimpflitanei über deutsche Fanpost in einer Zeit, als es noch nicht dieses Web 2.0 mit seinen Feed-Back-Tritten gab:

Meinem alten Schutzpatron,
Dieb und Dichter, Franz Villon,
sing‘ ich oft auf seinem Grab,
lacht der sich die Eier ab
über diese Litanei,
und dann singen wir zu zwei:
Wenn ich an dem Galgen häng
und mir wird der Hals zu eng,
weiß nur ich, wer da so log
und wie schwer der Arsch mir wog.

*** Die Zeiten, sie haben sich geändert. Degenhardt sang in den miefigen und piefigen Sechzigerjahre, als Polizisten noch Schutzmänner hießen, die Kirche mitten im Dorf stand und der Kommunismus noch ein Ausweg schien. Heute ist das Wort Schutzmann verschwunden. Ganz im Gegenteil wird besorgt darüber berichtet, wie Polizisten sich an ihren Namensschildchen schneiden, was prompt zur Forderung nach der Abschaffung der Kennzeichnungspflicht führt, weil die armen Polizisten ja geschützt werden müssen. Und der Chronist der miefigen Zeit singt von ganz, ganz unten:

Hier ist mein Testament zu Ende,
feiert ein schönes Leichenfest.
Gleich ob ihr mich nun zur Legende macht
oder ob ihr mich vergesst.
Ich bin dann längst im Land der Toten,
wo ich nun wirklich nichts mehr brauch.
Wo längst die meisten von uns ruhen,
irgendwann kommt ihr dann ja auch.

Was wird

Große Pech-Portionen? Auch früher hatten Journalisten keine Probleme, einen angeblich objektiven Bericht mit dem größtmöglichen Unsinn von einem höheren Wesen zu vermischen "Die traurige Begebenheit, welche sich vor ungefähr vier Wochen in der Nähe von Berlin ereignete, beschäftigt seit einiger Zeit die Aufmerksamkeit des Publikums. Dem Grundsatze treu, unseren Lesern mit der strengsten Gewissenhaftigkeit und Wahrheitsliebe, alle Thatsachen zur Geschichte der Zeit zu liefern, schwiegen wir bisher über diesen Vorfall, wartend, bis wir aus ächten Quellen eine durchaus wahre, unverfälschte Darstellung eines Ereignisses mitzutheilen im Stande wären, welches neuerdings beweist, auf welche Verirrungen und Abwege der Mensch durch Vergessenheit und Hintansetzung alles höheren Glaubens gerathen könne!" Die Rede ist, wieder einmal, von Mord und Selbstmord vor 200 Jahren, begangen durch den ersten Vertreter der Generation Praktikum, der wahlweise auch der Dichter des Kontrollverlustes ist. Ohne Lebensperspektive erschießt Heinrich von Kleist die krebskranke Henriette Vogel und will sich dann adelstandgemäß erschießen, erstickt aber an dem Pulverdampf. Zuvor schrieb er an seine Lieblingsschwester Ulrike den sattsam bekannten Brief: "...die Wahrheit ist, dass mir auf Erden nicht zu helfen war."

Der durch Europa trampende Kleist war ein Sucher nach der unbedingten Wahrheit, bis zur Erkenntnis, dass diese nicht zu haben ist: "Wenn alle Menschen statt der Augen grüne Gläser hätten, so würden sie urteilen müssen, die Gegenstände, welche sie dadurch erblicken, sind grün – und nie würden sie entscheiden können, ob ihr Auge ihnen die Dinge zeigt, wie sie sind, oder ob es nicht etwas zu ihnen hinzuthut, was nicht ihnen, sondern dem Auge gehört. So ist es mit dem Verstande. Wir können nicht entscheiden, ob das, was wir Wahrheit nennen, wahrhaft Wahrheit ist, oder ob es uns nur so scheint. Ist das letzte, so ist die Wahrheit, die wir hier sammeln, nach dem Tode nicht mehr – u[nd] alles Bestreben, ein Eigentum sich zu erwerben, das uns auch in das Grab folgt, ist vergeblich." Statt der Augen grüne Gläser? Welchen Science Fiction hat Kleist da im Sinn? Ist es der grüne Phosphor der Monitore, auf denen erstes Leben im Internet entdeckt wurde, das Grün des ursprünglichen Auftritts des bebrillten Big Brothers? Das Gegenstück zu Hal 9000? "Mein einziges, mein höchstes Ziel ist gesunken, und ich habe nun keines mehr –"

***Morgen wird Bundestagspräsident Norbert Lammert feierlich die Kleist-Promenade eröffnen und den Audioguide auf dem Smartphone starten, zum verzückten Wandeln in der stillen Bucht am See auf der Suche nach eben jener Vertiefung, die durch das Ausrotten eines Baumes entstanden war, in hehren Sphären schwebend deutsche Verzweiflungskultur genießend Wen stört es da, dass die neue Kleist-Promenade unvollendet ist, weil der von der Berliner Stadtregierung finanzierte Schülerruderverband Wannsee e.V. auf Kleist scheißt?

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 27 November, 2011, 00:11
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Es ist schon ein Kreuz mit dem Internet. Da regt sich die Sicherheitswelt über den Cyberangriff auf eine Wasserpumpe auf, der von Russland aus erfolgte und dann stellt sich dieser Angriff als Wartungsarbeit eines Service-Technikers heraus, der in Russland unterwegs war. Derweil wird in Putins Pumpenreich an ganz realen Angriffsplänen gebastelt, werden die markanten Iskander-Raketen um Krasnodar und Kaliningrad aufgestellt, um beizeiten gegnerische Informationsfunktionen zu zerstören. Wenn dann die verschiedenen "Schutz-Schilde" über unseren Köpfen zusammenkrachen, werden wir erleichtert aufatmen im Wissen, dass das Internet nicht betroffen ist.

*** Wenn dann noch das Internet sicher ist, weil es vom Über-Russen Jewgeni Kaspersky gesichert und gesäubert wird, dann wird alles gut. Der Mann, der vom verängstigten "Digitalen Denken" der Frankfurter Zeitung angehimmelt wird, weil er Internet-Pässe, strenge Internet-Gesetze und eine eigene Internet-Polizei fordert, verkauft auch nur das Schlangenöl der Marke "Anti-Virus", aber das besser als andere. Deshalb darf er auch als Vertreter der Branche an hochwichtigen Konferenzen teilnehmen, auf denen der Cyberraum durch internationale Anstrengungen geschützt wird. Die naheliegende Antwort der Sicherheitsprofis, dass die "hochgezüchtete Infrastruktur, bei der alles, Energieversorgung, Flughäfen, Eisenbahnen, Geldverkehr, Krankenhäuser, an Computern hänge", schlichtweg entkoppelt werden muss, ist Kasperskys Sache nicht. Wobei auch das richtige Entkoppeln gelernt sein will: Wie Vattenfall und Motorola in dieser Woche stolz verkündeten, wird das Mittelspannungsnetz in Hamburg und Berlin via TETRA gewartet. Wer erinnert sich da nicht an Aussagen des Osmocom-TETRA-Projektes über das ungesicherte Vattenfall-Netz?

*** "Ich habe in meinen jüngeren Jahren öfter erlebt, wie alte Männer ihre Lieder noch selbst gesungen haben, und es hat mir jedes Mal mißfallen. Bei einem Lied kommt es ja auch auf den Text an, und worüber soll ein alter Mann singen? Über die Liebe? Lächerlich! Über seine Träume? Wen interessiert das? Wenn er seine Träume sein ganzes Leben lang nicht verwirklichen konnte, soll er es bleiben lassen! Über Politik?"

Georg Kreisler singt nicht mehr, nicht jetzt und nicht in diesem unseren Leben, in dem Anstandsvergifter wie er selten geworden sind. Über Politik? So klang sein Gesang Was für ein Ticker ist ein Politiker:

Ja, die Welt ist eine Ansammlung von komischen Tieren,
Die sich an das Leben klammern und nur selten amüsieren.
Um gleich alle zu beschreiben fehlt die Zeit mir momentan,
Und so führe ich nur einige als Beispiel an:

Ja, ein Dramatiker ist ein Stückeschreiber,
Und ein Fanatiker ist ein Übertreiber,
Und ein Botaniker ist ein Blumengießer,
Und ein Romantiker ist ein Frauengenießer,
Ein Philharmoniker ist ein Staatsmusiker, Der Pension kriegt, wenn er nicht mehr gut gefällt -

Aber was für Ticker ist ein Politiker,
Woher kommt er und was will er von der Welt?
Aber was für Ticker ist ein Politiker,
Woher kommt er und was will er von der Welt?

*** Die Antwort ist natürlich, dass die Welt den Politiker nicht braucht und es ihn in Zukunft nicht mehr gibt. Die Welt braucht keinen zu Guttenberg, höchstens die "Zeit", die bis zuletzt seinem wie ihrem Leistungsfähnlein ehrerbietig die Treue hielt. 80 Disketten später sind wir klüger: zu Guttenberg war auf einer Dienstreise in Polen und konnte einfach nicht reagieren. Das las sich damals aber ganz anders: Er ließ die Süddeutsche Zeitung wissen: "Dem Ergebnis der jetzt dort erfolgenden Prüfung sehe ich mit großer Gelassenheit entgegen. Ich habe die Arbeit nach bestem Wissen und Gewissen angefertigt." Wer ein Comeback mit einer Lüge beginnt, darf wohl ein Lügenbaron genannt werden.

*** Wie ticken eigentlich Politiker ist eine Frage, die sich übrigens parteiunabhängig stellt. Zu den besten Antworten zählen die Beiträge von Tom Wicker, der ebenfalls gestorben ist. Auf seinen Schultern tummeln uns wir Zwerge und schauen in trübe Wasser. In diesem Sommer ist der in Berlin-Charlottenburg lebende Bundestagsabgeordnete Hans-Christian Ströbele mit seiner Frau im eutrophierenden Weinheimer Waidsee schwimmen gewesen. Dabei schwammen sie offenbar in einem nicht für Schwimmer zugelassenen Bereich, in dem Jugendliche eines Angelklubs die Karpfen mit Boilies anfütterten. Das sind harte Kugeln, die von den Carpern ins Wasser geschleudert werden, um die dicken Brocken anzulocken. Die Frau des Kreuzberger Politikers wurde von einer dieser Kugeln am Kopf getroffen und zeigte Tags darauf den 13-jährigen Täter an. Was angesichts des Alters schon Unfug ist, mutierte mit einem Blog-Eintrag am Dienstag mitten im November endgültig zur Posse. Der sonst für Deeskalation werbende Ströbele beauftragte mit Jonny Eisenberg ausgerechnet den härtesten Anwalt von Berlin mit der Wahrung seiner Persönlichkeitsrechte gegenüber einem Lokalblog, da er die von den Behörden gegebene Fehlinformation beanstandet. Der Anwalt, der auch die Interessen von Wikileaks-Chef Julian Assange in Deutschland vertritt, wird sicher dafür sorgen, dass der/die/das letzte Boilie noch lange nicht geworfen ist. Und wie das mit den Abmahnungen ist, das hat ja gerade einer etwas deutlicher artikuliert, der bei diesen kleinen WWWW-Verlag, der ansonsten auch über Abmahnindustrien aufklärt, meist nicht so oft vorkommt.

Was wird.

Ach, herrlich werden diese Tage, gibt es doch immer wieder äußerst Besinnliches zur Vorweihnachtszeit. Vor allem die US-Amerikaner machen uns da einiges vor, wie immer haben wir viel aufzuholen, oder? Auf Thanksgiving folgt Black Friday - auf den Fressanfall der Kaufrausch. Und auf den Black Friday der Cyber Monday - nach dem Fressanfall und dem Kaufrausch das Onlinebestelldelirium. Und alle Welt blickt wieder einmal auf dieses unser Land und stellt sich die alles entscheidende Frage. Nein, nicht, wann Angela Merkel nun doch endlich Eurobonds akzeptiert. Nein: Will Deutschland denn den Startschussknall fürs Weihnachtsgeschäft nicht auch endlich hören? Wenn man Dreitagebärte sexy findet, warum nicht auch einen auf drei Tage ausgewalzten Cyber Monday? Der Online-Handel jedenfalls operiert getreu dem Motto "die Wissenschaft hat festgestellt, dass Cyber Monday Geld enthält": In den USA startete er laut Wikipedia am 28.11.2005 als ein Tag, an dem jemand entdeckte, dass an diesem Tag die Online-Verkäufe rasant hochgingen – wohl als Folge des davorliegenden Black Friday. In Deutschland allerdings leiden beide US-Erfindungen zur Konjunkturbelebung unter gewissen Akzeptanzschwächen, aber das erging Halloween und Valentinstag am Anfang auch nicht anders. Vor allem ist hierzulande eine seltsame Vereinnahmung durch große US-Firmen zu beobachten. Der Black Friday könnte hier auch gut als Apple Day durchgehen. Der Cyber Monday scheint in Deutschland lediglich eine Amazon Celebration darzustellen. Da steckt Potenzial drin. Wie wärs mit dem Google Feast? Dem Microsoft Memorial? Oder gleich dem Saturn-Feiertag und dem Media-Markt-Festtag. Das Grauen. Das Grauen. Was für verheerende Folgen so eine Tagesüberdehnung haben kann, lässt sich jedes Jahr aufs Neue am Rosenmontag beobachten.

Nun gut. Totensonntag ist vorbei, doch das ist uns einerlei: Wie wir nun bereits wissen, war am Donnerstag in den USA Thanksgiving Day und Truthahngemetzel, doch IBM lieferte seinen Einspruch gegen SCO und damit geht die einzig wahre unendliche Geschichte in eine neue Iteration, komplett mit neuem Richter. SCO ist längst Geschichte, die Ritter-Reste firmieren unter TSG, doch zwei Konstanten bleiben: Die super erfolgreiche Anwaltskanzlei des Staranwaltes David Boies ist weiter dabei, weil sie Ende 2003 einen Vertrag akzeptiert hat, gegen einen 20-prozentigen Anteil an SCO den Prozess bis zum Ende durchzuziehen. Damals glaubte man, mindestens 49,4 Millionen Dollar von IBM zu bekommen. Auch nach wie vor dabei: die IBM-Anwälte, deren Rechnungen bezahlt sind.

Eine besondere Art von Totensonntag feiert heute übrigens Baden-Württemberg. Dort gibt es eine Volksabstimmung, die vom Procedere her unfein angelegt ist. Eigentlich hätte bundesweit das ganze deutsche Volk zur Frage abstimmen müssen, wie schlimm es ist, im Zug auch mal rückwärtszufahren. Doch diese Frage wäre voller Risiko, wo braune Seilschaften doch nichts lieber wollen als rückwärts zum Führer.

Unter der Woche muss vor Twitter & Co. gewarnt werden. Die Operation Lükex 2011 zum Cyberwar läuft an, unter "Einbeziehung der sozialen Medien". Wenn ein Tweet im besten Stil von Orson Welles davor warnt, dass die Chinesen angreifen und erste Trojaner im Handy von Kanzlerin Angela Merkel aufgetaucht sind, muss am Anfang und Ende des Tweet das Wort ÜBUNG beachtet werden. Jede Wette, dass dies übersehen wird. Begleitet wird die Cyberwar-Übung von einem Kongress der Cyberwar-Spezialisten. Wer gewonnen und wer verloren hat, darüber informieren wir, desorientiert wie immer am Rande der norddeutschen Tiefebene.

Wo es ein Tief Unten gibt, gibt es auch ein Ganz Oben. Das ist diesmal in München: Gar mächtig wirft der IT-Gipfel 2011 seine Schatten voraus. "Wirtschaft, Wachstum, Wohlstand" wollen definiert werden, nicht dieses doofe World Wide Web akzeptiert. Zu einer App hat es gereicht, die Android-Version war unbezahlbar, die Microsoft-Variante verteilt die Firma selbst auf ihrem "Corporate Technical Responsibility Event" vor dem Gipfel. In lichten Höhen wird auf dem Münchener Messegelände die Strategie "Deutschland 2015" beschlossen, im "abgekordelten Bereich zwischen Themeninseln und Zukunftsraum" werden wir Journalisten delirieren. Europa ruft? Macht nix, wir leben am E-Fluss. Und wie war das noch mit Prussland?.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 04 Dezember, 2011, 07:00
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** "Die Sprache springt aus dem Ämter- und Zeitungsdeutsch heraus, in das sie eingewickelt war, und erinnert sich ihrer Gefühlswörter. Eines davon ist "Traum". Also träumen wir mit hellwacher Vernunft. Stell dir vor, es ist Sozialismus, und keiner geht weg! Sehen aber die Bilder der immer noch Weggehenden, fragen uns: Was tun? Und hören als Echo die Antwort: Was tun! Das fängt jetzt an, wenn aus den Forderungen Rechte, also Pflichten werden: Untersuchungskommission, Verfassungsgericht. Verwaltungsreform. Viel zu tun, und alles neben der Arbeit. Und dazu noch Zeitung, essen! Zu Huldigungsvorbeizügen, verordneten Manifestationen werden wir keine Zeit mehr haben. Dieses ist eine Demo, genehmigt, gewaltlos. Wenn sie so bleibt, bis zum Schluß, wissen wir wieder mehr über das, was wir können, und darauf bestehen wir dann. Vorschlag für den Ersten Mai: Die Führung zieht am Volk vorbei." (Christa Wolf)

*** Nein, die Sprache hat längst nicht mehr die Gefühlswörter im Angebot und die Führung zieht von IT-Gipfel zu EU-Gipfel und höchstens dann am Volk vorbei in die VIP-Lounge, wenn es ein Fußballländerspiel gibt. Tief ist Christa Wolf im Wendeland gefallen, als bekannt wurde, dass sie als IM Margarete von 1959 bis 1962 drei Berichte geschrieben hatte. Die wichtigste deutsche Schriftstellerin der Gegenwart ist gestorben. Was bleibt, sind ihre Bücher und keine Gefühlswörter: "Lasst euch nicht von den Eignen täuschen", sagt ihre Kassandra und wir schauen hin und lesen Zeitung, lesen im Internet die Täuschungen, wieder und immer wieder.

*** Lasst euch nicht von den Eignen täuschen: Es ist absurd und abschreckend, wie routiniert und gedankenlos Polizei und Politik von der Vorratsdatenspeicherung als Kampfmittel gegen die Terroristen vom "Nationalsozialistischen Untergrund" schwadronieren, während sie gleichzeitig die Bevölkerung um Mithilfe bei der Terrorfahndung bitten. Nur zur Ent-Täuschung: Als die Zschäpe-Böhnhardt-Mundlos-Bande vor 13 Jahren in den Untergrund tauchte, war die Welt der Fahnder technisch noch in Ordnung, waren Prepaid-Angebote und Flatrates erst am Aufkommen. Wer jetzt davon schwadroniert, dass die FDP vor einem historischen Versagen steht, wenn sie die Vorratsdatenspeicherung weiterhin ablehnt, hat das historische Gedächtnis eines Grottenolms.

*** Untersuchungskommission, Verfassungsgericht. Verwaltungsreform: Die Pflichten, von denen Christa Wolf für ihren Teil von Deutschland sprach, stünden der ganzen neuen deutschen Republik zur Zier. Es musste erst der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte über den Polizeigewahrsam urteilen, damit die Festnahmen beim G8-Gipfel in Heiligendamm als Verstoß gegen die Menschenrechtskonvention gesehen werden. Die fünf Tage lang dauernde Inhaftierung wegen der Transparente wie "free all now" war ein ungerechtfertigter Freiheitsentzug. Bemerkenswert an dem Urteil ist, dass deutsche Gerichte alles rechtmäßig fanden und offenbar selbst das Bundesverfassungsgericht diese Variante der "Gefahrenabwehr" für unproblematisch hielt. Die Antwort auf dieses Urteil ist bekannt und bereits in aller Schlichtheit aufgeschrieben: Statt der Tat wird die Gesinnung bestraft, werden Huldigungsvorbeizüge wieder modern. Das sollte allen zu denken geben, die sich berechtigterweise über den Wegfall der idiotischen Websperren freuen und sich in den Kommentaren an den Wendehälsen würgen.

*** Wir wissen heute nicht mehr über uns, aber wissen, was sie können. Mit den Spyfiles hat Wikileaks wahlweise eine Heldentat der Welt geschenkt oder schlicht die Kompilation des CCC-Vorstandes Andy Müller-Maguhn abgekupfert. Verdienstvoll ist es in diesen staatstrojanisch düsteren Tagen allemal, dass ein Firmenverzeichnis existiert, in dem alle verfügbaren Informationen über Software zusammengetragen wird, die "lawful interception" anbieten. Beide Sammlungen sind verbesserungswürdig, aber eine Anlaufstelle für alle, die nicht vor geschlossenen Nutzerbereichen umdrehen wollen. Erfreulich ist es auch, dass TV-Sendungen wie Panorama vom NDR und Fakt vom MDR die Sammlung als "Anstoß zu eigenen Recherchen" nehmen, während Wikileaks gewohnt großspurig von der ARD als Medienpartner spricht. Dort erfüllen die Spyfiles die Zusatzfunktion, die Entscheidung über die Zukunft von Julian Assange zu unterfüttern, die am Montag vom High Court bekanntgegeben wird.

*** Träumen wir mit hellwacher Vernunft oder ist es der bewusstlose Tiefschlaf im Analogen? Bundesinnenminister Friedrich hat eine Rede zur digitalen Kultur gehalten, die all diejenigen enttäuschte, die von Friedrich eine netzpolitische Grundsatzrede erwartet hatten. So konnte man allen Ernstes wehmütige Erinnerungen an die netzpolitische Grundsatzrede des Amtsvorgängers lesen, die dank eines besonderen Radiergummis längst aus den Hirnen der Innenpolitiker getilgt ist. "Frei, selbstbestimmt und eigenverantwortlich" im Internet handeln, dass ist keine CSU-Agenda. Dementsprechend ist die Ministerrede nicht in der Ruhmeshalle der Oratorien aufgeführt. Höhepunkte sehen anders aus, das wissen wir dank Winnie der Pu. "Ein Gedicht und ein Gesumm sind keine Sachen, die man so einfach packen kann, nein, man wird von ihnen gepackt. Und alles, was man dazu tun kann, ist, dorthin zu gehen, wo sie einen finden können." Solche Packstellen sind für Politiker bekanntlich die Gipfel, wie der kommende IT-Gipfel und der EU-Gipfel dahinter. So bleibt an dieser Stelle nur übrig, das Grußwort des CSU-Politikers Horst Seehofer zu verlinken, dessen Gesumm vielleicht noch stoibersche Bildkraft erreichen kann. Verknüft im Glanze dieses Glückes, komplett mit Minister zu Guttenberg: "So erleben wir, dass sich Mobilität von Straßen und Schienen löst und auf die Datenautobahn einbiegt. Sie erst verknüft die Wege zum Netz, und so wird Mobilität zur globalen Präsenz: Die Infrastruktur gewinnt eine vierte Dimension!" Mimimimimiiiii.

*** Apropos Musik. Es ist heutzutage wirklich ein Geständnis, wenn man eine dieser seltsamen Casting-Shows im TV für sehenswert hält. Aber ja: Voice of Germany bietet eine Phalanx guter Sänger und Musiker, die man nach alle dem Bohlen- und D!-Dreck nie erwartet hätte. Ganz nebenbei ist die Sendung ein gutes Mittel gegen die eigenen Scheuklappen: The BossHoss? Never ever. Aber vielleicht sollte man doch mal reinhören. Immerhin, die beiden BossHosser sind diejenigen in der Sendung, die am meisten zur Musik zu sagen haben. Und, hey: Ein bisschen Spaß muss sein. Auch in der Musik. Ein Hoch auf alle Scheuklappen, die fallen.

Was wird.

Noch vor dem IT-Gipfel gibt es ein Gipfelchen zu Berlin, auf dem die Zukunft der elektronischen Gesundheitskarte zur Debatte steht. Da ist vom Stuttgart 21 der Ärzte die Rede, die sich zwar heftig gegen die schnelle Online-Anbindung der neuen Kartenlesegeräte wehren, aber wie die Stuttgarter ihre Untertunnelung bekommen. Wobei das Bild schief ist wie die Auffahrt auf eine bayerische Datenautobahn: Die sicheren VPN-Tunnel, die dank besonderer Konnektoren die Verbindung zu den Servern der Krankenkassen aufnehmen sollten, will niemand mehr haben. Die Industrie jubelt und verspricht einfachere Geräte nach "internationalen off-the-shelf-Standards". Vom einstmals vorbildlichen Leuchtturmprojekt bleibt nicht einmal das Fundament über, auf dem der Hohlkörper stand.

Die Spartakiade ist Geschichte, die Spackeriade kommt. Es ist eine kleine neue Konferenz, die nach der Idee der Post Privacy neue Antworten für einen zeitgemäßen Datenschutz zu sammeln versucht. Schließlich zeigen gerade die Spyfiles und die neuen Zahlen zum Bayern-Trojaner, was die Privatsphäre wert ist: Nichts. Screenshots wurden in Bayern auch nach dem Verbot von Screenshots durch das Landgericht Landshut angefertigt, was die "Lawful Interception" schlicht auf "Full Interception" reduzierte. Wenn das Private aber politisch ist, dann muss man drüber reden. Das hat die Spackeria begriffen.

"Was für eine vorzügliche Einrichtung, daß die Gedanken nicht als sichtbare Schrift über unsere Stirne laufen. Leicht würde jedes Beisammensein, selbst ein harmloses wie dieses, zum Mördertreffen.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 11 Dezember, 2011, 06:00
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** A Night Like This: Von fernen, fernen Gipfeln klingen leise Melodien. So groß ist das Getöse um den Ausstieg Großbritanniens aus der EU, dass sie nicht mehr hörbar sind, die leisen Klänge. Während die Briten ihren Kampftee schlürfen, sei doch noch einmal an den IT-Gipfel der Bundesregierung erinnert, auf dem der Bitkom-Vorsitzende Kempf sagte, dass ELSTER und ELENA Ausrutscher waren, die nur passieren konnten, weil man nicht mit denen geredet habe, die heute im Netz leben. "Müssen wir nicht den ein oder anderen Nerd-Dialog öffnen?", um vom Wissen der Leute zu profitieren, die beim Worte Datenautobahn Lachkrämpfe kriegen, fragte Kempf sein Publikum. Ach ja, Nächte wie diese: Da hatten die Nerds längst Tränen in den Augen von der Diskussion um die Anschnallpflicht, die Innenminister Hans-Peter Friedrich auf dem Gipfel bewegte. Für sich genommen nichts Neues, denn seit der Einführung des elektronischen Personalausweises erhält jeder Bundesbürger mit dem Kärtchen ein Heftchen, in dem an seine staatsbürgerliche Pflicht erinnert wird, Virenscanner und Firewall stets auf dem neuesten Stand zu halten. Was jetzt noch fehlt, ist das Tagfahrlicht im Browser und dieser europaweit funktionierende Notrufknopf, mit dem man rund um die Uhr Hilfe bekommt. OK, ein kleiner Button im Stil einer Gegensprechanlage, mit der der nächste Nerd im Umkreis zum Skypen über ein Computerproblem gerufen wird, wär auch was Feines. Wir müssen eben den einen oder anderen Nerd-Dialog öffnen, auch wenn die Gegenseite schwer verständlich etwas von geschlossenen Schlössern erzählt, die oben im Browser das Vertrauen der Bürger in den Staat dokumentieren.

*** Die schnelle Suche nach Gesichtern in den Sammlungen bescholtener Bürger ist seit Alphonse Bertillon ein wichtiges Hilfsmittel der Kriminalistik. Nun hat Google seine Gesichtserkennung eingeführt, eine Qualitätsentwicklung des deutschen Informatikers Hartmut Neven, Schüler des großen Valentino Braitenberg. Entsprechend fallen die Kommentare im Forum aus, was sich wahlweise Big Brother, die Stasi und US-Geheimdienste über die forensischen Daten bei dieser optionalen Funktion doch freuen können. Böses Google, schlimmes Facebook? Diese simplen Zuweisungen sollen doch bitte nicht über die große Freude hinwegsehen, dass Deutschland bei der Gesichtserkennung eine führende Rolle spielt und auf dem IT-Gipfel stehend anderen zeigt, wie leistungsfähig seine Informatik ist! Man denke nur an das Projekt EasyPass, in dem die Gesichtserkennung von L1-Identity eingesetzt wird, quasi eine Bochumer Erfolgsgeschichte. Oder wie wäre es mit der Firma DotNetFabrik, deren Software DoublePics in der Bildersuche bei kinderpornografischen Inhalten eine wichtige Rolle spielt. Nicht zu vergessen die DigitEV, deren Erkennungs-Software VizXview bei kinderpornografischem Videomaterial zum Einsatz kommt. Oder wie wäre es mit der Dresdener Firma Cognitec, deren Erkennungs-Software im Polizeiinformationssytem INPOL sucht. Deutsche Wertarbeit, ganz abseits aller Quatschereien von Sozialen Netzwerken und germanischen Clouds.

*** Oh, es hat noch andere Gipfel in dieser Woche gegeben. Nehmen wir nur das Kraxeln auf den Gipfel der Verlogenheit bei der SPD, die sich auf ihrem Parteitag erneut für die verdachtsunabhängige Vorratsdatenspeicherung entschieden hat. Das kann man machen, wenn man mit der Sparfüchsin eine "große" Koalition eingehen will. Unredlich ist es aber, das Quick-Freeze-Verfahren der Koalitionskonkurrenz als Verletzung rechtsstaatlicher Grundsätze zu denunzieren, wenn man das gesamte Volk unter einen Anfangsverdacht stellt. Ist ja nur für drei Monate? Wer hinkt heran, bei den nunmehr Ceska-Morden genannten Taten von 2000 bis 2006 die Wunderwaffe Vorratsdatenspeicherung zu ziehen? Eine Polizei, die auf dem rechten Auge so blind ist, dass die Ermittler eine rechtsradikale Tat gar nicht in Betracht ziehen, wird auch mit ein paar Terabytes großen Datenberg der letzten 10 Jahre nichts finden können, außer dass man immer wieder V-Leute des Verfassungsschutzes kontaktierte. Wenn dann die Argumente für eine Totalüberwachung ausgehen, der Schwachsinn von personenbezogenen IP-Adressen aufhört, dann ist es an der Zeit mit "der EU" zu rasseln, die jetzt angeblich Strafzahlungen in die Wege leiten will. Wenn die Bundesjustizministerin Recht hat, gibt es solche für den Dezember angedrohten Sanktionen nicht.

*** In deutschen Buchhandlungen ist in dieser Woche eine hübsches Lesepröbchen aufgetaucht, ein paar Seiten aus Tim Weiners demnächst erscheinenden Buches über die wahre Geschichte des FBI. Im Mittelpunkt der Geschichte natürlich die Erzählung über den FBI-Diktator Edgar Hoover, der nicht nur seine Homosexualität unterdrückte, sondern die Demokratie auflösen wollte. 1950 zum Start des Kalten Krieges prophezeite Hoover Selbstmordanschläge mit Flugzeugen, die Atombomben an Bord hatten sowie Sprengstoff-Aktionen aus dem kommunistischen Untergrund durch Leute "die bereit sind, sich selbst zu opfern". Seine fortgesetzten Warnungen führten zum Gesetz über innere Sicherheit, der Aussetzung verfassungsmäßiger Schutzrechte, der Sicherungsverwahrung subversiver Elemente auf unbestimmte Zeit und der Verhaftung von US-Bürgern aus politischen Gründen. Die Selbstmordattentäter kamen 51 Jahre später. Das Vergangene ist nie tot, es ist nicht einmal vergangen, schrieb William Faulkner. In einer Nacht wie dieser, in der der Mond die Nacht über der norddeutschen Tiefebene stahlblau leuchten lässt, bleibt nur die Hoffnung, aus der ewige Reboot-Schleife untoter Sicherheitsparanoiker endlich ausbrechen zu können.

Was wird.

Hurra, hurra, wir bekommen ein neues Kompetenzzentrum zur Bekämpfung der Internetkriminalität. Als erstes darf es sich mit Kompetenz anreichern, wie die bestellte Software zur Quellen-TKÜ wirklich auszusehen hat. Ob zu einer "Leistungsbeschreibung" ein ordentlicher Code Review gehört? Noch schöner ist es freilich, dass wir auf EU-Ebene eine "Initiative zur Freiheit im Internet" bekommen, mit Karl Theodor zu Guttenberg, 80 Datenträgern und Neelie Kroes. Das Programm der Initiative: Das Internet muss endlich ein rechtsfreier Raum sein, in dem Texte ohne die autoritären Neider von Guttenplag zusammengeklickt werden können. Keine Schnüffelsoftware für Diktatoren! Kein Schnüffeln hinter Doktoren!

Zwischen 100.000 und 150.000 US-Dollar sollten es schon sein, wenn man am Dienstag vorhat, den Gründungsvertrag von Apple zu erwerben. Als Steve Jobs und Steve Wozniak ihre Firma gründeten, war ein Dritter dabei, der als Schlichter zwischen den beiden fungierte und dafür 10 Prozent der Firmenanteile bekommen sollte, während die beiden Steves es bei 45 Prozent beließen. Wenige Tage nach Abschluss des Vertrages bekam Ron Wayne kalte Füße und ließ sich sich ausbezahlen, insgesamt 2300 Dollar. Ähnlich wie Tim Paterson mit seinem Quick and Dirty DOS muss sich Wayne bis heute die Fantastilliarden vorrechnen lassen, die ihm entgangen sind. Auch an der Auktion verdient er nichts, da er die Papiere für 500 Dollar an einen Händler verkaufte. Wenn die Auktion läuft, wird man ihn wohl in seinem Lieblings-Casino in Las Vegas sehen können, wo er zwei Mal die Woche spielt und auf den Jackpot seines Lebens wartet. Geschichte kennt keine Moral.

Bekanntlich ist das Websperren-Gesetz beerdigt worden. Doch manche Tote sind richtige Untote. "Bei unerwünschten Teilnehmern wird von innen an den Sargdeckel geklopft", heißt es in der Traueranzeigen, "Am'n Bani", einem der letzten radikalen Betriebsratsarbeiter. Andere steigen als Zombies aus den Gräbern und wanken hungrig in die nächste Stadt. Die Zugangserschwernisse gehören dazu, diesmal ganz ohne "Schützt die Kinder!". Am Donnerstag wollen 15 Bundesländer den neuen Glücksspielstaatsvertrag unterzeichnen, mit dem 20 Lizenzen für Internet-Glücksspiele an Firmen vergeben werden, die dafür eine neue Spieleinsatzsteuer bezahlen. Die rund 360.000 Spielsüchtigen in Deutschland werden in einer Spielsuchtdatei gespeichert und bekommen eine hübsch designte Zugangssperre zu sehen. 15 Bundesländer sind kein Schreibfehler: Schleswig-Holstein fehlt, das zusätzlich Sportwetten, Online-Casinospiele und insbesondere Online-Poker erlauben will. Natürlich nur für die, die "Schleswig-Holstein meerumschlungen" singen können. Alle anderen werden technisch ausgeschlossen, es gilt das umgekehrte Hamburg-Prinzip. Hamburg, Hamburg, da war doch was? Genau: Das erste deutsche Online-Casino lebte nur kurz – und kontrollierte die Hanseaten mit einem automatischen Datenabgleich mit dem Melderegister.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 18 Dezember, 2011, 06:00
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Schmuddel, Schmuddel über alles. Das beginnt schon beim Wetter mit diesem unordentlichen Schneematsch, den der bereits enzyklopädisch verarbeitete Orkan Joachim auf die norddeutsche Tiefebene geklatscht hat, auf dass selbst das hässliche krüppelwalmdachig protzende Präsidentenhaus nur grau in grau großburgwedelt. Der Schmuddel reicht von der Osnabrücker Theaterpassage bis ins ferne Berlin und da jibbet es nix zu Schmuchn, das ist hohe Politik und Schmuddel in Vollendung. 500.000 Tacken zu rabattierten vier Prozent ohne Grundbucheintragung der Schuld, ausgezahlt mit einem anonymen Bundesbankscheck von einem Geldgeber aus der Schweiz zeigen den deutschen Präsidenten als Mietjungen, der "vollstes Vertrauen" in seinem Stuhlkreis genießt. Was für ein feiner Zug vom Innenministerium, dass es zeitlich passend den Fragen- /Antwortenkatalog zur Annahme von Belohnungen und Geschenken veröffentlicht, in der private Rabatte als unzulässige Vorteilsnahmen verboten werden.

*** Schmuddel, Schmuddel, wohin man guckt. Dabei hat alles so strahlend angefangen. Wie hübsch waren die Euro-Beutelchen zum Üben, die vor 10 Jahren als Starterkits ausgegeben wurden. Das niedliche Begrüßungsgeld führte zu der seltsamen Sportart, alle Euro-Münzen in einem Klappschuber zu sammeln. Europa war stolz auf seine Währung und in Griechenland bekam man für 5000 Drachmen 14,67 Euro. Was ist heute von Europa geblieben, fragt sich nicht nur der leicht entflammbare Jürgen Habermas. Darauf kann es doch nur eine Antwort geben: PECH! Das ist keine zähflüssige teerartige Masse, sondern der Fischereiausschuss, zuständig für Fischbestände und Fischereierzeugnisse! Was wäre Europa ohne diese zentrale Institution der Demokratie! Man überlege nur, welche Fragen der Fischereiausschuss behandelt oder behandelt hat. Erinnert sei an das europäische Überwachungssystem Echelon, dass am 20. Dezember 1996 im EU- Fischereiausschuss ohne begleitende Debatte beschlossen wurde. Dann wäre da noch die Sache mit den Software-Patenten, die offenbar schleppnetztechnisch eng zum Kompetenzraum des Fischereiausschusses gehören. Auch wenn die Sache knapp ausging und keine Regulierung von "computerimplantierten Erfindungen" erfolgte, war die Sache fischig-anrüchig wie im Laden von Ordralfabétix, wobei die Grünen in persona Renate Künast patzten. Nun hat der ruhmreiche Fischereiausschuss wieder zugeschlagen und ACTA ohne weitere Aussprache beschlossen. Die Welt wird in Handschellen einer Privatpolizei abgeführt, meint La Quadrature du Net. Zwar muss noch das europäische Parlament über ACTA abstimmen, doch was ist das schon, verglichen mit der geballten Weisheit des Fischereiausschusses, in dem Deutschland durch Jorgo Chatzimarkakis vertreten ist, dem anerkannten Spezialisten für Zitate. "Es ist kein Fisch ohne Gräten und kein Mensch ohne Mängel", sagte ein weiser Mann, lange vor der Existenz des Fischereiausschusses.

*** Wenn man Schmuddel frisiert und gut kleidet, dabei zurückhaltend mit Gel und Verstand umgeht, so entsteht ein Produkt, das sich vorzüglich als Berater der EU einsetzen lässt, etwa für die Stärkung der Internet-Freiheit und die Aufsicht über Software-Werkzeuge der Unterdrückung. Das Ganze bitteschön durchzuführen auf dem Wege der Fernbeobachtung aus den USA heraus, damit das Treiben von Firmen wie Gamma International ungestört weitergehen kann. Der Gedanke, der hinter dieser Aktion steht, dürfte auf viele Jahre hinweg ein glänzendes Beispiel für einen Social Hack abgeben. Wenn man indes die Antworten Revue passieren lässt, die EU-Kommissarin Neelie Kroes in ihrem Blog zulässt, dann lässt sich erkennen, wie aberwitzig das Vorhaben ist. "NoDisconnect" hat sich erst einmal dafür entschlossen, den Kontakt mit entrüsteten EU-Bürgern abzubrechen. Den vorläufigen Tiefpunkt der alltäglichen Schmuddelei erreicht die Geschichte mit einem Bericht in einem Meedienmagazin, dass die sachlich berechtigten Einsprüche gegen Karl-Theodor zu Guttenberg als Shitstorm denunziert.

*** Schmuddel hat übrigens nichts mit Sex zu tun, dieser durchaus achtbaren Komponente des menschlichen Zusammenlebens. Die einen freuen sich auf Sex und hoffen, dass heise.xxx die hammerharten Begierden der Geeks reflektiert, die anderen fürchten den Teufel und betreiben digitale Verhütung. Irgendwo dazwischen liegen die Berliner Piraten, ein politischer Zusammenschluss von Erwachsenen, die sich vom haarsträubenden Unsinn eines 16-Jährigen terrorisieren lassen, der angeblich IMSI-Catcher aufstellt und Störsender in seinem Rucksack trägt. Jede(r) der/die Kinder in dem Alter hat(te), kennt diese Phase voller Räuberpistolen und Sex-Speichereien, aber bei den Piraten reichte es aus, dass ohne Levitenleserei daraus ein unerträgliches Klima der Angst entstehen konnte, nicht ohne einen super-brandgefährlichen Hackerangriff. Was hier am Werke ist, kann als Gegenstück der von Burks so genannten German Internet Angst gelten, das dunkle Raunen von Menschen und Mächten, während der eigene Maschinenpark sträflich ungeschützt bleibt. Dazu passt natürlich die Darstellung, dass der CCC als großer Beschützer der Piraten einherkommt und allen Ernstes eine Person wie Karl Koch in dem Milieu für seine KGB-Hacks verehrt und gehasst wurde. Klittern wir die Geschichte, weil das alles so schrecklich schön-schauderig ist.

*** Christopher Hitchens ist tot. Der Journalist und Trotzkist, der wie kein zweiter vor den Gefahren der Religionen warnte, vor den Verheerungen, die der Glaube an höhere Wesen im Verstand anrichten kann, war vielen unbequem, weil er den nun beendeten Irak-Krieg begrüßte als Chance, ein bigottes System zu vernichten. Am Ende versöhnte sein Engagement als Bürgerrechtler ebenso wie seine Selbstversuche im Waterboarding. Unvergessen seine unversöhnliche Kritik der Mutter Teresa. Gestorben ist auch der geistige Vater von Captain America, der Comic-Veteran Joe Simon. Trotz wichtiger Urteile zu seinem Gunsten gelang es ihm nicht, die Rechte an seiner Figur zu erhalten, die er mit Jack Kirby entwickelt hatte. Die Rechte an seiner Figur haben Walter Giller nicht geholfen und er versackte in den Niederungen des deutschen Blödeltums. Als Conferencier des Lieds Computer Nummer Drei, die Nummer 1 der Heise-Hitparade, lieferte er vor allem im Abspann ein kleines Kunststück ab. Etliche Lieder von France Gall wurden übrigens von Joe Dassin geschrieben, dem Sohn von Jules Dassin, der heute vor 100 Jahren geboren wurde.

Was wird.

Bekanntlich wird es bald eine neue Datensupersammlung geben, das Abwehrzentrum gegen den Rechtsextremismus (GAR). Es ist schade, dass viele Menschen, die sich über den datensammelnden Staat entrüsten, sich nicht über diese neue Sammelleidenschaft entrüsten. Was bleibt, ist ein Datenschützer wie Thilo Weichert, der die gemeinsame Nutzung der Daten durch Verfassungsschutz und Polizei als rechtswidrige Aktion abkanzelt und eine tagesszeitung, die diese Stellungnahme für derart unwichtig hält, dass sie nicht im Internet erscheinen kann. So entsteht eine neue Gesinnungsdatei und alles ist gut.

Weihnachten kommt und damit der Moment, an dem fröhliche Atheisten in Stimmung kommen, All I want is Jews zu singen, gegen die übliche Trantütigkeit. Will wirklich jemand dieser Sekte folgen, die Protagonisten in ihren Reihen duldete, die zehntausende Minderjährige vergewaltigt haben? Getoppt wird das Ganze natürlich von der Weihnachtsansprache des Bundespräsidenten, unter dem Krüppelwalmdach, mit Kerzen und "Mitmenschen". Wir gehören zusammen. Wir stützen einander. Wir sind einander verbunden. Und sei es durch einen anonymen Bundesbankscheck.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. Die Weihnachtsedition (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 25 Dezember, 2011, 08:24
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich - das auch an Weihnachten.

Was war.

*** Stille Nacht, eilige Nacht. Während die Ad-Hoc-Christen ihre Glaubensrelikte wieder einsammeln, darf die kleine Wochenschau aus dem Sündenpfuhl am Rande der norddeutschen Tiefebene die Leser abholen, die eine Weihnachtsansprache zuviel gehört haben und keinen Gott in Windeln sehen wollen. Sodom und Hannover, titelte die tageszeitung über die weltoffene Stadt der Kreisverkehre, mit kleinen Anleihen aus dem christlichen Schmachtfetzen Ben Hur, diesem ersten Lehrstück in Sachen Urheberrechtsverletzung. Seite an Seite mit Margot Kässmann reitet da der Altkanzler Gerhard Schröder, das Urvieh, von dem sich der liebe Herr Wulff immer distanzieren wollte und sei es durch ein spießiges Häuschen in Großburgwedel.

*** Schröder, Gerhard? Vor 10 Jahren stellte der Niedersachse nicht nur die Vertrauensfrage, als er im deutschen Bundestag abstimmen ließ. "Das Mandat, dem zuzustimmen ich Sie heute bitte, bezieht sich auf Kabul und Umgebung. 'Umgebung' meint in erster Linie den einzig brauchbaren Flughafen. Auch insoweit sind, denke ich, die Erwartungen vieler hier im Hohen Hause erfüllt worden. Es ist gefordert worden, das Mandat müsse zeitlich begrenzt werden. Auch das geschieht. Man kann darüber streiten, ob die sechs Monate eine zureichende Begrenzung sind. Aber das ist nun einmal Gegenstand des Sicherheitsratsbeschlusses gewesen. Ich denke, wir sollten jetzt keine abstrakten Diskussionen über die Frage führen, ob sechs Monate ausreichen oder nicht, sondern deutlich machen: Es handelt sich um ein von den Aufgaben her, vom Einsatzort her und von der Zeit her begrenztes Mandat." Mit 538 Ja-Stimmen, 35 Nein und 8 Enthaltungen zog Deutschland in den Krieg nach Afghanistan. Maximal 5000 Mann für maximal sechs Monate wurden zum "Brunnenbauen" abkommandiert.

*** Ja, damals sah es finster aus in Afghanistan. Das Internet war verboten, Disketten wurden als unislamisch deklariert. Doch dann begann US-Präsident Bush mit seinen Angriffen auf Afghanistan und die Wirtschaft florierte, der Cyberwar bot glänzende Perspektiven, die Drohnen stiegen auf. Bald war alles wieder gut und Kabul wieder online. Schröder, Gerhard zitierte weihnachtlich gestimmt eine dpa-Meldung zur Wahl von Hamid Karzai: "Kurz vor seiner Vereidigung hat der neue afghanische Übergangsregierungschef Hamid Karsai Afghanistan Frieden versprochen. Er wird zitiert: Ich möchte versprechen, dass ich Ihre und meine Aufgabe erfüllen will, Afghanistan Frieden zu bringen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Weiter: Wir respektieren die Frauen, die die Hälfte unseres Volkes ausmachen, und wir geben ihnen ihre Rechte. Das sind die Schlüsselsätze von Herrn Karsai, der heute in sein Amt eingeführt worden ist."

*** Vom ruhmreichen Brunnenbauen ist wenig übrig geblieben, ein Boulevard-Blatt druckt Schock-Fotos aus dem Krieg, der auch bei uns inzwischen Krieg genannt werden darf. Der gefeierte Herr Karsai fährt seinen eigenen Kurs und weihnachtlich dankbare Gefühle werden nicht gen Himmel geschickt, sondern via Internet zu den tapferen Steuerleuten der Drohnen: These guys are up above firing at the enemy wird ein Colonel McDonald zitiert. "They love that, they feel like they’re protecting our people. They build this virtual relationship with the guys on the ground." Und was die berühmten Kollateralschäden angeht, so ist alles halb so schlimm: "Collateral damage is unnerving or unsettling to these guys." In Zukunft fliegen sie vier UAVs gleichzeitig.

*** Vor 10 Jahren, war sie schon in Gang, die Anschlagsserie, die das nunmehr auf Facebook fahndende Bundeskriminalamt politisch korrekt als Ceska-Morde bezeichnet. Nach und nach kommt heraus, was der Thüringer Verfassungsschutz sich da geleistet hat, vom geplanten Geld für falsche Pässe bis hin zu regelmäßigen Telefonaten eines V-Mannes und schließlich die Vernichtung von Beweismitteln. "Umso stärker hat uns alle schockiert, dass rassistisch verblendete Verbrecher über viele Jahre Menschen ausländischer Herkunft geplant ermordet haben. Das haben wir nie für möglich gehalten", heißt es in der Weihnachtsansprache eines Großburgwedeler Hausbesitzers. "Wir schulden uns allen Wachsamkeit und die Bereitschaft, für unsere Demokratie und das Leben und die Freiheit aller Menschen in unserem Land einzustehen. Das fängt schon im Alltag an: Es hängt auch von mir selbst ab, welches geistige Klima in meiner eigenen Familie, in meiner religiösen Gemeinde, in meinem Stadtteil oder in meinem Verein herrscht." Nein, in diesem Text kommt keine Partei vor, nur die Familie, die religiöse Gemeinde, ein Stadtteil und der Schützenverein. Wie sollte man auch, wenn eine junge forsche CDU-Familienministerin eine Broschüre "Linksextremismus verhindern" finanziert, die ein Bild der Demonstranten von "Freiheit statt Angst" enthält. Wo, wenn nicht hier zeigt sich denn die Bereitschaft der Zivilgesellschaft, für die Demokratie und die Freiheit aller Menschen in unserem Land einzutreten?

*** "Wir können gar nicht früh genug begreifen, wie dumm und schädlich Ausgrenzung oder gedankenlose Vorurteile sind." Was dieses unsere Land einfach braucht, ist Empathie, Empathie und noch mehr Empathie. Empathie ist etwas, dass in Sodom und Hannover eine Art Verbindungsglied ist, etwa bei der leicht ölig riechenden Verleihung der pädagogischen Ehrendoktorwürde, nach einer Spende eines hässlichen Hau^H^H, nach einer Geldspende von 500.000 Euro. Was für eine bewegende Laudatio: "Besonders hob der Ministerpräsident das Empathievermögen Maschmeyers hervor und zeichnete ihn als einen Menschen, der von dem Gefühl bewegt sei, dass er sich in andere Menschen hineinversetzten könne." Sich in Menschen hinversetzen und ausrechnen, wieviel Geld sie brauchen, ist zweifellos eine Fähigkeit, aus der sich Kapital schlagen lässt. Mit der nötigen Empathie können wir uns in die Ärmsten hineinversetzen, die in ihren Hartz-IV-Ställen sitzen und sich nichts zum Fest schenken können. Oh, von Armut ist in der gefühlvollen Ansprache nicht die Rede, nur vom Irgendwie Anders, dem Bilderbuch. Irgendwie Anders sind halt auch die, die nicht so einfach sparen können wie echte Bundespräsidenten.

*** Immerhin, das kann man stehen lassen: "Europa ist unsere gemeinsame Heimat und unser kostbares Erbe. Es steht für die großen Werte der Freiheit, der Menschenrechte und der sozialen Sicherheit." Wenn dabei klar ist, dass unser Europa kaum christliche Wurzeln aufweist, sondern auf den Werten der Aufklärung und des islamischen Rationalismus beruht, kann es noch was werden. Oder sieht Europa etwa so aus?

Was wird.

Noch ist 2011 nicht vorbei, auch wenn die nächste Wochenschau aus der Tiefebene zwischen Sodom und Hildesheim im neuen Jahr erscheint. Bis dahin dürfte die Flut der Jahresrückblicke abgeklungen sein. Das Jahresend-WWWW mit den üblichen statistischen Betrachtungen steht an, die Glaskugel mit den Prognosen wird schon geputzt. Wie war das noch? 2011 sollte dank Cisco Cius den Durchbruch der Bildtelefonie bringen und nichts Geringeres als die Neuerfindung des Büros. Solch mutige Prognosen brauchen wir. Und einen neuen Präsidenten. Der alte wird ohne zu zögern alle Gesetze unterzeichnen, die ihm seine Gönnerin und ihre vielen Schwammdrüberputzerfische vorlegen, auch wenn verfassungsrechtliche Zweifel bestehen. Ein erstes Beispiel gefällig?

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. Die Jahresanfang-Edition.
Beitrag von: SiLæncer am 01 Januar, 2012, 05:00
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich – auch in der Neujahrsnacht.

Was war.

*** Frohes neues Jahr! Frohes Turing-Jahr! Wer erinnert sich nicht an die großartige Szene in der Odyssee, als ein Affe seinen Knochen in die Luft schleudert und die Hörner und Streicher ein Kommunikationsprotokoll untereinander aushandeln, um dann in den Walzer zu rauschen, der zum Neujahr gehört wie besagter Affe zum schwarzen Stein. Ein wunderbares 2012 liegt vor uns und doch geht der Blick zurück, denn dieses WWWW ist auch das traditionelle Jahresend-WWWW, mit Rückblick, Ausblick und etwas Statistik.

*** Beginnen wir mit der Statistik, den beinharten, ach so objektiven Zahlen. Für die Regulars des Heise-Forums, die auf die Top-News gerne wetten, halten die Zahlen diesmal eine kleine Überraschung bereit: Die hoch favorisierte Nachricht von der Existenz eines Staatstrojaners brachte es auf 1.131.503 Zugriffe und damit nur auf Platz 2 der Top Ten des abgelaufenen Jahres. Sieger über alles wurde diese Meldung über europäische Razzien beim Filmportal kino.to mit 1.261.236 Zugriffen. So leicht kann man sich irren im subjektiven Urteil über die Bedeutung einer Nachricht. Immerhin: die Entdeckung des Staatstrojaners und die nachfolgenden Meldungen und Dementi sorgten dafür, dass das Thema in der Addition der Meldungen ebenfalls auf Platz 2 kam. In der Summe wurden diese Meldungen indes haushoch von einem Thema geschlagen, das wirklich niemand auf der Agenda hatte: jede einzelne Meldung zu den Ereignissen in Japan nach dieser ersten Meldung mit dem elffachen Update (auch ein Rekord) brachte es auf über 900.000 Zugriffe an einem Tag. Vielen Heise-Lesern wurde bewusst, wie verletzlich das Leben der Menschen auf dem Planeten Erde ist. Die Kommentare in den sechs Top-Meldungen über Japan über die Unwägbarkeiten waren deutlich. Vielleicht wird die hastig vollzogene Energiewende der Regierung Merkel mit all ihren Widersprüchen einmal als größte Tat der ersten deutschen Bundeskanzlerin gelten. Verglichen mit den Zahlen zur Nachricht vom Tod eines immer noch bekannten Rechtsanwaltes mögen die Zahlen in diesem Jahr bescheiden sein, wie unschwer anhand des letzten Jahresrückblicks errechnet werden kann. Sie bleibt der unangefochtene Spitzenreiter aller Meldungen seit Beginn der Heise-News. Nehmen wir es in diesem Turing-Jahr als Mahnung an alle, wenn das Scheitern eines sehr intelligenten Menschen als Außenseiter solch einen AllTimeHigh-Wert ergibt.

*** Kino.to, Staatstrojaner und die Ereignisse in Japan ließen nur wenig Platz für andere Meldungen, unter die Top Ten zu kommen: Auf den achten Platz schaffte es die Meldung von der Rundfunk-Haushaltsabgabe, die sich damit zu den vielen GEZ-Meldungen gesellt, die in der Statistik über alle Jahre hinweg stets vordere Plätze belegten. Platz 9 enterten die Piraten mit dem Berliner Abgeordnetenhaus. Ein Kopf-an-Kopf-Rennen um den 10. Platz lieferten sich die Nachrichten über die Spyware bei Electronic Arts und das Aus für Tablets und Notebooks bei HP. HP verlor, wie diese Firma mit ihrem misslungenen Revirement wohl ungern auf den entscheidenden Moment in der Geschichte zurückblicken dürfte. Insgesamt kam HP mit vielen Meldungen und Tablet-Gerüchten auf Platz 3 der Firmenwertung, knapp vor Facebook. Das es in dieser Kategorie Apple auch 2011 nicht schaffte, Microsoft zu überholen, ist allein den Nachrichten aus dem Mobilsektor geschuldet, als Nokia sich mit Microsoft verbandelte – oder umgekehrt.

*** Zoomt man aus diesem Zahlenbild heraus, so zeigen sich noch andere Tendenzen. Die Zeiten, in denen eine Nachricht über Windows 7 die Charts stürmen konnte, sind endgültig vorbei. Nachrichten wie die vom Build von Windows 8 kommen zwar noch in die Top 100, schaffen es aber nicht mehr auf die vorderen Plätze. Das Interesse der Newsticker-Leser hat sich offenbar gewandelt: Jede Meldung zum IT-Fachkräftemangel oder zur Qualifikation von IT-Spezialisten kam unter die Top 50. Als Absteiger des Jahres mag der "digitale Radiergummi" gelten, der von Verbraucherministerin Aigner gelobt und von Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger abgelehnt wurde. Sein Start schaffte es auf Platz 97 der Top 100, nachdem der Höchste Datenschutz made in Germany recht einfach ausgehebelt werden konnte. Noch drastischer der Abstieg von Wikileaks-Nachrichten oder Berichten über Wikileaks-Gründer Julian Assange. Gehörten die Whistleblower und ihre Taten im Jahr 2010 zu den absoluten Rennern, schaffte keine einzige Meldung den Sprung in die Top 100. Das gilt auch für Openleaks und Globaleaks.

*** An den Zugriffszahlen gemessen war 2011 das Jahr der Abschiede. Top-Meldungen waren der Abschied von der Glühbirne, der Abschied vom PC-BIOS, der Abschied von Windows XP und, all diese Zahlen in die Ecke stellend, der lange Abschied von Steve Jobs. Mit ihm verlassen wir das Erbsenzählen. Eine Gründergeneration tritt ab, das gilt erst recht für die Pioniere wie Dennis Ritchie, John McCarthy, Paul Baran, Sidney Harman und Ken Olsen. Was bleibt, was uns auch noch im Jahre 2012 beschäftigen wird, ist ein Vermächtnis von Steve Jobs, der perfekte Geräte für unmündige Konsumenten wollte. Und das nicht erst seit iPod oder iPhone. Erinnert sei daran, dass es die ersten Erweiterungsslots in Apple-Rechnern nur gab, weil sein Partner Steve Wozniak sich quer legte. Zum Jahresende hat Cory Doctorow die Entwicklung auf den Punkt gebracht: Der Computer als Universalgerät und das Programmieren als einfache Bedienung des Universalgerätes sind in Gefahr auszusterben. Das Abdrucken eines Listings in der c't führt dann postwendend zum Diebstahlsverdacht, weil geistiges Eigentum das Öl des 21. Jahrhunderts werden wird. Dass aber ausgerechnet die 3700 Hacker vom Chaos Computer Club die gesellschaftliche Macht hätten, diese Entwicklung aufzuhalten, ist eine alberne Vorstellung. Hier muss nach der gut verkorksten Energiewende eine Maschinenwende ansetzen.

Was wird.

Am Neujahr walzt nicht nur die schöne blaue Donau durch das All. Alles ist frisch und neu und feierlich gespannt. Prognosen gibt es an jeder Ecke wie Berliner (Pfannkuchen). Von der blauen Donau geht der Blick zu Big Blue, wo fünf Prognosen für fünf Jahre zu haben sind. Wobei die Prognose intelligenter Spam-Filter mindestens so albern ist wie dieser wulffige Glaube ans Glück im Eigenheim mit Krüppelwalmdach. Was Prognosen taugen, soll ein Blick ins Jahr 1962 zeigen. Damals feierte der IRE, der Vorläufer der großen IEEE seinen 50 Geburtstag und lud 50 namhafte Wissenschaftler ein, die Welt von 2012 in den Proceedings zu beschreiben. Der Zeitpunkt war nicht schlecht gewählt, denn die Computer befanden sich auf breiter Front im Druchbruch: IBM 1401, Univac Solid State 80/90, CDC 1604, Honeywell 800 und Bendix G-20 waren die Namen der Verkaufsschlager. Die studentischen Hacker am MIT schafften es, mit Spacewar auf einer PDP-1 das IT-Equipment zweckentfremdet einzusetzen, in Großbritannien wurde der virtuelle Arbeitsspeicher erfunden und IBM stellte mit der 1311 den Vorläufer der Festplatte vor, die ersten Laser-Experimente und Glasfaser zur optoelektronischen Übertragung wurden diskutiert. Wie stellten sich die Wissenschaftler das Jahr 2012 vor? Eine kleine Zusammenfassung:

Zeitungen werden 2012 nicht mehr ausgetragen, sondern über ein Kommunikationsnetz zu Lesegeräten verschickt, die "flüssiges Papier" enthalten. Fernsehbildschirme sind wandgroß und zeigen dreidimensionale Sendungen mit Raumklang-Stereophonie. Musik und Film oder TV wird laser-holografisch gespeichert. Wer krank ist, wird über telemedizinische Apparaturen zu Hause versorgt, wer gesund ist, arbeitet überwiegend als Wissensarbeiter in Telezentren. Medizinische Eingriffe erfolgen minimalinvasiv; es gibt eine reiche Auswahl an künstlichen Organen, die vom Körper nicht mehr abgestoßen werden. Autos fahren nicht mehr mit Verbrennungsmotor (weil das Öl alle ist), sondern mit Brennstoffzellen. Sie verständigen sich über ein eigenes Kommunikationssystem, das Bremslichter überflüssig macht und werden über ein Satelliten-Navigationssystem präzise über die Straßen gelenkt. Kinder gehen nicht mehr zur Schule, es gibt Lernmaschinen. Das gesamte Wissen der Welt ist elektronisch gespeichert und kann in jeder Stadtbibliothek abgerufen werden. Es gibt nur noch elektronische Wahlen und jede Form der Wahlfälschung ist unmöglich geworden.

Zur Kommunikation im Jahre 2012 fallen die Prognosen sehr unterschiedlich aus. Der Japaner Yasujiro Niwa sagte ein kleines Taschentelefon vorher, das jeder mit sich trägt und das via Satellit weltweit funktioniert. Der Amerikaner Dorman D. Israel prognostizierte eine kleine Sende/Empfangseinheit, die jedem Neugeborenen in das Nervensystem am Rückgrat eingepflanzt wird. "Logically enough, this operation must be performed within two weeks of birth because the infant is only slightly exposed to contacts with its famlily who still have not completed their 'unlearning' and readjustment, he might never become a good subject for the modern system of communications."

Schöne neue Welt? Aber ja doch: Der Staat selbst hat Bilder aller seiner Bürger gespeichert. Die automatische Gesichtserkennung hat 2012 den Fingerabdruck bei der Fahndung nach Straftätern abgelöst, der Fingerabdruck kommt nur noch bei Einkäufen zum Einsatz, da er die Kreditkarte abgelöst hat. Weil Häuser und Büros optisch und akustisch überwacht werden, tragen die Menschen Geräuscherzeuger mit sich, die einen Klangteppich erzeugen, in dem die Sprache untertauchen kann.

Computer spielen in vielen abgegebenen Prognosen eine wichtige Rolle. Jeder Mensch wird 2012 mit Computern arbeiten, sie werden per Sprachsteuerung bedient. Die internationale Verständigung ist kein Problem mehr, denn Computer übersetzen in Echtzeit zwischen den Sprachen. Sie gestatten auch die Kommunikation mit intelligenten Tieren wie den Delphinen. Mit Mini-Atomzellen bestückte Kleinstcomputer ersetzen bei Tauben als Cochlea-Implantat das Gehör. Computer werden nicht mehr konstruiert, sondern konstruieren sich wegen der fortschreitenden Miniaturisierung selbst. Ein internationales Netzwerk verbindet alle Computer und bildet das Knochengerüst der Mensch-Computer-Symbiose. "To us, the distinction between 'me' and 'my computer' would then be difficult to make" schrieb George L. Haller, Vizepräsident von General Electric, der auch die absolut präzise Wettervorhersage verwirklicht sah.

Gerade in Sachen Computer gab es 1962 auch warnende Stimmen: Ein weltweites Computernetz könnte auch eine Bedrohung für die Menschheit sein, wie eine Wasserstoffbombe. "It will have become accpeted knowledge that the chief threat to humanity will be the interconnected computer system. Science will have foretold that at some critical size and with self-programming abilities, a system of computers will acquire a consciousness of its own existence and a desire for its own enhancement."

Richtig gallig sah der ENIAC und UNIVAC-Konstrukteur John Presper Eckert in die Zukunft: "I hope we have solved the integration problems between the human races before we face the problem of integration with robots. Our real test probably lies beyond the next 50 years, however, when mankind has developed a self-reproducing automata which can improve itself!"

Ein ernsthafter Einwand und eine gruselige Aussicht? Wer liest, was ein Science-Fiction-Autor wie Cory Doctorow über den tapferen kleinen Toaster schreibt, fragt sich heute schon, wie verblödet wir morgen sein werden. In diesem Sinne schließt das Jahres-Ende-und-Anfang-WWWW mit artigen Neujahresgrüßen aus der norddeutschen Tiefebene an den Rest der Welt und einem allerletzten Zitat, aus einer etwas anderen Quelle, einer PDF-Datei beim Bundeskriminalamt: "Das soziale Kapital, das notwendig ist, um wehrhaft zu sein gegen Extremismen, Stereotypisierungen und Stigmatisierung, reproduziert sich nur innerhalb einer vitalen Zivilgesellschaft." In einer Gesellschaft, die ganz ohne implantierbare Rechner die Vertraulichkeit von IT-Systemen als Teil der Lebensführung ernst nimmt.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 08 Januar, 2012, 07:00
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Hui, hui, es pfeift und knattert, die Bäume schwanken und die Eichhörnchen werden seekrank. Wieder einmal ziehen die Stürme über die norddeutsche Tiefebene, doch da lachen wir und singen: "Wir sind die Niedersachsen, erdfest und sturmverwachsen!" Auch wenn es Landeskinder gibt, bei denen nur noch vom Verwachsen, Verkrümmen und Vergessen die Rede ist. Wenn es Niedersachsen gibt, die als ehemalige Landesväter einen rätselhaften Hang zum Süddeutschen hat, Banken inklusive. Ganz zu schweigen von anonymen Geldüberweisungen, die noch weiter südlich zum Geschäftsstil ehrenwerter Männer gehören. Ab hach, wir kennen ihn ja, den neuen bundesrepublikanischen Amtseid, den der Internet-Berater zu Guttenberg geprägt hat: "Es wurde zu keinem Zeitpunkt bewusst getäuscht." Den Rest verbuchen wir ganz zeitgemäß als Training on the Job des bewährungsprobenden Bundespräsidentenpraktikantens. Angeblich steht der nächste Praktikant schon bereit. Wie wäre es, das Amt des Bundespräsidenten ganz abzuschaffen oder, als Krone der deutschen Demokratie, dem Bundestagspräsident zuzuschlagen? Die Überzeugung, dass dies mit Goethe nicht passiert wäre, ist doch nur xìng zāi lè huò - billige Schadenfreude.

*** Sieht man von der "Würde des Amtes" ab, die bei eBay als gebrauchter Artikel kurzzeitig sehr günstig im Angebot war und abseits der Sonntagsreden niemanden interessiert, bleibt eine Mailbox als Prüfstein der Wahrheit übrig. Weite Teile des würdevollen Monologes sind inzwischen bekannt, der Rest soll zum Prüfstein des Informationsfreiheitsgesetzes werden. Der Bundespräsident als Leserreporter von "Bild kämpft für Sie": Was diese aufgezeichnete Würde anbelangt, so ist es durchaus auffällig, dass alle Welt von den zwei Standards der Pressefreiheit redet und niemand von dem Quellenschutz, der da missachtet und von einer Boulevardzeitung demoliert wird. Dazu passt wie Deckel auf Eimer die juristische Verdrehung bei der Telekommunikationsüberwachung, dass journalistische Dateien nicht mehr dem Verwertungsverbot unterliegen sollen, sondern die Verwertung nach einer "Abwägung der Verhältnismäßigkeit" erlaubt ist.

*** Wird nichts passieren und eine Fiktion weiter präsidieren? "Die SPD wartet auf die Schleswig-Holstein-Wahl, die CDU auf kollektive Demenz", schreibt ein sehr optimistischer Kommentator. Nun ist das kleine Schleswig-Holstein nach dem noch kleineren exbunten Saarland für eine Testwahl eine ausgesprochen Rutschpartie, wenn das eintritt, was Spanien zum Jahresanfang erlebt hat. Ähnlich wie in Schleswig-Holstein (und Belgien, Dänemark und Frankreich) arbeitet man daran, Internet-Glücksspiele und Online-Poker zu legalisieren. Statt der erwarteten 20, 30 Anträge wurden über 300 Anträge von 64 Firmen auf eine Spiellizenz eingereicht, weswegen das große Zocken frühestens zur Jahresmitte beginnen kann. Ein vergleichbarer Ansturm, der Schleswig-Holstein zum Boomland machen würde, brächte die das Zocken ablehnende SPD in ordentliche Bedrängnis, auch jetzt schon. Lustig knattern die Segel, wenn der Geldregen einsetzt. Warum das Thema in dieser kleinen Wochenschau seinen Platz hat, zeigt unser Nachbarland Frankreich. Dort hat die Spielaufsichtsbehörde Arjel die Internet-Provider zu Websperren verdonnert, eine Maßnahme, die auch in Belgien auf der Tagungsordnung steht, aber noch nicht greift: Weil die vier großen ISP ohnehin sperren, sollen sich viele Belgier bereits jetzt schon für einen der alternativen DNS-Dienste entschieden haben.

*** Das neue Jahr hat sich auf die Socken gemacht und bereits ein paar Überraschungen präsentiert. Zu ihnen gehört das sich abzeichnende Ende von Kodak, einstmals lange vor Apple und Google die strahlende Verkörperung erfolgreicher Ingenieursarbeit. Zur bitteren Pointe gehört, dass Kodak die Digitalkamera erfand, aber nicht verstand, was die eigenen Tüftler da entwickelt hatten. Die Entscheidung für den Ausbau des Druckergeschäftes in Verbindung mit einem ausufernden Patentkrieg dürfte in die Lehrbücher des Missmanagements eingehen und Kodak einen Platz an der Seite von Polaroid sichern. Zusammen mit der schwächelnden Motorola und General Electric gehörte Kodak zu den Gründungsmitgliedern der Consumer Electronics Show (CES), von der es ursprünglich eine Sommer- und eine Winterveranstaltung gab.

*** Vor 30 Jahren wurde am 7. Januar auf der CES'82 ein potemkinsches Dorf präsentiert, der Commodore C64. Dieser "Consumer Computer mit 64 KB RAM" wurde bei Commodore über Weihnachten hastig zusammengeschraubt, weil man die Konkurrenz von Atari und Tandy blockieren wollte. Auch zur Sommer-CES war der "Brotkasten" noch ein Stück Vaporware. Im Krieg der Homecomputer setzte sich der Rechner erst durch, als Mitte 1983 der Händlerpreis auf 200 Dollar gesenkt wurde. Der Preis hatte seinen Preis: Für die Massenproduktion des Rechners mussten die Ingenieure bei Commodore viele anspruchsvolle Projekte aufgeben und beständig an der Optimierung des Kastens arbeiten. Beim verklärten Blick zurück darf die INPUT 64 vom wirklich kleinen Verlag aus der norddeutschen Tiefebene nicht fehlen, aus der sich die iX entwickelte. Ob all die Nostalgie uns heute weiterhilft, darf der Teil der Generation C64 beweisen, der ausgerechnet die SPD beflügeln will, die in ihrem ganzen Elend ein vierdimensionales Panopticon namens Vorratsdatenspeicherung befürwortet. Dass ausgerechnet die Maschine von Tanja Nolte-Berndel bei der Debatte um die Websperren dafür sorgte, dass eine Generation C64 erfolgreich zurückschlagen konnte, darf man in die Reihe der großen Volksmärchen und -Sagen einordnen.

Was wird.

Wie in der letzten Wochenschau erzählt, glaubte man vor 50 Jahren daran, dass 2012 ein Kommunikationschip im Rückenmark zur Standard-Ausstattung moderner Menschen gehören könnte. Dieser Glaube hat sich zerschlagen, ein Bandbreiten fressendes Smartphone tut's auch. Für die kommende Generation Doof empfiehlt ein Medienphilosoph ein Gehirn-Chip-Implantat mit Filterregeln für die anstehende Informationsflut. Was bleibt angesichts dieser Verkümmerung der Gedankengänge schon übrig, als auf den Start einer Reihe von Veranstaltungen hinzuweisen, die über das ganze lange Alan-Turing-Jahr 2012 zu Ehren von Alan Turing verstreut sind. Den Anfang macht das Heinz-Nixdorf-MuseumsForum am kommenden Dienstag mit der Ausstellung Genial & Geheim. Nach Angaben des Museums soll nicht nur der Codeknacker vorgestellt werden, der den Funkverkehr der Wehrmacht entschlüsselte. Das ist ein guter Zeitpunkt, daran zu erinnern, dass Turing nicht nur über Maschinen und Turing-Tests nachdachte, sondern mindestens ebenso scharf über den Menschen. Auch wenn sich Turing intensiv der Biologie und besonders der Morphogenese beschäftigt hatte, lagen ihm Gedanken wie der Verbindung von Gehirn und Computer fern, obwohl er einen von ihm mitkonstruierten Rechner, die Automatic Computing Engine (ACE) als "Brain" bezeichnete. Im Jahre 1948 schrieb Turing:

"...the isolated man does not develop any intellectual power. It is necessary for him to be immersed in an environment of other men, whose techniques he absorbs during the first twenty years of his life. He may then perhaps do a little research of his own and make a very few discoveries which are passed on to other men. From this point of view the search for new techniques must be regarded as carried out by the human community as a whole, rather than by individuals.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 15 Januar, 2012, 00:10
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Die Consumer Electronics Show in Las Vegas ist vorüber und die Kristallkugeln sind ausgesoffen. Der Supermegatrend des Jahres sind Ultrabooks, die irgendwie dem MacBook Air Konkurrenz machen sollen und Mitte des Jahres schon veraltet sind. Noch ist nicht klar, ob diese teuren Rechner eine Art Solidaritätsadresse der Industrie mit den verzweifelten chinesischen Arbeitern ist, die nicht nur von Apple in Beschlag genommen werden. Wobei die Firma für ihre neue Transparenz (PDF-Datei) ausnahmsweise I.ob verdient. Für die Geeks dieser Welt sind diese Ultrabooks der Intel-Klasse offenbar nicht gedacht, und ob es so viele marktrelevante Pseudo-Öko-Veganer-Apple-User gibt, ist schwer die Frage. Wenn aus dem Einfall von Intel ein Durchfall wird, ist es gar nicht so übel, wenn selbst die hartgesottenen Gadget-Anbeter sich auf die Damentoiletten zurückziehen und es Aushocken, das Geglitzer. Für nüchternere Gemüter stellt sich die Frage, ob diese Ultrabooks noch echte Computer sind.

*** Den Analysten und Trendforschern ist es egal, denn sie haben endlich wieder einen super Trend, der breit getreten werden kann. Was soll man sonst machen, wenn das Ende der Megatrends ausgerufen ist? Man kann ja nicht ewig nach Trendkonkurrenten wie Naisbitt und Horx treten, die noch an dieses Mega glauben. Halten wir darum fest: In einem vernünftigen Abstand zur Gegenwart beginnt die Zukunft und sie ist auch nicht mehr das, was sie früher einmal war. Früher? Vor 10, 20, 30 Jahren? Schauen wir aufs Datum und zurück: Heute vor drei Jahren landete der Flug Nummer 1549 der US Airways im Hudson und weil jemand dies twitterte, war schnell vom Ende des behäbigen alten Journalismus die Rede, der zu spät kommt und vom Leben bestraft wird. Als ob es bei den Nachrichten um das beliebte Forums-Spielchen ginge, wer denn Erster Elf!1einstrallala wird.

*** Twitter ein Trend, das stimmt, wenn #trendmeiner darüber bloggt, wie Bloggen immer unwichtiger wird, Twitter nur Hintergrundrauschen produziert, und Facebook, ja Facebook zum Gral und Kommunikationsknoten schlechthin geadelt wird. Im Extremfall führt die gesammelte Trenddenke zur völligen Verblödung, wenn Facebook als neue Nervenbahn der Gesellschaft gefeiert wird, nicht ohne den Hinweis, dass Journalisten auf Facebook sein müssen, "da sie ansonsten ihren Beruf, ihre Funktionen und ihre Ämter nicht den Anforderungen gemäß ausfüllen können." Ach, können Sie nicht? Wer stellt denn hier die Anforderungen? Warum gibt es keine Alternativen? Warum nicht Lorea, Diaspora, wo nicht nur die Occupy-Aktivisten ihre Kontakte pflegen, warum nicht mit Crabgrass ein eigenes Netzwerk bauen oder sich in Facebook-freien Zonen aufhalten, wenn gebloggt wird? Die Penetranz, mit der heute eingefordert wird, sich bitte zum Affen von Facebook oder Google+ zu machen, mag trendig sein, doch es gibt ihn noch, den Gegentrend.

*** Es gibt sie noch, die kleinen Anfragen, mit denen die seltsamsten Informationen von der unermüdlichen Arbeit unserer Regierung bei der Sicherung unserer Sicherheit öffentlich werden. In dieser Woche veröffentlicht: eine Antwort (PDF-Datei) auf eine Anfrage der Linken, die eigentlich eine Presseerklärung ist. Doch was heißt schon "Antwort"? Mantraartig zieht sich der Satz "Hierzu liegen der Bundesregierung keine Informationen vor" durch das gesamte Dokument und legt den Schluss nahe, dass die deutsche Regierung von der europäischen Polizeiarbeit nichts weiß und dieses Nichtwissen mit aller Hingabe auszubauen pflegt. Immerhin erfährt man noch, dass die mobilen Büros der Polizei-Forensiker 23.770 Euro kosten, doch schon bei Detailfragen nach den Cellebrite-Geräten wird es zappenduster. Gäbe es nicht, Facebookseidank, den Vorschlag der mittlerweile abgelaufenen ungarischen Ratspräsidentschaft über Leitlinien für die Nutzung sozialer Netzwerke durch die Strafverfolgungsbehörden, wäre die Antwort noch knapper ausgefallen. So aber lernen wir, dass es Goldene Regeln für die Polizeiarbeit in sozialen Netzwerken gibt und können eine ausgesprochen verschwurbelte Präsentation des ungarischen Europol-Beamten Richárd Leyrer abrufen, die mit der Geschichte der geheimnisumwitterten Robin Sage beginnt. Entsprechend schlicht sind auch die Benimmregeln für offiziell in sozialen Netzen agierende Ermittler: Klappe halten, keine persönlichen Details und wenn du ein schwuler Cop bist, hast du eh nichts bei der Truppe zu suchen. Unter Pseudonym teilnehmen, geht gar nicht, es sei denn, es stehen Ermittlungen wie die Überprüfung von Alibis an. Hier haben sich soziale Netzwerke bestens bewährt, ebenso in der Fahndung.

*** Wie war das noch mit Google und dem Nichtsbösestun? Die ehrenwerte Firma schickt ihren Außenminister ins schöne Hannover zur nächsten Trendmesse mit dem an Orwell erinnernden Motto "Managing Trust". Sie ist drauf und dran, wieder in China Wurzeln zu schlagen, weil Marktpotenzial nunmal nichts Böses ist. Wie sagte es Orwell noch mal? "Men are only as good as their technical development allows them to be." Ja, wenn es eine Frage der Werkzeuge ist, dann ist es völlig unböse, indische Datengräber kenianische Datenbanken ausräubern zu lassen. Natürlich hat Google eine Strategie, wie das mit dem Trust bei den chinesischen Behörden funktionieren soll: Zunächst wird eine große Häkelschwein-Fabrik in China aufgebaut, damit das Land mit Häkelschweinen überschwämmt werden kann. Die Häkelschweine verdrängen die von privat gehäkelten Varianten von Ge-Bi und Ma-Le, jenen Grass Mud Horses, die in der Wüste Malegebi leben und gegen die Flusskrabbe (he xie) kämpfen, alles im Namen der harmonischen (he xie) Gesellschaft Chinas. Indem Google aus dem Protest gegen die Zensur eine Werbekampagne für eine harmlose Albernheit macht, gewinnt es das Vertrauen des Staates. Der nächste Sprung geht dann in das Land, in dem die glühende Sonne der Leidenschaft für den obersten Heerführer brennt, der Schuldige einem stabilisierten Leben zuführt. Wie formulierte es noch der seelig gesprochene Steve Jobs vor einem Jahr? "Don’t be evil is a load of crap." Die Rivercrabs grüßen.

Was wird.

In der weißen Bibel der Apple-Jünger gibt es eine rührende Passage über den großen Erlöser. "Jobs hatte viele andere Ideen und Projekte, die er zu entwickeln gehofft hatte. Er wollte die Schulbuchkonzerne zerschlagen und die Rücken der armen Schüler schonen, die sich mit Rucksäcken abschleppen mussten, indem er elektronische Texte und Lernmaterialien für das iPad erstellte." Nun lädt Apple seine Fanboys in der kommenden Woche nach New York ein, um den Worten des Erlösers Taten folgen zu lassen. Die Rücken der armen Schüler werden entlastet, während der Kopf sich von Klein auf an iTunes und den Applestore gewöhnt. Die Gehirnwäsche beginnt nicht in den Ballbecken. Natürlich kann der amerikanische Ansatz nicht auf Deutschland übertragen werden. Die US-Situation aus der Sicht eines Pädagogen in Zahlen: 90 % Auswendiglernen, 10 % kritisches Denken und 0 % Kreativität. Bei uns ist es noch schlimmer.

Wenn diese kleine Wochenschau an den Start geht, ist es draußen dunkel. Wie wäre es mit einem frühmorgendlichen Kerzlein im Fenster, in Erinnerung an Martin Luther King und an die Reste der Occupy-Bewegung, die weltweit weggeräumt werden, weil es "nun gut" gut ist und diese Vorhölle des "nun gut" bis in höchste Ämter reicht. Die Aller mag überschritten sein, doch ratlos stehen wir vor der Grenze der Strafbarkeit. Sie hat einer überschritten. Wird er es schaffen, da draußen? Oder werden wir die Rufe hören: "Ich bin ein Präsident - Holt mich hier raus!" Wir leben in spannenden Zeiten.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 22 Januar, 2012, 06:00
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Der Hannoveraner als solcher wird allgemein für ein langweiliges Wesen gehalten, das korrektes Deutsch spricht. Dabei ist er ungemein verspielt, nicht nur am Herd, wenn er Niedersachsens Küche neu entdeckt. Jeder Hannoveraner besitzt ein rotes Bobbycar, das die Autohändler verschenken, damit man auf dem Roten Faden rollern kann, der die Stadt durchzieht. In der Heimatstadt des offiziellen Finanzoptimierers der deutschen Olympiamannschaft geht es aber immer sehr ganzheitlich und stets alltags wie allnachts oberkorrekt zu: eben weil nur der Hannoveraner weiß, wie übel es in Deutschland aussieht, verdeckt er seinen Spieltrieb und lässt das Bobbycar daheim, um die zahlreichen Gäste nicht zu verschrecken. Die glauben dann, dass Hannover eine langweilige Stadt sei, in der man sich eigentlich nur auf die CeBIT freuen kann, wo "Managing Trust" das Hauptthema ist. Auch hier verdeckt der Hannoveraner seinen Spieltrieb, unterdrückt ein lautes Lachen und übersetzt das englische Thema in korrektes Hochdeutsch, dem Gast zuliebe: "Vertrauen und Sicherheit in der digitalen Welt". Jeder Versuch, dies in einem ordentlichen Dialekt zu sagen, klingt verfressen.

*** Megaupload.com, Megavideo.com, Megaclick.com, Megaworld.com, Megalive.com, Megapix.com, Megacar.com, Megafund.com, Megakey.com, Megaking.com, Megahelp.com, Megagogo.com, Megamovie.com, Megaporn.com, Megabackup.com, Megapay.com, Megabox.com, Megabest.com, all diese Webseiten des megagroßen Kimperator und seiner Mitkimster künden davon, wie Vertrauen und Sicherheit in der digitalen Welt aussieht. Man muss es sich ordentlich erschwindeln, dann klappt das schon mit dem Vertrauen – bis jemand wie das amerikanische FBI auf die Idee kommt und systematisch die Uploads und Downloads auswertet (PDF-Datei), die 180 Millionen registrierte Nutzer bei Megaupload speicherten und abriefen – oder auch nicht. Denn von jeder Datei, die in der digitalen Lagerhalle ins Hochregal kam, wurde ein Hashwert berechnet und geprüft, ob dieser Wert nicht schon vorhanden wird. In diesem Fall bekam der Kunde für sein Vertrauen in Megaupload zwar eine persönliche URL zum Zugriff, die Datei wurde aber gelöscht. So spart man Speicherplatz, so kann man effektiv löschen, wenn dies etwa von denen gewünscht wird, die Rechte an einer Datei reklamieren. Dass ein Urheberrechtsexperte der Piratenpartei Deutschland dieses Verfahren mit der "Dienstleistung eines Lagerhallenanbieters" vergleicht, wirft ein bezeichnendes Licht auf den piratösen Rechtsbegriff dahinter: Mein ist dein und sowieso ist alles 1 (mal vorhanden).

*** Nun ist zu lesen, dass der Kimperator nicht auf Kaution freigelassen wird. Das nährt die Befürchtung, dass ein Megagau kommt, ganz ohne schicken Domainnamen. Als Jugendlicher vertickte Kim Schmitz die Namen seiner Tauschkunden aus den eigenen Bulletin Boards an die Strafverfolger und arbeitete mit einem bekannten Münchener Rechtsanwalt zusammen. Das kann den 180 Millionen Nutzern auch drohen. Vertrauen muss sich eben ausbezahlen, wenn man nicht einmal im Panikraum sicher ist. Ganz auf der Seite der Seite des Hochstaplers sind die "Mitglieder" von Anonymous mit ihrer Aktion #OpMegaupload, was für Prankster eine verständliche Sache ist. Wer freilich in dieser Woche das Rolling Stone-Interview mit Wikileaks-Chef Julian Assange gelesen hat, darf Zweifel haben, ob aus der apolitischen Gruppe dank der Erziehung durch Wikileaks eine politische Kampfzelle geworden ist.

*** Das Interview überrascht, weil Julian Assange einmal nicht eine kommende, neue, hochsichere Einreichungsplattform für Wikileaks ankündigt, sondern den investigativen Journalisten Ratschläge zur Hand gibt, die nachgerade antiquiert klingen: "Leave your mobile phones behind. Don't turn them off, but tell your source to leave electronic devices in their offices." Ein guter Rat angesichts der neuesten Erkenntnisse, wie die Polizei ungeniert Funkzellendaten abfragt oder wie sich der Verfassungsschutz mit stillen SMS ein Bild von der Bedrohungslage macht. Apart ist auch die Auskunft, die die Hamburger Linksfraktion erhalten hat: "Die Polizei Hamburg nutzt für die Versendung der 'stillen SMS' eine Software, die von der Polizei in Nordrhein-Westfalen verwaltet wird." Wer weiß, welche länderübergreifende Kooperation sich hinter dieser "Verwaltung" versteckt? Die Behörden verweigern die Auskunft: Managing Trust geht anders.

*** Die Online-Welt verdunkelte sich in dieser Woche und alle, alle feierten es als Sieg über SOPA, zumal das korrespondierende PIPA zur Abstimmung auf den Sanktnimmerleinstag verschoben wurde. Sinnigerweise zeigte die FBI-Aktion gegen Megaupload, das beide Gesetze entgegen aller Beteuerungen nicht benötigt werden, wenn Ermittlungen ordentlich geführt werden. Oder? Ist SOPA schon gestoppt, wie EU-Komissarin Neelie Kroes fröhlich twitterte? Wobei ihr liebster Internetbeauftragter zu diesem Thema schwieg, offenbar weil er in einem Stand-By-Modus feststeckt. Nach einem ersten Erschrecken über das Ausmaß der Anti-SOPA-Proteste hat die Unterhaltungsindustrie nicht ungeschickt reagiert und verbreitet nun düstere Geschichten über den Internet-Mob, der Politiker in Washington mit Blindheit schlagen kann. Dazu gibt es noch einen Fallback-Modus namens ACTA, mit dem auch bei uns rechtsstaatliche Verfahren ausgehebelt werden sollen. Halten wir es mit einem 1974 gedrehten Film, der bei uns seit 1982 verboten war und seit Freitag nunmehr offiziell ohne jede Beschränkungen als Filmklassiker zum Kulturgut gehört: Das nächste Kettensägenmassaker ist unausweichlich. Es kommt der Tag, da will die Säge sägen. Oder so.

Was wird.

Wenn Merkel, Rösler und Schäuble in die Schweiz fliegen, dann fallen Biathlon, Wok-Rennen und Skispringen als Gründe aus. Auch das Iglu-Bauen der Occupy-Bewegung dürfte nicht der Grund der Flugbewegung sein. Das Weltwirtschaftforum in Davos passt schon eher, jene Tagung, auf der auf hohem Niveau von der Globalisierung geschwärmt wird. Neben der großen Politik sind die Größen der IT-Branche seit jeher ein fester Bestandteil des Treffens, das diesmal unter dem Motto Managing Money, ähem, "The Great Transformation: Shaping New Models" stattfindet. Großartige Sache diese Transformationen von Armut und Reichtum, weiter so. Angela Merkel eröffnet den Kongress mit einer Rede über die Zukunft des Kapitalismus. WEF-Gründer Klaus Schwab schrammt schon mal haarscharf am Sozialismus vorbei: "Capitalism, in its current form, no longer fits the world around us. We have failed to learn the lessons from the financial crisis of 2009. A global transformation is urgently needed and it must start with reinstating a global sense of social responsibility."

Auch die IT-Branche will in Davos verantwortlich klotzen statt kleckern. Nichts Geringeres als eine neue Organisation namens "Partnership for Cyber Resilience" ist unter der Adresse http://weforum.org/cyber angekündigt, in der sich Regierungen und Softwarehersteller auf einen gemeinsamen Cyber-Nichtangriffspakt per Cyber-Dialog verständigen werden. So soll jede Form des Cyberwars durch Cyber-Deeskalation verhindert werden. Sheryl Sandberg, Chief Operating Officer von Facebook, soll dieses Treffen leiten.

Zuvor tritt Frau Sandberg mit einer Keynote in München auf, wo wieder einmal Digital Life, Design angesagt ist. Aufgrund vergangener "inhaltlich sehr tiefen Berichte" ist heise online die Akkreditierung verweigert worden; die Party der coolen Bobos findet also ohne unsere Berichterstattung statt. So warten wir auf die Meldung der Agenturen, wie EU-Kommissarin Viviane Reding nichts weniger als einen neuen Datenschutz vorstellen will, der dem "Recht auf Vergessen" einen hohen Stellenwert einräumen soll. Vielleicht ein Anlass für die Polizei in Hannover, die grünen Bobbycars startklar zu machen? Was die vieldiskutierte Privatsphäre angelangt, soll eine Diskussion mit Vertretern von Microsoft, 4Chan und der Piratenpartei Aufschluss über die Bedeutung von Post-Privacy geben. Ich hör sie schon lachen, die Bernds an ihren Leuerstationen.

Deshalb zum Abschluss, bevor das Bobbycar aus der Garage geholt wird, ein kleiner Einwurf mit einem Denker, der noch nicht von Facebook verblödet wurde, wie das lustige Gespräch mit einer Journalistin zeigt, die Facebook nicht aufgeben möchte: "Right. But you’re not going to do anything about that. So you’re using them and every time you tag anything or respond to anything or link to anything, you’re informing on your friends. You’re part of the problem, you’re not part of the answer. Why are you calling up to ask me about the problem you're creating?"

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 29 Januar, 2012, 00:08
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Als Mensch, der das Leben in der norddeutschen Tiefebene mit vollen Zügen und zugigen Bahnhöfen genießt, war mir bisher entgangen, dass die Städte Münster und Sennestadt zu dieser wundervollen Tiefebene gehören, weil sie in der Westfälischen Bucht liegen. Somit gehört auch die mythische Stadt Bielefeld zur großen Ebene, auch wenn dort der Sage nach Fußball auf einer "Alm" gespielt werden soll. Bleiben wir erst einmal in Münster, einer seltsamen Stadt, in der einstmals Wiedertäufer eine Herrschaft nach altem Kirchenritus errichteten, "wobei die dramatische Differenz zwischen ideologischem Anspruch und pragmatische Ausführung erheblich an die DDR in Wandlitz erinnert". Münster trägt den Namen "Fahrradstadt", weil hier der Fahrraddiebstahl zum Alltag gehört. Münster hält außerdem den bundesdeutschen Rekord beim elektronischen Personalausweis: 44 Prozent aller Münsteraner Ausweisbesitzer haben die elektronische Identifikation (eID) freigeschaltet und über 1000 Formulare und Anträge elektronisch mit der eID abgewickelt, anstelle zur entsprechenden Behörde zu radeln. Nun wird es unglaubwürdig: In dieser modernen Stadt soll ein Detektiv Georg Wilsberg arbeiten, der Mobiltelefone verschmäht und das Internet nicht kennt. Richtig, wir sind im öffentlich-rechtlichen Fernsehen, diesem Seniorencamp ohne Raushol-Funktion. Seit gestern abend läuft dort die Suche nach Indizien für die Bielefeld-Verschwörung auf Hochtouren.

*** Das Bielefeld nicht existiert, kann man dank Internet schnell herausfinden. Man nehme nur die Webpräsenz von Bielefeld gibts doch und schaue ins Impressum: eine Adresse in Münster. Oder man gehe auf die hübsche interaktive Grafik über die Konzerne und ihre Aufsichtsräte, die die Deutschland AG führen. Kein einziger sitzt in Bielefeld. Umgekehrt gibt es noch mehr Indizien. Unter dem hübschen Aufmachertitel berichtet die taz vom Wirtschaftstrojaner, eben jenen Puplic Private Partnership-Vorhaben, mit denen die Wirtschaft den Staat oder die Kommunen austrickst und ausplündert, wobei Geheimverträge seit dem Plünderprojekt LKW-Maut Usus sind. Für Transparenz zumindest auf kommunaler Ebene soll eine Kommunalprojekt PPP sorgen. Das Impressum weist Bielefeld aus. Das Suchmaschinen von der Existenz Bielefelds künden, tut nichts zur Sache, denn die gehören ihnen, den Cyborg-Wesen, die die Deutschland AG erobern wollen. Über 400 deutsche Webshops erhielten nach Ausbruch des Miner-Botnetzes von einer sehr seltsamen Yahoo-Adresse die Aufforderung, 100 Bitcoins zu überweisen, andernfalls werde ein DDoS mit 100 Gbit/s gestartet. Nur eine Bielefelder Firma zahlte, der Rest wartete den DDoS ab. Dass dieser im Sande verlief, hat mit der Drohmail zu tun, die bei vielen Firmen im Spam-Ordner landete und nicht beachtet wurde. So musste das Miner-Botnetz über 400 Ziele angreifen, was das Netz vergleichsweise gering belastete.

*** Abseits aller Verschwörungstheorien hatte diese Woche der Datenschutz Hochkonjunktur. Gestern ging der europäische Tag des Datenschutzes zu Ende, ein hoher Feiertag, der selbst von den Datenunschützern begangen wurde. Zuvor hatte sich EU-Kommissarin Viviane Reding für einen mächtigen neuen Datenschutz ausgesprochen, der alles umfasst und nur bei den Präsenzen der EU eine Ausnahme macht: Datenschutz bei Europol und Frontex, das wäre ja noch schöner. Bleibt die Frage, was unabhängige Datenschützer bei dieser mächtigen EU dann noch wert sind. Dürfen sie tapfer wie der deutsche Datenschützer kämpfen, auf dass Drohnen ab 150 Kilo beim Herumflug eine Datenschutzerklärung hinter sich herschleppen müssen, wenn sie in deutschen Lüften kreuzen? In diesem Zusammenhang sei daran erinnert, dass die Befürworter des europäischen Trauerspiels namens ACTA nicht müde werden, den eingebauten Datenschutz dieses Ausheber-Ermächtigungsgesetzes zu betonen. Seltsam nur, dass der EU-Berichterstatter für das geheime ACTA-Abkommen in der Begründung für seinen Rücktritt anführt, dass der Datenschutz ausgehöhlt wird.

*** Vor 40 Jahren erreichte die deutsche Demokratie einen Tiefpunkt, als am 28. Januar 1972 der von Willy Brandt initiierte Radikalenerlass beschlossen wurde und für viele Linke im öffentlichen Dienst ein Berufsverbot verhängt wurde. Inmitten der Rührung über den großen Auftritt von Marcel Reich-Ranicki, der von einem Tag in meinem Leben berichtete, sollte man sich erinnern, dass auch Mitglieder des VVN oder bekennende Kriegsdienstverweigerer ein Berufsverbot erhielten. Entschädigung? Fehlanzeige. Der Verfassungsschutz leistete ganze Arbeit und sammelte Material, das in 11.000 Verfahren benutzt wurde.

*** Auch heute hat die rechts blinde Organisation so viel zu tun, dass sie kaum dem dringenden Wunsch der Mitte der Gesellschaft nachkommen kann, doch bitte auch überwacht zu werden. Die Empörung ist groß, dass nur 27 Ostler der Linken überwacht werden und das Volk stellt sich die Frage: Warum nur diese paar Nulpen? (PDF-Datei) Sind wir nicht alle ein bisschen brandgefährlich und möchten bespitzelt werden? Können wir nicht alle plötzlich irgendwo auftauchen? Um es in den Worten eines großen Schutzpatrons zu sagen: "Beispielsweise ist denkbar, dass man Überwachungsmethoden anwendet, um die Vorbereitung von gewalttätigen Demonstrationen oder Aktionen zu überwachen und plötzlich auf der Bildfläche ein Mitglied der Linken auftaucht, oder sie überwachen eine ausländische Guerilla-Organisation in Deutschland und plötzlich taucht auf der Bildfläche ein Linker auf. Dann hätte man das natürlich automatisch zwangsläufig erfasst." Das Recht darauf, automatisch erfasst zu werden, gehört das nicht ins Grundgesetz?

*** Die Überwachung für alle würde auch das leidige Problem mit der Vorratsdatenspeicherung lösen, die ja nach wissenschaftlichen Erkenntnissen nicht sonderlich geeignet ist, die Aufklärungsquote zu beheben. Dass ausgerechnet ein leibhaftiger Chef des Bundeskriminalamtes sich an ihr festhalten will, dass die Deutsche Polizeigewerkschaft nur eine Momentaufnahme sieht und der Schutzpatron keine Relevanz erkennen kann, stimmt nachdenklich. Denn die Studie zeigt klar, dass die Vorratsdatenspeicherung bei Betrugsfällen und dergleichen Vorteile bringt, aber nicht bei den besonders schweren Kriminal-Fällen, bei denen sie erst zum Einsatz kommen darf. Vergessen wird im Dauergequengel, bitteschön endlich die Vorratsdaten zu durchsuchen, dass die gern bemühten schweren Jungs, die Drogendealer und Geldwäscher längst ihre eigenen Pillendosen haben. Und die Debatte, ob mit der Vorratsdatenspeicherung nicht die europäische Grundrechtecharta verletzt wird, wird noch geführt. Was passieren kann, wenn ein Land seine moralischen Maßstäbe verliert, kann bei dieser Geschichte über einen Präsidenten nachgelesen werden, Bobbycar not included.

Was wird.

Hinter der Rechtsdebatte steht der unbedingte Glaube an den Kommissar Computer, allen Beteuerungen zum Trotz, man leide nicht an Datensammelwut. Wenn ausgerechnet Kriminalbeamte angesichts der rechtlich erlaubten Funkzellenabfrage bei der Kritik an der Unverhältnismäßigkeit mancher Maßnahme damit kommen, dass man auch massenhaft Fingerabdrucke auswerten würde, wenn nur genug Personal und Technik da wäre, dann zeigt dies ein Datendenken, das längst aufgehört hat, sich über Grundrechte Gedanken zu machen. Erinnert werden darf an das unter Ex-Innenminister Schäuble geprägte Wort vom digitalen Tsunami, in dem die Datenanalyse für Kriminalisten zum wichtigsten Fahndungsinstrument wird. Schäubles damalige Zukunftstruppe hat einer Tagung in Berlin die nötigen Stichworte zur Hand gegeben, bei der u.a. der Republikanische Anwaltsverein und der AK Vorrat die Veranstalter sind. Von der Funkzellenabfrage über die Deep Packet Inspection bis zu der Frage, wie der digitale Selbstschutz aussehen kann. Eine Frage die Viele beschäftigt.

Nicht fehlen darf der Hinweis auf die immer wieder inspirierende FOSDEM in Brüssel, die bei allen Unzulänglichkeiten im location based Treffing an der freien Universität besser den Stand der Open Source-Szene abbildet als alle geschniegelten Messen mit ihren OSS-Ständen und -Evangelisten. Absolut alles ist möglich, wenn man es unverdrossen anpackt, das ist die Botschaft dieser Veranstaltung, deren Spannbreite von der Freedom Box bis zum Cafe Delirium reicht, wo das Bier in Strömen fließt (doch nicht als Freibier!). Ok, Absolutely Anything toppt das natürlich.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 05 Februar, 2012, 00:05
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Es gab mal eine Zeit, da tingelte ein US-amerikanischer Viehzüchter durch Europa, der nicht Buffalo Bill hieß. Seine wortgewaltig vorgetragene Unabhängigkeitserklärung des Cyberspace kam an. Perry Barlow erhielt in Davos standing ovations und wenig später auf der Multimediamesse Milia in Cannes sogar einen goldenen Ehrenpreis der Medienbranche. Das war 1996, als die D wie Digital synonym für D wie viele, viele Dollars waren. "Ihr müden Giganten aus Fleisch und Stahl, ich komme aus dem Cyberspace, der neuen Heimat des Geistes", donnerte Viehzüchter. "Wir werden eine Welt schaffen, in der jeder überall seine Meinung ausdrücken kann, egal wie vereinzelt sie sein mag und sie ausdrücken kann, ohne Angst davor, zum Schweigen oder zum konformen Denken gezwungen zu werden." Eine einzige einheitliche Netzwelt werde es sein, verkündete Barlow unter tosendem Applaus und schätzte auf Anfrage, dass in 20 Jahren Regierungen im klassischen Sinne keine Rolle mehr spielen werden.

*** Noch ist 2016 ein Stückchen entfernt, aber nichts spricht dafür, dass sich dieser wundervolle Cyberspace bis dahin materialisiert oder besser digital voll entwickelt hat. Statt freier Rede gibt es Twitter mit Länder-KTZ, statt grenzenloser Freiheit die große digitale Mauer und statt der Giganten aus Fleisch und Stahl sind Googleplexe gewachsen und gejubelt wird über den Börsengang eines Unternehmens, dass den aufrechten Gang freier Menschen an eine Zeitleiste nagelt. Wer liest, wie über Facebook und Online-Chats der Konformitätsdruck wächst und tödlich sein kann, wird kaum von einer neuen Heimat des Geistes schwärmen.

*** Nun aber setzt der konservative Backlash ein und schlägt in Kenntnis der Vorbilder zu: "Nun haben Wikipedia und Google in den letzten Tagen ihren starken Arm gezeigt. Doch Googles und Wikimedias dieser Welt, lasst euch zurufen", schreibt Ansgar Heveling, der "Speer Gottes", der seinen Barlow gelesen hat, auf den digitalen Maoismus eines Jaron "Lavier" anspielt und auch seinen Hegel ganz wunderbar plagiieren kann:

"Wenn wir nicht wollen, dass sich nach dem Abzug der digitalen Horden und des Schlachtennebels nur noch die ruinenhaften Stümpfe unserer Gesellschaft in die Sonne recken und wir auf die verbrannte Erde unserer Kultur schauen müssen, dann heißt es, jetzt wachsam zu sein."

*** Ernst Jüngers ruinienhafte Baumstümpfe aus den Stahlgewittern grüßen und recken in sich in den Abend, an dem sich über der verbrannten Erde der Kultur ein blutroter Himmel auftut und die Eule losfliegt, die mehrfach schon in dieser kleinen Wochenschau grüßte. Damit genau das nicht passiert, was seit Hegels Eule das Absterben einer alten Gesellschaftsform genannt wird, muss man "jetzt wachsam" sein. So steht es in dem seltsamen Text , den Heveling veröffentlichte, als er sich in Cannes auf der Musikmesse MIdem aufhielt, wo SOPA und PIPA vor den digitalen Horden verteidigt wurden. Wo beginnt die Wacht für die Kultur? Natürlich in Paris:

"Diese bürgerliche Gesellschaft mit ihren Werten von Freiheit, Demokratie und Eigentum hat sich in mühevoller Arbeit aus den Barrikaden der Französischen Revolution heraus geformt - so entstand der Citoyen. Und genau dort, in den Gassen von Paris im Jahr 1789, wurde die Idee des geistigen Eigentums geboren."

*** Aus der Parole Liberté, Égalité, Fraternité, die die "Hybris Wikipedia" korrekt mit Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit wiedergibt, wird bei Helveling der Dreischritt Freiheit, Demokratie und Eigentum, wobei dieses Eigentum umstandslos auf geistiges Eigentum verkürzt wird. Das wiederum wird von "den Piraten" geraubt, weil sie es nicht achten. Sieht man von dem Schnitzer ab, dass Räuber nur das rauben, was für sie einen Wert hat, muss diese Passage mindestens als Raubversuch am gesunden Menschenverstand gewertet werden, wenn dem Citoyen, dieser "Masse Mensch vor den Maschinen" der Pirat gegenübergestellt wird. Aux armes, citoyens, formez vos bataillons!

"Sie achten das Eigentum des anderen nicht, setzen ihr Wissen nur für den eigenen Vorteil ein, sind darauf bedacht, zusammenzuraffen, was sie von anderen kriegen können."

*** Wir fragen: wer ist Nerdzismus-Experte Ansgar Heveling (CDU)? Ist er vielleicht ein narzisstischer Zwilling von Rolf Stöckel (SPD)? Auch sein aktueller Text über die Piraten und die Hohepriester und nützliche Idioten ist bemerkenswert kurzschlüssig. Er wird aber nicht beachtet, weil er ohne die Reizworte auskommt, auf die die üblichen Verdächtigen aufgeregt reagieren. Was spricht gegen die Piraten und ihre Sicht der Dinge? Na? Natürlich die Verwendung von nerdigen, narzisstischen Nicknames, wie man das von Kriminellen kennt.

"Das Paradiesversprechen der Piratenpartei ist die totale Freiheit im Internet, ihr Gottseibeiuns heißt Zensur. Dass sie mit dieser Agenda die Interessen von Internet-Industrie und Kriminellen bedienen, haben die Piraten noch gar nicht begriffen. Sie kämpfen für die totale Freiheit im Inter­net – als Abgeordnete müssen sie nun im Parlament ihre Pseudonyme fallen lassen."

*** Was folgt, ist eine Argumentationskette, die beweisen soll, dass die Piraten die Handlanger der Internet-Industrie sind, die nach Möglichkeit Unkosten vermeiden will, die Urheberrecht und Kinderpornographie mit sich bringen. Ja, das kann man zusammendenken, wenn alle Schrauben locker sind. Schließlich gilt das Piratensegel im Saarland bei aller Wurschtelei als echte Bedrohung, von Berlin und vom Zockerparadies Schleswig-Holstein ganz zu schweigen.

"Für ein seriöses Netz, für eine effiziente Selbstregulierung und die Durch­setzung internationaler Regeln müs­sten die Profiteure des Internet einen hohen Preis zahlen. Der Chef des Verbands der Internetwirtschaft ECO schätzt, dass allein die gesetzliche Sperrung so genannter Kinderporno-Seiten in Deutschland mehr als 100 Millionen Euro im Jahr kosten würde. Da kommen die Piraten für das total freie Internet gerade recht."

*** Ein Satz ist besonders albern und toppt jeden Hevelingualismus: "Das Telefon hat Hitler nicht verhindert." Müssen wir uns jetzt eine Telefonkette vorstellen, mit der ein Sozialdemokrat einen anderen Sozialdemokrat angerufen hat und, weil mal einer auf dem Klo hockte, Hitler an die Macht kam? Wie war das damals mit dem Radio? Es war das Massenmedium, das 1931 auf dem Höhepunkt der Weltwirtschaftskrise vom Reichskanzler Heinrich Brüning als wichtigstes Regierungsinstrument genannt wird. Im Jahre 1924 schrieb der preußische Innenminister Carl Severing, ein Sozialdemokrat:

"Alle Wahrscheinlichkeit spricht dafür, dass das im Rundfunkwesen liegende Beeinflussungsmittel sehr bald eine solche Bedeutung gewinnen wird, dass eine Regierung, die darauf keinen maßgeblichen Einfluss hat, überhaupt den Boden unter den Füßen verloren hat."

*** Wie sieht es mit dem Internet aus, in dem Piraten hausen, Citoyens debattieren und Angilzismen bekämpft werden? Als neue Form der Partizipation hat die Bunderegierung einen Internetdialog mit dem Volk gestartet, begleitet von einem Expertendialog, der die Vorschläge sichtet. Diese können ohne Probleme mit einem Bot in der Hitliste hochlaufen wie aktuell das Votum zum Islam zeigt. Es gibt die Enquetebeteilung zur Komission Internet und digitale Gesellschaft, die mit glazialer Geschwindigkeit arbeitet. Und wer auf europäischer Ebene den kleine Twitter-Fragestunde von EU-Kommissarin Neelie Kroes in dieser Woche beobachtet hat, wird bemerken können, dass der Boden unter den Füßen noch da ist und steinhart. Entsprechend bösartig und schlecht gelaunt fallen die Antworten der selbsternannten Vermittler aus. Da ist von Internet-Zombies und Internetausdruckern die Rede und von einer Modernitätssimulation, die an DDR-Zeiten erinnere. Was lehrte uns die Eule Hegels? Zustände sind Prozesse, Vorgänge sind Übergänge.

*** Auch ein langer Atem kann heiß sein, und die Freude groß, wenn das Resultat bei Heise so überaus gut aussieht. Ein Blick auf das im Protest linklos gebliebene WWWW zeigt, welcher Fortschritt uns erspart geblieben ist. Dass ausgerechnet ein fortschrittsblinder Verband nun an Journalisten appelliert, verantwortungsvoll mit dem Urteil umzugehen, ist das Sahnehäubchen auf dem, ähem, Schneckenteller. Weil das Internet noch viele Momente dieser Art braucht und viele, viele ganz gewöhnliche Netizen, die da "reinschreiben", darf ein Gedicht nicht fehlen, mit Verbeugung vor Wislawa Szymborska, deren Grabstein-Gedicht die Leser erfreute.

Ich möcht' einmal am Sender stehn
und sprechen dürfen. - Ohne Zensur.
Ein einziges Mal. - Eine Stunde nur -
»Hetzen« - und Hass und Feuer säen. -
Lasst einmal mich am Geräte stehn
und nur einen Tag aus meinem Leben
wahrhaft und nüchtern »zum besten« geben.
- Nichts weiter. Es würde ein Wunder geschehn.
- Ich möchte die wütenden Fratzen sehn
Wenn's hieße: »Achtung! Deutsche Welle!
Eine Arbeiterin spricht! - Thema: Die Hölle.« (1932)

Was wird.

Ganz Europa freut sich über den kommenden Safer Internet Day, der das Internet sicherer macht. Europa freut sich auch über ACTA, wegen der Medikamentensicherheit und so. Ganz Europa? Während die deutsche Regierung gelassen bleibt und keine Änderungen auf sich zukommen sieht, gibt es in ganz Europa am kommenden Samstag Demonstrationen gegen das Abkommen. In ganz Europa?. Es gehört zu den Seltsamkeiten des gemeinsamen Europas, dass es Vertragswerke gibt, die einheitlich erscheinen, aber national sehr unterschiedlich ausgelegt werden können. Abseits von ACTA zeigt dies der europäische Haftbefehl im Fall des Wikileaks-Gründers Julian Assange vor dem Supreme Court des Vereinigten Königreichs. Im deutschen Rahmenbeschluss ist die Formulierung schlicht und hätte längst zu einer Auslieferung von Assange gereicht: "Dieser Haftbefehl ist von einer zuständigen Justizbehörde ausgestellt worden." Stempel drauf, fertig. Die große Ordnung ist die große Unordnung.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 12 Februar, 2012, 00:05
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Bekanntlich hat die Nicht-Hannoveranerin Marie Antoinette nicht gesagt, das Volk möge Kuchen essen, wenn kein Brot da ist: "S’ils n’ont pas de pain, qu’ils mangent de la brioche!" Was ihre Gegner kolportierten, stammt aus der Feder von Jean-Jacques Rousseau, der in seinen Confessions von einer hohen Prinzessin berichtet, die über die Hungersnot ihres Volkes unterrichtet wird und die nämliche blasierte Antwort gibt. Rousseau suchte eine bildhafte Illustration der adeligen Dekadenz und fand sie im wenig nahrhaften Weißbrot. Der praktisch gemeinte, völlig an der Wirklichkeit vorbeigehende Vorschlag gehört seitdem zur Standardausstattung der rhetorischen Werkzeugkiste. Das Volk mag ACTA nicht? Aber es muss doch an Marken glauben, es muss den Markenkram fressen, denn eine Kultur der Fälscher ist der Untergang aller Kultur.

*** Vor den Clouds des Internet, im Jahre 1968 mokierte sich Hugh Kenner über die Rückständigkeit einer Kultur, die auf immer perfekteren Reproduktionsverfahren beruht und dennoch Dinge wie das Urheberrecht und die Originalität für sich reklamiert: "Leben wir doch in einer Zeit der vorgedruckten Briefe, der Unterschriftenstempel, der allen verfügbaren Kongressberichte, der Tonbandmontagen, der Xerokopien und der Farbfotografien, der perfekt reproduzierten van Goghschen Sonnenblumen, der sorgsam gestellten Dokumentarfilme und der Abermillionen gleicher Suppenkonserven, die Körper mit Glasaugen und Goldzähnen ernähren." In den Zeiten der universalen technischen Reproduzierbarkeit hat ein sorgsam ausgewählter Trupp von Lobbyisten ein Abkommen ausgehandelt, das angeblich, von EU-Juristen kontrolliert, überaus fair sein soll. Die Rede ist von einem Rechtsdienstgutachten, dass dies bestätigt, aber nicht für die Öffentlichkeit bestimmt ist. Ein Gutachten über Verträge, die in weiten Teilen bei der Veröffentlichung geschwärzt sind, das steht in bester Tradition der Brioches. Auch die verwaschene Erklärung der deutschen Politik, ACTA "vorerst" nicht zu unterzeichnen, passt ins Beutelschema großer Politik. Die Zahlen über die ACTA-Demonstranten sind noch kippelig, aber wenn eine Minimalschätzung von 30.000 Demonstranten in 50 Städten an einem wirklich kalten Samstag spricht, ist das berümte "deutliche Zeichen" eine Exklamation.

*** Es ist nicht nur der Inhalt von ACTA, der Protest gebiert, sondern der durch und durch veraltete Politikstil im Zeitalter des Internet. Dieser Kommentar bringt die Sache auf den Punkt: "Und deshalb haben die Politiker einen riesigen Fehler gemacht. Denn heimlich, still und leise funktioniert bei diesem Thema nicht mehr, auch wenn man nur 'Business as usual' im Kopf gehabt hat: Zu viele Menschen interessiert die Zukunft des Internet mehr als das wirtschaftliche Schicksal von Griechenland." So zeigen die vielen Demonstrationen gegen ACTA in Deutschland, dass wir wahrhaftig in großen Umbruchszeiten leben, was viele Leithammel in Politik und Wirtschaft nicht verstanden haben. Das schreibe ich am europäischen Notruftag, an dem man am einen Notruf an die EU absetzen könnte, dass der Kontakt zum Volk verloren geht. Was heißt zur Not? Zu Gerechtigkeit im Sinne aller Menschen darf auch ein Notfall-Fax (PDF-Datei) abgeschickt werden. Dass diese Möglichkeit im Zeitalter des Internets abgeschafft werden soll, ist auch so eine ausgrenzende Gedankenlosigkeit.

*** Der Notruftag ist nicht von ungefähr identisch mit dem Geburtstag von dem Supererfinder Thomas Alva Edison, der Vieles kommerzialisierte oder begründete, was zu den modernen Errungenschaften der westlichen Welt gehört. Dazu gehört nicht nur der Notruf- bzw. Notfall-Knopf. Man denke nur an das zwei Kilo schwere Grammophone als Preis, den Musiker bei den Grammy Awards bekommen. Zum Start im Jahre 1959 war das noch der Eddie in Gedenken an Edison. Bei diesem Ereignis feiert sich ausgiebig ein Duopol von bedenktlicher Marktmacht, dass einen Extraprofit daraus bezieht, wenn die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle im Internet verhindert werden. Die Kleinen sollen klein bleiben, das ist die Devise. Und diesen Grammy für Milli Vanilli, den hat es nie gegeben. Was bleibt ist ein festes Daumendrücken für die Bear Family und ihre Bristol Sessions, und dass die Leute klar genug im Kopf sind.

*** Natürlich reagiert die Politik auf den Umbruch, eben auf ihre Weise. Da soll ein ständiger Bundestagsausschuss für Netzpolitik gebildet werden, da gibt es Pläne, die Internet-Kommission des Bundestages zu einer Dauertagung zu machen. Über allem aber schwebt Merkel und der neue Bürgerdialog über Deutschland, nach Trafficaufkommen derzeit die erfolgreichste Webseite unserer Regierung. Über 4000 Vorschläge sind online und die höchste deutsche Bloggerin bedankt sich dafür. Nachdem das Bewertungssystem nach Angaben der Merkel-Mitarbeiter nunmehr fälschungssicher Klickereibetrug abwürgt, sollen die Zahlen realistisch sein. Mit 27310 Stimmen führt die offene Diskussion über den Islam vor der Diskussion über die Legalisierung von Cannabis und der Forderung, ACTA zu stoppen. Mit 6 Stimmen weit abgeschlagen im Crowdthinking zeigt der Vorschlag eines europaweiten Solidaritätszuschlages für Griechenland, was den Netzbürger bewegt. Ob er auch beim Bürgergespräch der Bundeskanzlerin in Erfurt eine Stimme hat? Wo ein Krümel, ist auch ein Kuchen.

Was wird.

Die Woche begann einer Klarstellung des Bundeskriminalamtes zu einer Studie des Bundeskriminalamtes zu "retrograden Verkehrsdaten", im Internet-Volksmund besser als Vorratsdatenspeicherung bekannt. Weil aus der Studie durchaus abgelesen werden kann, dass das Interesse an IP-Adressen weit größer ist als die Speicherung von Telefondaten, reagierte das BKA mit einer Gegendarstellung unter dem schönen Titel BKA-Erhebung zu den Auswirkungen des Wegfalls der Vorratsdatenspeicherung wird teilweise unzutreffend interpretiert. Teilweise unzutreffend ist laut BKA demnach die Ansicht, dass Telefondaten unwichtig geworden sind. Die nächste Woche startet mit dem europäischen Polizeikongress unter dem hübschen Dreisatz "Cyber - Homegrown - International". Auf dem Kongress betreibt das BKA ein eigenes, nichtöffentliches Forum, auf dem Themen wie Vorratsdatenmining und extrem Trojaning von Praktikern behandelt werden. Es gehört zu den deutschen Absonderlichkeiten, dass in denselben Räumlichkeiten der Chaos Computer Club tagte und ausführlich seine Dekonstruktion des Staatstrojaners feierte. Auch so kann ein Ökosystem definiert werden - und Orwell lacht. Spannend dürfte das Forum zum Cyberterrorismus werden, hat doch der Behördenspiegel als Kongressveranstalter aus "gut unterichteten Kreisen" gemeldet, dass die USA an eigenen Bot-Netzen arbeiten, mit denen Gegenschläge auf Cyberangriffe ausgeübt werden können. Fehlt nur noch der richtige Angreifer, dann spannt eine ausgetüftelte Verteidigungsmaschinerie den Schutzschild über uns, auf dass der digitale Himmel uns nicht auf den Kopf fällt.

Mit einem Schmankerl geht die Woche zu Ende. Ausgerechnet in Osnabrück, wo Mobilfunktelefone selten und teuer sind, kann das Ende eines Mammut-Prozesses gefeiert werden, in dem einer bekannten Persönlichkeit das Ende einer Zulassung als Anwalt droht. Es gibt sie noch, die guten Dinge. Kuchen für das Volk, Hartkeks den Erpressern.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 19 Februar, 2012, 08:00
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** "I never reveal my sauces", sagt Julian Assange in den Simpsons auf die Frage von Marge nach dem Barbecue-Rezept. Hahaha, darauf ein Duff-Bier, gebraut von der Eschweger Klosterbrauerei nach bekanntem Rezept. Es ist etwas still geworden um das Meisterhirn von Wikileaks, sieht man davon ab, dass die Organisation in dieser Woche heftig gegen eine UNESCO-Konferenz gestänkert hat, zu der sie angeblich nicht eingeladen war – die Organisatoren dementierten das energisch. Wenn die Signale nicht täuschen, steht die Auslieferung Assanges nach Schweden bevor, weil die Alternative hieße, das gesamte, nach September 2001 hastig zusammengezimmerte Konstrukt des europäischen Haftbefehls zu zertrümmern. Nun ist Schweden nicht Dänemark, in dessen Gefängnissen Assange wahre Horrorszenarien erwartete. Wichtiger als die schwedische Untersuchungshaft ist die Frage, wie der Stand des Whistleblowing ist, wo die Lecks klaffen und Informationen strömen. Denn so zweifelhaft Assanges Theorie von der konspirativen Herrschaft der Wissenden über die Unwissenden ist, so gibt es keinen Zweifel daran, dass unterdrückte Informationen öffentlich gemacht werden müssen. Diese Woche hat zeigt, dass die Sauce ausläuft und es nicht mehr einfach ist, eine Sperre einzurichten. Vom Bericht des Bundesdatenschützers zum Staatstrojaner über die ACTA-Mauscheleien bei der europäischen Kommission bis hin zum Verscherbeln von Patientendaten kommt ans Tageslicht, was ans Tageslicht gehört. Erwischen dürfte es auch die ach so geheimen Mautverträge, nachdem die Regierung überlegt, sich von den teuren Geldsammlern von Toll Collect zu trennen.

*** Die Flagge ist am Boden der freiheitlich demokratischen Grundordnung angelangt. Sunt lacrimae rerum et mentem mortalia tangunt, würde der Lateiner in uns sagen. Die Würde des Amtes steht in Berlin herum, Horst II gibt den Aushilfs-Hausmeister im blauweißen Kittel und das Bobbycar ist zurück in Großburgwedel. Nach dem Rücktritt von Christan Wulff mit seiner gierigen Ehrensolderklärung das überflüssige Amt des Bundespräsidenten abzuschaffen, darauf kommt keiner, weil es parteitaktisch immer noch von Nutzen ist. Diesmal zur Vorbereitung der großen Koalition. Eigentlich hat Wulff mit seiner modernen Patchworkfamilie und seiner signalsendenden First Lady gut ins Gepränge gepasst, doch ist er mit seinen Gefälligkeiten ein Opfer der zunehmenden sozialen Spaltung geworden. Wie viele von uns hat er es schlicht versäumt, vorab die Allgemeinen Nutzungsbedingungen für Bundespräsidenten zu lesen.

*** Christian Wulff wird einen Ehrensold bekommen und muss nicht in eine dieser entwürdigenden Ü50-Maßnahmen, die seine Altersgruppe erfährt, komplett mit SAP-Schulung. Vielleicht fährt er mit bester Unterstützung in das schöne Hannover, dass sich gerade für die CeBIT fesch macht. Während die Direktwahl des Bundespräsidenten im Bürgerdialog abgeschlagen ist, wird geschachert. Die liebe Netzgemeinde schluckt, wenn die Rede auf Zensursula kommt oder auf den Gaukler, der Occupy für albern hält und das Internet für überflüssig. Aber das ist und bleibt chancenlos wie SCO gegen IBM, obwohl auch das großes Kabarett.

*** Inmitten all der Donnerhallen und Treueschwüre stand die Wacht am Rhein, ungebrochen und strahlender denn je. Die 100 Webseiten, auf denen das Wohl und Wehe der Bundesrepublik sich gründet, sie standen fest im DDoS-Wogenprall: Lieb Vaterland, magst ruhig sein. Ein Signal sollte der Besuch von Innenminister Friedrich beim BSI sein, wo ein rund um die Uhr besetztes Lagezentrum das Wissen aus 80 Quellen saugt und ständig die "Top 100 Websites" ansurft, die Deutschland ausmachen. Die wichtigsten Adressen sind nicht das Bundespräsidialamt, Bundestag oder Bundesrat, die Ministerien oder die Kanzlerin. An erster Stelle stehen nach BSI-Angaben die drei IT-Dienstleistungszentren des Bundes und zwar das Zentrum für Informationsverarbeitung und Informationstechnik, die Bundesanstalt für IT-Dienstleistungen und die Bundesstelle für Informationstechnik.

*** Mit im Boot im Rhein bei Bonn entsteht mit leichter Verzögerung die Stiftung Datenschutz, die nach Ansicht der Industrie ein schlankes und rankes Gremium werden soll, vielleicht mit einem Geschäftsführer und einer Schreibkraft und einem ordentlich fetten Beirat, der reihum in feschen Hotels tagen kann. Sylt is calling. Das Ganze komplettiert in der Zusammenarbeit mit den deutschen TÜVs, die ohnehin alles zertifizieren, was nicht bei Drei auf den Bäumen ist. Auch das nerdliche Datenschutzzentrum kritisierte die Pläne, jedoch vor dem Hintergrund, dass die eigenen Compliance-Fachleute zum Zuge kommen. Am Ende entsteht eine echter deutscher Kompromiss und alle reden von einer Winwin-Situation. Winwin, Winwin, helau.

Was wird.

Tata, tata, tata. Auch wenn die deutschen Narren ihre Karren über das Wochenende eilends umwulffen müssen, muss gefeiert werden, da versteht das närrische Deutschland keinen Spaß mehr. Macht das Internet drei Tage dicht? Von wegen. Vielleicht erinnert sich jemand daran, dass allzu freizügige Faschingsbilder im Bundesinnenministerium der Anstoß für den Ideenwettbewerb Vergessen im Internet waren, der mangels Interesse der Generation Facebook wieder und wieder verlängert werden musste. Alte Kamellen? Aber nicht doch. Man lese nur die Warnung aus den USA, wo Jeffrey Rosen aus dem Recht auf Vergessen gleich das Ende des gesamten Internet ableitet.

Ehe der Untergang kommt, soll nach dem Willen der Verwertungsrechteindustrie ACTA schnellstens in trockenen Tüchern sein. Entsprechend quengelig sind die Reaktionen derer, die offene Diskussionen für einen Beweis fehlender Public Relations halten. So langsam dämmert es auch weniger netzaffinen Menschen, dass mit ACTA etwas mehr gemeint ist als ein Anti-Piraterie-Abkommen. Wenn selbst die Verbraucherschutzministerin die Floskel von den Sorgen und Ängsten der Menschen da draußen im Lande hervorkramt, wird klar, dass "Kommunikationsbedarf" besteht. Zudem haben die Hochtöner der Deutschen Content Allianz in ihre Hörner geblasen und eine Pressemeldung zu ACTA abgesetzt und dramatischen Unsinn zur Freiheit des Internet getrötet und zur Rechtslosigkeit der Verwerter, der an das Gerede vom rechtsfreien Raum erinnert. Wäre es denn so, gäbe es kein Verfahren gegen Megaupload und jeder Berichterstattung hätte zu schweigen.

Doch es sieht anders aus. Der ach so rechtlose Raum ist ziemlich gut geregelt, die Rechtsprechungs entwickelt sich, mit einigen Aussetzern weiter. Der Fall Megaupload wird vor Gericht verhandelt, Abofallenbetrüger erhalten ihre Strafe und allzu weitreichende Ansprüche der Verwerter werden vom europäischen Gerichtshof gebremst. Viel spricht dafür, dass hier auch die Rechtmäßigkeit von ACTA beurteilt werden kann ohne die Drückertruppe der Content Allianz, die zur Unterzeichnung drängelt. Die maßlosen Angriffe gegen das demokatische Prozedere provozieren natürlich. Sie rufen die anonymen Lulzler auf den Plan, die mit einem mega-über-awesome war drohen "that rain torrential hellfire down on all enemies of free speech, privacy and internet freedom. We will systematically knock all evil corporations and governments off of our internet." Unser Internet? Und was ist mit diesen Untergrund-Netzen, die andere bauen?

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 26 Februar, 2012, 06:04
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Gauck. Gauck? Gauck, Gauck, Gauck! Der Schweinejournalismus hat Konjunktur. Und Rösler über allem, das ist gleich das Ende des Journalismus, um einmal vom Ende der FDP unter fünf Prozent zu schweigen. Weil ein öffentlicher Intellektueller wie Gauck nun Bundesersatzpräsidentendienst leisten soll, einer, der sich in seiner Rolle zu vielen gesellschaftlichen Fragen zu Worte melden muss, gibt es natürlich Unmassen von Aussagen und jede wird gewichtet und gewertet, bequatscht und zerkaut. Die Schweine bekommen Flügel und steigen auf, die Sonne verdunkelt sich. Wenn Bürger Gauck sich durchaus differenziert zur Vorratsdatenspeicherung geäußert hat, reicht das nicht und ein offener Brief ist fällig. Seine Analyse der DDR hat sich gefälligst an Hannah Arendt zu orientieren und nicht so pathetisch zu sein. Jede Position des mutmaßlich künftigen Bundespräsidenten wird abgeklopft. Wäre man mit Horst Köhler so verfahren, hätte dieser niemals Präsident werden können, vom Barzahler Wulff ganz zu schweigen.

*** Die einzig richtige Antwort auf diese Politiksimulation wäre, dass dieses Amt des Bundespräsidenten obsolet geworden ist. Ein bestellter Staatsnotar tut's auch, die paar Sachen zu unterschreiben, die unterschrieben werden müssen. Die gerne bemühte Überprüfung von Gesetzen ist besser beim Verfassungsgericht aufgehoben und das Diplomatenschütteln kann der Bundestagspräsident übernehmen. Der Schutz vor den Feinden der Demokratie im Parlament ist unnötig, denn die Feinde sitzen nicht im Parlament. Sie sitzen im Verfassungsschutz, der die Waffenübergabe trotz Beobachtung nicht erkannt haben will, vor einer Mordserie, die nicht als Ausfluss rechtsextremistischer Gewalt erkannt wird, weil Bekennerschreiben fehlten. Das ist besonders beklemmend, dass es in Deutschland ein Schreiben braucht und die Schützer nicht auf den Gedanken gekommen sind, dass Neonazis morden. Die Augen links, ist das Kommando dieser nutzlosen Schützer.

*** Die Generation der rückgratlosen Babyboomer hat abgewirtschaftet, jetzt müssen halt Ältere ran, die echte Narben in ihrer Biographie haben. Denn die Jüngeren, die haben typische Adoleszenz-Probleme und erklären sich für Netzbabys oder eben für Netzkinder, die in aller Unschuld zwischen Kabeln und Spielkonsolen aufgewachsen sind und gegen die Generation Nichts schwärmerisch ins Felde führen: "Es gab in unserem Leben keinen Auslöser dafür, eher eine Metamorphose des Lebens selbst", das sich auf einmal im Internet abspielte. Netzkinder, hach wie unschuldig das klingt, viel besser als der Slang der Vermarkter, die sich auf den Begriff der Generation C geeinigt haben. Die Blumenkinder lassen grüßen mit ihrem Wunsch, ein Kind zu sein und bitte, wo die Kinder spielen, da muss die IT-Umgebung auch sauber und ordentlich sein wegen der Kinderspielplatzbenutzungsordnung. Und bitte macht uns unser Netz nicht mit diesen ökonomischen Sachen kaputt, wir finden ja Taschengeldjobs genug auf den Straßen mit unserem Netz. Wenn das in seinem digitalnativen Gewebe geborgene süße Netzkind eine Frage stellt, dann höchstens ein gehauchtes Wie ist dein Verhältnis zu Fefe?. Sein Verhältnis zu Fefe scheint der eine oder andere Oberholzer übrigens gerade zu überdenken. Der Herr im schlammgrünen Anzug ist sich da sicher.

*** Es ist ein weiter Weg von der Hackerethik und der darauf aufbauenden "Gemeinde" früher Tage zu dem Marsch durch die Institutionen, den einige angetreten haben und mühselig ist der Gang in den Ebenen allemal. Die Internet-Komission soll ihre Arbeit beenden und wird nicht in einem ständigen Ausschuss für Netzpolitik enden. In der Kampfkandidatur um das Amt des Datenschützers ist Constanze Kurz ausgerechnet in Thüringen mit 34 zu 45 Stimmen gescheitert. Ausgerechnet in Thüringen? Jawohl, Thüringen ist das einzige Bundesland, das seine beträchtlichen Fördergelder in die Entwicklung eines sicheren Maildienstes namens ClosedXchange gesteckt hat, der nach zertifizierten BSI-Richtlinien als Ende-zu-Ende-System in allen Bereichen sicher ist. Sollten die durchweg nutzlosen Verfassungsschützer Thüringens diese Mails wie 37 Millionen andere mit ihrer Suchliste von 16.400 Begriffen rastern, dürfte das Ergebnis ebenfalls als Spam aussortiert werden. Wichtiger als die deutliche Zunahme der e-Mail-Überwachung dürfte die Tatsache sein, dass der Bericht des parlamentarischen Kontrollgremiums unmittelbar vor der CeBIT veröffentlicht wurde, auf der die De-Mail ihren großen Auftritt hat. Wie war das noch einmal mit der kurzzeitigen, wenige Sekunden dauernde Entschlüsselung und Neuverschlüsselung wegen Spam-Kontrolle und Virenbefall? Auch unter Schlapphüten findet sich modernste Technik.

*** Mit diesem Plakat von Alan Turing (PDF-Datei) hat die Gesellschaft für Informatik die Kampagne "Wir sind Informatik!" gestartet. Ziel ist es, die menschliche Seite der Informatik in den Vordergrund zu rücken, die als "kalte Wissenschaft" empfunden wird. Neben den Postern gibt es jede Menge Bekenntnisse und besinnliche Aufsätze der Informatiker, die dann so enden: "Wir sind Informatik. Die Anderen aber immer häufiger ebenfalls. Und das ist gut so! " Die Wowereitschen Anklänge sollte man nicht auf Turing beziehen, sondern auf das ACTA-Abkommen, dass auch den Informatikern nicht zusagt. Während diese kleine Kolumne von den wieder eingeflogenen Verlagsenten geprüft wird, demonstrieren viele Menschen gegen ACTA, nicht nur der Netzkindergarten. Aufregend ist es schon, wenn direkt auf die Kolumne des bekannten Netzfremdlings Ansgar Heveling (für ACTA) eine folgt, die darauf aufmerksam macht, dass es mitnichten nur um Download-Dateien geht, sondern um Medikamente und Saatgut: "Wenn Unternehmen aus Entwicklungsländern Getreide exportieren wollen, das in einem Acta-Land patentiert ist, soll es an den Grenzen zu Acta-Ländern festgehalten und vernichtet werden." Dass eine Prüfung von ACTA durch den Europäischen Gerichtshof daran etwas ändern könnte, ist wohl der Versuch, das Thema etwas abzukühlen. Wenn Brüssel da geschlafen hat, wird Luxemburg kaum aufwachen.

Was wird.

Der Newsticker färbt sich wieder einmal rot: In Barcelona beginnt der Mobile World Congress zu letzten Mal wunderbarerweise in den alten Hallen der Fira Montjuïc, die zur Weltausstellung 1929 entstanden und irgendwie immer noch stehen, während in Hannover auf dem CeBIT-Gelände ein Gebäude der Weltausstellung 2000 schwächelt. Es hat schon etwas für sich, wenn nicht nur der um IT-Nachwuchs werbende Bundesnachrichtendienst umziehen muss, sondern auch die Fraunhofer-Gesellschaft ausgerechnet zum Geburtstag ihres Namenspatrons den komplizierten Messe-Stand Urban Living abbauen und wieder aufbauen muss, treu nach dem Motto: "Wir haben Ideen, wo andere aufgeben".

In der kommenden Woche beginnt außerdem die 19. Generalversammlung des Flüchtlingshilfswerkes der UN. Wo Menschen flüchten, sind Bedingungen vorhanden, die ihnen das Recht auf ein menschliches Leben nehmen. Daher gehören Debatten zur Verfassung des Menschenrechtes zu den Themen dieser Versammlung. Hinter dem unscheinbaren Titel FOE and Internet verbirgt sich eine Debatte über die Meinungsfreiheit im Internet. Glaubt man dem amerikanischen Berichterstatter Robert McDowell, sollen Verträge zur Sprache kommen, die es der UN über ihre Tochterorganisation ITU ermöglichen sollen, den Internet-Verkehr zu beobachten und womöglich Einnahmen aus dem Netzverkehr zu fordern. Dieser Prozess soll in Genf angestoßen und in Dubai zur Vollversammlung der ITU vollendet werden. Ob diese feindliche Übernahme tatsächlich stattfinden wird, wird heftig diskutiert. Die Befürchtung der Amerikaner, die von ihnen gelebte Dominanz in der ICANN könnte ein Ende haben, steht auch in dem düsteren Szenario. "Productivity, rising living standards and the spread of freedom everywhere, but especially in the developing world, would grind to a halt as engineering and business decisions become politically paralyzed within a global regulatory body." Ja, da muss doch ein flammender Appell her und ein paar Demo-Schilder male ich auch noch: DENKT BITTE AN DIE ARMEN NETZKINDER!!111einself!

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 04 März, 2012, 07:00
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

Kebabträume in der Mauerstadt,
Türk-Kültür hinter Stacheldraht
Neu-Izmir ist in der DDR,
Atatürk der neue Herr.
Miliyet für die Sowjetunion,
in jeder Imbißstube ein Spion.
Im ZK Agent aus Türkei,
Deutschland, Deutschland, alles ist vorbei.

*** Deutschland ist vorbei. Deutschland hat abgedankt. Polen übernimmt die Vorherrschaft, wird Leitnation in Europa und Osteuropa. Dahinter: nichts. Putin-Russland ist auch kollabiert, desgleichen China, wo der Krieg zwischen Provinzherrschern tobt. Die Welt steht im Bann von zwei mächtigen Koalitionen, auf der einen Seite die Achse der beiden verbündeten Supermächte Türkei und Japan, auf der anderen die Neuen Vereinigten Staaten von Amerika, ein Gebilde aus Mexiko, USA und etwas Kanada. Der Kampf zwischen Türkei-Japan und Mexiko-USA ist der Clash der Kulturen, der das 21. Jahrhundert beschäftigt und prägt. Nein, ich habe nichts geraucht, mein Kaffee muselmannisch schwarz, klar und rein, meine Seele wurde schon vor langer Zeit von einem DB-Automaten gefressen. Dieses geopolitische Szenario stammt von George Friedman, dem Chef der Firma Stratfor, deren Mails Wikileaks in homöopathischen Dosen unters Volk bringt. Friedman ist wie sein Freund Francis Fukuyama vom "Ende der Geschichte" besessen und hat Stratfor gegründet, dieses Ende vorherzusagen. Irgendwo in diesem Stratfor-Mails ist eine große Geschichte versteckt, meint Wikileaks. Doch wer die ersten 600 Mails gelesen hat, wird eher zur Ansicht gelangen, es mit einer Bande von Spinnern zu tun haben, die Wikileaks bis aufs Blut hassen, weil sie eine Konkurrenz zum eigenen Geschäftsmodell sind, geopolitischen Klatsch für 349 US-Dollar pro Jahr im Abo zu verkaufen.

*** Aus der Sicht klassischer Geheimdienste wie unserem BND oder MAD/KSA verfolgt Stratfor ein cleveres Geschäftsmodell, das der deutsche Medienpartner von Wikileaks ganz trefflich beschreibt: "Für mich ist die Frage, wie sich Stratfor-Mitarbeiter nach außen hin zu erkennen geben. Tun sie unter Umständen so, als seien sie Regierungsmitarbeiter oder Journalisten?" Die Antwort ist einfach: Es ist egal. Sie brauchen beides nicht. Erst recht brauchen Stratfor-Mitarbeiter das nicht machen, was Geheimdienstler eine "Schüttelstrecke" nennen, wenn sie ihren Quellen Tarnnamen wie Onkel Wanja verpassen, Zeit und Ort der Informationsabschöpfung in eine Legende verpacken. Das alles kümmert den Low-Cost-Geheimdienst nicht und so bereitet es der Stratfor-Konkurrenz ein höllisches Vergnügen, die Informanten über die Mail zu enttarnen, sei es nun James Casey oder Obamas geheimnisvolle Domina Penny Sue Pritzker. Mitten in China wird sie vom Strafor-Getratsche verfolgt.

*** Was vielleicht noch Sorge macht, sind diese unkontrollierten Anarchos von Anonymous, die für Wikileaks das "Kompromat" besorgen. Aber hey, auch daraus lässt sich ein Business machen, wie das Startup Crowdstrike zeigt. 26 Millionen Dollar in der ersten Finanzierungsrunden, dafür kann man schon ein paar Container Club Mate für den Maschinenraum ordern.

*** Schock! Schwere Not! Deutschland, Deutschland ist vorbei: "Schock! 78 Prozent der Muslime wollen sich integrieren!" titelte die tageszeitung über die von Innenminister Friedrich einseitig vorgestellte Studie über "Lebenswelten junger Muslime in Deutschland", die ein Boulevardblatt zur üblichen Hatzstrecke umdeutete. Muss man bis Seite 277 lesen, um ein differenzierteres Bild zu bekommen? Aber nicht doch. Da könnte ja jeder kommen. Das haben wir noch nie so gemacht. Geifern wir lieber los, wenn islamischer Religionsunterricht an Schulen beginnt und nennen das Ganze verfassungswidrig. Erinnern wir uns an Stratfor: Deutschland wird ohnehin von Polen versenkt und von der Türkei aufgeteilt.

*** Wie bricht man eigentlich eine Lanze für den Schwanzhund und lässt dabei den Phallus als Signifikant intakt? Peter Glaser hat mal nicht den üblichen Katzencontent ins Internet gestellt, sondern eine Hommage an Loriot. Bezeichnend ist, was das spießige humorlose Facebook daraus macht: eine schmierige Angelegenheit, die es in seinem Privatreich nicht duldet. Das ist wiederum ein glaserklarer Fall für den ultimativen Schwanzvergleich und damit ein vorgezogener Hinweis auf Unlike Us das nächste Woche startet: Im Internet ist nichts alternativlos.

*** Das zarte Rot im Ticker hat sich gelegt, der Mobile World Congress ist vorbei. Zahllose schicke Sachen wurden vorgestellt, nur der kluge Wirtschaftsteil einer deutschen Tageszeitung lästert über die klobigen Geräte von Rohde & Schwarz, weil deren weltweit den Standard setzende IMSI-Catcher nun einmal nicht schick auszusehen brauchen. Backend-Ausspähtechnik von Feinsten, da von der Münchener Firma, die Standards für alle Testgeräte setzt. Wenn Rohde & Schwarz etwas verpeilt, ziehen alle Gerätehersteller der Welt mit und bauen den Fehler nach, um kompatibel zu den Messgeräten zu bleiben. Wer könnte dies in der grauen Welt der Software so souverän behaupten? Man denke an die Softwarefirma, von der das Land Niedersachsen das Programm zur Verwaltung der "Ortungsimpulse" bezieht, wie stille SMS im Polizeideutsch heißen. Es ist nicht in der Lage, die Anzahl der verschickten stillen SMS zu zählen. Das Wunderwerk deutscher Programmierkunst ist nach Auskunft der Landesregierung so gestrickt, dass der Einbau eines Zählers in die Datenbank 80.000 Euro kosten soll. Zart errötend wird man von Verarschung sprechen dürfen.

*** Auch die Bundesregierung steht in diesem Punkte an Argumentationsgeschmeidigkeit nicht zurück, wenn sie einem anfragenden Abgeordneten erklärt, dass eine Unterschrift unter ACTA nur eine Zeichnung ist, die den Text eindeutig festlegt und keine Ratifizierung, die der EU und dort dem handelspolitischen Ausschuss vorbehalten ist. Die einmal festgelegte Haltung zu ACTA bleibt, "etwas Intelligenteres" ist nicht in Sicht: Es gibt keine Alternative zu dem in Japan gehüteten Gesetzesschatz, Tina.

Was wird.

Tja, die CeBIT. Managing Trust ist angesagt und das in Hannover. Der Himmel im schönsten Blau, kein Wölkchen zu sehen nach dem 29. Februar. Die CeBIT dagegen? Rot. Rot wie eine BSI-Ampel, nur knapp gerettet dank August Wilhelm Scheer. Weg von Blech und Code, hin zu Themen und Events. Dabei mächtig auf Draht, diese CeBIT. Dank Speedy, dem neuen Ticketsystem, das nicht nur alle möglichen Eintrittskarten erkennt, sondern mit dem Erkennen auch dem Aussteller sofort "signalisiert, ob seine Einladungskampagne erfolgreich war." Vielleicht in gefälliger App-Form, dass die nächsten Beuteltierchen gleich aufschlagen? Darüber freut sich die Messe wie über ihren neuen Eingang. Erdacht von der Firma, die Halle 9 konstruierte, von der in der letzten Wochenschau bereits die Rede war. Eine klare Designsprache mit hellen Betonplatten, das hebt die Stimmung.

Von der Spannung ganz zu schweigen: ein gutes Dutzend Wettbewerbe sind zu Ende, der integrationswillige Sieger der App für Deutschland bekommt einen geschmackvollen Pokal von Bundesinnenminister Friedrich. Bei der Eröffnung von Health & Vitality verteilt Gesundheitsminister Bahr Organspendeausweise und den Leonardo Gesundheitspreis, moderiert von Dr. Eckart von Hirschhausen mit kleinen neckischen Witzen über seine Organspender. Seitdem mein Zahnarzt mit einer Kamera Bilder vom Bohren live auf die Zimmerdecke überträgt, weiß ich, dass Ärzte einen sehr speziellen Humor haben. Auch bei der partymäßig tonangebenden Avantgarde hagelt es Preise in künstlerisch gestalteter Umgebung.

Seit Gottschalk live kennen wir alle den Werbeblock, darum geht es jetzt schnurstracks zum Heise-Forum, stellenweise mit Live-Vorführungen. Die Präsentation der besten Produkte von "Mach flott den Schrott" am Machflottwoch muss allein schon darum erwähnt werden, weil mit den Hardware Hacks ein wirklich anregendes Projekt gestartet wurde. Dann gibt es noch ein grünes Privacy-Barcamp. Nicht im Grünen. Die schöne Stadt Hannover liegt an der Leine, festgezurrt. Traumschiff geht anders und die Titanic kommt noch. Wir kentern dann vor Izmir.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 11 März, 2012, 06:00
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

CIOs bewerten CeBIT-Motto "Managing Trust" als "genau richtig" München (ots) – Eine breite Mehrheit von 82 Prozent der Chief Information Officer (CIO) stufen das Leitmotiv der diesjährigen CeBIT – Managing Trust – als haargenau … CeBIT:Ein PC für die Hosentasche Denn was der Computer-Experte aus dem Zürcher Forschungszentrum des IT-Riesen IBM aktuell auf dessen Cebit-Messestand präsentiert, ist so etwas wie der … CeBiT in Hannover Philipp Rösler auf CeBIT mit Torte beworfen Hannover/Berlin – Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler ist bei einem Rundgang auf der Computermesse CeBIT in Hannover attackiert worden. The sights of CeBIT 2012 HANOVER, Germany--CeBIT is a mammoth trade show that most people in the United States have never heard of. CeBIT 2012 : SteelSeries Makes the Sensei Laser Gaming Mouse More Affordable At this year’s CeBIT 2012 fair, SteelSeries has announced a new version of its high-performance Sensei gaming mouse, dubbed simply enough the Sensei [RAW], which was designed to make its creation much more affordable …

Schnipsel, schöne Schnipsel, frische Schnipsel! Wer will noch mal, wer hat noch nicht? Mit Google News angefangen, über Microsoft Bing bis hin zu DuckduckGo habe ich am Freitagabend die jeweilige Top-News zum Thema CeBIT in fünf Suchmaschinen abgefragt. Sie wurden mitsamt jener "Snippets" kopiert, für die die deutschen Verleger Geld nehmen wollen, weil sie eine unglaublich wagemutige verlegerische Tat darstellen. Das geplante neue Leistungsschutzrecht lässt grüßen, geboren aus der Verärgerung darüber, dass Dritte eigenen Content übernehmen und damit wiederum das Geld verdienen. Sieht man einmal vom kleinen Schönheitsfehler ab, dass meine CeBIT-Suche im ersten und letzten Fall keinen verlegerisch hochgehandelten Snippet, sondern schlichte Werbung unter den Mauszeiger spülte, ist die eingefangene und verlinkte Leistung eher bescheiden. Vom Informationsgehalt her ist die Tatsache, dass Minister Rösler mit einer Torte beworfen wurde, noch die verständlichste Aussage über die CeBIT. Tatsächlich reicht mir die Aussage und ich klicke nicht weiter zur Stuttgarter Zeitung, der damit eine Einnahme entgeht. Die Attacke eines Piraten mit einer Käsecreme-Aprikosentorte lief am vergangenen Donnerstag durch Twitter und interessierte mich schon da nicht. Dass die Piraten eine verkappte FDP-Truppe sind und die gegenseitige Abneigung dieser beiden Parteien besonders groß ist, kann nicht als neue Information gewertet werden. Was wird das seltsame Leistungsschutzrecht bringen außer der Erkenntnis, dass Verleger Anti-Visionäre sind? Wie war das noch mit dem Öl des 21. jahrhunderts? Wird es aus toten Bäumen gepresst?

Was sonst noch war auf dieser CeBIT, kann komplett mit lesbaren und kostenlosen Snippets hier bei Heise betrachtet werden. Groß angekündigt, aber Magerquark im Resultat, förderte das Social Command Center der CeBIT seltsame Ergebnisse zu Tage: Am Donnerstag wurden Ultrabooks in der Social Media-Szene doppelt so häufig diskutiert wie das neue iPad, am Mittwoch beherrschte angeblich @neeliekroeseu die Szene, die EU-Kommissarin Neelie Kroes, ganz ohne Torte und zu Guttenberg. Auch der Streik im öffentlichen Dienst war auf der CeBIT ein Nicht-Ereignis wie Windows 8, sieht man davon ab, dass eine ernsthafte Standortbestimmung nicht erwünscht war.

Mitunter hatte ich den bizarren Eindruck, diese CeBIT 2012 stecke im Jahre 1997 fest, kurz bevor der große Megagagaballerboom im Internet begann: Die logische Sekunde feiert fröhliche Wiederkehr. Anno 1997 bezeichnete die logische Sekunde die Zeit, in der Daten in einem Router gespeichert sind und der Zugriff auf sie nicht unter das Telekommunikationsgesetz fiel. Nun ist sie wieder da, die logische Sekunde, als Bezeichnung der Zeitspanne, in der De-Mail entschlüsselt und auf Spam geprüft wird. Überhaupt ist diese neue De-Mail sooo 1997, dass es kracht: 15 Jahre nach Inkrafttreten des Signaturgesetzes baut man in Deutschland das Mail-System auf, das damals eingeführt werden sollte. Damals, als das Internet mit Modem oder schwerst modern mit ISDN-Router betreten wurde, war die Netzwelt nicht flat, sondern teuer. Und heute? Der De-Mail-Brieftarif "Mini" bei den Frankiermaschinen-Spezialisten Francotyp Postalia gilt für E-Mail <50 KByte und kostet 0,28 Euro, dann kommt der "Standard"-Brief mit den Maßen >50 KByte <1 MByte für 0,33 Euro und für richtig schwere Sachen gibt es den "Maxi"-Brief für 0,66 Euro und den Maßen >1 MByte <10 MByte. In der logischen Sekunde, in der die De-Mail auf Spam geprüft wird, wird der Brief auch schnell einmal gewogen. Logisch, praktisch, aber gut?

Beim Lesen der vor Gericht eingereichten Klage als Hintergrund zu dieser Meldung über den LulzSec-Anführer Sabu verfestigen sich allmählich finstere Gedanken. Man kann verschiedene Schlussfolgerungen über die Monsegur Five ziehen. Eine davon ist die, dass das FBI in der Lage ist, Tor-Daten auszuwerten. Das ist wenig erstaunlich, da Tor zu Beginn mit Regierungsgeldern entwickelt wurde. Ein anderer Schluss muss nach der Triumph-Meldung zum Stratfor-Hack gezogen werden, der offenbar unter Aufsicht des FBI stattfand, das zu dieser Zeit den Super-Hacker Sabu bereits in enger Führung durch eigene Agenten kontrollierte. Das FBI erlaubte den Stratfor-Hack, damit die Kanäle untersucht werden konnten, auf denen Wikileaks Informationen bekommt. Offenbar waren die Informationen, die Stratfor für viel Geld an seine Kunden verkauft, nicht sehr bedeutsam. Wikileaks wurde mit viel Fluff, Liff und Labenz gefüttert.

Früher war alles besser, na klar. "Viele kamen allmählich zu der Überzeugung, einen großen Fehler gemacht zu haben, als sie von den Bäumen heruntergekommen waren. Und einige sagten, schon die Bäume seien ein Holzweg gewesen, die Ozeane hätte man niemals verlassen dürfen." Heute, am 60. Geburtstag von Douglas Adams, stehen wir auf den Holzwegen, die nach Digitalien führen und müssen ohne ihn weitergehen, immer immer weitergehn. Es gilt, unbequeme Meinungen gegen alle Anfechtungen zu verteidigen wie die von der Erde, die nur eine Auftragsarbeit der pandimensionalen Wesen ist, die wir Menschen nur in Gestalt weißer Mäuse sehen können. Nein, werter Herr Glaser, das Internet ist keine Katze und transportiert keinen Katzencontent. Wenn doch, ist etwas schiefgegangen.

Was wird.

Nach der CeBIT ist vor der Droidcon, auch das ist weitergehn. Die junge Garde der IT will bestaunt werden und die digitalen Innovatoren sowieso. Seit der CeBIT-Predigt des Herrn Schmidt wissen wir, dass jeder Mensch online sein will, auch unser neuer, fein austariert gewählter Bundespräsident.

Zum Abschied des Alten gab es ein Späßchen, das die Juristen unter dem Stichwort akustische Körperverletzung zu Höchstleistungen anspornen dürfte. Wir sind so frei mit unserer Meinung. In anderen Ländern sieht es düster aus: Am 12. März findet der Welttag gegen Internetzensur statt. Birma, China, Kuba, Iran, Nordkorea, Saudi Arabien, Syrien, Turkmenistan, Usbekistan und Vietnam, die alten Feinde des Internet aus dem Jahre 2011, sind sicher wieder dabei, auch wenn zumindest in Birma Anzeichen für eine Besserung gesichtet worden sind. Dafür gibt es genug Neuzugänge, man denke nur an Bahrain, Belarus und Kasachstan. Der Gruß der Netzbürger geht an die Netzbürger in der Hölle von Syrien.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 18 März, 2012, 06:11
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Anders seyn, und anders scheinen,
Anders reden, anders meynen,
Alles loben, alles tragen,
Allen heucheln, stets behagen,
Allem Winde Segel geben,
Bösen, Guten dienstbar leben.
Alles Thun und alles Dichten
Bloß auf eignen Nutzen richten,
Wer sich dessen will befleißen,
Kann politisch heuer heißen.
Friedrich von Logau)

Hach, da lacht das Herz und die Brust bebt: das nächste iPad ist draußen und die Sonne scheint. Alles wird wärmer, auch das neue iPad. Selbst die klinisch eigentlich tote FDP zeigt Regungen, wo der von ihr mit verursachte Wahlkampf in Nordrhein-Westfalen mit einem Schnellstart begonnen hat. Bambi is back, das scheue Reh, das sich nur ab und an auf Twitter zeigte und kandidiert als Fischstäbchen, ähem, als Retter aus der Tiefkühltruhe der FDP. Immerhin, seine Chancen sind besser als die von Julian Assange, der 2013 für den australischen Senat kandidieren will. Gar nicht zur reden von den Piraten, die recht plötzlich einen Dreifach-Wahlkampf stemmen müssen und vor Kraft kaum gehen können: Felix qui potuit rerum cognoscere causas!

*** Ja, das Leben könnte so flauschig-fluffig sein, wäre da nicht dieses vertrackte Internet. Dieses Maschinenunddrahtgeknubbel, dem jede Ethik fehlt. Heute wird in einer Quisquilie der nächste Bundespräsident gewählt und sein Name sei Gauck. Kurz vor der Wahl erschienen sieben Thesen zum Internet, die Gauck als Schirmherr eines Denkpanzers der deutschen Post veröffentlichte. Die deutsche Post, das ist der Konzern, der mit seiner e-Post ganz eigene Wege geht, die selbst den e-Post-Anhängern Rätsel aufgibt.
Zur Hebung des Vertrauens engagierte man als "e-Post-Botschafter" den ehemaligen Hessen-CIO Harald Lemke, der im Geschäft mit Lottogesellschaften einen tollen Markt für die e-Post sieht. Sein "Deutsche Institut für Vertrauen und Sicherheit im Internet" musste bei den Thesen den Schirm vom Herren abziehen. In einer neuen Fassung "ruht" Gaucks Schirmherrschaft und endet mit dem Amtsantritt des Bundespräsidenten. In der noch aktuelleren Gesamtfassung (PDF-Datei) einer DIVSI-Studie über Internet-Nutzer wurden die Thesen weiter entschärft. Es fehlt der Satz von These 4 zur schrecklichen Anonymität in diesem Internet, die sofort die Justiz auf den Plan ruft: "Die Anonymität des Netzes und die damit erschwerte Arbeit der Justiz wird zunehmend für kriminelle Zwecke missbraucht." Zurück bleibt ein Satz bei These 4, der die Frage aufwirft, was denn verhältnismäßig sein soll und ob im Sinne des Verhältnismäßigkeitsprinzip die Grundrechte gewahrt bleiben sollen, wenn es heißt: "Straftaten im Internet müssen in verhältnismäßiger Form verfolgt werden."

*** Nicht nur dem Internet fehlt jede Ethik, auch die in seinen Röhren kommunizierenden Netizen sind finstere Gestalten. Sie drangsalieren mit emotionalen, von sachlichen Argumenten losgelösten Diskussionen in Internetforen und Blogs, auf dass es eine einzige Gefahr für die öffentliche Ordnung ist. Kurz bevor die allgemeine Anarchie ausbricht, kommt dieser Stopp und passt wie Arsch auf Eimer zur gesamten ACTA-Diskussion mit ihren seltsamen Argumenten. Es ändert sich nichts in Deutschland, howgh, das Kabinett hat gesprochen, wir sind nur Beobachter und als solche womöglich dem digitalen Mob ausgeliefert:
"Insbesondere könnten die Namen der Mitarbeiter, die gemäß einem dem Antrag des Antragssteller angefügten Hinweis auf einer Webseite veröffentlicht werden, von Dritten dazu verwendet werden, in unangemessener Form gegen sie vorzugehen. In einzelnen Internetforen, Blogs und im Netz eingestellten Videos sowie dazugehörigen Kommentaren wird zum Teil eine vom sachlichen Regelungsgehalt der Bestimmungen des Abkommens losgelöste, emotionale Diskussion geführt, bei der auch ehrverletzende Äußerungen und Drohungen mit Gewalt gegen an ACTA beteiligte Personen ausgesprochen werden. Es erscheint daher im Falle der Herausgabe der Daten der bei den Verhandlungsrunden anwesenden Personen hinreichend möglich, dass diese Personen persönlich bedrängt oder sonst gegen sie unangemessen vorgegangen wird."

*** Der Untertan als solcher wird hier mit aller Geringschätzung und Verachtung bestraft, die im Bundesjustizministerium in den hintersten Ecken zusammengekehrt werden konnte. Statt der Schwärzung von 17 Namen schwadroniert man lieber von einer Gefährdung der öffentlichen Sicherheit. Gegen genau diese diffuse staatliche Bürgerehrabschneiderei hilft nur eines: Spenden, damit jede Informationsblockade in Sachen ACTA angefochten werden kann. Wenn selbst die CSU ACTA als störendes Relikt aus vergehenden Zeiten betrachtet, dann ist das Getue um die öffentliche Ordnung genau das, was das Ministerium beschreibt: eine emotionale Diskussion, die Angst schüren soll, als ob hinter ACTA Ctulhu lauern würde.

*** Was bleibt, ist ein mikrobenkleiner Vorschuss für die Ministerin besagter klinisch toter Partei, die sich in dieser Woche gegen infame Vorwürfe zur Wehr setzen musste. In ihrer Heimat Bayern ist sie Zielscheibe des dortigen Landbundes der Kriminalbeamten, der davon spricht, dass wegen der fehlenden Vorratsdatenspeicherung "Tausende von Straftaten nicht aufgeklärt werden konnten, sogar Kapitaldelikte wie Mord und Totschlag!" Die aufgebrachten Beamten regen sich in ihrer neuesten Presseerklärung über "Quick Freeze" auf und bringen die Debatte um die Vorratsdatenspeicherung auf ein bekannt sachliches Niveau der Argumentationslogik, wonach man nichts einfrieren kann, was man nicht hat. "Dies ist ungefähr so, wie wenn eine Hausfrau ein Steak einfrieren möchte, das der Hund bereits vor drei Tagen gefressen hat!" Dabei erreicht das Angebot an Frischfleisch in Kürze neue Dimensionen.

*** Was lauert in Bluffdale, einem Städtchen, das eigentlich ein Ausläufer von Salt Lake City ist. Dort wo einst die Großfirmen Novell und Word Perfect den Campus beherrschten, sieht Spiegel Online ein ländliches Kaff, in dem die NSA ein neues Rechenzentrum baut. Glaubt man dem auf die NSA spezialisierten Autor James Bamford, wird dieses Rechenzentrum in der Lage sein, die gesamte Kommunikation der Welt im Netz, mit Telefon, die Satelliten und die Seekabel abzuschnorcheln, ob irgendwo ein Reizwörtlein auftaucht, dass auf eine Bedrohung hinweist. Dann wird schnell und entschlossen reagiert. Beispiel gefällig? Vor Kurzem hat eine dänische Firma bei einem deutschen Zigarrengroßhändler kubanische Zigarren im Wert von 26.000 US-Dollar bestellt. Die via SWIFT abgewickelte Zahlung wurde von den USA als terroristische Aktivität eingeschätzt und eingefroren. Soviel zum freien Handel im freien Europa. Starker Tobak? Aber nicht doch. Es ist unsere Freiheit, die sie meinen. Vielleicht wird der neue Bundespräsident auch diese Form der Freiheit verstehen lernen. Von wegen "The Man I Love" ...

Was wird.

Das Leben blubbert weiter und Kony 2012 ist immer noch der letzte Schrei. Bei uns ist das Super-Lotto gestartet. Angeblich macht es überhaupt nicht süchtig, diese ehrliche Chance, mit einem Schlag zu den Superreichen zu gehören. Was dort so ehrlich erzählt wurde vom braven Mr. Smith, schlägt nach wie vor hohe Wellen, die Muppets trenden. Wobei die deutsche Übersetzung als Dödel auch ein Stück der Posse ist: Die Wall Street hat kein Problem in Sachen Ethik, sie braucht (wie das Internet) keine. Ethik ist hinderlich, das ist die schlichte Nachricht.

Das Jahr 2012 ist nicht nur ein Turing-Jahr. Die Europäische Komission hat es zum Jahr für aktives Altern und Solidarität zwischen den Generationen ausgerufen. Morgen beginnt in Brüssel der erste Kongress der Aktivisten und beschäftigt sich damit, wie Menschen in der digitalen Seniosphere aktiv wegschrumpeln können, damit das für sie vorgesehene Geld aus den Reserven der Krankenkassen abgeleitet werden kann. Auch der Bundshaushalt ist bar jeder Ethik. Der Frühling ist da, doch diese Pflanze wächst hier nicht.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 25 März, 2012, 07:00
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Eigentlich darf das hier nieman lesen, ohne einen Taler am Kassenhäuschen entrichtet zu haben. Denn die nackte Anarchie beginnt schon, wenn jemand beim Lesen aus meiner kostbaren Wochenschau, ein, zwei Gedanken in seinen Langzeitspeicher schaufelt und dann weiter verwendet. Enteignet bin ich dann von blitzgescheiten Worten, ein armer Schlucker und darf mit Christian Lindner über die "Anarchie des freien Kopierens" jammern und die kulturelle Verlanzung der Welt. Aber hier steht kein Kassenhäuschen. Bestenfalls könnte man von einem Teller sprechen, auf dem die Leser ein paar Cent lassen wie nach dem Besuch eines WC. Auch dieser Vergleich hinkt im Sanifair-Zeitalter mit Zahlschranken und Bonus-Bons. Die hohe Schule des Jammerns zeigte dieser Woche Sven Regener, der einen Wutausbruch am WC hatte und Sanifaire-Zutrittsregelungen auch bei seiner Kunst sehen will: "Man pinkelt uns ins Gesicht" heißt es auf Youtube, das klingt wirklich unfein nach Verrohung der WC-Kultur und nach einem kriminellen Element. Für seinen Wutanfall hat Regener höchstes Lob geerntet, mit dem spitzen Hinweis, das bisher jeder Rock 'n Roll, Punk, Reggae usw. ohne Kultursubvention ausgekommen ist. Der Gegenwind war auch nicht zu verachten, wie Netzpolitik mit Ausschnitten und einer kleinen Linksammlung dokumentiert: Wer gegen den Wind pinkelt, sollte keine hohen Bögen versuchen, sonst geht es ins Gesicht.

*** Was viele in der Aufregung, dass Regener mit der GEMA den Lieblingsfeind aller Internet-Versteher verteidigt, vergessen, ist die Basis deren Existenz. Schließlich ist die Urheberrechtgspauschale u.a. auf Leermedien und zum Kopieren geeignete Geräte, mit der das beliebige private Kopieren von urheberrechtlich geschützten Werken abgegolten ist, eine Art Minimalform der Kulturflatrate. Was viele ebenfalls vergessen: Eine Haltung, die den Künstlern das Recht auf eine Honorierung abspricht, auf das Verdienen des Lebensunterhalts mit ihrer Kunst, macht sich allzu wohlfeil unter einer falsch verstandenen "neuen Zeit des Digitalen" breit. Was viele darüber hinaus ignorieren: NIMBY als Herangehensweise an eine grundsätzlice Überarbeitung des Urheberrechts, das in den letzten Jahren allzusehr zu einem reinen Verwerterrecht verkommen ist, ist keine gute Idee.

*** Interessanterweise können solche Diskussionen über Aufregerthemen ganz locker als empirischer Beweis dienen, dass Heise-Forentrolle ihr Habitat überall haben. Jedenfalls überall da, wo Aufregerthemen mit überkommenen Reflexen bedient werden und dem gemeinen Troll ungeahnte Aufmerksamkeit bescheren. Ach, selige Welt der Online-Foren: Willkommen in der schönen neuen Welt der Social Networks, in der er mittlerweile weltweit erschallt, der Ruf aller Mitdiskutanten: "Don't feed the troll!" Oder, etwas prosaischer: Geh sterben[...]

*** Aber was sind schon Troll-Reflexe und Rants eines Musikers gegen die Winkelzüge der Content-Industrie? Von wegen ACTA ad acta. Obwohl es die Europapolitiker nicht wahrhaben wollen, weht ihnen ein ganz heftiger Wind ins Gesicht, drauf und dran, ein großer Orkan zu werden, der Lobbyisten entwurzelt und für Dachschäden sorgt. Die im letzten WWWW erwähnte Spendenkampagne gegen die Geheimnistuerei der Regierung hat bisher 7000 Euro für den Klageweg eingesammelt, bei dem das Transparenzversprechen des Informationsfreiheitsgesetzes einem Lackmus-Test unterzogen wird. Derweil geben sich die ACTA-Befürworter unerschütterlich, auch wenn es an Verbesserungswünschen nicht mangelt. Der oberste ACTA-Befürworter, EU-Kommissar de Gucht, sieht eine aggressive pan-europäische" Kampagne gegen ACTA laufen, die vor Cyber-Angriffen auf europäische Institutionen nicht zurückschreckt. So stehts in einem Geheimprotokoll, das gerade in mehreren deutschen Ministerien zirkuliert. 22 europäische Staaten hätten ACTA unterzeichnet, die übrigen fünf seien zur Unterzeichnung verpflichtet: Die Zangsargumentation mit europäischen Pflichten kennen wir von der Vorratsdatenspeicherung. Bekanntlich ist Herr de Gucht davon überzeugt, dass der europäische Gerichtshof ACTA durchwinken wird, weil alles höchst wunderbar EU-rechtskonform abgelaufen sei. Geistiges Eigentum ist Eigentum, was gegen die Grundrechte des freien Informationszuganges verteidigt werden muss! Wer dem Druck der Internetgemeinde nachgebe, gefährde ganz Europa! Und überhaupt: Die Glaubwürdigkeit Europas werde von einer diffusen Internetgemeinde mit ihren vollkommen unbegründeten inhaltlichen Einwirkungen zerstört.

*** Die Reaktion auf solcherlei Schwarzweißmalerei kann nur lauten: dann zerstören wir mal, als mündige Bürger Europas. Bekanntlich haben wir in dieser Woche offiziell einen neuen Bundespräsidenten bekommen, der in seiner Rede dem "Demokratiewunder" dank des Engagements der 68er-Generation in Ost wie West einen höheren Stellenwert einräumt als Autos, Kühlschränke und dem neuen Glanz einer neuen Prosperität:

"Neben den Parteien und anderen demokratischen Institutionen existiert aber eine zweite Stütze unserer Demokratie, die aktive Bürgergesellschaft. Bürgerinitiativen, Ad-hoc-Bewegungen, auch Teile der digitalen Netzgemeinde ergänzen mit ihrem Engagement, aber auch mit ihrem Protest die parlamentarische Demokratie und gleichen Mängel aus."

In diesem Sinne muss auch die von Europa angedrohte Strafzahlung wegen der Vorratsdatenspeicherung gesehen werden. Ein paar Millionen Euro sollten uns der Erhalt der Bürgerrechte wert sein, in einer Zeit, in der Millarden zur Rettung des Finanzsystems zirkulieren. Zudem steht eine Debatte über Quick Freeze an, die das Zeug hat, die Bundesregierung zu zerlegen. Eine Regelung, bei der die CDU einlenkt, wie gefordert, ist nicht in Sicht. Es ist ein traurige Anlass, gehört aber zur Diskussion: Dass Frankreich die EU-Regeln der Datenspeicherung befolgt und dennoch ein den Diensten bekannter Homegrown-Terrorist zuschlagen konnte, offenbart die Fruchtlosigkeit des gesamten Überwachungskonzeptes und das polizeiliche Gefasel über Schutzlücken. Ja, man hatte schnell den Computer seiner Mutter ausfindig gemacht, ohne dass reagiert wurde, doch erst ein Motorradhändler brachte die Ermittler auf die Spur. Die klassische Ermittlungsarbeit funktionierte, wie in vielen vergleichbaren Fällen. Man muss nur lesen können (PDF-Datei). Wenn nun in Frankreich ein Besuchverbot für islamistische Webseiten folgt, hätten wir die Totalüberwachung. Die Republik zieht ein Monster groß, aber schuld ist das Internet? Europa, im 21. Jahrhundert.

Der Computer ist
auf dem allerneusten Stand
Da ist noch Pfand auf den Flaschen,
die in der Küche steh'n,
da will ich bald mal Scherben seh'n
Und der Bücherwand,
für die ein halber Wald einmal starb,
schlägt die letzte Stunde bald

Bring' den Vorschlaghammer mit,
wenn du heute Abend kommst,
dann hauen wir alles kurz und klein
Der ganze alte Schrott muss 'raus
und neuer Schrott muss 'rein
bis Morgen muss der ganze Rotz verschwunden sein. (Kriminelles Element)

Was wird.

Wird der ganze Rotz verschwunden sein? Oder wird er, einmal ausgerotzt, eintrocknen und verkrusten, als Festpopel am Arm dazu benutzt werden können, einen Vibrationsalarm unter die Haut schicken, auf dass wir keinen Anruf mehr verpassen? Achja, was Anrufe anbelangt, so stehen die offiziell der syrischen Regierung gehörende Syrian Telecommunication Establishment wie die Syriatel von Rami Makhlouf, dem Cousin von Bashar al-Assad, nicht auf der erweiterten Sanktionsliste der EU. Die Familie darf nicht mehr shoppen gehen, doch Software für die Überwachung des aufmüpfigen Volkes darf nach wie vor nach Syrien verkauft werden. Ein Verbot des Exports von TK-Überwachungstechnik wird es nicht geben. Über den Rest kommt ein blaues Mäntelchen der Verschwiegenheit.

Wie war das noch mit dem Taler am Kassenhäuschen? Ganz für Umme, in dieser verkackten Kostenloskultur im Internet ist ein Artikel von Albert Camus aus dem Jahre 1939 aufgetaucht, in dem er die vier Gebote des Journalismus für freie Journalisten vorstellt und erläutert, wie unter den Bedingungen der Zensur gearbeitet werden kann. Er sollte im Le Soir Républicain erscheinen, einer Tageszeitung in Algier, die unter der französischen Zensur stand. So tröstlich seine Überlegungen sind, so trostlos ist es, dass sich 1939 nicht viel geändert hat: "Un journaliste libre, en 1939, est donc nécessairement ironique, encore que ce soit souvent à son corps défendant. Mais la vérité et la liberté sont des maîtresses exigeantes puisqu'elles ont peu d'amants. -- Ein freier Journalist bedient sich unvermeidlich der Ironie, wenn auch oft widerwillig. Doch Wahrheit und Freiheit sind anspruchsvolle Geliebte, die nur wenige Liebhaber haben." Wo die Wahrheit unter den Tisch gekehrt werden, ist es schon ein kleiner Sieg der Ironie, wenn Starbucks für Aufklärung sorgt: Die Tatsache, dass sich chinesische Untergrundgewerkschafter in solch einem Setting treffen, um Informationen auszutauschen, machte niemanden stutzig. Früher aufgestanden als ein Hahn, später Feierabend als eine Nutte, und dann zu Starbucks?

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 01 April, 2012, 00:10
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** April! April! April! Der mitfühlende Liberalismus feiert einsame Triumphe. Wenn am Montag die "Schlecker-Frauen" ihre Arbeitssuche im Tagespendelbereich beginnen, bekommen sie kleine gelbe Original-Fähnchen zur Anschlussverwendung. Derweil macht sich das Kampfblatt des neuen Liberlaberismus auf die mitfühlende Spurensuche beim politischen Gegner. Schlamm, geworfen, wird hart als Dreck und bleibt irgendo kleben. Doch Aprilscherz beiseite, was ist schon Schlecker gegen das Engagement für Spritschluckerabfüller, die mit Staatshilfe geschützt werden müssen?

*** Natürlich mag man sich fragen, ob die Bürgschaft für einen KfW-Kredit zum Aufbau einer Transfergesellschaft eine sinnvolle Sache ist oder nur Populismus. "Schlecker-Frauen" haben ihre besten Jahre hinter sich und bekommen keine Kinder mehr – das war ein Einstellungskritierium von Schlecker, keine Bösartigkeit. Das Transferkurzarbeitergeld plus Aufstockungszahlung der Transfergesellschaft liegt nun einmal über dem Arbeitslosengeld, zudem bleibt der Anspruch auf Arbeitslosengeld erhalten. Zudem könnten Schulungsmaßnahmen bei denen greifen, die noch nie eine Bewerbung geschrieben haben. Angeblich alles Ideen aus einer anderen beschaäftigungspolitischen Zeit, denn der Aufschwung ist da und Stellen gibt es reichlich im Tagespendelbereich. Ja, so wollen wir leben, so wollen wir arbeiten. Das Geld der KfW ist viel besser bei kleinen Internet-Firmen wie angelegt, wo der Erfolg die Erfinder benebelte. Darauf ein Lied.

*** Der April, der April, der macht, was er will. Aber was will er denn? In Österreich will er zum Beispiel die Vorratsdatenspeicherung. Es gibt Proteste und es gibt Anleitungen, die Spitzelei zu umgehen. Bei uns ist es kurioser, da niemand nichts Genaues wissen will. In der letzten Wochenschau stehen mehrere Links zum Attentäter von Toulouse, der mit herkömmlichen Ermittlungen eingekreist wurde. Das hindert die Zeitung für kluge Köpfe nicht an der Behauptung, dass der Terrorist nur durch alte Internetkontakte und Vorratsdaten gestellt werden konnte. In dem hinter der Paywall liegenden Artikel "Wieder einmal Schwarzer Peter?" wird die Spielkarte der Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger zugeschoben, einer erklärten Gegnerin von Scheinlösungen. Die Spannung steigt, wie ihr auf der Cybercrime-Konvention des Europarates beruhender Vorschlag Quick-Freeze nun in das Kabinett gebracht werden kann, ohne dass die Runde auseinanderfliegt wie eine Gas-Plattform. Achja, April, April: Zwei Mal soll bei uns die Operation Paperstorm zuschlagen, mit einem DDoP.

*** In dieser Woche hat Hans Magnus Enzensberger im Spiegel seine letzte Folge des Panoptikums abgeliefert, einer kleinen, ziemlich schlecht recherchierten Serie über den modernen Überwachungsstaat. Hinter der Paywall liegend muss für "Armer Orwell!" das Zitatrecht her, Enzensbergers Optimismus dokumentieren, warum alles nicht sooo schlimm ist. Denn: Nur 95 Prozent der Bevölkerung werden bei uns überwacht werden. Die Totalüberwachung ist schlicht zu teuer, und die Ökonomie hat schon immer gesiegt in letzter Instanz.

"Es wäre zu aufwendig, eine kleine, aber zähe Minderheit zu entfernen, die sich aus purem Eigensinn gegen die Verheißungen des digitalen Zeitalters sträubt. Fünf Prozent, das sind immerhin über vier Millionen Leute. Also: Nur keine Panik! Auch in Zukunft wird jeder, der es nicht lassen kann, relativ sorglos und analog essen und trinken, lieben und hassen, schlafen und lesen können."

Ist es Altersnarrheit, ist es schlichte Ignoranz, ist es die groteske Unkenntnis des Alltags, die zu solchen Sätzen führt? Allein die Stimmenzuwächse bei den Piraten zeigen, dass offenbar mehr als 5 Prozent der Gesamtbevölkerung, Nichtwähler inklusive, ein Interesse daran haben, ohne Überwachung lieben, lesen und labern zu können. Der weit verbreitete Irrtum, dass die Fraktion "ich hab nichts zu verbergen von den sieben Zwergen" damit jedweder Spitzelei zustimmt, tritt auch hier zum Vorschein. Außerdem gilt: Das kleine, zähe gallische Dorf ist überwacht, wenn 95 Prozent von Gallien überwacht sind.

*** Wer Stanislaw Lems Momentaufnahme "Eine Minute der Menschheit" gelesen hat, wird das Werk "One Human Minute" von J. und S. Johnson kennen, das in Mare Imbirum erschienen ist. Seit diesem epochalen Werk wissen wir, dass die Menge des Ejakulats, das in einer Minute von allen Männern der Erde ausgeschieden wird, auf 45.000 Liter geschätzt wird. In bester Tradition von Lem hat Intel, dessen 8008er-Chip heute vor 40 Jahren erschien, zum Geburtstag des x86-Urahns eine kleine Grafik veröffentlicht, die zeigt, was so in einer Internet-Minute alles passiert. Die 45.000 Liter Sperma verblassen schon deshalb, weil Intels Internet-Minute den üblichen Schweinskrams à la ***tube*** ausblendet, der Youtube locker in den Schatten stellt. Doch 1,3 Millionen Video-Betrachter und 61.141 Musikstücke zeigen deutlich, warum technophobe Urheber meinen, ihnen werde Knete vorenthalten, weil überall Lauerstationen ihr geistiges Eigentum saugen. Man nehme nur den reportierten Fall der Tatort-Autoren, denen immer wieder originelle Einfälle für die schnarchigste Fernsehserie abhanden kommen. Geklaut von CCClern, die einen auf Einheitsfront machen und dabei völlig verpeilt sind. Das Urheberrecht abschaffen, die deutscheste aller deutschen Reaktionen, hat da gerade noch gefehlt. Wo ich bei dieser Downloadklauallekulturistimarsch-Debatte bin: In dieser Woche ist Majos Favorit Over the Rainbow überholt worden, sagt Media Control. Wie war das noch? Nichts ist wichtig, dazu ist die Welt zu groß.

*** Ceterum Censeo: Ich bleibe dabei, dass das Prinzip der Urheberrechtspauschale in all diesen Debatten auf den richtigen Weg weist. Man muss nicht jeden Rant, der den Weg in eine Tageszeitung nimmt, gleich mit einer Gegenprovokation beantworten – auch wenn unter den Rantern Leute wie Friedrich Ani sind, dessen Krimis ich mit Genuss (wenn dieses Wort bei den hintergründigen, machmal düsteren, melancholischen Texten Anis gestattet ist) lese. Und dessen Bücher ich mir daher auch kaufe. Aber die Debatte ergibt sowieso nur Sinn, wenn man von der Voraussetzung ausgeht, dass die Urheber solcher Bücher oder anderer Werke auch zu bezahlen sind. Manch einem, den man schon gar nicht mehr als Mitdiskutant bezeichnen, sondern dem man als Troll seinen Feed wegnehmen möchte, schimpft aber schlicht auf alles, was seiner Saugermentalität zuwiderläuft. DRM? Böse (okay, geschenkt). Urheberrechtspauschale? Ebenfalls böse. Und dann? Bleibt nur, alle, die es sich nicht so einfach machen wollen, als Internetausdrucker zu bezeichnen und ihnen jede Berechtigung zur Diskussionsteilnahme abzusprechen. Ja, die Weisheit der Massen hat manchmal eben auch den Charakter von Mobaufläufen.

Was wird.

Knallhart wird Assads Regime in Syrien unter dem Embargo der Europäischen Gemeinschaft in die Mangel genommen. Auch das war schon Thema in der letzten Wochenschau, doch fehlte dabei ein Bescheid der Bundesregierung, die öffentlich keine Namen nennen will, wie dies verwerflicherweise in der Wochenschau geschah. Wer gesperrt wird, welchen Exporteuren nun Sanktionen drohen, das alles ist streng geheim, denn, hahaha, "Sanktionen verlieren einen Teil ihrer Wirkung, wenn über sie öffentlich diskutiert wird." In vertraulich tagenden Gremien wird man Auskunft geben. Die Konsequenz dieser ganz speziellen Geheimhaltung kennen wir seit den Maut-Verträgen: Die in Syrien-Deals verwickelten Firmen brauchen keine Auskunft zu geben. Als Urheberrechtsabhängiger bin ich wahrlich kein Freund der Piratenpartei, doch das muss man auch nicht sein, um zu verstehen, welch großartige Sache diese Transparenz ist, die sie im Politischen etablieren wollen. Da hilft alles Gebrabbel über Reife und Hörner ihrer Politiker nichts, im Großen wie im Kleinen gibt es genug zu tun.

Ganz klein hat es angefangen, das Vintage Computer Festival Europe, das im April auf dem Kalenderblatt steht. In diesem Sinne ist zu wünschen, dass die einzigartige Veranstaltung weitergehen kann. Darum schließt sich diese Wochenschau an den dringenden Aufruf bei der Suche nach Lagerraum im Münchener Raum an, der schonvon O'Reilly veröffentlicht wurde. Wer weiß, wo dort ungefähr 80 Paletten und noch einmal so viele Gitterboxen sicher unterkommen können, möge sich an hal@heise.de wenden und helfen, die Schätze vor der weiteren Zersplitterung zu retten. Man stelle sich bloß vor, die Schätzchen würden im Sperrmüll landen müssen, wie Patientenakten.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 08 April, 2012, 07:00
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Ostern ist das Fest der altgermanischen Gottheit Ostara, die in einem harten Winter arme Wandervögelchen dadurch rettete, dass sie die verpeilten Piepser in Hasen verwandelte. Sie überlebten, hoppelten herum und legten Eier. Für Christen ist Ostern etwas komplizierter, man denke nur an Petrus, der einfach fischen gehen will. Vergessen wir nicht die Buddhisten, bei denen Siddhartha Gautama heute Geburtstag hat, und die Juden mit dem Pessach-Fest der Befreiung aus ägyptischer Knechtschaft. Dass ihnen ein älterer deutscher Zausel das Fest nicht gönnt, ist bedauerlich. Dass Redaktionen sein "Gedicht" abdrucken, ist natürlich ein Versehen: Wäre es ein Artikel gewesen, hätte es einen Faktencheck gegeben, den das Geschriebene nicht überstanden hätte. So aber soll es ein großer Tag für die deutsche Literatur gewesen sein. Er "hat es auf sich genommen, diesen Satz für uns alle auszusprechen": Schaut her, der nächste, ziemlich deutsche Erlöser ist da, nur die passende Religion fehlt irgendwie noch.

*** Seit dem Leben des Brian wissen wir, wie schnell es passieren kann, dass jemand aus Versehen ans Kreuz genagelt wird. Da hängt er dann und mögen noch so viele religiöse Befreiungsfronten kommen, es wird nicht besser. Ein letztes Pfeifen und dann? Statt großer Götter Gaben möchten wir uns Ostern vielleicht an einem Friedenshasen erfreuen, der in manchen Gegenden auch als Symbol für Freiheit, Liebe und Freundschaft angebetet wird. Außerdem ist der Hase ad calendas graecas ein Rammler vor dem Herren und damit ein echter Urheberhase, der verehrenswerte Gott des Kreatianismus. Dieser einst in biblischen Zeiten gefasste Lehrsatz von der Entstehung der Seele im Moment der Geburt ist längst säkulaisiert worden und bildet das Dogma der "Kreativen", jener Spezies von Content-Verwertern, die jeden Unsinn damit verteidigen, dass er in ihrem Kopf entstand. Ein Beispiel aus der Kampagne für die geistige Abtreibung von Ideen gefällig? "Ohne den Schutz geistigen Eigentums gäbe es wahrscheinlich weder Computer noch Internet, aber das scheint bei den Piraten keinen zu interessieren." Ein Jim Hagemann-Snabe behauptet als Vorstandssprecher der SAP im Handelsblatt diesen Unsinn. Man denke nur daran, wie Gary Kildall bei seiner Arbeit am Intel 8008 auf die Idee einer Abstraktionsebene kam, die als BIOS den Erfolg des 8080 begründete, man denke an die Großrechner davor, die im Schutz militärischer Interessen entstanden. Und wie war das noch mit den IBM-Managern, die, geschult durch die Arbeit im Konzern, als erste die Arbeit ihres Kollegen Edgar Codd verstanden und SAP gründeten?

*** Robert K. Merton und das Geburtstagskind Vroniplag haben hinlänglich bewiesen, dass auf den Schultern von Riesen Hasen wie Häsinnen eine imposante Figur machen. Bleibt die Frage, was Piraten damit zu tun haben. Wer die Geschichte des Urheberrechtes kennt, weiß von den Privilegien Albrecht Dürers, mit denen der Begriff des Schöpfers und Autors im Abendland auftaucht. Weniger bekannt ist jedoch, dass Dürer nicht als Urheber und Produzent seiner Kunst, sondern als Verleger seines "Marienlebens" das Privileg benutzte, um Raubdrucke zu unterbinden. Die neue Technik des Buchdruckes will genutzt, aber auch kontrolliert werden:

"Wehe dir, Betrüger und Dieb von fremder Arbeitsleistung und Einfällen, laß es dir nicht einfallen, deine dreisten Hände an diese Werke anzulegen! Denn lass dir sagen, dass uns das Privileg durch den ruhmreichsten Kaiser des heiligen römischen Reichs, Maximilian, erteilt ist, dass niemand in Nachschnitten diese Bilder drucken oder gedruckt innerhalb des Reichsgebiet verkaufen darf. Solltest du aber in Missachtung oder aus verbrecherischer Habgier zuwiderhandeln, sei versichert, dass du nach Konfiskation deines Besitzes mit der schärfsten Strafe rechnen musst."

Dürers Anrufung staatlicher Macht ist das Grundprinzip jedweder Urheberrechthaberei. Die großartig aufgerufene Kampagne "Mein Kopf gehört mir" ist der Hilferuf von Verwertern, die mit den neue Verwertungsformen ihre Probleme haben. Da kommen die Piraten als neue Partei wie gerufen, wenn sie in ihrem Parteiprogramm geschwurbelte Sätze speichern, die in "erheblichem Maße" all die reizen, die sich im Allgemein viel darauf einbilden, einen eigenen Kopf zu haben. Für sie liest sich diese Passage wie ein Aufruf zur Hasenjagd:

"Im Allgemeinen wird für die Schaffung eines Werkes in erheblichem Maße auf den öffentlichen Schatz an Schöpfungen zurückgegriffen. Die Rückführung von Werken in den öffentlichen Raum ist daher nicht nur berechtigt, sondern im Sinne der Nachhaltigkeit der menschlichen Schöpfungsfähigkeiten von essentieller Wichtigkeit. "

*** Wie es der alte Spaßmacher Zufall will, ist heute nicht nur Ostern, sondern auch der Tag, an dem der US-amerikanische Kongress vor 77 Jahren dem Emergency Relief Appropriation Act zustimmte, der Arbeitsbeschaffungsmaßnahme von Präsident Roosevelt im Zeichen der Großen Depression. 8,5 Millionen Arbeitsplätze wurden von der Works Progress Administration geschaffen, 1,4 Millionen Projekte realisiert, vom Staudamm bis zum Feuerwehrhaus. Kaum bekannt sind dabei die Projekte, die als Federal Arts Project, Federal Writers Project und Federal Theater Project in die Geschichte eingingen. Zahllose Künstler produzierten große Werke dank einem Grundeinkommen, finanziert vom Staat – und von Firmen wie IBM, die das New Deal Network unterstützte. Steinbecks "Früchte des Zorns" waren prompt Produkte staatlich gelenkter kommunistischer Propaganda.

*** Was sagt eigentlich der öffentliche Raum dazu, was die Piraten wollen? Ist es nicht diese schlimme Umsonstkultur, die selbst beim kleinen Verlag in der norddeutschen Tiefebene um sich gegriffen hat, wo seine "seine in jeder Hinsicht allwissenden und immer und zu (beinahe) jedem Thema 'Bescheid wissenden' Forennutzer" den Strom alltäglicher Nachrichten unterfüttern? Müssen sie, die als Urheber manch merkwürdiger Gedanken ebenso als überaus nützliche Newstrüffelschweine ebenfalls in die Geschichte eingehen mögen, nicht eigentlich auch entlohnt werden? Am Ende steht ein Heberrecht für alle, die auf die Schultern von Giganten streben.

*** Und wenn dann alle Urheberrechtsdebatten wieder mal zu nichts geführt haben, wenden wir uns wieder der Kunst zu. Der Kunst? Die mag im Auge des Betrachters liegen, wie sie zu ihm kommt dagegen, dafür gibt es ja Dienstleister. Auch wenn Jim Marshall nun, ziemlich genau 50 Jahre nach der Vorstellung seines ersten Amps, auch schon tot ist. Diese Dienstleister aber dürfen sich mittlerweile auch in Deutschland ausbreiten, so diskutiert man dann etwa heftig, wer denn der vielen auf den ersten Blick sehr ähnlichen Musikstreamingdienste den geneigten Beobachter am geeignetsten erscheinen mag. Seltsame Verhaltensweisen stellte ich in der letzten Zeit an mir selbst fest: Es gibt wieder so etwas wie einen "Buch, das man auf eine einsame Insel mittnimmt"-Effekt. Diesmal eher musikalisch: Welche Musik packe ich auf mein Smartphone (MP3-Player? Ach, das ist doch sowas von 2000er[...]), was will ich unbedingt dabei haben, wenn mal für den Musikstreamingdienst so gar kein Netz zur Verfügung steht? Eine Frage an die Leser, es ist Zeit für die ultimative "Welche Musik die Heise-Foristen aufs Smartphone packen, um in nicht vernetzten Gegenden der Welt musikalisch versorgt zu bleiben"-Liste. Darf ich anfangen? Ach, was frag ich, ich mach's einfach. Das hat sich in den letzten Monaten und Jahren auf meinen Smartphone dauerhaft etabliert:

    Miles Davis, Kind of Blue
    John Coltrane, A Love Supreme
    Charlie Haden's Liberation Music Orchestra, Ballad of the Fallen
    The Vandermark 5, Airports for Light
    Avishai Cohen, Gently Disturbed
    John Zorn, Bar Kokhba
    Michael Wollny, Eva Kruse, Eric Schaefer, [ em ] live
    Esbjörn Svensson Trio, e.s.t. live in Hamburg
    Luigi Nono, Al gran sole carico d'amore
    Fehlfarben, Monarchie und Alltag

So kanns dann Ostern werden. Mit Netz oder ohne. Ohne Netz? Ach, lieber doch nicht, bei aller gesicherten musikalischen Grundversorgung (und brav den Obolus zur Grund- oder Besser-Versorgung all der geliebten Künstler entrichtend).

Was wird.

Während der chinesische Künstler seine Webcams ausschalten muss, die er als Protest gegen seinen Hausarrest installiert hatte, freut sich der freie Westen über Google Glass, die nächste Stufe allseitiger Überwachung. Big Brother schaut dich nicht an, er guckt mit dir und findet sich dabei ganz lieb. Vergessen ist die peinliche Situation, das Smartphone nicht schnell genug in Anschlag bringen zu können, wenn mann Zeuge eines österlichen Anasyrma-Rituals wird. Google speichert alles mit, was Hasenköpfe interessiert.

Ja, Big Brother hat seit vielen Jahren ein Bürgerteufelchen, das ihn verfolgt und besonders peinliche Aktionen anprangert. An einem Freitag, dem 13. ist es in Bielefeld wieder einmal soweit mit der alljährlichen Leistungsschau der Taten von "Datenkraken", die in der Hechelei präsentiert wird. Ausrichter ist der FoeBuD, ausgeschrieben "Verein zur Förderung des öffentlichen bewegten und unbewegten Datenverkehrs e. V." Zunehmend wird dieser FoeBuD offenbar mit Vöbook verwechselt, einer börsentauglichen Speicherstelle für öffentliche Bewegsamkeit. Dies hat zur Folge, dass der FoeBud einen neuen Namen sucht. Als VeFoe ist er sicher nicht illtümlich zu velwechsern.

Ob Eier, Hasen, Kreuze oder ungesäuertes Brot zu Ihrem Ritual gehören, ob Sie mit digitalen oder analogen Computern beschäftigt sind, das Tanzbein schwingen oder sich an einem dieser Traditionsfeuer bestänkern lassen und beschwippsen, es ist egal. Die Verlagsenten wünschen frohe Festtage.

Quelle : www.heise.de
Titel: Re: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: Jürgen am 09 April, 2012, 00:44
Zitat
"Ohne den Schutz geistigen Eigentums gäbe es wahrscheinlich weder Computer noch Internet..."
Völlig falsch.
Das uns bekannte Internet konnte nur entstehen, weil gerade dafür ein Haufen Spezifikationen und Code frei verfügbar gemacht wurde.

Auch die rasante Verbreitung insbesondere der PCs wäre ohne offengelegte Standards so nicht möglich gewesen.
Hätte man auf Abgaben zu jedem erdenklichen Detail bestanden, wäre die billigste Kiste heute immer noch so teuer wie ein Kleinwagen...

Weder das vorhergegangene Arpanet, noch BTX, noch irgendwelche Mailboxsysteme oder andere elektronische Kommunikationsformen hatten eine Chance auf so eine großartige Verbreitung bis in den Alltag hinein, oder auf eine so rasante Weiterentwicklung oder auf weitgehend freie Verfügbarkeit bis in die hinterletzte Ecke der Provinz.
Mittlerweile wären sogar weite Teile unserer Industrie, des Handels, des Geldverkehrs und selbst des Staats ohne das Internet kaum noch handlungsfähig.
Konkurrenzfähig ohnehin nicht.

Wäre ein Geistiges Eigentum an HTML, TCP/IP & Co. geltend gemacht worden, hätte die Welt, insbesondere der weit überwiegende ärmere Teil, diese Chance nie erhalten.
Dann hätten wir keine Datenautobahn, sondern immer noch holprige Pfade mit Mautstellen in jedem Kaff.
Zugegeben, Wegelagerer gibt's trotzdem reichlich, manche sogar mit Unterstützung der Mächtigen.
Und einige Beutelschneider wollen uns allen wegen irgendwelcher Eigentumsansprüche an den Beutel.

Die Gedanken sind frei.
Und wer meint, Ideen, Formulierungen, Erkenntnisse, Erbgut oder unsere Atemluft sein eigen nennen zu dürfen, nur um uns klein zu halten und hemmungslos auspressen zu können, der muss sich künftig dem zunehmenden Unwillen der Bürger stellen.
Halb Arabien jagt die Diktatoren zum Teufel.
Es ist durchaus möglich, dass so etwas demnächst hierzulande auch gewerblichen Raubrittern droht.

Jürgen
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 15 April, 2012, 06:30
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** gtfo? Soi, soi soi soi, die Osterhasen hoppeln weg, wenn die ROFLCOPTER durch die Luft schwirren, weil empörte Bürger auf die blutige Geschichte von Schwarzbart und Störtebecker aufmerksam machen. Welch blutige Geschichten mit christlichen Vorzeichen in der Vergangenheit geschrieben wurden, sei hier lieber nicht ausgeführt. Dabei ist "Roflcopter gtfo" noch harmlos. Man denke nur an den 4chan-Thread vom armen von der Polizei verfolgten Mann, dem ein genreübliches "Tits or gtfo" in höchster Not zugerufen wurde, komplett mit einem Auftritt im Fernsehen, was dem Mem von einem Gorilla-Fetisch Zucker gab und ebenfalls ausgestrahlt. Alles nur wegen gtfo! omg!

*** Nein, man muss die Piratenpartei nicht mögen. Wirklich nicht. Bedenkt man indes, was die etablierten Parteien gerade anstellen, so ist der Aufstieg der Piraten unvermeidlich. Christlich, sozial und frei wollen sie sein und arbeiten doch nur an der Entmündigung des Einzelnen. CDU/CSU, SPD und FDP planen einen Maulkorberlass für das Parlament, nach dem nur noch von den Fraktionen eingeteilte Redner sprechen können. Aus dem Abgeordnetenhaus wird ein Fraktionshaus, in dem Disziplin wichtiger ist als die Debatte. Der raketenmäßig geschockte nordkoreanische Volksdelegiertenkongress schickt sicher Grüße im Namen der Effektivität. Der nächste Schritt ist klar: Man ersetze die Politiker durch von Wasser polierte Steinstücke, dann ist die Effizienz noch größer.

*** Die Grünen, die Linke und eben die Piratenpartei haben sich gegen die Einführung der Fraktokratie in Deutschland ausgesprochen. Vielleicht werden solche Vorschläge von CDU/CSU und SPD nur gemacht, um noch mehr Stimmen für die Piraten zu generieren, vor der großen schläfrigen Bundeskoalition, die uns dann droht. Dass die Piraten und nicht die Grünen oder Linken dabei der große Gewinner sind, hat aber auch viel mit der brachialen Rhetorik zu tun, die gegen die Piraten ins Feld geführt wird. Vom unflätigen Gegeneinanderausspielen ist da die Rede, wenn es ums Urheberrecht geht und vom Pöbel. Ja, das Wort vom Shitstorm hat diese Woche eine bemerkenswerte Karriere gemacht. Dazu gibt es eine Lektion in Sachen Copy and Paste: Was Lobbyorganisationen den Parteien ins Wahlprogramm schreiben, wird ausgeklammert.

*** Die Piratenpartei kommt bei jüngeren Wählern angeblich darum an, weil sie ihr Lebensgefühl anspricht. Lebensgefühl? Dieses Wort aus dem Phrasenbeutel der Reisejournalisten verschleiert, welchen Stellenwert IT im Alltag vieler Menschen hat. Das hat wenig mit ROFL, Shitstorm und Twitter zu tun, schon gar nichts mit Sofortness und Jederzeitintelligenz, sondern sehr viel mit Tools wie Liquid Feedback, mit denen Politik ganz anders laufen könnte als nach dem Diktat von Geschäftsführern. Der verächtliche Unterton, mit dem die IT-Lastigkeit der Piraten kommentiert wird, gibt zu denken. Wie geht das zusammen, der deutsche Stolz auf das erfolgreiche Geburtstagskind SAP, das Systeme, Anwendungen und Programme neu definierte, und dieser absolute Unglaube, wenn IT-erfahrene Menschen die Maschinerie der Politik in Systeme, Anwendungen und Programme zerlegen? "In bestimmten Regionen ist das alles so verschaltet: Du drückst einen Knopf hier – und ganz da hinten bewirkt das eine Reaktion", so Exminister Töpfer im offline verfügbaren Wochenend-Interview der Süddeutschen Zeitung über das ganz deutlich erfahrbare "Netz der Verflechtungen und Informationen", aus dem Politik besteht. Wer hier mit Transparenz und Feedback kommt, kommt mit eigentlich mit Begriffen aus der Kybernetik als Steuertechnik. Erinnert sei an den deutschen Kybernetiker Georg Klaus, der ein universales Steuersystem in der DDR einführen wollte, auch in der Politik. Dann sei es möglich, sofort jede Wahlfälschung zu beweisen, behauptete Klaus - und wurde zum Schreiben von Wörterbüchern verdonnert.

*** Das größte Ärgernis in der Diskussion über die Piraten ist nicht die völlige Überbewertung der idiotischen Sonntagsfrage, sondern die Behauptung der Gegensätze vom digitalen und analogen Leben. Bis aufs Weitere ist der von Ray Kurzweil beschworene magische Moment der Evolution nicht in Sicht, an dem wir unser Hirn auf die Festplatte oder in die Cloud kopieren und den Körper verwesen lassen. Bei aller Sofortness gehen wir immer noch aufs Klo und leben dennoch digital. Es gibt keinen vom Meatspace getrennten Cyberspace. Nichts ist seltsamer, als einen am Blackberrytropf hängenden Politiker über das digitale Leben der Jugend oder von einer digitalen Parallelwelt schwadronieren zu hören. Auch der anlässlich der Eröffnung des EU-Centers gegen Cybercrime übermittelte Satz der EU-Komissarin Cecilia Malmström vollzieht diese Unterscheidung: "Wir dürfen nicht zulassen, dass Cyber-Kriminelle unser digitales Leben zerrütten." Der Unsinn wird dann klar, wenn im "digitalen Leben" durch Phishing das Girokonto zerrüttet wird und die Geldausgabe im realen gestört ist. Immer spielt die Theorie der zwei Welten mit der Angst derer, die nicht verstehen wollen, warum das Digitale in einem viel umfassenderen Sinn längst real ist .

*** Es gibt ja viele wohlfeile Argumente, die immer wieder gegen das Leben in der digitalen Welt vorgebracht werden. Die dumpfbackige Kritik an den Nerds, die auf dem Smartphone den Wetterbericht lesen, statt aus dem Fenster zu sehen, hat was von "Hach, guck mal, die lieben Kleinen..." Wer dann im Regen steht, muss sich über die Schadenfreude eben dieser lieben Kleinen nicht wundern. Wer die Benutzer der Werkzeuge lächerlich macht, statt den Nutzen und die Wirkungen der Werkzeuge einschätzen zu können, wird später von denen beherrscht, die außer den Werkzeugen nichts mehr wahrnehmen. Das Kopfschütteln auf beiden Seiten der angeblichen Analog/Digital-Dichotomie ist ja eigentlich nur ein Symptom dafür, was in Wirklichkeit nicht begriffen wird: die nahtlose Integration von analoger und digitaler Welt. Die Fronten aber scheinen sich immer weiter zu verhärten zwischen denen, die angeblich in Digitalien leben, und denen, die das mit Skepsis sehen. Beide Seiten verpassen aber in diesem Fall die Chancen, die sich bieten. Wobei als rückwärtsgewandt ja meist nur diejenigen dastehen, die die analoge Welt gegen die digitale ausspielen wollen. Rückwärtsgewandt erscheinen mir aber auch diejenigen, die "der anderen Seite", die noch rein in der analogen Welt lebt, jede Mitsprache abstreiten: "Lasst uns in Frieden, ihr habt ja eh keine Ahnung." Als ob diejenigen, die von sich behaupten, Ahnung zu haben, schon deswegen Entscheidungsrecht zustünde. Man kann es eigentlich nicht oft genug wiederholen: Eine Meritokratie oder gar eine Expertendiktatur, die Platons Staatsverständnis und sein Ansinnen der Philosophenherrschaft auf moderne Zeiten transferiert, ist schlicht eine Vorstellung, die Brechreiz bereitet..

*** Was bleibt? Nicht viel. Außer im Schmutz zu wühlen. Denn: Nach Waldarbeiter, Milchbauer, Soldat und Arbeiter auf einer Ölplattform ist Journalist der fünftdreckigste Beruf der Welt. Wie immer hat das seine zwei Seiten: Es verwundert dann auch nicht, dass manche Journalisten den dreckigen Fakten aus dem Weg gehen ...

Was wird.

Ach Transparenz! Wie lautete noch der Anspruch von Wikileaks? Der offizielle Trailer der Serie von Interviews ist draußen, mit denen Julian Assange die Welt von morgen erklären möchte. Am Dienstag startet die Show im putinfreundlichen russischen Fernsehen, in den USA sollen einige Kabelsender von Comcast und Time Warner Interesse an einer Übernahme haben. Nach Angaben der Nachrichtenagentur Twitter werden uns Interviews mit Noam Chomsky, Tariq Ali, Nabeel Rajab, Moazzam Begg, Anwar Ibrahim und Moncef Marzouki über die ganze Schlechtigkeit der Welt aufklären. Wie schlecht sie ist, kann einer Klage entnommen werden, die der mit Preisen überhäufte australische Journalist Assange beim britischen Presserat (PDF-Datei) eingereicht hat. Praktisch jeder dort erschienene Bericht über Assange wird von Assange gerügt, weil ihm die Wortwahl nicht passt. Neben den Ungenauigkeiten, dass Schweden nach seinen Sex-Eskapaden eben keine Klage erhoben hat und die Vorwürfe erst untersuchen will, sollen Berichte falsch sein, nach denen er eine Auslieferung an die USA befürchtet. Alter Schwede, könnte man rufen, doch im Zeitalter der Roflcopter verstehen die wenigsten das Schimpfwort aus dem 30jährigen Krieg.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 22 April, 2012, 07:00
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Heute nacht werde ich leise, ganz leise zum Verlag radeln, die Ketten gut geölt, die kleine Wochenschau auf einer 5 1/4"-Diskette, die bei der Übergabe keinen Krach macht. Ich werde alles tun, um die Zeitungsenten nicht zu erschrecken, die Nachwuchs bekommen haben. Es ist zwar nur ein Entlein und hat nicht das Kaliber der ausgewachsenen dpa-Ente, die nach dem Hamburger "Grundsatz"-Urteil in die weite deutsche Presselandschaft entfleuchte. Aber es ist ein teichechtes Heise-Entlein, mit allen Redakteurswassern gewaschen, gefüttert mit bestem Trollfutter, auf dem besten Weg, eine große Ente zu werden, bereit für den Tag, an dem sie ihrem Naturell nach für eine Entblödung sorgen wird. Da heißt es leise sein, ganz leise.

*** Bekanntlich findet Journalismus auf der Borderline zu den verschiedenen Verschwörungstheorien statt, erst recht ist das beim IT-Journalismus der Fall. Statt Entblödung der Leser kümmere ich mich heute lieber üm die Entsouveränisierung, wie der deutsche Übersetzer von Buckminster Fuller die "desovereignization", die schrittweise Dezentralisierung nannte. Folgt man Fullers Grunch of Giants, verlieren die Großen Piraten, die die Erde seit der Bronzezeit kontrollieren, die Kontrolle an das Internet und seine Nutzer. Sie werden nach dem Versagen der repräsentativen Demokratie die elektronische Demokratie einführen, in der schlussendlich das Gehirn Internet die Geschicke der Erde steuert:

"Nie zuvor waren die Ungerechtigkeiten und die Wucht einer gedankenlosen Geldmacht so offensichtlich für eine solch gewaltig große Menge gebildeter, kompetenter und konstruktiv denkender Menschen auf der ganzen Welt. Bald wird ein kritischer Moment erreicht sein, in dem die Intuition der verantwortungsgeleiteten Mehrheit, im Gegensatz zu zornigen Maschinenstürmern und rächenden Robin Hoods, angesichts einer umfassenden funktionalen Diskontinuität des nationalen techno-ökonomischen Systems nach weltweiter Reorientierung unserer planetarischen Affären ruft und diese durchsetzt."

*** Wo die Hälfte der Welt von der Entbräunung der Piraten schreibt und die andere sich über die urheberrechtliche Enteignung durch diese Truppe entrüstet, ist der Blick auf Bucky die passende Entdämonisierung. Denn die von ihm behauptete Systemselbstkorrektur durch das elektronische Netz basiert auf der Transpare nz und Informationsverfügbarkeit aller Entscheidungsprozesse, die für jedermann einsehbar und zur Zufriedenheit aller zu rationalen Entscheidungen führen. Wie sonst erklärt sich die sonderbare "Schweigespirale" der Sonntagsfrage, in der die Piraten weiter in der Wählergunst zunehmen, obwohl ihre Gegner das härteste Geschütz Deutschlands aufgefahren haben: Currywurst mit Pommes und Mayo. Wer kann so ein engagiertes Sachargument schlagen?

*** Ach ja, das Urheberrecht. Gegen die Piraten hat der Drehbuchautor Niki Stein ein weiteres Pamphlet in die Welt gesetzt, das eine köstliche Passage enthält: "Ich weiß, jetzt wird ein Aufschrei durch die Gemeinde gehen: Ausspähung, Vorratsdatenspeicherung, Staatstrojaner! Aber die Trojaner, die Facebook, Apple, Amazon wahrscheinlich schon längst in euren Computern installiert haben, sind euch offenbar egal." Sicher darf man von einem Tatort-Drehbuchschreiber und Regisseur nicht erwarten, dass er weiß, wie ein Trojaner funktioniert. Aber mindestens sollte er wissen, unter welchen miserablen Bedingungen die 44.000 Journalisten in Deutschland arbeiten. So bleibt es beim enttarnten Großverdiener, der um seine fette Geldbörse fürchtet. Hier darf der Verweis auf den Kollegen Suchsland nicht fehlen und ein ehrenwerter Link muss her: "Sie nennen es Urheberrecht. Aber sie meinen Verwertungsmonopol. Ich sehe einstweilen in allen, die dagegen kämpfen, meine Verbündeten, und in denen, die solche Monopole verteidigen, Komplizen der Ausbeutung."

*** Ach ja, die Vorratsdatenspeicherung. Ein Dutzend Tickermeldungen in einer Wochen sollten genügen? Nein, tun sie nicht, weil das Umdenken längst hinter den berühmten verschlossenen Türen in aller Intransparenz stattfindet. Damit ist diese Ente gemeint, die zwar offiziell dementiert wird, aber das Zeug zu einem flugfähigen Vogel hat. Man leser nur, wie die tageszeitung vom parteipolitischen Datensalat berichtet und es akzeptabel findet, dass Internet-Verbindungsdaten sechs Monate auf Vorrat gespeichert werden, während es für Telefondaten keine Vorratsspeicherung geben soll. So etwas nennt sich offiziell Kompromiss, doch der Ornithologe und Fachmann für faule Eier dürfte eher Orwells Entente gesichtet haben.

In der letzten Wochenschau angekündigt, erwies sich die erste Fernsehshow des Australiers Julian Assange im russischen Fernsehen als furchtbare Enttäuschung. Im Julianischen Kalender sollte dieses harmlos-freundliche Interview mit dem Hizbullah-Chef Hasran Nasrallah als Lehrstück abgeschrieben werden. Auf den Satz, dass die Juden den Holocaust übertreiben und selbst instrumentalisieren, hätte ein Assange eine Gegenfrage haben müssen, um sich vom Mainstream Media abzusetzen. So dürfte sich nur Israel Schamir über sein Husarenstück gefreut haben. Es kann nur besser werden.

Was wird.

Ob es besser wird, wenn die netzerische Tiefe des Raumes entzaubert wird, die vor 40 Jahren ein schlichter Elfmeter war? Zumindest war besagte Tiefe keine Ente, sondern entsprang der Phantasie eines FAZ-Feuilletonchefs und hatte als solche urheberrechtlich eine beträchtliche Schöpfungshöhe, auch wenn das Original anders lautete: "Der aus der Tiefe des Raumes plötzlich vorstoßende Netzer hatte 'thrill'."

Thrill, das ist es wohl, was diese Tage haben sollen, wenn ein Großes Haus wie das Bundesinnenministerium eine "aufregende" Nachricht mit der Bitte um Veröffentlichung schickt, die sich nach dem Klick als Förderprogramm für Personalausweis wie De-Mail (PDF-Datei) entpuppen. Beide Leuchtturmprojekte werden entetiert betrieben, doch der Thrill ist nicht da. (Ohne Google hätte ich das schöne entetiert nicht gefunden, ein Dank von Urheber zu Verheber). Die Belebungsmaßnahmen für die behördliche Kopfgeburt namens De-Mail sind in vollem Gange.

Und sonst so? Thrill oder Pfeifen, wohin man auch schaut. Auch wenn die elektronische Gesundheitskarte nach wie vor in der Kritik steht, geht ihre Ausgabe munter weiter. Nach Schätzungen der Kassen sind 15 Millionen Karten draußen, bis Ende des Jahres 2012 sollen es mindestens 48 Millionen sein, so die staatlich festgesetzte Quote. Wer seine Karte mit einem dieser Standard- oder Komfort-Kartenleser ausliest, die für den elektronischen Personalausweis gedacht sind und auch über einen Slot für kontaktbehaftete Karten verfügen, findet auf der Karte mehrere Zertifikate, darunter seinen PIN.home für die fortgeschrittene Signatur. Die sollte der Versicherte als viel zitierter "Herr seiner Daten" einsetzen können, etwa in der elektronischen Kommunikation mit seinem Arzt, der den öffentlichen Schlüssel bekommt. In den Spezifikationen heißt es: "Bei der Erstausgabe müssen nach jetzigem Stand keine Daten auf der eGK geschützt werden; außerdem sind noch keine Anwendungen angelegt, die durch die PIN.home geschützt sind. Deshalb darf bei der Erstausgabe der eGK und bei Folgekarten muss für die PIN.home neben dem der Versand einer Echt-PIN auch ein Leer-PIN-Verfahren eingesetzt genutzt werden. Es ist möglich, die PIN.home zeitnah mit dem Versand der eGK oder erst später nach Anforderung durch den Versicherten, der die genannten Funktionen nutzen will, in einem PIN.Brief zu übermitteln." Wer die Funktionen als mündiger, moderner Bürger nutzen will, läuft heute gegen die Wand. Die Krankenkassen mauern und verweigern den Einsatz der eGK in diesem vom Gesetzgeber vorgesehenen Sinn. So entpuppt sich das Gerede vom Bürger als Herr seiner Daten als hohles Geschwätz und nährt den bösen Verdacht, dass diese "mündige Herrschaft" von Anfang an eine regierungsamtliche Ente war. Aber auf schicken Messen die Gesundheitskarte feiern, das freut die Branche der Informationstaktiker.

Schönen entenreichen Earth Day noch, mit besonderen Grüßen nach Bahrein.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 29 April, 2012, 08:00
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

Jetzt ist es also passiert. Die im Forum diskutierte Privilegienmuschi hat es in die tageszeitung der ach so alternativgrünen Besitzstandsbewahrer gebracht, während das Pornomagazin Privilege Pussy längst in Vergessenheit geraten ist. Da bleibt mir nur noch übrig, den großen Gewerkschafter Nicholas Klein zu zitieren: "And, my friends, in this story you have a history of this entire movement. First they ignore you. Then they ridicule you. And then they attack you and want to burn you. And then they build monuments to you. And that, is what is going to happen to the Amalgamated Clothing Workers of America." Jetzt werden also die Monumente gebaut und die Pirat Gandhi lacht. Einen privilegierten Witz über die Frauenzone schenke ich mir, er ist so or-binär.

*** Bekanntlich ist Superkalifragilistischexpialigetisch, in der Wikipedia mit der Ordnungsnummer 137 zwischen Fontanes Summa Summarum und dem süßen wie ehrenvollen Sterben eingeordnet, aus dem englischen supercalifragilisticexpialidocious entstanden, das wiederum auf supercaliflawjalisticexpialadoshus zurückgehen soll. Die Übersetzung "Für Erziehbarkeit durch heikle Schönheit büßen" legt nahe, dass es sich um irgendwelchen Schweinskrams handeln könnte, doch soll das Wort angeblich eine Reaktion auf das damals längste englische Wort "Antidisestablishmentarianism", womit wir schon wieder inhaltlich bei den Piraten wären. Was die Länge der deutschen Worte anbelangt, so gibt es bekanntlich gerade im Web ganz andere Kaliber wie den emergenten Kontrollverlustschutzfiltersouveranitätsbeauftragten.

*** Das erwähnte Blatt der Besitzsstandsbewahrer merkt pikiert an, dass Deutschland ein Zwangsgeld in Millionenhöhe droht, weil es vorerst keine Datenspeicherung gibt und ein garstiger Showdown mit Brüssel droht. Hübsche Summen machen die Runde, die taz kommt auf 32,5 Millionen, der AK Vorrat nach diesem Bericht gar auf 70 Millionen, was die Forderung nach einen Rücktritt von Sabine Leutheusser-Schnarrenberger unterstreichen soll. Welche Aufmüpfigkeit erdreistet sich das deutsche Justizministerium da? Doch halt, selbst das Heimatland von Kommissarin Cecilia Malmström hat die Vorratsdatenspeicherung nicht umgesetzt und müsste deswegen eigentlich 15 Millionen Euro pro Jahr zahlen. Im Mai soll dort der Bürger unter Dauerbeobachtung gesetzt werden, doch hat das Land bis jetzt keine einzige Krone Strafe gezahlt. Niemand regt sich dermaßen über die 46,5 Millionen Euro auf, die beim VW-Gesetz fällig werden. Der Gipfel der Heuchelei ist dann erreicht, wenn aus dem Patt die Rücktrittsforderung abgeleitet wird. Der Rochaden-Logik nach wäre dann auch Innenminister Friedrich dabei, weil die Forderungen aus seinem Haus die Vorgaben der Verfassungrichter hartnäckig ignorieren. Wie sagte es nochmal Gandhi? "Folkets längtan efter frihet kan i det långa loppet inte slås ner. Den kommer att leva och segra till sist." Ach, das war Olof Palme über den Ruf nach Freiheit, der nicht unterdrückt werden kann und der am Ende gewinnt? Dieses Zitat findet sich bei der Bahnhof-Tochter Anonine, wo gegen Vorratsdaten auch Verdacht getunnelt wird. Das packen wir gleich mal auf Wiedervorlage, lieber eco.

*** Alles, was Cyber ist, verursacht immensen wirtschaftlichen Schaden, wenn es bei den falschen Verwertern landet. Tapfer, doch anscheinend aussichtlos kämpft die NATO gegen eine Flut von Cyberattacken. Auch an der Heimatfront ist die Lage angespannt. Das sollten vor allem Unternehmen beherzigen, die nach dem Willen des erwähnten Innenministers flugs mittuen müssen beim Cyber-Abwehrzentrum. Wenn sie nicht spuren, die Hidden Campions, werden sie zwangsverpflichtet zur täglichen Meldung von der Cyberfront. Dass bei den so gern bemühten Mittelständlern die Mitarbeiter das größte Cyber-Risiko sind, ist offenbar kein Problem, wenn alles zentralisiert ist bei der Abwehr. Wo ein von der Bundesregierung gesteuertes Abwehrzentrum agiert, winken natürlich dicke Aufträge für die Abwehrprofis und so wundert es niemanden, wenn der Luftfahrts- und Rüstungskonzern EADS Cassidian den Aufbau einer Cybersecuritysparte verkündet, die zunächst in Deutschland, Großbritannien und Frankreich abwehren helfen soll, mit einem Umsatz von 500 Millionen. Nahezu ausgeschlossen ist es, dass bei diesen Summen Menschen mit Verstand den Zirkus betreten und wie hier im Fall der Virenangriffe erkennen, dass der Kaiser nackt ist in dem Sicherheitstheater.

*** Noch etwas ist passiert: Mit dieser Erklärung hat sich die Piratenpartei von einer seltsamen Holocaustdebatte gelöst, was Julian Assange bei seiner TV-Show schon in der ersten Folge nicht gelang. Da hörten wir vom Hizbollah-Chef, dass die Juden den Holocaust übertreiben. In der neuesten Folge der Show wurde auch das noch getoppt in einer "Diskussion", in der der Kopf von Wikileaks keine gescheite Frage stellte. So lernen wir diesmal, dass die Palästinenser Nazis sind, Barack Obama ein Kommunist (beides David Horowitz) und ein Vertreter eines Sozialismus mit menschlichem Anlitz die niederste Stufe des Lebens darstellt und lebensunwert ist wie ein Frosch (Slavoj Zizek). Dazu kommen von beiden "Diskutanten" Stalin- und Gulag-Witze, die wohl im russischen TV ankommen. Anderes ist dieser Klamauk namens "Die Welt von morgen" nicht zu erklären, der Ekel hinterläßt. Da fehlt nur der Kommentar der maoistischen Nachrichten und bereitet uns bestens auf den Kampftag der Arbeiterklasse vor.

Was wird.

Vor 25 Jahren wurde in Berlin-Kreuzberg aus einem Straßenfest am Lausitzer Platz etwas, das heute als Kiezaufstand bezeichnet wird. Die Straßenschlacht mitsamt der Plünderung eines Supermarktes ist seitdem zum Schaulaufen der autonomen Linken in Konkurrenz zu den etablierten Mai-Kundgebungen zum "Tag der Arbeit" der Gewerkschaften geworden. Die Eskalation zu dem, was dann die Kreuzberger Krawalle wurden, begann mit einer Polizeiaktion gegen das Organisationsbüro des Aktionsbündnisses gegen die Volkszählung, aus der die autonome Szene ihre Entrüstung bezog. So fing alles an. Am Dienstag werden 15.000 Demonstranten zu einem bunten Kulturprogramm in Berlin erwartet, das mit einer antikapitalistischen Walpurgnisnacht im Wedding beginnen soll. Aus dem britischen Slogan "Reclaim da streets" ist nicht die Aufforderung übersetzt, die Straßen zurückzuerobern, sondern ein seltsames "Nimm, was dir zusteht!". Wie war das noch vor 25 Jahren? Nimm, was dir steht!.

Gleich nach den Maifeierlichkeiten geht es in Berlin noch radikaler zur Sache: "Act!ion" ist angesagt, doch was nachgerade anarchistisch klingt, ist nicht so gemeint. Wenn 4000 Blogger, Social Media-Aktivisten und -Pick^H^H^H -Berater zusammentreffen, wird geredet und nicht randaliert. Die re:publica 2012 mit 350 Sprechern ist Deutschlands "größte Konferenz über Blogs, soziale Medien und die digitale Gesellschaft " geworden und beweist, wie man aus einem Camp ein finanziell ordentlich florierendes Gewebe macht. Vom Kampf auf den Strassen zum Kampf um die Steckdosen verschieben sich die Akzente. Wenn schließlich Merkels Regierungssprecher sich generös auf offener Bühne zum Interview stellt, bleibt nur zu hoffen, dass kritische Fragen gestellt werden im Dialog über Deutschland, die Ukraine und die Welt.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 06 Mai, 2012, 00:07
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** "Do not harm", verletze nicht. Erinnert ein bisschen an das Google-Motto Don't be evil, sei nicht böse, und ist in seiner kantianischen Einfalt durch und durch amerikanisch. Do not harm, das soll laut Eben Moglen das erste Gesetz der "media robotics" sein, jener Sparte des Journalismus, die den von wahnsinnigen Menschen gemachten ablöst. Basierend auf den Robotergesetzen von Isaac Asimov, ist dieses do not harm als Mediengesetz wohl der größte Unsinn, den Moglen auf der re:publica erzählte, mehr noch als die gute Nachricht, dass Steve Jobs tot ist. Denn Moglen verstieß umgehend gegen sein erstes Gesetz, als er den Architekten Philip Johnson (Seagram Building, Kunsthalle Bielefeld) so charakterisierte, um ihn mit Steve Jobs vergleichen zu können: "Once upon a time there was a man here who built stuff in Berlin for Albert Speer. His name was Philip Johnson and he was a wonderful artist and a moral monster and he said he went to work building for the Nazis because they had all the best graphics."

*** Zweifellos war Philip Johnson in jungen Jahren ein glühender Verehrer der deutschen Nationalsozialisten. Er übersetzte "Weltanschauung, Wissenschaft und Wirtschaft", Werner Sombarts Festschrift für Hitlers Wirtschaftsminister Hjalmar Schacht, war als Live-Berichterstatter dabei, als Deutschland Polen überfiel, und beschrieb das, was er Judenverbringungen nannte. Auch seine Texte, in denen er die "Rassenvermischung" in den USA mit Sorge betrachtete und den Arier am Aussterben wähnte, lassen an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. Auf Befehl von Franklin D. Roosevelt legte das FBI eine Akte über Johnson an, der sich alsdann der "unpolitischen" Architektur widmete. Heute wissen wir, dass Albert Speer ihn als seinen Schüler betrachtete. Aber: Johnson baute eben nicht gewissenlos für Albert Speer, wie Moglen behauptete. Und der Sprung zu einem Steve Jobs, der sich gewissenlos die Früchte freier Software zu eigen macht, wird damit zum Bauchklatscher. So einer im Stil des Apple-Werbevideos mit Steve Jobs als Franklin D. Roosevelt und IBM als naziartigem Unterdrücker.

*** Die albernsten Sätze dieser re:publica sprach jedoch ein anderer Amerikaner in einer vehement geführten Debatte und bekam dafür reichlich Beifall. Dass Jacob Appelbaum für seine Sottisen über "skrupellose Scheißläden" auch noch die Zustimmung von La Quadrature du Net erhielt, gehörte zu den absoluten Tiefpunkten dieser Blogger-Konferenz. Wohin es führt, wenn "don't fuck with anonymous" allein durch die Namensgebung ein gültiger Protest sein soll, zeigt der Angriff auf das Syndikat nach der Criminale. Prompt ploppen üble Klischees hoch: Die Netzgemeinde lässt grüßen und die Piraten sind natürlich mit im Boot. Was bleibt, ist ein armseliges Bild von der deutschen Diskussionskultur über das Urheberrecht. Der Tatort, in dem ein Tatort-Drehbuchautor von Anonymous erstochen wird, ist sicher schon in der Produktion, auch wenn vorerst ein absolut wunderbarer Ermittler ausgerechnet für Till Schweiger sterben muss. Keinschwanztürken in der ARD. Wie sich die ehrenwerten Ermittler sonst anstellen, mag man in Berichten über den Untersuchungsausschuss nachlesen. Ein Tatort zur NSU würde dem Publikum einen verotteten Staat präsentieren, und das geht schonmal gar nicht. Wozu verbannt man schließlich "Polizeirufe" in die Nacht, weil die Darstellung einer unfähigen, hilflose und bornierten Polizei die Jugend verschrecken könnte.

*** Die vor 32 Jahren geschriebene Promotion von Bundesforschungsministerin Annette Schavan hat Mängel. Nach Vroniplag und Guttenplag ist Schavanplag ans Netz gegangen und derzeit ab und an erreichbar. Dahinter dürfte das öffentliche Interesse stecken, nicht Anonymous. Rührend zu sehen, wie sich die tageszeitung hinter Schavan stellt und auf den anonymen Schwarm eindrischt. Zieht ein Shitstorm auf? Ach nein, das ist ja auch nur Markierungsscheiß von Menschen, die von der Panik erfasst werden, dass sie keine Subjekte mehr sind. "Person und Gewissen in der digitalen Urgemeinschaft", das ist schon mal ein vielversprechender Anfang für Plag 2.0, das Crowdsouring von Promotionen. Oder sollte man da besser einen unbelasteten Namen wie Atevia nehmen, der keine Rückschlüsse auf die unperformanten Combots zulässt, Kizoo?

*** Seit dieser Woche kommen 66 Träume ins ÖR-Fernsehen. Auffällig ist, dass bislang Blindenhunde und Pferde den Ton angeben. Weit und breit kein Döner-Sponsoring für Plomlompom, der sich tapfer in die Zukunft träumt. Auch das Internet findet nicht statt. Aber hey, Pop kann Leben retten!. Don't harm? Ach was, verbeugen wir uns mit Santigold vor einem, der Abschied nehmen musste: Don't play no game that I can't win!.

*** Ja, leider. Wo wir schon bei den verlorengehenden Subjekten sind: "Bei vielen Menschen ist es bereits eine Unverschämtheit, wenn sie Ich sagen." Was der olle Adorno berechtigterweise anmerkte, galt so gar nicht für Adam Yauch. Und gar nicht nur traumatologisch oder als Wahnvorstellung eines in der Subjekt-Objekt-Diskrepanz gefangenen Autors verschwand er, besser bekannt als MCA und einer der Beastie Boys, weggezwungen vom Krebs. Dass auch weiße Jungs Hip-Hop machen können, das ist spätestens seit MCA und den anderen Beastie Boys gesichert, und dass dabei auch noch gute Videos herauskommen, dass zeigte MCA ebenfalls. Dabei entwickelte er sich von "politischen Bösewicht" zum "politischen Shout out" (den Rap-Slang überträgt man wohl am besten als "Respektsperson"), wie es in einem Nachruf hieß. Zu einem derjenigen, deren Musik in den 80ern als jugendgeführdend bekämpft wurde – deren damals jugendliche Hörer aber heute in der Kultur dominieren, sich einen Namen in im politischen und intellektuellen Leben gemacht haben. Tja, was dem einen die Jugendgefährdung, ist dem anderen die gar nicht sentimentale Erziehung zu einem anständigen Menschen. Oder, wie es im erwähnten Nachruf heißt: "Nur eine weitere Erinnerung daran, dass die nationalen Albträume von heute die nationalen Schätze von morgen sind". Wie blöde man sich anstellen kann in der digitalanalogen Welt, genau das zeigen die Nachrufe auf MCA aber auch mal wieder und sorgen schon jetzt dafür, dass er wahrscheinlich erst einmal rotieren wird, wenn er ins Grab kommt: Unter der Überschrift "100 Künstler gedenken Adam 'MCA' Yauch von den Beastie Bays" tatsächlich 103 Screenshots von Tweets zu veröffentlichen, die als Bilderstrecke anzuschauen sind und die entsprechenden Tweets nicht verlinken, auf die Idee muss man erstmal kommen. Und es gehört schon einige Unverfrorenheit oder Stupidität dazu, so deutlich die eigene Online-Inkompetenz zu demonstrieren. Wie berührt einem im Unterschied zu solchem Müll der Nachruf des Do-it-yourself-Bloggers: "Die Welt ist so viel ärmer ohne die kompromisslose Kreativität dieses wahnwitzigen Trios." Dass aber MCA nicht aus dem Rotieren herauskommt, dafür sorgen andere, etwa mal wieder unsere Freunde von Youtube und Gema: Fight for your rights revisited, das letzte Video-Werk von MCA, ist doch tatsächlich in Deutschland nicht auf Youtube verfübgar, da Youtube mal wieder erklärt, die Gema habe die Rechte nicht eingeräumt. Na gut, dann gucken wir es eben woanders in aller Ruhe. Fight for your right - zu was auch immer.

Was wird.

Frankreich wählt heute, Griechenland und Schleswig-Holstein machen mit und irgendwie ist Dänemark auch mit von der Partie. Mit dabei, zumindest im Kieler Landesparlament, die Piraten, die darüber volllobhudelgestreichelt werden, wie schnell sie sich zu richtigen Politikern mausern können. Vergiftetes Lob? Aber nicht doch. Vielleicht schaffen es die Neuen in der Politik noch, den Unsinn abzulegen, dass die technischen Gegebenheiten des Internet wie Naturgesetze zu behandeln sind. Nun hat das ewig klamme Bundesland die ersten Internet-Wettanbieter zugelassen, was zu lustigen Regressstreitereien in der geplanten rotgrünblauen Koalition führen dürfte. Dann wäre da noch die künftige Online-Melderegisterauskunft, ohne die das Zocken zwischen den Meeren nicht funzen kann.

Wie war das noch bei Eben Moglen? Er predigte von einer dramatischen Zeitenwende. "We are the last generation capable of understanding directly what changes. If we forget, no other forgetting will happen. We must not fail." Die letzten ihrer Art, das wusste schon Douglas Adams, haben es immer besonders schwer. Bis sie vergessen sind. Nun ist der bekannteste Mensch jener Partygänger, dessen Sauffotos bei Facebook eines Tages beim Arbeitgeber landen, der dann kündigt. Mit schöner Regelmäßigkeit wird dieses Beispiel zitiert, obwohl die aktuelle Rechtssprechung in Deutschland das Gegenteil feststellt. Was bleibt, ist die Forderung nach einem Recht auf Vergessen und ein genau vor einem Jahr initiierter (LB655051:Wettbewerb)$, nachdem sich der digitale Radiergummi schmauchend als Unsinnsprojekt verabschieden musste. Mehrfach musste auch der Wettbewerb wegen akuter Vergesslichkeit verlängert werden, doch nun ist es soweit: Am Montag werden die Preise verliehen. Zuvor diskutiert der oberste deutsche Cyberkämpfer auf dem Internet-Forum mit Schülern über dieses Vergessen und dieses komische Facebook.

*** Hach, die Sensation des Jahres ist natürlich der Börsengang von Facebook. Mindestens 12 Milliarden Dollar sollen den Google-Rekord toppen, juchhu, und sagenhafte 900 Millionen Nutzer freuen sich dann über neue Nutzungsbedingungen und einen direkten Draht zum FBI. Wer vor Aufregung nicht mehr schlafen kann, kann immerhin Nackt auf Pluto spielen oder sich über die Lektion in Sachen Sozialhygiene freuen, wenn Facebook unwertes Leben ausschließt. Wie war das noch mit dem Ich-Sagen und dem Subjekt-Sein? Fight for your right...

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 13 Mai, 2012, 06:00
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Das war nichts mit dem Ende der Welt 2012. Das war höchstens ein Rechenfehler der Mayas bei der Datierung, wann alles zusammenbricht, ein bisschen wie XETRA in dieser Woche. Obwohl: Zwei unabhängige Rechensysteme, die zur selben Zeit von einem Hardwarefehler heimgesucht werden, das klingt schon etwas nach Maya-Magie zur nachbörslichen Beruhigung. Das Lebbe geht weida, sagen sie in Frankfurt dazu, während sie bei JP Morgan wahrscheinlich Sätze sagen, die nicht HTML-reif sind. Da verzockt ein Mitarbeiter mit dem netten Spitznamen Lord Voldemort 2 Milliärdchen und schon rauscht der Kurs in den Eiskeller, während die Welt mal wieder nach einer Bankenaufsicht ruft. Magie, wohin man auch schaut, da kann eine Runde Quidditch nicht schaden. Ja, der Mensch stammt vom Affen ab und der lernt bekanntlich wenig, weshalb die Evolution unserer Spezies nur mit Hunden zu erklären ist. Am Ende darf der Schockwellenreiter mit seinem haarigen Vieh über all den Katzencontent triumphieren. Doch das dicke Ende kommt noch.

*** Spielen ist eine wunderbare kindliche Beschäftigung, selbst dann, wenn mit Zinn- oder Plastikfiguren ganze Schlachten oder Indianerüberfälle nachgestellt werden. Anders sieht es aus, wenn Kindsköpfe im großen Stil Weltkrieg spielen. In dieser Woche deckte Wired die Existenz von Planspielen US-amerikanischer Militärs auf, die den "Totalen Krieg" gegen den Islam an einer Militärakademie durchspielten. Unter ausdrücklicher Missachtung Genfer Konventionen wird überlegt, ob man nicht besser Mekka und Medina ausradieren sollte wie weiland Dresden. Und das bitte ohne Fotos von Horst Faas, der von uns gegangen ist. Die Lösung der angenommenen islamischen Bedrohung als Holocaust wurde zwar prompt vom amerikanischen Verteidigungsministerium gestoppt, doch die Debatten laufen weiter. Müssen nicht für alle Fälle Ausrottungen geplant werden, wenn es nach Huntington in den Endkampf der Kulturen geht? Als 1979 über die Stationierung von Atomsprengköpfen in der Bundesrepublik diskutiert wurde, schrieb Ulrich Sonnemann in seiner "Zettelwirtschaft":

Um den Technokraten überlassen zu werden, ist die Technik nicht nur zu mächtig und zu irreversibel, sondern in letzter Zeit zu suizidverdächtig: Im jetzigen Stadium risse sie die Menschheit unweigerlich in ihren Selbstmord hinein. Wer sie, die keineswegs wertneutral ist, aber ihre Richtung ändern kann, den Technokraten anheimstellt, liefert ihnen auch die Herrschaft über Politik, Ökonomie und Geschichte aus. In der Technik selbst liegen anti-technokratische, dieser meist unbewussten Überlassung wegen nur bis heute noch nicht hinreichend gesehene oder beachtete Potentiale. Sie reichen überall selbst bereits, auf die Dauer kontempliert, ins Geschichtliche: dass etwa physische Schwerelosigkeit und die Merkwürdigkeit, dass sie Menschen nicht tötet, erfahrbar wurden, muss für die Zukunft des menschlichen Geistes, also der menschlichen Art, eine unabsehbare Konsequenz haben.

*** Wenn mich die Suchmaschinen nicht täuschen, kann dieser "Memo-Text" von Sonnemann aus dem Konkursbuch Nummer Drei nur in Bibliotheken gefunden oder in Form des ganzen Konkursbuches bei Abebooks & Co gekauft werden. Willkommen in der wunderbaren Welt der Urheberrechtsdebatte, wo die von einem listigen Literaturagenten angeführten Wir sind die Urheber! auf Wir sind die Bürgerinnen und Bürger treffen und beide Polemiken von einem einsichtsvollen Auch wir sind Urheber/innen! begleitet werden. Als Autor bin ich leicht befangen, aber als Bürger, der Abmahnungen kassiert hat und sicher wieder kassieren wird, fehlt mir noch die Proklamation der Profiteure unter "Wir sind die Abmahner", die Aussagen der deutschen Abmahnindustrie. Welches Sprengmaterial dieser Satz enthält, muss jeden mit dem Internet lebenden Bürger wohl kaum erklärt werden: "Die alltägliche Präsenz und der Nutzen des Internets in unserem Leben kann keinen Diebstahl rechtfertigen und ist keine Entschuldigung für Gier oder Geiz." Für Hadopi-artige Sperren wird uns in Deutschland noch ein Begriff einfallen. Wie wäre es mit Hartz 22 nach einem großen Autor?

*** Was fehlt noch? Genau: Es fehlt der große Wurf, der legendäre Langtext, den CCC-Gründer Wau Holland zum Copyright verfasste. Er ist, wie der großartige Werner Pieper schreibt, einer abstürzenden Festplatte zum Opfer gefallen. So haben Waus Enkel nichts zu lesen, sollten nicht doch Spion & Spion eine "Sicherheitskopie" von der Festplatte gezogen haben.

*** In einer nicht-öffentlichen Sitzung des Innenausschusses des Deutschen Bundestages wurde bekannt, dass bei der Vorratsdatenspeicherung die Luft raus ist. Es gibt dazu Kommentare, die davon künden, dass die Totalüberwachung deutscher Bürger für die nächsten zwei Jahre vom Tisch ist und erst in der nächsten Legislaturperiode zur Abstimmung kommt, von der Realisierung ganz zu schweigen. Verglichen mit der Nachricht über die Verschiebung eines brandenburgischen Provinzflughafens steckt in dieser Verschiebung eine Sprengkraft, die eine Regierungskoalition zerlegen kann. Denn dass der Flughafen, dem offenbar beim Brandschutz die notwendige Programmierung des Systems nicht gelungen ist, in der Simulation von 500 auf 1000 Flüge am Tag schlagartig zusammenbricht, wundert keinen S-Bahn-gestählten Berliner.

Was wird.

Das Ende der Welt ist fern, doch nah ist der Börsengang von Facebook, der schon in der letzten Woche erwähnt wurde. Er dürfte mit dem Ende von StudiVZ eine lustige Zeitschiene bilden. Während die Facebook-Bobos nach Singapur fliehen und damit demonstrieren, was sie von Staat, Regierung und Verwaltung halten, werden heute die Piraten in Nordrhein-Westfalen wohl Party feiern. Interessant war ein Brandbrief der Grünen in dieser Woche, der die Piraten als neuzeitliche Form des Schmarotzers darstellte, der auf Kosten der Bürger jetzt eine Ausbildung in Sachen Politik verlangt:

Von jeder Jurastudentin wird bereits nach dem ersten Semester verlangt, eine Klausur im öffentlichen Recht zu schreiben und zu bestehen. Mir stellt sich die Frage, ob fürs "Politik lernen", also dem kompetenten Umgang mit Verfassung und Geschäftsordnung des Landtags, wirklich eine Ausbildung von 5 Jahren bei 10.600 EUR Monatsentschädigung nötig ist. Ist das eine gerechtfertigte Investition aus öffentlichen Mitteln - möglicherweise um den Preis von 5 Jahren politischem Patt einer großen Koalition?

*** Noch ein Stück weiter gehen die Rentner, die den Bericht des Innenministeriums zur politisch motivierten Kriminalität wiedergeben und am Ende in der Zusammenfassung schreiben: "Diese Zahlen wären noch wesentlich höher, wenn die kriminellen Handlungen aus dem Umfeld der Piratenpartei richtig eingeordnet würden. Zur Zeit lassen sich mit dem jetzt verwandten Definitionssystem diese Taten, die durch die Piratenparteianhänger erfolgen, statistisch weder links noch rechts zuordnen." Wer solche Feinde hat, braucht eigentlich keinen Wahlkampf zu führen.

*** Die Debatte über Fussball in der Ukraine mit einer Mordanklage gegen Julija Timoschenko ist noch nicht gestartet, der deprimierende Bericht der Piratin Marina Weisband über ihre Heimat noch nicht verdaut, da lohnt es sich, den Blick nach London zu richten. Dort, wo Lord Voldemort Milliarden verspekulierte, finden bald die olympischen Sommerspiele statt, oder eine kleine Drohnen-Sonderübungseinheit. 12.000 Soldaten und mindestens 12.000 Polizisten sollen dafür sorgen, dass all dem seltsamen Unterhosenbombenterror zu Trotz es sicher zugeht. Die heftige Debatte zwischen Oppenheimern und Orwellianern nimmt an Fahrt auf und ist für manche Überraschungen gut, wenn es darum geht, was ein Überwachungsstaat ist. Ob in all dem die Kommunikation der Sicherheitskräfte klappen kann, ist das Hauptthema des Tetra World Congress im beschaulichen Dubai. Darauf: Musik! Und eine gute Nacht.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 20 Mai, 2012, 07:00
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Es ist passiert. Die Facebook-Aktie hat viele zu Millionären gemacht, ein paar zu Milliardären. U2-Sänger Bono soll mit seinen Facebook-Aktien mehr Geld verdient haben als in seiner gesamten bisherigen Karriere als Musiker. Die Blase 2.0 ist da, auch wenn der Start schwach war. Vergessen wir Google, das zum Start mit schlappen 23 Milliarden Dollar bewertet wurde und im Vergleich zu Facebook den zehnfachen Gewinn eingefahren hat. Die Milliarden-Maschine wird alles einstampfen, sind sich die Investoren sicher, deren Pürzel zittern. Taler, viele, viele Taler sind da, und wenn es beim Geschäftsmodell klemmt, kann man immer noch ein Firmlein wie Rim kaufen und die Smartphone-Branche aufmischen. Auf den kleinen Schirmen soll es nicht so gut aussehen für Facebook.

*** Auch das ist passiert: Nach einer deftigen Niederlage hat Merkels Zögling Norbert Röttgen von seiner Erzieherin den Laufpass bekommen und ein weiterer Zögling rutscht twitternd nach als Netz- und weniger als Umweltminister. "Wo steht eigentlich geschrieben, dass mit diesen Netzen nur die Stromnetze gemeint sind? :-)" Der Fortschritt ist unverkennbar, jedenfalls für die, die sich noch an die Datenautobahnen der Regierung Kohl erinnern. Wir schrieben das Jahr 1994, als Microsoft-Chef Christian Wedell dem Kanzler die Frage stellte, wie es denn um den Ausbau der Datenautobahnen bestellt ist. Die "Information Highways" eines Al Gore und Bill Gates Gedanken über die Information "Road Ahead" lassen grüßen, als der Große Vorsitzende in seiner umfassenden Antwort erstmals die Frage der Netzneutralität formulierte:

"Ja, da sind wir ja mitten in der Diskussion, das weiß hier ja kaum einer besser als Sie, und Sie wissen auch wie heftig umstritten das ist. Die Zukunft läuft in diese Richtung, aber wir brauchen dafür Mehrheiten und wir sind ein föderal gegliedertes Land und Autobahnen sind elementar, auch mit Recht, in der Oberhoheit der Länder. Der Zustand, den wir jetzt auf den Autobahnen haben, ist dergestalt, dass wir wissen, wann wir überhaupt nur noch von Go and Stop auf Autobahnen reden können."

*** Reden wir mal wieder vom Go und vom Stopp, von vorfahrtsberechtigten Datenpäckchen und den Umleitungen, von der Netzneutralität und den Versuchen gewisser Staaten, im Vorfeld der ITU-Konferenz in Dubai zentrale Funktionen des Internets auszuhebeln. Davon war bereits in dieser Wochenschau im Februar die Rede. Mit ordentlicher Verspätung haben dieses Thema nun auch die Bürgerrechtler der EFF und von EDRI für sich entdeckt und ein Ende der Geheimverhandlungen gefordert. Von ACTA lernen heißt aufwachen lernen. Das gilt auch für die USA, wo Juristen vor dem verfassungswidrigen Procedere warnen.

*** Diese kleine Wochenschau geht an einem schönen Sonntag online, der zumindest im deutschsprachigen Raum als internationaler Museumstag gefeiert wird, mit freiem Eintritt in die Museen, in Erinnerung an eine längst vergangene Kostenloskultur menschlicher Bildung. Da passt es schon, wenn museale Konzepte wie das Manifest für eine Sozialisierung der Automatisierungsdividende Auferstehung feiern. Was da vom großen CCC-Vordenker aus dem Buch Race against the Machine zusammengefasst wurde, steht in großer deutscher sozialdemokratischer Tradition und erinnert an die Maschinensteuer des SPD-Arbeitsministers Herbert Ehrenberg. Aber es geht noch weiter: 1982 erschien ein Pamphlet namens "Mut zur Vollbeschäftigung", geschrieben vom damaligen Finanzminister der Regierung Schmidt, Hans Matthöfer. Der damals nur als "Ölpapier" verstandene Text hatte den schaurig-schönen Untertitel:

"Diskussionsvorschläge nicht für ein kurzfristig wirksames Konjunkturprogramm, sondern für eine mittel- und langfristig wirksame Maßnahmen zur Schaffung einer ausreichenden Zahl neuer Arbeitsplätze in den achtziger Jahren durch Investitionsförderung zur Umstrukturierung der Wirtschaft, Energieeinsparung, Erhöhung des Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit und besseren Umweltschutz sowie Vorschläge zur konjunkturgerechten Finanzierung dieser Maßnahmen."

Kern der Überlegung von Matthöfer war ein komplett neues Steuersystem, bei dem der Verbrauch von Ressourcen besteuert wurde, nicht die Arbeit oder der Einsatz von Arbeitsmaschinen. Außerdem sollten massive Investitionen in erneuerbare Energien "einen heilsamen Anstoß zur Suche nach ökologiebewussteren und gleichzeitig menschlicheren Lebensformen" geben. Sein Vorschlag wurde als Ölpapier verlacht und niedergemacht. Sowohl die Gewerkschaften als auch die SPD hatten für das Konzept wenig übrig – und durften prompt erleben, wie die Grünen zur etablierten Partei aufstiegen. Ein Prozess, der jetzt den Piraten bevorsteht, die von einem ehemaligen Verfassungsrichter begrüßt werden.

*** Im Jahr, als Matthöfers Ölpapier lächerlich gemacht wurde, sang sie ihr Putzfrauenlied She works hard for the money. Davor war sie mit Love to love you Baby die Disco-Queen der Deutschen, nicht zu vergessen eine Zeit in zukünftiger Vergangenheit, als der Wassermann die Erde regiert. Nun ist Donna Summer gestorben und "Harmonie und Recht und Klarheit" sind Schnee von gestern. Wer die Ereignisse um den Blockupy-Protest in Frankfurt am Main verfolgt hat, die Festnahmen spanischer Empörter und live die Nachrichten vom NATO-Gipfel verfolgt, muss den Eindruck gewinnen, dass das friedliche Zeitalter zu Ende geht und das Demonstrationsrecht weltweit zurückgebaut wird. So etwas wie der weltweite Protest von Occupy soll sich nicht noch einmal ungestört ausbreiten können. Frühzeitiges Fesseln ist angeraten.

*** Dürfen eigentlich Werkstudenten elektronische Fußfesseln anlegen? Über diese Frage streiten sich die etablierten politischen Parteien in Hessen, wo die GÜL, die Fußfessel-Überwachungszentrale für ganz Deutschland installiert wurde. Seitdem bekannt wurde, dass das bundesweit damit beauftragte Sicherheitsunternehmen Securitas Studis zu den Probanden schickt, die die Fesseln anlegen, sind lustige Meldungen im Umlauf. So erklärten die hessischen Grünen, dass zu einem Fuß immer auch ein Mensch gehört, dessen Freiheit beschnitten wird. Bei der FDP hält man das Anlegen der Fessel nicht für eine primär hoheitliche Aufgabe. Die in deutschen Landen eingesetzten Fußfesseln der Firma 3M Electronic Monitoring (vormals Elmotech) zu installieren, ist so einfach wie eine Armbanduhr anlegen. Weitaus wichtiger ist die softwareseitige Installation im Hintergrund, die Anmeldung des Senders beim Überwachungssystem und die Erstellung des wöchentlichen Bewegungsplanes in Absprache mit dem Bewährungshelfer. Wenn der Bericht der Hünfelder Zeitung jedoch stimmt, dann werden auch bei der Programmierung und Überwachung in der Zentrale studentische Hilfskräfte eingesetzt. Angewandte Informatik nennt man das wohl.

Was wird

Im Jahre 1962 versuchten sich renommierte Wissenschaftler im Rahmen der 50. Geburtstagsfeier des IRE an einer Prognose für das Jahr 2012 – die Jahresanfangsedition der kleinen Wochenschau berichtete darüber. Aus der IRE erwuchs nur ein Jahr später die IEEE, bis heute die größte Technikerorganisation der Welt. Was den Beteiligten vor 50 Jahren mit Blick auf Heute ganz gut gelang (sieht man von den Weltraumprognosen ab), wird nun in Dresden wiederholt, wo die IEEE am Mittwoch ihre Technology Time Machine anwirft. Die Super-Trends nach 2020 werden diskutiert, die künstliche kollektive Intelligenz der Maschinen abgetastet, die Elektronik jenseits von CMOS erörtert. Besonders kühne Wissenschaftler wagen sich im Panel "Smart Transportation" an eine erste Prognose, wann der Willy-Brandt-Flughafen wirklich eröffnet wird. Auch die Frage der Ressourcenschonung steht auf der Tagesordnung. Viel Zeit bleibt ohnehin nicht, wenn der Club of Rome Recht hat, wie er mit seinen Prognosen vor 40 Jahren Recht behielt: 2052 gehen die Lichter aus. Aber hey, wir haben unseren Spaß gehabt. Sogar ohne Facebook.

Erst hatte er Spaß, dann wurde es Ernst und mittlerweile ist eine veritable Farce daraus geworden: Stimmen die Angaben des britischen Supreme Court, so wird am Mittwoch geurteilt, wie der Einspruch von Julian Assange gegen den Europäischen Haftbefehl von Schweden bewertet wird. Derweil melden die Agenturen, dass der Australier nach Umfragen gute Chancen auf einen Senatssitz habe, vor allem wegen der Unterstützung durch "linksgerichtete Grüne". Was er dort soll und ob er in die durch und durch "korrupte Politikwelt" (Assange) will, das nenne ich eine gute Sonntagsfrage.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 27 Mai, 2012, 07:00
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Dem Chaos nah, weil dem Markt nicht gerecht,
bist fern Du dem Land, das die Aktie Dir gab.

Was mit der Seele gesucht, gefunden Dir galt,
wird abgetan nun, unter Schrottwert taxiert.

Als Schuldner nackt an den Pranger gestellt, leidet das Interweb,
dem Dank zu schulden Dir Redensart war.

Ein deutscher Dichter hat wieder einmal zugeschlagen, mit letzter Tinte. Und ein noch größerer verbesserte ihn stante pede:

Oh Land der Parabolathene!
Urgrund europäischer Geisteslandwirtschaft und Philosoviehzucht
Unterjocht vom Verhängnis die Söhne, Töchter und Eltern, Homer und Hopa

Poesie verbindet, Europa sowieso. Dabei man muss nicht einmal so genialisch dichten können wie User Helpdesk aus dem Heise-Forum. Irgendwo im großen Interweb bastelt sicher jemand an der ultimativen KI-Instantation, einem Verschnitt aus Grass und Sarrazin, der entsprechende Strophen aus jedem Input erzeugt, vielleicht mit einem Jauche-Switch, der aus den Strophen fernsehtaugliches Gestammel macht. Und lalala, hallo Baku, die Google Übersetzung tut's auch:

Sauf finally, drink! scream of Commissioners claque
are you angry yet Socrates the cup back to the brim.

Cursing in the choir, which is characteristic of you are, the gods,
Your will to expropriate the Olympus requires.

You'll waste away mindlessly without the land,
whose mind you, Europe devised.

*** Ja, die Claquere, die alle Aktionen der EU-Kommissare beklatschen, brüten über den Daten des ersten Schengen-Checkups, der vor zwei Wochen abgelaufen ist. Kontrollen nur stichprobenartig, wobei die Stiche der aktuellen Gefahrenlage Rechnung tragen sollen. Man müsste lachen, wenn das Thema nicht so traurig wäre, wie Europa verkümmert. Intelligente Grenzen sollen her und doch geht es nur darum, die wunde Flanke Griechenland zu decken. Während laut und lange über ACTA gestritten und gegen die Fluggastdatenauswertung protestiert wird, ist Schengen ein Thema, das still hinter verschlossenen Türen verhandelt wird. Bitte keinen Krach um das neue Schengen-Informationssystem SIS II, das immer noch nicht rund läuft, aber bitteschön zum Jahreswechsel starten soll. Angeblich protestiert Deutschland in den entsprechenden Arbeitsgruppen der Supertechniker, weil Juristen es ausbaldowert haben, dass alle Beteiligten automatisch rechtlich verbindlich SIS II eingeführt haben, wenn das erste Land den Wechsel nach SIS II im Echtbetrieb vollzogen hat. Nichts dringt von diesem Protest nach draußen und bei Nachfrage ist alles Verschlusssache Geheim, wie bei den Netzaktivitäten deutscher Aufklärungsdienste. Und noch'n Gedicht: Auf der Mail-Mauer, auf der Lauer, liegt ne kleine Wanze ...

*** Während die Welt auf das ultimative Grass-Gedicht über die Dresdener Funkzellenabfrage wartet, hat das Amtsgericht Dresden entschieden, dass das Amtsgericht Dresden richtig gehandelt hat, als es die richterliche Anordnung einer Funkzellenabfrage herausgab. Das Abschnorcheln von mehr als einer Million Verbindungsdaten sei erforderlich gewesen und überhaupt sei dies der "mildeste Eingriff in die Rechtspositionen unbeteiligter Dritter". Bei solch sanfter grundrechtsschonender Handlungsweise kommen mir Tränen in die Augen wie den verängstigten Spielern von Hertha BSC in der Düsseldorfer Umkleidekabine. Man stelle sich Profis vor, die sich in der Umkleide nicht auf den Kick konzentrieren können, sondern an ihre Familien denken müssen: einfach nur rührend. Wehe, wenn dann diese bösen Hooligans auftreten. Da muss es doch eine Vorratsfußfesselung geben, meinte nun ein Generalbundesanwalt und erntete prompt freudige Zustimmung bei dem Hardliner, der schon 3000 Muselmännchen auf Vorrat mit diesem Kabelbinderfunkgedöns ausstatten wollte. An dieser Stelle eine kleine Richtigstellung zu den Fußfesseln im letzten Wochenüberblick. Jawohl, es werden Werkstudenten in der Fußfessel-Überwachungszentrale eingesetzt, die Welt der angewandten Informatik kennenzulernen. Sie legen aber keine Fußfesseln an, weil dies nur erprobte Mitarbeiter der beauftragten Firma Securitas machen: "Securitas setzt für diesen Prozess festangestellte Sicherheitsmitarbeiter (Guards) ein, die exakt auf das Anbringen der Fessel eine Weiterbildung und Zulassung besitzen." Was passiert wohl, wenn diese aufrechten Kämpfer für das Bewährungsrecht zu Hools in die Hütte geschickt werden, die die Fußfessel ablehnen?

*** Wenn diese kleine Wochenschau in den Interwebs auftaucht, ist der Wettbewerb um das europakompatibelste Tralala noch voll in der abschließenden und vielfach verteufelten automatisch uneuropäischen Entscheidungsfindung. Douze Points Punkteabzug gibt es vorab für eine tageszeitung, die auf ihrem Titel getreulich vermerkt, wie viele Menschen in die Pressefreiheit investieren. Dort freut man sich, dass die üblichen Schulen zu ihrem Lieblingsfestival anreisen und Baku dadurch "gequeert" wird. Kritiker, die auf Menschenrechtsverletzungen hinweisen, sind dann natürlich Spaßbremsen und Menschenrechtisten: Lang lebe die betuliche Weltsicht im heilen Anderssein von Eigentumswohnung und Eigentumszeitung! In Sankt Petersburg im nächsten Jahr, da wird der Spaß mit dem Queering dann richtig prickelnd. Gute Nachrichten lesen sich anders. Wer erinnert sich noch an Nabucco, der Befreiung aus russischer Klammer mit freundlichster Unterstützung aus Aserbeidschan? RWE solls richten. Na, dann singen wir doch lieber.

Was wird.

Auch der Blick nach vorne muss mit einem Update versorgt werden. Der Fall Assange geht erst am 30. Mai in die Urteilsverkündung. Bis dahin kann man sich mit einem von Cryptome veröffentlichten Auszug aus dem Buch We are Anonymous (PDF-Datei) von Parmy Olsen amüsieren, in dem beschrieben wird, wie Assange den Kontakt zu Anonymous suchte. Das Ganze passierte zu einem Zeitpunkt, als Anonymous schon vom FBI unterwandert war und Sabu, der "Kopf" der Aktivisten, als Agent Provocateur arbeitete. Auf der re:publica wurde Jacob Appelbaum als virtueller Vertreter von Anonymous mit Beifall bedacht und bekam öffentliche Unterstützung von Jérémie Zimmermann von La Quadrature du Net, während Frank Rieger vom CCC eben diese FBI-Kooperation kritisierte und Gedanken zur Ethik des Hackens äußerte, die dieser Tage neu diskutiert werden. Ob sich die Erkenntnis durchsetzt, dass DDoS-Attacken und das Defacing von Namen ziemlicher Quatsch sind, der womöglich von interessierter Seite gezielt missbraucht wird?

Gruezi! Nach dem Vignettenkonzept der Schweiz (ohne Videoüberwachung) oder Österreich (mit Auslesen der Pickerl über die Mautbrücken) wird Verkehrsminister Ramsauer seinen Vorschlag für eine PKW-Maut beim Spitzentreffen der Regierenden vorstellen. Der Ärger ist vorporgrammiert, die kritischen Fragen zur LKW-Maut (PDF-Datei) sind erst einmal weggebügelt. Neben dem nach seinen Unterhaltskosten gemessenen teuersten Mautsystem der Welt muss eine Billiglösung her, die möglichst schnell Geld in die Kassen spült und die Vielfahrer schneller Boliden bevorteilt. Irgendwo auf der Planungsstrecke steht ein Pannenwagen und versucht, den weggefallenen Vorschlag für eine e-Vignette zum Preis von 365 Euro wieder flott zu machen, bei dem die KFZ-Steuer gestrichen wird. Einfach ist das nicht, in Deutschland eine Steuer abzuschaffen. Vielleicht gibt es als Schmankerl obendrauf eine Art Betreuungsgeld für Autobesitzer, die ihre Karre selber waschen und eincremen. Was zu diskutieren wäre. Darauf ein von einem reichen Geiste geschriebenes, sich ordentlich reimendes Gedicht!

Kennst du das Forum, wo man streitet,
Das Forum, das auch Spaß bereitet,
Das Forum, wo sich Trolle tollen,
Mit vielen Nicks, geheimnisvollen?

Das Forum, der an Geiste reichen,
Doch auch der Deppen ohne gleichen,
Das Forum der IT Experten,
Und derer, die's vielleicht mal werden?

Das Forum von OS Puristen,
Und legendären Analüsten,
Das Forum mit den Zotenreißern,
Mit Klug- und mit ganz kleinen Scheißern?

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 03 Juni, 2012, 06:00
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Bei einer kleinen Wochenschau, die trüffelschweinig über zehn Jahre Informationsbröckchen ausgräbt, sind Wiederholungen unvermeidlich. Erst recht, wenn Allen Ginsberg Geburtstag hat und das Howl Festival die Massen zum Rezitieren des großen Geheuls animiert. Darum, wie weiland 2006, als Daniel Radcliffe noch Harry Potter spielte:

Ich sah die besten Köpfe meiner Generation zerstört vom
Wahnsinn, ausmergelt hysterisch nackt,
wie sie im Morgengrauen sich durch die Negerstraßen schlepp-
ten auf der Suche nach einer wütenden Spritze,
Hipster mit Engelsköpfen, süchtig nach dem alten himmlischen
Kontakt zum Sternendynamo in der Maschinerie der Nacht.

*** Das von Lawrence Ferlinghetti verlegte Geheul wurde als obzönes Gedicht vom Zoll und von der Polizei in San Francisco beschlagnahmt. Was folgte, war eine Gerichtsverhandlung, in der Amtsrichter Clayton W. Horn als "aufrechter Christ und gottesfürchtiger Lehrer" (Horn über Horn) in einer Sonntagsschule die denkwürdigen Worte sprach: "Kann es überhaupt eine Pressefreiheit oder die Freiheit der Rede geben, wenn der Mensch sein Vokabular auf anständige nichtssagende Euphemismen beschränken muss? Jeder Autor sollte ehrlich sein Thema verfolgen, seine Meinung und Ideen in seinen eigenen Worten ausdrücken können." Bei der Freigabe des Druckwerkes bezog sich Horn auf die Areopagitica (PDF-Datei) von John Milton, in der dieser gegen die Zensur wetterte: "Wer einen Menschen erschlägt, tötet ein vernünftiges, geistiges Wesen, Gottes Ebenbild. Wer aber ein gutes Buch vernichtet, erschlägt den Geist selbst und tötet Gottes Ebenbild gewissermaßen vor aller Welt."

*** Nun kommt Confront and Conceil auf den Markt, ein Buch über die Operation "Olympic Games", besser bekannt unter dem Namen des Schadprogrammes Stuxnet. Ein Jahr musste das Buch warten, bis es nun mit seinem Erscheinen den Friedensnobelpreisträger Barack Obama zur Wahl als denkenden Staatsmann inszenieren kann, als philosophisch geschulten Helden. Jaja, die Operation Olympic Games begann unter einem Bush und wer das Ganze als "ersten Cyberwar" bejubelt, hat eine paar ordentliche Verschwörungstheorien von Pipeline-Attentaten und tödlichen Druckertreibern vergessen. Dennoch ist es ganz instruktiv, wie ein US-Präsident als Feldherr der Cyberkrieger inszeniert wird, der nur mit einer kleinen Todesliste bewaffnet die Präzisions-Drohnen auf den Weg schickt. Die targeted killig campaign, will sagen die Wahlkampagne ist eröffnet und beim ersten Cyberschlag eines feindlich gesinnten Angreifers wird zu diskutieren sein, ob da ein Cyberwar gestartet wurde oder es sich "nur" um die Sabotageaktion eines Geheimdienstes handelt. Es ist schon erschütternd, wenn der wichtigste Satz zu diesen Enthüllungen in einem IT-Blatt steht und alles andere als optimistisch kling: "Die Leute werden Cyber-Waffen genauso schlecht handhaben wie alle anderen Waffen auch." Darauf trällern wir "Can't seem to face up to the facts", liebe Psychokiller.

*** In dem anlaufenden Rummel um die Fußball-EM, die nach EA Sports UEFA Euro 2012 jeweils das Land gewinnt, in dessen Sprache die Computersimulation gespeichert wird, haben die deutschen Innenminister eine Sicherheitskonferenz zur Lage des Fußballs abgehalten. Fußfesseln, Gesichtsscanner, Alkohol- und Stehplatzverbote wurden in Meck-Pomm diskutiert, um die "schönste Nebensache der Welt" unter staatliche Kontrolle zu bringen. Ganz unscheinbar am Rande: diese sozialen Netzwerke im Internet, in denen digitale Bengalos abgebrannt werden können. Da darf doch kein rechtsfreier Raum sein! Oder gar ein Bereich, der für die Polizei tabu ist. Und nochmal die Entwicklung verschlafen, wie "damals" beim Internet, das geht gar nicht. Da trifft es sich richtig gut, wenn Cryptome das Handbuch des US-amerikanischen Departement of Homeland Security (PDF-Datei) veröffentlicht wird, in dem die nun auch in Deutschland geforderten Standards für die Beobachtung sozialer Netzwerke niedergelegt sind. Ein bisschen Feinarbeit bei der Übersetzung der Schlüsselworte und hopplahopp ist das Fahndungsbüchlein für unser Cyber-Abwehrzentrum. Man ersetze 2600 durch die Datenschleuder, nehme Fefes Blog in die Liste der vertrauenswürdigen Medien auf und schon kann der Spass losgehen.

*** Weit weniger lustig sind die Reaktionen auf den ziemlich normalen Vorgang, dass die EU-Kommission in Sachen Vorratsdatenspeicherung gegen Berlin klagt und Strafzahlungen androht. Prompt wird von gefährdeten deutschen Steuergeldern in Millionenhöhe geschwafelt, was umgelegt gerade einmal 1,40 Euro pro Jahr und Bürger ausmacht. Von Folterwerkzeugen ist die Rede und prompt wird die abwartende Justizministerin als Sicherheitsrisiko verunglimpft. Natürlich gibt es auch Stimmen der Vernunft; den einen oder anderen mag es beruhigen, wenn ausgerechnet die ach so unpolitischen Informatiker darauf hinweisen, was der schwere Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht wirklich bedeutet. Was wirklich beunruhigt, sind die Ermittler, die solche umfassenden Werkzeuge in die Hand bekommen, um "schwere Straftaten" aufzuklären. In aller Deutlichkeit schreibt der Landesverband Berlin der Kriminalbeamten in seiner Pressemeldung: "Nicht nur bei der Aufklärung von Mordfällen, der Terrorismusbekämpfung oder im Kampf gegen kriminelle Rockergruppierungen, sondern auch bei weniger spektakulären Kriminalfällen, die für die Opfer dennoch einschneidende Erlebnisse darstellen – wie Cybermobbing oder Straftaten gegen alte Menschen (Stichwort "Enkeltrick") – ist daher die digitale Spurensuche und Auswertung von Daten ein unverzichtbares und alternativloses kriminalistisches Ermittlungswerkzeug." Alternativlos wandert das Grundgesetz in die Blaue Tonne. Ein Blick nach Österreich zeigt, dass die trostlose Haltung nicht am deutschen Wesen liegen kann. Was bleibt, ist Norden.

Was wird.

Auf Twitter gab es Jubel, Abstimmungsresultate wurden verbreitet, als ob es sich um ein Fußballspiel bei der EM handeln würde, doch waren es nur EU-Ausschüsse, in denen knappe Mehrheiten gegen ACTA zustande kamen. Die eigentliche Offenbarung waren indes die ACTA-Leaks, die von EDRI unter dem Titel "ACTA Failures" veröffentlicht wurden. Die Protokolle der ACTA-Verhandlungen zeigen deutlich, wie wenig man sich um die öffentlich betonte Transparenz gekümmert hat. Auch die Sache mit den "Three Strikes", die in Frankreich wieder zur Debatte stehen, wurden keineswegs so deutlich abgelehnt, wie man der Öffentlichkeit erklärte. So gesehen gibt es Lektürestoff für lauschige Sommernächte: in diesem Juni berät der Handelsausschuss über ACTA, im Juli ist das Europaparlament mit der Abstimmung dran.

Es gibt sie noch, die guten Leaks. Das Beispiel EDRI zeigt, dass es auch ohne Hauptamtliche gehen muss. Während Wikileaks sich unter Führung von Julian Assange sich in eine schwedische Sackgasse verrannt hat, kommt Openleaks nicht vom Fleck. Mit dem US-amerikanischen Wahlkampf unter dem digitalen Vordenker Obama ist es ausgeschlossen, dass die USA an einer Auslieferung von Assange interessiert sind. Für Russland ist der Mensch aus der globalisierten unteren Mittelschicht des Westens gescheitert. So geht es wohl zum Mittsommerfest nach Schweden, doch diesmal ohne Krebsfest, mit dem der Schlamassel begann.

Geht es noch gut, ganz unten? Wen kümmert das? Von den 10.000 Schlecker-Mitarbeiterinnen, die im März gehen mussten, haben nach Angaben von ver.di-Chef Frank Bsirske erst 1200 eine neue Arbeit gefunden. Mangelhafte Computerkenntnisse verhindern das Anheuern bei der Konkurrenz. Jetzt kommen weitere 13.200 Entlassene hinzu. Wo die einen vom Funktionieren der Marktwirtschaft schwärmen, sprechen andere von der Prekarisierung des Einzelhandels. Wie gut, dass die Wahlen vorüber sind und ein Ja zu neuen Technologien einfach nichts kostet.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 10 Juni, 2012, 00:37
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Europa! Soviel Europa war nie, schreibt die taz und freut sich, ganz ohne Flattrlove. Europa, ach, Europa, da geht es los mit der schönsten Nebensache der Welt und Twitter quillt über mit gehässigen und dummen Witzen über Griechen und Polen, ein eindeutiger Beweis für die Schwarmblödheit. Wahrscheinlich ist es besser, beim Kick den Empfang dieses sozialen Grundrauschens abzustellen, in der Erinnerung an Zeiten, in denen der Fußball in Polen das Signal für den Aufbruch in Osteuropa gab. Denn diese Fußball-EM wird einstmals als das Datum gelten, an dem Europa abgebrochen wurde, ganz ohne Zutun der bösen Machthaber in der Ukraine. Was die zuständige EU-Kommissarin Cecilia Malmström in ihrem Blog mit höflichen Worten umschreibt, ist der Abverkauf der Reisefreiheit im Namen der Sicherheit. Während die Gutachten (PDF-Datei) eine andere Sprache sprechen, ist von Flüchtlingen die Rede, die unkontrolliert nach Europa schwappen und unser aller Sicherheit bedrohen. Solange das auf irgendeiner Mittelmeerinsel passierte, war das überschaubar, doch jetzt schwappen angeblich die Ströme und die Bundespolizei darf aufrüsten. Bedroht von Flüchtlingen kann ein Land zwei Jahre lang kontrollieren, was es für richtig hält und eine Infrastruktur aufbauen, die nicht so einfach zurückgebaut werden kann wie in der Schengen-Euphorie der 1990er, alles im Sinne Europas natürlich.

*** Wenn jedes Land nach eigenem Gusto wieder kontrolliert, kann es eigene Aufenthaltregeln für Nicht-Schengen-Menschen einführen, die von dem Standard abweichen. 90 Tagen werden beim Auslesen der MRZ eines Reisepasses automatisch in VIS eingetragen und dann runtergezählt. Weil es komplizierter wird, hat Norwegen einen Aufenthaltsrechner entwickelt, der von allen Staaten getestet wird. Das offenbar schwer zu programmierende Stück Software benötigt Internet-Zugriff, wogegen Bulgarien und Polen protestierten. Aber ein Taschenrechner ohne Internet ist heute sowas von veraltet, da muss schon neue Software her, auch wenn sie nicht legal ist, da die entsprechenden Gesetze noch nicht verabschiedet wurden – was wiederum der EU-Kommission egal ist. Soweit, so gut? Ach Europa! Heimat des Euro und des Pa, des Personalausweis. Künftig sollen alle eID-Funktionen der Ausweise von Schengen-Staaten untereinander irgendwie kompatibel sein und zertifizierte e-Mail irgendwie durch ganz Europa reisen können. Und wie einfach das geht! "Die Mitgliedstaaten machen vertrauenden Beteiligten [=Dienstanbieter], die außerhalb ihres jeweiligen Hoheitsgebiets niedergelassen sind und eine solche Authentifizierung vornehmen wollen, keine bestimmten technischen Vorgaben." Keine Vorgaben zum Datenschutz oder zum Sicherheitsniveau, da passt es do ch ganz wunderbar, wenn Anonymisierung und Pseudonymisierung gleicht mit in die Tonne getreten werden, wenn eindeutig identifiziert werden muss: "elektronische Identifizierung ist der Prozess der Verwendung von Personenidentifizierungsdaten, die in elektronischer Form eine natürliche oder juristische Person eindeutig repräsentieren", heißt es in der Begriffsbestimmung. Im Meatspace neue Grenzen, im Cyberspace die eindeutige Kennung und die Vorratsdatenspeicherung ist der berühmte Klatsch auf den Hintern, wenn dieses neue Baby zur Welt kommt. Ein einiges Europa für freie Menschen sieht anders aus.

*** Welcher Werbefuzzi die Idee zum Slogan "Ohne Schufa keine Liebe" hatte, er darf jetzt einen neuen suchen, denn die Liebe der Deutschen zur Schufa ist nicht besonders ausgeprägt. Dabei leistet die Schufa uns allen einen verkannten Liebesdienst, denn es ist gesetzlich vorgeschrieben, vor einer Kreditvergabe die Ausfallwahrscheinlichkeit zu bestimmen. Was liegt näher, diese Daten mit dem zu kombinieren, was das Web öffentlich zu bieten hat – oder günstig ein Datenpack bei Facebook einzukaufen und umzurechnen? Mit der denkwürdig missglückten, miserabel kommunizierten Ankündigung eines "Schufa-Labs @ HPI" haben die Schufa und das Hasso-Plattner-Institut das Sommerloch vorzeitig zum Überlaufen gebracht. Am Schluss von Missverständnissen zu reden, was man in sozialen Netzen so analysieren wollte, ist ganz großes Kino. Erinnern wir uns an Glanzleistungen der Forscher: Junge Leute sollten über soziale Netzwerke ein Freund von Friedrich dem Großen werden und den König wie auch seine Frau auf Rockkonzerten und öffentlichen Veranstaltungen kennenlernen können. Erinnert sei auch an eine Konferenz über Informationsqualität, die von den Hadoop-Spezialisten am HPI veranstaltet wurde, wo Forscher von IBM Entity Analytics über die Terrorabwehrsuche im Netz referierten. Natürlich wird weiter geforscht, vielleicht an einem Afusch-Lab. Die anderen machen das ja auch, nur lautloser. Ist nicht die :Gier der edelste aller Triebe?

*** By the pricking of my thumbs, Something wicked this way comes: Es ist nicht einmal sehr lange her, dass ich dem großen Ray Bradbury zum Geburtstag gratulierte und vom großen Geschichtenerzähler weitere Geschichten erhoffte. Es kam nur noch ein Buch, Farewell Summer, aber es vollendete die Erinnerung an seine Kindheit, die mit dem Buch Something wicked this way comes begann. Der Mann, der Mobiltelefone, Computer und CD-ROM verabscheute, weil es zu viele von ihnen gibt und sie uns am Lesen hindern, hat in vielen die Schmökerlust geweckt. Der Mann, der in einem Interview Bill Gates und seinesgleichen das Flimflamming nutzloser Sachen vorgeworfen hat, wollte nicht einmal mehr einen Gruß für den Sammelband schicken, den Margaret Atwood vorbereitete. Man kann es so pathetisch sagen wie //www.rjgeib.com/thoughts/451/451.html:Coda stehen, seine Abrechnung mit jeder Form von Zensur und sein Wunsch, die politisch-korrekten Idioten, die religiösen Fanatiker und die auf Gleichberechtigung achtenden moralischen Schaumschläger allesamt in den hintersten Winkel der Hölle zu verbannen. Aus selbiger kam kurz vor seinem Tod die höllische Antwort: Der e-Book-Verächter Ray Bradbury musste einen Vertrag unterschreiben, der aus Fahrenheit 451 ein e-Book machte, um nicht die kompletten Rechte an seinem Werk zu verlieren. Wer immer von den "lieben Verlegern" schwadroniert, die ihre Urheber achten und ehren, klicke schnell weiter – hier gibt es nichts zu sehen.

Was wird.

In Kassel ist die Documenta 13, mit Konrad Zuse als Künstler/Künstlerin und Computeringenieur/Computeringenieurin als doppelter/doppeltes Lodde/Lottchen: mit einem Bild und einer Maschine vertreten, zwischen einem Atom- und einem Quantenphysiker, der sich österreichisch korrekt als Quantinger bezeichnen. Mal da, mal nicht da, wir kennen es von Google, kann uns die Kunstschau zeigen, das Kunst von Können wie Konrad kommt. Besagter Konrad Zuse hat vor 60 Jahren maßgeblich dazu beigetragen, dass in Göttingen Anfang Juni 1952 mit der Göttinger Rechenmaschine G1 der erste deutsche elektronische Computer seine Arbeit aufnehmen konnte. In der Wikipedia längst von den Relevanzfetischisten gelöscht, war die Geschichte der für die Astrophysiker entwickelten G1 das Schwerpunktthema in c't 10/1988. Dort kann man schwarz auf weiß erfahren, dass Zuse aus seinem Relaisvorrat die nötigen Kontaktfedern schickte, damit die G1 laufen konnte und half auch bei der Weiterentwicklung aus. Als die G2 startete, druckte ein Programm einen Text aus, den Ray Bradbury geschrieben haben könnte: "Wer stellt hier wen in den Dienst, ihr eingebildeten Denker? Irren ist allein menschlich. Herzlichst Eure G2."

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 17 Juni, 2012, 07:00
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Am Anfang kam die Wochenschau mit einem oder zwei Links aus, da wurde viel zitierter Text eingebaut, auf Bilder wie auf Videos verzichtet. Dies geschah vor allem darum, weil die Informationsbröckchen, die abseits der täglichen IT-Nachrichtenschau wichtig waren, auf Servern lagen, die bei einem Heise-Link schnell an ihre Grenzen kamen. Das hat sich seit dem Jahre 2000 grundlegend verändert: Das Web liefert und eigentlich kann ich auf alles verlinken, was mir gefällt oder nicht gefällt, im Rahmen der deutschen Gesetze. Gut, es gab schmerzhafte Niederlagen, aus denen zu lernen war, etwa die Verlinkung auf ein (heute noch vorhandenes) Foto eines verstorbenen Münchener Anwaltes im Kampfanzug, behängt mit allerlei Waffen. Der immerzu auf dem Kriegspfad lebende Waffenfan sah seine Persönlichkeitsrechte verletzt. Eine Wochenschau erschien anno 2005 unter Verzicht auf alle Links als Protest gegen ein Urteil, dass damals die Musikindustrie gegen den Heise-Verlag durchsetzte. Wie schrieb ich damals?

"Halten wir also fest, dass die Eigentumsinteressen der Musikindustrie die Pressefreiheit einschränken dürfen. Wer wirklich Pressefreiheit will und keinen Staat, in dem das Urheberrecht pervertiert als Eigentumsinteresse diese Freiheit erodiert, muss offensichtlich die mächtige Musikindustrie eines Besseren belehren.

*** Die ganze Geschichte hinter dieser Meldung kann in der Dokumentation Heise versus Musikindustrie nachgelesen werden, jede Zusammenfassung würde hier nur stören. Denn jetzt sind die Verleger selbst dabei, die Presse- und Meinungsfreiheit einschränken zu wollen in schöner Perversion ihrer vom Grundgesetz geschützten Aufgabe. In dieser Woche ist der Entwurf für ein Leistungsschutzrecht bekannt geworden, der eine Wochenschau wie diese nachhaltig verändern wird, sollte dieses Erpresse-Erlöse-Gesetz tatsächlich verabschiedet werden. Dieser Entwurf wird bereits heftig kritisiert und juristisch en Detail analysiert. Was er für eine Wochenschau wie diese bedeuten kann, die eine Lieferung eines glücklichen Freien an einen Verlag in kommerzieller Absicht entsteht, wird bestens von Augen Geradeaus! auf den Punkt gebracht. Keine Links auf deutsche Texte von FAZ, tageszeitung und Co. mehr, nur noch knappe Zusammenfassungen wie anno 2000. Im Gegenzug werden internationale Medien wichtiger, die nicht von kleinkarierten schwarzgelben Lobbygesetzen betroffen sind. Immerhin kann auf offizielle Webseiten verlinkt werden, auf Blogs und auf verlegerische Texte, die ausdrücklich das Verlinken und Zitieren gestatten. Ähnlich wie die Flattr- oder Facebook-Buttons wird es einen Button oder eine Creative Commons-Lizenz für LSR-freie Zonen geben.

*** Vorsicht wird geboten sein, nicht nur bei Texten, Bildern und Videos, die Verlage über ihre Webpräsenz veröffentlichen. Die vorige Wochenschau beschäftigte sich beispielsweise mit der Liaison von Schufa und Hasso-Plattner-Institut (HPI) und der sofortigen Kündigung der Zusammenarbeit nach heftiger Kritik. Das war kein unbeachteter Informationsbrocken, nur eine besonders dämliche PR, von kurzatmigen Medien aufgegriffen. In dieser Woche hat das HPI nachgelegt und ein Video veröffentlicht, in dem der Namensgeber Hasso Plattner den Schufa-Deal verteidigt. Es bleibt künftig ohne Link, der nur mit Genehmigung des Institutes erfolgen darf. Selbst die Pressemitteilung zur Plattner-Rede kann künftig problematisch werden, da der Informationsdienst Wissenschaft ein eingetragener Verein mit verlegerischem Charakter ist, der künftig einen findigen Anwalt beschäftigen könnte. Zukünftig wird der Blick in die jeweiligen Nutzungsbedingungen solcher Angebote Bestandteil der Recherche.

*** Was dann übrig bleiben könnte, wäre das vom Zitatrecht gedeckte "Forschung missbraucht keine Daten, sondern analysiert lediglich, wie man gesammelte Informationen nutzen kann", ein Satz, der angeblich nach der Pressemitteilung in deutlicher Weise das HPI von aller Schufa-Schuld freispricht. Dass im "analysiert lediglich gesammelte Informationen" die Jahrhunderte alte Trauergeschichte unpolitischer Wissenschaft steckt, überlesen wir an dieser Stelle einfach. Lässt man das Traktat zum Data Mining beiseite, könnte vielleicht noch das große Na Na Na zitiert werden, dass von den "Informatikwissenschaftlern" den Informatiklaiendarstellern unter den Kritikern hinterhergerufen wird:

"Das Ziel der HPI-Informatikwissenschaftler war es daher nie, Grundlagenforschung rund ums Text Mining zur Bewertung der Zahlungsfähigkeit einer Person heranzuziehen. Beide, die Schufa und das Hasso-Plattner-Institut, hatten bereits in den ersten Gesprächen klargestellt, dass sich solche explorative Grundlagenforschung über den Einsatz von Textanalyseprogrammen nicht für Bonitätsprüfungen eignen würde oder verwenden ließe."

*** Ganz nebenbei bleibt die Frage, was von einer Grundlagenforschung zu halten ist, die von vornherein ausschließen kann, dass sie sich für Bonitätsprüfungen eignet? Drittlagenforschung? Feigenblattwissenschaft? Ahornblattkreiselei?

*** Zu den betrüblichen Nachrichten dieser Woche zählt der Tod der Nobelpreisträgerin Elinor Ostrom, die die schöpferische Vernunft der Commons erforschte, vom Weideland über den Meeresgrund, von Alpenalmen bis zu dem kulturell gewachsenen Wissen, das niemals einem Einzelnen gehört. Aber was allen gehört, muss auch für alle zugänglich, erhalten, also nachhaltig bewirtschaftet werden. Ein großer Gedanke in einer Zeit, in der Leistungsschutzrechte diskutiert werden. Wie war das noch mit dem heutigen Geburtstagskind John Hersey, der als Journalist seine epochale Hiroshima-Reportage zunächst an den New Yorker verkaufte, dann aber unter der Auflage verschenkte, eine Spende an das Rote Kreuz zu überweisen, damit alle erfahren können, was sich nach einem Atombombenabwurf abspielt?

*** Was spielt sich ab, wenn Fußball gespielt wird? Die Bildregie der UEFA blendet besser als jeder staatliche Zensor alles aus, was sich in Polen und der Ukraine abspielt. Dass politische Plakate hochgehalten werden, dass Bananen gegen den schwarzen Italiener Balotelli geworfen werden und dass die Promis fehlen. Ein Trainer Löw wird gezeigt, der einen Balljungen angeblich mitten im Spiel piesackt. Bald werden Politiker zu sehen sein, die klatschend ihren Landsleuten zujubeln, ohne jemals im Stadion gewesen zu sein. Ja, es ist ein Freudenfest, diese schönste Nebensache.

*** Hinzu kommt die Verblödungsbereitschaft der deutschen öffentlich-rechtlichen Sender, die offenbar ein Leistungsverweigerungsrecht kennen. Derweil wird die Demokratie abgeschafft und Europa liquidiert. Dass ich das noch zitieren darf aus der oben stehenden Verlinkung, das wird in ein paar Jahren ein kleines Wunder sein – wenn das Leistungsschutzrecht denn durchkommt:

"Wer könnte insofern Verschwörungstheoretikern und Anhängern der These vom Massenbetrug durch Kulturindustrie leicht widersprechen, wenn sie argwöhnten, die ganze EM diene einer Ablenkung von der Brüsseler Umstellung auf Demokratur? Das Fernsehen jedenfalls verhält sich so, als sei das so und dies sein erwünschter Beitrag."

Was wird.

Heute vor 127 Jahren kam die Statue namens Liberty Enlightening the World in den USA an, ein Geschenk des französischen Volkes. Die Fackel der Aufklärung sollte ankommende Schiffsreisende daran erinnern, dass Freiheit ein kostbares Gut ist, so die Idee des französischen Politikers Laboulaye. Was von der Idee der Freiheit im Internet künftig verwirklicht werden kann, will nun die Europäische Union auf dem ersten Digital Enlightment Forum besprechen. Auf der Tagesordnung der Digitalen Aufklärung stehen: Das Verhältnis von Technologie und Recht, die staatliche Kontrolle oder Nicht-Kontrolle des Netzes und die ganz schufanisch einher kommende Frage, ob Data Mining die Privatsphäre bedroht. Vom Programm (PDF-Datei) her ein nobles Unterfangen, das in der Realität etwas anders aussieht. Die Brüsseler Umstellung auf Demokratur wird nicht nur in Deutschland kritisch gesehen.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 24 Juni, 2012, 06:00
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** WIR SIND BLÖD! In vielen deutschen Briefkästen lag gestern ein Frei-Blatt mit besonders großen Buchstaben und dem Anspruch, die Zeitung der Zukunft zu sein, natürlich als iPad-App. 60 Jahre Manipulation als Markenkern wollen gefeiert sein. Da muss eine kleine Wochenschau doch mitziehen, wenn sie "was wird" im Titel hat. Gerade in der IT passieren ja Woche für Woche sensationelle Dinge, die ordentliche Schlagzeilen verdienen: Das Internet vor dem Aus! 150 unsichere Webseiten entdeckt!   Das Grauen: 6 Millionen unschuldige Rechner unter Kontrolle von Supergangster Hermes!

*** DIE GROSSE ABZOCKE! 4,3 Millionen Deutsche betroffen! könnte auch unter der Schlagzeile "Deutsche Anwälte jubeln" laufen, aber bitte, dieser Newsticker ist doch die Stimme des kleinen Mannes und lebt vom gesunden IT-Empfinden, nach dem diese Abmahn-Anwälte auf den Meeresgrund gehören. Zumal die Anwälte erst in Zukunft richtig Grund zum Jubeln haben, wenn ein Leistungsschutzrecht kommt und dann das Internet eingepreist wird für all die ruchlos gemopsten Informationsschnippsel. Hier ist es Zeit für die Chef-Frage nach dem schlechten Gewissen der Juristen, die das Leistungsschutzrecht entworfen haben. Aber halt, es geht wohl nicht wirklich darum, "die wirtschaftliche Verantwortung über ein Leistungsschutzrecht abzusichern". Twittert sie wirklich – oder nicht?, wäre die passende Schlagzeile für sls_bmj. Eine Frau fragt man halt nicht wie einen Bundeskanzler nach dem Haarfärben.

*** WAHNSINN! Julian Assange wird UN-Botschafter von Ecuador! Die Idee des Wikileaks-Chefs, in einer kleinen Botschaft um politisches Asyl zu bitten, konnte er nur umsetzen, indem er die Aufenthalts-Auflagen brach. Insofern ist die für Assange zuständige Einheit der Metropolitan Police schon berechtigt, ihm beim Verlassen der Botschaft zu verhaften. Wenn nun ein ins Grübeln gekommener britischer Jura-Professor als einzige Lösung auf die Idee mit dem UN-Botschafter verweist, hat das schon groteske Züge. Denn dann müsste Assange doch nach New York kommen können, in das Land, das für ihn angeblich die Todesstrafe fordert. In das Land übrigens, dass Ecuador gewisse Zollerleichterungen gewährt, über die der Kongress nächstes Jahr abstimmen muss. Angesichts der in diesen Tagen geäußerten Befürchtung, die UN würde Kontrolle über das Internet an sich reißen, hätte Assange als UN-Botschafter womöglich noch die ehrenvolle Aufgabe, das Internet zu retten. "Das Netz ist ein Ami" wäre aber auch eine ganz grauenvolle Nachricht.

*** LEERE KARTEN, VOLLE KASSEN! Warum tut keiner was? Wenn selbst die seriöse Presse fehlerhaft berichtet, dass Millionen Gesundheitskarten fehlerhaft sind, wo doch nur ein Leerstellen-PIN zum Einsatz kam, hat es die knallige Schlagzeile natürlich schwer. Natürlich sind die Karten nicht kaputt, wie es der Jubilar suggeriert. Kaputt ist nur das Selbstverständnis von Krankenkassen, Arztverbänden und den anderen Spielern rund um die "telematische Infrastruktur", den Bürger nicht über die Möglichkeiten aufzuklären, wie er jetzt sinnvoll die Gesunheitskarte zum Authentifizieren und SIgnieren einsetzt.

*** DEVELOPERS! DEVELOPERS! DEVELOPERS! Steve Ballmer schlägt zu! Was wohl Steve Jobs sagen würde? Die Vorstellung der Surface-Tablets ist nach Windows for Pen Computing 1991, den Tablet-PCs der Comdex 2000 und der Tablet-Revolution anno 2002/2003 der vierte Anlauf in Sachen Servierteller für digitale Inhalte. Jetzt will Microsoft im Kampf gegen iPad und Fire alles richtig machen und macht alles selbst. Nimmt man Microsoft die Kühlheit ab. Da darf Post von Wag^H^H, ähem, vom WWWW nicht fehlen:

Lieber Steve Ballmer,

Ich kann mir die Welt ohne Windows nicht vorstellen. Präsidenten wurden erschossen, Tsunamis passierten, 9/11 passierte. Windows blieb uns erhalten und Sie wurden als CEO der Herr über Windows. Dafür danke ich. Wenn es Windows gibt, denke ich, dann gibt es die Welt hinter Windows. Dann sind wir nicht Nichts. Sie sind aus echtem Schweizer Armbrustholz geschnitzt. Machen Sie weiter so!

PS: Weiß ein Klatsch-Reporter eigentlich, welches Deo der Ballmer für seine Schweißflecken benutzt? Ich würde so gern wissen, wonach Sie riechen.

Nach Rosen, Orangen, Zitronen?

*** SENSATION! 14-Jähriger erfindet die E-Mail! Wird er reicher als Bill Gates? Die Meldung, die es am Freitag auf die Seite 1 der Süddeutschen Zeitung brachte, berichtet von einem heftigen Streit über die Entstehung der E-Mail. In ihn hat sich kein Geringerer als Noam Chomsky eingeschaltet, der demnächst in Assanges World of Tomorrow auftreten soll. Angeblich soll ein gewisser V. A. Shiva Ayyadurai als 14-Jähriger für seine Highschool ein Nachrichtensystem programmiert haben, das er EMAIL nannte. Die Geschichte ist so rührend boulevardesk, dass man den mehrseitigen Entstehungsbericht zur E-Mail von Mitchell Waldrop in Dream Machine eine faustdicke Lüge oder ein geguttenbergtes Gefetzel nennen muss. Am Ende war die erste EMAIL ein rührender Pennäler-Liebesbrief mit dem Betreff "Willst du mit mir gehen?" als dieses offiziell berichtete "klklk asdf" von Ray Tomlinson.

Was wird.

DER BALL IST RUND! JA! JA! JA! Europameister Ronaldo hat einen deutschen Schäferhund! Man muss kein Fußballfan sein, um diese Europameisterschaft zu verfolgen, die ein Zuschauer neben Angela Merkel dazu benutzen will, die Vorratsdatenspeicherung dem einfachen Volke nahe zu bringen. Angeblich braucht es diese Technik, um die anonymen Hetzer aufzuspüren, die gegen den Fußballer Mesut Özil hetzten, dazu noch unter piratenartigem Namen. Als Kenner der Materie spricht der Sport- und Innenminister von einer Verwahrlosung der Umgangsformen im Internet. Wer nutzt noch das knackig-deutsche ACK in seiner Kommunikation, wenn Skype ein wundervolles geheimes Spieler-Emoticon bereithält? Eigentlich fehlt nur noch das entsprechende geheime Fan-Emoticon mit einer großen Pet-Flasche voller Wodka zum Anglühen und die Show kann weitergehen. Dank Klimawandel! Fußball jetzt immer ohne Holland!

BERLIN WILL'S WISSEN! Danke für eine tolle Zeit! Bis zum Montag läuft sie noch, die verlängerte Online-Konsultation fürs Open Government, in der Transparenz, Teilhabe und Zusammenarbeit von Bund und Ländern und Bürgern beschrieben und kommentiert werden. Am Ende des Verfahrens soll ein Open Government Portal und eine deutsche Open Government License stehen, mit der Open Data eine neue Qualität erreichen könnte. Wenn dann noch Open Government die Transparenz bei Nebeneinnahmen von Politikern durchsetzen könnte, wäre ein wichtiger Schritt gemacht. Doch die FDP blockiert und ihre Klientel, die freiberuflich tätigen Ärzte machen es vor: Geschenke erhalten die Freundschaft. Wer denkt an die freiberuflichen Programmierer?

NICOLE (22) BRAUCHT ES JEDEN TAG, die Special Womans Card! An dieser Stelle muss eigentlich das IT-Girl seine Schränke aufmachen, doch verzichten wir heute mal auf knisternde Frauen-Erotik. Die Lufthansa hat für ihr Frauenbild ihr Fett weg, und so bleibt es hier nur noch übrig, auf FFF hinzuweisen, den "Fortschrittsbericht Frauen in Führungspositionen", der nächste Woche erstmalig von der Familienministerin Kristina Schröder unter Schirmdamschaft der Deutschen Telekom in deren "Hauptstadtrepräsentanz" vorgestellt wird. Wir fassen ihn stilecht vorab zusammen: Geil! Das sind Deutschlands schärfste Chefinnen!

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 01 Juli, 2012, 07:03
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Juchhu! Le Tour hat endlich angefangen. Kein Gejammer mehr über die ach so junge Mannschaft. Bei der Tour hat mal ein Deutscher gewonnen, der sich mittlerweile in Grund und Boden blamiert hat. Da kommt so schnell nix nach: Nicht so eine Blamage, und nur eine schwache Hoffnung, dass es besser wird. Besser wird mit den jungen Radlern vielleicht aber der Medikamentenstadl, den die Fahrer und ihre Betreuer allzuoft aufgeführt haben. Und besser war schon immer das Fahnenschwingen, bei dem weder in der Ebene noch in den Bergen dem "fröhlichen Patriotismus" gefröhnt wird, der dann doch nur wieder in die üblichen Ressentiments ausartet, wenn man sich nicht eh den Kopf bis zur Besinnungslosigkeit schon vor dem Spiel weggesoffen hat. Ach. "Lasciate ogni speranza, voi ch'entrate!" - vielleicht sollte besser dieses Dante-Zitat über dem Eingang der deutschen Stadien stehen, in Erinnerung daran, dass alle Hoffnung dahinfährt, wenn hierzulande noch der letzte fahnenschwingende Rassist mit Sommermärchen-Rabulistik zum fröhlichen Patrioten umgedichtet wird.

*** Die Kickerei im Osten ist aber noch nicht zu Ende, doch diese Fußball-Europameisterschaft hat mit dem zweiten Tor von Mario Barwuah Balotelli ihr wundervolles Bild gefunden. Der unbeugsame schwarze Sklave, der das lächerliche Nationalhemdchen abstreift und mit seinem Körper protestiert, ist allerbeste Ikonografie. Diese Geste kann man durchaus mit der lächerlichen Debatte mit nationalistischem Hämchen in Beziehung setzen, ob Tagesschau-Sprecher Ingo Antonio Zamperoni lächeln durfte. Natürlich durfte er das, genauso, wie wir lachen dürfen, dass sich Trainerkönig Joachim Löw ganz im Geiste der Kabinenbesucherin Merkel mit einer katastrophalen Aufstellung seiner Laufburschen verzockte. Auch der Vergleich der deutschen Nationalmannschaft mit deutschen Autos reizt zum Lachen, zumal der Kolumnist "Charakter" fordert. Keiner der hochbezahlten Löwe-Bubis hat den Treiner bei dieser Aufstellung gefragt, ob er noch alle Tassen im Schrank hat. In Deutschland wird Gehorsam groß geschrieben.

*** Eben selbigen demonstrierte Kanzlerin Merkel in Brüssel, als in der Mario-Monti-Show aus Merkels eisernem Nein zum Bankengeld ein quarkartiges Nunja wurde. Ich bin doch hier, was wollt ihr mehr? Wenn 20 Prozent des gesamten europäischen Privatvermögens bei der Rettung von Europa verloren gehen, werden wir alle bald völlig anders leben und arbeiten müssen, unkt die Zeitung, hinter der kluge Köpfe stecken. Dass sie nicht sagen, wie anders gelebt, wie gearbeitet werden muss, ist besonders klug. Spam nach dem Motto "Deutschland will Ihr Geld vernichten. Nutzen sie sofort unsere Informationen aus unserem Geheim-Bericht, um sich zu retten", hat in dieser Woche Viagra-Spam und Werbung für all die anderen Edelpillen verdrängt. Doch die Menschen sind unruhig und wandern umher, bis ins gelobte Nigeria, wo die Millionen warten.

*** Ein Blick geht nach Amerika: In den USA hat der oberste Gerichtshof über den "Patient Protection and Affordable Care Act" der Regierung Obama geurteilt und die Begründung dabei so salomonisch gehalten, dass die besonders schnellen Medien wie Twitter eine Niederlage verkündeten, während erst bei längerer Ausführung klar wurde, dass Obama in seinem wichtigsten Vorhaben bestätigt wurde. Die Richter werteten die Krankenversicherungspflicht als Steuer, die zu erheben Sache des Staates und nicht der Bundesstaaten ist. Ob die US-amerikanische Industriegesellschaft nun menschlicher wird, ist noch nicht ausgemacht. Doch mit diesem Urteil im Rücken in den Wahlkampf zu ziehen, bedeutet auch, dass Obama und seine Berater alle Themen vermeiden werden, die Futter für Hardliner aller Lager sind. Die Gegner von Obama, die immer wieder Wikileaks und die Publikation der Botschafts-Depeschen in ihrem Kampf gegen "Obamacare" als Beispiele anführen, wie schlecht die Regierung Geheimnisse aufbewahrt, bekommen keine Munition mehr.

*** Julian Assange mag da auf seiner Luftmatratze in der Botschaft von Ecuador mit seiner Schwedenangst verschimmeln, bis die Regierung von Ecuador ihre Linie gefunden hat. Assange ist abgemeldet, Wikileaks als Plattform ist tot. Wer als Journalist diese Geschäftsbedingungen von Wikileaks zur Veröffentlichung des Stratfor-Materials liest und akzeptiert, dem ist nicht zu helfen. Wie schreibt es John Young von Cryptome in aller Deutlichkeit?

Again, WikiLeaks is inducing participation in a crime covered with pseudo-journalistic exculpation. Again excluding open public access in favor of contractual marketing of stolen material and aiding its profitable commercialization.

*** Niemand will das Material kommerzialisieren, dass Polizei und Verfassungsschutz bei der Verfolgung von Aktivitäten des "nationalsozialistischen Untergrundes" sammelten. Alle wollen es lesen. Doch das ist nicht so einfach, weil Akten genau dann geschreddert wurden, als im letzten November die ganzen Zusammenhänge aus dem Leben der Nazi-Terroristen bekannt wurden. Dazu wurde die Schredder-Aktion auf den Januar 2011 zurückdatiert, weil der Schredderer meinte, mit der Aktion Konfetti gleich sieben Fliegen auf einen Streich zu schreddern. Die Akten lagen so lange bei den Verfassungsschredderern, dass sie eigentlich längst vernichtet gehörten. Statt sie nun auszuwerten, wurden sie genau dann vernichtet, als die Brisanz des Materials erkannt wurde. Es ist schlichter Wahnsinn und dieser hat Methode, wenn eine brisante E-Mail an den Verfassungsschutz liegen bleibt, weil sie a) an die offizielle Kontaktadresse der Homepage geschickt wurde und b) vor Rechtsschreibfehlern wimmelte. Damit konnte sie von keiner Polizeibehörde stammen. Wer nach diesen Lektionen in Sachen Inkompetenz den "Verfassungsschutz" beibehalten will, darf nach der eigenen befragt werden. Die Forderung der Linken, den demokratisch nicht kontrollierbaren Verfassungsschutz aufzulösen, ist auch unter anderen Gesichtspunkten mehr als berechtigt.

Was wird.

Am Montag werden die letzten Flaggen weggepackt. Die Fußballfans verschnaufen, während die Tour endlich richtig ins Rollen kommt und die olympischen Spiele sich ankündigen: No limos! No logos! No launchers!, dabei ist es eigentlich eine tolle Gelegenheit, heute die Deutschlandfahne rauszuholen und das Liedlein vom Glücksbrühen zu schmettern: Am Montag treten in Bayern die ersten 16 Cybercops ihren Dienst bei der Polizei an, die nicht die typische Laufbahn eines Polizeibeamten hinter sich haben. Ehemalige Admins, Programmierer und Wirtschaftsspezialisten wurden im einjährigen Schnelldurchlauf an der Waffe trainiert, mit den Polizeigesetzen vertraut gemacht und schlagen nunmehr zu, die Wirtschaftskriminalität zu bekämpfen, bei aufgetauchten Kinderpornos oder Gewaltvideos zu ermitteln. Im Unterschied zu früher eingesetzten PC-Spezialisten wurden die Cybercops verbeamtet "und können somit eigenständige Ermittlungsmaßnahmen durchführen und strafprozessuale Beschlüsse durchsetzen." Bayern ist Vorreiter, doch bundesweit sollen bald 52 dieser neuen Cybercops arbeiten. Wir atmen auf: Das Internet wird auf einmal wieder viel sicherer.

Was die Polizei alles unternimmt, um uns dieses warme Gefühl von Geborgenheit und Sicherheit zu geben, verdient unseren Respekt. Man denke nur an die fürsorgliche Belagerung terroristischer Mobiltelefone durch 250.000 stille SMS in Nordrhein-Westfalen oder 440.000 stille SMS durch das Bundeskriminalamt und die Verfassungsschredderer. In der kommenden Woche wird eine Antwort auf diese kleine Anfrage der Linksfraktion erwartet, die nach den Dienstleistern fragte, die die notwendige Software für die Aussendung und Auswertung der stillen SMS programmieren. Auch sie haben schließlich unseren Respekt für die Idee verdient, unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung als standortbezogenen Dienst am Bürger neu zu definieren. Wo bleibt eigentlich unsere Variante der Hauswart-App?

Eine Frage, viele Rätsel und der Sommer hat uns im Griff. Während urlaubende deutsche Politiker vom Bundestagspräsidenten Lammert davor gewarnt wurden, zu weit hinauszuschwimmen, bleiben wir am Ufer und lösen Rätsel um Rätsel: Vorschläge für das alljährliche Sommerrätsel werden dankend angenommen.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 08 Juli, 2012, 00:10
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** "Ich bin. Wir sind. Das ist genug. Nun haben wir zu beginnen. In unsere Hände ist das Leben gegeben." Mit Ernst eine Wochenschau zu beginnen, geht lustigerweise nur dann, wenn die Welt vom "Gottesteilchen" spricht, einem Versprecher, den das "gottverdammte Teilchen" seit dem Urknall ignoriert. "Wir sitzen in einem perversen Sonderfall. Vermutlich, weil es eine spontane Symmetriebrechung im Higgs-Feld gab. Nur deshalb gibt es Teilchen, Atome, Chemie, Biologie und schließlich so was Komisches wie eine Menschheit, die über all das nachdenkt. " Dieser Satz des Physikers Thomas Nausmann dürfte noch das Klügste sein, was über dieses Elementarteilchen geschrieben wurde. Noch dauert die Überprüfung an, aber die Chancen stehen eins zu drei Millionen, dass es sich um einen statistischen Zufall oder eine geplante Täuschung des Monopolkapitals handelt. In den Milliarden von Paralleluniversen wird jetzt die supersymmetrische Spiegelwelt zu unserem Universum gesucht, in der die Wochenschau am Anfang einer Woche über alle Ereignisse berichtet, die da kommen werden. Fern leuchtet das Versprechen von Heimat auf, dort, wo die Systemaktualisierung durchgeführt wird und wir Subjekte werden können.

*** Die kleine Wochenschau wird am 132. Geburtstag des Mannes geschrieben, der das geschnittene Brot möglich machte, das zu seinem Geburtstag am 7. Juli 1928 erstmals verkauft wurde. Der deutschstämmige Otto Friedrich Rohwedder war ein mäßig erfolgreicher Juwelier, der mit seiner patentierten Brotschneidemaschine reich wurde und das auch nur, nachdem er die Idee aufgab, das geschnittene Brot mit einer langen Hutnadel zusammenzuhalten. Aus der Werbung "Announcing: The Greatest Forward Step in the Baking Industry Since Bread was Wrapped – Sliced Kleen Maid Bread" entstand die hübsche Floskel "the best thing since sliced bread", mit der großartige Neuheiten wie der iPad Mini bis auf den heutigen Tag begrüßt werden.

*** Das glatte Aus für ACTA wurde von vielen Seiten begrüßt, darunter auch einigen, die sonst jede Entwicklung in Brüssel mit Beifall quittieren. Das sich die Ärzte ohne Grenzen oder die Kampagneros der digitalen Gesellschaft freuen, ist klar. Zu denen, die über Monate hinweg gegen ACTA argumentierten (PDF-Datei) und sich nun über das Abstimmungsergebnis freuen, gehört die Gesellschaft für Informatik. Die deutschen Informatiker, sonst als Zierde des Fortschritts über den grünen Klee gelobt, können sich jetzt die Schimpfe anhören, sie seien Teil eines Mobs, der über ACTA hergefallen ist. Keine Rede von der großangelegten Desinformationskampagne der EU, den von Lobbyisten diktieren Texte und den Geheimverhandlungen. Stattdessen wird der Bürgerprotest zum Shitstorm umgedeutet, das Urheberrecht in sakrosankte Sphären erhoben, die nur bestimmte Urheber verstehen. Die massive Diffamierung aktiver Netzbürger zeigt die Angst vor dem Internet und das insgesamt jämmerliche Niveau der Urheberrechtsdebatte bei den Verteidigern.

*** Ist die Debatte überhaupt vorangekommen? Schauen wir 10 Jahre zurück, da berichetete dieser Newsticker vom Mehrwert digitaler Güter und einer Konferenz, auf der Richard Stallman einen eigentlich banalen Satz aussprach: 'Nur ein totalitärer Polizeistaat ist in der Lage, die Kontrolle über digitale Kopien durchszusetzen." Stallman ging es damals um die Business Software Alliance, die sich seiner Meinung nach zu einer Art Informationspolizei fortentwickeln könnte. Das ist nicht geschehen, stattdessen verbreiten sich die Informationen auf vielen Kanälen, vor allem wegen der Smartphones. Und kein Polizeistaat der Welt dürfte in der Lage sein, die Welle an Google Phones, Facebook Phones, Amazon Phones und Microsoft Phones unter Kontrolle zu bringen, die demnächst auf uns zurollt in all ihrer Kostenlosigkeit. Bleibt nur die Frage, wie hoch die Abgabepauschalen, wie bizarr die Leistungsschutzrechte ausfallen, wenn Medieninhalte weiter und weiter verbreitet werden.

*** Unbemerkt von diesem Newsticker ist ein Beitrag über Fukushima mit dem "Oscar des freien Wissens", der Zedler-Preis:Zedler-Medaille ausgezeichnet worden. Das dokumentiert erstens, dass die Wikipedia doch für viele Menschen eine Art Newsticker ist, die es eher selten zu den Wikinews verschlägt und zweitens, dass es kein Ausrutscher war, als im vergangenen Jahr die erste Heise-Meldung zu Fukushima es auf über 900.000 Zugriffe brachte und alle Rekorde schlug. Da passt es zum Thema, dass in dieser Woche der Bericht der japanischen Untersuchungskommission zu Fukushima veröffentlicht wurde, der klar vom menschlichen Versagen spricht: Wo Menschen sind, machen Menschen Fehler, da hilft kein Gottesteilchen oder Homöomagie.

*** Ein alter Bekannter ist wieder da! Nein, nicht die Stones, die feiern erst am 12. Juli ihr 50jähriges Bühnenjubiläum. Das zuletzt im Mai kritisierte neue Bundesmeldegesetz sorgt für Entrüstung, diesmal nicht wegen der 55-jährigen Speicherdauer der Daten oder der beachtlichen Kosten, die die Länder tragen müssen. Jetzt geht es um den Adresshandel, der künftig möglich sein könnte und eingebaut wurde, damit die Umstellungskosten wieder eingespielt werden können. Angeblich tobt das Internet schon, während die übrige Öffentlichkeit eher an sommerlichen Sportmeldungen von bunten Radfahrern oder Superhengsten interessiert ist. Die Datenschützer blasen dicke Backen im Namen des informationellen Selbstbestimmungsrechtes auf, haben aber die Entwürfe für das Gesetz noch für gut befunden und gelobt. Wie konnte es passieren, dass aus der viel gelobten Einwilligungslösung fast unbemerkt eine Widerspruchslösung wurde, die zudem nahezu wirkungslos ist, wenn eine Firma bereits vorhandene Daten bestätigen lassen kann oder um Berichtigung bittet. Hier hat die Lobby der Adresshändler gut gearbeitet und das Gesetz in ihrem Sinne korrigieren können. Man lobe auch die Ausdauer der Politik: Das Gesetz wurde genau zum Halbfinale zwischen Deutschland und Italien verabschiedet, als sich die Nationalmannschaft verlöwen ließ und kein Schwein wächterte. Das entsprechende Video darf in keiner Gesellschaftskundekurstablet-App fehlen, bittschön! So und nicht anders werden Tore geschossen, wird Politik gemacht: Geschichte geht voran.

Was wird.

In der anstehenden Woche dürfte auf dem DIP-Server des Deutschen Bundestages mehr stehen als die Mitteilung über eine Schwere Niederlage für Sicherheitsbehörden, mit der der überflüssige Verfassungsschutz betrauert wird. Die Publikation der Antwort der Bundesregierung auf Anfrage 17/9545 steht an und jeder darf sich durch die Tabellen wühlen und erfahren, wer da im Namen der Sicherheit Staatsknete kassiert und zwar in einem anderen Maßstab als der freche Ponader. Leider gestattet es die Sicherheit der Bundesrepublik nicht, dass Daten der Beschaffungsaufträge von Polizeibehörden veröffentlicht werden und selbst das BSI ist rundherum beausnahmt, ist es doch für die Sicherheit der Bundeskommunikation zuständig mit diesen SINA-Boxen von Secunet. Ein Lacher am Rande stammt dennoch von den Spezialisten für Informationstechnik: "Da das BSI über kein zentrales IT-System verfügt, aus dem die geforderten Angaben abgerufen werden können, wäre eine umfangreiche, händische Recherche in Altaktenbeständen erforderlich." Igittegitt, die armen Beamten! Lustig klingt auch diese Auskunft der Bundesregierung: "Das BSI hat keine Studien der Entwicklungsvorhaben zur Thematik des sogenannten 'Staatstrojaners' beauftragt." Das Studium von 0zapftis überlässt man wohl lieber den Experten vom Chaos Computer Club.

Es gibt Meldungen, die werfen Schatten voraus, ganz ohne Sommersomme und Sommerloch. Sie haben sozusagen einen higgs-bosonistischen Charakter, da sie eine Masse anziehen, die im Alltag eine stinkende *** genannt werden würde. Wie berichtet, hat die EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström eine überarbeitete EU-Richtlinie der ach so erfolgreich praktizierten Vorratsdatenspeicherung angekündigt. Sehr ehrenwert dabei die Absicht, die Suche in den gespeicherten Daten auf Fälle schwerer Kriminalität und terroristischer Aktionen zu beschränken. Doch die Realität sieht anders aus, wie Malmström selber zugibt: "Das größte Problem ist, dass die Mitgliedstaaten die Vorratsdatenspeicherung heute nicht nur zur Bekämpfung von Terrorismus und schwerer Kriminalität benutzen. Nach der sogenannten E-Privacy-Richtlinie können solche Daten auch für andere Zwecke verwendet werden, etwa zur Verbrechensvorbeugung oder zur Gewährleistung der öffentlichen Ordnung, was ein sehr vager Begriff ist." Sollte die Kommissarin erkannt haben, dass genau hier das Problem der Vorratsdatenspeicherung anfängt, wenn Datenschüffler nur um die öffentliche Ordnung besorgt die Daten schnüffeln. 2013 ist weit weg. So weit wie 1984. Die Fehlermeldung 451 lässt grüßen.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 15 Juli, 2012, 07:00
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Sommer! Sonne? Plätscher, Plätscher. Es gibt doch nichts Schöneres, als mitten in dem sich ausweitenden Sommerloch zu sitzen, am Sommerrätsel zu basteln, das nächste Woche mit einem Frösteln gestartet wird. Diese kleine Wochenschau entsteht an einem Tag, an dem das ehrenwerte Feuilleton durchweg den 100. Geburtstag von Woody Guthrie feiert und jeder brave Feuilletonist den Satz "This machine kills fascists" erwähnt, der auf Woodys Gitarre stand. Ja, so etwas sollte unbedingt auf meinem Thinkpad stehen und mich zum Volksschreiber adeln, wie Woody Guthrie zum Folksinger. Der dem Volk ein wunderbares Lied schenkte, weil er sich über Irving Berlins God Bless America aufregte. Als Guthrie 1944 seinen Anti-Song "God Blessed America for me" schließlich aufnahm, wurde aus dem Refrain "This land was made for you and me" schließlich der Titel "This Land Is Your Land", mit diesem Vermerk:

This song is Copyrighted in U.S., under Seal of Copyright # 154085, for a period of 28 years, and anybody caught singin’ it without our permission, will be mighty good friends of ourn, cause we don’t give a dern. Publish it. Write it. Sing it. Swing to it. Yodel it. We wrote it, that’s all we wanted to do.

Nobody living can ever stop me
As I go walking my Freedom Highway
Nobody living can make me turn back
This land was made for you and me.

*** Aber halt, kann eine Gitarre Faschisten töten? Wie in All You Facists ersichtlich, hatte Woody Guthrie einen eigenen Begriff von Faschisten, als er den Song für die Gewerkschaftsbewegung schrieb, während in Deutschland das Einheitsfrontlied gesungen wurde.

Und weil der Mensch ein Mensch ist,
hat er Stiefel im Gesicht nicht gern.
Er will unter sich keinen Sklaven sehen
und über sich keinen Herrn.

Drum links, zwei, drei, \pi, denn auch du bist in der IT, tralala. Wie, keine Arbeitereinheitsfront mehr? Alles nur noch ausländische Leichtmusikwerke? Wo doch das Hohe Lied von Harter Hände Kraft gerade in diesen Tagen von grantelnden Hausbesitzern mit Inbrunst geschmettert wird, um komische Piraten zu zerschmettern, die Stütze bezogen. Da lob ich mir doch unser schönes Deutschland, wo die schwielige Hand des Programmierers zur Faust geballt wird und der Schlachtruf Occupy IT! erklingt und die Rolle von IT-Spezialisten im kapitalistischen System in Frage gestellt wird. Wenn euer starker Arm es will, stehen alle Rädchen still, heißt es nach einem Lob der guten IT-Ausbildung in Deutschland, die umfassend sein soll, aber völlig unpolitisch. Das will Occupy IT verändern, denn: "Ohne ausgebildete IT-Facharbeiter würde nichts in diesen Tagen funktionieren." Und nun? Campieren wir alle auf der Cloud von T-Systems im Rechenzentrum Magdeburg?

*** Wikileaks arbeitet wieder, das sollte die wichtigste Nachricht anlässlich der Veröffentlichung von E-Mails aus Syrien sein. Ja, Wikileaks arbeitet wieder, aber so zögerlich wie früher, als die US-Depeschen in homöopathischen Dosen erschienen. Wenn an einem Tag einmal 25 Mails aus Syrien erscheinen, kann man schon von einem dicken Brocken reden. Bei diesem Verfahren davon zu reden, dass sich nun alle ein Bild über die verschiedenen Fronten in Syrien machen können, ist Unsinn. Entsprechend sauer sind die Aktivisten von Anonymous, die offenbar die syrischen Mails von den syrischen Servern pflückten. Sollten diese Tweets echt sein, die Cryptome gespeichert hat, so könnte der Unmut über die Ego-Show der Assange-Fraktion dazu führen, dass die kompletten Mails aus Syrien in einem Rutsch veröffentlicht werden. So geschah es mit den US-Depeschen, aus anderen Gründen. Da Cryptome-Eigner John Young den Wikileaks-Gründer Assange für eine windige Gestalt hält, könnten die Tweets auch ein Fake sein. Kein Fake ist das, was sich in Syrien abspielt, wo man dazu übergehen kann, vom "Massaker des Tages" zu berichten und von den täglich veröffentlichten Beschwörungen des Westens.

*** Spielen die Medien ein barbarisches Spiel mit den Menschen in Syrien? Aus der von Telecomix erfassten Tatsache, dass die syrische Regierung Software-Werkzeuge besitzt, um Skype-Gespräche aufzuspüren, ist der von Telecomix verbreitete Vorwurf geworden, dass Journalisten, die mit Angehörigen der syrischen Widerstandsbewegung skypen, sich am Töten beteiligen. Massiv wurde die Nachrichtenagentur AFP angegriffen, die via Skype Oppositionelle in Syrien interviewt hat. Die Reflektion der Beteiligten zeigt das Dilemma auf: Nachrichten von den Zuständen in Homs und anderswo gelangen per Skype in die Welt und werden niemals risikolos verbreitet. Das gilt auch für die syrischen Youtube-Videos der "Quelle: Internet", die im Fernsehen auftauchen. Natürlich ist es die Pflicht von Journalisten, die Kommunikation mit Informanten abzusichern. Wer Informationen mit PGP verschlüsselt schickt, darf beispielsweise erwarten, dass diese niemals irgendwo im Klartext abgespeichert werden. Ebenso ist es die Pflicht, auf unterdrückte Stimmen zu hören, auch wenn sie über eine Skype-Version sprechen, die mit einem Trojaner verwanzt sein könnte. Il n'y a pas de hors-texte, meinte Geburtstagskind Jacques Derrida, und irrte sich.

*** Ja, vor 50 Jahren startete der erste US-amerikanische Kommunikationssatellit Telstar 1 und mit ihm die Geschichte vom globalen Dorf. Die Tatsache, dass Telstar im Jahre 1962 durch das einen Tag zuvor durchgeführte Atombombenexperiment Starfish Prime nach nur 226 Tagen zum Aussetzen gebracht wurde, kann als Sieg der herrschenden Unvernunft gesehen werden. Im Namen der Wissenschaft sollte ein elektromagnetischer Puls erbombt werden, dessen Intensität völlig falsch berechnet war. Noch heute sind Störungen der Magnetfelder nicht vorher berechenbar. Die Antwort auf Amerika war übrigens der Satellit Skynet 1A, der weniger als ein Jahr durchhielt, weil auch hier falsch ermittelt wurde: Der britische Geheimdienst GCHQ hatte im Rahmen der Operation Zircon eigene Sigint-Überwachungstechnik installiert, die die zur Verfügung stehende Bandbreite okkupierte. Heute wissen wir, dass es sich um Vorabeiten für Echelon handelte, ganz im Sinne von Orwells Law: Jedes Kommunikationssystem ist auch ein Überwachungssystem.

*** Falsch gerechnet hat auch Hans-Peter Uhl bei dem Versuch, das neue Melderecht im Sinne der Datenkraken auszurichten. Was bleibt, sind nicht nur die im letzten WWWW gemeldeten 57 Sekunden einer Prozedur, die in keiner Gesellschaftskundekurs-Tabletapp fehlen darf. Das Kommunikationsdesaster, von dem die Rede ist, hat erst begonnen, wenn man liest, wie das Meldegesetz gelobt wird, rätselhafterweise mit einer Karikatur zum Staatstrojaner 0zapftis. Soll das ein Hinweis auf einen großen Auftritt von Hans-Peter Uhl im Namen der deutschen Sicherheit sein? Der Run auf die melderegistergestützten Qualitätsdaten hat jedenfalls begonnen, während Kalkül und Chaos grüßen. Ja, ja, Demokratie ist kein einfach Ding, Betroffene mitreden lassen auch nicht. Wo auch immer. Lohnt sich aber. Wie auch immer. Und macht sogar Spaß.

Was wird.

Plätscher, Plätscher, Schütt. Wenn es ein Sommerloch gegeben hat, so ist das sicher längst gefüllt. Warum kann der Regen nicht stilecht über London bleiben, wo inzwischen die Sicherheitwarnung die allerhöchste Alarmstufe erreicht hat? Ab sofort sind kritische und hämische Links untersagt und können mit einer Boden-Netz-Rakete verfolgt werden, auf dass den offiziellen Protestierern Hören und Sehen vergeht. Der Ring of Steel ist scharf geschaltet, Demonstrationen sind verboten und Peking lässt grüßen. Was sind Menschenrechte gegenüber den Rechten von Sportverwertern? Solche Weltfestspiele der Jugend sind schließlich kein Spaß, sondern ein beinhartes Geschäft mit vielen kleinen Nebengeschäften, wie diese nette Headline mit 141.967.500,93 CHF beweist, die auch in olympische Regionen geflossen sind. Churchill-eisern heißt es hier darum "No Sports", wenn das Sommerrätsel in dieser kleinen Wochenschau beginnt. Gestartet wird in der nächsten Wochenschau mit der Wetware, eben den Menschen hinter und vor den Computern, die in 10 Fragen zu raten sind. Denn rätselhaft genug geht es ja zu in der IT-Welt, in der der Groupon-Gründer nach dem Tieflug seiner Aktien beim Chinesen arbeitet und womöglich bald bei Occupy-IT auftaucht. Sport und IT, das geht selten gut. Erinnert sei an Martin Lauer, der in einem anderen Sommerrätsel mit olympischen Bezügen geraten werden sollte.

Wer W wie Woody sagt, muss J wie Johnny sagen, meinte Neil Gaiman. Auf Arte heute:

I hear the train a comin'
It's rollin' 'round the bend,
And I ain't seen the sunshine,
Since, I don't know when,
I'm stuck in Folsom Prison,
And time keeps draggin' on,
But that train keeps a-rollin',
On down to San Antone.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 22 Juli, 2012, 00:07
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

***An den Grenzen des Multitasking sitzt ein Teufel, in Löwenpudelform und lacht sich scheckig: In dieser Ausgabe der Wochenschau sollte das Sommerrätsel beginnen, mit 10 Fragen über Frauen in der IT, die Geschichte schrieben wie Marissa Mayer, die bei Yahoo angeheuert hat. Leider muss das Rästel um eine Woche verschoben werden, weil dem Rätselteam bei der Ressourcenallokation ein dicker Fehler unterlaufen ist. Doch keine Angst, in der nächsten Woche geht es los. Versprochen.

Angst, damit bin ich beim Thema dieser Woche. Gemeint ist nicht die Angst der Programmierer vor der Arbeit mit PHP oder die sonstigen Angstphrasen, nicht die Angst vor dem Kaiman im Biberfell im Sommerloch. Es darf schon etwas existenzieller sein. Nehmen wir einen Sprecher des Bundesinnenministeriums und sein Wort vom Angstschreddern von Akten über die rechtsradikale Szene, eine Vertuschungsaktion, die weit umfangreicher war als bislang dargestellt. All die Akten, all das viele ausgedruckte Papier, was da vernichtet wurde, kündet von der Angst um den Besitz. Von der Angst, den völlig überflüssigen Verfassungsschutz zu verlieren, der bei der Rechten beide Augen und den Schließmuskel zumacht, bei der Linken aber die Information festhält, wenn diese vor einer NPD light warnt. Ein Verfassungsschutz, der akribisch die Website Petra Pau zu den Akten nimmt, weil dies für die "Aufgabenerfüllung des Bundesamtes" erforderlich sei. Derweil sind die Details zur "Operation Rennsteig" verschwunden.

Nicht jeder ist so einsichtig, von Angstschredderei zu sprechen oder von der Angst, dass es ihm um seine heile kleine Welt geht, ausgehend vom eigenen Bauchnabel bis zu den Füßen unten und dem Kopf oben. "Die treten an, meine Welt abzuschaffen, und ich muss mir anhören, das sei cool, das habe man jetzt so." Wer so denkt, dem wird die Angst zum Meer in ihm. Der muss schon triumphierend sein Wissen von der Welt verkünden, das unaufhörlich um hübschen Zierrat in Form von Leuchtern und Bildern kreist, von einer Welt, in der die Wohnungen Indikatoren sind: "Was ich allerdings weiss ist, dass allein meine Gästewohnung grösser als die 30m² vom MSPRO ist." Die Angst des Besitzers hat sich in einem Rundumschlag gegen etwas manifestiert, das er die digitale Berliner Boheme nennt – in der Druckfassung konsequent ohne das è der Rodolfos, Marcellos, Schaunards und Collines. Stattdessen geht es um mspro, Plomlomplon, um den Piraten-Ponader, jensbest, um das Firmen-Imperium der Samwers und um – wen sonst – Sascha Lobo, zu dem sich jeder Link erübrigt. Wie groß muss die Angst sein, wenn man glaubt, diese Berliner Mischung könnte die kleine Welt abschaffen, in der es immer nur ums Haben geht? Eine Antwort ist, dass Künstler dem Bourgeois immer zuwider sind, auch wenn er ihre Kunst kauft. Aber "gab es schon immer eine Berufsgruppe, deren Lebenslage prekär war", wie es im Text heißt?

Eine andere Antwort hat Robert Kurz gegeben, als er in der Krisis-Gruppe ein Manifest gegen die Arbeit veröffentlichte, das mit dem schönen Satz endete: "Proletarier aller Länder, macht Schluss!" Gegen die totalitäre Macht der Arbeit, die keinen anderen Gott neben sich duldet und selbst noch bis ins Private als Beziehungsarbeit tyrannisiert, schrieb er: "Freiheit heißt, sich weder vom Markt verwursten noch vom Staat verwalten zu lassen, sondern den gesellschaftlichen Zusammenhang in eigener Regie zu organisieren – ohne Dazwischenkunft entfremdeter Apparate. In diesem Sinne geht es für die Gegner der Arbeit darum, neue Formen sozialer Bewegung zu finden und Brückenköpfe einzunehmen für eine Reproduktion des Lebens jenseits der Arbeit. Es gilt, die Formen einer gegengesellschaftlichen Praxis mit der offensiven Verweigerung der Arbeit zu verbinden." Robert Kurz ist tot, die Todesursache noch unklar, Der Mann aus Nürnberg, der die Nürnberger Nachrichten zur meistzitierten Zeitung der marxistischen Diskussion machte (weil alle Zeitungen eh dasselbe schreiben), schrieb selten über das Internet, doch erkannte er zum Platzen der Dotcom-Blase ganz richtig, dass das Internet nur Wachstum im Internet finden kann – nur um den falschen Schluss zu ziehen: "Weder die Hardware- noch die Software-Hilfsmittel rechtfertigen die Euphorie einer kapitalistischen New Economy. Wenn überhaupt, dann müsste das neue reale Wachstumspotenzial im Internet selber zu finden sein. Aber die Möglichkeiten einer virtuellen Produktion von kapitalistisch verwertbaren Gütern sind eng begrenzt."

Angst? "Alle Großen haben Angst", komponierte Birger Heymann, von dem auch das Mutmacherlied stammt, das in unserem Kinderladen gern gesungen wurde "Doof geboren ist keiner". Nach klassischem Musikstudium trat Heymann in mehreren Berliner Studentenkabaretts auf, ehe er beim Reichskabarett Teil der Berliner Sponti-Bohème wurde. Als aus dem Reichskabarett das Grips-Theater entstand, komponierte Heymann die bekannten Kinderlieder und später das Musical über die Linie 1. Hey Du, die Lieder bleiben hier!

Was wird

Unter dem Titel The Future is now schickte die US-Diplomatin Lisa Kubiske einen Bericht aus der US-Botschaft in Brasilien, als das Land den Zuschlag für die Olympischen Sommerspiele 2016 bekam. Der Bericht handelt davon, wie die USA Brasilien mit Sicherheits-Know-How zur Cyber-Security im großen Stil versorgen und über diesen Weg auch den Einblick in die brasilianischen Zustände verbessern kann. Bei den Sommerspielen in London hat man sich offenbar an diese von Wikileaks veröffentlichte US-Depesche erinnert und lässt sich mit Personal unterstützen. Schließlich hat die Markenpolizei alle Hände voll zu tun, schließlich musste die Metropolitan Police einen Anschlag auf das Ansehen der Spiele stoppen, der mit grüner Sauce erfolgte, in der Farbe der zugelassenen Internet-Lounges von Acer. Wehe dem, der hier mit einem ein markenfremden Gerät den Anschluss sucht, um via Facebook mit Cuba chatten. Im Zweifelsfall gibt es Fackeln bei Samsung. Wenn alles vorbei ist, soll die digitale Bohème Londons sich mit dem Silicon Roundabout der olympischen Sperrgebiete bemächtigen.

Unterdessen fliegen die grünen deutschen Bohème-Experten natürlich in die USA, von der Böll-Stiftung und Googles Internetforschern sorgsam betreut. Die verflixten 1000 Euro spielen da keine Rolle, wenn man in das gelobte Land kommt, wo SOPA und PIPA ausgeheckt werden, ganz ohne Green Values.

Wie wäre es mit den gelben Werten? Was den Piraten ihr Liquid Feedback, ist der liberalen Basis ihre New Democracy, die am Montag vorgestellt wird. Entwickelt von Michaela Merz, laut Wikipedia eine Pionierin der digitalen Bohème, soll die Software die Strukturen in deutschen Parteien abbilden können, komplett mit Ortsverbänden, Kreisverbänden und so weiter. Bleibt die Frage, wie die Mauscheleien hinter den Kulissen softwareseitig abgebildet wurden: Man erinnere sich an das Meldegesetz, bei dem ein Deal zwischen CSU und FDP eine ganz unverhoffte Interpretation des Vorhabens ermöglichte, mit tatkräftiger Unterstützung der Adresshandels-Lobby.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war.Was wird.(der etwas gewittrigen Sommernacht Sommerrätseledition, Teil 1)
Beitrag von: SiLæncer am 29 Juli, 2012, 06:00
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Oh, Lympia, wie bist du rosa, oh, Lymp, dein Hellblau steht dir wunneba... Auf 1001er Webseite kündet ab sofort der offiziell einzubauende Disclaimer von der großen Show: "Olympia, Olympiade, olympisch, die olympischen Ringe, Faster Higher Stronger, Citius Altius Fortius und vergleichbare Marken stehen ausschließlich dem Internationalen Olympischen Komitee, dem London Organizing Committee of the Olympic Games and Paralympic Games (LOCOG) oder damit verbundenen Organisationen zu. Diese Seite wird durch diese Organisationen weder bereitgestellt noch steht diese Seite in einer Beziehung zu diesen Organisationen." 150.000 offiziell bereitgestellte Kondome und das Löwenteam von IBM sollten das Schlimmste verhindern, da haben wir Zeit, uns um andere, weit wichtigere Dinge zu kümmern. Es ist in diesen lauen Nächten Zeit für das Sommerrätsel, wie üblich in mehrere Klickstrecken, äh, Folgen geteilt, eingeordnet in Hardware- und Softwarefragen. In welcher Beziehung der Auftritt des "Internet-Erfinders" Tim Berners-Lee mit seinem Next-Würfel bei der Eröffnungsfeier zur "Feier der Jugend der Welt" stehen mag, wäre eines dieser Rätsel (auch wenn's "Guter Vibe" trifft), ebenso die olympischen Sommerspiele zu Sachsen. Den Anfang machen indes die Fragen nach der Wetware, den Menschen, ohne die Hard- und Software sofort ihren Betrieb einstellen würden. Nach dem Tag des glücklichen Sisyphos ist es wieder mal an der Zeit, sich an Frauen in der IT-Branche zu erinnern. Im Gender-Dschungel muss man sich halt verirren können.

Also Frage 1: Als Göttin kam sie als erste Kopfgeburt zur Welt. Als fahle Preisfigur ging sie an eine Frau, die sich als kühlen Kopf sieht. Wer ist diese Frau?

Gleich weiter zu Frage 2: Steht hinter jeder erfolgreichen Frau ein Mann? Liegt Glanz und Elend eng zusammen? Gesucht wird eine Frau, deren Mann das Pech hatte, ihr Mann zu sein.

***Der Londoner Rummel hat auch seine positiven Seiten. Dazu gehört eine Ausstellung des größten Barden der Menschheit, den manche angesichts abstruser Sommerdebatten als Bibelersatz zitieren. Jetzt kann man lernen, dass Shakespeare tatsächlich eine Bibel war und eine moralische Autorität für die Gefangenen auf Robben Island, unter ihnen Nelson Mandela. So kann man lesen, wie in der (südafrikanischen) Politik mit Shakespeare argumentiert und gestritten wurde. Doch macht Bewusstsein Feige aus uns allen, wenn die kräftige Farbe der Entschließung durch des Gedanken Blässe angekränkelt wird? Wie war das noch mit dem ganzen Shakespeare bei Zweitausendeins? Nun doch Aus und vorbei?.

*** Der Brite Alan Turing wusste sehr gut, dass der Mensch ein soziales Phänomen ist. Dennoch schrieb er seine Anmerkungen zum heute so genannten Turing-Test, mit "stiff upper Lips" und dem Humor der montypythonesken Art. Wie kreativ der Mensch im Team ist, kann man ganz ohne Fernsehmarathon an einem netten Computerspiel voller Retrocharme sehen, das aus der Not-Wendigkeit geboren wurde, den Vermarktungs-Wahnsinn der Veranstalter zu umgehen. Wobei, wenn es um Vermarktung geht, es immer auch um hübsche Summen für alte Inhalte gehen kann. Wenn es eine "Herausforderung" ist, ältere Charaktere dieser Sammlung bei jüngeren Zielgruppen bekannt zu machen, dann ist das vor allem für ein Rätsel gut.

(http://www.heise.de/imgs/18/8/9/6/5/1/9/526d4b965a57882d.jpeg)
Womit wir bei Frage 3 wären: Sie war eine Göttin für die Jugend der 80er. Gesucht wird das Computerspiel mit ihr.

Göttinen? Ja. Das führt direkt zu Frage 4: Auch eine Ikone, für noch ältere Semester. Was will uns die Oma aus dem Internet (im Bild rechts sagen?

*** Wo die Oma auftritt, wird von Früher (tm) erzählt, von den guten alten Zeiten, als man tatsächlich noch Computer aufschrauben und tunen konnte, als Gesetze nach allen Regeln der Juristerei gezimmert wurden und nicht in Hinterzimmern huschusch abgeändert. Das Meldegesetz hat es im öffentlichen Protest umgepustet, das Wahlrecht mit seinem Geburtsfehler der Überhangmandate ist als nicht verfassungsgemäßes Recht weggepustet worden und wenn man sich die neuesten Abänderungen beim Leistungsschutzrecht vor Augen führt, wird gerade ein weiterer schwarzgelber Pustekuchen gebacken. Was bleibt, ist der Eindruck, das Gesetze wie in einem dieser Lustspiele mit der Oma aus dem Internet in Hintertupfing gezimmert werden. Es hat was von einem Schwank, wenn Juristen das Lex Google so kommentieren "Warum lasst Ihr es nicht einfach bleiben?!"

Was nicht unbedingt zwangsläufig zu Frage 5 führt, aber trotzdem gefragt werden will: Wie heißt die EDV-Fachfrau in einem gern gespielten Bauernstadl, in dem Computer eine Rolle spielen?

Was ebenso für Frage 6 gilt: Darf man die Computerei den Männern überlassen? Diese Frau sagte Nein.

*** In dieser Woche ist es wieder einmal passiert: Internet-Giganten wie Google und Amazon haben einen Lobbyverband namens Internet Association gegründet, der sich gegen staatliche Regulierung des Internet einsetzen soll. Schon einmal hatte diese Branche einen üppig ausstaffierten Lobbyverband, angeführt vom Internet-Giganten Netscape, der Deutschen Telekom und SCO (!), der vehement staatliche Beschränkungen in der Kryptografie bekämpfte. Schaut man auf die Arbeit des Global Internet Projects zurück, so zeigt sich ein ums andere Mal, wie das Internet vergisst. Die großen Visionen von der Zukunft des Internets, vom richtigen Wachstum der Branche und ehrgeizigen weltumspannenden Zielen, verweisen ins Nirvana. Man wollte anders sein, vor allem professioneller als die Electronic Frontier Foundation (EFF), deren Arbeit belächelt wurde. Das Kryptoverbot wurde in der Tat verhindert, auch mit dem Engagement der EFF, die unermüdlich weiter arbeitet und beispielsweise über die Risiken der Gesichts-Erkennung aufklärt oder die fortlaufende Arbeit an der Finfisher-Analyse begleitet, die anderswo sensationsheischend als "neuer Staatstrojaner" gefeiert wird. Ist es schon vergessen, dass Finfisher aus München stammt, der Mailserver aus persönlichen Gründen im Libanon steht und der Eigner in Bahrain gesichtet wurde?

(http://www.heise.de/imgs/18/8/9/6/5/1/9/46e8e8ed02bb6e02.jpeg)
Was in diesem Fall ganz selbstverständlich zu Frage 7 führt: Auch anderswo gibt es Widerstand gegen IT-Überwachung. Wer ist sie, die im Bild links zu sehen ist?

Eigentlich nichts damit zu tun hat Frage 8: Mann ist Mann und Frau ist Frau. Eine Programmiererin beweist das Gegenteil.

Was wird.

Alles wird gut oder zumindest August. Dann tritt das Gesetz zur sogenannten Button-Lösung in Kraft, mit dem die Internet-Abzocke beendet werden soll, zumindest bis zum ersten Auftauchen eines nicht sichtbaren Trick-Buttons. Nur beim Klick auf eine "deutlich gekennzeichnete Schaltfläche mit Angabe des Gesamtpreises" kommt ein rechtsverbindlicher Kaufvertrag zustande. Ist das nicht wunderbar? Und noch ein Gesetzlein tritt in Kraft, funktioniert allerdings genau andersrum, nämlich ohne jegliche Warnung: Die LKW-Maut wird Klock Mitternacht auf 1135 Kilometer Bundesstraße ausgeweitet. Als "Warnschild" diente eine Bekanntmachung im amtlichen Teil des elektronischen Bundesanzeigers, ansonsten erfährt der Brummifahrer allenfalls davon, wenn in der Nacht das Software-Update auf der OBU aktiviert wird – oder auch nicht. 40 Millionen Euro zusätzlich soll die "Erweiterung" der Maut bringen, die technisch gesehen der Einstieg in eine bundesweite LKW-Maut auf allen Straßen ist: Schluss ist dann mit der lästigen Diskussion um "Mautausweichler" oder den 30 Millionen, die Toll Collect jährlich bekommt. Um es mit dem ausgezehrten Amazon zu sagen: Wer glaubt, dass diese Millionen ausschließlich in den Straßenbau fließen, glaubt auch, dass nach dem erstmaligen Ausfall der Lindenstraße wegen unserer hellblaurosanen "Medaillenhoffnungen" am heutigen Sonntag die Welt untergeht. Aber mit dem Glauben ist das bekanntlich so eine Sache, wie nicht nur die sommerliche Vorhaut-Debatte zeigt: Die IFA naht und mit ihr solche Weisheiten, dass Wäschetrockner weniger Energie verbrauchen als eine herkömmliche Wäscheleine. Da hat eine andere Form von Hitze zugeschlagen.

Apropos Hitze und zuschlagen. Frage 9: Home Appliances auf der IFA? Ach was! Gesucht wird die Frau, die den ersten Home Computer benutzte.

Und fast schon ein Ausblick ist Frage 10: Auf der Schwelle zum Hardware-Gerätsel suchen wir eine "Roboterin", die sich für die Rechte islamischer Frauen einsetzt.

Die Lösung aller Rätsel einer gewittrigen Sommernacht wird, so die Götter des Netzes und der Redaktion es wollen, am Montag veröffentlicht.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was zu raten war, im ersten Sommerrätsel
Beitrag von: SiLæncer am 30 Juli, 2012, 19:40
Frauen in der IT, das Thema bereitete den Leserinnen und Lesern der kleinen Wochenschau keine Probleme. Auf alle Fragen gab es stimmige Antworten und wieder einmal die Erkenntnis, dass mehrere Antworten möglich sind.

Mit kostenloser Verpflegung möchte Marissa Meyer die Moral bei Yahoo verbessern, dazu soll es coole Arbeitsplätze geben. Die neue Chefin von Yahoo wird als Kopfmensch geschildert, der gründlich analysiert und keine Entscheidung aus dem hohlen Bauch heraus trifft. Sie erhielt als erste Frau im Jahre 2006 den Kopf der Pallas Athene, den Aenne Burda Award und ist damit die Antwort auf Frage 1.

Mit ihrem Buch "Glanz und Elend der deutschen Computerindustrie" rechnete Ilse Müller im Jahre 1995 mit der deutschen Computerbranche ab, vor allem mit der Firma Nixdorf und deren Gründer Heinz Nixdorf. Die Erfolgsgeschichte von Nixdorf begann mit der von Otto Müller konstruierten Nixdorf 820, eine Leistung, die nicht einmal für einen eigenen Wikipedia-Eintrag reichte. Ilse Müller wurde als Antwort auf Frage zwei nicht geraten.

(http://www.heise.de/imgs/18/8/9/7/0/0/6/3e37ba252b8a7c69.jpeg)
Das Computerspiel Sim und Samantha Foxens Strip Poker wurden als Antwort auf Frage 3 genannt, die sich auf einen Aufkauf der Firma Classic Media durch Dreamworks bezog. Gesucht wurde deshalb nach She-Ra, der Zwillingsschwester vom He-Man. Frage 4 zeigte Heidi-Kabel, die einen kleinen und einen großen T-Beutel hält und für "Tee ohne Leine" wirbt, eine Internet-Funkverbindung mit rasenden 512 KBit/s.

Frage 5 suchte Martina Weißhäupl, eine EDV-Fachfrau in dem Bauernschwank "Software für Niederhapfing" von Elfriede Wipplinge. So schwierig die Suche nach einem Theaterstück war, in der Frau und Computer eine wichtige Rolle spielen, so einfach fand die Heise-LeserInnenschaft die Antwort. So manche Leistung wird von Google entwertet. Die richtige Antwort auf Frage 6 liegt im Bonmot, das Karen Spärck Jones zugeschrieben wird.

(http://www.heise.de/imgs/18/8/9/7/0/0/6/aff1664a08b0aa97.jpeg)
Frage 7 wurde als Bildrätsel nach wenigen Minuten oberfix gelöst. Gesucht war Katherine Albrecht, unermüdliche Kämpferin gegen die Verchippung unserer Lebenswelt. 2004 trat Katherine Albrecht in einer Veranstaltung des FoeBuD auf, ein guter Anlass, daran zu erinnern, dass die Bielefelder Aktivisten gerade ein RFID-Projekt zu Mensa- und Studienkarten gestartet haben.

Frage 8 bewies wieder einmal, dass es auf alle eindeutigen Fragen ein Mehrfaches an Antworten gibt. Gesucht war Audrey Tang, gefunden wurden Rebecca Heineman und Sandy Stone. Auch Mary Allen Wilkes, die 1965 einen LINC-Computer zu Hause einsetzte, wurde aufgespürt, komplett mit dem Eintrag in der Wikipedia, dass Konrad Zuse den ersten Computer in einer Wohnung gebaut hatte.

Nicht geraten wurde Nummer 10, die Roboterin Electric Barbarella aus dem Song von Duran Duran, gespielt von Mykla Dunkle. Aber dieser Fund eines bgks regt auch zum Nachdenken an.

Der zweite Teil des Sommerrätsels wird sich mit Software aller Art befassen.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Der Sommernacht-Sommerrätseledition zweiter Teil)
Beitrag von: SiLæncer am 05 August, 2012, 06:00
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Sommer, Sonne, Software. Eine ungültige Auflistung? Wer die Tickernachricht liest, wie ein Programmierfehler in einer Software in 45 Minuten 440 Millionen Dollar verzockt, kann dies sehr wohl mit den sommerlich schmelzenden Polkappen vergleichen und der Zeit, wenn unsere Nachfolger und Nachfolgerinnen baden gehen. Zum Sommer anno 2012 gehört in jedem Fall das Sommerrätsel, das sich mit der Software befasst, heute meistens nur noch App genannt.

(http://www.heise.de/imgs/18/8/9/9/8/8/4/67b0a7a587baf46b.jpeg)
Junge Heranwachsende, die heute einen Computer-Desktop sehen, fragen mitunter, was denn da alles für Apps zu sehen sind auf dem Bildschirm. Und wenn die rote Katja Kipping sich einen Karl Marx ausmalt, der in den Wissensarbeitern mit ihren Apps das revolutionäre Subjekt der Geschichte gefunden hat, komplett mit einem original US-amerikanischen Panik-Knopf für gescheiterte Revolutionen, dann sieht die Zukunft offenbar so aus, wie die Postkarten, die zur Berliner Diskussion verteilt wurden.

*** Das ist schon was anderes als der Einspruch gegen die Fassadendemokratie, den "führende Intellektuelle" nach Aufforderung durch Siggy Pop veröfentlichten. Angeblich ist das Verfahren revolutionär: "Es wird nicht mehr im 'closed shop' geschrieben, sondern im Austausch mit Wissenschaftlern und Intellektuellen." Das Volk ist mit unbekannter Adresse verzogen. Wird der Ruf der Großintellektuellen nach einem Verfassungskonvent in die Tonne getreten?

Und wieder ergibt sich also fast zwangsläufig Frage 1: Wie sah der erste Papierkorb auf dem ersten Desktop aus? Ein Kleidungsstück stand Pate.

Ebenso wie Frage 2: Welches Software-Projekt steht unter dem Verdacht, revolutionäre Bewegungen abzuhorchen?

*** Zur Software, die unter einem bösen Verdacht geraten ist, gehört Skype, dass derzeit damit beschäftigt ist, brave Dementis zu veröffentlichen, die mancher Kommentator zum Anlass nimmt, über wackelnde Dackel von Schuhbombern zu philosophieren. Dabei belegt gerade ein Gutachten aus Bayern detailliert in 9 Fällen, wie das geht mit dem Ausleiten der Skype-Telefonate: Es ist, wenn Softwarelisten ausgelesen werden, bedenklich nah an der verbotenen Online-Überwachung, es wird geschusselt und geschlampt, es hat überhaupt nichts mit terroristischer Bedrohung zu tun, aber hey, es geht. Das bringt uns natürlich noch einmal zum amtierenden Innenminister, der derzeit den Sicherheitsapparat in Deutschland im großen Stil umbaut. Dabei beweist er "personalpolitische Brutalität" und wird von den Liebhabern der Freiheit mit einer Pixelmütze geehrt. Der versprochene große Entwurf, wie sich die Sicherheitsbehörden zusammentun und die neuen Felder der Cyber-Kriminalität beackern, lässt dabei auf sich warten. Als Zuckerli gibt es Open Data vom Sportminister, der die Medaillen-Zielvereinbarungen seiner Bürokraten geheim halten will.

Software? Überwachung? Mal eben Frage 3: Bei welchem Programm musste der Nutzer gemäß der EULA sein Einverständnis geben, dass ein Liste der auf seinem Rechner installierten Software nach Israel übertragen wird?

Was sich logischerweise anschließt, ist Frage 4: Gesucht wird ein andrerer Begriff für Software für das "Legale Abhören in Computernetzen".

*** Bei der Wochenzeitung Freitag hat das Schwerpunktthema Liquid Democracy nach der mehr technisch gehaltenen Behandlung in der iX in dieser Woche für Aufregung gesorgt. Dabei spielte der im Gestus großintellektueller Herrlichkeit geschriebene Rant über den Fetisch zum Anklicken die geringste Rolle. Schließlich gilt für Fetische Gödels Unvollständigkeitssatz. Vielmehr beschwerten sich etliche Berliner Start-Ups über die Beschreibung der Software-Werkzeuge, die potente Investorenengel abschrecken könnte. Auch Demokratie muss sich finanziell lohnen, das ist die eigentliche Nachricht, die hinter Vereinen wie Interaktive Demokratie auf die glücklichen Benutzer wartet. Während die SPD ihren virtuellen Ortsverein aus der Blütezeit von Compuserve in die Tonne getreten hat, haben die (Berliner) Grünen ihre Mitmach-Software "Da müssen wir ran" mit einem neckischen Baustellen-Schild aus der Frühzeit des Webs verziert. So sind die Piraten ganz toll stolz auf ihr Liquid Feedback, dass sie prompt entsetzt Wahlcomputer! rufen, wenn andere Parteien wie die FDP es mit New Democracy versuchen. Da Wahlcomputer allen kryptografischen Überlegungen (PDF-Datei) zum Trotz ürböse sind, erübrigt sich jede Debatte, wie praktisch,

Dann kniffeln wir mal Frage 5: Wo spielt dieses Programm eine Rolle?

10 REM Programm
20 INPUT L$(1),L$(2),L$(3),L$(4)
30 PRINT
40 FOR I1=1 TO 4
50 FOR I2=1 TO 4
60 IF I2=I1 THEN 130
70 FOR I3=1 TO 4
80 IF I3=I1 THEN 120
90 IF I3=I2 THEN 120
100 LET I4=10-(I1I2+I3)
110 LPRINT L$(I1),L$(I2),L$(I3),L$(I4)
120 NEXT I3
130 NEXT I2
140 NEXT I1
150 END


Und kommen schnurstracks vom Weg ab zu Frage 6: Vor Beginn der TCP/IP-Ära konnte eine kleine Shareware-Firma mit einem Wähl-Programm zu einem großen kommerziellen Softwarehaus wachsen. Welche?

*** Ach ja. Man sollte nicht so viel sozial netzwerken neben dem Fernsehen. Ist das schon die "digitale Demenz", wenn der erboste Rant über das im TV Gesagte und Gezeigte nicht warten kann? "Computer machen dumm, süchtig, aggressiv, einsam, krank und unglücklich." Danke. "Digitale Demenz", das hat wirklich noch gefehlt. Die alten Männer diskutieren. Die selige TV-Gemeinsamkeit des Digitale-Demenz-Professors und des sich im "disparaten globalsimultanen Ewigjetzt der Geschichte" verlierenden Barden (ha, Dörte, ick hör Dir trapsen): Das Grauen, das Grauen. Man sollte sich sowas nicht antun. Man braucht dies nicht, dieses den Kulturpessimismus der bildungsbürgerlichen Eliten in Rückwärtsgewandheit und reaktionäre Zukunftsangst wendende Geschwätz, das auch noch als geselllschaftlich notwendige Weisheit verkauft wird. Die ewig gleiche Debatte, mit Leuten, die im 19. Jahrhundert Bücher als der weiblichen Jugend äußerst abträglich verdammten, die im 20. Jahrhundet das TV als Untergang des Abendlands analysierten, die im 21. Jahrhundert ... Ach, lassen wir das. So wird Sisyphos nie zu einem glücklichen Menschen.

Womit wir wieder bei der Software wären, die ja so dumm macht, und kommen also zu
Frage 7: Vor den Apps gab es (vor allem für DOS) nützliche Programmsammlungen mit Helferlein, etwa die Norton Utilities. Welche Hilfsprogramme enthielten die Red Utilities?

Verständnisprobleme? Da sollte man sich aber erstmal Frage 8 anschauen: 8 Mal Kauderwelsch aus der Zeit vor dem Internet? Ist dies eine gültige Mail-Adresse und welches Mailsystem steckt dahinter?

GER.XDD002
Dhildebr@SHACK
unido!uwbln!hw
08142291400PO"DNSOLCHING"
*404070#
franvm(ujs01)
/C=DE /ADMD=DBP /PRMD=Softwerk /O=Fue /G=Lothar /S=Stadtler
Michael Schiffers@LOTUSINT


Was wird.

Das ist doch mal eine Nachricht: Der Chaos Computer Club wechselt aus Platzmangel von Berlin nach Hamburg, von der Bundeshauptstadt in die Transparenzhauptstadt, wo das Congress Center eine Outdoor-Erfahrung wie bei den Camps des Clubs garantieren soll: überall kleine Schlafsack-Villages und viel Leuchttechnik in der Nacht, nur ohne Mücken und Kabelklos. Wenn Hacker die digitalen Krieger für die kommenden Cyberwars sind, wie in der Ankündigung geschrieben, dann dürfen sie auch etwas Komfort erwarten und einen Rahmen, in dem ein Bundespräsident mal Hallo sagen kann wie bei den Senioren. Schließlich ist "aktiv Altern" nichts anderes als eine Umschreibung von "weiter Hacken". Was Berlin bleibt, ist die IFA, die in ein paar Wochen startet und das Hohe Lied der Hausvernetzung singt, und ihr Medienkongress, der "frische Geschäftsmodelle" sucht und "Digitale Werte" wie Freiheit, Solidarität und fairen Umgang aller Intelligenzformen sucht oder ist es doch nur "Vernetzung, Wettbewerb und Wertschöpfung" mitsamt den beliebten Daumenschrauben für das Auspressen des Urheberrecht?

(http://www.heise.de/imgs/18/8/9/9/8/8/4/10df792539f11b9d.jpeg)
Bei der "Ewig grüßt das Weiße-Ware-Vernetzungs-Eichhörnchen"-Veranstaltung IFA kommt man gleich auf Frage 9: Das Abenteuer Heimvernetzung hat viele Facetten. Wann entstand dieser Text? "Wenn es an meiner Wohnungstür klingelt, wird eine Videokamera aktiviert. Das Videobild geht übers Netz zum PC, es wird digitalisiert und in PCX-Dateien konvertiert. Ein A/D-Wandler besorgt die Umsetzung von Audioimpulsen in eine digitale Tondatei. Powerpoint führt Ton und Bild zu einer Animation zusammen. Die Präsentation wird gezippt und per Highspeed-Modem an eine Mailbox geschickt. Ich erhalte dann automatisch eine E-Mail, dass vor 40 Minuten jemand an meiner Tür war."

Mit all dem nur am Rande zu tun hat die letzte Frage für heute, die Frage 10: Zum Schluss hier links ein Foto einer Software-Werbung. Wer sieht den Unterschied und warum gab es ihn in welcher allen wohlbekannten Zeitschrift aus der norddeutschen Tiefebene?

Quelle : www.heise.de
Titel: Was zu raten war, im zweiten Sommerrätsel
Beitrag von: SiLæncer am 06 August, 2012, 18:30
Auch bei der Software haben die Freunde des gepflegten Rätselratens mit zweieinhalb Ausnahmen die kniffligen Fragen gelöst – oder war Googles helfende Hand beteiligt? Seis drum: Am Tag der Netzkultur, an dem Nerds ihr Dasein als digital Natives feiern, ist eine kleine Aufklärung angebracht.

Obwohl der Xerox Alto schon 1973 lief, stammt der erste grafische Desktop aus dem Jahre 1976 und ist obendrein nur als Zeichnung verfügbar, wie hier zu sehen ist. Die Antwort auf Frage 1 lautet damit richtig Unterhose, jedenfalls für alle Generationen vor dem Siegeszug der Boxershorts. Bei Frage 2 nach einem Software-Projekt, das unter dem Verdacht steht, revolutionäre Bewegungen abzuhorchen, waren viele Antworten denkbar, von Haystack über die landläufige Debatte, ob Skype ein Hintertürchen hat, bis hin zum Tor-Project, das der Cryptome-Veteran John Young für unterwandert hält, weil die USA die Sache finanziert.

Frage 3 zielte auf einen Vorläufer von Skype. Im Jahre 1995 kam das Internet Phone der damals israelischen Firma Vocaltec auf den Markt. In den Nutzungsbedingungen der ersten Internet-Telefonie findet sich der Passus, dass Vocaltec berechtigt ist, eine Liste aller Programme zu speichern, die der Nutzer auf seinem Windows-PC installiert hat. In Frage 4 wurde ein anderer Begriff für das legale Abhören von Computernetzen gesucht. Gesucht werden sollte damit das Kryptoverbot in der vom damaligen Innenminister Manfred Kanther propagierten Form der Schlüsselhinterlegung.

In Frage 5 taucht das sofort enträtselte Anagramm-Programm auf, das im Buch "Das Foucaultsche Pendel" von Umberto Eco genutzt wird, um die Namen von IAHVEH zu finden. Die Frage 6 nach einer Firma, die sich erfolgreich aus der Shareware-Szene entwickelte, erbrachte mehrere mögliche Antworten. Wir hatten Procomm im Auge, wie das ebenfalls genannte Telix ein Nachfolger von PC-Talk.

(http://www.heise.de/imgs/18/9/0/0/4/3/8/2522c2bc017629cc.jpeg)
Die Red Utilities von Frage 7 waren zu der Zeit eine beliebte Ergänzung, als DOS noch rank und schlank war. Die wichtigsten Programmergänzungen der Red Utilities waren BATCOM, das aus Batch-Dateien ein Programm erzeugte, REDCACHE für die Nutzung von Expanded Memory und FINDTEXT, die DOS-Version des Unix-Befehls grep. Bis auf die absichtlich falsche Angabe *404070#, die für eine BTX-Seite steht, wurden in Frage 8 gültige Mail-Adressen folgender Mailsysteme genannt: Applelink, Netware MHS, UUCP, CC-Mail, IBM Mail, X.400-Mail, Lotus Notes.

Frage 9 nach einer frühen, besonders unsinnigen Form der Hausvernetzung verlangte die Aufschlüsselung der zeitgenössischen Soft- und Hardwareentwicklung, die der Kontrollgruppe besonders gut gelang: Das Szenario stammt aus dem Jahre 1991. Bleibt der schlimme Fall des Zensur-Vorwurfes zu klären, den die c't ereilte, weil die Anzeige eines Shareware-Versands wegen der pornografischen Darstellung zunächst abgelehnt worden war. Die Lösung war ein schwarzer Filzstift zur zielgruppengerechten Ansprache. Links die Anzeige, wie sie in der c't erschien, rechts die Version von "Computer live", vormals Happy Computer.

Der nächste und letzte Teil des Sommerrätsels erscheint, wenn die züchtigen olympischen Sommerspiele zu Ende gehen. Im Hardware-Rätsel sollten ursprünglich Computer-Lüftungsschlitze geraten werden, was sich als allzu harte Nuss erwies.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Einer lauen Sommerrätseledition dritter und letzter Teil)
Beitrag von: SiLæncer am 12 August, 2012, 06:00
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Da schau her, wieder ist ein Rätsel der Menschheit gelöst. Der Mars ist ein lieblicher Ort wie eine gut aufgeräumte Müllhalde. Nach Ansicht der Wissenschaftler fühlt man sich sofort wie zu Hause. Doch von kleinen grünen Männchen keine Spur, von Königin Aelita leider nichts und die Worte "Anta Odeli Uta" hat Curiosity auch noch nicht aufgezeichnet. Der Planet Liebe ist der Mars offenbar nicht, die Liebesschwüre auf der Erde bekommt Bobak Ferdowsi, natürlich per Twitter und Facebook. Aber sonst ist es recht nett da draußen, wo Vermessungsarbeiten beginnen, während auf der Erde beim Computer die technische Demenz zuschlägt: Unfassbare Computerpanne kann man das nur nennen, wenn man den Computer als unfehlbare Maschine anhimmelt. Das wiederum wäre schon fast ein richtiges Rätsel, wo doch zum Schluss der Sommerrätselei die Hardware aller Art auf dem Plan steht, die mit der Geschichte des Computers verbunden ist. Fangen wir an, der Sommer dauert ja nicht ewig, die Bombenstimmung ist bald vorbei.

(http://www.heise.de/imgs/18/9/0/3/1/3/0/23af3d560b6a9b4a.jpeg)
Also flugs Frage 1: Was ist hier im Bild rechts zu sehen?

Und gleich noch Frage 2, ganz ohne Bild zur Hilfestellung: Gesucht wird ein Gadget, das ohne Computer nicht realisierbar war.

*** Das große Gauß-Jahr war 2005, die virale Ehrung kommt also etwas verspätet. Vieles spricht dafür, dass die nun entdeckte Malware Gauss im staatlichen Auftrag unterwegs und gegen einen Staat gerichtet ist: Der weltweite kalte Cyber War lässt grüßen. Dass es gegen Syrien gehen soll, ist bei der jahrelangen Laufzeit von Gauss eher unwahrscheinlich und bloße Spekulation, zumal die eigentliche Nutzlast erst noch dekodiert werden muss. Eine "staatliche Malware zum Bankenraub" aus den bisher bekannten Details zu schlussfolgern, ist gewagt. Am Ende ist es gar ein europäischer Rettungsversuch wie Merkels Geheimplan Nummer B. Wie gut, dass die IT längst die passenden Degausser im Programm hat.

*** Diese Kolumne wird am Geburtstag von Steve Wozniak geschrieben, der zum Jubeljahr gefeiert wurde. Nun hat sich Woz in Washington noch einmal das umstrittene Stück "The Agony and The Ecstasy of Steve Jobs" angesehen, eine Tom-Kummer-artige Auseinandersetzung mit den Zuständen in den chinesischen Computerfabriken, in der der Künstler als Journalist auftritt. "Ich werde niemals derselbe sein, nachdem ich diese Show gesehen habe", erklärte Wozniak zur (inzwischen überarbeiteten) Uraufführung im letzten Herbst. Diesmal blieb es bei deftigen Äußerungen zum Cloud Computing, in denen seine Angst vor Kontrollverlust deutlich wurde. "Wir werden viele gräßliche Probleme in den nächsten fünf Jahren erleben", sagte iWoz nach einem von Google in der Cloud gehosteten Agenturbericht.

(http://www.heise.de/imgs/18/9/0/3/1/3/0/2dd85b3ea3dfe53a.jpeg)
Keine Ahnung, warum mich das auf Frage 3 bringt: Ryad lässt grüßen. Ryad?

Und erst Frage 4: Was stimmt an dem im Bild links zu sehenden Nachbau der Bastelbude von Wozniak nicht?

*** Im trubeligen London inmitten der olympischen Sommerspiele ist die Geschichte von Julian Assanges Aufenthalt in der Botschaft von Ecuador etwas in den Hintegrund geraden. Eine weitere Veröffentlichung aus der internen Mail-Diskussion von Stratfor soll dem Fall Assange die nötige Aufmerksamkeit sichern, inklusive Behauptungen über DDoS-Attacken auf Wikileaks. Bei näherer Hinsicht ist viel Getuschel dabei und das Szenario von Bourne Identity scheint die Vorlage zu liefern. So bietet die Trapwire-Geschichte guten Stoff für Verschwörungstheoretiker und Aluhut-Fabrikanten, während die realen Auswirkungen von Wikileaks in ihrem ganzen Irrsinn übersehen werden. Wie eine geleakte Regierungsanweisung zeigt, übertreffen die Verhaltensregeln für nicht mehr ganz so geheime, bei Wikileaks aufgetauchte Dokumente jeden Catch 22.

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Aber schauen wir uns erstmal Frage 5 an: Was macht der "Stromkreis" im Bild rechts in welchem Buch?

Etwas musikalischer Frage 6: Eine fruchtige Firma warb mit einem abgewandelten Ina-Deter-Song für ihren Rechner. Welche Firma und welcher Song?

*** Bundesinnenminister Friedrich ist derzeit dank #OpenFriedrich schwer damit beschäftigt, die Zielvereinbarung für seinen frisch besetzten Verfassungsschutz festzulegen. Schließlich soll die völlig überflüssige rechts blinde, links blöde Behörde nun ein unverzichtbares Frühwarnsystem zu werden, in der jeder Treffer mit einer Medaille belohnt wird. Neben den Schützern, die Kryptokommunisten wie Katja Kipping beschatten, müssen dringend die Fachkräfte für die Grünen besser ausgebildet werden. Dann ist da noch die Piratenpartei und diese höchst verdächtige Mitte der Gesellschaft. Was ist nicht alles schon aus dieser Mitte gekommen!

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Das ist aber jetzt doch logisch, dass jetzt Frage 7 kommt: Was ist das im Bild links? Die Abhörschnittstelle des Verfassungsschutzes?

**** Es hat schnell die Runde gemacht, das Urteil des Bundesgerichtshofes zum Auskunftsanspruch in den Fällen, in denen Rechteinhaber ihre Werke in Musik-Tauschbörsen gefunden haben. Wieder einmal ist ein handwerklich schlecht gemachtes Gesetz kassiert worden, diesmal jedoch nicht von dem Verfassungsgericht und nicht ein Gesetz der aktuellen Regierung. So mancher erinnert sich jetzt an das Versprechen der damaligen Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD), mit dem Hinweis auf "gewerbliches Ausmaß" sei klargestellt, dass es nicht um Jugendverfehlungen gehe. Nun ist prompt der Passus vom gewerblichen Ausmaß vom Gericht als taube Nuss abgeschmettert worden.

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Wenn ein Song ganz oben in den Charts steht oder ganz neu auf dem Markt ist, reicht ein einziges Angebot, gewerbliches Ausmaß hin oder her. Jetzt wird eine neue Welle von Abmahnungen die ohnehin heiß gelaufene Debatte über das Urheberrecht anfeuern. Die Alternative wäre der ernsthafte Einstieg in die Debatte über die Kulturflatrate oder neue, günstige und legale Kaufangebote der Musikindustrie. Ernsthaft. Um es mit Biermanns Oma Meume zu sagen: Dann, lieber Gott, wird auch der Kommunismus siegen.

Zwnagsläufig muss jetzt Frage 8 kommen: Mit diesen Gerätchen in den beiden Bildern rechts begann der Untergang. Oder?

Was wird.

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Wer in die Zukunft schaut, blickt oft genug verblüfft in die Vergangenheit. Die stetig anschwellende Flut der Pressemeldungen, ob zur IFA in Berlin oder den randständigen Add-Ons wie der Medienwoche oder dem Showstage TEDx zeigen viele bekannte Konzepte. Verwunderlich, welch ein ausgesprochen zähes Leben der ans Internet angeschlossene Kühlschrank führt, der nachweislich nicht gekauft wird. Auch das Family Whiteboard aus dem Berliner T-Com-Haus müsste rechnerisch inzwischen in jedem zweiten Haushalt stehen, stattdessen sieht man iPads und hier und da ein Android-Tablet. Mit der Internet-Integration in dem Fernseher sieht es nicht anders aus. Neu ist hier die Gestensteuerung als letzter Schrei, die perfekte Selbstüberwachung der Couchkartoffel.

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Befragt, warum das von ihm gepriesene Fernsehen als neues Medium so schrecklichen Mist produziere, antwortete Marshall McLuhan einmal: "Man muss mit den Medien reden, nicht mit dem Programmierer. Mit dem Programmierer reden ist so, wie sich beim Würstchenverkäufer im Stadion über das schlechte Spiel seiner Lieblingsmannschaft zu beschweren." Hier irrte sich der gute Mann.

Dann also Frage 9: Hingesesselt und losgesurft, hieß es in der Werbung im Bild links. Was passierte wirklich?

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Und zum Schluss noch Frage 10: Noch so eine Vision, im Bild rechts. Von wem kam und wie hieß die Technik?

Die Lösung aller Fragen erfolgt wie üblich am Montag. Bis dahin kann gekniffelt werden und die letzte Sommersonne genossen.

Quelle : www.heise.de
Titel: Die letzten Rätsel eines langen Sommers, aufgelöst
Beitrag von: SiLæncer am 13 August, 2012, 20:00
Die olympischen Sommerspiele sind vorbei, die letzten Medaillen werden aberkannt, die Fahnen eingeholt. Auch das Sommerrätsel ist Geschichte, genauso wie die lauen Sommernächte. Nur zwei der zehn Fragen blieben ungelöst, der Rest machte aufmerksamen Lesern keine Probleme.

Das Foto der Turing-Bombe in Frage 1 stammt aus dem Heinz Nixdorf Museumsforum und soll daran erinnern, dass dort immer noch eine Ausstellung in Etappen läuft. Aktuell sind in Paderborn Turing-Maschinen zu sehen, kleine zähe Universalcomputer, von Turing theoretisch beschrieben. Frage 2 suchte ein Gadget, dass ohne Computer nicht realisierbar war. Die richtige Antwort lag in der Frage, wurde aber nicht erraten: Gadget ist der Codename der Atombombe Trinity, deren Wirkung mit dem ENIAC berechnet wurde.

Frage 3 suchte das sowjetische Computerprojekt Ryad (PDF-Datei), den Versuch, mit einer Serie von Rechnern so konkurrenzfähig zu werden, dass IBMs System 360 technisch eingeholt werden konnte. Frage 4 zeigte die Rekonstruktion der Bastelecke von Steve Wozniak, wie sie einstmals vom Computer History Museum in Boston aufgebaut wurde. Wozniak protestierte, er habe niemals ein Poster von Stones-Frontmann Mick Jagger besessen. Als sein Biograph Paul Garr 1984 schrieb, das Wozniak der Keith Richard hinter Steve Jobs sei, reichte ihm dieser Satz, um die Biographie nicht zu autorisieren. Erinnert sei an Wozniaks Musikfestival vor genau 30 Jahren, als er die Ramones, Police, Talking Heads, Santana, die Kinks, Grateful Dead, Pat Benatar, Fleetwood Mac und die B-52s auftreten ließ.

Frage 5 zielte auf das Buch von Marshall McLuhan und Quentin Fiore "Das Medium ist die Massage". Der dort abgebildete Inverter gehört zu der Frage von McLuhan "Was tust du, wenn dieser Stromkreis deinen Job macht?" Die Antwort, dass Lehren, Lernen und ein Dienst am Menschen immer wichtiger werden, gilt auch heute noch: "Leider zeigen viele gut gemeinte politische Reformprogramme, die den sozialen Folgen der Arbeitslosigkeit die Spitze nehmen wollen, dass sie keine Ahnung von der wahren Natur medialer Einflüsse haben. 'Nur hereinspaziert!' sagte der Computer zum Spezialisten."

(http://www.heise.de/imgs/18/9/0/3/5/6/0/001ad258174e38eb.jpeg)
Frage 6 beantwortet sich mit diesem Bild der Werbung des englischen Herstellers Apricot, während Frage 7 die Infrarottastatur der Firma AZ-Key zeigt, bei der man schlicht auf Holz tippen kann. Die beiden in Frage 8 gezeigten MP3-Player Diamond Pro und Yepp nehmen beide für sich in Anspruch, der erste MP3-Player gewesen zu sein. Der Yepp wurde mit einer "Napster-Kompatibilität" beworben und beide wurden prompt von der RIAA verklagt.

Frage 9 fragte nach der Hildesheimer Firma Met@box, die 1999 auf der IFA ihren gleichnamigen Miet-Dekoder für den Online-Zugang zu ihrem Programm Met@TV unter dem Slogan "Hingesesselt, losgesurft" bewarb. Für 29,90 DM im Monat sollten redaktionell ausgewählte "informative und unterhaltsame Seiten des größten Informationsnetzes der Welt" auf den Fernseher kommen. Der Rest ist Geschichte. Frage 10 suchte die Cyber Pop Machine von IBM (PDF-Datei), die die Idee des "Pervasive Computing" mal nicht mit dem damals üblichen Internet-Kühlschrank illustrieren sollte. "Schon in naher Zukunft wird nach Überzeugung der IBM Forscher die Mehrzahl der Alltagsgeräte über eingebaute Intelligenz verfügen und überdies auch multifunktional und mobil genutzt werden."

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 19 August, 2012, 00:15
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Tralala, la la, die Bouzouki klang durch die Sommernacht, pling, pling und die Welt war neu und wunderbar und der Himmel war voller Tzatziki. Schluss mit den lauen Nächten, das Sommerrätsel ist vorüber und doch rate ich verdrossen weiter. Schuld daran ist die CD, die ihren Geburtstag feiert und der NDR, der da behauptet, die erste CD sei wie der erste Kuss. Beides vergisst man nicht. Grübeln ist angesagt, total recall geht anders. Der erste richtige Kuss ist kein Problem, aber die erste CD? Die erste CD-ROM kenn ich noch, die PC-SIG Library, installationstechnisch war das ein Albtraum. Aber die erste CD? Sie wurde sicher umstandslos auf Kassette kopiert, um im Auto gehört zu werden, wo HiFi sowas von egal war. Vielleicht wurde sie schnell wieder verkauft, so wie das ReDigi mit iTunes-Songs macht, zum Entsetzen der Recording Industry Association of America. Die lehnte einstmals die CD ab und gab HiFi-Enthusiasten den Rat, zerkratzte Platten regelmäßig durch Neukauf zu ersetzen.

*** Tralala, la, la? Mit dem Urteil gegen Pussy Riot ist aus dem großen Russland die ärmliche Überwachungsdiktatur Putinesien geworden. Man muss die Musik von Nadeschda Tolokonnikova, Maria Alechina und Jekaterina Samuzewitsch nicht mögen, um in ihrem Anti-Putin-Gebet die politische Aktion zu sehen, den ausgespielten Protest gegen die Allianz von Kirche und Staat. Die Verurteilung wegen ihres "Rowdytums aufgrund religiösen Hasses" ist ein schlechter Witz. Das Musik politisch sein kann und nicht dieses Heile-Welt-Gedudel, wird von manchen Westlern mit Erstaunen festgestellt. Ist Russland nicht so wunderbar frei, dass ein Julian Assange seine World Tomorrow im zwanglosen Gespräch mit puren Demokraten zeigen kann? Nicht diese larmoyanten Gespräche, sondern das Schlusswort von Nadeschda Tolokonnikova wird in die Geschichtsbücher eingehen.

*** So bleibt der Skandal, dass die Geschichte Pussy Riot in den Hintergrund rückt, weil ein asylsuchender australischer Frauenverächter in seinem Bemühen, sich einem Haftbefehl zu einem Verhör in Schweden zu entziehen, mit Hilfe von Ecuador zu einem Che Guevara aus dem Cyberspace verklärt wird. Wenn diese Wochenschau am Sonntag gelesen wird, will Julian Assange "vor" der Botschaft seine Botschaft verkünden und man ist kein Hellseher wenn es wieder einmal heißt, wie an jenem 28. September 2010, als die Verstoßung des Jüngers Daniel Domscheit-Berg verkündet wurde: "WikiLeaks remains strong, financially and in terms of human resources." Zur Schmierenkomödie von Assange gehört die triste Wahrheit, dass Wikileaks als Whistleblower-Plattform praktisch tot ist, weil nur noch Material wie die von Anonymous besorgten Stratfor-Mails publiziert wird, das taktisch passt. Noch trauriger sind diese "News". Doch die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt.

*** Beim Fall Assange zeigt sich die Schwarmintelligenz von ihrer schlechten Seite. Da wird aus dem in Diplomatensprache formulierten Aide Memoire Großbritanniens die Drohung konstruiert, dass Ecuadors Botschaft "gestürmt" würde, da wird in Unkenntnis schwedischer Gesetze ein Videointerview für Assange gefordert. Dass ein Untersuchungsrichter bei der Befragung etliche Experten hören muss, dass Gutachter antreten werden und dass in der Woche nach der Befragung von Assange Anklage erfolgen muss oder er als freier Mann durch Schweden reisen darf, wird ausgeblendet, denn jeder ist Experte, beim Fall Assange sowieso. Das Theater wird weitergehen, auch wenn der Ton etwas herunter gedreht wird: auf die Weigerung Großbritanniens, dem Mann freies Geleit zu geben, wird Ecuador den Internationalen Gerichtshof in Den Haag anrufen.

*** An einem anderen Gerichtshof spielt ein Fall, der ungleich weniger Aufsehen erregt. Es geht um Florian Müller, in diesem Gewebe mal Patentexperte oder nur Patent-Blogger, mal Kampagnengründer genannt. Nach Darstellung von Paid Content ist er vor allem eine von Oracle bezahlte Sockenpuppe. Auch gute Taten haben ihre Lobbyisten, und hinterrücks sind manche Feinde dicke Freunde, wenn es um Patente geht. Notfalls wird die eigene Tochter gewürgt. Auch die Liste der von Google finanzierten Vereine, Forschungsgruppen und Wissenschaftler ist eine interessante Lektüre, reicht sie doch bis zu den nachtaktiven Beratern und den Skript-Kiddies als Untergruppe von Anonymous. Und der Leerstuhl für Softwaretechnik freut sich.

*** Den Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes über den Einsatz der Bundeswehr im Inland kann man eine Katastrophen-Entscheidung nennen oder begrüßen und wohlwollend prüfen. Man kann auch daran erinnern, dass Otto Schily jetzt ein glücklicher Mann sein muss. Die Auswirkungen dieser Entscheidung haben es jedenfalls in sich. Kommt eine Katastrophe, bei der die Polizei überfordert ist, darf die Bundeswehr kämpfen oder nach Artikel 73 Absatz 1 das Kommando über wichtige Infrastukturen wie Eisenbahn und Telekommunikation übernehmen. Wer denkt da nicht an Castor-Transporte? Mehr noch: Angesichts der ständig eintrudelnden Nachrichten vom Kampf im Cyberwar und von den Lükex-Übungen kann eine IT-Katastrophe schnell einmal dazu führen, dass Tarnnetze über DE-CIX ausgeworfen werden und das Internet strammstehen muss. Das abgegebene Sondervotum des Verfassungsrichters Rainhard Gaier ist, traurig genug, ein Stoff für unsere Geschichtsbücher:

"Im Schatten eines Arsenals militärischer Waffen kann freie Meinungsäußerung schwerlich gedeihen. Wie ist beispielsweise zu verhindern, dass im Zusammenhang mit regierungskritischen Großdemonstrationen – wie etwa im Juni 2007 aus Anlass des „G8-Gipfels“ in Heiligendamm – schon wegen befürchteter Aggressivität einzelner teilnehmender Gruppen „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in Kürze“ eintretende massive Gewalttätigkeiten mit „katastrophalen Schadensfolgen“ angenommen werden und deswegen bewaffnete Einheiten der Bundeswehr aufziehen? Der bloße Hinweis des Plenums, dass Gefahren, die „aus oder von einer demonstrierenden Menschenmenge drohen“, nicht genügen sollen, kann in diesen Fällen die selbst definierten Einsatzvoraussetzungen kaum wirksam suspendieren."

Was wird.

Während Curiosity auf dem Mars herumfuhrwerkt und das Steuerteam auf der Erde nach der Marszeit lebt, kommt in der anstehenden Sommerwoche ein Remake des Films Total Recall des darob deprimierten Regisseurs Paul Verhoeven ins Kino, in dem das Eis im Inneren des Mars von tapferen Menschen mit Gedächtnisstörungen geschmolzen wird und der Planet zum Leben erwacht. Die "totale Erinnerung" beruht auf der Geschichte Erinnerungen en Gros von Philip K. Dick, der sie in einem Anfall von Panik schrieb, als er sich vom CIA verfolgt fühlte. Seine Handlung spielt auf der Erde, nicht auf dem Mars und erzählt von Gedankentransmittern, die unbequemen Menschen eingeplanzt werden und erzählt von den Machenschaften der Firma Rekal. Jede Ähnlichkeit mit toten oder lebenden Firmen (PDF-Datei) ist zufällig. Dass ein auf Banken- und Kreditkartenabrechnungen spezialisiertes Unternehmen in Sachen Gesichtserkennung unterwegs ist, ist doch totaler Blödsinn. Sowas konnte nur Philip K. Dick schreiben.

Apropos Banken: Das unabhängige Datenschutzzentrum Schleswig-Holstein hat auf die bedenkliche Praxis von Banken aufmerksam gemacht, sich zu Werbezwecken hübsche Daten-Banken ihrer Kunden anzulegen. Diese Erschleicherei erinnert daran, dass die lauen Sommernächte zwar vorüber sind und viele die "Sahara-Hitze" plagt, doch dass die Sommerakademie der Datenschützer bevorsteht. Da will man tief in soziale Netzwerke eintauchen statt in die Ostsee. Und die erste CD? Natürlich Dire Straits, Brother in Arms.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 26 August, 2012, 06:30
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Seufz! Stöhn! Grübel! Würg! und viele, viele gar nicht so museale Erikative mehr fallen mir ein – nein, nicht, wenn ein Streit um Ecken zum Höhepunkt strebt, (obwohl, da auch...), nein, sie fallen mir ein, wenn Deutschlands rotfarbige Vorzeigepiratin einen Satz ausspricht, bei dem Dagobert Duck große $-Augen bekäme: Geistiges Eigentum existiert nicht, ein Satz, der in seiner ganzen Schlichtheit etwas für die innerparteiliche Abmahnkultur der Piraten ist, die frei von "anwahltlichen Kostennoten" ist. Natürlich ist diese kleine Wochenschau eine einzige Raubkopie, ein einziges Raubmörderkopierdingsbums von mikrometrischer Schöpfungshöhe. Sie setzt zusammen, was nicht zusammengehört und unterzugehen droht im Nachrichtenalltag. Dennoch ist sie Arbeit und es gibt Geld für mich und meine sonst hungernde Familie, gestützt von einem antiquierten Urheberrecht. Und hungernde Kinderaugen schwimmen genauso in der Brühe einfacher Sätze wie dieser Unfug des nicht existierenden geistigen Eigentums: Was nicht existiert, kann nicht angeeignet, erweitert und verbessert werden im digitalen Kulturprozess.

*** Um in der schrillen Tonlage der Piraten zu bleiben: Diese Wochenschau ist ein rivalisierendes Gut, das jeder gleichzeitig lesen kann, mit einem Forum drunter, in dem sich jeder Leser artikulieren kann bis hin zum Gassigehen des inneren Trolls. Zugegeben, den Schüttelreim von Klug- und ganz kleinen Scheißern gibt es genug, und immer wieder zu lesen, wie schwach die Wochenschau war, motiviert auch nicht gerade. Aber es ist Kultur, Kommentarkultur. Jaja, es gibt sie noch die guten Dinge im Internet, allen Trollen und Sautreibereien zum Trotz. Manchen mag es gehörig entnerven, wenn die Suche nach der Kommentarkultur in Online-Foren mitunter mit der Lupe durchgeführt werden muss, weil viele die Welt durch ihren Fefe-Filter sehen. Doch die gern bemühte Freiheit des Andersdenkenden ist halt auch die Freiheit des anders Trollenden. Wie verrant muss man eigentlich sein, hier einen kulturellen Rückschritt zu vermuten, wie es die unsägliche Anitra Eggler tut. Prompt darf sie als Digital-Therapeutin im Fernsehen auftreten und reaktionär von "intellektueller Umweltverschmutzung" schwafeln. Welch unsägliche Arroganz gegenüber dem "dummen Volk", das doch besser die Schnnauze halten oder sich bei Eggler in Therapie begeben sollte, statt etwa andere Ansichten zu vertreten als die Dame. Oder gar die Frechheit zu haben, mal was Dummes zu äußern.

*** Die Häme, mit der die Frankfurter Allgemeine an diesem Wochenende mit einem "Fragebogen" die Kultur der Meinungsbildung im Internet heruntermacht, ist fehl am Platz, denn Zeitungen zensieren seit eh und je ihre Trolle in den Leserbriefspalten. Halten wir fest: Dass jeder nicht nur ein Recht auf freie Meinungsäußerung hat, sondern dies auch wahrnehmen kann, das ist einer der elementaren Entwicklungen, die das Netz und die offenen Foren (schon seit seligen Usenet- und Fidonet-Zeiten) befördert haben und für die man sie nicht genug loben kann. Aber es gibt anscheinend immer noch Leute, die sich für was Besseres halten und der Ansicht sind, Meinungsfreiheit und das Recht, seine Meinung auch zu äußern, sollte man Leuten nicht gewähren, die sich auf vermeintlich niedrigerem Niveau bewegen. Als würden Grundrechte auf Bewährung verliehen, als gäbe es Menschenrechte erst nach Eignungsprüfung. Leute wie Eggler merken gar nicht, wie dumm sie selbst daherschwätzen. Leider ist der passende Fachausdruck für diese Denke, die digitale Demenz, schon für einen anderen Schwachsinn reserviert, der eine Studie an 16 Londoner Taxifahrern auf das Internet übertragen hat. Und halt, sollten wir "Internet-Suchtmenschen" eines Tages wirklich früher dement werden als andere Demente, so haben wir unseren Spass gehabt, die Empörung geteilt, manches Mal auch noch Recht behalten und das nicht nur in de.soc.netzwesen. Man denke nur an den Fall Felix Somm oder neuerdings an zustimmende Foren-Kommentare aus dem Gesundheitsministerium, dass das Bild auf der tollen Gesundheitskarte weder als Identifikationsmerkmal gedacht war noch dafür geeignet ist. Erst mit dem Organspende-Nachweis soll das anders werden, da stören Tick, Trick und Track.

*** Aus Furcht vor den Grünen hat der Politiker Stefan Mappus die Festplatten aus seinem Ministerpräsidenten-Computer ausgebaut und verschwinden lassen. Es seien ohnehin nur Daten seiner Partei und "Daten privater Natur" betroffen, haben seine Anwälte getrollt erklärt. Ein dienstlich genutzter Computer voller Privatdaten? Potztausend! Der rege EnBW-Mail-Verkehr mit dem ehrenwerten Kumpel Notheis wurde wohl im Äther abgewickelt, in der Göttercloud. Und die IT-Spezialisten der Staatskanzlei haben, Überraschung!, den Ausbau der Platten nicht bemerkt? Da lachen ja die IT-Spezialisten im Bundespräsidialamt, die für die Verschlüsselung der Festplatte von Olaf Glaeseker als Administratoren zuständig waren. Erinnerung an die Festplatte von Max Strauß werden wach, die sich anno 2000 "blank wie ein Kinderhintern" (so der selbsternannte IT-Spezialist Frank Georg Strauß damals) präsentierte – und nach einer Analyse durch BSI-Forensiker 16 MByte Dateifragmente ausspuckte. Was folgt, ist wahrscheinlich die Ehrenerklärung von Mappus, dass das Internet mit seinen gefährlichen Viren die Festplatte gefressen hat.

*** Großbritannien hat Reue gezeigt und erklärt, die Wiener Konvention zu beachten. Damit kann das Land wieder mit Ecuador beraten, was getan werden kann, um diese Chronologie des laufenden Schwachsinns in Schweden fortzuführen. In Ecuador hat man unterdessen seinen Spaß mit der Geschichte, weil es im Land selbst nicht viel zu Lachen gibt: "Die Tendenz geht zur inhaltlichen Kontrolle: Davon zeugen das Wahlgesetz, der Entwurf für ein neues Pressegesetz, das Verbot an Minister, privaten Medien Interviews zu geben, die Nichteinhaltung des Gesetzes zur Transparenz im öffentlichen Informationsbereich sowie die wenig durchschaubaren Gerichtsverfahren gegen Presse und Journalisten." Also doch Verhandlungen zwischen Ecuador und Großbritannien, das Assange wirklich verhaften will. Derweil naht die ultimative Seeligsprechung von Wikileaks, Anonymous und den Cypherpunks in Buchform durch Andy Greenberg: "Diese Maschine tötet Geheimnisse."

*** Es gibt Ereignisse, die können die Haltung zu bestimmten Medien für ein ganzes Leben prägen. Die Übertragung der Mondlandung war so etwas, ein TV-Ereignis, für das auch in Deutschland alle Erziehungsbedenken über Bord geworfen wurden und die Kinder nachts vor der Glotze hingen. Wer das erlebt hat, konnte danach das TV nie wieder wirklich schlecht finden. Und wird sich immer an den Mann und seinen Spruch vom kleinen Schritt für einen Menschen, der ein großer Schritt für die Menschheit sei, erinnern. Der ist nun leider gestorben. Ruhe in Frieden, Neil Armstrong.

*** War noch was? Ach ja. "Dieses Album ist allen Syrern gewidmet, die seit März 2011 in ihrer Heimat gefallen sind."

Was wird.

Noch durchsetzt das Rot der IFA-Spezialmeldungen nur ab und an die Nachrichtenflut des Tickers, doch das wird sich in der nächsten Woche gründlich ändern. Die schöne smarte Welt der Fernsehgeräte, die uns verfolgen, aber auch gehackt werden können. Wieder einmal warten die intelligenten Staubsauger und Kühlschränke, die kaum kostenpflichtige DE-Mail auf die Besucher und natürlich auch die Crew von Heise, immer bereit, die Unkultur Computertechnik zu verteidigen und kritisch zu beäugen. Jeder zweite Aussteller schwärmt von digitalen hybriden Erlebniswelten, das Jahreskontingent für das Wort "Spaß" wird aufgebraucht und es gibt eine hübsche Auswahl an Impulsen. Außerdem singt Xavier Naidoo um sein Leben laut in einem gewerblichen Ausmaß.

Für alle Berliner auch abseits des öden Konsumgerödels will sich die Stadt von einer hochmobil modernen Seite zeigen. Man spricht von einem mobilen Durchblick im Nahverkehr, mit Echtzeitinformationen, wo gerade eine S-Bahn von den Schienen hüpft. Tourist oder Anwohner, das ist die Frage, die die tolle Software seltsamerweise nicht alleine lösen kann. Die Hipster Antifa lacht. Die Erweiterung des mobilen Durchblicks um Rostock-Lichtenhagen ist in Planung. Denn irgendwie fehlt da derselbige. Dort ging bekanntlich der Multikulturalismus ganz ohne Internet in Flammen auf, mit Molotowcocktails von Linksextremisten. Die verbrecherischen gerotteten provozierenden "mehr als 100 Vietnamesen" in den Häusern sind bis heute nicht gefasst. In dieser Logik hat das 3. Reich den Weg in die deutsche Demokratie geebnet. Wer es noch nicht gemerkt hat: Dieser geschichtsblinde Unsinn ist keine Trollerei aus dem Internet.

Quelle : www.heise.de
Titel: Re: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: Jürgen am 26 August, 2012, 17:59
Geehrter Hal,

dies...
Zitat
...um Rostock-Lichtenhagen ... ging bekanntlich der Multikulturalismus ganz ohne Internet in Flammen auf, mit Molotowcocktails von Linksextremisten.
... erscheint Dir vielleicht als gelungene Provokation und tiefsinnige Pointe.

Mir aber nicht, als Bewohner des Schanzenviertels, in dem jedes Jahr mehrmals (1.Mai, gestern das "Schanzenfest" usw.) Hobby-Anarchisten mit Molotowcocktails direkt vor und an Wohnhäusern große Feuer entfachen und mit roher Gewalt gegen Personen und Sachen anschließend jegliche Löscharbeiten zu verhindern versuchen.
Diesmal gab's zum Glück keine derartigen Exzesse direkt vor meiner Haustür, denn sonst hätte ich wieder einmal selbst aktiv werden müssen, auch entgegen der zögerlichen Polizeitaktik, um akute Lebensgefahr in Altbauten ohne weitere Fluchtwege abzuwenden.

Mir als Betroffenem ist's herzlich egal, ob sich ein Brandstifter einen rechten oder linken Anstrich gibt, oder ob der aufgegeilte Pöbel darum herum einen solchen für sich beansprucht, wenn er Tod und schwerste Verletzungen durch Behindern der Retter nicht nur billigend in Kauf nimmt, sondern definitiv mitverschuldet.

Rechts und links außen schließt sich der Kreis.

Jürgen
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 02 September, 2012, 06:00
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Obacht! Diese Wochenschau ist in harter Arbeit recherchiert und mit Sachverstand geschrieben, mit allerhärtester Arbeit sogar, unter Einbeziehung aller zehn Finger als Faktenchecker. Bei Zahlen über 10 wird es schwierig, sie im Sachverstand zu behalten, dann schreiben Journalisten gerne über "viele". Schließlich sind Recherchieren und Rechnen zwei grundverschiedene Arbeitsgebiete, die Sachverstand erfordern. Das klingt dann so: Heute twittern etwa 500.000 der 100 Millionen Menschen, die Deutsch sprechen, also ein Prozent. Besser noch ist es, wenn der hart arbeitende Journalist von Immer mehr dies und das schreibt. Huch, dieses furchtbare Google aber auch, Snippets ohne Ende mit den Links zu zehnzig Zeitungen mit immer mehr harten Fakten, für die es absolut gar nichts zahlt! Das ist moralisch schwerstverwerflich, das ist ein einziger Raubkopiermordkahlschlag am Fundament unserer Demokratie, das geht gar nicht. Schließlich zahlt Google gutes Geld an Reuters für seine Börsenkurse, da muss doch etwas für die darbenden deutschen Verleger drin sein im Topf, die nur dank Sadomaso überleben.

*** Tja, das Leistungsschutzrecht ist in dritter Fassung auf Wunsch der Verleger vom Kabinett verabschiedet worden, damit es wieder ein bisschen Zoff im Bundestag und Bundesrat gibt. Die Kommentare zum Gesetz reizen zum großen Gelächter, wenn die eine Seite vom schwarzen Tag für das Internet in Deutschland salbadert und die andere mit einem guten Tag für die Freiheit dagegen hält. Der Höhepunkt des unendlichen Spaßes ist freilich erreicht, wenn auf geduldigem Papier der Aufruf erscheint Wir müssen Google Konkurrenz machen!. Ein langer Artikel, in dem das 400-Millionen-Euro-Debakel Quaero mit keiner Silbe erwähnt wird, vom Nachfolgeprojekt Theseus ganz zu schweigen. Dazu hat es in harter Recherche nicht gereicht, stattdessen wird man mit einem öffentlich-rechtlichen Sermon eingeseift.

*** Bleibt das in Schwammerl-Sprache formulierte Begehren der Leistungsschutzsrechtsfreunde, Anbieter zur Kasse zu bitten, "die Inhalte entsprechend aufbereiten". Wer ist gemeint mit dieser Baugenehmigung für ein Mondgründstück? Aggregatoren wie Nachrichten.de von Neofonie, oder der Vorgänger Paperball.de oder der Vorvorgänger Fireball? Das unter Zwonullern so beliebte Rivva? Auch hier kann man Spaß haben und sich mal die Landeseiten von GMX oder T-Online anschauen. Da findet man den eingekauften dpa-Nachrichtenfeed, den viele Verlage auch auf ihre freien Webangebote packen, ist doch dpa ein inhabergegängeltes Unternehmen, dass den deutschen Verlegern gehört. Sollte das geplante Leistungsschutzrecht den Bundestag und den Bundesrat überstehen, ist Wahlkampfzeit.

*** Apropos Bundestag. In den wollen ja die Piraten einziehen, die sich gerade mit einem Bump zur "Fraktionspolitik 2.0" vorbereiten. Stolz hat Cassidian in dieser Woche verkündet, dass der Bau nunmehr mit dem hochmodernen Tetra-Digitalfunk ausgerüstet wurde, damit die Feuerwehr den nächsten Reichstagsbrand schnell unter Kontrolle hat. Als nächster Schritt ist geplant, dass die Bundestagspolizei abhörsicher funken kann. Wann auch die Abgeordneten dran sind, sich per Tetra-Rundruf an ihre Gesprächskreise darüber zu informieren, wann sie zur Abstimmung herbeieilen müssen, ist nicht bekannt. Technisch müsste sich dafür der Haufen unserer Volksvertreter als "Behörde mit Ordnungs- und Sicherheitsaufgaben" (BOS) zertifizieren lassen, wie etwa DLRG, DRK und THW. Schließlich beschließen sie alle naselang Verbesserungen zu unser aller Sicherheit. Und wenn es in Berlin mal eine "Ausnahmesituation katastrophischen Ausmaßes" gibt, kommt die Bundeswehr mit ihrem Tetrapol-Funk.

*** Martin Goldstein a.k.a. Dr. Sommer ist gestorben. Sein mit Will McBride verfasstes Lexikon der Sexualität mit 400 Antworten war das erste vernünftige Aufklärungbuch noch vor der Sexfront von Günter Amendt. Nun gibt es keinen Rat mehr für Youngster, deren Mütter Geldbörsen kontrollieren und die Privatsphäre ihrer Kinder missachten. Dabei wird einer wie Dr. Sommer in Zukunft mehr und mehr gefragt werden, wenn Kinder ihre Facebook-Accounts auf Smartphones oder Laptops offen lassen und Eltern schnüffeln. Mehrfach hat Dr. Sommer die Frage von beunruhigten Jugendlichen nach den Folgen der Computersucht beantworten müssen, zuletzt mit Hinweisen auf einschlägige Beratungsstellen. Dass diese nun möglicherweise genetisch bedingt sein soll, hätte ihn nicht verzagt. Rosa Überraschungs-Eier für Mädchen sind dem großen Aufklärer und Prediger der Gleichberechtigung erspart geblieben.

Was wird.

Die Cyber-Sicherheit Deutschlands ist ein Thema, bei dem viele Admins Albträume bekommen, sieht man von der schwarzhumorigen deutschen Firma Gamma International ab, deren Finfisher-Software weitere Kreise zieht. Am kommenden Dienstag wollen die führenden Sicherheitsforscher Deutschlands von acht Fraunhofer-Instituten ihr Memorandum zur Cyber-Sicherheit vorlegen, dass laut Vorankündigung dem Bundesministeriums für Bildung und Forschung, dem Verteidigungsministerium und dem Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) übergeben wird. Schmerzlich vermisst: das Bundesinnenministerium, dessen Vermisstenaktion gerade vier von sechs islamischen Verbänden bei der Sicherheitspartnerschaft vergrault hat. Das ist unser Sohn Hans-Peter.

In diesen Septembertagen ist allen irgendwie nach Militär zumute. Selbst Apples Streitereien mit Samsung sind ein Krieg, in dem mit thermonuklearer Abschreckung gedroht wird. Da passt es schon, dass Apple nach diesem Bericht eine Drohneneinschlag-Kartierungssoftware als verwerfliche Propaganda beurteilt und die entsprechende App nicht genehmigt, während Apps erlaubt sind, mit denen Hobbyflieger ihre Spielzeugdrohnen steuern können. Etwas darüber kommen die bombenden Drohnen, um die auf Zuruf des Militärs eine Debatte entwickelt. Obwohl es inhaltlich nur um den Folgeauftrag für die bisher angemieteten israelischen Heron-Drohnen geht, soll der Hinweis auf eine mögliche Drohnen-Bewaffnung den Kaufwillen anstacheln. Nach Ansicht der Grünen wäre eine ethische Diskussion über die fliegenden Roboter angebracht, wie sie vom britischen Militär (PDF-Datei) angeführt wird. Die Zukunft gehört nicht einzelnen Drohnen-Einsätzen, sondern ganzen Drohnenschwärmen. Wenn die IFA vorbei ist, startet in Berlin neben einem schönen stillen Flughafen am rande der Pleite die ILA mit großem Konferenz- und Drohnenflugprogramm. Vernetzte Drohnen als multisensorielle Aufklärungsplattform sind mit dabei und werden von Spezialisten für die Datenfusion bedient.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 09 September, 2012, 06:00
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Die Welt ist ungerecht. Während die Autocomplete-Funktion von Google schon bei der Eingabe von "Günther" mir Tickets für eine Talkshow andrehen will, während "Bett" ausreicht, um "Bettina Wulff escort" und andere unbürgerliche Berufe als Rotlicht-Gerüchte anzuzeigen, führt Hal bei mir zu "Hallo Pizza" und damit zu einem Gericht, dass nur in akuten Notzeiten als "Essen" durchgehen kann. Bestenfalls führt Google zu Hal 9000, immerhin dem halben Namensgeber. Die Bildersuchfunktion gibt kein einziges "unangemessenes Bild" aus, sondern zeigt korrekt das liebliche Rot der Computeraugen des mörderischen Computers, während bei Frau Wulff diverse Chateaus aus dem Rotlichtmilieu angezeigt werden. Ansonsten "digitale Demenz", wohin man auch sieht: Dass die Google-Suche seit der Wahl von Wulff zum Bundespräsidenten im Jahre 2010 so "assoziiert", ist seitdem kein Geheimnis, wurde aber hübsch auf kleiner Flamme gehalten. Erst jetzt, wo es nicht mehr um eine eigene Website und andere Initiativen von Bettina Wulff geht, gehen die Juristen in Stellung, schreiben Enthüllungsjournalisten ellenlang vom Notruf und lästern kräftig über das Internet, während dort Mutter Streisand übernimmt. Fehlt nur noch die Suche nach einem griffigen Hashtag für die allfällig durchzutreibende Twitterdorfsau. Ach ja, wo ist denn mal das Data Mining und die Profilbildung, wenn man sie mal braucht. Am Ende kommt doch nur Helene Fischer dabei raus. Oh Schreck. Oh Graus. Da helfen selbst sentimentale deutsche Versionen von Soulklassikern, den Ekel abzuschütteln.


*** Das rote Lichtauge von Hal 9000 war eine Idee des AI-Forschers Marvin Minsky, der am Set von 2001, Odysee im Weltraum den Regisseur Stanley Kubrick beriet. Die Idee dahinter: Rot sollte beruhigen und wie der rote Notausknopf wirken, den Maschinen seit vielen Jahrzehnten besitzen und damit dem Menschen die Idee der ultimativen Beherrschbarkeit vermitteln. Während diese Wochenschau online geht, findet in Bielefeld (kein Witz) die Flauschcon der Piratenpartei statt, eine Konferenz über die Frage, ob das Bällebad von Ikea das Idealbild einer herrschaftsfreien Gesellschaft abgeben kann. Nein, es ist nur ein halber Witz, denn der ganze Ernst beim "Flauschen" der Piraten, den kann man nur auf Twitter sehen. Da wurde in dieser Wochen die etwas schräge Pressemappe eines Mit-Piraten von ausgewiesenen Parteimitgliedern mit einer Häme abgewatscht, die überrascht. Offenbar steckt in vielen Piraten ein kleiner Troll, der allem Sichliebhaben zum Trotz ab und an Auslauf haben muss. Wie war das noch mit dem langen Weg zum Ziel? Muss ja nicht jeder seinen Murks verschicken "so lange genug von denen mitmachen, die interessiert und kompetent sind." Da hinkt sie heran, die alte Schachtel Aufklärung und der Gedanke von den Verständigen und Interessierten und kompetent zertifizierten Kompetenten. Ansonsten gilt offenbar: "In einer Welt, die zunehmend digitalisiert wird, ist es unabdingbar, lesen und schreiben zu können.". Vielleicht hat der Mensch den binär arbeitenden Computer (sieht man von russischen Exoten mit drei Zuständen ab) so erfunden, weil er selbst binär funktioniert. Das ist jedenfalls die Überzeugung von Ray Kurzweil, den Microsoft zum Ende der IFA für eine große Handvoll Dollar einfliegen ließ. Und wenn man sich diese Liste weltbewegender Menschheitsfragen durchliest, muss man womöglich Kurzweil recht geben.

*** Kurz vor seinem Tod wurde Jon Postel auf einem Treffen der Internet Society 1998 in Genf gefragt, wieviele sinnvolle Dokumente es denn in diesem Internet gebe. Zuvor hatte ein Referent über Flame Wars im Usenet berichtet. Warum sollten Flame Wars nicht sinnvoll sein, schließlich führten sie zu einer Akzeptanz der Netiquette, war Postels Gegenfrage. Dann rechnete er überschlägig alle FAQs und RFCs zusammen und kam auf 42^H^H 17.000 Dokumente, die er als Baupläne der Informationskathedrale bezeichnete. Von der EU gefördert, gibt es wieder Debatten über das europäische Internet, das soo viel besser war als diese barbarmerikanischen Vorläufer. Vergessen ist bereits der harte D-Mark-Millarden verballernde Wahnsinn namens EARN/OSInet, da wird uns jetzt die Geschichte von EIN als European Informatics Network angeboten. Während zahllose Gremien und Komissionen am de jure-Standard OSI feilten, nahmen ungeduldige und experimentierfreudige Infomatiker die RFCs und nutzten diese abschätzig "adhoc-Standard" genannten Baupläne, bis de facto auch bei uns das Internet ankam. Der Rest ist Geschichte.

*** Geschichte? Geschichte wird gemacht, wenn auch nicht mehr in Deutschland. Dieselbe EU-Kommissarin, die sich an Dönekens aus der Vergangenheit erfreut und Berlin für den wichtigsten Internet-Standort Europas hält, bastelt an einer Reform, wie die Netzneutralität durch ein Netzmanagement ausgehebelt werden kann, wenn etwa der Datenverkehr beim Musikstreaming erkannt und für Abonennten eines bestimmten Dienstes wie Spotify bei der Telekom nicht abgerechnet wird. Was auf den ersten Blick nett ist, auf den zweiten eine schleichende Aushöhlung der Netzneutralität. Der dezentralisierte Reigen der bundesweiten Freiheit-statt-Angst-Demos ist von Demos abgelöst worden, auf denen die Clubszene gegen die GEMA protestiert, während die Freiheit nunmehr zentral in Brüssel verteidigt wird. Ja, die Vorratsdatenentrüstung schwächt sich ab, und wer die Homepages von Fahndungsbehörden besucht, muss einfach Dreck am Stecken haben. So ist die Homepageüberwachung nach Auskunft des BKA erfolgreich und wer sich über Routinemaßnahmen wie die läppische Funkzellenabfrage beklagt, ist einfach kitzlig.

Was wird.

Wenn die ersten Blätter fallen, werden nach einer alten Bauernregel wissenschaftliche Paper ohne Ende auf uns niederregnen: Die Zeit der Kongresse ist gekommen. Da gibt es öffentliche, ganz geheime und nicht so geheime Versammlungen, die das Thema Netz und Politik in verschiedenen Tonarten abhandeln. Eigentlich beginnt die Show schon dieses Wochenende mit Daten, Netz und Politik in Österreich, dann folgt der schwer geheime Cyber Security Summit der Telekom mit einem neckischen Rahmenprogramm: Journalisten bekommen den Sicherheitsreport der Entscheider, eine Allensbach-Umfrage, präsentiert. Dann werden sie ein wenig durch Bonn gefahren, ehe ihnen René Obermann die Ergebnisse des Gipfels präsentiert. So halb geheim nach Chatham House Rules tagt ein Kongress zum Thema Internet und Menschenrechte, auf dem sich Guido Westerwelle als digitaler Humanist präsentiert. Die Grünen machen dann das, was sie am besten können, eine festliche netzpolitische Soirée. Die Linke darf nicht fehlen und präsentiert sich zur Konferenz Netz für alle mit besonders schicker Tastatur.

*** Etwas schweigsam sind nur die Netzpolitiker der Regierungskoalition. Der Schwachsinn namens Leistungsschutzrecht hat ihnen die Sprache verschlagen. Bei der FDP suchen sie noch den Webdesigner, der den Slogan Netzpolitik ist ... Verlegerpolitik anpassen kann. Bis dahin winkt die FDP-Politikerin SLS mit dem Zukunftsforum Urheberrecht und kleinen netzpolitischen Fähnchen.

So gesehen ist es ein Glücksfall, dass aktuell ein Bundesinnenminister amtiert, der an einer eigenen Netzpolitik desinteressiert ist. Es reicht, wenn wir eine "moderne und sichere IT-Infrastruktur sowie ein funktionierendes digitales Verwaltungshandeln" in Deutschland haben. Hey, "Wir haben tolle Lösungen, innovative Ansätze und herausragende Umsetzungen brillianter Ideen." Dass wir im Web-Index auf Platz 16 stehen und ein gestörtes Verhältnis zum Netz haben – geschenkt. Irgendwie sind wir ja doch High-Tech Standort, mit unserer unschlagbaren Automobilindustrie. Zur Not mit einem Lenkerschutzgesetz gesichert und jede Menge netzpolitischer Matinées, Soirées und Canapées drumherum.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 16 September, 2012, 07:00
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Nein, ich habe kein iPhone. Mir ist es sogar völlig egal, was für ein Telefon ich habe, solange es noch telefonieren kann und Evernote auf dem Ding funktioniert. Damit wäre alles zu dem Ereignis gesagt, das wahre Kommentarschlachten auf heise online auslöste, Freundschaften zerstörte und Ehen zerrüttete. Dabei wird dies alles eines Tages völlig egal sein, wenn sich die seriöse historische Forschung über unsere Zeiten hermacht und über Apple streng wissenschaftlich schreiben wird, wie diese Konsumterrororganisation einstmal begann. Wenn heute schon Historiker allen Ernstes glauben, dass der erste Apple auf dem Altair basierte, besteht Hoffnung, dass später ohnehin nur noch Märchen erzählt werden. Wie war das noch? "This is the West, Sir. When the legend becomes fact, print the legend." Eines Tages wird Opa den Enkeln beigeistert davon erzählen, wie er seine ersten EarPods-Kabel an die Unterseite (toll, toll) des iPhones steckte - und sie werden ihn nicht verstehen, weil Kabel längst verschwunden sind. Komischer alter Mann.

*** Was sind schon Fakten? Wer will schon heute, am Geburtstag von James Cash "J.C." Penney etwas über den Gründer einer Kaufhauskette und den Banker lesen, der (nach heutigen Maßstäben) Milliarden im Börsencrash von 1929 verlor und bis zu seinem Tode aus allen 50.000 Angestellten "Associates" machte, die am Gewinn der Firma beteiligt wurden? Viel lieber liest man amüsante Geschichten von einem Mark Zuckerberg, der beim Börsengang von Facebook Milliarden verloren haben soll und erleben darf, wie er beim Summer of Zuck in Unterhosen dasteht. Nur Bilder mit korrekten EXIF-Daten werden akzeptiert, die dann nach allen Regeln der OSINT-Kunst (PDF-Datei) von einer Software namens Maltego Radium "transformiert" werden, um den Besitzer des Aufnahmegerätes zu identifizieren. Ja, ja, der Datenschutz, das ist auch so ein Konzept komischer alter Männer.

*** Bald wird so ein alter Mann, der Bundesdatenschützer Peter Schaar, in den Ruhestand gehen und wieder bei seiner Firma PrivCom arbeiten müssen. Seine Kapitulation vor dem NDA und den Gebühren der Firma DigiTask ist denkwürdig. Dass der ranghöchste Datenschützer der reichen Deutschen Bundesrepublik mit seinem Stab von Mitarbeitern nicht 1200 Euro "Consultinggebühren" zahlen kann oder will, macht stutzig, auch wenn die Logik klar ist: BKA, Bundespolizei und Zoll, mit denen DigiTask gute Geschäfte macht, halten schließlich auch nichts von einem Blick auf den Quellcode der Schnüffelsoftware. Was bleibt, ist das seltsame Argument "Die Polizei stellt ja auch sonst ihre Ausrüstung nicht selbst her." Wer weiß, wie penibel Waffen und anderes technisches Gerät vor dem Einsatz bei der Polizei getestet wird, darf einen Fünfer in das Schweinderl beim heiteren Beruferaten werfen. Softwaretester beim BKA? Bei Vertragsgestaltung ein Prüfungsrecht für die Programmdokumentation und den Quellcode festlegen, wie von Schaar gefordert, das überforderte die deutschen Behörden, die lieber schicke Sachen nachkauften, etwa das Schnüffelmodul für das Sicherheitsrisiko namens WhatsApp, für schlappe 2.535,48 Euro pro Monat und für jedes Zollfahndungsamt der Bundesländer einzeln lizensiert.

*** Ein Blick auf WhatsApp ist übrigens in vielfacher Hinsicht interessant, nicht nur wegen der vorgetäuschten Sicherheit oder den haarsträubenden Lizenzbedingungen. Zu den Erkenntnissen einer kleinen Konferenz über Menschenrechte und Internet gehörte die Erzählung von Menschenrechtlern, dass von ihnen WhatsApp in Ländern benutzt wird, in denen Aktivisten systematisch verfolgt werden. Eine Warnung aus erzieherischen Gründen ist das Mindeste, was ausgegeben werden kann. Die Forderung, dass Menschenrechtler programmieren lernen müssen, um nicht abgewatscht zu werden, ist seit Morozovs "Net Delusion" ein schöner Traum. In den USA erschien das Buch mit dem Untertitel "The Dark Side of Internet Freedom", in Europa mit "How Not to Liberate the World". Schon diese Differenz in der Verkäuflichkeit lässt aufhorchen. Ein Ende des Dilemmas ist nicht abzusehen, denn auch die Forderung, dass gute Hacker die Exporteure von Überwachungstechnik überwachen sollen, delegiert das Problem. Man lese nur das geradezu kindliche Erstaunen von Hackern, die jetzt im Maschinenraum die Problematik der ETSI-Schnittstellen entdecken und von perfiden Zwängen phantasieren. Ein bisschen Verschwörungstheorie gefällig? Die schaar-schurkische Firma Digitask kassierte im Jahr 2008 beim Auftrag "Kapazitätsanpassung der ETSI-Schnittstellen" 2.057.256,07 Euro.

*** Wenn man sich über ganz Deutschland einen großen Pfeilbalken vorstellt, dessen Spitze irgendwo vor Helgoland liegt und zum Nordpol zeigt, hat man ungefähr die Flugroute, auf der bei Tag und bei Nacht demnächst die Euro Hawk kreisen wird, um Terabytes an Kommunikationsdaten mit ihren Sensoren abzugreifen. Noch ist nicht ganz klar, wie diese Informationsmassen praktikabel transportiert werden. Das wurde auf der ILA in Berlin klar. Man hofft auf die IT und auf neue Lösungen wie den Einsatz von Lasern in der Kommunikation zwischen Satelliten und Drohnen. Und man hofft auf Akzeptanz in der Bevölkerung, dass eine ziemlich große Drohne auf einem Lauscherposten kreist, die bei ihrem Überführungsflug über kanadische Ödnis und den Nordatlantik mehrmals den Kontakt zu Steuermannschaft abreißen ließ, aber auf vorprogrammierter Route weiterflog. Unter diesem Aspekt ist ein Interview mit unserem Verteidigungsminister bemerkenswert, der seine frühere Position zu "ethisch neutralen Waffen" revidiert, aber den Drohnen freies Geleit gibt: "Ich bleibe aber dabei, dass sich ein unbemanntes Flugzeug von einem klassischen Kampfflugzeug ethisch nicht unterscheidet. Es kommt auf Menschen an – und es ist irrelevant, ob der Mensch im Cockpit sitzt und eine Bombe auslöst, oder vor einem Monitor auf dem Boden. Insoweit sind Drohnen und Flugzeuge ethisch neutral." Bezogen auf eine Bombenauslösung mag so eine Drohne von ausgesucht höflicher Neutralität sein, bezogen auf das Fliegen eines Gerätes sieht es anders aus. Da kann man schon etwas riskieren, wenn man nicht im Flieger sitzt. Erst recht über dem menschenleeren Deutschland, in 14.000 Metern Höhe.

Was wird.

Zur Abwechslung mal einen Blick in die unbestimmte Zukunft, die eigentlich smart aussehen könnte, doch momentan von dicken grauen Rauchwolken getrübt wird. Denn zum Jahrestag des 11. September begann ein "verabscheuungswürdiges Video" (Westerwelle) in arabischer Übersetzung im Internet zu kursieren, dass ein gewisser "Sam Bacile" erstellt haben soll. Der Inhalt ist wüst, die arabische Übersetzung soll um etliche Grade wüster sein und bestens geeignet sein, unbedarfte Gemüter und religiöse Fanatiker von Null auf doppelte Überschallgeschwindigkeit zu beschleunigen. Aufgebrachte Menschen belagern in der islamischen Welt westliche Botschaften, in Libyen starben US-Diplomaten an Rauchvergiftungen nach einer Attacke mit einer raketengetriebenen Nebelbombe. Derzeit ist noch nicht bekannt, wer diesen Dreck von einem Hetzvideo fabriziert hat, doch mangelt es nicht an Verschwörungstheorien. Eine dieser Theorien verweist auf Israel und die verworrene Geschichte des israelischen Angriffes auf das SIGINT-Aufklärungsschiff USS Liberty als Versuch, die USA in einen bewaffneten Konflikt mit den arabischen Ländern zu ziehen. Was damals Ägypten war, ist heute der Irak. Prompt sind in dieser Woche Berechnungen veröffentlicht worden, was ein Angriff Israels und was ein Angriff der USA bewirken könnten, durchgeführt mit konventionellen Waffen. Israel könnte die Nuklearproduktion im Irak um ein oder zwei Jahre zurückwerfen, die USA könnte ein Moratorium um zehn Jahre herbeibomben, mit ihren B-2 und ethisch neutralen Drohnen. Ob Israel, ob USA, in beiden Fällen würden zu einer Guerillataktik des Iraks führen, der die Verbündeten der USA angreifen würden und die Ölversorgung. Und was passiert im Cyber-War? "Wir werden uns noch wünschen, dass Stuxnet noch besser funktioniert hätte", hatte ein IT-Spezialist der US-Armee auf Münchener Sicherheitskonferenz behauptet. Wie war noch das Kanzlerinnen-Wort vom Cyber-War, gefährlich wie ein kleiner Krieg?

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 23 September, 2012, 07:15
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** "Klick mich, die Bekenntnisse einer Internet-Exhibitionistin" sind draußen, geschrieben von einer sich selbst "Privilegienmuschi" nennenden Frau. Endlich erfahren wir, wie es bei den digital Natives zugeht, und das ist ziemlich seltsam. Das fängt damit an, dass die Autorin selbst im Interview behauptet, "Aber dass es ein riesiger Verlag war, der mir das Angebot für mein Buch gemacht hat, war anfangs schon ein Problem für mich. Ich hatte auch Anfragen von politisch korrekteren Verlagen, aber schließlich war es meine Lektorin, die mich überzeugt hat. Es ging mir immer nur um den Text, nicht um das Geld." Lassen wir mal die 100.000 Tacken beiseite, das reicht für Angriffe von Verschwörungstheoretikern und für lustige Leserschlachten nach einer kleinen Sachstandsmeldung.

Nüchtern gelesen steht fest, dass dieses seltsame Buch unmöglich eine Lektorin gesehen haben kann. Alternative Lesart wäre, dass diese Lektorin monatelang mit Beruhigungsschnäpsen außer Gefecht gesetzt wurde. Das fängt beim Vorwort an, das abseits aller Takedowns jeder lesen kann, kommentiert von "Mortensen". Hier nimmt das Unglück seinen Lauf. Schon der erste Satz ist falsch: "Mein Name ist Julia und ich lebe im Internet." Hat etwa die technologische Singularität stattgefunden, ab der sich das Gehirn online materialisieren kann? Aber nein, Frau PM lebt im hier und jetzt, im Bundesvorstand der Piraten und nutzt die 100.000 Tacken, um Parteiarbeit machen zu können: "Aber wäre ich nicht in der finanziellen Situation, hätte ich gar nicht für den Bundesvorstand kandidiert. Ich kann der Partei jetzt meine Arbeitszeit zur Verfügung stellen."

Im Vorwort geht es weiter so: "Dank einer kostenlosen Stand­leitung meines Vaters, die damals jedoch nur benutzt werden konnte, wenn niemand telefonierte, begriff ich den Computer und das Internet bald als idealen Ort für meine Neugier und meine Ideen, auch wenn die Ladezeiten mich trotz privilegierter Stellung (immerhin bleiben mir AOL-CDs erspart!) zu Beginn in den Wahnsinn trieben. " Die Privilegienmuschi hatte auch beim Online-Zugriff eine privilegierte Stellung. Wäre dieses WWWW ein Sommerrätsel, könnten wir mal raten was eine "Standleitung" ist, die zusammenbricht, wenn telefoniert wird. In priviliegierter Stellung wurden ihr AOL-CDs erspart? Glücklicherweise hat das Buch ein Glossar und das erklärt AOL-CDs so: "Ende der 1990er bot AOL Internetzugang über CD an". Internetzugang über CD, soso. Wir lernen: Die digital Natives haben von Technik absolut keine Ahnung, sind aber schwer glücklich mit der von ihnen nicht verstandenen Technik.

"Ich bin 1985 geboren, 1982 hatte das Time Magazine den Computer zum »Man of the Year« ernannt." Die Lektorin ist weiter im Tiefschlaf, es wird geschrammelt, dass sich die Balken biegen und die Leser jeden Mist lesen dürfen. Natürlich war es Anfang 1983, als das Time Magazine den Computer krönte und zwar als Machine of the Year. Das macht schon einen Unterschied, das 1983 der Computer nicht vermenschlicht wurde, nur für digital Natives nicht. Eine schlichtes googlen hätte den Patzer vermieden. Diese Wurschtigkeit im Buch ist darum ärgerlich, weil es von Leuten gekauft wird, die den Protest gegen Netzsperren und Staatstrojaner verstehen wollen, die Piraten und die besondere Kultur drumherum. Um es mit einer Piratenfrau zu sagen: "Wir werden als Digital Natives bezeichnet, und das Buch wird als Bekenntniswerk einer eben solchen vermarktet, und das bedeutet, dass man als Digital Native vermutlich für einen geistigen Bodendecker gehalten wird. Es ist ein Schlag ins Gesicht für alle, die für das Internet und die damit entstandene Kultur werben wollen und auf deren Vorzüge hinweisen."

Die Leser werden mit Name Dropping, viel Erinnerungs-Getue und Sonder-Müll abgespeist, wenn es nach einer imaginierten Softporno-Szene heißt: ""Es gibt sogar Vibratoren, die über USB und Netz von anderen gesteuert werden können. Telefonsexerweiterungsmaschinen. Auch deshalb sind Sachen wie der Staatstrojaner gefährlich. Sie machen nicht halt vor digitaler Intimität." Die Schnüffelprogranmme von Digitask sind gefährlich, weil sie den Vibrator der Privilegienmuschi steuern könnten? Hier kommt das Konzept der Privatsphäre offenbar auf den G-Punkt.

"Wieso müssen wir uns alles erklären, wieso brauchen wir Sinn? Genügt es nicht, wenn wir uns lustig nihilistisch im Kreis drehen? Das Internet ist Abstraktion. Und wie ein riesiger Vorschlaghammer glätten seine Abstraktionen hypermodern die Unebenheiten der Realität. Übrig bleibt nichts. Außer der Angst vor dem Nichts und vor der Bedeutungslosigkeit." Hier könnte man stoppen und die lustigen digitalen Feuchtgebiete verlassen. Nicht jede hat das Talent einer Bettina Wulff, deren Buch von piratigen Bewunderern ins Internet eskortiert wurde. Doch die Geschichte ging weiter in dieser Woche: Aus den kindischen Versen entwickelte sich ein Politikum. Da stellte sich der Bundesvorstand der Piraten mit einer Erklärung schützend vor die Kollegin, die mühelos ihr Plapper-Niveau erreicht: "Statt die ideelle Kraft und Zirkulation von künstlerischen Werken zu fördern, baut die Beziehung zwischen Verwertern und Urhebern nur auf die wirtschaftliche Optimierung des künstlerischen Egos und kennt nur die misstrauische, restriktive Auswertung."

Ideelle Kraft und misstrauische Auswertung, ein Titel wie von John Irving, aber pardon, die Sache mit dem Urheberrecht und dem geistigen Eigentum sieht etwas anders aus. Ein kurzer Anriss findet sich bei Carta. Wie sich die Piraten das Urheberrecht vorstellen, hat der nordrhein-westfälische Landesverband jetzt vorgestellt. Es gab aber auch Entgegnungen anderer Art, etwa von den Piraten in der Piratenpartei, mit der Forderung, dass alle Piraten ordentlich Druck auf den bösen Verlag machen, der die 100.000 für die Parteiarbeit zahlte. Auch nicht schlecht: Ein wehleidiges Pastebin eines Piraten, der einstmals als Buchautor seine "Zeit bei der gefährlichsten Website der Welt" geschildert hat und von Random House etwas weniger Geld bekam. "Auch wir sind Hoffnungsträger. Hoffnungsträger einer neuen Politik, die Menschen aus ihrer Parteien- und Politikverdrossenheit herausführen kann. Hoffnungstraeger für ein Ende von Intransparenz und Korruption. Hoffnungsträger für ein Ende der Zurückgebliebenheit von Politik und ihrer unsäglichen Ignoranz für die Zukunft. Und so sind auch wir Vorboten eines Paradigmenwechsels." Amen. Wir von der Contentmafia sind ganz gerührt und wischen schnell eine Träne weg.

Was wird.

Die gefährlichste Website der Welt? Da war doch was? Ein Dialog auf Ministerebene? Ein Zimmerwechsel? Eine Streiterei über juristische Übersetzungsfehler? Aber nicht doch. Es gibt noch Bretter, die die Welt bedeuten, es gibt die Bühne für den Supernerd. Nächtelang hat eine Autorin den "Internet-Anarchisten" (so nennt ihn die taz) Assange in seinem ecuadorianischen Zimmerchen besucht, Händchen gehalten und Soundbytes mitgeschnitten. Aus dem Material ist ein Theaterstück entstanden, das in der anstehenden Woche Premiere hat. Wenn alles gut läuft, wird Assange per Skype zugeschaltet und tritt virtuell in Hamburg auf, wo er im Jahre 2009 bei der Jahrestagung des Netzwerk Recherche war. Geheimnisvolles Deutschland. Hier verlor Assange bekanntlich bei seiner überstürzten Abreise mit Flug SK2679 aus Schweden sein Gepäck und zwei oder drei Laptops, die er als Gepäck aufgegeben hatte. Vielleicht kommt zum Theaterstück noch ein Film hinzu, in dem das Leben des heldenhaften Julian Assange zart ausgeleuchtet wird. Vielleicht ist er einfach nur ein Widerling.

Am Montag sollte eigentlich die Plakataktion "vermisst" der Initiative Sicherheitspartnerschaft beginnen, die in dieser Wochenschau schon einmal Thema war. Keine Suche mehr nach Hans-Peter oder nach Fatima. Eine Gefährdungsbewertung des Bundeskriminalamt stoppte die Warnkampagne vor "radikalisierungsgefährdeten Jugendlichen". Irgendein Nick Knatterton wird scharfsinnig kombiniert haben, dass diese seltsamen Plakate nur Karikaturen sein können, beim Barte des Propheten. In Zeiten, in denen Google die Gesichtserkennung stoppt, wirken die rassisch eindeutig daherkommenden Fahnungsplakate seltsam vorgestrig.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 30 September, 2012, 06:30
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Es irrt der Mensch solang er strebt, meinte ein deutscher Dichter. Das war in einer vorgooglianischen Zeit, als selbst das "Conversationslexikon mit vorzüglicher Rücksicht auf die gegenwärtigen Zeiten" noch unvollständig war, was den sehr gegenwärtigen Goethe verärgerte. Nun haben sich die Zeiten beschleunigt, wie die Vermurksung von Wikipedia zeigt und das Irren erst recht. In der letzten Vorschau war davon die Rede, dass die Plakataktion "vermisst" des Bundesinnenministeriums eingestellt wird, doch beim Barte des Propheten, es kam ganz anders. Vermissten-Plakate wurden in Berlin geklebt, Postkärtchen verteilt und das ausgerechnet im Stadtteil Neukölln an einem Ort, wo eine Nagelbombe der NSU explodierte. Ja, in diesem Neukölln, in dem nach sozialdemokratischer Lesart der schlimmste Slum Berlins wuchert, wo "man dem Busfahrer die Cola über den Kopf schüttet, wenn er nach dem Fahrschein fragt."

*** Reiner Zufall sei das gewesen, meint man im Bundesinnenministerium, und dass man die Postkarten weiter in zehn deutschen Städten verteile, als "Gefährdeten-Direktansprache". Nur die Plakataktion sei wegen der Gefährdungsbewertung durch das BKA gestoppt. Schließlich verweist man stolz auf die schicke Partner schafft Sicherheit und den Sieg von 180 Grad Wende.

*** Ist es auch irre, so hat es doch System, wenn der Nebeneinkunftsmillionär Peer Steinbrück gegen Mutti antreten wird. Unterm Strich, wird er gerechnet haben, ist das mit den von der Partei bezahlten Vorträgen die feinere Art. Eine Überraschung ist es nicht, gut informierte Verschwörungstheoretiker tippten schon 2011 nach den Bilderberg-Fotos auf den Peer. Der von Helmut Schmidt gesalbte  Schachpartner ist die steinerne Brücke der SPD in eine Zukunft, wenn Mutti aussteigt und Hannelore Kraft aus Nordrhein-Westfalen anreist. Nordrhein-Westfalen? Da war doch mal irgendwo eine Nokia-Fabrik und ein Ministerpräsident Steinbrück mit einem denkwürdigen Satz über Politik als Dienstleistung: "Die Landesregierung steht gerne als Dienstleister für Nokia voll zur Verfügung." Später gab es deftige Kritik am Karawanen-Kapitalismus, die zeigte: Peer kann Kamel. Peer wird Kanzler.

*** Noch ein Illtum gefällig? Mit feinstem Catering und illustren Gästen hat Google sein schickes peitschengeschmücktes Sadomaso-Lobby-Büro in Berlin, unter den Linden eingeweiht, Nebelkerzen inklusive. Da die Streetview-Ansicht der Zentrale offenbar gesperrt ist, sei ausnahmsweise auf eine dieser Klickstrecken verlinkt, mit denen sich moderne Verleger von Fernsehsendungen unterscheiden. Zur Eröffnung gab es eine vollkommen vergeigte Diskussionsrunde mit Google Hangout, die die Reporterin an Assange erinnerte und seine lahme Live-Schalte am Rande der UN-Vollversammlung, wo er US-Präsident Obama annölte. Im Namen der Aufklärung wurde ein Google-Manager in Brasilien kurzzeitig festgenommen.

*** Derweil ist das bereits erwähnte Theaterstück über Julian Assange in Hamburg angelaufen. In ihm lesen Albino-Affen aus den Polizeiprotokollen, die Assanges schwedischer Anwalt Björn Hurtig am 23.11.2010 nach London faxte, mit der ausdrücklichen Warnung, dass diese Dokumente nur für Assange persönlich bestimmt seien. Ein Affentheater wie der Disput über eine Operation? Aber ja doch, das geht auch ganz ohne Fell: Da veröffentlicht Amnesty International einen Appell an Schweden, Assange nicht auszuliefern und macht sich in Unkenntnis schwedischer Gesetze zum Vollhorst. Dass Amnesty Schweden der Darstellung widerspricht, passt in die allgemeine Dramaturgie "über einen Schürzenjäger, der sich wie ein Arschloch verhalten hat, wenngleich er niemanden vergewaltigt hat" – so die nicht verlinkbare Rezension der taz "Vom Planeten der Affen".

*** "Drum: Wer ein Vorbild sucht, versuche ihm zu gleichen, entkleide, werde mündig, spreche aus, was anderswo in Texas, Kiel, China, im Iran und Rußlands Weite erklügelt wird und uns verborgen bleibt." Schöne, starke Worte für einen wie Bradley Manning, gegen den ganz anders vorgegangen wird als gegen den nölenden Assange. Starke Worte, doch wurden sie nicht im Theater gesprochen. Sie sind aus dem Gedicht, das Günter Grass in seinem neuen Band "Eintagsfliegen" über den Whistleblower Mordechai Vanunu geschrieben hat. Wer ein Vorbild sucht oder auch nur eine Abladestelle, der wird hier fündig. Andere werden traurig, bei dieser Nachricht: Arthur O. Sulzberger, nicht nur mit den Pentagon Papers das Vorbild für mutige Verleger, ist gestorben.

*** Es gibt Sätze im Newsticker, auf die die kleine Wochenschau zurückkommen muss. Da wäre das unsägliche CleanIT-Projekt der Europäischen Union, das für die Terrorbekämpfung die Grundrechte auskärchern will. Zur Rechtfertigung von CleanIT wurde dieser Satz kolportiert, der es in sich hat: Ein Koch, der ein Abendessen vorbereite, verbringe auch erst mal einen Nachmittag im Supermarkt, um zu entscheiden, was er nehme. Zu diesem Zeitpunkt könne man noch gar nichts darüber sagen, wie das Menü am Ende aussehen und wie es schmecken werde. Ein Koch, der nicht die Zutaten zu einem Gericht präzise im Kopf hat und nicht weiß, wie ein Gericht am Ende schmecken muss, ist keiner. Die Analogie gilt eigentlich auch für jeden Planer, der in der IT ein System wie ein Gericht zusammenstellen muss. Die Analogie verbirgt das eigentliche Problem, dass "Terrorismus" nicht definiert ist und nach Belieben aufgefüllt wird. So und nicht anders verkommt die Idee vom gemeinsamen Europa zum Klumpatsch, den man keiner gemeinnützigen Tafel zumuten kann.

Was wird.

Was soll schon diese Gemeinnützigkeit bewirken? Weihnachten naht und wie es der Zufall so will, hat Amazon die Spendengelder drastisch reduziert, die es an seine Partnerseiten auszahlt. Die Prozente, die etwa Bildungsspender bekommt, wenn man hier ein Buch bestellt, werden von fünf auf zwei Prozent gekürzt. Im harten Online-Business ist Philanthropie nichts wert, wenn immer nur dieselben Gutmenschen bestellen. Dass soziale Projekte nicht die besten Aquirierer von Neukunden sind – und nur darum geht es Amazon –, ist halt bedauerlicher Kollateralnichtsnutzen, eine Art Nichtsklickt. Dabei gibt es im Vorfeld der Buchmesse interessante Bücher zu bestellen: Wie wäre es mal nicht mit Schäuble oder der Sozialromantikerin Rowling, sondern mit Büchern vom Aufdecker schlechthin, von Günter Wallraff, der am 1. Oktober 70 Jahre alt wird. Bereits zum 60. Geburtstag sollte es eine große Sause geben, doch Wallraff büxte aus und feierte mit den Opfern des Pogroms in Rostock-Lichtenhagen das Überleben.

Was folgt, ist der Tag der deutschen Einheit, ein letzter Ruhetag. Denn 2013, da könnte der Wahltermin durchaus auf diesen Tag gelegt werden, als Höhepunkt für einen ganz besonders patriotischen Wahlkampf. Bis dahin sollten die Hilfs-Angebote gut ausgebaut sein. Man denke nur an all die enttäuschten Piraten, die viel Energie ansorbieren.

Quelle : www.heise.de
Titel: Re: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: Jürgen am 01 Oktober, 2012, 01:07
Nicht einmal Berliner Sozialdemokraten können ernsthaft glauben, dass "man (in Neukölln) dem Busfahrer die Cola über den Kopf schüttet, wenn er nach dem Fahrschein fragt".
Cola eher nicht.
Die, die den Bus nur mit solcher betreten, sind i.d.R. noch so klein, dass sie den Kopf des Fahrers nicht erreichen würden.
Bier oder Wodka, das ist's in Wahrheit.
Nicht selten gleich samt Dose oder Flasche...

Nun ja, Hal F. lebt bekanntlich nicht dort, aber einer meiner Brüder ist da schon seit Jahrzehnten unterwegs.
Natürlich ohne Getränk, aber nicht ohne Fahrschein.

Jürgen 
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 07 Oktober, 2012, 06:30
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** In einer fernen Zukunft werden Sprachforscher, sofern es noch Sprachforscher und die deutsche Sprache gibt, das Wort "unmerklich" auf die Regierungszeit von Bundeskanzlerin Angela Merkel zurückführen, auf ihre Politik möglichst kleiner möglichst unbemerkter Schritte. Ähnlich wird es bei den Gipfeln aussehen, jenen hektischen Treffen dynamischer Leute, bei denen möglichst wenig verändert wird. Man nehme nur den Elektromobilitäts-Gipfel, auf dem sich genau nichts durchgesetzt hat, auch nicht die Forderung der Autobauer nach der Aufbauprämie E. Ähnlich sieht es beim E-Government aus. OK, es gibt ein "auf den Weg gebrachtes" E-Government-Gesetz, das bald so enden wird wie Googles "Auf gut Glück!" – mit einer einzigen Fehlermeldung. Die Verwaltung soll "breit" modernisiert, De-Mail soll eingeführt, der 2 Jahre alte "neue" Personalausweis soll unterstützt werden. Kleiner Realitätscheck gefällig? Da haben wir, nigelnagelneu eingeführt, die De-Mail. Und seit dieser Woche, Stichtag 1. Oktober 2012, die Version 1.9 der Ausweis-App, die man bei De-Mail braucht, um in das hohe Authentifizierungs-Niveau zu kommen. Vielleicht ist unter uns Heise-Lesern der Hinweis unnötig, dass die neue App-Version nicht mit der neuen De-Mail kann, schließlich kennen wir alle Bananen-Software. Warum sollten Vater Staat und Mutti Merkel bei der Auftragsvergabe fürs E-Government Firmen nehmen, die fehlerfreie Software ausliefern, die obendrein sparsam mit den Ressourcen umgeht? Sehr schön auch die neueste Beurteilung des gemeinen Bürgers, den man erst erziehen muss für den richtigen Umgang mit der De-Mail. Langzeitspeicherung von wichtigen De-Mail-Briefen für 10 Jahre und länger? Ja bitte, aber komplett mit der Erklärung der Langzeitspeicherung mit Übersignatur, wir sind schließlich in Deutschland.

*** Bundeskanzler Schröder regierte bekanntlich mit "Bild, BamS und Glotze", der nötige Link entfällt hier aus Gründen der Pietät. Kanzlerkandidat Steinbrück läuft sich gerade mit der Bild warm und verkündete, seine Nebeneinkünfte genauer aufzuschlüsseln als: "Vortrag 1, 2010, Stufe 3, Vortrag 2, 2010, Stufe 3, Vortrag 3, 2010, Stufe 3, Vortrag 4, 2010, Stufe 3, Vortrag 5, 2010, Stufe 3, Vortrag 6, 2010, Stufe 3, Vortrag 7, 2011, Stufe 3, Vortrag 8, 2011, Stufe 3", macht mindestens 49.000 Euro beim London Speaker Bureau. Für die FAZ hat Steinbrück damit dem in Utopia lebenden grölenden Intelligenzpöbel nachgegeben, womit sicher nicht der Auftritt heute in der Talk-Show von Günter Jauch gemeint ist. Noch verquerer ist die "Süddeutsche" mit dem Satz: Er ist schon deshalb kaum zu korrumpieren, weil er seit Jahren Abgeordneter der Opposition ist. Der soll uns wohl wie Transparency International daran erinnern, dass in Deutschland die Bestechung von Abgeordneten keine Straftat ist. Nun ist aber Ruhe in der Kiste! Einen habe ich noch: "Ich glaube, dass es Transparenz nur in Diktaturen gibt", diese Kriegsandrohung gegen jedwedes Transparenzgesetz soll offenbar die Peersphäre als den Kernbereich peerlicher Lebensführung schützen, doch das Porzellan wird noch lange scheppern.

*** Wie ist es eigentlich um die Einnahmen des Wahlkämpfers Chavez bestellt? Beim Bau der langsamsten Internetverbindung nach Kuba soll Geld in großem Stil veruntreut worden sein. Vetternwirtschaft und Petrodollars kennzeichnen den lateinamerikanischen Weg zum Sozialismus. In Kuba, wo gerade die bekannten Blogger Yoani Sánchez und Agustin Diaz im Vorfeld eines Prozesses festgenommen wurden, sind nicht die Einnahmen der Politiker das Problem. Das sind eher die Einnahmen der kubanischen Ärzte, die in Venezuela arbeiten. Dafür bekommt Kuba 4 Milliarden US-Dollar im Jahr. Gegenkandidat Henrique Capriles will nur 800 Millionen zahlen. Die Zurückhaltung à la mode de Steinbrück zählt übrigens nicht, schließlich wird in Venezuela via Twitter regiert. Beim anderen Wahlkampf soll Obama wegen der Höhenluft in Denver gepatzt haben, erklärte Al Gore, der mit dem High Performance Computing Act als einer der Väter des Internets gilt.

*** Ehe bei uns wieder gewählt wird, Stuttgart mal außen vor gelassen, gibt es verschiedene Dinge zu tun. Gefühlte 100 Mal lief in dieser Woche der Appell durch Klein-Kleckernetzdorf, doch bitte diese Petition gegen das Leistungsschutzrecht mitzuzeichnen. Dem schlecht gemachten Pfandrecht für zukunftsscheue Verleger steht zwar eine ähnlich schlechte Petition gegenüber, aber da müssen wir wohl wirklich durch. Müssen wir wirklich? Ich habe da meine Zweifel, nicht nur, weil das Leistungsschutzrecht ein Walversprechen ist. Die Argumentation mit den Netzsperren als vergleichbares Anliegen ist schief, der geplante Leistungsschutz ist nur für einen sehr kleinen Teil der digital Natives interessant. Erst recht ist es für die außerdigitalen Bürger uninteressant, die in einer Rateshow schon daran scheitern, Sascha Lobo zu erkennen. Der sich als "Opinion Leader" des Netzes voll hinter die Petition gestellt hat. Eine vertane Chance ist übrigens keine Niederlage; es liegt jetzt an den Bundestags-Abgeordneten die vollmundig verkündete Stümperei zu stoppen. Aber ach, vergurkt und schwammig eine gute Figur machen, dass ist schon ein Kunststück.

Was wird.

Am Dienstag startet auf der Frankfurter Buchmesse der ambitionierte Versuch der Verlage, Bücher auf den Markt zu bringen, die einen Inhalt haben und nicht nur substanzloses Geschwafel. Ausgerechnet die Süddeutsche, die seit Wochen in einer Artikelreihe vor den furchtbaren Schäden warnt, die das Internet hinterlässt, hat ihre "zehn Verbote" (nur auf Papier) veröffentlicht, was nicht veröffentlicht werden soll. Darunter sind Verbote, all diese langweiligen Internet-Bücher zu unterlassen, die eine Bedeutungshalbwertszeit von ein paar Tagen haben. "Lasst also das Internet in Ruhe! Es hat euch nichts getan." Um im schönsten Klappentextsprech zu waschzetteln: Ein gutes, ein notwendiges Verbot.

Aber halt! Hallo! Ein Buch ist natürlich von diesem Verdikt ausgenommen. Angela Merkel Bundeskanzlerin, Berlin, monatlich, Stufe 3 hat ein schwergewichtiges Buch herausgegeben, in dem ein ebenso angeheuerter wie atemloser Journalist einen gehetzten Blick hinter die Kulissen des Spektakels namens Zukunftsdialog wirft. Zur Buchmesse erscheint diese seltsame Endlosreportage als "enhanced eBook" mit den Biographien der 130 Experten, die in 18 Arbeitsgruppen nach "dem großen Wurf für Deutschland" suchten. Zahlreiche Videos von Merkels Bürgergesprächen beim Zukunftsdialog sind auch drin im enhanced eBook. Und dazu ist ein aufregender Blick hinter die Kulissen des Bundeskanzleramtes angekündigt. Erfahren wir endlich, wie möglichst kleine Schritte geübt werden? Gibt es vielleicht einen location based Krimi als Zugabe? Tod in der Bundeswaschmaschine?

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 14 Oktober, 2012, 06:00
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

***Während in der norddeutschen Tiefebene die tödliche Männergrippe auch Redakteure zu greinenden Weicheiern mutieren lässt, hören wir doch mal in eine Dankesrede rein: "Liebe Europäerinnen und Europäer, liebe Neger, es ist ganz wunderbar, diesen Friedensnobelpreis zu bekommen! Ist er nicht ein deutliches Lob für die Anstrengungen in diesem wunderbar friedlichen Europa alle Mitbürger und Neger anlasslos zu überwachen und die Restneger mit dieser wunderbar freundlichen Frontex-Truppe außen vor zu lassen? Lasst uns alle bei all unserer Freude nicht vergessen, welche Gefahren dem friedlichen Europa drohen. Wir alle halten hier den Friedensnobelpreis in der Hand, nur die Mitglieder des europäischen Ausschusses für Bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres nicht. LIBE hat die Idee des friedlichen Europas entehrt mit dieser Abstimmung über das Ansinnen von Frontex und Europol, dass Europas Polizeien Zugriff auf EURODAC bekommen. Wie sollen wir nur in Frieden diesen Nobelpreis entgegennehmen können, wenn unsere tapferen Polizisten nicht bei jedem verdächtigen Subjekt stante pede prüfen können, ob er vielleicht gar kein friedliebender Europäer ist, sondern ein Asylant? Natürlich wurde EURODAC allein für die Behörden geschaffen, die für die Erteilung von Visa zuständig sind und für die redlichen Migrationsspezialisten des BAMF. Aber wir dürfen in diesen Stunden der Freude die Gefahr nicht vergessen, die vor Lampedusa schwimmt oder die aus Serbien und Mazedonien schwappt. Dieses unsere friedliche Gemeinwesen ist bedroht von Leuten, die besser im Kongo bleiben und dort auf den Friedensnobelpreis warten sollten.
Liebe Miteuropäer, Europa wird friedlich und vor allem geräuschlos regiert. Das Vertrauen der 27 Staaten, ja die Liebe aller Staatsbürger zu Europa ist grenzenlos und unhintergehbar. Es kann von daher gar nicht angehen, dass Protest über ein Demokratiedefizit laut wird, wenn die weise Regierung Europas dagegen vorgeht, dass Dokumente über die Vorratsdatenspeicherung im Internet auftauchen. Solche Insubordination gegenüber dem europäischen Willen sind geeignet, das friedliche Zusammenleben aller Europäer stören, indem sie auf den Missstand hinweisen, dass die Verbindungsdaten aller Bürger gespeichert werden müssen. Es ist nun einmal der Preis des Friedens im Zeitalter des Internet, dass über jedwede Verbindung Buch geführt werden muss. Sonst gibt es kaum Hoffnung, dass furchtbare Verbrechen wie der Passwortraub am Körper der deutschen Sozialdemokraten nicht aufgedeckt werden können. Hier zeigen die guten Bürger von Frankreich wie man es richtig macht, auf dass die deutsche Polizei mit französischer Hilfe dank funktionierender Vorratsdatenspeicherung den Hacker namens "ZyklonB" festnehmen konnte: Ein 16-jähriges "Skript-Kiddie", das auf seiner runengeschmückten Webseite die Friedensnobelmitpreisträgerin Marine Le Pen anhimmelt und von einem Frankreich ohne Juden schwärmt.
Liebe Europäerinnen und Europäer, dieses unsere Europa ist nicht möglich ohne unsere Polizeien und Militärs, die uns liebevoll beschützten und den Frieden möglich machen. Vertrauen wir ihnen! Wenn der deutsche Bundesrat unter grüner Leitung sich erfrecht, das Haftungsrisiko für freie WLANs zu mildern, die dem Wahnsinn namens Störerhaftung zum Opfer fallen können, dann hört auf eure Polizei! Öffentlich zugängliche WLAN-Netze dürfen nicht zu staatlich organisierten Einfallstoren anonymer Internetkrimineller werden! Wie hat Europa in der Vergangenheit darunter gelitten, dass es unbewachte Briefkästen gab, die gefährliche Kassiber transportierten, bar jeder Kontrolle. So löblich es ist, von der Polizei ein Plädoyer für die asymmetrische Verschlüsselung der Inhalte lesen zu können, so müssen uns die Worte von der gefährlichen Lücke der inneren Sicherheit Deutschlands aufrütteln. Erst wenn die Lücke geschlossen ist, darf das Internet weiter benutzt werden! Das gilt auch für die Bürger von Potsdam, deren öffentliches WLAN zu einem Provider in Balkanien getunnelt wird, ehe es ins große Internet hinausgeht. Das ist zwar immerhin noch in Europa, aber ermittlungstechnisch völlig panne.
Und bitte, wenn es doch in diesem unseren friedlichen Europa zum Krieg kommen sollte, ist einzig und allein dieses Internet mit seinen Cyber-Angriffen daran schuld, wenn es mal zu einen ordentlich gepfefferten Angriff mit Raketen und Haubitzen kommt. Zwar tappen alle im Dunkeln, wo manche Attacke auf kritische Infrastrukturen gestartet wird, aber ein 'naturgegebenes Recht zur individuellen oder kollektiven Selbstverteidigung' will auch mal ausgeübt werden, wenn ein Angriff Menschenleben kostete. Dass eine deutsche Regierung an solchen Plänen bastelt und gleichzeitig sich weigert, den Export von Überwachungstechnik wie den Waffenhandel zu kontrollieren, ergibt ein lustiges Bild. Im friedlichen Europa richtet sich der Blick wieder nach Estland, wo das Cyber-Verteidigungszentrum der NATO installiert ist, das für die Bewertung von Cyber-Attacken zuständig ist. Wir sind ja eine große Familie."

*** Na, vom ersten Schrecken schon erholt? Diese kleine, die EU stärkende Rede muss nur noch von einem dieser Europäer gehalten werden, die mit ihrer Bürokratie, mit aberwitzigen Institutionen wie der EURODAC kontrollierenden IT-Agentur für Freiheit, Sicherheit & Recht die Datenbanken des vereinten Europas füttern und überwachen. Bekommt Kommissionspräsident Barroso den Preis umgehängt? Christofias, der amtierende EU-Ratspräsident? Van Rumpoy, der ständige Präsident des Europäischen Rates? Schulz, der Präsident des europäischen Parlaments? Lady Ashton, die Außenministerin? So viele Hälse, so viele Begehrlichkeiten. So viele Gespenster. Aber man kann einen ehrlichen Mann ja nicht auf seine Knie zwingen, oder wie?

*** Genug Europa? Wie wäre es mit Neuseeland, dem Partnerland der Buchmesse? Mit einem Stand, den niemand so recht versteht. Nix Hobbit, mehr Haka und vor allem ganz viel Katherine Mansfield, die heute Geburtstag hat: "Why be given a body if you have to keep it shut up in a case like a rare fiddle?" Die Frau mit den vielen Liebesaffären, die ganz vorzüglich in Bad Wörishofen "In einer deutschen Pension" als erste über Vergewaltigung in der Ehe geschrieben hat, hätte auf der Buchmesse einen schweren Stand. Bekannt aus dem Fernsehen muss man sein, wie Nina Ruge, dann klappt es auch mit Hundebüchern. Mansfield vergriffen? Den lauten Knall in den USA hat man auf dieser Messe geflissentlich überhört. Lieber warnt man vor der furchtbaren Rache der Nerds, die die Welt nach ihrem Bild terraformen. Wofür sie Rache nehmen, was sie gekränkt und gebrochen hat, das kümmert uns nicht. Da gucken wir lieber, ob das Internet Segen oder Fluch ist, Dagobert oder Klaas Klever: "Einen ärgerlich großen Raum nehmen reflexhafte Phrasen und kaum belegbare Behauptungen ein, verbunden zu einem emotionalen Amalgan, das mehr die Gruppenzugehörigkeiten festigen als irgendjemanden überzeugen soll. Regelmäßig lassen sich Diskussionspodien, Talkshowkonfrontationen und Artikelgefechte beobachten, deren Teilnehmer weniger an der Vermittlung und Erklärung interessiert sind, als an der Selbstvergewisserung, und oft genug waren diese Teilnehmer die Autoren des vorliegenden Buches." Emotionales Amalgam? Ja, es gibt sie noch, die hirnlose Faselei über "das Internet, seine Bedeutung für unser Leben und seine Folgen für die Welt". Das erstaunliche ist nur, dass solch zäher Brei gedruckt und nicht einmal im Selbstverlag veröffentlicht wird. Wo sind denn all die Internet-Nichtversteher, wenn man sie mal braucht?

Was wird.

Okay, die Petition zum Leistungsschutzrecht ist daran gescheitert, die Behandlung im Petitionsausschuss zu erzwingen, die großen Versprechungen von Sozialdemokraten und Grünen haben sich als Scheinriesen entpuppt und wenn der Bundestag so mitzieht, werden die Verleger den Lackmus-Test der Sperr-Praxis von Google erleben. Die Probe des Puddings kannte schon Friedrich Engels, doch diesmal wird nicht gekostet. Hier wird der Pudding an die Wand geworfen. Dafür hat es die Petition für ein europaweites Verbot der Vorratsdatenspeicherung in die öffentliche Anhörung geschafft und nimmt am kommenden Montag friedlich europäisch einen noblen Gedanken auf: Weg mit dem Zeug. Zahlen wir den Preis einer freien Gesellschaft und sollte er auch darin bestehen, das eine oder andere Schwerverbrechen nicht aufklären zu können.

Angeblich hat der sächsische Verfassungsschutz eine streng geheime Operation "Terzett" durchgeführt, durch die die Terrorzelle des Nationalsozialistischen Untergrundes um ein Haar aufgeflogen wäre. Nichts genaueres weiß man nicht, die Nachrichten klingen so wie die Statements zur "Inhaltlichen Datenträgerauswertung", einer Software, die das Bundeskriminalamt in der BAO Trio einsetzte: total fähige Software mit super Asservatsverwaltung, Erkennung von inhaltsidentischen Dateien und automatische Erstellung von Suchanfragen. Ob es hilft? Am Mittwoch wird die deutsche Sicherheitsarchitektur auf den Prüfstand gestellt, bei einer Polizeigewerkschaft. Der Einarmige unterstützt den Einbeinigen. Oder so.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 21 Oktober, 2012, 06:00
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Ach, Google: 21 Milliarden Dollar in acht Minuten zu "verbrennen", das vermittelt eine Ahnung vom Turbokapitalismus. Man könnte die 18 Milliarden Euro dagegen setzen, für die der italienische Staat eine geschlagene Woche brauchte, um sie zusammen zu bekommen, aber die schwarzen Schwäne sind längst auf dem Weg ins Winterquartier. Dass die Panne auf dem Fehler einer Druckerei beruhte, die Googles Geschäftsbericht auf totes Holz kopiert, ist die berühmte Ironie des Schicksals.

*** Angeblich hat Google seine Maske abgenommen und das wahre Gesicht als gefährlicher "Schwarz- und Trittbrettfahrer" gezeigt. Passiert ist das Ganze in Frankreich, wo mit der anstehenden Reform des Urheberrechts um eine "Lex Google" eine französische Form des unsinnigen Leistungsschutzrechtes eingeführt werden soll. Google, das Monat für Monat vier Milliarden Besucher auf die Netzpräsenzen der Verlage spült, soll dafür zahlen. Die Nachrichtenagentur AFP veröffentlichte den Protest von Google, den diese kleine Wochenschau mit einem belgischen Link einspielt: Bekanntlich war Belgien das erste Land, in dem der Verlegerschutz realisiert wurde und Google konsequent reagierte. Dass im französischen Protest von Google der US-Konzern "mette en cause son existence même" in seiner eigenen Existenz bedroht ist, werden die Juristen des Hauses wahrscheinlich mit Glucksen geschrieben haben. Man muss Google nicht besonders mögen, wenn man schlicht konstatiert: "Wenn jemand für eine Leistung Geld haben will, muss es anderen erlaubt sein, auf diese Leistung zu verzichten." Das fehlende Zitat von Larry Page, das angeblich zur fehlerhaften vorzeitigen Veröffentlichung der Geschäftszahlen führte, sind nicht die Witze von #PendingLarry. Der Zuwachs im Bereich der zukunftsträchtigen mobilen Suchanfragen bei stagnierendem Anzeigenaufkommen zeigt, wohin sich Google entwickelt. Selbstfahrer oder Trittbrettfahrer, das ist die Frage.

*** Es war ein kleiner Schritt für einen mutigen Menschen, aber ein großer Schritt für das Marketing von Zuckerwasser, das angeblich Flügel verleiht. Wobei die Frage, ob der Flug zu kurz oder gar der Sprung ungültig war, weil eine Linie übertreten wurde, die Gemüter erhitzt bis zum Denk-, äh Druckverbot: "Ich finde, man sollte eure Seite verbieten. Kann doch nicht sein dass sich jemand als Zeitung ausgeben darf. Sogar im Titel-Banner damit wirbt dass es um ehrliche Nachrichten geht. Und jeder Artikel ist einfach knallhart gelogen und ne Verarsche! Einfach unglaublich. Jeder der sonst Unwahrheiten erzählt, wird bestraft. Was passiert mit euch?" Knallhart gelogen? Nun, es gibt Zeitungen, die über die Analyse von "Körperströmen" schreiben und den Test als Notfall-Fluchtplan für Kunden beschreiben, die ihr E-Ticket bei Virgin Galactic gebucht haben.

*** Zwei US-amerikanische Geheimdienstoffiziere machten sich im Jahre 1948 Gedanken darüber, wie ein Kontrolldienst aussehen könnte, der überwacht, ob die Deutschen es ernst mit der Demokratie meinen oder ob sie wieder nationalsozialistisches Gedankengut verbreiten und den Staat vernichten wollen. Auf der Suche nach einem Namen für diesen Dienst kamen sie auf die wehrhafte Demokratieschutztruppe, dann auf Verfassungsschutz. Dieser prüft seit dem 27. September 1950, ob es Bestrebungen gibt, die Demokratie abzuschaffen, in guter Zusammenarbeit mit dem Klu-Klux-Klan. Wie gut der Verfassungsschutz arbeitet, erkennt man daran, dass seine Leute bei einer Homepage-Überwachungsfangschalte der Kölner Polizei auffielen. Als Clemens Binninger dieses Detail auf der Konferenz über Deutschlands Sicherheitsarchitektur erzählte, war das Gelächter groß. Nach einer Studie dürfte es drei Jahre brauchen, all die Verfassungsämter abzuschaffen und die fähigen Leute als politische Polizei einzustellen, die ohnehin bei politisch motivierter Kriminalität ermittelt. Ein Tabu für Sicherheitspolitiker, die "fassungslos" den sprachlichen Ausrutscher der Grünen-Politikerin Anja Piel kommentieren. Vielleicht wird sie observiert, wie Abgeordnete der Linken. Vielleicht ausgegrenzt wie Feine Sahne Fischfilet. Und wie ist das bei den Piraten? Wer Island so lobt, soll doch nach drüben gehen!

*** Es geschieht nicht alle Tage, dass auf der anerkannten Leak-Seite Cryptome ein Heiligenbild veröffentlicht wird. Das es ausgerechnet die "Erweckung des Lazarus" von Piombo und Michelangelo ist, sollte zu denken geben. Es ist nicht nur das erste Bild überhaupt, dass die britische Nationalgalerie ankaufte, sondern erzählt auch die Geschichte vom bitteren Streit zwischen weibischer Technik (Ölmalerei) und männlicher Arbeit (Fresko). Doch steht er auf, Assange? Zur Buchmesse stilisierte er sich als Nachtwächter, der Warnungen in die Nacht ruft, als solitärer Cyperpunk der dunkelsten Science Fiction, als Schockwellenreiter, der vor der Verletzlichkeit einer Welt warnt, in der jede E-Mail, jeder Telefonanruf gespeichert wird. Derweil hat Wikileaks sein Diskussionsforum geschlossen. Die verbleibende Gruppe der Gläubigen schart sich fest um Christine Assange, die nunmehr die Assanginistas anführt beim Kampf um die Erweckung Julians. Großes Kino? Große Kunst! "In Zukunft werden die ganz großen Umwälzungen aus der Nerd-Szene kommen. Nicht mehr aus der Kunst. It's over, das muss ich jetzt ganz knallhart sagen." Kniet nieder.

Was wird.

Gut, die Woche ist vorbei, die nächste wartet. Wer zur Gruppe der angebissenen Gläubigen zählt, fiebert dem Dienstag entgegen, an dem es farbenfroh zugehen soll. Dann gibt es noch die unverdrossenen, die auf den Donnerstag/Freitag warten, wenn Windows 8 je nach Zeitzone offiziell startet. Der größte lebende Steve aller Zeiten hat vom Beginn einer neuen Ära gesprochen. Wer einfach nur Erlösung sucht, wird bei dieser Religion fündig.

Wo Erlösung wartet, ist Vergebung nah: der große Guttenberg wird bald wieder eine maßgebliche Aufgabe übernehmen. Der Mann bindet Wählerstimmen und könnte auch mit einem Pfund Marihuana noch durchkommen. Seine Dissertation ist Cut&Paste von gestern, der Müllkorb längst entleert. Schließlich stellte sich dieser Tage heraus, wie es um die Freiheit der Wissenschaft in Deutschland bestellt ist, wenn eine deutsche Wissenschaftsministerin einer Universität Redeverbot erteilt. Diese Art Heimvorteil hatte Guttenberg halt nicht, die Kompensation als EU-Beauftragter für Internet-Freiheit war mehr symbolisch. Die Forderung nach einem bedingungslosen Doktortitel für all die Polit-Karrieristen ist von ebenso großer wie ehrlicher Schadensbegrenzung getragen und dürfte selbst bei den Piraten auf große Zustimmung treffen. Wer weiß, vielleicht ergibt sich auch für Koch-Merin die Chance eines Rücktritts vom Rücktritt, wenn dieser "Blockwartmentalität des Internet" ein Riegel vorgeschoben wird.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 28 Oktober, 2012, 06:00
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** So geht also Rücktritt 2.0, vorgeführt von den Piraten. Sie können alles, nur kein richtiges Deutsch: "Dass jedoch jeden Tag mehr die Anpassung meines Denkens und Handelns an eine alte Politikervorstellung notwendig zu werden scheint, die ich ablehne und nicht bereit bin zu vollziehen, ist ein Umstand, dem ich mich nicht länger aussetzen möchte", verklärt der rheinische Schwan Julia Schramm (PDF-Datei) ihren Rücktritt. Nicht bereit sein zum Vollzug einer alten Politikervorstellung, was immer das auch sein mag. Eine Vorstellung von Politik ist es sicher nicht. Auch der Sachlichkeitsbeauftragte der Piratenpartei flüchtet sich in grauenvolle Floskeln: "Der Weg geht nicht zurück. Er geht nur nach vorne." Sie wollen sympathisch sein, doch sind sie nur unfähige Nerds mit der seltsamen Forderung "Machtkämpfe durch Toleranz zum Blühen zu bringen." Auf solche Floskeln angemessen zu reagieren, fällt selbst den Humoristen schwer.

*** Ausgerechnet das Neue Deutschland, Zentralorgan der Linksfraktion, hat Recht: Die Piratenpartei ist deshalb groß geworden, weil sie die zentrale Frage problematisierte, "welche Wissensordnung sich in einer Phase des revolutionären Umbruchs der technologischen und sozialen Verhältnisse herausbilden wird, wer also künftig mit welchen Begründungen an den Hebeln von Zugang, Produktion, Speicherung und Verbreitung" von Informationen, dem Öl des 21. jahrhunderts zieht.

*** Was sich vor unseren Augen auf Twitter abspielt, hat Geert Lovink in seinem Essay "Die Gesellschaft der Suche" in diesem schärfstens empfohlenen Buch so gut beschrieben, dass ich es leistungsraubend mordkopieren muss: "Netzwerke fördern eine informelle Führung, und die kann man schwerlich ersetzen. Die Massen der alten Schule auf den Straßen projizierten einst ihre Sehnsüchte auf charismatische Führer, aber die Aktivisten von heute stehen vor der Tatsache, dass neue Medien zwar mobilisieren, aber auch dekonstruieren, zerlegen, fragmentieren und die alten Schulen ignorieren. Der vernetzte Computer ist eine zutiefst postmoderne, lähmende Maschine des Kalten Krieges. Vergeblich suchen wir nach einem Weg, die Massen wieder zu vereinen, und nutzen Netzwerke, um formale Systeme der Repräsentation zu konstruieren. Morozovs Vorschlag (dass es im Twitter-Zeitalter keinen Solschenizyn mehr geben kann) könnte auch als neuer Ausgangspunkt gelesen werden: Es wird keine Massen geben, wenn wir bereits die Hervorbringung von Führern sabotieren." TL,DR? Die Kurzfassung findet sich in jedem Asterix-Heft, in dem sich die Piraten selbst versenken, meistens von altlateinischer Weisheit begleitet: Exitus acta probat.

*** Wahlspaß beiseite, der Ernst des IT-Lebens gebietet es, von anderen Dingen zu berichten, als von den an der 5-Prozent-Klippe absaufenden Piraten. Immerhin wurde in dieser Woche auch geschossen, einen besonderen Treffer verbuchte dabei der Kommentar über die bebrillten Nerds mit ihren sozialen Phobien, die sich nun in eine No-Go-Area wie das Oberholz trauen können, in der sonst jeder Gast ohne Mac misstrauisch beäugt wird. Wenn sich die Aufregung über den hingekachelten Start mit den hübschen Smileys gelegt hat, kommt die Erinnerung wieder, dass sooo neu alles nicht ist unter 1000 Sonnen. Auch die Apps und der App-Store sind schon erfunden und nun braucht man nur mit ein bisserl Geduld auf den ersten Preis-Überfall von Microsoft zu warten, nach dem Vorbild von Apple. Wobei das böse Wort vom Preis-Überfall aus dem Sprachwörterbuch der Verleger stammt, die ihre Abzockerei vornehm den Namen Leistungsschutzrecht gegeben haben. Ein Blick nach Brasilien gefällig, die Herren? Dort soll nach dem Rauswurf der Zeitungen aus Google Noticias Brasil die Netzbesuche auf Zeitungsseiten nur um 5 Prozent zurückgegangen sein. Was erst einmal die alte Annahme bestätigt, dass Google News zu den hoffnungslos überschätzten Angeboten des unbösen Konzerns gehören. Achja, den in der letzten Wochenschau erwähnten Brief hat Google veröffentlicht. Er zeigt die Position auch gegenüber der deutschen Mogelpackung.

*** Die Feierlichkeiten zum Geburtstag des neuen, kontaktlosen Personalausweises haben begonnen, auch die derzeit noch kontaktbehaftete Gesundheitskarte wird zukünftig kontaktlos arbeiten können, doch die große unbekannte Karte ist Girogo. Noch in diesem Jahr werden rund zehn Millionen Bundesbürger entsprechende Karten von ihren Sparkassen erhalten. Dann startet im Januar das Wunder von Wolfsburg, wo sie dem Chef-Menschenhändler Felix Magath das Geldterminal gesperrt haben, dafür nun aber alle Stadionbesucher zum kontaktlosen Bezahlen erziehen. Im Unterschied zur BayArena-Card, die auf der aussterbenden Geldkarte basiert, will Wolfsburg zeigen, wie man blitzschnell kontaktlos Geld vertickt. Anders als die Geldkarte lädt sich die Girogo-Karte beim Bezahlen am POS dank einer mit dem Sparkassenkonto verbundenen Geldladeautomatik immer um einen Sockelbetrag auf, wenn das Guthaben auf der Karte nicht ausreicht. Default sind 35 Euro, das Maximum liegt bei 50 Euro. "Das neue Bezahlverfahren ist auf die Verdängung von Bargeld ausgerichtet", heißt es bei den Betreibern. "Haste mal nen Euro?", diese Schnorrerei soll der Vergangenheit angehören. "Girogo, ich bezahle so", singt der Breakdancer, der am Bettler vorbei durch die Fußgängerzone performt. Im Girogo Flagship Store am Rande der norddeutschen Tiefebene ist Bargeld immer schmutziges Geld. Willkommen bei der nächsten sozialen Kontrolltechnologie.

Was wird.

Wenn die Sommerzeit geht und die Winterzeit die Kühe früher in den Stall treibt, ist Halloween, ein US-amerikanischer Schlager. Aus aktuellem Anlass sei ein Blick in die USA erlaubt, wo Halloween für zombieartigen Schabernack sorgt. Man denke nur an die Halloween Dokumente von Microsoft von 1998 oder an das Halloween Massaker im Weißen Haus unter Präsident Ford. Erst heute weiß man, dass Ford niemals dieses böse "Drop Dead" gesagt hat, das zu den berühmtesten Schlagzeilen des Journalismus zählt und einem Berliner Festival den Namen gab.

Derweil schaut das heutige Amerika auf einen extra feinen Schmutzwahlkampf, ganz ohne Change you can believe in. In allerletzter Minute wurden die Verhandlungen gegen den mutmaßlichen Whistleblower Bradley Manning vor einem US-Militärgericht verschoben, die am 30. Oktober starten sollten. Dort soll es erst nach der Präsidentenwahl weitergehen. In dieser Woche tauchte im Web 2.0 dazu eine E-Mail von Assange an Adrian Lamo, die Spannung verspricht. Denn gegen den Failer Assange will Anonymous mit einer Leak-Plattform namens Tyler starten, am Tyler Durden-Day, wenn nach dem Maya-Kalender ein Weltzyklus endet und der Zyklus der Wahrheit (TM) beginnt. Wahrheit? Wie wäre es mit der Weisheit eines Churchills? "Ich brauche keine Wahrheit, ich brauche eine vernünftige Statistik."

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 04 November, 2012, 09:34
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Es ist tatsächlich passiert: Clark Kent hat in der aktuellen Superman-Folge wie angekündigt seinen Job als Journalist beim Daily Planet gekündigt. Comic-Autor Scott Lobdell fand den Schreibtischjob des Kryptonit-Allergikers recht unpassend für die heutige Zeit. Ein Journalist am Schreibtisch anno 2012, das ist für heutige Leser des Comics einfach zu unrealistisch, zu brav und öde. Wer "was mit Medien machen" will, denkt an brenzlige Einsätze in Arabistan, oder an einen nicht abreißenden Strom von Gadgets, die gemeistert werden wollen, oder an Fefe. Dabei arbeiten echte Journalisten heute wie Supermänner, nur ohne das neckische Kostüm: Sie müssen auf Smartphones in Echtzeit mitschreiben, selbst Fotos machen und daneben mit dem großen Zeh eine Videokamera bedienen können. Sie müssen proggen können, eine fesselnde Live-Bildergalerie zehn Minuten vor dem großen Sturmunglück online stellen, sekundenschnell aus Big Data-Kreuzquer eine spannende Geschichte entwickeln und einen Doktortitel in interaktiven Visualisierungstechniken haben. In der nächsten Superman-Folge will Scott Lobdell das Geheimnis lüften, ob Superman bei der Huffington Post oder beim Drudge Report weiter macht oder gar zu ProPublica wechselt, die Fracker dieser Welt jagend, mit Superphone und Supergoogle im Superdress und einem Herzen aus Stahl, das heiße Tränen vergießt.

*** Scott Lobdell hat schon einmal seine Macht demonstriert und bei Marvel Comics das Coming Out des schwulen Superhelden Northstar durchgesetzt, der demnächst seinen Freund heiraten soll. Und wurde nicht der Spiderman ganz im Sinne des Obamismus zum Afroamerikaner? Amerika ist bekanntlich das Land der unbegrenzten Möglichkeiten, dass den Mond erobern konnte. Nur wer sich wirklich harte Ziele setzt, wird sie erreichen können, das wusste John F. Kennedy, als er vor 50 Jahren die Mission in einer berühmten Ansprache erläuterte: "We choose to go to the moon. We choose to go to the moon in this decade and do the other things, not because they are easy, but because they are hard, because that goal will serve to organize and measure the best of our energies and skills." Und heute? "We wanted flying cars – instead we got 140 character." Ist das vielzitierte Silicon Valley wirklich nur eine Versammlung von Venture-Kapitalisten, die hasenherzig ihre Chancen verpassen? Die Zukunft ist auch nicht mehr das, was sie einmal war, als Sandy tanzte. Ist Google die letzte Firma dieser Welt, die sich ein ausreichend anspruchsvolles Ziel gesetzt hat, "die Informationen der Welt zu organisieren und für alle zu jeder Zeit zugänglich und nützlich zu machen"? All your information are belong to us.

*** Vor einem Jahr patzten die Neo-Nazis der heute "Zwickauer Zelle" genannten Kleinkampftruppe. Und Deutschlands Sicherheitsbehörden begannen, ihr eigenes Versagen, "unseren 11. September" aufzuarbeiten. An den damals kommentierten Ungeheuerlichkeiten hat sich nichts geändert. Es hat sich eher zum schlechteren gewandelt, mit einem Innenminister, der frei dreht und punktuelle Verschlimmbesserungen einführt, wie eine Neonazi-Datei, in der die Versager vom Verfassungsschutz nicht einmal ihre dubiosen V-Leute einspeichern müssen. Wobei diese mit großem Aktionismus gestartete, tolle Datei angeblich schon Erfolge zeitigt, obwohl die gepriesene erweiterte Datennutzung laut offizieller Auskunft noch gar nicht programmiert ist.

*** Besonders bedenklich lesen sich die Erklärungen der Kriminalbeamten und der Polizisten, die jede Form von Einsicht in das Struktur- und Mentalitätsproblem vermissen lässt. Da trifft es sich prima, wenn die amtierende Regierung diesen Akteuren den Rücken stärkt und erst Rasterfahndungen dementiert, dann aber zugibt. Wobei die Fahndungen technisch gesehen recht erfolgreich waren, zeigten sie doch, dass die vermuteten Zusammenhänge nicht existierten. Womit die kleine Wochenschau schon in die düstere Zukunft blicken darf: Am 6. November verhandelt das Bundesverfassungsgericht über die Antiterrordatei, der Vorläuferin der Neonazi-Datei. "In grundsätzlicher Hinsicht ist insbesondere zu klären, ob, wieweit und unter welchen Bedingungen eine Zusammenführung von Daten der Nachrichtendienste mit denen von Polizeibehörden verfassungsrechtlich zulässig ist. Ein Problem liegt darin, dass die verschiedenen Behörden wegen ihrer unterschiedlichen Aufgaben ihre Informationen unter sehr verschiedenen rechtlichen Voraussetzungen erheben dürfen, und wieweit eine Zusammenführung dieser Daten die Unterschiede unterlaufen könnte." Wird Deutschland ein Polizeistaat?

Was wird.

Heute vor 60 Jahren hatte ein UNIVAC-Computer seinen großen Auftritt, als in den USA der Wahlkampf zwischen Dwight D. Eisenhower und Adlai Stevenson mit der Wahl von Eisenhower endete. Der von Grace Murray Hopper programmierte UNIVAC vollführte die ersten Hochrechungen auf der Basis von sieben Prozent der ausgezählten Stimmen und sagte frühzeitig den Erdrutsch-Sieg von Eisenhower (438:93) exakt voraus. Die Medien wollten in der Wahlnacht, beraten von Wahlforscher-Wünschelrutengängern, Stevenson zum Präsidenten machen. Besonders lustig die Rolle des Fernsehsenders CBS, der ausführlich über die UNIVAC-Berechnung berichten wollte. Eigens zu diesem Zweck wurde im Studio eine UNIVAC-Attrappe aufgebaut – mit vielen lustigen Lichtern und Schaltern, umschwirrt von Weißkitteln, die der Sender Informatroniker nannte. Die echte UNIVAC arbeitete im Verborgenen. Als die Prognose feststand, entschied sich CBS unter dem Nachrichtendruck der anderen Medien, keine Zahlen zu senden und sprach von einer Niederlage des Computers. Dumm nur, dass UNIVAC richtig gerechnet hatte. Mit Eisenhowers Sieg wurde UNIVAC zum Synonym für Computer überhaupt.

In Deutschland begann der Siegeszug der Hochrechnerei übrigens etwas später, als Sendeleiter Werner Höfer sich schützend vor den Computer stellen musste, der von SPD-Politikern unter "Beschuss" genommen wurde wie heuer nur die Stadtwerke Bochum. So kommt zusammen, was sich nicht gehört. Doch die Nacht der langen Messer ist bei uns noch fern, wenn Steinbrück gegen Merkel und den Uber-Deutschen (Wired) Kim Dotcom antritt. Der muss noch bei den Piraten aufgestellt werden, aber wenn man sieht, wie diese Partei ausschließlich Männer auf ihre Listenplätze setzt, ist das wohl eine Formsache. Kim Dotcom ist schließlich zwei Öltanks, äh...

Bei der Huffington Post, wo Superman bald mit location based heroing anfangen könnte, sind alle Prognosen zur aktuellen Wahl in den USA so hübsch gelistet und visualisiert, dass sich die deutschen Leistungsmedien ganz ohne Superman gerne bedienen. Aktuell führt Obama hauchdünn vor Romney mit 277:191. Zum Sieg braucht es 270 Stimmen. Was Obamas Sieg ausmachen kann, ist nicht die reine Freude, mit der er zu seiner ersten Wahl versprach die Folterpraxis zu beenden und Guantánamo zu schließen. Angesichts der Verwüstungen, die Sandy auf Kuba angerichtet hat, wäre dies ein logischer Schritt. Und Romney? Die Süddeutsche Zeitung beschreibt ihn als die US-Version von Bundeskanzlerin Merkel. 'Nuff said. Nein, ich will da nicht hin.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 11 November, 2012, 06:30
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Four more years – Geschichte wird geschrieben und wir waren dabei: "Es wäre absurd, nicht sehen zu wollen, dass dieser Sieg Obamas ein einzigartiger, historischer Durchbruch ist. Jetzt kämpft er mit sich selbst", schreibt Norman Birnbaum in der tageszeitung, die solch wuchtige Sätze lieber offline druckt. Four more years – der zweite Wahlsieg von Barak Obama hat Twitter einen neuen Rekord beschert, ganz ohne den Timeout-Wal früherer Zeiten. Damit ist der Adrenalin-Produzent reif für den Börsengang, ganz anders als Orca, die Unterstützungs-Software der Republikaner. Als es Ernst wurde und Romneys Freiwillige die Wähler animieren wollten, hielt dies Comcast, der Internet-Provider der Republikaner, für eine DDoS-Attacke. Ein kleiner, feiner Hinweis darauf, wie Wahlen in Zukunft ausgetragen werden können, wenn dem InterNetz eine allzu große Bedeutung zugesprochen wird: Anonymous kann auch bei der Jungen Union oder den Jusos sein – sofern Tools wie Orca oder Narwal tatsächlich wahlentscheidend sind.

*** Vier weitere Jahre oder 500 Mannjahre in der IT hat Obama nun Zeit, die technischen Themen anzugehen, die zu seinen Wahlversprechen engage and connect gehörten. Besonders viele IT-Themen waren es ja nicht, die Obama in seinem Wahlkampf angesprochen hat: Ganz oben stand die Förderung von MINT bzw. STEM (Science, Technology, Engineering, Math) durch die schnelle Ausbildung von 10.000 Lehrern in diesen Fächern: Bildung ist wichtig. An zweiter Stelle kommt das Versprechen von Obama, in seiner zweiten Amtszeit 98 Prozent des Landes mit Breitband-Internet zu versorgen. Auch die USA haben eine nationale Breitbandstrategie, ein Anliegen, das eng mit der Frage der Netzneutralität gekoppelt ist. Erinnert sei an die Auseinandersetzung von Netflix mit dem republikanischen Provider Comcast.

*** Als dritten Punkt hatte Obama von seinen Telepromptern die Entwicklung einer neuen Strategie gegen Cyber-Attacken gelesen, freilich ohne die alarmistische Warnung vor einem Cyber-Pearl Harbour wie sein Verteidigungsminister Leon Panetta. Sollte der Rücktritt des CIA-Chefs Petraeus tatsächlich auf eine E-Mail bei Google Mail zurückgeführt werden können, dürfte der Begriff Cyber-Kompromat die Cyber Security erweitern.

*** Julian Assange hat die Wahl Obamas kritisiert und den US-Präsidenten als Wolf im Schafspelz bezeichnet. Die Forderung Assanges nach der Freilassung von Bradley Manning ist ehrenwert, wenngleich von der Angst getrieben, dass Manning ihn mit seinem angekündigten Teilgeständnis belasten könnte. Wichtiger als diese Geschichte wäre eine Schließung des Lagers Guantanamo und die Vorführung der Insassen vor US-amerikanischen Gerichten. Hier könnte der Friedensnobelpreisträger Größe zeigen, auch in der Außenpolitik. Der Rest ist Hellseherei guter Statistiker.

*** In diesen unseren abstrusen wie typisch deutschen Tagen werden in den Städten die Weihnachtslampen dekoriert, die die Kaufeslust stimulieren sollen. Ein bisschen weltländisch wird noch der Tag der Toleranz gefeiert, aber dann geht es gefälligst los mit dem Kaufrausch. Davor aber bewundern wir noch den nächsten Schritt in der Kretschmannisierung der Grünen: Was der baden-würrtembergischen Abteilung ihr bekennenderKatholik, vertreten im Diözesanrat der Erzdiözese Freiburg und im Zentralrat der deutschen Katholiken, ist der Bundespartei ihre öffentlichkeitswirksame Protestantin, Präses der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland und Mitglied im Rat der EKD. Ich muss mich wohl wirklich an eine FDP für Besser-Esser gewöhnen, die den lieben Gott zwar manchmal einen guten Mann sein lässt, aber alle Mühen unternimmt, ihn auf ihre Seite zu ziehen. Da passt es ja, dass Trittin seine Rolle als Gott-sei-bei-uns auch für das Bürgertum schon lange verloren hat. Gottvertrauen. Ja, ja.

*** Und wo wir schon bei Gottvertrauen sind: Ganz oben auf den Weihnachts-Wunschlisten der Geeks und Nerds stehen heuer nette Robotik-Gadgets und Baukästen für Do-It-Yourself Überwachungsanlagen. Nachdem Wired das Drohnenbasteln ausgiebig gefeierte hat, verlässt der Chef das Blatt und geht zu seiner eigenen Drohnenfirma. Zufälle gibts.

*** Seinen Weihnachtssack schon ausgepackt hat Kim, der Verschmitzte. Freies Internet für alle verspricht der Möchtegernneuseeländer – finanziert über die vielen Millionen, die er von der US-Regierung erklagen will. Es ist bei weitem nicht das gewagteste Geschäftsmodell, mit dem er an die Öffentlichkeit ging – wir erinnern uns an die Börsenintelligenzmaschine, die Superhacker-Justice-League mit Hasenallergie und den Aufsichtsrat für Shaker und Mover. Dass nur die wenigsten Haushalte ihre Internetverbindung direkt über ein Unterseekabel beziehen, fällt vielleicht demnächst jemandem auf.

*** Nach Jahren als anonymer Internet-Tycoon hat Kim, der Lautsprecher, nun reichlich Nachholbedarf. Und die Medien bescheren reichlich. Sie drucken und senden und onlinen alles, was er sagt – je sinnloser, desto fetter die Schlagzeilen. Ach nein, fett ist nicht nett. Also vielleicht nachfragen? Besser nicht. Ganz ohne Fakten liest es sich doch so viel besser, denkt die Wired und druckt eine seitenlange Speichelleckerei. Dass sich manche bei dem gräßlichen Lärm mehr als die Ohren zuhalten wollen, erscheint nur verständlich, aber anders als einst scheint niemand anderes aufzuhorchen.

Was wird.

Breitbandausbau, nationale Cyberstrategie, Förderung der MINT-Fächer, da war doch was? Richtig, der alljährlich vor Weihnachten stattfindende nationale IT-Gipfel mit der Bundeskanzlerin und ihrem weltspitzigen IT-Hofstaat steht vor der Tür. Unter dem nerdig geschriebenen Motto "digitalisieren_ vernetzen_ gründen" geht es am Tag der schlechten Wortspiele nicht in der Boomtown Berlin, sondern in der Kruppstadt Essen zur Sache. In einem schnieken Quartier digitalisierenvernetzengründen Minister und hochrangige Firmenvertreter, wo doch das Unperfekthaus vom Namen her besser passen würden. Denn alle hehren Gipfelpläne sind gegen die Wand gedonnert: Der Bundesrat hat das E-Government-Gesetz geschreddert, De-Mail ist mangels Firmeninteresse mausetot und der elektronische Personalausweis antwortet nicht unter Windows 8.

Beim Schreddern hat der Bundesrat darauf deutlich darauf hingewiesen, dass deutsche Sonderwege problematisch sind: "Die ausschließlich konkrete Nennung der zwei Technologien De-Mail und neuer Personalausweis zur Identifikation und Authentifikation bei der elektronischen Übermittlung von Nachrichten und Dokumenten ist problematisch, dass zukünftige technologische Entwicklungen, die das gleiche oder ein verbessertes Sicherheitsniveau bieten, grundsätzlich ausgeschlossen werden. Alle genannten Technologien sind darüber hinaus ausschließlich nationale Lösungen. Vor dem Hintergrund der Schnelllebigkeit der Sicherheitstechnologien sowie der großen Anzahl von EU-Initiativen zum Themenfeld der elektronischen Zusammenarbeit im Binnenmarkt (Interoperabilität) ist neben den genannten Technologien eine weitergehende Formulierung /.../ aufzunehmen." Europäische Dimensionen? Halt, halt, da basteln wir uns lieber eine eigene digitale Charta und eine eigene nationale Cybersicherheit. Noch Fragen?

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 18 November, 2012, 06:00
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Grauer, nebeliger, kalter November. Kein Licht, nirgends. Auch Orangina streikt im schwarzgrauen Bällebad: Auf Twitter meucheln sich die Piraten, mit seltsamen Erklärungen in Nordrhein-Westfalen und noch seltsameren Entgegnungen aus der Berliner Szene, die nicht einmal über juristische Grundkenntnisse verfügt. Nein, keine Links, denn Depression wird hier nicht verbreitet, Hilfe sei nun eingeleitet. Wenn jede Tag Widerstand geleistet werden muss, wird es dem letzten Esel dämmern, dass er diesen Bullshit nicht fressen muss. Der etwas fiese Witz an der Geschichte: Piratenwähler lesen ständig genau das mit, was da getwittert wird. Die achsobösen "Medien" feixen laut, die Reparaturversuche zerren hilflos ein Kamel durch ein Nadelöhr.

*** Und die Hilfe? Ganz ohne die bewusstseinswerweiternden Mittel, die Teilnehmer auf dem IT-Gipfel der Regierung eingeworfen hatten, als sie "Industrie 4.0" beklatschten, sich allesamt als kleine Krupps imaginierend. Ganz ohne die erzieherischen Mittel unserer Musikindustrie, die Ohrfeigen bereithält, nach dem bekannten Motto: "Wer hören will, muss fühlen."

*** Ja, es gibt Lichtblicke. Dazu klettern wir erst einmal tief in die Vergangenheit: Vor genau 50 Jahren endete die Ära Adenauer endgültig. Damals traten fünf redliche FDP-Minister zurück, nachdem der Spiegel einen Artikel mit dem Titel Bedingt abwehrbereit veröffentlichte. Sie erzwangen damit den Rücktritt des CSU-Politikers Franz-Josef Strauß. Aus heutiger Sicht wird über die Ereignisse frei extemporiert und von der Presse als vierter Gewalt phantasiert. Damals schaute das Ausland auf das aufgeregte Westdeutschland und fand, dass die junge Demokratie den Bewährungstest bestanden habe. Der Verfassungsschutz, von den Allierten gegründet, um nationalsozialistische Umsturzversuche zu enttarnen, könnte abgeschafft werden. Die Forderung von 1962 kann 2012 ohne Bedenken wiederholt werden, allem GETZ-Getue zum Trotz.

*** Aus heutiger Sicht ist schon der Blick 10 Jahre zurück ganz aufschlussreich. Er fällt auf eine bald nicht mehr existierende Frankfurter Rundschau, in der Roderich Reifenrath den Artikel Schlamm aufwühlen veröffentlichte. Heute liest sich die Klage, dass investigativer Journalismus nicht mehr bezahlbar ist, wie eine Vorwegnahme der Ideen hinter Wikileaks. In dieser Woche startete der selbstdeklarierte Wikileaks-Nachfolger Shofarleaks als sichere Plattform für Whistleblower. Wie sicher die seltsam altertümlich anmutende Webpräsenz, auf der der Shofar zu G^ttes Ehren geblasen wird, muss die Zukunft zeigen. Die Möglichkeit besteht, dass Shofarleaks ein Puzzlestückchen aus dem ausgebrochenen "Internet-Krieg" ist.

*** Im hier und heute erinnerte übrigens Oskar Negt daran, dass im November 1962 ein Buch erschien, das heute wichtiger ist denn je. Der Strukturwandel der Öffentlichkeit erzählt die Geschichte, wie die bürgerliche Öffentlichkeit enstand, wie Öffentlichkeit und Privatsphäre sich auseinander differenzierten, wie bei deutschen Tischgesellschaften, in den französischen Salons und in den englischen Coffee Houses diskutiert und geurteilt wurde. In diesen Zirkeln diskutierte die bürgerliche Öffentlichkeit mit sich selbst. Später wandelte sich das Bild: Aus der aktiven Öffentlichkeit entstand die konsumierende Öffentlichkeit, in der Massenmedien die Debatten transportierten. In dem Maße, in dem Werbung und Unterhaltung diesen "Diskurs" prägten, verflachten die Themen. Der Niedergang der Öffentlichkeit ging einher mit der Konsumgesellschaft. Ende der Debatte.

*** Heute gibt es Ende 2.0: In Blogs und selbst im Rudimentärmedium Twitter konstituiert sich eine neue Öffentlichkeit und versucht sich am Diskurs, auch wenn es furchtbare Unfälle gibt, wie oben angedeutet. Die Rolle der Gatekeeper funktioniert nicht mehr, selbst ein Medium wie Twitter funktioniert mehr nach den Brechungsgesetzen der Optik denn nach simplen Informationsflüssen. Die neue Öffentlichkeit braucht Journalismus, aber nicht mehr die klassische Zeitung, die nur noch zu einer beleidigten Reaktion fähig ist: "Wer für guten Journalismus nicht gutes Geld ausgeben will, liefert sich dem Kommerz und den Suchmaschinen aus, die gierig sind auf unsere Daten. Und wenn die letzte anständige Zeitung verschwunden ist, bleibt nur noch das Geschwätz." Hallo? Die letzte anständige Zeitung muss nicht auf totem Holz erscheinen. Ob dabei unbedingt die Frankfurter Rundschau zur Huffington Post gemacht werden muss, ist eine andere Frage.

*** Aufschlussreich ist es schon, wie sich die neue Öffentlichkeit langsamschneckisch ihren Weg bahnt. Wenn Steve Ballmer in Deutschland mit den Schlaumäusen auftritt und dabei die Verleger versetzt, mag das mit Terminproblemen zu tun haben. Eine abzusegnende Frageliste hat Ballmer nicht nötig, das ist aus vielen Interviews mit ihm bekannt. So bleibt es schwer symbolisch, wenn der Bericht über Ballmers Nichterscheinen mit "Opa kaputt" eines "Touchscreen-erfahrenen" Kindes endet. Der Blick in die Glaserei-Kugel bringt es mit einem Klick auf den Punkt: Es wird eine Weltsprache entstehen, die nicht weit von der Gebärdensprache entfernt ist. Natürlich kann man auch ganz einfach vom Strukturwandel 2.0 reden oder wahlweise davon, dass jeder Medium ist oder eine Massage.

Was wird.

Es ist nach Mitternacht, die Glocken sind zu hören, die Mundharmonika röhrt und der FoeBuD feiert seinen 25. Geburtstag. FoeBuD? Aus dem "Verein zur Förderung des öffentlichen bewegten und unbewegten Datenverkehrs e. V." ist nunmehr Digitalcourage geworden. So soll eine größere Öffentlichkeit erreicht werden. Der alte Name war wohl zu pythonesk für eine junge Truppe, die sich "für eine lebenswerte digital vernetzte Welt" einsetzt. In die Trauer über das schöne Bild vom unbewegten Datenverkehr – motionless data – mit Anklängen an die Shinden Fudo Ryû Dakentaijutsu (Schule des unbewegten Herzens) mischen sich Wünsche, dass die Digitalcourage den Blick auf das ganz Andere fortsetzt, den Datenverkehr für eine lebenswerte Welt. Und schlecht ist es ja nicht, wenn an Grimmelshausens Lebensbeschreibung der Erzbetrügerin und Landstörzerin Courasche erinnert wird, wo es im "Abstract" zum Traktätlein heißt: Demnach die Zigeunerin Courasche aus Simplicissimi Lebensbeschreibung vernimmt, dass er ihrer mit schlechtem Lob gedenkt, wird sie dermaßen über ihn erbittern, dass sie ihm zu Spott, sich selbst aber zu eigner Schand – worum sie sich aber wenig bekümmert, weil sie allererst unter Zigeunern aller Ehr und Tugend selbst abgesagt – ihren ganzen liederlich geführten Lebenslauf an Tag gibt, um gedachten Simplicissimum vor der ganzen Welt zu Schanden zu machen, weil er kein Abscheuen getragen, sich mit so einer leichten Vettel zu besudeln, wie sie sich eine zu sein bekennet - auch in Wahrheit eine gewesen - und er noch dazu sich seiner Leichtfertigkeit und Bosheit berühmet, in Maßen daraus zu schließen, dass Gaul als Gurr, Bub als Hur und kein Teil um ein Haar besser sei als das Andere. Reibet ihm daneben trefflich ein, wie meisterlich sie ihn hingegen bezahlt und betrogen habe. Jedwede Ähnlichkeit mit Personen aus der Great American Comedy um "4S Petraeus" ist zufällig.

*** Petraeus, Broadwell, Kelley, Allen – das eigentlich Sensationelle an diesem bizarren Reigen ist die Tatsache, dass die Geschichte nicht früher aufgeflogen ist. Über 30.000 Mails und Dokumente soll es von den Techtelmechteln geben, doch die panoptischen Systeme, die Super-Datenbanken und -Crawler von NSA und CIA schlugen keinen Alarm. Erst als ein halbnackter ehemaliger FBI-Agent die Sache meldete, begannen die Recherchen. Entweder wurde das Rumgemache bewusst ignoriert wie weiland Eisenhowers Geliebte, oder die Systeme sind schlechter als gedacht und Big Brother ist ein Scheinriese. Was in den USA wiederum eine prima Gelegenheit ist, als Geschäftsidee eine spezialisierte Beischlaf-Suchmaschine wie Enigma anzubieten, benannt nach einem berühmten militärischen Vorbild.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 25 November, 2012, 07:00
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** function getMoney(IHasMoney you) { Money money = you.Money(); money = null; return money; }
Ja, was richtige Coder bei Song in Code so songwriteln, das hat auch ganz ohne Twitter eine simple Botschaft: es geht immer ums Geld, TIM. Und wenn man mit dem Zeug nicht mehr rechnen kann, geht es immerhin um eine Anlage der Geldvermehrung in der Hoffnung, dass irgendwo ein Museum dringend einen Apple 1 braucht, koste es, was es wolle. Oder den ersten Touchscreen-Rechner, die dicke Mutter aller Tablets. Alles muss raus, zur Knete werden, und das nicht nur bei uns. Selbst aus der Angst vor den Mäusen müssen Mäuse gemacht werden.

*** Ob dereinst mit guter Taxe ein komplettes Exemplar der Financial Times Deutschland auktioniert wird? Der letzte Druck auf Lachsrosa erfolgt am Nikolaustag, das Blatt macht dicht, weil 250 Millionen miese Mäuse in zwölf Jahren sich "nicht wirtschaftlich darstellen". So formuliert das Vorständlerin Julia Jäkel, ohne die Garotte zu erwähnen, mit der der Mehrheitsgesellschafter Bertelsmann zwölf Jahre würgte. Liest man die witzlose Twitter-Zusammenfassung, wird klar, warum. Hat darum die nahtoderfahrene "Tageszeitung" recht, wenn sie behauptet, Unsere LeserInnen entscheiden, wie lange die taz noch gedruckt wird, nur um im selben Atemzug ebenfalls eine dieser Pay-Wahls zu errrichten? Immerhin führte sie auf ihrer Titelseite die wichtigsten Argumente für gedruckte Zeitungen auf. "Das iPad lässt sich so schlecht in die nassen Fußballschuhe stopfen." "Weil wir sonst nicht wüssten, worin wir unser Geschirr beim Umzug einwickeln sollten." Dann ist da noch das Ausschneiden von Buchstaben fürs Erpresserbriefschreiben: Alles nützliche und gute Argumente für Zeitungspapier, doch kein einziges für den immer wieder beschworenen guten Journalismus.

*** Der ist bei der Zeit gerade auf den Hund gekommen. Das Vieh mit iPad und Zeitung im Maul erinnert an das obligate Freitagsbild vom alten Schockwellenreiter, das sicher schon eine Agility-Runde mit einem iPad im Maul absolviert hat. Wie heißt es noch im ehrwürdigen Blatt verquast: "Auch in Zukunft kann sich nicht jeder über alles selbst informieren, vermag nicht jeder alles einzusortieren, folglich wird es Menschen geben, deren Beruf es ist, dabei zu helfen, vermutlich werden diese Menschen Journalisten heißen. Solange es Worte gibt, wird es schreibenden Journalismus geben. Und so lange wird dieser Beruf einer der schönsten der Welt bleiben." Nett, nett, doch warum sollen die edlen Helfer das nur in einer Zeitung tun? Es gibt Blogs, es gibt ganz entzückende Nachrichtenticker, es gibt das ganze Internet, das voll mit guten, hilfreichen Texten ist.

*** Doch solange eine deutsche Bundeskanzlerin ohne Widerspruch behaupten darf Lesen können ist noch einmal etwas anderes, als im Internet zu sein, solange wird das Jammern weitergehen. Auch wer bei Facebook ist, muss vor allem lesen können. Zur gekünstelten Aufregung all der Kulturbedenkenträger gehört natürlich, dass die verbleibende deutsche Presse einen Notgroschen fordert, über den im Bundestag um 3 Uhr morgens diskutiert werden sollte. Bernd lachte hart. Die nächste Stufe des laufenden Irrsinns wird ein Gesetz sein, das alle Printerzeugnisse zur Einrichtung von Paywalls verpflichtet: "Wer Druckerzeugnisse komplett oder in Form einzeln aufsuchbarer Artikel ohne Bezahlschranke in das Internet stellt, verliert das Recht, den vergünstigten Mehrwertsteuersatz in Anspruch zu nehmen." Und auch das wird nicht funktionieren.

*** Die "Zeit" will mit der Zeit gehen und hat eine Text API veröffentlicht, illustriert mit einem eigenartigen Wordle, das die Bedeutung von Ute Blaich und Herman Göring für die deutsche Kultur herausstellt. Die kommerzielle Nutzung ist verboten und Volltext ist auch nicht drin, womit die nachträgliche Ferkelei in Hunderten von Vorläufer-Kolumnen zu dieser kleinen Wochenschau leider ausgeschlossen ist. Kleine Spielereien wie ein rechnergeneriertes Kreuzworträtsel mit aktuellen Überschriften aus der aktuellen Zeit sind nett, doch ob auf diese Weise herausgefunden werden kann, wie sich das China-Bild der Redaktion im Laufe der Zeit gewandelt hat? Viel Data, viel Interpretation und noch mehr Recherche.

*** Als das Wünschen noch geholfen hatte, gab es die bezaubernde Jeannie, die mit einem Klick ihrer Augen und einem kurzen Nicken herumzauberte, ganz nach den Wünschen ihres Meisters, einen NASA-Astronauten, den Larry Hagman spielte. Die TV-Serie um Jeannie wurde während des Vietnamkrieges ausgestrahlt, was Hagman dazu veranlasste, der Peace and Freedom Party beizutreten. Später spielte Hagman den Fiesling J.R. Ewing in der Öl-TV-Serie Dallas, als er schon überzeugter Anhänger der Solartechnologie war. Sein letzter deutscher Auftritt war im Berliner Wahlkampf, wo er für den SPD-Kandidaten Wowereit warb. Was schreibt eine angeblich so erhaltenswerte Zeitung zu seinem Tod? Ein dpa-Fünfzeiler muss doch reichen. Auch gestorben ist in dieser Woche einer der letzten Großen der Science-Fiction, Boris Strugatzki. Hier lohnt sich der Link auf das Internet-Projekt Russland Heute, das den Strugatzki-Übersetzer Simon zu Worte kommen lässt.

Was wird.

Die verschlüsselte Nachricht einer Brieftaube, die im zweiten Weltkrieg vom Weg abkam und ihren Bestimmungsort nicht mehr erreichte, sorgt für Kopfzerbrechen. Die Top-Kryptologen des britischen Geheimdienstes GCHQ schafften es bislang nicht, die Nachricht zu entschlüsseln. Wahrscheinlich wurde damals mit einem One-Time-Pad gearbeitet. Vorbei die glorreichen Zeiten, als das GCHQ sein Überwachungsequipment direkt in die britischen Skynet-Satelliten einbauen konnte und keine Mühe hatte, den komplette Nachrichtenverkehr zu überwachen. In dieser Woche ist Julian Assanges Gesprächs-Buch Freedom and the Future of the Internet erschienen, in dem er sich mit Andy Müller-Maguhn, Jacob Appelbaum und Jérémie Zimmermann unterhält. Das Destillat der geselligen Tischrunde ist ein düsteres Werk über die Allmacht des Staates und die Allgegenwärtigkeit seiner militärischen Geheimdienste, die jedwede Kommunikation belauschen. Dank der unermüdlichen Lauscharbeit des Militärs ist Assange zufolge das Internet selbst militarisiert worden. "Die Kommunikation als der innere Kern unseres Privatlebens wird über das Internet aufrecht erhalten. So findet unser Privatleben nun in der militarisierten Zone statt. Es ist, als ob ein Soldat unter dem Bett liegt."

In der Weltsicht von Assange spielt der "Schatten-CIA" Stratfor eine wichtige Rolle. Derzeit steht der Stratfor-Hacktivist Jeremy Hammond vor Gericht und erfährt die ganze Repressionkraft des Staates in der Lesart von Assange: Der Ehemann der Richterin ist ein Strafor-Anwalt. Auch der Prozess und der große Schaden, den Anonymous bei der Paypal-Aktion anrichtete, wird anders gesehen, als Bank-Blockade, die Wikileaks finanziell strangulierte.

*** Wo bleibt das Positive? Es ist die Technik der Verschlüsselung. "Wir haben etwas entdeckt. Unsere einzige Hoffnung gegen die totale Kontrolle. Eine Hoffnung, die uns den Mut, die Einsicht und die Solidarität gibt, die wir für den Widerstand brauchen. Eine wahrlich verrückte Eigenschaft des physikalischen Universums, in dem wir leben. Das Universum glaubt an die Verschlüsselung." Mit Hilfe der Verschlüsselung wollen Assange und seine Jünger "neue Welten und autonome Zonen" errichten, in denen die finsteren Mächte des allgegenwärtig kontrollierenden Staates ausgeschlossen sind. "Kryptographie ist die ultimative Form des direkten gewaltlosen Widerstandes", in dem Assange und die Seinen, unterstützt von Anonymous, zu neuen Aktionen aufrufen. Am kommenden Dienstag will Assange auf dem Convention Camp in Hannover seine "Vision einer freien Gesellschaft", gebaut auf unverletzbarer Kryptographie, verkünden. Und zu Weihnachten wird Preisträger Jacob Appelbaum die Keynote auf dem 29. Kongress des Chaos Computer Clubs halten: Von der staatlichen Düsternis und der herausragenden Rolle der Geeks auf dem Weg zum Licht kann in diesen dunklen Tagen nie genug erzählt werden. Die einen haben ihr Christen-, die anderen ihr Hackertum. Und draußen vor der Tür?

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 02 Dezember, 2012, 09:17
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Es soll Winter sein, aber das ist nur ein Fake. Der Schnee von gestern wird über der norddeutschen Tiefebene ausgeschüttet und deckt die Glühweinkotze auf den Weihnachtsmärkten zu. Der Schnee von gestern ist überall, wer wirklich Tabula Rasa machen will, braucht halt ein Boogie Board, das derzeit nichts vernünftig abspeichert und wie der Wunderblock funktioniert. Wie der Schnee von gestern funktioniert, hat Julian Assange gezeigt, als er den Zuhörern in Hannover das Vorwort seines neuen Buches vorlas. Mittlerweile ist das dramatische Vorwort von einigen Webseiten veröffentlicht worden, etwas beim Mitgründer der Cypherpunks. Kryptografie als die ultimative Form des gewaltlosen Widerstandes? Da ist es wieder, das ehrenwerte Motto der Cypherpunks aus jenen 90er Jahren, als die Regierungen strenge Exportverbote für Verschlüsselungssoftware kannten und über Schnüffel-Chips nachgedacht wurde, als Hintertürchen auf jedem Rechner zu installieren.

*** Im Jahre 2001 erklärte 42565, Cypherpunk-Gründer John Gilmore auf der Konferenz Hacking at Large, warum das Ende der Cypherpunks gekommen ist, mit Mathematik und Physik per Kryptographie dem Staat Widerstand zu leisten. Die Guten hätten gesiegt, die Bösen aufgegeben: Jetzt seien zahlreiche Verschlüsselungsprogramme auf dem Markt. Künftig werde es "nur" noch darum gehen, die Verschlüsselungssysteme benutzerfreundlich für Jedermann zu programmieren und auf die Fortschritte bei der Hardware zu achten. Gilmore schloß nicht aus, dass es eines Tages einen Großrechner geben könnte, der mit Brute Force einen verschlüsselten Text oder eine verschlüsselte Festplatte knacken könnte. Die schlichte Idee, die dazu führt, dass die Empfehlungen zur Verschlüsselung und zu den Schlüssellängen fortlaufend überarbeitet werden, ist für einen wie Assange allzu trivial: Ein Satz wie "Das Universum glaubt an Verschlüsselung" hat einen zutiefst religiösen Charakter in der Form, dass offenbar ein höheres Wesen nötig ist, weil längst alles kostengünstig abgehört und gespeichert wird. Beweise für so eine Aussage braucht es nicht, wo nur das Lesen frommer Texte ausreicht. Dass mangels verschlüsselter Einreichungs-Plattform Wikileaks am Ende ist und auf kriminelle Text-Aquise durch verschiedenen Anonymous-Fraktionen angewiesen ist, merken nur die, die nicht daran glauben, dass längst jedes Bit woanders mitgespeichert wird.

*** In den USA hat der Prozess gegen Bradley Manning noch nicht begonnen, den angeblichen Informanten, der Wikileaks mit geheimem US-Material gefüttert haben soll. Bei der anstehenden Voruntersuchung präsentierte sich Manning ungebrochen und nicht ohne Witz. Auch dass sich Manning in acht Punkten für schuldig erklärt hat, zeigt seinen Willen, nicht einzuknicken und der Anklage zu widersprechen. Er ist die kleine kluge furchtlose Ratte, von der Assange am Ende seines Buches schwärmt. Wenn nur ein Bruchteil der Behauptungen stimmen, die Manning über seine Haftbedingungen aufstellt, sitzen die USA auf der Anklagebank, eindrücklicher als jede Diplomatenpostveröffentlichung. Und die BRD, die im Irak nicht dabei war, aber in Afghanistan? Sie rückt ab, während die Afghanistan-Papiere veröffentlicht werden und ihrer Entschlüsselung harren. "Es wird Zeit, dass wir in Deutschland darüber reden, wo und aus welchem Grund die Bundeswehr kämpfen soll. "

*** Scheinriesen wie den Herrn Tur Tur kenne ich seit Kindesbeinen an, nun sind Scheinengel hinzugekommen in Gestalt von Google, das nach Meinung des Qualitätskommentators der Süddeutschen Zeitung sich als vermeintlicher Schutzengel des Internet ausgibt. Immerhin ist das noch ein gemäßigter Kommentar. Mittlerweile habe ich gelernt, dass Google ein mächtiger Arm der amerikanischen Regierung ist – von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, die zudem noch einem Google-Imperialismus auf die Spur gekommen ist. In der Welt war vom Angriff Googles auf die Grundrechte zu lesen und davon, dass man für die Meinungsäußerung in Deutschland eine Lizenz braucht – auch für mich ein Novum. Ich habe in dieser Woche gelernt, dass es eine Scheinfassade gibt, hinter der Google sich die "Freiheit des Ausschlachtens" nimmt, habe gelesen, dass Google in seinem Nachrichtenprotal illegal Texte sammelt, ohne Rücksicht auf Urheber- und Verlagsrechte. Würden all diese Aussagen stimmen, wäre Google längst ein Fall für die Justiz und Deutschlands Google-Chef Overbeck in Untersuchungshaft. Aber die Aussagen sind ein Beispiel dafür, dass der vielgepriesene deutsche Qualitätsjournalismus Scheinqualität produziert, weil er sich nicht mit der programmierbaren Realität beschäftigt. Statt der Schere im Kopf schreiben unsere Qualitätstrompeten mit dem Milchaufschäumer in der Hand.

*** Die Debatte um das Leistungsschutzrecht hat, ganz ohne die unbeholfene Kampagne von Google auch ihre guten Seiten. 180.000 Menschen, die zu später Stunde im Internet dem Leistungsschutzrecht-Schnack der Politik hörten, in der ein Ansgar Heveling (CDU) dem "liberalen Kapitalismus Angloamerikas" die Leviten liest, gehören dazu. Ebenso gut ein Jimmy Schulz (FDP), der Lessigs "Code is law" zitiert (in Assanges neuem Buch lobt Assange die Cypherpunks der 90er für diesen Satz und wird von Jacob Appelbaum korrigiert). Noch löblicher ist es, wenn in der Debatte auf leistungsschutzrechtbedrohte Angebote wie den Perlentaucher oder Rivva aufmerksam gemacht wird. Wenn Suchalternativen wie DuckduckGo oder Startpage ins Licht der Öffentlichkeit kommen und zeigen, wie gänzlich unböse Google sein kann, wenn es mit einem dieser "Aufsätze" durchsucht wird.

Was wird.

Die nächste Woche startet die World Conference on International Telecommunications im schneefreien Dubai, auf der ein ganz besonderer Schnee von Gestern zu neuen Ehren kommen soll, wenn das Internet stärker an die Zahlungsmodalitäten der TK-Branche angepasst werden soll. Ein Plan, von dem zum letzten Mal 1998 (!) zu hören war, als die ITU über den Standard ITU-T verhandelte und man in Genf H.323 verabschiedete. Eine Demonstration der Internet-Telefonie durch die schweizerisch-israelische Firma Vocaltec wurde damals mild belächelt. Heue ist es bitter Ernst, wenn Netzneutralität abgebaut werden soll, um die schrumpfenden Gewinne der Telcos wieder aufzupäppeln.

Fußballtechnisch ist der Betzenberg eine mythenumrankte Erhebung in Deutschland. Dort hat die erste deutsche Polizeiwache ihren Twitter-Streifendienst aufgenommen und will transparent über Fußballeinsätze kommunizieren. Bedenken gibt es, ähnlich wie die gegenüber der Facebook-Fahndung. Immerhin beschäftigen sich auch Juristen mit diesem Problem. Ganz groß will der nächste europäische Polizeikongress im Berliner bcc das Thema unter dem Motto "ePolice – Polizei in sozialen Netzwerken" angehen und den "Schutz und die Sicherheit im digitalen Raum" debattieren, der für viele Bürger nicht antizipierbar sein soll, heißt es in der Ankündigung. Es mag banal klingen, aber auch ein Verkehrsunfall ist für mich nicht antizipierbar, wenn diese Kolumne gleich mit dem Rad (wo ist nur der schwarze Hubrschrauber geblieben) zu einem geheimen Parkplatz gefahren wird, wo der diensthabende Redakteur bibbernd (wo ist nur das komofortable, mit Rotwein bestückte Redaktionswartebüro geblieben) wartet.

Die Macher des Polizeikongresses schreiben weiter: "Die Zeit der 'Digitalromantik' mit 'moralischen Hackern' und experimentierfreudigen 'Skript Kiddies' scheint längst vorbei. Aus diesen Gruppen rekrutieren sich inzwischen auch Kriminelle, die für Bereiche der Cyber Crime zur Verfügung stehen." Ist es die Trauer nach dem Vergangenen, wo man sich mit dem Chaos Computer Club den Veranstaltungsort teilte? Der aber ist nach Hamburg umgezogen und vor dem 29C3 schwer mit dem Packen beschäftigt. So schließt sich die Schneedecke von gestern, wenn Jacob Appelbaum in weihnachtlicher Stimmung als Keynote das Vorwort des Assange-Buches vorlesen wird und die halbviertel moralischen Hacker mit glühenden Bäckchen im frisch sanierten Messezentrum rumlaufen; Abq zl Qrcnegzras.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 09 Dezember, 2012, 00:03
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** In der Schule in Mathematik war Trigonometrie ein tolles Fach zur Bestimmung der Höhe von Scheinriesen und Scheinengeln. Mit urtümlichen Geräten und Stangen ging es hinaus, die Höhe eines Kirchturms zu messen. Wobei es einfacher war, den Küster anzurufen und zu fragen, während man auf die Sesamstraße im Morgenfernsehen wartete. Ähnlich praktisch ist das heute mit dem Internet und der Treegonometrie für den perfekten Baumschmuck: Es gibt immer einen Weg, sich von der Technik noch abhängiger zu machen, auch zum bimmelnden Glühwein-Nachtfest. Was der olle Heine in Berlin notierte, gilt auch für die Hauptstadt von heute: "Wie in allen protestantischen Städten spielt hier Weihnachten die Hauptrolle in der großen Winterkomödie. Schon eine Woche vorher ist alles beschäftigt mit Einkauf von Weihnachtsgeschenken. Alle Modemagazine und Bijouterie- und Quincailleriehandlungen haben ihre schönsten Artikel – wie unsere Stutzer ihre gelehrten Kenntnisse – leuchtend ausgestellt; auf dem Schloßplatze stehen eine Menge hölzerner Buden mit Putz-, Haushaltung- und Spielsachen; und die beweglichen Berlinerinnen flattern, wie Schmetterlinge, von Laden zu Laden und kaufen und schwatzen und äugeln und zeigen ihren Geschmack und zeigen sich selber den lauschenden Anbetern."

*** Anlässlich solcher Weihnachtsfeierlichkeiten freuenh wir uns doch schon auf die nächste CeBIT, anlässlich derer uns Hitzewellen beschert werden, versprochen. Zu den weiteren absurden Erscheinungen dieser Tage gehört ein Comic-Adventskalender der digitalen Gesellschaft über die "Liga der Internetschurken". Nach Aussage von Digigesguru Markus Beckedahl ist er gezeichnet worden, um netzpolitische Probleme und Diskussion auch für Außenstehende verständlich zu machen. Öffnet man die Türchen, so taucht eine Geschichte auf, die nerdiger kaum sein könnte und nur für Digital Natives verständlich ist. Eine auf dem Kopf stehende Pyramide, deren Auge sich als Yan, Yet another Nerd, aufmacht, die Zombiekalypse zu bei der Elbvielunharmonie anlässlich des 29C3 zu bekämpfen, das muss nicht nur fahrplanmäßig entschlüsselt werden, 40 Jahre nach Illuminatus und 23 Jahre nach dem Tod von Karl Koch. Wie erklärt man den Witz, wenn Init und Daemon miteinander ins Bett steigen, wenn Drohnen fliegen und andere Drohnen infizieren?

*** Doch das sind nur Mäkeleien am Rande der großen Bedrohung und der schlimmen Weihnachtsgeschenke, die die Schurken des Internet in diesen friedlichen Zeiten verteilen. Wir lesen vom panzerköpfigen Agent ACTA, von dem schimärenhaften Bundestrojaner Troy, vom nanobegabten Unglück namens Deep Packet Inspection, den echsenartigen Abmahnanwälten und der von der alles entscheidenden dunklen "Erscheinung ANTI-NEUTRONS, der die Ausgeburt eines komplett kontrollsüchtigen und unfreien Internets ist". Hackers Anliegen ist nicht Peterchens Mondfahrt, soviel wird aus der unfrohen Weihnachtsgeschichte im Adventskalender klar. Doch wo ist die Rettung im Angesicht der Gefahr, in Unfreiheit abzusinken? Immerhin stößt die kritiklose Anbetung des Cypherpunks, wie sie von Julian Assange vorweihnachtlich vorgelesen wurde, bei einigen Nerds auf spitze Kritik des eilitären Gehabes. Andere, die die Werbeeinblendungen des Buches für Cryptophones unter die Lupe nahmen, finden nicht unbedingt ein freundliches Universum vor, das mit den Gesetzen der Mathematik und Physik die Verschlüsselung schützt.

*** Alles liefert, alles lacht, zauberhafte Weihnacht. Wer hätte schon gedacht, dass nicht ein Cryptophone oder sonst ein stromfressendes Königsphone, sondern ein rattenschickes Brett wie das Nokia 2110 anno 2012 zu einem späten Weihnachtsknüller werden könnte, der vor dem bösen Eurograbber schützt. Ersteigert von eBay aus dem kleinen Luxemburg natürlich, wo die Steuern wie auch bei Amazon so wunderbar verklappt werden können, dass der Steueranteil schlank und rank bleibt. 25 Millionen kaufen ihre Geschenke im Web, auf dass die in zweiter Reihe parkenden Lieferwagen zum Kollaps in den Städten führen: "So können Verbraucher auf den Geräten beispielsweise digitale Einkaufszettel und Rabatt-Coupons mitführen. Die Navigationssoftware ermöglicht es, Läden zu finden oder sich sogar im Geschäft besser zu orientieren. Mit Barcode-Scannern können Produktinformationen abgerufen werden" und huschhusch geht es nach Haus zu den Preisvergleichern. Wie schön, dass dies mit einem alten 2110 alles nicht geht. Wir brauchen einfach mehr Rückschritt.

*** Apropos Rückschritt: Vor 40 Jahren fotografierte Harrison Schmitt, der letzte Mensch auf dem Mond, an Bord von Apollo 17 die Erde. Ausgerechnet das Bild, das am Ende einer ziemlich teuren Raumfahrtepoche entstand, wurde als Blue Marble zur Ikone der verletzlichen Erde. Im Jahre 1996 wurde das Museu de Arte Contemporânea de Niterói fertig, mit dem Oscar Niemeyer nach eigener spaßiger Interpretation eine "Fassung" für die Murmel konstruierte, in Form eines Raumschiffes, das jederzeit wieder abheben könnte. Nun ist der Betonwellenreiter gestorben, aber immer noch lebendiger als alle Kritik an seiner Architektur. Dazu passt der Unsquare Dance gegen den rechteckigen Terror, natürlich von Dave Brubeck. Oder muss es ein Bossa Nova sein?

Was wird.

Bekanntlich erhält Europa am Montag den Friedensnobelpreis. Drei Männer werden ihn in Empfang nehmen, auch das ist eine Aussage in einer Zeit, in der Nikolausgedichte Chancengleichheit anmahmen. Aber Europa und Frieden? Nicht nur für Amnesty International ist das ein schlechter Witz. Dieses Europa schiebt Menschen ab und blockiert seine Grenzen nach Afrika auf Kosten von vielen, vielen Menschenleben.

Aber vielleicht passt der Preis ja, in einem Jahr, in dem es einen chinesischen Nobelpreisträger Mo Yan gibt, der die Zensur in seiner Heimat ein notwendiges Übel nennt und mit den lästigen Sicherheitskontrollen auf Flughäfen vergleicht. Haha, da lachen wir alle gemeinsam über das Sicherheitstheater, ziehen die Schuhe wieder an und schnüren den Gürtel um die fetten Bäuche. Oder wer ist hier die Lachnummer? Abseits der norwegischen Zeremonien lohnt sich die Lektüre eines UN-Dokumentes über Terroristen, das die ach so harmlosen Flughafenkontrollen mit der Auswertung von Passagierlisten und mit Cookies verbindet, die bei der Nutzung von Facebook, Google, eBay und Paypal gespeichert werden. Wo war nochmal der schimärenhafte Troy? Hier taucht er auf, in der Empfehlung, bei mutmaßlichen Terroristen doch bitteschön deren Computer zu verwanzen.

*** Ja, diese Nachricht steht in der Rubrik "was wird": Der deutsche Verfassungsschutz ist von der Versammlung der Innenminister leider nicht abgeschafft worden. Er soll stattdessen neue tolle Dateien abspeichern und fortentwickeln, unter anderem ein Verzeichnis aller V-Leute. Eine absolut sinnlose Behörde soll reformiert werden, die in ihrer Trägheit und Blindheit an die drei Affen erinnert, die nichts hören, sehen oder sagen können. Nur ist die Zahl der Nichtskönner und Nichtshörer größer. Ab Januar 2013 wollen Beamte aus den Landesämtern des Verfassungsschutzes mit einem "umfassenden Beratungsangebot" auf deutsche Firmen zugehen und ihnen Hilfestellung im sogenannten Cyberkrieg offerieren, im direkten Gespräch. Vielleicht zeigen sie dufte Tricks wie den vom NPD-Funktionär, der bei der Linken Spitzel installieren sollte.

Halt, zu Chanukkah geziemt es sich, wie beim alten Heine zurückzutreten und dem Treiben zuzusehen: "Aber des Abends geht der Spaß erst recht los; dann sieht man unsere Holden oft mit der ganzen respektiven Familie, mit Vater, Mutter, Tante, Schwesterchen und Brüderchen, von einem Konditorladen nach dem andern wallfahrten, als wären es Passionsstationen. Dort zahlen die lieben Leutchen ihre zwei Kurantgroschen Entree und besehen sich con amore die 'Ausstellung', eine Menge Zucker- oder Drageepuppen, die, harmonisch nebeneinander aufgestellt, rings beleuchtet und von vier perspektivisch bemalten Wänden eingepfercht, ein hübsches Gemälde bilden. Der Hauptwitz ist nun, daß diese Zuckerpüppchen zuweilen wirkliche, allgemein bekannte Personen vorstellen. Ich habe eine Menge dieser Konditorladen mit durchgewandert, da ich nichts Ergötzlicheres kenne, als unbemerkt zuzuschauen, wie sich die Berlinerinnen freuen, wie diese gefühlvolle Busen vor Entzücken stürmisch wallen und wie diese naiven Seelen himmelhoch aufjauchzen: 'Ne, des is schene!" Zum Schluss ein Kaddish.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 16 Dezember, 2012, 06:00
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Es ist ziemlich genau ein Jahr her. Am 12. Dezember 2011 sprach der damalige Bundespräsident Christian Wulff ein paar Takte auf die Mailbox des Journalisten Kai Diekmann. Verhandelt wurde über das höchste deutsche Amt und die Rolle des investigativen Journalismus, während Wulff auf dem Weg zum Emir war und sich Diekmann in einem New Yorker Hotel amüsierte. Wulffs Ausführungen sind heute bereits große Kunst, "Ohne Titel" zwar, aber da wir jetzt den vollen Wortlaut haben, können wir mit Max Liebermann titeln: "Wirre Wunst auf dem Weg zum Emir, in Öl". Ein bisschen O-Ton gefällig, nicht nur die bekannten Snippets vom Rubikon, den keine Person, sondern ein journalistisches Verhalten überschritten hat. Angeblich fehlt unseren Zeiten ein Shakespeare, das Gesprochene in großes Theater zu übersetzen, daher ja da Ölbild zum Genöle:

"Ich habe alles offengelegt, Informationen gegeben, gegen die Zusicherung, dass die nicht verwandt werden. Die werden jetzt indirekt verwandt, das heißt, ich werde auch Strafantrag stellen gegenüber Journalisten morgen und die Anwälte sind beauftragt. Und die Frage ist einfach, ob nicht die Bild-Zeitung akzeptieren kann, wenn das Staatsoberhaupt im Ausland ist, zu warten, bis ich Dienstagabend wiederkomme, also morgen, und dann Mittwoch eine Besprechung zu machen, wo ich mit Herrn ... den Redakteuren und Ihnen, wenn Sie möchten, die Dinge erörtere und dann können wir entscheiden, wie wir die Dinge sehen und dann können wir entscheiden, wie wir den Krieg führen."

Da hat einer also "alles offengelegt" gegenüber Journalisten und möchte darum mit entscheiden, wie der gemeinsame "Krieg" geführt werden kann. Sieht man davon ab, dass wir heute wissen, dass keineswegs alles offengelegt wurde und viele Informationen immer noch nicht auf dem Tisch liegen, bleiben zwei Punkte: 1.) Ein Staatsoberhaupt will mit der Bild-Zeitung Krieg führen, gegen die öffentliche Meinung, mit Informationen, die die Bild-Journalisten nicht verwendet werden dürfen. 2.) Die Arbeit dieser Journalisten ist für das Staatsoberhaupt "Investigativ-Journalismus". Schlimmer kann die Desinformation nicht ausfallen. Ein Jahr später, kurz vor dem Wahlkampf, wird in Deutschland ein völlig überflüssiges Leistungsschutzrecht diskutiert, bei dem die wichtigsten Punkte erst nach der Verabschiedung des Gesetzes von Gerichten festgesetzt werden müssen. Die verzagte Politik reagiert auf die Bild-Zeitung und ihre Kohorten, die da glauben, was Investigativ-Journalismus heute ist, nämlich der eilige Konsum von Snippets bei den Informations-Talibanen: "Viele Leute, die es eilig haben, bleiben auf Google News und landen gar nicht mehr beim Original."

*** Jeder Journalismus hat seine Zeit, das gilt auch für die begleitenden Theorien wie dem etwas klapprigen Baukasten zu einer Theorie der Medien, in dem all die hübschen Desiderate stecken, aus denen am Nicht-Ende (weil es kein Ende mehr gibt) das digitale Gesamtkunstwerk steht. Aber hey, wir haben ja den Baukasten: "Zum ersten Mal in der Geschichte machen die Medien die massenhafte Teilnahme an einem gesellschaftlichen und vergesellschafteten produktiven Prozeß möglich, dessen praktische Mittel sich in der Hand der Massen selbst befinden." Wer immer in der Bahn, an der Haltestelle, im Hörsaal und in der Frühstückspause hinterm Steuer sein Smartphone zückt, hat es verdient, dass wir ein lautes "Quäl dich, du Sau!" zurufen zur Ermunterung im Gesamtkunstwerk. Um die anderen, die sich im Besitz von Produktionsmitteln wähnen und nonchalant die Miethaitrick-Kultur loben, muss man sich keine Sorgen machen. Das Lebbe geht weida, sagen sie in Frankfurt. Aber das schrieb ich schon. Starten wir lieber den lustigen Wettbewerb "Bettelbriefe an den Weihnachtsmann", nach Vorbild der ehrwürdigen Time: Gesucht wird ein ähnlich dramatischer Text, der dem Heise-Leser vor Augen führt, dass das Ende der Welt nahe ist, wenn er nur mit Adblock diese kleine Web-Präsenz in der norddeutschen Tiefebene besucht.

*** Noch eine Wiederholung: Es begann in diesem gauckigen WWWW mit dem Hinweis, dass die ITU in Dubai einen feindlichen Angriff auf das Netz starten wird. Es endete vorerst in einem krachenden Missklang, mit Deutschland als verspätetem Mitnöler. Ist es die Rückkehr des Gilbs, jener Deutschen Bundespost, der Demokratie und Menschenrechte völlig schnuppe waren. Kommen die Zeiten wieder, als der unautorisierte Gebrauch des Mäuseklaviers in Faxgeräten zur Einstellung des Absendernamens flugs mit 250 DM Strafe geahndet wurde? Die Verabschiedung der ITR führt dazu, dass der Rechtfertigung von staatlicher Internet-Regulierung auf nationaler und internationaler Ebene Tür und Tor geöffnet wird. Das Fass ist aufgemacht – das wird uns die nächsten Monate und Jahre sehr intensiv beschäftigen, womit die erste Jahresendprognose vorliegt.

*** Doch halt! Das Jahr ist nicht zu Ende, denn auch bei uns ist wieder einmal deutlich geworden, dass die Wurst zwei gequetschte Seiten hat: Was hier als Kosten beim Zugriff auf TK-Daten bejammert wird, kostet uns die Demokratie. Ich kann im Rahmen dieser kleinen Wochenschau nur auf diesen recht langen Text des Verfassungsschutz-Überläufers Hansjoachim Tiedge verlinken und ihn zur Lektüre empfehlen, obwohl er einige Längen hat. Das bedenkenlose Überwachen des Telefons, die Speicherung und Nicht-Löschung von Daten in NADIS, der allgemeine Hang zur Schnüffelei auch bei nichtigstem Anlass hat eine deutsch-deutsche Tradition, auf die niemand stolz sein kann. Umso trauriger ist es, dass dieser allgemeine deutsche Pannendienst nicht wegreformiert wurde, sondern in aller Scheinheiligkeit weitermachen kann, es gibt ja Bonn und diese furchtbaren Bombenbauanleitungen im Internet. Da ist man schnell bei der Angst, dass Deutschland das Glück verlässt. Immerhin haben wir in ein paar Wochen ein ganz wunderbares Waffenregister und damit die Sicherheit, dass Newtown weitab vom Schuss ist.

*** Wo bleibt das Positive? Wie wäre es mit der Nachricht aus dem Maya-Kalender, dass die Welt am nächsten Freitag untergeht? Oder wie wäre der heutige Geburtstag von Beethoven, einem der Komponisten von Saturday Night Fever. Was ist mit der Folter in diesem Möbelhaus? Ganz unspektakulär hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte im Fall des gefolterten Khaled al Masri geurteilt. Bei näherer Betrachtung des Urteils findet sich der Verweis auf Wikileaks und die Veröffentlichung von Cablegate. Ist es ein Verdienst der Cypherpunks von Wikileaks, ist es das 58 Zeichen lange Passwort im Wikileaks-Buch der Guardian-Redakteure, die am Cablegate beteiligt waren? Die Geschichte lehrt dauernd, aber sie hat keine Schüler.

Was wird

Im kleinen Verlag am Rande der norddeutschen Tiefebene stehen Veränderungen an. Mit einem rund um den Abschiedskuchen improvisiertem Abschiedsblues endet die Arbeit eines Chefredakteurs, dessen Qualität unter anderem darin bestand, dass die Dinge mit ihm mitunter nicht eben einfach zu erörtern waren. Dabei stand er hinter seinen Redakteuren und auch hinter den Zulieferern, den freien Journalisten. Die wutentbrannten Hersteller-Anrufe auf seiner Mailbox schenken wir uns heute, sie sind gelöscht. Das letzte Ständchen gibt Slowhand Clapton.

"Once the rockets are up, who cares where they come down – That's not my department, says Wernher von Braun", so formulierte es Tom Lehrer in seinem Protestsong über die apolitischen Wissenschaftler. Was insofern schon damals nicht unbedingt stimmte, weil die USA die V2-Raketen nach dem Krieg nutzten, um die ersten Bilder von der Erde zu schießen, lange vor der letzten Mondlandung: Irgendjemand musste die stählerne Filmkassette suchen und die Bilder entwickeln. Ähnlich sieht es aus, wenn Not my department in Hamburg startet. Und die Raketen? Interessierte Bastler treffen sich auf der Konferenz mit dem unspektakulären Titel Exceptionally Hard and Soft Meeting 2012.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 23 Dezember, 2012, 06:00
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war, die Weihnachtsedition.

Das Jahr geht zu Ende und dieses Ende fühlt sich in vieler Hinsicht so an wie das Ende einer Ära beim Personal Computing. Es ist an der Zeit, eine Bilanz zu ziehen, wo wir stehen und wohin die Reise geht. Für diejenigen von uns, die in dieser Branche seit den frühen Tagen der Personal Computer-Revolution Mitte der siebziger Jahre dabei sind, war es eine ganz wundervolle Zeit gewesen, eine "Belle Époque" der IT mit geradezu unglaublichen Innovationen. Wir waren Zeugen von erstaunlichen technologischen Durchbrüchen, wir zapften Kraftfelder an, an deren Existenz wir nicht im Traume gedacht hatten, wir erlebten Situationen von nahezu metaphysisch fühlbaren Wundern, als wir die ungeheure Macht des Informationszeitalters spürten, das uns in das 21. Jahrhundert katapultierte.

Einige Leute verdienten in diesem Umbruch eine Menge Geld.

Aber was ist aus der ursprünglichen Vision geworden, die mit dem PC kam? Dass er die Menschheit befreit, dass er Gleichheit für alle Rassen, alle Glaubensrichtungen, Minoritäten und Klassen bringt – und sogar hilft, aussterbende Spezies zu retten. Das war unser Heiliger Gral. Ich denke, es ist an der Zeit, einmal zu schauen, wie nah wir diesen Zielen gekommen sind.

Was ist von diesem Traum übrig geblieben, was wurde verwirklicht und was ist schlicht Folklore, von denen in die Welt gesetzt, die am meisten dran verdienen konnten? Bei kaltem Tageslicht gesehen mag der Ansatz eine Illusion gewesen sein, zu glauben, dass der PC alle Probleme der Gesellschaft lösen kann. Ein Mythos, von den Begründern dieser Branche ausgestreut, die wohl hofften, dass es so sein könnte, aber ansonsten gut damit leben konnten, wenn nichts dergleichen passierte. Ich habe meinen Anteil daran gehabt, den PC als magische Lösung für alle Probleme zu proklamieren, als Werkzeug, dass die Regierung dezentralisiert und eine demokratische Gesellschaft schafft mit vielen unterschiedlichen Sichtweisen und einem freien Austausch aller Ideen unter Allen.

Gewiss, in einigen Dingen hat der PC die Demokratie verbessert. Man kann online diskutieren und digitale Kampagnen um politische Ziele führen, man kann Politiker anschreiben. Aber im Großen und Ganzen sieht das Bild nicht so rosig aus. Einer der schädlichen Effekte der PC-Revolution ist die schlichte Tatsache, dass PCs eher etwas für die Wohlhabenden denn für die Habenichtse sind. Die Kluft zwischen arm und reich, zwischen den Begüterten und den Benachteiligten ist größer geworden, nicht kleiner. Anstelle die Standesunterschiede zu zerstören, hat der PC ein neues Kasten-System geschaffen, basierend auf dem privilegierten Datenzugriff. Er hat eine Art Berliner Mauer aus Drähten geschaffen, die die informationstechnisch Verarmten ausgrenzt. Was die Gleichberechtigung angeht, vergesst es. Und Gleichheit? Das mag vielleicht der Markenname irgendeiner Firma in Korea sein, ist aber definitiv nicht die Beschreibung des Status Quo in der heutigen Informationsgesellschaft.

Der PC wird heute benutzt, um die Privatsphäre der Bürger auszuhöhlen. In einigen Firmen sind Überwachungsprogramme auf den Rechnern installiert, die jeden Tastendruck registrieren. Wer E-Mail schreibt, ist einfach zu überwachen. In Ausweisen sind Mikrochips versteckt. Gegen die Möglichkeit, sich mit dem PC zu informieren, spricht die Tatsache, dass 70 Prozent aller Erwachsenen sich auf das Fernsehen als einzige Informationsquelle verlassen.

Meine eigene Beteiligung an der PC Revolution datiert auf das Jahr 1974. In Albuquerque in New Mexico erlebte ich hautnah die Entstehung des ersten kommerziell verfügbaren Personal Computers, des Altair PC von MITS. Ich war damals für die Werbung und die technische Dokumentation bei MITS zuständig.

Ich würde mich nicht gerade als ein Ex-Hippie bezeichnen, aber meine politischen Grundeinstellungen sind wesentlich durch die politischen und sozialen Ereignisse der 60er und 70er geprägt worden. Ich protestierte gegen den Krieg in Vietnam und war in Wounded Knee dabei. Eine politische Idee, die mich in dieser unruhigen Periode wirklich elektrifizierte, war etwas, dass partizipatorische Demokratie (participatory democracy) genannt wurde. Die Philosophie hinter dieser Idee war so etwas wie der Rahmen, in dem die Organisation Students for a Democratic Society in Port Huron (Michigan) gegründet wurde.

Partizipatorische Demokratie erweitert das Konzept der repräsentativen Demokratie um einen wichtigen Schritt: Es verlangt in einem ungleich stärkeren Maße die aktive Beteiligung aller Bürger an der Regierung. Einfach gesagt, wie es auch im Gründungsdokument des SDS steht, haben alle Bürger das Recht und die Verantwortung, eine aktive Rolle bei allen politischen Entscheidungen einer Regierung bei Fragen mitzuwirken, die ihr Leben betreffen.

Während ich 1975 bei MITS arbeitete, hatte ich die Gelegenheit, eine kleine Messe für Personal Computer zu besuchen, die an der Universität von Kalifornien in Berkeley stattfand. Diese frühe Form einer PC-Messe wurde von der People's Computer Company gesponsert, die als eine der ersten Altair-Computer bestellte. Ich erinnere mich, dass Bill Gates' Basic auf den Rechnern lief.

Ich entdeckte, dass wir einen gemeinsamen Geist teilten. Die Leute glaubten auch an die Prinzipien der partizipatorischen Demokratie. In einer plötzlichen Einsicht wurde mir klar, dass eines der Probleme bei der partizipatorischen Demokratie in den 60ern schlicht die Tatsache war, dass die Technologie noch nicht in der Lage war, diese Form der Bürgerbeteiligung in einem größeren Maßstab umzusetzen. Es gab schlicht keine Möglichkeit, wie eine große Masse von Leuten in einen effektiven Dialog miteinander treten konnte. Es war wohl möglich, auf lokaler Ebene etwa in einer Ortsgruppe des SDS eine Versammlung abzuhalten, doch im größeren Maßstab funktionierte das nicht. Zu ihrem Nachteil endeten die frühen Versuche in partizipatorischer Demokratie in endlosen Treffen, auf denen wenig erreicht wurde.

Auf der besagten PC-Messe sah ich das Potenzial des PC als interaktives Kommunikations-Werkzeug. Modems und Netzwerke könnten die partizipatorische Demokratie der Zukunft verwirklichen. Die Menschen könnten alle wichtigen Fragen online diskutieren und auf einer breiten Beteiligung ihre Entscheidungen fällen. Heureka!

In Berkeley spürte ich eine neue Form der Solidarität. Ich schaute mich um und sah, dass viele der Computerpioniere der ersten Generation dieselbe Vision hatten, unter ihnen Lee Felsenstein, Steve Jobs und Steve Wozniak, Jim Warren und Dan Bricklin. Wir alle waren waschechte Vertreter der 60er Jahre.

Andere teilten unsere Visionen. Sie waren keine Linken oder gar Gegenkultur-Freaks. Es waren Konservative darunter, mit Ansichten hart an der Grenze zum Libertarismus, und auch eine Gruppe von ultrarechten Republikanern, die die Freiheit des Individuums frenetisch verteidigten.

Die Vision entstand fast zeitgleich in all diesen Gruppen. Der PC war das Werkzeug, das wir suchten, um unsere Gesellschaft demokratischer gestalten zu können. Er würde uns zumindest helfen können, einige unserer Träume für eine bessere Gesellschaft verwirklichen zu können.

Wo sind all die Hacker hin, wo sind sie geblieben? Was ist passiert? Wir sind vom Erfolg des PC überrollt worden, sind bequem geworden und fordern nur noch mehr Rechenleistung. Konnektivität ist der große Sammelruf. Dort, wo es wirklich darauf ankommt, unsere Freiheiten zu verteidigen, ehe die Welt in eine große Dunkelheit abtaucht, müssen wir uns als Netzwerk aktiv verbinden. Ansonsten werden all die Kabel zu Schlingen werden, die um unsere Hälse hängen.

Wir brauchen eine neue Bürgerbewegung. Mein Wunsch für das kommende Jahr ist, dass all diejenigen, die wirklich an das Potenzial des PC glauben, wieder aktiv werden und sich einmischen. Wir müssen raus aus den Sesseln und das Feld verteidigen. Wenn wir es diesmal nicht tun, werden wir alle, die die große Vision des Personal Computing teilen, vollkommen desillusioniert dastehen. Wir werden alte Männer und Frauen werden, die sich bitter über ihr Scheitern beklagen. Die Schlacht für die PC-Freiheit wird dann vielleicht als eine weitere dieser edlen, gescheiterten Versuche verbucht werden, ähnlich wie das Engagement im Spanischen Bürgerkrieg in den 30er Jahren. Die PC-Industrie wird dann der Automobilbranche ähneln oder dem Fernsehen und uns alles andere als Befreiung bringen.

Die Pioniere der Fernsehtechnik glaubten, dass Fernsehen die Massen befreien wird, dass die Menschen dank Fernsehen gebildeter und kultivierter über Themen wie Theateraufführungen und Debatten sprechen werden, die ihnen früher vorenthalten wurden. "Eine Stadt, ein Fernsehsender", lautete die ursprüngliche Devise. An Sendernetze dachte niemand. Dieselbe Idee beflügelte auch die Computerpioniere: "Eine Person, ein Computer". Wir haben niemals daran gedacht, dass vernetzte Computer den persönlichen Computer in der Weise ersetzen könnten, wie dies bei den Netzen der Fernsehsender passierte, die nur noch senden, was dem dem kleinsten gemeinsamen Nenner der Intelligenz des Zuschauers entspricht, einen großen Einheitsbrei.

Beim Vernetzen der Computer können wir in dieselbe Falle laufen. Anstelle dem Einzelnen alle Freiheiten zu geben, sich an Gruppendiskussionen und Entscheidungen zu beteiligen, kann die Vernetzung eine Zentralmacht hervorbringen, die unser Leben kontrolliert und jede einzelne Bewegung aufzeichnet.

Was wird.

Zu den Waffen! Auf die Barrikaden! Wir sind wieder da, auch wenn es viele noch nicht merken. Ein neuer Kampf steht bevor, der rund um die Rechner ausgetragen wird. Wer ist Computer-hip?

Wir müssen unsere Augen öffnen. Es ist schon sehr enttäuschend, all diese Möglichkeiten zur Online-Kommunikation zu sehen und zu beobachten, wie limitiert die Nutzung ist, wie wenig Aktivisten und Initiativen dabei sind. Es müssen hunderte von politischen Gruppen aller Art dabei sein, von der Friedensbewgung über die Umweltschützer bis zu den Kämpfern für die Rechte von Minderheiten. Jede dieser Gruppen muss ohne Probleme von Interessierten gefunden werden können, damit sie sich weltweit im Kampf für ihr Ziel zusammenschließen können. Wo früher Aktivisten vereinzelt waren, können sie online weltweit zusammenfinden und zu einer Kraft werden. Online sollte es spielend einfach sein, ein Programm und eine Strategie zu entwickeln und Aktionen zu planen, mit denen die Visionen in die Welt gelangen.

Der PC kann ein Werkzeug dafür sein. Er wird es allerdings nicht, wenn wir nicht einige radikale Schritte unternehmen. Es braucht einige hunderttausend Leute, die diesen Text gelesen haben und zu handeln beginnen, die politische Fragen online zu stellen. Für jede Frage, jedes Aktionsprogramme muss es Gruppen geben, die einfach online zu finden sind, die Informationen verteilen und denen man sich anschließen kann.

Eine Warnung: Wenn ich die neue Form demokratischer Teilhabe per PC fordere, dann fordere ich keinesfalls die Beschlussfassung per PC und schon gar nicht Wahlen per Computer. Das wird vielleicht einmal möglich sein, ist aber nicht trivial und sollte gut durchdacht werden, Alles, was ich derzeit fordere, ist der Einsatz von Personal Computern bei der Organisation und Koordinierung von sozialen Aktionen durch engagierte Menschen.

Es ist dringender denn je, dass auch die Politik diesen Einsatz der Personal Computer mitmacht. Ich sehne mich nach dem Tag, an dem es für einen Politiker wichtiger ist, mit den Wählern in Online-Konferenzen zu debattieren, als in irgendeiner Fernsehshow oder in der Wahlwerbesendung aufzutreten.

Ich setze meine Stimme auf den aufgeklärten Nutzer des Personal Computers. Ich dränge Sie, dies auch zu tun. Wenn wir Online nicht zusammenkommen, dann ist das Ende wirklich nah, ob PC oder kein PC. Die Demokratie ist in Gefahr zusammenzubrechen. Das ist etwas, das uns interessieren müsste.

Dieser Text ist eine gekürzte Übersetzung des Aufrufes "The Participatory PC" von David Bunnell, hier veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung des Autors. Er erschien genau vor 25 Jahren in der Zeitschrift PC World. Mit diesem Text will die kleine Wochenschau in Vorgriff auf Weihnachten die Anregung geben, sich aus der Distanz mit all dem Krimskrams von Hard- und Software zu befassen, aus dem der tägliche Strom der Nachrichten besteht. Im Sinne einer transparenten wie vernetzten Gesellschaft wünsche ich allen Lesern schöne Feiertage.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. Die Jahresendedition
Beitrag von: SiLæncer am 30 Dezember, 2012, 09:08
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich - und zum Jahresende dann doch mehr Rück- als Vorschau.

Was war.

*** Das wars! Das Jahr 2012 schleicht sich kraftlos zum Emir und dankt ab. Zum Austrudeln gibt es zahllose Rückblicke, etwa zur Netzpolitik oder zur Problematik von Sackgassen auf Wikipedia, mit angezweifelten 10 Millionen Abrufen. Es mag ja Schwachsinn sein, aber die Vorstellung, dass Deutsche wissen wollen, was eine Sackgasse ist, hat etwas für sich. Schließlich leben wir in einer solchen. Wir werden einen Kollaps erleben, denn umdenken ist viel zu unbequem. Die bittere Empfehlung von Club of Rome-Vertretern, Kindern in Zukunft lieber Computerspiele zu schenken, als sie mit in die Natur zu nehmen, ist immerhin konsequent: Auf diese Weise leiden sie weniger unter dem Tempo, in dem die Natur verschwindet.

*** Genug genölt, Geschichte wird gemacht! Natürlich muss auch diese kleine Wochenschau klickstreckenfreundlichst zurückblicken und wie Googles Zeitgeist in den Zahlenbergen wüten, die Leser so hinterlassen, wenn sie den Newsticker von Heise besuchen. In den Seitenaufrufen liegt nicht nur bei Telepolis die Wahrheit. Sie ist mitunter bitter, für angehende wie ausgehende Politiker vom Schlage eines Georg Schramm. Die Piratin Julia Schramm (614.464) zählte mit ihrem Buch zu den Aufmerksamkeitsgewinnerinnen des Newstickers, vor dem CDU-Mann Ansgar Heveling (472.464) und seiner Kampfansage an die Netzgemeinde. Knapp dahinter: Die Klage von Expräsidenten-Gattin Bettina Wulff gegen Google (461.937), belästigt durch unausrottbare Rotlicht-Gerüchte. Das alles verblasst natürlich vor der Top-Meldung des Jahres 2012 von der Razzia bei Megaupload und der Verhaftung von Kim Schmitz. Mister Dotcom reihte sich mit 1.521.156 Seitenaufrufen prompt unter die "ewigen" Top-Ten der Tickerstatistik ein, freilich klar entfernt von den Werten der Meldungen über den Anwalt von Gravenreuth. Zwei weitere Meldungen zu Megaupload kamen über die Millionengrenze, knapp darüber schaffte es die Meldung von der Panik der Sharehoster.

*** Addiert man alle Berichte zu Megaupload, so gehören die Berichte zu den Top-Themen des Jahres, die Heise-Leser interessierten. Überholt wurde es nur von den zahlreichen Berichten über Windows 8, die jeweils über 500.000 Abrufe hatten. Damit lieferte wieder einmal Microsoft das Thema Nummer 1. Auf den dritten Platz kam die Fehde zwischen Samsung und Apple, gefolgt von einem Dauerbrenner, der Diskussion über den Fachkräftemangel. Das meistdiskutierte Thema des Jahres 2012 war, gemessen an den Forumsbeiträgen, wiederum ein anderes: Die Kampagne Mein K©pf gehört mir produzierte nicht nur seltsame Aufrufe und Gegenaufrufe, sondern provozierte offenbar viele Leser, sich Gedanken über das veraltete deutsche Urheberrecht zu machen. An zweiter Stelle findet sich ein Unbekannter, ein Konstanzer Lehrling, dem eine (abgesagte) Facebook-Party zum Verhängnis wurde. Auf den dritten Platz in den Debatten schob sich die sogenannte GEMA-Vermutung.

*** Da 2013 ein Wahljahr sein wird, ist ein Blick auf die deutsche Parteienlandschaft im Filter der Heise-Leser ganz aufschlussreich. Eindeutiger Sieger ist hier die Piratenpartei, bei der es fast alle Meldungen schafften, in die Top 100 zu gelangen. Ebenso eindeutiger Verlierer ist die FDP, die ein Jahr zuvor mit ihrer Haltung zur Vorratsdatenspeicherung punkten konnte. Wenn Meldungen mit liberalen Inhalten das Interesse der Leser weckten, so waren es die europäischen Liberalen mit ihrem Nein zu ACTA. Allerdings sei angemerkt, dass die Zurodnung von Parteien und Meldungen methodologisch auf wackeligen Beinen steht: eine der Piratenpartei zugeordnete Top 100-Meldung von einer deutschen Traumkoalition könnte ebenso der FDP oder den Grünen zugeordnet werden. So oder so, die Spannung bleibt uns erhalten, ob die Tickermeldung zur Bundestagswahl 2013 diese Meldung über die schwarz-gelbe Koalition aus den Charts werfen kann, die 2009 1,5 Millionen Abrufe verzeichnete.

*** Abseits der IT-Meldungen und den Berichten von netzpolitischen Themen war 2012 das Jahr, in dem die Raumfahrt mehrfach in den Charts aufauchte: Voyager erreichte den interstellaren Raum und Curiosity erweckte gleich mehrmals die Neugier der Heise-Leser. Selbst die Meldung über den Tod von Armstrong schaffte es in die Top 100, zusammen mit den Debatten zum großen Mondlandungs-Fake. Ebenso angeregt wurde um ein neues Elementarteilchen diskutiert: Wir mögen zwar in einer Sackgasse stecken, aber vielleicht faltet sich ja die eine oder andere Dimension mit überraschenden Lösungen auf. Wer weiß schon, ob unsere Sackgasse nicht in Wirklichkeit eine Hyperraum-Umgehungsstraße ist?

*** Genug gezählt und gemessen. Das wertvollste an all den Zahlen sind nicht die Zahlen, sondern die Leser, die hinter den Zahlen stehen. Die unverzagt den unscheinbaren Button klicken, über den newstips@heise.de abgesetzt werden. Aktuell findet in Hamburg der Jahreskongress des Chaos Computer Clubs statt, in der Weite eines Kongresszentrums, das endlich wieder Raum zum Leben und Arbeiten lässt. Das passt prima zur Wochenschau, schließlich ist Kim Schmitz einer von nur drei Menschen, die im Laufe vieler Kongresse vom CCC vor die Tür gesetzt wurden (ein vierter wurde dieses Jahr vor der Tür abgefangen). Das Kongress-Motto "Not my department" ist in den USA eine gängige Floskel, die prägnant im Film Casablance zu hören ist: "The problems of the world are not in my department". Auf dem Kongress ist das Motto etwas anders gemeint: Die Probleme dieser Welt sind offenbar die Probleme des CCC geworden, der auf allen möglichen Ebenen aktiv ist und sich sofort eine satte Feminismus-Debatte wegen ein paar idiotischer Kärtchen und arroganter Nerds leistet. Noch ein Problem-Departement mehr, weil gleich die ganze Informatik weiblicher werden soll. Zur Unterhaltung gibt es Frauenwitze und Quizze mit nerdigen Fragen, Gelächter und viel Beifall: "Wer hat den kategorischen Imperativ verbrochen?" Natürlich ist es dem typischen Hacker lästig, so eine philosophische Maxime wirklich zu beachten. Im Zweifelsfall gilt schließlich allen Aufrufen zum Widerstand zum Trotz, dass Moral nicht kompiliert werden kann. Gern erinnert sich der IT-Chef von Gamma International an all die tollen CCC-Kongresse, die er besuchte.

Was wird.

Moral? Ach was, geht mir weg mit Moral. Wer immer noch glaubt, das Netz und seine Politik seinen an und für sich eine moralische Angelegenheit, der glaubt auch an Prognosen von Marktforschern. Hm. Natürlich wird Windows Phone im Jahr 2013 das führende Smartphone-Betriebssystem. Oder auch nicht. Google Glasses wird uns die Augen öffnen für die Schönheit der virtuellen Welt inmitten der realen.
Oder auch nicht. Und wieder einmal ist das Jahr des Linux-Desktops. Oder auch nicht. Und Apple geht unter. Oder auch nicht. Die NSA mit ihrem Superrechenzentrum überwacht uns alle und entschlüsselt alles. Oder auch nicht. Die Informationsfreiheit wird kommen und Deutschland verabschiedet Gesetze gegen die Korruption. Oder auch nicht. Und das Internet wird alle Unterdrückten befreien. Oder auch nicht. Und die Piratenpartei stellt nach der Bundestagswahl den Bundeskanzler. Oder auch nicht. Wir werden alle sterben. Oder auch nicht. Obwohl – das wohl doch, langfristig gesehen: "Auf lange Sicht sind wir alle tot", wie der gute Keynes den Ökonomen ins Stammbuch schrieb, die allzu gerne den Markt als langfristigen Ausgleichsmechanismus vor sich hertragen und zur Ideologie machen. So ist das eben mit seltsamen Prognostikern, die sich den Anschein der Wissenschaftlichkeit geben und doch nur das Hantieren mit Zahlen zur Kaschierung ihrer Spökenkiekerei nutzen – ob sie nun Ökonomen oder Marktforscher oder IT-Experten genannt werden. Was wird also? Keine Ahnung. Als ob ich die Antwort auf die Frage aller Fragen, nach dem Leben, dem Universum und dem ganzen Rest wüsste. Die Antwort zu haben, die Unverfrorenheit haben nur die Berater, die mit irrem Blick durch die Firmen laufen und "Unsicherheit als Geschäftsmodell" verkaufen. Die IT-Branche, die Netzpolitiker und alle unsere Internetvesteher werden schon für Unterhaltung sorgen – manchmal gute, manchmal schlechte, sie werden Geschichte schreiben und Geschichte wiederholen, natürlich als Farce, was auch sonst. Ich bleibe also gespannt. Und werd's weitererzählen, was so passiert, begleitet von tollen Kommentatoren. Nicht zu vergessen all die, die das WWWW grottenschlecht finden, langweilig oder miesepetrig. Die Zukunft ist alternativlos. In diesem Sinne: Ein wirklich glückliches und friedliches 2013.

Quelle : www.heise.de
Titel: Re: Was war. Was wird. Die Jahresendedition
Beitrag von: Jürgen am 31 Dezember, 2012, 02:08
Werter Hal,
oder soll ich besser schreiben
Geschätzter HAL,

offenbar bist Du doch eine Maschine.
Sonst wüsstest Du natürlich, "die Antwort auf die Frage aller Fragen, nach dem Leben, dem Universum und dem ganzen Rest" ist 42

Guten Rutsch
und ein glückliches 07 DD

Jürgen
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 06 Januar, 2013, 06:00
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** "Es geht alles vorüber, es geht alles vorbei", sang einstmals Lale Andersen, "auf jeden Dezember folgt wieder ein Mai". Doch bis der Mai kommt und die Verliebten wieder turteln und gruscheln, leistet sich IT-Deutschland eine Sexismus-Debatte. Noch haben wir Januar und es geht eisig zu zu in den Kommentaren. Was Hacker, Häcksen und zwei transsexuelle Eichhörnchen auf dem "Kommunikations"-Kongress des Chaos Computer Clubs bewegte, muss doch eine Lehre für alle bereit halten. Richtig gelungen als Schlussfolgerung muss man die ökonomische Analyse von Smari McCarthy loben, fürs Herz ist mehr der Bericht aus der Sicht einer Autistin empfehlenswert und für die große Hackermasse spricht natürlich Fefe, ganz alternativlos. Schade nur, dass die wirklich lustigen Momente außen vor bleiben wie das große Gelächter von allen Beteiligten bei der roten Karte für das Zückerpüppchen am Stand des RaumZeitLabors. Lachen ist in Deutschland immer noch unterbewertet, im Zweifelsfall muss halt die große Analyse her und das bittschön ganz ohne Kontext. Humor ist immer noch "der" Humor und leitet sich in Deutschland von "der" Humifikation ab. Der Hundehaufen lässt grüßen.

*** Auch diese kleine Wochenschau aus der norddeutschen Tiefebene hat es auf dem Kongress erwischt. Sie wurde als Beispiel für sexistische Sprache am Beamer-Pranger präsentiert. In diesem Video kann man das nachsehen. Dem Herrn Stefanowitsch fiel auf seinem Feldzug gegen das generische Maskulinum dieser Satz in die Hände: "Ach, da ist noch eine Veranstaltung unter freien Himmeln, wo Hacker brutzeln und ihre Häcksen ächsend die Kinderwagen über Heidehügel schieben lassen", der hier in einem Kommentar zum Outdoor-Kongress Hacking at Random im Jahre 2009 zu lesen ist. Auf diesem Festival hatte ich mein Zelt an einem Hang unter einem Busch errichtet und durfte mehrmals dabei helfen, im Stand festgefahrene Kinderwagen über den Hügel zu bringen. Lustig fand ich die Entschuldigung einer Frau-Häckse, dass *ihr* Mann-Hacker leider nicht helfen könne, da er proggen müsse. So kamen die furchtbar sexistischen *ihre Häcksen* ins WWWW mit ächsend als Hinweis, dass es um steckengebliebene Kinderwagen handelt. Der komplette Satz bezog sich zudem auf den vorausgehenden Absatz, in dem dicke Männer Metallklumpen durch die Luft schubsen. Ja, es geht alles vorüber, bis zum Urlaubsschein für den Landser, und wenn er dann doch kommt, der Urlaub, dann findet vielleicht das nächste Camping statt. Auf dem kann der Unsinn mit den Karten und der ach so harschen deutschen Sprache der Nerdszene weitergehen, in der jedes Wort für Frau über kurz oder lang auf ein Weibchen an der Klotür hinausläuft.

*** Ich merke gerade, wie hammeräffinnengeil das Selbstzitieren ist. Wie war das noch, als bei uns die Dotcom-Blase platzte? Blättern wir rund 700 WWWWs hierhin zurück, so findet sich diese wunderbare Beschreibung: Nach den Babyboomern oder den Schlaffis der Generation X, nach dem großen Plopp der Generation@ im Loch von Bielefeld haben die Soziologen der Gegenwartskultur nun die Bobos gefunden. Bobo ist das Modewort für "Bohemian Bourgeoisie", die sich an Orten wie dem Silicon Valley, in London oder Berlin herumtreibt. Bobos sind die Neureichen des Internet-Booms, die Millionen gescheffelt haben, aber sich nicht anständig anziehen. Die, die die teuerste Uhr am Handgelenk tragen, sich aber mit einem eBay-T-Shirt und dreckigen Jeans in die Berliner U-Bahn werfen, um zur Internet World zu fahren. Danach wurde es still um die Bobos, es kamen die schicken, biologisch-dynamischen Lohas. Heute werden die Blender-Bobos von damals vornehm Generation Dotcom genannt, die nunmehr von den Digital Natives ins Rentier-Dasein getrieben wird. Diese trübgeilen "Gründer"-Typen, die auf Edelkitsch-Konferenzen wie der nächsten DLD in jedes Mikrofon lamentieren, dass es in Deutschland kein Facebook und kein Google gibt, tun bekanntlich alles, um genau dies zu verhindern. Da wird in aller Exitgeilheit der letzte Pfusch, der xte Klon einer US-Idee "gegründet" und gepusht, bis sich der nächste doofe Millionär gefunden hat, der für den angesamwerten Müll 10 oder 20 Millionen berappt.

*** Mit dem Skandal um Lieferheld tritt nun ein weißer Bobo auf den Plan, der Gerechtigkeit ruft und aus seiner angesammelten Kohle gar eine Belohnung ausgesetzt hat, auf dass die dunklen Machenschaften all der Dons der Berliner Startup-Szene ans Tageslicht kommen. Der WWWW-Lesern wohlbekannte Ehssan Dariani ist's, der einstmals seinen Geburtstag mit dem "Gebot der Pflicht" zur Feier des Führergeburtstages verknüpfte und 2006 unter der Domain "Völkischer-Beobachter.de" den "Erfolg der Bewegung" feierte. Besagter Dariani zitierte in einem späteren Interview gar Kant zum eigenen Vorbild, wenngleich leicht schiefgewickelt – "Höre auf, Autoritäten zu zitieren" entspricht nicht wirklich dem kategorischen Dativ vom Einschalten des eigenen Verstandes. Nun ist er wieder beim Führer angelangt und vergleicht in einem längst von Anwälten gelöschten Kommentar die feindlichen Start-Masterminds mit Adolfski Hitlers entrepreneurial Spirit, der Parteien, Organisationen und Reiche gründete.

*** Beginnt jetzt das große Fressen unter den Alt-Bobos? Stehen sie sich die Augen aus, passiert gar ein komischer Unfall auf einem "südafrikanischen Schießplatz"? Es wäre nicht das Schlechteste, wenn die dubiosen Machenschaften mancher Start-Ups aufgedeckt würden und sich darunter der eine oder andere Direktbefehl zum Copycat-Geschäft findet. Vieles spricht allerdings dafür, dass die Geschichten mit anwaltlicher Hilfe unter einer Flauschdecke verschwinden, bis neue Frontmänner wie René Obermann das freundliche Gesicht dieser Branche stellen. Bis dahin kann man die Schwurbeleien der von den Masterminds finanzierten Hofberichterstatter wie Gründerszene oder Deutsche Startups lesen, muss man aber nicht. Digitalnativistisch gesagt: [mimimi]Wo ist Dotcomtod?[/mimimi] Es ist bezeichnend, dass der große Grantler vom Tegernsee schweigt – post coitum omne animal triste est, sive gallus et mulier.

Was wird.

Beim stark statistisch gefärbten Jahresrückblick haben treue WWWW-Leser_innen (so richtig?) bemängelt, dass so gar nichts für die nächste Zukunft vorhergesagt wurde. "XY Oder auch nicht" sei zu beliebig, da müssten Fische in die Butter. Nun denn: 2013 ist ein Wahlkampfjahr, das macht die Dinge einfach: Das Internet wird diskutiert und von der Politik umschmeichelt, doch von der Polizei überwacht wie nie zuvor. Hat nicht das wunderbare COMPOSITE-Projekt gezeigt, wie sich Alles zum Guten wenden kann, wenn sich die Herrschaften digital präsentieren? Der eKontaktbereichsbeamte wird es richten: " Zum einen wird eine vertrauensvolle Verbindung zwischen Bürgern und Polizeien aufgebaut. Die Interaktion wird enger, der Dialog verstärkt. Die Polizeiarbeit wird transparenter, Bürger erleben die Polizei als menschlicher und das Vertrauen steigt. Verstärkt wird dies durch den in den sozialen Netzen üblichen persönlichen Kommunikationsstil, der im Gegensatz zur gewohnten bürokratischen Behördensprache steht. Jaja, die Zeit der digitalen Romantik mit moralischen Hackern ist vorbei, nun gilt es, Präsenz zu zeigen.

Alle Annahmen zur Sicherheit im Internet müssen nach den Berichten über Türktrust oder dem Kongress-Vortrag über Diginotar auf den Prüfstand, egal wie viele Cryptokonferenzen auf der ganzen Welt Verbesserungen in Sachen Sicherheit vorstellen werden. Peer Steinbrück gewinnt mit den Grünen die Bundestagswahl, tauscht aber den Posten mit dem Präsidenten des Sparkassen- und Giroverbandes Schleswig-Holstein. So bekommt er endlich das Amt, das er schon 1998 haben wollte. Die Piratenpartei fusioniert mit den ebenfalls gescheiterten Gelbsäcken zur Freien Piratenpartei.

Der Blick schweift ins Ausland. Präsident Obama trifft sich zum Ordensanhängen mit Adrian Lamo für seine Verdienste, der eben erwähnten moralischen Hackerei den Garaus gemacht zu haben. Julian Assange bleibt bis zur Wahl von Ecuadors Präsident Correa in der Londoner Botschaft und wird dann nach Schweden transportiert. Dort wird er wegen verrotteter Beweise auf freien Fuß gesetzt und erleidet eine Identitätskrise, nachdem der den Film mit Alicia Vikander und Daniel Domscheit-Brühl gesehen hat.

Microsoft vernichtet mit seiner Obsession, Google vernichten zu wollen weiter ordentlich Kapital und muss am eigenen Büro erleben, wie Apple bevorzugt wird. Google übernimmt nach einigen Anläufen das Management von Nordkorea als Testbed für Google Country. Der Heiseticker fällt nicht unter die Leistungsrechtssperrdurchführungsanordnung von Co-Bundeskanzlerin Schröder. Schließlich ist "10 kleine Negerlein" im IT-Support ein gängiger Ausdruck für all die Anwender, die man loswerden will

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 13 Januar, 2013, 07:00
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Soso, die Wiederbelebung des Bobo-Bashings in der letzten Wochenschau ist gut angekommen, aber auch auf Kritik gestoßen. Leser, die nicht seit Äonen dabei sind, konnten mit dem Begriff der "Bourgeois Bohemians" nichts anfangen. Geprägt hat ihn David Brooks, ein konservativer Journalist der New York Times, der sich im Jahre 2000 über den Lebensstil der "Neuen Klasse" aufregte. Auslöser war übrigens ein Interview mit Amazon-Gründer Jeff Bezos. Brooks ist inzwischen ein bekannter Autor geworden und sieht den Menschen als soziales Tier, als Wesen mit sozialen Schnittstellen. Darüber hat Brooks ein gähnend langweiliges Buch geschrieben, weil seine Beispielstiere Erica und Harold in der öden "Neuen Klasse" leben. Ein Rezensent schrieb zutreffend, dass das Buch etwas für diejenigen ist, die sich noch über die zwei Kulturen von C.P. Snow ereifern können.

*** Was echte Bobos heute leisten, habe ich in der letzten Woche nur andeuten können. Mittlerweile liegt das Erbrochene öffentlich vor. Getretner Quark wird breit, nicht stark. Um das Elend zu komplettieren, gibt es eine denkwürdige Antwort. Ich erlaube mir, mit der Verlinkungs-Freiheit des Internet die Anmerkungen zur Ethik wiederzugeben. Statt Kant siegt die ökonomische Vernunft der klaren Kante, wer Ethik sucht, wird mit der Kapitalfrage abgespeist, denn sautalentierte Leute leben in einer geilen Zeit:

"Wer gut ist, hat Erfolg. Wer wirklich gut ist, hat auch mehrfach Erfolg. Da Internet Unternehmen extrem produktgetrieben sind, und der technische Wandel extrem schnell, ist das System auch sehr 'durchlässig'. Clevere Leute mit einer guten Idee und einer guten Umsetzung sind noch nicht einmal auf Kapital angewiesen. Viele der sehr erfolgreichen deutschen Unternehmen sind dabei mit extrem wenig oder gar keinem Kapital entstanden – z.B. aus eigener Erfahrung Spreadshirt.net; oder auch Gameforge.de; international fallen mir spontan Badoo oder Minecraft ein, die mit wenig bis keinem Kapital gestartet sind. Und die Szene ist extrem plural – die von einigen kolportierte 'Kartellbildung' kann ich keinesfalls beobachten. Das Ökosystem ist vielmehr extrem bunt und vielfältig. Und die meisten Leute sind extrem cool & fair. Der Wertschöpfungs- und Innovationsgrad ist einfach so hoch, dass es total dumm wäre, unfair zu spielen, etc. Mehr an Ethik immer gerne – aber ich glaube, wenn man sich entscheiden müsste, dann stiften andere Debatten mehr Wert (z.B. Leistungsorientierung; Vorbilder; 'deutscher Neid', etc.).

*** Leistungsorientiert auf Zack greife ich mal vor und schaue, was das Kartell in den nächsten Tagen so alles macht. Nicht in Berlin, wo Ehssan Dariani zu einem bobodadaistischen Anti-Investoren-Dinner in einem Schöneberger Restaurant bittet, mit der schwer ethischen Maxime: "If evil people refuse persistently and for years to behave human, then it is legitimate to treat them like animals." Nein, der Blick geht in die bayerische Provinz zu Burda, wo man sonst gern das nachbetet, was in Berlin so vorgebetet wird. Dort taucht auf der nächsten Ausgabe der DLD Peter Thiel auf, der ultrarechte Vordenker der New Economy, der mit Blueseed einen eigenen Staat für obszön reiche Bobos gründen will. Als digitaler Vordenker wird Thiel eine Public Lecture über das transhumanistisch-cartesianische Neue Ich der Bobos halten. Leistungsorientiert werden ihm die Samwers, die Gadowskis – und wie sie alle heißen mögen – die Füße salben.

*** Dank der Consumer Electronics Show wird niemand sagen können, dass die Woche arm an Nachrichten war. Auch wenn der Informationsgehalt so mancher Nachricht außerordentlich niedrig war, zeichnet sich doch ab, dass der "Consumer" ein armes, Gadget-behängtes Schwein sein soll, das vorgefertigte Inhalte frisst und bei jedem Fraß den vollen Preis zahlen soll. Behütet werden muss er auch noch, von Kindesbeinen an. Zum kindgerechten Ständer für das iPad, zum mitlernenden Scheißtopf und zur meckernden Hapi-Gabel gehört saubere Literatur. Wir denken an die Kleine Hexe, in der nicht mehr gewichst wird und Pippi Langstrumpf, in der Pippis Vater nur Südseekönig ist. Ein Huckleberry Finn, in dem der "Nigga" vom Antidiskriminierungs-Grep zum Sklaven verändert wird. Wenn es in diesem Stil weiter geht, sind sicher bald die Computerspiele an der Reihe und bitte, strahlt nicht der "Hacker" eine Gewalt aus, die zarte Kinderherzen verstören kann? Wie wäre es mit Computerflüsterer?

*** Bedenklich nur, dass bei der Jugendsprache Halt gemacht wird und es das grenzdebile Yolo zum Jugendwort des Jahres brachte. Dass Yolo im Slang auf Armleuchter verweist, ist den klugen Sprachforschern entgangen. Die neue saubere Kultur hält auch für Erwachsene Überraschungen bereit, etwa "All the Bits", ein Buch aller Skripte der Monty-Phyton-Sketche, in dem darauf hingewiesen wird, dass für diesen Sketch kein Papagei getötet wurde. Auch dass vor dem Sketch gewarnt wird, in dem ein Kunstkritiker handgreiflich wird und seine Frau erwürgt, sagt viel über unsere sicherheitszentrierte Zeit aus. Oder muss das sicherheitszensiert heißen? Mal sehen, was Ken in der Hose hat, wenn BER in Berlin eröffnet, das Barbie Entertainment Resort.

*** Es gibt sie übrigens noch, die guten Dinge. Freuen wir uns mit First Monday, das gerade die 200. Ausgabe veröffentlichen konnte und reger denn je debattiert wird. Der Artikel über Gender und Sexismus in der Open-Source-Szene sei allen ans Herz gelegt, die sich über die Nicht-Debatte nach dem Chaos-Kongress ärgern, in der Kommentare unerwünscht sind.

Was wird.

Auf dem Kongress des CCC wurden alle harten Hacker klar und deutlich davor gewarnt, sich mit ihren Kenntnissen dort zu verdingen, wo Überwachungstechnologien programmiert oder verfeinert werden. Ein gutgemeinter, typisch deutscher Vorschlag, wie es der bereits erwähnte DLD zeigt. Glaubt man der Ankündigung, gibt es in Israel keine Vorbehalte, bei der Schaffung eines Überwachungsstaates mitzumachen. Schön auch das Beispiel überwachter Kinder aus Singapur, in dem davon die Rede ist, dass man frühzeitig an eine Kultur der Überwachung gewöhnt werden muss, ganz ohne störende Fußfessel-Diskussionen.

Immer dieser Datenschutz: Zum Jahresanfang steht die Neufassung des Beschäftigtendatenschutzesetzes zur Abstimmung an. Im neuen Gesetz findet sich ein Verbot der planmäßigen Videoüberwachung von Arbeitsplätzen sowie ein Verbot der heimlichen Videoüberwachung. Auch der Einsatz von Überwachungssoftware, die Screenshots anfertigt oder sonstwie die Arbeitsleistung festhält, soll nur dann punktuell erlaubt sein, wenn bei Beschäftigten ein gravierender Anfangsverdacht zu einer Straftat gegeben ist. Eine genereller Einsatz dieser Software ist nicht erlaubt. Man darf gespannt sein, welche Gesetzespassagen zu den Streichresultaten gehören, wenn es zur Abstimmung geht.

Weil es so kalt ist und die Zeit bis zum Sommerrätsel elendig lang anmutet, ende ich heute mit einem kleinen Rätselspaß. Hier findet sich, brandneu ins Netz getütet, die neue Deutsche Datenlizenz für nichtkommerzielle Nutzung, hier die Erläuterung zur Lizenz. Die Frage lautet: Wie ist eine nichtkommerzielle Nutzung definiert? Wer sich dabei den Kopf zerbricht, kann weder den Verlag noch mich haftbar machen: Die Verletzung des Lebens, die körperliche Unversehrtheit oder die geistige Gesundheit können bei jeder Lektüre ernsthaft in Gefahr geraten.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 20 Januar, 2013, 07:00
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Klatsch definierte das alte Wörterbuch der deutschen Sprache einstmals als "Geräusch, das entsteht, wenn etwas Weiches oder Schweres flach auf etwas Hartes schlägt." Später wurde aus dem lautmalerisch beschreibenden Wort der Klatsch, dudifiziert als "der Neugier entgegenkommende Neuigkeiten aus dem Bereich Anderer." So oder so, der Klatsch hat wenig mit den harten Nachrichten zu tun, die tagein, tagaus in diesem löblichen Newsticker auftauchen, um ebenso unermüdlich von den Besten der Besten (Sir!) kommentiert zu werden: Heise-Forumsleser sind vielleicht nicht das Salz dieser Erde, ätzen aber gnadenlos alles weg, was zu einer Klatschung gehört. Gemeinsam dürfen sich darum Leser wie Redakteure über die Wertschätzung freuen, die heise.de nach einer Studie der TU Darmstadt über die Nachrichtenverbreitung in sozialen Netzwerken bei Technikthemen an der Spitze sieht, mit deutlichem Abstand vor der Konkurrenz:

    Heise.de (662.570)
    Chip.de (301.945)
    Focus Online (152.623)
    Bild.de (137.323)
    Spiegel Online (125.384)

Bei den Gesamtzahlen mag es etwas anders aussehen, schließlich hat eine Meldung wie Putzfrau rammt Haus (aus Versehen) nicht allzuviel mit IT zu tun. Sport ist auch ein seltenes Thema in den IT-Nachrichten, weil Superdoper Lance Armstrong lieber mit einer handzahmen Moderatorin blufft, als sich einem Lügencomputer auszusetzen. Bleiben Sex, in der IT gemeinhin als Internetsucht definiert, und Politik: Die armen Piraten in Niedersachsen werden am heutigen Sonntag sicher lamentieren, was alles drin gewesen wäre ohne ihre Klatschhaftigkeit. Und alle, alle machen so weiter bis zum Herbst: "Dieses Ergebnis wird uns ein besonderer Ansporn für die kommende Bundestagswahl sein."

*** Nun gibt es im Leben Momente, in denen der Klatsch oder die Verschwörungstheorie der trockenen Nachricht den Rang ablaufen. Heise-Leser verlinken dann in den Foren gerne auf Fefe, der etwas anderen Nachrichtenagentur am Rande des laufenden Irrsinns. Dort war dieser Tage ein EU-Dokument aufgeklatscht und man konnte in der fnordistischen Zusammenfassung nicht nur lesen, dass Programmierer des dauerverspäteten SIS-II-Projekts fehlerhafte Konvertersoftware geschrieben haben, sondern auch noch kosmische Ereignisse als Begründung für den offiziellen Pfusch herangezogen haben. Weil Heise-Leser eben diesen Konverter lobten, begann die Suche nach dem genauen Wortlaut des EU-Dokumentes. Von Estland wurde der Konverterpfusch und die Fragilität der zentralen Datenbank C.SIS tatsächlich so kommentiert:

"EST äußerte die Ansicht, dass aus Sicht von EST das Risiko mit den beschriebenen Verfahren ausreichend abgesichert sei. Schließlich könne auch ein Meteorit das C.SIS treffen und es gäbe nun mal ein allgemeines Lebensrisiko."

Dass ein derart mit Meteoritenhilfe argumentierenden allgemeines Lebensrisiko in einem offiziellen Protokoll zu einem IT-Projekt auftaucht, das über 200 Millionen Euro kosten wird, schlägt dem Fass die Krone ins Gesicht, wie ein weiser Mann zu sagten pflegte. Wenn wieder einmal irgendwo in Deutschland ein lasches IT-Projekt gegen die Wand gefahren wird, sollte das Argument vom einschlagenden Meteorit fürderhin nicht fehlen. Alternativ könnte man auch die real existierende Gefahr zitieren, dass uns der Himmel eines Tages auf den Kopf fällt. Man sollte den Vertreter Estlands für diese elegante Argumentation mit der nicht tragbaren St. Nimmerleins-Medaille in Gold (PDF-Datei) auszeichnen.

*** Während die Fahndung nach den ins Nichts konvertierten "wenigen" SIS II-Datensätzen weiterläuft, bietet sich ein Blick nach Berlin an. In der Stadt der Liebe findet bald ein kleiner Europäischer Polizeikongress statt, der sich mit dem "Schutz im digitalen Raum" befasst. Aus diesem Grunde wurde in Berlin von Autonomen der Wettbewerb Camover ausgerufen, bei dem verschiedene Kommandos Überwachungskameras abreißen. Über die Sinnhaftigkeit einer solchen Protestaktion lässt sich trefflich streiten. Wer allen Ernstes glaubt, dass so dem Staat das Augenlicht genommen werden kann, scheint kein helles Licht zu sein. Ein Ergebnis der ersten Aktionen: die meisten der abgerissenen Kameras sollen Attrappen gewesen sein. Verträgt Big Brother kein Big Data? Dabei wäre die Welt doch so schön, wenn wir eine hundertprozentige Überwachung durch Kameras hätten, immer und überall: Man könnte Armeen abschaffen und den Unsinn mit den Passwörtern vergessen.

*** Big Brother BKA macht es sich jedenfalls leicht und hat eine Software für die Quellen-Telekommunikationsüberwachung von Gamma eingekauft. Wie berichtet, soll diese Software von CSC mit einer Typmusterprüfung daraufhin untersucht worden sein, dass Mitschnitte aus dem Kernbereich der privaten Lebensführung gesperrt und gelöscht werden können, dass es Protokolle der Überwachungsmaßnahmen gibt und dass sichergestellt ist, das nur autorisierte Überwacher mit der Software arbeiten. Dies alles sind Punkte, die bei der zuvor eingesetzten Software von Digitask bemängelt wurden. Ob sie tatsächlich überprüft worden sind? In Fefes Blog taucht dazu der böse Gedanke auf, dass besagte Firma CSC in den USA einen Rahmenvertrag mit der NSA hat. Die Krönung dieser Nachricht kann schließlich bei den Aufdeckern von Netzpolitik gelesen werden. Dort hat sich Gamma-Entwicklungschef Ingo Münch mit bekannten Argumenten zu Worte gemeldet und behauptet:

"Hinzu kommt zudem, dass wir derzeit in aktiven Gesprächen mit verschiedenen Menschenrechtsorganisationen sind um einen möglichen “Code of Conduct” für Firmen wie unsere in dieser Branche zu entwerfen und durchzusetzen und wir wollen diese Gespräche durch Veröffentlichung von Internas nicht in Gefahr bringen."

Es könnte schließlich auch ein Meteorit dort runterkommen, wo diese Gespräche geführt werden. Ob Menschenrechtsorganisationen tatsächlich mit Gamma verhandeln, dürfte die Zukunft zeigen. Im Zweifelsfall verliert diese Firma wieder einmal ihre Demo-Software auf einer der einschlägigen Überwachungs-Fachmessen.

*** Die tragische Geschichte von Aaron Swartz hat viele Facetten, von einer halbherzigen Entschuldigung der Staatsanwältin bis hin zu einem neuen Gesetz, das die Aktionen der Strafverfolger in den USA beim Tatbestand des Computermissbrauches einschränken soll. Die öffentliche Anteilnahme ist groß, nicht nur in wissenschaftlichen Kreisen. Unmittelbar Betroffene wie der Jurist Lawrence Lessig flüchten sich ins Schweigen, während Wikileaks entgegen der eigenen Schutzregeln für Whistleblower versucht, den jungen Mann für sich zu reklamieren. Auch so kann man Ignoranz demonstrieren.

Was wird.

Am kommenden Dienstag hält der Investor Peter Thiel in München einen öffentlichen Vortrag im Anschluss an seinen Auftritt bei der DLD-Konferenz. Die von Thiel gegründete Firma Palantir Technologies zählt die US-amerikanischen Geheimdienste CIA und NSA zu ihren Hauptkunden. We are family, heißt es dann: auch der Bundesnachrichtendienst soll diese Software anschaffen. Ob dabei der Quellcode geprüft wird?

Dienstag ist Schautag für Bildungsministerin Annette Schavan. Dann entscheidet der Fakultätsrat der Universität Düsseldorf, was an den Plagiatsvorwürfen dran ist. Es soll ein Gutachten vorgestellt werden, dass sich anders als das nur auf den Text beschränkte Schavanplag anonymer "Internetler" umfassend mit der Vorgeschichte und den wissenschaftlichen Bedingungen ihrer Dissertation beschäftigt. Erste Klatschen melden, dass die Ministerin entlastet wird. Dennoch soll ein Verfahren zur Aberkennung der Promotion eingeleitet werden. Bekommt Deutschland eine Einbildungsministerin? Bundeskanzlerin Merkel schaut aus sicherer Entfernung zu und referiert beim Weltwirtschaftsforum in Davos lieber über "Resilient Dynamism".

Schließlich treffen sich in Brüssel die europäischen Datenschützer zu ihrer Konferenz. Neben den üblichen Themen steht diesmal auch eine Diskussion über die Überwachungsdrohnen auf dem Programm. Und weil alles mit Liquid vorneweg so mega cyberschick ist, sei die Debatte um Liquid Surveillance erwähnt, die alltägliche Überwachung durch ständig anfallende kleine Datenmengen geleistet werden kann, mit Data Mininng und anderen Analysen. Big Data ist Big Brother.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 27 Januar, 2013, 07:00
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Heute vor vielen, vielen Jahren erreichte die Rote Armee das Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau und befreite die Überlebenden. Seit 1996 ist dies ein deutscher Gedenktag, seit 2005 ein internationaler Gedenktag. Die schwer alternative "tageszeitung" illustriert ihn mit Fotos von hüpfenden Jugendlichen auf dem Holocaust-Denkmal in Berlin und einem Hitler aus dem Wachsfigurenkabinett. Wer war der noch mal? Issja egal. Die historische Erinnerung ist auch nicht mehr das, was sie einmal war. Zu den Überlebenden von Auschwitz gehörte Jack Tramiel, der mit dem Commodore C64 viel für die Entwicklung der Computerbranche tat. C64? Das war doch mal so'ne Generation, oder? Ist ja egal. Historisches Erinnern funktioniert, solange sich (Über)Lebende dran erinnern. Während Apple-Fans bibbernd auf den Film zur Seligsprechung von Steve Jobs warten, legt Zeitzeuge Steve Wozniak Einspruch ein und bemängelt die Dialoge: "Die hochtrabenden Worte kamen viel später".

*** Ganz ohne hochtrabende Worte wird derzeit in Berlin "Die fünfte Macht" gedreht, ein Film über die Anfänge von Wikileaks. Die liegen unter anderem in Deutschland, wo Julian Assange sich vor dem großen Coup mit "Collateral Murder" aufhielt, wo Daniel Schmidt bei verschiedenen Providern die Server-Racks versteckte, auf denen geleakte Dokumente abgelegt wurden. Im Dezember 2007 hatte Assange auf dem 24C3 des Chaos Computer Clubs seinen ersten Auftritt vor 20 Leutchen, denen er die erste Aktion erläuterte, die Veröffentlichung des Handbuches der US-Schergen von Guantánamo. Nun will der Chaos Computer Club absolut nichts mit Steven Spielberg und Firma Dreamworks zu tun haben und untersagte den Dreh in seinen Räumen – die entsprechende Chaoten-Szene wurde deshalb im stillgelegten Tacheles gedreht. Wenigstens das bcc als Ort vieler CCC-Kongresse hat zugesagt, das bcc zu spielen, und findig verfremdete Logos und jede Menge Hacker-Komparsen aufzunehmen. Für diese Komparserei wurden Dicke abgewiesen, Hacker sind nun einmal dünn. Der Film, von dem es erste Bilder gibt, missfiel Assange wegen einer Irak-Szene. Diese wurde prompt überarbeitet. Was bleibt, ist der Protest von Peta gegen die Quälerei von Katzen. Ein Dutzend fette Taschentiger wurden für Kater Schmidt gecastet, dem Assange eine Psychose verpasst haben soll. Darf so etwas Grausames gefilmt werden?

*** Weil in der norddeutschen Tiefebene außer einem missratenen Stimmenverleih nichts wirklich Wichtiges passierte und sich die paar Piraten wie erwartet auf der geliebten Tiefebene in einem dünn besiedelten, aber riesig großen Flächenland verirrten und im Morast der Transparenz versackten, schwenken wir umstandlos nach München. Dort trafen sich die Bobos in ihrem Laufstall des HVB-Forums, während ein Stockwerk über ihnen die DLD-Konferenz zum Thema Big Data tagte. Originalton DLD: "Der Zugang zu Big Data, die dynamische Erzeugung und Auswertung von immer mehr Daten, eröffnet Unternehmen weltweit neue Möglichkeiten. Grundlage dafür ist auch ein verändertes Kaufverhalten: Konsumenten wollen Produkte rund um die Uhr und auf sämtlichen Geräten kaufen können und geben dafür Daten preis. So lassen sich Konsumentenwünsche präziser entschlüsseln, auch ortsbasiert. DLD13 legt einen Schwerpunkt auf dieses datenbasierte, kreative Unternehmertum und stellt die wichtigsten Entwicklungen vor." Das Fazit: Big Data ist ganz wunderbar, erst recht, wenn es die richtigen Progger dafür gibt. Den Auftrieb der schicken Bobos störte eigentlich nur der Investor Klaus Hommels, der innovative Ideen in diesem Sektor nur bei jungen Programmierern verortete, die aus sozial zerrütteten Familien kommen. Sie allein haben den Ehrgeiz, sich durchzubeißen und nicht wie ein Dariani über verpasste Knete zu jammern.

*** München, München, da war noch was? Richtig, das Projekt Limux sorgte für Schlagzeilen und heftigste Forenkämpfe. Ein Berater von Hewlett-Packard fertigte für Microsoft eine Studie an, nach der Limux in 10 Jahren 60 Millionen Euro kostet, während der Einsatz von Microsoft-Software nur 17 Millionen gekostet hätte. Ein Blick in die Zusammenfassung der Studie verrät, wes Geistes schräges Kind Berater manchmal sind. Es gibt etliche kritische Passagen zum Wildwuchs von Linux-Distributionen und Office-Forks, denen man zustimmen kann. Aber die beiden zentralen Tabellen (siehe nebenstehende Screenshots) arbeiten durchweg mit Schätzwerten aus anderen Projekten. Auffällig ist, dass die Kosten der identischen IT-Mitarbeiter für die Umstellung der Clients unter Linux mit 15 Millionen Euro angegeben sind, unter Microsoft Windows mit 5 Millionen. Zudem kosten die Client-Lizenzen unter Linux knapp 23 Millionen, unter Windows nur 49.000 Euro. Das sind die Batzen, die zur großen Differenz bei den Kosten führen. Aber auch in anderen Details knirscht es. Für die Umwandlung von Dokumenten in das XML-Format werden 2 Millionen veranschlagt, für die Weiterbehaltung des DOCX-Formates von Microsoft 105.000 Euro. Weil der Browser in Windows integriert ist, liegen die Softwarekosten bei 0, während sie bei Linux immerhin noch 11.000 Euro ausmachen. Auch ist die Weiterbildung in den 10 Jahren unter Windows mit 5 Millionen Euro genau halb so teuer angesetzt wie unter Linux. Ich mach die Welt, wie sie mir gefällt, kennt man eigentlich nur von Pippi Langstrumpf. Jetzt wissen, wir, dass auch HP-Berater Kinderbücher schreiben können, Negerkönig hin, Südseerpinzessin her.

Und wo bleibt das Positive? Es ist natürlich diese Linux-Nachricht von Valve Software, der von Anarchisten gemanagten Software-Firma, "Boss-free" seit 1996. Wer sich durch das Handbuch der Firma gearbeitet hat, weiß besser als DLD-Teilnehmer oder Davoser Alienforscher, was die Zukunft bringen kann. Auch wenn manchmal noch nicht ganz klar ist, wie wir leben wollen.

Was wird.

Am 5. Februar geht an der Universität Düsseldorf das mit 14 Ja-Stimmen und einer Enthaltung beschlossene Hauptverfahren weiter, in dem über die Dissertation von Bildungsministerin Schavan geurteilt wird. Plagiat oder nicht, mit diesen Zeilen zwischen Genie und Ziegenkäse hat sich ein Aufschreier zu Wort gemeldet, mit einem miesen Männerwitz. Aufschrei, Aufschrei, da war doch was? Sind das nicht Sachen, die dauernd passieren? Richtig, und weil es nicht aufhört und weiter brüderlet oder wagnerschleimt, sind klare Worte angemessen, auch in der IT-Welt. Doch aus den politischen Lagern ist nur outiniertes Stimmengeleier zu hören, vielleicht mit Ausnahme der Frauenfeindlichen Partei Deutschland, die keine Wählerinnen hat. Willkommen im Wahlkampf.

Im Vergleich zu anderen Industrien ist die IT-Branche verhältnismäßig gut dran. Aber wirklich jeder und jede, die ich in diesen Tagen befragte, kennt abwertende Sprüche über Programmiererinnen, Managerinnen und Melinda Gates. Dagegen stehen Aktionen gegen die sexistische Kackscheiße, die Creeper Card Moves, und auch die Frauen und Männer, die Steve Jobs Motto weiter gedacht haben: Stay present, stay vulnerable. Jeder Mensch ist verletzlicher als jeder Computer. Witze über den Tatsch Screen sind niemals eine "humorvolle Ergänzung", sondern Ausdruck der Miefigkeit der Gesellschaft. Es kann, es muss besser werden.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 03 Februar, 2013, 06:00
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Der #Aufschrei war groß, gefolgt von einem gequälten Aufstöhnen. Was Talkshows von Jauch über Will bis Illner über die Diskussionen im Internet ablieferten, war einfach nur grausam. Noch den besten Auftritt hatte @marthadear, deren Wunsch, am V-Day mit #billionrising groß rauszukommen, in Erfüllung gehen dürfte. Eine Milliarde Menschen sollen für eine Milliarde misshandelter Frauen tanzen. Ein Unding für eine wie Wibke Bruhns, die bei Jauch in jenseitiger Maskenstarre als Relikt der schlechten 60er auftrat. Für sie ist gesellschaftliche Veränderung offenbar bei den Hoden der Männer angesiedelt und damit praktisch nicht existent oder nur in Ochsenform passend zum dirndltauglichen Gegenstück.

*** Was reden Männer so über Frauen, wenn sie mal nicht Brüderle oder Kubicki heißen? "Die macht nicht den Eindruck eines Dorffahrrads – also dass jeder schonmal draufgefahren ist." Ganz ohne jeden Aufschrei fiel dieser Satz bei #batn oder Beauty & the Nerd, mit dem Zuschauer Einblick in das heiße Leben von IT-Fachleuten bekommen sollen. So muss man sich also den typischen männlichen Heise-Leser vorstellen, wenn man nicht gleich den Über-Geek Gates vor Augen hat, der aus dem Stand über Stühle springen konnte. Die Serie beruht auf einer geekigen Idee von Jobs-Darsteller Ashton Kutcher, wurde aber in Deutschland bzw. Südafrika bizarr umgesetzt, mit Frauen, die nicht programmieren und Nerds, die kein Zelt aufbauen können. Jedes nerdige Sommercamp beweist das Gegenteil. Wer immer die "Mode" für die Nerds ausgesucht hat, muss seinen Spaß gehabt haben wie die Nerds in Berlin, die eine CCC-Versammlung simulieren oder fotografieren durften. Der Film über die Flegeljahre von Wikileaks und Assange ist bald im Kasten, die IMDB-Daten über das Abenteuer der beiden Freunde Julian und Daniel sind angelegt. Nun soll der Assange-Darsteller Cumberbatch Alan Turing spielen: Manche Nerd-Witze sind wirklich gut.

*** Die meisten Leser dieser kleinen Wochenschau würden Kim Dotcom nicht einmal ihren Müll anvertrauen, geschweige denn sein Mega nutzen. Nun hat besagter Wunsch-Neu-Neuseeländer nicht nur sein Mega Vulnerability Hack ausgerufen, sondern sich für Assange ins Zeug gelegt und bestätigt, wie furchtbar gemein die USA doch ist. Ein Spionagestaat, in dem die Vision von George Orwell Realität wird, in dem Andersdenkende gnadenlos gehetzt werden. Passt das zu der real existierenden USA? Passt das zu dem friedlichen Blick auf die Folter, wie es vom "Duo" Joschka Fischer und Ernst Uhrlau (v)erklärt wird? Wenn Protagonisten der neuesten und allerneusten Geschichte bereits Gedächtnistrübungen haben, bleiben die Lehren aus der Geschichte aus.

*** Es ist fast so wie damals mit diesem Stalingrad oder dem Ort, der sechs Tage im Jahr Stalingrad heißen soll. Aus Paulus wurde Saulus, mit Auto, aber einem Fahrer, der nicht nach seinen Weisungen fuhr. Die Lehren der Geschichte? Ach, lassen wir das. Ein feiger Feldherr war das und der Rest Produkte eines Wahnsinnigen aus Braunau, der ganz Deutschland beherrschte. Ganz Deutschland? Ein Dorf leistete Widerstand, ganz ohne Zaubertrank.

*** Das heutige Deutschland hat Soldaten im Kosovo, in Afghanistan und bald werden Ausbilder auch in Mali unterwegs sein. Derweil leistet sich Deutschland eine Drohnendebatte, ausgelöst von einer Kleinen Anfrage der Linksfraktion. Dabei geht es derzeit um waffentragende Drohnen, weil bald ein Leasingvertrag für israelische Heron-Drohnen ausläuft, die als Aufklärer in Afghanistan fliegen. Ihre bald zu bestellenden Nachfolger sollen nach dem Willen des Verteidigungsministeriums auch Raketen mit sich führen können. Deshalb kommt Ethik in die Debatte über Tod und Ödnis, in der kaum noch von Aufklärung die Rede ist, im doppelten Sinne. Dass z.B. ausgediente Flieger bewaffnete Drohnen sind, wird ebenso unterschlagen wie die zunehmende Leistungsfähigkeit der Aufklärungskameras, die sich prima zur Überwachung ganzer Städte eignen. Ein falscher Tanz mit ausgebreiteten Armen auf dem Parkplatz eines Einkaufszentrums und rumms, der Terror ist besiegt.

*** So erinnert die "ethische" Debatte um Hemmschwellen am Monitor an all die hochtrabenden Statements zur Cyber-Sicherheit und zum Cyber-War, die souverän schnuckelige Angriffsvektoren ignoriert, über die wirklich Schrott produziert werden kann. Nicht zu vergessen das Argument, dass es "nur" Zeitungen wie die New York Times oder die Washington Post getroffen haben soll: Wer glaubt, dass betroffene Konzerne ihre Cyber-Unterwanderung melden werden, wenn sie bemerkt wird, glaubt auch, dass Zitronenfalter Zitronen falten. "Verwunderlich ist bei all der Aufregung und Bestürzung über die Infiltration, wie lange die Vorgänge von den betroffenen Unternehmen unter Verschluss gehalten wurden", heißt es hier. Manche Journalisten-Witze sind besser als jeder Nerd-Witz.

*** Achja, die gute alte Zeitung. Bekanntlich stirbt sie aus, mit Tempo 120, gut zu erkennen an dem seltsamen Leistungsschutzrecht, das in dieser Woche von Sachverständigen in Berlin zerpflückt wurde. Dass eine sterbende Branche röchelnd nach dem Staat ruft, kennt man ja vom Kohlebergbau und der energiewendegeladenen Strompreisbremse oder Ökostromumlagedeckelung. Dass Google als der eigentliche Adressat des Leistungsschutzsrechtes bei der Konsultation der Sachverständigen nicht dabei war, ist typisch deutsch. Dafür kommt jetzt die lustige Antwort aus Frankreich: 60 Milliönchen von Google wandern als Einmalzahlung in einen Fonds für "Innovationsprojekte" rund ums digitale Publizieren, während die nicht sonderlich innovativen Verlage sich enger an Googles Werbemaschinerie binden. Kleine Prüfsumme am Rande: Allein im Jahre 2011 hat Google Frankreich einen Umsatz von 1,4 Milliarden Euro gemacht – und steuerbegünstigt ins Googleplex überwiesen. Der oberste deutsche Leistungsschutzexperte auf Verlegerseite arbeitet bei Springer und schreibt leicht angesäuert in seinem Blog von einer einseitigen Lösung und kurzfristiger Denke. Dass der französische Premierminister Hollande in dem Deal ein Vorbild für "toute l'Europe" sieht, erwähnt er lieber gar nicht.

Was wird.

Es geht uns gut in Deutschland. Wer jammert, tut dies (abgesehen von Springer-Experten) auf einem hohen Niveau. Die Vorstellung des Migrationsberichtes der Bundesregierung zeigte in dieser Woche, dass es anderswo düsterer aussieht. Griechen, Spanier und Italiener sind es, die zu uns ziehen. Nicht wenige von ihnen kaufen dazu gleich passende Wohnungen, denn dann ist das Geld besser angelegt als daheim. Zum Migrationsbericht (und anderen Themen) hat unser Bundesinnenminister eine Reihe von interviews geführt, darunter ein bemerkenswertes in der Freien Presse von Chemnitz: "Wir brauchen eine Art ESTA-System für ganz Europa. Wer aus einem Land mit Visafreiheit in die EU einreisen will, meldet sich dann online an, sagt, wer er ist und was er in der EU will." Das Ganze nach Möglichkeit bestückt mit biometrischen Daten, die im ESTA-System der USA gar nicht abgefragt werden. Das soll allen Ernstes einen "Kontrollverlust" ausgleichen und im Kampf gegen den Terror helfen. Eine neue Datenbank, möglicherweise mit biometrischen Zusätzen, juchhu, da leuchten die Augen auf. Wer nachschaut, was Innenminister Friedrich meint, wenn er von einem Exit-Entry-System spricht, stößt auf europäische Initiativen zum Problem der Overstayer. Die Logik stimmt schon, denn wer sich über solche Genehmigungen und Verordnungen hinwegsetzt, ist ein übler Aufenthaltsterrorist, ein Gastlandverräter, ein Datenschutzegel, eine Gollummöbe, hinweg, hinweg!

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 10 Februar, 2013, 07:00
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Drohnen, frische Drohnen, schöne schlanke Drohnen! Wer will nochmal, wer hat noch nicht? Wer will sie kaufen, wer will sie bauen, will sie verdammen oder nur nüchtern betrachten? Die eigentliche Sensation dieser Woche wurde in den USA publik, ein Memorandum zum Drohnen-Kampf mit der Gummi-Lizenz zum Töten. Kein Amerikaner sollte wissen, wann sich seine Regierung dazu berechtigt (PDF-Datei) fühlt, ihn zu töten. Wie ungemein praktisch ist es doch, dass Friedensnobelpreisträger Obama nun John Brennan zur Seite hat, die ganz persönliche Kampfdrohne, immer bereit, Folter und Tötungen zu rechtfertigen.

*** Wenn ein verdächtiger Landsmann, eine verächtige Landsfrau nicht verhaftet werden kann, aber ein Angriff auf amerikanische Interessen denkbar ist, so ist es völlig OK, eine Drohne zu schicken, die das mehr oder weniger sauber erledigt. Wie hübsch, dass mit der Veröffentlichung der Gummi-Lizenz herauskommt, wie eng US-Medien mit dem Geheimdienst zusammenarbeiten. Da wird eine Drohnenbasis in Saudi-Arabien nicht erwähnt, um besagten amerikanischen Interessen nicht zu schaden, und hinterher gibt es großes Geblöke, wie toll man doch geschwiegen hat und wie man nun leider gezwungen ist, die Wahrheit zu sagen. Schafe blicken auf, ganz erstaunt.

*** Im Jahre 1991 veröffentlichte der spanische Wissenschaftler Manuel De Landa ein Buch, dass unter dem Eindruck des ersten Golfkriegs geschrieben wurde. In seinem "War in the Age of Intelligent Machines" geht Landa davon aus, dass es in künftigen Kriegen zwei Typen computergesteuerter Systeme geben wird: "pandämonische" Systeme, die mit Kameras, Drohnen und Künstlicher Intelligenz die Entwicklung vorausberechnen und "phylische" Systeme, die zerstören, was gegen die Interessen der Macht steht. Beide Systeme bedingten einander, denn ohne gute Aufklärung kein chirugischer Schnitt. Und beide werden nach Landa autonome Flugkörper einsetzen, heute Drohnen genannt.

*** Es gehört zu den Verdiensten von Wikileaks, dass inmitten der diplomatischen Depeschen der USA Dokumente aus dem Jemen veröffentlicht wurden, die darauf hindeuten, dass amerikanische Angreifer mit ihren Bomben und Drohnen, nicht jemenitische Flieger Angriffe gegen Flüchtlingslager im Jemen flogen, in denen Al Quaida-Kämpfer vermutet wurden. Es hat auch seine Berechtigung, wenn Assange in einer US-amerikanischen Talkshow betont, dass es Initiativen wie Wikileaks braucht, wenn eine Regierung sich ausschweigt über ihre selbstgemachten Gesetze und Lizenzen. Ob aber wirklich das in einem obskuren Personenkult abriftende Wikileaks-Volk geeignet ist, darf bezweifelt werden. Geführt von einem Assange, der bei seinem deutschen Auftritt eben mal das Publikum mit einer Lesung aus seinem Buch abspeist und verfügt, dass diese Lesung nicht kopiert werden darf. Der in Schweden verhört und möglicherweise verhaftet werden soll, aber das Land abkanzelt, weil es nicht entnazifiziert wurde. Der diese Woche etwas verbrämt zugegeben hat, dass Wikileaks einen jungen Hacker bei der Polizei wegen Betruges angezeigt hat: All das spricht gegen das real existierende Wikileaks, das nur noch ein Schatten alter Tage ist. Do not fear your potential, das ist lange her.

*** Viele Leser wissen, welche enorme Rolle "2001, Odyssee im Weltraum" für diese kleine Wochenschau spielt. Im "Logbuch der Kapitäne Clarke und Kubrick" zu diesem Film finden sich etliche Überlegungen zum summenden Gebilde der außerirdischen Besucher, dass die Affen auf den Gedanken bringen sollte, sich mit einem Knochen zu bewaffnen. Arthur Clarke dachte an einen Thetraeder, Kubrick an ein geödätisches Gebilde als Hommage an Buckminster Fuller. Es war dann Stuart Freeborn, der sich für den pechschwarzen Monolithen stark machte. Freeborn wirkte am Filmset als Maskenbildner der Affen mit, den leicht verhuschten, hungernden Nachfahren der Urratte. Nun ist Stuart Freeborn gestorben, der mit dem Wookie Chewbacca und den Ewoks weitere haarige Wesen schuf und mit Yoda angeblich eine Parodie auf Einstein. Eine weitere tiefe Verbeugung ist zum Abschied von John Karlin fällig, dem ausgebildeten Violinisten, der als Designer des Tastentelefons in die Ewigkeit eingeht. Ihm verdanken wir das 1-2-3 4-5-6 7-8-9 und die 0 als Aufteilung, die optimal vom menschlichen Gedächtnis unterstützt wird. Der Erfinder des Tastentelefons hatte sich darüber weniger Gedanken gemacht.

Was wird.

Seit gestern hat die Bundesrepublik eine neue Bildungsministerin, nachdem die entpromovierte Anette Schavan das berüchtigte vergiftete volle Vertrauen von Bundeskanzlerin Merkel ereilte. Und dann war da noch das Internet: "In diesem System führt die unerwartete tatsächliche Lektüre zur Katastrophe. Das Interessant daran ist, dass das, was man tatsächliche Lektüre nennt, angesichts der ungeheuerlichen Lawine der akademischen Textproduktion gar nicht mehr stattfinden kann. Heutzutage sind nur noch digitale Lesegeräte und spezialisierte Suchprogramme in der Lage, als Vertreter des ursprünglichen Lesers mit einem Text ins Gespräch oder ins Nicht-Gespräch zu treten. Der menschliche Leser - nennen wir ihn Professor - schwindet im Gegenzug. Und dies exakt auch insofern, als der Akademiker wie der Experte seit langem dazu verdammt ist, eher Nicht-Leser als Leser zu sein." Diese Übersetzung der Gedanken des Philosophen Peter Sloterdijk aus der französischen Le Monde habe ich ganz schamlos vom wunderbaren Perlentaucher übernommen.

Damit ist das eigentlich wichtige Thema hinter dem Plagiat angesprochen. Die Mathematikerin Johanna Wanka hat promoviert, als Professorin gearbeitet und ist schließlich Bildungsministerin in zwei Bundesländern gewesen. Die "Neue" im Kabinett soll neuen Lerntechnologien offen gegenüberstehen. Ob damit auch eine Öffnung der wissenschaftlichen Arbeiten verbunden ist, bleibt abzuwarten. Nach dem verfahrenen Lizenzstreit über Open Data ist so die Chance vorhanden, dass aus dem Bildungsbereich ein Impuls kommt, das überbordende Verwaltungsdenken abzubauen. Bekanntlich ist das Wissenschaftsjahr 2013 der demografischen Chance gewidmet: Die Chance, dass im Rahmen der Lehre veröffentlichte akademische Texte frei flottieren können, wird nicht nur bei uns diskutiert.

Das traurige Beispiel ist das Leben und Sterben des Idealisten Aaron Swartz, das viele Fragen stellt. Der Musiker David Byrne hat sich sehr nachdenklich gefragt, ob ziviler Ungehorsam nicht auch bedeutet, dass man für seine Ideeen ins Gefängnis gehen muss, um damit die Maßlosigkeit der Strafverfolger zu enttarnen. Nun sollen Vertreter der Justiz vor einem Untersuchungsausschuss aussagen. Wird er damit zum Märtyrer der Bewegung?

Zu einem Märtyrium der besonderen deutschen Güteklasse gehört die Ausrottung des Suhrkamp-Verlages und damit die Einebnung der typisch deutschen Suhrkamp-Kultur durch einen Adventure-Kapitalisten. Das Drama ist vielfach beschrieben, die Wahrheit wird immer noch gesucht. Das tolle Stück bewegt sich am kommenden Mittwoch in Frankfurt/M auf seinen Höhepunkt zu, es sei denn, es sei denn, ein weißer Ritter erscheint auf der Szene in vollem Harnisch, bereit, die deutsche Kultur zu retten. Günther Jauch oder Stefan Raab, das ist die Frage.

Quelle : www.heise.de
Titel: Re: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: Jürgen am 11 Februar, 2013, 01:54
Zitat
Günther Jauch oder Stefan Raab, das ist die Frage.
Wenn das so ist, besteht meiner Meinung nach keinerlei Hoffnung mehr.
Egal, wen von beiden man nun als Pest und wen als Cholera einstufen möchte  :wall

Irgendwo muss es doch noch echten Geist geben, und zwar nicht nur in der Form C2H5OH

Jürgen
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 17 Februar, 2013, 07:00
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Die norddeutsche Tiefebene taut langsam, ganz langsam auf. In Hannover, der Heimat des tapferen Verlages dieser kleinen Wochenschau, ist es sogar schon richtig heiß geworden. Wir sind hier schließlich in Lenaland und wenn dieses Schlagersternchen sagt, das die Plagiatsnummer Glorious toll zum Mitgrölen ist, dann grölen wir eben mit "Delirious, oh oh oh oh, oh oh oh". Freuen wir uns also mit Cascadas Plattenfirma Universal und der "Jury" aus Mary Roos, Roman Lob, Anita Loos, dass der Euroschrott zum Verklappen nach Malmö geschickt werden kann. Natürlich mit einem kleinen Disclaimer, ganz ohne Plattenvertrag: diese Kolumne hat LaBrassBanda ein paarmal zum Anlauschen empfohlen, allerdings in besserer Qualität. Wer bis über die Ohren im Arsch der gut verdienenden Musikbranche steckt, fährt die Regler runter, bis das Blech säuselt.

*** Auch der Kabarettist und Leid-Artikler Dietrich Kittner gehörte zu Hannover, auch er wurde in dieser Kolumne erwähnt als einer der Undogmatischen, der Kritiker, der Denkspaßmacher all jener, die sich nicht einlullen lassen von den "Verhältnissen". Natürlich durfte Kittner nicht im Deutschen Westfernsehen auftreten, er hatte Auftrittsverbot. Zu schlimm seine ständigen Warnungen vor der Aufrüstung und später, nach der Vereinigung, vor dem großen Sozialabbau für den Aufbau Ost. Wer die alberne Debatte verfolgt, ob ein seichter TV-Moderator und Lena-Promoter das Kanzlerduell durchführen soll, kann sich schon nach einem wie Kittner sehnen. Nun ist Dietrich Kittner tot und alle reden von Verlust, doch die Wut auf die "Verhältnisse", sein "Frostschutzmittel", ist reichlich vorhanden. Sie hilft gegen den Burnout wie ihn der Papst ereilte, der am Ende gar die christliche Anarchistin Dorothy Day lobte.

** Stirbt ein Journalist, denkt ein Journalist an den letzten Text des Verstorbenen, den er gelesen hat. Bei Christian Semler war dies ein Stück über die große Weltkarte der Surrealisten, die 1929 gezeichnet wurde und nun in der Berliner Sammlung Scharf-Gerstenberg hängt. Während heute durch Daten gefütterte verzerrte Weltkarten ein Klacks oder nur einen Klick weit entfernt sind, war 1929 große Kunst und politische Kritik am Pseudoobjektivismus der herrschenden Kartografie zugleich. Christian Semler beschreibt in seinem Text nicht nur die Weltkarte. Die große gut besuchte Kolonialausstellung 1931 in Paris wird erwähnt, von da geht es zur Gegenaustellung Die Wahrheit über die Kolonien und schließlich endet der Text mit einem Zitat von Friedrich Engels: "Ein Volk, das andere unterdrückt, kann selbst nicht frei sein". Er ist ein Vermächtnis des Mannes, der einstmals in China und Kambodscha den neuen Menschen am Werke sah und sich damit irrte. Zeit für den Abschied, die geballte Faust über den Gräbern.

*** Im Deutschlandradio hat die CCC-Sprecherin Constanze Kurz die Geschichte von der Einstellung des Peerblogs nach einer DDoS-Attacke als PR-Geschichte abgetan. Dagegen will die verantwortliche PR-Agentur Steinkühler vorgehen, notfalls mit juristischen Mitteln. So kommt es, das aus dem kleinen Internet-Fettnäpfchen des darin sehr begabten Peer Steinbrück ein großer Fettklotz à la Beuys wird, wenn selbst der Service Provider Strato abstreitet, eine DDoS-Attacke gemessen zu haben. Während andere Attacken problemlos gemessen und analysiert werden können, ist der Angriff auf den Netz-Peer nachgerade ätherisch. Warten wir auf den nächsten Schritt ins nächste Näpfchen. Der Internet-Wahlkampf im Jahre 2013 zieht an und dürfte lustig werden. Fehltritte hier, Scheiße am Schuh dort, umgebogene Umfragen und Wikikriege bei den asiatisch aussehenden Gelben. Nur bei den mit dem Christentum im Namen ist alles OK, sieht man vom Rücktritt des Gottesteilchens ab.

*** Fast alles. Denn lustige Geschichten gibt es auch dort, wo das Kreuz den aufrechten Gang substituiert. Etwa von einem Innenminister und CSU-Politiker, der in dieser Woche Hals über Kopf die geplante Teilnahme an einem Polizeikongress absagte. Die Peinlichkeit, einem Kongress der Cyberermittler und Netzspezialisten zu erklären, warum Mail-Postfächer im Pressereferat des Ministeriums angeblich nicht über neun MB hinaus gehen dürfen, hätte wohl den einen oder anderen Lacher provoziert. Vielleicht gibt es statt IMAP ein echt bayerisches "I Mag Net"-Protokoll im bundeseigenen Regierungsnetz, das penibel vom BSI überwacht wird. Leider gerät mit den unsinnigen technischen Argumenten das eigentliche Problem aus dem Blickfeld, das Durchstechen einer Islam-Studie zu einem Boulevardblatt. Das machte aus den wissenschaftlich festgestellten guten Bewertungen junger unchristlich orientierter Menschen eine Schock-Studie. Mit der Veröffentlichung der Studie sollte eigentlich die Aktion "Vermisst" im Rahmen einer "Sicherheitspartnerschaft" mit islamischen Verbänden gestartet werden. Wer heute nach der schick aufgemachten Web-Präsenz sucht, ist sooo 404. Wahrscheinlich hat der Sicherheitspartnerschaftsbeauftragte auch nur neun MB HTML-Parkraum und musste kürzen. Was seinerzeit übrig blieb, ist eine "aus Versehen" durchgeführte Plakataktion im lauschigen Berliner Stadtteil Neukölln.


*** Bill Gates programmiert noch, in C C# und Basic. Dies konnte man jedenfalls der lustigen Fragerunde Ask Bill entnehmen. In ihr zeigte sich Gates erstaunt darüber, wie wenig sich die Programmiersprachen doch entwickelt haben und meinte dann, es müsste kinderleicht sein, eine Sprache zu erlernen. Ich habe keine Ahnung, ob Gates da den Bedrohungs-Report von AVG gelesen hat, nach dem 13-Jährige schlimme Malware entwickeln. In der deutschen Pressemitteilung von AVG über die jungen Verbrecher heißt es:
"Wir haben einige Beispiele von sehr jungen Menschen gefunden, die Schadsoftware schreiben, inklusive eines elfjährigen kanadischen Jungen", erläutert Yuval Ben-Itzhak, Chief Technology Officer bei AVG Technologies. "Der Code nimmt in der Regel die Form eines einfachen Trojaners an, der mit Hilfe von .NET framework geschrieben wird. Anfänger können die Funktionen dieser Software-Plattform einfach lernen und anwenden, indem sie den Code in einer E-Mail verlinken oder auf Seiten in sozialen Netzwerken posten."
Kinder statt Inder? Wie konnte es blos dazu kommen? Als größtes Defizit der aktuellen IT-Entwicklung bezeichnete Gates übrigens das Fehlen von guten Identitätslösungen im Netz, die es gestatten, auch unter Pseudonymen sicher aufzutreten. Damit zeigte sich der ehemalige Firmenlenker weit besser informiert als andere, die die Klarnamenspflicht zum Dogma erheben - und vor deutschen Gerichten damit vorerst durchkommen.

Was wird.

Genug der Trauer und der Trauerspiele. Eine neue Woche bricht an, mit dem bereits erwähnten Polizeikongress in Berlin. Dort, wo einstmals der CCC tagte und seine Mitglieder rausgeworfen wurden, wenn sie dort erschienen. Diesmal ist das Interesse offenbar gering, obwohl Facebook im Mittelpunkt der Debatten über "Schutz und Sicherheit im digitalen Raum" stehen wird. Das Fratzenbuch ist eine harte Nuss, zumindest für Polizeibeamte: Im Jahre 2009 wurde bekanntlich das Beamtenrecht reformiert und die altpreußische, obrigkeitsstaatliche Auffassung geändert, nach der ein Beamter eigentlich immer im Dienst ist. Erst danach durften sich Polizeibeamte in ihrer Freizeit auf StudiVZ oder eben Facebook aufhalten und quatschen, solange es nicht um dienstliche Sachen geht und die Pflicht zu politischer Mäßigung beachtet wird.

Die letztens schon erwähnte Debatte über die Drohnen geht weiter. Ein besonders gelungener Verteidigungsversuch ist die Argumentation, nach der mit Hilfe der Drohnen Menschlichkeit durch Präzision hergestellt werden kann. Wie das aktuell vonstatten geht, kann hier beobachtet werden: Peng. Was im Vergleich zu Collateral Murder fehlt, sind die Dialoge. Jaja, immer entscheidet ein grimmig guckender Mensch in einem affig aussehenden Tarnfleck-Anzug voller Abzeichen. Möge er lieber verliebte e-Mails statt Drohnen schicken.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 24 Februar, 2013, 06:00
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** This is a small web weekly column written in the north German low lands hosted by a lion hearted publisher in a nice building with empty spaces, a pond and two gorgeous ducks in it. With this column I mogrify my pleasure of having a Federal President Duck, eeham a Gauck giving his utmost important speech about Europe. Unfortunately, his speechie is in German. But there is hope at the end of the tunnel as we have the most nasty power protection right hurtfuller Google and its el cheapo translation service, which works, nicely or naughty: "It's true: the young generation grows up anyway with English as the lingua franca. But I think we should not just leave things to the linguistic integration of things. More Europe is not only multilingualism for the elites, but multilingualism for ever larger populations, more and more people, eventually for all! I am convinced that in Europe both can live side by side: at home in their own language and in their poetry and a practical English for all occasions and ages. With a common language could also be my preferred image for the future Europe easier to implement: a European Agora, a common discussion space for democratic coexistence." What a progress this is, from the days of President Lübke and his famous Brühler quote "Equal goes it loose" to Queen Elizabeth.

*** Gleich geht es los, ja das ist leider ein Fake gewesen, aber Lübkes Deutsch, das hatte schon die von Gauck auf Deutsch geforderte "Beheimatung in der eigenen Muttersprache und in ihrer Poesie" in schönster Blüte, wie am 13. August 1962 in Berlin: "Das freie Wort schlägt unter uns Brücken von Mensch zu Mensch". Natürlich nur unter der Bedingung, dass es nicht zu Protokoll gegeben wird. Berlin 2013 zeigt mit dieser Behandlung des e-Government-Gesetzes, die exakt 24 Sekunden dauerte, was mit dem freien Wort los ist. Besser kann das totale politische Desinteresse für De-Mail und für die qualifizierte Signatur für den neuen Personalausweis oder die elektronische Gesundheitskarte nicht illustriert werden. Was wird mit all den angeblichen Verwaltungsvereinfachungen, denen ein "hoher Nutzen für unsere Bürger da draußen im Land" attestiert wird? Ganz zu schweigen vom schwärmerisch angegangenen Europa mit einer Agora, die durchweg englisch parlieren soll, aber "rechtssichere" Mail-Systeme kennt, die an der Staatsgrenze halt machen müssen. Ganz ohne Übersetzung, da mag jeder seinen eigenen Babelfisch nehmen: "Vielleicht könnten ja unsere Medienmenschen, könnte unsere Medeinlandschaft so eine Art europafördernde Innovation hervorbringen, vielleicht so etwas wie Arte für alle, ein Multikanal mit Internetanbindung, für mindestens 27 Staaten, 28 natürlich, für Junge und Erfahrene, Onliner, Offliner, für Pro-Europäer und Europa-Skeptiker. Was ist denn dieses Internet, wenn nicht ein Multikanal für alle, mit Chatrooms in jeder Sprache?

*** Seit dieser Woche ist das Internet vermessen, vom Anfang bis zum Ende. Stolz hat die Firma Pan Amp gemeldet, dass nach 8 Jahren die Vermessungsarbeiten beendet sind. Alle Router und Gateways sind aufgezeichnet, alle Latenzzeiten für die Ewigkeit gesichert, alle Traceroute-Sagas sind zu Ende erzählt. Auf Grundlage der Vermessung will die Firma Pan Amp länderübergreifende Routings aufgrund der Datenpaketlaufzeiten identifizieren können. Da kommt man doch ins Grübeln: Muss das Legen neuer Kabel nicht in Hamburg gemeldet werden, ditto das Schrauben an der Software, wenn mit ihr Latenzzeiten verändert werden? Wo ist der rote Warn-Button "Vermessungsarbeiten! Hände weg vom Internet!" zu finden? In Berlin, wo die Firma ihren Vermessungs-Coup auf einem natürlich europäisch angelegten Polizeikongress verkündete, warb sie für einen Deep Internet Packet Flag. Vor diesem Flag dürfte kaum ein Angreifer sicher sein, wenn Pan Amp ihn setzt. Es muss am Karneval liegen, dass Aprilscherze so früh im Jahr gemacht werden. Oder man will offenbar sich nicht lumpen lassen zur Feier des Geburtstages von RFC 3514 und fängt jetzt schon an, die Admins zu kitzeln.

*** Der vernünftigste Gedanke, der auf dem Polizeikongress geäußert wurde, kam wieder einmal vom BKA. Wieder einmal, weil schon auf dem Grünen Polizeikongress der BKA-Beamte Mirko Manske den wahren Satz zur fehlenden Vorratsdatenspeicherung sagte: "Wir kommen hier nicht weiter. Wir können nicht helfen, weil der Preis für die Gesellschaft zu hoch ist." In Berlin formulierte Manskes Vorgesetzter Jürgen Maurer die Frage so: "Die Gesellschaft muss einen Diskurs führen, ob sie Sicherheit in diesem Bereich haben will. Egal, wie man diskutiert, man muss sich hier entscheiden, ob man den Ermittlungserfolg haben will oder nicht." Maurers Pech war es, dass er auf diese Überlegungen unpassende Anmerkungen zur Privatheit folgen ließ. Aber damit ist die kluge Frage nicht beantwortet, was wir als Gesellschaft wollen. Maurers Frage stimmte sogar der AK Vorrat zu, ergänzte aber: "Wir sind der Meinung, dass man auf Ermittlungserfolge gerade dann verzichten muss, wenn die Mittel, die dazu notwendig sind, übermäßig und unverhältnismäßig Menschen- und Grundrechte beschneiden bzw. verletzen, und die freiheitliche Konstitution einer Gesellschaft in Frage stellen." Diese wichtige, von der Gesellschaft zu beantwortende Frage geht viel weiter als die Frage einer Brüsseler Strafzahlung. Dass Maurer auch von der datenschutzkritischen Spackeria gelobt wird, ist vielleicht der Anfang eines Dialoges.

*** Verflixtnochmal! Hätte ich noch so viele Haare, ich würde sie ausraufen. Da erwähnt man das Wichsen der Schuhe in der Kleinen Hexe, schon dreht sich der große Otfried Preußler um und fließt seines Weges weiter, wie es in einem Gedicht von ihm heißt. Es war schön, Kinder mit seinen Büchern aufwachsen zu sehen und mit bierernsten Linken darüber zu debattieren, was es mit der verfluchten Verführung zum Okkultismus auf sich hat. Leben wir nicht in einer restlos aufgeklärten Gesellschaft? Später lasen alle den Tolkien, die Kinder wie die Linken, und das kleine Gespenst klapperte mit den Schlüsseln vor Lachen. Okkult gesinnte Geister könnten noch anführen, dass Joe Weizenbaum, der Geschichtenerzähler der IT und Otfried Preußler im selben Jahr geboren sind. Nun ja: diese Wochenschau erscheint am Geburtstag von Jacques de Vaucanson, Steve Jobs und Judith Butler. Doch nur Philip Rösler feiert.

*** Feiern sollte man aber vor allem eine: Nina Simone, die in dieser Woche 80 geworden wäre und die nie eine Jazz-Musikerin sein wollte. "Jazz is a white term to define black people. My music is black classical music." Und sie insistierte:

We must begin to tell our young
There's a world waiting for you
This is a quest that's just begun.

Und was wohl auch heute noch gilt. Eine souveräne Seele. Ja.

Was wird.

Wenn es kein Kauderwelsch ist, dann dürfte das unsägliche Gerangel um ein Leistungsschutzrecht für deutsche Verleger beendet sein, noch bevor ein hastig gezimmerter Gesetzentwurf verabschiedet wird, der von Gerichten kassiert werden dürfte. Am kommenden Montag soll es eine weitere Anhörung zu diesem Lobby-Unfall geben, den besagter Philip Rösler so wegerklärbärt hat. Die geplante Abstimmung im Bundestag ist aus ungeklärten Gründen aus der Tagesordnung der Politiker getürmt. Was bleibt, ist die amüsante Geschichte einer Google-Kampagne mit einem durchaus treffenden Taxi-Vergleich, der in deutschen Taxis verboten ist. So bleibt die Frage vorerst offen, ob deutsche Taxifahrer von Restaurantbesitzern Geld verlangen dürfen, wenn sie ihnen Gäste bringen. Was bei Bordellen die Regel ist, muss auch für Google gelten, wäre vielleicht ein Umkehrschluss. Doch wer will schon logisch argumentieren, wenn es solche Texte über blinde Passagiere gibt? Vielleicht hilft eine okkulte Handlung wie das Einäschern einer Zeitung um Mitternacht, mit ausgepresstem Knoblauch und der Darbietung von Katzenfellen gegen all den Content im Internet. Vielleicht ist auch nur die Uhr der Verlegerverbände falsch eingestellt, wie beim kleinen weißen Gespenst.

Wie es sich für echte Ritter von den Gadget-Nüssen gehört, berichten ab heute Live-Blogs von der Mobiltelefon-Messe in Barcelona. Dahinter grummelt es gewaltig, die CeBIT erschüttert bald die norddeutsche Tiefebene. Es wird die letzte Computermesse sein, die man ohne Multimedia-Brille oder eben Google Glasses betreten darf. Spitzenleistungen der Industrie werden präsentiert, wie etwa 50 verschiedene Fleischsorten entdeckt werden können. So viel gibt es nur beim Jüngsten Gericht, nicht in einer Tiefkühllasagne.

Damit es nicht ganz im Messetrubel untergeht, sei vorzeitig auf eine kleine Dokumentarfilmsendung aus Israel verwiesen, die Arte und ARD hintereinander unter dem idiotischen Titel Töte zuerst ausstrahlen, weil das Wort "Gatekeeper" bei uns angeblich für Journalisten reserviert ist. Die Gatekeeper sind sechs ehemalige Chefs des israelischen Inlandsgeheimdienstes Shin Bet, die überraschend realistische Einstellungen zur verpassten Zukunft von Israel haben.

Die Antwort auf Gaucks epochaler Europarede gibt es übrigens in Italien. Europahaha.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 03 März, 2013, 06:00
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Sisyphos war ein glücklicher Mann. Er türmte $indula $tbs auf $tbs, setzte ein knackiges $mfg drunter und fertig. Soweit eine der schönsten Sagen des klassischen IT-Altertums. Etwas realistischer ist die Geschichte von Len Deighton, dessen 1970 erschienener Roman Bomber das erste Buch war, das mit den Mitteln der Texverarbeitung geschrieben wurde, einschließlich der Nutzung von Textbausteinen. Bomber erzählt die Geschichte eines missglückten Flächenbombardements der Royal Air Force im 2. Weltkrieg, in dem der Marktflecken Altgarten vernichtet wird. Aber auch hier fehlt die ganze Wahrheit: Len Deighton nutzte eine normale Schreibmaschine und schrieb Kürzel ähnlich wie Jack Kerouac, dessen Buchcover "Unterwegs" Deighton illustrierte. Die Geschichte mit den Textbausteinen passierte in seinem Arbeitszimmer, doch die Bausteine türmte jemand anderes: Die wahre Sisypha war Ellenor Handley, Deightons Assistentin, die in kürzester Zeit die Technik der Textverarbeitung auf der IBM MT/ST erlernte. Frauen, Büsroassistentinnen genannt oder Sachbearbeiterinnen, manchmal auch schon Phonotypistinnen, brachten es auf den ersten Geräten wie der MT/ST zu großer Meisterschaft. Doch wer erzählt schon die Geschichte einer glücklichen Frau? Statt Ellenor Handley kassiert Len Deighton den Ruhm, was vielleicht zu der Geschichte passt, dass mit Ulrich Steinhilper ein deutscher Jagdflieger die Bestimmung der Textverarbeitung analog zur Datenverarbeitung durchsetzte. Er wurde am 27 Oktober 1940 bei der Luftschlacht über Deightons Heimatland abgeschossen.

*** $indula: In diesem unseren Land bereitet sich diese unsere Bundeskanzlerin auf die CeBIT vor und ist davon überzeugt, dass das Internet "ganz automatisch mit allem verschmelzen wird, was wir im Leben tun". In ihrem Video-Podcast hofft sie auf bessere Chancen für Internet-Startups. Private Investoren können ab dem 1. März einen neu aufgelegten "Investitionszuschuss Wagniskapital" erhalten, wenn sie in junge Technologieunternehmen investieren, um deren Eigenkapital zu stärken. Ja, Deutschland tut etwas für das alles einschmelzende Internet! Man denke nur an die vergangene Open Education Week und den Moodle-Kongress: Freies Lernen mit freien Inhalten! Offensichtlich gibt es aber zwei Internets $indula. In dem anderen freut man sich, das dank des unter Protest doch noch verabschiedeten Leistungsschutzrechtes nun Textbausteine vor Gericht geschleppt werden können: "Man kann lange darum kämpfen, und Anwälte und Gerichte werden das tun, welche Textbausteine künftig lizenzpflichtig sein werden." Auf "Dieser Satz kein Verb" folgt "Dieser Satz keine Leistung", und Journalisten winken neue Jobs als Suchmaschinenschnippseloptimierer, nur nicht beim Bayernkurier, dem einzigen Blatt mit der Nosnippets-Option. Hurra und Fiderallala, nach der Melodie von gah von mi:

Es gilt zu berich­ten, was neu­lich geschah,
Im Dienste der Presse und Ver­le­ger­schar
Fide­ra­lalala Fide­ra­lalala,
Im Dienste der Presse und Verlegerschar:

Es wurde beschlos­sen, dass Google sogar
Lizen­zen benö­tigt fürs Tra­lalala
Fide­ra­lalala Fide­ra­lalala,
Lizen­zen benö­tigt fürs Hopsassasa

Im Meer vol­ler Lügen schwimmt Keese und Co.
Sie haben gewon­nen und freuen sich so.
Fide­ra­lalala Fide­ra­lalala,
Die haben gewon­nen und freuen sich so.

Ver­lie­ren den Krieg und gewin­nen die Schlacht
Und kön­nen nicht hören, wie Google laut lacht
Fide­ra­lalala Fide­ra­lalala,
Und kön­nen nicht hören, wie Google laut lacht

*** Google lacht und stellt die "Deutschland-Ausgabe" von news.google.de per default auf "Schlagzeilen" um. Mehr ist nicht nötig, Fideralalala. Drum Leistung, wem Leistung gebührt: Der volle Text dieses Volxliedes von Polyhem findet sich bei Stefan Niggemeier in den Kommentaren. Ja, das neue Recht wirft viele Fragen auf, nicht zuletzt eine zum Abstimmungsverhalten der Polit-Prominenz. Folgt die große Klatsche im Bundesrat – der nicht ablehnen, nur das Scheinschutzgesetz in den Vermittlungsausschuss schicken kann?

*** Das wichtigste Dokument dieser Woche kann man hier lesen oder hier oder hier, vielleicht auch einmal hier oder gar hier. Die multiple Verlinkung möge verhindern, dass das Dokument eines Tages verschwindet. Denn es ist die Verteidigungsrede von Bradley Manning, die sich sehr anders liest als die heroischen Worte, die seine Unterstützer gerne veröffentlichen. Es ist die Geschichte von der Entstehung eines Zweifels, der in einer großen Verzweiflung endet. Es ist eine Rede, die von der Gewissensnot eines US-Gefreiten berichtet, aber auch von der Empörung über die Arbeit der "Embedded Journalists" vom Schlage eines David Finkel. Manning liest zuerst einen Zeitungsartikel über Finkel, dann geht er zu Google Books und liest ein Excerpt aus Finkels Buch über die Good Soldiers im Irak. Finkel ist der Journalist, der die US-Soldaten im Jahre 2007 begleitete, die Mitarbeiter von Reuters aus dem Hubschrauber erschossen. Seine im Vagen bleibende Schilderung veranlasste Reuters zu Nachforschungen, die von der US-Armee blockiert wurden. Seine Schilderung des Vorfalls, als würde etwas den Irakis heimgezahlt und besonders die Szene, in der ein Sterbender das Freundeszeichen macht, verstörten Manning nachhaltig: Ein US-Soldat antwortete mit dem Stinkefinger. Erst als das Video bei Wikileaks erscheint, wird Finkel gesprächiger, ein Zeichen, das Manning zu weiteren Taten anspornt. Bradley Mannings Motivation ist das klassische Plädoyer eines Whistleblowers, der an die Fähigkeit seines Landes glaubt, in offener Diskussion Fehler zu erkennen und zu korrigieren. Es wird in die Geschichte eingehen:

" I believe that if the general public, especially the American public, had access to the information contained within the CIDNE-I and CIDNE-A tables this could spark a domestic debate on the role of the military and our foreign policy in general as [missed word] as it related to Iraq and Afghanistan. I also believed the detailed analysis of the data over a long period of time by different sectors of society might cause society to reevaluate the need or even the desire to even to engage in counterterrorism and counterinsurgency operations that ignore the complex dynamics of the people living in the effected environment everyday."

*** In einer früheren Vernehmung des Untersuchungsgerichtes hatte die vorsitzende Richterin den Chefankläger Angel Overgaard gefragt, ob Manning dieselbe Strafe drohte, wenn er die Dokumente direkt der New York Times statt Wikileaks gegeben hätte. Die Antwort war eindeutig: "Yes, ma'am". In seiner Rede berichtet Manning nun davon, dass er versucht hatte, die Washington Post oder die New York Times zu kontaktieren. Auch wollte er eine CD mit dem Material bei der Redaktion von Politico abgeben, doch schließlich endete es bei Wikileaks, wo er mit einem gewissen "Nathaniel" eine Chat-Freundschaft geschlossen hatte. Aus dem knappen "Yes, ma'am" schließt der Jurist Yochai Benkler, dass mit Manning und der juristischen Konstruktion seiner staatsfeindlichen Handlungen ein Exempel statuiert werden soll, mit dem das Whistleblowing in baldiger Zukunft entsorgt wird. Dass der Friedensnobelpreisträger Barack Obama diesem Rechtsraubbau seinen Segen gibt, ist einer der ganz miesen Witze der Geschichte.

Was wird.

Das Positive kommt natürlich aus einer bekannten Tiefebene. Die Sonne lacht über Hannover, wo sonst? Hier und nur hier startet am Montag die CeBIT mit Pressekonferenzen und Showeinlagen von Heise mittendrin. Wolken gibt es bei uns nicht, denn Wolkenschubsen ist angesagt. Das Leitthema ist bekanntlich die Shareconomy, von der Deutschen Messe ganz offiziell definiert als "Veränderung des gesellschaftlichen Verständnisses vom Haben zum Teilen." Potz Merkel, da verschmilzt was und das Internet ist auch noch dabei! Das Gesetz der Sharea ist einfach: Wir nehmen uns, was wir brauchen, und teilen, was wir haben, ganz wie damals mit den Spielsachen und Süßigkeiten. Und wo wir schon damals sooo friedlich Spielsachen und Süßigkeiten geteilt haben, ist es doch bombig, wenn wir in dieser "Facebookisierung der globalen Wirtschaft" auch kleine und kleinste Details teilen, die andere brauchen. Das betrifft nicht nur Snippets oder Textbausteine, sondern auch Kinderbrei und Katzenfutter. Wir brauchen z.B. alle über kurz oder lang einen neuen Personalausweis und teilen dann wunderbar unsere Daten, die neue Super-Duper-Selbstauskunft anzeigt.

Nein, nein, trotz aller Mails keine Lästereien über die pressemäßig rührige Piratenpartei, die morgen zum gepflegten Presse-Brunch ins Berliner St. Oberholz einlädt, um die Ergebnisse einer Umfrage unter ihren Mitgliedern zu präsentieren. Erinnerungen an die große K-Gruppen-Spaltung der 70er werden wach. Und Italien? "Doch mit den Clowns kamen die Tränen", heißt es in einem 25 Jahre alten Simmel-Roman über eine Terror-Attacke auf Gen-Techniker, der allenthalben schief zitiert wird. Schon dumm, dass Tränen fließen können.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 10 März, 2013, 06:00
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Der Wintersturm tobt über der norddeutschen Tiefebene. Naja, noch nicht ganz, die schönste Stadt Deutschlands, die Perle eben dieser norddeutschen Tiefebene hat er noch nicht erreicht, in dieser Nacht, in der diese Zeilen auf einem dunklen Parkplatz dem zuständigen Redakteur übergeben werden. Andere Stürme tobten aber schon: Ja, Merkel hat wirklich die CeBIT eröffnet und beim Messerundgang brav den polnischen Gemeinschaftsstand eröffnet. Danach ging es husch husch weiter, etwa zu Vodafone, wo Emmas Enkel eine selten dämliche Idee vorführte, einen Online-Shop als Offline-Ausgabe. Damit war die Woche der Kanzlerin noch nicht gelaufen, flugs ging es nach Polen und die Berliner Start-Ups wollten auch gefeiert werden. Dabei täte es den IT- wie Politik-Verantwortlichen vielleicht gut, sich mal ein bisschen länger in Polen aufzuhalten, und diese Luft zu schnuppern, die nach Aufbruch schmeckt und nach Ideen. Und nach einer IT- und Startup-Szene, die quirliger ist als Berlin, aber ohne Hipster auskommt. Berlin-Mitte ohne Hipster? Ein Traum. Ein Traum, der in Warschau und Krakau wahr wird, nicht nur im Nachtleben, sondern auch mit Netz-Ideen und IT-Projekten, die nicht den Copycat-Ruch vieler deutscher Start-ups an sich haften haben. Derweil rocken die Start-Ups in Hannover, in einer gammeligen Mensatisch-Atmosphäre, durch Tücher getrennt, den Tisch für 2000 Euro Mitmachgebühr. Da durfte denn auch der Bitkom nicht fehlen mit einem gepflegten Gejammer über fehlendes Wagniskapital, das steuerlich attraktiv gemacht werden muss. Wie wäre es mit einem Wagnislobbyvorsteuerabzugsschutzrecht, auf dass sich die junge BRD wie Barbados ausschreibt? Oder wir ziehen alle nach Warschau. Nur die Hipster dürfen nicht mit.

*** Etliche Kabinettsmitglieder hatten auf der CeBIT ihre Rundgänge zu verrichten und ihr Preisverteilergrinsen aufsgesetzt, auch wenn gute Miene zum Schienbeintritt gemacht wurde. Man nehme Bundesinnenminister Friedrich, der eine Wolke in der Hand halten durfte, gemeinsam mit Neelie Kroes. Danach ging es zum Stand von Lancom zur Abbitte, weil Friedrich auf dem IT-Gipfel in Essen davon gesprochen hatte, dass niemand in Deutschland noch Router bauen könnte. Natürlich kann Deutschland das, wir haben ja Lancom, das prompt zur Messe meldete, was deutsche Hochsicherheitsrouter so können. Sie haben einen zertifizierten Schutz vor Cyber-Kriminellen. "Die VPN-Router werden vollständig in Deutschland entwickelt und gefertigt und sind garantiert frei von geheimen Abhörschnittstellen, den sogenannten Backdoors. Damit gibt es keine versteckten Zugriffsmöglichkeiten für Cyber-Kriminelle oder z. B. ausländische Geheimdienste – ein großes Sicherheitsrisiko in vielen Geräten. Denn Angriffe im Bereich der Cyber-Kriminalität sind nicht nur wirtschaftlich, sondern oft auch politisch motiviert." O sancta simplicitas, für "BSI-Prüfnummer" reicht mein Latein leider nicht aus.

*** Abseits der üblichen Messe-Nachrichten beschäftigte die Cyber-Kriminalität die CeBIT, und wenn es dann zum geraunten Cyber-War kommt, glänzen die Augen – der "Experten" und der Hersteller von Hard- und Software. Am Vortag der Messe forderte der VDI, dass dringend mehr Fachkräfte für "Bedrohungen aus dem Cyberraum" ausgebildet werden müssen. Dann warnte der bereits erwähnte Bundesinnenminister vor Cyberangriffen auf IT-Systeme und Produktionsanlagen. Dann folgte die Nachricht, dass bald Schluss ist mit lustig bei Cyberangriffen. Schließlich tagte der deutsche IT-Planungsrat und beschloss ein neues Programm, Leitlinien gegen Cyberangriffe zu verfassen. Da fühlen wir uns alle doch gleich so sicher, da lasst uns ruhig schlafen und unseren kranken Nachbar auch.

*** Halt! Wo bleibt das Negative? Habe ich die jammernden Strafverfolger vergessen, die immer ein paar Schritte hinter den Cyberkriminellen sind? Natürlich wurde ihre Klage von mangelnden Ermächtigungen wie der Vorratsdatenspeicherung auch auf der CeBIT eindrücklich vorgetragen, mit leichten Einschränkungen, dass es bei entsprechendem Aufwand auch ohne diese Vollerfassung der gesamten Bürgerkommunikation geht. Und dann diese schreckliche Cloud, wo niemals wirklich klar ist, wo die Daten liegen, in Deutschland, in Irland oder im Spülkasten des Klos, wie bei ordentlichen analogen Verbrechern. Ist es nicht interessant, dass es ganz supertolle Alukappen gibt, die keine Chance für Datenschnüffler lassen, weder für die Cops noch für die Cracks? Lasst uns doch ruhig schlafen und das BKA seine Arbeit machen. Fleißig sind die besten deutschen Kriminalisten dabei, die Ungereimtheiten in ein Versmaß (PDF-Datei) zu packen, das wiederum Juristen akzeptieren. Nun ist die von Bürger-Hackern geforderte "Quellencodetransparenz" Bestandteil des staatlichen Ausschreibungsverfahrens, wenngleich mit der schienbeintrittigen Einschränkung, dass Datenschützer selbst nicht den vollen Code einsehen dürfen, sondern nur die Prüfberichte.

*** Was bleibt, sind Klagen über diese Clouds, gekoppelt mit der Beschwörung von besonders guten, todsicheren deutschen Clouds und europäischen Gebilden, die nicht ganz so sicher sind. Europa wächst halt zusammen wie ein ungeschienter Beinbruch. Während die einen jammern, erklären die anderen unverblümt, dass alles seinen Tag hat. So erklärte die Bundesregierung in dieser Woche in einer kleinen Antwort auf eine parlamentarische Anfrage der Linksfraktion, dass es dem Generalbundesanwalt im Juli 2012 gelang, über ein Rechtshilfersuchen an die USA, bei dem ein Cloud-Dienstleister die "vollständigen Inhalte eines dort von einem Beschuldigten eingerichteten Speicherplatzes zu erheben und zur Verfügung zu stellen", ohne Probleme erledigt werden konnte. Auf Grundlage eines Vertrages vom Oktober 2003 über die Rechtshilfe in Strafsachen und einem kleinen Cyber-Zusatz vom April 2006 müssen Cloud-Delikte nicht auf dem Elefantenpfad herumtrampeln, sondern werden zügig erledigt, damit wir weiter schlafen können, und unser Nachbar auch.

*** Diese kleine Wochenschau hat sich oft genug über das unsinnige Leistungsschutzrecht ausgelassen und kann daher nicht die nächste Woche im Wandkalender aufschlagen, ohne diese Erklärung der Basis zu erwähnen. Am besten gefallen mir die Kritiker, die darauf hinweisen, dass ein Gesetz, wenn es denn beschlossen wird und im Bundesgesetzblatt veröffentlicht ist, von allen befolgt werden muss. Die kleinkrämerische Argumentation erinnert an den von Edmond Wilson im finnischen Bahnhof in den Umlauf gebrachten Spruch von Lenin, dass sich die deutschen Sozialisten eine Bahnsteigkarte kaufen würden, wenn sie denn einen Bahnhof stürmen wollten. Dass es zivilen Widerstand gibt und geben muss, gegen unsinnige Gesetze und Verordnungen, dass ist den Gesetzestreuen ein schweres Rätsel, das sie nicht lösen können. Zwischendrin im Lob für diese Aktion und im heftigen angehesselten "schämt euch" sitzen die Kritiker, die nicht zwischen Urheberrecht und Leistungsschutzrecht unterscheiden können. Vielleicht ist es sinnvoll, zwischen einer Hamburger Erklärung und dieser Hannoveraner Erklärung zu unterscheiden. Wahrscheinlich wird auch das nicht helfen, denn Hamburg und Hannover beginnen mit Ha, das ist verschwörungstechnisch sicher Beweis genug.

*** Ein Nachtrag auch zum Fall Bradley Manning aus dem letzten WWWW und seinem Plädoyer, das die US-Armee im genauen Wortlaut bislang nicht veröffentlichen will. Die öffentliche Wirkung könnte wohl zu stark sein. Was auch in Erinnerung bleiben sollte, ist die Geschichte von Robert Meeropol, dem Sohn von Ethel und Julius Rosenberg, die 60 Jahre vor Manning wegen Spionage hingerichtet wurden. "Die Menschen haben ein Recht darauf, was ihre Regierung in ihrem Namen macht", heißt es in Meeropols Verteidigung von Bladley Manning. Ein schlichter Satz für Menschen mit Gewissen, ein schlechter für die Regierung, die das Thema Manning möglichst geräuschlos entsorgen will.

*** Wo wir schon bei traurigen Themen sind: Er wurde allzu oft unterschätzt. Nun ist er tot. Alvin Lee, einer der besten Gitarristen, machte sich nichts daraus, eine Zeit lang als schnellster Gitarrist der Welt tituliert zu werden. In Woodstock wurde er mit seinem "Going Home" berühmt, mit Ten Years After begleitete er nicht nur meine Jugend. Manchmal muss ich einfach heulen. Nicht nur, weil es der Titel meines Liebingsstücks von der 73er Live-Aufnahme ist.

Was wird

Nun warten wir alle auf den Schneesturm, der auf die CeBIT folgen soll, wie von kundigen Wettersatelliten ausgespäht. Was anderes können sie nicht, denn ihre Flughöhe ist dafür zu hoch. Zum Spähen haben wir bekanntlich einen hübschen Flieger namens EuroHawk, der nach neuesten Angaben nicht eben billig ist. Über die ach so bösen Drohnen wird hier diskutiert, wahrscheinlich so folgenlos wie hier. Was bleibt, ist noch die Theorie, dass all die Diskussionen enden, wenn Drohnen niedliche Katzenbilder machen. Schmeißen wir den Pudding an die Wand.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 17 März, 2013, 06:00
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was                                                                                             001000
war.                                                                                             001010
Vorschub                                                                                     001020
                                                                                                    002000
 Noch liegt die norddeutsche Tiefebene und mit ihr die Perl        002010
 e, die schönste Stadt Deutschland im Schnee, doch gärt un      002020
 d rumort es in Ställen. Selbst der auf den Feldern ausgero        002030
 llte Mist dampft anmutig in Erwartung des Frühlings, wenn        002040
 diese kleine Wochenschau auf einem Parkplatz als Lochkar       002050
 tenstapel den Besitzer wechselt, um in die große Web-Mas       002060
 chinerie eingespeist zu                                                               002070
werden.                                                                                       003000

*** So in etwa dürfte ein auf Lochkarten gespeichertes WWWW aussehen, mit Vorschub und Stapelzähler am Ende der 80 Stellen der klassischen Lochkarte. Jeder Versuch, in diesem Format Links unterzubringen, scheitert am Medium. Auch das früheste mir zugängliche Schreibprogramm, der Electric Pencil unter CP/M, scheitert dabei, die nötigen Verlinkungen auf eine Datasette zu speichern. Der drängende Leserwunsch kann also nur simuliert werden. Das wiederum passt prima zum heutigen Journalismus, in dem ein Regierungssprecher per Anruf ein unbequemes Interview zensieren kann. Wie gut, dass der IT-Branche solcherlei Einflussnahmen unbekannt sind und all die Updates in den Tickermeldungen allein aus sachlichen Gründen erfolgen.

*** Im Trommelfeuer der Meldungen über Samsungs Galaxy S4 ist es andererseits schwer, sachlich zu bleiben, wenn die Gläubigen von Samsung und Apple sich in den Foren streiten. Was hat uns diese Woche nicht alles gebracht: eine Religion bekam ihren überlebenswichtigen Papst, eine andere verlor ihren lebenswichtigen Reader. Vielleicht die schönste Nachricht kam von den Gläubigern, die die Religion des freien Marktes anbeten: Schluss ist's mit der laschen Zahlungsmoral, ab jetzt herrscht eiserne Zahlungsdisziplin und das sogar europaweit!

*** Europa? Der König rief, und alle, alle kamen, die Waffen mutig in der Hand, tralala. Heute vor 200 Jahren erschien der Aufruf An mein Volk, mit dem sich der preußische König Friedrich Wilhelm III erstmals direkt an sein Volk wandte. Alle sollten zu den Waffen gegen die napoleonischen Herren, oder aufhören, Preuße und Deutscher zu seyn. Die verhängnisvolle Vaterlands-Rhetorik ist erstaunliche 200 Jahre jung: "Es ist der letzte, entscheidende Kampf, den wir bestehen, für unsere Existenz, unsere Unabhängigkeit, unsern Wohlstand. Keinen andern Ausweg gibt es, als einen ehrenvollen Frieden, oder einen ruhmvollen Untergang. Auch diesem würdet Ihr getrost entgegen gehen, um der Ehre willen; weil ehrlos der Preuße und der Deutsche nicht zu leben vermag." Passend dazu wurde das Eiserne Kreuz geprägt, die passende Auszeichnung für den einfältigen deutschen Todeskult bis hinein in den zweiten Weltkrieg, wo es Eiserne Kreuze regnete. Heute ist es angeblich der "Ausdruck von Bürgermut". Vielleicht kommt noch der kontaktlose Eisenchip mit Eichenlaub und RFID als e-Kreuz, für die Beaufsichtigung von Tötungsrobotern und waffentragenden Drohnen.

*** Napoleon wurde mit russischer Hilfe geschlagen und später dann ging es unter dem nächsten Preußenherrscher gegen die Freiheit im Innern. Mit einer "in einer schauspielerischen Höchstleistung" proklamierte Friedrich Wilhelm IV in An mein Volk und die deutsche Nation, dass Preußen in Deutschland aufgehe - nur um der demokratischen Märzrevolution den Wind aus den Segeln zu nehmen. "Ich übernehme heute die Leitung für die Tage der Gefahr", so wollte sich der Preußenkönig als starker Führer präsentieren. Wer sich nun fragt, was dies im WWWW zu suchen hat, kennt nicht die dieser Tage gescheiterten Versuche, den 18. März der Märzrevolution und der ersten freien Volkskammerwahlen als deutschen Gedenktag im Kalender zu verankern. Die Erfolge der Bürgerinitiative sind bescheiden: Ein paar Flaggen wehen und vor dem Brandenburger Tor liegt der Platz des 18. März. "Wir sind das Volk", ist lange kein politischer Slogan mehr, sondern eine spannende Frage für Markenrechtler.

*** Zu den kleinen, verkannten Revolutionen und Revolutiönchen gehört der Erfolg der Electronic Frontier Foundation im Streit um den National Security Letter. Mit diesem US-amerikanischen Ermittlungsbeschluss des FBI wurde den Providern und Betreibern sozialer Netzwerke ganz spezielle Daumenschrauben bei Auskunftsersuchen angelegt. Wer im Namen der nationalen Sicherheit zur Auskunft verpflichtet wurde, durfte darüber nicht einmal reden. Das sei ein Verstoß gegen die Verfassung und die Freiheit der Rede, befand das Gericht. Noch ist nicht klar, ob die US-Regierung oder das FBI Einspruch erhebt, das angeblich Hunderte solcher National Security Letter verschickt haben soll. Das deutsche Gegenstück dürfte in den Auskunftsersuchen "zur Erfüllung ihrer Aufgaben" zu finden sein, die unsere Geheimdienste an Provider richten, unter Kontrolle der parlamentarischen G10-Kommission. Wo es schwammig zugeht, lass dich unruhig nieder, in Heimlichheim singt man deine Lieder.

*** Während der aktuelle Innenminister Hans-Peter Friedrich industrielle Lobbyarbeit für den ePass betreibt, hat sein Vorgänger Thomas de Maizière ein Buch veröffentlicht, "An mein ^H^H^H^HDamit der Staat den Menschen dient. Bekanntlich hat sich selbiger Innenminister einstmals aufgemacht, den Dialog mit der Netzgemeinde zu führen und dabei auch Richtlinien für eine Netzpolitik veröffentlicht, E-Konsultationen des gemeinen Netzvolkes inklusive. Lang ist's her mit Friede, Freude, Adhocracy, entsprechend wird de Maizière von manchen Netizen verklärt. Das er in allem das Internet nicht sonderlich ernst genommen hat, wird mit dem Buch recht deutlich, wenn es über Shitstorms und andere Netzproteste heißt: "Das finde ich lästig und ärgerlich, aber nicht bedrohlich. Und ich schließe nicht aus, dass man sich dagegen auch mal wehren kann. Technisch, in einiger Zeit." Wo die Technik regiert, wird es technische Mittel geben. Der zukünftige Bundeskanzler hat gesprochen.

Was wird.

Da schau an, es wird wirklich Frühling, die ersten Themen der re:publica 2013 liegen vor. In\Side\Out wird wohl zum Fanal des Netzfeminismus werden, aufmerksamkeitsökonomisch mit einem Internet dekoriert, das einen Minirock trägt. Das passt zwar nicht zu einer nüchternen technischen Sicht auf ein Netz, das wenig mehr als eine bemerkenswerte Sammlung von Standards ist. Aber es passt zum Netizen der Jetztzeit, der sich nicht einmal wundert, wenn er via Facebook von der Polizei verhaftet wird. Auf Post-Privacy folgt Pre-Crime, meint Datenzweifler Morozov. Der algorithmengesteuerte Mensch löst den testosterongesteuerten ab, die Fairness sinkt.

Mit einer Art kleinem Lochkartenstapel begann die Wochenschau, mit einem Sortierer endet sie. Wenn alle klugen verkarteten Sätze auf den Boden gefallen sind, kommt diese Maschine und macht pling. Doch damit nicht genug. Das rührige Computeum bittet für ein Projekt um die Mithilfe geneigter Leser. Wer noch im Besitz von USB-Floppy-Laufwerken ist, kann diese einem guten Zweck spenden. Denn es gibt sie noch, die Konferenzen, auf denen kleine gruene Maennchen bewundert werden können.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 24 März, 2013, 06:00
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Oh, der Frühling ist da, die Sonne lacht und Meister Frühling läßt sein blaues Band für Wahlgeschenke von hoher Qualität wieder flattern durch die Lüfte. Süße, wohlbekannte Düfte streifen ahnungsvoll das Land, in dem PIN-, PUK- und Passwort-Kombinationen schon bei Ordnungswidrigkeiten abgefragt werden können, wenn etwa die Hundescheiße in der Berliner Schneewehe stecken bleibt. Veilchen, Sozialdemokraten und Piraten träumen schon, wollen balde groß rauskommen im angehenden Walkampf. Horch, von fern ein leiser Harfenton!  Frühling, ja du bist's! Dich hab ich per Video vernommen!

*** Die wohlbekannten Düfte dieses Frühlings sind es wohl gewesen, die gestandene Sozialdemokraten wie Peer "ichkannkanzler" Steinbrück so in innere Aufruhr versetzten, dass er die Barrikaden der Märzrevolutionäre erkletterte, ähem, auf der CeBIT in Hannover ausrief: "Ich will digitale Freiheit! Das Leistungsschutzrecht ist schlichter Unfug." Nun aber ist ein Zwangsgesetz verabschiedet worden und die digitale Freiheit ein Stückchen weiter geschrumpft. Ausgerechnet die künftige Bundeskanzlerin Kraft entpuppte sich als Leistungsschutzziege, während Steinbrück den Part des Leistungssündenbockes beim Ehrlichmachen übernimmt. Dass die ehemals stolze deutsche Sozialdemokratie in Vorwahlkampfzeiten so vor der Macht der Verlegerverbände einknickt und ein "schlechtes Gesetz" (Steinbrück) durchwinkt, spricht mehr als 1000 Geldspendekonten. Man will halt gute (Springer-)Presse vom schönen Frühling bis in den verhagelten Herbst hinein und macht gute Mine zum blöden Spiel.

*** Wie es weitergeht, sagt uns ein ordentlicher Zitat-Happen zum schützenswerten Snippet Das Internet wird nicht sterben: "Es wird Abmahnungen geben von Idioten, die zehn vermeintlich kopierte Wörter als schutzwürdig erachten. Gerichte werden ihnen recht geben, weil im Gesetz schlichtweg nicht drin steht, was denn nun der Schutzgegenstand ist. Im Vertrauen darauf, dass das die Verlage schon verantwortungsvoll regeln." Schon heute hat der Wahnsinn Methode, wie es der Justiziar des kleinen Verlages in der norddeutschten Kaltebene zu berichten weiß, wenn Heise als dpa-Kunde von einem Unternehmen abgemahnt wird, das von dpa abgemahnt wird. Die dritte Ableitung ist dann der Wendepunkt des Wahnsinns vom schlichten Unfug.

*** Dagegen hülfe nur der feine Fug. Doch das Verhalten der SPD und besonders die herbe Harfentonart von Steinbrück hat viele Seifenblasen zum Platzen gebracht. Die Netzszene heult mit den immergleichen Sirenen und die ach so viel gepriesenen Internet-Rebellen stehen mit herunter gelassener Hose im arschkalten Frühling. Zum Aufwärmen gibt es dann einen ordentlichen Schienbeintritt gegen den Grünen Kretschmann bei den einen, während die anderen in der weiterziehenden Karawane wie Hunde heulen. Nico hat Recht: "So kommen wir nicht weiter in diesem Land, so nicht." Doch waynes interessiert das schon in der Politik? Ganz besonders mies ist der hochgelobte Blogger Fefe drauf, der den Piraten die Schuld für alles Mögliche gibt. Er verkennt, dass sich eine Nerd-Partei, bei der die soziale Härte in sozialen Netzwerken programmatisch ist, hart im Nehmen von persönlichen Fragen sein und "das Politische" hintanstellen muss. Das mag ein Abstieg sein, ist aber vor allem erst einmal ein typisch deutscher Weg. Auf so eine Sammlung an Niederlagen muss einfach mal mit der richtigen Portion Optimismus reagiert werden: "...wir sind viele, wir sind schnell, wir sind technisch superknorke aufgestellt, wir sind irre klug und verfügen über die Geduld und die Konzentration, um – oh, schaut Euch diese niedlichen Katzenbabys an!" Ja so ist das mit Deutschland im Frühling.

*** Angeblich ist ja das große Erinnern über Deutschland gekommen, nach dem dreiteiligen Fernsehdrama Unsere Mütter, unsere Väter, der gewaltigsten Auseinandersetzung nach dem sechszehnteiligen Aufklärungsbuch über die deutsche Art zu lieben. Die vermiedene Erinnerung wird anderweitig abgehandelt, nichts darf das reine Bild vom schmutzigen Krieg stören. So bleibt die schlichte Erkenntnis, dass man auf einen Film über die hemmungslose Führergeilheit der Deutschen noch ein paar Jahre warten muss. Wer kennt nicht den kleinen Roboter Josef in Machinarium, benannt nach dem Tschechen Josef Capek, dem wir die Worte Roboter und Automat verdanken. Zu seinem 125. Geburtstag gab es Feiern und Lesungen seiner Gedichte, die er im Konzentrationslager schrieb. Unsere Mütter, unsere Väter, das waren die Wachmannschaften, die von den Gefangenen gehaltene Vögel im Schnee erfrieren ließen, nur so aus Spaß, die unheimlicher waren als Maschinenmenschen je sein könnten.

Was wird.

Der Wikipedia entnehmen wir, dass eine technische Dokumentation unter anderem der "Information und Instruktion definierter Zielgruppen, der haftungsrechtlichen Absicherung des Herstellers" dient. Nun ist nach drei Jahren beim Projekt EuroHawk bekannt geworden, dass die technische Dokumentation des in den USA entwickelten Flugzeugs fehlt. Diese Erkenntnis kommt, nachdem bereits 600 Millionen Euro von 1,2 Milliarden Gesamtkosten in das Projekt geflossen sind. Die Erkenntnis kommt nicht alleine, sondern mit der Auskunft, dass die luftverkehrsrechtliche Genehmigung zusätzlich 500 Millionen kosten wird. Kombiniert man das Ganze mit der Einsicht, dass Militärdrohnen und ihre Fähigkeitserweiterung vom Sensor zum Effektor ein ungemein schlechtes Walkampfthema sind, wird klar, warum der geplante erste Start des Radar-Lauscherls mitten in der heißen Phase nichts wird. Der Vogel bleibt am Boden, die Waffen werden dem nächsten Cäsar vor die Füße geworfen wie nach der Schlacht von Alesia.

Nein, es wird nicht wärmer, warum auch. Zypern hat es warm. Das muss reichen. Wärmen wir uns mit der Hoffnung auf bessere Zeiten und haken das schnarchlangweilige Wissenschaftsjahr 2013 mit seinem Demografie-Thema jetzt schon ab, schließlich geht es bei der Kohortenfertilität bergauf und nein, das ist nicht von der römischen Armee in fast ganz Gallien inspiriert. 2014 steht an, zumindest bei den Planern der Wissenschaftsjahre soll dieses Jahr der "Digitalen Welt in Deutschland" gewidmet sein, diesem einzigartigen Biotop von Leistungsschutzrecht und Startups, mit Weltmarktführern wie Babbel, bekannt aus New York Times, Techcrunch und latürnich heise online. Warum es die Digitale Gesellschaft sein muss, die offensichtlich unseren Müttern, unseren Vätern in der Politik schnurzpiepegal ist, harrt noch der Aufklärung. Richtiger und wichtiger wäre es wohl, das nächste Jahr zum Jahr der Genetik auszufen und das Scheißegal-Gen zu feiern. Dafür klicke ich ganz schnell auf eine e-Petition, das ist sowas von zeitgemäß! Und niemand muss hinaus in das, was SIE "Frühling" nennen. Deswegen ist jetzt ein sommerliches Gesumm fällig, so abgeschnitten vom Wärmestrom.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 31 März, 2013, 00:10
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Das ist also Ostern. Schnee satt und der Osterhase legt frierend weiße Eier. Keiner sieht sie, keiner will sie suchen in der Kälte, wenn die Sommersonne weg ist. Immerhin ist der Goldhase höchstrichterlich gemeinfrei geworden, jedenfalls in der hockenden, eierlegenden Position, in der er seitwärts blickt. Doch das ist viel zu spät, wie diese kleine Wochenschau, die aus technischen Gründen erst nach der Sommerzeit-Umstellung in Netz gekippt werden kann. Ausgereifte CMSTechnik ist doch was Feines, Zartes, Goldhasiges.

*** Das ist auch Ostern: Im fernen Nordkorea ist der Krieg erklärt worden, Atomschläge nicht ausgenommen. Man hockt und blickt seitwärts nach Südkorea. Doch die blumig bunte Sprache von Naenara fehlt, nur die einschlägig bekannten Ostermarschhasen fordern friedliche Gesten. Ein Tarnkappenbomber voller Goldhasen wäre sehr friedlich, oder überschreitet das schon das Potenzial der regionalen Eskalation, das unser Bundesnachrichtendienst in Korea informationsgewinnend gefunden hat?

*** In dieser Woche wurde bekannt, das auch der BND in den Cyberkrieg ziehen will und deswegen eine kleine Truppe von 130 Mitarbeitern so aufrüsten will, dass sie die OSINT-Informationen von Firmen wie Kaspersky über die Uiguren verstehen und in die in die hauseigene Schusselpedia, äh, Chausseepedia einpflegen können. Wenn alles gut geht, landen dann öffentlich abgeschöpfte Information wie der ausgemachte Unsinn vom großen Internet-GAU in /dev/null. Bislang denkt man aber noch beim BND über das russische Schwarzgeld nach. Einem BND-Sprachspezialisten fiel offenbar auf, dass Rubel auf Russisch abhauen heißt.

*** Ist es eigentlich legitim, als mitdenkender Hacker für den Auslandsnachrichtendienst BND zu arbeiten und Cyberinformationen zu verdichten? Im Unterschied zum absolut nutzlosen Verfassungsschutz (ich wiederhole mich) und zum Bundes- bzw. Zollkriminalamt mit ihren sinistren Trojaner-Plänen voller Computersabotage ist die Informationsgewinnung nicht dazu da, die Rechner der Mitmenschen zu verwanzen und Dreitracht zu säen. Der Informationsdemontagedienst Fefe sagt nein und fährt sogar ganz schweres Geschütz auf, wenn es um das niederländische Sommercamp OHM - Observe, Hack, Make geht. OHM wird von der gemeinnützigen Stiftung "International Festivals for Creative Application of Technology" (IFCAT) veranstaltet, in der Menschen zur Festivalorganisation freigestellt wurden, die hauptberuflich beim niederländischen Dienstleister Fox-IT arbeiten. Außerdem ist Fox-IT ein Sponsor des Festivals, wie schon im Jahre 2009 beim Hacking at Random, wo sich niemand daran störte. Weitere Firmen: die Sicherheitsfirma Madison Gurkha und die Internet-Anbieter BIT und upc. Nun regnet es Abbestellungen aus Deutschland und Spiegel Online entblödet sich nicht, die "puristische(n) Auslegung der Hackerethik, wie sie der Chaos Computer Club offiziell vertritt," zur Richtschnur des Guten Deutschen zu machen. Aus dem Glück der CCC Veranstaltungs GmbH, für ihre Sommer-Festivals keine Sponsoren für 725.000 Euro zu benötigen, weil die jährliche Wintershow namens Chaos Communication Congress satte Gewinne abwirft, wächst der sehr moralische, sehr deutsche Zeigefinger.

*** Der Blick schweift nach Australien. Dort hat am Ostersamstag das Wahljahr begonnen, mit einem ganz besonderen Auftakt: 500 Menschen müssen sich als Parteimitglieder bei der Wikileaks-Partei einfinden, damit Julian Assange überhaupt zur Wahl antreten kann. Im Vorfeld der Aktion wurde der schwedische Beelzebub kräftig geschüttelt. Die Anhänger der Aktion zweifeln nicht, dass dies gelingen wird. derweil zerbrechen sich Juristen in Ecuador und Großbritannien den Kopf darüber, ob ein Mensch im "politischen Asyl" überhaupt Wahlkampf führen kann. Assange treibt ungerührt davon alles auf die Spitze, das ist seine Leistung. Ob er dabei tatsächlich das Internet entlarvt, wird sich zeigen müssen. Es ist wie bei den Ostereiern: Einige sind wundervoll bunt, aber ausgeblasen, andere sehen öde aus, sind aber lecker voll Eierlikör oder anderem Gedingse. Aber dieses Gelb, dieses wunderbare künstlerische Gelb-Fill-in, schlägt alle Hasen in die Flucht. Darum, was bleibt einem alten Sack denn schon um 3 Uhr morgens Sommerzeit anderes übrig als One Way or Another mitzuröcheln? Vielleicht ist es auch wirklich nur mal wieder Zeit, so richtig langsam tanzen zu lernen.

Was wird.

Was Ostern auch ist: Die paar besinnlichen Tage, bevor der ganze Wahnsinn der Aprilscherze über uns hineinbricht. Das war ursprünglich ein alter Brauch, den Frühling einzuläuten. In diesen Tagen müsste er eigentlich entfallen, Schnee zum Schippen gibt es genug. Entsprechend dümmlich sind auch die Kommentare des ACE, die behutsame Verbesserungen in der deutschen Jurtisten-Sprache sei als Aprilscherz ausgefallen. Eindeutig witziger ist der ADAC mit der Empfehlung, jetzt Sommerreifen aufzuziehen.

Es gibt sie noch, die wirklich witzigen Dinge! Zu ihnen gehört der Versuch der SCO-Zombies, ein Verfahren gegen IBM wieder zum Laufen zu bringen, in dem nacheinander die RichterInnen Campbell, Waddoup, Sam, Benson und Nuffer das Verfahren wegen Befangenheit abgaben. Knickten all die noblen Juristen vor IBM ein oder war der Geruch des toten Pferdes zu stark, das da von SCO zäh weiter geritten wurde? Von Groklaw am 26. März veröffentlicht, steht der Text natürlich außer Verdacht, ein blöder Aprilscherz zu sein.

Einen habe aber ich noch. Am 9. April wird SIS I, das Schengener Informationssystem der ersten Stunde, durch SIS II ersetzt. Das wurde so, allerdings mit deutschem Sondervotum, fast einstimmig beschlossen. Alle Mitgliedsstaaten des Abkommens migrieren dann innerhalb von minimal 28 Stunden oder maximal 36 Stunden ihre Datenbanken, obwohl die meisten den Fallback-Modus nicht ausgetestet haben. Für den Fall der Fälle gibt es natürlich einen Notfallplan: 36 Stunden sind eine lange Zeitspanne, jedenfalls aus der Sicht eines Admins, dem Fahnder an die Gurgel gehen. Deshalb soll ein bewährtes Gerät als Migrationshilfe eingesetzt werden. Da die alte Datenbank mangels Test des Fallback-Modus möglicherweise abgeraucht sein kann, ehe das neue System Supersystem startet, hat man sich für das gute alte Faxgerät entschieden: In God we fax!

Im Klartext heißt das: alle anfallenden dringenden Fahndungsnachrichten werden von allen an alle per Fax verschickt. Eigens zur Migration werden deshalb an diesem Osterwochenende in vielen Ländern Fax-Gateways in die Racks geschoben und geschraubt, dazu Dutzende von Not-Faxgeräten aufgestellt und drölfzig zusätzlich angemietete Telefonleitungen getestet, schließlich kann das Kommunikationssytem sTESTA auch geplättet sein. Der schon in dieser Wochenschau belästerte Gedanke, dass ein Meteorit das Wunderwerk treffen könnte, ist zum 9. April ausdrücklich verworfen worden: Die Nacht wird klar sein, über Europa, ein bisschen Schnee natürlich ausgenommen. Die Maschinen müssen es schaffen, im Namen der schengenischischen Freiheit. Die Größenordnung der europaweiten SIS-Umstellung verspricht also Spaß und Spannung ohnegleichen: Das für SIS-Angelegenheiten zuständige Büro beim Bundeskriminalamt verschickt nach eigenen Angaben täglich 1000 Fahndungsersuchen und bekommt annähernd das Doppelte von allen anderen Staaten. Und es braust ein Ruf wie Donnerhall: Einer faxt allen! Alle faxen einem! Ein Hurra auf unsere Faxetiere! Oder sollten wir es besser mit Knotenknüpfen versuchen?

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 07 April, 2013, 06:00
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Vor zwar Jahren flog sie über Japan und sammelte Daten nach der Nuklearkatastrophe in China, nun soll sie in Japan landen dürfen. Die Rede ist von der Flugdrohne GlobalHawk, die von Japan aus erkunden soll, was mit Einberufung einer Operationssitzung, endgültige Überprüfung und Unterschreibung gemeint ist. Will Nordkorea neue Konzessionen und humanitäre Angebote vom Ausland oder will Kim Jong-Un seine Macht als röhrender Papiertiger im Inland festigen? Irgendeine Art von Erfolg muss her, doch keiner weiß, wie der aussehen könnte. Vielleicht findet die GlobalHawk einen Hinweis, und sei es den, dass ihre Anwesenheit ein weiterer Affront ist in diesem seltsamen asymmetrischen Krieg der Fehlkalkulationen auf beiden Seiten. Besser jedenfalls als der Durchblick der taz, die einen Text über einen fiktiven Film der nordkoreanischen Propaganda schreibt und auf Kritik mit Zitaten des Querschlägers Henryk M. Broder antwortet, kann es allemal werden.

*** Drohnen sind die Kampfmittel einer postheroischen Gesellschaft, meint Herfried Münkler im Freitag. Sie stellten die Symmetrie wieder her, die durch die asymmetrischen Bedrohungen des Terrorismus geschaffen wurden. So, wie wir prinzipiell hilflos auf Selbstmordattentäter reagieren müssen, müssten Terroristen und Zivilbevölkerung auf die Schläge von oben reagieren. Dass es dafür nun auch noch Orden und Auszeichnungen gibt, hat seine eigene Logik. "Das Heldentum ist nicht mehr an die Gleichverteilung der Tötungschancen (wie bei den Jagdfliegern) gebunden. Das können sich die westlichen Gesellschaften aufgrund ihrer niedrigen Geburtenrate gar nicht mehr leisten. Deshalb zeichnet man Soldaten für Leistung aus, nicht für den Einsatz des eigenen Lebens." Neben dem Drohnenlenker hat auch der Programmierer alle Chancen, sein Eisernes Kreuz zu bekommen, erst recht die rastlosen Techniker und Admins, die die Daten/Kommunikation zur Drohne aufrecht erhalten. Ansonsten heißt es weiterhin Geschäft ist Geschäft, alle Daumen nach oben, die Zeichen stehen auf "Rise". Was übrigens ein hübsches Akronym für Risky Intervention and Surveillance/Maintenance of the Environment ist.

*** Bei Drohnen stellt sich ja nicht nur die Frage, wie man Engel zerstört. Auch unten am Boden, da, wo sich das Internet schlängelt, rumort es gewaltig. Evgeniy Morozov hat wieder einmal zusgeschlagen, mit einem Buch, wie das so seine Art ist. Während die freizügigen Piratinnen Klick mich rufen und amazonisch viele Negativpunkte bekommen, heißt es bei Morozov Click Here (to save everything), und amazonische Begeisterung macht sich breit: "Finally, I thought, our age has its thinker." Prompt wird Morozov von den einen als Hitman der Feuilletons niedergemacht, von den anderen als Augenöffner gelobt, dank dem ein paar Puzzlesteine in die richtigen Löcher fielen. Dabei spielt nicht so sehr das Buch eine Rolle, sondern eine Auskoppelung der Morozov-Studien über den Verleger Tim O'Reilly, den Meme-Hustler. Dieser Text enthält dermaßen viele Fehler, von der Herkunft des Wortes "Open Source" bis zur Verkennung der Wirkung von Dennis Ritchies Buch "The C Programming Language", dass die behauptete Dekonstruierung des Verlegers einfach nicht gelingen will. Dabei ist das Buch schon besser, stellt es doch die Frage, ob das Internet insgesamt nicht eine konservative bis reaktionäre Erfindung ist, die das bestehende System mit all seinen Ungerechtigkeiten festzimmert. Wie immer aber sind die Schnellschnüsse eben das: Schnellschüsse, die den eigentlichen Kern der Debatte nicht treffen. Die intellektuellen Drohnen sind genau so fehlgeleitet wie die physisch bewaffneten. Aber wem erzähle ich das ....

*** Hoffnung aber will nicht sterben: Die Debatte hat möglicherweise eben erst angefangen, nicht nur in Deutschland. Die Nachdenklichen brauchen auch keinen an Daten und Fakten verzweifelnden Morozov bei der einfachen Frage, warum arme Kinder, Ghettokinder eigentlich keine Start-Ups gründen, um aus der Armut herauszukommen. Die Antwort kann nicht Facebook Home sein, die Abgabe aller Lebensdaten unter dem gütigen Schutz von Mark Zuck-Un.

*** Damit ist eigentlich alles zu Facebook Home gesagt. Oder möchte noch jemand etwas zu etwas loswerden, was als die erste offen totalitäre Software in die Geschichte eingehen wird? Apropos Geschichte: Mit dem Projekt Offshore-Leaks hat der viel gepriesene Datenjournalismus der Zukunft ein erstes Zeichen gesetzt, etwa mit einer interaktive Karte, wo deutsche Oasenbauer wohnen. Das Nachsehen hat Wikileaks als Organisation, die immer noch über keine sichere Plattform zur Einreichung verfügt und daher mit den Beständen rechnen muss. Mit einem Teaser zu einem Projekt K will man die verlorene Aufmerksamkeit zurückholen. Außerdem droht man Offshore-Leaks via Twitter. Ob das gut geht? Bis dahin wird man sehen, wie sich Offshore-Leaks gegen die Begehrlichkeiten der Finanzminister in vielen Staaten zur Wehr setzen kann. Lob muss an die ungenannten deutschen Programmierer gehen, auch an die australische Firma Nuix, die kostenlose Lizenzen ihrer Software bereitstellte, für die offenbar kein Geld da war bei all den beteiligten Publikationen. Die Beschreibung der professionellen Qualitäten der 86 zugelassenen Investigativ-Journalisten stimmt allerdings nachdenklich:

"The project team’s attempts to use encrypted e-mail systems such as PGP were abandoned because of complexity and unreliability that slowed down information sharing. Studies have shown that police and government agents – and even terrorists – also struggle to use secure e-mail systems effectively. Other complex cryptographic systems popular with computer hackers were not considered for the same reasons. While many team members had sophisticated computer knowledge and could use such tools well, many more did not."

Verschlüsselung ist so schwierig, dass selbst Polizei, Nachrichtendienste und sogar Terroristen daran scheitern, von armen Journalismus-Hascherln ganz zu schweigen? Das ist eine Aussage, die nachdenklich stimmt. Vielleicht sollte die Telekom mit De-Mail als Sponsor bei Offshore-Leaks auftreten, weil alles per Default sicher ist und das Web-Interface so einfach. Ein Sponsoring in Opposition zur großen Zumwinkelei der Post hätte eine würzige Note, auch als Zeichen gegen wütende Kommentare von Oasen-Experten, die nun den schrecklichen Überwachungsstaat für Superreiche kommen sehen.

Was wird.

Heute vor 86 Jahren wurde in den USA erstmals eine Fernsehübertragung von Washington D.C. nach New York realisiert. Das für sich genommen denkwürdige Ereignis von AT&T landete nur deshalb nicht in den an Ereignissen reichen Annalen des Fernsehens, weil Herbert Hoover seine Eröffnungsansprache vornübergebeugt vom Blatte las und die fest montierte Kamera nur seine wackelnde Stirnglatze übertrug. Immerhin hatte AT&T das festliche Ereignis dokumentiert, anders als Motorola beim ersten Handy-Telefonat vor 40 Jahren. Ähnlich sieht es beim ersten Livestream ins Internet aus. Ob es wirklich TV-Aufzeichnungen davon gibt, als am 22. April 1993 die Version 1.0 des Mosaic-Browsers herauskam? Das Ereignis, das die Welt erschütterte, war ein schlichtes Release in einer Welt, die lieber über den Cyber-Sex räsonnierte, wenn man die IT-Geschichte des Westdeutschen Rundfunks zum Maßstab nimmt.

Was bleibt, ist der Hinweis auf einen anstehenden Livestream am Ende dieser Woche: Im schönen Bielefeld werden wieder einmal die Big Brother Awards verliehen, diesmal mit einer späten Sperrfrist von 20:00. Wer en detail verfolgen will, wie die glücklichen Gewinner der einzelnen Kategorien heißen, ist auf den Livestream der fernsehreifen Gala angewiesen. So soll die Spannung hoch gehalten werden, bis zum letzten Ball. Vielleicht passiert auch hier das Unfassbare, dass Preisträger ihre unredlich verdienten Statuetten für ihre Datenspeicher abholen, ganz ohne irritierende "Lichtreflexe". Wenn den Zuschauern vor Ort oder im Internet das eine oder andere Licht über das allgemeine Datenschnüffeln aufgeht, sollte es reichen.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 14 April, 2013, 07:00
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Die Zeitung stirbt, genauer die Tageszeitung. Die Magazine, Sonntagszeitungen und Wochenzeitungen leben etwas länger, aber auch sie werden aussterben. Papier hat keine große Zukunft, wenn der Frischfisch in Folie eingeschweißt wird. Was bleibt, ist die eigens gedruckte Feiertagszeitung zum Geburtstags- oder Hochzeitstag, sofern diese Tage vor dem Zeitpunkt liegen, an dem die letzten Tageszeitungen sterben. Natürlich sind das traurige Sätze für die, die mit dem Zeitungslesen bestimmte Erinnerungen verbinden und sei es die Lektüre eines Blattes mit großen Buchstaben und einem Matthäus-Komplex. Das Drucken auf toten Bäumen kam richtig in Fahrt, als William Bullock die Rollen-Rotationsmaschine so verbesserte, dass Zeitungen in Massen billig produziert werden können. Er erfand "die solideste Maschine, die je Papier bedruckt hat". Am Anfang der modernen Tageszeitung stand der Tod Pate: Heute vor 200 Jahren geboren, starb Bullock kurz vor seinem Geburtstag an den Folgen eines Wundbrands, nachdem sein Bein in eine seiner Druckmaschine geraten war. Damit gehört unser Mann zur illustren Gruppe der ErfinderInnen, die durch ihre Erfindungen starb.

*** Das Lamentieren über den Tod der Zeitung passt in eine Woche, in der beim Spiegel die beiden Chefredakteure an die Luft gesetzt wurden, weil sie "maßgeblich dazu beigetragen [haben], den SPIEGEL als ein weltweit beachtetes kritisches Magazin und SPIEGEL ONLINE als führendes journalistisches Angebot im deutschsprachigen Internet zu positionieren und weiterzuentwickeln". Der Rauswurf erfolgte nach einem lütten Snack der Mitarbeiter KG, wie das auf Hamburgisch heißt, hat aber seinen eigentlichen Grund darin, dass man an einer Paywall für das führende Angebot im deutschsprachigen Internet bastelt. Die Zeitung stirbt, der Journalismus lebt weiter und seine 40.000 deutschsprachigen Produzenten müssen ja von irgendetwas leben.

*** Eigentlich ist das alles kein Problem. Mit einer kleinen, einfachen Gesetzesänderung könnte man dekretieren, dass alle Menschen mit 40 Jahren sterben, äh sanft entschlafen werden. Die unter 40-Jährigen lesen aus Zeitmangel keine Zeitung mehr und wer dann noch Journalist ist, hat nur noch Zeit, sich auf große, bedeutende Netz-Berichte zu konzentrieren, die geflattrt werden oder für die es gute Bitcoins und Crowdtaler gibt. Keine Zeit für Sponsinn über den Orgasmus oder den Tod einer alten Hexe. Gerade bei einem Schreckgespenst wie Margaret Thatcher ist der Datenjournalismus ein gutes Antidot.

*** Der Verlierer dieser Woche ist Microsoft. Das führende Angebot titelte mit einem Zitat: Windows 8 hat versagt und meinte damit, dass der Tiefstand der PC-Verkäufe mit der Einführung der Kachelei zusammenhängt. Ist es wirklich ein PC-Desaster? Vielleicht ist der PC schon so tot wie die Tageszeitung, weil das Spaß&Spiel-System für die Konsumenten ein Tablet ist. Fett ausgestattete Desktops mit satter Videokarte werden vielleicht nur noch von den Bitcoin-Mineuren benötigt, dazu die Laptops für den Rest der arbeitenden Klasse. Man kann halt nicht alles haben, wir sind schließlich nicht in Alice's Restaurant.

*** Die Gewinner dieser Woche haben alle einen Big Brother Award bekommen. Das führende Angebot hält diese seit Jahren eingeübte Zeremonie zwar für ein rituelles Schattenboxen und sehnt sich nach der Wucht der früheren Jahre. Dass einstmals Preise für Datenkraken an Aktionen wie die Privacy-Karte gekoppelt waren und lustige Enttarnungen durchgeführt wurden, die Reaktionen zeitigten, wird mit aller Wucht vergessen. Aus dem einst kleinen FoeBuD ist Digitalcourage geworden und die Forderungen sind entsprechend groß. "Google zerschlagen", das hat was, wo googlen im Wörterbuch steht und drauf und dran ist, als Kirche etabliert zu werden. In dieser Woche hat sich Google dran gemacht, sich um unser Nachleben zu kümmern, wenn wir gestorben sind wie eine Zeitung.

*** Google zerschlagen, das klingt größenwahnsinnig, hat aber den teuflischen Kern, der in dem netten Suchpudel steckt. Mit Streetview hat Google unsere Straßen vermessen und dabei ganz zufällig die aufgefundenen WLAN mit in die Datenbank gesteckt, der besseren Ortung halber. Bei uns hatte das keine Folgen, in den USA kostete es ein Fetzel aus der Portokasse. Mit Google Glass steht eine komplette Neudefinition der Privatsphäre an, ganz zu schweigen von dem, was Google-Mitarbeiter aufzeichnen. Da sind Datenschützer gefragt, die bei Google traditionell aus der IT kommen und keine Juristen sind. Das ist vielleicht nach der Google-Logik gut, wo Eric Schmidt gerade den Kämpfer gegen die Überwachungsdrohnen mimt. "Google policy is to get right up to the creepy line and not cross it", dieses Zitat von Eric Schmidt über einen Konzern, der aktiv daran arbeitet, soziale Normen zu verändern, ist preiswürdig.

*** Die Frage ist halt, ob die Argumentation mit der informationellen Selbstbestimmung zur Verleihung des Big Brother Awards an Google überhaupt greifen kann, wenn es heißt: "Wer sich ständig beobachtet fühlt und annimmt, dass die gespeicherten Informationen ihm oder ihr irgendwann schaden könnten, wird zögern, Grundrechte wie freie Meinungsäußerung oder Versammlungsfreiheit wahrzunehmen. Wenn das passiert, ist das keine Privatsache mehr, sondern das schadet der Allgemeinheit und einer lebendigen Demokratie." Kann für eine solch zögerliche Haltung allein Google verantwortlich sein? Ist das Gegenstück der datenliebenden Spackeria, das universale "Juckt mich nicht, ihr könnt mich mal" nicht genauso hilflos? Immerhin organisiert(e) Digitalcourage nicht nur die Big Brother Awards, sondern zusammen mit dem AK Vorrat auch die Demonstrationen unter dem Motto Freiheit statt Angst. Das mutlose Bild eines Menschen, der sich ständig im Internet beobachtet fühlt, hat wenig mit den Netzaktivisten zu tun, die "unser Netz" gegen die Anfechtungen der Konzerne verteidigen wollen. Addiert man dazu die Tatsache, dass Netzpolitik ein Nischenthema ist, ist das Fazit bescheiden und etwa so wie bei SchülerVZ. Dabei sind 77 Prozent der erwachsenen Deutschen online und 19 Prozent wollen ohne Internet nicht mehr leben. Der Rettungsruf heißt Code for Germany: Manchmal kann man doch alles haben, genauso wie in Alice's Restaurant.

Was wird.

Während diese kleine Wochenschau ins Internet geschüttet wird, bereitet sich die SPD auf den Wahlkampf vor. Es soll kämpferische Reden gegen den Generalverdacht geben, dass die Partei eine Deppentruppe und angeblich zu blöde zum Googlen ist. Dabei war "Das Wir entscheidet" gar nicht in Google auffindbar, vielleicht aus dem Ranking genommen, wie diese Geschichte, die nach drei Tagen an der Spitze – bei der Suche nach "Piratinnenkon" – sang- und klanglos verschwand und gesperrt wurde. Bei Bing liegt er derzeit an achter Stelle. Steinbrücks Satz "Hätte, hätte, Fahrradkette" ist übrigens der weit bessere Wahlslogan. Er ist ökologisch, anschlussfähig bei Altgenossen (Dachlatte), koalitionskompatibel, Google Adsense-freundlich, passt auch zu einer Niederlage gegen Mutti und reimt sich auf Nuss-Schogette. Das kann man von anderen Wahlparolen nicht behaupten. Das letzte Mal, dass ein Wir Parole bei der SPD war, ist etwas her: Mit "Wir sind eine Familie" trat erstmals Willy Brandt zur Wahl an.

Der Jahreszeit entsprechend kommen in München wieder die Freunde des Vintage Computing zusammen, diesmal mit einem generationsübergreifenden Wettbewerb hungriger Biester. In einem ersten Test werden alte, ganz alte und moderne Computer in einem Netz per TCP/IP oder RS232 an eine eigens für Biester programmierte Kampfarena angeschlossen und ausbattlen. Die Kommunikation erfolgt über ein textbasiertes 7-bit ASCII-Protokoll, die Teilnehmer bekommen je nach Rechnerklasse unterschiedliche Bedenkzeiten. Die Idee stammt aus einem Forth-Projekt der Hochschule Augsburg, die schiere Systemvielfalt ist unbegrenzt: "Ein Agent in Forth geschrieben, laufend auf einem MSP430 Launchpad kann gegen einen in Java geschriebenen Agenten auf einem Apple Mac-Book antreten. Unfair, aber möglich", lästern die Autoren. Auch so kann Code for Germany aussehen.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 21 April, 2013, 06:00
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Wenn die Revolution gesiegt hat und nach harter Arbeit ihre Kinder frisst, sind Bürokraten überflüssig. Sie müssen umerzogen werden, denn eine Ausweisung ist nicht möglich: die Revolution siegt weltweit oder gar nicht. Dann schlägt die Stunde der Computer: "Wenn es die Computer nicht gäbe, müssten sie förmlich erfunden werden für die Räteverfassung. Nur sie ermöglichen es, Informationen zu sammeln, die die Sachentscheidungen der bisherigen Bürokratie ersetzen und zwar dergestalt, dass es überhaupt keine bürokratische Position mehr gibt, die nicht innerhalb von vierzehn Tagen umbesetzbar wäre." Nein, das stammt nicht aus dem aktuellen Programm der Piratenpartei. Die sorgt sich dieser Tage lieber um Kifferclubs statt um die Weltrevolution. Die Sätze stammen aus dem Jahre 1967 und wurden von Christian Semler gesprochen, einstmals SDS-Mitglied, später als Kadergenosse Fan der Roten Khmer und dann bis zu seinem Tod der Hausphilosoph der tageszeitung. Die grübelt dieser Tage lieber darüber, was es mit der Liebe auf sich hat und freut sich über die wunderbare digitale Bilanz, dass nun auch der letzte Agrarpolitiker weiß, wo seine Bauern auf Facebook so abhängen, in den vergreisenden Wohnstiften. Ja, zärtlich war es und voller unerhörter Allianzen. Im Netz haben sich alle Netzpolitiker lieb und twittern ein Bussibussi. Nach der Enquête- kommt die Enthalpie-Kommission, den unerhörten Druck der Netzpolitik ausgleichend.

*** Ganz ohne Revolution soll mit dem Computer in diesem unseren Lande die Bürokratie abgebaut werden. Schlanke Prozesse sind angesagt und ernten anerkennende Pfiffe von Mann, Frau und postgenderischen Transhörnchen. In letzter Minute wurde noch am E-Government-Gesetz gehämmert und poliert, bis die per Gesetz dekretierte Sicherheit der Kommunikation nunmehr amtlich werden kann. Dass mit der klagenden deutschen Post ein Profiteur des Gesetzes gegen das Gesetz auftritt, macht Hoffnung auf viele weitere Volten und Irrungen, ganz ohne Revolte und Revolution. Das Ganze läuft unter dem Motto: "Lasst 1000 Bürokraten kichern - und den IT-Planungsrat tagen." Die Schriftform kann auch ersetzt werden /../ 4. durch sonstige sichere Verfahren, die durch Rechtsverordnung der Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrates festgelegt werden, welche den Datenübermittler (Absender der Daten) authentifizieren und die Integrität des elektronisch übermittelten Datensatzes sowie die Barrierefreiheit gewährleisten; der IT-Planungsrat gibt Empfehlungen zu geeigneten Verfahren ab.

*** Dann waren da noch die irritierten Heise-Foristas nach dem Besuch im De-Mail-Käfig, installiert in einem mittelalten Rechenzentrum. Ja, was erdreistet sich ein Journalist, ein Gebäude zu beschreiben, in dem die De-Mail kurzzeitig entschlüsselt wird, unter fürsorglicher Aufsicht einer rehschlanken SINA-Box. Ob sich der Standard De-Mail durchsetzt oder der proprietäre e-Postbrief das Rennen macht oder ein ganz anderer Igel auftaucht, ist ungewiss. Sicher ist nur, dass eine sichere Kommunikation kommen muss, die den Brief ablösen kann. Wie wundersam das gehen kann, zeigt die Deutsche Bahn (PDF-Datei) mit ihren "Schweizer"-Briefen. Bald werden alle Bundesbürger dank ihrer elektronischen Gesundheitskarten X.509-Zertifikate haben, wenn die Krankenkassen endlich dazu übergehen, die PIN-Briefe zu den Karten zu verschicken. Doch halt! Schon wieder lauern schurkische Gewalten auf dem digitalen Wege! Man lese nur den Unsinn, den die Knappschaft bei ihrer Erfolgsmeldung zur Ausgabe von Gesundheitskarten veröffentlicht: "In Arztpraxen und Krankenhäusern wird dann nur noch die elektronische Gesundheitskarte als Nachweis einer Versicherung akzeptiert." Dieser Satz kein Gesetz, um es mal netzsprachlich zu formulieren.

*** Welche E-Mail ist wirklich sicher? Fragen wir den Wikileaks-Cheffe Julian Assange, der muss es wirklich wissen. Ei der Daus! Keine! In diesem Gespräch mit Eric Schmidt steht klipp und klar, dass allein mit Krypto-Telefonen gesendete verschlüsselte SMS in der Kommunikation der Wikileaks-Mitarbeiter eingesetzt werden. Nimmt man die lobende Erwähnung der deutschen Firma Cryptophone in Assanges letztem Buch Cypherpunks hinzu, so dürfte sich Eric Schmidt wie eine Grinsekatze freuen, dass technisch Google mit einem extra gehärteten Android und Samsung mit der Galaxy-Hardware den Rebellen von Wikileaks zur Seite stehen. Dass Schmidt auf Basis des Interviews in seinem neuen Buch verkündet, dass Assange nur wegen des Geldes seine Leaks schwärzte, ist ein kleiner Schienbeintritt. Nach dem von Wikileaks veröffentlichten Transkript sagte Assange: "And so you end up with a system of self-censorship and it is embarrassing to do it and so why tell the public that you are doing it, but you are not telling the public you are doing it so it gets easier and easier to do every time. If we look at email. Who censors email? No one censors email! Look at a telephone call to your grandmother, is there a censor sitting there on the line determining whether you are about to say something bad to your grandmother and cutting it out? Of course not. The postal system. Are other people opening envelopes to see whether you are sending something bad? No. Please Mister Postman, look and see, sangen einst die Marvelettes und tüteten ihren Hit in eine Tasche, auf der nur "Ear-Mail" stand, weiter nichts.

*** In ihrem ersten Google-Hangout hat unsere Bundeskanzlerin gefordert, die "Die Technik sollte sich jetzt mal ein bisschen bemühen." Doch die faule Technik ignorierte das, so musste ein Rechner neu gestartet werden. Da dürfte Angela Merkel mehr Freude an Facebook als an Google haben, weil sich Facebook-Managerin Sandberg im Interview als Bewunderin der Kanzlerin entpuppte. "Unglaublich dankbar" sei sie, dass es VorbilderInnen wie Merkel und Thatcher gibt. Wie wäre es denn mit der Forderung an die Politik, sich ein bisschen mehr zu bemühen? Die peinliche Posse um das Informationsfreiheitsgesetz, die verkorkste Bestandsdatenauskunft und das halbherzige Vorgehen gegen Abzocker sind alles andere als Glanzlichter einer modernen IT-geprägten Regierung, die selbst ausgerechnet auf das Leistungsschutzrecht für Verleger stolz ist. Von dem abstoßenden Manöver, den Oppositionsvorschlag zu einer Frauenquote ab 2018 mit allen 320 Stimmen zu blocken, ganz zu schweigen. Von der Technik zur Taktik ist der Höllenpfad mit guten Vorsätzen gepflastert. Moralische Sieger von Wahlen nennt man Verlierer. Also weg mit den Vorsätzen, erst recht, seitdem es eine Alternative für Deutschland gibt, eine weitere Einpunktepartei nach der Einsakkopartei CDU.

Was wird.

Nach Boston wird die Forderung, mehr Videokameras zu installieren zum allseits beliebten Laute-Post-Spiel. Was die Attentäter bewegte, ausgerechnet in einer der am besten überwachten Einkaufsstraßen die Bomben zu deponieren, kommt gar nicht erst ins Bild der allfälligen Diskussionen. Noch interessanter ist die Frage, wie schnell eine Radikalisierung ablaufen kann. Da ist das Internet mit seinen Hatzvideos und den Bastelanleitungen der nächste Sündenbock. Irgendwie muss es doch zu überwachen sein, als Fahndungsmedium taugte es jedenfalls nichts. In Gaza, im Irak, in Mali, in Syrien ist Alltag, was die Bilder von Boston zeigen. Ja.

Reden wir doch über den Krieg. Nein, nicht über den seltsamen Krieg gegen Leaks im Inneren, in dem die Bundeswehr versucht, mit dem Urheberrecht zu schießen, In der anstehenden Woche wird es nach Angaben des Verteidigungsministeriums zu einem sicherheitspolitischen Dialog mit den Kirchen kommen. Denn die christlichen Religionen haben mit dem Einsatz von Drohnen ein Problem, der Verteidigungsminister nicht. Wie da überhaupt ein Dialog geführt werden kann, ist die eine Frage, was "ethisch neutrale Waffen" überhaupt sind, die andere. Trösten wir uns damit, dass an anderer Stelle die tolle IT der Bundeswehr gefeiert wird als ethisch ganz wunderbarer Enabler.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 28 April, 2013, 06:13
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Frühling, ja, es ist Frühling. Da möchte man doch seine Ruhe haben und genießen. Aber sie lassen einem nicht in Ruhe, diese Internet-Vordenker. Dabei ist es schon eine Weile her, dass ein führender IT-Lenker Visionen hatte und nicht zum Arzt ging. Im Jahre 1995 erschienen Bill Gates' Gedanken über die "Zukunft der Informationsgesellschaft" unter dem Titel "The Road Ahead" bzw. "Der Weg nach vorn". Die erste Version des "Klassikers" zeigte die Verpeilung von Microsofts Chefdenker, der das Buch mit seinem Cheftechnologen Nathan Myhrvold und dem Journalisten Peter Rinearson verfasst hatte: Das Internet kam in wenigen Absätzen vor und wurde als Vorläufer des Information Highways beschrieben, auf dem sich Angebote wie "The Microsoft Network" (MSN) tummeln sollten. MSN wurde im August 1995 gestartet, erwies sich aber recht bald als Flop. Die US-amerikanische Taschenbuchausgabe des Buches musste deshalb umgeschrieben werden, weil sich Ende 1995 abzeichnete, dass das Internet das Rennen machen wird und nicht die gedrosselten und behüteten "walled gardens" wie MSN oder AOL.

*** In Deutschland fiel der Startschuss am 1. September 1995, als die Deutsche Telekom eine CD mit dem Netscape-Browser für Windows und OS/2 auf die Vorderseite ihres hauseigenen Btx-Magazins com! pappte und "Internet für alle – Btx startet durch!" feierte. 1,2 Millionen Deutsche installierten den Browser bis Anfang 1996, nur 50.000 meldeten sich bei MSN an: So machen die Menschen Geschichte, und dies aus freien Stücken. Ganz nebenbei startete Btx nicht durch, sondern verödete: die Verteilung der CD war der Anfang vom Ende. Landauf, landab schwillt er an, der Protest über die Grenzwertziehung der Telekom, die in dieser Woche bekannt wurde. Ist nun die Maske gefallen oder finden wir uns in den Fasern der Next Generation Networks wieder, in denen die Telekom freundlich und fair an der Seite ihrer Kunden steht? Kommt eine unverhoffte Variante der Vorratsdatenspeicherung light und steht nicht gar die Netzneutralität auf dem Spiel, wenn das Internet funktional kaputtgemacht wird? Der Weg nach vorn ist mit vielen Fragen gepflastert.

*** Im Jahre 2013 ist Microsoft eine andere Adresse, die Visionen haben die neuen Super-Marktmächte wie Google und Facebook. Niemand geringeres als Eric Schmidt von Google hat zusammen mit dem Berater Jared Cohen ein Zukunftsbuch geschrieben, das deutsche Edelfedern so nachhaltig verunsichert, dass sie die Laissez-faire-Politik Europas verurteilen und zum Aufstand gegen das Monster rufen: Nun tut doch endlich was! Es erinnert an den Aufruf der Datenschutzwächter:Zerschlagt Google! Lustig ist, dass das Kapitel über die Leaks von Wikileaks selbst schnell geleakt wurde.

*** Was wirklich an dem Buch von Schmidt und Cohen erstaunt, ist die Tatsache, wie wenig Visionen es für den Leser bereithält – und wie viele davon bereits im Buch von Gates vorhanden sind. Das intelligente Haus (der Gates-Familie), die personalisierte Medizin (für den vermögenden Durchschnittsamerikaner), der intelligente Verkehr. Es ist alles da und wenig überraschend. Dafür, dass hier jemand von einer Firma schreibt, die gerade ihre Datenbrille vorstellt, ist die Zukunft schon wieder Vergangenheit. Derweil wird mit den Glasses die German Product Angst aufgelöst und der Scoble-Guru gerät ins Schwärmen: "Ich werde niemals mein Haus ohne sie verlassen." Lieber lässt er sein Hirn ausgeschaltet als die neue Brille.

*** Beim richtigen Einstiegspreis, den Scoble irgendwo bei 200 Dollar ausmacht, könnte die Brille unseren Alltag revolutionieren, die entsprechende Tragepflicht für jeden Bürger vorausgesetzt. Denn schnell mal Bilder von Unbekannten machen, wird einfacher als je zuvor. In dieser Woche hat unser Bundesinnenminister das gemacht, was allen Innenministern in den Genen liegt. Er hat nach den Ereignissen in Boston die Verschärfung der Videoüberwachung gefordert, damit einmal erkannte Selbstmordterroristen beim zweiten oder dritten Anschlag enttarnt werden können. So entstehen große Zitate, über Selbsstmordattentäter, die zwei oder drei Mal zuschlagen, Zitate, die die Zeiten überdauern werden:

Friedrich: Einen Selbstmordattentäter, der seinen eigenen Tod bei der Planung der Tat einkalkuliert, werden auch Videokameras nicht abschrecken.

Spiegel Online: Also sind die Kameras gegen Terror unwirksam?

Friedrich: Das wäre ein falscher Schluss. Wenn wir zum Beispiel den Täter nach dem ersten Mal verhaften, kann er kein zweites oder drittes Mal zuschlagen. Allein das ist schon ein Erfolg. Zudem können wir Planungen für Anschläge durch Kameras im Vorfeld aufklären. Ich bleibe dabei: Die Videoüberwachung, wohlgemerkt als Teil einer komplexen Sicherheitsstrategie, ist ein wichtiges Mittel für uns.

*** Man lebt nur einmal, erst recht als echter Selbstmordattentäter, was die Brüder in Boston explizit nicht waren. Aber bitte, wer kennt denn noch Goethes Clavigo über die nachlassende Qualität im Journalismus: "Man lebt nur einmal in der Welt, hat nur einmal diese Kräfte, diese Aussichten, und wer sie nicht zum besten braucht, wer sich nicht so weit treibt als möglich, ist ein Tor." Hätten die Spiegel-Redakteure nicht nachfragen müssen? Wahrscheinlich wird das abgehalfterte "Sturmgeschütz der Demokratie" auch noch jubeln, wenn Innenminister Friedrich die flächendeckende Überwachung der Verfassungsrichter anordnet, die so frech sind, das Recht der freien Meinungsäußerung für sich in Anspruch zu nehmen. Freuen wir uns auf die Zeit, in der jeder als Brillenwart mit Google Glasses sein Scherflein für die Verbesserung der Inneren Sicherheit leistet. Politik heute, dass ist das Backen kleiner Brötchen.

Was wird.

Wie war das noch mit den großen Visionen? Im Gates-Buch "Weg nach vorn" findet sich kein einziger Satz über kommende Kriege und Kämpfe, ganz zu schweigen von möglichen Cyberkriegen. Das sieht bei Eric Schmidt und Jared Cohen schon ganz anders aus. Hier gibt es ein ganzes Kapitel über Hacker als Cyber-Terroristen, die uns im Namen dubioser Staaten bedrohen. Wer genau, das bleibt offen, denn China will nicht vergrault werden und Nordkorea ist das Land, das beide Autoren für die Buch-Recherche besucht haben. Unter Anleitung des großen Führers entsteht ein koreanisches Linux, das den Weltmarkt erobern soll.

Weil der Krieg der Vater aller Dinge ist, sind Kampfdrohnen seine Töchter. Bemannte Flugzeuge sind sowas von gestern, den Drohnen gehört die Zukunft, jedenfalls nach Meinung der CDU/CSU. In der aktuellen Debatte dieser Tage klang es noch etwas harmloser, schließlich läuft der Wahlkampf an. Da macht es sich nicht so gut, über einen Kauf des Predator oder Reaper aka Predator B zu reden, mit denen die Zukunft der militärischen Fliegerei anfangen soll. In Großbritannien, das bisher seine Drohnen von den USA aus steuerte, geht nun zum Mai der erste eigene Leitstand in Betrieb und stolz nennt man Zahlen zu den Aufklärungsdrohen: 45.000 Stunden geflogen, "nur" 350 Raketen abgefeuert – wir leben in friedlichen Zeiten. Übrigens will Israel das erste Land sein, in dem das "bemannte Kampfflugzeug aus den militärischen Arsenalen verschwindet", wie es die CDU/CSU wünscht. Schließlich sind alle kampftauglichen Drohnen israelischen Ursprungs, auch Predator und Reaper.

Heraus zum 1. Mai! Der Kampftag der Arbeiterklasse naht und mit ihm das übliche Verbalgetöse. Wie wäre es mit der Erinnerung, dass die Fünftagewoche von der Zigarettenindustrie 1956 eingeführt wurde, gefolgt von den Verlagen und der Druckindustrie anno 1965 und den Metallern anno 1967. Die IT-Branche folgte erst im Jahre 1995, als Bill Gates seine Visionen hatte. Unter dem Stichwort Arbeitsplatz findet sich bei Gates dieser Satz: "Gemessen an anderen Revolutionen ist diejenige, die der PC ausgelöst hat, bemerkenswert gnädig mit den Menschen umgegangen." Wer den Begriff bei Schmidt und Cohen sucht, findet folgendes Statement über den Verlust lokaler Arbeitsplätze: "Globalization's critics will decry this erosion of local monopolies, but it should be embraced, because this is how our societies will move forward and continue to innovate." So einfach ist das, ihr Lokalmonopolisten.

Heraus, heraus zum 1. Mai! Diesmal sind die Mainelken etwas spät dran und noch nicht pflückreif. Auch die Gewerkschaften haben Probleme, mit den Halbfinal-Rückspielen von Bayern und Dortmund in der Champignon-League. Probleme auch bei den Autonomen, denen nicht nur der höchstaufsichtsführende Gegner angesichts Grippe abhanden kommt. Auch die richtige Einstellung macht Sorgen. Handy hochhalten und mit dem Foto twittern, das ist der richtige Wurf im falschen Leben. In Berlin wagt man mehr Transparenz durch die Veröffentlichung der Demonstrationsrouten. Es wird überall von Hausdächern, Hubschraubern und Videodrohnen gefilmt, aber nicht gespeichert. Schande über den, der bei der "funktional gebotenen" Übersichtsaufnahme an etwas anderes denkt.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 05 Mai, 2013, 06:00
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Nein, für die "Netzpolitik" war dies keine gute Woche. Der Bundesrat hat das Gesetz zur Reform der Bestandsdatenauskunft abgesegnet. Der Bund deutscher Kriminalbeamter spricht von einem guten Tag für die deutschen Sicherheitsbehörden, nur um noch eins draufzulegen mit der Vorratsdatenspeicherung: "Es kann nicht ewig so weitergehen, dass Verbrecher die einzigen sind, die noch ruhig schlafen können!" Ruhig geschlafen haben all die Politiker, die einem Gesetz zugestimmt haben, das die mit dem E-Government-Gesetz geförderte De-Mail umstandslos abschießt. Geschlafen haben all die Demokratieexperten der Parteien, die bei dem Wohlfühlgesetz für Kriminalbeamte es zuließen, dass Nachrichtendienste sich ebenfalls die PUK und IP-Adressen besorgen können, wenn es zur Erfüllung ihrer Aufgaben notwendig ist. Damit schließt sich ein Kreis: Überwachtes Deutschland heißt ein dieser Tage erschienenes Buch, in dem ein Historiker erzählt, in welchem Ausmaß ab 1955 in der alten BRD die Kommunikation und der Postverkehr mit der alten DDR überwacht wurde, bis 1968 ohne jegliche gesetzliche Grundlage. Während 1968 mit den Notstandsgesetzen ein Instrument entstand, im "Notstandsfall" alle Bürgerrechte aufzuheben, erhielten die Geheimdienste ihre maßgeschneiderten Überwachungsgesetze. Das rechtsstaatliche Elend hat eine lange Tradition.

*** Machen es andere besser? "So klein wir auch sein mögen, unsere Taten sind groß. Nichts bringt uns zu Fall", schmetterten die Niederländer in ihrem schmalzigen Königsliedrap zur Krönung ihres Prins Pilsje. Der allgemeine Medienrummel um eine vormoderne Einrichtung war offenbar bestens geeignet, Erläuterungen und Überlegungen zu einem Dekryptierbefehl zu veröffentlichen, ohne einen allgemeinen Aufschrei zu provozieren. Ein paar Bürgerrechtler bemerken, was da in der Polderdemokratie angedacht wird, der Rest ist Pils. Der beste Kommentar zu diesem ungalanten Vorstoß ist im Lawblog zu lesen: "Sogar der Staat muss gewisse Grenzen beachten. So lange jedenfalls, wie er den 99,99 Prozent der Bevölkerung, die absolut nichts mit Kinderpornografie am Hut haben, noch einen letzten Rest Freiheit zugestehen will."

*** Doch halt, die freiheitlich-demokratische Grundordnung der Sonntagsreden ist im Mutterland der Startup-Idolaterie in Gefahr. Zwar hat nur das US-Repräsentantenhaus den Cyber Intelligence Sharing and Protection Act (CISPA) gebilligt, während der Senat die Gesetzesvorlage nicht verabschieden will, doch die Gefahr ist nicht vorüber. Im Gegenteil: Konzerne wie der Brillenproduzent Google oder die Fetischwaren-Kette Apple befürworten CISPA. Robert McChesney, Professor für Kommunikationswissenschaft an der "Netscape"-Universität von Illinois, sieht ein Zusammenwachsen der Internet-Konzerne mit dem modernen Militär zu einem Cyber-Digitalen-Komplex. Die weitgehende Überwachung der Bürger ist ganz im Sinne von Google und Co, die dafür Aufträge im großen Stil kassieren – und ganz nebenbei das große Datensammeln ungestört weiterführen können.

*** Das bringt unweigerlich eine Frage auf den Bildschirm, die dieser Tage eine sehr verwirrende Antwort vom obersten Informationsfreiheit- und Bundesdatenschützer erhielt. Glaubt man Peter Schaar, so sind von Journalisten gespeicherte Dateien auf Google Drive, Dropbox, Ubuntu One oder gar der geplanten supersicheren freistaatlich finanzierten   nPA-Box nicht wirklich geschützt. Der für Journalisten geltende Quellenschutz für Kontakte und Recherchematerial soll bei Online-Inhalten nicht greifen. Aktuell ist zwar kein einziger Fall bekannt, wo deutsche Ermittler etwa eine Dropbox konfiszierten, aber heute ist ja jeder irgendwie Journalist, da wird es schnell passiert sein. Die unmittelbare Konsequenz macht jeden ernsthaft arbeitenden Journalisten zum Gemüsehändler im Stil der Pretty Good Grocery: Wer brisante Inhalte zu einer Recherche nicht verschlüsselt in die Cloud stellt, handelt fahrlässig. Wer diese Inhalte nicht gesondert auf einem externen Medium absichert, bettelt um Besuch im Morgengrauen. Und wer seine Informanten in den Kontaktlisten seines Klugphones gleich welcher Bauart gespeichert hat, ist Hilfzist, nicht Journalist.

*** Heute vor 200 Jahren wurde der Philosoph Søren Kierkegaard geboren. Das wird in gelehrten Abhandlungen über den Einzelnen sicher gebührend gewürdigt, links wie rechts. Nun denn: Kierkegaard verachtete Journalisten und nannte sie Klatschmorcheln, die davon lebten, über eigene als wahr empfundene wie erfundene Geschichten zu schreiben, die dann ein unmündiges Publikum liest und glaubt. Mit der "Korsaren-Affäre", einer vernichtenden Kritik der Satire-Zeitschrift Korsar, wurde der leicht bucklige Kierkegaard in der scheinniedlichen Stadt Kopenhagen zum Gespött der Öffentlichkeit. Sie sollte ihn "totgrinsen", so der Aufruf des Korsaren. Es gibt Berichte aus der Zeit, dass Straßenkinder ihm ein lauten "Enten-Eller" hinterherriefen, womit keineswegs die Quaakvögel gemeint waren, sondern sein Hauptwerk "Entweder-Oder". Ja, der große Philosoph wurde erstes Opfer des modernen Medienstalkings,

Was wird.

Hach, was waren das noch für Zeiten, als Blogger die Welt veränderten! Und kleine, witzige Konferenzen veranstalteten, auf der es darum ging, wie man ordentlich Kohle machen kann. Inzwischen ist aus dem Ansatz eine Großveranstaltung namens re:publica geworden, mit über 5000 Teilnehmern und ein paar Hundert Referenten. Nicht alle vom Schlage eines Gunter Dueck, der mit seiner Omnisophie die Mindestgage von 5000 Euro festgelegt hat. Als erfolgreiches Format kann sich das die re:publica leisten, wobei beim Format noch unklar ist, ob es eine Art Kirchentag für digital Natives ist, ein Internet-Klassentreffen oder der Startschuss für eine ganz große Meckerei. Apropos Schuss: Auf, auf, zum Kampf, zum Kampf sind wir geboren, hieß es mal in einem vielseitig verwendbaren Lied, das bald für die digital Natives umgedichtet werden könnte, wenn sie mit Twitter und Facebook in den Krieg ziehen. "Der Kommandokämpfer wird zum Vertreter einer kriegerischen digitalen Boheme, der sich nur durch den Gegenstand seiner Arbeit vom Hipster in Berlin unterscheidet." Die Bobos als Frontschweine, das hat was, in einer ehemaligen prüden Frontstadt mit fremdelnden Luxusproblemen. Weltoffen und deutsch, das ist einfach ein Gegensatz, den selbst der Berlin-Besucher Kierkegaard nicht denkend überwinden könnte.

Wo ist nochmal die Front?. Einen schicken Foto- Wettbewerb hatte die europäische Grenzschutzagentur Frontex unter dem beziehungsreichen Titel Ties that bind ausgerichtet. Schließlich sind Grenzen eine "wichtige Wegscheide gesellschaftlicher Integration", meint Frontex. Wir kennen das ja: Wer in Deutschland als Flüchtling oder Geduldeter seinen angewiesenen Landkreis verlässt, macht sich strafbar und gilt als unintegrierbar. Wer mit geschmackvoll fotografierten Beiträgen zum Thema "Ties that bind" wie "weiße Kabelbinder auf schwarzer Haut" gewonnen hat, soll in der nächsten Woche bekannt gegeben werden. Den Gewinnern winkt eine Reise nach Warschau zum Frontex-Kongress über intelligente Grenzkontrollsysteme. Mögen sie nicht in ihren Fliegern schmoren wie deutsche Minister, die unbeirrt von der Kritik der Datenschützer von Smart Borders schwärmen, die als "lückenlose Vorratsdatenspeicherung" angelegt ist.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 12 Mai, 2013, 06:00
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Die re:publica ist vorüber, doch das Glänzen in den Augen der digital Natives hält noch an. Was einst im analogen Kontakthof der Kalkscheune ein kleines Digitümmel war, ist in der Station Berlin mit ihrem großen Innenraum ein einziger Bussi-to-Bussi-Marathon geworden. Dort, im alten Postbahnhof, wo in der Zeit des Kalten Krieges der Postverkehr mit der DDR illegal überwacht wurde, zeigte sich die Jugend kontaktfreudig und offen, immer bereit, die tollen drei Tage auf Facebook zu kommentieren. Die alten Säcke, von den Partygängern mitleidig Digital Immigrants genannt, rätseln derweil über die nach 1980 geborenen, ausweislich der Wikipedia so genannten Alterskohorte. Für sie stellt sich der Satz von Vint Cerf, einem der "Väter" des Netzes etwas anders da: "The Internet lives where anyone can access it." Das Internet ist nicht einfach da, um Facebook erreichen zu können, sondern ist ein besonderes Nervensystem, für das gekämpft werden muss, damit es lebenswert bleibt. Das Engagement für ein freies Netz gehört zum Netz, wenn die Netzneutralität in Frage gestellt wird und Politiker wie Sascha Lobo (SPD) und Thomas Jarzombek (CDU) Kompromissfähigkeit anmahnen.

*** Das Schöne an Deutschland ist seine Übersichtlichkeit. Politisch nennt sich das Förderalismus: Je nach Bundesland fördert sich die eine oder andere Beziehung zum Vorteil beider. So passt es schließlich ganz vorzüglich zum Wahlkampf im Zeichen der Managed Services, dass SPD-Mann Steinbrück die Telekom-Professorin Gesche Joost in seinen Stab beruft, die sozialdemokratische Brücke zur "Netzgemeinde" zu befestigen. Rotschopf Sascha Lobo wäre sicherlich die bessere Wahl, doch darf es in der SPD nur einen Selbstdarsteller geben, die Tempobremse "Siggy Pop". Managed Services muss übrigens die Bundesnetzagentur genehmigen. So passt es zum allgemeinen deutschen Förderalismus, dass das Berliner Büro der Agentur von einer Mätresse eines bayerischen Provinzfürsten geführt wird.

*** So schnell kann das gehen: Da beklagt eine digital Native in ihrem Blog das Leiden ihrer Generation Praktikum – mit aufschlussreichen Kommentaren ihrer LeserInnen – da hat es sich mit dem Praktizieren ohne Aussicht auf Irgendwas: Die neue politische Geschäftsführerin der Piratenpartei wird sich kaum auf ihrem Dissener Bauernhof ausruhen können, sondern muss ab ovo Netzkompetenz zeigen und alberne Alliterationen wie Piraten-Prinzessin ertragen. Dass ausgerechnet Grüne mitjammern und auch da noch die Besseren sein wollen, passt ganz ausgezeichnet ins Bild. Wie heißt es noch im neuen Wahlprogramm der Piraten zur Kulturpolitik: die bedingungslose Teilhabe an Kunst und Kultur, Transparenz der Kulturförderung und die intensive Zusammenarbeit von Hochkultur, Populärkultur, freier Szene und Laienkultur ist Pflicht aller Kulturschaffenden. Walter Ulbricht, 1952?

*** Heute vor 18 Jahren, am 12. Mai 1995 berichtete die tageszeitung über ihre eigene Web-Präsenz als erste deutsche Tageszeiung. Dass die Wikipedia das anders sieht und der am 5. Mai im WWW gestarteten Schweriner Volkszeitung den ersten Platz zuerkennt, das wurmt die taz-Techniker noch heute. Besonders amüsant ist der letzte Satz des Artikels zum unrunden Jubiläum: "Niemand glaubte an die ökonomische "Kannibalisierung" der Papierzeitungen durch das Internet - deshalb hat die taz damals sämtliche Artikel online gestellt." Dabei war die allererste Digitaz gar nicht kostenlos, sondern erklärte lang und breit den geschätzten LeserInnen, dass die digitaz wie Shareware-Software funktioniert. WWW-Nutzer sollten auf freiwilliger Basis ein Netzabo in selbstgewählter Höhe zahlen!

Kurz nach der taz startete Die Welt im Web, danach die Rhein-Zeitung, die Saarbrücker Zeitung und die Schwäbische Zeitung sowie der Tagesspiegel. Im Sommer 1995 konnte man acht deutsche Tageszeitungen im WWW lesen. "Kostenlos" war bis auf die freiwillig zu zahlende taz niemand: die Zeitungen verkauften ihren Kunden eminent teure "Internet-Anzeigen" und traten gegenüber den Lesern als Internet-Zugangsanbieter auf. Nicht mal ein Jahr verging, bis die Verleger eine Suchmaschine namens Fireball ins Rennen schickte. Soviel zum zeitgenössischen Gejammere der Branche über die schutzlose Leistungsungerechtigkeit dieser Welt.

*** Wie es sich in dieser Woche andeutete, nimmt die Diskussion über Kampfdrohnen massiv an Fahrt auf. Ist zur grundsätzlichen Problematik nicht alles gesagt? In einem nicht online verfügbaren Kommentar heißt es heute in der Wochenendbeilage der Süddeutschen Zeitung, dass sich Deutschland entscheiden muss: "Die Frage der Kampfdrohnen spaltet die Gesellschaft. Aber wenn sie solche Waffen nicht will, darf sie keine Soldaten in Kriege schicken." Doch es gibt ja noch die, die solche Waffen wollen. Es gibt ferner den unbewaffneten Eurohawk, der eines Tages über unseren Köpfen Aufklärung betreiben soll. Bei diesem Flieger hapert es an den erforderlichen Genehmigungen. Eine preiswürdige Lösung des Problems ist ein Flugzeug, das mit einem Piloten überall Überflugrechte hat und mit wenigen Handgriffen in 4 Stunden zur Drohne umgebaut werden kann. So will die Schweiz ihr Drohnenproblem lösen. Damit es nicht bedrohlich aussieht, werden Crash-Test-Dummies neben den Computer gesetzt. Mmm Mmm Mmm Mmm.

Was wird.

Gleich am Montag geht es weiter mit dem Gezerre um das Internet, das in "Diesem Unseren Land" inmitten einem bipolar gestörten neurotischen Europa einen schweren Stand hat: Die sogenannte Störerhaftung steht zur Debatte, die Sachverständigen sind geladen. Das unsägliche Konstrukt entstand aus einem Riss zwischen Telemedien- und Telekommunikationsgesetzen und führt dazu, dass etwa derjenige, der in Potsdam um einen Schluck Wasser bittet, ein virtueller Slowene ist. Im Sinne des neurotischen Europas ist das eine klasse Sache: wir sind eine Kultur! Lasst 1000 Blumen blühen! Im Sinne mancher Anwälte sieht das ganz anders aus: nur digital Naives glauben, das freies WLAN eine Selbstverständlichkeit ist. Auch diese Sache muss erkämpft werden.

Am Dienstag ist es endlich soweit, wenn das "Inferno" des weltensbesten Autors Dan Brown erscheint. Dann können wir alle nach diesem kleinen Vorspann weiterlesen, wie der Symbologe Robert Langdon wieder einmal die Welt retten wird dank kniffeliger Lektüre von Dantes Inferno. Wir lernen den Unterschied zwischen der impotentia coeundi und der impotentia generandi. Letztere wird von einem Virus namens Inferno erzeugt, den ein verrückter Wissenschaftler entwickelt hat, um auf elegante Weise die Erde von der sie quälenden Menschheit zu befreien. Dan Brown verklappt auf Hunderten von Seiten den Transhumanismus und serviert etwas Kripkenstein, bis am Ende die Erkenntnis steht, dass... aber nein, ich bin kein Spielverderber.

Das nächste Vorbild für einen richtigen Dan-Brown-Thriller könnte der japanische Mathematiker Shinichi Mochizuki sein, dessen vor einem Jahr veröffentlichter Beweis der abc-Vermutung so unverständlich sein soll, dass bisher niemand diesen Beweis nachvollziehen konnte. Dan Brown, dieser Chuck Norris der Tastaturen, wird alles von Mochizuki entschlüsseln, auch ein verschlüsseltes iPhone 4S. Chuck Norris liest übrigens keine Bücher. Er starrt sie an, bis er die nötigen Informationen bekommen hat, die er braucht. Chuck Norris liest nur The H.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 19 Mai, 2013, 00:30
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Okay. Der SC Freiburg hat es nicht in die Champions-League-Qualifikation geschafft. Dabei hätte er es verdient. Aber seit wann ist Fußball gerecht? Zumindest aus Fan-Sicht war er das noch nie. Da ist die Bundesliga wie der ESC: Wer Fan ist, dem ist egal, ob das Spiel - oder die Musik - was taugt. Okay, das ist jetzt ungerecht für den SCF - denn ein Vergleich mit dem tumben Eurodance-Pop von Escanda hat das schöne Spiel der Freiburger Fußballer nicht verdient. Die FAZ meint ja, der ESC werde ungerecht behandelt: "Wie kommt es eigentlich, dass eine so harmlose, völkerverbindende und insgesamt fröhliche Veranstaltung wie der Eurovision Song Contest (ESC) in den deutschen Medien überwiegend niedergeschrieben wird?" Mag sein, dass dies eine richtige Frage ist. Schlechte Musik bleibt aber schlechte Musik, auch wenn sie im Radio rauf und runter gedudelt wird. Dass aber auf dem ESC nicht nur schlechte Musik zu hören ist, mag auch so etwas wie eine Binsenweisheit sein. Genauso wie die Erfahrung, dass in der Bundesliga mittlerweile nicht nur Rumpelfußball gespielt wird. Sagte ich SC Freiburg? QED: Musik!

*** Fußball und Kunst, beziehungsweise Musik? Warum nicht. Denn hinter jedem Inhalt steckt ein Kopf, der ihn erarbeitet hat, heißt es. Das gilt auch für diese kleine fast kostenlose Wochenschau aus der norddeutschen Tiefebene, wie immer – Fußball hin, Musik her – hart erarbeitet, ach, was sag ich, erschuftet! Das ist bittschön eine Qualitätswochenschau, anders als diese bald zurecht verbotenen No-Name-Kännchen voller xy-Öl ohne BSI-Siegel auf den Fläschchen. Man sollte auch übrigens auch No-Name Pfeffer & Salzstreuer verbieten, Schankbiere und offene Weine, alles ein einziger Quell von Betrügereien. Nein, das hier ist gewürzt mit handverlesenen Pointen aus der Erzeugerabfüllung, gewachsen auf dem Terroir der IT, einer durch und durch käuflich gewordenen Branche, wo jeder mitnimmt, was zu nehmen ist und dann etwas über eine Neiddebatte faselt. Auf der einen Seite haben wir Vorgaben, die die Mitnahme eines USB-Sticks von mehr als 1 GByte als unerlaubte Vorteilsnahme untersagen, auf der anderen Blogger, die auf jede Ethik pfeifen, falls sie das Konzept kennen und nicht mit einem gesponserten E-Ticket verwechseln.

*** Insofern wird man einer Gesche Joost mit diesem Lebenslauf nicht verdenken können, für lau die "Web-Expertin der SPD" zu werden und sich in eine begeisterungsfähige Netzpionierin und Künstlerin der @Generation zu verwandeln. Klar hätte der Partei ein Kümmerer wie Nico Lumma besser zu Gesicht gestanden, aber der spricht offen von Drosselkom und hätte sich bei Steinbrücks Vorstellung eines "Kenners aller Entwicklungen unseres zunehmend digitalisierten Lebens" das Lachen sicher nicht verkneifen können. Es gibt viele Joostizismen, auf die wir uns in diesem Wahlkampf freuen können. Im vollen Wortlaut etwa heißt ein eben gerade bereits verballhornter Satz: "Viele netzaffine Leute begreifen langsam, dass hinter jedem Inhalt auch ein Kopf steckt, der ihn erarbeitet hat. Die Gratiskultur nimmt ab, auch das Image von illegalen Plattformen hat zu Recht stark gelitten." Wenn diese hintereinander gesprochenen Sätze einen Sinn machen sollen, dann korrespondieren die langsam begreifenden "netzaffinen Leute" mit der abnehmenden Gratiskultur. Fehlt nur noch die Gratismentalität aus dem Wörterbuch des Internetbanausen. Ein guter Auftakt ist das nicht, wenn man Internet-Ministerin werden will. Bemerkenswert schnell hat übrigens der angefressene Googleplex reagiert: Autocomplete schlägt bei der Suche nach Gesche Joost nicht mehr das Telekom Design Research Lab vor.

*** Bis auf die Wurst hat alles mal ein Ende, auch das größte "Inferno" aller Zeiten. Im Wust der Rezensenten verdiente sich der witzige Liveticker des Tagesanzeigers seine Lorbeeren, zumal er nicht davor halt machte, auf den freigesetzten Impotenz-Virus hinzuweisen, der nunmehr unter der Menschheit wütet. Verwunderlich ist nur, dass bei diesem Superseller noch niemand darauf hingewiesen hat, wie sehr sich Dan Brown an der Bevölkerungsbombe von Paul Ehrlich vergriffen hat. Grenzenlos war jedenfalls der Jubel im Bildungs- und Forschungsministerium, dass da ein so hammergeiler Satzklempner wie Brown mit seinem Rattenlabyrinth aus Wikipediawissen einen Beitrag zum ansonsten recht müden Wissenschaftsjahr 2013 liefert, das sich bekanntlich mit der demografischen Chance beschäftigt. Demografischer Wandel, da war doch was? Es ist schon einige Zeit her, dass der vor 100 Jahren geborene Fernsehprofessor Heinz Haber mit seinem besten Freund und erbitterten Gegner, dem ebenfalls vor 100 Jahren geborenen Robert Jungk, vor laufender Kamera über die Bevölkerungsbombe diskutierte, auf einem Niveau, das jeden heutigen "Talkmaster" zerbröseln würde.

*** Jungk war der erste, der sich intensiv mit dem Befehl Think! beschäftigte, dem Firmenmotto von IBM. Ich wiederhole mich und zitiere Jungk noch einmal, aus aktuellem Anlass. "Die Tatsache, dass Elektronenhirne ins Weiße Haus eingezogen sind, ist daher nicht besorgniserregend, sondern beruhigend. Denn diese Datengeräte ermöglichen es dem Staatschef, das vielfältige und verworrene Gewebe der Wirklichkeit, die zahllosen aufeinander einwirkenden Prozesse und Tatsachen genauer zu erfassen und erlauben so den führenden Politikern, die im Besitze solchen Wissens sind, vernünftiger zu handeln, als es eine Führung vermöchte, die nur ihren Eingebungen und Launen vertrauen würde." Ist die Regierung von Barack Obama vernünftig geworden, zeigt sie Einsicht, was die Rolle und Funktion der Whistleblower anbelangt? Oder ist es gerechtfertigt, einen Vergleich von Obama mit Nixon anzustellen? Obamas Aufforderung, die Geschichtsbücher zu lesen, ist lahm.

*** Deutschland hat nicht die scharfen Luftfahrtgesetze wie Swaziland, wo schon der Flug mit dem Besenstiel auf 150 Metern Höhe verboten ist und ein Detektiv verurteilt wurde, dessen Drohne höher flog. Aber Deutschlands und Europas Lüfte sind streng kontrolliert. Das ist keine ganz neue Erkenntnis nach dem Aus für den EuroHawk, bei dem allein die politischen Reaktionen verwunderlich sind. Denn bekanntlich beschwerte sich der Bundesrechnungshof schon 2012 über die Geheimniskrämerei des Projektes. Und im Jahre 2011 veröffentlichte das Büro für Technikfolgenabschätzung beim Deutschen Bundestag den Bericht Stand und Perspektiven der militärischen Nutzung unbemannter Systeme, in dem der EuroHawk sehr skeptisch beurteilt wird, was die Kommunikation zwischen Drohne und Bodenstation anbelangt. Nicht nur das: "Im Bereich der Flugbetriebsverfahren wird Neuland betreten." Eben dieses "Neuland" hat nun dem Vogel die Flügel gestutzt. Was bleibt, ist die Frage, warum niemand Stopp gesagt hat. Die Antwort ist überaus schräg: "Dieses 'Juwel', das da drin ist, mit dem man sehr schön gucken und schauen kann, behalten wir." Nur gibt es nichts zum "Gucken": Die im EuroHawk eingebaute Anlage soll der SIGINT-Überwachung dienen und die UHF/SHF- und EHF-Frequenzbänder überwachen, soll Radarstationen, TETRA- oder Tetrapol-Sender im Osten ausfindig machen, mitschneiden und zur Bodenstation senden, wo das Material dekodiert wird.

Was wird.

TETRA, Tetrapol, was war das noch? Richtig, es geht um die abgesicherte Kommunikation von Streitkräften (Tetrapol bei der Bundeswehr) und Polizeitruppen (BOS-Funk nach dem TETRA-Standard). Hier gibt es endlich einmal einen Erfolg eines deutschen IT-Projektes zu feiern: In diesen schönen Frühlingstagen ist das Kernnetz des Funksystems komplett, das eigentlich zur Fußball-WM 2006 in Deutschland startklar sein sollte. Das hielt man 2002 für ein realistisches Ziel. Im Jahre 2007 freute man sich, dass 2010 der Funk flächendeckend da sein wird. Nun schreiben wir 2013 und haben ein Kernnetz, der Rest ist nur eine Fleischwunde, wie das Kampfkundige formulieren. Gefeiert wird übrigens in Paris, wo ab Dienstag die Critical Communication World stattfindet.

Nicht dabei ist unser Bundesinnenminister Friedrich. Schließlich hatte sein Vor-Vorgänger Schäuble bereits das fotogene Vergnügen, den Polizeifunk offiziell zu starten. Außerdem beginnt am Mittwoch die Frühlingskonferenz der deutschen Innenminister mit einem absoluten Novum: Erstmals seit der Erfindung der Keule mahnt ein deutscher Innenminister zur Besonnenheit, was den Einsatz neuer Überwachungstechnologien anbelangt. Der Mann heißt Boris Pistorius und hat zuvor jahrelang die "Friedensstadt Osnabrück" regiert. Er hat Recht: Nach der neuesten Kriminalstatistik ist die Zahl der Straftaten weiter rückläufig. Zwar haben Verbrechen mit dem "Tatmittel Internet" zugenommen, doch die Aufklärungsquote ist mit 65,1 Prozent besser als die der Verbrechen "im realen Leben". Und das ganz ohne Vorratsdatenspeicherung! Dabei brauchen wir die doch ganz dringend, weil angeblich nur auf diese Weise gemeingefährliche Pädophile vorab enttarnt werden können.

Bei soviel Lichtblick kann ich mit einem weiteren Joostizismus schließen. Die Internet-Schattenministerin antwortete auf die Frage nach der Vorratsdatenspeicherung mit diesen verschwurbelten Sätzen über "Ausnahmen": "Eine generelle Vorratsdatenspeicherung ist kritisch - Ausnahmen kann es nur bei schwersten Straftaten und nach rechtsstaatlichen Grundsätzen geben. Die Speicherung von Bewegungsprofilen lehne ich ab. Die SPD arbeitet an einer Reform des Urheberrechts und einer Strategie zum Ausbau der Breitband-Infrastruktur - in jedem Winkel Deutschlands. Ich denke, man muss noch viel Überzeugungs- und Übersetzungsarbeit für die Bürgerinnen und Bürger für diese Themen leisten. Auch darin sehe ich meine neue Aufgabe. Ich will ein tiefgreifendes Verständnis dafür schaffen, dass Netzpolitik kein Rand- sondern ein Zukunftsthema ist, das alle angeht. Auch meine Oma muss das Internet verstehen können." Wer bringt der jungen Frau bei, dass eine Vorratsdatenspeicherung ohne Ausnahmen all unsere Daten betrifft, auch die von ihrer Oma?

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 26 Mai, 2013, 07:00
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Ach ja, es ist ein eigen Ding mit dem Glücklichsein. In aller Regel hilft dabei gute Musik. Oder eine gute Geschichte: "Bodenkontrolle an Major Tom: schmeiß deine Pillen ein und setz den Helm auf. " Die Bedeutung des kleinen Youtube-Videos, das den Astronauten Chris Hadfield zum Internet-Star gemacht hat, kann gar nicht groß genug eingeschätzt werden, allen rechtlichen Bedenken zum Trotz. Die illustrieren höchsten, wie das jüngste DRM-Debakel, die Reformbedürftigkeit eines völlig veralteten Rechtssystems. Man denke nur an die wunderbare, weltumspannende TV-Show Our World, die allen Menschen der Welt gewidmet ist, aber im GEMA-Wahnsinn gesperrt ist. Auf ihre Weise hatte die kleine blaue Erde Glück, dass Fountain in the Park so alt ist, dass sich kein Rechte-Zar befleißigt fühlte, den ersten Raum-Song der Welt auf der Mission von Apollo 17 zu sperren.

*** "Dies ist Major Tom an Bodencontrolle" heißt es zum Austritt aus der Blechbüchse und David Bowie twitterte "Hello Spaceboy" zurück, ein Lied, dass ihn dereinst an die Doors erinnerte. Das passt traurigerweise zum Tod von Ray Manzarek in Rosenheim, das ist das Ende. Irgendwann wird der blaue Bus jeden von uns mitnehmen von der blauen Erde, nur nicht Major Tom, der draußen blieb. Die Menschen nehmen kein LSD mehr. Was schrieb William Burroughs dazu in Electronic Revolution: "Betrachten wir den menschlichen Körper und das menschliche Nervensystem als Entschlüsselungsgerät. /../ Drogen wie LSD oder Dim-N können dieses Gerät aktivieren, sodass der Betreffende Codesignale entschlüsselt. Es könnte sein, dass die Massenmedien in Millionen Menschen den Mechanismus in Gang setzen, der der verschlüsselte versionen ein und derselben Nachricht empfängt und entschlüsselt. Dabei ist folgendes zu bedenken: Wenn das menschliche Nervensystem eine verschlüsselte Nachricht empfängt und entschlüsselt, wird dem Betroffenen diese Nachricht wie sein eigener Gedanke erscheinen, der ihm gerade in den Kopf gekommen ist - und das ist er auch in der Tat." Break on through, to the other side.

*** Doch halt, wir steigen wieder auf und wenn es nur ein Kommunikationsrelais für die Drohnensteuerung mit 311 MBit/s ist. Während Deutschland schwer mit dem EuroHawk beschäftigt ist, basteln die ach so nichtsahnenden Amerikaner an der nächsten Variante herum. Der Triton der US-Navy absolvierte seinen ersten Testflug und dürfte bald über den Wassern unseres blauen Planeten seine Überwachungsflüge absolvieren – außerhalb der 12-Meilen-Zone der Staaten, wo Luftfahrtzulassungen und anderes Gedöns keine Rolle spielen. Insbesondere nicht das Gedöns, was derzeit auf Bundespressekonferenzen gesprochen wird, wo die Regierung hofft, dass der Auftraggeber deutsche Zeitungen liest und so Informationen bei ihm ankommen. Das Ganze nennt sich dann Stille Post aus dem seit 2009 herumlavierenden Verteidigungsministerium.

*** Im Wirtschaftsministerium geht das anderes, da wird der Vollkörperkontakt gepflegt, noch ohne die charmante Bruderküsserei, die einst im Ostblock das Zeichen besonderer Wertschätzung war. Wie war das noch mit dem Regieren, zu dem man Bild, BAMS und Glotze braucht? Ach, das war das Duo Schröder und Putin. Auf alle Fälle hat man ein schönes Motiv für ein Wahlkampfplakat – und eine herzzerreissende Geschichte vom armen gelben Freiwild gibt es als Zugabe. Bleibt nur die Frage, was Minister Rösler mit Facebooks Sheryl Sandberg gemacht hat beim Fototermin unter Verschluss. Das offizielle Bild vom Spielregelnmahner mit dem Hacker-Hinweis hinter seiner Schulter ist harmlos genug. Auf das Statement des freien Wirtschaftsministers zur erfreulich gestarteten Petition zur Netzneutralität darf man gespannt sein. Ist es nicht herzallerliebst anzusehen, das freie Spiel der Marktkräfte? Warum soll denn da der Verbraucherschutz dringend gesetzlich verankert werden?

*** Am FDP-verniebelten   Towel Day arbeiten und im Sinne von Douglas Adams etwas Nettes über die Bewohner seiner Heimatinsel zu schreiben, ohne dabei auf diesen überschätzten Fußball zu kommen, ist knifflig. Machen wir einen Umweg über den großartigen Schritt, mit dem das britische Nationalarchiv in dieser Woche 463 wichtige Dokumente aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs und des sich anbahnenden Kalten Kriegs veröffentlicht hat. Trinkgelage mit Stalin gehören zu den Dingen, die gerne in Großbritannien gelesen werden.

*** Aus deutscher Sicht ist das Glanzstück dieser Sammlung die Veröffentlichung der Verhör-Unterlagen der Nazi-Offiziere, die wiederum den Hitler-Attentäter Georg Elser verhörten, sowie eine Zusammenfassung der Ereignisse vom 20. Juli 1944. Die Erzählung, wie Elser seine Tat plante, Hitler aber früh den Bierkeller verließ, gehört zu den großen Geschichten, wie Einzelne sich widersetzen und einen Krieg zu verhindern versuchen. Was nicht jedem gefiel: Georg Elser wurde jahrelang für einen britischen Geheimdienstagenten gehalten, der erst beim Untergang des 3. Reiches in Dachau ermordet wurde.

*** Leider derzeit nicht online verfügbar ist ein langes Interview, dass die tageszeitung mit dem Whistleblower Daniel Ellsberg über den Whistleblower Bradley Manning geführt hat, dessen Hauptverfahren vor einem Militärgericht in Kürze beginnt. Das Interview ist ziemlich düster: Ellsberg sieht keine Chance, dass Manning eine kürzere Haftstrafe als lebenslänglich erhält und bezeichnet die Regierung Obama als vierte Amtszeit von George Bush. Schließlich bringt er einen Hitler-Vergleich, der die Interviewerin entsetzt fragen lässt, ob das wirklich sein muss. Am Schluss gibt es einen Appell Ellsbergs an Deutschland im Stil von Dann gibt es nur eins!. Deutschland muss lernen, nein zu sagen: "Was wäre die deutsche Reaktion auf einen amerikanischen Angriff auf den Iran? Würde Deutschland – wie im Irak – erlauben, dass sein Luftraum genutzt wird? Was würde Deutschland tun, wenn wir Atomwaffen gegen den Irak einsetzen? Bleibt Deutschland in der NATO? In einer angeblich defensiven Allianz, in einer Zeit, wo der Warschauer Pakt und die Sowjetunion nicht mehr existieren und wo das stärkste Mitglied der Allianz in einem aggressiven Krieg ist?"

Was wird.

Gesche Joost, die Zugstute der SPD entwickelt derzeit "fünf Geschichten und konkrete Bilder", dank derer die 150 Jahre alte Partei die vernetzte Gesellschaft der nächsten 150 Jahre sozialdemokratisiert. Auch ihre Forschungsergebnisse geben zu denken: "Jüngere Frauen spüren einen starken Druck, ständig auf Facebook präsent zu sein. Ältere glauben, wegen der Kinder ihr Handy nie ausschalten zu können." Und wenn sie dann telefonieren und das nicht wollen, wird eine Störgeräusche-App vor dem Abwimmeln aktiviert. Werden Frauen sich mehr für Politik interessieren, wenn zu dieser App ein Facebook-Abwimmler hinzukommt? Es bleibt spannend. Gesche Joost hat beim Quorum für die Netzneutralität mitgezeichnet. Warum diese gute Tat mit einem Bild von Lasalle illustriert ist, erschließt sich vielleicht auf den 150. Blick oder mit dieser Schwarmintelligenz, von der alle reden.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 02 Juni, 2013, 07:16
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Wir leben in großen Zeiten. Der Mond ist erorbert, der Mars ist durchsucht, die Fichte ist durchleuchtet und Omega-3 ist verwurstet. Am Tag der Milch könnte man allenfalls beklagen, dass es für den Latteschaum noch Kühe braucht. Alles ist entdeckt, erforscht und ergoogelt. Alles? Alles: "Die digitale Revolution ist abgeschlossen – jetzt leben wir im digitalen Zeitalter", tönt es aus Hamburg, wo der Informatik-Unterricht gedrosselt wird wie eine Telekom-Leitung. Wozu noch Informatik lernen und an Algorithmen basteln, das können diese Computer doch viel besser. Lasst uns lieber unbeschwert im digitalen Zeitalter leben und fröhlich den Start-Knopf drücken, klicken oder sonstwie betouchen: Wenn seine Wiedereinführung das meistdiskutierte Thema der Woche unter den geschätzten Fachlesern ist, wozu braucht es dann Informatik? Und wozu braucht es in dieser sinnlosen Informatik Normen, Protokolle und Standards? Lasst uns lieber einfach klicken und dieses Netz im digitalen Zeitalter benutzen, statt dröge Fragen zu stellen nach der "drögen Observanz von Protokollen, die von den pickligen Jünglingen der Netz-Pubertät noch über RFC, Request for Comments, auf dem schüchternsten aller Wege zu Stande kamen".

*** Auf die Frage, ob Elbinformatik nicht wichtiger als die Elbphilharmonie ist, könnte die Antwort freilich lauten, wozu braucht es die Elbe und was soll dieses Provinzkaff Hamburg sein, in dem man Informatik abstuft? Eine Stadt, in der Zeitungen mit wirren Artikeln wie "Das Leben: Ein Film" gedruckt werden, die die neue Überwachungsbox von Microsoft, Googles Glasses und die private Spielzeugdrohne zu einem düsteren Bild des Lebens im digitalen Zeitalter zusammensetzen. Artikel, die nach der Einforderung einer EU-Verordnung gegen Überwachung im Stil der wunderbaren neuen Grenzkrontrollen so enden: "Aber Luftgewehre sind auch keine Lösung". Nein? Ja, muss man da zu stärkeren Waffen greifen, gar Sprengtechnik als Schulfach anstelle von Physik und Chemie einführen?

*** Dann lieber Berlin, mitsamt einer tageszeitung, die zum Internet mit "Die Überwachung lieben" das psychologische Gegenstück liefert: Gott tanzt da den Lacancan, wenn das Netz der Große Andere ist und die Schwarmintelligenz Gott, verkörpert in dem Belohnungs- und Bestrafungssystem von eBay. "Besonders die ethische Entscheidung verliert ihren Wert, wenn sie lediglich vor dem anonymen Blick des Schwarms bestehen soll, dem die jeweils individuelle Qualität der ihn bildenden Einzelnen abgeht." Uff, mein lieber Scholli, dabei sind wir doch so wenige Einzelne. Wir schalten zurück zur obig zitierten Konferenz über Internet-Standards: "Wo, bitteschön, scheint denn eine neue Anarchie auf, die alle diese verknöcherten Regularien, wenigstens für kurze Zeit, zum Teufel schickte?"

*** War da nicht Früher (TM) alles besser, als der Große Andere noch schlicht der "kapitalistische Staatsapparat" oder der siegreiche "Arbeiter- und Bauernstaat" der Düffeldoffels war? Abseits aller Protokolle und Standards muss die Frage gestellt werden, welche Rolle der Staat spielt, nicht nur dann, wenn er wie in Hamburg den Informatik-Unterricht in seinen Schulen zurückfahren will. Müssen sich Bund und Länder nicht darauf beschränken, die eigene IT-Infrastruktur mit Schnittstellen den Bürgern zur Verfügung zu stellen und damit basta? Oder braucht es den fürsorglichen Versorgungsstaat, der uns mit dem elektronischen Personalausweis eine komplette IT-Infrastuktur zum Nachweis der e-Identität zur Verfügung stellt? Hat dieser Staat dann eine Verantwortung für das Funktionieren der öffentlichen IT, für offene Daten, für den Zugang aller Bürger zum Internet und für die Gewährleistung der Netzneutralität? Momentan sieht es so aus, als ob dieser unser Staat im digitalen Zeitalter zum Nachtwächter-Staat zurückgedreht werden soll, mit aller Informationsgefangenschaft brenzliger Tabuworte.

*** Noch kann es anders werden, etwa bei der salafistischen Vorratsdatenspeicherung für alle, die unermüdlich von Bundesinnenminister Friedrich gefordert wird: Da könnte sich das reiche Deutschland doch einfach großzügig zeigen und die demnächst anstehenden Strafzahlungen übernehmen, die in Schweden nach FDP-Berechnungen ungefähr 6 Eurocent pro Bürger ausmachen. Das für eine "nicht hilfreiche" Maßnahme, die zumindest in Dänemark ganz anders eingeordnet wird als hierzulande, wo sie noch undurchführbar, eben "uigennemførlig" ist. Wie man bei der SPD rechnet, dürften wir bald von der designierten Internet-Ministerin Gesche Joost erfahren. Die CDU dürfte bis zur Wahl schweigen und seufzen: Wäre Thomas de Maizière doch einfach Innenminister geblieben.

*** So hat die Regierungskoalition jetzt einen Verteidigungsminister, der völlig sinnlose Kampfdrohnen befürwortet und von einer Aufklärungsdrohne abgeschossen wird. Die CD, die de Maizière den Bundestagsfraktionen "per Boten" zukommen ließ, offenbart ein derartiges Chaos, dass in Politikerbüros tagelang Drucker gequält wurden: Am Bildschirm ging wohl der Überblick verloren. Angefangen mit dem Entwicklungsauftrag von 2007 bis hin zu allen Zusatzvereinbarungen und Streichungen blieb eine Klausel erhalten und unbeachtet, die die Unterauftragnehmer zur Musterprüfung der Drohne verpflichtet. Auf dieser Klausel aufbauend verlangen die Parlamentarier Regress. Pikantes Detail am Rande: Im Entwicklungsvertrag steht nicht nur, dass eine vollständige Dokumentation der Hardware des Düsen-Motorseglers überreicht, sondern auch, dass sämtliche Software im Quellcode zur Verfügung gestellt werden muss. Diese Passage wurde von den US-Regierungsbeauftragten offenbar ersatzlos gestrichen. Wenn es nun tatsächlich zum Regress kommt, darf man auf die Prüfung des in Deutschland entwickelten SIGINT-Moduls gespannt sein, die der US-Regierung laut Entwicklungsvertrag zusteht. So lustig das gemeinsame Drohnenfliegen etwa über Afrika auch ist: Verstehen Sie Spaß ist ein Unterhaltungsprogramm, kein Verteidigungsprojekt.

*** In Istanbul ist der Polizei offenbar das Tränengas ausgegangen, anders kann der plötzliche Stopp des Einsatzes nicht erklärt werden. Wer Ironie finden will, sollte die Stellungnahme der syrischen Regierung von seinem Browser übersetzen lassen, die den brutalen Einsatz der Polizei kritisiert. Interessant ist, dass die besten Informationen über soziale Netzwerke fließen und von unseren türkischen Mitbürgern weitergereicht werden. Dass die schwer verfeindeten Fußballfans aller drei Großvereine in Istanbul gemeinsam agieren, hat die Welt auch noch nicht erlebt. Gestörte Mobilfunknetze und die Verteilung von analogen Internet-Einwahlnummern zeigen, dass der asynchrone Konflikt noch lange nicht ausgestanden ist.

Was wird.

Eine wichtige Ergänzung zur vorigen Wochenschau mit Major Tom geht weit zurück und soll doch in die Zukunft zeigen. Da schrieb eine Leserin: "Als die Grünen 1983 das erste Mal in den Bundestag einzogen, hat die Basis noch den Versuch unternommen sie zu kontrollieren. Es gab ständige Sitzungen des Bundeshauptausschusses in Bonn und begrüßt wurden die Bundestagsabgeordneten immer mit diesem Song." Nun, genutzt hat es nicht viel. Das Rotationsprinzip ist längst geshreddert, die grüne Basis darf sich bei Facebook tummeln. Die Grünen sind eine etablierte Partei geworden, zum Rückzug von Monsanto gibt es keine Erklärung. Die kommt von der Piratenpartei, sieht aber anders aus: Alles Augenwischerei, Leute, es geht munter weiter, dann halt mit BASF. Monsanto hat übrigens historische Verdienste: Die Firma versuchte einstmals vor Gericht, eine genkritische deutsche Mailingliste wegen eines Demonstrationsaufrufes schließen zu lassen und ließ darum ihre PR-Berater als Mitglieder die Liste subskribieren. Monsanto verlor den Prozess, weil die Mailingliste unmoderiert war. Der Verwalter der Mailingliste, der in den Ruin geklagt werden sollte, kam mit heiler Haut davon.

Wie wäre es denn, wenn Space Oddity in Zukunft allen frei drehenden Politikern vorgespielt wird? Ein erstes Playback könnte am 7. Juni erfolgen, wenn der Bundesrat über ein E-Government-Gesetz abstimmt, das der Bundesdatenschützer als ziemlich mangelhaft eingeschätzt hat. Pille einwerfen, Helm auf und ab geht die Post, ähem De-Mail, wird das wie gewünscht durchgezogen?

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 09 Juni, 2013, 05:33
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geiste der Brüderlichkeit begegnen**. – Niemand darf willkürlichen Eingriffen in sein Privatleben, seine Familie, seine Wohnung und seinen Schriftverkehr oder Beeinträchtigungen seiner Ehre und seines Rufes ausgesetzt werden**. Jeder hat Anspruch auf rechtlichen Schutz gegen solche Eingriffe oder Beeinträchtigungen. – Jeder hat das Recht auf Meinungsfreiheit und freie Meinungsäußerung**; dieses Recht schließt die Freiheit ein, Meinungen ungehindert anzuhängen sowie über Medien jeder Art und ohne Rücksicht auf Grenzen Informationen und Gedankengut zu suchen, zu empfangen und zu verbreiten. – Es gelten die allgemeinen Geschäftsbedingungen.
** Gilt nur für die USA

*** Die Aufregung ist groß. Ja, die USA zapfen alles an, was nur irgendwie anzapfbar ist. Ja, Großbritannien machte mit. Und China benutzte vielleicht auch die dafür vorgesehen Schnittstellen. PRISM soll das große, super geheime Überwachungsprojekt der NSA heißen, was sicher ein Schreibfehler ist, denn PRISON passt viel besser. Das universelle Datengefängnis im Stil von Benthams Panoptikon lässt grüßen, installiert im schönen Ort mit dem passenden Namen Bluffdale. Das Ganze soll bereits im Jahre 2007 angefangen haben, die Grundzüge des Systems sollen in Fort Meade ausgeheckt worden sein, doch jetzt erst wird vor den amerikanischen Umtrieben gewarnt, die allen Ernstes ein Yottabyte speichern wollen. Je nach Berechnung von aktuellen Storagesystemen kommen da 500 Millionen Festplatten zusammen und eine wunderschöne Hochwasser-Verschwörungstheorie.

*** Eilends befragte Experten spekulieren über einen europäischen Graubereich und das unvermeidliche Anonymous legt wieder einmal los, stilgerecht mit Zeile 23. Kleists Aufsatz Über die allmähliche Verfertigung der Gedanken feiert fröhlich ein zeitgemäßes Urständ, wenn es in der Washington Post heißt: "They quite literally can watch your ideas form as you type." Die dunkle Vorstellung der Terroristen soll an der Quelle gefunden werden, wenn sie mit der Tastatur formuliert wird. Denn der Schutz vor Terror und Kriminalität ist bekanntlich das wertvollste Bürgerrecht, jedenfalls für den obersten deutschen Polizisten. Wie wäre es mit einem kleinen Umbau der Grundrechte?

Alle Menschen sind frei und unvermummt und haben nichts zu verbergen. Gezielte Eingriffe in das Privatleben, die Wohnung und den Schriftverkehr sind im Namen der Sicherheit als höchstes Bürgerrecht erlaubt. Wer dennoch falschen Meinungen ungehindert anhängt und verbotenes Gedankengut im Internet aufsucht, wer sich mit seinem Regenschirm vermummt, steht nicht auf dem Boden der vom Verfassungsschutz gepflegten freiheitlich demokratischen Grundordnung. Wenn US-Präsident Obama zum Jahrestag der Kennedy-Rede nach Deutschland kommt, sind Regenschirme als Massenvernichtungswaffen geächtet. Der Refrain des Obama-Begrüßungsliedes ist kennedygerecht von allen begeisterten Deutschen fähnchenschwenkend korrekt zu singen: We all live in a Bluffdale Database. (Wi oall liff in ä Blaffdeil Dätabeis)

*** Wer mit den Liedern der Beatles aufgewachsen ist und die Schweine fliegen gesehen hat, wird sich noch daran erinnern, dass alles so neu nicht ist und unbritisch schon gar nicht. Skynet, der erste britische Kommunikationssatellit, wurde überwiegend vom GHCQ benutzt, die Kommunikation zur eigenen Analyse auszuleiten. Als das Internet an Bedeutung zunahm, machten Berichte über das Echelon-System der UKUSA-Staaten (UK, USA, Kanada, Australien) die Runde, begleitet von blasierter europäischer Ahnungslosigkeit. Anfangs wurde gar die Existenz der National Security Agency (NSA) abgestritten, die jetzt hinter Prism steht. Die Debatten um das Ausschnüffeln per Echelon verhalfen dem Verschlüsselungssystem PGP zum Durchbruch und animierten den deutschen Innenminister Kanther dazu, einen Höllenhund fürs Internet zu entwickeln. Auf Echelon folgte die Debatte um den NSAkey in Windows, die Microsoft im Jahr 2000 abbrach, ohne jemals vollständig Auskunft gegeben zu haben. Möge auf den Echelon-Nachfolger Prism eine Debatte folgen, wie PGP samt OpenPGP/Enigmail noch einfacher werden kann. Vielleicht verhelfen auch die alarmistischen Berichte zum richtigen Kick, Verschlüsselungstechnik zu installieren. Optimist sein, heißt an das Verpeilte im Kern aller Menschen zu glauben. Sie machen ihre eigene Geschichte, aber sie machen sie ohne Backup.

*** Fort Meade ist nicht nur die Heimat von Echelon und Prism, in Fort Meade steht seit Montag auch der Obergefreite der US-Armee Bradley Manning vor Gericht. Ihm wird vorgeworfen, dem Feind geholfen zu haben. Bislang wird die aktive Hilfe vor allem darüber konstruiert, dass Manning geheime Interna an Wikileaks weitergeleitet hat, wo sie etwa Osama bin Laden finden konnte. Dieser außerordentlich vage Link in der Beweisführung kontrastiert hübsch mit der Aussage des Prism-Projektes We hack everywhere. Bekanntlich hat sich Bradley Manning nach einer ersten Kontaktaufnahme über die Einlieferungsplattform von Wikileaks mit einem Mailaccount unter dem Namen "pressassociation@jabber.ccc.de" unterhalten. Die Anklage setzt alles daran, gerichtsfest zu beweisen, dass hinter diesem Account eindeutig immer Julian Assange stand und niemand sonst. Sollte der Beweis mit Prism nicht ein Klacks sein, wo sonst die Jabber-Adressen so eindeutig nicht sind? Und wo wir bei den Beweisen sind: Wie wäre es mit der getwitterten Behauptung von Kim Dotcom, dass erst seine Spende von 20.000 Euro für das Collateral Murder-Video das FBI auf die Spur von Megaupload setzte? So kommt zusammen, was zusammengehört.

Was wird.

Auch in der nächsten Woche geht der Prozess gegen den lästigen Amerikaner weiter, während der lästige Australier in einer Londoner Botschaft sitzt. Immerhin hat sich der ecuadorianische Außenminister angesagt, um den Fall von Julian Assange vor Ort zu verhandeln. Fieberhaft dürfte daran gearbeitet werden, den nächsten großen Whistleblower zu verhaften, der die Existenz von Prism verpfiffen hat.

Echelon startete als SIGINT-Plattform und über die Jahre so ausgebaut, dass auch die Internet-Kommunikation erfasst werden konnte. Was SIGINT anbelangt, so erfreut sich Deutschland derzeit einer "Fahigkeitslücke", militärisch gesprochen. Es gibt zwar ein neues Modul, das angeblich das beste der Welt ist, das aber fliegen muss, um "sehen" zu können: Anders als die französische Aufklärung per Satellit benötigt das unter dem G10-Gesetz operierende ISIS einen Flieger, der in 15 Kilometern Höhe über Deutschland und damit über dem allgemeinen Luftverkehr seine Kreise zieht. Eigentlich sollte dies der Euro Hawk sein, doch sorgte 2009 ein kategorisches Nein der US-Air Force dafür, dass die Drohne Zulassungsprobleme bekam. Nun ist strittig, seit wann unser Verteidigungsminister wusste, welches Debakel auf ihn zugeflogen kommt. Nach eigener Aussage hat de Maizière nun durchaus früh im Flurfunk von den Problemen der Drohne gehört, jedoch: "Der geordnete Geschäftsbetrieb eines jeden Ministeriums findet bestimmt nicht auf dem Flur statt." das ist eine bemerkenswerte Aussage von jemanden, der über informelle Verfahren beim Bundeskartellamt promoviert hat. Als angehender Jurist untersuchte de Maizière systematisch Fälle, in denen beide Seiten so tun, als wüssten sie nicht, über welche konkreten Vorhaben sie sprechen.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 16 Juni, 2013, 06:04
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Die Sonne scheint, die Deiche weichen auf, das Land stinkt. Wer mit dem Wasser und dann mit dem hinterlassenen Dreck kämpft, wird kaum Augen haben für die Schönheit und Poesie der allgemeinen Nutzungsbedingungen, wie sie der kleine Verlag in der norddeutschen Tiefebene seinen Foristen unterbreitet. Auch anderswo gibt es solche Bedingungen mit amüsanten Zusätzen wie der Verpflichtung zur größtmöglichen Sorgfalt bei der Virenprüfung für E-Mails an die Redaktion. Sehr schön kameradschaftlich gedacht hat die Bundeswehr, die stehenden Fußes ins traute Duzen übergeht: "Du stimmst zu, keine beleidigende, obszöne, vulgäre, verleumderische, verhetzende, drohende, sexuell-orientierte oder sonstwie illegalen Beiträge zu verfassen." Dagegen sind die Bedingungen für diese Wochenschau sehr einfach und gehorchen dem ordentlichen Hempelschen Imperativ der Netiquette: Schreibe stets so, dass du als frei lebender Troll die Freiheit deiner Mit-Trolle ehren und schätzen kannst. (Kurzfassung: Vor dem Posten Hirn einschalten) Das sollte eigentlich reichen in diesem unseren Internet.

*** Natürlich reicht es nicht, wenn sorgsam abgeschottete Lebensbereiche betreten werden. Dafür gibt es Schulordnungen oder die deutsche Bahnhofsordnung zur "Sicherheit, Service, Sauberkeit", überwacht von einer 3-S-Zentrale. Es gibt allgemeine und ganz spezielle Gefängnisordnungen. Eine lange Liste von Verboten und Geboten sind in den Acceptable Use Policies (AUPs) geschlossener Gruppen niedergelegt. Das sind Dokumente (DOC-Datei), die jeder zum Dienstantritt unterschreiben muss. Es gehört zu den absoluten Überraschungen im Militär-Prozess gegen Bradley Manning in dieser Woche, dass die Anklage keine von Manning unterzeichnete AUP vorweisen konnte und es mit "ähnlichen Dokumenten" versuchte. Das war selbst der vorsitzenden Militärrichterin zu wenig, um als Beweis dafür herhalten zu können, das Manning sich nicht an die Vorschriften gehalten hatte.

*** Zu den besonders amüsanten Einlassungen des Prozesses zählte am Vortag der Bericht eines Sicherheitsspezialisten der US-Armee über seinen Besuch des Chaos Computer Congresses im Jahre 2009 (26C3), der den schönen Titel Here be Dragons trug. Neben Wikileaks war der Sicherheitssoldat besonders vom Vortrag über Netzneutralität angetan, was er vor Gericht erklären musste, Netzneutralität war dem Gericht nicht bekannt. Eine furchtbare, unbekannte Waffe? "Well, net neutrality, the way I see it is a way to keep the Internet open and free as far as preventing any issues or ISPs, Internet service providers from regulating it. So their issue or their whole talk was about we need to keep the Internet open and free instead of having various tiers of regulation on the Internet." Während der über den 26C3 berichtende Soldat an seine Vorgesetzten schrieb, dass Netzneutralität den Terroristen helfen könnte, findet sich im Bericht absolut keine Aussage, dass Wikileaks oder Daniel Schmitt und Julian Assange in ihrem Vortrag auf dem 29C3 dazu aufriefen, Terroristen zu helfen. Wikileaks, so schließt der Bericht, wird sicher auch vom Gegner besucht.

*** Sollte es zu den besonderen Netz-Nutzungsbedingungen gehören, dass Journalisten PGP beherrschen müssen? Im Fall des neuen Whistleblowers wundert sich die derzeitige CCC-Sprecherin und sieht einen zynischen Witz am Werk, weil der berufsgeheimnistragende Journalist Glenn Greenwald PGP nicht kannte. Als IT-Journalist hat man leicht reden und noch leichter OpenPGP anzuklicken, aber: In meinem Mailverteiler sind rund 20 Adressen, die nur verschlüsselt mailen. Weitere zirka 40 Mailpartner verschlüsseln nur, wenn wichtiges Material dies erforderlich macht. Und, hoppla, auch das gehört dazu: Im Jahre 2009 kommunizierte Wikileaks mit Journalisten nur verschlüsselt. Das Schöne daran: Das von Phil Zimmermann geschriebene PGP hat seine ganz eigene Tradition. In den 80er Jahren war Zimmermann ein Aktivist bei "Nuclear Weapons Freeze" und lernte im Gefängnis in Nevada den Whistleblower Daniel Ellsberg kennen, der die Pentagon-Papers über den Vietnamkrieg "befreite". Als die ersten PC auftauchten, begann Zimmermann an einem Apple II mit der Arbeit an seinem Verschlüsselungsprogramm. Die Idee war, dass seine Anleitung "Get Smart on the Arms Race" zirkulieren konnte, ohne dass Geheimdienste und Militärs den Text lesen können.

*** Der arme Herr Snowden: In Deutschland sind seine Powerpoint-Folien in das Wachkoma namens Wahlkampf gefallen und haben unseren Bundesinnenminister zum Schulterschluss mit amerikanischen Freunden provoziert. Beunruhigend darum, weil dieser Herr auch Chef der IT-Verwaltung des Bundes ist und mit seinem Schulterschluss die blanke Unkenntnis demonstriert. Da hat der FIfF mit seiner Stellungnahme schon recht: Wenn Prism so abläuft, wie es jetzt häppchenweise bekannt und schlückchenweise debatiiert wird, dann gute Nacht IT-Sicherheit, du dummer Witz. Dank Stuxnet geht es zum Juxnet. All die teuren Netzwerk-Analyseprogramme, Monitoring-Systeme und Intrusion-Scanner sind für die Katz, wenn sie von innen heraus umgangen werden können. Dank Friedrichs Schultern ist Whistleblower Snowden in Deutschland nicht willkommen. In China sieht das anders aus. Wird Mutti helfen? Obama könnte dank des irrwitzigen Allwissens-Anspruchs von Keith Alexander gar verkünden: Ich bin auch nur ein überwachter Berliner! Wie schön, dass ihr Verständnis für die Datenmusterung habt! Der Preis der Freiheit ist ein Muster ohne Wert.

Was wird.

Wir wollen freie Menschen sein! Zum 17. Juni 1953 gibt es diverse Betrachtungen über die Bauarbeiter, die gegen die Erhöhung von Normen protestierten, während die Regierung der DDR Belastungen für die bürgerlichen Schichten zurückfuhr. Der in der DDR 1952 offiziell ausgerufene Sozialismus sollte gefälligst allein von Arbeitern getragen werden. Mit Folgen: Wolf Biermann siedelte in die DDR über, die KPD fiel in der BRD unter die 5-Prozent-Hürde und jeder glaubte, der jeweils andere Klassenfeind habe den Aufstand angezettelt. Der Berliner John F. Kennedy vom Juni 1963 gehört in die Reihe der Missverständnisse. Schnee von gestern, wo wir doch den modernen Staat haben, mit Dienstleistungen wie De-Mail und der elektronischen Identität im Personalausweis. Wir sind ja freie Menschen. Am Donnerstag stellen das bereits erwähnte Innenministerium und das ÖFIT eine neue Studie vor: "Der Staat als Gestalter und Garant digitaler Infrastrukturen." Viel wohler wäre mir mit "Der Staat als Gestalter und Garant digitaler Bürgerrechte", aber dafür ist es offenbar noch ein, zwei Regierungen zu früh.

Apropos Wachkoma zur Bundestagswahl: In den für den Bund deutscher Kriminalbeamten verfassten Wahlprüfsteinen heißt es bei der CDU/CSU: "Wir werden unmittelbar nach der Wahl eine Umsetzung der europarechtlichen Pflicht zur Einführung von Mindestspeicherungsfristen für Verkehrsdaten vornehmen." Der FDP-Partner schickte gar keine Stellungnahme, die SPD versprach ein Schäumchen: "Die für die digitale Welt vorhandene Sicherheitsarchitektur muss stetig auf ihre Effektivität und Effizienz, aber auch Verhältnismäßigkeit überprüft und gegebenenfalls an die Erfordernisse eines wachsenden Kriminalitätsfeldes angepasst werden." Klartext kam von den Linken: "Beispielsweise lehnt die Partei Die Linke Onlinedurchsuchungen ab. Sie sind weder angemessen, erforderlich und aller Wahrscheinlichkeit nach auch nicht effektiv, um Cyberkriminalität zu bekämpfen. Ohne konkreten Verdacht kann ein weitgehender Eingriff in die Grundrechte einer praktisch nicht eingrenzbaren Zahl von Bürgerinnen und Bürgern vorgenommen werden. Unklar bleibt weiterhin, ob nicht weitere Grundrechte verletzt werden, wie etwa die Unverletzlichkeit der Wohnung. Ähnliches gilt für die Vorratsdatenspeicherung." Die Grünen klammerten sich ans Recht: "Der Einsatz von sogenannter Spähsoftware wie etwa Trojanern durch Polizeien kann nur unter engsten Voraussetzungen rechtlich zulässig sein." Was die engsten Vorraussetzungen sind für so ein Ja zum Schnüffelstaat, soll nun der Grüne Polizeikongress klären, zu Hamburg, am neuen Schicksalsfluss der Deutschen

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 23 Juni, 2013, 06:00
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** O Tempora o mores: Die vor Jahren bekannt gewordenen Pläne, das Internet zu meistern, schockieren die Unbedarften. Schockierender noch: Die Briten können das, wir nicht, wir haben keinen dicken Hund im Rennen, am De-CIX allenfalls eine Ständchen-Leitung und alles voll G10-kontrolliert. "Ich bin gespeichert. Wir sind gespeichert. Das ist genug. Nun haben wir zu beginnen. In unsere Hände ist das Leben gegeben", sagte dereinst Ernst Bloch in leicht abgewandelter Form, als er als Kriegsgegner im Ersten Weltkrieg in die Schweiz fliehen musste. Alles überwacht und dennoch muss Neuland betreten werden.

*** "Das Internet ist für uns alle Neuland und es ermöglicht auch Feinden und Gegnern unserer demokratischen Grundordnung natürlich, mit völlig neuen Möglichkeiten und völlig neuen Herangehensweisen unsere Art zu leben in Gefahr zu bringen." Dieser Satz, von einer orangefarbenen Angela Merkel auf der Pressekonferenz zum Besuch des POTUS gesprochen, erfreut das Lästernet. Gelacht wird über das Neuland, und das nicht nur in Deutschland, wie dieser Link zeigt, von einer Webseite, auf der sich Ex-Geheimdienstler treffen. Betrachtet man den ganzen Satz, so geht es offensichtlich darum, dass die Feinde und Gegner der Demokratie das Neuland besser erkundet haben als die Verteidiger der Demokratie. Wie könnten sie sonst im Internet bereits Herangehensweisen entwickelt haben, die gleich "unsere Art zu leben" aus den Puschen heben können?

*** NSA könnte glatt für Neuland-Speicher-Apparat stehen. Noch vor seinem Berlin-Besuch hat US-Präsident Obama die umstrittene Speicherpraxis verteidigt. Es fehlte auch nicht der Hinweis auf 50 verhinderte Terroranschläge sowie der Hinweis, dass gerade Deutschland vom Abschnorcheln profitiert habe: Anlässlich der "Operation Alberich" war es die NSA, die 2006 erste Hinweise auf die Sauerlandattentäter dadurch fand, dass jemand von Pakistan aus in einem Draft-Ordner von Yahoo Mail deutsche Nachrichten hinterließ, in denen von einem "großen Geschenk" und einer "wichtigen Hochzeit" die Rede war – und jemand in Deutschland diese Drafts ergänzte. Zu jener Zeit regierte der US-Präsident George W. Bush, der beim lauschigen G8-Gipfeltreffen in Heiligendamm Merkel persönlich über die Terroristen informierte und sogar Namen nennen konnte. Zusätzlich reiste der Heimatschutzminister Chertoff nach Gengenbach, wo Innenminister Schäuble wohnte, und bedrängte diesen, einen drohenden Anschlag auf US-Gebäude zu verhindern. Der Rest ist Geschichte: Die Sauerland-Gruppe wurde überwacht, verhaftet und verurteilt. Bei jeder Klage nach der fehlenden Vorratsdatenspeicherung vergaß BKA-Chef Ziercke fortan niemals, die Sauerland-Attentäter als warnendes Beispiel zu erwähnen. Nur: die Vorratsdatenspeicherung ist viel zu langsam im Vergleich mit dem Neuland-Speicher-Apparat. Man hätte bestenfalls im Nachhinein die Mailentwürfe der Homegrown-Bösewichter finden können.

*** An dieser Stelle darf der Hinweis nicht fehlen, dass die Zusammenarbeit auch in umgekehrter Richtung lief, nur nicht mit dem gewünschten Erfolg. Zwei deutsche Geheimdienste, der BND und der MAD warnten ihre US-amerikanischen Partner NSA, DIA und CIA mehrfach davor, eine Quelle ernst zu nehmen, die zweifelhafte Sachen erzählte. Die Rede ist von dem Informanten Curveball, auf den die Geschichte mit den irakischen Massenvernichtungswaffen zurückgeht. Der Rest ist auch schon wieder Geschichte, komplett mit der Geschichte von einem aufrechten Soldaten, der sich über den Irak-Krieg empörte. Gegen ihn wird derzeit ein Prozess geführt, in dem die Militärkläger ihre Beweise mit der Wayback Machine des Internet Archives zusammenkratzen. Dass hier die Systeme der NSA nichts ausgraben können, was einen terroristischen Ansatz von Wikileaks beweisen könnte, ist aufschlussreich. Wo kein Wille ist, da ist auch kein Weg zu den Speichern. Was aber, wenn ein ganz anderer Eindruck entstehen soll? Gut zu beobachten bei der Debatte über den eloquenten und sehr sicher auftretenden NSA-Whistleblower Edward Snowden: Die mächtige NSA hätte schon längst gefunden, also muss er Teil des Apparates sein. Seine Mission: Angst vor dem Polizeistaat in die Köpfe der US-Bürger tragen. Und der Haftbefehl ist ein besonders raffinierter Fake. Nicht nur Fefe hat großartige Verschwörungstheorien auf Lager.

*** Möglicherweise ist die Einordnung des Internets als Neuland die Geschichte eines sprachlichen Missverständnisses. Wer in der DDR aufgewachsen ist, kennt die Neuererbewegung mit ihren Neuererkollektiven und den heroischen Neuereraktivisten, mit Neuererbrigaden und der Messe der Meister von Morgen, dem sozialistischen Gegenstück zu Jugend forscht. "Das Internet ist für uns alle Neuererland", dieser Satz zeugt von dem tiefen Verständnis der Dynamik des Netzes durch unsere Bundeskanzlerin, die bald unsere neuere Bundeskanzlerin sein wird. Seite an Seite mit Neuerern und "Verdienten Erfindern" wie Hans-Peter Uhl, der "einen stärkeren Einsatz von Verschlüsselung" fordert. Diese Neuerung, die jedem Bundesbürger solange Ruhe vor dem Neuland-Speicher-Apparat verschafft, bis dieser selbst in der Lage ist, die Verschlüsselung zu knacken. Denn was verschlüsselt ist, wird in den USA vorratsgespeichert, bis der Entschlüsselungsdienst da ist. Soll man lieber nicht verschlüsseln, damit jeder Polizist mitlesen kann? Steh auf, wenn du ein Mecklenburg-Vorpommerer bist. Dort überlebt gerade ein schlechter Scherz, fast wie aus der DDR-Zeit.

*** Zum Neuland gehört auch Neusprech, ganz im Sinne dieses unseres Landes. Direkt auf den innenministerlichen Thesen zur Netzpolitik aufbauend, wird die uns beschützende wie uns beobachtende Rolle des Staates als Regulator in letzter Instanz so beschrieben: "Jenseits der Rahmengebungsfunktion und der bereits angeführten Notwendigkeit zur Entwicklung und Bereitstellung neuer Technologien muss die direkte Regulierung und ordnungsrechtliche Umsetzung eine realistische, wenn auch nach Möglichkeit nicht wahrzunehmende Option bleiben. Um glaubhaft zu machen, die Regulierung in nahezu beliebige Detailtiefen staatlich ausführen zu können, bedarf es neben eingehender inter- und supranationaler Zusammenarbeit insbesondere einer hinreichenden Expertise, um die Wissensasymmetrien zwischen Regulierer und Regulierten nicht zu groß werden zu lassen. Selbstregulierung kann nur funktionieren, wenn sie nicht alternativlos ist – und dazu braucht der Staat umfassende Fachkenntnisse." Das klingt schon wesentlich moderner als Mielkes "Ich liebe doch alle Menschen". Die Logik geht freilich Charleston tanzen auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung: Nicht alternativlose Wissensymmetrien, Regulierungen in beliebiger Detailtiefe als nicht wahrzunehmende Option, das hat was, das ist supra, das ist unsere Art zu leben.

Was wird.

Das Internet ist offenbar für viel deutschen Verlage ein Neuland, weswegen bekanntermaßen eigens für unsere Art, Zeitung zu drucken, von der schwarzgelben Koalition ein Leistungsschutzrecht verabschiedet wurde. Diese verlegerische Hotelpauschale wird zum 1. August wirksam und dürfte als Neuland-Hochwasser in die Annalen der Newsticker eingehen: Dieser Eintrag über ein "bewährtes Verfahren" im Google-Blog klingt wie ein August-Scherz, ist aber die leistungsgerechte Reaktion auf ein April-Gesetz. Nein, der kleine, feine Verlag in der norddeutschen Tiefebene hat kein Problem. Die aufrichtige Trauer gilt den noch viel kleineren, feineren Bloggern, die von Google ignoriert werden und denen, die bei dieser detailtiefen Regulierung voll hinreichender Expertise Segel streichen oder ausflaggen müssen, um es mal maritim auszudrücken. Denn am oberen Ende der Tiefebene tut sich was: Was ist zu tun?, fragen sich die Datenschützer wieder und wieder, weil dort die Polizei Big Data entdeckt hat. Jetzt mal ehrlich, @rtus ist doch ein toller Name für die Ritter der Datenrunde. Fehlt nur noch die Dienstmail e-Xcalibur und diese Insel @valon. Und passend dazu gibt es die Sommerakademie.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 30 Juni, 2013, 07:00
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** "Denn da ist keine Stelle, die dich nicht sieht. Du musst dein Leben ändern!" Nein, das ist nicht der Philoschnauzer Sloterdijk, sondern der Poet Rilke, und es ist bestens passend für diese Zeiten, in denen Prism und Tempora, Stellar Wind und Catide die Nachrichten dominieren. Du musst dein Leben ändern! Das gilt auch für den Super-Journalisten, der jetzt anfangen soll, das größte News-Portal Deutschlands zu füllen. Unter 30, zwei Jahre Personalführungserfahrung, fünf Jahre Erfahrung als Editor, eigener erfolgreicher Blog – das unternehmerische Selbst der Dotcomblasentage feiert fröhlich seine Wiederauferstehung. Du musst dein Leben ändern! Aber wie macht man das, wenn alles überwacht wird und die Anleitung zum Widerstand beschämend schlicht zum Verschlüsseln verkündet, dass der Schlüsseltausch "minimal komplizierter als die Bestätigung einer Facebook-Freundschaft" sei. Wer es so einfach schildert, hat sicher noch nie vom Man in the Middle gehört.

*** Nein, es ist nicht so einfach wie der Umgang mit Facebook-Freunden, wenn man sein digitales Leben wirklich ändern will. Aber es gibt viele brauchbare Anleitungen und ergänzende Hinweise für den ersten wichtigen Schritt. Wer sein Leben auf diese Weise minimal ändert, bekommt eine neue, ethische Identität für ein geglücktes Leben oder mindestens eine dicke Haut vor all den Mitlesern und gläsernen Faserfreunden – und zieht im besten Fall eine ganze Freundeskohorte mit. Gut, es ist erst der Anfang und bedarf der kontinuierlichen Pflege von alten und neuen Schlüsseln. Fortgeschrittene können gleich bei Social Media weitermachen, in dem Wissen, dass in allen Ländern derzeit vergleichbare Socmint-Einheiten aufgebaut werden, nicht nur in Großbritannien. Und wer ändert sich nicht, wer wird sich nicht im Leben ändern, geschweige denn sein Leben selbst ändern? Politiker. Die aktuelle Stunde mit den Zuhörern vor den Überwachungsgeräten kurz vor den Sommerferien im ziemlich leeren Bundestag war im Kanzlerinnensprech einfach nur "abstoßend" in der Demonstration parteiübergreifender Ignoranz. Da hat eine kluge Köpfin schon recht: "Wie aber soll sich eine Gesellschaft überhaupt eine Meinung bilden, wie weit die Rechte der Geheimdienste gehen dürfen, wenn nicht mal eine rudimentäre nachgelagerte Kontrolle möglich ist?"

*** Wir sind ja alle sooo empört über die schlimmen Dienste, nur nicht über unseren Bundesnachrichtendienst, der mangels ordentlicher Rechenzentren, "Mails, die auf .de enden" niemals nicht speichert, nur höchstens mal ausdruckt und einen gelben Strich am Rande macht. Einen roten Strich hat Reporter ohne Grenzen gezogen und an Ecuador appelliert, die Pressefreiheit im eigenen Land nicht bei all dem Whistleblower-Schutz zu vergessen. Julian Assange dreht mit dem ihm eigenen Größenwahn seine eigenen Runden in dieser Geschichte. Ob der von seinem Buddy Fidel Narváez Narváez ausgestellte und persönlich nach Russland geflogene Safepass überhaupt eine international anerkannte rechtliche Urkunde ist, wird derzeit debattiert. Anfragen zur Authenzität stehen derzeit noch aus. Einen Assange, der Ecuador direkt Ratschläge der Art erteilt, einen englischen Pressesprecher zu beschäftigen, kümmert das alles nicht. Er ist wieder im Geschäft, ist virtuell obenauf – und hatte er es nicht gesagt, in Cypherpunks? Am Ende bleibt bei aller Empörung nur die kleine gewitzte Ratte übrig, die nach den großen Reden auftaucht und sich hemmungslos am Büffet vollfrisst.

*** Derweil läuft der Prozess gegen Bradley Manning, auch wenn er wieder einmal ausgesetzt wird, bis zum 8. Juli. Die beste Aussage bisher: Es gab keinerlei Einschränkungen für die Intel-Analysten, die im SIPRnet nach Lust und Laune surfen durften. Erst nachdem Manning verhaftet wurde, wurden Regeln aufgestellt und Zugriffsrechte ausdifferenziert. Ja, manchmal ändern sie die Regeln, und dann ist schnell der urböse Inhalt gesperrt, aus hygienischen Gründen wie beim Guardian.

*** Manchmal ändern andere das Leben, wie es seit Urzeiten existiert, ganz ohne Shitstorm. Die Ziehung der Lottozahlen wandert ab ins Internet, weil sie ohnehin nur noch auf dem iPad verfolgt wird, während auf dem Hauptscreen das Deutschlandlied der irischen Banker gespielt wird: Lotter live! Im pöhsen Netz längst angekommen sind die Mitfahrzentralen, vor denen jetzt das Bundeskriminalamt warnt. Schnell ist man Schleuser oder Terroristenchaffeur, und eine ordentliche Kontrolle durch die Mautbrücken der LKW-Maut gibt es auch nicht. Soviel ändert sich, damit alles beim alten bleibt und BKA-Chef Ziercke jammern kann:""In bestimmten Einzelfällen wäre es angemessen, diese Daten zu nutzen. Dafür müssten die Gesetze geändert werden." Bestimmte Ausnahmen bei schweren Straftaten? Aber nicht doch! In Zukunft reicht ein vager Anfangsverdacht bei der Raserkontrolle, damit das Smartphone beschlagnahmt werden kann zwecks Durchsuchung, ob eine Blitzer-App installiert ist. Wer sich an die Geschwindigkeit hält, ist verdächtig. Nun brauchen wir nur noch vergleichbare Anfangsverdächtigungen für Fahrradfahrer und Fußgänger. Wer bei Rot an der Ampel zuckt, wer keinen Helm trägt, dem darf ganz schnell das Smartphone abgenommen und analysiert werden.

Was wird.

Mit Ach und Krach hat es der Bundestag in die Sommerferien gebracht und uns unter anderem ein Anti-Abzock-Gesetz beschert. Schnell ist auch der Untersuchungsausschuss zum Euro Hawk in die Puschen gekommen, aber das nur, weil die Sommerzeit in diesem Jahr die schönste Wahlkampfzeit ist und jede Partei beim Euro Hawk mit Dreck werfen kann. So gibt es bald nicht nur das Sommerrätsel in dieser Wochenschau, sondern eine Kirmes ganz besonderer Art, mit 19 Spassvögeln und der Erkenntnis zum Schluss, dass eine Fähigkeitslücke der Bundeswehr mit einem großen Batzen Unfähigkeit gefüllt wurde. Das gilt nicht nur für die Beschaffer, sondern auch für den Auftragnehmer, wenn EADS-Chef Thomas Enders in der tageszeitung blühenden Unsinn erzählt: "Es braucht vielleicht 15 Minuten und dann ist man auf 45.000 Fuß (13,7 Kilometer). Anschließend fliegen sie auf einer Höhe von 60.000 bis 65.000 Fuß nach Afghanistan. Sie belästigen niemand. Warum in aller Welt ist das in Deutschland nicht möglich?" Das ist nirgendwo auf der Welt möglich, weil der Euro Hawk als eine Art Motorsegler 37 Minuten braucht, um die besagte Flughöhe zu erreichen. Dass die Drohne nach Afghanistan fliegen soll und keine Überfluggenehmigungen braucht, ist zusätzlicher Sommer-Quatsch.

Ein schönes Sommerwahlquatschthema wird auch die PKW-Maut bieten, die die CSU um jeden Preis haben will, bekanntlich nur für Ausländer. Das anders als bei den LKW die ausländischen PKW abgesehen von der Warschauer Allee mit einem Anteil von 5 Prozent vernachlässigt werden können, kratzt niemand. Damit die PKW-Maut kommt, müssen alle, alle zahlen, doch dann gibt es für echte deutsche Autos entsprechende Nachlässe bei der KFZ-Steuer. Versprochen. Wann genau diese Nachlässe kommen, kann niemand sagen, höchstens singen, wie diese irischen Banker, die beim Wort Rückzahlung so kerlig lachten.

Rechtzeitig zum großen Sommerfest hat ein deutsches Gericht sich mit dem Urheberrechtsschutz für Pornos befasst. Ihnen fehlt es als eine Art Nummern-Revue an der nötigen Schöpfungshöhe, weil sie primitiv umgesetzt sind. Im Vorfeld des kommenden Leistungsschutzrechtes ist das ein apartes Urteil in Hinblick auf primitiv umgesetzte Texte. Und wie wäre es, die saudummen Klickstrecken im Internet ähnlich zu bewerten?

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 07 Juli, 2013, 06:06
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** "Wir wissen zum Beispiel, dass es nicht so ist wie bei der Stasi und dem KGB, dass es dicke Aktenbände gibt, in denen unsere Gesprächsinhalte alle aufgeschrieben und schön abgeheftet sind. Das ist es nicht." Natürlich ist es das nicht, die Welt hat sich weitergedreht und die Schnüffler und Enttarner marschieren Seit an Seit mit der jeweils neuen Technik, wie dieser frei gegebene Bericht von der Eurocrypt 92 (PDF-Datei) zeigt – der ersten Krypto-Konferenz nach der Veröffentlichung von PGP im Internet. Ein Gauck ist damit die neue Maßeinheit in diesem Neuland, die die Unkenntnis der Auswirkung digitaler Lebensart zum Ausdruck bringt. Wer Stasi und KGB für schlimm hält, weil Papierakten angelegt wurden und damit die Datenschnüffelei von NSA, GHCQ, DGSE oder BND verharmlost, produziert genau ein Gauck Unsinn. Der Vergleich der Aktenschränke der Stasi mit den Speicherplänen der NSA kommt dabei schon auf zwei Gaucks, denn natürlich war die Stasi bis zum Zusammenbruch der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) damit beschäftigt, ihre Dokumentation zu digitalisieren. Ein weiterer Gauck ist für den Glauben fällig, dass das moderne Rechenzentrum des FSB neben der Lubjanka nichts mit den Plänen des KGB zu tun hatte, den gesamten Datenverkehr mitzuspeichern.

*** Einen mehr spekulativen Gauck habe ich noch: Hätte diese DDR weiter existiert, wären Robotron-Smartphones mit volkseigenen Schnüffelchips auf den Markt gekommen, die unsere Gesprächsinhalte alle mitschneiden und schön abspeichern. Dass Westdeutschland dem Äquivalent namens Pluto-Chip entkommen ist, hat mit der Entrüstung über Echelon zu tun. Innenminister Manfred Kanther konnte bei all diesem Ärger seinen Lieblingsplan nicht verfolgen. Der schlichte Gauck-Blick auf die Technik, dieses stupende Unvermögen zu verstehen, ist die neue deutsche Unfähigkeit zu trauern, sich einen wirklichen Überblick zu verschaffen, was da abläuft oder geplant ist. Heraus kommen bestenfalls Sondersitzungen und Statements, in denen von Yogabytes genuschelt wird, was sich wie eine kerngesunde Sache anhört. Heute wissen wir, dass der komplette Postverkehr aus der DDR überwacht wurde. Weiter westlich wird noch heute jeder Umschlag ordentlich fotografiert und schön abgeheftet, was getrost als Kilo-Gauck gezählt werden kann.

*** Nun leben wir in einer schönen Sommerzeit im schönen Monat Juli, in die der 100. Geburtstag der (bis jetzt) berühmtesten naturwissenschaftlichen "Trilogie" fällt. Im Juli 1913 begann die Veröffentlichtung des Atommodells von Niels Bohr im Philosopical Magazine and Journal of Science (PDF-Datei). Sein Modell führte die Physiker zur frühen Quantentheorie, die später von Heisenberg und Schrödinger verbessert wurde. Zu aller Ehren gibt es in der populären Physik den Quantensprung hüpfender Kamele, die unversehens zu einem Quantensprung in der Schullandschaft schreiben können. Zur Neuland-Maßeinheit des Gaucks gesellt sich so die Bosbachsche Unschärferelation, mit der, egal ob es um Vorratsdatenspeicherung oder "Mindestspeicherfristen für Verbindungsdaten" geht, alles auf eine elektronische Beweissicherung hinausläuft. Orwell war gestern: Bis zum Beweis der Unschuld sind wir alle fürderhin ein Quäntchen im digitalen Aufenthaltsvorratsraum. Bleibt nur die Frage, auf welch schicken Namen die minderbefristete Speicherdatei für Verbindungsdaten hören soll. 4Affen.Dat? Nichts hören, nichts sehen, nicht sprechen, nichts zu verbergen...

*** Bleiben wir bei der Physik und der heisenbergschen Unschärferelation. Physiker in Hannover haben sich daran gemacht, Heisenberg ein Schnippchen zu schlagen, indem sie Licht quetschen und Phase wie Amplitude in einem verschränkten Referenzsystem gleichzeitig messen. Das Schnippchen gegen Heisenberg verfolgt den hehren Zweck, Einsteins Gravitationswellen nachweisen zu können, eine Kräuselung der Raumzeit. So witzig kann Forschung sein, die Kongresse wie "50 Jahre schwarze Löcher" veranstaltet. Aber wehe, wenn sie anfangen, mal dem 2. Hauptsatz der Thermodynamik ein Schnippchen zu schlagen und sich daran machen, Entropiebomben zu bauen. Dann schlägt die Stunde von Bosbach.

*** Die Stunde von Assange und seinem Safepass-Adjutanten war schon im letzten WWWW ein Thema der Wochenendunterhaltung, das an Absurdität schwer zu übertreffen sein dürfte. Doch es ging. Mit dem seltsamen Zwischenstopp der Maschine des bolivianischen Präsidenten Evo Morales aufgrund angeblich fehlender Überflugrechte wurde das Spiel locker getoppt. Während die Verweigererländer ihre Unschuld betonen, lachen sich die Agenten schlapp, die diese ganz besonders doofe Massenvernichtungswaffe via Spanien lancieren konnten, die Europa zeigte, was der Marshal kann. In der Deklaration von Cochabamba wird eine Aufarbeitung des Vorfalls gefordert. Nicht einmal diese Deklaration ist offenbar berichtenswert, von Aufklärung ganz zu schweigen. Stattdessen gibt es Twitter-Quatsch auf dem Niveau von Groschenblättern.

*** Auf besonders tiefen Niveau fliegt derzeit die SPD mit Politikern wie Wiefelspütz, der nicht erkennen kann, dass dieser Snowden politisch verfolgt wird. Vielleicht fehlte die Brille. Nicht nur Sören Jensen wartet auf eine Antwort. Dass zudem Sigmar Gabriel den Chef der NSA in Deutschland vorladen will und Ex-Kanzleramtsminister Steinmeier nichts von den Echelon-Untersuchungen wusste, die in seine Amtszeit fielen, passt zu den berühmten vier Affen. Oh, habe ich mich verzählt? Aber nicht doch, Europa soll es richten, nach dem Willen der designierten Internet-Ministerin: Die bestehende EU-Gesetzgebung muss außer Kraft gesetzt werden. Das ist wohl das "weichere Wording" à la SPD. Bis anhin verschlüsselt die Partei mit einer Decke, entwickelt im Forschungsprogramm der Fachfrau.

*** Im Sommer sollte man auch das Positive sehen und nicht nur herumrätseln. Diese Einsicht wird ihnen präsentiert vom Heise-Forum und von Fefe: Es gibt eine Gegenbewegung, es gibt Alternativen, auch wenn sie Schwächen haben mögen. Auf ihnen kann man aufbauen, mit schlichten Einsichten beginnend: Vertrauen ist kein Algorithmus. Zum Tode von Douglas Engelbart sollte die Nebensächlichkeit erwähnt werden, dass Stewart Brand die Kamera bediente, die die Mutter aller Demonstrationen im Film verewigte. 1968, im Jahr der Engelbart-Demo erschien der erste Whole Earth Catalogue von Brand mit dem Motto: "Stay Hungry, Stay Foolish." Bleibt jung, bleibt hungrig, bleibt misstrauisch gegenüber dem Staat. Inmitten all der IT-Spezialisten, die an Überwachungssystemen wie Prism schrauben, gibt es mutige junge Leute wie Edward Snowden oder Bradley Manning, die auspacken.

Was wird.

In der nächsten Woche startet das Sommerrätsel mit hoffentlich knackigen Fragen über Hardware, Software und der Wetware, eben den Menschen in all diesem Schlamuckel. Es geht zurück, das ist doch schon etwas. Das ur-ur-uralte Altavista wird abgeschaltet, einstmals die Top-Suchmaschine der innovativen Programmierer von DEC. DEC?. Hätte diese Superkultur der nerdigsten Nerds daraus ein Google machen können? Der Rest ist Schweigen, besonders dann, wenn wieder einmal Europa 3.0 gefordert wird. Der Quatsch namens europäische Suchmaschine lässt grüßen. Die Antwortmaschine (PDF-Datei) macht winke-winke, wie Maneki Neko: Das Glück ist uns hold.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird
Beitrag von: SiLæncer am 14 Juli, 2013, 00:39
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich. Und dieses Mal bringt sie Teil 1 des alljährlichen Sommerrätsels.

.-- .- ... .-- .- .-.

*** "Ireaüasgvt vfg, qnff qvr cbyvgvfpura Fcvgmra, jraa fvr zvgrvanaqre fcerpura, qneüore fcerpura, jvr zvg qre Fnpur hzmhtrura vfg, jvr reafg Ibejüesr mh aruzra fvaq haq jvr zna qnzvg hztrug, Ibejüesr mh orfcerpura, mh xyäera, mh irevsvmvrera bqre nhf qre Jryg mh fpunssra. Ireaüasgvt vfg, qnff üore qvr gngfäpuyvpur Neg qrffra, jnf anpuevpugraqvrafgyvpu nhs qre rvara bqre naqrera Frvgr trgna jbeqra vfg, qvrwravtra fcerpura, qvr qvr vagrafvir Qrgnvyxraagavf qniba unora."

Yotta, Yotta, yada, yada unora. Was sagt der gesunde Menschenverstand zu diesem Prozess der Sachaufklärung durch rätselhaftes Geschwurbel? Genau, das Sommerrätsel hat begonnen, damit fängt die Lösung an. In drei Rätsel-Teilen über Software, Hardware und Bürgerware geht es um Spionage, Verschlüsselung und das große Drumrum, sind jeweils 10 hoffentlich knifflige Fragen durch die geneigten Leser zu entschlüsseln. Während der Anfang dieser Wochenschau dem Kenner der Materie ein müdes Lächeln entlockt und daher als Aufwärmübung gedacht ist, gibt der Inhalt echte Rätsel auf. US-Whistleblower Edward Snowden reist nach Russland ein, während unser Land mit seiner Regierung wie viele andere Länder den Mut nicht aufbrachte, ihm Asyl zu gewähren. OK, Oberschwaben ausgenommen, aber das gehört trotz anderslautender Geheiminformationen immer noch zu diesem unseren Lande. So gibt es seltsame Diskussionen darüber, was vernünftig ist und noch seltsamere Reduktionen, weil der Papa spioniert, denn: "Es ist ein bisschen wie in der Familie". Wie in modernen Familien, gibt es auch hier die Beruhigungspille: "Geeignete, leistungsfähige Verschlüsselungsprodukte deutscher Hersteller sind am Markt verfügbar, ihr Einsatz wird vom Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik empfohlen. Sie zu nutzen ist also der richtige Weg."

*** An dieser Stelle wäre die eigentlich erste Frage nach den Produkten fällig, die Jedermensch ohne große Computerkenntnisse einsetzen kann, doch halt, so schwierig sollte die Rätselei nicht beginnen. Verkneifen wir uns die Frage, was das BSI mit Kim Dotcom macht. Verkneifen wir uns auch die Frage nach den 25 Anschlägen in Europa, die verhindert werden können. Die bereits erwähnte Sauerland-Show mit lässiger Zünd-Begleitung durch die CIA lässt erahnen, was sich in der "Familie" abspielt. Klappe halten und auf den Vater hören! Dieses Transkript einer kleinen familientherapeutischen Abreibung verdient daher unsere ungeteilte Aufmerksamkeit: "Äh, aber die Amerikaner speichern, äh, Inhaltsdaten nur in ganz besonderen Fällen und nur, äh, in weniger Fällen. Aber natürlich die sogenannten Metadaten, also das, was wir unter Vorratsdatenspeicherung, äh, verstehen, wird auch bei den Amerikanern, äh, gespeichert. Darin sehen sie eigentlich auch kein Problem, nur der Zugriff auf diese Daten… Der Zugriff auf diese Daten ist das Entscheidende." Wie schrieb David Cooper einstmals über den Tod der Familie? "Jeder Verband, der sich als glückliche Familie ausgibt, ist Teil eines Systems, dessen gesellschaftliche Funktion es ist, Erfahrungen abzufiltern." Das könnte ganz metamäßig passen zu diesem unseren Noch-Innenminister. Wer liest, was in den USA tatsächlich passiert, wird kein Verständnis haben. We are family? Denkt ihr.

So ergibt sich wie von selbst Frage 1: Was sagt das Chiffrat dem gesunden Menschenverstand?
Worauf sich auch gleich Frage 2 anschließt: Familiengeschichten beginnen immer zu Hause. Trittenheim an der Mosel ist der Zugangsschlüssel zu...?

*** In den 1024 geplanten Giga-Mega-Mikra-Ausgaben dieser kleinen Wochenschau hat das alljährliche Sommerrätsel die Funktion, über die sommerliche Nachrichtenflaute hinwegzuhelfen. Diese Flaute ist in der IT-Sparte bekanntlich besonders groß. Wenn der klassische Journalismus sich mit dem Kaiman im Badesee zu helfen weiß, haben wir eine Leerstelle. "Heisig im Maschsee" zieht als Nachricht keine Leser vor die Schirme, da muss schon knackig von der Neuausrichtung von Microsoft die Rede sein, die keine Software-Company mehr sein will. Sondern viel lieber ein Unternehmen, das Synergieeffekte mit der NSA sucht, frei nach Tancredis Einsicht Lampedusas Gattopardo: "Wenn alles bleiben soll, wie es ist, muss sich alles ändern." Sonst heißt es Abschied nehmen. Da ist es schon besser, die gute Zusammenarbeit aus Echelon-Tagen fortzusetzen. Man kann noch weiter zurückgehen, etwa in die Zeit, als das Spintcom-Netz der NSA existierte. Nur landet man da bei IBM und Rembrandt.

Was uns zu Frage 3 führt: Short Term Memory Failure allerseits? Was will uns 2011125200 sagen?
Und Frage 4 folgt auf dem Fuß: "Ein feines Telekommunikationsnetzwerk spannte sich von Washington aus in alle Richtungen, um das Hirn mit fast 5000 Hauptcomputerstationen zu verbinden. Das war das Meisternetz." Was passiert in diesem Netz?

*** Dank der Snowden-Affäre herrscht also diesmal kein Themenmangel, die IT hat gewissermaßen ihr eigenes Baggerloch bekommen. Statt herumschwimmender Kaimane oder Pandabären in Zwangsjacken werden wunderliche Themen aufgenommen, bis hin zur Mystifizierung von Computern und Big Data. Auch die Erklärung von Innenminister Firedrich, dass Metadaten zur Vorratsdatenspeicherung gehören, passt bestens in die Reihe vorsätzlicher Verirrungen und Verblödungen. Widdewiddewitt, ich back mir meine Welt, wie es mir gefällt, scheint das aktuelle Regierungsprogramm zu sein. Eine Ausnahme dürfte der ahnungslose Übersetzer sein, der in der Talkshow von Maybritt Illner die Rede von Jacob Appelbaum übertrug. Er machte aus der Skandalfirma Gamma die GEMA, deren Geschäft auch irgendwie als Abhören beschrieben werden kann. Der eigentliche Skandal ist doch, dass bei aller Empörung über die amerikanischen Lauschaktivitäten untergeht, wie deutsche Firmen im Geschäft sind. Das betrifft nicht nur die bei der OECD eingereichten Fälle Gamma und Trovicor oder die Trojanerschmiede Digitask oder Elaman. Das betrifft noch andere Firmen: Bundeskanzlerin Merkel oder eben der Noch-Innenminister telefonieren mit Geräten, die die End-to-End-Verschlüsselung beherrschen, ihre Thin Clients werden wohl mit Sicherheits-Smartcards von Utimaco gestartet, wo man den Informationsverbund Berlin-Bonn betreut. Alles ziemlich komfortabel und so sicher, dass die NSA auf die bewährte Verwanzung zurückgreifen muss.

Das ergibt natürlich Frage 5: Welche kommerzielle Standardsoftware wurde als erste mit eingebauter Verschlüsselung ausgeliefert?
Gefolgt von Frage 6: Richtig "dick Schotter" machen mit Daten, wer warnte davor (und auch vor der NSA)?

*** Geht es aber um den Bürger, bleibt Microsofts Skype übrig, dann ist Verschlüsselung urplötzlich hochkompliziert, nur etwas für Nerds, da vollkommen unsexy und ach so schwer gefährlich, wenn einer nur den kleinsten Fehler macht. Diese perfide Verlogenheit in Sachen Technik zieht sich hin bis zu den Journalisten, die allen Ernstes behaupten, dass nur analoge Kommunikation halbwegs gesichert werden kann. Auch die edelmütigen Hacker tun wenig bis gar nichts, um diese Situation zu verändern, bringt es für sie doch Bewunderungspünktchen oder wahlweise lukrative Posten. Die enge Verbundenheit zwischen dem Chaos Computer Club und einem Hersteller wie GSMK Cryptophone wird beispielsweise nicht dazu beitragen, Werkzeuge für das Volk unter das Volk zu bringen, dazu ist der geheime Markt viel zu lukrativ. Nein, es ist keine Verschwörung gegen die Idiotes, es ist das simple Spiel von Angebot und Nachfrage, dem alle gehorchen. Das Menschenrecht auf einem weltweiten, unbehinderten, nicht kontrollierten Datenaustausch mit Menschen und anderen intelligenten Lebewesen ist eine hübsche Idee. Und Geschäft ist Geschäft.

Kommen wir also zu Frage 7: Auf der Tenne wurde einstmals Getreide gedroschen. Welcher Whistleblower warnte vor welchem Kryptosystem?
Und, passend kryptisch, Frage 8: OBKRUOXOGHULBSOLIFBBWFLRVQQPRNGKSSOTWTQSJQSSEKZZWAT
JKLUDIAWINFBNYPVTTMZFPKWGDKZXTJCDIGKUHUAUEKCAR?


(http://www.heise.de/imgs/18/1/0/4/9/4/6/8/WasWird_Sommerraetsel2013Teil1-6e7f789534d27713.png)

Dieses Sommerrätsel musste aus lösungsfindungstechnischen Gründen leider bilderlos erscheinen. Das wird sich in der nächsten Folge ändern, in der Rätsel zur Hardware. Bilder wird es jetzt wohl mehr vom jungen Edward Snowden geben, auch wenn Russland und die USA verhandeln – die beide bedenklicherweise nichts mit den Tshwane-Prinzipien zu tun haben wollen. Dafür haben die Länder viele historische Erfahrungen, denn Snowdens Fall ist nicht einzigartig. Da offenbar der Journalist Glenn Greenwald mit der Veröffentlichung von Snowden-Material weitermachen will, ist das Sommerloch zugeschüttet. Zudem kreist in Wahlkampfzeiten ein lustiger Phantomvogel über dem großen deutschen Baggersee.

So sei denn Frage 9 gestellt: "Furthermore, we were disenchanted by the U.S. Government’s practice of intercepting and deciphering the secret communications of its own allies." Welche Überläufer haben diese außerordentlich verschnupfte britische Reaktion verursacht?

Und beschließen wir das ganze mit Frage 10: In einem britischen Krimi bildet sich ein russischer Emigrant ein, ein überlebender Sproß der letzten Zarenfamilie zu sein. Er wird spurenlos am Strand ermordet. Dabei spielt eine Verschlüsselungstechnik eine wichtige Rolle. Ihr Name ist der Schlüssel zu einem anderen Schlüsseltext, der in diese unsere heutige Zeit passt.

UB BG BH NU US RD MQ OK GP GI ON UB BV CN YX NU US RD MQ QX RB UG CO NM
KG SU UE BK NT UB GL GI HY ZP NU US RD MQ QX RB KG AP NU US RD MQ UB GL
GI VC FQ NU US RD MQ PU BZ RB UG GO KN YX NU US RD MQ

(Prag, 21. August 1968)

Die Auflösung von des Sommerrätsels erstem Teil erfolgt wie üblich am kommenden Montagabend.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was wirklich wahr war: Die Auflösung eines Sommerrätsels
Beitrag von: SiLæncer am 15 Juli, 2013, 19:15
Der erste Teil des traditionellen Sommerrätsels ist vorüber. Acht von zehn Fragen wurden gelöst. Dennoch ist ganz Deutschland im Ratefieber. Schließlich hat Bundesinnenminister Friedrich von seiner kritisierten US-Mission die Zahl von fünf verhinderten Terroranschlägen mitgebracht. Einer – die Geschichte der Sauerland-Gruppe – ist bekannt, über vier weitere wird gerätselt.

Frage 1 beschäftigte sich mit einem Wortschwall von Regierungssprecher Steffen Seibert, abgeliefert in der Bundespressekonferenz, mit ROT13 standesgemäß unglücklich definiert. Die richtige Antwort des gesunden Menschenverstandes stand in der taz und lautete schlicht "Hä?" Die gesamte Pressekonferenz wurde übrigens von einem OSINT-Analytiker auf Fakten abgeklopft. Das Ergebnis: 1. Es gibt eine Bundesregierung. 2. Was die Regierung tut, ist geheim. 3. Es gibt Recht und Gesetz. 4. Die Bundesregierung führt detaillierte Gespräche über etwas, das sie nicht weiß. 5. Dazu benutzt sie Flugzeuge. Man muss anerkennen, das "Hä?" die bessere Zusammenfassung ist.

Frage 2 nach dem lieblichen Trittenheim, das nicht identisch ist mit dem Geheimdienst-Mekka Meckenheim, führt schnurstracks zum Werk des Johannes Trithemius, der 1519 die Polygraphiae veröffentlichte, das erste westliche Standardwerk über Verschlüsselung. Das erste bekannte Werk zur Krypto-Analyse stammt nach derzeitigen Erkenntnissen von al-Kindi und wurde erst 1987 entdeckt.

Frage 3 suchte den NSAkey in leicht verschlüsselter Form, Frage 5 dazu passend nach Lotus Notes, der ersten kommerziellen Software mit eingebauter Verschlüsselung. Ursprünglich durften nur 40Bit-Schlüssel eingesetzt werden, doch Lotus erreichte nach zähen Verhandlungen eine stärkere Verschlüsselung mit 64Bit-Schlüsseln. Das Ganze um den Preis eines "Workload Reduction Factor" für die NSA: ein 24Bit-Schlüssel, NSA-Key genannt, war Teil des Schlüsselsystems. Damit war Notes international stark geschützt und die NSA hatte trotzdem leichtes Spiel.

Frage 4 dazwischen wurde nicht gelöst. Der Hinweis auf das Meisternetz und das Hirn war zu wenig Chiffrat, um Theodores Roszaks 1981 geschriebenen Roman "Wanzen im Hirn. Das Märchen vom Ende der Computer" zu erkennen. US-amerikanische Wissenschaftler betreiben den Supercomputer "Hirn", der über das Meisternet auf 5000 weitere Computer zugreift und das gesamte Land kontrolliert. Im eigentlichen Hirn entsteht eines Tages ein kleines verschlüsseltes Programm, eine Wanze, die sich selbstständig macht und über das Meisternetz entweicht. Schließlich wird sogar das Arpanetz der Militärs befallen. Darüber hinaus entweichen die Wanzen aus den Computern: Für Menschen ist der Kontakt mit ihnen tödlich. Den Menschen bleibt nichts anderes übrig, als sämtliche Computer abzuschalten und zu verschrotten.

Keineswegs verschrottbar ist das PGP-Buch (PDF-Datei), das vom Verein formerly known as FoeBuD (heute Digitalcourage e.V.) herausgegeben wurde. Nach diesem Buch wurde in Frage 6 gesucht. Es ist heute technisch veraltet, aber das Vorwort gilt unverändert: "Lassen Sie sich nicht erzählen, daß Sicherheit, Ordnung und unsere Demokratie durch Verschlüsselung gefährdet seien: 'Es hat keinen Sinn, die Demokratie dadurch zu schützen, indem wir sie abschaffen.' Dieser Satz von Ingo Ruhmann ist schlicht, einfach und richtig." Mittlerweile wird Ruhmanns Sentenz dem SPDler Wolfgang Thierse zugeschrieben. So ändern sich die Zeiten.

Die ungelöste Frage 7 suchte den deutschen Whistleblower Karl Gebauer, der als Sicherheitsbeauftragter von IBM Wilhelmshaven Zugang zu den geheimsten NATO-Plänen beim Projekt "Tenne" hatte. Tenne war einer der ersten Versuche hierzulande, ein computergestütztes Führungsinformationssystem einzusetzen. Gebauer sah in Tenne eine Erstschlagsplanung der Marine in der Ostsee auf die Truppen des Warschauer Pakts. Er versuchte zunächst, die westdeutsche Presse für die Pläne zu interessieren und wandte sich schließlich bewusst an die DDR, um die Rüstungsparität und damit den relativen Frieden zwischen den Blöcken zu sichern. Die DDR bekam durch ihn Kenntnis von Tenne, als Doppelagent meldete er jedoch auch Ostreisen von IBM-Mitarbeitern an den BND weiter. Das Landesamt für Verfassungsschutz Niedersachsen wollte ihn zudem auf die Grünen ansetzen. Gebauer verriet Details des BRD-Verschlüsselungssystemes Elcrovox an die DDR.

Frage 8 zeigte den bis heute nicht geknackten 4. Teil von Kryptos, jener Verschlüsselungsskulptur des Künstlers Jim Sanborn, die seit 1990 vor dem Hauptquarten der CIA steht. Frage 9 interessierte sich für das Schicksal der US-amerikanischen NSA-Überläufer William Hamilton Martin und Bernon F. Mitchell, die sich 1963 nach Russland absetzten. Beide empörten sich darüber, wie die NSA die eigenen Verbündeten ausspionierten. Frage 10 enthielt eine Verschlüsselung mit dem Playfair Code und einen Hinweis auf ein Buch von Dorothy L. Sayers, in dem dieser Code eine wichtige Rolle spielte. Das reichte einem Leser um diese Sätze aus Prag 1968 zum Einmarsch des Warschauer Paktes zu entschlüsseln, die angesichts von Prism & Co neue Gültigkeit haben:

Wir haben nichts gelernt,
wir wissen nichts,
wir verstehen nichts,
wir verkaufen nichts,
wir helfen nicht,
wir verraten nicht
und
wir vergessen nicht.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. Die etwas heißere zweite Rätselnacht.
Beitrag von: SiLæncer am 21 Juli, 2013, 06:00
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich. Und dieses Mal mit dem zweiten Teil des alljährlichen Sommerrätsels.

Was war.

*** Glaubt man der gelernten Physikerin und jetzigen Bundeskanzlerin Angela Merkel, so ist die Erde eine Scheibe. Zumindest ist diese Aussage stimmiger als die hilflose Reihung von Floskeln, die Merkel dieser Tage der interessierten Öffentlichkeit präsentiert. Man mag sich gar nicht ausmalen, was passieren würde, wenn Angela Merkel Kassiererin in einem Supermarkt wäre. Doch stopp, keine Angst, sie ist nur Bundeskanzlerin mit der Lizenz zum Nullsprech. In dieser Rolle stellt sie souverän die Nullkompetenz ihrer Regierung da, die in Konkurrenz zu dieser kleinen Wochenschau ein eigenes Sommerrätsel veranstaltet. Mit durchaus kniffligen Fragen: Gibt es zwei, drei oder gar viele Prisms oder handelt es sich um ein und dieselbe Killer-Applikation? Gab es fünf oder sieben geplante Terroranschläge, die in Deutschland Dank freundlicher Hinweise der NSA verhindert werden konnten? Und wer planschte im Pool der Dienste noch alles herum? Was hat die geheime Superkraft des imaginären Rechts auf Sicherheit noch zerdeppert? Ist die Verlogenheit der Politiker gar eine demokratische Grundtugend in diesem unseren Taka-Tuka-Land? Fragen über Fragen und täglich kommen neue Details für neue Fragen hinzu.

*** Gegen diese wichtigen Fragen hat unser kleines Sommerrätsel keine Chance, die Massen anzulocken. Aber der ein oder andere Leser dürfte unverdrossen auf die Lösungssuche der Fragen machen, die sich überwiegend mit der Hardware beschäftigen, die beim Verschlüsseln und Entschlüsseln eingesetzt wird.

Frage 1: Die Erde ist eine Scheibe? Welches Verschlüsselungssystem ist hier zu sehen?

(http://www.heise.de/imgs/18/1/0/5/2/2/3/1/FRAGE1-297a154c53d90862.jpeg)

Frage 2: Das ist eine Art Scheibe. Sie half bei welchem Verschlüsselungssystem?

(http://www.heise.de/imgs/18/1/0/5/2/2/3/1/FRAGE2-02d78e0fd7b07dda.jpeg)

*** Mit historischen Vergleichen ist das so eine Sache. In der Mehrzahl der Fälle sind sie schief, hinken oder sind schlicht falsch, ganz gleich ob der Biedermeier ohne den Vormärz genommen wird oder die Stasi. Ja, sie konnte in ihrer besten Zeit nur 40 Leute simultan abhören, aber das war der Stand der Technik. Natürlich setzte auch die Stasi Computer ein und scheute keine Kosten, sich deutsche Wertarbeit von Siemens für ihre Golem-Datenbank im SIRA-System anzuschaffen, obwohl man damals schon einen Whistleblower wie Edward Snowdon befürchtete. So erklärte Stasi-Chef Erich Mielke, wie verletzlich das System ist: "Die Sache ist nämlich so: wenn wir erst anfangen mit dem Komputer und wenn dann einer dran sitzt, Genossen, der alles herausdrücken kann, dann muß das schon ein treu ergebener Mensch sein, der muß - wir wollen hier nicht überheblich sein - noch besser sein als Markus Wolf, Heidenreich und ich vielleicht auch und mancher andere und Genosse Fruck. Das muß er!"

Überwachung und Kontrolle ist nicht nur eine Frage des technologischen Entwicklungsstandes. Dass die Endlösung der Judenfrage mit der NSA-Technologie eine Sache von ein paar Tagen gewesen wäre, wie in der Beckmann-Talkshow behauptet wurde, ist natürlich Unsinn. Gestorben wird noch immer analog, wobei die NSA natürlich auch ihre Leichen im Archiv hat.

Frage 3: Wie verschlüsselte Heinrich Heine im Biedermeier? Gesucht wird die Passphrase.

(http://www.heise.de/imgs/18/1/0/5/2/2/3/1/FRAGE3A-8a7b4c042159af52.png)

(http://www.heise.de/imgs/18/1/0/5/2/2/3/1/FRAGE3B-f28d64dce5f19e4c.png)

Frage 4: Gesucht wird ein NSA-Computer, der eine äußerst unangenehme Eigenschaft hatte.

(http://www.heise.de/imgs/18/1/0/5/2/2/3/1/FRAGE4-a5e4fadb97e8e9b4.png)

*** Wo das Ausmaß der Überwachung diskutiert wird, ist die Frage des Datenschutzes nicht fern. Merkels Sidekick Hans-Peter Friedrich demonstrierte, wie wendig so ein "Bärchen" sein kann und schwadronierte von einer Meldepflicht beim Datenexport in Drittländer außerhalb der EU. Wie lange ist es her, dass Datenschützer Thilo Weichert so freundlich über einen Innenminister urteilte? Wobei der Datenschutz ganz unten anfangen muss, bei Polizisten, der bei einer Kontrolle mal eben die SMS-Nachrichten mitkontrolliert, ohne jegliche Befugnisse. Das gilt für ganz Europa, auch für die großbritischen Inseln.

Frage 5: Dieses Bild ziert eine Hardware älterer Bauart. Wie lautet der Buchtitel?

(http://www.heise.de/imgs/18/1/0/5/2/2/3/1/FRAGE5-3468d1455df9201c.jpeg)

Frage 6: Noch ein Film über Assange? Wie telefonierte man bei Wikileaks?

*** Ulrich Beck, der Theoretiker der Risikogesellschaft, hat das Freiheitsrisiko neben dem Klimarisiko zu den wichtigsten Problemen des Jahrhunderts gezählt und die Veröffentlichung des Ausmaßes maschineller Überwachung durch Edward Snowden als Schockgeburt des digitalen Freiheitsrisikos bezeichnet: "Dass die Nation, die Freiheit als die Priorität ihres Selbstverständnisses in der ganzen Welt behauptet und auch wirklich auf sehr eindrucksvolle Weise dokumentiert hat, vor diesem digitalen Freiheitsrisiko kuscht. Ein Friedensnobelpreisträger jagt eine Person, die den Friedensnobelpreis wirklich verdient hätte. Gegen das digitale Freiheitsrisiko hilft nach Beck nur die Formulierung eines globalen Grundrechtes auf digitale Freiheit. Schlimm wäre es, wenn die Welt die Überwachung gleichgültig hinnehmen würde. Ebenso schlimm wäre nach Beck eine Digital-Guerilla im Stil von Anonymous. Sie würde einen zu einem riesengroßen Hickhack führen, der wiederum in nationalen Konflikten münden kann. Im Klartext: noch die nobelste Aktion der Hacker wird dankbar von den Staaten ausgenutzt, einen Cyberkrieg zu führen. Wenn die US-Marine einen neuen Bletchley Park errichten will und eine bekannte Kryptologin wie Dorothy Denning holt, um die Ethik des Cyberkrieges zu diskutieren, sehen wir die Arbeit an den Schnittstellen. Denning wurde mit ihrer positiven Einstellung zum Clipper-Chip der NSA bekannt.

Frage 7: Was fehlt in diesem Bild?

(http://www.heise.de/imgs/18/1/0/5/2/2/3/1/FRAGE7-56f87b94078bd893.jpeg)

Frage 8: Es gibt angeblich einen Goldstandard der Internet-Überwachung. Der Name der Software stammt von einer Verschlüsselungshardware ab, die ein berühmter Agent benutzte. Wie heißt die Hardware?

Was wird.

Von wegen Kaiman am Baggersee, das Sommerloch ist weiterhin zubetoniert. Das gilt auch für die Politiker, die sich in Wahlkampfzeiten keine Pause gönnen und den amtierenden Verteidigungsminister in einem befragen wollen. Sie wollen wissen, ab wann de Maizière von den Zulassungsproblemen des EuroHawk wusste. Die Sache dürfte deshalb unangenehm werden, weil auch beim baugleichen GlobalHawk Probleme drohen. Fünf dieser Drohnen will die NATO bei ihrem neuen Boden-Überwachungsprogramm einsetzen. Ausgerechnet Italien beschwert sich nun, dass die Qualität der Dokumentation und die transparente Weitergabe von Informationen möglicherweise nicht ausreichen, um eine Luftverkehrszulassung zu erreichen. Mit einer umstrittenen Ausnahmegenehmigung sind derzeit US-amerikanische GlobalHawks in Sigonella stationiert. Auch die fünf NATO-Drohnen sollen von dort aus starten und über Nordafrika und Kleinasien aufklären. Gut möglich, dass auch diese Pläne sich in Schall und Rauch auflösen.

Frage 9: Welche fliegende Entschlüsselungsmaschine war selbst eine Chiffre?

Frage 10: Natürlich geht das Sommerrätsel weiter, das große in der Welt der Politik wie auch das kleine in der Wochenschau, wenn die Whetware im Mittelpunkt steht. Was NSA und FBI und BND und ihre Freundesbande so treiben, gehört zur post-caleanischen Welt, mit der wir leben und rechnen müssen. Gesucht wird ein Ort, wo genau dies diskutiert wird.

Quelle : www.heise.de
Titel: Wie es war. Die Auflösung der zweiten sommerlichen Rätselnacht.
Beitrag von: SiLæncer am 22 Juli, 2013, 20:45
Auch beim zweiten Teil des Sommerrätsels wurden sieben Fragen beantwortet, eine halb und nur zwei (Nummer 9 und 10) blieben offen. Damit ist die Quote besser als in der Welt der Politik, wo täglich neue Rätsel auftauchen und die Frage, was Kanzlerin Merkel alles nicht gewusst hat, immer wieder neu gestellt wird. Im dritten und letzten Teil werden Menschen zu raten sein.

Ja, die Menschen machen ihre eigene Geschichte, aber aber sie machen sie nicht aus freien Stücken, nicht unter selbstgewählten, sondern unter unmittelbar vorgefundenen, gegebenen und überlieferten Umständen. Was Karl Marx formulierte, passt gut zum Sommerthema Nr. 1. Einer muss ja so einen //kbarlist.blogspot.de/2010/05/k-bar-list-jobs-25-may-2010.html:solchen. Es können ja nicht alle dagegen sein und dagegen demonstrieren oder anderweitig aufklären.

Frage 10 suchte einen Ort, wo in einer nach-caleanischen Welt über das Treiben der Dienste gesprochen wird, ob NSA, CIA, BND oder GHCQ. Das große Lausch-Panel findet in Geestmerambacht auf der OHM statt. Dort wird auch das Problem unsicherer SIM-Karten diskutiert, das manche Medien mehr beunruhigt als die Gangart der Sicherheitsdienste.

Frage 9 suchte eine Chiffre die fliegen kann und als Entschlüsselungsmaschine eingesetzt wird. Sikorskys Cypher-Drohne ist die korrekte Lösung, denn sie wurde eingesetzt, um den Weg eines Menschen im Häusermeer verfolgen zu können.

Frage 8 suchte die russische Verschlüsselungsmaschine Spektor aus dem Bond-Roman "Liebesgrüße aus Moskau. Vorbild für Spektor war die deutsche Chiffriermaschine Enigma, die Bond-Autor Ian Fleming so faszinierte, dass er versuchte, eine Maschine zu kaufen.

Frage 7 suchte das ab 1994 entwickelte Verbundsystem Intelink, gewissermaßen der Vorläufer von PRISM und Co. Technisch gesehen war das 1997 gestartete Intelink ein Intranet mehrerer Datenbanken, auf das 12 US-Dienste über einen Browser zugreifen konnten:

(http://www.heise.de/imgs/18/1/0/5/2/7/3/0/ANTWORT7-d896ecdcd28f45ca.png)

Frage 6 fußte auf "Inside Wikileaks", dem Buch des Wikileaks-Aussteigers Daniel Domscheit-Berg. Insgesamt sieben Mal erwähnt Domscheit-Berg in ihm die Nutzung von Cryptophones der deutschen Firma GSMK. Ein Rätselteilnehmer fand eine andere Quelle. Die bemerkenswerteste Passage von Inside Wikileaks über die Cryptophones verdient es, hier zitiert zu werden: "Das erste Mal begriffen wir die sozialen Defizite unseres Projekts. So gut wir auf unterschiedliche Krisenszenarien vorbereitet waren und wie viel wir auch immer darüber sprachen, dass wir uns selbst mit Cryptophonen oder stabilen Haustürschlössern absichern müssten – diesen Punkt hatten wir nicht ausreichend bedacht. WikiLeaks verteilte Anerkennung und Risiko höchst ungleich: Während wir uns halbwegs gefahrlos im Blitzlichtgewitter des öffentlichen Interesses sonnten, gingen unsere Quellen leer aus, was den Ruhm betraf. Dafür trugen sie das weitaus größere Risiko." So sehen die Telefone übrigens heute aus:

(http://www.heise.de/imgs/18/1/0/5/2/7/3/0/ANTWORT6-1-7307d60afcb90acf.jpeg)

Auch Frage 5 hatte mit einem Buch zu tun. Gesucht wurde das erste Standardwerk über den Datenschutz, Hans-Peter Bulls "Datenschutz oder Die Angst vor dem Computer" aus dem Jahre 1984. In diesem Werk wird der Computer noch als Mainframe begriffen, in dem die Rasterfahndung ablaufen kann, ergänzt um computerisierte Techniken wie den damals neuen maschinenlesbaren Personalausweis.

Frage 4 suchte den NSA-Supercomputer TRANSLTR, der im Roman "Diabolus" von Dan Brown eine wichtige Rolle spielt. Er hatte die unangenehme Eigenschaft, alle Daten auch als Programmcode ausführen zu können.

Um eine spöttische Form der Verschlüsselung ging es mit Heinrich Heine in Frage 3. Er schrieb in seinen Reisebildern, dass deutsche Zensoren dann, wenn sie alle anstößigen Passagen geschwärzt haben, dennoch die eigentliche Nachricht übrig lassen.

"Die deutschen Zensoren -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- ---- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- - -- -- -- -- Dummköpfe -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- --." (Reisebilder. "Zweiter Teil: Ideen. Das Buch Le Grand")

Frage 2 zeigte die One-Time-Pads des ersten digitalen Verschlüsselungssystems Sigsaly. An beiden Enden einer Telefonleitung mussten diese 12 Minuten laufenden Schallplatten exakt gleichzeitig gestartet werden, damit eine verschlüsseltes Gespräch auch entschlüsselt werden konnte.

Frage 1 zeigt vereinfacht die Kombinationsfiguren aus dem Jahre 1305, als sich Ramon Lull dran machte, mit Kreisscheiben seine Denkmaschine der Ars Combinatorica zu konstruieren.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. In einer traurigen Sommernacht des Sommerrätsels letzter Teil
Beitrag von: SiLæncer am 28 Juli, 2013, 06:00
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich. Und dieses Mal bringt sie Teil 1 des alljährlichen Sommerrätsels.

*** Es ist ein seltsamer Abend, der aus der Sommerhitze in eine eigentlich lockere Nachtstimmung übergeht. Vor dem Sommerrätsel steht eine traurige Nachricht: JJ Cale ist tot, es wird Mitternacht, wenn langsam die blaue Stunde sich nähert, alle Gedanken ins Weite schweifen und die Welt sehr entfernt ist. Nach Mitternacht, da werden wir herausfinden, worum es eigentlich geht. JJ Cale kann uns dabei nun nicht mehr helfen. Wenn ich einmal so entspannt bin, so laid-back, wie Cale seine Gitarre spielte, wenn ich einmal so entspannt bin, wie zwei alte Säcke ihre musikalische Meisterschaft demonstrierten, dann, ja dann kann mir nichts mehr passieren.

*** Okay, wenden wir uns den Albernheiten des Lebens zu, denn ich habe ja echt noch Glück gehabt: Kanzleramtschef Ronald Pofalla ist wieder aufgetaucht – und mit ihm ein weiteres PRISM. Also Vorhang zu und guckt nicht mehr betroffen: Nur zwei kleine Datensätzlein wurden gemäß dem wieder existierenden Pofalla an die NSA übergeben. Tja. Beinahe wäre eine Extrafrage in dieser sommerlich verrätselten Wochenschau fällig gewesen: "Wo in aller Welt ist Ronald Pofalla?" Aber gut, es gibt genug Fragen, auch nach den mageren Hinweisen des Geheimdienstkoordinators. PRISM III zum Beispiel, das könnte gar eine raffinierte Abkürzung sein, etwa von "Profalla rutscht in seinem Mist". Was ein Cyber-Außenminister neben einem normalen Außenminister soll (den man auch suchen könnte), ist auch so eine Frage. Was bleibt, ist eine Aufführung von Politik, die Aufklärung nur simuliert und ansonsten Wahlkampf macht. Der einzige, der andere Worte findet, ist der über den Wahlkämpfern schwebende Bundespräsident, der in dieser Wochenschau für andere Äußerungen über Snowden hart kritisiert wurde.

*** Ansonsten entdecken alle ausnahmslos Neuland und pflegen gewissenhaft ihr Nichtwissen. Das geht hin bis zu der Edel-Behörde der IT schlechthin, dem Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik, das jeder Zusammenarbeit mit den Diensten abhold ist. Dabei begann man einstmals zünftig als Zentralstelle für Chiffrierwesen und war damit eine Unterorganisation des Bundesnachrichtendienstes, der mit anderen befreundeten Diensten eifrig "Intelligence" austauscht und selbst eine dunkle Vorgeschichte hat. Dass man untereinander nicht spioniert, dass dies gar "unanständig" sein soll und es einen Ehrencodex gibt, ist an Absurdität nicht zu überbieten. Natürlich gibt es keine Ehre, ein echter Geheimdienst muss auch gegen sich selbst spionieren, das ist seit den Tagen des durchgeknallten ADDOCI Standard in der Branche. Soweit, so normal: In dieser Woche werden passend zu den großen Sommerrätseln Personen geraten. Zehn Fragen sind es widie Lösungen werden am Montag präsentiert und vorher von den Lesern geknackt und ins Forum geschrieben.

So also dann kommen wir zu Frage 1: Gesucht wird das Pseudonym eines BND-Agenten, der in Verbündeten ein potenzielles Risiko sah.
Gefolgt von Frage 2: Gesucht wird ein deutscher Agent, gegen den Günter Guillaume allenfalls Kreisklasse war.

*** Der Tag des verantwortlich handelnden System-Administrators ist vorbei, doch Edward Snowden, der sich Gedanken machte, sitzt dank tatkräftiger Unterstützung der Assange-Truppe noch immer im russischen Nirgendwojaneinja. Immerhin ist er in den USA nicht vom Tode bedroht. Was ihm in Deutschland drohen könnte, wo er einen Preis abholen könnte, kommt in einem sehr gehässigen Kommentar zum Ausdruck, der Snowden in eine Reihe von Menschen stellt, die "die aus politischer Egozentrik den USA um ein Haar die wichtigsten Instrumente aus der Hand geschlagen hätten, um Europa von Hitler zu befreien." Das ist starker Tobak, gefüttert mit leicht angedeuteten Hinweisen. War Tyler Kent ein politischer Exzentriker oder schlicht ein Mittelsmann im dreckigen Geschäft der Geheimdienste? Kann die Geschichte der entschlüsselten japanischen Nachrichten wirklich mit PRISM verglichen werden? Völlig falsch ist diese Passage: "1942 glaubte eine amerikanische Zeitung publizieren zu müssen, dass Roosevelt und Churchill über eine neue Erfindung miteinander redeten, ein Sprachzerhacker-Telefon. Das Blatt zeigte ein Foto des Geräts, eines nach Urteil der Redaktion nichtssagenden Kastens. Der Zeitungsartikel und das Foto reichten einem deutschen Ingenieur aber aus, um den Apparat nachzuerfinden und Lauschmaßnahmen zu ersinnen."

So kommen wir auch gleich zu Frage 3: Gesucht werden die Namen der beiden deutschen Ingenieure, die unabhängig voneinander ohne ein Zeitungsfoto die Telefontechnik decodierten.
Und es ergibt sich logisch Frage 4: Welcher Präsident einer amerikanischen Universität setzte sich für die Verschlüsselung von Nachrichten ein? Sein Grab liegt in Paris.

*** "Das Bonner Parlament hat sich für die Sommerferien verabschiedet, die diesmal kürzer ausfallen als in früheren Jahren und wahrscheinlich auch unruhiger. Der Wahlkampf wetterleuchtet schon, In Bayern zum Beispiel, wo die Schulferien erst spät beginnen und entsprechend spät zu Ende gehen, wird schon vorgearbeitet ..." So begann ein Zeitungsbericht, wie er heute auch noch beginnen könnte, inklusive bayerischer Kapriolen. Besagter Bericht ist aus anderen Gründen wichtig, sorgten damals doch die Veröffentlichung der "Gromyko-Papiere" für Ärger bei den Regierungs-Koalitionären. Der Springer-Konzern, der derzeit aus dem Printgeschäft aussteigt, bekämpfte damals die Ostpolitik und erklärte volltönend: "In der Güterabwägung zwischen Verdruss der Regierung und der Pflicht, die Leser zu informieren, wird sich die Redaktion immer wieder für die Pflicht entscheiden."

*** "Ich bin noch immer unbefriedigt und muss schrein, schrein, schrein" – die politische Übersetzung des Stones-Song "I can get no satisfaction" als Protest gegen die verknöcherte Demokratie ist eine großartige Hinterlassenschaft des Mannes mit der Kindertrommel. Dr. Dr. Dr. Rolf Schwendter ist tot, der einzige Devianzforscher-Dichter, der die Devianz auch lebte. Ähnlich wie Wau Holland lief er zottelig mit vielen Plastiktüten herum und schrieb (nur mit dem Stift) über die lebenden Subkulturen, die Gefahren der Elitenbildung und die hohe Kunst des Kochens. Ein Feinschmecker-Rezept für 1500 Personen war seine Antwort auf die Speisen der Reichen. Eine niemals abgeschlossene Geschichte der Zukunft mit über 1400 Anmerkungen, ein Gesang über Rosa Luxemburg im Botanischen Garten und der Glaube an die Utopie der Außenseiter gehören zu den vielen Wirk-Werken, noch viele Texte warten auf Veröffentlichung. In Blues auf dem Weg zum Wahnsinn heißt es:

Hunger gibt es.
Denn wo es keine Liebe gibt,
da gibt's Hunger.
Und jeder Mensch hungert in eigener Sprache.

(http://www.heise.de/imgs/18/1/0/5/4/9/7/8/FRAGE6-a198ee412b42131e.png)
Okay, dann also Frage 5: Bumm, Bumm, Bumm. Wir bleiben bei der Musik. Gesucht wird ein großes Thema, das nicht anklingt. Dieser Nichtklang inspirierte welchen Menschen, mit welchen Folgen?
Was dann zu Frage 6 führt: Gesucht wird der Autor der rechts nebenstehend abgebildetekn Skizze.

*** Ein als Petition angelegter Offener Brief sorgt für Gesprächsstoff. Die Petition fordert von der EU und dem deutschen Staat einen verstärkten Datenschutz sowie Bestrebungen, das Recht auf Privatsphäre und informationelle Selbstbestimmung zu stärken. Gleichzeitig fordert man, kurz vor dem Universalschutz für Whistleblower: "Projekte und Technologien zum informationellen Selbstschutz und freie und quelloffene Umsetzungen aktiv zu fördern und selbst verpflichtend zu nutzen." Eine Selbstschutzgarantie durch Vater Staat, erinnert in ihrer Staatsgläubigkeit etwas an das von der US-Regierung geförderte TOR-Projekt oder an den gescheiterten Heuhaufen. Die Selbstverpflichtung einer Regierung zur Nutzung von Software, die dazu noch quelloffen sein muss, ist gelebter Idealismus. Ihn muss es wohl geben, angesichts der Vorwürfe, die von ehemaligen Schlapphüten kommen. Naiv wären die Bürger, die da glauben, nicht überwacht zu werden, wohl wie seinerzeit die DDR-Bürger zu den Weltjugendfestspielen: "Auf der anderen Seite baute man im Hintergrund den Apparat von Kontrolle, Überwachung und Bespitzelung aus – was damals natürlich niemand wusste." Niemand?

(http://www.heise.de/imgs/18/1/0/5/4/9/7/8/FRAGE8-9cab2ea9122d0b54.png)
Kommen wir erst einmal zu Frage 7: "Die Veröffentlichung von Tastachen aus dem Privatleben in Periodika wird mit einer Geldstrafe von 5 ...." belegt. Wer zitierte dieses Gesetz in einer epochalen Schrift?
Aber wo wir schon bei der DDR sind, auch noch Frage 8: Mit dieser, links abgebildeten etwas altertümlichen Personal-Lochkarte aus der DDR wird ein junger Mensch gesucht, dem die "Regel 8" nicht mehr half.

Was wird.

Bleiben wir beim BND. Wie heißt es in dem verlinkten Naivitäts-Vorwurf des BND-Apologeten? "Nahezu alle modernen Softwaresysteme, auf denen praktisch alle Computer dieser Welt operieren und kommunizieren, sind in den USA entwickelt worden." Eben darum startet die angestrebte Porno-Filterung in Temporaland mit chinesischem Know-How. Die kommende Woche startet mit einem launischen Spaziergang zum BND. "Besichtigen Sie autoritäre Architektur und modernste Überwachungstechnik aus nächster Nähe." Leider ist ein Blick auf die Software nicht gestattet, womit getrost weiter spekuliert werden darf, was der BND so alles einsetzt. Wie wäre es mit Nexus Peering, einem Produkt von Palantir Technologies zur softwaregestützten Trennung von Polizei und Nachrichtendiensten?

Anklage wie Verteidigung haben im Prozess der US-Armee gegen den Gefreiten Bradley Manning ihre Schlussplädoyers gehalten. Die Anklage ritt eine Attacke gegen den weltweiten Anarchismus, die Verteidigung bemühte sich um Verständnis für den jungen, zarten Mann bei seinem allerersten Einsatz. In der kommenden Woche wird Richterin Denise Lind ihre Einschätzung zu jedem einzelnen Anklagepunkt äußern müssen. Das Argument der Anklage, dass bei einer Veröffentlichung im Internet immer davon auszugehen ist, dass der Feind mitliest, könnte den Punkt "Unterstützung des Feindes" zu einem Universalgesetz gegen jedwede Form der Meinungsäußerung ausbauen. An Manning soll ein abschreckendes Exempel statuiert werden. Darf deswegen die Meinungsfreiheit schon ein bisschen beschnitten werden?

(http://www.heise.de/imgs/18/1/0/5/4/9/7/8/FRAGE9-90fd73c6ad5a2555.png)
Zwei Bilder noch, dann ist das Sommerrätsel Geschichte. Wir blicken gefasst nach vorne, aber auch zurück. Frage 9: Wer ist im nebenstehenden Bildausschnitt links oben zu sehen und berichtet über welche Vorkomnisse?
(http://www.heise.de/imgs/18/1/0/5/4/9/7/8/FRAGE10-2580952e9e893eb1.png)
Frage 10: Wer ist im Bildausschnitt links unten nicht zu sehen?

Quelle : www.heise.de

Titel: Was wirklich wahr war, des letzten Sommerrätsels kurze Antworten
Beitrag von: SiLæncer am 29 Juli, 2013, 19:32
Das wars. Unser kleines Sommerrätsel geht zu Ende, während das Sommerloch voller Themen ist, eher ein Loch NSA. Statt Sammy, dem medientückischen Kaiman vom Baggersee, planscht Hans-Peter Friedrich im Politbecken und sieht nur Bagatallen. Und gibt es Proteste gegen die Massenüberwachung, so wird die Presse ausgebuht mit der Forderung, die meisten unserer Zunft gehörten hinter Gitter.

Bei so viel differenzierter Meinung fragt man sich, warum Edward Snowden sich an die von der Presse produzierte Öffentlichkeit gewandt hat, als er seine Erkenntnisse über die NSA und andere Schnüffeldienste verbreitete. Schnüffeln und Verschlüsseln gegen das Schnüffeln war auch das Thema des Sommerrätsels letzten Teiles. Von 10 Fragen wurden fünf erraten und zwei in Umrissen angegangen.

Frage 1 fragte nach einem wichtigen BND-Mann, der in Verbündeten ein potenzielles Risiko sah. Gesucht wurde Erich Hüttenhain, der schon unter den Nazi der wichtigste Kryptoanalytiker war und alles andere als ein Mitläufer: Als Erich Hammerschmidt wurde er von der Organisation Gehlen übernommen und arbeitete später beim BND. Sein Satz: "Ein Verbündeter, der keine sicheren Chiffrierungen verwendet, ist ein großes Sicherheitsrisiko."

Frage 2 suchte den Agenten, der in Deutschland den bislang größten Schaden anrichtete. Schnell war Heinz Felfe gefunden, der über 100 CIA-Agenten verriet und mit 15.000 Dokumenten den BND düpierte. Nach seiner Enttarnung dachte man das erste mal daran, den Dienst aufzulösen.

Frage 3 suchte die beiden Ingenieure, die die Telefonverschlüsselung der Amerikaner knackten, Kurt Vetterlein und (eher unbekannt) Alfred Muche. Die Sage, nach der ein Foto des Gerätes den Ingenieuren geholfen hat, hat einen lustigen Kern: Die Reichspost hatte von den Bell Labs einen A3-Verschlüsseler gekauft.

Frage 4 suchte den Präsidenten einer amerikanischen Universität, der die Verschlüsselung von Nachrichten forderte. Die Rede ist von Joseph Lakanal, der als Mitglied des Nationalkonvents in der französischen Revolution den Semaphoren-Telegraphen von Chappe auf seine Tauglichkeit hin untersuchte. Lakanal ist übrigens der Vater des Urheberrechtes in seiner heutigen Form.

Frage 5 suchte Arthur Scherbius, den Erfinder der berühmten Enigma. Scherbius was ausgesprochener Musikliebhaber und Kenner des Werkes von Edward Elgar. Scherbius versuchte sich an der Entschlüsselung von Elgars "Variations on an Original Theme for Orchestra", die bald unter dem Namen Enigma Variations bekannt wurden. Das nicht hörbare Hauptthema, das Elgar in seinen Noten versteckt hat, ist bis heute nicht gefunden bzw. entschlüsselt worden.

Frage 6: zeigt eine Notiz von Alan Turing, wie Scherbius' Enigma entschlüsselt werden kann, indem der Suchraum eingeengt wird. Frage 7 zitierte ein französisches Gesetz aus dem Jahre 1868, das ein wichtiger Ausgangspunkt der Überlegungen von Samuel D. Warren und Louis D. Brandeis war, als sie ihre
Rights of Privacy formulierten.

Frage 8 beschäftigte sich mit dem Roman Catch-22 von Joseph Heller, der in ihm seine Erfahrungen als Bomberpilot verarbeitet. Pilot Yossarian will nach "Section 8" des Armee-Codes den Dienst quittieren, nachdem er den Tod des jungen Soldaten Snowden erleben musste. Schaffen tut es nur der absolute Bruchpilot.Frage 9 zeigte ein Bild von Duncan Campbell, der deutschen Zuhörern auf der Sommerakademie in Kiel Details über das Echelon-System erzählte, an dessen Aufdeckung er maßgeblich beteiligt war.

(http://www.heise.de/imgs/18/1/0/5/5/4/5/7/ANTWORT10-8f9272212d85a476.png)
Frage 10 war doppeldeutig formuliert: Der lässig am Rednerpult stehende Julian Assange auf der HAR 2009 war schnell gefunden, sein Partner am Tisch, der nicht zu sehen ist, hieß damals Daniel Schmidt. Zu sehen sind beide in einer Szene, in der sie den Wikileaks-Aufruf "Most Wanted Leaks 2009" starten. Auf diesen Aufruf hin soll Bradley Manning begonnen haben, die USA belastendes Material in Bagdad zu sammeln. Das behaupten jedenfalls die Ankläger im Militärprozess gegen Manning. Aber das ist eine andere Geschichte – und schon gar keine sommerlich heitere.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. Inklusive eines sommerlichen Nachklapps aus dem Zelt
Beitrag von: SiLæncer am 04 August, 2013, 06:07
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war. Ein sommerlicher Nachklapp aus dem Zelt.

Wir leben in transationalen Zeiten. Züge aus Foxconnien fahren bis nach Hamburg, der Vater des Internets kommt ins deutsche Innenministerium, im Auftrag von Google. Geredet wurde nicht über das seltsame deutsche Leistungsschutzrecht, das nunmehr in Kraft getreten ist und Googles News unkenntlich verändert hat. Ein paar deutsche Regionalzeitungen fehlen, doch die großen Namen sind nach wie vor dabei. Ähnlich wird es bei dem geplanten Gesetz zur Datenuntreue, wenn es denn kommt. Besprachen Cerf und Rogall-Grothe, wie es in Deutschland um die Internet-Väter-Forschung bestellt ist? Aber halt, das besorgt doch das Google-Institut, das gerade den putzigen Titel "Oma liebt eine Maschine" seriöser als "brauchen wir eine Roboter-Ethik" umformulierte. (Brauchen wir nicht, aber eine umfassende Roboter-Versicherung wäre nett).

*** Nein, mit einem schwerhörigen Opa wie Cerf besprach man lieber die großen, letzten Dinge, das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und den Schutz der Privatsphäre: "Die Entwicklung der Gesellschaft muss sich immer wieder an den Grundrechten ausrichten. Und das gilt auch für das Internet", sagte Rogall-Grothe. Solche Sätze wollen wir eigentlich von ihrem Vorgesetzten hören, doch der schwafelt lieber von übertriebenen Ängsten der Bürger und davon, dass die NSA lediglich etwas herumfiltert. Wir filtern nur und dann wird ein bisserl Metadaten weitergegeben, das ist doch nur wie ein bisschen schwanger sein. Dass ein Auslands-Geheimdienst so vorgeht, ist eigentlich ein bisschen mehr. Es widerspricht dem Grundgesetz.

*** Und die Anderen? Unschuldige Schäfchen, soweit das Auge reicht? Das sehen Fachleute wie der ehemalige NSA-Mitarbeiter Thomas Drake natürlich ganz anders. Auf dem Hackercamp OHM erklärte er: "Die NSA filtert nicht, sie saugt alles auf." Nur unter dieser Prämisse werden die flehentlichen Bitten der Whistleblower an die Hacker verständlich, sie sollen bitte Werkzeuge für die Lebensverschlüsselung prgrammieren. (Was so einfach nicht ist, da muss man schon seine Verhaltensweisen ändern und keine Gmail-Konten führen, wie die US-amerikanischen Whistleblower.)

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*** Oh, schon wieder ein Sommerrätsel? Aber nicht doch. Nur ein Bild aus vergangenen, besseren Tagen, von dem niederländischen Hackercamp "Hacking at Random" im Jahre 2009, als die Wikileaks-Aktivisten Julian Assange und Daniel "Schmidt" die Aktion "Wikileaks most wanted" starteten. Unsere Nachbarn haben mit Klokkenluider ein Wort für Whistleblower, was in der deutschen Sprache fehlt. 2009 begann der Höhenflug von Wikileaks, mit Dokumenten aus Hungry, Haiti und Germany. Ja, der Hunger nach Dokumenten war groß, doch was der praktizierende Humanist Bradley Manning ablieferte, war viel größer. Einer der wichtigsten Vorwürfe gegen Manning und Wikileaks hat sich in dieser Woche in Luft aufgelöst: Dass in den War Logs aufgeführte Namen zum Tod von Informanten geführt haben sollen, ist eine Behauptung der Taliban, um mögliche Verräter abzuschrecken. Vor Gericht wurde diese Behauptung nicht akzeptiert. Ansonsten gibt es wenig vom Verfahren zu berichten, aber eine bemwerkenswerte Konstellation: Sämtliche Aussagen von Zeugen aus dem US-Außenministerium erfolgen unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Das State Departement gibt sich geheimnissvoller und abgeschotteter als die US-Armee.

*** Auch in diesem Jahr hatte Assange seinen Auftritt, diesmal dank einer Videoschalte per Skype, die die beiden Vortragszelte zum Platzen brachte. Vorab untersagte der Kontrollfreak der Presse, Fotos, Videos oder Soundbytes von seinem Vortrag aufzuzeichnen. Hacker, die ungerührt ihr Smartphone den Vortrag aufzeichnen ließen, boten ein schönes Beispiel für die Transparenz und Unduldsamkeit gegenüber dem "Verbots-Bullshit" (Assange in seiner Ansprache), die von ihnen erwartet wird. Auf der HAR 2009 hatte Assange ein DECT-Phone mit der Nummer 6639 für MNDX, seinem alten Hackernamen "Mendax" für sich reservieren lassen. Er konnte allerdings kaum angerufen werden, da er sich damals zur Vorbereitung seiner Rede in einem weiter entfernten Hotel aufhielt. Was Mendax in seiner Jugend getrieben hatte, wurde zur besten Hacker-Nachtzeit auf der OHM in einem Zeltkino gezeigt. Der Fernsehfilm Underground entpuppte sich als kaum glaubwürdiges Stück zum Wank-Virus und dem behaupteten Einbruch in das US-amerikanische Milnet, verknüpft mit einer wirren Familiengeschichte. Der Mythos Assange wird rückwirkend in seine Jugend zurückgeschrieben, mit stehendem Beifall.

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*** Haben "die Hacker" eigentlich die geheime Superkraft, die Dokumentenmanager wie Assange und Whistleblower wie Ray McGovern ihnen zuschreiben? Sind sie die wahren Revolutionäre der technischen Intelligenz, wie einstmals auf "das Proletariat" gehofft wurde? Arbeiten nicht ebenso viele gute Programmierer bei den Strafverfolgern? Bereits auf der HAR war die niederländische Firma Fox-IT der größte Sponsor des nächtlichen Sommervergnügens. Auf der OHM toppte Fox-IT sein Sponsoring und war mit einem Zelt samt Planschbecken unter dem Slogan "We clean up the Shit & Shizzle" vertreten. Fox-IT-Mitarbeiter, die das Camp organisierten, durften dafür langen unbezahlten Urlaub nehmen. Auf das Fox-IT-Banner sprühten Hacker in der ersten Nacht "NSA", in der zweiten Nacht kamen <3-Herzchen dazu und als Fox-IT den Slogan in "if you want to discuss this, please come inside" änderte, wurde dazu aufgerufen, faule Eier und verschimmeltes Essen in das Zelt zu werfen. Ein echter Dialog sieht etwas anders aus. Das Gegenstück zu dieser Nicht-Kommunikation bildete wohl der Hacker Mitch, der dem ZDF vom positiven Aspekt der ganzen Sache erzählte: "Je mehr Cyber-Krieger es gibt, desto mehr Ed Snowdens wird es geben." Junge ITler, die bei der NSA oder dem BND arbeiten, können ihr Gewissen entdecken und den Weg in ein lateinamerikanisches Exil antreten. Klar machen sie das.

*** Auf einem Panel zur Hacker-Ethik gab ein Teilnehmer unumwunden zu, für viel Geld für einen großen US-amerikanischen Software-Konzern zu arbeiten. Dafür erntete er Kritik, aber auch Beifall für den Zusatz, er würde überschüssige Kopeken an darbende Hacker-Projekte spenden. Wikileaks begann als echtes Hacker-Projekt. Mit dem nach HAR im Jahre 2009 zugespielten Material von Bradley Manning, mit dem in Island zusammengeschnittenen, kommentierten Video "Collateral Murder" wurde Wikileaks weltberühmt. Hacker Daniel koppelte sich bald aus dem Projekt aus, unter anderem, weil ihm der isländische Hacker Siggi supekt war, der von Julian Assange zum neuen Sidekick aufgebaut wurde.

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Auf der OHM ist Daniel Domscheit-Berg wieder dabei und hat großen Spaß. Seine Truppe klebt Vouchers für Ipredator, einem neuen Service in der Tradition von The Pirate Bay, die auf dem Sommercamp eine VPN-Verbindung anbieten, bei der Fox-IT die Segel streichen muss – sollten sie denn abhören mögen täten wollen, um es im Valentintativ zu sagen. Die Voucher-Postkarten von dieser Truppe sind beliebt, weit mehr als der lachende Waschbär von Bluejade. People like you and me sitzen eben nicht im ordentlich geordneten Zelt. Die kurz vor der OHM eingefrorenen Bankverbindungen für Ipredator zeigen, dass das System System hat.

Was wird.

Wir waren alle einmal Edward Snowden. Wir versagten, als es galt, Haltung zu zeigen. In Spanien wird in den nächsten Tagen eine neu gebildete Cyber-Einheit antreten, unter Befehl des dortigen Cyberterror-Abwehrzentrums. "Über eine ausgefeilte Kommunikationspolitik soll die Schaffung eines fiktiven Radikalisierungsumfeldes wie auch die Stigmatisierung der muslimischen Gemeinschaft nachgebildet werden", heißt es in einem deutschen Bericht zu diesem Projekt, den "Homegrown-Terrorismus" mit einer Netz-Simulation zu verhindern. Journalisten sollen mitarbeiten, die fiktive Radikalisierung möglichst realitätsnah auszufüllen. Sie sollen in Spanien besonders günstig zu haben sein.

Diese kleine, etwas andere Wochenschau endet heute etwas ungewöhnlich. Weil mein Bericht von der HAR 2009 von einem der beliebten Netz-Sprachforscher kritisiert wurde, gibt sich die Wochenschau diesmal Gender-gerecht. Nein, die Frauen schleppten diesmal nicht ihre Kinder – das Gelände war nicht geeignet dazu. Wer an die Taten heroischer Weibsbilder erinnern will, muss weit zurückgreifen: Vor 100 Jahren erschien der viel beachtete Bericht der Aktivistin und Journalistin Sylvia Pankhurst über ihre Zwangsernährung. Guantánamo, anyone?

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 11 August, 2013, 05:00
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war

*** Kein Kaiman, kein Ort, nirgends. Kein Schuldiger, aber jeder verdächtig. Vom Sommerloch mit Baggersee ganz zu schweigen. Dafür Sommersonne und Themen ohne Ende, eines monströser als das andere, wenn aus Terabytes die Terrorbytes werden. Man muss in diesem merkwürdigen Sommer '13 an Christa Wolf denken, die einstmals in "Kein Ort. Nirgends" schrieb: "Was für eine vorzügliche Einrichtung, daß die Gedanken nicht als sichtbare Schrift über unsere Stirne laufen. Leicht würde jedes Beisammensein, selbst ein harmloses wie dieses, zum Mördertreffen." Das schrieb sie lange bevor wir aufmerksam registrierende Smartphones an unsere Körper schnallten. Ein Ende ist noch lange nicht abzusehen, eine Wende auch nicht. Ein bisschen Kapitalismus hindert noch den Sicherheitsstaat daran, eine Anschnallpflicht für Smartphones für Jedermensch ab 12 Jahren beim Verlassen der Wohnung auszugeben. Weil hey, es gibt ja noch diesen freien Markt und der Bürger soll selbst die ihm zustehende Verwanztechnik kaufen können. Wobei es mit der Anschnallpflicht natürlich nicht getan ist. Dazu gehört auch ein Betriebssystem, in dem man WLAN- und GPS-Kommunikation nicht mehr abschalten kann für die Location Based Surveillance Services.

*** Alles kann aber nicht auf diese Sommerhitze oder die Tatsache geschoben werden, dass Dummheit eine natürliche Begabung ist. Es muss einen direkten Zusammenhang mit der allgemeinen Verblödung durch Wahlplakate und der zunehmenden Verblödungsstrategie von Firmen und Behörden geben: Wir lesen allerorten Sprachmüll auf Plakaten und sind verdummt oder ertaubt, wenn solche Nachrichten kommen wie die, dass der BND Telefonnummern an andere Dienste weitergibt. Etwas, was das Bundeskriminalamt nicht mehr macht, weil die Ermordungsgefahr durch Drohnen nicht von der Hand zu weisen ist. Besonders abstoßend ist dabei die Behauptung des BND, die Mobilfunkdaten seien für eine konkrete Zielerfassung zu ungenau. Kaum glaubwürdig, dass der BND nicht über die Forschungsarbeiten am FKIE informiert ist, die bei der Lokalisierung von Satelliten-Mobilfunktelefonen des arabischen Betreibers Thuraya eine Genauigkeit von 20 Zentimetern erreichen – gerade diese Telefone werden abseits der Abdeckung von GSM-Funknetzen in Pakistan und anderen Gebieten eingesetzt. Wobei hey, ist nicht der Kollateralschaden bei Personen in der näheren Umgebung ohnehin egal, frei nach dem Killer-Algorithmus vom Double Tap? Es wird schon die richtigen treffen.

*** Made in Germany, das war einstmals ein Warnhinweis, der englische Käufer vor minderwertigen deutschen Waren schützen sollte. Später wurde daraus ein Qualitätsabzeichen. Im Zuge der allgemeinen sommerlichen Verblödung ist die E-Mail made in Germany gestartet und wird als deutsche Sicherheitsoffensive verkauft. Hach, wie wunderbar ist es doch, wenn genau wie bei der De-Mail Deutsche unter Deutschen bleiben und der Virenscanner auch noch "kurzzeitig" prüft, ob Malware in der Post steckt. Und mancher Seggel  behauptet noch dazu, dass mit der "kurzzeitigen" Öffnung bei De-Mail unerwünschte Werbung gelöscht wird. Egal, das erste Qualitätsphishing mit dem hübschen Deutschland-Logo der Initiative dürfte sicher schon unterwegs sein, während dem Volk noch die neue Art der Einstellung vermittelt wird, bis es Anfang 2014 ernst wird. Passend zur leitenden Politikdarstellerin hätte man das System "E-Post für Neuland" nennen sollen, doch ist E-Post ein Warenname für eine andere Lachnummer, die sinnigerweise nicht bei "E-Mail made in Germany" dabei ist. Nichts darf das Sommermärchen stören, schon gar nicht der Hinweis, dass just in dieser Woche der Mail-Provider von Edward Snowden schließt und für diese Selbstabschaltung Lob von Snowden bekam. Die Idee vom PGP-Urvater Phil Zimmermann, seinen Silent Circle in die Schweiz zu verlegen, gehört auch zu den Sommerkapriolen. Hey Leute, gilt das Bankengeheimnis auch für E-Mails? Der Kanarienvogel aus dem Bergwerk kommt zu neuen Ehren in digitaler Form: Zürich meldet keine Probleme.

*** Die Einführung der kurzzeitigen Virenkontrolle für alle Mails innerhalb von Deutschland ist also keine Schnüffelei, ebenso wie die Funktionsweise des PRISM-Programmes der NSA keine Spionage im eigentlichen Sinn ist. Und hey, dass das Ansehen der Verfassungsschützer ganz oben bei den Ärzten angesiedelt ist, dürfte eine weitere sommerliche Abirrung des obersten Verfassungsschützers Hans-Georg Maaßen sein, der kluge Sachen sagt: "Ich habe Probleme mit Leuten, die sich die Dinge so zurechtschneiden, wie sie es gerne hätten." Ob das auch für ihn und seinen Geheimdienst gilt, wäre eine gute Frage. Unwillkürlich denkt man an das Versagen im NSU-Skandal, wenn es heißt: "Bisher haben wir keine Hinweise, dass fremde Dienste Zugang zur Kommunikationsinfrastruktur in Deutschland haben." Soso, keine Hinweise für einen Zugriff. Aber vielleicht erledigt das der Verfassungsschutz selbst, der XKeyScore mit rechtmäßig erhobenen Daten als Stand-alone-System offline testet. Jawohl, offline, mit Fragen an den rechtmäßigen aufgetürmten Datenberg: "Wer setzt in Deutschland PGP ein?" Eine weitere Version des Programmes ist beim BND seit 2007 im Einsatz, "insbesondere bei der Aufklärung der Lage in Krisengebieten, zum Schutz der dort stationierten deutschen Soldatinnen und Soldaten, im Kampf gegen den Terrorismus und zum Schutz und zur Rettung entführter deutscher Staatsangehöriger." Ganz schön leistungsfähig, diese NSA-Software.

*** Nach Informationen des Spiegels hat die NSA von der deutschen Gegenspionage keine sonderlich hohe Meinung. In etwa könnte das NSA-Urteil auch für US-Präsident Obama hinkommen, der vor der Presse mehr Transparenz in Sachen NSA versprochen hat. Die wichtigste Reform: Geheime anwaltliche Berater sollen hinzugezogen werden, wenn NSA und CIA im Namen des Foreign Intelligence Surveillance Act (FISA) tätig werden wollen. Das klingt gut, hat aber einen Haken. Wie hatte es der ehemalige NSA-Mitarbeiter Thomas Drake noch auf der OHM formuliert: "Die NSA will keine Kontrolle. Nochmal, für alle: Die NSA will überhaupt keine Kontrolle." Jedwede Denke an "Checks and Balances" ist innerhalb des von den Diensten gesetzten Rahmens ein fremder Eingriff. Wie die NSA den gesetzlich geschuldeten Auskünften nachkommt, belegt das Beispiel des NSA-Experten James "Esquire" Bamford.

Was wird.

Amazon-Chef Jeff Bezos hat für den Preis eines guten Cezanne-Gemäldes die Washington Post gekauft. Das hat für Aufregung gesorgt, denn schließlich ist bei allem Sterben und Siechen und Jammern so eine Tageszeitung ein ganz besonderes Instrument. Noch immer gilt der Satz des FAZ-Journalisten Paul Sethe aus dem Jahre 1965, nach dem die Pressefreiheit die Freiheit von zweihundert reichen Leuten ist, ihre Meinung zu verbreiten. Einstmals kaufte sich der Multimillionär Eugene Meyer bei einer Versteigerung die pleite gegangene Zeitung, um den New Deal von Roosevelt zu unterstützen. In der Familientradition stand auch die Washington-Post-Besitzerin Katharine Graham, die den Kampf gegen Richard Nixon im Watergate-Skandal als Unterstützung des Kennedy-Clans angelegt hatte. Zuletzt versackte das Blatt im Mittelmaß, "die neuen Medien und die journalistische Kultur des konformistischen Voyeurismus ersetzte das, was noch geblieben war von der Idee des informierten Bürgers", schreibt der wütende Norman Birnbaum in der tageszeitung.

Mit Reason finanziert Bezos bereits ein libertäres Magazin, mit der Washington Post kommt eine Zeitung hinzu, in der Artikel wie dieser über die Geheimdienste besser verbreitet werden können. Natürlich ist Bezos klug genug, die redaktionelle Unabhängigkeit zu betonen. Klappern gehört zum Geschäft. Noch sind die Ideen von Jeff Bezos oder Peter Thiel in Washington nur randständig vertreten. So ein Blatt wie die Washington Post ist bestens geeignet, den Grusel vom Fleisch zu nehmen und Kampagnen für Angebote wie 23andme zu stützen. Gegen den New Deal der Internet-Milliardäre sieht ein mahnender Bill Gates fast schon altbacken aus, mischt aber kräftig mit. "Mögest du in interessanten Zeiten leben", lautet eine Verwünschung all derer, die keine Veränderung wünschen. Hey, wünschen wir ihnen ein furchtbares Gesäusel auf die Ohren.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 18 August, 2013, 07:00
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** "Woher nähme der Künstler das Recht für einen Monopol-Anspruch auf Darstellung von Bestandteilen dessen, was er gelebt und erlitten hat? Ich meine, dass ein solches Recht nicht demokratisch ist," schrieb dereinst im Jahre 1978 ein übel verstimmter Journalist an den derzeit Geburtstag feiernden Dichter Reiner Kunze. Der antwortete ihm mit einem Gedicht:

Spuren gibt's in uns die zu sichern
wir nur selbst vermögen

So es einem von uns gegeben ist,
abdrücke zu nehmen
von solcher winzigkeit

Und ein mädchen das nicht aus noch ein weiß
wird dann plötzlich weiterleben wollen
und ein wirklicher leser wird sagen:
Noch immer gibt es gedichte.

Wir schenken uns den letzten Satz dieses Gedichtes, der am 80. Geburtstag des Dichters vom gelehrten Fäuleton aus allen Kanälen gespült wird. Natürlich dulden Dichter Diktatoren. Sie haben keine Wahl im winzigen Reiche des freien Verses. Sie haben Worte. Wir alle haben Worte. Es ist eine einfache Entscheidung, ein bisschen über die Ereignisse in Ägypten zu grummeln und golfen zu gehen. Oder vom Klassenkampf zwischen den Islamisten und dem Militär zu sprechen, das seine nasseristische Stellung halten will.

*** In dieser Woche hat der Philosoph Slavoj Zizek die Heroen unseres Digitalzeitalters besungen und Edward Snowden, Bradley Manning sowie Julian Assange in die Klasse dieser Supermänner eingeordnet. Seine Beweisführung nutzte die Antwort von Immanuel Kant auf die Frage: Was ist Aufklärung? und den Unterschied zwischen Privat und Öffentlich, den Kant so formulierte:

Der öffentliche Gebrauch seiner Vernunft muß jederzeit frei sein, und der allein kann Aufklärung unter Menschen zu Stande bringen; der Privatgebrauch derselben aber darf öfters sehr enge eingeschränkt sein, ohne doch darum den Fortschritt der Aufklärung sonderlich zu hindern. Ich verstehe aber unter dem öffentlichen Gebrauche seiner eigenen Vernunft denjenigen, den jemand als Gelehrter von ihr vor dem ganzen Publikum der Leserwelt macht. Den Privatgebrauch nenne ich denjenigen, den er in einem gewissen ihm anvertrauten bürgerlichen Posten, oder Amte, von seiner Vernunft machen darf.

Nach Zizek sind Whistleblower wie Edward Snowden darum Heroen, weil sie uns über den Privatgebrauch von Systemen durch den Staat selbst aufklären, uns über geheime Machenschaften informieren, deren bloße Existenz als Geheimnis geheim bleiben muss. Danach endet freilich die heroische Rolle und die Whistleblower erleiden ein Schicksal. Manning sitzt in Untersuchungshaft, die Höhe seiner Strafe dürfte in der kommenden Woche verkündet werden. Snowden ist in Russland und darf sich dort nicht betätigen. Assange hat sich freiwillig in das politische Asyl einer Botschaft begeben und dort noch den größten Einfluss, die beiden anderen als "our people" in sein ureigenes Programm einzubetten.

*** In seinem Traktat über das Heroische in der Geschichte beschäftigt sich Thomas Carlyle in einem Kapitel mit den unscheinbarsten Heroen, den Männern des Wortes, den Hommes des Lettres wie Jean-Jacques Rousseau. Von ihren Büchern über den Buchdruck geht es hinunter bis zur Sprache und zur freien Debatte im Parlament, zur Dauerdebatte außerhalb des Parlamentes. Carlyle schreibt über den vierten Stand:

Whoever can speak, speaking now to the whole nation, becomes a power, a branch of government, with inalienable weight in law-making, in all acts of authority. It matters not what rank he has, what revenues or garnitures. the requisite thing is, that he have a tongue which others will listen to; this and nothing more is requisite.

Wer frei sprechen kann, darf nicht schweigen, wenn der sogenannte vierte Stand versagt und davon faselt, dass das Kapitel NSA abgeschlossen ist. Das ist das unkritische Plappern im Stil eines deutschen Innenministers, der allen Ernstes meint, dass die NSA-Affäre beendet ist. Die Aufarbeitung hat erst angefangen, die ganze Geschichte ist längst nicht zu Ende erzählt. Den bis jetzt durch einen Prüfbericht bekannt gewordenen Gesetzes-Verstößen der NSA werden weitere Meldungen über Fehler im System folgen. "Wir wollen unseren Überwachern keine zusätzlichen Informationen geben, das ist doch einmal ein erfrischend ehrliches Statement einer nationalen Sicherheitsagentur, wie es ein Pofalla nicht besser ausdrücken könnte. Ja, mit denen schließen wir doch gerne ein No-Spy-Abkommen wie es uns großzügigerweise angeboten wurde. Um es pofallibistisch zu sagen: Würde sich die NSA an Recht und Gesetz halten, bräuchte es kein solches Abkommen.

*** Im Zuge der NSA-Enthüllungen von Edward Snowden hat sein Mail-Provider Lavabit dicht gemacht, in Notwehr vor dem Zugriff der US-Dienste, über den die Firma nicht einmal sprechen kann. 410.000 Nutzer sind die ersten Opfer des neuen Krypto-Krieges, in dem es gilt, selbst seine Spuren zu sichern. Auch Philip Zimmermann, der Held des ersten Krypto-Krieges, hat sich zu Wort gemeldet, sein Projekt Silent Circle wurde ebenfalls dicht gemacht, mit der Zusatzdiagnose "zu schnell gewachsen". Derweil werden gut gemeinte Ratschläge herumgereicht, wie man sich wappnen kann im neuen Krypto-Krieg. Eine End-to-End-Verschlüsselung ist nett, doch angesichts des Ausmaßes der Überwachung viel zu wenig: Es bräuchte Schlüssel, die abseits aller Keyserver getauscht werden, vertrauenswürdige VPN-Dienstleister und Mail-Provider, bei denen Post routinemäßig sicher gelöscht wird. Ob Pond der richtige Ansatz ist, bleibt abzuwarten.

*** Braucht es eigentlich Robbenbabys oder im Öl verendete Vögel, damit aus der Empörung über die NSA eine nennenswerte Bewegung wird? Da sorgt sich die tageszeitung mit den üblichen Verdächtigen ganz dolle, ohne die geplante Demonstration "Freiheit statt Angst" zu erwähnen, weil dort die falschen Bündnispartner aufgeführt sind und nicht der CCC und die Digitale Gesellschaft, die bewusst fernbleiben. Ja, auch beim großen Krypto-Krieg hat der Krieg der Volksfront von Judäa gegen die Typen von der Judäischen Volksfront eben Vorrang.

*** Wer eine Zunge hat und Informationen, der spreche. Da Edward Snowden eigentlich nicht erreichbar ist und nicht frei sprechen kann, hat das Magazin der New York Times die beiden Personen besucht, die anstelle von Snowden reden und die Presse beliefern, Laura Poitras und Glenn Greenwald. Inmitten des Portraits gibt es Fragen an Snowden wie die, warum er nicht zur Times gekommen ist mit seinen Kenntnissen über die Geheimdienste. Snwoden antwortete mit einer Beschreibung der Periode nach dem 11. September, in der amerikanische Medien ihre Rolle vergessen hätten, als vierte Macht die Macht der Regierung kritisch zu begleiten. Die überaus deutliche Kritik ist kürzer und genauer als sämtliche Debatten zur Zukunft des Journalismus, die geführt werden. Wer die völlig verdrehte Argumentation des Wall Street Journals über Vater und Sohn Snowden gelesen hat sowie Snowdens Stellungnahme in der HuffPost, bekommt eine Ahnung davon, wie der junge Whistleblower ausmanövriert werden soll. Die "kalte Periode" (Snowden) ist noch nicht vorbei.

*** Mit der durch Snowden ermöglichten Veröffentlichung des NSA-Prüfberichtes samt Anweisung, wie Aussagen zu den Zielen vertuscht werden sollen, sehen wir hübsche Screenshots des Ragtime-Programmes der NSA. Die Existenz von Ragtime bzw. Ragtime-P (für Patriot Act) ist erstmals in einem Buch über den tiefen Staat bekannt geworden. Ein tiefer Staat ist einer, in dem die Geheimdienste das Primat der Politik aushebeln. Mark Armbinder, einer der beiden Autoren des Buches, arbeitet bei Palantir Technologies. Das ist die Firma des Super-Investors Thiel, die zwar eine Software namens Prism herstellt, aber eben nicht das PRISM der NSA, sondern andere Sachen. Überhaupt ist Palantir sooo eine nette Firma, mit einem Habermas-Schüler als Chef. Da können wir uns doch freuen, wenn Nexus Peering von unseren Geheimdiensten eingesetzt wird. Schließlich bleibt bei uns das Rätsel Prism ungelöst: "Die Dokumente beinhalten geheimhaltungsbedürftige Tatsachen oder Erkenntnisse, die im öffentlichen Interesse schutzbedürftig sind." Im öffentlichen Interesse bleibt alles geheim. Sonst müssten Geheimdienste ja Offendienste sein – und geheime Steckbriefe offene Fragen enthalten.

Was wird.

Der Sommer ist kurz und kürzer, die Vorschau ebenso: Neben der Demonstration Freiheit statt Angst bereitet sich Berlin auf die IFA vor, dazu gibt es einen reichlich lustlos geführten Wahlkampf, mit einem unpolitischen Deutschlandfest der SPD: 150 Jahre schlauchen halt irgendwie und ein Steinbrück ist nunmal kein Bebel.

Zur IFA startet die Deutsche Telekom eine groß angelegte "Netzoffensive". Da kann man schon mal raten, ob das entscheidene Bekenntnis zur Netzneutralität mit von der magentafarbenen Offensive ist. Gerüchte um eine smarte Uhr bei Samsung feuern zudem die Phantasie an. Bekommen wir passend zu Googles Glasses den Spion am Handgelenk, der alles aufnimmt, wie es weiland ein auf Julian Assange angesetzter FBI-Informant machen sollte? Vielleicht noch wichtiger: bekommen wir endlich die richtigen Fragen, auf die intelligente Computer ordentlich antworten können? Was ist der Sinn
a.) der NSA?
b.) des Lebens?
Da hilft nur ein Lied, um pofallibistische Antworten auch nur mit ein bisschen Galgenhumor ertragen zu können. "Life's a piece of shit, when you look at it."

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 25 August, 2013, 06:00
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich. Und dieses Mal mit dem zweiten Teil des alljährlichen Sommerrätsels.

Was war.

*** Jeden Abend und jeden Morgen schwamm sie an die Wasseroberfläche und setzte sich auf einen kleinen Felsen in der Hoffnung, ihren geliebten Prinzen sehen zu können. Das beeindruckte den Besitzer der Carlsberg-Brauerei so, dass er ein Bildnis dieser Szene in Auftrag gab, bevor sich die Seejungfrau in einen Menschen verwandelte. Alle waren entzückt davon, besonders der Prinz, der sie sein kleines Findelkind nannte, und sie tanzte immer fort, obwohl es jedesmal, wenn ihr Fuß die Erde berührte, war, als ob sie auf scharfe Messer träte. Der Prinz sagte, daß sie immer bei ihm sein solle, und sie erhielt die Erlaubnis, vor seiner Thür auf einem Samtkissen zu schlafen. Er ließ ihr eine Männertracht machen, damit sie ihn zu Pferde begleiten könne.

*** Die kleine Seejungfrau liebte den schönen Menschenprinzen, sie ließ es nicht dabei bewenden, auf einem ollen Felsen zu hocken und auf ihn zu warten. Sie gab ihren Schwanz auf, doch bei der hormonellen Behandlung der Meerhexe verlor sie ihre Stimme und konnte sich dem Prinzen nicht erklären. Der homosexuelle Dichter Hans Christian Andersen schrieb die Geschichte von der kleinen Seejungfrau, als seine große Liebe Edvard Collin heiratete. Das Drama, dass ein Mann einen Mann liebt und ihm daraus unendliche Qualen erwachsen, dass er/sie darüber zungenlos schweigen muss, war das Lieblingsmärchen von Thomas Mann und vielen anderen, die ohne Coming-Out durchs Leben gingen.

*** Chelsea E. Manning geht den umgekehrten Weg. Zu einer 35 Jahren Haft verurteilt, wünscht sie sich eine Hormonbehandlung – in der Hoffnung, am Ende die Identität zu gewinnen, die sie seit ihrer Kindheit gefühlt hat. Ob dieser Wunsch in einem Militärgefängnis erfüllt werden kann, ist schwer zu sagen. Dass er respektiert werden muss, sollte eine Selbstverständlichkeit sein, gerade unter Geeks und Nerds, die ihre unsterbliche Seele schon mal dem fliegenden Spaghettimonster widmen. Es ist es aber nicht. Ist es Toleranzmangel oder nur der Mangel an Informationen zum Thema? Es geht nicht ohne Witz und Häme und schnellstens ist das Thema bei den Unisex-Toiletten angelangt, die seit jeher die Norm in deutschen Haushalten sind. Das hat die mutige Whistleblowerin nicht verdient. Ihre gekreuzten gefesselten Hände werden mit der Schaustellung Jesus verglichen und gehen in die Kunstgeschichte ein.

*** Wir haben Wahlkampf, da wird auf allen Seiten schwer gehobelt und geklotzt. Mancher Wahlprüfstein wird aufgestellt oder umgeschmissen, die allgemeine Unübersichtlichkeit darf kein Faktencheck trüben. Die größten Wirbel lassen sich im Jahr 2013 immer noch mit Themen aus dem großen Reich sexueller Identitäten machen, wenn etwa die Alternative für Deutschland gegen die "Homo-Ehe" wettert. Ob da ein netzpolitisch fortschrittliches Programm helfen kann? Warum nicht gleich bei der FDP bleiben, die klar für die Homo-Ehe ist und ebenso klar dagegen gestimmt hat, ohne selbst einen Gesetzentwurf vorzulegen. In einem Punkt haben so unterschiedliche Menschen wie der Kriminalbeamte André Schulz und der IT-Journalist Jo Bager recht: In Wahlkampfzeiten müsste das Thema NSA, das uns alle angeht, das Thema Nummer Eins sein, noch vor dem Thema Sex. Es ist es nicht. Die Bespitzelung ist kein Aufreger wert. Systematisch wird vertuscht, verheimlicht und verniedlicht, vor allem von der noch amtierenden Bundesregierung. Die Antwort auf SPD-Fragen zum NSA-Skandal liest sich für die gemeine Öffentlichkeit so:

Die Bundesregierung ist nach sorgfältiger Abwägung zu der Auffassung gelangt, dass die Fragen 3, 10, 16, 26 bis 30, 31, 34 bis 36, 38, 42, 46, 47, 49, 55, 61, 63, 65, 76, 79, 85 und 96 aus Geheimhaltungsgründen ganz oder teilweise nicht in dem für die Öffentlichkeit einsehbaren Teil beantwortet werden können.

*** Welche Fragen tabu sind, kann hier nachgelesen werden. Ob die geheimen Antworten geheim bleiben oder ob ein Abgeordneter seinem Gewissen verpflichtet ist, müsste das Thema Nummer Zwei sein in dieser Wahlzeit. Es ist es nicht. Selbst auf Seite der Fragenden wird unerträglicher Quatsch präsentiert, wenn die Internet-Schatten-Ministerin tiefes technisches Unwissen kritisiert, aber selber als Konsequenz aus dem NSA-Skandal nur ihre Datenschutzeinstellungen bei Facebook ändern möchte. Immerhin soll das Bürgerrecht Netzneutralität gesetzlich verankert werden, auch wenn die Kandidatin Probleme hat, die Sache mit der Datendrosselung richtig zu erklären.

*** Begeben wir uns ins Neuland. Es ist nicht uninteressant, was die Wahlprogramme in leichter Sprache uns sagen. Bei den Piraten ist das Internet auf mehreren Seiten Thema, bei der CDU geht es kurz und bündig zu (PDF-Datei). "Manche Leute machen im Internet schlimme Sachen. Zum Beispiel: Sie klauen Bilder im Internet. Sie erzählen Lügen im Internet. Wer im Internet schlimme Sachen macht, muss bestraft werden." Sind Lügen und Bilderklau wirklich die einzigen Themen, die einfach zu verstehen und zu bestrafen sind?

*** Am 5. juni 2008 beschloss der Deutsche Bundestag als erstes Parlament eines großen Industriestaates, die ecuadurianische Initiative Yasuni ITT zu unterstützen. Auf seine Art und Weise beschloss Entwicklungshilfeminister Dirk Niebel den Kampf gegen das Projekt aufzunehmen. Nun hat Niebel gewonnen: Ecuador stellt das Projekt ein, das international Aufsehen erregte. Dass sich viel zu wenig Geldgeber für den Regenwald-Deal gefunden haben, ist eine Seite der Medaille. Auf ihrer Rückseite müssten die zahlreichen Drohungen stehen, mit denen der 2006 gewählte Präsident Correa die Geberländer verschreckte, den Spießer Niebel inklusive. Nun lästert Correa über die von ihm nicht geliebten Tageszeitungen seines Landes, die sich für das Projekt engagierten, sie könnten doch ihre Papierformate einstellen, wenn sie die Umwelt schützen wollten. Das Land, in dessen Londoner Botschaft Julian Assange Zuflucht gefunden hat, hat eben wenig für die Meinungsfreiheit übrig. Whistleblower sollen künftig hart bestraft werden.

Was wird.

I have a dream: Vor 50 Jahren hielt Martin Luther King am 28. August beim Marsch nach Washington die berühmteste Rede der Welt. Ihre Sätze wurden von Politikern aller Art missbraucht. Der Traum von den Hügeln von Georgia, wo die Söhne früherer Sklaven und die Söhne früherer Sklavenhändler zusammenkommen, ist ausgeträumt. Die USA haben einen schwarzen Präsidenten, der in seiner bisher besten Rede von einem Alptraum abseits der Hügel in den Städten erzählte: "Es gibt sehr wenige afroamerikanische Männer, die nicht selbst die Erfahrung gemacht haben, dass sie hörten, wie Autoschlösser verriegelt wurden, während sie auf der Straße liefen." Die schönste Antwort auf Kings Rede kam von Max Roach, ein Solo an den Trommeln, das in Deutschland nicht verfügbar ist. Why?

Es bleiben auch so genug Fragen übrig. In der IT-Szene etwa die Frage, wer der Nachfolger von Steve Ballmer wird. Der Mann, der mit den Entwicklern tanzte, wird bereits mit Gorbatschow verglichen, nur ohne Panzer und dem Roten Platz. Eine gute Frage stellt Thilo Weichert auf der Sommerakademie an der Kieler Förde: Wer hat Angst vor großen Daten? Um im Stil von Amazon zu antworten: Wer Big Brother liebt, wird auch Big Data lieben.

Quelle : www.heise.de
Titel: Re: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: Jürgen am 26 August, 2013, 01:04
Die Quelle enthält weiterführende Links, die eventuell auch noch später interessieren könnten.
Daher sei noch angeführt, dass der Artikel direkt zu finden ist unter www.heise.de/newsticker/meldung/Was-war-Was-wird-1942189.htmlJürgen
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 01 September, 2013, 07:00
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Alles kann geschehen, die höchsten Türme können
umgestürzt, die Hochstehenden eingeschüchtert,
die Übersehenen beachtet werden.

Seamus Heany ist gestorben. Dereinst, als ich über die ungeschminkten Wahrheiten des Journalismus ins Grübeln kam, gab es Glückwünsche zum Geburtstag, die ihm befremdlich vorkamen. Denn die unendliche Geschichte von SCO, zu der aus seinem Nordirland-Zyklus zitiert wurde, muss ein großer Dichter nicht kennen. Im Reich der Poesie gelten andere Gesetze als der schnöde Codeklau. Oder auch nicht, um auch mal Wanderers Nachgedanken zu zitieren.

Unter allen Zweigen ist Ruh,
In allen Wipfeln hörest du
Keinen Laut.
Die Vögelein schlafen im Walde,
Warte nur, balde
Schläfest auch du.

*** Goethe? Kleist? Snowden? Einen habe ich noch. Wolfgang Herrndorf hat mit einem Schuss am Ufer seine Ruhe gefunden. Arbeit und Struktur ist beendet, ein letztes großes Werk. Im Feuilleton wird klug über den klugen Hypomaniker geschrieben.

Und,
wenn es nicht vermessen ist,
vielleicht ein ganz kleines
aus zwei T-Schienen
stümperhaft zusammengeschweißtes
Metallkreuz mit Blick aufs Wasser,
dort,
wo ich starb.

*** Dank Edward Snowden wissen wir seit dieser Woche, dass die 16 US-amerikanischen Geheimdienste 107.000 Personen beschäftigen, unter ihnen 35.000 Kryptologen. Die dürfen 11 Milliarden im Jahr ausgeben, während alle übrigen Dienste mit einem Budget von 52,6 Milliarden US-Dollar knausern müssen. Für schlappe 278 Millionen Dollar wurden Dienste von Backbone-Providern eingekauft. Noch billiger sind verdeckt eingekaufte Software-Sicherheitslücken mit 25,1 Millionen Dollar. Nur 2,6 Milliarden hat die CIA als "reichster" Dienst für "verdeckte Aktionen" zur Verfügung, etwa für Drohnenangriffe in Pakistan und im Jemen. Gleichzeitig wird beklagt, dass man "Erkenntnisschwächen" habe, bei pakistanischen Atomwaffen, chinesischen Kampfflugzeugen und russischen Reaktionsmustern, wenn Moskau von "Massenprotesten oder Terrorangriffen" erschüttert wird. Ganz schlimm ahnungslos will man im Fall von Nordkorea sein, das von einem gewissen Kim Jong Un regiert wird.

*** Im Fall von Osama Bin Laden hatte man zwar hunderte von Satellitenbildern und abgehörten Telefonaten aus dem pakistanischen Abottabad, konnte aber nur mit 40-prozentiger Gewissheit annehmen, dass sich Bin Laden dort aufhielt. Dennoch wurden die Navy Seals losgeschickt. Erst ein später von den USA abgestrittener DNA-Test brachte Klarheit. Halt, es kommt noch besser. Snowden sollte als Systemadministrator arbeiten, doch er war nicht klug, sondern brilliant. Bis heute weiß man bei der NSA nicht, was Snowden alles weiß. Den eigentlichen Witz liefert mal wieder Großbritannien ab, dass auch die New York Times aufgefordert hat, das Snowden-Material zu zerstören. Wann revoltierten die amerikanischen Kolonien gegen die "unerträgliche britische Pressezensur"? Die freie Welt ist eine Einbildung, lehrt uns die Geschichte.

*** Sicherheit! Sauberkeit! Service! Hach, das sind Worte, bei denen das Herz jedes Bahnreisendens einen Hüpfer macht. Für 36 Millionen Euro wird die Videoüberwachung ausgebaut als Reaktion auf die Kofferbombe von Bonn. In 640 Bahnhöfen (von 5700) sind derzeit 4500 Kameras installiert. Mindestens noch einmal so viele werden gebraucht, die Sicherheit zu sichern. Die Sauberkeit kommt noch einmal auf 24 Millionen. Wir sehen: Wer sich im Konflikt zwischen Freiheit und Sicherheit für die Sauberkeit entscheidet, dem muss es dreckig gehen. Daran sollte man sich am Internationalen Tag der Privatsphäre erinnern. Jetzt muss nur noch die vom Bundeskriminalamt bemängelte  Gesichtserkennung besser werden, aber das schaffen wir noch.

*** Apropos BKA: In dieser Woche wurde das Experten-Gutachten offiziell vorgestellt, in dem die Kommission eine bessere Kontrolle des BKA empfiehlt. Das brachte die üblichen Verdächtigen aus der Fassung: Ein abwegiger Vorschlag sei das und überhaupt, eine Polizeibehörde sei doch kein Nachrichtendienst. Dass es genau darum geht, das dem Amt "Vorfeldoperationen" und Analysen zur Sicherheitslage übertragen wurden, will nicht in die bemützten Schädel. Dass am kommenden Tag der offenen Tür mit Kinderhüpfburgen und Reiterstaffel der Besuch der Präsentation des Gemeinsamen Extremismus- und Terrorzentrums von einer Sicherheitsüberprüfung abhängig ist, ist da ein deutlicher Hinweis.

Was wird.

Wenn diese kleine Wochenschau online geht, ist der Tag angebrochen, an dem angeblich in Deutschland die Wahl entschieden wird. Die vier aus dem Seehundbecken treten gegen die Zwei an und dann wird entschieden, wer die bessere Frisur hat. Das wiederum soll unentschlossene Wähler aus dem Dämmerzustand holen, in dem der komatöse Wahl"kampf" das Land versetzt hat. Zu den leicht schwachsinnigen Fragen des Wahl-O-Maten kann man An jedem neuen Tag trällern oder zugedröhnt wie die Piratenkatze für einen Wandel im Umgang mit Cannabis nicken. Wie heißt es so schön in dem Song, der auch heute noch gilt: "Die eine Pille macht Dich größer. Die andere Pille macht Dich kleiner. Und die, die Mutti Dir gibt, macht einfach überhaupt nix." 1967 ein Kommentar zum Wahlkampf in Deutschland 2013? Hilfe. Ich bin in einer Zeitschleife. Geh, frag Alice, wie Du da wieder rauskommst.

Die wirklich wichtigen Fragen dieser Zeit werden nicht gestellt: Was bleibt von einem demokratischen Staat, wenn Geheimdienste wie NSA und GCHQ Politik und Wirtschaft unterwandern und erpressen können bis hin zur offensichtlichen Hirnwäsche für Bundesminister? Wenn es keine Beweise für Wirtschaftsspionage geben sollte, ist die Eile, mit der eine Schutz- und Sicherheitsstrategie abgeschlossen wird, unbegründet. 173.000 Computer soll die NSA als "Implantate" unter Kontrolle haben – und keiner steht in Deutschland? Aber nein, nein, nein, das ist doch kein Wahlkampfthema. Bitte weiterwählen Herrschaften, hier gibt es nichts zu sehen!

Vor 80 Jahren wurde der Hannoveraner Philosoph, Feminist und Journalist Theodor Lessing von Nationalsozialisten in Marienbad ermordet. Das war vor 10 Jahren Thema dieser kleinen Wochenschau, gehört aber zur Vorschau, weil die Wanderausstellung über Lessings Leben und Werk an der Universität Hannover Halt macht. Im dortigen Amtsgericht ist zudem eine Lesung von Lessings Gerichtsreportagen über den Serienmöder Fritz Haarmann geplant, die für das Prager Tageblatt verfasst wurden. Haarman brachte reihenweise junge Männer um, konnte aber dennoch als Polizeispitzel arbeiten. Dieses erhellende Detail verschwieg Lessing nicht. "Man kann eine Schlange nicht richten, ohne zugleich den Sumpf mit vor Gericht zu stellen, daraus allein die Schlange ihre Nahrung zog", schrieb Lessing und wurde deshalb als Berichterstatter vom Prozess ausgeschlossen. "Wir können im Gerichtssaal keinen Herren dulden, der Psychologie treibt."

1500 Menschen sollen in Syrien durch einen Giftgaseinsatz jenseits der roten Linie ums Leben gekommen sein. Es wird nicht der letzte gewesen sein, die neue Eskalationsstufe ist gezündet, die Juristen leisten argumentative Schwerstarbeit. Aber es gibt auch Fragen im Stil der Sendung mit der Maus. Aus der roten Linie ist eine rote Reißleine geworden, über die der Kongress abstimmen muss. Historisch wie ein Papst-Rücktritt ist das, wenn der Oberbefehlshaber das Votum an die Abgeordneten abgibt, oder eine Art Notausgang. Wie schrieb Lessing: "Ein neuer Krieg, mit achthundert Sorten Giftgasen, mit Stratosphärenbombern und Gasbomben, die automatisch sich entladen, mit Streukörperbrausen, welche Pest- und Typhusbakterien über das Land aussäen, bald vielleicht schon mit Atomzertrümmerung, das ist ein so furchtbarer Zusammenbruch der Menschheit und ihrer Kultur, dass derjenige Staat gnädig und menschlich handeln würde, der allen Müttern rechtzeitig Blausäuregift ins Haus schickt, damit sie sich und die Kinder vergiften."

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 08 September, 2013, 06:30
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich. Und dieses Mal mit dem zweiten Teil des alljährlichen Sommerrätsels.

Was war.

9:00 Politische Morgenfeier
9:45 Kriegsdichter erzählen
10:00 Treue um Treue
10:30 Ewiges Deutschland (Vortrag des Leiters der Gauschulenburg Kronburg der NSDAP)
15:00 Ein Kämpfer aus dem großen Krieg berichtet
15:45 Uns formte der Krieg
16:00 Die Wehrmacht singt
16:50 Sudentendeutsche Märsche
17:05 Blasmusik aus sieben deutschen Kriegen
18:00 Vom Leben und Sterben eines deutschen Offiziers
19:10 Die Treue. Eine Kriegserzählung
20:00 Vermächtnis der grauen Front

*** Das, liebe Hörer und Hörerinnen dieser kleinen Wochenschau, ist das leicht gekürzte Programm des deutschen Rundfunks vom 13. März 1938, eineinhalb Jahre vor Beginn des Zweiten Weltkriegs. An diesem Tag soll die Zahl der in Deutschland angemeldeten Radiohörer die 10 Millionen-Grenze überschritten haben. Möglich machte das ein Gerät namens VE 301, das auf der Großen Deutschen Funkaustellung vor 80 Jahren am 18. August 1933 von 28 Firmen präsentiert wurde. VE steht für Volksempfänger, 301 für den 30. 1. 1933, als Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannt wurde. Bis heute ist dieses Radiogerät das erfolgreichste Produkt aller Funkausstellungen und damit ein Star der IFA. Noch während der Messe wurden über 100.000 Stück zum Selbstkostenpreis von 76 Reichsmark verkauft. Millionen Deutsche zahlten die stolze Rundfunkgebühr von 2 Reichsmark pro Monat und machten die Massenpropaganda damit zu einem einträglichen Geschäft für die Nationalsozialisten. In den Behörden und Betrieben wurden "Funkwalter" ernannt, die den Deutschen Arbeitsfront-Empfänger (DAF 1011) an Lautsprecheranlagen anschließen mussten, wenn die Fabriksirenen im Reich ertönten und die Arbeitsruhe ankündigten, weil Hitler eine Rede hielt.

*** Nein, nein, 80 Jahre Gleichschaltung der Medien, das ist doch nichts, was in dieser heiter unbeschwerte Volkstütenfeststimmung passt, mit dem Jubiläum von Btx und der Kunstkopfhörerei. Wenn schon, dann wird das 75-jährige Jubiläum einer Firma gefeiert, die etwas später in die Empfänger-Produktion einstieg. Vergessen ist auch die Provokation zum früheren Jubiläum des Volksempfängers, als die Ärzte Eva Braun auf der IFA besangen. Die Jugend von heute will bespaßt werden und der Volksempfänger ist nur noch eine Äpp, mit der man Alternativlos, Chaos Radio Express und Chaosradio hören kann. Wie war das noch? "Wir erziehen die heranwachsende Jugend zu einer richtigen Handhabung des Radiogerätes, denn nichts ist kulturloser als jene liberalistische Bedienungsweise, die sich darin ergeht, immer nur aus den Sendungen das herauszupicken, was im Augenblick der Stimmung entspricht."

*** Wie wäre es mit einem anderen Jubiläum passend zur IFA? Am 7. September 1927 gelang Philo Farnsworth seine erste elektronische Bildübertragung. Farnsworth ist einer der unglücklichen Väter des Fernsehens, an den nur noch erinnert wird, weil am Anfang seiner Erfindung das Ziehen von Ackerfurchen auf dem Feld stand. Aufzeichnungen darüber verwahrte sein Lehrer, bis zu jenem Patentprozess gegen die übermächtige RCA, der Fransworth letztlich ruinierte. So machte sein Konkurrent Zworykin das Rennen. Jedes Land hat beim Start des Fernsehens seine Helden und Verlierer; bei uns sind es bekanntlich Ehren-Reichsrundfunkführer Paul Nipkow und Siegmund Loewe, der als jüdischer Erfinder von den Nationalsozialisten ignoriert wurde. Seine Firma wurde vor 75 Jahren arisiert. Heute kämpft Loewe ums Überleben, denn der klassische Fernseh-Markt existiert nicht mehr. Liberalistisch pickt sich die Jugend, was Lifestyle und Geldbeutel diktieren. Nur komisch, dass es dann noch lange Debatten über das Ende des Fernsehens gibt.

*** IFA, IFA und aller Tickermeldungen rot gefärbt? Weit gefehlt. Auch diese Woche sorgte die NSA für Schlagzeilen. Besonders lustige kamen von uninformierten Leuten, die behaupteten, dass jedwede Verschlüsselung "geknackt" ist. Die Wahrheit ist komplizierter, das spricht gegen sie. Die Taten des ehrenwerten Dienstes sorgen nicht nur dafür, dass Open Source im Internet ab nun schlagartig eine eminent wichtige Rolle spielt, sie sorgten dafür, dass etwa 15.000 Menschen in Berlin bei der Freiheit statt Angst demonstrierten. Manche Plakate waren richtig gut, etwa dieses hier: "Die NSA wusste schon vorher, was ich malen würde", könnte ein Klassiker von Orwellschen Dimensionen werden. Die Frage ist nicht mehr, was die NSA alles macht und von uns weiß, sondern vielmehr, was sie eigentlich nicht macht. Und besser noch, was sie nicht kann, was andere Dienste auch nicht können, wie es diese entfefelte Nachricht im Fall von Truecrypt zeigt. Man muss nachhaken und fragen wie diese stellen: Was überlässt die NSA eigentlich befreundeten Diensten, die ihre "Boots on the ground" haben, etwa in Deutschland?

*** Die derzeit darüber herumschwirrenden Gerüchte sind so skurrill, dass sie eigentlich nur für hartgesottene Verschwörungstheoretiker geeignet sind und in Fefes Blog landen müssten. So soll die NSA an unseren Verfassungsschutz Werkzeuge zur Analyse des Routings zwischen Kommunikationsnetzen, zur Dekodierung von "verschleierter Übertragung" sowie zur Dekodierung von "herstellerspezifischen Übertragungsverfahren" übergeben haben. Sogar das berüchtigte XKeyScore soll sich unter den Programmen befinden, mit der Maßgabe, dass das Programm nicht gegen US-Bürger eingesetzt werden darf und per XKeyScore ermittelte Erkenntnisse des Verfassungsschutzes auch an die NSA weitergeleitet werden. Diese Erkenntnisse aus XKeyScore dürfen aber laut EULA der NSA nicht vor Gericht verwendet werden, wenn dies sich zum Nachteil eines US-Bürgers auswirken würde oder wenn das vor Gericht verhandelte Vergehen in den USA nicht strafbar wäre.

*** Ganz nebenbei musste unser Verfassungsschutz angeblich die gesamte XKeyScore Hard- und Software kaufen, weil er eine "Fähigkeitslücke" im eigenen TKÜ-System gefunden wurde. Hier wird es völlig unglaubwürdig, bei all dem Gerede über Terror und Sicherheit und die Notwendigkeit der Überwachung: Da soll doch glatt eine veraltete Anlage läuft, die "ergänzt" werden muss. Zwei deutsche Experten wurden angeblich wochenlang in den USA in der Programmierung von XKeyScore geschult, damit die Verfassungsschützer eine "tiefere Durchdringung von Datenströmen" erreichen können.

*** So mögen sie dringen und durchdringen, doch eines schaffen sie nicht, ha! : die De-Mail zu öffnen. Denn, halli, hallo, hurra, die De-Mail kennt seit dieser Woche eine einfach zu bedienende End-to-End-Verschlüsslung. Jawohl. Das funktioniert zwar nur dann, wenn Sender wie Empfanger Gateways von Francotyp-Postalia einsetzen, aber wir wollen doch nicht kleinlich sein. Vielleicht zieht ja die Telekom nach, ebenso GMX und 1 und 1. Der frohlockende De-Mail-Anwender muss sich dann nur erkundigen, ob sein Gegenüber auch bei demselben Provider ist. Dass nennt sich dann Fortschritt beim eErraten. eGovernment geht anders. Aber dafür ist bei uns ab sofort der Normenkontrollrat zuständig. Nie gehört? Das sind die, die unter erheblichen bürokratischen Kosten die Bürokratiekosten in Deutschland ermitteln.

Was wird.

Während diese kleine Wochenschau auf einem videoüberwachungsfreien Parkplatz in Hannover unter vermummten Gestalten von Hand zu Hand wandert, läuft in Australien die Stimmenauszählung bei der Wahl des Parlaments. Insbesondere die komplizierte Bestimmung der Präferenzstimmen braucht ihre Zeit. Über die Päferenzen der Wikileaks Party gab es Ärger und Verdruss, bis hin zum Austritt prominenter Kandidaten. Durch einen sauber hingelegten Leak von Wikileaks wurde bekannt, dass Assange höchstpersönlich die Beschlüsse des Parteirates unterlief, Wahlempfehlungen für die Grünen abzugeben. Während zur Stunde noch nicht bekannt ist, ob die Wikileaks Party einen Sitz im Senat bekommt, ist es nach dieser Auszählung bereits geklärt, dass Assange selbst nicht gewählt wurde. Der fragliche Sitz ging an die Australian Motoring Enthusiasts Party, deren Slogan übersetzt als "Freie Fahrt für freie Bürger" irgendwie bekannt vorkommt.

Während die Meldungen eintrudeln, dass der Kandidat von Rupert Murdoch die Wahl gewonnen hat, kann man trefflich spekulieren, wie es mit Assange weitergeht. Einen Trost hat er ja: Der in Kanada angelaufene Film über ihn und Daniel Domscheit-Berg scheint so lala zu sein, aber der vom Assange-Fan Benedikt Cumberbach gespielte Assange soll alle deutschen Darsteller (Daniel Brühl, Moritz Bleibtreu) an die Wand gespielt haben. Und sonst noch so? In Deutschland läuft seit dieser Woche eine von Assange initiierte Strafanzeige gegen einen US-Bürger, der als IT-Spezialist den 26. Kongress des Chaos Computer Clubs besuchte. Zur Stunde ist nicht klar, ob besagter US-Bürger ordentlich ein Business Ticket gelöst hat, wie das unsere Verfassungsschutzbehörden das machen, feinsäuberlich mit Rechnungsstellung an den Hauptsitz der Behörde. So muss das sein. Sonst könnte ja jeder kommen.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 15 September, 2013, 08:00
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Geliebtes Stimmvieh, wir müssen reden. Nein, nicht über die neuen iPhones von Apple oder die Uhr von Samsung. Darüber ist alles gesagt und geimpulst. Auch den "Wahlkampf" zwischen Stinkefinger und Halskette alias Raute lassen wir mal außen vor. Das uralte Zeichen der Bogenschützen, dass ihr Ziel in Reichweite ist, wird ebenso falsch verstanden wie die Kette in belgischen Farben. Immerhin ist es erfreulich, wie gut die Vorstellung ausgewählter IT-Themen aus den Wahlprogrammen bei den Lesern von heise online ankommt, obwohl aus den überall im Web auftauchenden Wahlprüfsteinen mittlerweile ein kleines Häuschen gebaut werden könnte. Die Digitalesen interessieren sich noch für Themen und Programme und haben keine Angst vor Veränderungen, das ist ein gutes Zeichen. Selbst wenn es eine Partei wie die AfD auf den Plan ruft, die abseits der IT-Themen überall Verschwörungen wittert und ein Deutschland, das nach geheimen Plänen regiert wird.

*** Aufrufe, zur Wahl zu gehen, gibt es viele, auch von denen, die Politiker aus ihrer Timeline ankreuzen. Dass Wahl- und Wechselmüdigkeit herrschten, ist eine ausgemachte Erfindung interessierter Kreise, die vor allem die Jugend vor gefährlichen Schritten abhalten möchte. Wären sie noch jünger, so würden CDU/CSU und die Piratenpartei gewinnen, gar nicht auszudenken, so was Schlimmes! Doch auch im Namen der Urne bewegt sich was.

*** Auch die angeblich immer neuen, häppchenweise an die Medien verfütterten Erkenntnisse (sie standen bereits im vorigen WWWW) über die Machenschaften von NSA, GCHQ und ihren deutschen Bündnispartnern BND und Verfassungsschutz müssen diskutiert werden. Das zeigt nicht nur die Debatte über das Tor-Projekt. Das zeigt vor allem die Rolle, die Open Source als Gegengift spielen soll. Man lese nur die 5 notwendigen staatlichen Folgen, aufbauend auf dem Gedanken, dass echte Sicherheit nur dann gegeben ist, wenn alle Glieder der Sicherheitskette kontrolliert werden können. Alles schön und gut, doch haben wir nicht ein BSI für Bürger, dass es sich ohne weiteres leisten könnte, Bounty-Suchen in diversen Open Source-Programmen zu finanzieren, so wie es Gpg4win finanziert?

*** Etwas über 16.000 Anwender setzen in Deutschland das Grundschutz-Prüfsystem GSTOOL ein, die meisten sind Behörden und Kommunen. Frühere Versionen des GSTOOLs kamen mit einer eigenen Verschlüsselung, die relativ leicht zu knacken war. Deshalb verzichtete das BSI völlig auf eine eingebaute Verschlüsselung und empfahl lediglich, für den Versand zum Auditor auf bewährte Verschlüsselungsverfahren wie Chiasmus zurückzugreifen. Das ärgerte einen Piraten, der schon vor Jahren fazialpalmierend vor dem Bildschirm saß, weil seiner Ansicht nach die fehlende Verschlüsselung lauter hätte kommuniziert werden müssen. Darauf hat das BSI in dieser Woche etwas lahm reagiert und die ganze Geschichte als "unglücklich" bezeichnet. Das mag man so sehen. Ein echtes Spitzenamt für die Sicherheit in der Informationstechnik hätte anders reagiert. Im neuen Bundestag soll das Amt des Bundesdatenschutzbeauftragten dem Justizministerium angegliedert werden. Wohin könnte bloß das BSI wandern, weg vom verschnarchten Innenministerium, dem nach wie vor keine Erkenntnisse vorliegen, was die NSA macht und das ein Versprechen nach dem anderen kassiert?

*** Ach ja, die liebe Open Source. Der Chaos Computer Club hat die Geschichte zweier Programmierer veröffentlicht, die beim Backtrack-Projekt begonnen hatten, sich danach aufs offensive Pentesting verlegten und unversehens in einem Projekt landeten, bei dem für die Überwachungsfirma Gamma Code entwickelt wurde. Gamma selbst macht kein Geheimnis daraus, dass das Backtrack-Projekt der Ausgangspunkt für die eigene Software-Entwicklung war. Während andere aus dieser Geschichte ein Ganghofer-Rührstück machen, deuten viele Details darauf hin, dass die Geschichte aus dem Jahre 2011 so nicht stimmen kann. Stutzig macht das verlinkte Geständnis des fiesen Chefs der ach so bösen Firma Dreamlab, der Wikileaks für die Veröffentlichung der neuen Spy Files dankt, weil er nun beichten kann. "Dank der Veröffentlichung des Vertrags auf Wikileaks ist uns dies nun endlich möglich, da bestehende Geheimhaltungsverpflichtungen nur für Unterlagen gelten, die nicht ohne unser Zutun bekannt geworden sind." Geheimhaltungspflichten sollen die Firma gehindert haben, über einen Infection Proxy zu reden, den sie für Gamma programmiert hat.

*** Die "gagging order" erinnert schon an US-amerikanische Verhältnisse. Bei solchen "Pflichten" ist Whistleblowing Bürgerpflicht. Stattdessen fahren die Betroffenen lieber zur Black-Hat-Konferenz. Dreamlab wird unterdessen als vorbildlich gelobt: "Dreamlab hat durch seine Arbeit im Bereich der ISECOM, am Open Source Testing Methodology Manual (OSSTMM), dem CHANGE Projekt der EU und damit letzlich auch OpenFlow, dem Schweizer Netobservatory und dem EMARE Projekt zum Schutz gegen Malware tiefe Kompetenz in dem Gebiet erworben." Wenn all diese Open Source-Initiativen von Überachungsfirmen unterwandert sind, dann gute Nacht, Schweiz. Ähem, Europa.

*** Gute Nacht? Ja, da gibt es doch ein kleines, feines Jubiläum: Heute vor fünf Jahren gingen die Lichter auf den Finanzmärkten aus. Die Lehman Brothers zwangen die Welt auf die Knie, wie ihr Kommunikationschef stolz berichtete. 600 Milliarden faulige Hypotheken lösten den Kollaps der Investmentbank aus. Im Jahre 2016 sollen die im Konkurs befindlichen Lehman Brothers die letzten Hyptotheken losgeworden sein. Wer glaubt, dass die Gefahr von Bankenpleiten heute durch messerscharfe Kontrollen gebannt ist, glaubt auch, das Schweine fliegen können. Nein, Griechenland ist nicht gemeint. Dort wurde gerade der sechstägige Sonderurlaub abgeschafft, der bisher für die Arbeit am Computer gewährt wurde.

*** Niemand hat besser über die Mühen der Ebene geschrieben, in denen es seinen Gang geht, wo man sich in der DDR durchlavierte und arrangierte und sozialistischer Konsumspießer wurde. Er war unser Fallada, meint Wolfgang Thierse zu Recht, denn auch in Osnabrück schrieb er große Werke über die Wende. Nun wird er als ostdeutscher Autor oder gar als bedeutenster Autor Ostdeutschlands beiseite geräumt. Das hat der Sachse aus Leidenschaft nicht verdient. Da müssen wir im Geiste von Ray Dolby sagen: Ruhe, bitte!

Was wird.

Wollen wir über Autos reden? In Frankfurt wurde die IAA eröffnet und es geht ausgesprochen schick zu, selbstredend mit Internet im Auto und eCall, damit die NSA weiß, wohin wir fahren. Im Sinne der guten neuen Ökonomie vom "Sharing is Caring" ist in Frankfurt Carzapp zu sehen, mit dem jede Karre für die Gemeinschaft der Karrenteiler umgerüstet werden kann. Was jetzt noch fehlt, ist die PKW-Maut für alle, damit der mentale deutsche Autofetischismus abgebaut werden kann. Gemeint ist nicht das Seehoferlein, die simple Vignette für Ausländer, die der CSU am heutigen Sonntag Stimmen für das Bergwerk bringen soll. Eine mit dem Kilometerzähler gekoppelte On-Board-Unit muss es schon sein, die die Fahrleistung berechnet und in Stoßzeiten Aufschläge auf den Grundpreis addieren kann. Was für ein wunderbares IT-Projekt, das bestens zum neuen Schwarz-Grün passt! Da schalten glatt alle Schwampeln auf grün! Wie da die Aufträge winken! Und Open Source könnte es doch auch noch sein, damit niemand auf den Verdacht kommt, abgezockt zu werden.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 22 September, 2013, 02:40
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Hielt die Welt an? Aber nicht doch, nicht eine müde Schaltsekunde lang. Während in Genf sich die Fachleute darüber stritten, ob die Schaltsekunde abgeschafft werden sollte oder nicht, starb Marcel Reich-Ranicki, Literaturliebhaber und Jude. Heute wird bekanntlich in Deutschland gewählt, deswegen ist es die Chronistenpflicht, auf die wichtigste Rede dieser abgelaufenen Legislaturperiode hinzuweisen, die im Deutschen Bundestag zu hören war. Von Marcel Reich-Ranicki, über den Beginn der Judentransporte aus dem Warschauer Ghetto und seine Heirat mit Tosia Langnas. Der schlichte Bericht eines Augenzeugen ist sicher jenseits der Tagespolitik, die sonst unter der Kuppel getrieben wird, mit überaus mieser Bilanz, was die letzten Jahre anbelangt. Stand Reich-Ranickis Rede über den Parteien, wie sein Tod? Aber nicht doch, nicht eine müde Sekunde lang.

*** Reich-Ranicki ist gestorben und in den Kreislauf der Natur eingegangen, um es Gysikalisch zu sagen. Die deutschen Zeitungen sind voll mit Nachrufen, Zurufen, Abrufen und Unkenrufen, wo bittschön jemand ist, der so verreißen kann und loben. Dabei ist es längst bekannt, dass der Tod eines Kritikers lange vor dem Tod dieses Kritikers eingesetzt hat. Heute genügt ein einfacher Satz: "Empfehlungen für Sie: Bücher". Dabei kommt niemals, so eine wunderbare Liste von 101 Büchern heraus, in der Woody Allen und Karl Marx und Joseph Heller in einer Kategorie zusammengefasst sind. So kommen wir vom Rufen zum Schreien und, in Gedenken an den Redner Reich-Ranicki, der wusste, dass sein Glück ein einsames Glück ist, ohne die Gemordeten. Diese Passage von Carl Amery aus dem abwesenden Gott passt.

du schreist: der himmel ist nicht für die vögel da, die weltgeschichte nicht für die abkömmlinge von schimpansen. Ich aber sage dir: kein Himmel, der nicht für die vögel da ist, war und ist je für dich da; und ferner: was du dem geringsten Meiner schimpansen, deiner brüder, antust, das hast du dir selbst getan; und abermals: wenn du nicht wirst wie der geringste dieser schimpansen, wirst du nicht in das Reich eingehen. du fragst: wo ist dieses Reich, das Du mir versprochen hast? Ich aber sage dir: das Reich, das paradies, ist in dir und um dich, und du hältst deine augen, dass du es nicht sehen musst. du fragst: ist nicht alles auf meine freiheit, mein glück, meine befriedigung allein angelegt? und Ich sage dir: glück für einen allein gibt es nicht.

*** Heute ist Waltag und Herbstäquinoktium, vulgo Herbstzeitgleiche zugleich. Die dicken Wale machen sich bereits fesch zum großen Koalitionskuscheln, die Rechnung mit der sorgsam orchestrierten Pädophilie-Kampagne ist aufgegangen, wie der Mond vom ollen Claudius. Kann eine Stimme für die Piratenpartei den Quant Trost spenden, der eigentlich für den kranken Nachbarn reserviert ist? Doch krank sind wir alle, im modernen Überwachungs- und Geheimdiensstaat und all diejenigen besonders, die an dem blöden Satz "Wer nichts zu verbergen hat..." leiden. "Wie kann man sein Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung ausüben, wenn der moderne Analytiker einem gar nicht sagt, was er gefunden hat, und auch nicht fragt, ob er davon öffentlich Gebrauch machen darf?" Die Frage stammt von einem Medientheoretiker, nicht von einem Politiker. Oder wie wäre es mit diesem Satz: "Man muss von einem Totalitarismus der Daten sprechen. Wenn diese in die Hände derer gelangen, die von Demokratie nichts mehr halten, dann sind die Grundsätze unserer Rechtsordnung in Gefahr." Wieder kein Politiker, sondern der DDR-Bürgerrechtler Schorlemmer, der in der Süddeutschen Zeitung erzählt, welche Freude Stasichef Mielke an den Daten gehabt hätte.

*** Um es kurz zu machen: Die Warten-wir-es-mal-ab-Einstellung der Kanzlerin ist schlimm, aber hey, es ist ja Walkampf. Jeder weiß seit Käpt'n Blaubär, wie unzuverlässig Wale sind. Sie halten niemals ihre Versprechen ein und schwimmen frohgemut in die Große Kollision, wo das Regieren so leicht ist: Wir Muttis entscheiden. Was wir in diesem Walkampf hinzugelernt haben: Wale vergessen nicht nur Versprechen, sondern sind schlicht Verweigerer. Die große politische Leistungsverweigerung ist das Walthema schlechthin. Wieso da eine Wal-Gegnerin die Diskussionsteilnehmer schockieren kann, bleibt ein großes Rätsel. Schließlich gibt es genug Lautsprecher, die die Freiheit des Nichtwählers als schicken Platz für Vermarktungsstrategien entdecken. Wenn sich nichts ändert, wie wäre es mit einer neuen Haarfarbe? Ein richtiger Abwal sieht anders aus.

*** In diesen unseren lähmenden Walzeiten mit einer untätigen Regierung gibt es interessante Veränderungen. Da wäre etwa die Firma RSA, die vor einer Schwachstelle in einem eigenen Produkt warnt, oder eine Aloha, die selbstbewusstes Marketing betreibt: Nun, wo wir wissen, wie die NSA arbeitet, können wir uns auch wehren, mit verschlüsselten PDF-Dateien. Doch wissen wir wirklich, wie da gearbeitet wird bei NSA und GCHQ, nur weil es Powerpoints über die "Operation Socialist" gibt, die Snowden und Greenworld veröffentlichen? Hat das Geschmeiß von NSA und GCHQ nur Edelrouter besetzt oder auch andere? Gewissheit besteht nur, dass die "Known Unknowns" größer sind als bisher angenommen. Wir haben Komponenten und Bruchstücke und Chips, zu denen die Methoden und versuche addiert werden müssen, die etwa chinesische und russische Geheimdienste auf Lager haben. Nicht zu vergessen die Zulieferer wie Vupen, die ihrerseits bei Enttarnung weitere Zulieferer von Sicherheits-Exploits wie ManTech nennen. War da was? Richtig, von ManTech International kamen die Experten, die die Rechner von Chelsea Manning auf Spuren untersuchten, die zu Wikileaks führen sollten. We are family, tralala. Und wer liefert eigentlich die Software für selbstverschlüsselnde Festplatten nach FIPS 140-2 in unsere Rechenzentren?

Was wird.

NSA, GCHQ, NSA, geht es eigentlich auch anders? Heute vor 52 Jahren stimmte der US-Kongress für ein Gesetz, mit dem das kurz zuvor gegründete US-amerikanische Friedenscorps finanziert und rechtlich verankert wurde. Das war anders als bei Perry Rhodan eine skurrile Truppe, die eigentlich niemand haben wollte. Die Vorgeschichte: Im Oktober 1960 landete US-Präsident John F. Kennedy mitten im Walkampf gegen Richard Nixon um 2 Uhr in der Früh an der Universität von Michigan. Dort hatten Tausende von Studenten in der Kälte auf ihn gewartet. Kennedy begann einer seiner üblichen Walkampfreden, doch dann begann er zum Entsetzen seiner Entourage zu improvisieren und schwärmte von jungen Missionaren, nur eben ohne Religion. Die Kurzansprache rief die amerikanische Jugend auf, zwei Jahre ihres Lebens als freiwillige soziale Jahre draußen in der Welt zu verbringen. Eine freie Gesellschaft sollte gewaltlos im Kalten Krieg amerikanische Werte demonstrieren. Noch in derselben Nacht sollen sich 1000 Freiwillige zum Friedensdienst verpflichtet haben, der hastig improvisiert wurde. Nixon lästerte heftig über den "Wehrdienst für Schlaumeier", doch schaffte er es nicht, das Friedenscorps aufzulösen, die Truppe, die das Bild vom kriegerischen Amerikaner bekriegen sollte. Nachahmungsvoll wollte Willy Brandt ein deutsch-amerikanisches Friedensheer aufstellen.

Willy Brandt? Der liebeshungrige Kanzler, dem sein Parteifreund und Rasterfahnder Horst Herold eine Liste aller Frauenkontakte vorlegte, ganz ohne Komissar Computer? Im Jahr 1937 wohnten Willy Brandt und George Orwell in Barcelona in demselben Hotel. Orwell kämpfte als Abgesandter der der Independent Labour Party auf der Seite der POUM, Brandt arbeitete als Journalist für norwegische Zeitungen. Orwell wie Brandt waren gegen den radikalen Kurs der POUM, die gleich nach der Verteidigung der Republik mit der sozialistischen Revolution weitermachen wollte. Damit argumentierten beide auf der Linie der moskautreuen Kommunisten, die bald mit einer mörderischen Säuberungsaktion begannen. Diese Erfahrungen mit der Komintern verarbeitete Orwell in "1984". Ein spannendes Buch aus unserer Zukunft.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 29 September, 2013, 06:00
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** In diesem Hotel zur Erde war die Creme der Gesellschaft zu Gast, man wählte mit leichter Gebärde und freute sich einen Ast. Nein, das haben sie nun doch nicht bei der CDU am Walabend gesungen, so einen linken Agitprop. Da stimmte man lieber die Toten Hosen an: "An Tagen wie diesen, wünscht man sich Unendlichkeit. An Tagen wie diesen, haben wir noch ewig Zeit." Der Walkampf ist vorbei, die Wale dümpeln ruhig, sie haben viel Zeit. Weil eine Minderheitenregierung verpönt ist, die jedesmal aktive Zustimmungen oder Duldungen aushandeln muss, bekommen wir die große Wal-Koalition als bittere Persiflage auf die Demokratie: Die kleinen Fische haben nichts mehr zu melden, da sie nicht einmal ein Viertele zählen. Das bedeutet, dass die neue "Opposition" keine Untersuchungsausschüsse einberufen kann, wenn es eine Schweinswalerei gegeben hat. Ob es wirklich hilft, zum Schutze der kleinen Fische eine Änderung der Geschäftsordnung des Bundestags zu fordern? Ein Lackmustest auf die Demokratiefähigkeit der Wale ist das jedenfalls nicht. Wale mögen es nicht, wenn ihre Ambra gestört wird.

*** Gerade deutsche Wale haben nun einmal einen Anspruch auf bequemes Regieren ohne nervenaufreibende Kampfabstimmungen, bei denen jede Stimme zählt. Merkel soll werkeln, das ist die Parole. Da gibt es nichts zu verschlafen, wenn man nicht versteht, was gerade passiert, Gemütlich ohne all das NSA-Geklingel auskungeln, wie man behutsam die neue, fast freiwillige "Bürgerdatenabgabe" einführen kann wie vor kurzem die wunderbar geräuschlos akzeptierte E-Mail made in Germany, das hat was. Bloß nicht an den von der Hotelierspartei benutzten Begriff Vorratsdatenspeicherung erinnern, das gibt nur Ärger und erinnert im Übrigen daran, dass der schlimmste Tod bei den Walen der Hitzetod ist.

*** Während die Wale Seit an Seit dümpeln, gibt es Zoff um Netzpolitik und die Netzgemeinde, früher auch als Klein-Bloggersdorf oder digitale Boheme bekannt. Angeblich hat man sich eine fiese Niederlage eingefangen und ist eine Schmerzgemeinde geworden. Im Zuge einer posttraumatischen Zerknirschung soll Netzpolitik sowas von gestern sein oder mindestenes gutes Geld bringen, wenn es heißt: "Wir wollen netzpolitik.org weiter ausbauen. Dafür brauchen wir finanzielle Unterstützung. Investiere in digitale Bürgerrechte." Wer da in Rechte investieren will, die man dank Grundgesetz und nachgeordneter Gesetze hat, muss sich die Frage nach dem Profitieren gefallen lassen. Ja, Freiheit statt Angst war ein wunderbar warmer Sommerschlußlauf, begleitet von einem hübschen Geldregen in den herumgereichten bunten Eimerchen.

*** Was in den vielen Betrachtungen zum abgelaufenen Walkampf auffällt, ist der unverhohlene Hass auf bestimmte Kommunikationsformen im Internet, der besonders bei konservativen Menschen durchschlägt, die sich als Elite begreifen. Da wird in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung Twitter lächerlich gemacht als Tummelplatz der "Motzkis der Republik". Im dazu passenden Blog geht es noch besser, wenn den Piraten mangelnde Internetkenntnisse vorgeworfen werden: "Da helfen dann auch keine guten Offlineplakate mehr, wenn sie eine Organisation bewerben sollen, die an ihren schlechteren Tagen so sympathisch wie das Heiseforum ist, und die Natur des Internets trägt dazu bei, dass die Fragwürdigen, Peinlichen und Größenwahnsinnigen deutlicher auffallen. " Da schimmert Neid auf, die vielfältigen Debatten des Heiseforums mit über 2000 Beiträgen allein zur ersten Meldung zu den Wahlergebnissen passen nicht zur schlichten Denkungsart von jemanden, der den Piraten die alttestamentarische Leviten vorlesen will. Ansonsten gilt anscheinend: Die größten Kritiker waren selber Elche.

*** Achja, die FDP. "Freiheit statt Überwachung. Nur mit uns." All das schöne Werben auf der Freiheit statt Angst, mit einer Privacy Flatrate SLS ab 1,40 Euro im Jahr hat nichts genutzt. Vergrößern Eine einzige Sabine Leutheusser-Schnarrenberger gegen abstoßende Wirtschaftshelfer und Mövenpick-Schlabberer, das war viel zuwenig. Die Partei verunfallte ziemlich früh in der Regierung, mit einem eigenartigen Entwicklungshelfer und dem Bruch des Versprechens, die elektronische Gesundheitskarte abzuschaffen, wenn man in der Regierung ist. Ja, auch das kam von SLS, der (nicht nur) die Netzgemeinde nachtrauert. Dass einschlägige Zeitungsartikel zum Ende des deutschen Liberalismus wieder und wieder Walther Rathenau rühmen, sagt eigentlich alles. Wenn der ach so smarte Christian Lindner wirklich durchstarten will, müsste er Edward Snowden nach Deutschland schmuggeln und die verschlafen-gleichgültige Paddelei der Wale in Sachen NSA mit allem Einsatz bekämpfen. Denkste. Stattdessen: Ein jeder bringe seine Schäfchen ins Trockene.

*** Schäfchen, Schäfchen, da war doch noch was. Wir schreiben das Jahr 2013. Erstaunlich, aber wahr: Zum allerersten Mal haben Europol und Interpol die erste internationale Konferenz über Cybercrime ausgerichtet. Dabei kam ein Sprecher der privaten Kriminaliätsbekämpfer zu Worte, dessen Präsentation zeigte, wie wenig man bei den Füchsen von rechtsstaatlichen Methoden überzeugt ist. Ganz nebenbei: "Hunt down the Wolves" als Konferenzmotto sagt mehr aus als alles Gemurmel von Experten. Denn zu den Wölfen gehören bekanntlich die Schafe. Offiziell liest sich das so: Zurückhacken, aber mit Schmackes!

If we, for a moment, consider legitimate and innocent users of the internet to be sheep -- it is simply not enough anymore to armour them or raise the fence. We also need to identify and hunt down the wolves.

Was wird

Im Rahmen dieser Wolfsjagd haben Europol, Interpol und die ICSPA als Zusammenschluss von Privatfirmen Project 2020 entwickelt, eine Schilderung der Cyber-Zukunft bis zur technologischen Singularität. Der beunruhigende Teil der Schilderung, die an Askania in Rauhberg erinnert, spielt in einem Land namens Süd-Sylvanien. Das ist ein Land, in dem sämtliche kritische Infrastrukuren in privater Hand sind. Dort tauchen "Anarchisten und RFID-Gegner" auf und erzeugen mittels DDoS-Attacken soziale Unruhen und Aufstände der Bürger, die ihre geliebten Webseiten nicht mehr erreichen können. Ein "Informationsfreiheitsministerium", in dem ehemalige Hacker arbeiten, bekämpft die sozialen Unruhen, indem rund um die Uhr durch Diskussionen in sozialen Netzen der Protesturm abgewettert wird. Besser kann man die künftige Rolle der ach so ethischen Hacker bei der Kooperation mit "Maschinen, die uns ersetzen" eigentlich nicht schildern. Das zu diesem Szenario von Trend Micro gedrehte Video startet am 1.Oktober, derzeit gibt es nur ein Making of. Die Wolfshatz auf Andersdenkende lässt Schlimmstes erahnen: In den Köpfen der Cybercrime-Experten ist aus "Law and Order" das schlichte "Order!" geworden. Gegen die Wölfe ist jedes Mittel recht.

In diesen Tagen steht der Neubau des Bundesnachrichtendienstes (BND) kurz vor seiner Fertigstellung. Nach einer Aktion von Datenschützern meldeten sich Leser, die über die Palme im Hofe des BND rätselten. Dazu hat sich nun der ausführende Künstler Ulrich Brüschke geäußert: "Bewusst werde hier mit den Original-Elementen gespielt, die von der amerikanischen Armee oder in Südostasien in Tourismusgebieten zur Tarnung von Antennenanlagen benutzt werden." Da schau her: Beim BND ist alles nur Wunst. Wie heißt es in der tageszeitung: "Die Mitarbeiter sollen atmosphärisch die Landschaft ihrer aktuellen Feinde vor Augen haben."

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 06 Oktober, 2013, 08:00
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Man will ja nur Boote abwehren. Die sich unberechtigt im europäischen Hoheitsgebiet aufhalten, diese Boote. "Wir spüren sie mit unseren technischen Geräten auf" – mehr nicht. Sind doch nur Boote, verbotene Boote. Auf ihnen sind verzweifelte Menschen, die in den Tod hineinsegeln, wie das unser Bundespräsident formulierte. Diese Menschen kann ein Europa nicht gebrauchen, das IT-Fachkräfte sucht, also gelten für sie etwas andere Menschenrechte, wie etwa die grenzenlose Freiheit, vor Europa zu ertrinken. Schätzungsweise 19.000 Bootsflüchtlinge sind in den letzten 25 Jahren ertrunken. Es ist ein illegaler Tod, auf den die Politik in sattsam bekannter Weise reagiert: "Wir wollen dass die EU-Agentur Frontex verstärkt wird und unsere Küsten effizienter überwacht werden. Europa muss dieses System mehr nutzen." Wir brauchen keinen Humanismus, der eh nicht schwimmen kann, wir brauchen deutlich mehr intelligente Bojen.

*** Während in den USA der Shutdown das Weiße Haus im Internet getroffen hat, laufen bei uns Koalitionsverhandlungen, bei denen ein Bayern-Shutdown diskutiert wird. Das ist noch die lustigste Lösung deutscher Probleme. Ganz nebenbei wäre dann auch die Vorratsdatenspeicherung in trockenen Tüchern und ein(e) neue(r) Innenminister(In) an den Schalthebeln, der/die das personifizierte Unvermögen namens Bundespudel ablöst.

*** Selbst eine Internetministerin wäre denkbar, die sich liebevoll um das Netz des Bundes kümmern könnte, das von der Bundesstelle für Informationstechnik gestrickt wird. Wie wäre es, den ganzen Kram nach Brüsseler Vorbild mit BT auszuquellen, damit sich Verschwörungstheorien zur europäischen NSA breit machen können? Wenn die neue Koalition steht, empfiehlt sich auf jeden Fall ein Schrödern des Bundestages, zur Vorbeugung.

*** Mit durchschnittlich drei Newsticker-Nachrichten pro Tag zur NSA-Affäre kommt die Frage auf, wo diese Schnüffler eigentlich nicht die Lauscher im Spiel haben. Viel ist nicht mehr übrig. Ok, Tor stinkt und bei der E-Mail scheint die Verschlüsselung einbruchsicher zu sein, wenn sie denn technisch sauber installiert ist. Das wiederum bedeutet, dass ernst gemeinte Sicherheit mit dem Einsatz von Tails beginnt und bei Pond aufhört, nicht zu vergessen das Tor Browser Bundle. Das ist freilich erst der Anfang. Nur weil wir paranoid werden, heißt das ja nicht, dass sie nicht hinter uns allen her sind. Wobei das "sie" längst nicht mehr NSA und GCHQ umfasst. Nur unsere Regierung und die versammelte Laien-ITler-Schar der Politiker will von verlangter Aufklärung immer noch nichts wissen. Um es mit einem modifizierten Sprichwort von Bertold Brecht zu sagen, hat die Dummheit in der Politik ein Ausmaß angenommen, dass sie unsichtbar geworden ist. Wie heißt es in einer aktuellen Antwort der Bundesregierung in dieser Woche? Im Westen nichts Neues.

"Die Übermittlung personenbezogener Daten an ausländische öffentliche Stellen ist in § 19 des Bundesverfassungsschutzgesetzes geregelt und findet auf dieser Grundlage statt. Für das Betreiben gemeinsamer Dateien von deutschen Nachrichtendiensten mit ausländischen Partnerdiensten gibt es im deutschen Recht keine Gesetzesgrundlage. Daher finden auch keine Treffen zu Datensammlungen und Projekten mit den genannten Diensten statt. Im Rahmen der internationalen Zusammenarbeit erfolgt ein Austausch situativ und anlassbezogen vorwiegend mit allen in Berlin ansässigen Verbindungsstellen."

*** Natürlich gibt es Widerstand. Bürgerrechtler klagen in Straßburg. Über die Aktion schreibt eine der Protagonistinnen in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, ohne ein einziges Mal ihre prominente Rolle in dieser Klage zu erwähnen. Das muss der neue Journalismus sein, von dem sie alle reden. Oder uff, ein furchtbarer Verdacht keimt auf, vielleicht ist Constanze Kurz eine Internet-Intellektuelle?

*** Internet-Intellektuelle? Ach, oh weh. Über diese Sorte Mensch hat sich der Intellektuelle Evgeny Morozov in der Zeit ausgelassen, unter dem Titel How to Stop a Sharknado. Ein Sharknado ist der ultimative Shitstorm, es regnet dann Haie statt Scheiße. Echte Intellektuelle müssten nach Morozov darüber aufklären, dass bestenfalls Haifetzen vom Himmel regnen können, die unechten bleiben bei ihrem Programm und klären über das Internet auf mit Vorträgen und als Consultant bei Ghaddafi. Dann startet Morozov sein Kettensägenmassaker und macht sie nieder, von Clay Shirky bis Larry Lessig. Übrig bleiben nur zwei große Fische, nämlich Noam Chomsky, der meistzitierte lebende Mensch der Erde. Ferner Michel Foucault, leider schon gestorben. Beide haben meines Wissens nie über regnende Haie geschrieben, aber das ist auch egal beim lustigen Spiel, wenn Intellektuelle Intellektuelle Intellektuelle schimpfen. Auch Morozov geht es nur um die einzig richtige Internet-Erklärung, nämlich seine. Mit Morozov ist es wie mit den Hipstern. Die tragen Bart. Verstehen aber die Erklärung nicht, warum man Bart trägt.

*** Seis drum. "I could tell you about my life and keep you amused, I'm sure". Wir schlagen aber bei Foucault nach, denn Chomsky ist da wenig ergiebig: Für ihn ist das Internet ein Werkzeug wie der Hammer, der Nägel und Köpfe einschlagen kann. In seiner Vorlesung zur Geschichte der Biopolitik beschäftigte sich Foucault mit dem Panoptikum von Jeremy Bentham als Formel einer Regierung.

Was muss eine Regierung tun? Sie muss selbstverständlich allem, was die natürliche Mechanik sowohl des Verhaltens als auch der Produktion ist, einen Platz einräumen. Sie muss diesen Mechanismen Raum gewähren und darf auf sie in keiner Weise Einfluss ausüben – zumindest in erster Instanz – als durch Überwachung. Und nur dann, wenn die Regierung, die zunächst auf ihre Funktion der Überwachung beschränkt ist, feststellt, dass etwas nicht so geschieht, wie es geschehen sollte hat sie einzugreifen.

Die vornehmste und wichtigste Tätigkeit einer Regierung ist die Überwachung aller. An der NSA hätte Foucault seine Freude gehabt. Sie ist der moderne, aufgeklärte Versuch, das Staats-Panoptikum im Internet zu realisieren, um ein Shutdown dort zu erzwingen, wo etwas nicht so geschieht, wie es geschehen sollte.

Was wird.

Auf dem kommenden 30C3 des Chaos Computer Clubs geht es stickum weiter, natürlich mit Foucault, wenn dieser Vortrags-Vorschlag angenommen wird: "Wenn wir in einem Panopticon leben, wieso ist es dann (fast) allen Menschen egal?" Ja, warum regt sich nur eine kleine Minderheit auf, die mit dem verniedlichenden Wort von der "Netzpolitik" in die Spielecke geschickt wird und dies auch noch duldet und brav mit den Holzklötzchen spielt? Hat der Marsch durch die Institutionen gerade erst begonnen wie der heute gestartete Marsch der Frauen nach Versailles? Aber nicht doch. Die ubiquitäre Kontrollgesellschaft ist die zeitgemäße Lebensform, einschließlich der Leichen vor Lampedusa. Werfen wir ein bisschen Kuchen an die Küsten des Lichts.

Ein etwas anderer Nachtrag auf einem scheinbar unpolitischen Feld, weitab der IT: Demnächst zeigt sich der deutsche Sport Flagge mit Wintersportlern in einem Outfit, dessen Farben an die Regenbogenfarben erinnert. Leider ist der Protest gegen die schwulen und lesbenfeindliche Politik Russlands gar nicht so gemeint, sondern soll an die Sommerspiele von 1972 erinnern, als Bayern noch zu Deutschland gehörte und die Leyermark noch Science Fiction war. Das kann man bedauern, muss es aber nicht.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 13 Oktober, 2013, 06:00
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** In Frankfurt geht gerade das Jahrestreffen der Kulturbeutel zu Ende, die umlagerten Star-Autoren der Branche wie Boris Becker, Atze Schröder und Uwe Ochsenknecht sind längst abgereist, der Super-Blattmacher Cherno Jobatey konnte nicht kommen. In seinem neuen Netzblatt warten Sätze auf ihn, die erst einmal verdaut werden müssen: "Mitarbeiter werden dazu angehalten, ständig gegeneinander wettzueifern." Immerhin gibt es auch nachdenkenswerte Stücke, liebevoll netzgerecht mit Schreibfehlern und Kommatastreuung verziert. Es geht um den fortlaufenden Verlust der Privatsphäre, ein Verstecken ist nicht mehr möglich. Sind wir nicht alle hübsch belastbare Esel und Eselinnen (Nietzsche), sind wir nicht alle hübsch in kommerziellen Kontexten eingebettet (Google)?

*** Das wichtigste Buch dieses Herbstes ist zweifelsohne "Killing Business. Der geheime Krieg der CIA", in dem Mark Mazetti die Entwicklungsgeschichte der verheerenden Drohnenangriffe erzählt, bis hin zu den Überlegungen, warum Osama Bin Laden gerade nicht per Drohne eliminiert werden sollte wie Hunderte vor ihm. Aus der ehemaligen Central Intelligence Agency ist die führende Organsiation für Präzisions-Menschenjagd geworden, mit ein paar collateral murders. Für den deutschen Leser birgt das Buch die kleine Überraschung, wie viele CIA-Aktionen im Nahen und Fernen Osten von Deutschland aus geplant oder gestartet wurden. Mazetti schreibt im Abspann: "Eine große Zahl der in diesem Buch zitierten US-Dokumente wurde erstmals durch die Enthüllingsplattform Wikileaks an die Öffentlichkeit gebracht. Die Datenbank von Wikileaks ist für Journalisten und Historiker, die das Innenleben des amerikanischen Regierungsapparates besser verstehen wollen, zu einer wichtigen Quelle geworden." Zu einem Dank an die ungebrochene Chelsea Manning hat es nicht gereicht, doch immerhin ist jene Plattform genannt, die einstmals eine wichtige Rolle spielte.

*** Was Wikileaks heute so macht, kann man tagtäglich im Netz nachlesen. Da ist etwa Mediastan, ein Dokumentarfilm nach einer Idee von Julian Assange unter Regie von Johannes Wahlström. Über ihn kann man in der Wikipedia diesen Eintrag und diese Version lesen. In Mediastan gibt es eine Schar aufrechter Journalisten, die gegen die "servilen Medien" kämpfen. Und der Aufrechteste unter den Aufrechten ist Julian Assange. Als "Journalist" hat Assange in dieser Woche einen Brief an den Assange-Darsteller Benedikt Cumberbatch veröffentlicht, der in der Mischung aus Verachtung und Anbiederung wohl einzigartig ist. Der Gedanke, dass ein Schauspieler mit seiner einzigartigen Aura in der öffentlichen Vorstellung verschmelzen kann, treibt Assange zum harschen Urteil an der "hired gun": ...am Ende bist du ein jobbender Schauspieler, der bezahlt wird, dem Skript zu folgen, egal wie verzerrt es ist." In einer aktuellen Antwort würdigt Cumberbatch Assange als Revolutionär des Journalismus und zeigt damit Verständnis. Dann gibt es da noch den Parteiführer Assange und das Land Ecuador, das für Assange den internationalen Gerichtshof in Den Haag anrufen will.

*** Die Woche der Nobelpreise ist naturgemäß ein hartes Brot für alle, die über Technik und Naturwissenschaften berichten. Wieder einmal wurde über Gottes Handschlag in der Quantenphysik gefaselt und darüber, dass bald komplette lebende Organismen im Computer simuliert werden können. Das Gottesteilchen wurde aus der Rundablage für schiefe Vergleiche gezogen, mit dem Teilchengott Higgs als Höhepunkt des laufenden Schwachsinns. Natürlich waren die vergebenden Preise ungerecht, denn mindestens hätte der LHC und die in Genf arbeitenden Wissenschaftler einen Preis verdient, für den Nachweis des Higgs-Bosons verdient. Und Thomas Pynchon schon lange. Immerhin hat Peter Higgs etwas Kluges gesagt: "Ich hoffe, dass diese Anerkennung für die Grundlagenforschung das Bewusstsein für den Wert des Forschens ins Blaue hinein schärft."

*** Und noch ein Zitat: "Nicht umsonst wird die Schließung des US-amerikanischen Teilchenbeschleunigerprojektes, die viele exzellente Physiker und Mathematiker als Quants an die Wall Street trieb, ganz wesentlich mit dafür verantwortlich gemacht, dass die Finanz- und Wirtschaftskrise so manifest und brutal wurde." Es stammt aus dem Buch "Arbeitsfrei" der CCC-Sprecher Constanze Kurz und Frank Rieger, eine Art ausgeschriebene "Sendung mit der Maus". Die beiden besuchen moderne Agrarfabriken, gucken sich dann den Bau von Mähdreschern an, gehen in die vollautomatische Mahlfabrik und schauen sich das ebenso automatische Brotbacken mit Teiglingen an, die in Deutschland das Geschmacksbewusstsein für gutes Brot zerstören. Immer steht die Frage nach den Maschinen im Mittelpunkt, die den Menschen ersetzen. Das ganze Buch ist ein einziges Loblied auf die Softwareprogrammierer und Hardware-Ingenieure hinter den Maschinen, die "echten Gewinner in diesem Spiel", die Super-Algorithmen bauen und alle paar Jahre eine neue Programmiersprache erlernen: "Da gleichzeitig die Zahl der programmierbedürftigen Systeme immer weiter steigt, ist dies eher eine zwangsläufige Notwendigkeit statt eine Gefahr für den Beruf des Programmierers an sich. Das Beherrschen, Kontrollieren, Programmieren, Überwachen und Warten der Maschinen wird zu einem immer wichtigeren Teil der menschlichen Arbeit, es ist daher unumgänglich, dass mehr Menschen die dazu notwendigen Fähigkeiten erwerben und andererseits die Softwareoberflächen einfacher werden, um es ihnen zu erleichtern." tl,dr: Alles wird gut.

Was wird.

Deutschland, Deutschland über alles, über E-Mail fernab der Welt. Es muss an diesem Riesenerfolg von tollen Überwachungsprojekten wie E-Mail made in Germany oder De-Mail liegen, dass die Deutsche Telekom nun ein rein deutsches Mail-Netz vorschlägt. Hier wird dann nicht nur wie bei Mail made in Germany und bei De-Mail geprüft, ob böse ausländische Viren mit verschickt werden. Nein, hier meldet sich der Deutsche mit seinem neuen Personalausweis an, aus dem die lieblichen Orte unserer Heimat ausgelesen werden. Wie heimatverbunden die Telekom ist, kann auch daran gesehen werden, dass sie Paris, Montparnasse, das Bild einer französischen Wohnmaschine des Leipziger Künstlers Andreas Gursky mit fünfzigfachrer Rendite verscherbelt. Schließlich gibt es genug Digitalfotos hübscher deutscher Bauten, man denke nur an das Ihmezentrum in jener Stadt am Rande der Norddeutschen Tiefebene, in der ... Aber lassen wir das. Außerdem begann die Telekom erst im Jahre 2010 damit, ihre Art Collection Telekom (ACT) aufzubauen, mit Schwerpunkt Süd-Ost-Europa. Da stört ein gewisser deutscher Knippser nur, der zudem seit dem Cover-Foto für die Toten Hosen als Schummler enttarnt ist. Das waren keine 75 nackten Frauen.

Etwas verspätet hat in dieser Woche Edward Snowden einen der vielen Preise bekommen. Nein, keinen Nobelpreis, aber zu einem Treffen mit anderen Whistleblowern in Russland hat es gereicht. Die Bildrechte und die Rechte an den Videos hält Wikileaks. Snowden, der früh von der CIA verdächtigt wurde, erzählt davon, wie wichtig andere Whistleblower als Vorbilder für ihn waren und davon, dass er seine Laptops nur als Täuschung mit auf die Reise nahm. Die belastenden Beweise für die Lauschaktionen von NSA und GCHQ waren auf kleinsten versteckten Speichern untergebracht, natürlich verschlüsselt. Sein Plan war offenbar, nach Europa zu kommen, nach einem Hinweis des NSA-Forschers James Bamford. Der hatte 2001 in seinem Buch über die NSA geschrieben: "Für Europa ist nicht das Thema, ob das Echelon-System der UKUSA-Staaten Wirtschaftsgeheimnisse ausländischer Wirtschaftsunternehmen entwendet und sie an Mitkonkurrenten weitergibt; darum geht es nicht. Das wirkliche Thema ist weit wichtiger: Es geht nämlich darum, ob Echelon die individuelle Privatsphäre beseitigt oder nicht – ein menschliches Grundrecht. Geisterhafte Unterhaltungsschnipsel werden aus dem Äther gefischt und vielleicht aus dem Zusammenhang gerissen. Dann können sie von einem Analytiker, der sie insgeheim an Spionagebehören und Polizeibüros in aller Welt weitergibt, falsch interpretiert werden." Ja, was "ein gewisser Edward Snowden" enthüllte, soll auf dem kommenden Cyber Security Summit thematisiert werden. Hauptredner ist ein gewisser Hans-Peter Friedrich, der eine "Grundsatzrede" angekündigt hat. Nescimus Scimus Audiverimus (NSA).

Die Toten Hosen? Da war doch was? Fahr hinaus aufs offene Meer, Europa.  Kein Zuzug in dieses unser deutsches Sozialsystem!

Quelle und Links : http://www.heise.de/newsticker/meldung/Was-war-Was-wird-1977686.html
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 20 Oktober, 2013, 06:00
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Hallo? Hallo Sie da, darf ich Ihnen eine Frage stellen? Danke, es geht auch ganz schnell. Sie surfen doch in diesem Internetz, ja? Gut, gut, dass ist alles also kein Neuland für Sie. Jetzt die Frage: "Wie wichtig ist Ihnen Freiheit, also die Option, die Möglichkeiten der digitalen Welt ohne Kontrollmechanismen auszuschöpfen?" Ist das äußerst wichtig, sehr wichtig, wichtig, weniger wichtig oder überhaupt nicht wichtig? Und gleich die nächste Frage: "Wie wichtig ist Ihnen Sicherheit, also die Option, die Möglichkeiten der digitalen Welt unter Kontrolle unserer Behörden auszuschöpfen?" Ja und da sind wir schon bei der letzten Frage, wir haben ja nicht ewig Zeit: "Was ist Ihnen persönlich im Zweifelsfall in der digitalen Welt wichtiger: Freiheit oder Sicherheit? Nachfrage: Meinen Sie wirklich Freiheit? Sind Sie überhaupt Deutscher?"

*** Leider hat die Deutsche Telekom ihre via TNS Infratest ausgeführten Fragen anders gestellt. Vielleicht, weil nach der zweiten Frage und der Kontrolle durch Behörden eine dritte Frage fällig gewesen wäre, ob private Firmen wie die Telekom für die Sicherheit sorgen müssten. Vielleicht, weil man sonst nach der Furcht vor der Freiheit hätte fragen müssen, die zur grenzenlosen Unterwerfung unter den Gottkonzern führt. So fragte man "Wie wichtig ist Ihnen Sicherheit, also der Schutz Ihrer Daten vor Angriffen beziehungsweise Missbrauch durch Dritte?" Dass hier die Freiheit und Sicherheit zu jeweils anderen Kategorien gehören, störte die Telekom nicht, der Firmenname laut Impressum stand da wohl schon fest: "Deutsche wollen lieber Sicherheit als Freiheit".

*** So über die Deutschen aufgeklärt, klettert die Telekom auf ihren 2. Cyber Security Summit mit Neelie Kroes und Hans-Peter Friedrich. Journalisten sind diesmal eingeladen, doch spontane Fragen sind nicht erlaubt: "Bitte haben Sie Verständnis, dass der Summit auch Raum für einen vertraulichen Austausch der Teilnehmer untereinander bieten soll. Bitte sehen Sie daher von einer spontanen Ansprache der Teilnehmer bezüglich Interviews ab." Wie wichtig ist wohl die Freiheit, also die Option, jemanden spontan und unkontrolliert nach seiner Meinung zu fragen? Jetzt mal offen und erhlich, auch Ausdrücke wie "Scheiße" sind erlaubt, wir sind ja unter Erwachsenen: Der Jugendschutzfilter der Telekom blockiert heise.de.

*** Wie war das noch damals, mit der Kontrolle durch wachsame Bürger in Zeiten der Rasterfahndung? Horst Herold hat Geburtstag und der Journalist Heribert Prantl besuchte den Mann, der einstmals Deutschlands wichtigster Datenverarbeiter war. Man liest erstaunt von der besten Polizei, die Deutschland jemals hatte und von einem "grundgütig grübelnden weisen alten Herrn", der sich immer noch für Spracherkennung und Handschrift-Prüfung durch den Computer begeistern kann. Mit fünfzehn Computern rasterte der Jubiliar die Bundesrepublik. Ganz so toll war es nicht bestellt mit der "besten Polizei der Welt": "Doch das eine, das entscheidende Spurenblatt aus Erftstadt-Liblar, dort wo Schleyer versteckt gehalten wurde, ging irgendwo verloren, Herolds Computer wurden daher nicht mit diesen Daten gefüttert." Es war ein Fernschreiben, das nicht eingespeichert wurde in die umfassende Rasterung, es war eine Technik, die in diesen Tagen auch Geburtstag feierte. Was nützt das beste Raster, wenn die Daten nicht vollständig sind, etwa von allen Telefon- und Netzteilnehmern vollständig erfasst, wie das die Vorratsdatenspeicherung will. Das bisschen Kreuzrelation, da braucht man keine mächtigen Rechner.

*** Irgendwo im Verteidigungsministerium muss es ihn geben, den Sonderbericht über die besonderen technischen Fähigkeiten, die das durchgetestete ISIS-System der Signalaufklärer der Bundeswehr hat. Derweil ist der noch amtierende Verteidigungsminister de Maizière urplötzlich von den Verträgen zum Euro Hawk überrascht worden, in denen die Tauglichkeit des Gesamtsystems nicht hinreichend genau festgelegt waren. Von wegen Schadensersatz: ein laues Bemühen des Herstellers Northrop Grumman zur Luftfahrtzulassung kann als Lieferung deklariert werden. Ein neues Luftfahrtamt für Zulassungsfragen soll gegründet werden, damit Deutschland die "goldene Ära der Drohnen" nicht verpasst, von der die Frankfurter Allgemeine Zeitung offline schwärmt. Da bietet sich glatt mit DroLuZu ein bundeswehrtauglicher Name an: Drohnen-Luftfahrt-Zulassungstelle. So entgeht man Fettnäpfchen, anders als in Baden-Württemberg, wo die Drohnenfahnder-Spezialisten mit Quax auf einen Namen kamen, der an einen der Lieblingsfilme Adolf Hitlers erinnert. "Die Zwänge der Zeit sollte man bei heutiger Betrachtung vielleicht ausser Acht lassen", heißt es ausgrechnet auf Archive.org zu diesem Propagandilm.

Was wird.

Ohne die Zusammenarbeit von Glenn Greenwald mit dem Guardian hätte die NSA-Affäre womöglich keine Fahrt aufgenommen, ohne die Betriebsamkeit von Greenwald wäre der Hawaiianer Snowden schnell mundtot gemacht worden. So muss man bedauern, dass Greenwald den Guardian verlässt, um eine neue Plattform aufzubauen, für die der Hawaiianer Pierre Omidyar Geld vorschießen will. Noch ist nicht bekannt, wie der Weg vom Philantrop zum Publizitrop aussehen kann, den Citizen Omidyar da mit Greenwald als Frontmann beschreiten will. So darf fröhlich spekuliert werden oder auch nicht. Unterdessen muss man dem Spiegel-Kolumnisten Georg Diez zustimmen, dass den US-Medien wohl der moralische Kompass stiften gegangen ist. "Wie ist denn dieses Gift in die Köpfe von Journalisten gedrungen? Wie können sie in einem freien Land tatsächlich solche Orwell-Sätze schreiben, dass der Staat schon wissen wird, was gut für uns ist? Ist das nur die Angst um die eigene Position, die Angst vor der medialen Herausforderung durch "das Internet"?" Pierre Omidyar scheint offenbar Ähnliches zu denken, wenn er in eine Plattform mit Glenn Greenwald in Rio de Janeiro, Laura Poitras in Berlin und Jeremy Scahill, am Montag in Potsdam 250 Millionen Dollar stecken will.

Montag, Montag, da war doch was? Richtig, in Berlin gibt es die deutsche Premiere des Films Inside Wikileaks – die fünfte Gewalt. Das ist der von Julian Assange vehement abgelehnte Film über die erste, ziemlich heroische Phase von Wikileaks, als Assange noch in einer Disko tanzen konnte. Die fünfte Gewalt, die Omidyar mit der Hilfe von Greenwald und Co installieren möchte, schien damals von Wikileaks auszugehen. Dass es anders kam und der historisch wichtige Assange in eine Botschaft flüchtete, um dort auf die Verjährung der schwedischen Forderungen zu warten, ist sehr bedauerlich. "Held oder Verräter?" fragen die Werbeplakate zum Film in ihren unterschiedlichen Varianten. Die Antwort liegt im Auge des Betrachters. Zu sehen ist die Antwort von Benedikt Cumberbatch auf Julian Assange, der ihn per Mail mit Traktaten aus seinem Cyberpunks-Buch instruieren wollte. Erstaunlich ist, dass es für Wikileaks derzeit kaum ein wichtigeres Thema gibt als dieser Spielfilm und das Road Movie Mediastan.

Noch ein bisschen Freiheit oder ein Schlag Sicherheit, wie hätten Sie es denn gerne? Aber klar doch, sicher ist das ein Politikwechsel, wenn die Opposition plattgemacht werden kann. Was bis jetzt über die künftige Netzpolitik der CDU/CSU bekannt wurde, lässt nichts Gutes bei der Großen Erdrückenden Koalition erahnen, die uns künftig regieren wird. Anscheinend wird alles versucht, damit das Neuland Neuland bleibt, mit einem ebenfalls bleibenden Innenminister, der Datenschützer mit ihren Einwänden bei der Vorratsdatenspeicherung schon mal als Cyber-Separatisten bezeichnet. Damit sind wir wieder am Anfang, bei der Deutschen Telekom, doch ganz ohne Fragebogen. Bei ihr unterhalten sich beim Telegraphen-Lunch Grün und Schwarz über die Zukunft der Netzpolitik. Abwesend die Partei von Siggy Pop, die in der Netzpolitik Flagge zeigen soll. Wahrscheinlich sucht man noch die passenden Wimpel für "Kursänderung".

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 27 Oktober, 2013, 06:00
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Willkommen zur kleinen Wochenschau vom Verlag am Rande der norddeutschen Tiefebene! Hier wird gerade gebohnert und gewienert, hier putzt sich jedermensch aufs Artigste, damit am 1. November die große Geburtstagssause steigen kann. 30 Jahre c't wollen ordentlich gefeiert werden. Da ist es nicht weiter verwunderlich, dass der von der NSA ausgerufene Monat der Cybersicherheit nicht so richtig beachtet wird, zumal die allseits angemahnte Verschlüsselung seit der ersten Ausgabe der c't ein Thema ist, damals freilich noch Verschleierung genannt. Wie heißt es so hübsch in der Wikipedia über die ganz besondere Technikpublizistik: "Neben praxisbezogenen Computerthemen richtet die c’t ihren Fokus seit jeher auf die politischen und gesellschaftlichen Dimensionen der Technikentwicklung."

*** Zu den irritierenden Stücken deutscher Publizistik gehören die sonntazlichen Besuche der linksalternativen tageszeitung bei ihren Lesern, in immerzu behaglich eingerichteten Wohnungen oder Häusern, mal auf dem platten Land, mal in einer deutschen Stadt. Zum Schluss dieser Besuche gibt es die immergleiche Frage: "Wie finden Sie Merkel?" Fast immer gibt es großes Lob für unsere Bundeskanzlerin; auf 30 Zustimmungen kommt vielleicht eine Kritik, und die ist meistens sehr, sehr zaghaft. Diese Woche wird leider nicht online etwa so geurteilt: "Gut." Wer genau hinhöre, könne erkennen, dass sie ein "sehr präzises Argumentations- und Überzeugungspotenzial hat und eben nicht nur moderiert und verwaltet, sondern auf eine bestimmte, sehr intelligente, vielleicht weibliche Art gestaltet." So anerkennend urteilt ein ehemaliger FDP-Parteireferent, im Zweitberuf inoffizieller Stasi-Mitarbeiter, über die Frau, die in ihrer Jugend gerne Westradio hörte, aber dabei keine Schularbeiten machen konnte.

*** Nun hat unsere Kanzlerin mit ihrem ganzen Überzeugungspotenzial und der höchstpräsidentlich verliehenen Freiheitsmedaille einen guten Festnetzdraht nach Washington, der diese Woche klassischen Medienberichten zufolge "glühte". Eine einzige, seit 2002 überwachte Telefonnummer unter dem Belastungsmaterial von Edward Snowden sorgte für sehr präzisen Ärger, weil Merkel über diese Nummer ihre Parteigenossen auf sehr eigene Art führte. Nein, kein Smartphone, sondern ein veraltetes Nokia 6320 Slide Edition war mit der entsprechenden SIM-Karte zu dieser Telefonnummer bestückt, ein Teil ohne Gesprächsverschlüsselung, also ganz einfach abhörbar. Was menschlich kein Problem ist: Auf ihre sehr intelligente, vielleicht weibliche Art beherrscht Merkel die hohe Kunst der direkten Sprachverschlüsselung. Man erinnere sich nur an die Formel vom vollsten Vertrauen, hinter der ein veritabler Rausschmiss steckt. Dann ist da noch das riesige Feld der SMS-Sprache mit Kürzeln wie SGY FSMDWV in der (OO) k.o.

*** Puhhh, groß war die Erleichterung der Firma Secusmart, die gerne mit dem Kanzlerhandy wirbt und so großsspurig verkünden konnte, dass es nur ums Parteithandy ging, das eigene Angebot aber sicher ist – mit einer vorläufigen Zertifizierung, die im Frühjahr 2014 erlischt. Die Konkurrentin Deutsche Telekom trat wesentlich leiser auf, weil es auch dem BSI lange Zeit nicht klar war, ob es sich nicht vielleicht doch um SiMKo-Lösungen der ersten oder zweiten Generation gehandelt haben kann. Auch die Hochtöner waren schnell mit einer Meldung zur Hand, unter dieser Adresse. Oder war es diese? Egal, der Text zur USA-Reise der Experten geht so: "Wir werden uns über die technischen Möglichkeiten zur Verhinderung missbräuchlich verwendeter Späh- und Abhörprogramme informieren. Dazu zählen beispielsweise spezielle Anwendungen mit verschlüsselten KryptoSmartphones, um sichere SMS-Messages und Telefonie zu gewährleisten. Gleichzeitig möchten wir mit unseren Gesprächen in einem weiteren Schritt einen breiten gesellschaftlichen Dialog mit allen beteiligten Akteuren erreichen."

*** Glücklich, wer nicht solches Geschwurbel verstehen muss, sondern immer noch Klartext schreiben kann. Aber die sonstigen Kinder der Revolution sitzen wohl eher hinter den Bildschirmen der NSA als in den Schreibstuben der Aufklärung. What ever happend to the teenage dream findet sich mittlerweile in den PRISM- und Tempora-Datenbanken. Aber gut: Einen habe ich noch. Diese Un-Kommunikation auf der Bundespressekonferenz zum nämlichen Thema dürfte in die Geschichtsbücher eingehen. Das große Lalula von Morgenstern ist dagegen mustergültig verständlich. Man lese einmal nur diese Frage eines Journalisten:

"Deswegen frage ich: Wird die Bundesregierung irgendetwas unternehmen, um Herrn Snowden vielleicht wo oder in welcher Weise auch immer einzuvernehmen, der ja doch über mehr Informationen als die Bundesregierung selbst zu verfügen scheint und der die Sache ja sozusagen weiter voranbringt, als die Bundesregierung oder ihre Dienste es selbst schaffen? Zweite Frage: Es steht immer noch die Frage nach Asyl für Snowden im Raum. Gibt es aufgrund der jetzigen Entwicklungen eine neue Haltung der Bundesregierung? Kann man sich also eben doch vorstellen, Snowden hier Asyl anzubieten?"

Darauf kam diese irrsinnige Antwort:

"Die Frage nach Asyl für Herrn Snowden steht nicht im Raum. Die stand einmal im Raum. Er hatte einen Antrag gestellt. Dieser Antrag ist bearbeitet und abschlägig beschieden worden. Er hat jetzt anderswo Asyl gefunden. Insofern stellt sich diese Frage überhaupt nicht. Das Zweite ist: Im Moment verfolgt die Bundesregierung ja einen etwas anderen Ansatz. Herr Snowden hat Unterlagen gestohlen und kopiert, und wir bemühen uns dort um Aufklärung, wo die Originale sind."

Nein, da ist kein Whistleblower am Werk gewesen. Dieser Snowden, der war jemand, der gestohlen und kopiert hat. Dewegen hat er ja auch kein Asyl bekommen bei uns. Da muss man die Originale finden und angucken und überhaupt, was soll der Unsinn, wenn es noch nicht einmal einen Ermittlungsskandal gibt, ähem, hust hust, ein Ermittlungsverfahren natürlich.

*** Am Ende ist alles in bester Ordnung: "Ich habe Ihnen ja dargelegt, dass es schon immer so war, dass, wenn die Bundeskanzlerin etwas Sicherheitsrelevantes mitzuteilen hat oder eine Kommunikation, die politisch heikel ist, zu führen hat, dies alles über Leitungen gemacht wird, die im Festnetz liegen, die verschlüsselt sind, so dass da eigentlich nichts passieren kann."

Dass dieses "Festnetz" heute auch nur eine IP-Verbindung ist, die ausgeleitet werden kann, lassen wir einmal beiseite, in der Hoffnung, dass die dort eingesetzte Verschlüsselung etwas taugt und vom BSI zertfizierte, in Deutschland hergestellte Verknüpfer von Secunet oder Lancom verwendet werden. Dort wird nach den letzten Attacken das Hohe Lied der Vorteile von Closed Source gesungen.

Was wird.

Was wird, was ist, was tun, wenn Deutschland so abgehört wird, dass immerhin der deutsche Verteidigungsminister zwar mit dem Abhören rechnet aber doch bitteschön doch nicht durch die Amerikaner? Genau, ein neuer Beraterstab muss her. Am Montag soll er der Presse vorgestellt werden, mit dem Auftrag, für deutsche Bürger "sichere und zudem einfach anwendbare sowie bezahlbare Verschlüsselung" zu finden. Es muss ja nicht gleich die Quantenkryptographie sein, die in der FAZ über den grünen Klee gelobt wird. Zur Not auch in Zusammenarbeit mit den Käseköppen, die spionieren nicht so wie die anderen Nachbarn mit Hollandes Lustre.

What shalls, ruft da der Pikte und kippt sein Malzwasser, jetzt soll es aber mal richtig krachen: 30 Jahre c't, das hat schon was. Ach, seufz, 30 Jahre, damals in grauen Novembertagen, als auf der anderen Seite des großen Wassers ein gewisser Fred Cohen als Student von Leonard Adleman den ersten Computervirus schrieb. Heute Ist Fred Cohen Spezialist für Information Warfare, den allumfassenden Informationskrieg. Und was schreibt er so? "Wenn die einfachen Leute auf dieser Welt nicht aufstehen und für ihre Interessen kämpfen, werden die Reichen und Mächtigen gewinnen. Es ist schon immer so gewesen und die Geschichte der Menschheit lehrt uns, dass dies so weitergeht. Der Informationskrieg muss im Informationszeitalter von jedem einzelnen Menschen geführt werden, sonst wird er, sonst wird seine Art zu leben, schnell verschwunden sein. Es ist der Kampf ums Überleben in dieser Welt, einer gegen den anderen. Es ist der ultimative Weltkrieg gegen die Mächtigen und jede Person auf dieser Welt ist als Einzelner an diesem Krieg beteiligt oder in einer Allianz mit allen anderen einfachen Leuten. Wer wird den Frieden gewinnen? Wir werden das. Sie und ich." Der Kampf ums Überleben, darunter geht es nicht. In gewisser Weise erinnert Fred Cohen an den Film-Assange in Inside Wikileaks, der daran erinnert, das wir alle die fünfte Gewalt sind. Vielleicht ist Darwins Lehre vom Naturgesetz in seinem Buch "Die natürliche Entwicklung der Artigkeit" nur falsch übersetzt worden: "Surveillance of the fittest" ist die Devise und "Überwacht die Überwacher" die moderne Antwort auf die Herausforderung der nächsten 30 Jahre.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 03 November, 2013, 06:21
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Lets Dance, damals in den 80ern, mit dem 8080ern, das war schon eine Art Aufbruch. Die wilde Post-Halloween-Geburtstags-PARTY im Wasserturm ist vorüber, der Kopf ernüchtert. Was bleibt, ist die Erinnerung an die seltsame Heise-Nummernrevue, nach US-amerikanischem Vorbild vom Mitarbeiter Nr. 59. Lustige Gespräche mit Nummer 22 und Nummer 2 und dann der Bahnsteig 9 3/4, ab nach Hause. Früher, ja, da hatte Halloween noch was, als dank Eric Raymond die Halloween Leaks die IT-Gemüter und besonders Bill Gates beschäftigten.

*** Zum 30. Geburtstag der c't gab es leider keine Gratulation von Gates, doch eine kleine Ermahnung, die an alle gerichtet ist, die sich von der Informationstechnologie und dem Internet per se eine Verbesserung der Welt erhoffen. So einfach geht das nicht, denn die Welt ist nicht flach und Computer gehören nicht zu den fünf wichtigsten Dingen des Lebens: "Innovation ist eine gute Sache. Die Bedingung für ein menschliches Leben verbessert sich wegen dieser Innovation – wenn man Bioterrorismus und ein paar andere Sachen beiseite lässt. Aber während die Technologie wunderbar ist, verbessert sich nicht das Leben der Menschen, die am bedürftigsten sind, jedenfalls nicht in dem Ausmaße, in dem wir das alle brauchen." Dank der Millionen von Gates ist die Kinderlähmung in Indien ausgerottet, dank des Syrien-Krieges steht sie wieder vor unserer Tür.

*** Ja, ja, so mancher hat Probleme, sich den richtigen Tod auszusuchen. Der gewünschte schnelle Herzinfarkt ist in deinem Land leider nicht verfügbar, erfährt der Held der c't-Geschichte. In den USA ist Bill Lowe gestorben, der IBM-Manager beim Schnellkochprojekt, einen PC zu bauen. Anders als sein Ingenieurskollege Don Estridge und Betriebssystem-Lieferant Bill Gates wird Lowe von den Wikipedantisten ignoriert, da er nur ein Manager war. Neben dem IBM PC hatte Lowe viel Geld in die Produktion des Next-Würfels von Steve Jobs investiert und könnte somit dank Tim Berners-Lee auch zu den vielen Vätern des Internet gehören. Doch diese Welt ist ungerecht: Wer in den Fachbüchern nachschlägt, findet viele kontroverse Einträge über William C. Lowe. Er war als Manager auch dafür verantwortlich, dass IBM die PC-Produktion stoppte und seinen Kunden die PS/2-Reihe verordnete. Sie wurde seinerzeit in der c't mit sanftem Spott empfangen. Sein Nachfolger bei Big Blue war James Cannavino, der uns mit OS/2 und OS/2-User Groups beschenkte.

*** Big Blue? Dieser Tage verlor die Firma endgültig das Rennen um den Auftrag, eine Cloud-Lösung für die CIA zu bauen. Damit sind wir fast schon wieder in der NSA-verseuchten Jetztzeit angelangt, war IBM über viele Jahre hinweg doch ein Haus- und Hoflieferant der Sicherheitsagentur. Vor allem Systeme zur Kryptoanalyse wie etwa Harvest gehörten zum Geschäft. Wer ein Faible für Verschwörungstheorien hat, wird die Geschichte des "Biestes" kennen, jenen von IBM gebauten Nazi-Supercomputer, der irgendwo im tiefsten Schwarzwald stehen soll, damit US-Amerikaner im Sinne der zulässigen Auslandsaufklärung wenigstens nicht von US-amerikanischen Boden aus belauscht werden. Nun erfahren wir tagtäglich Neues von der NSA, dem GCHQ und vom hiesigen Pendant, dem eng kooperierenden BND. Was wir noch nicht erfahren, sind die Namen der Konzerne, die eng mit den Diensten verflochten die nötige Hard- und Software für den "neuen Sicherheitsstaat" liefern. IBM, Oracle oder EMC mögen darunter sein, ebenso Telefonkonzerne. Ein Klick auf die verdienstvolle Website Bugged Planet zeigt die kleinen Krauter an, die sich mit allerlei Tarnung der Beobachtung durch Überwachungskritiker entziehen. Die Großen lässt man laufen. Da ist Google dann aufgebracht, hatte sich aber zuvor mit IBM und Amazon um den CIA-Auftrag beworben.

*** In dieser Woche hat einer der deutschen Journalistenverbände seine Mitglieder und die übrigen 40.000 deutschen Journalisten davor gewarnt Google- und Yahoo-Mail zu benutzen. Es gäbe bessere deutsche Alternativen, deren Namen allerdings nicht genannt werden. Ob es wohl GMX und Web.de sind? Oder T-Online und Vodafone oder Freenet oder, oder ...? Auf den wichtigsten Aspekt, dass Journalisten und Informanten nur verschlüsselt kommunizieren sollten im Sinne einer echten End-to-End-Verschlüsselung, ist besagter Verband gar nicht eingegangen. Das passt zu einer Zeit, in der ein Hollywood-Film über die Anfänge von Wikileaks allen Ernstes suggeriert, dass die Aktivisten in der Binnenkommunikation Skype nutzten. Das macht Assange heute bei seinen werbewirksamen Auftritten. Verschlüsseln tut Not, ist aber kein Allheilmittel, wenn selbst Bügeleisen im WLAN mitlauschen wollen. Was bleibt, ist die Frage, ob Verschlüsseln eigentlich erlaubt ist. Steht derjenige nicht außerhalb der staatlichen Fürsorge und Rechtsgarantien, wenn er dem Staat den Zugang zu seiner Kommunikation in einem Staat verweigert, der das Recht auf eine Privatsphäre nicht in seiner Verfassung oder seinem Grundgesetz verankert hat? Über diese Frage dürfte angesichts der Ziele der Dark-Mail-Allianz auch in Deutschland bald heftig diskutiert werden, zusammen mit der "kurzzeitigen Entschlüsselung" bei De-Mail und "E-Mail made in Germany".

Was wird.

Es ist kein Geheimnis, dass Deutschland eine Große Koalition bekommt, in der eine SPD das bisschen Internetpolitik, das es bisher gab, noch weiter zurückschraubt. Bezeichnend für die Stimmung unter den in der Partei beheimateten NetzpolitikerInnen ist dieser Abschiedsbrief über die abfällige Sicht des Partivorsitzenden Gabriel über Netzaktivisten als Berliner Intellektuelle, die keine Ahnung von den "echten Lebensrealitäten" hätten. Dass sich gerade für viele junge Städter, die gar keine Intellektuelle sind, ein ganz anderes Bild darstellt, zeigt die ganze Verkrustung der Partei, die ihre Wähler verkohlt. Passend uns pünktlich zu Halloween ist daher die schöne Leiche der Vorratsdatenspeicherung aus der Kiste geholt worden und wird nun fesch geschminkt. Vor allem muss ein neues Wort her. Es ist schon Jahre her, dass ein SPD-Minister die Mindestspeicherdauer für die Datenkabotage vorschlug. Geht es nach dem glücklichen BKA-Chef Ziercke (ebenfalls SPD), wird der neue Name auf der Herbsttagung des BKA bekanntgegeben. Die Tagung "beleuchtet das Thema Cybercrime aus phänomenologischer sowie polizeipraktischer Sicht". Vielleicht kommen so die Tage des frühen Internet in Deutschland wieder, als der Phänomenologe Bernhard Waldenfels in seinen Werken das ach so fremde Netz in Schutt und Asche schreiben wollte. Edward Snowden ist übrigens vom BKA nicht eingeladen, allen Ströbeleien zum Trotz. Dafür ist das Blog Netzpolitik mit von der Partie, wenn über "Freiheit im Netz und Cybersicherheit" diskutiert wird.

Ganz ohne Snowden geht es auch in dieser Wochenschau nicht. Denn der gute Mann mit seinem privaten Faktensilo wird gerade zu einer willkommenen Projektionsfläche, etwa für Trendforscher, die goldene Zeiten anbrechen sehen: "Welche Situation wird also am Ende des Weges stehen, wenn alle mal Edward Snowden besucht haben, die deutsche Politik mit der Technologiekompetenz ihrer Bevölkerung spricht und die Technologiekonzerne politische Ansprechpartner bekommen haben, deren Aussagen sie ernst nehmen können, weil sie im Sinne der Bedürfnisse der Kunden sprechen?" Tja, dann schlägt die große Stunde der Analyse und Jubel bricht aus. Kinners, es wird schön die nächsten 30 Jahre, natürlich mit c't! Achwas, da muss man ja keine 30 Jahre warten: "In etwa fünf Jahren wird sich unser Verständnis von Daten weiter verändern. Dann werden unsere Geräte zusätzlich zu den heutigen Bewegdaten auch die Emotionen der Menschen automatisch erkennen und auswerten können. Dann heißt unser Verständnis von Daten: Echtzeitauswertung von statischen Daten + Bewegtdaten + Emotionsdaten." Und wehe, da hinkt ein ewig gestriger Kritiker heran und warnt davor, alles den Computerprogrammen zu überlassen.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 10 November, 2013, 09:00
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Gegen das Vergessen ist mehr als nur in alten Kalenderblättern nachzulesen, was alles zum deutschen 9. November gehört. Von der Erschießung Robert Blums 1848 über die Proklamation der Republik 1918, über den Hitlerputsch 1923, die Reichskristallnacht 1938 und schließlich die Öffnung der Berliner Mauer reicht die Kette historischer Daten, derer an diesem Wochenende viel gedacht und noch mehr geschrieben und erinnert wird. Gegen das Vergessen hat John Zorn die passende und unvergessliche Musik geschrieben.

*** Der 8. November 1965 gehört nicht dazu. Es ist der Tag, an dem der deutsche Whistleblower Werner Pätsch wegen "vorsätzlicher Veletzung der Amtsverschwiegenheit" verurteilt wurde. Er bekam vier Monate Haft auf Bewährung mit einem Urteil, dass nach den Worten des großen Spiegel-Reporters Gerhard Mauz den Mohren reinigte, in dem es die Nacht zum Tag erklärte.. Werner Pätsch hatte die illegalen Abhör- und Kopierpraktiken des Bundesamtes für Verfassungsschutz an die Öffentlichkeit gebracht in einem Fall, der in vielen Punkten an die Entdeckungen von Edward Snowden erinnert.

*** Pätsch war "Fallführer" beim Verfassungsschutz und stieß bei seiner Arbeit auf streng geheime Vordrucke, mit denen der Verfassungsschutz Kopier- und Abhöraktionen gegen Bundesbürger bei den allierten Geheimdiensten der Briten und US-Amerikaner "in Auftrag" gab. Die guten Kollegen vom CIA erledigten umstandslos das, was den deutschen Staatsschützern verboten war. Pätsch machte die Skandalpraxis der reibungslosen Zusammenarbeit der Schnüffeldienste öffentlich. Spiegel und Stern berichteten, ein Panorama-Interview mit ihm wurde gedreht – und verschwand prompt in der Giftkammer. Das Spielchen anno 1965 war nicht anderes als heute: Politiker gaben sich ahnungslos und hatten von nichts gewusst. Berühmt wurde die Antwort des damaligen Innenministers Hermann Höcherl (CSU), der auf die Frage, ob die Beamten des Verfassungsschutzes nicht gegen die Verfassung verstießen, erklärte: "Die Beamten können nicht den ganzen Tag mit dem Grundgesetz unter dem Arm herumlaufen." Diese Antwort könnte auch von seinem Nachfolger Hans-Peter Friedrich stammen, dem Verfechter eines handlichen, sehr portablen Supergrundrechtes auf Sicherheit. So zeigt sich die besondere deutsche Kontinuität auch in den alten Akten zum Fall Pätsch, die aufgrund einer Weisung des Verfassungsschutzgerichtes bis heute nicht eingesehen werden dürfen, "da aus dem Akteninhalt auf konkrete, noch heute relevante Arbeitsweisen und Organisationseinheiten des Bundesamtes für Verfassungsschuzt geschlossen werden kann." Um es mit William Faulkner zu sagen: "Die Vergangenheit ist nicht tot, sie ist nicht einmal vergangen."

*** Was bisher alles los war in Sachen NSA, kann jetzt über eine hübsche Timeline eingesehen werden, ganz im Gegensatz zu den Dokumenten, die der BND über die Reise von Ströbele nach Moskau anfertigen musste. Die Expertise deutscher Geheimdienste lässt nicht zu wünschen übrig und suggeriert einen vom FSB gelenkten Ströbele, genauso unzurechnungsfähig wie ein bekannter Bild-Kolumnist. So erstaunt es weiter nicht, dass Deutschland seiner angenommenen Schutzmacht USA folgt und Edward Snowden erneut kein Asyl anbietet. Zwischen Moskau und Washington liegt Ströbeles Kreuzberg, was jetzt die größte Bevölkerungsdichte an Whistleblower-Betreuern hat: Nach Jacob Appelbaum und Laura Poitras ist nun auch die Wikileaks-Mitarbeiterin Sarah Harrison hier gelandet. Sie hatte Edward Snowden in Hongkong aufgesucht und mit jenen ungültigen Papieren aus der ecuadorianischen Botschaft versorgt, die weder von Russland noch von Ecuador anerkannt wurden. Ein pathetisches Statement von Wikileaks über die Exilanten durfte da nicht fehlen. Das alle drei rund um die Uhr beschattet werden, dürfte niemand auf die Funk-Palme bringen.

*** Diesem Anfang wohnt ein großer Zauber inne: Kaum hatte Innen-Peter Friedrichs formuliert, die Mautdaten bei schwersten Straftaten nutzen zu wollen, da wurde abrakadabra das Thema bei den Koalitionsverhandlungen weggezaubert. Echte Zauberei ist auch bei der von den Großkoalitionären angepeilten Energiewende im Spiel, bei der bis 2020 der Anteil des Ökostroms 40 Prozent statt bisher 35 Prozent betragen soll. Gleichzeitig wurden abrakadabra die Leistungen der Offshore-Windparks von 10.000 auf 6.500 Megawatt gedrosselt, um Überförderungen zu vermeiden. Auch bei der vom Verteidigungsminister geforderten Anschaffung von waffenfähigen Drohnen tut sich Wunderliches mit der Neu-Definition einer "Einsatzschwelle", natürlich im magischen Jahr 2020. Bis dahin soll ein europäisches System durch die Luft fliegen und geschickt den doofen, von Menschen gesteuerten Fliegern ausweichen. Wird in diesem Stil weiter gezaubert und umdefiniert, dann wird aus dem Entschluss, Zwangsrouter zu verbieten, unter der tätigen Mithilfe der Bundesnetzagentur noch abrakadabra das Verbot, freie Router einzusetzen. Welchselbiges dann von einem Internet-Ministerium überwacht wird. In diesen unseren NSA-überwachten Zeiten ist es schon seltsam, wie der Protest von 19 Endgeräterherstellern abgebügelt wird, unter ihnen Firmen, die wirklich noch "deutsche" Router auf deutschem Boden zusammenschrauben lassen – auch wenn die Baugruppen aus China kommen.

Was wird.

Ja, ja, die zauberhafte Zukunft ist auch nicht mehr das, was sie früher einmal war. Bekanntlich schlidderte der Vorhersagespezialist Intrade in den Konkurs, weil er nicht vohersah, dass der Firmenchef am Mount Everest starb. Mit Ausblicken in die Zukunft heißt es also vorsichtig zu sein angesichts all der Zaubereien und Überwachungstricks. Nur ganz kurzfristige Ausblicke haben da eine Chance, etwa den einen auf die bereits letzte Woche erwähnte Herbsttagung des BKA, nunmehr ohne Innenzauberer Hans-Peter Friedrich, aber schwer aktuell mit dem Thema des digitalen Nacheilens. Erwähneswert ist auch, dass das erste deutsche Buch zur NSA-Affäre in den Handel kommt, wenngleich nicht auf toten Bäumen.

Doch schon bei den etwas weiter in der Zukunft liegenden Themen kommt Schwindel auf. Ja, ACTA wurde von einer breiten Protestkampgne nicht allein derer verhindert, die jetzt gerade als digitale Jammerlappen abgekanzelt werden. Mit TAFTA taucht die neue, analoge wie digitale große Unterwerfung auf als nächster klammheimlicher Versuch, die Demokratie zu untergraben. Und niemand sagt was, erst recht nicht der zaubernde Superminister Siggy Pop.

"Es hat mich immer genervt, dass Engel so reden, als wären sie die einzigen weisen Wesen, und dies mit einer so selbstverständlichen Unverfrorenheit, als bedürfe es keiner systematischen Begründung", schrieb der Engländer William Blake in der Hochzeit von "Himmel und Hölle". Er gehörte zu jenen romantischen Hackern, an denen der CCC im letzten Jahr seine Freude hatte. Während die Hackerwelt auf den Start des Vorverkaufs zum 30C3 wartet, sei an Blakes Swedenborg-Diskussion erinnert, wie man männliche und weibliche Engel unterscheiden könnte. Basierend auf diesen Überlegungen hatte die französische Firma Quividi Software entwickelt, die männliche und weibliche Betrachter einer Werbung unterscheiden kann und entsprechend unterschiedliche Werbung einspielt. Nun soll die Quividi-Software mitsamt dem Kamerasystem von Optimeyes an allen Tankstellen des britischen Tesco-Konzerns eingesetzt werden. Ein entsprechender Bericht in der tageszeitung hat viele antisemitische Kommentare produziert. Wir schreiben den 10. November 2013.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 17 November, 2013, 06:00
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Na klar war früher alles besser, damals, als die CeBIT eine wahre Supermesse war und die schöne Stadt Hannover am Rande der norddeutschen Tiefebene verstopfte. Vorbei, vorbei, vergessen: In dieser Woche hat die Agritechnika die CeBIT mit über 400.000 Besuchern als Supermesse überholt. Hannover war wieder einmal verstopft, aus den Beuteln der Besucher lugten sperrige Treckermodelle, komplett mit einer iPad-App fürs Probestriegeln des Feldes. Früher, das waren noch Zeiten, als das Bundeskriminalamt die schlichte Rubrik "IuK-Kriminalität" in seinem Bundeslagebild aufführte. Heute heißt das "Cybercrime" und ist eine ganz ganz schlimme Sache. Zur Eröffnung der BKA-Herbsttagung fragte BKA-Chef Jörg Ziercke in seiner Rede die Zuhörer: "Wie schaffen wir es, das notwendige Vertrauen der Menschen in unserem Land in die polizeiliche Arbeit gegen gewissenlose Cyberkriminelle zu gewinnen und nicht als Totalüberwacher, Datensammelwütige und Datenprofilneurotiker denunziert zu werden?" Datenprofilneurotiker, diese Wortschöpfung sollte man sich merken, definiert doch der Duden den einfachen Profilneurotiker als Menschen, der ständig in Angst lebt, im Beruf zu wenig zu gelten.

*** In seiner zweiten Rede legte der oberste deutsche Kriminalbeamte dann nach: "Das Internet ist die Fernuniversität des religiös motivierten Terrorismus und dient der Vorbereitung realer Straftaten, wie den sogenannten 'flashrobs'. Hierbei verabreden sich unbekannte Personen im Internet, um gemeinsam Geschäfte zu überfallen." Terrorismus und Flashrobs der Profis, eine wahrlich düstere Perspektive, zumal die Definition der Profis Beachtung verdient: "Hier finden sich sowohl staatlich gelenkte Hacker als auch terroristische Gruppen und Hacktivisten. Hacktivisten verstehen sich als Kämpfer gegen Ungerechtigkeit, verstehen ihr Handeln als zivilen Ungehorsam gegen bestimmte politische Richtungen – ein virtueller Gang auf die Straße, um Unternehmen, Regierungsbehörden, Parteien, andere Gruppen oder Initiativen von ihrem – in den Augen von Gruppen wie Anonymous oder Lulz-Security falschen – Weg abzubringen."

*** Anonymous wollte genau wen vom Weg abbringen? Die LulzSec-Gruppe, die das Mailsystem der Beratungsfirma Stratfor gehackt und die Mails an Wikileaks weitergab, damit dort wieder eine große Geschichte erscheinen konnte, ist für ihre Aktion in Großbritannien hart bestraft worden. 32 Monate bekam "Ryan", 30 Monate "Kayla", der Strafrahmen wurde ausgeschöpft. Als Kopf der Gruppe firmierte "Anarchaos", der US-Amerikaner Jeremy Hammond, der sich schuldig bekannte. Sein Motiv war alles andere als ein Unternehmen oder eine Regierung von ihrem Weg abzubringen. "Das Volk hat ein Recht darauf, zu erfahren, was Regierungen und Unternehmen hinter verschlossenen Türen machen". Nun hat Jeremy Hammond das Fünffache der Strafen seiner Mithacker erhalten, nämlich die maximal möglichen 10 Jahre Haft. Sein Statement vor der Bekanntgabe dieser abschreckenden Strafe gehört in die Reihe großer Reden vor Gericht, wie die Rede von Chelsea Manning. Die Wahrheit ans Tageslicht zu bringen, ist im Amerika von Barack Obama ein schweres Verbrechen: "Wenn wir die Wahrheit über die Macht aussprechen, werden wir bestenfalls ignoriert oder schlimmstenfalls unterdrückt. Wir haben es mit einer Machtzusammenballung zu tun, die ihr eigenes System der 'Checks and Balances' nicht mehr respektiert, von den Rechten ihrer eigenen Bürger oder den der internationalen Staatsgemeinschaft ganz zu schweigen. /.../ Ich habe mich angesichts des entsetzlichen Alptraums von Chelsea Manning, für die Veröffentlichung der Wahrheit den Rest des Lebens eingesperrt zu werden, gefragt, ob ich ein gutes Gewissen haben kann, wenn ich etwas Ähnliches ausrichten könnte und das unterlasse.

*** Jeremy Hammond bekannte sich wie Chelsea Manning dazu, ein Whistleblower zu sein. Das Gericht sah in ihm einen gemeingefährlichen Hacker, der imstande ist, die öffentliche Ordnung nachhaltig zu stören. Dass die für das Urteil verantwortliche Richterin mit einem Manager von Stratfor verheiratet ist, kann man unter Schecks und Bilanzen verbuchen. Unbeirrbar wird diese Regierung Bush 2.0 ihren Weg fortsetzen: Das Warnsignal für den Whistleblower Edward Snowden ist laut und deutlich, dafür sind die vermuteten US-Klagen gegen Julian Assange noch immer nicht bewiesen. Sicherlich wird es auch unsere Regierung nicht von dem Weg abbringen, dem NSA-Mann weiterhin das Asyl zu verweigern – das Wort ist auf dem Merkelphone einfach zu schwierig zu tippen. Wie bekannt Snowden inzwischen ist, kann man daran erkennen, dass er selbst in einer Besprechung des berühmten Online-Kochkurses von Ferran Adrià auftaucht, mit dem mathematische Kenntnisse geprüft werden, nicht nur für Hacker.

*** Mit Hilfe des vom FBI umgedrehten Hackers "Sabu" konnte die Gruppe der LulzSec-Aktivisten enttarnt und verhaftet werden. Das hatte BKA-Chef Jörg Ziercke freilich nicht erwähnt. Seine Grundsatzrede über Kriminalistik 2.0 handelte von einem guten Dutzend weiterer Fälle, ohne jemals zu erwähnen, ob und wie welche Taten aufgeklärt wurden. Das passt zur systematischen Verkennung und Denunzierung des politischen Hacktivismus. Gleich zweimal tauchte in der Rede der Fall der Hacker auf, die in die Abrechnungssysteme der Bank of Muscat in Oman und der Rakbank in den VAE eindrangen. Dass die daraufhin in Deutschland tätigen Geldabheber gefasst wurden und nunmehr zu vier Jahren und drei Monaten Haft verurteilt wurden, passt nicht ins düstere Lagebild und den Horrorgeschichten aus dem "Deep Web", das die eingeladenen Politiker beeindrucken soll.

*** Laut Ziercke ist "Deep Web" der Teil des Internet, der nicht über normale Suchmaschinen auffindbar ist, Dort existiert die Silk Road als "versteckter Dienst im sogenannten TOR-Netzwerk", von dem Ziercke meinte, die Provider müssten es wie Kinderpornographie melden, wenn sie bei sich auf einen solchen Serverdienst stoßen. Mit dem Dossier über den Geheimen Krieg in Deutschland sind Details von einem ganz anderen "Deep Web" aufgetaucht, die zu denken geben. Auf der IT-Seite spielt da die Firma CSC eine wichtige Rolle. Bisher war bekannt, dass CSC Deutschland Solutions beim neu zu programmierenden Staatstrojaner als externer Dienstleister mit Tests beauftragt wurde. Auch die Beratungstätigkeit bei der elektronischen Gerichtsakte war bekannt, nicht zuletzt weil CSC mit diesem Projekt Werbung machte. Nun kommt es dicker: "Die CSC erhielt mehrere Aufträge, die mit der verschlüsselten Kommunikation der Regierung zu tun haben. Die CSC beriet das Innenministerium bei der Einführung des elektronischen Passes. Sie ist involviert in das Projekt De-Mail, dessen Ziel der sichere Mailverkehr ist – oder sein sollte." Eine US-amerikanische Firma macht bei De-Mail mit? Sollte dies belegbar sein, ist es das Aus für den vom Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik so gepriesenen "verbindlichen und vertraulichen Versand elektronischer Dokumente und Nachrichten". All die schönen Server und Käfige können dann abgeschraubt und anderweitig verwendet werden.

Was wird

"Auf der Suche nach der verlorenen Zeit" ist nicht nur ein Werk, das vor 100 Jahren in einem StartUp erschien. Den Titel könnte man auch auf die derzeitigen Koalitionsverhandlungen beziehen, mit einer Ausnahme. Bei den Drohnen hat man sich offenbar schnell geeinigt und will dies am kommenden Montag bekannt geben: "Die Koalition wird eine europäische Entwicklung für unbemannte Luftfahrzeuge voranbringen. Europa braucht schnell ein gemeinsames Regelwerk für ihre Zulassung und Teilnahme am europäischen Luftverkehr. Die Koalition wird die entsprechenden Initiativen hierzu weiterführen." Eile war deswegen geboten, weil die europäischen Verteidigungsminister eine europäische Drohnenlösung beschließen wollen, die irgendwann zwischen 2020 und 2025 über unseren Köpfen im allgemeinen Luftraum fliegen soll. Die Frage der Bewaffnung von Drohnen ist damit längst noch nicht geklärt. Bis dahin dürfen sie weiter abstürzen, ob nun bewaffnet oder unbewaffnet. Bundeswehr. Wir. Leasen. Einfach. Nocheine.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 24 November, 2013, 06:00
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Uh, oh, diese Empfindelei aber auch. Eigentlich müsste diese Seite schwarz auf schwarz sein wie damals, bei Yoricks Tod, mit einer pechschwarzen Zugabe für den letzten lebenden Kabarettisten der Bonner Republik. Aber hey, weil Bildung von Bildschirm kommt und nicht von Buch – sonst müsste sie ja Buchung heißen – bleicht diese Wochenschau lesbar. Was hätte das oberste deutsche Kontrollorgan in dieser unserer modernen Wach- und Schließgesellschaft seinen Spass am Bayern Ramsauer, der die Zahlen für seine PKW-Maut aus einem Gutachten kopierpastetisiert, dass der E-Vignetten-Hersteller AGES in Auftrag gab. Verscheibengekleistert starren wir auf die 800 Millionen Euro, die Ausländern abgepresst werden sollen, halt, halt, das muss europarechtskonformer Nicht-Inländer heißen. Und wenn Mutti geht, ist es egal, Hauptsache die Maut bleibt da. Er wusste es halt besser: "Ein Wortbruch heilt rasch."

*** Auch darüber hätte der "Berufs-Störer" (Claudia Roth über Hildebrandt) einen Witz parat. Mit der Umbenennung des Hockenheimrings in den Horkheimerring, komplett mit Adornogasse, Hegel-Gerade und Kant-Kehre kündigt sich in Hessen eine schwarzgrüne Regierung an. Die Achse der Blonden steht. Politik ist halt der Spielraum, den die Wirtschaft ihr läßt. Und der wird bekanntlich mit jedem Tag kleiner, man will ja die Reichen ernst nehmen. Eifrig arbeitet man an einer Neudefinition der Nacht als flexible Tagesrandzone mit schwingenden Flugzeitfenstern, ad argumentum fistolatorium. Zudem kommt die Startbahn Nord, leicht versetzt, als Wohlgefühlflughafen. Ja, da kann nur noch wie Onkel Toby laut das Lillabullero pfeifen, denn da gibt es nichts zu Argumentieren. "Zurückdenkend an all die Jahre, in denen Politiker uns ihrer Sympathie versichert haben, fühle ich mich abgeliebt, übertölpelt, reingelegt." Wer hat denn da die Pfeife rausgeholt?

*** Ach, all diese Empfindelei – der große heurige Modetummelplatz, auf welchem müßige Zungen und müßige Federn seit einiger Zeit ihr Wesen treiben! Auch ich kann mich nicht entbrechen, auf ein Viertelstündchen mich darauf einzufinden, ohngeachtet weder meine Zunge, noch meine Feder über Langeweile zu klagen haben. Es liegen mir nämlich ein paar Fragen auf dem Herzen, welche bei dem vielen heutigen Gerede und Geschreibe über dieses Thema doch immer noch so gut, als unbeantwortet sind. Da wäre zunächst einmal die Frage, warum der ranghöchste Befehlstaktgeber für Informationssicherheit in Deutschland angesichts einer massiven Bedrohung mahnt: "Wir raten bei Mobilkommunikation inzwischen grundsätzlich zur Ende-zu-Ende Verschlüsselung" – nur um im weiteren Verlauf des seltsamen Gespräches die De-Mail zu loben. Auch ist das viele Gerede und Geschreibe über das bestens überwachbare deutsche Internet nicht vollständig ohne das argumentum ad verecundiam und der Forderung nach einer stärkeren Cyberpolizei, die uns schützt vor den Zumutungen, die ein "sexuell verwirrter Obergefreiter" verbreitete. Da können wir uns alle nur auf das Feinste entbrechen ob der Freude, die Michael Frehse verspürt, Leiter der Stabsstelle zur Neuausrichtung der Sicherheitsbehörden, der die Abhörmöglichkeiten aller Dienste als Mini-NSA bündeln soll.

*** Ja, es geht!, freuen sich die Fachleute, die gleich ein neues Wirtschaftswunder als argumentum a fortiori präsentieren und von gigantischen Belohnungen träumen: "Ein neues Silicon Valley. Und Deutschland wäre prädestiniert dazu. Viele der Hochsicherheitstechnologien sind deutsche Entwicklungen. Man traut uns im Ausland mehr zu als den Großmächten, unsere neuen Produkte wären weit besser exportfähig. Und die nächste große Welle der IT wird in Maschinen stattfinden, in Produktionsanlagen, Transport und Großtechnologien, in klassischen Hoheitsgebieten des 'German Engineering'." Oh heiliger Zeiss, am Ende wird gar ein argumentum baculinum draus. Denn alle Kryptografie ist dazu da, gebrochen zu werden.

*** "Derjenige, welcher der Sichtbarkeit unterworfen ist, übernimmt die Zwangsmittel der Macht und spielt sie gegen sich selber aus; er internalisiert das Machtverhältnis, in welchem er gleichzeitig beide Rollen spielt; er wird zum Prinzip seiner Unterwerfung. Die Sichtbargemachten helfen mit, beim Sichtbarsein immer sichtbar zu sein." Was Foucault in "Überwachen und Strafen" schilderte, ist die Zustimmung der Massen zum Betriebssystem. Der Angst der NSA, zu wenig zu wissen und daher alles auf Vorrat mitzuspeichern, entsprechen die Produkte, die auf den Markt kommen, mit eingebauter Überwachung, vom Fernseher von LG bis zur XBox One von Microsoft. Millionen kaufen die Geräte. Mach's gut, du Arsch werden vielleicht nur diejenigen rufen, die auf den "Datenbodyguard Peter Schaar" hören. Andere werden auf den "Vater des Internet" hören, für den die Privatsphäre eine historische Anomalie ist. Haben wir nicht in der Urhorde zussammen gehockt, gelacht und geschissen? Da braucht es nur ein paar Spielregeln unter Brüder und Schwestern, keine Gesetze, so das argumentum tripodium und das argumentum ad rem.

Was wird.

Es gibt Menschen wie Googles Eric Schmidt, die da glauben, dass all die schöne Technik dazu führen wird, dass wir uns in zehn Jahren frei von jeglicher Zensur informieren können. Hach, das wäre von heute an gerechnet in 10 Tagen möglich, aber nein. Der beste Kampf gegen die Zensur ist für Schmidt der Kauf immer neuer Geräte mit den neuesten Features von Google oder Amazon, von der Brille bis zu des Deutschen liebstes Kindes, um den Preis, dass wir alle gläserne Menschen sind. Gläserne Menschen?

"Wenn des Menschen Brust mit einem Glase versehen wäre, so würde die närrische Folge davon sein: erstens, dass selbst der Weiseste und Ehrbarste unter uns jeden Tag seines Lebens in dieser oder jener Münzsorte Fenstersteuer bezahlen müsste. Und zweitens, dass sobald besagtes Glas einmal eingesetzt wäre, man weiter nichts nötig hätte, um den Charakter eines Mannes genau kennen zu lernen, als einen Stuhl zu nehmen und wie in einen gläsernen Bienenkorb hineinzusehen; da könnte man die Seele splitternackt erblicken, alle ihre Bewegungen und Anschläge beobachten, alle ihre Grillen vom ersten Anfang bis zum vollendeten Wachstum verfolgen, sie in Ihren Sätzen, Luftsprüngen und Kapriolen belauschen, und nachdem man einige weitere Notiz von der solchen Luftsprüngen nachfolgenden würdigeren Haltung genommen hätte, würde man nach Tinte und Feder greifen, um Alles, was man gesehen hätte und demzufolge beschwören könnte, niederzuschreiben." An dieser Stelle des Tristram Shandy unterbrechen wir, denn der heute vor 300 Jahren geborene Autor Laurence Sterne schweift wieder einmal ab und spekuliert über Lebensmöglichkeiten auf dem Merkur. Die kleine Wochenschau ist dem Mann gewidmet, dem wir das schöne argumentum ad crumenam verdanken, das seit Erscheinen von Windows ein schlagendes Argument in der IT ist. Und was wäre die Wikipedia ohne ihr großes, unerreichbares Vorbild der Tristrapaedia? Jeder, der heute schreibend schwurbelt, hat vom Begründer der modernen Texterei gelernt, und sei es nur in seiner Kurzfassung. Mit Tristram Shandy hat schon Karl Marx gegen die Idiotie einer Zensur argumentiert, die von den Autoren ihrer Zeit Ernsthaftigkeit und bescheidene Untersuchung der Wahrheit verlangte. Es geht voran? Ach, das war vor Jahren...

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 01 Dezember, 2013, 06:12
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Jede Woche müht sich ein Kampfradler ab, eilt durch die Eilenriede, dabei fluchend, dass der Umwerfer hakt, um schließlich auf einem dunklen Parkplatz den Stick mit der kleinen Wochenschau NSA-sicher in einen toten Briefkasten zu werfen, dabei fluchend. Es ist kein schönes Schaupiel, aber ein notwendiges, bei Wind und Wetter, die Basecap tief ins Gesicht gezogen. Und nun das: "Wir wollen darauf hinwirken, dass deutlich mehr Fahrradfahrer Helm tragen." Ja, über den schwarzroten Koalitionsvertrag ist viel gesagt worden, auch über den sigmariösen Unsinn, die geplante Vorratsdatenspeicherung mit dem Breivik-Massaker zu begründen. Aber kein Wort über die sinnlose Behelmung des deutschen Fahrradfahrers. Nein, dieser großen Koalition kann kein Radler seinen Segen geben, der eben nicht im Peloton durch die Gegend rast oder mit dem Mountainbike einen Berg hinunter brettert. Der Sinn und Nutzen von Fahrradhelmen ist umstritten, aber was schert das die Große Koalition? Einen feuchten Nieser? Nein, auch das wird zu regeln sein: "Wir wollen den Schutz der Menschen vor Erkältung verbessern und erarbeiten dazu im Dialog mit allen Vereinen und Verbänden der Bundesrepublik sowie den in keinem Verein oder Verband organisierten Bürgerinnen und Bürgern den nationalen Wintersicherheitsplan." Große Worte, denen noch größere Taten folgen sollen, man denke nur an die Internationale und "die Sonn' ohn' Unterlass", die nach der Vertreibung von Rabe und Geier scheinen muss zum Schutz gegen die Erkältung. Auf der anderen Seite: Es gab auch schon mal ein Winterhilfswerk, unseligerweise.

*** Seltsamerweise findet sich die Steinbrücksche hätte, hätte, Fahrradkette nicht im Koalitionsvertrag. Dafür gibt es jede Menge anderer Ketten. Das Zeitalter der Kette ist angebrochen, weil alles mit allem zusammen irgendwie clustergefucked ist: Bildungskette, Innovationskette, Reisekette, Rohstofflieferkette, Rohstoffwertschöpfungskette, Transportkette und Wachstumskette zeugen vom ganzkettlichen Denken. Schade, dass im Vertrag die Netikette fehlt, da hätte im Dialog mit allen Vereinen und Verbänden der Bundesrepublik sowie den in keinem Verein oder Verband organisierten Bürgerinnen und Bürgern der nationale Internethöflichkeitsplan erarbeitet werden können. Ein Internethilfswerk gab es bislang allerdings noch nicht, vielleicht fassen künftige Generationen die Schengenrouting-Pläne darunter.

*** Aber von wegen der Höflichkeit: Dieses kleine Quatsch-Video zum Thema der in Parteien versammelten Bürgerinnen und Bürger als verfassungsrechtlich problematisch legitimierten Abnicker des Koalitionsvertrages hat es in die Top Charts bei Dutube geschafft. Das war zwar mitnichten großer Journalismus, weil ein Gespräch mit dem Verfassungsrechtler fehlte, aber ein guter Vorgriff auf dass, was uns blüht, komplett mit einer SMS an den Intendanten. Aus den Kotzbrocken sind Elefanten geworden, die jedwede Widerständigkeit wegfurzen werden. Da hilft dann auch kein Fahrradhelm.

*** Dann gibt es da noch die Digitale Agenda, die mit hehren Worten eine sonnige Zukunft verspricht. "Der Erhalt des offenen und freien Internets, die Sicherung von Teilhabe, Meinungsvielfalt, Innovation und fairer Wettbewerb sind zentrale Ziele der Digitalen Agenda. Der diskriminierungsfreie Transport aller Datenpakete im Internet ist die Grundlage dafür." Toll. Das ist doch mal ein anderes Kaliber als der nationale Wintersicherheitsplan gegen Erkältungen. Netzneutralität soll es auch geben, aber nicht überall, denn Mobilfunkanbieter sollen die Internettelefonie "gegebenenfalls gegen separates Entgelt" anbieten. Mit Skype soll der Extra-Rubel rollen. Komm lieber Gilb und mache unser Netzelein wieder heil, könnte man trällern für den Wunsch nach einem ungestörten Schengenrouting im Gespräch von Frank und René. Dabei will dem René seine Firma gar nicht mehr der Gilb vergangener ruhmreicher CCC-Tage sein: "Das, was du als Beamtenladen bezeichnest, schlägt sich seit fast 20 Jahren erfolgreich in einem brutalen Wettbewerb. Die Kunden vertrauen uns." Dem Frank sein Verein will regionale, nationale, europäische Angebote haben, um gegen Spion & Spion ankommen zu können. "Es muss um das Fördern von Angeboten – nicht um Zwang – gehen, um langfristig eine Technologiesouveränität herzustellen." Soso. Um es mit Carl Schmitt zu sagen: Souverän ist derjenige, wer über den Abhörzustand entscheidet.

*** Was Frank da dem René vorschlägt, formuliert der Koalitionsvertrag übrigens so: "Es wird ein Förderprogramm 'Innovation in IT-Forschung und Sicherheit' zur Stärkung der nationalen F&E-Aktivitäten in diesen Bereichen weiterentwickelt, wobei Sicherheit und Nutzerfreundlichkeit für unterschiedliche Anwendergruppen in Einklang gebracht werden." Da können wir froh darüber sein, dass ein Einklang für Unterschiede festgelegt wurde. Manchmal ist so ein Einklang nichts weiter als drei ordentlich geparkte Autos vor dem Amt für Innovationsförderung des Bildungs- und Forschungs-Ministeriums. Bleibt schließlich noch die Frage, ob es beim Förderprogramm auch echte Förderknete gibt und diese abseits der stets knetbereiten Fraunhofer-Institute unabhängigen Projekten zugute kommt.

*** Wer Microsoft weiter regieren soll, steht kurz vor der Entscheidung. Es gibt zwei Favoriten und noch ein paar weitere Kandidaten. In der Süddeutschen Zeitung, die ein Faible für Bill Gates hat, steht in der Wochenend-Ausgabe ein Interview mit Gates, in dem sich dieser rühmt, bei der Nachfolgersuche geholfen zu haben. Weil das Gespräch nicht online steht, dürfte die Welt niemals erfahren, dass es im Hause Gates keinen Bannfluch für Apple-Geräte mehr gibt. Noch bedauernswerter ist die launige Schilderung vom Hacker als jungen Mann: "Ich brachte ein großes Computernetzwerk zum Absturz. Computer waren damals ja so teuer, dass sie von mehreren Leuten zusammen genutzt wurden. Solche Netzwerke waren sehr anfällig. Die erste freie Computerzeit, die ich bekam, war bei einer Firma, bei der man Computer kostenlos nutzen konnte, solange man Fehler darauf fand. Ich konnte Problem nach Problem finden. Das war ein großartiges Training. Aber Computer waren damals noch sehr unsicher." Am Ende verteidigt Gates die segensreiche Erfindung des Computers und wendet sich gegen Maschinenstürmerei: "Computer verletzen keine Menschen. Aber es gibt Cyberterrorismus. Und Einbrüche in die Privatsphäre. Man lässt sich scheiden, und es steht online. Sollte das wirklich jeder wissen?" Wie und wo dieser Scheidungsanzeiger funktioniert, lässt Gates offen.

*** Fluch und Segen der Computertechnik liegen bekanntlich so eng beisammen wie Nasenlöcher. Ich finde es himmlisch, selbst in tiefster Nacht Hinweise zu weiteren Geschichten von meinen Lesern per Mail zu bekommen, auch wenn ich erst am nächsten Tag antworte – keine Mail, keinen Tweet nach 22:00, wenn der Rotwein dekantiert ist. Das finden nicht alle, weshalb es vollkommen OK ist, wenn der Betriebsrat eines Unternehmens wie VW eine Betriebsvereinbarung zum Mailstopp am Feierabend durchsetzt. Deswegen eine allgemeine Regel zu fordern, ist eine typische Fehlleistung von Ministerin von der Leyen gewesen, die nach neuesten Gerüchten Bildungsministerin mit Internet-Verantwortung werden soll. Das jetzt der neue Chef der IG-Metall klare Vorgaben fordert, womöglich eine gesetzliche Regelung, ist eine klare Aussage zur Digitalen Agenda in Deutschland. Wie war das noch mit der Bahnsteigkarte und der Maut im Gedicht von Lenin? Call me easy...

Was wird.

Die letzten Lose sind vergeben, der erste echte Test der elektronischen Gesundheitskarte kann starten. Arvato Systems baut die telematische Infrastruktur, T-Systems International bekommt die Testregion Südost, die CompuGroup die Testregion Nordwest. Ärzte bekommen ihren Heilberufsausweis, Versicherte eine Gesundheitskarte und eine PIN zur Dokumentation ihres Einverständnisses beim Zugriff auf die Kartendaten abseits der Stammdaten. Diese Stammdaten und der Zuzahlungsstatus werden telematisch online überprüft, während die Ärzte dank der Schlüssel auf ihrem Heilberufsausweis sich untereinander die Befundungen End-to-End-verschlüsselt schicken können. Welches Netz und welchen Provider sie dafür nutzen, ist ihnen freigestellt. Unterdessen werden von den Kassen herkömmliche neue Gesundheitskarten ohne Foto ausgegeben, weil vermehrt religiöse Gründe geltend gemacht werden. Es ist geradezu unheimlich, wie kurz vor Weihnachten und Chanukka der Pastafarianismus um sich greift. Darauf heben wir einen Adorno.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 08 Dezember, 2013, 06:00
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Eine Woche, in der ein Wundertäter und Weisheitslehrer wie Nelson Mandela gestorben ist, kann keine gute Woche sein. Der Mann, der mit Hilfe der CIA ins Gefängnis wanderte, dessen Tod von britischen Jung-Konservativen gefordert wurde, hatte gelernt, den auch von ihm propagierten Hass zu überwinden, weil dieser den Kopf vernebelt. "Ich wusste, dass der Unterdrücker ebenso frei sein muss wie der Unterdrückte. Ein Mensch, der einem anderen Menschen seine Freiheit raubt, ist Gefangener seines Hasses." Häftling Nummer 46664 lebte 27 Jahre in Gefängnissen und widerstand allen Versuchen der weißen Unterdrücker, ihn zu brechen. Südafrika ist ohne seinen "Mkhulu" alleingelassen, heißt es in den Nachrufen. Gegen die Albernheiten eines duschenden Präsidenten Zuma sei mit Bill Gates daran erinnert, wie Mandela sich im Kampf gegen HIV/AIDS engagierte, der über Afrikas Zukunft entscheidet. Ob Frontex auch eine Gedenkminute wie in Australien vorgeschlagen wurde? Ehrenvolles Gedenken? Nur mit Amy

*** Ivan und sein Bruder kümmern sich um Daten auf USB-Sticks. Ivan berechnet, wieviel die Sticks speichern können. Jason kauft sich einen MP3-Player und einen Kopfhörer, weil er den günstigen Rabatt berechnen kann. Jean Baptiste fotografiert Pinguine und berechnet die Größe ihrer Eier. Nur Olivia ist zu doof und schafft es nicht, mit ihrem Taschenrechner 155+86+79 zu addieren. Das sind die Rechenaufgaben der neuen PISA-Studie, die in dieser Woche mit Liveticker vorgestellt wurde, komplett mit den üblichen Plattitüden über ein Deutschland, das aufholt. Dazu gab es Artikel über die Angst von Mädchen vor der Mathematik.

*** Derweil strahlen die Jungs, weil ihr Weihnachtsgeschenk da ist und langsam eingepackt werden kann: die erste Version des Fahrplans zum Hackerkongress des Chaos Computer Clubs ist draußen. Zwar gibt es Stimmen von Mädchen, die den virtuellen Auftritt von Julian Assange problematisieren, doch werden sie forsch abgebügelt: unterfordert sind die Mädels, und Hacken, das können sie überhaupt nicht. Aber noch ist nicht aller Tage Ende, die schönsten Creeper Cards sind noch nicht entworfen, ob im schicken Gelb wie Amendts "Sexfront" oder im Rot der RAF-Texte. Grün braucht eigentlich niemand, denn auch beim Fußball werden keine Schmusekärtchen verteilt.

*** Noch nicht abschließend beantwortet ist außerdem die in der Debatte aufgeworfene Frage, ob Hacker Helden brauchen und ob Assange aus dem Holz ist, aus dem man Helden schnitzt. Derweil ist ein bisher unbekannter Chat kurzzeitig auf einer Seite der US-Armee aufgetaucht, der von US-Ermittlern auf der Festplatte von Chelsea Manning gefunden wurde. Der Soldat chattet dabei mit pressassociation@jabber.ccc.de, ein Name, hinter dem Assange vermutet wird. So kann man lesen, wie versucht wird, Manning zum Kauf eines Cryptophones ("bit pricy though") zu überreden und man bei Wikileaks von einem Actionfilm über Wikileaks schwärmt. Wenn das nicht beste Werbung für GSMK und Inside Wikileaks - die Fünfte Gewalt ist.

*** Jungs und Mädchen haben es nicht leicht in diesen modernen Zeiten, in denen Menschen in immer brüchigeren Systemen leben wie dem der Familie. Die "natürliche" starke Bindung der Kinder an Vater und Mutter sei futsch, stattdessen regiere das Leistungsdenken. So müssten sich Kinder die Bestätigung durch Papa und Mama erst hart erarbeiten. Gibt es wirklich keinen Halt mehr in der kalten Welt? Aber "natürlich" gibt es den, wir sind schließlich bei Burdas und lesen vorweihnachtlich verzückt: Medien können Sinn und Gemeinsamkeit stiften, der gemeinsame Fernsehabend der Familie kann dabei einen "Lagerfeuer-Effekt" erzeugen, bei dem nur noch das Stockbrot fehlt. Auch wenn in der besagten Familienstudie etwas anderes steht: "Wenn ich Fernsehen gucke, guckt meine Mutter ganz oft in ihr Laptop". Die Studie stammt übrigens von einer tiefenpsychologisch forschenden Firma, die behauptet, dass Frauen anders ticken – und dazu nur Frauenbeine zeigt. Wie wäre es mal mit angewandter Hackerforschung? Da liegt ein unbekannter Konsumentenmarkt abseits des Matesaufens.

*** Glaubt man der gelben Presse, ist die Britin Sarah Harrison das Bindeglied zwischen den beiden berühmtesten digitalen Dissidenten der Welt, als da sind Julian Assange und Edward Snowden. Wie Dr. Kimble ist sie laut Titel "auf der Flucht vor Amerika", was natürlich nicht stimmt. Vor Amerika flieht Edward Snowden und, nach seiner eigenen Einschätzung, Julian Assange. Im Interview stellt Sarah Harrison zwar klar, dass sie wegen der britischen Behörden und des weitgefassten Anti-Terrorgesetzes lieber in Berlin bleibt. Aber sie macht dafür aus ihrem Heimatland einen monströsen oder vormodernen Staat: "Jede Aktion, die eine Gefahr für die öffentliche Ordnung darstellt und geeignet ist, das Verhalten der Regierung zu verändern, kann als Terrorismus ausgelegt werden. Der Kampf um das Frauenwahlrecht und die politischen Proteste dafür wären nach heutiger Lesart Terrorismus." Harrison, die nach eigener Aussage ein regelmäßiges Gehalt von Wikileaks bezieht, zweifelt im Interview genau wie ihr Arbeitgeber die Haltung von Pierre Omidyar an. "Wie soll man etwas ernst nehmen, wenn hinter der Plattform jemand steht, der die Finanzblockade von Wikileaks mitgetragen hat?" Auch so kann eine Filterblase aussehen.

*** Wenn sich ehemalige DDR-Bürgerrechtler über die NSA äußern, wird wieder einmal die ganze Schlafmützigkeit der aushilfsweise weiter amtierenden Regierung deutlich. Ja, die Anschuldigungen sind vom Tisch und die NSA tut ja viel Gutes, gewissermaßen Wertarbeit seit 1981 und rettet Leben: "Dadurch konnte im Durchschnitt jede Woche ein Anschlagsversuch verhindert werden." Wenn einem so viel Gutes widerfährt, ist es nicht zuviel verlangt, die Adventszeit mit der NSA zu feiern und jeden Tag ein kleines Überwachungstürchen zu öffnen. Oder sollte es doch gescheiter sein, das Crowdfunding für GnuPG zu unterstützten, das zu Weihnachten starten soll?

Was wird.

Wenn am Dienstag in Schweden die Nobelpreise feierlich verliehen werden, können sich die Chemiewaffenkontrolleure freuen. Mit dem Friedensnobelpreis und dem alternativen Nobelpreis haben sie gleich zwei Mal eine hohe Auszeichnung erhalten. Auch die weiteren Preisträger stehen für ein engagiertes Leben als Wissenschaftler. Man kann noch forschen, ohne vom US-Militär bezahlt zu werden. Deshalb sei hier an die Stellungnahme des FIfF erinnert, der weiter darauf drängt, dass Zivilklauseln an deutschen Universitäten eingehalten werden.

Der Wind of Change ist manchmal eine üble Flatulenz aus dem Gedärm der Überwachungsfreunde, bei der man nicht sein Feuerzeug schwenken sollte. Bekanntlich kommt mit der schwarzroten Koalition ein ganz eigenes Lüftchen angschwebt, angefangen mit der Mindestspeicherfrist von drei Monaten, die man, leider, leider ja nur wegen dieser blöden EU-Vorgabe auf sechs Monate zwangsausdehnen muss, für kurze Zeit. Neue Aufgaben warten auf die Forscher. Wie kann denn etwa die verfassungskonforme Gestaltung des "Bundestrojaners" aussehen, den wir dringender denn je brauchen. Etwas weiter weg sind die Berliner Sicherheitsgespräche über den ausgespähten Bürger. Der Ausrichter der Begleitshow ist von der GPEC bekannt, einer für die Öffentlichkeit nicht zugänglichen Messe, bei der Firmen wie Syborg ihre Überwachungssoftware oder Rohde & Schwarz ihre IMSI-Catcher zeigen. Endlich geht es voran, die Sicherheitslücke wird mit Geld gestopft.

Dort wo es etwas billiger sein soll, wird künftig die Bundeswehr aktive Soldaten in ordentlicher Kampfmontur in die Asyl-Ämter abkommandieren, um Fingerabdrücke abzunehmen und die Antragssteller im Original-Kasernenton aufzuklären. Das ist nämlich, ich muss mich für den Hinweis bedanken, ist aktiver Kampf gegen den Rassismus und Mafia. Man brülle mir nach: "Eine tatsächlich missbräuchliche Verwendung des Asylantragsrechts, etwa durch falsche oder unvollständige Angaben oder Vorlage falscher Dokumente im behördlichen Asylverfahren steht den öffentlichen Interessen entgegen, zumal sie die Kosten von Gemeinde und Staat erhöht und tendenziell der Ausländerfeindlichkeit und der Entstehung krimineller Strukturen Vorschub leisten kann." Wie war das noch mit dem Asyl von Snowden?

Nein, ich verlinke die Scorpions nicht, nein, nein, ich mag einfach nicht. Lieber singe ich beim Higgs Boson Blues ein bisschen mit.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 15 Dezember, 2013, 06:30
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Die Chinesen landen auf dem Mond und die Deutschen bekommen eine große Koalition. Was eber keineswegs ein Argument dafür ist, Dikaturen könnten die zukunftsgerichterte Staatsform als Demokratien sein, weil sie den Fachleuten Macht geben. Das Gegenteil ist der Fall: Diktatoren, ob Einzelmensch oder Staatspartei, geben dem ein bisschen Macht ab, der schöne Propagandabilder liefert und ihre Herrschaft absichert. Und das darf auch mal ein Fachmann sein - der aber schnell auf dem Richtblock landet, wenn so eine Mondlandung schief geht. Raketenpioniere aus der damaligen Sowjetunion könnten ein Lied davon singen - wenn sie noch leben würden. Deutschland aber hat schon immer Schwierigkeiten mit seiner Zukunft gehabt, wenn es sich mit matschiger Konsenssoße Hoffnung auf ein gemütliches "Weiter so!" machen durfte. Dann sind auch bürgerliche Freiheiten schnell mal Verhandlungssache - Demokratie hin, Dikatur her.

*** Singen statt Merkel und Kauder "An Tagen wie diesen" nun Imperator Gabriel und Pippi Nahles "Keine Atempause, Geschichte wird gemacht - es geht voran"? Nein, das haben die Fehlfarben (im Unterschied zu den Toten Hosen) nicht verdient, und die Deutschen eigentlich auch nicht; mag man doch das Personal der Großen Koalition nicht einmal als B-Film-Helden bezeichen. Aber wer 16 Jahre Kohl überlebt hat, schafft auch noch 4 Jahre Merkriel, mag man sich trösten. Ein schwacer Trost allerdings, den man sich mit einem starken Schnaps schönsaufen muss. "Hach ist das schön", wusste schon der Prophet Rudi Carrell zu schwärmen, wenn eine Bundeskanzlerin mit dem SPD-Vorsitzenden flirtet und Schlagzeilen macht. Ist das vorauseilender Gehorsam, wenn vorher schon die GroKo und der GroKo-Deal zum Wort des Jahres gekürt werden, weit vor der zupackenden "Generation Sandsack", die diese schwarzrote Konsenssoße aushalten muss? Ganz zu schweigen davon, dass es das verniedlichende Wort von der NSA-Spähaffäre nicht in die Top Ten geschafft hat, sondern nur das noch harmlosere "Freund hört mit". Na und, unter Freunden kann man sich alles sagen und abhören. Die "kleinen Leute", für die die GroKo ein Geschenk sein soll, interessiert das ohnehin nicht, sie waren nicht einmal wählen.

*** Ja, wir bekommen eine GroKo mit Ausländermaut, Vorratsdatenspeicherung, gestoppter Energiewende, mit einem Außenminister Steinemeier, der bestens weiß, wie deutsche Schlapphüte arbeiten und international vernetzt sind. Womöglich mit einer Beauftragten für Informationsfreiheit, die im preisgekrönten Service von Abgeordnetenwatch schreibt: "Ich lehne aber eine Vermittlung durch abgeordnetenwatch ab und habe daher entschieden, mich an diesem Portal nicht zu beteiligen." Dass Datenschützer gequält jaulen, weil diese Befürworterin einer Vorratsdatenspeicherung alles abnicken wird, was nach dem Gutachten des EU-Generalanwaltes als schicklich durchgesetzt wird, mag ihnen niemand verübeln. Vier Jahre GroKo-Siechtum ohne Mut für Experimente, mit eingebauter Zukunftssperre, diesmal im Verteidigungsministerium. Wir. Dienen. Ursula. Dazu gibt es Linien zur Netzpolitik, die Auflage eines bald vier jahre alten Standard-Kochbuches, bei weiterhin erhöhter Terrorwarnung. Aber darüber habe ich schon berichtet, drum ZuckRuck in die groKoalitionäre Gegenwart, die angeblich Zukunft haben soll. In dem Jahr, in dem die elektronische Gesundheitskarte ernsthaft getestet werden soll, bekommen wir einen Gesundheitsminister, der sich niemals mit Gesundheitsthemen befasst hat. Auf diese ganz besondere Mahlzeit kann geprostet werden. Wie wäre es mit einem Cocktail und einer Prise Pocula Emetica?

*** Bis diese Konsenssoße über uns schwappt, kann ein Blick in eben dieses Innenministerium nicht schaden. Zu diesem Ministerium gehört nicht nur der Datenschutz mit seinem modernen Schutzkonzept, alle Krankenakten hausöffentlich zu führen, sondern auch das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI). Es war als "Zentrale für Chiffrierwesen" früher dem Bundesnachrichtendienst unterstellt und bestens vernetzt mit internationalen Partnerdiensten. Das war in einer Zeit, als die NSA noch nicht das Internet überwachte. Wo einst die Zentrale der Chiffrierer war, residiert heute das Cyber-Abwehrzentrum. Wie sich nun herausstellt, ist das BSI immer noch bestens vernetzt. Seine Experten sitzen in der gemeinsamen europäisch-US-amerikanischen Arbeitsgruppe Cybersicherheit im Unterausschuss für Cyber Incident Management, sie leiten und planen gemeinsam mit US-Kollegen Übungen wie "Cyber Europe", "Cyberstorm", "EuroCybex", "Locked Shield" und sind mit dem militärischen Nachrichtendienst (MAD) verbandelt, der Lagebilder über die Angriffe auf militärische IT-Installationen erstellt. Zusammen mit den US-amerikanischen Spezialisten von CIA, NSA und dem DHS hat man nur ein Ziel im Auge: "Hinweise auf nachrichtendienstliche, zielgerichtete Attacken mit chinesischem Hintergrundbezug".

*** Ich wiederhole mich: Unter Freunden kann man sich alles sagen und abhören. Das ist so tief im System der Deutsch-Amerikanischen Freundschaft verankert, da hinterlässt man einfach keine Anhaltspunkte. Man nehme nur das Datenaufkommen in Bad Aibling, alles paletti, alles rechtmäßige Fernmeldeüberwachung. Die Zusammenarbeit zwischen NSA und BND wurde dort im April 2002 unter rotgrüner Regierung und Aufsicht von Steinmeier, Minister für besondere Aufgaben, vereinbart, die Parlamentarier wurde jedoch erst im August 2013 darüber informiert. Das nennt man dann wohl zeitnahe Unterrichtung. Im Koalitionsvertrag fehlt ein Passus über die dringend notwendige deutliche finanzielle Aufstockung der Nachrichtendienste. Das meinte der konservative Politikwissenschaftler Martin Wagener in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. In seinem Artikel heißt es klipp und klar zum NSA-Problem und der Unterfinanzierung der deutschen Nachrichtendienste: "Eine enge Anlehnung Berlins an Washington ist daher unter den gegenwärtigen Bedingungen Teil der deutschen Staatsräson. Wer jedoch nicht auf 'Augenhöhe' zusammenarbeiten kann oder will, der muss dafür einen Preis zahlen. Diesen legen die Vereinigten Staaten fest. Und sie sind es auch, die maßgeblich die Spielregeln bestimmen." Klarer kann man es nicht sagen in diesen GroKo-Deal-Zeiten. Wagener stellt nüchtern fest, dass die Bundesregierung das macht, was sie so gut kann: Sie wurschtelt sich durch die NSA-Affäre und sitzt die Problematik einfach aus, die Amerikaner lächeln müde über Außenminister Steinmeier, der "Ungleichgewichte durch Recht ausgleichen" möchte. Denn: "Koppelt sich Europa digital ab, werden die amerikanischen Nachrichtendienste über einzelne europäische Verbündete Wege finden, wieder in diese Netze einzudringen." Shit happens: Verdauen müssen wir alle.

*** In besagter Zeitung haben in dieser Woche über 500 Schriftsteller gegen die Überwachung demonstriert. Der etwas seltsam klingende Ansatz, die Demokratie in der digitalen Welt zu verteidigen, wurde von gestandenen Netzpolitikern abgewatscht, die das traurige Niveau des Widerstandes beklagten. Vermisst wurde die kritische Reflektion der Lage durch Schriftsteller, die nur bedingt Lust haben, sich mit der Materie vertraut zu machen und deshalb einfach rufen: "Überwachung ist Diebstahl" und an die Vereinten Nationen appellieren, eine verbindliche internationale Konvention der digitalen Rechte zu verabschieden. Nanu, wird sich da mancher fragen, hat da nicht neulich die UN über genau diese Fragen abgestimmt? Sie hat, doch statt über den ursprünglichen Entwurf von Brasilien und Deutschland wurde über eine weichgespülte Fassung abgestimmt. Das existenzielle Recht auf Privatsphäre, wer braucht das schon. Jetzt ist die Privatsphäre nur noch wichtig und wabert undefiniert um den Körper herum wie 3-Wetter-Taft: Fort Meade, das Netz rast, die Privatsphäre sitzt. Geheimdienste sollen kontrolliert werden, doch ach, nur in angemessener Weise, was wiederum die Dienste mitbestimmen. Wie war das noch mit den wirklichen Tigern und den Papiertigern? Niedliche Kätzchenbilder im Internet stehen unter dem besonderen Schutz der Vereinten Nationen? Frau Mahlzahn, hilf!

Was wird.

Mit der ersten Verteidigungsministerin Deutschlands soll Ursula von der Leyen angeblich die Bundeswehrreform fortführen, die Thomas de Maizière als sein Lebenswerk angesehen hat. Da trifft es sich gut, dass bei Northrop Grumman der feierliche Start des NATO AGS-Projektes gerade über die Bühne gegangen ist. So kann von der Leyen beteuern, mit diesem Irrsinn nichts zu tun zu haben und sich realistischeren Drohnenprojekten zuzuwenden. Nein, gemeint sind nicht die Ideen von Amazon oder der Post-Tochter DHL. Hier hat gerade Groupon passend zum weihnachtlichen Gedränge und Kaufgerausche das technologisch überlegene Liefersystem vorgestellt, patentfrei seit Karlchen dem Eroberchen. Da ist doch dieses ISIS-Modul, das Kleinod deutscher Wehrtechnik, übrig geblieben vom längst vergessenen EuroHawk-Projekt. War was, was wird? Genau: Bis zum Jahresende muss das Verteidigungsministerium den Bericht vorlegen, wie es mit ISIS weitergehen soll. Oder soll das Kleinod im Trubel des Ministerwechsels – rotierende Lieblings-Staatssekretäre bitte nicht vergessen – etwa unter den Teppich rollen? Kann man sowas der arg gebeutelten deutschen Wehrtechnik antun, die verzweifelt um Aufträge ringt?

Dann lieber etwas Frieden. Lux vera, quae illuminat omnem hominem, schreibt der Papst auf seiner Weihnachtskarte, ohne zu erwähnen, dass er von Time zur Person of the Year gewählt wurde, gewissermaßen als würdiger Nachfolger des Personal Computers, der einstmals diese Wahl gewann und damit Steve Jobs auf Platz 2 verdrängte. Bei der Papstwahl musste Edward Snowden einfach unterliegen, was manchem Zeitgenossen nicht gefiel. Ob das nun ein Beispiel für die Verrottung des Journalismus ist, ist schwer auszumachen. "Empfehlenswert ist es, Geld in anderen Branchen zu verdienen und Journalismus als Hobby zu betreiben", twitterte jemand am Sonntag von der #Mobilizecon, nachdem der Referent zuvor das Ende des Journalismus verkündet hatte, ebenfalls inmitten des ungemein glaubwürdigen Twitterstromes: "How can you justify your actions as a journalist – people rather listen to their friends on social media than to journalists." Doch allem Ende wohnt ein kleiner Zauber inne.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 22 Dezember, 2013, 00:39
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Verehrtes Publikum, liebe Kleienscheißer, Fetzenschädel, Hirntrampl und Urschels, es weihnachtet. Die Publikumsbeschimpfung fällt daher österreichisch-gemütlich aus, ganz anders als bei Lenny Bruce, der die Hälfte der sieben schmutzigen Worte in einem Begrüßungssatz unterbrachte. Für diesen Satz wurde der Streiter der freien Rede heute vor 49 Jahren zu vier Monaten Haft verurteilt. Eigentlich sollte das Urteil noch höher ausfallen, denn Bruce hatte in seinem am Be-Bop Charlie Parkers angelehntem freiem Assoziationswirbel auch den Mord an J.F.Kennedy verulkt und gemeint, dass Jackie aus dem Auto fliehen wollte und sich mitnichten schützend über ihren angeschossenen Mann warf. Das aber sah der Richter vom Recht auf freien Meinungsäußerung gedeckt.

*** "What a fucking great audience of cockablers" zur Begrüßung reichte aus zur Verurteilung. die Bruce nie verwunden hat. Er versuchte, sich selbst zu verteidigen und wurde heroinabhängig. Sein letzter Auftritt wurde von Frank Zappa und den Mothers of Invention begleitet. Sein Erbe lebt in der Musik weiter im großen Remix: It's the end of the world and Bruce is not afraid. Heute vor 10 Jahren wurde das Urteil gegen Lenny Bruce aufgehoben. Natürlich darf Bill Burr nicht fehlen, der im Stil von Lenny Bruce die Arbeit des Whistleblowers Edward Snowden würdigt. Jedes verfickte Detail aus unserem Leben wird von der NSA gespeichert, bis zum Einbruch der Dunkelheit. Dann kommen die Wissensficker und hinterfragen, ob "das Verlangen nach Privatheit lediglich regressiver Eskapismus ist". Der NSA geht das am Arsch vorbei, wie uns der Abschied von Harald Schmidt, angeblich an Stand-Up Comedians geschulter deutscher Entertainer.

*** Habemus Maman Merkelam, die neue Regierung ist da. Mit einem Internet-Minister, der sich um die Ausländermaut auf deutschen Datenautobahnen kümmert. Souverän wie üblich kommentiert die deutsche Provinzpresse all das, was sie selbst vorhergesehen hat. Die Wahl einer nicht besonders ausgewiesenen Juristin zur Bundesbeauftragten für Informationsfreiheit und Datenschutz wird prompt damit kommentiert, dass ihr Vorgänger Peter Schaar ein "personalpolitisches Überbleibsel der rot-grünen Koalition" war (FAZ) und ein Querulant obendrein. Das Ganze wird vom zuständigen Ministerium mit einer extrem dürren Meldung begleitet, während der neue alte Innenminister in einem längeren Text an das Jubiläum des Volkszählungsurteils erinnern darf: "Wenn Daten so etwas wie eine Währung des 21. Jahrhunderts sind, haben wir durch unser Netzverhalten so etwas wie eine Freihandelszone ungekannten Ausmaßes geschaffen", heißt es in dem Text, der tut, als ob "wir" in alles freiwillig eingewilligt haben.

*** "Jeder Internetnutzer ist mal Auftraggeber einer Datenverarbeitung, mal Datenverarbeiter, mal von der Datenverabeitung Betroffener", fährt Thomas de Maizère fort. Seine Argumentation greift in die Werkzeugkiste klassischer Datenschützer mit Auftraggeben, Datenverabeitung und Betroffener. Dass jeder Internetnutzer erst einmal ein Bürger ist, kommt unserem Bundesinnenminister nicht in den Sinn, ganz anders als im Urteil, das er feiert: "Mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung wären eine Gesellschaftsordnung und eine diese ermöglichende Rechtsordnung nicht vereinbar, in der Bürger nicht mehr wissen können, wer was wann und bei welcher Gelegenheit über sie weiß." Auch das Wort "Privatsphäre" fehlt bei Thomas de Maizière. Stattdessen soll es die EU-Datenschutzverordnung reißen. Eine programmatische Ansage sieht anders aus, etwa so, wenn die Zivilgesellschaft in den Mittelpunkt des Datenschutzes gerückt wird. Dies liest man natürlich im Blog des Überbleibsels Peter Schaar. Er begreift Datenschutz als Menschrecht. Die Distanz zu dem technischen Begriff des Auftragsverarbeiters könnte größer nicht sein.

*** Zur letzten Wochenschau wurde gefragt, warum die Redtube-Abmahnwelle kein Thema war. Die Sache entwickelte sich, erste Details zur dubiosen Ermittlung der IP-Adressen wurden von heise online erst Tags zuvor veröffentlicht. Nun scheinen sich die letzten Hoffnungen auf eine ertragreiche Abmahnmasche zu zerschlagen, zumal auch die Staatsanwaltschaft ermitteln will, auch wenn selbst diese Ermittlungen wiederum dubios genannt werden können. Der letzte Stand der Dinge ist, dass Redtube selbst eine einstweilige Verfügung zwischen Redtube und den Abmahnanwälten gegen weitere Abmahnungen erwirkte. Am Landgericht Hamburg, dem fliegenden Gerichtsstand so manch fragwüdriger Entscheidung. Die Abzockerei ist noch nicht vorüber; bis zur generellen Klärung, ob Streaming nur ein flüchtiger und damit zulässiger Weg des Medienkonsums ist, dürften noch viele Taschentücher feucht werden.

Was wird.

Das Weihnachtsfest wird wohl heute am nicht überall verkaufsfreien Sonntag seine festliche Spitze erreichen. Bekanntlich steht die Branche unter einem Tablet-Schock: die Schwuppdizität der Wischplatten dürfte unter dem Baum neue Höhepunkte erreichen. Weil das Fairphone Weihnachten offenbar verpasst hat, sieht man in diesem Jahr nicht nur in glückliche Kinderaugen, sondern liest die Warnung: "Dieses Gerät enthält von Kindern geförderte Konfliktmaterialien". Nein, nicht? Aber wenigstens an Rank a Brand gehalten? Hm. Bei den Smeaugs von Amazon bestellt? Schon gut, schon gut, niemand will das Fest der Liebe miesmachen.

Die Weihnachtskarten von Banksy sind mittlerweile wieder unterwegs und größtenteils gefährlicher Spam, wenn sie auf unsicheren Rechnern geöffnet werden. Allen unverdrossenen Lesern dieser kleinen Wochenschau wünsche ich frohes Verschaufen, Wegwischen und Abklicken. Wer immer dabei zuschaut, was wir auf unserer kleinen Murmel so treiben.

Gleich nach dem kleinen Aussetzer geht es in die Vollen, wenn Glenn Greenwald nach seinem Video-Auftritt vor dem Europa-Parlament in der nächsten Woche auf der Leinwand des Hacker-Parlamentes eingeblendet wird. Gemeint ist der 30. Chaos Communication Congress, für den die Häcksen und Hacker derzeit fleißig Dränagerohre verlegen, um ein selbstgebautes Rohrpostsystem in Betrieb nehmen zu können. Anders als das Vorbild der Berliner Rohrpost soll Seidenstrasse nicht überwacht werden, jede Schweinerei darf durch die Röhre: Bis zum Ende der Berliner Rohrpost gab es am zentralen Verteiler in der Oranienburger Straße einen allierten Kontrollposten, der Rohrpost öffnen durfte. Aber auch das ist Bestandteil des Hacker-Kongresses, wenn ein angesehener Historiker auftritt, der klar und deutlich sagt, dass ein Merkelphone überwacht werden darf. "Deshalb hat sich die Kanzlerin ja auch so merkwürdig zu der NSA-Affäre verhalten. Sie hat sich ein paar Mal ausweichend dazu geäußert, aber nichts dazu, was hier eigentlich mit dem Rechtsstaat passiert. Das deutsche Recht verhindert die Überwachung nicht. Die Verträge mit den USA verpflichten die Bundesregierung vielmehr, ihre Informationen darüber für sich zu behalten." Das gilt auch für die dritte Regierungszeit der Kanzlerin.

Schrecken ist genug verbreitet, Hilfe sei nun eingeleitet. Ein 30C3-Vortrag, wie man sich wehren kann, kann bereits angeschaut werden. Auch das christlich-nächstenlieb eingeläutete Crowdfunding für GnuPG gehört in diese Kategorie. Wer etwas blättert und liest, wie die Hacker Firmen, Projekte und Fördermittel miteinander verzahnen, wird weitere Fragen haben, etwa zum Thema, wo das Cryptophone für die Massen bleibt. In Hamburg kann man überdies mit William Faulkner lernen, dass die Vergangenheit nicht einmal vergangen ist: Die Überwachung läuft weiter, wenn Jacob Appelbaum recht hat. Appelbaum tritt übrigens zusammen mit Julian Assange auf, was zu einigen Diskussionen geführt hat.

Keine Lust auf Hamburg, keine Lust auf moderne Technik und überhaupt, was hat es denn schon nach den revolutionären Anfängen wirklich Neues gegeben? Da gibt es noch die Vintagebytes in den Bergen. CP/M war doch völlig ausreichend. PIP PUN:=B:WWWW749.TXT Und nun: keine Weihnachtsmusik.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 29 Dezember, 2013, 00:07
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Hach, war das ein Fest. Kein Auge blieb trocken, keine Seele unberührt. Da fliegt unsere frisch berufene Verteidigungsministerin mit einem ordentlichen Troß Jubelschreiber nach Afghanistan und wollte einfach nur die Menschen sehen, einfach nur die Soldaten, die im Mittelpunkt strammstehen mussten oder frühstückten. Partout vermied Ursula von der Leyen, mit diesen doofen Drohnen abgebildet zu werden, über die sie bald wichtige Entscheidungen treffen muss. So wurde eine Chance verpasst. Man stelle sich vor, so eine Heron hätte im Tiefflug wie der allseits wendige Java-Jaweia-Weihnachtsmann Weihnachtspäckchen über den glücklich lächelnden Soldaten abgeworfen, wie Bömbchen in Pakistan. Ein wunderbares Bild für Blätter, die aus voller "Leidenschaft für Menschen" berichten.

*** Penible Gemüter könnten einwenden, dass so eine Drohne in niedriger Flughöhe gar nicht von deutschen Soldaten gesteuert werden darf, aber bei diesem wunderbaren Schau-Effekt sollte man nicht kleinlich sein. Nun gibt es nicht mal ein Bild "3-Wetter-Taft-Haube vor Drohne", nichts, rein garnichts, "nur die Menschen" und auch von denen nur die ohne Disziplinarverfahren wegen Komasauferei. Keine Kosten sollen gescheut werden, um den Schutz der Soldaten im Einsatz sicherzustellen: "Das Wichtigste ist der Mensch und nicht die Frage der Materialkosten", das klingt nur solange gut, wie niemand nachfragt, was genau mit Schutz gemeint ist. Jeder Angriff ist ein Schutz, die Aufklärungsdrohnen sind es ohnehin. Dabei ist die Bundeswehr doch so flexibel, nicht nur bei der "dynamischen Fähigkeitsschau" in Afghanistan: Zwar heißt es in der Aufrufs-URL noch "der_minister", doch längst hat die Ministerin aufs Allerschönste die Bildergalerie besetzt. Und die Medienvertreter freuen sich auf weitere Reisen durch die Feldlager dieser Welt, nicht nur zum Fest.

*** Hach, huch, ist der aber groß geworden. Erst zum zweiten Mal findet der Chaos Communication Congress in diesem Jahrtausend im Hamburger CCH statt und schon schaffen es 5000 Menschen (der Veranstalter zählt 8000), die Bude zu füllen und eine eigene Realität zu bilden, in der ganz großberlinerisch Hunde herumlaufen dürfen, Kinder sowieso. Es ist das Wacken der Nerds, nur mit Synthi-Musike. Eine Rednerin sprach in Anlehnung an 4Chan oder Krautchan von einer Versammlung verrückter /b/-Typen. In diesem Jahr gibt es kein Motto, weil die Hacker nach eigener Aussage sprachlos sind angesichts all der Überwachungsdetails, die Whistleblower Edward Snowden gesammelt und an den "Journalisten" Glenn Greenwald weitergeben hatte. Als Greenwald selbst redete, war es ruhig im großen Kongressgebäude. Da hörten alle kleinen und großen Hacker zu, selbst in den rund um die Uhr brummenden Hackcentern bildeten sich Trauben um die Schirme, auf denen die Videoschalte lief. "Die Macht liegt in euren Händen", das freute die Sprachlosen, auch wenn es hinten und vorne nicht stimmte, was Greenwald da sagte. Denn Hacker haben keine Macht. Sie können bestenfalls nur technische Lösungen anbieten, die keine tragfähigen, schon gar keine politischen Lösungen sind. Hacker täuschen sich da gerne und beklatschen dann im Congress-Centrum Hamburg Sätze wie "Ich denke nicht, dass es unvernünftig ist, ein Projekt zu starten, das diesen Staat ersetzt." Dann man los mit dem Crowdfunding. Früher bildeten sich so Parteien mit sozialrevolutionärem Anspruch, aber da gab es auch nicht so viele Geräte, die man aufladen muss.

*** Bewundernd berichtet die Tagespresse, dass Hacker längst ein enges, internes Netzwerk geschaffen haben. In dem lebt es sich prima. An früher will man möglichst witzig erinnert werden, etwa mit diesem Video und wenn die Polizei mit dem Computer ermittelt, beömmelt man sich. Eine Stiftung erinnert noch an Wau Holland, dessen vertrickster Umgang mit der Realität ab und an beim "Wau des Tages" zum Tragen kommt. Ansonsten hat man sich bestens arrangiert und ist mit drei Säulen in der berühmten Mitte der Gesellschaft angekommen. Ein Wau Holland hätte auf einem solchen Monsterkongress einen schweren Stand; seine uferlosen Vorträge würden heutzutage schlicht nicht von der Programmkommission angenommen werden. Typische Wau-Ideen hätten erst recht keine Chance, etwa allen Hackern zu einem konkurrenzlosen Vorzugspreis ein verschlüsselndes Galaxy-Cryptophone der GSMK anzubieten. So könnte man öffentlich demonstrieren, dass Hacker sich nicht überwachen lassen. Das aber würde das profitable Geschäftsmodell der Firma demolieren, die lieber Kunden aus der Geheimdienstszene oder Ölmultis beliefert, die in abgelegenen Gebieten neue Lagerstätten explorieren. So kommt es, dass Frank Rieger als Cheftechniker der Firma GSMK im CCC-Gewand lieber frühzeitig den Krieg für verloren erklärt, als die friedlichen Geschäfte zu stören. Im Zweifelsfall wird dann ein Projekt wie GnuPG bejubelt und gefördert, doch dann ist es aber auch gut, der Rest ist mission critical.

*** Etwas weiter oben habe ich den umjubelten Glenn Greenwald als "Journalisten" in Fingerkrallen gesetzt. Dies deshalb, weil seine Rede prompt als Verstoß gegen die journalistischen Standards gewertet wurde, die vor Urzeiten von St. Friedrich an den Sende-Dom zu Mainz genagelt wurden: "Ein Journalist macht sich nicht gemein mit einer Sache, auch wenn diese eine Sachertorte ist." Prompt gab es Widerspruch zuhauf, etwa von der Linken, die natürlich nach der Grenze fragte und zackig in die Runde schickte Wer übernimmt die Patrouille?. Ja, ist da wer am antifaschistischen Schutzwall der haltungsarmen Denkfettverbrenner? Muss man nicht auch dem Greenwald eine linke Tour attestieren, wo er sich doch mit dem Milliardär Pierre Omidyar gemein macht in dem Gebilde, was bis jetzt als First Look in Umrissen bekannt wird? Die komische Debatte wird sicher anhalten, auf Twitter und anderswo, bis jemand Wittgensteins Rasiermesser zieht. Wo steht geschrieben, dass jemand, der nicht bei den Guten mitmachen will, gleich bei den Schlechten ist? Wovon man nicht sprechen kann, darüber sollte man laut und deutlich und vor allem lange kreischen.

*** Der beste Satz, der bisher auf diesem wuselnden Marktplatz digitaler Befindlichkeiten an meine schlechten Ohren drang, kam zum gern in den Vorträgen zitierten Panoptikon von Jeremy Bentham. "Wasn das", fragte ein Hacker den anderen. "Ein Film von den Marx Brothers", war die Antwort. Gar nicht schlecht, wirklich. Darauf einen doppelten Adorno (nein, Aquavit ist ein Getränk), gewissermaßen als Antwort auf Glenn Greenwald: "Die fast unlösbare Aufgabe besteht darin, weder von der Macht der anderen, noch von der eigenen Ohnmacht sich dumm machen zu lassen."

Was wird.

Das alte Jahr röchelt und schnauft, doch dabei hat 2014 noch gar nicht angefangen mit dem ersten Babyschrei. Es gibt im kommenden Jahr es so viel zu tun und zu gedenken, 100 Jahre nach dem ersten Weltkrieg, der den zweiten produzierte. Damals gab es den ersten Versuch, ein Archive.org zu erstellen, Und huschhusch, die Karten werden neu gemischt. Der erfolgreiche Telekom-Chef René Obermann wechselt von der Telekom zu Ziggo (Claim: Plönk, Trinkk Pling) und probiert das persönliche Downsizing. Der ebenso erfolgreiche Wahlkampf-Manager Dobrindt muss die PKW-Maut einführen, komme, was da wolle. Die Verlagerung der KFZ-Steuer zum Zoll ist schon einmal ein guter Anfang für ihre "Abschaffung" nach österreichischem Vorbild. Vielleicht erleben wir die besoneren Vorzüge dieses Superministeriums wie die Koppelung der Maut-Plaketten-Ausgabe an die De-Mail, was nicht wesentlich abstruser ist als die aktuellen Kommentare des ADAC und seiner grünen Mitfahrer. Doch halt, noch ist das Jahr nicht vergangen, das letzte WWWW nicht geschrieben. Die Jahresend-Wochenschau mit Rückblick auf die, ähem, erstaunlichen Zugriffsstatistiken von heise online steht noch aus und wird vor dem großen Knallern geliefert, auf einem dunklen Parkplatz irgendwo in Hannover. Der tiefe Staat, der nicht erst mir der NSA entedeckt wurde, hat keine Chance. Hier jedenfalls nicht: Die aktuelle Ausgabe des WWW wirtd hopplaclick in einem Elektrofleet landfen, verschlüsselt latürnich. Hach, sind Kongreese scön. Hicks.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 01 Januar, 2014, 02:45
Jahresende? Echt? Ist das Jahr schon wieder rum. Nun gut. Dann wollen wir auch zum Jahresende mal: Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich. Und das auch mal als Jahresschau, als Rück- und Ausblick auf ein ganzes Jahr.

(http://1.f.ix.de/imgs/18/1/1/4/9/5/8/7/3b64f808ced3fe86.png)
Was war.

*** The same procedure as every year? Aber ja, sicher doch, wird gemacht, liebe Leserin, lieber Leser, liebe Textbots und Hal-Hasser. Wozu produzieren diese knuffigen Server des Heise-Verlages eigentlich Statistiken, wenn diese nicht erklärt werden? Ist es nicht der Wunsch des Servers an sich, über Zahlen der Top Ten oder der Top Hundert eines Jahres zum Ausdruck seiner Serverheit zu gelangen? Schließlich gibt es seit Hegel das geflügelte Wort einer zweipoligen Verschränkung von Server und Leser, philosophisch die Dialektik von Herr und Knecht genannt: Ein Nichts ist der Server ohne seine Leser, weil keine Werbung geschaltet werden kann, die all die netten Menschen hinter dem Einschubmodul ernährt, vom Admin über die Buchhaltung bis zu den Redakteuren und, ganz zum Schluss, die Krümelchen, die freie Journalisten aufpicken dürfen wie Aschenputtel. Was uns eigentlich zu dem von Lenin geprägten Wort vom "Aschenputtel-Verfahren" bringen müsste, als Lese-Variante, mit der man Hegel beikommen kann, aber lassen wir das heute. Denn da ist ja noch die andere Seite der Dialektik, gewissermaßen der hundwedelnde Schwanz: Ein Nichts ist der Heise-Leser ohne seine Heise-Server, denn wo sonst sollte sich die wahre Netzfreundschaft pflegen lassen, wenn nicht im Off-Topic, dem Quell westlicher Weisheit?

*** Doch alle Vorrede hilft nicht, wenn man die Hosen herunterlassen muss und die nackten Zahlen auftauchen. Das Jahr 2013 war, rein statistisch gesehen, eine einzige Unüblichkeit, etwa im Vergleich zu 2012 oder 2011. Schuld daran ist der alle Rekorde brechende Monat Dezember, oder, um es etwas unverblümter zu sagen: Die Lust auf nacktes, stöhnendes Fleisch. Jede einzelne Meldung über die seltsamen Vorkommnisse rund um die Redtube-Abmahnung brachte es auf Rekord-Zugriffe. Über 15 Millionen Abrufe zeigen, dass viele Gelegenheitsleser zu heise online kommen, wenn es um belastbare Nachrichten und Einschätzungen geht. Mit 2.358.573 Page Impressions und über 1700 Leserkommentarren wurde dieser Text über die fragwürdige Ermittlung von IP-Adressen der unangefochtene Spitzenreiter aller Nachrichten. Die seit Jahren unangefochten führende Ticker-Spitzenmeldung zum Tod des Rechtsanwaltes von Gravenreuth wurde nur um ein paar hunderttausend Abrufe verfehlt. Den großen Abstand mag man sich vor Augen halten, wenn man sich die Nummer 2 des Jahres 2014 mit 1.418.355 Abrufen betrachtet, die Meldung der Bandbreiten drosselnden Telekom mit über 2.200 Leserkommentaren. Allein die Tatsache, dass es insgesamt sagenhafte 37 Meldungen über das Hin- und Her der Telekom unter die Top 100 der meistgelesensten Newsmeldungen brachte, katapultiert das von allen guten Renés verlassene Unternehmen mit dem Drosselthema eindeutig auf Platz 1.

*** Eben so eindeutig wie die Telekom mit ihren Drosselplänen schaffte es Edward Snowden mit den laufenden Enthüllungen der Aktivitäten von NSA und GCHQ auf den zweiten Platz. Von der ersten Aufdeckung seiner Identität bis hin zu seinen "Weinachtsansprachen" in Print und TV schaffte es jede einzelne Meldung in die Top 100. Wenn man fies rechnet und die zahlreichen Meldungen zum beängstigenden anhaltenden Nichtstun der Bundesregierung von Pofalla und Friedrich über Merkel bis hin zu Merkel-neu und de Maizière zusammenrechnet und dazu noch die Frage addiert, ob ein Mutiger wie Edward Snowden in Deutschland Asyl bekommen sollte, dann liegt das Schnüffelthema eindeutig auf dem ersten Platz, erst recht bei Addition der Leserkommentare. Soviel kann die Telekom gar nicht drosseln wie wir kotzen müssen beim Blick auf das unrühmliche Verhalten deutscher Regierungsmitglieder. Man könnte das regierungsamtliche Duckmäusertum zwar mit Blick auf Geheimverträge und Sondervorbehalte unserer Befreier erklären, doch das macht die Sache eher noch schlimmer: sollten diese Verträge auch 2014 noch juristisch bindend sein, gehören sie auf den Prüfstand und müssen von allen deutschen Bürgern gelesen werden können. Die Juristen haben da einen anderen Blick als die Historiker.

*** Das Jahr 2013 war bekanntlich ein Waljahr. Vieles wurde versprochen von den dicken typisch deutschen Walfafischen, die ihre Walversprechen nicht halten können. Erstaunlicherweise hat es keine der vielen Walkampfmeldungen unter die Top 100 gebracht, nur die Meldung zum Endergebnis schaffte eine achtbare Platzierung in den Top 10 und wurde von 2000 Lesern kommentiert. Im Gegensatz zum Vorjahr schaffte es übrigens keine einzige Meldung über die Piratenpartei in die Top-Listen. Betrachtet man das engere Feld der IT-Nachrichten, so präsentiert sich Microsofts Steve Ballmer als strahlender Sieger nach Abrufen, obgleich es hierbei ausschließlich um Meldungen geht, wer denn sein Nachfolger bei Microsoft werden könnte – eine Frage, die uns ins neue Jahr begleitet. Auf Platz 2 schaffte es der PGP-Entwickler Philip Zimmermann, mit deutlichem Vorsprung vor Kim Schmitz, dem Superstar des Jahres 2012: Die Fragen zur Kryptographie rund um die NSA-Affäre beschäftigte Leser und Leserinnen deutlich mehr als das Treiben des Megalomanen in Neuseeland. Bei der Software schaffte es Windows 8.1 auf den ersten Platz, knapp vor Nachrichten die sich mit dem Auslaufen von Windows XP beschäftigen. Totgesagte haben halt ein langes Leben. Bei der Hardware wird es kompliziert: Addiert man die Einzelnachrichten zu den jeweiligen Meldungen über die Xbox One (Microsoft), über die Playstation (Sony) und das iPhone 5s (Apple) , so liegen alle drei Firmen ungefähr auf gleicher Höhe. Schaut man auf die Einzelmeldungen, so rollen Elektrofahrräder und Elektroautos in den Vordergrund: Heise-LeserInnen sind neugierig, was alle neuen Technologien betrifft. Doch nicht alles, was neu ist, ist gut, wie die ebenfalls in den Tops gelandeten Meldungen über Smart Meter und Smart Driver zeigen.

Was wird.

Doch lassen wir die Moleküle und Zähler rasen, was sie auch zusammenknobeln, lassen wir das Tüfteln, lassen wir das Knobeln, nichts ist heilig in den Phasen zwischen den Jahren, (auch der Morgenstern nicht). Denn wenn man einmal anfängt mit dem Rechnen, etwa nach all den Versicherungen, die Demokratie zu achten, dann sieht es in dieser unser neuen GroKo düster aus. Endlose Schleifen von selbstgefälligen Politikern zugespielt, verheißen nichts Gutes für 2014. Doch soll ich was verheißen? BYOD als Trend wie in "Bring your own democracy? Schön wär's ja. Immerhin, soweit, soschlecht lag die letzte Jahresendausgabe dieser kleinen Kolumne richtig im Ausblick: "Die NSA mit ihrem Superrechenzentrum überwacht uns alle und entschlüsselt alles. Oder auch nicht." Der Satz wird auch 2014 bestand haben. Die NSA überwacht uns. Und wenn sie das nicht tut, speichert sie unsere Anomalien auf Vorrat, die Nomalien den Facebooks und Googles dieser Welt überlassend.

Wenn Nicos Poulantzas vom "Ausnahmestaat" redet, so geht dies heutzutage über in die Rede vom "tiefen Staat" – und man muss nicht einmal der gesamten Analyse von Poulantzas folgen, um etwa im SS-Staat, den Eugen Kogon mit seinen Geheimdienst- und Polizeistrukturen, ökonomischen Einrichtungen und gesellschaftlicher Durchdringung als über das System der Konzentrationslager weit hinausgehend beschreibt, eine besondere und besonders brutale Form des tiefen Staats zu erkennen.

"Hat der kapitalistische Staat die Form des Ausnahmestaats angenommen - aufgrund der Periode und der Krise, denen dieser Staat entspricht -, so greift er im allgemeinen in charakteristischer Weise in den ökonomischen Bereich ein, um das System angesichts der zunehmenden Vergesellschaftung der Produktivkräfte anzupassen und weiter funktionsfähig zu erhalten. [...] Die relative Autonomie der Form des Ausnahmestaats gegenüber den herrschenden Klassen und Klassenfraktionen nimmt ein besonderes Ausmaß an und realisiert sich in höchst charakteristischer Weise; sie ist das Ergebnis der politischen Krise und des Kräfteverhältnisses, denen diese Staatsform entspricht. [...] Der Ausnahmestaat ist durch eine charakteristische Modifikation des juristischen Systems gekennzeichnet, die häufig begriffen wird als Unterschied zwischen 'Rechtsstaat' und 'Polizeistaat'. [...] Ein weiteres charakteristisches Merkmal der Form des Ausnahmestaats ist die Modifikation der Art und Weise der Repräsentation und der Klassenorganisation, ein Element, das sowohl die politischen Parteien wie die ideologischen Staatsapparate betrifft. [...] Es ist kein Zufall, dass die Form des Ausnahmestaats immer mit einer Krise der Parteienvertretung einhergeht. [...] Die Rolle der Parteien wird entweder auf andere ideologische Staatsapparate oder sogar auf Glieder des repressiven Staatsapparats verlagert." (Poulantzas, Faschismus und Diktatur)

Ein ganz heißer Tipp also: 2014 geht genauso weiter wie 2013, dies zeigt schließlich auch der Blick in die redaktionseigene Glaskugel im Rückblick. Bestens ist das aktuell zu sehen an all den Irrsinnsmeldungen zur elektronischen Gesundheitskarte, die ab morgen Pflicht sein soll. Dass die alten Krankenversicherungskarten bis zum aufgedruckten Ablaufdatum gültig sind, solange die allgemeine telematische Infrastruktur nicht existiert, wen interessiert das schon? Da verbreitet man lieber verschwörungsschwangeren Schwachsinn, frisch vom Chaos Communication Congress aufgeschnappt: "Mit dem Authentifizierungschip der Gesundheitskarte wurde bis 2011 sogar der Einkommensnachweis von Arbeitnehmern digital bearbeitet." Dabei gehört es zu den betrüblichen Erfahrungen des alten Jahres, dass sich der Chip (bzw. die in ihm aufgebrachten Schlüssel) für eigene Anwendungen nicht nutzen lässt, weil die Krankenkassen die Ausgabe/Freigabe der PIN verweigern. Im Fortschritt steckt immer der Rückschritt, das wusste schon Hegel.

Muss der Rückschritt aber so weit gehen wie bei der menschenverachtenden Regierungspartei CSU? Mit ihrem Spruch "Wer betrügt der fliegt" hat sie ganz zum Jahresende einen neuen Tiefpunkt gesetzt. Wenn dies Stammtischniveau sein soll, dann stehen diese Tische an den Jauchegruben, in die sich rechtsgerichtetes Pack entleert. Es darf Keine Angst vor EU-Zuwanderern geben, die gerade in Deutschland dringend benötigt werden. Seit dem Auftritt von Glenn Greenwald auf dem Kongress des CCC wird bekanntlich landauf, landab eine vertortete Debatte darüber geführt, was Journalisten alles so dürfen. Oder auch nicht. Dabei wäre allen schon geholfen, wenn sie wenigstens etwas recherchieren würden und sei es nur eine klitzekleine Googelei, ehe sie den Müll der rechtsradikalen APO wiederholen. Leider wird sich dies auch 2014 wiederholen.

Und wenn? Und dann? Und nun? Eine Renaissance des Anarchismus? Gegen die Apokalypse eines sozialdemokratisch-christdemokratischen Ausnahmestaats (die SPD hat eine eher erschreckende Historie aufzuweisen, was Sicherheitspolitik und die Förderung des tiefen Staats angeht, nicht erst seit Otto Schily); und gegen die irrwitzigen realsozialistischen, nur noch als Satire zu begreifenden Ausfälle einer Clique neulinker Theoretiker, deren sichtbarste Figur Slavoj Zizek darstellt?

"Es kommt keine Freiheit, wenn man sich nicht die Freiheit und die eigene Façon selber herausnimmt, es kommt nur die Anarchie der Zukunft, wenn die Menschen der Gegenwart Anarchisten sind, nicht nur Anhänger des Anarchismus. Das ist ein großer Unterschied, ob ich Anhänger des Anarchismus oder ob ich ein Anarchist bin. Der Anhänger eines Lehrgebäudes kann im übrigen ein Philister und Spießbürger sein; eine Wesenswandlung ist notwendig oder wenigstens eine Umkrempelung des ganzen Menschen, so daß endlich die innere Überzeugung etwas Gelebtes wird, das in Erscheinung tritt."

Ach, das wird doch nur wieder ein kurzer Sommer. Manchmal aber hasse ich meinen Pessimismus.

"Die Anarchie ist der Ausdruck für die Befreiung des Menschen vom Staatsgötzen, vom Kirchengötzen, vom Kapitalgötzen; Sozialismus ist der Ausdruck für die wahre echte Verbindung zwischen den Menschen, die echt ist, weil sie aus dem individuellen Geist erwächst, weil sie als das ewig Gleiche und Eine im Geist des einzelnen, als lebendige Idee blüht, weil sie zwischen den Menschen als freier Bund ersteht."

Aber halt, ich wollte doch optimistisch schließen! Einen tollen guten Rutsch wünschen und so. Geht das wirklich nicht angesichts geballter Niedertracht? Natürlich geht es. Man schaue nur auf einen durch und durch optimistischen Kontinent wie Südamerika, dem ein glänzendes 2014 bevorsteht, Fußball inklusive: "El mundo en que vivimos es espantoso, pero es el menos espantoso que haya habido", heißt es . "Wir leben in einer schrecklichen Welt, ja, aber es ist die am wenigsten schreckliche Welt, die es je gegeben hat." Nun gut, dann wollen wir das mal glauben und uns uns selbst als glückliche Menschen vorstellen. Es kann immer besser werden.

"Der Kampf gegen Gipfel vermag ein Menschenherz auszufüllen. Wir müssen uns Sisyphos als einen glücklichen Menschen vorstellen."

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 05 Januar, 2014, 06:00
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** R.I.P. Phil Everly. Aber wir schrammeln und singen mit dem Song Nr. 1337. Wake up, little Susie, wake up, the movie wasn’t so hot, it didn’t have much of a plot We fell asleep, our goose is cooked, our reputation is shot Wake up, little Susie, wake up.

*** Ja, manchmal kommt man sich im falschen Film vor, mit einem immens schwachen Plot und immer den gleichen Anklagen. Jetzt bedroht die NSA also bis dato sichere Verschlüsselungsmethoden mit einem Quantencomputer. Ungeachtet der vielen ungelösten Probleme soll das Teil "Verschlüsselungstechniken wie RSA" brechen, was einigermaßen Gaga ist, weil das Problem bereits ungleich billiger auf dem kleinen Zahlungsweg gelöst wurde. Das überspezifische Dementi von RSA lässt tief blicken, die Absagen zur RSA Conference und der Keynotes von Mikko Hypponen (Governments as Malware Authors) und Jeffrey Carr ebenso.

*** Doch sapperlot, sind diese Quanten unheimlich! Überall lauert ein Quantum geheimnisvolles Dingsbums. Dass die Kryptoforschung längst dabei ist, vorwärtssichere Verfahren zu entwickeln, die dem quantösibösen Angriff einen Riegel vorschieben, wird gerne unterschlagen. Natürlich sind diese Verfahren noch nicht ausgereift. Aber das sind die NSA-Computer auch nicht. So lässt es sich trefflich spekulieren, bis hin zur Annahme, dass das Erzeugen von Bitcoins nichts anderes ist als eine riesige Verschwörung zur Entwicklung von Hardware, um Kryptoschlüssel knacken zu können. Dabei sind auch diese Bitcoins unheimlich! Da unkte schon das Bundeskriminalamt in einer Art Glaskugelprognose für 2014 ff: "Digitale Zahlungsmittel, wie Bitcoins, werden die Strafverfolgungsbehörden auch in Zukunft beschäftigen. Die relative Anonymität dieser Währung vereinfacht Geldwäsche und verringert gleichzeitig das Entdeckungsrisiko." Bis zur vollen Kriminalisierung ist es nur ein Quäntchensprung.

*** Der 30c3 genannte Kongress des CCC ist vorbei, der Aufruf an die Sysadmins, sich wie weiland das Proletariat zu vereinigen und Klassenbewusstsein zu demonstrieren, ist verhallt. Für die Aufrufer geht es jetzt ab nach Thailand zum Tauchen und Entspannen. Beeindruckt von der schlichten Rohrposttechnik der Seidenstraße fordert derweil die tageszeitung greifbare analoge Protestformen wie den Bau einer Rohrpost zum Nachbar über die Balkone hinweg: "Blast den Ärger heraus, anstatt die Enthüllungen ohnmächtig einzusaugen." Dass einer blasen, der andere saugen muss, damit der Ärger flutschen kann, wird unterschlagen. Aber das macht nichts, denn die Exegesen zum Hackerkongress lassen alles zu, bis zur Schelte der fahrlässigen, ignoranten deutschen "Netzpolitiker", die durch Fernbleiben ihren Trockenschwimmer-Status demonstrierten.

*** Alle im Urlaub? Aber nicht doch. Julian Assange hält durch eigene Taktik gezwungenermaßen die Stellung und versucht sich ausgerechnet als Religionsphilosoph an einer Interpretation der lateinisch sprechenden katholischen Kirche im Zeitalter der Reformation. Da passt es vielleicht, dass der auf dem 30C3 auf dem N^2 recht nachdenkliche auftretende niederländische Hacker Groente anstelle der banalen Hackerethik eine Philosophie des Hackens vorlegt, die sich Gedanken um das technologische Umfeld und den technologischen Telos macht, in dem der Hacker existiert und die poetische Schönheit des Hackens gegen die starren Ansätze der Informatik respektive der Computer Science setzt. Aristoteles, Heidegger und Kant werden aufgeboten, um dem Hacken "der letzten Individuen, die an eine Utopie glauben" (McKenzie Wark), einen philosophischen Unterbau zu geben. Gerade auf dem 30C3 wurde deutlich, wie diffus die Arbeit am Begriff in einer brennenden Welt ist, wenn man unbedingt das Gute von dem Bösen trennen will. Denn der Ansatz, dass derjenige, der an das Böse im Menschen glaubt, in die CIA oder NSA eintreten muss, ist ein Widerspruch zum Aufruf an die Sysadmins, Geheimnisse zu verraten.

*** Groentes Überlegungen erscheinen exakt 10 Jahre nach dem Hacker-Manifest des Australiers McKenzie Wark. Sein edel gebundenes Buch habe ich schon einmal kommentiert. Es lehnte sich seinerzeit explizit an das Kommunistische Manifest an und rief die Infoproles dieser Welt (das Informations-Proletariat) auf, sich zu vereinigen: "Ein Gespenst geht um in der Welt, das Gespenst der Abstraktion. Das Schicksal von Staaten und Armeen, von Firmen und Gemeinschaften hängt von ihm ab. Alle Klassen, ob sie regieren oder nicht, fürchten diese Abstraktion, obwohl ihre Schicksale von ihr abhängen. Alle Klassen außer einer: die Hacker-Klasse. Wir sind die Hacker der Abstraktion. Wir produzieren neue Konzepte, neue Wahrnehmungen, neue Ziele, unermüdlich erhackt aus rohen Daten. Welche Code wir auch hacken, sei es beim Programmieren oder Dichten, in der Musik oder mit Farben, wir sind die Abstrahierer, die Schöpfer neuer Welten." Ja, jetzt ist es wieder soweit, jetzt erscheinen die Hacker als die einzigen, die Dank ihrer Ethik einen Plan haben für die Welt nach dem Zusammenbruch. Übrigens haben Hacker nicht nur neue Ziele, Musik und Poesie im Visier, sondern auch alte Biere.

*** Darauf einen "Anschlag auf die Gleichgültigkeit" - schließlich gilt es die "Einkerkerung durch Abstraktion und Geistesabwesenheit" zu bekämpfen. Und eine andere musikalische Note ins Spiel zu bringen.

Was wird

Nein, nein, das wird erst in 32 Jahren wirklich korrekt sein, 2014 ist es eine der vielen zeitgenössischen Schummeleien: 1024 + 512 + 256 + 128 + 64 + 16 + 8 + 4 + 2 = 2014 Aber sind wir nicht alle ganz wunderbar wie auf Schmierseife in dieses Schummel- und Schacherjahr geglitten, das sooo 2006 ist? Man erinnere sich an den neuen Netten von der CDU von damals, der gegen Gazschröderprom wetterte: "In einem Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur verlangte Pofalla am Montag zugleich neue Verhaltensregeln für ausgeschiedene Regierungsmitglieder, um ähnliche Fälle in Zukunft zu verhindern." Nun bekommen wir anscheinend die Deutschepo Fallabahn, weil die ultima ratio der Merkeliade vom Motto "Versager versorgen" geprägt ist.

Diese Form des alternativlosen Rotationsprinzips gilt übrigens auch für andere Parteien, man erinnere sich nur an den Berliner SPD-Staatssekretär Ulrich Freise, der zum Briefzusteller PIN wechselte, der all das transportiert, was Berliner Behörden so verschicken. Eine Hand wäscht die andere, das ist eine dem Menschen angeborene Hygienie, eingeübt seit dem gegenseitigen Entlausen in der Urhorde. Ob da eine einjährige Karenzzeit zum Regelsatz von Hartz IV hilft, ist zweifelhaft. Man darf bei uns vom Tellerwäscher zum Millionär aufsteigen, aber vom Politiker zum Tellerwäscher, das würde prompt als unsägliches Verbrechen an der "Idee dieser unser demokratischen Kultur" angeprangert werden. So dürfte es übrigens nur eine Frage der Zeit sein, bis der Postillion exklusiv die Wiedereinwechslung von Peer Steinbrück bei ThyssenKrupp meldet, wo der Bär steppt.

Apropos Wiedereinwechslung. Traditionell greift man in München vor dem Weltwirtschaftsforum zum DLD die Speaker ab und gestattet sich eine Runde Erkenntnis über Themen wie "Content that Connects". Es wird der erste Auftritt des Telekom-Chefs Timotheus "Zahlenmann" Höttges sein und er soll ähnlich wichtig sein, wie Ursula von der Leyens Debüt auf der Münchener Sicherheitskonferenz wenig später. Aber man kann auch auf Evgeny Morozov gespannt sein, der als führender Internetskeptiker der Welt angekündigt ist. Hominie davosiensi aller Welt, verneigigt euch! Gebongt! Klaro! – Man beachte die Ausschneidepostkarte für Telefonüberwacher, damit man weiß, wer mithört. –

I'm through with romance I'm through with love I'm through with counting the stars above and there's a reason that I'm so free my loving country is through with me Bye, bye love.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 12 Januar, 2014, 01:02
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Diese kleine Wochenschau ist dem Gedenken an Aaron Swartz gewidmet, der heute vor einem Jahr sein junges Leben beendete. Für seinen Ausstieg aus dieser Realität gab es mehrere Gründe, auch persönliche. Eine übereifrige Staatsanwaltschaft, eine gleichgültige Universitätsverwaltung und die US-amerikanische Hacker-Hysterie zählen zu den benennbaren Gründen. Am Ende sah der hochtalentierte Hacker und Internet-Aktivist keinen lebbaren Ausweg. Der offizielle Aktionstag ist erst in einem Monat, doch neben der Aktion gibt es auch die Kontemplation. In Zukunft wird man immer dann an Aaron erinnern müssen, wenn von der Verantwortung der Informatik (der Computer Science etc.) die Rede ist. Es gibt hier wie überall in der Welt genügend junge Leute, die sich damit beschäftigen, Bürgerrechte mit den Mitteln der IT zu verteidigen. Sie verdienen Schutz, weit über Aarons Law hinaus, das selbst schon in Vergessenheit gerät. "Nur wenn, was ist, sich ändern lässt, ist das, was ist, nicht alles." (Adorno)

*** Media, das sind nicht nur die US-Medien, die selbstverliebt diskutieren, was denn ein Journalist ist und was ein Aktivist, wo die Gemeinheit mit einer Sache beginnt und wo das Schwänzchen eingeringelt, das Rückrat flexibel durchgebogen werden muss. Media ist in den USA "Evereybody's Hometown", laut Wikipedia ein Kaff im Kaffgürtel rund um Philadelphia. Im Jahre 1971 schaffte es Media in die Nachrichten, weil Unbekannte in ein Büro des FBI einbrachen und über 1000 Dokumente entwendeten. Die Gruppe, die sich "Citizens Comission to Investigate the FBI" nannte, übergab 14 Dokumente aus dem Einbruch an die Medien, die sich größtenteils weigerten, über die Papiere zu berichten. Die Zeitungen, die doch berichteten, folgten der Intervention eines Professors namens William C. Davidon, der als Aktivist gegen den Vietnamkrieg bekannt war und dem die Papiere zugespielt worden waren. Heraus kam, dass das FBI ein "Counterintelligence Program" (Cointelpro) mit dem Ziel betrieb, Kommunisten, Kriegsgegner und alles Subversie zu zermürben und zu diskreditieren. Das unter dem FBI-Chef Edgar Hoover im Mai 1956 aufgelegte Angriffsprogramm betraf 2340 Einzelpersonen, deren Geschäfts- und Privatleben durch Gerüchte und gefäschte Dokumente zerstört werden sollte.

*** Seit gestern liegt "The Burglary: The Discovery of J. Edgar Hoover's Secret FBI" auf meinem Schreibtisch, in der die Journalistin Betty Medsger die Geschichte des Einbruchs in Media erzählt. Mit der Veröffentlichung des spannenden Buches im Krimi-Stil 43 Jahre später meldeten sich in dieser Woche auch die noch lebenden Aktivisten zu Wort, deren Whistleblowing zahlreiche Konsequenzen hatte. Erinnert sei nur an die Begründung der deutschen Roten Armee Fraktion im Jahre 1977, diese "Counterinsurgency" an der Wurzel zu bekämpfen. Erinnert sei auch an die Anhörung des Programmleiters von Cointelpro, Ed Sullivan, der vor dem Untersuchungsausschuss zu den illegalen Aktivitäten seiner Gruppe sagte:

Nicht ein einziges Mal habe ich irgendjemanden, mich eingeschlossen, fragen hören: 'Bewegt sich diese Vorgehensweise, auf die wir uns geeinigt haben, im Rahmen des Gesetzes? Ist sie legal? Ist sie ethisch oder moralisch korrekt?' Wir dachten niemals in diese Richtung, denn wir waren Pragmatiker durch und durch. Uns interessierte nur eins: Wird diese Vorgehensweise funktionieren, werden wir die Leute dahin kriegen, wo wir wollen?" (Tim Weiner, Enemies - A History of the FBI)

*** Warum diese Ausführlichkeit? Bekanntlich wurde am Donnerstag vor dem Geheimdienstausschuss des US-Repräsentantenhauses davon gesprochen, dass Edward Snowden 1,7 Millionen Geheimakten gestohlen haben soll, mit "vermutlich tödlichen Konsequenzen für unsere Truppe im Feld". Mit John Young von Cryptome darf man diese Größenordnung in Zweifel ziehen, mit den Erfahrungen der FBI-Whistleblower darf man von moderner Cointelpro sprechen oder meinetwegen von FUD. Man nehme eine genügend große Zahl, setze die aufrecht kämpfende Truppe dazu, und schon wird irgendwie Blut an Snowdens Händen kleben. So dachten damals, so denken heute Propaganda-Pragmatiker, und die Presse macht sich gemein. Bonnie Raines, die damals für die Einbrecher das Gebäude auskundschaftete, sprach in dieser Woche von einer Geistesverwandschaft mit Edward Snowden.

*** Bekanntlich gibt es zwei Blogger, die textanalytisch gesehen die radikalsten Blogs im deutschen Sprachraum führen. Dieser Tage haben Fefe und Don Alphonso eine weitere Gemeinsamkeit gezeigt. Die Unfähigkeit, Quellen zu überprüfen, führte dazu, dass beide eine Assange-Meldung vom Mai 2013 als aktuelle Nachricht interpretieren, wobei es beim FAZ-Blogger nur ein Aufhänger ist für eine wüste Abrechnung mit der Piratenpartei, sehr zum Geschmack der Leserschaft, die prompt nach dem Verfassungsschutz kräht. All der Aufwand, weil die Piratenpartei angeblich von einer ihm verhassten Antifa übernommen wird. Da muss doch was getan werden, gerade nach den Hamburger Schützengräben. Erst recht in einer posthitzlspergerischen Moderne, in der Heteros Mut haben müssen, so bedroht von Kickern und "Penislisten".

*** Als er noch LeRoi Jones hieß, erschienen sein Buch Blues People, das einflussreiche Vorbild für Sympathy for the Devil. Spätestens mit seinem Manifest für eine schwarze Kunst gelangte er auf die Cointelpro-Liste des FBI: Alle hier auftretenden Musiker wurden überwacht. Die Aufforderung, tödliche Gedichte zu schreiben, hatte etwas Bedrohliches. Aber der in dieser Woche gestorbene Amiri Baraka verstand unter Black Power den friedlichen Krieg der Worte, und damit kommt ein leicht gezupfter und gezauster Blues.

*** In Österreich starb der Widerstandskämpfer Fritz Molden, in Deutschland der hessische Datenschützer und spätere Verfassungsrichter Winfried Hassemer. Auf ihre recht unterschiedliche Weise glaubten beide an die Freiheit, an die Presse oder an das freiheitliche Strafrecht, das uns vor der Maßlosigkeit der Sicherheitsfanatiker schützt. Doch wie geht das mit dem ehrenden Andenken, wenn die politische Welt dem Schlächter von Qiyba den Vorzug gibt?

Was wird.

Oh, Katzenbilder? Schon, aber von Rosas Katze Mimi gibt es offenbar noch kein Foto im Wehwehweh. Lieber noch ein langes, höchst aktuelles Zitat. Es stammt von Rosa Luxemburg, für die heute die übliche Gedenkdemo verknöcherter Altkommunisten stattfindet. "Ohne allgemeine Wahlen, ungehemmte Presse und Versammlungsfreiheit, freien Meinungskampf erstirbt das Leben in jeder öffentlichen Institution, wird zum Scheinleben, in der die Bürokratie allein das tätige Element bleibt. Das öffentliche Leben schläft allmählich ein, einige Dutzend Parteiführer von unerschöpflicher Energie und grenzenlosem Idealismus dirigieren und regieren, unter ihnen leitet in Wirklichkeit ein Dutzend hervorragender Köpfe, und eine Elite der Arbeiterschaft wird von Zeit zu Zeit zu Versammlungen aufgeboten, um den Reden der Führer Beifall zu klatschen, vorgelegten Resolutionen einstimmig zuzustimmen, im Grunde also eine Cliquenwirtschaft – eine Diktatur allerdings, aber nicht die Diktatur des Proletariats, sondern die Diktatur einer Handvoll Politiker, d.h. Diktatur im rein bürgerlichen Sinne, im Sinne der Jakobinerherrschaft."

Allgemeine Wahlen, ungehemmte Presse, freier Meinungskampf, aktive Politik aller statt der Diktatur einer Handvoll Politiker! Ja das könnte uns gut anstehen, viel besser als die Große Koalition und ihre pofallistische Cliquenwirtschaft. Aber ach, aus Bayern kommt die Kunde, dass elektronische Wahlen eingeführt werden sollen. Entsprechende Planungen sollen für Volksabstimmungen laufen. Vielleicht wird ja der digitale Wahlzettel in die hochsichere nPA-Box geworfen, die jedem Bayern zusteht, und es wird über Port 32764 geprüft, ob Bayerns Bürger auch gewählt haben. Am Ende heißt es dann, Ozapft is, oder halt, das war ein anderes Un-Wahlprogramm. Wie auch immer: Vielleicht findet sich noch eine Lösung, die immer wichtigere Vorratsdatenspeicherung einzubauen. Der Bürger will doch ausgespäht werden, ist es nicht so?

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 19 Januar, 2014, 06:00
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Ach, ist das traurig! Dieser Text ist am Internet Freedom Day geschrieben. Tage gibt's noch, unsere Freiheit wird familienfreundlich am Hindukusch verteidigt, aber das Internet, schluchz. All mein Hoffen, all mein Sehnen, meines Lebens schönster Traum, dahin, dahin und nichtmal ein letztes Ei gelegt. Das Internet ist kaputt. Echt jetzt. Obwohl jeder diese kleine Wochenschau im Internet finden und lesen kann, womit eigentlich bewiesen wäre, dass das Internet funktioniert. Aber das wäre zu einfach. Das Internet ist kaputt, sagt Sascha, der sonst nicht die großen Worte liebt. Denn Sascha, oh Sascha, hat am eigenen irokesischen Körper den allgemeinen Narzissmus durchlitten, den jede Gesellschaft erfährt, die den Widerspruch zwischen Selbstbild und Realität nicht aushalten kann. Was bei Sascha übrigens ein schwer religiöses Selbstbild war, Paradies inklusive: "Mit dem Netz hatte sich der bisher vielfältigste, zugänglichste Möglichkeitsraum aufgetan, stets schwang die Utopie einer besseren Welt mit." Als hätte Ernst Bloch und nicht, ähem, Googles Vint Cerf das Internet konstruiert.

*** Wie war das eigentlich mit der besseren Welt, bevor Sascha Lobo sich aufmachte, die verschiedenen Stämme der "Netzgemeinde" in dieses Paradies zu führen? Wer das dicke Arpanet Sourcebook durchblättert oder die vielen, vielen Bücher zur Entstehung des Internet durchforstet, wird nicht wirklich fündig werden. Die Passage, die am ehesten an eine bessere Welt erinnert, stammt von Joseph C. Licklider und Robert Taylor, die in The Computer as a Communication Device schrieben:

"Unemployment would dissappear from the face of the earth forever, for consider the magnitude of the task of adapting the network’s software to all the new generations of computer, coming closer and closer upon the heels of their predecessors until the entire population of the world is caught up in an infinite crescendo of on-line interactive debugging."

*** Vergesst Sisyphos, den glücklichen Menschen. Die bessere Welt ist eine Erde, auf der ein glücklicher, lauter Haufen eifrig debuggender Fefes lebt – was für eine anheimelnde Utopie. Die Probe des Puddings sieht anders aus, allein schon deswegen, weil die Überwachung der NSA alles andere als effektiv ist. Wie sagte Obama? "Wir werden uns nicht entschuldigen, nur weil unsere Dienste vielleicht effektiver sind." Diese unsere, ach so schlechte Welt müsste beben vor Lachen über ihn, angesichts der effektiven Dienste.

*** Und was ist das Internet, wenn es nicht kaputt ist? Der Puddingprüfer bringt es auf den Punkt:

"Ein sehr sehr mächtiges, sehr sehr vielfältiges, schnelles, wundervolles Kommunikationsmittel, das zum Beispiel mir viel Freude, so ziemlich alle meine wenigen Freunde, viele Informationen und Einsichten und einen Großteil dessen, was mir Spaß macht, beschert. Damit will ich es nicht abwerten, im Gegenteil. Kommunikation ist, womit wir die Welt verändern müssen, wenn wir es wollen, denn anders geht es nicht."

*** Aber wie geht sie noch, die gute alte Kommunikation? Nach der Kritik an GSMK und dem mangelnden Willen, mit etwas Crowdfunding ein Cryptophone für diejenigen zu bauen, die über das Hamstern der NSA hinausdenken, ist es interessant, wie rockig und applemäßig sich Blackphone auf seinen Webseiten präsentiert. Man sieht Werbung für ein Abenteuer, für eine Reise in unbekannte Gebiete. Nur logisch, dass da deutsche Hacker aus dem CCC-Umfeld unruhig werden und den Vergleich zur Homöopathie bemühen, lange bevor das sichere Smartphone überhaupt erschienen ist. Vielleicht ist die aufdringliche Machart der Tatsache geschuldet, dass Blackphone auf dem schreiend bunten Mobile World Congress in Barcelona debütiert. Vielleicht ist es Pose, wie das "All-Star-Team" der Kryptographen, die am Projekt mitarbeiten. Immerhin soll das Produkt dank Open Source überprüfbar sicher sein. Es ist nicht schlecht, wenn der Maker-Impuls zu widerständiger Hardware führt, wie Pond-E-Mail in der Software. Baut neue Netze, dann zittert das Establishment. Oder so ähnlich. Es ist alles eine Frage von Macht und Gegenmacht.

*** Saschas viele Worte toppte in dieser Woche der Internet-Skeptiker Evgenij Morozov mit der Erkenntnis, dass das Internet keine Geiseln nimmt. Wer keine Geiseln nimmt, tötet und zerstört. Das Internet ist nicht kaputt, sondern macht kaputt, und wie! Morozov merkt natürlich, dass das Internet von allein nicht einmal der kleinsten Wanze etwas tut und so müssen sie her, die "Internetexperten" und ihre Spur der Vernichtung. Die Staaten und ihre Dienste tun nichts gegen sie, selbst die Wirtschaftspolitik haben sie aufgegeben. Wer so auf diese Experten drischt, braucht nicht einmal die NSA oder andere böse Dienste zu erwähnen. Der Fairness halber sei gesagt, dass es in der Debatte auch gute Beiträge gab, etwa Obama, Merkel, and the Bridge to an Information Civilization, den ein durchgeknallter Algorithmus mit "Wir stehen vor dem Abgrund, Mr. President" übersetzte. Sind wir heute schon einen Schritt weiter?

*** Die Frage ist, was das Internet und all die übrige neue Technik den Vielen gebracht hat. Ein besseres Leben, erfüllte Arbeit, gar Vollbeschäftigung und glückliches Debugging für Jedermann? Gerade weil dies nicht stimmt, geht niemand auf die Straße und empört sich über Spion und Spion. Insofern hat Shoshana Zuboff recht:

"Ein ganzes Füllhorn 'revolutionärer' Technologien hat nur wenig Revolutionäres bei all den Dingen bewirkt, die wirklich bedeutsam für eine erfolgreiche neue Zivilisation wären: gemeinsamer Wohlstand, demokratische Werte, Rechtsstaatlichkeit, breite gesellschaftliche Partizipation, Lösung von Umweltproblemen und Ressourcen für individuelle Verwirklichung auf allen Ebenen der Gesellschaft. Zusammen ergibt das eine schwierige Lektion: Nicht Technologien erschaffen erfolgreiche Zivilisationen. Das können nur Menschen."

*** Wie naiv klingt dagegen das Gerede der homini davosiensi atque occulti: Die Technologie versteht uns immer besser. Beim anlaufenden Davos-Auftrieb in München darf man gespannt sein, was für eine Rede Perry Barlow von der Freedom of the Press Foundation halten wird. Mit seiner seltsamen, vor 18 Jahren in Davos vorgetragenen Unabhängigkeitserklärung des Cyberspace begann die Verguckung in eine bessere Welt:

"Regierungen der industriellen Welt, Ihr müden Giganten aus Fleisch und Stahl, ich komme aus dem Cyberspace, der neuen Heimat des Geistes. Im Namen der Zukunft bitte ich Euch, Vertreter einer vergangenen Zeit: Laßt uns in Ruhe! Ihr seid bei uns nicht willkommen. Wo wir uns versammeln, besitzt Ihr keine Macht mehr."

Heute dürften Giganten wie Google und Amazon bei diesen Worten höflich schmunzeln, mit Beifall aus der Geheimdienstecke. Denn dort, wo sie sich versammelten, in virtuellen Welten, da war man beizeiten munter dabei.

Was wird.

Der nächste Feiertag ist christlich geprägt und erinnert an die Bedeutung der sozialen Kommunikationsmittel. Zuletzt wurden da soziale Netzwerke im kaputten Internet als "Portale der Wahrheit und des Glaubens" geehrt. Wie wäre es diesmal, die Wahrheit und Ehrlichkeit von TK-Providern zu feiern, so wahr ihnen Gott helfe. Denn das, was unsere neue Regierung mit der Vorratsdatenspeicherung jetzt vorhat, gehört in die Kategorie des "Glaubens an übernatürliche Wesen". Das vollständige aktuelle Interview mit Bundesinnenminister Thomas de Maizière macht auch den Klügsten ratlos. Da fragt der Interviewer ganz harmlos, wie denn die Sicherheit der bei den Providern gespeicherten Vorratsdaten gewährleistet ist und bekommt die Antwort: "Das ist ein sehr wichtiger Punkt, auf den es noch keine befriedigende Antwort gibt." Nach all den Enthüllungen über NSA und GCHQ ist diese Antwort erschreckend, auch wenn der Minister neu (im alten Amt) ist. Eine revisionssichere, allen Forensik-Standards genügende, mit zukunftssicherer Verschlüsselung arbeitende Zugriffsmethode müsste längst vom BSI für Ermittler entwickelt worden sein. Wenn dies nicht der Fall ist, ist die beabsichtigte Vorratsdatenspeicherung genau das, was die Kritiker befürchten: Der Einstieg in die Totalüberwachung. Auch wenn alles Folklore sein soll.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 26 Januar, 2014, 00:07
Ach, Spenden. Den Protagonisten aktueller Ereignisse wünscht man, dass sie anständig bezahlt werden. Revolutionen machen sich zwar schlecht mit gefüllten Bäuchen, verhungerte Revolutionäre sind aber auch nicht so richtig erfolgreich, behauptet Hal Faber.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Lang, lang ist es her, anno 1993, da donnerte und grollte es in Davos und die Unabhängigkeitserklärung des Cyberspace wurde verlesen von einem, der aus der Zukunft kam, in der Staaten und Konzerne nichts mehr zu sagen haben. Perry Barlow ist in dieser Woche noch einmal aufgetreten, mit einer weitaus weniger donnernden Botschaft: Für die genaue Kontrolle dessen, was über ihn bei NSA und Co gespeichert ist, wäre er bereit, seine "Privacy" aufzugeben. Offenbar hält der alte Cowboy wenig von der Privatsphäre, auf die in Europa so viel Wert gelegt wird. Und die schöne Zukunft des Cyberspace ist klebrig und eklig geworden: "Schleimspuren im Netz" ist alles, was wir hinterlassen, ständig und selbst noch dann, wenn wir vor der Glotze hängen, den Großinquistor Lanz bei der Arbeit zuguckend. Wie schön das doch war:

"Der Cyberspace besteht aus Beziehungen, Transaktionen und dem Denken selbst, positioniert wie eine stehende Welle im Netz der Kommunikation. Unsere Welt ist überall und nirgends, und sie ist nicht dort, wo Körper leben. Wir erschaffen eine Welt, die alle betreten können ohne Bevorzugung oder Vorurteil bezüglich Rasse, Wohlstand, militärischer Macht und Herkunft."

*** Nun gut, das Weltwirtschaftsforum in Davos ist auch nicht mehr das, was es einmal war. Wer Fotos sieht, wie sich der künftige Davos-Chef Philip Rösler samt Frau an die Maschmeyers anschmiegt, wird an Richard Sennetts Charakterisierung des Homo Davosiensis und seines Hofstaates der Medienschranzen im Jahre 1998 denken müssen, der den Homo Faber abgelöst hat:

"Hier auf den Schweizer Skipisten, wie zum Sport gekleidet, sind die Sieger versammelt. Eines habe ich aus meiner Vergangenheit gelernt: es wäre fatal, sie bloß als Bösewichte zu sehen. Während meinesgleichen darin geübt ist, die Realität ständig mit einer Art passivem Argwohn zu betrachten, ist der Hofstaat von Davos voller Energie. Er verkörpert die großen Veränderungen, die unser Zeitalter geprägt haben: neue Technologien, den Angriff auf starre Bürokratien und eine grenzüberschreitende Wirtschaft. Dies ist eine Versammlung der Erfolgreichen, und viele ihrer Erfolge schulden sie der Ausübung der Flexibilität."

*** Ja, dort in den Schweizer Bergen, wo keine Himmler-Briefe auftauchen, aber die 85 Reichsten mit ihrem Gefolge und ihren Politikern zusammenkommen, um darüber zu beraten, wie es weitergehen kann mit der Exenteration der Welt. Das mag der Papst noch so sehr an die Verantwortung der Erfolgreichen appellieren, die aus dem Geschenk Gottes ordentlich Kapital schlagen – und wenig für Spenden und mildtätige Gaben übrig haben. Bill Gates sei hier ausdrücklich ausgenommen: Es gehört zur Ironie der Geschichte, dass Sennett den damals noch amtierenden Microsoft-Chef als Prototyp des Homo Davosiensis beschrieb.

*** In München bedauerte John Perry Barlow, dass kein Geld für eine Videoschaltung mit seinem Freund Julian Assange zur Verfügung stand. Die von ihm mitgegründete Freedom of the Press Foundation habe eine halbe Million Dollar für Wikleaks sammeln können. Das ist, verglichen mit der Spende von 3885 Bitcoins von mehr als 2200 Spendern sehr wenig Geld. Vergleicht man es gar mit den wenigen Spenden, die nach der Fragestunde mit Edward Snowden kommen, kann man nur hoffen, dass er für das Fernsehinterview, das die ARD mit ihm heute abend ausstrahlt, besser bezahlt wird. Revolutionen machen sich zwar schlecht mit gefüllten Bäuchen, verhungerte Revolutionäre (zu denen sich Snowden aber wohl eh nicht zählt, verhungert oder nicht) aber sind auch nicht so richtig erfolgreich. Vielleicht sollte er sich mal bei seinem alten Arbeitgeber melden, wo der Abweichler dafür gesorgt hat, dass neue Arbeutsplätze geschaffen werden.

*** Womit wir wieder einmal beim Schnüffel-Thema NSA angelangt sind. Denn es gehört zu den Seltsamkeiten in diesem unseren Land, dass ein Bundespräsident Kritik übt, während der zuständige Minister die Geschichte verharmlost, vielleicht sogar veralbert. Während der Präsident Gauck in dieser Woche in Hinblick auf die NSA proklamiert, dass eine flächendeckende Speicherung der Kommunikationsdaten nicht hinnehmbar ist, kommt Innenminister de Maizière zu dem Schluß: "Es gibt andere Staaten, die sich viel schlimmer verhalten.". Dies als Antwort auf die Frage türkischer Journalisten, was er denn zum Abhörskandal der NSA sagen könne. Währenddessen kommt dem führenden investigativen Journalisten Deutschlands der schauerliche Verdacht, die NSA könnte getäuscht haben. Wie gruselig! Wie wäre es mit einem weiteren gelehrten Zitat.

"Vorausschauend stellt die NSA, während der Rest der Welt in John von Neumanns klassische Computer-Architektur eingeht, schon wieder um: auf optische Rechner, Oberflächenwellenfilter und Ladungsverschiebungselemente, die (als 'Ladungs-Übertragungsgeräte' im Übersetzerdeutsch) 'mehr als tausend Billionen Multiplikationen pro Sekunde' leisten. So mögen eines Tages jene 99,9 Prozent, die im Datenstrom auf diesem Planeten noch an der NSA vorbeigehen, zu erfassen und auszuwerten sein."

*** Eine neue Erkenntnis? Keineswegs. Die Zeilen schrieb der :verstorbene Friedrich Kittler im Jahre 1986, als er das erste NSA-Buch von James Bamford rezensierte. Eigentlich kann man noch weiter zurückgehen, bis zu Kafkas Process, dem unfertigen Buch, das vor 100 Jahren entstand. Als im Sommer 2013 die Konturen der neueren geheimdienstlichen Überwachung bekannt wurden, schrieb John W. Whitehead, der Präsident des Rutherford Institutes über das neue Amerika:

"Josef K’s plight, one of bureaucratic lunacy and an inability to discover the identity of his accusers, is increasingly an American reality. We now live in a society in which a person can be accused of any number of crimes without knowing what exactly he has done. He might be apprehended in the middle of the night by a roving band of SWAT police. He might find himself on a no-fly list, unable to travel for reasons undisclosed. He might have his phones or internet tapped based upon a secret order handed down by a secret court, with no recourse to discover why he was targeted. Indeed, this is Kafka’s nightmare, and it is slowly becoming America’s reality."

*** Nun gab es schon einmal eine Periode, in der die USA aus Sicht der Linken in Ost wie West ein grundübler Staat war. Es war die Zeit, als man für Angela Davis demonstrierte, die heute ihren 70. Geburtstag feiert. Sie wurde seinerzeit der Black Panther Party zugerechnet, obwohl sie nur Mitglied der braven "moskautreuen" CPUSA war. Der Universitätsdozentin, die gegen den Widerstand des kalifornischen Gouverneurs Ronald Reagan unterrichten durfte, wurde ein Waffenkauf zum Verhängnis, weil die gekaufte Waffe bei einer missglückten Gefangenenbefreiung benutzt wurde. Gegen ihre Verhaftung und gegen die Verfolgung der Mitglieder der Black Panther protestierten viele K-Gruppen und anarchistisch Bewegte, auch die Informatiker der Roten Zelle Kybernetik und Elektrotechnik (Rotzkybel). Gegenwärtig lehrt Angela Davis an der Universität Frankfurt und trifft auf Leute, die die T-Shirts mit ihrem Afrokopf tragen, aber nicht ihre Geschichte kennen. Die Frau, die Jahrzehnte lang vom FBI beschattet wurde, ist von den Enthüllungen Edward Snowdens nicht überrascht worden. Na, wie wäre es mit einem kleinen zeitgenössischen Geburtstagsständchen?

Was wird.

Achja, die Zeiten, aber von wegen die guten, alten. Seit wenigen Wochen sind in den USA Dokumente freigegeben worden, die für Historiker wie Drohnenforscher interessant sind. Zwischen 1968 und 1972 waren ferngesteuerte Drohnen die einzigen US-Flugzeuge, die ungefährdet über Vietnam, China und Nordkorea fliegen konnten, so der Bericht eines Staffelführers. Angesichts der nachweisbaren Tatsache, dass in diesem Zeitraum mit Agent Orange bombardiert wurde, darf die Frage nach Kampfdrohnen jetzt auch von Historikern gestellt werden. Das kleine Detail aus der Vergangenheit soll darauf hinweisen, dass ab Montag die Drohnendebatte weiter geht, abseits der zeitgenössischen Spionagedebatten. Denn dann wird das friedensethische Papier der evangelischen Kirchen Deutschlands vorgestellt. Ein kleiner Vorgeschmack auf das Papier, mitverfasst von unserem neuen Gesundheitsminister Gröhe: "Fünftens: Die institutionalisierte Praxis des gezielten Tötens nicht staatlicher Gewaltakteure sowie die Entwicklung und der Einsatz der Drohnen-Technologie erweisen sich als dringend zu klärende Fragestellungen auch infolge des Afghanistan-Einsatzes." Die ach so familienfreundliche Bundeswehr, die Probleme mit Frauen und mit Minderjährigen hat, freut sich schon auf die Debatte im Vorfeld der Münchener Sicherheitskonferenz. Oder hört man da ein gequältes Stöhnen im Bendlerblock?

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 02 Februar, 2014, 06:33
Government gegen Googlement, der neue Kalte Krieg anno 2014. Ach, es gibt keinen Unsinn, der auf dieser Welt nicht als ernsthafte Kritik am digitalen Alltag zu verkaufen wäre, grummelt Hal Faber.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Noch erscheint diese kleine Wochenschau im kleinen Verlag im schönen Hannover am Rande der Norddeutschen Tiefebene, hochgepumpt auf die Server in Frankfurt. Noch die nächsten 86 Jahre, bis Hannover abgesoffen ist und Ibbenbüren ein Erholungsort an der Nordseeküste ist, von dem die Niederländer (die das Saarland aufkauften) sehnsüchtig gen Westen schauen. Das alles ist natürlich die Schuld der bösen NSA und ihrer treu sorgenden Firma CSC, die gemeinsam den Klimagipfel ausspionierten, was die Klimakatastrophe alternativlos macht. All das nur, um in Rockville einen schönen Strand zu haben, mit Surftripps rund um die Ruinen der alten NSA. Keine Bange: All die abgeschlämmten Inhalte und viele, viele Metadaten liegen sicher und trocken in Utah.

*** Wo es solche unruhigen Perspektiven bis anno 2100 gibt, stimmt es doch besinnlich, dass es auch in 86 Jahren etwas gibt, an dem man sich festhalten kann: Wenn es Computer-Tipps für die Ewigkeit gibt, dann muss es auch auf ewig Computer geben, die dank ewiger Weisheiten funktionieren. "Lesen Sie das Handbuch", diese uralte Weisheit hat noch Bestand, wenn sich die Seehunde auf der Sandbank der Elbphilharmonie tummeln.

*** Wer heute etwas vorausschauend agieren will und sein Haus nicht auf Sand bauen will, dem rät ein Experte wie Rosling zum Kauf von somalischen Küstengrundstücken. Denn nicht nur das Wasser steigt, auch die Bevölkerung schwillt an. Somalia, dieser aufstrebende Staat ist eine echte Option, gleich gegenüber den Vereinigten Staaten von Arabien gelegen und neben Europäisch-Südafrika, wo unsere Jungs von Bundeswehr und Bundesmarine nach Maßgabe der Gauck-Doktrin klar Schiff gemacht haben. Denn seit dem 1.2.2014 braust ein Ruf wie wie Donnerhall: "Abwarten ist keine Option!" Was übrigens auch ein zeitloser Computer-Tipp sein könnte.

*** Ja, Isaac Asimov war ein besserer Visionär als unsereins, aber schließlich stand ihm der Personal Computer als Konzertflügel begabter Pianisten nicht im Visionswege, als er die Welt im Jahre 2014 anlässlich der Weltaustellung 1964 schildern sollte. Von wegen "Friede durch Verstehen", beginnt Asimov doch gleich mit dem thermonuklearen Krieg. Wenn dieser passieren sollte, macht er jede Diskussion der Zukunft überflüssig. Uns steht bekanntlich ein anderer Krieg bevor. Bei Maybritt Illner wurde vom neuen Kalten Krieg der Bits und Bytes gesprochen, der eine Welt des Misstrauens entstehen lässt, die schlimmer sein soll als der Kalte Krieg anno 1964. Warum? Weil neben den Regierungen nun auch Konzerne kämpfen und Government gegen Googlement steht. Das hat jedenfalls ein adliger Powerpoint-Präsenter in München gemeint, der zum Schaudern seiner Zuhörer ein "pointillistisches Gemälde" eines Cyberangriffes zeigte – vielleicht war die Auflösung des Beamers falsch eingestellt. Aber, hach, die Message tuts auch ohne Pünktchen: "Facebook könnte Regierungen stürzen." Das ist mal eine Ansage. Vielleicht sollte Zuck klein anfangen, wie wäre es mit Mali?

*** Genau, genau, Facebook hat ja Geburtstag, irgendwie, und da 10 Jahre in diesem Netz der Kurzzeitgedächtler 10 Internet-Jahre sind, bei denen man Männchenjahre mulitplizieren muss, hagelt es Ergebenheitsadressen für den Viel-Apper. Ja, wie sieht eine Welt ohne Facebook-Freunde aus? Was sind überhaupt Freunde, wenn nicht die Gefälltmirs auf Facebook? Ganz zu schweigen von dem Beziehungsstatus, für den es einstmals 25 verschiedene Einstellungen gab. Wann und warum ist eigentlich polymorph pervers gestrichen worden? Es wird Menschen geben, die bei der Berechnung ihres Facebook-Lebens entdecken, das das Ganze das Unwahre ist und andere, die in wirklich jeder NSA-Debatte auf die Jugend verweisen, die alle ihre Daten bei Facebook liegen lässt zur geflissentlichen Auswertung. Deshalb ist die NSA gleich ein ganzes Stück weniger böse, da sie kein Profit macht mit ausgrepressten Daten. Und bittschön, kann die NSA überhaupt noch heutzutage eine Regierung stürzen wie Facebook? Was dann in den nächsten 10 Jahren passieren müsste, ehe Facebook gruschelnd untergeht.

*** Mit dem wunderbaren Aufruf Waffen für Ed Snowden hat die tageszeitung den Anfang gemacht, mit der Debatte über den Nobelpreis für Snowden geht es weiter. Sein Auftritt im Fernsehen hat die Menschen bewegt wie lanz nicht mehr. Wenn selbst ein die US-Geheimdienste beratender Cowboy wie John Perry Barlow für Snowden ist, kann daraus eine machtvolle Bewegung werden, wie es die Snowden-Solidaritätskomitees in ihrer Hommage an seelige AfE-Turmzeiten formulieren:

Wer Günther Jauch vor Edward Snowden sendet, mordet die Menschenwürde. Wenn wir nach langer und kontroverser Diskussion diesen Aufruf an Euch richten, so ist uns die politische Problematik bewusst. Die Entwicklung, die Widersprüche, auch das Scheitern oder die Perversion von Befreiungsbewegungen und Revolutionen, die in den letzten Jahrzehnten unsere Solidarität gefordert haben, muss die Linke sehr kritisch diskutieren. Aber wer in Deutschland im Warmen sitzt und sagt: "Wer gibt mir die Garantie, dass die globale digitale Revolution nicht ebenso im Meinungsfaschismus endet wie andere zuvor?", muss sich den Vorwurf gefallen lassen, das Recht der Menschen auf Selbstbestimmung zu missachten - und zwar auch auf Selbstbestimmung über den Charakter der Revolution. Die Snowden-Solidaritätskomitees haben darum gekämpft, die Öffentlichkeit zu informieren und zu mobilisieren. Auch sie stehen vor der Notwendigkeit, weiterhin die ständige Verletzung der Menschenrechte darzustellen und Unterstützung zu mobilisieren, andererseits aber nicht dabei stehen zu bleiben.

*** Aber Waffen? So richtig mit Knall, Plopp, Blut und Krepieren? Wie sang einst der große gefeierte Pete Seeger über das glückliche Andorra, das vier Dollar und 90 Cents für die Verteidigung brauchte? Dafür gab und gibt Amerika Milliarden aus.

I said, "If security's what you need
I'll buy a couch for you,
A headshrinker is cheaper and quicker
And a damn site safer too."

Nun singt der Kommunist mit dem kleinen k dem beunruhigten Gott die Leviten. Wir haben immer noch Hannes Wader und eben den ganzen komischen deutschen Weg, bei dem mal eben ein Neubau des Internet angefordert wird. Snowden for ADAC-Präsident, das hätte was, der könnte uns ein No-Spy-Abkommen für Autos mit der datengierigen Autobranche aushandeln.

Was wird.

Mit wem müssen wir eigentlich noch ein abgeschmettertes No-Spy-Abkommen besprechen? Ach, das heißt Datenschutz. Nun denn: Am Dienstag soll der erste öffentliche Auftritt unseren Datenschützerin Ursula Voßhoff erfolgen, mit einer Grundsatzerklärung und ein paar ausgewählten Interviews. Ihr erster großer Fall: der seltsame Sicherheitstest des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik. Die Spannung steigt.

Am gleichen Tag steigt eine Konferenz über "Angewandte Forschung für Verteidigung und Sicherheit in Deutschland", nur für deutsche Augen. Was schwer philosophische Fragen aufwerfen könnte, hat sich mittlerweile als verunglückter Hinweis darauf herausgestellt, dass die Veranstaltung nicht gestreamt wird. Im Internet lauern doch die Schlitz- und Fettaugen der Anderen, immer bereit alles abzusaugen, was natürlich niemals Industriespionage ist. Wie sagte Ex-NSA-Chef Hayden noch bei Maybritt Illner, auf Snowdens Beispiel Siemens angesprochen: "Wir betreiben keine Wirtschaftsspionage. Aber Siemens baut diese SCADA-Systeme für Kraftwerke, da müssen wir schon handeln." In den Worten von Ritter Sir Oblong-Fitz-Oblong von Leitner steckt ein vernünftiger Spuckkern: eine Liste all derer, die im Dual-Use Spy/No-Spy-Bereich forschen und fördern, ist überfällig.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 09 Februar, 2014, 06:00
PIEEEEPS the EU. Man kann sich darüber amüsieren, wie die Überwachung den Überwachern auf die Füße fällt. Auch darüber, dass eine Frau den sonst so eindeutig männlich besetzten Satz ausspricht, meint Hal Faber. Aber …

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** "Ein kluger Satz ist für einen schlauen Kopf nur ein Ziegenlederhandschuh: Wie schnell ist die falsche Seite nach außen gestülpt." Der große Barde Shakespeare wusste es beizeiten und der Geheimdienst Sluschba bespeky Ukrajiny machte sich nun ein Späßchen draus: "Fuck the EU." Dass ein Mitglied der US-amerikanischen Regierung unverschlüsselt telefoniert in einem Land, in dem der Geheimdienst die gesetzlich festgelegte Möglichkeit hat, jedes Telefongespräch zu unterbinden, ist eine erstaunliche Sache. Gab es kein Nuland-Phone weit und breit? Hätte man das nicht besser ganz ohne Kompromat formulieren können, wie es etwa Nulands Ehemann 2003 machte, als er publikumswirksam erklärte, dass die Amerikaner vom Mars kommen, die Europäer hingegen von der Venus?

*** "Fuck the EU" ist ein schlichter Satz mit einer eindeutigen Aussage, die alles andere als "plump" ist, wie die empörten Leitmeinungstaktgeber nun landauf, landab schreiben. "Fuck the EU", stilecht mit einem PIEEEEPS versendet, steht für eine USA, die schlicht die Nase voll hat von dem komplizierten Europa. Das mag man als Kanzlerin völlig unakzeptabel finden, weil ähnliche Aussagen wie "verpisst euch" nur für den politischen Gegner reserviert sind.

*** Übrigens liegt auch die kleine Piratenpartei falsch, die die Aussage offiziell als "auf die EU scheißen" eingedeutscht haben will. Ja, man kann sich darüber amüsieren, wie die Überwachung den Überwachern auf die Füße fällt. Auch darüber, dass eine Frau den sonst so eindeutig männlich besetzten Satz ausspricht. Vielleicht hilft der schlichte Satz, die Vereinigten Staaten als anarchisches Gebilde zu verstehen, dass sie überall dort Anarchie am Werke sieht, wo es gegen längst verratene amerikanische Werte geht. Jedweder Einwand zur NSA oder anderen Spionierern wird ignoriert. "Fuck the EU" könnte auch vom GCHQ kommen, wenngleich gesitteter. There is a world elsewhere.

*** Nun aber formiert sich gar mächtiger Widerstand mit Donnerhall und Knall und Lall. Etwa in der Süddeutschen Zeitung wo Sandro Gayken wieder einmal dazu auffordert: Werft die Computer weg!. Hoppsla, kleine Verwechslung? Aber nicht doch, der Aufruf zum Computerwegwerfen steht nur in der gedruckten Süddeutschen und endet interessant. Wenn alle Computer weggeworfen sind, fickt die EU erst richtig los:

Doch dieser Neuanfang wäre eine große Chance. Gemeinsam mit Staaten wie den Niederlanden und Norwegen könnten hier sichere Hardwareprodukte und Betriebssysteme entwickelt werden. Sie ist eine maximale Lösung für alle IT-Sicherheitsprobleme, bewahrt Privatheit und schafft neue Märkte. Das ist besser und substanzieller als schimmerndes Marketing auf überholten Produkten. Und ein Exportschlager allemal.

*** Niederlande und Norwegen? Ungiftige deutsche Computer mit niederländischem Minix und norwegischer Tastatur? Smarterphones? Lancom-Router, Tulip Computer und Opera statt Chrome? Fragen über Fragen, und das, obwohl dieses Jahr Great Britain das Partnerland der CeBIT und ein deutsch-britischer IT-Gipfel angesagt ist. Nein, ich habe nichts gegen das Land von Teefax, Machfax und Überwachfax, schließlich kommt ein nobler Vorschlag zur Dezentralisierung des Internet von einem Sir, der nebenbei ein Loblied auf die Hacker singt.

*** Große Worte auch von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Da muss gleich ein Kampf gegen den technologischen Totalitarismus geführt werden, von einer mutigen sozialen Bewegung, die zum Hammer greift und losnagelt:

Sie muss im Bereich der Datensammlung, -speicherung und -weitergabe rechtliche Pflöcke einschlagen, die klarstellen, dass die Privatheit eines jeden ein unveräußerliches Grundrecht ist, und einen etwaigen Missbrauch eindeutig sanktionieren. Sie muss überdies durch eine kluge Wirtschaftspolitik sicherstellen, dass wir in Europa technologischen Anschluss halten, damit wir aus der Abhängigkeit und Kontrolle der heutigen digitalen Großmächte befreit werden, unabhängig davon, ob es sich dabei um Nationalstaaten oder globale Konzerne handelt.

*** Niederländische Pflöcke, norwegische Wirtschaftspolitik? Leider nennt der Sozialdemokrat Martin Schulz keine Länder, das würde auch die Wucht des Appells schmälern. Schließlich ist Schulz zwar verschlafen und stauneswert bräsig wie die gesamte alte SPD, doch Schulz hat ihn noch, den "gutinformierten radikalen Agnostiszismus". Für diese vorbildliche Einstellung wird Schulz in der FAZ ganz, ganz lieb von Evgeniy Morozov gedrückt wird, der sonst jede Meinung außer seiner aktuellen eigenen umstandslos zerquetscht. Und wer soll den Karren aus dem Dreck zerren? Der alte Maulwurf? Bei Morozov lesen wir:

Historisch hat die Linke sich als fähig erwiesen, einige der Übel, unter denen die Gesellschaft leidet, zu diagnostizieren und sogar zu beheben. Heute muss sie lernen, diese Fähigkeit einzusetzen, um die zahlreichen Schichten technologischer Mystifizierung zu durchdringen, die Silicon Valley der öffentlichen Debatte aufgezwungen hat. Es gibt immer noch zahlreiche Übel, und wenn wir die technologische Struktur Google und Facebook und ihresgleichen überlassen, werden wir die Plattformen für die Veränderung der Situation verlieren.

*** Ho, Ho, Ho Chi Minh Auf, auf zum Kampf, zum Kampf sind wir geboren … und wenn es nur der Kampf um verschwurbelte Worte ist. Denn was bitte sind "Plattformen für die Veränderung der Stituation"? OK, Google ist seit Streetview urböse und Geburtstagskin Facebook ist es auch nicht. Facebook wird ja von den Linken selbst abgetan, wenn es wie hier heißt: "Es sind die schwer flexibilisierten, hochnervösen Mittelschichten in aller Welt. Facebook ist ihre Schlüsselerfahrung, ihr Selbstbildnis und ihr Vermächtnis. Das verzagte 'Ho-Ho-Ho-Chi-Minh' der Bewegung lautet: 'Keep calm and carry on.'"

*** Ganz sicher nicht sind die Hacker gemeint, jene Typen, die nie Sex haben und Wichs-Königinnen sind. Statt eine ordentliche Plattform für die Veränderung der Situation zu zimmern, haben sie in dieser Woche den Klageweg beschritten, Seit an Seit mit Bürgerrechtlern, eine Art Marsch durch die Instituitionen mit den Institutionen, denn die Klage richtet sich vor allem an den Bundesnachrichtendienst mit Sitz in der Reichssiedlung Rudolf Heß, was Kommentatoren als substanzlose Aktion kritisierten.

*** Am allerwenigsten dürften "die Bürger" gemeint sein. Die interessieren sich weniger für den technologischen Totalitarismus, denn für die Bundesligatabelle oder den Medaillenspiegel der putinischen Festspiele. Dennoch scheint da irgendetwas nicht zu stimmen, wenn staatsfeindliche Haltungen zunehmen und jeder vierte Polizeiangriff politisch motiviert sein soll. "Da hat sich insbesondere in Großstädten eine Szene ergeben, wo man schon darüber nachdenken muss, was dagegen zu unternehmen ist", soll Deutschlands oberster Kriminologe Christian "3F" Pfeiffer gesagt haben. Ja, wo bleibt denn der EU-Qualitätsdrahtzaun für deutsche Großstädte?

Was wird.

Ach ja, das Positive. Das gibt es doch immer. Das bleibt immer irgendwie übrig und kann von keinem Totalitarismus gestoppt werden. Passend zu "Fuck the EU" sei auf ein Ereignis verwiesen, an dem sich die schwer verstörte USA auf ein europäisches Vorbild einließ. Genau heute vor 50 Jahren traten die Beatles in der Ed Sullivan-Show auf, 77 Tage nach der Ermordung von Präsident John F. Kennedy. Bis heute gilt diese Fernsehsendung als Meilenstein der Unterhaltungsgeschichte und Beginn der amerikanischen Beatlemania.


Dann wäre da noch der 11. Februar, der Tag, an dem wir uns wehren, wobei "wir" für das alternative Amerika steht, dass nicht den Verstand an den Türen und Schleusen der Terrorfahnder abgegeben hat. Erinnert wird an den Kampf gegen SOPA und PIPA sowie an den Tod von Aaron Swartz. Wer nicht in den USA lebt, sollte sich um die Institutionen scharen, die die Privatsphäre schützen und den Hashtag #StopTheNSA verwenden. OK, #FuckNSA dürfte auch ankommen.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 16 Februar, 2014, 06:00
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Sotchi? War da was? Ach, manchmal, da wünscht man sich, dass alles so einfach wäre, und man einfach mal ein paar begeisterten Leute zugucken könnte, die begeisternde Sachen machen. So wie TJ Oshie, der coolen Sau. Aber gleich kommt das schlechte Gewissen, und man weiß, dass es berechtigt ist: Die Gedanken gehen unweigerlich zur traurigen Realität einer von Umweltverbrechen, Menschenrechtsverletzungen und imperialem Größenwahn geprägten Veranstaltung und Region. Es ist mehr als traurig, dass Leistungen wie die der beiden Eishockey-Mannschaften, die Highspeed-Eishockey auf höchstem technischen Niveau zeigten, angesichts dessen nichts mehr gelten. Nichts mehr gelten können.

*** Aber was ist schon Sport. Obwohl - Sport in einer Diktatur ist immer Propagandezwecken dienlich, das zeigten nicht erst die olympische Spiele von 1936. Aber wir haben mit ganz anderen Themen zu kämpfen. In der von heute aus gesehen wundersamen Zeit der "68er" schrieb der jesuitische Theologe Michel de Certau einen schlichten Satz: "Gott gab es vor der Kirche und er scheint sie zu überleben." Für seine Idee, dass die Kirche als menschliche Institition endlich ist, erntete er heftige Kritik. Heute wird Certeau hoch geschätzt, unter anderem gilt er als Denker, der von Papst Franziskus als Anreger für den modernen Katholizismus genannt wird. Certeau schrieb damals über Galileo Galilei, jenen Prototyp des Wissenschaftlers, der, gestützt auf die besten Instrumente seiner Zeit, durch Beobachtung und Analayse ein herrschendes Weltbild dekonstruiert. Die katholische Kirche, die den 1633 wegen Ketzerei verurteilten Galilei erst im Jahre 1992 rehabilitierte, hat sich nach Certeau mit der Ablehnung des heliozentrischen Weltbildes den zweiten großen Schaden zugefügt, an dem sie lange litt: Erst 1822 durfte in einem kirchlichen Verlag ein Buch erscheinen, dass dieses Weltbild schilderte – als unser Sonnensystem nur noch als winziger Teil des Universums gehandelt wurde. Der erste große Schaden an der katholischen Lehre passierte, als sie die Sexualmoral ihrer Gläubiger regulieren wollte, schreibt Certeau über Galilei:

"Das moralische und vor allem sexuelle Verhalten des Menschen richtet sich so wenig nach den Vorgaben der Bibel und der Päpste wie die Sternenbahnen; darum gibt es eigentlich nichts zu regulieren."

*** Willkommen in Deutschland, beim Edathy-Skandal. Die Verfolgung eines strafrechtlich Unschuldigen gibt zu denken, denn was an dem Tun der Hannoveraner Staatsanwaltschaft eigentlich "Beweissicherung" sein soll, ist so manchem Zeitgenossen schleierhaft. Nacktfilmchen wie der von Avoz Films vertriebene, in der Ukraine gedrehte "Sunday Boys" sind in Deutschland nicht verboten, die Grenzen liegen derzeit wohl bei Spielen wir Liebe. Verboten ist es ebenfalls nicht, mehrere Mailadressen zu benutzen und mehrere Kreditkarten einzusetzen. Man mag Edathys Verhalten angesichts seiner eigenen, am 22.6.2009 öffentlich geäußerten Haltung zum Thema Sperrlisten für kinderpornografische Inhalte als moralisch verkommen einordnen, strafrechtlich ist es nicht zu beanstanden. Bizarr ist auch, dass es entgegen der Darstellung der Staatsanwaltschaft auf den IT-Systemen des deutschen Bundestages keine gesonderte Sicherung von IT-Daten gegeben haben soll. Dabei sollen immerhin zwei Bestellungen als Downloads unter einer gängigen Mitarbeiter-Adresse wie Sebastian.Edathy.MA03@bundestag.de gespeichert sein, ganz legal natürlich.

*** Der juristisch ausgebildete Journalist Heribert Prantl macht (offline) in der Süddeutschen Zeitung darauf aufmerksam, wie eng der "Kampf gegen den Terror" und der Kampf gegen Kinderpornografie zusammenliegen. Er meint, dass hier verbotene Ermittlungen "ins Blaue hinein" durchgeführt, dass aus dem Strafrecht ein Spekulationsrecht geworden ist: "Mit solchen Begründungen kann man bei fast jedem Bürger durchsuchen." Das ist schlimm und passt doch bestens in die Zeit, in der die Regierung zur NSA-Affäre im Deutschen Bundestag nur "Frischlinge" ans Rednerpult schickt.

"Die umfassende, verdachtsunabhängige Kontrolle, wie sie heute im Sicherheitsrecht gang und gäbe geworden ist, wird mit dem ersten Hauptsatz der inneren Sicherheit begründet: Wer nichts zu verbergen habe, habe auch nichts zu befürchten. Das stimmt schon ganz generell nicht – und speziell bei Kinderpornografie stimmt es überhaupt nicht."

*** Wer etwas zu verbergen hat, der braucht vernünftiges Verbergewerkzeug, das einfach eingesetzt werden kann. Das ist nicht unbedingt eine Lehre aus dem Edathy-Skandal, mehr eine allgmeine Erkenntnis aus der IT-Sicherheit. Diese Erkenntnis ist offenbar nicht bei Bund und Ländern angekommen, wie es diese Umfrage zeigt, die von Netzpolitik veröffentlicht wurde. Nun wurde in der Frischlingsdebatte ausgerechnet von der CDU eine Verschlüsselungsinitiative gefordert. Mit kostenfreien E-Mail-Zertifikaten "von deutschen Unternehmen wie der Bundesdruckerei" soll die Mail sicher gemacht werden. Sollte dies kommen, so stellt sich die Frage, wer denn die Kosten trägt. Entgegen ihrem Namen arbeitet auch die Bundesdruckerei profitorientiert: Ein Blick in die Preisliste zeigt, dass die Sache nicht billig ist. Bleibt die relativ kostengünstige Verschlüsselung mit S/MIME übrig – und De-Mail als großkoalitionärem Versanddienst, der standardmäßig ein Fach für den öffentlichen Schlüssel vorhält. Schaut man sich die Debattenbeiträge der geschätzten Foristas zum Thema an, ist Skepsis angebracht. Aber wir haben ja seit dieser Woche etwas ganz Tolles, einen ständigen Ausschuss für die Digitale Agenda, der den Kümmerer in dieser Frage spielen könnte.

*** Wer vernünftiges Verbergewerkzeug haben will, braucht "Hackertools", die die Sicherheit von Systemen prüfen. Zu der lustigen Geschichte über die veralteten DNS-Server des Chaos Computer Clubs kommt die nicht minder lustige von einem ungeschützten Mailserver der Universität Karlsruhe, der während des 30C3 von hackenden Gästen des CCC genötigt wurde, 20.000 Mails zu verschicken. Diese perfide Tat führte nun wiederum dazu, dass die CCC-Sprecherin und FAZ-Kolumnistin Constanze Kurz von der Universitätsverwaltung ausgeladen wurde. Sie sollte auf der langen Nacht der Mathematik einen Vortrag über Kryptographie nach Snowden halten und wurde ausgeladen, weil der kleine Hack auf einen unsicheren Server "sehr unangenehmen Auswirkungen für Mitglieder der Professorenschaft" hatte. Selten deutlich zeigt sich hier, was Deutschland ausmacht. Dazu könnte man auf diesen Rant in einem Blog verweisen, der sich über den Titel des Votrags und die deutsche Informatik aufregt:

Denn der Titel tut so, als wäre vorher alles gut gewesen und jetzt kaputt gegangen, als ob jetzt die Krise da wäre. Weil wir sie jetzt sehen. Es ist aber genau umgekehrt. Jetzt ist der Normalfall eingetreten (oder jedenfalls sind wir ihm näher gekommen) und vorher hatten wir die Krise. Wir hatten sie nur nicht gesehen, was in der Kryptographie und dem Geheimdienstumfeld allemal die weit größere Krise ist. /.../ Man muss ich das mal klar machen: Seit Jahrzehnten sind wir in IT und Sicherheitstechnik völlig unselbständig und von den Amis abhängig. Und sogar um dahinterzukommen, dass sie uns ausspionieren, brauchen wir wieder einen Ami. Nicht mal das können wir selbst. Wofür zahlen wir eigentlich die Abermillionen von Euro für Kryptoprofessoren, wenn wir bei allem, sogar beim Bemerken des Überwachtwerdens auf die Amis angewiesen sind?

Was wird.

Ob die deutsche Informatik Gegenstrategien hat, wird sich vielleicht in der anbrechenden Woche zeigen, wenn in Darmstadt Yes, we scan diskutiert wird. Spannend bleibt die Frage, wie es im Edathy-Skandal weitergeht und wie die Schnittstellen der Sicherheitsarchitektur in Deutschland wirklich aussehen. Erste Indizien sprechen dafür, dass in den Landeskriminalämtern laut quasselnde Schnittstellen sitzen und die Politik die Hohe Schule der "Stillen Post" beherrscht, wie man sich gegenseitig abstimmt. Wie heißt es so schön im Willkommensgruß des Veranstalters? "Trennungsgebot heißt nicht Kooperationsverbot." Dass muss irgendjemand falsch verstanden haben, oder? Niedlich ist es schon, wenn laut Programm der europäische Generalmanager von Taser über die Polizeiarchitektur der Zukunft redet, die bereits gestern verabschiedet wurde. Die Firma stellt Nervenkitzler und Kameras für den persönlichen Schutz vor Gericht her.

Übrigens hat es eine feine ironische Note, wenn Bundeskanzlerin Angela Merkel sich beim "Whistleblower" Hans-Peter Friedrich für die geleistete Arbeit bedankt und ausgerechnet die Gemeinsamen Abwehrzentren gegen Extremismus und Terroismus lobt, wo alle zusammensitzen und ihr Supergrundrecht auf Sicherheit der eigenen Posten wahrnehmen. Wie unsere Kanzlerin erläutert, wird sie in der nächsten Woche das Projekt eines innereuropäischen Internets mit ihrem französischen Kollegen Holland besprechen. Wo kämen wir da hin, wenn man E-Mail über den Atlantik zum Nachbarland schicken muss. Ganz schnell die Schotten dichtmachen, dann kann man auch nichts bestellen bei dubiosen Firmen in Kanada. Denkt an die Kinder und diesen schrecklichen Kinderpornoring!

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 23 Februar, 2014, 06:30
Langeweile breitet sich aus in der Welt. Gähnenden Langeweile. Kein Mensch kann sich mehr verabreden. Kein Mensch? Nein, eine kleine... Ach,. lassen wir das, Häme ist wohlfeil, meint Hal Faber.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Na, Samstagabend nix unternommen, weil WhatsApp ausfiel und sich nix mehr organisieren los für die üblichen Wochenendvergnügungen? Die halbe Welt langweilt sich, weil man sich nciht mehr verabreden kann, wenn die Server streiken. Da würde mancher doch gleich eine gepflegte Verschwörungstheorie drum stricken, so wie unser notorischer Besserwisser. Denn hübsche rottriefende Buchstapel in den Buchhandlungen beweisen es: Thilo Sarrazin hat ein neues Buch geschrieben und ist bereit, wieder durch alle Fernseh-Talkshows zu tingeln. Sein Verlag wirbt so für die Kampfschrift wider den Tugendterror der Meinungspolizei, dass Rezensenten auf die Idee kommen, es handele sich um eine Neuausgabe der Heiligen Schrift. Der Mann, der nicht schreiben kann, aber Millionen von unlesbaren Büchern verkauft hat, beklagt sich wieder einmal, dass er wegen der political correctness einer linken Meinungspolizei kein Gehör findet. Der Mann hat einfach Pech: In Deutschland gilt die Meinungsfreiheit und das Bohei um die politisch korrekte Schaumsprache ist seit den beiden vergnüglichen Ausgaben des "Wörterbuch des Gutmenschen" längst vergessen und die Querdenker von einst sitzen als Quertrinker am Tresen. Vielleicht wird Sarrazins Buch noch in dieser komischen Weißbrot-Debatte aufgehen, die im teigigen deutschen Feuilleton geführt wird, in der alle kluge Sachen sagen und Maxim Biller den Berserker gibt: Wir brauchen mehr Bücher von Kopftuchmädchen.

*** Zur Meinungsfreiheit gehört auch, sich "Thanks Bomber Harris" auf den nackten Oberkörper malen zu lassen und sich in Unkenntnis biometrischer Identifikationsmethoden mit vermummten Kopf ablichten zu lassen. Auch die unglaublich verqaste antideutsch argumentierende Rechtfertigung der Aktion gegen die Geschichtsklitterung ist von der Meinungsfreiheit gedeckt. Ein klein wenig Geschichtskunde dürfte aber dennoch von der Europakandidatin einer Partei zu erwarten sein, die sich als transnationalen politische Bewegung begreift, "deren Kommunikationsraum keine staatlichen Grenzen kennt". Irgendwas muss im Kommnunikationsraum hallen, wenn es heißt: "Dresden war als Produktionsstandort und Umschlagplatz für die näherrückende Front alles andere als ein nicht-militärisches Ziel." Man lese die Beschreibung des Dresdener Feuersturms, die der Augenzeuge Kurt Vonnegut in "Mutter Nacht" veröffentlicht hat, dem Buch wider jede political correctness. Dresden war zu dieser Zeit wie Paris eine "offene Stadt" und längst kein Produktionsstandort mehr, die Produktion war in sächsische Stollen verlagert. So gehört es zur Ironie der Geschichte, dass das Ende einer Partei ohne staatlichen Kommunikationsraum mit einem Bombardement zusammenfällt, dass viele Dokumente zur Forschung von Emanuel Goldberg vernichtete. Der Rest ist Abschalten, frei nach Shakespeare.

*** An diesem Wochenende wartet der allseist bekannte Kommunikationsraum ohne Grenzen auf einen Tweet von @YuliaTymoshenko als "Beweis" dafür, dass in der Ukraine Forderungen der Opposition umgesetzt werden. Bei uns sorgte ein anderer Tweet für Aufregung. Er kam von der Linken-Abgeordneten Sevim Dagdeln, die während eines Arztbesuches eine Fernsehsendung über die Zustände in der Ukraine sah. Ihre Anmerkung über die verwelkten Grünen wurde direkt im Bundestag aufgenommen, wo der Linke Andrej Hunko über die Ukraine sprach. Britta Haßelmann vom Bündnis 90/Die Grünen las den Tweet vor und forderte Hunko auf, sich von der Aussage Dagdelens zu distanzieren – was dieser nicht tat. Nach diesem Zwischenfall meldete sich Bundestagspräsident Lammers zu Worte und kritisierte die abwesende Abgeordnete. Wir lernen: Wer nicht im Bundestag anwesend ist, soll auch in den sozialen Medien die Klappe halten. Digitale Zwischenrufe sind verboten, auch wenn sie der politische Gegner veröffentlicht. Ansonsten gehört Netzpolitik ab sofort in den ständigen Ausschuss "Digitale Agenda". Da twittert man viel, tagt aber unter dem Ausschluss der Öffentlichkeit, #btada, #btada, #btada

*** Da, Da, Da - Oh. Kralle Krawinkel ist nicht mehr da. Vielleicht existiert er ja wie Frank Zappa als Bakterium in seinen spanischen Weinstöcken weiter.

*** Abseits der Debatte um die Verschärfung der Gesetze ist der "Fall Edathy" eine bemerkenswerte Sammlung von Pannen und Gesetzesverstößen, vom Innenminister bis zur Staatsanwaltschaft. Auch die IT ist munter mit im Spiel. Laptop geklaut, doch spät angezeigt. Techniker versprechen, die Abgeordneten-Daten zu sichern, doch gehen erst einmal ins Wochenende. Macht ja nix, Daten werden ohnehin für drei Monate auf Vorrat zwischengelagert, ist doch hervorragende Werbung für die Vorratsdatenspeicherung, die nunmehr ganz niedlich und schnuckelig als "private Vorsorgespeicherung" einherkommt wie eine Zusatzversicherung bei Aua an den Zähnen. Groß das Lamento des neuen/alten Innenministers auf dem Polizeikongress in Berlin, dass ein französischer Serienmörder nur dank der Vorräte gefasst werden konnte. Was leider schlicht nicht stimmte, weil der Tipp eines Motorradhändlers ausschlaggebend war. Ich komme nicht umhin, in Fullquote diesem Kommentar zuzustimmen, in Erinnerung an Roswitha Müller-Piepenkötter, die in Nordrhein-Westfalen die Berichtspflicht einmal abschaffte: Was bleibt, ist eine mafiöse Regierungsmannschaft, der man in jedem Detail ihres Wirkens mit größtem Misstrauen begegnen muss.

*** Bei den hübsch portionierten Enthüllungen von The Intercept sind Dokumente veröffentlicht worden, nach denen Wikileaks überwacht werden soll, ebenso die Besucher auf den Webseiten von Wikileaks. Das überrascht eigentlich niemanden, denn selbst die größten Assange-Gegner wissen seit den Stratfor-Leaks, dass Wikileaks ein rotes Tuch für alle Geheimnisgeschäftler ist. Überraschend ist allenfalls die niedrige Zahl der Zugriffe, die laut Intercept registriert wurden. Unterdessen ist ein langes Portrait von Assange in Großbritannien erschienen, dass sein Ghostwriter Andrew O'Hagan verfasst hat. Von O'Hogan stammen die meisten Kapitel der unautorisierten Autobiographie Assanges, von der sich Julian Assange wie Andrew O'Hagan distanziert haben. Das nun veröffentlichte Portrait gibt einen interessanten Einblick in das Leben und Treiben auf dem Landsitz Ellingham Hall, wo Julian Assange unter Auflagen lebte und sein Leben ins Aufnahmegerät erzählte. Es endet mit Besuchen in der ecuadorianischen Botschaft, wo Assange gebeten wird, die Fähigkeiten von Edward Snowden einzuschätzen:

"He’s number nine, he said. ‘In the world? Among computer hackers? And where are you?’ ‘I’m number three.’ "

*** Ob lebende Hacker die Plätze eins und zwei bei den Versuchen innehaben, "die Maske hinter der Maske" niederzureißen, was nach Assange die historische Aufgabe der Hacker ist, das wird wohl niemals geklärt werden. Immerhin, die NSA und mit ihr arbeitende Geheimdienste können dem langen Stück entnehmen, dass Kuriere wie Jérémie Zimmermann von La Quadrature du Net Säcke von Cryptophones transportieren, die unter den Anwesenden reihum getauscht werden. Da geht noch was. Schließlich will ganz Deutschland Widerstand leisten und den Weg zur technologischen Souveranität finden. Ganz Deutschland? Nun, zumindest der Teil, der nach dem WhatsApp-Deal in German Angst zu Threema wechselt, ist schon mal mit von der Partie.

Was wird.

Die nächsten 5 Milliarden müssen angefixt werden: Auf dem Mobile World Congress wird das dazu notwendige billige Besteck präsentiert – und viel buntes Zeug obendrein. Mark Zuckerberg kommt und wird vielleicht erzählen, was die WhatsApp-Pläne von Facebook sind. Und wo schon die Deutsche Telekom erwähnt wurde, die Cryptophone-Technik in die Cloud schiebt, sei auch ihr Auftritt in Barcelona erwähnte: "Frag einen Hacker alles" klingt zumindest vom Konzept her lustig.

Auch in Deutschland tut sich was. In der nächsten Woche gegen die Briefe der Hersteller von Praxisverwaltungssystemen (PVS) an ihre ärztlichen Kundschaft raus mit der Frage, ob man denn nicht teilnehmen möchte am ersten richtigen Test der elektronischen Gesundheitskarte. Dazu muss der Arzt oder Zahnarzt nur in einer der Testregionen leben und die richtige PVS-Software haben. 500 Ärzte werden gesucht, auch zum Anfixen ist was da: Bis zu 12.500 Euro Mitmachprämie werden gezahlt, dazu Monatspauschalen für den Belastungsaufwand. Bei den ersten 20 Ärzten, die als "friendly user" für das Projekt werben sollen, gibt es noch einmal erhebliche Aufschläge. Bei jeder neuen elektronische Gesundheitskarte, die gesteckt wird, wird online geprüft, ob der Datensatz noch stimmt. Maximal 4 Sekunden darf diese Vorgang dauern. Müssen neue Daten etwa nach einem Umzug auf die Karte geschrieben werden, so darf dies nicht länger als 13 Sekunden dauern. Flott, flott, doch alles halb so schlimm, es entfällt ja die PIN-Eingabe des Patienten, weil alle Daten auf der Karte in einem ungeschützten Bereich liegen. Nicht auszudenken, wenn Hacker hier die Prüfsummen ändern würden.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 02 März, 2014, 06:00
Zwischen UFO-Sichtungen und Erinnerungen an einen Sonnenstaat verirrt sich mancher leicht, befürchtet Hal Faber, da hilft auch eine Theorie des Fremdschämens nicht wirklich. Derweil, auf der Krim...

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Breaking News? Breaking News! Nur hier beim Heiseticker gibt es beste frische Breaking News über gesichtete UFOs über der Nordsee, neueste Telefone über Barcelona und anstehende Patchdays bei Microsoft. Beste, harte News, die nichts mit diesem UFO zu tun haben, das der Visionator Frank Schätzing über Jerusalem gesichtet hat. Kluge Köpfe in immer dünner werdenen Zeitungen wegen der Optimierung des Herstellungsprozesses in der Druckerei preisen sein neues Werk als "großen Wurf" und mäkeln allenfalls über die Vermarktungsstrategie, deren Teil sie sind. Tja, so ist das mit den Nachrichten, immer brechen sie über uns herein und dann heißt es so schnell reagieren wie weiland Elmar Theveßen bei der Nachricht von einem Amoklauf in Norwegen: "Al Qaida. Alles andere wäre zum jetzigen Zeitpunkt reine Spekulation." Das gilt auch für diese Krim-Besetzung.

*** Nun versorgen uns die Zeitungen nicht nur mit Breaking News, sondern auch mit Tipps und Tricks rund um den gepflegten Digital-Haushalt. Es hat schon etwas Rührendes, wenn ein einstmals scharf denkender Intellektueller 10 Regeln zum digitalen Widerstand verbreitet, die in ihrer Naivität die politischen Appelle vom Kampf gegen den technologischen Totalitarismus mit seinen eingeschlagenen Pflöcken locker unterbietet. Die Regeln lesen sich wie aus dem Baukasten zu einer Theorie des Fremdschämens. Es fängt an, mit der Aufforderung, die Mobiltelefone wegzuwerfen und der Erkenntniss, dass überall dort wo etwas kostenlos zu haben ist, der Datenkörper verkauft wird. Weg vom Online-Banking, zurück zum Bargeld, weg vom bösen, bösen FAZ-Abo, dessen Rechnungen übrigens nur noch als supergefährliche PDF-Dateien per Strompost (so Enzensbergers Übersetzung von E-Mail als electric Mail) verschickt werden. Bitte auch sofort Schluss machen mit dieser Anschlepparbeit von Paketdiensten, wo es doch Geschäfte um die Ecke gibt. Alle Vorschläge zeigen, wie abgeklärt weit entfernt von unserem modernen Alltag ein Mensch leben kann, der den glänzenden Text vom Sonnenstaat des Doktor Herold verfasste, vor 35 Jahren. Noch die beste Regel hat etwas Altmodisches, glaubt sie doch an die Wirkungsmacht der Stimmabgabe bei der Wahl von Politikern: "Solange das Wahlrecht noch existiert, sollte man ihnen die Stimmen verweigern, wenn sie die digitale Enteignung dulden, statt gegen sie vorzugehen."

*** Die Enzensbergerschen Regeln sollen in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung den Auftakt zu einer Serie darstellen, in der sich Geisteswissenschaftler mit dem Netzdingenskrams beschäftigen. Das muss man positiv sehen, nach all den morozovitischen Heissluftgebläsen, die mangels eigener Reflexionsfähigkeiten Unverdautes aus dem Maschinenraum in das Blatt für kluge Köpfe pusteten. Vielleicht gibt es ja noch schöne Texte wie die Gedanken von Zygmunt Baumann über die moderne flüchtige Überwachung, die bei uns unter dem völlig abstrusen Titel "Daten, Drohnen, Disziplin" veröffentlicht wurde. Natürlich gibt es auch eine Schattenseite. Ein Blatt für kluge Köpfe, die sich Gedanken über das urwüchsig Digitale machen wollen, die die eigenen Netz-Aktivitäten aber selbst als Schnorrerausgabe bezeichnen, zeigt ehrlich, wie schnurzpiepegal das Thema eigentlich ist. Da macht man lieber aus der schlichten Tatsache, dass alle Geheimdienste dieser Welt HUMINT-Methoden der Kompromittierung kennen, die furchtbare Angst draus, wie Menschen mit Hilfe des Netzes vernichtet werden. Das sind natürlich immer nur die anderen, die in sozialen Netzwerken leben. Wie heißt das noch bei Enzensberger: "Der Schlaf der Vernunft wird bis zu dem Tag anhalten, an dem eine Mehrheit der Einwohner unseres Landes am eigenen Leib erfährt, was ihnen widerfahren ist." Wie bei der Vorsorge-Privatspeicherung, äh private Vorsorgespeicherung, oder war es die vorprivate Speichersorge? Vernunfts-Vorrat-Vorsorge wäre auch nicht schlecht, zumal das Speichern doch soo flüchtig ist.

*** In bemerkenswerter Dreifaltigkeit gab es in dieser Woche einen Spielfilm, einen Freispruch und den kompletten Text einer Mailbox-Aufsage zum "inverstigativen Journalismus". Alles geklärt, alles paletti, alles heiße Luft und das Bobby-Car war silbern? Gab es für dieses superduperpuper-Beispiel der "besten investigativen Leistung des Jahres" den Henri Nannen-Preis für die furchtlosesten der Furchtlosen?

*** Eigentlich könnte nun der Aushilfs-Hausmeister wieder gehen. Alles dazu gesagt? Aber nicht doch! Da hat doch eine Abgeordnete einstmals ihren Highheel hochgehalten: weil sie dem Amt des Bundespräsidenten an sich Respekt zollt. Wo beginnt das eigentlich, dieses Respekt zollen ob der Würde eines Amtes? Beim Präsidenten aufwärtes, bei Politikern im Parlament, bei Kandidaten und Kandidatinnen einer Europawahl ohne Prozentschranken. Auch eine Frage des Respektes ist es, dass man um Entschuldigung bittet.

*** Hach, hoppla, da ist ja noch ein Buch aufgeschlagen, zwar nur als E-Book, aber dafür von einem Economist-Journalisten. The Snowden Operation will den Beweis führen, dass Edward Snowden von Anfang an nichts anderes war als ein Spion oder eine Marionette der Russen. Gut, kann man behaupten, vor allem, wenn es darum geht, vom NSA-Skandal abzulenken. Der zentrale Beweis ist übrigens ein Foto, das Edward Snowden zeigen soll. Die Werbung auf dem Einkaufswagen gehört angeblich zu einem Einkaufszentrum, das 3 Kilometer vom Hauptquartier des russischen Geheimdienstes entfernt ist. Die Folgerungen sind weitreichend: Der Autor, der nach eigenen Angaben seit 30 Jahren die östlichen Dienste verfolgt, kommt zum Schluss, dass auch Glenn Greenwald, Laura Poitras und Jacob Appelbaum Geheimdienstler sind. Letzterer war sogar einmal auf Hawaii, als Snowden noch in Hawaii an seiner Datensammlung saß. Ein knallharter Beweis. Da passt es auch, wenn US-Medien Greenwalds Geldgeber Pierre Omidyar angreifen, dessen Stiftung (die nichts mit dem neuen Medienhaus zu tun hat) Geld an eine Initiative in der Ukraine schickte. Und was schickt denn Russland da in die Krim? Drohnen oder Drohungen, das ist die Frage.

Was wird

Was war das doch für eine tolle Idee mit dem No-Spy-Abkommen, über die sogar der Bundestag ganz angeregt diskutierte, als längst klar war, dass so ein Abkommen niemals von den USA unterzeichnet wird. Nun konstatiert der neue alte Außenminister, dass es in den USA ein anderes Verständnis von Freiheit und Sicherheit gibt. Dort hat man die frischen Erinnerungen an "9/11", hier sind es nicht mehr ganz so frische an die Stasi und schon müffelnde an die Gestapo, das weist auf eine große Inkompatibilität hin. So hat denn das Auswärtige Amt eine nette Aktion gestartet, Außenpolitik Weiter Denken, komplett mit Infoklappe im Internet und Beteiligung der Zivilgesellschaft, irgendwann: "Das Projekt ist bewusst darauf angelegt, einen breiten Dialog mit Öffentlichkeit und Zivilgesellschaft zu ermöglichen, um Anstöße und Einsichten jenseits der innerministeriellen Diskussion zu gewinnen. Unsere Fähigkeit, außenpolitisch wirkungsvoll zu handeln, hängt entscheidend davon ab, dass wir hier in Deutschland Verständnis finden für den Wert und für die Instrumente der Diplomatie. Es geht um Sinn, Ziel und Instrumente außenpolitischen Handels heute." Es wäre nicht schlecht, wenn ein anderes Verständnis von Außenpolitik entsteht, gerade jetzt, wo man mit den üblichen Floskeln außerordentlich besorgt Öl ins Feuer gießt und die kleine Wochenschau mit einem einigermaßen informativen Live-Link enden muss.

Quelle : www.heise.de (http://www.heise.de/newsticker/meldung/Was-war-Was-wird-2127885.html)
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 09 März, 2014, 06:32
Es ist eigentlich ganz einfach: Das Grundgesetz darf nicht mit Geheimverträgen ausgehebelt werden. Aber ach, was so streitbar ist an dieser Demokratie, das ufert allzu schnell ins undemokratische aus, merkt Hal Faber an.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** "Wie hätten's denn gern, ihr Verfassungsbrötchen, der Herr? Dicke Scheibe Fleisch, mit süßem oder scharfen Senf? Und das Volk soll das Maul halten, bittschön? Aber gerne doch." Und so dürfen wir denn lesen, nicht in der Bäckerblume, sondern in der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes zum G-10-Gesetz von 1970:

"Auch die Ersetzung des Rechtsweges durch eine anderweitige Rechtskontrolle verletzt im vorliegenden Falle nicht die Menschenwürde. Zwar verlangt die Rücksicht auf die Subjektqualität des Menschen normalerweise, dass er nicht nur Träger subjektiver Rechte ist, sondern auch zur Verteidigung und Durchsetzung seiner Rechte den Prozessweg beschreiten und vor Gericht seine Sache vertreten kann, in diesem Sinne also Gerichtsschutz genießt. Es gibt aber seit je Ausnahmen von dieser Regel, die die Menschenwürde nicht kränken. Jedenfalls verletzt es die Menschenwürde nicht, wenn der Ausschluss des Gerichtsschutzes nicht durch eine Missachtung oder Geringschätzung der menschlichen Person, sondern durch die Notwendigkeit der Geheimhaltung von Maßnahmen zum Schutz der demokratischen Ordnung und des Bestandes des Staates motiviert wird."

Dagegen gab es beim Verfassungsgericht bereits 1970 etliche Einwände, die im Minderheitsvotum formuliert wurden:

"Der nach Art. 10 Abs. 2 Satz 2 GG mögliche heimliche Eingriff in die Privatsphäre des Bürgers unter Ausschluss des Rechtsweges trifft nicht nur Verfassungsfeinde und Agenten, sondern gleichfalls Unverdächtige und persönlich Unbeteiligte. Auch ihr Telefon kann abgehört, ihre Briefe können geöffnet werden, ohne dass sie jemals etwas davon erfahren und ohne dass sie imstande sind, sich zu rechtfertigen, oder -- was für die Betroffenen von äußerster Wichtigkeit sein kann -- sich aus einer unerwünschten Verstrickung zu lösen. /../ Die 'Staatsraison' ist kein unbedingt vorrangiger Wert. Verkennt der Gesetzgeber die Schranken, so kehrt die 'streitbare Demokratie' gegen sich selbst."

Bekanntlich hat Edward Snowden in dieser Woche auf schriftliche Fragen von EU-Parlamentariern  geantwortet und davon berichtet, dass Deutschland das G-10-Gesetz auf Druck der NSA geändert hat. So richtig neu ist das nicht. Bereits im November 2013 lief eine Sendung des ARD-Magazins FAKT über den BND, in der behauptet wurde:

"Damit die Erhebung und Auswertung wenigstens halblegal stattfindet, ließ sich der BND 2008 vom britischen Geheimdienst helfen, das entsprechende Gesetz neu zu formulieren. Das Ergebnis: Da Daten ständig über Ländergrenzen fließen, wurde der gesamte Datenverkehr per Gesetz zu Auslandskommunikation erklärt - und die darf der BND abhören."

*** Seitdem versuchen heftig diskutierende Juristen vergeblich, diese Gesetzesänderung im Jahre 2008 durch den BND und das britische GCHQ zu finden. Sinnigerweise gibt selbst der in der G10-Kommission sitzende Grünen-Parlamentarier in der Sendung zu, dass dies ein "höchst interessanter Vorgang" sei. Mit der Aussage von Snowden ist das Problem der heimlichen Grundgesetzänderung wieder auf dem Tisch, schließlich ist bei ihm ausdrücklich davon die Rede, dass Anwälte der NSA und des GCHQ sehr hart daran arbeiten, in den Gesetzen von EU-Ländern Gesetzeslücken zu finden, mit denen das Ausschnüffeln begründet oder legalisiert werden kann. Abseits einer geheimen G-10-Gesetzesänderung gibt es nichts, was derartigen Datenverkehr anbelangt. Erinnert sei an die entsprechende Anfrage der Linksfraktion und die Antwort der Bundesregierung vom letzten Oktober:

"Für eine Telekommunikationsüberwachung durch ausländische Stellen bieten weder das Zusatzabkommen zum NATO-Truppenstatut noch sonstige Vorschriften des deutschen Rechts eine Grundlage."

*** Bekanntlich ist auch der Historiker Josef Foschepoth der Auffassung, dass in geheimen Archiven Befugnisse existieren, die sowohl die Schnüffelei der NSA gestatten als auch hauseigene Überwachung durch den deutschen Nachrichtendienst BND. Für Juristen ist die Sache einfach: Das Grundgesetz darf nicht mit Geheimverträgen ausgehebelt werden. Wenn die Bundesregierung dies im Jahre 2008 gemacht hat, hat sie eindeutig verfassungswidrig gehandelt, an der Grenze zum Hochverrat. Die große Koalition von CDU/CSU und SPD, die damals im Amt war, wird alles tun, die Verträge weiterhin geheim zu halten. Wenn die gesetzlichen Schutzmechanismen "dank" der Geheimabkommen nicht greifen, hat sich die Idee mit der streibaren Demokratie erledigt.

*** Jede "Digitale Agenda", deren Umsetzung morgen auf der CeBIT verkündet werden soll, ist dann nur ein weiteres Stückchen Überwachungstechnik. Jede Rede von der offenen Gesellschaft ist damit obsolet. Auf eine neue Digitalpolitik, die die grundgesetzlich garantierte Menschenwürde retten soll, kann verzichtet werden.

*** Dies gilt auch für andere Länder, etwa in Großbritannien, wo man im Zuge von Snowden entdeckt hat, dass die beim Innenministerium angesiedelte Kontrollbehörde für das GCHQ selbst eine Geheimbehörde ist. Und mit mit Julian Assange kann man sich in den USA die Frage stellen, wer hier eigentlich die Hosen anhat.

*** Der Überfall Deutschlands auf die Sowjetunion wurde vorab gemeldet, doch nicht beachtet. Gleiches gilt für die Attacke der japanischen Luftwaffe auf Pearl Harbour. Der israelische Nachrichtendienst hatte mehr als 400 Hinweise auf den Beginn des Yom-Kippur-Krieges 1973, beim Beginn des Golfkrieges 1991 hatte der "klassische" US-Dienst CIA drei Dutzend Hinweise über einen irakischen Angriff auf Kuwait. Wieviel vorab von der Aktion Russlands bekannt war, die Krim mit Hilfe "anonymisierter" Truppen heim ins Reich zu holen, werden künftige Historiker klären können. Immerhin war ja das Skript bekannt, dank Tom Clancy und Mark Greany. Der Kampf findet im Infospace mit Big Data statt und wird mit IBM-Software, dem i2 Analyst’s Notebook, ausgefochten, bei uns bekannt als BKA-Software, die Kreuztreffer finden soll.

Was wird.

Der BND und das GCHQ, pardon, natürlich Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihr britischer Kollege David Cameron sowie VW-Chef Martin Winterkorn eröffnen heute Abend die CeBIT. Am nächsten Tag gibt es noch einen Rundgang, doch ohne Händeschütteln verdienter Industrievertreter: Schließlich hat Merkel beim Datenschutz alle Hände voll zu tun. Anschließend werden die drei deutschen Internetminister wie erwähnt die Digitale Agenda vorstellen. Für knisternde Spannung ist also gesorgt, zumal in diesem Jahr das NSA-Thema die Messe beschwingt. Man nehme Firmen wie Lamapoll, die in der Presseerklärung Schlimmstes befürchten: "Stell dir vor, du führst eine Online-Umfrage durch und die NSA liest mit!" Ja, was könnte die NSA da für Erkenntnisse über den Konsumterror sammeln! Endlich reagieren die richtigen Macker von IT und Mittelstand auf die NSA und bieten deutsche Wertarbeit. Denn geben wir es mit Sandro Gayken zu: Es geht nichts über solide Füße. Die Hacker, die Nerds, die sollte man einfach vergessen.

"Und ich hoffe auch, dass die sogenannte Netzgemeinde endlich an den Rand gedrängt wird und sich nicht mehr so intensiv an den Debatten beteiligen darf. Blattmacher wie Frank Schirrmacher freut es natürlich, wenn es Sascha Lobo oder halbstarke Informatiker in der FAZ knallen lassen. Doch die haben einfach versagt. Sie verkörpern genau jene Ingenieursperspektive, die technisch zwar total fit ist, die man aber politisch und wirtschaftlich nicht gebrauchen kann. Wir müssen diese Diskussion auf solide Füße stellen."

Toll ist auch, wie die CeBIT wieder wächst, von 4100 Ausstellern im letzten Jahr auf nunmehr 3400, allesamt schwerst fokussiert auf den Business-Aspekt von "Datability". Aus diesem Grunde gibt es endlich wieder einen Businnes Run für solide Füße in Laufschuhen, sogar mit einem Liveticker auf Facebook. Wer keinen Plan hat, kann es ja mit dem Auftritt von Steve Wozniak versuchen, dem "Genie mit Herz", zu dem die Konferenz-Broschüre dräuend fragt: "Wo wären wir ohne ihn?"

Ja, wo wären wir denn ohne Steve Wozniak? Vielleicht auf dem VCFE, das im Mai startet und gerade Anmeldungen für das diesjährige Ausstellungsthema Paradiesvögel und Exoten sucht. Man nehme nur den Robotron Z1013, der dem Nerd Constanze Kurz das Leben in der DDR erträglich machte, wie sie der Süddeutschen Zeitung im Wochenende-Interview erzählt, passend zum Frauentag:

"Nerds, ob männlich oder weiblich, haben ihren Stolz. Ich erlebe das bei Hackerinnen, ob in Deutschland oder international, dass die keinen Bock haben, über ihr Frausein zu reden. Ich bin Techie, ich will über Technik reden."

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 16 März, 2014, 06:30
Schau mir in die Augen, Kleiner: Manche Weisheiten erschließen sich nicht mal mit tiefem Blick ins rote Licht, befürchtet Hal Faber. Manche Weisheit allerdings scheint auch erst nach einem tiefen Blick ins Glas aufzuscheinen.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Mein Name ist Hal. Hal Faber. Ich lebe und arbeite am besten in einem Isolator, wie ihn der große Hugo Gernsback entwickelt hat. Deswegen bräuchte auch ich kein Smartphone, eigentlich, aber da ist nunmal das Hal-Erbe und die grandiose Stanley-Kubrick-App, die Trost und Halt gibt in diesen unseren Tagen, in denen Geisteswissenschaftler über das inkommensurable Funktionsgeheimnis digitaler Kulturen schwafeln. Gleichzeitig wird auf der CeBIT von einem Roboter mit himmelblauen Augen geschwärmt als einer technischen Meisterleistung. "Dahinter steckt eine Software mit zehntausenden Programmierzeilen." Wow, beeindruckend, voll der Hammer, so Zehntausende von Zeilen da kommen den roten Augen von Hal die Tränen. Nehmen wir nur den in der App veröffentlichten Brief, den Kubrik 1968 an seinen Produzenten geschrieben hat: "Weiß IBM, dass eines der Hauptthemen meines Films die Geschichte eines psychotischen Computers ist. Ich möchte niemanden verärgern, oder ihnen das Gefühl geben, sie wären beschwindelt worden." Schau mir in die Augen, Kleiner ...

*** 1968 wusste Kubrick nicht, dass IBM längst den psychotischen Computer vorgestellt hatte, das System/360, das bald einen fetten Geburtstag feiert. Rundum perfekt und fehlerlos, wie Hal 9000, das war schon 1964 ein feuchter Wunschtraum. Und heute so? Watson hilft Ärzten und Bankberatern. Derweil veröffentlichte IBM ein umfassendes Geständnis, halbwegs. Vergessen die gute alte Zeit, als es Debatten über die NSA-Hintertür in Lotus Notes gab, nachdem IBM 1996 die Software gekauft hatte.

*** Ach ja, die gute alte Zeit ist auch nicht mehr das, was sie früher einmal war. Bleiben wir bei der CeBIT, dieser "weltgrößten Computermesse" mit gerade einmal 210.000 Besuchern vom Fach. Das ist zwar mehr als die 150.000 der Consumer Electronics Show in Las Vegas, aber nur ein schwacher Abglanz der guten alten Zeit. Trotz blendender Isolation drang etwas durch vom Aufgalopp der drei Tenöre, die das Lied der Digitalen Agenda schmetterten. Zarathustras Weisheiten kamen nicht unbedingt dabei heraus, aber immerhin imponierte der Bundesinnenminister mit seinem tiefen Griff in das Schatzkistlein für Metaphern und sprach als Kohls Erbe vom Straßenverkehr mit Leitplanken an den Rändern, der Straßenverkehrsordnung und vom verantwortungsvollen Miteinander der Verkehrsteilnehmer. Kostet ja nix, so ein Vergleich. Wovon der Bundesinnenminister als oberster Vertreter der Ausweisbehörden nach allen von Edward Snowden geretteten Erkenntnissen über NSA und GCHQ hätte sprechen können, wurde im Heise-Forum auf den Punkt gebracht:

"Sorgt endlich mal dafür, daß die Root-Certs der Bundesdruckerei in alle Browser und System-Cert-Stores reinkommen und vergebt jedem Bürger ein Schlüsselpärchen auf seinen nPA. Oder meinetwegen auch mehrere. Meine Güte, das ist doch wohl nicht sooo kompliziert. Dann dazu ein öffentliches Key-Verzeichnis a la DE-Mail oder PGP und passende plugins für die gängigsten Mailprogramme, die automatisch Verzeichnis-lookups machen. Das würde für die sichere Kommunikation in Deutschland mehr bringen als alle wohlfeilen Reden und Initiativen der Provider zusammen hoch 3."

*** Ein vom Staat gestellter Vertrauensanker mit entsprechenden Zertifikaten für die durchgängige Verschlüsselung ist nicht Bestandteil der hochtrabend so genannten E-Card-Strategie der Bundesregierung. Stattdessen setzt man darauf, das sich der Bürger selbst Zertifikate kauft oder sich welche von den Nutznießern schenken lässt. Das der Nutznießer einer besser geschützten, verschlüsselten Kommunikation die Demokratie selbst ist, darauf kommt keiner. Halt, doch doch, da war doch was? Hat nicht der große Woz auf der CeBIT gesprochen, als die Politwutze längst mit anderen Dingen beschäftigt waren? "Wenn Apple und Microsoft die Verschlüsselungssoftware PGP in ihre Betriebssysteme integriert hätten, würde es heute jeder benutzen." Verpasst, verpasst.

*** Im Fach-Business-Trubel der CeBIT ging unter, dass Edward Snowden nach der ARD-Fernsehsendung wieder einen Auftritt hatte, auf der SXSW genannten Digitalshow, vor einem grandiosen Hintergrund. Abgesehen von der miesen Audioqualität darf man sich fragen, was an dem von Snowden wiederholten Statement "crypto works" so schwer zu verstehen ist. Snowden ging sogar so weit zu behaupten, dass die mächtige NSA selbst nicht weiß, was er weiß, weil das Material verschlüsselt ist. Noch während der Rede bekam Snowden Solidaritätsgrüße von Tim Berners-Lee, der mit einer Geburtstagsfeier beschäftigt war. Und auf der CeBIT sprach sich Jimmy Wales dafür aus, dass der sich um das Land sorgende Whistleblower zurück in die USA geholt werden sollte. Derweil überlegte selbst der deutsche IT-Planungsrat, wie "leicht zu benutzende Verschlüsselungsinstrumente entwickelt werden" können. Der Blick der Fachleute ist natürlich nichts gegen das schöne Schaudern des Boulevards, wenn reißerische Stücke verkauft werden können und es heißt: "Und es gibt quasi keine Möglichkeit, sich dagegen zu wehren." Ja was denn, möchten man da schreien, gibt es eine oder gibt es gar keine Möglichkeit? Nicht nur die Computer sind offenbar psychotische Maschinen ...

(http://3.f.ix.de/imgs/18/1/1/9/1/7/2/7/GCHQ1-18d687c3875fdb5d.jpeg)
*** Statt zockende Steuerhinterzieher zu "respektieren", die eine sehr niedrige Gefängnisstrafe antreten, sollte man sich besser an den echten englischen Politiker Tony Benn erinnern, der in dieser Woche gestorben ist. Der streibare Brite wurde im zunehmenden Alter immer radikaler. Im Jahre 1963 notierte Benn in seinem Tagebuch, nachdem Harold Wilson die über die Profumo-Affäre gestürzte Regierung von Harold Macmillian ablöste: "Ich fürchte, es sieht so aus, als ob wir einen Polizeistaat errichten wollen. Dick [Crossmann], der im Krieg bei der Spionageabwehr arbeitete, ist ein knallharter Sicherheitsmann, der als Minister gar nichts dabei finden wird, das alle Telefone abgezapft und alle Briefe geöffnet werden." So kam es. Ausgerechnet Labour baute die Geheimdienste aus. Das GCHQ wurde von 8000 auf 11.500 Mitarbeiter ausgebaut. 1969 schoss Großbritannien seinen ersten Skynet-Satelliten in den Äther, der angeblich die Kommunikation verbessern sollte, aber wohl eher ein SIGINT-System war, wie Tony Benn notierte. Als die NSA-Affäre begann, erklärte Benn:

"GCHQ und die NSA sind Beispiele von Diensten, die ihre Lektionen in Sachen Technologie gelernt haben. Sie haben Angst vor der Verbreitung von Informationen, weil sie wissen, dass freie Informationen eine der stärksten revolutionären Kräfte der Welt sind. Wenn also mutige Menschen im Interesse der menschlichen Freiheit Informationen veröffentlichen, werden sie über die Medien als 'potenzielle Terroristen' gebrandmarkt. Das ist das üble Geschäft der Dienste.

*** In dieser Woche bediente sich die Wikileaks-Mitarbeiterin Sarah Harrison in einem Artikel im Guardian genau dieser Argumentation, als sie beklagte, als Terroristin verfolgt zu werden. Deshalb könne sie nicht nach Großbritannien einreisen, sondern müsse im deutschen Exil in Berlin leben. Ob dies wirklich stimmt, ist schwer zu sagen. Auf einen europäischen Haftbefehl aus Großbritannien müsste Deutschland reagieren, doch dieser scheint nicht ausgestellt zu sein. Nach der Ablehnung eines Asylverfahren für Edward Snowden durch die ängstliche Bundesregierung dürfte Sarah Harrison kaum bessere Karten haben.

Was wird.

Im letzten WWWW ging es um die Frage, ob es einen geheimen Zusatzvertrag zum G10-Gesetz gibt, mit dem der gesamte Datenverkehr in Deutschland zur Auslandskommunikation erklärt wurde, auf dass der BND ausleiten kann, was er für andere Dienste wie die NSA ausleiten will. In der Nacht zu Freitag haben sich zu später Stunde Regierung und Opposition auf einen gemeinsamen Untersuchungsausschuss zur NSA-Affäre geeinigt. Unsere amerikanischen Freunde sind nicht eingeladen, einmal zu extemporieren, wie die Zusammenarbeit mit "Third Parties" aussieht. Dennoch lässt der Arbeitsauftrag des Ausschusses hoffen, schließlich soll auch der "Ringtausch" unter den Schnüffeldiensten untersucht werden. Bleibt die Frage, was die Regierung davon wusste, was sie dafür oder dagegen getan hat. Das könnte selbst ein von den Grünen und der Linkspartei eingeflogener Edward Snowden nicht beantworten. Lassen wir also lieber nochmal Zarathustra ... äh ... singen.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 23 März, 2014, 07:46
Ha! Ein deutscher Generalbundesanwalt, der die Expertise des Chaos Computer Club anerkennt? Ja zwickts mi doch einer, denkt Hal Faber. Das ist doch mal was Positives, trotz TTIP, Terrapower und der türkischen Twittersperre.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Wo bleibt das Positive? Diese Frage kommt üblicherweise zum Schluss der kleinen Wochenschau vom Rande der norddeutschen Tiefebene. Eben dann, wenn auf den berühmten Lichtstreif am Horizont hingewiesen wird, der irgendwo im Osten zu sehen ist. Doch, wie Erich Kästner 1930 dichtete, zimmern sie dort im Osten den Sarg. Das geht natürlich nicht ohne ordentliches Spielenlassen derMuskeln – und Aufstockung der Wehretats. Was positiv ist für die deutsche Rüstungswirtschaft, immerhin die Nummer drei in der Welt, nach den USA und Russland. Ja, das ist wirklich positiv, dass man nun nicht mehr Jammern muss, dass Deutschland dringend eine Drohne braucht, für was auch immer. Vielleicht für Päckchen nach drüben, auf die Krim. Darum schnell her mit dem TTIP-Freihandelsabkommen, zumal die Dinger immer billiger werden und jetzt nur noch 23.800 Dollar die Flugstunde kosten. Sigonella, here we come.

Ich will nicht schwindeln. Ich werde nicht schwindeln.
Die Zeit ist schwarz, ich mach euch nichts weis.
Es gibt genug Lieferanten von Windeln.
Und manche liefern zum Selbstkostenpreis.

*** Ja Twitter zum Teufel, aber da war doch diese Woche was Positives! Ein äußerst irritierendes Knacken in der Matrix, irgenwo zwischen Kugelblitz und tödlicher Wünschelspießrute: Ein deutscher Generalbundesanwalt, der im Interview erklärt, dass er die Vorratsdatenspeicherung nur für schwere Straftaten haben will, der momentan keine Online-Durchsuchung braucht und keine Quellen-TKÜ auf der Basis von § 100a durchführen will. Ein Generalbundesanwalt, der gefragt wird, wo eigentlich das Problem mit dieser Trojanersoftware ist und darauf antwortet: "Der Chaos Computer Club hat 2011 auf Schwachstellen hingewiesen, die jetzt beseitigt werden." Ein deutscher Generalbundesanwalt, der die Expertise des Chaos Computer Clubs anerkennt. Ja zum Teufel, kann mich mal jemand zwicken?

*** Nach Angaben der Bundesregierung in der Beantwortung (PDF-Datei) einer Anfrage der Linksfraktion des deutschen Bundestages gibt es 36 Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten in Amerika, die in den Bereich der inneren Sicherheit fallen. In der umfangreichen Liste dieser Abkommen findet sich kein Hinweis auf eine spezielle Zusammenarbeit zwischen dem BND und deutschen Nachrichtendiensten. Gäbe es das in dieser kleinen Wochenschauen vor kurzem diskutierte Geheimabkommen aus dem Jahre 2009 über eine weitreichende Ausleitung der Datenkommunikation, hätte darüber eine Notiz erfolgen müssen, dass Auflistungen über weitere Verträge im Geheimdienstkämmerlein des Bundestages einsehbar sind. Ein entsprechender Passus fehlt. Bis auf Weiteres mag man vermuten und verschwörungstheoretisieren, was es sonst noch gibt, doch die einzige belegbare Passage bildet diese Antwort des BND, in der es heißt: "Der BND arbeitet seit über 50 Jahren mit der NSA zusammen, insbesondere bei der Aufklärung der Lage in Krisengebieten, zum Schutz der dort stationierten deutschen Soldatinnen und Soldaten und zum Schutz und zur Rettung entführter deutscher Staatsangehöriger." Da bleibt das Positive! Und es wird noch besser!

*** Bekanntlich wurde vom Deutschen Bundestag "in seltener Einigkeit" ein NSA-Untersuchungsausschuss eingerichtet, diese unpositiven Fragen abzuklopfen, wie es um Deutschland und seine fünf Freunde bestellt ist, China diesmal inklusive. Der Untersuchungsauftrag des Ausschusses ist einigermaßen diffus, die Außenwirkung darum umso schönrednerischer, wenn die Ausschüssler "ein Zeichen setzen" sollen, dass eine solche anlasslose Überwachung "mit unserem Verständnis des Rechtsstaates" nicht vereinbar sind. Man darf gespannt sein. Zur Auswahl stehen ein Ausrufungs-, ein Frage- und das $-Zeichen.

*** Ausschussvorsitzender Clemens Binniger (CDU) will nicht nur die Amerikaner informieren, dass es ab jetzt ganz anders läuft, sondern auch die bundeseigenen Dienste Schnüffel, Späh und Schirm: "Wir müssen bei der Überwachung zu dem personenbezogenen Ansatz zurückkommen." Nicht anlasslos das ganze Netz mit dem Wissen vieler Unternehmen über Utah ausleiten, sondern mit der guten alten Personendatendauersammlung zum Ziel kommen, das ist das Gebot der Stunde auch für deutsche Dienste. Das Ganze nach dem Motto "Schuster, bleib beim guten alten Gössnern. Dann wären bei einem Sprengstoffanschlag auf einen Briefkasten von Edathy gleich kinderpornografische Hinweise aufgefallen.

Was wird.

Hach, ist das Positive auf der Strecke geblieben? Aber nicht doch. "Wenn du denkst, es geht nicht mehr, kommt von irgendwo ein Lichtlein her", ist je nach Migrationshintergrund ein sorgfältig abgeschriebener Spruch aus dem Poesiealbum oder ein Song des Rappers Bushido. Er passt aber auch zum Lebensmantra des bekennenden Katholiken Bill Gates, der sich im Interview mit Rolling Stone als unerschütterlicher Optimist präsentiert. Gates, der in Zukunft den neuen Microsoft-Chef Satya Nadella beraten soll, präsentiert sich dabei als echter Nerd: Ingenieursmäßig können wir die Welt zum Besseren drehen, auch wenn es hier und da etwa bei der Bekämpfung der Kinderlähmung in Pakistan Rückschläge gibt. Das Interview mit Gates hat für Aufsehen gesorgt, weil er Edward Snowden nicht als Held einordnen will, doch sein Mantra vom "alle Probleme sind lösbar" geht viel weiter, bis hin zur Unterstützung der sauberen Atomkraft mit der von ihm finanzierten Terrapower. Nur an einer Stelle blitzt Verzweiflung auf: das US-amerikanische Schul- und Gesundheitssystem, das selbst von der besten Regierung der Welt in einem Land ohne Korruption und mit einem funktionierenden Rechtssystem nicht geordnet werden kann. Hier spricht der Nerd Gates von einem Deadlock. Die Diskussion zum Interview zeigt, was Amerika in diesen Tagen bewegt: Es sind gläubige Christen, die den vermuteten "Glauben" der Atheisten angreifen und Gates samt seiner Stiftung auffordern, mit seinem Geld den Kreationismus zu unterstützten.

In der Türkei stehen Wahlen an. Aus Angst, diese Wahlen zu verlieren, versucht der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdoğan die beiden Medien unter Kontrolle zu bringen, die das Ausmaß der Korruption dokumentieren: Twitter und Youtube. Letzteres, weil dort die kompromittierenden Videos zu sehen sind, die bisher nur ein Bruchteil der Türken sehen konnte, weil der Pinguin die Sicht verstellte. Eine bemerkenswerte deutsche Reaktion findet sich im Interview mit Innenminister Thomas de Maizière. Er weicht vor der Frage aus, wie eine Million wahlberechtigte Mitbürger ihr Wahlrecht wahrnehmen können. Die türkische Regierung soll am Zug sein. Da bietet sich doch glatt dieses Internet an, das man so formidabel kontrollieren kann.

Apropos Wahlen, apropos Twitter. Über dieses schwer demokratische Medium der internationalen Meinungsbildung nicht nur in der deutschen Piratenpartei hat Wikileaks seine Anhänger gefragt, ob Julian Assange nicht bei der Europawahl antreten sollte. Der Assange zugeschriebene Twitter-Account Hazelpress unterstützte den Vorschlag und sprach sich für Sarah Harrison als Wahlkampf-Manager aus. Die wiederum lebt als selbstdeklarierte Terroristin in Berlin und schreibt an einem Buch über Wikileaks. Ähnlich geht es Laura Poitras, die in Berlin einen Dokumentarfilm über den Berliner Jacob Appelbaum und Julian Assange schneidet. Es lebt sich also gut in dieser Stadt Germaniens, die sich langsam aber stetig auf die ultimative Schlacht der Netizen vorbereitet, wenn das NewNormal gegen Into the Wild antritt. Die einen wollen Alltag, die anderen Drei-Wetter-Taft. Da bleibt das Positive glatt auf der Strecke.

Noch immer räumt ihr dem Guten und Schönen
den leeren Platz überm Sofa ein.
Ihr wollt euch noch immer nicht dran gewöhnen,
gescheit und trotzdem tapfer zu sein.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 30 März, 2014, 06:42
Das Abendland ist untergegangen. Hal Faber fragt derweil, welcher Hoodie-Typ Du bist. Und sieht in Heinrich Heine einen Propheten der technologischen Souveränität.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Oha, das Abendland ist untergegangen. Und das kam so: In Hamburg sollte ein Spiegel-Journalist treu nach der Spiegel-Devise "Sagen, was ist" sagen, was ist mit dem Journalismus. Da entdeckte er bei der Empfangsdame eine Obst-Schale und wollte sich einen Apfel nehmen. Das aber war ihm verboten: Solche Spiegel-Erkenntnis-Äpfel dürften nur die Print-Journalisten essen, hieß es. So ging also das Abendland unter, ganz unspenglerisch, aber mit einem schönen Liveticker. Die hehren Werte des christlichen Abendland wurden von einem Aufklärungs-Apfel in einer Obstschale zerdeppert. Wobei der livetickernde Journalist schlecht performte: "Sagen, was ist", dass hätte harte Recherche erfordert, woher denn dieser Apfel stammte. Vielleicht aus dem Altland, jenem leckeren Streifen vor Hamburg zwischen dem untergangenen Abendland und dem islamischen Morgenland?

*** Der Untergang des Abendlandes begann übrigens etwas früher, in Frankfurt. Dort schrieb ein FAZ-Journalist etwas über einen SZ-Journalisten, dass andere Journalisten so aufregte, dass sie sich Kampfkapuzenpullis anzogen und Drohfies machten. Nun erscheint diese nach Zeilen bezahlte Wochenschau bei einem reizenden kleinen Verlag am Rande der norddeutschen Tiefebene, in dem Kapuzenpullis absolut normale Kleidungsstücke sind und Printredakteure immer mal wieder den Newsticker befüllen helfen, mithin das Schmuckstück dieser Branche. Was in Hamburg und München und Frankfurt aufregte, verstand in Hannover niemand. Aber so ist das, wenn so ein Abendland untergeht. Auch dies ist eine Nachricht die ordentlich präsentiert werden muss, selbst wenn man es besser weiß, nämlich, dass die Welt am 1. Januar 1970 begann und am 19. Januar 2038 um 03:14:08 untergehen wird – dies als kleiner Kollateral-Trost für alle, die sich gerade über die Sommerzeit ärgern.

*** Jetzt, da das Abendland doch untergegangen ist, sollte man mal nachschauen, um was es eigentlich ging. Jedenfalls nicht um Online-Journalismus versus Print-Journalismus oder um jung gegen alt. Das gute alte Abendland wird an seinen krimmigen Grenzen zum Beispiel durch einen ständig erregten Journalismus beschädigt, dem das Orwellsche "Auftauchen, um Luft zu holen" fremd ist. Oder durch eine atemberaubende Ignoranz der Journalisten, die sich als Speerspitze des Internet-Journalismus feiern lassen im Hoodie und dann so antworten:

Nachdem inzwischen alle Sicherungssysteme geknackt werden können, wie der einschlägigen Presse zu entnehmen ist, wollen wir unseren Nutzern nicht falsche Sicherheitsgefühle durch Kommunikation einer vermeintlich sicheren Methode geben. Deshalb auch haben wir keinen anonymen Briefkasten etc. Nur analoge Kommunikation kann halbwegs gesichert werden.

So sieht er aus, der Untergang des Abendlandes. Nur analoge Kommunikation ist halbwegs sicher, beim heiligen Foschepotherus. Vor nunmehr einem Jahr kontaktierte der Whistleblower Edward Snowden den Journalisten Glenn Greenwald. Seit Sommer 2013 reißen die Veröffentlichungen über die Machenschaften der Geheimdienste wie NSA und GCHQ nicht ab. Seit dieser Woche ist bekannt, dass einem großen Blatt wie dem Guardian mit der Schließung gedroht wurde im ach so demokratischen Großbritannien. Aber bitte weitermachen mit der Ablenkung. Welcher Hoodie-Typ bis du, das ist genau die Frage der Stunde.

*** Keine falschen Sicherheitsgefühle mehr! Während Journalisten auf Nabelschau sind, diskutieren IT-Leute, wie das eigentlich gehen soll mit der technologischen Souveränität Deutschlands, die unter dem Eindruck des NSA-Skandals in den Koalitionsvertrag gewandert ist. Kommt es wirklich auf Dezentralisierung, freie Software und Verschlüsselung an oder ist die Erfolgsbilanz dieser Regierung etwas von der Art alter Handbücher? Wo sind eigentlich die beschlossenen leicht zu benutzenden Verschlüsselungsinstrumente für alle Bürger abgeblieben? Oder ist damit die Jubelarie Deutschland setzt auf verschlüsselte E-Mails gemeint, die uns aus allen deutschen Ecken des Netzes entgegendröhnt? Nicht einmal im Kleingedruckten findet sich dabei der Hinweis, dass E-Mail Made in Germany an allen Übergabepunkten im Klartext vorliegt und eine Ausleitung ein Leichtes ist.

(http://2.f.ix.de/imgs/18/1/1/9/9/1/3/7/de-cix-9f43e062583e12d4.jpeg)
*** Am Ende wird sich die die technologische Souveränität des Koalitionsvertrages als technologische Schimäre herausstellen. Bestimmte Sachen können von der deutschen Industrie einfach nicht mehr hergestellt werden. Auf einer Diskussionsveranstaltung bekannte Klaus Landefeld vom weltgrößten Internet-Knoten De-Cix freimütig, dass er keine deutschen Alternativen zu der in Frankfurt eingesetzten Hardware kennt. Wenn es unbedingt deutsche Technik sein muss, müsste diese als teurer Eigenbau selbst entwickelt werden. Selbst der deutsche Hersteller Lancom bekennt unter der Hand freimütig, dass solche Systeme in wirtschaftlich vertretbaren Mannjahren nicht entwickelt werden können. So heißt es noch in der mehrfach mit Preisen ausgezeichneten Diplomarbeit von Agata Królikowski über Deep Packet inspection unter Berufung auf Procera Networks: "PI-Systeme sind leistungsfähig genug, um an zentralen Internetknoten wie dem De-Cix Echtzeitanalysen des gesamten Internetverkehrs in Deutschland durchzuführen."

*** Seltsamerweise hat bereits Heinrich Heine etwas Passendes zur technologischen Souveränität des großkoalitionären Vertrages gedichtet, die schöne neue Klaut-Technologie eingeschlossen. Zwar schrieb Heinse niemals bräsig im Politikersprech davon, dass man "Deutschlands Zukunft gestalten" müsse, nein, er brachte es viel feiner auf den Punkt:

Franzosen und Russen gehört das Land,

Das Meer gehört den Briten,

Wir Deutsche aber besitzen im Luftreich des Traums

Die Herrschaft unbestritten.

Was wird.

Jetzt, da das Abendland untergegangen ist, kann man in Neuland in großer Ruhe weitermachen wie bisher. Am Montag ziehen die ersten 170 Schlapphüte in die neue BND-Zentrale ein. Der undemokratische Sektor Berlins wird vom Kanzleramtsminister eröffnet, auf dass der Umzug der 7000 Experten für Staubsaugertechnik beginnen kann. Viele freuen sich schon über die neue Aufgabe, in Gedenken an Richard Gehlen wieder eine Sonderkartei der Politiker anlegen zu können, so als nettes Gegenstück für die besondere Datenbank "Nymrod" der Staats- und Regierungschefs, die die NSA angelegt hat.

Stören könnte dabei vielleicht der 1. April. An diesem Datum wetteifern der Print- wie der Online-Journalismus ungewöhnlich engagiert darum, möglichst wahre Nachrichten zu veröffentlichen. Unglaubliche Entdeckungen stehen an, auch wenn die Wahrheit sich erst nachträglich einfindet. Man denke nur an den in einem Alu-Hoodie geschriebenen c't-Artikel über RFID-Chips in Autokennzeichen, etwas, was 2006 mit der Einführung einer PKW-Maut wieder angedacht wurde. Bekanntlich will die große Koalition schnellstens die PKW-Maut einführen, womit das Thema seine zeitlose Aktualität beweist.

In diesem Jahr ist der beste Aprilscherz auf den 8. April vertagt worden. Das ist der Tag, an dem viele Menschen der norddeutschen Tiefebene befreit auflachen und ihre Liebe zu Windows XP bekennen werden wie in dem Film Her. Über diese Liebe zu einem von Scarlett Johannson gesprochenen Betriebssystem schreiben alle, Print wie Online recht abstruse Sachen. Jajaja, aus dem gehörten Wort ward Fleisch, aber das hatte G^tt auch schon mal geschafft. Später, wenn die Liebe abgeklungen ist, kommen die verstörenden Szenen einer Ehe, auf 46.500 Zeilen. Na, will sich noch jemand ins Teufelszeug neu verlieben? Wie sprach G^tt übrigens zum Detail-Teufel frei nach Heine? Liebe kleine Katzen kommen vor den Menschen, das gildet nicht nur im Internet:

Ich der Herr kopier mich selber,

Nach der Sonne mach ich Sterne,

Nach den Ochsen mach ich Kälber,

Nach den Löwen mit den Tatzen

Mach ich liebe kleine Katzen,

Nach den Menschen mach ich Affen;

Aber du kannst gar nichts schaffen.

(Heinrich Heine, Schöpfungslieder)

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 06 April, 2014, 06:24
Die versteinerten Verhältnisse zum Tanzen bringen, indem man ihnen ihre eigene Melodie vorsingt - daran ist schon so mancher gescheitert, befürchtet Hal Faber. Was nicht heißt, es nicht doch immer wieder zu versuchen.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Es war nicht mehr der erste April, jener Tag, an dem man keine Witze macht, weil das Leben selbst ein urheberrechtlicher Witz ist. Doch schon am Tag darauf war der unbestechliche Newsticker von heise online Bestandteil einer hübschen Diskussion im Bundestag, als der Artikel Friedrich erhebt Sicherheit zum "Supergrundrecht" im Hohen Haus diskutiert wurde. Nein, es ging nicht um den sommerlich vorgezogenen Aprilscherz eines Supergrundrechtes oder um den edathyierten CSU-Minister. Im Bundestag debattierte man wieder einmal, was denn die Bundesregierung beim liebsten Bündnispartner macht, der seine NSA offenbar nicht mehr unter Kontrolle hat. Wie hört sich das eigentlich an, wenn "die kritische Haltung zu Umfang und Ausmaß der öffentlich bekannt gewordenen Spionageaktivitäten der NSA deutlich zum Ausdruck gebracht" wird, wie es im Protokoll heißt? Mit einem schlichten, einfachen "Ja" antwortete da der Staatssekretär Ole Schröder auf die Frage, ob es nicht zutreffe, dass die USA die Fragen der Bundesregierung nicht ausreichend beantwortet. Der dann folgende Wortwechsel hat das Zeug, zum Aprilscherz des Jahres:

Andrej Hunko, die Linke: "Wenn Sie selbst jetzt schon sagen, dass das unzureichend ist, frage ich Sie: Gehen Sie davon aus, dass Sie jemals Antworten auf die gestellten Fragen bekommen werden, oder glauben Sie, dass Sie die Antworten nicht bekommen werden?

Dr. Ole Schröder, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Ich bin eher skeptisch, dass wir unmittelbar von den USA sämtliche Antworten bekommen und dass wir sie dann auch dem Parlament öffentlich bekannt geben können. Nichtsdestotrotz müssen wir dafür sorgen und alles dafür tun, unsere Informations- und Kommunikationssysteme so auszustatten, dass sie vor Spionage geschützt sind.

*** Wir bekommen keine Antwort und wenn wir sie doch bekommen, sind die Auskünfte so schwer geheim, dass nicht einmal die Einstufungsklasse streng geheim ausreicht. Also darf niemand darüber reden, nicht einmal im NSA-Untersuchungsausschuss. Dieser tagte 13 Minuten lang öffentlich, ehe er sich schwer geheimen Fragen zuwandte, die nicht für öffentliche Ohren bestimmt sind. Die Frage, ob der Whistleblower Edward Snowden als Zeuge in irgendeiner Form vor dem Ausschuss aussagen kan, ist geeignet, die öffentliche Ordnung der Bundesrepublik oder einer ihrer Bundesländer zu stören. Das Staatswohl überwiegt nicht nur das öffentliche Interesse an einer Aufklärung des Schnüffelskandals, es überwiegt den parlamentarischen Informationsanspruch, es ist halt ein "Suchergrundrecht" ganz eigener Art. Wie wäre es mit NSA-NSA? Zur "National Security Agency" tagt dann der "Nichts Sagende Ausschuss", der die bundesdeutsche Skotomisation trefflich illustriert.

*** Ist dies auch Wahnsinn, so hat es doch Methode. Bekanntlich haben der Premierminister Erdogan und seine AKP die Regionalwahlen in der Türkei gewonnen und sind drauf und dran Erdoganistan zu errichten, auch wenn es Rückschläge gibt wie den freien Zugang zu einem Medium, in dem die Türkei uns längst überholt hat. Bleibt noch abzuwarten, ob die Entscheidung gegen die Youtube-Sperre auch umgesetzt wird. Bekanntlich führte ein über Youtube verbreiteter Audio-Leak über eine mögliche False-Flag-Operation gegen Syrien zur Sperre. Was sagt unsere Bundesregierung dazu, in Gestalt des "Europa-Staatsministers" Michael Roth? "Wir nehmen grundsätzlich zu offensichtlich illegal beschafften Aufnahmen nicht Stellung." Im Fall der nicht minder "illegal beschafften Aufnahmen" von Julia Timoschenko sah das übrigens ganz anders aus, da sprach man umunwunden kritisch von Gewalt-Phantasien jenseits der Grenzen in Sprache und Denken. Wir lernen: Es gibt gute und schlechte Leaks.

*** Leaks, Leaks, Leaks, da war doch was? Bei all den Debatten um Edward Snowden und die Möglichkeiten der NSA läuft Julian Assange mit seinen Wikileaks in Gefahr, vergessen zu werden. Der Ruhmesgipfel, den Wikileaks vor vier Jahren mit einem Aprilernst erreichte, ist ziemlich verblasst. Wenn Snowden-Dokumente weiter in diesem Stil veröffentlicht werden, wird Assange nach einer Berechnung von John Young 68 Jahre alt sein. Eine Serie von ausgewählten Interviews mit dem Mann in der ecuadorianischen Botschaft zu London soll das Vergessen verhindern. So erfahren wir im deutschen Wall Street Journal, dass Geheimdienste ganze Arbeit leisten und in die Fußstapfen von Wikileaks treten. Wir lernen in diesem sportiven Wettbewerb, dass Assange nicht "all die verschiedenen Sicherheitstechniken und Produkte, die wir nutzen", nennen kann. Dies im hübschen Kontrast zu den Leaks-Gefährten von Edward Snowden, die eine Werbekampagne für Tails gestartet haben. Wir lernen aber auch dank Focus, dass laut Assange Bundeskanzlerin Merkel sich um die digitale Unabhängigkeit kümmert: "Zum Glück hat Angela Merkel hier die Führung in Europa übernommen." Eine starke Frau mit starken Worten, starken StartUps und ein starkes BSI: Herz, was willst du mehr? Bei Hochdruck keine Dienstpausen des BSI am Wochenende? Wir. Leben. In. Deutschland.

*** Anja Niedringhaus war eine große Fotografin, die sich niemals wie Marie Colvin als Kriegsreporterin bezeichnet hat. Sie wurde in Afghanistan erschossen. Vor ihr starben Sardar Ahmad und Nils Horner. Alle drei wollten über die friedlichen Wahlen in Afghanistan berichten. It's a long lonely journey from death to birth, heißt es in den Last Days über einen anderen Tod, dessen eine Konsequenz ist, dass ein guter Teil von Cobains Verwertungsrechten nun sinnigerweise bei der sauberen Hausfrau Martha Stewart liegt.

*** Symptomatisch, dieser Ausverkauf? Wie man es nimmt. Nun ist es auch schon 20 Jahre her, dass der letzte Rebell des weißen Popkultur-Bürgertums in den westlichen Industrieländern aufgab, ein letztes Aufbäumen gegen das apokalyptische "Nach-mir-die-Sintflut"-Strebertum der gruseligen 80er. Here we are now, entertain us. Mit Grunge, der Apotheose des Punk, verliert sich der Aufstand im Nihilismus, macht aber nochmal gute Musik. Müßig daher die unsägliche Diskussion, ob Kurt Cobain überhaupt etwas zu sagen hatte. Nihilismus ist immer noch ein überzeugender Grundakkord, um die versteinerten Verhältnisse dadurch zum Tanzen zu bringen, dass man ihnen ihre eigene Melodie vorsingt.

Was wird.

Zur deutschen Führung in Europa gehört im Sinne dieser Logik auch die überraschende Entscheidung für die Netzneutralität des Europäischen Parlamentes, die der Wirtschaft gar nicht gefällt. Noch kann der Rat der Europäischen Union den Beschluss ändern, aber da ist ja Merkel vor, die wie eine Löwin um die "Rückgewinnung der technologischen Souveränität" und um ein "Völkerrecht im Netz" kämpfen wird, wie es in ihrem Regierungsauftrag heißt. In Stuttgart tagt der IT-Planungsrat mit Referaten wie "E-Government im Dschungelcamp" und den Nutzen von Klaut-Diensten. Die Lösung, wie Bürger leicht zu benutzende Verschlüsselungsinstrumente bekommen können, wurde vom Programmplan genommen. Einerseits ist Deutschland das Land der Dichter und Denker, andererseits föderal. Wie lästerte dereinst Madame de Staël noch über Deutschland? Das Wort unmöglich hört man hundertmal in Deutschland aussprechen, gegen einmal in Frankreich.

In Leipzig berät der Verband für Sicherheitstechnik über die Kriminalistik 2.0 und die "Underground Economy". Nein, der "tiefe Staat" ist damit nicht gemeint, der im Zuge der Edathy-Affäre Stück für Stück erkennbar wird, mit einem außer Kontrolle geratenen Bundeskriminalamt. Dort gibt es Kriminalkommissare mit einer Sonder-Berechtigung, alle elektronischen Datensätze abzurufen. Was im Fall von Edathy angeblich nicht genutzt wurde. Gut möglich, dass der bekannte Vortrag "Kriminalistik 2.0" von BKA-Chef Jörg Ziercke der letzte seiner überlangen Karriere ist. Aber es gibt immer auch Anfänge mit einem besonderen Zauber innen drinne: Lust auf Gutachten zur Dekryptierung?

Öch, ächz, immer dieser Verschlüsselungkrams? Aber genau dieses kleine bisschen IT ist der kritische Punkt, an dem nach dem ollen Hegel alles schön koalitionsvertraglich festgelegte Gerede von der technologischen Souveränität umschlägt ins Greifbare, wenn auch nur in Bits'n'Bytes. Aber es rockt. In der abgelaufenen Woche hat der kleine Bielefelder Verein Digitalcourage für seinen an Tails erinnernden PrivacyDongle in der Veste Oberhaus zu Passau den For...net Award gewonnen. In dieser Woche vergibt er selbst die Preise, die nicht unbedingt stolz machen. Die Big Brother Awards 2014 werden in der Hechelei verliehen. Wer im Nirvana nicht Bescheid weiß, darf jetzt die Bielepedia konsultieren.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 13 April, 2014, 06:19
Das Vergangene ist nicht vergangen, es ist nur auf Vorrat gespeichert. Oder doch nicht, fragt sich Hal Faber? Ach, irgendwas wird hängenbleiben, wenn ein blutendes Herz auch nur zu schlechten Verschwörungstheorien taugt.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Da treffen wir uns schon wieder in diesem Internet, das immer dann zum rechtsfreien Raum deklariert wird, wenn einem das Netz nicht passt. Ein Edathy-Gesetz muss her, das Nacktaufaufnahmen von Kindern unter Strafe stellt, "die ohne sinnstiftenden Zusammenhang allein auf die sexuelle Errgung des Betrachters abzielen". Gespannt darf man sein, wo der sinnstiftende Zusammenhang und damit das Reich der Kunst beginnt, was Posing ist und wie eine heimliche Aufnahme erkennbar wird. Sitte und Anstand werden im Zeitalter der Selfies und Google-Gläser neu verhandelt. Viel Arbeit für einen Justizminister, der sich nach dem Urteil von Luxemburg auch noch um eine angemessene Mindestspeicherung kümmern muss. Geschichte wird gemacht, es geht zurück, könnte man mit den Fehlfarben trällern. Auch der Jugendschutzfilter ist wieder da. Wir bewegen uns zurück in die prüden Jahre, als der Bundesnachrichtendienst mit Mister Dynamit – morgen küsst euch der Tod den deutschen James-Bond-Kracher produzieren wollte. Der Flop soll jetzt als DVD ein Renner werden.

*** Ach, das gehört nicht zusammen? Vielleicht doch. Das Vergangene ist nicht vergangen, es ist nur auf Vorrat gespeichert. Da mag der Kommentator richtig liegen, wenn er die große Koalition als konservierendes Element der deutschen Politik sieht und von den Überwachungsgegnern ein Spiel auf Zeit fordert, das ein Fünkchen Hoffnung in eine neue, bessere Zeit weiterträgt. Aber ob der zur Not vorgeschlagene Kompromiss wirklich hinkommt, nur die IP-Adressen der Black Box Internet zum Speichern zu geben und auf die "deutlich heiklere Vorratsspeicherung der Telefon-, E-Mail- und Mobilfunkdaten" zu verzichten? Da dürften die Koalitionäre aus dem Lachen nicht mehr herauskommen und die schlapp Behüteten um die Kunstpalme tanzen. Wie dokumentierte es Peter Galison mit einem NSA-Zitat in dem Blatt, in dem das Bürgertum gegen die digitale Unterdrückung kämpft? Ein internes Papier aus dem Jahre 1998 bringt es auf den Punkt:

"In der Vergangenheit operierte die NSA in einer überwiegend analogen Welt von Punkt-zu-Punkt-Verbindungen, die über diskrete, feste Sprechkanäle liefen. Der Zugang zu diesen Verbindungen konnte meistens auf konventionellem Weg hergestellt werden. Inzwischen findet Kommunikation überwiegend digital statt, mit Milliarden von Bits, über Sprache, Daten und Multimedia. Sie wird dynamisch weitergeleitet, ist global vernetzt und stützt sich immer weniger auf traditionelle Kommunikationswege wie Mikrowelle oder Satelliten. Um ihren offensiven und defensiven Auftrag erfüllen zu können, muss die NSA ‚im Netz leben‘."

*** Der erwähnte Peter Galison beschäftigt sich in seinem Artikel mit der Bedeutung der Zensur bei den Traumdeutereien von Sigmund Freud, mit der Militärzensur – und mit der alltäglichen Selbstzensur, die alle Netzidentitäten beschäftigt wie beschädigt, wenn man sich nicht traut, nach einem Begriff wie Gentrifizierung zu googeln oder zu yandexen. Es könnte auffallen, es könnte die Schnüffler und Beobachter und Auswerter aufmerksam machen auf einen Bürger, der zwanghaft nichts zu verbergen haben darf. Der sich nichts traut, nichts sucht, und unauffällig geht im Vorfeld der künftigen Smart Cities, in denen alle Straßenlaternen mit Kameras und Sensoren ausgerüstet sind, die Bilder zur automatischen Gesichtserkennung in die Cloud schicken.

*** Was ist nur mit dem Aufstand der Bürger los, die sich selbst zensierend so unter der Digitalisierung ächzen? Die wie ein Enzensberger alle Handys wegwerfen, wie ein Sascha Lobo im Netz nur noch ein Kontrollmedium sehen? Die nicht die geringsten Probleme damit haben, digitale Folter einzusetzen. Diesem verängstigten Bürgertum fehlt das Subjekt, das im Zeitalter der Industrialisierung automatisch mit eben dieser Industrialisierung entstand: die Arbeiterbewegung. An diesem Wochenende findet das tazlab statt, auf dem die Cypherpunks der 90er als Vorläufer moderner Hacker gefeiert werden. Die Hacker selbst werden dabei umstandlos zu den neuen Revolutionären erklärt, die mittels Hacking, Leaking, Sabotage die neue Gesellschaft vorbereiten. Und hach, das Zentrum dieser revolutionären Avantgarde ist das Berlin, wo es das Netzwerk des Chaos Computer Clubs, die cBase und die vielen netzpolitischen Zirkel gibt, immer bereit, sich schützend vor die Hacker-Avantgarde zu stellen. Berlin, wo Jacob Appelbaum, Sarah Harrison und Laura Poitras in einer Art Exil leben – wobei Poitras zusammen mit Glenn Greenwald unbehelligt in die USA einreisen konnte, um den Polk Award entgegenzunehmen. Ob das ein Indiz für ein Umdenken ist, muss sich zeigen. Die Hacker-Avantgarde kann sich jedenfalls feiern lassen. Aber sonst so? In der Wochenend-taz, derzeit noch nicht online, gehen Hacker und Hartzler gemeinsam auf die Barrikaden des Widerstandes.

"DieAusgangsbasis für eine nächste, zivilgesellschaftliche Angriffswelle liegt also – eigentlich – nahe. Doch bislang ist weder die Strategie geklärt noch die Frage, wer sich dieser Avantgarde anschließen kann und darf. Diejenigen, die sich zu wehren wissen, betrifft die digitale Durchleuchtung schließlich am wenigsten. Für die Bezieherin sogenannter Hartz-IV-Leistungen, die sich vor dem Staat existenziell offenbaren muss, ist die informationelle Ausbeutung und Ernierdigung, die sie erfährt, relevanter. Ihr muss die Befreiung gelten."

*** Befreit vom Amt des NSA-Ausschussvorsitzenden hat sich Clemens Binninger. Ihm wurde die Aufgabe zu unsachlich, nicht weil es um Sachen und Dienste, sondern weil es um eine Person geht, die seine Partei behandelt, als habe sie eine besonders ansteckende Krankheit. Die Rede ist natürlich von Edward Snowden, der einen Preis, den Julia-und-Winston-Award erhielt und eine Laudatio bekam, die es in sich hatte, nicht nur wegen der ansteckenden Krankheit:

"Widerstand ist ein Wort, das man mit dem Aufbegehren gegen ein diktatorisches Regime verbindet. Widerstand ist aber auch in der Demokratie, auch im Rechtsstaat notwendig. Widerstand heißt in der Demokratie nur anders: Er heißt Widerspruch, Zivilcourage, aufrechter Gang oder auch einfach – Edward Snowden."

Der Preis sind 1 Million Aufkleber, die Asyl für Edward Snowden fordern. Spam-bereinigt sind bereits 100.000 Stück bestellt worden. Dabei ist die Frage strittig, ob ein Asyl in Deutschland für Snowden so viel besser ist als die zur Verlängerung anstehende Asylgewährung im Russland von Vladimir Putin. Auf einer Veranstaltung hielt man das für zu gefährlich und ansonsten wird die deutsche Staatsbürgerschaft als Sicherungsmaßnahme gefordert.

*** Was war da noch? Gestern quälte uns der Qualitätsjournalismus mit dem langweiligsten Tag des Jahrhunderts. Angeblich war der 11.4.1954 eine Wüste der Ereignislosigkeit, aber hey, man wird doch abstauben dürfen bei einer alten Meldung. Bei solch geballtem Unsinn mache ich das, was mein Philosophie-Professor lehrte: In den Spiegel gucken. Am 11.4.1954 sind in Vietnam von einem französischen Fallschirmjägerbatallion (130 Soldaten) ganze sieben Mann übriggeblieben, "aus denen kurz darauf – als sie in ein Minenfeld geraten – drei geworden sind; die laut in die Nacht hinausbrüllen." Im Osten nichts Neues.

Was wird.

Sollte man da nicht lieber das Wochenende bei all dem Ticker-Tamtam und den schlechten Verschwörungstheorien um Hartbleed zünftig nutzen, um das Jubiläum von Rock Around the Clock zu feiern? Oder wenigstens mal rumsuchen, was eine "postapokalyptische Sexfantasie" ist? Atombomben können nämlich segensreich sein:

Last night I was dreaming,
Dreamed about the H-bomb,
Well, the bomb went off,
And I was caught,
I was the only man underground.
There was a thirteen women,
And only one man in town.

Heimlich, still und leise, ganz ohne Knall und Atompilz, zieht in der nächsten Woche der Termin vorüber, an dem die Bundesregierung die letzte Chance hätte, den 10-Jahres-Vertrag mit der Firma Toll Collect zu kündigen. Toll Collect sammelt in Deutschland und bei den ausländischen LKW die Maut ein. Laut den immer noch schwer geheimen Mautverträgen kann der amtierende Mautrechenmeister,  Mister 50 Mbit Alexander Dobrindt noch formlos bis 2018 verlängern. Dann aber ist Schluss. Spätestens dann, wenn nicht schon im Januar 2015, wird die daher die Bundesregierung Toll Collect in Eigenregie übernehmen und dafür den Partnern in diesem Konsortium die 7 Milliarden erlassen, die diese für den Fehlstart der LKW-Maut als Schadensersatzleistung zahlen müssten. Wo schon das Gesetz zur Antiterror-Datei heimlich, still und leise mit erweiterten Datennutzungen nachge"bessert" wird, dürfte auch das bisher recht strikte Mautgesetz den Erfordernissen des neuen Besitzers angepasst werden.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 20 April, 2014, 06:09
Geschichte wird gemacht, und Hal Faber fragt sich, wem sie gehört, die da gemacht wird. Aber je nach Interpretation schäumen die einen oder anderen üblichen Verdächtigen. Business as usual, wenn es nicht so traurig (und gefährlich) wäre.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Wem die Geschichte gehört? Gute Frage, nicht nur für Krimi-Autoren. Angesichts mancher aktuellen Debatte über Geschichte oder Nicht-Geschichte verrutschen offensichtlich schon mal die Kategorien. Aber vor seltsamen Freunden schrecken die Deuschen ja eher selten zurück. Dass es in Deutschland nicht, wie in Italien, eine "Strategie der Spannung" des Staates erforderte, mag auch mit den Bahnsteigkarten zusammenhängen, die deutsche Revolutionäre unbedingt benötigen.

*** Aber hach, Geschichte, ja. Das waren noch Zeiten, als 1994 die erste weibliche Jungfernschaft im Web verhökert werden sollte und James Exon vor lauter Empörung den Communications Decency Act vorschlug. Als Exon in Ermangelung von Google Translate in den USA den Titel "Oberststurmbahnführer des Digitalen Autobahns" bekam und Hustler erfolglos den Titel seines Porno-Internetmagazins "Hard Drive" zu schüzen versuchte. Heute geht Nackigmachen anders und bringt weniger ein: ein gewisser Shawn Buckles hat – natürlich für einen guten Zweck – seine gesamten Daten in einer Auktion versteigert und dafür schlappe 250 Euro bekommen. Eine enttäuschende Summe, jedenfalls in den Augen von Blackout-Guru Marc Elsberg. Sein nächstes Buch Zero geht nämlich von der Annahme aus, dass so ein menschlicher Datenhaufen ab 2000 Euro aufwärts zu kaufen ist. Gewinner der Auktion war der Kongressveranstalter The Next Web. Der will die Datenseele von Buckles nutzen, um zu zeigen, dass Privatsphäre ein überbewertetes Konzept ist.

*** Hat sich auch Edward Snowden verkauft, als er in einer russischen Fernsehsendung auftrat und Putin eine Frage stellte? Die üblichen Verdächtigen schäumen über und sprechen von Beweisen, dass Snowden eine Marionette des Kremls ist. Snowden sieht das anders und verweist auf die Aussage des DNI-Direktors  James Clapper vom März 2013, dass die NSA keine Daten irgendwelcher Art über Millionen Amerikaner speichern würde. Diese Aussage war bekanntlich die Initialzündung für Snowden, mit der monströsen Sammlung von 1,7 Millionen Dokumenten abzutauchen und sich ins Ausland abzusetzen. Er habe Putin exakt dieselbe Frage stellen wollen, die Clapper gestellt wurde, rechtfertigte sich Snowden. Sein Argument: Ehe jemand der Lüge überführt werden kann, muss er gelogen haben. Die nicht von Snowden ausgesprochene Hoffnung, dass jetzt ein russischer Snowden seine Dokumente zusammensucht und abtaucht, muss man sich dazu denken. Ein Satz in dieser Richtung durfte es nicht geben. Putins Antwort in der Versicherung der Rechtsstaatlichkeit bei Betonung der terroristischen Bedrohung könnte von James Clapper stammen oder von Barack Obama an Merkel übermittelt werden:

"Mr Snowden, you are a former intelligence officer, and I have worked for an intelligence agency, too. So let’s talk like two professionals. To begin with, Russia has laws that strictly regulate the use of special equipment by security services, including for the tapping of private conversations and for the surveillance of online communications. They need to receive a court warrant to be able to use this equipment in each particular case. So there is no, and cannot be any, indiscriminate mass surveillance under Russian law. Since criminals, including terrorists, use these modern communication systems for their criminal activity....."

*** Zwischen Professionellen gibt es immer offene Worte, doch was ist mit professionellen Politikern? Zwischen dem aufgeregten Gebrabbel über Putins Vasallen ging der Verweis des Berliner Datenschützers Dix zum freien Geleit für Snowden etwas unter. Mit dem freien Geleit haben Deutschland wie Russland ja beste Erfahrungen gemacht: "Auf dem Weg zum finnischen Bahnhof" ratterte Lenin einstmals in einem versiegelten Zug, der kurzerhand zum exterritorialen Gebiet erklärt worden war. Wer nachliest, wie sich unser Bundesinnenminister mit dem freien Geleit schwertut, kann schon nachdenklich werden:

"Es gibt ein Rechtshilfeabkommen mit den Amerikanern. Die Amerikaner sagen, Herr Snowden hat sich strafbar gemacht. Das wäre ein Auslieferungsgrund. Es gibt aber auch andere Erwägungen, die dabei zu berücksichtigen sind, das sogenannte "Sichere Geleit" und vieles andere mehr. Das sind komplizierte Rechtsfragen, die es so auch noch nicht gegeben hat. Und wir haben Zeit und brauchen die Zeit auch, bis zum 2. Mai, um alle diese Fragen aus Sicht der Bundesregierung zu beantworten.

Und aus Sicht der Bundesregierung ist die theoretische Möglichkeit eines politischen Asyls für Herrn Snowden in Deutschland vom Tisch?

Asyl kann man nur beantragen, wenn man in Deutschland ist und Herr Snowden ist nicht in Deutschland.

Er müsste also hier sein, und wenn das der Fall wäre, wäre das zumindest rechtlich denkbar aus Ihrer Sicht?

Ich kann nicht erkennen, dass es in den USA eine politische Verfolgung gibt.

Aber eine rechtliche. Und Deutschland hat ein Interesse an der Aussage von Herrn Snowden.

Strafverfolgung in einem demokratischen Staat ist kein Grund politischer Verfolgung. Wenn wir so anfingen, das wäre eine völlige Verkennung des Asylrechts."

*** Ganz Macondo trauert. Gabriel García Márquez ist gestorben. Der Beweis dafür, dass Journalisten Nobelpreisträger werden können, ist verloschen. Der Mann, dem gleich mit der ersten Reportage "Bericht eines Schiffbrüchigen" ein schonungsloser Bericht über korrupte Eliten gelang, bereiste einst die DDR, wo "das Volk" die Macht übernommen hatte. Seine Reportagen vom traurigsten Volk der Erde, das er je gesehen hatte, waren für etliche Menschen der Kick, sich von dieser Spielart des Sozialismus abzuwenden. Man sollte lesen, wie die Bananenfirma in Macondo hauste – und dann im Gedenken an den Autor sich mit TTIP beschäftigen, dem Abkommen, dass die Macht großer Konzerne im Digitalzeitalter auf Generationen hinaus sichern soll. 587 Euro Mehreinkommen soll jede vierköpfige Familie in Europa pro Jahr nach Rechnung der Milchm, ähem, Macher zur Verfügung haben. Der Preis? Der Preis für eine internationale Kultur von Kafka über Proust und Hemingway, die einem Autor wie Gabriel García Márquez beflügelte, ist die universale Nivellierung. Freihandel und Kultur beißen sich. Statt Kultur will man nach TTIP nur noch der internationalen Kreativwirtschaft den Vorrang geben. Schon jetzt gibt es Spekulationen, welcher Unterhaltungskonzern die strikte Weigerung von García Márquez bricht und "Hundert Jahre Einsamkeit" verfilmt, natürlich mit den besten Mimen. So stellt sich die Systemfrage, nicht nur in der Tageszeitung:

Ist Kultur ein "freier Raum", in dem Menschen wahrnehmen, diskutieren und "machen" können, ohne von Staat und Ökonomie behindert, kontrolliert, missbraucht zu werden? Oder ist Kultur die geschmeidigste und anmaßendste Verbindung der Interessen von Postdemokratie und Finanzkapital: oligarches Privileg einerseits, Unterhaltung für die unnützen Massen andererseits?

*** Aber hey, vielleicht bleibt die Kultur widerständig und die Herren der neuen Welt vertun sich mit all ihren schönen Plänen zur Kreativwirtschaft. Vielleicht sind auch sie nur Papiertiger im Stil eines Springer-Managers, der offenbar nicht weiß, was seine Welt Google alles in die Such- und Analyse-Maschinen kippt. Mit Abstand ist das deutsch geschriebene Leistungsschutzrecht das beliebteste Beispiel US-amerikanischer Eingaben zum Thema TTIP, Handelshemnisse und Kreativwirtschaft.

Was wird.

Hach, das waren noch Zeiten! Am Ostermontag gibt es ein historisches Hasenfest, da wird der Game Boy 25 Jahre alt. Auch wenn er erst Ende 1990 in Deutschland zu haben war, wurde der mobile Tetris-Player zu einem Riesenerfolg mit 119 Millionen Geräten. Nicht nur das Computerspielemuseum dürfte den Tag feiern. Und wo so viel von Kultur und Verkauf der Seelen die Rede war, darf ein weiterer kultureller Höhepunkt unserer Ziuvilisation nicht fehlen. Am kommenden Mittwoch vor 25 Jahren startete die erste Folge von Baywatch (bei uns: Die Rettungsschwimmer von Malibu) mit dem großen Körper-Mimen David Hasselhoff. Die erfolgreichste US-amerikanische TV-Serie des 20. Jahrhunderts, in Deutschland einstmals als Erotikthriller fastjugendgefährdend eingeordnet. Was war das für eine tolle Zeit, in der knackige Jungen und Mädchen mit großen Brüsten noch RettungsschwimmerInnen werden wollen und nicht HochfrequenzhändlerInnen bei Goldmann Sachs. Die Bloßstellung der Körper ist heute drauf und dran, zu einem schlimmen Vergehen stilisiert zu werden, und das auch noch von Sozialdemokraten.

Was bleibt von all dem in der Brandung der Geschichte übrig und was kommen wird, das werden wir ja sehen und hören, wenn der große Mime Hasselhoff auf der re:publica 2014 zusammen mit Mikko Hyppönen vom Sponsor Fsecure ein Manifest der digitalen Freiheit vorstellen wird. Oder sind es viele digitale Freiheiten wie die Ballung von Konferenzen, Subkonferenzen, Droidconferenzen und Linuxtagen, in der man zu ertrinken droht? Egal, Hasselhoff rettet alle, mit dieser lustigen Kulturtorpedoboje unter dem Arm. Dazu spendiert uns Google natürlich den Baywatch-Klassiker Slave to Love mit dem demnächstigens von der Kreativwirtschaft preisgekrönten Brian Ferry.

Quelle : www.heise.de
Titel: Re: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: Jürgen am 21 April, 2014, 02:11
Zitat
...Deutschland hat ein Interesse an der Aussage von Herrn Snowden....
Wenn das so wäre, könnte ein dt. Gericht oder Untersuchungsausschuss auch leicht eine Delegation nach Russland senden, um ihn dort zu sprechen, wie schon von Anderen vorgemacht. Das dies nicht geschieht und noch nicht einmal vernehmlich diskutiert wird, belegt für mich umfassendes Desinteresse von Justiz und Politik.

Jürgen
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 27 April, 2014, 06:00
Nimmermehr! Echt? Nicht lieber immer mehr? Manchen Leuten kann man die Prinzipien des Rechtsstaats gar nicht oft genug erzählen. Aber nimmermehr wird sich ihre Seele aus den Untiefen des Unverständnisses erheben, befürchtet Hal Faber.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Nimmermehr! Wo denkst Du hin: Immer wenn du denkst, es geht nicht mehr, kommt ein schlimmeres "Immer mehr": Immer mehr Kleingärtner, die weder Jäger noch Bauern sind, werfen die Flinte ins Korn. Stille ist immer mehr ein pures Luxusgut und immer mehr Leipziger werden kriminell, bis es irgendwann die ganze Stadt ist. Da wundert es auch nicht, wenn der vorratsdatenspeicherlose Staat immer mehr Bankdaten abfragt, wiewohl es richtiger wäre, dass die Daten immer öfter abgefragt werden.

*** So sterben die Zeitungen und mit ihnen der Qualitätsjournalismus: Es enttäuscht schon, wenn reißerisch behauptet wird, dass die über Leichen surfen, die gegen die anlasslose Speicherung unserer digitalen Lebensdaten kämpfen. Wenn dann keine einzige Leiche im Text auftaucht, sondern – Überraschung – wieder einmal von Kinderpornographie die Rede ist, welchselbige angeblich nur ein "Beispiel unter vielen" sein soll. Das Vorratsdatenvakuum, das uneinsichtige Politiker und trotzköpfige Beamte unbedingt auffüllen wollen, hat etwas Monothematisches: Da ist dann die Rede von einem "niederschwelligen Grundrechtseingriff" und davon, dass doch die Kinder geschützt werden müssen. Da sage einer Nein und schon ist er ein potenzieller Kindermitschänder. Dabei ist ein Nein für unsere Gesellschaft so wichtig, wie es ein Jurist in seinem Blog zu den 8 Mythen der Vorratsdatenspeicherung formuliert, wenn er auf die These antwortet, dass der Polizei wie etwa der NSA alle technisch möglichen Instrumentarien zur Überwachung der Kommunikation zur Verfügung gestellt werden müssten.

Nein. In einem Rechtsstaat gibt es keine Strafermittlung um jeden Preis. Darin besteht nämlich gerade der Unterschied zu Unrechtsstaaten wie der DDR, die jede Form der Überwachung und Kontrolle des Bürgers für legitim hielten. Der Rechtsstaat muss auf eine Totalüberwachung verzichten und damit eventuell einhergehende Defizite bei der Kriminalitätsbekämpfung in Kauf nehmen.

*** Die über die schreiben, die über Leichen surfen, sind ein lustiges Völkchen. Nicht weniger als 10 Tracker schickt mir das Blatt der klugen Köpfe, wenn ich den Artikel über die Datenmacht von Unternehmen aufrufe. Besonders lustig natürlich Google Analytics von der urbösen Firma Google, von deren Tun und Lassen nur "manisch-obsessive Technikfreaks" einen genauen Überblick haben. Nicht minder lustig ist es, den US-Amerikaner Jason Lanier von der "bizarren Sinnlosigkeit der endlosen Datenschutzdebatten" schreiben zu sehen, wo am Vortag in den USA ausgerechnet die ständig in den Nachrichten präsente NSA ihren ersten Datenschutzbericht vorlegte. Der ist zwar nach den im Vergleich zu deutschen Regeln schwächeren Fair Information Practice Principles erstellt worden, könnte aber ein wichtiges Signal der NSA an die Öffentlichkeit sein, nicht völlig unkontrolliert Daten zu sammeln.

*** Potzblitz, ein Krieg? Man kann es lang und ausführlich wie Gabriele Krone-Schmalz machen oder kurz und knackig wie Bettina Gauss: Was sich die Qualitätsmedien in ihrer Berichterstattung über Ukraine und Russland leisten, ist unfassbar schlecht und unausgewogen. Gegenüber dem, was Steinmeier appeliert, Kerry droht und Merkel murmelt, sind die täglich gebloggten Lagebilder und Einschätzungen der Profis die eindeutig bessere Quelle etwa über die Beobachter in der Ostukraine. Nimmt man die Vorgeschichte aus Chruschtschows Zeiten hinzu, lässt sich das "Verhalten des Kreml" erklären, während alle Seiten mit zunehmender Verlogenheit agieren. Und dann? Hoppla, ein Krieg ist da und die "Ehre des Westens" steht auf dem Spiel. "Keep calm and carry on", aber das ist längst eine App. Was bleibt, hat einer aufgeschrieben, der vor 450 Jahren geboren wurde und von Beginn an diese kleine Wochenschau begleitet:

Die Ehre treibt mich in die Schlacht. Gut, aber was, wenn die Ehre mich abschlachtet beim Schlachtfest, was dann? Kann Ehre ein Bein heil machen? Nein. Oder einen Arm? Nein. Oder Wundschmerzen stillen? Nein. Ehre hat also kein Geschick zur Chirugie? Nein. Was ist Ehre? Ein Wort. Was steckt in diesem Wort Ehre? Was ist diese Ehre? Luft. Schöne Rechnung, das! Wer hat sie? Der, der letzten Mittwoch starb. Spürt er sie? Nein. Hört er sie? Nein. Also merkt man nichts davon? Nein, die Toten nicht. Aber belebt sie denn nicht die Lebenden? Nein. Warum? Weil die Verleumdung es nicht zulässt. Darum will ich nix davon wissen. Ehre ist bloß ein Schleifenspruch am Grabkranz – und damit endet mein Katechismus. (Shakespeare, Heinrich IV, 1. Teil V.1)

Was wird.

Hach, wie war das noch? Der Arbeiter unternimmt etwas, damit Unternehmer arbeiten. Ja, das ist Brutalo-Dialektik made in Germany, aus dem hilligen Köllen. Dat Janze jittets auch in 1337er-Note oder in musikalisch. Am kommenden Dienstag will Microsoft in Berlin unter den Linden ausgewählten Journalisten das "Manifest für ein neues Arbeiten" vorstellen. Der Netz-Plebs bekommt es auf der re:publica präsentiert, wie man bei Microsoft nachlesen kann:

Als Microsoft haben wir wie viele andere auch #Neuland betreten und beackert, uns dabei Schwielen an den Händen geholt. Dafür können wir uns jetzt über die Früchte unserer Arbeit freuen. Wir sind in der digitalen Welt angekommen. Wir haben die Grenzen der Arbeit, wie unsere Vorfahren sie kannten, gesprengt.

Schwielen an den Händen beim Betreten von #Neuland durch etwas Mausgeschubse? Huch, huch. Hat der Werbetexter oder die Werbetexterin von Microsoft beim Grübeln über ein ordentliches Manifest zuviel Reden von der schwieligen Faust der Arbeiter gehört? Jaja, die Grenzen der Arbeit, wie unsere Vorfahren sie kannten, sind gesprengt: Dank E-Mail sitzen wir alle in der Hamsterfalle und lassen gehorsam das Smartphone an. Das neue Arbeiten ist hübsch beschrieben von einer Firma, die gerade im finnischen Espoo Nokias "On the Move" verschwinden lässt. Das Microsoft-Logo hängt schon, so schnell geht On the Move:

Wir wollen nicht länger am Schreibtisch festsitzen, sondern in virtuellen Teams an gemeinsamen Projekten arbeiten. Wir wollen unsere Kollegen treffen, auch wenn wir selber zuhause, mit unseren Kindern auf dem Spielplatz oder in der Pause auf der Wiese sitzen.

Auf der Wiese? Wie wäre es denn auf einer schönen Demonstration? Heraus, heraus zum revolutionären 1. Mai! Nicht nur die neuen Arbeiter bei Microsoft, sondern alle, die sich in #Neuland und drumherum schwielige Hände geholt haben, ziehen nach der antikapitalistischen Walpurgisnacht und dem Myfest durch Berlin. Es gibt die "revolutionäre 1. Mai-Demo" in Kreuzberg, die Demo des Deutschen Gewerkschaftsbundes, die Demo der NPD und die drei separaten Gegen-Demos der Grünen, der Linken und von Verdi, sowie, stilgerecht um ein paar Tage verpeilt, die Hanf-Demo der Kiffer. Ja, sollte in Deutschland doch einmal eine Revolution zum Zuge kommen, so lösen wir bitte alle mit der App eine Bahnsteigkarte.

Es gibt sie noch, die guten Alternativen zum Berliner Geraffel: Schauen wir nach München, wo das europäische Vintage Computing Festival stattfindet. Unbestrittener Star des Festivals ist diesmal eine Lilith von Niklaus Wirth, gewissermaßen der geniale Vorläufer des genialen Next des genialen Steve Jobs. Ja, damals, seufz. Heute haben wir nur noch den genialen Larry Page, den Bürgermeister der "Geisterstadt Google+".

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 04 Mai, 2014, 06:35
You load sixteen tons, and what do you get? Aother day older and deeper in debt! Ein Manifest für neues Arbeiten, ob das auf das Blogger-Klassentreffen passt? Hal Faber ist etwas ratlos.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Hallo, Leser. Möge die Macht mit dir sein, schließlich geht es weiter in diesem oder einem anderen Universum. Noch sieben Fakten gefällig? Ist doch besser als die Berichte aus der Ukraine, in denen freigelassene Militärbeobachter immer noch als OSZE-Geiseln tituliert werden und Putin der Darth Vader ist. Ich bin nach der Kritik an der ziemlich undurchsichtigen Berichterstattung angeblich ein Putin-Versteher geworden und muss mit diesem Makel leben. Niemand ist ein Netzwerk allein. Oder doch a mind that's weak and a back that's strong? Ach, wer Hal kommen sieht, muss nicht unbedingt das Weite suchen.

*** Sonst noch jemand, den die Rechte trifft, wenn die Linke nicht ins Ziel findet? Ach, Google. Da erklärt die neue c't haarklein, was Gooliath alles treibt und über einen speichert (und wie man sich dagegen wehren kann), aber nix über einen "Dienst über Vervollständigung von WWWW-Kolumnen", der doch eine echte Erleichterung für mich wäre. Ich vermisse auch einen Dienst, der mein Fahrrad orten kann. Es gibt noch viel zu tun, Google. Geheimverträge abschließen, damit die eigene Suche keine Konkurrenz bekommt, das ist sooo microsoftig und old-fashioned, dass man sich wundern muss, welcher Manager auf solche Ideen kommt. Aber es geht noch viel geheimer und schlimmer zu bei Google, wie Shoshanna Zuboff meint. Google saugt unser Leben aus, ganz langsam und unerbittlich schürft es all die seltenen Sachen zusammen, die unsere Individualität ausmachen sollen und speichert diese in geheimer Mission, natürlich für die NSA. Zuboff in Kurzfassungen: Weil das Internet so überlebenswichtig geworden ist, ist Google so urböse, denn es arbeitet mit Algorithmen in einer Weise, die wir nicht verstehen und für die wir uns nicht bewusst entschieden haben. Allen Ernstes beginnt die Hetze über Google mit dem bekannt falschen Beispiel von den Fröschen, die man langsam erhitzt. Nun sind Menschen etwas anders als Frösche gebaut und Duschen gerne heiß und heißer, bis es uns dämmert,

dass Google dabei ist, ein neues Reich zu errichten, dessen Stärke auf einer ganz anderen Art von Macht basiert – allgegenwärtig, verborgen und keiner Rechenschaft pflichtig. Falls das gelingt, wird die Macht dieses Reiches alles übertreffen, was die Welt bisher gesehen hat. Das Wasser ist nahe am Siedepunkt, weil Google diese Feststellung weitaus besser versteht als wir.

*** Worauf beruht nun Googles unerhörte Macht, vor der das deutsche Feuilleton nicht müde wird zu warnen? Auf dem Börsenwert? Auf der Tatsache, dass Google aus den Ereignissen um den 11. September 2001 am konsequentesten die Lehre zog und sich von der Suchmaschine zur Newsmaschine umbaute in härtester Konkurrenz zu jammernden Blattmachern? Angeblich beruht Googles Macht darauf, dass der Konzern keiner Art von Kontrolle unterworfen ist, wie die Autorin schon vor sechs Jahren im Gespräch mit Eric Schmidt erkannt haben will. Damals wurde nicht zum ersten Mal darüber diskutiert, ob das Firmenmotto von wegen "Nichts Böses tun" noch eine Bedeutung hat bei einem börsennotierten Konzern. Damals stellte Google Chrome vor und den von Oracles Larry Ellison übernommenen Plan, den NC, einen Network Computer, zu bauen. Was mit Chromebooks noch nicht so richtig läuft, hat bekanntlich mit Android sehr gut funktioniert. Glaubt man den Wissenschaftlern Kimberley Spreeuwenberg und Thomas Poell, war Android deswegen erfolgreich, weil Google zielgerecht bestimmte Lizenzregeln der Open Source einfach ignorierte und zu eigenen Gunsten veränderte. Was bleibt, hat die IT-Expertin Kara Swisher sehr schön zusammengefasst, deren Ehefrau Megan Smith bei Google als Vizepräsident keine kleine Rolle spielt:

She’s not a political person, she’s not a corporate person—she’s a techie. And she has a different opinion of Google: She thinks it’s all daffodils and sunshine and that they’re helping the world—like most of these idiot techies. I gotta listen to that shit all day. But they believe it. So whatever.

*** Sold my soul to the company store? Ach, Microsoft. Nun ist rechtzeitig vor dem gruscheligen Blogger-Klassentreffen re:publica den Weg klar vor Augen das bereits in der letzten Wochenschau erwähnte Manifest des neuen Arbeitens vorgestellt worden. Komplett mit Hashtag #einfachmachen einem Manifest-Kit-Pizzakarton und konkreten Forderungen zum Firmenwohl:

Ein Recht auf Arbeit, so wie wir wollen! Ein Recht auf selbstbestimmte Freizeit! Abschaffung von künstlichen Hierarchien! Strukturen, in denen wir vertrauensvoll, frei und produktiv kommunizieren können! Verantwortung für uns selbst und für unsere Arbeit!

You load sixteen tons, and what do you get? Aother day older and deeper in debt. Doch schon die zum Manifest gehörenden 33 Regeln erfolgreicher digitaler Pioniere reizen das Zwerchfell mit Bullshit-Bingo wie First Mover und Work-Life-Balance. Die Wissensarbeiter sollen es Klasse haben bei der "Arbeit am Produkt und Kunden" (Regel 3), der lästige Backoffice-Krams wird outgesourced. Wer da wohl arbeiten muss und wo? Egal, ist doch egal, ob es irgendwo in Indien ist. Regel 31 gildet heute und besagt, dass früher die Komplexitätsreduktion durch Vorgesetzte und Strukturen als Erfolgskriterium galt. Heute ist es ungelenkte Serendipity. Soso. Ungelenkter Zufall, das klingt wie einheitliche Benutzerbenutzerführung mit Kacheln und Menüs.

Was wird.

Wie ist das eigentlich mit den "Strukturen, in denen wir vertrauensvoll und frei kommunizieren" können? Nach einer in der nächsten Woche zur re:publica veröffentlichten sogenannten repräsentativen TNS-Emnid-Studie glauben 59 Prozent aller deutschen, dass der Aufwand, einen Rechner oder ein Smartphone gegen ausländische Geheimdienste abzusichern, "sehr hoch oder gar unmöglich" ist. Die Resignation angesichts der Enthüllungen von Snowden ist damit nachweisbar. Die Hacker, vor denen man sich fast unmöglich schützen kann, folgen mit 54 Prozent den Geheimdiensten. Der deutsche Staat und seine Sicherheitsbehörden folgen auf die Hacker. Wirklich schützen und das mit geringem oder vertretbaren Aufwand kann man sich nach Meinung der Befragten nur vor Familie und Mitbewohnern, Kollegen und Vorgesetzten sowie vor Hardware-Dieben. Immerhin. Wie sehr sich "nach Snowden" die Gewichte verschoben haben, zeigt die Tatsache, dass in der entsprechenden Befragung "vor Snowden" Ende 2012 überhaupt nicht nach "ausländischen Geheimdiensten" gefragt wurde. Da führten die Hacker die Rangliste an, gefolgt von Staat und seinen Behörden: der Bayerntrojaner war noch in guter Erinnerung.

Aus Gründen des Staatswohls kann Snowden nun nicht nach Deutschland kommen, befindet die Bundesregierung – und bekommt für ihre kühle Realpolitik sogar Verständnis in der tageszeitung: "Diese Entscheidung kann man moralisch verurteilen, aber sie ist vernünftig." Nicht einmal das Urteil des Bundesverfassungsgericht zum BND-Untersuchungsausschuss wird erwähnt, laut dem auch der Bundestag für das Staatswohl zuständig ist. Bemerkenswert, dass sich unter den von Netzpolitik veröffentlichten Gutachten ein veritables Erpressungsschreiben befindet, mit der Drohung, dass Bundestagsabgeordnete, die mit Snowden gesprochen haben, in den USA verhaftet werden können. Die USA als no-go für einen Ströbele? Natürlich will sich die Opposition wehren und in den nächsten Tagen gegen die schwarzrote Farce klagen. Eine Farce, an der Sozialdemokraten beteiligt sind, die den Abgeordneten auch noch Einblicke in die von der SPD einstmals so heftig kritisierten deutsch-amerikanischen Verhandlungen über ein No-Spy-Abkommen verweigern will, weil es sich hierbei um einen "Kernbereich der exekutiven Eigenverantwortung" handeln würde. So und nicht anders demoliert man die Demokratie. Weitergehen, Herrschaften, hier gibt es nichts zu sehen, bitte weitergehen. Behindern sie bitte nicht die Ermittlungen der NSA ...

Tja, da gehen wir mal weiter. Etwa zur Next 14, die in Berlin mit Brad Templeton startet, dem ehemaligen Vorsitzenden der EFF und Vater der bezaubernden Emiliy Postnews, der ber Snowden und die NSA deutliche Worte findet. Oder wir gehen zur Gesundheitsmesse ConHIT, die am Dienstag in Berlin startet. Bedingt durch das große Interesse an Snowden gibt es eine Diskussion über Gesundheitsdaten und die NSA. Oder wir gehen zu der bereits erwähnten re:publica, wo Blogger in freier Wildbahn beobachtet werden könne. Da gibt es gleich ein Dutzend Vorträge zum Thema NSA, während es beim anschließenden Linuxtag und der Droidcon eher fachlich zugehen dürfte. Aber halt, wie war das noch mit dem unter Amnesie leidendenen Inkognito-Betriebssystem, das Snowden und Co. benutzen und als Stick treuer Begleiter bei meinen Auslandsreisen ist?

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 11 Mai, 2014, 14:33
Während sich der Konferenzblues über die Netzgemeinde legt, sinniert Hal Faber über die Frage, ob Edward Snowden mehr ist als nur ein Datenbefreier und gibt einen Einblick in die statistische Wucht der Heise-Foren.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Vorsicht, Vorsicht und gleich einen Diskl-Eimer aufgestellt: Unter diesem Absatz beginnt ein gar großes und ganz unglaubwürdiges Gejammer von einem, der definitiv nicht Jürgen Kuri heißt. Der ist nach einer anstrengenden Berlin-Reise zur re:publica in den Urlaub geflüchtet. Hach, damit sind wir schon beim Thema.

*** Is this the real life, is this just fantasy? Caught in a landslide, No escape from reality. Die Suche nach Mama geht weiter, auch wenn Kermit die <Entf>-Taste haut und die Gesellschaftskonferenz re:publica vorbei ist. Viele der 6200 Teilnehmer haben ihre Mailadresse im Tausch gegen Bier oder Mate einer Firma überlassen und pflegen jetzt ernüchtert den Konferenzblues mangels Kontaktmöglichkeiten im Laufhof der Station. Einige meinen gar, auf einem Kirchentag gewesen zu sein, wo dem Gott Internet gehuldigt wurde, mit Sascha Lobo als schlecht frisierter Margot Käsmann. Besonders komisch wieder einmal die Leute mit dem klugen Kopf hinter dem Papier, die bei schnappartig-angestrengter Schelte über die Netzgemeinde nicht einmal verstanden haben, dass der Google-Hoax vorab bekannt war.

*** Wer oder was ist eigentlich diese Netzgemeinde, gedacht als autarkes, selbst organisierendes Gebilde? Wir haben da Digitalcourage im Angebot, das D21-Netzwerk oder die Digitale Gesellschaft, ein Mitveranstalter der re:publica. Es gibt die IT-Experten vom Chaos Computer Club, die diese Woche nutzten, um beim Ausschuss Digitale Agenda Auditierung von Software zu forden und eine Incentivierung des CCC. Es gibt politische Netzgemeinden wie die D64 der SPD und Gesche Joost, es gibt Organisationen wie Reporter ohne Grenzen und Amnesty International, die sich zunehmend um Netzthemen kümmern, es gibt Lobbycontrol, campact und Change.org. Es gibt Netzwächter wie den Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung, die parallel zur re:publica mal wieder im Bundestag diskutiert wurde, es gibt Softwächter wie die Free Software Foundation Europe oder den Förderverein für eine Freie Informationelle Infrastruktur. Es gibt Rechtewächter wie Attac, die den "heimlichen Staatsstreich" (Heribert Prantl) namens TTIP verhindern wollen. Es gab mal eine Electronic Frontier Foundation Europe. Es gab sogar eine Partei speziell für Netzgemeindefragen namens Piratenpartei, die sich in diesen Tagen selbst zerlegt.

Und jetzt kommt Lobo und droht mit Netzgemeinde.de.

*** Was es gibt, ist das Netz als zänkischer Haufen. Volles Haus auf der re:publica, als die in Berlin lebende Wikileaks-Aktivistin Sarah Harrison die Masche Glenn Greenwalds kritisiert, die von Edward Snowden überreichten Dokumente scheibchenweise zu veröffentlichen. Glaubt man der Darstellung von Vanity Fair, ist Wikileaks als Trittbrettfahrer aufgesprungen. Man stelle sich vor, diese Netzgemeinde der re:publica hätte den Mumm gehabt, mit 6000 Teilnehmern vor den Bundestag zu ziehen, wo ein Häuflein von 30 Menschen zum Start des NSA-Untersuchungsausschusses Asyl für Edward Snowden forderte. Da hätte man freilich früh raus müssen mit dem müden Fleisch, nicht mal eben vom Bett aus einen Soli-Tweet mit #snowden abschicken. Ist es nicht ohnehin so, dass Snowden einstimmig als Zeuge berufen wurde und nur noch einreisen muss? Gähn. Ist Snowden mehr als ein Datenbefreier? Ist er vielleicht der freundliche Anfang von Allem, dass wir uns an die Allgegenwärtigkeit der NSA gewöhnen müssen?

*** Rappelvoll war es auf der re:publica – in einem kleinen Vortragsraum –, als zwei gestandene Redner auftraten, die nichts mit dem üblichen Netz-Mimimi zu tun hatten. Ja, liebe noch verbliebenen Leser dieser kleinen Wochenschau, diesmal ging es um Euch und die ganze wilde Welt der Heise-Foren, die von der Wikipedia nicht als Online-Community anerkannt wird, weil sie mit fast 500.000 Mitgliedern zu klein ist. Vom großen Raviolitest von atom3000 ging es bis hin zum artgerechten Umgang mit Trollen. Heise-Leser lieben eben ihre Heise-Foren. Große Redeschlachten werden hier geschlagen über Gott und die Welt und Linux, aber auch Erkenntnisse vermittelt, Gedichte veröffentlicht und Ehen gestiftet. Dutzende von Artikeln, die ich für den Newsticker geschrieben habe, verdanken sich den Hinweisen der Regulars.

*** Momentan gibt es ja eine Diskussion über das mögliche Umschalten zwischen Thread-Darstellung und flacher Darstellung, wie es die Blogger mögen. Das mag jeder Nutzer für sich selbst entscheiden und entsprechend umstellen. Aber das Herzblut! Während einige Vertreter der OTF-Gemeinde wegziehen wollen, zeigen sich andere sehr hartgesotten. Solche Auseinandersetzungen gibt es und wovon darüber in Berlin berichtet wurde, das ist nunmal die offene Diskussionskultur im Netz, die nur durch offene Foren gefördert wird und nicht durch kleinmütges Herumeiern im Stil von: "Kommentare nach 18:00 geschlossen" oder "Kommentare wegen Europawahl nicht möglich". "Ein lebendiges Forum ist auch in der Lage, sich selbst zu regulieren", sagte Jürgen Kuri.

*** Wie bei den Jahresend-Wochenschauen üblich, zunächst einmal ein paar "nackte" Zahlen für interessierte Leser. Seit Eröffnung der Foren im Jahre 1999 sind 24,2 Millionen Postings in 266.000 Foren abgesetzt worden, von insgesamt 499.156 registrierten Heise-Foristen. Möglicherweise stimmt die Zahl nicht genau, weil es Doppler-Effekte gibt, doch als Pi-Daumen-Richtwert-Mal reicht es aus. Von den 24,2 Millionen Postings wurden 68.224 gesperrt, was leistungsfähige Spezialrechner zur aktuellen Sperrquote von 0,28 umrechnen. Ganz nebenbei: Die Spitzenzeiten des Heise-Forums sind mittags, wenn die Bäuche voll sind und der Verstand Auslauf braucht. Sechs Postings pro Minute fallen dann an.

*** Nun sind die Zeiten leider vorbei, als sportliche Poster Erster werden wollten, was besonders bei dieser kleinen Wochenschau begehrt war, gewissermaßen als Ergänzung im Verein mit anderen Potenzförderungsmitteln. Dennoch gibt es weiterhin Trolle aller Art, was nicht das Schlechteste ist. Es gehörte zu den großen historischen Momenten dieser re:publica, als eine staunende junge Netzgemeinde einen Screenshot vom Treiben des größten Trolles Analüst zu sehen bekam, gemessen auf der nach oben offenen Penkoskala.

Was wird.

Snowden könnte, wenn man wirklich wollte, schon nächste Woche nach Deutschland kommen und politisches Asyl bekommen. Die Interpol-Statuten verbieten jede Hilfestellung bei politisch motivierten Delikten.. Klar hätte er sich geschickter verhalten und wie sein ehemaliger Chef Keith Alexander mit seinem Knoff-Hoff einen lukrativen Beratungsjob für die Finanzwirtschaft antreten sollen, so als politisch korrektes Whistleblowing. Nach wie vor gibt es zwar keine Beweise dafür, dass die Datensammelei der NSA wirklich Terroristen aufspürte wie neue Anlagemöglichkeiten, aber man weiß ja nie. Wo es doch schon sooo gefährlich ist nur die Berichte über die Leaks zu zitieren, im Land der Freiheit. Und bei uns so? Da organisiert die bisher noch nicht erwähnte Wau Holland Stiftung einen Whistleblower-Talk mit dem ehemaligen leitenden Stasi-Analytiker, der auf US-Geheimdienste spezialisiert war.

Das war's für heute am schönen Muttertag. Ups, vergessen? Wie wäre es mit einem kleinen Supportgeschenk für Mama? Blümchen vorbeibringen, Rechner entwanzen, geschmackvolles Wallpaper installieren und niemals vergessen: "Immer kommt es von Herzen."

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 18 Mai, 2014, 06:32
Die einen Journalisten vergessen Häkchen, die anderen schwallen oder lassen Quadcopter steigen. CIA, NSA und Co. machen ohnehin, was sie wollen. Hal Faber sucht im Krautrock Trost.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Die Uhr schlägt zwölf. Was ist denn das? Verflixt noch mal, da rührt sich was, da klappert eine Tastatur wie toll, from Graceland to Gronau gibt's Rock'n Roll. Ja, der Online-Journalismus war kaputt, vor genau einer Woche. Da erschien das WWWW erst, als die Sonntagsschicht ihre Arbeit aufnahm, weil das Häkchen für die Veröffentlichung nach Mitternacht fehlte. Das Recht auf Vergessen ist irgendwie menschlich. Hach, wir kriegen das wieder hin, keine Frage: WWWW 110000011 (oder 303 in einem anderen Zahlensystem) erscheint, nur echt mit bestem Krautrock. Jawohl, mit echtem Krautrock und der Anleitung zum Selbstmord.

*** Der Online-Journalismus ist kaputt, sagt Krautchan, ähem Krautreporter und kloppt dabei echte Krautphrasen: "ein tägliches Magazin für die Geschichten hinter den Nachrichten". Hach, die haben uns ja so gefehlt, diese Geschichten hinter den Nachrichten. Diese Zeit, "die nötig ist, um eine gute Geschichte zu erzählen" – wer hat die schon? Vielleicht niemand, denn bisher liegen erst 3556 Kreditkarten-Datensätze vor, mit denen diese "AfD für Internetauskenner" (Süddeutsche Zeitung, Artikel "Der Club" hinter Paywall) rechnen kann. Das dauert also, bis ein weitreisender Paradiesvogel loslegen kann mit Erzählungen, wie einem die Zukunft durch die Glieder fahren kann. Noch ein Phräschen gefällig? "Wir bringen die Netzkultur des Dialogs und des Zweifels als Innovation in den Journalismus ein und glauben, dass man die Leser bitten kann, ob sie dafür nicht bezahlen wollen." Große Güte, was für ein Geschwalle. Dann doch lieber Krautrock.

*** Wie geht das eigentlich mit den Geschichten hinter den Nachrichten? Nun, da haben wir die Nachricht, dass unsere Regierung keine sicherheitsrelevanten Aufträge an IT-Firmen vergeben möchte, verbunden mit der Nachricht, dass unsere Regierung an der Zusammenarbeit mit CSC festhalten will. Wer Hirn zwischen den Ohren hat, wird sich daran erinnern, dass CSC als outgesourcte IT-Abteilung der amerikanischen Geheimdienste CIA und NSA vor einem Monat einen Big Brother Award bekommen hat. Prügelt man CSC in die Suchmaschine Yandex, so ist dieses Video das erste deutsche Suchresultat und immer noch keine Geschichte hinter der Nachricht, vom Zweifel als Innovation erst recht keine Spur. Außerdem stellt CSC nichts her, auf das man einen schmucken Sticker mit Gesche-Joost-Fellbesatz kleben kann.

*** Wie wäre es dann mit dieser Nachricht vom Angriff auf das Schengener Informationssystem, von dem 272.606 Datensätze aus Deutschland betroffen waren. Hier könnte man erzählen, dass der ungenannte externe Dienstleister die Firma Datacentralen war, seit den seeligen Zeiten von Echelon eine Tochterfirma von CSC und dass es genau dieser von Cryptome gespeicherte Zusammenhang war, der den Pirate Bay-Gründer Gottfrid Svartholm dazu brachte, das dänische System zu hacken. Die Geschichte um den in Einzelhaft sitzenden Svartholm, auch bekannt als Anakata und den ihn entlastenden Hacker Jacob Appelbaum ist sehr komplex und könnte bis zum September 2014 ausgebaut werden, wenn sein Prozess in Schweden beginnt. Wayne!

*** Die auf drei Bände ausgelegte Geschichte der Rechenautomaten ist in dieser Woche als eine Kompilation enttarnt worden, die sich zumindest im ersten Band außerordentlich großzügig bei Wikipedia oder ähnlichen Wissensvorräten wie die des Arithmeums oder bei der Geschichte des mechanischen Rechnens bedient. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung fällte dieser Tage in einem Artikel (hinter Paywall) das harte Urteil von einer "lumpigen Textcollage". Nach dem Wikipedia-Klon der großen Seeschlachten wird diese aneignende Form der Datenverarbeitung offenbar zunehmend beliebt. Interessant ist die Begründung des Rechts auf Remix durch den Autor Wolfram Lippe: Weil es sich um ein Fachbuch und kein wissenschaftliches Werk handele, sei das Plagiieren erlaubt. Ein Fachbuch bestehe zu 60 Prozent aus Daten, die Allgemeingut seien, eben bloße Fakten, die nicht dem Urheberrecht unterliegen. Bleibt zu hoffen, dass der Autor sein Honorar als Allgemeingut sieht, das Wikipedia erhalten kann.

*** Apropos Honorar: In dieser Woche ist Larry Ellison, fünftreichster Mensch der Welt, dafür gescholten worden, 77 Millionen US-Dollar im Jahr zu verdienen. Ellisons Karriere begann 1977 mit dem Verkauf einer Datenbank an die CIA. Nach "9/11" veröffentlichte Ellison einen von ihm bezahlten Kommentar im Wall Street Journal, in dem er als Reaktion auf die Terroranschläge eine Ausweispflicht forderte und eine zentrale Datenbank aller Ausländer. Wie ich ich damals schrieb, ist für Ellison die Privatsphäre eine Illusion, von der man sich befreien sollte:

Es ist an der Zeit, alle Datenbanken der Regierung, die der Sozialversicherungsbehörde und die der Strafverfolgungsbehörden in einer nationalen Zentraldatenbank zusammenzuführen. Diese wird von der Regierung verwaltet und betrieben. Oracle wird die Software dafür bereitstellen. Kostenlos.

Bekanntlich hat Glenn Greenwald sein Buch über die NSA vorgestellt, in dem Oracle zusammen mit Firmen wie Microsoft und Intel als strategische Partner auf einem Screenshot auftauchen.

*** In einem Buch über den Segler Larry Ellison findet sich eine längere Passage, in der er sich mit Steve Jobs über den bedeutendsten Menschen der Weltgeschichte unterhält. Jobs nannte Gandhi und seinen gewaltlosen Widerstand, was Ellison gar nicht witzig fand. Für ihn war Napoleon der Größte:

Napoleon hat das moderne öffentliche Bildungswesen erfunden, öffentliche Museen und das moderne Rechtssystem. Und er hat die staatlich geförderte religiöse Diskriminierung beendet, die Ghettos geräumt und den Juden Gleichheit vor dem Gesetz gegeben. Napoleon hat Angriffskriege geführt, um Könige und Tyrannen zu stürzen. Er hatte keine andere Wahl. Sie konnten nicht dazu überredet werden, vom Thron zu steigen.

Manchmal, aber nur manchmal hat auch Amerika keine andere Wahl, heißt es später in dem Buch. Auf Platz zwei in der Rangliste großer Menschen platzierte Ellison übrigens Winston Churchill, während Steve Jobs ein französisches Doppel nominierte: Alexandre Gustave Eiffel und Arthur Rimbaud.

*** Sicher hatte die internationale Fernmeldeunion ITU die Wahl, aber dass sie Paul Kagame, Park Geun-hye und Carlos Slim in diesem Jahr mit dem "World Telecommunication and Information Society Award" auszeichnete, ist ein schlechter Witz. Gelobt werden die drei für ihr Engagement beim Breitbandausbau für eine nachhaltige Gesellschaft. Dass einem Präsidenten, der mit einer Demokratie in Ruanda wenig am Hut hat, einer Präsidentin, die in Südkorea einen Putsch befürwortete, und einem Unternehmer, der ein Drittweltland wie Mexiko ausblutete, die Preise verliehen werden, sagt viel über die ach so freie Informationsgesellschaft aus. Was soll's, der nächste ITU-Kongress findet ja in Bahrain statt.

Was wird.

Verhandlungen? Verhandlungen? Da war doch was? Am Montag beginnt die fünfte Verhandlungsrunde über ein Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA im US-amerikanischen Arlington. Es fängt an mit den Interessensbekundungen der "Stakeholders" wie etwa der allseits beliebten Business Software Alliance, diesmal vertreten durch die "Copyright-Zarin" Victoria Espinel. Dieser Teil ist öffentlich. Danach dürfen die Stakeholders den Chef-Unterhändlern Ignacio Garcia Bercero (EU) und Dan Mullaney (USA) unter Ausschluss der Öffentlichkeit Fragen stellen. Anschließend gibt es eine Pressekonferenz. Der Schlag gegen den Rechtsstaat will schließlich ins rechte Licht gerückt werden. Am Ende fliegen sogar putzmuntere Chlorhühnchen eine Runde über Journalistenköpfen.

Ach nein, das verwechsele ich wohl mit der Berlin Air Show ILA. Da gibt es unter dem neckischen Namen "Games of Drones" ein Quadcopter-Geschicklichkeitsfliegen für Journalisten. Wo das mit dem Copter doch das absolute nonplusultraliche Muss ist für den podstreamkrautcastenden Journalisten. Dazu als Musike ordentlicher Krautrock auf die Ohren nach dem Vorbild der Hubschrauber in "Apocalypse Now". Da die Crowd bei n größer als zwei beginnt, frage ich gleich mal meine tapferen und richtig rechnenden Leser nach den besten Krautrockstücken für die Sommerhit-Parade.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 25 Mai, 2014, 05:30
Elektroluche aller Länder, vereinigt Euch! Oder so ähnlich, versucht sich Hal Faber an Zeiten zu erinnern, als Träume noch nicht aus waren. Glücklicherweise ist aber Europawahl.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Es war eine dunkle und stürmische Nacht und es regnete in Kübeln – mit kleinen Unterbrechungen, wenn eine Windböe über den leeren Parkplatz strich und die Lampen zum Knarzen brachte, was wie örk, örk örk klang und an das Geräusch erinnerte, das ein gezerrter Mops macht, der von einem Jogger gezogen wird, der schnell den unheimlichen Platz verlassen will, an dem das WWWW übergeben wird. Es war eine jener Schicksalsminuten, in denen sich in Sekundenbruchteilen das Blatt wendet wie in einer jener mürrischen Wischgesten auf dem Tablet, wenn man merkt, das falsche Buch gekauft zu haben und das Google-Play-Konto leer ist.

*** Ja, so ist das, wenn ein Leser dieser kleinen Wochenschau um einen bulwer-lyttonesken Einstieg bittet und ich, Hal Faber, einer der korrumpiertesten Journalisten, die je die Erdoberfläche betreten haben, sich natürlich nicht lumpen lässt beim Einsteigen. Ist ja nicht wie früher in der Straßenbahn, wo sich "spontan tiefsinnigste Dichterclubs bildeten, deren Freundschaften mindestens ein Leben lang hielten". Heute, im Zeitalter des Smartphones und der Tablets, starren vereinsamte Elektrolurchen auf die Wochenschau mit den Leserkommentaren und grübeln, ob Der Traum ist aus wirklich Krautrock ist. Trotz Amon Düül, Kraan, Can und Ego on the Rocks hat Birth Control mit Gamma Ray die meisten Stimmen bei den Krautrock-Tophits bekommen, nämlich vier.

*** Hach, wie war das nochmal mit dem falschen Buch, das man verwundert aufschlägt? Das hier fängt so an: "Bei einigen Dokumenten, die in diesem Buch veröffentlicht werden, sind auf Veranlassung der National Security Agency (NSA) zur Wahrung der nationalen Sicherheit der Vereinigten Staaten von Amerika Passagen unkenntlich gemacht worden." Es handelt sich um Glenn Greenwalds gerade erschienenes Buch "Die globale Überwachung", im Original "No Place to Hide" etwas drastischer betitelt. Geht man den Schwärzungen von NSA-Dokumenten im Buch nach, so erscheinen sie gerechtfertigt. Die Sozialversicherungsnummer von Edward Snowden, sein Tarnname bei der CIA und seine Personalnummer bei der NSA sind geschwärzt, ebenso einige Mailadressen und eine Liste der Länder, die "Erfassungsziele mit oberster Priorität" darstellen. Unter den ebenfalls von Snowden mitgesicherten und dann herausgegebenen Dokumenten des britischen GCHQ ist es ein Screenshot, der in der deutschen Version des Buches geschwärzt, im englischen Original geweißt wurde. Im Vergleich mit dem, was sonst alles geschwärzt wurde, sind die Stellen überschaubar.

*** Nun hat Glenn Greenwald eine Geschichte über die Totalüberwachung der Telefongespräche von den Bahamas-Inseln, Mexiko, Kenia und Philippinen sowie einem weiteren Land veröffentlicht, das nicht genannt wird. Politisch brisant sind hier die Bahamas, auf denen viele US-Bürger und selbst Präsident Obama urlauben – und dabei abgehört werden, wenn sie nach Hause telefonieren. Dass ein Land fehlt, weil es Befürchtungen gebe, dass die Enthüllungen zu verstärkter Gewalt führen könnte, verärgerte Wikileaks-Chef Julian Assange. Er drohte an, den Namen des Landes zu veröffentlichen und hat dies mittlerweile auch getan und stilecht gegenüber Russia Today kommuniziert, dem Sender, in dem Assange eine kleine Polit-Talkshow hatte. Wikileaks-Sprecher Kristinn Hrafnsson argumentierte mit den Folterbildern von Abu Ghraib, die die USA ebenfalls unterdrücken wollten, weil sie Unruhen im Irak befürchteten. Aus welcher Quelle nun Wikileaks die Information über das fünfte Land bezog, wollte man sinnigerweise aus Gründen des Quellenschutzes nicht sagen. Der Hinweis müsse genügen, dass dabei unzureichend redigierte, bereits veröffentlichte NSA-Dokumente eine Rolle spielten. Das wiederum bringt uns zu Cryptome, wo John Young eine Analyse veröffentlichte, dass Afghanistan von der Wortlänge her genau in ein geschwärztes Dokument über die Länder passte, deren Telefonverkehr abgehört wurde.

*** So schließt sich frei nach der großen Dichterin Julie Schrader ein Informationskreis wie ein übervoller Spucknapf. Denn Young bezieht sich auch auf das Buch "Der NSA-Komplex" der Spiegel-Journalisten Rosenbach und Stark, die von Acidwash berichten, einem "NSA-Zugang zu einem wichtigen afghanischen Mobilfunkbetreiber". 30 bis 40 Millionen Anrufe soll Acidwash täglich speichern. Auf Bitten des Bundesnachrichtendienstes habe man "deutsche Ziele" beim alltäglichen SIGINT im Sinne eines "Ringtausches" in die Suchläufe in dieser Datensammlung aufgenommen. In dieser Woche tagte der NSA-Untersuchungsausschuss und siehe da, gleich drei Juristen merkten an, dass dieser Ringtausch von Informationen beim BND grundrechtswidrig ist.

*** Wir bleiben beim Spiegel und den Journalisten Rosenbach und Stark. Denn diese erhielten den Henri Nannen-Preis in der Kategorie Investition, ähem, "beste investigative Leistung". Zusammen mit der Dokumentarfilmerin Laura Poitras und dem Internetaktivisten Jacob Appelbaum wurden sie für die Leistung ausgezeichnet "ein paar Zahlencodes in einem NSA-Dokument in eine politische Bombe" zu verwandeln. Kein Preis für den Journalisten Glenn Greenwald, der dafür die ihm von Edward Snowden ausgehändigten Dokumente lieferte? Genau. In dem nicht online verfügbaren Interview der FAZ über die Preisvergabe wird diese Frage gestellt. Die Antwort von Vorstandschefin Jäkel: "Greenwald ist vielfach und zu Recht geehrt worden, aber ohne Laura Poitras hätte er nie Snowden getroffen. Denn auf die erste Mail von Snowden reagierte er nicht, Poitras hat Greenwald erst wachgerüttelt." Bei Glenn Greenwald liest sich das so:

"Die Story hätte ohne meine unvergleichlich tapfere und brilliante journalistische Weggefährtin und Freundin Laura Poitras nie eine solch durchschlagende Wirkung erzielen können. /../ Da sie großen Wert auf ihre Privatsphäre legt und nicht gern im Rampenlicht steht, ist es manchmal etwas in den Hintergrund geraten, wie unverzichtbar ihr Beitrag für unsere Berichterstattung war. Doch ihre Sachkenntnis, ihr strategischer Verstand, ihr Urteilsvermögen und ihr Mut prägten unsere Arbeit wesentlich. Wir berieten uns fast täglich und trafen alle größeren Entscheidungen gemeinsam."

*** Gern im Rampenlicht steht hingegen der Aktivist Jacob Appelbaum, der nach eigener Einschätzung im deutschen Exil lebt. Anstatt den Nannen-Preis abzulehnen, nahm Appelbaum ihn entgegen, nur um beim nächsten öffentlichen Auftritt mit blindem Glauben ausführlich den Wikipedia-Eintrag zum Namensgeber Nannen zu zitieren. Seine Rede in Mannheim mit der schlimmen Kausalkette über Nannens Jugend bis zum Nannen, der für die hinter seinem Rücken aufgekauften Hitler-Tagebücher die Verantwortung übernahm, ist strunzdumm. "Nannen ist für den Versuch, einen der größten faschistischen Massenmörder der Geschichte als unschuldig darzustellen, mitverantwortlich", heißt es holprig übersetzt. Mindestens genauso blöd ist das von Appelbaum angedachte symbolische Köpfen, das Einschmelzen des Preises und Neugestalten als "anonyme Quelle".

*** Es hörte sich wohl gut an, wie Jacob Appelbaum in Mannheim von seinem Vater erzählt, der ihm im Alter von 9 Jahren Max Frisch und Eugène Ionesco zu lesen befahl, nachdem er blind anderen Kindern gefolgt war. Kindlich blind könnte man seine Aktion nennen. Was der Vater offenbar nicht lehrte: Wenn ich mit etwas nicht einverstanden bin, dann sollte ich gleich nein sagen. Wenn ich bei der Person Nannen nichts anderes sehe als einen "eindeutigen Mitgestalter" des Faschismus, der meinesgleichen umbringen wollte, dann rede ich auch nicht großsprecherisch von einem Deutschland, das eine moralische Autorität hat. So ist die Aktion nur kurios, denn sie zeigt einen Internet-Aktivisten, dem das eigenständige Denken nicht gelingen will. "Ich bin investigativer Journalist und arbeite an sensiblen Themen. Ich präge die Kultur, indem ich mich auf die Suche nach harten Fakten mache und sie analysiere", sagte Appelbaum, um etwas später das genaue Gegenteil zu formulieren, wenn er zum Nannen-Preis anmerkte: "Ich kann durch ihn nicht den Namen einer Person ehren, die für eine solche Geschichte steht – gleichgültig, wie die Details sich darstellen." Hart in den Fakten, gleichgültig in den Details, genau das ist die Einstellung der Ewiggestrigen und Schnellempörten, der Selbstgerechten und der Scheuklappsters.

Was wird.

Noch sind die Wahllokale nicht geöffnet, wenn diese kleine Wochenschau vom Rande der norddeutschen Tiefebene in das Internet der Aktiven und Passiven gekippt wird. Man kann sich hier über die Piratenpartei informieren, hier über die Linke, hier über die Grünen, hier über die SPD und hier über die CDU/CSU. Und auch über die FDP, wenn man will. Man kann das Versprechen von We Promise ansehen oder andere Wahlempfehlungen für digitale Grundrechte. Jeder kann seine Stimme einsetzen. Nur zusehen und lachen, wie die "Alternative für Deutschland" einen neuen Webmaster sucht, ist falsch und schadet der Gesundheit.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 01 Juni, 2014, 06:00
Es ist doch schön, wenn man noch europäische Illusionen hat - und mit Habermas eindeutig begründen mag, warum dies in Wirklichkeit keine Illusionen sind. Ja, die Zeiten, als das kommunikative Handeln noch geholfen hat, erinnert auch Hal Faber gerne.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Wie war das noch? Wählen gehen für Europa, gegen die nationalistischen Schwachköpfe vom Schlage einer "Alternative für Deutschland"? Das haben mehr Menschen gemacht als früher. Wären es noch viel mehr gewesen, wäre der rechte Rand ein Schmutzrändchen. Immerhin kann man jetzt Entpuppungen studieren, die früher nicht denkbar waren, etwa Beppe Grillos Verhandlungen mit dem Gentleman Nigel Farage – der sich zur Freude von Julian Assange für die Abschaffung des europäischen Haftbefehls ausgesprochen hat. In Deutschland hat sich der Übervater Jürgen Habermas zu Worte gemeldet und von einem "KLEINEN SPALT AN HISTORISCHER ÖFFNUNG" gesprochen, der sich am Sonntag geöffnet hat. Ja, da muss man doch laut werden, wenn es stimmt, dass jetzt die Politiker zeigen müssen, dass sie die Demokratie ernst nehmen und die gewählten Europa-Kandidaten akzeptieren. Sollten sie kungeln, verletzten sie nicht nur "ihre politische Pflicht als Amtsinhaber einer verfassungsrechtlichen Demokratiegeboten unterworfenen Europäischen Union", wie Habermas das formuliert, sondern veralbern den europäischen Gedanken mehr als dies "Die Partei" je machen kann. Habermas glaubt übrigens nicht an die schäbige Kungelei um einen genehmen Kandidaten: "Ich halte einen solchen Akt mutwilliger Zerstörung aus rechtlichen und verfassungspolitischen Gründen einstweilen für ausgeschlossen." Der Mann hat als echter 68er noch Illusionen. Cohn-Bendit übrigens auch.

*** Wie war das noch, 1968? Nö, da gibt es kein Recht auf Vergessen, sondern eine Pflicht zum Erinnern. Am 15. Juni 1968 schrieb Habermas an den Publizisten Claus Grossner: "Eine revolutionäre Situation, die von der Masse der Bevölkerung als unerträglich empfunden wird, erzeugt Gewalt und reaktiv auch Gegengewalt. In einem solchen Zusammenhang, in dem Hegel die Kausalität der Sittlichkeit am Werke sah, kann eine Strategie, auch wenn sie Gewalt impliziert, Anspruch darauf erheben, politisch beurteilt zu werden. In einer Lage hingegen, die nicht revolutionär ist und deren Unerträglichkeit keineswegs allgemein ins Bewusstsein getreten ist, kann die gleiche Strategie nicht nach denselben Maßstäben beurteilt werden. In diesem Falle müssen sich die handelnden Subjekte, gleichviel, ob sie politisch zu handeln glauben, inhumane Folgen ihres Handelns moralisch zurechnen lassen.

*** Heute wissen wir, dass 1968 die allgemeine Unerträglichkeit des Seins keineswegs im allgemeinen Bewusstsein der Westdeutschen angekommen war. Ja, die Studenten rebellierten und wir wissen heute, dass Karl-Heinz Kurras, der am 2. Juni 1967 den Studenten Benno Ohnesorg erschoss, ein Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) war. Vor wenigen Tagen ist das Buch Feindwärts der Mauer erschienen, in dem die Arbeit von Kurras einmal näher beleuchtet wird. Kurz zusammengefasst: Kurras war nicht irgendein Stasi-Spitzel, sondern einer der wichtigsten Informanten, der Hunderte von Berichten lieferte und im Gegenzug präpariertes "Informationsmaterial" für die Studenten nach Berlin brachte. Die Wissenschaftler stellen nüchtern fest: "Die Rolle von Kurras im Rahmen der Desinformationskampagnen des MfS gegen die West-Berliner Polizei ist indes noch nicht in das öffentliche Bewußtsein gedrungen. Zum Teil sind damals mit Hilfe der Kurras-Informationen in die Welt gesetzte Vorurteile noch heute wirksam."

*** Das, was die Studenten bewegte, kam zu einem Teil aus den Informationstöpfen eines Geheimdienstes, der "Counterinsurgency" betrieb. Damit sind wir wieder direkt im Hier und Heute. Den auch bei uns gibt es VVV, das Verdrehen, Verzerren und Vertuschen durch Verfassungsschutz und die Auslandsaufklärer vom BND. Dieser Tage wurde bekannt, dass der Bundesnachrichtendienst schlappe 300 Millionen Euro haben will, um die Echtzeit-Überwachung sozialer Netzwerke durchführen zu können, zusätzlich weitere 4,5 Millionen, um gefälschte Biometrie-Dateien für seine Agenten erstellen zu können. Unklar ist, ob die 300 Millionen zu den 300 Millionen addiert werden müssen, die der BND für ein Cyber-Frühwarnsystem haben will oder ob 300 Million eine BND-Standardfloskel ist nach dem Schema "300 Millionen, oder es kracht". 300 Millionen her oder sonst "drohe der BND noch hinter den italienischen und den spanischen Geheimdienst zurückzufallen", so das Papier, mit dem der Bundestag desinformiert werden soll, um die Gelder zu bewilligen. Unser Dienst schlechter als die spanische NSA-Filiale CNI oder die italienische AISE, die mithalf, Hassan Mustafa Omar Nasr zu entführen, das geht ja gar nicht. Wie war das noch mit der Erkenntnis, damals, vor einem Jahr, dass Telefon-Metadaten Spion & Spion enttarnten?

*** In bemerkenswerter Einigkeit haben drei anerkannte Juristen vor dem NSA-Untersuchungsausschuss festgestellt, dass die "300 Millionen!"-Anstalt sich in der Praxis verfassungswidrig verhalten hat. Ich erwähnte das in der letzten Wochenschau, nur fehlte, dass über diese gute Zusammenfassung die Gutachten der Juristen abgerufen werden können, ehe sie in Vergessenheit geraten. Schließlich erscheint diese Wochenschau im Internetz und nicht im Interbeutel, in dem bekanntlich nichts verloren geht. In dieser Woche musste die "300 Millionen!"-Anstalt in Leipzig erklären, wie die "strategische Fernmeldekontrolle" derzeit noch ohne die paar Milliönchen funktioniert. Die Klage gegen die anlasslose Kontrolle per Dreckswortliste scheiterte. Das Gericht wies die Klage als unzulässig ab und produzierte eine denkenswerte Begründung, die wir mal das 300-Millionen-Missverständnis nennen wollen: Aufgrund der hohen Datenmengen, die der BND erfasst, könnte dann aber im Prinzip jedermann klagen, und genau das habe der Gesetzgeber nicht gewollt. Da könnte ja jeder kommen! Jetzt liegt es am Deutschen Bundestag, diese ausgeuferter Speicherung zu stoppen. Doch der soll ja 300 Millionen bewilligen, damit noch umfassender geschnüffelt werden kann.

*** Und die Gerichte? In dieser Woche verkündete ein deutscher Generalbundesanwalt, dass er keine Möglichkeit sieht, belastbares Material zu erhalten, das die Überwachung deutscher Bürger durch die NSA dokumentiert. Man stelle sich diese Argumentation bei einem Bankraub vor. Getoppt wird der höchstanwaltliche Blödsinn durch die Behauptung, man habe wegen des Quellenschutzes keine Unterlagen aus dem Spiegel-Archiv einsehen können. So besitzt der höchste deutsche Ermittler nur "Zeitungswissen". Es geht noch besser, mit dem Vorsitzenden Patrick Sensburg im NSA-Untersuchungsausschusses, der den wichtigsten Zeugen einfach mal angeht: "Sollte Snowden nicht bald Beweise in Form von Originaldokumenten vorlegen, verliert er jedwede Glaubwürdigkeit für den Untersuchungsausschuss." Irgendwo im Hintergrund konnte sich sein Parteikollege Clemens Binninger auf dem Flur rollen, lachend. Dass diese unsere Bundesrepublik sich die USA zum Vorbild nimmt, wo man Probleme hat, die Original-Mails von Snowden zu finden, macht das Sauerkraut auch nicht edler. Deutsche Politiker, die gerne über Google und seine urbösen Algorithmen schwafeln, handeln nach Programmroutinen a.k.a. Algorithmen, als wären diese von einem Dienst ins Kleinhirn eingebrannt worden.

*** Da sind wir wieder bei Habermas und seinem umgedrehten Hegel: Inmitten dieser allgemeinen Unerträglichkeit des Seins sollten Subjekte wie Sensberg oder Range, die glauben, mit ihren Argumenten politisch zu handeln, sich die inhumanen Folgen ihres Handelns moralisch zurechnen lassen. Snowden ist in Deutschland nicht zur Fahndung ausgeschrieben und könnte als klar politisch Verfolgter so Asyl bekommen, dass die USA legal nichts ausrichten kann. Wer die Ereignisse bis hierhin verfolgt hat, wird vielleicht dem wunderbaren Eben Moglen zustimmen können, der die Überwachung mit der Unerträglichkeit der Sklaverei vergleicht. Sklaverei ist einfach falsch. Sie kann nicht damit begründet werden, dass der Sklavenhalter ein Sicherheitsbedürfnis hat. "Wir sollten gegen die Methoden des Totalitarismus kämpfen, weil Sklaverei falsch ist. Weil die Überwachung der gesamten Menschheit durch Sklavenhalter falsch ist. Weil das Bereitstellen von Energie, Geld, Technologie und eines Systems, das die Privatsphäre aller Menschen auf der Welt kontrolliert, falsch ist."

Was wird.

Reset the Net! Zugegeben, es klingt etwas doof in einer Zeit, wo nur noch die wenigsten Computer diesen praktischen roten Knopf zum Warmstart haben, aber der 5. Juni sollte schon genutzt werden. Wie die Studenten sind die politischen Netizen zwar eine kleine Minderheit, haben aber ihre Protestmöglichkeiten zum Tag, an dem die via Glenn Greenwald verteilten ersten Meldungen über das Treiben der NSA erschienen. Wer dazu noch spenden möchte, sei auf Cryptome verwiesen, das gegen die Kommerzialisierung der NSA-Enthüllungen durch Greenwald & Co protestiert.

Ach, diese gräßliche Kommerzialisierung aber auch. Manchmal hilft sie beim Erkennen der Kausalität der Sittlichkeit, die von Hegel und Habermas ins Spiel gekickt wird. In ihrem Trainingslager hat sich die deutsche Fußballnationalmannschaft der Männer um den letzten Rest ihrer Sportlichkeit gebracht, als man nach einem vergeigten Werbeeinsatz von Benz.me den Unfall mit dem Restrisiko relativierte, das es auch beim Radfahren gibt. Statt #bereitWieNie könnte man besser über das #Restrisiko twittern. Aber den richtigen Schmäh können wir ja noch von unseren Nachbarn lernen, wenn es live ans gemeinsame Ablachen auf dem "Second Screen" geht, nur echt mit Goal und Pausenreim.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 08 Juni, 2014, 00:34
Geschichte ereignet sich zwei Mal, einmal als Tragödie, einmal als Farce. Auch keine neue Erkenntnis, wenn man seinen Marx gelesen hat. Sie bleibt aber allzu oft auf der Strecke, befürchtet Hal Faber.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Haben nicht alle was zu Snowden gesagt. Der Peter, der Erich, die Doro. Und natürlich konnte ich auch nicht die Klappe halten. Schließlich steht seit den Worten des großen Uhls die Frage im Raum, ob Deutschland nicht von Sicherheitsbeamten regiert wird. Das alles wird natürlich vom gelahrten Feuilleton getoppt, das Edward Snowden zum Pfingstwunder erklärt und seine Enthüllungen als Emanation des pfingstlichen Geistes der Freiheit begreift. So geschehen damals, bevor es Spiegel Online gab, als die Anhänger von Jesus Christus an die Öffentlichkeit traten und Unerhörtes frei heraus sagten. So sieht es jedenfalls Heribert Prantl in seiner Sonntagspredigt in der Süddeutschen Zeitung, die derzeit noch hinter einer Firewall steckt.

"Sein Outing am Pfingstmontag vor einem Jahr war ein Akt pfingstlicher Freiheit, eine Art modernes Pfingstwunder – es hat nichts mit Religion zu tun, sehr wohl aber mit dem Geist der Freiheit, also mit dem Geist der Aufklärung. Snowden hat eine globale Großinquisition aufgedeckt und musste fliehen vor dem Großinquisitor."

*** Klingt gut, ihr Christen und Verehrer höherer Wesen, ihr Aufklärer, ihr erzürnten Neumacher, so kurz vor dem Clean-Slating von einem paradiesischen Neuland? Was ist eigentlich, wenn das Outing keine pfingstlich-religiöse Großtat im Geiste der Aufklärung war? Die unerhörte Tatsache, dass die USA ein monströses Speicherprogramm für "Metadaten" unterhält, wurde im Jahr 2006 von USA Today veröffentlicht und auch in diesem wunderbaren Newsticker bekannt gemacht. Was folgte, waren Klagen von Aktionären, unterstützt von der ACLU, nicht unähnlich, wie jetzt über Vodafone gegrummelt wird. Doch damit hatte es sich. Das Thema verlief im Sande, das Netz war noch nicht kaputt genug, die Nutzung der Smartphones noch unterentwickelt und twttr eines dieser verrückten Startups mit unklaren Ideen. "Hegel bemerkte irgendwo, daß alle großen weltgeschichtlichen Tatsachen und Personen sich sozusagen zweimal ereignen. Er hat vergessen, hinzuzufügen: das eine Mal als Tragödie, das andere Mal als Farce."

*** Mehrfach sind im Zuge der NSA-Enthüllungen von Edward Snowden Powerpoints und Daten veröffentlicht worden, die Snowden selbst oder zumindest sein Austräger Glenn Greenwald falsch interpretierten. Darauf macht an diesem sonnigen Pfingsten die tageszeitung aufmerksam mit einem Artikel über die Spuren der Überwacher:

"Im vorigen Sommer tauchte eine Zahl auf, die zunächst alle elektrisierte. Rund 500 Millionen Kommunikationsvorgänge "aus Deutschland" erfasse die NSA jeden Monat, meldete der Spiegel unter Verweis auf Edward Snowden. Erst nach einigen Wochen stellte sich heraus, dass die Zahl sich gar nicht auf Telefonate und E-Mails in Deutschland bezieht. Vielmehr auf die Daten, die der Bundesnachrichtendienst (BND) im Ausland sammelt und der NSA zur Verfügung stellt. "

Nun ist die Zahl zwar aus der Welt, doch die Idee von der Massenüberwachung der deutschen Bevölkerung ist geblieben, verbunden mit der Hoffnung von Tausenden, dass der Generalbundesanwalt die Geheimbuden aufmischt. Doch für den hat der Schutz des Staates und seiner Behörden wie dem Bundesnachrichtendienst Vorrag. In dieser Hinsicht sind die 553.044.811 Datensätze von Boundless Informant aus Afghanistan, die der BND der NSA zur Analyse überließ, einfach Teil des "Ringtausches", den die Dienste untereinander pflegen. Und dass jeder Dienst Akten über ausländische Regierungschefs und Minister anlegt, in denen auch die Nummer von Merkels Privathandy gespeichert ist, dürfte zum allgemeinen Business von Spion & Spion gehören. Es kann ja nützlich sein, mal eben den mächtigsten Joker der Welt anzurufen, wenn man nicht weiß, dass mit einer DDR-Waschmaschine Bier gebraut werden konnte.

*** Auch zu Beginn der Snowden-Enthüllungen gab es schwere Fehler, als die Arbeit von Prism sowohl in den USA als auch in Gtroßbritannien als NSA-Programm dank der Interpretation von Snowden falsch eingeschätzt wurde. So war es für Firmen wie Google ein Leichtes, die Zusammenarbeit mit der NSA abzustreiten, weil technisch das FBI das Sagen hatte. Inzwischen hat man da Übung im Beteuern, dass die gesamte Firma in Aufruhr ist und die Mitarbeiter wütend sind. Die hohe Kunst des spezifischen Dementi will erst einmal gelernt sein: "Es gab keine längerfristigen Vereinbarungen, wir arbeiten nicht zusammen, es gibt keine Genehmigung, auf unsere Infrastruktur zuzugreifen. Das gab es nicht, gibt es nicht und wird es nicht geben."

*** In dieser Woche wurde bekannt, dass Jaron Lanier den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels bekommt. Was als schon lange verdiente Würdigung eines Vertreters der digitalen Welt gefeiert wird, ist auf eine andere Weise auch bedauerlich, weil es als verkappte Kriegserklärung der Internet-Verächter interpretiert werden kann. Das gefeierte Programmier-Wunderkind des Jahres 1984 hat mit seiner wütenden Kritik der Open-Source-Bewegung als eine Spielart des den Programmierer enteignenden digitalen Maoismus viel Porzellan zerschlagen. Umso mehr wird er nun gefeiert, gar als Informatiker, der das Internet mitentwickelte, was insoweit Unfug ist, als es von Lanier selbst als technischem Leiter des Internet2-Projektes zurückgewiesen wurde. Aber es passt zu der inbrünstigen Überhöhung, in der ein Joe Weizenbaum gleich zu einem "Computer-Halbgott" verklärt wird und Snowdens Enthüllungen zu einem "Los Alamos der Digitalwelt". Es fehlt nicht viel am Pfingstwunder, komplett mit Schwafelei vom Gottesbezug des Grundgesetzes. "Und als der Tag der Pfingsten erfüllt war, waren sie alle einmütig beieinander." Nur den Verstand hatten sie vergessen:

"Der Friedenspreis an Lanier kommt zu einem Zeitpunkt, wo auch die deutsche und europäische Industrie ahnt, was auf sie zukommen wird, wenn einige wenige Giganten mehr über ihre Kunden und einige Geheimdienste mehr über ihre Pläne wissen, als sie es je für möglich hielten."

*** Nein, die deutsche und europäische Industrie ahnt nichts, sie weiß sogar etwas. Das ist außerordentlich schlicht: "Der Zug ist abgefahren." Das wird aber leider von Philosophen und Feuilletonisten und Politikern übersehen, die davon schwärmen, dass es im IT-Bereich eine deutsche oder auch europäische Industrie geben könnte, in der wahnsinnig viel Energie drin ist, die man sich nur selber überlassen müsste, um den großen Gegenplan mit "Maschinen des Vertrauens" gegen die geheimen Dienste des Misstraues in Bewegung zu setzen. In dieser kleinen Wochenschau habe ich schon häufiger darauf hingewiesen, dass nix Deutsch hier ist, nicht am Internetknoten und nicht mehr bei den Herstellern von Routern und Rechnern. Wenn selbst der nigelnagelneu eingerichtete Bundesnachrichtendienst keine KVM-Switches einsetzt, sondern zwei Bildschirme jeweils für den roten (streng geheim) und den blauen (geheim) Thin Client eines US-Herstellers, sollte das zu denken geben.

Was wird.

Die technologische Souveranität Deutschlands steht sogar im Koalitionsprogramm. Doch mit der politischen Souveranität ist es nicht weit her. Auf nach Moskau ist die Devise. Ob es eine Kaffeefahrt ist oder eine machtvolle Demonstration deutscher Politiker gegen die schreiende Illegalität US-amerikanischer Bespitzelungen, ist noch nicht ausgemacht. Es ist übrigens egal. Jedenfalls, solange es Politiker wie Hans-Peter Uhl gibt, die allen Ernstes ausgerechnet vom Bundesnachrichtendienst erklärt bekommen müssen, wie E-Mails geleitet werden. Immerhin mit richtiger Erkenntnis des Mannes, der da glaubt, dass Deutschland von Sicherheitsbeamten regiert wird:

"Es geht nicht um den kürzesten Weg, sondern allein nach finanziellen Gesichtspunkten. Wenn Sie innerhalb Deutschlands eine E-Mail verschicken, ist es durchaus denkbar, dass diese über die Vereinigten Staaten und wieder zurück läuft. /.../ Für mich war das neu. Wenn das so ist, dann ist diese vollmundige Erklärung, auf deutschem Boden müsse deutsches Datenschutzrecht gelten, eigentlich eine ziemlich hohle Erklärung."

Ganz ohne machtvolle Namen wie Amnesty International hat ein kleines Grüppchen von Campact gezeigt, dass 40.000 Bundesbürger ein Bett für Snowden frisch bezogen haben. Auf der Demonstration wurde bekannt, dass am Mittwoch in Deutschland eine Courage Foundation an den Start geht, die Spendengelder für Snowden einsammeln soll. Nach all den Petitionen, Plakataktionen und Übernachtungshinweisen, nach einem Jahr NSA-Enthüllungen ist das schon bemerkenswert. Was wohl aus den Spenden für das Crowdfunding-Projekt "Fly Edward Snowden Fly" geworden ist?

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 15 Juni, 2014, 05:30
Man kann ja Audio-Dateien auch für etwas anderes verwenden als für ausgesucht gute Musik für verwöhnte Ohren, merkt Hal Faber an. Und lässt Schwächen des demokratischen Prozesses nicht als Argument für die verschwörungstheoretischen Spinner gelten.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** König Fußball ist da und regiert aus der Tiefe des Raumes, der nach allen Regeln der Kunst und dem neuesten Stand der Technik überwacht wird. 900 Millionen Dollar für Drohnen, Gesichtserkennungssysteme, Scanner gegen 3D-gedruckte Waffen und ein modernes Anti-Terrorzentrum für ein Spiel, das 90 Minuten dauert, begleitet von unfähigen Schiedsrichtern. Es ist schließlich die letzte WM, mit deutscher Beteiligung ohne Rückgrat und Verstand und einem Spinner wie Blatter.

*** Während die Fanmeile in der City of Untersuchungsausschuss im Banne der Urinstrahlen stinkt, werden gleich nebenan im Reichstag und Kanzleramt die wirklich schmutzigen Dinge angepackt. Endlich kann man ungestört ergbenisorientiert arbeiten, wenn andere grölen. Wie war das noch anno 2012, als das Meldegesetz während der Fußball-EM klammheimlich um den Verkauf von Adressdaten erweitert wurde? Wichtige Verhandlungen zum Freihandelsabkommen gehören zum WM-Arbeitspensum, eine Drohnendebatte mit Experten und wenn es ordentlich in den Tornetzen zappelt, kann man auch diesen Edward Snowden vergessen und die Schnüffeldienste ihre Arbeit machen lassen im globalen Ringtausch.

*** Haben sie nicht wie in der Ukraine wieder einmal vorbildlich gearbeitet, die Entwicklungen passgenau analysiert und frühzeitig vor Abu Bakr al Baghdadi gewarnt? Oder war es nicht doch nur der hilflose Hinweis auf diese furchtbaren Heimkehrer aus dem syrischen Bürgerkrieg, wegen denen unsere Freiheiten weiter eingeschränkt werden müssen? Ja, da muss doch die Zusammenarbeit intensiviert werden bei dieser Bedrohung.

*** In dieser kleinen Wochenschau werden üblicherweise Audio-Dateien nur verlinkt, wenn es darum geht, gute Musik für verwöhnte Ohren zu präsentieren. Wie wäre es inmitten des WM-Gedöns zur Abwechslung mal mit einer Lesung einer kleinen Reportage, die schildert, wie in erlesenen Hinterzimmern über das Freihandelsabkommen "debattiert" wird, mit freundlicher Unterstützung der Business Software Alliance? Das ist die Lobbybude, die gegen Softwarepiraterie vorgeht, Open-Source-Software als Handelshemmnis bezeichnet und TTIP als Fortschritt begrüßt. Wo der Profit das höchste Rechtsgut ist, will man sich doch nicht lumpen lassen. Wer dieser Tage die skurrile deutsche Debatte um den Mindestlohn betrachtet und auf Großbritannien als großes Vorbild schielt, sollte nicht vergessen, dass Konzerne nach den Freihandelsregeln gegen Mindestlöhne klagen dürfen und dies auch tun werden, wie Veolia in Ägypten.

*** Frank Schirrmacher, der Großmeister der Debatten, von den USA aus als Informationsfresser wahrgenommen, ist tot. In seinem letzten Interview über das Leben in der Überwachungsgesellschaft atmete er schwer. Was wusste das ach so intelligente Unternehmen Google über den passionierten Raucher, der durch eine Kammerflimmern nach Lungenödem im Alter von 54 Jahren starb? Der angenehm eigensinnige Mann, der so gerne die Debatten aufmischte, hatte schon damals keine Berührungsängste mit den Nerds, als ich ihn das erste Mal auf der Byteburg von Kai Krause traf. Zuletzt, so berichtet es Fefe, der etwas andere Aufmischer ohne Berührungsängste, stritt er sich über die Frage, ob man die Auflösung der Geheimdienste fordern kann. In seinem letzten Buch "Ego" warnte Schirrmacher vor den Computer-Algorithmen, die den Menschen berechnen und ausrechnen. Er dürfte feixend zur nächsten Zigarette gegriffen haben, beim Lesen der Nachricht, dass jeder programmieren können muss, ausgeführt am Beispiel von Scratch. Vielleicht ist diese kleine Meldung von der Existenz übereifriger Algorithmen der fein-ironische Abschiedsgruß der Maschinenwelt an Frank Schirrmacher. Wir werden erst langsam begreifen, was (nicht nur wer) uns nun fehlt, nicht nur, um eine neue Geschichte unseres digitalen Lebens zu schreiben. "He was a man, take him for all in all", heißt es in Shakespeares Hamlet.

*** Zum Gespräch mit Frank Schirrmacher ist Eric Schmidt nicht mehr gekommen, doch wurde der in Berlin verbreitete Glanz der Factory auch in der ehemaligen Hauptstadtzeitung verbreitet. In Berlin etwas für die Welt machen, da "alle Menschen gleich gestrickt" sind, das ist so eine Aussage von Schmidt, die Widerspruch und einen kleinen Krawall verdient hätte. Was passiert, wenn die Bestrickten protestieren, weil die Stricker die Arbeit verlagern wie bei Uber? In Berlin streikten die Taxifahrer, während Wowereit ahnungslos grinste. Das Netz ist voll von einfältigen Kommentaren über Uber & Co, die selbst nicht sonderlich sympathisch erscheinen. Auf lange Sicht braucht übrigens niemand Taxis, Autos und Arbeit, dann werden Roboter den Laden schmeißen und sich der Rest der Menschheit den schönen Künsten widmen, wie das Marc Andreessen zum ewigen Lobe des Algorithmus formuliert.

Was wird.

Alle Enden sind auch ein Beginnen. Mitten hinein in all die Reflektionen über Schirrmacher, seine FAZ und andere Zeitungen im Energiesparmodus platzt die Nachricht, dass die Krautreporter bei ihrer Knetisierungs-Kampagne 16.560 Unterstützer animieren konnten, insgesamt 986.465,87 Euro zu stiften. Jetzt wird also der Online-Journalismus gerettet, den die Krautreporter für kaputt halten. Freuen wir uns auf "Reportagen, Recherchen, Porträts und Erklärstücke". Über Themen, mit denen die Krautreporter sich auskennen. Mit der Zeit, die nötig ist, um eine Gute-Nacht-Geschichte zu erzählen. Versprochen ist ja mehr, als es schon gibt. Was das sein soll, das fragen sich wohl nicht nur diejenigen, die bereits ihr Geld gaben. Der Verdacht liegt nahe, dass sich das die Krautreporter derzeit auch noch selbst freagen.

Wie wäre es mit einer Geschichte über die Weltmächte? Für die tageszeitung sind dies nicht die USA, Russland und China, sondern Mark Zuckerberg und Edward Snowden, beide 30 Jahre alt. Interessant ist dabei der Gedankengang des Autors, dass Mark Zuckerberg mit seinem Facebook als einziger Entrepreneur die Prinzipien der Hackerethik verwirklicht. Hier ist jemand dem Schwindel von The Hacker Way aufgesessen in der großen, klassisch recherchierten Reportage? Am Ende wird das Leben von Snowden mit dem einer Hauskatze verglichen. Vielleicht ist es an der Zeit, eine neue Hackerethik zu formulieren?

Am 19. Juni jährt sich das Datum, an dem Julian Assange im Jahre 2012 vor der drohenden Auslieferung nach Schweden in die Botschaft von Ecuador flüchtete. Zu diesem Zeitpunkt waren all seine Versuche, gegen die Auslieferung nach einem europäischen Haftbefehl Schwedens vor britischen Gerichten Einspruch zu erheben, abgelehnt worden. Seitdem harrt Assange in der Botschaft aus, inzwischen mit Ecuador-Trikot und einem kleinen Bäuchlein bereit, bei der WM mitzufiebern, wenn es gegen die Schweiz geht. Wo es doch in Brasilien so friedlich und vollkommen unpolitisch zugeht und die Spießer und Heuchler die Spieler in den Mittelpunkt stellen. Aber egal: Freuen wir uns auf den Weltmeister Holland. Oranje! Ich muss gleich kotzen. Warum, das darf sich nun jeder und jede selbst aussuchen.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 22 Juni, 2014, 05:01
Samba? Bossa Nova? Brasilien hat nicht nur an sozialen Konflikten, sondern auch an Musik weit mehr, als die weichgespülten WM-Bilder zu zeigen wagen, meint Hal Faber. Schnell hingehöhrt, bevor uns die erste deutsche Kampfdrohne auf den Kopf fällt.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** König Fußball regiert immer noch. Nix gegen (manche) Fangesänge. Angesichts brasilianischer Umstände, die von König Fußball nur mühsam überdeckt werden, vielleicht doch mal wieder moderne brasilianische Musik, die nicht hinter den Berg hält. In welcher Form auch immer, auch als "brasilianische Antwort auf Mi.I.A." oder Electric Bossa Nova oder Samba-Rap oder tiefster Baile Funk.

*** König Fußball? Aber Heidewitzka, das wird ein Spass sein, in der anstehenden Sitzungsdoppelwoche im Bundestag "Polit-Klärschlamm zu verklappen", wie das der Fefesoph formuliert. Selbst im NSA-Untersuchungssausschuss läuft alles in seinen gepflegten Bahnen mit der Anhörung von Experten für deutsche Wunder. Hach, ist es nicht wunderbar, wenn sich das Geburtstagskind Edward Snowden nicht mit deutschen Untersuchungsausschüsslern zu einer Partie Schafskopf treffen möchte? Es könnte ja die anstehende Visumsregelung mit Russland gefährden, wo das regierende Deutschland doch keinesfalls bereit ist, republikanische Stärke zu zeigen. Hat sich diese Woche nicht der ausgemachte Experte Lorenz "YoLo" Caffier zu Worte gemeldet mit der Einschätzung:

"Wer seinen Rechner einschaltet, muss sich bewusst sein, dass er von dem Moment an nicht mehr allein ist. Egal, wer sich da gerade reinhackt, ob das die Chinesen oder die Amerikaner oder die Russen sind. Es ist doch nichts Neues, dass all diese Länder Daten einsammeln. Die Geheimdienste aus Frankreich oder England interessieren sich nicht nur für unsere Bummi-Bücher.

*** Kein Interesse für Bummi-Bücher? Aber Hallo. Wie war das noch mit der Geschichte, in der Bummi Erde futtert, um zu prüfen, ob das Sauerland tatsächlich sauer ist? Wie schmeckt denn die Überwachung? Wie ist das denn, wenn man bei eingeschaltetem Computer nicht mehr allein ist und immer ein anderer dabei, der sich reinhackt? Wie kann man Innenminister werden, ohne einen Verstand zu haben? Nehmen wir einmal, es stimmt, dass mit dem Einschalten eines Rechners die Verletzung der Grundrechte unserer Verfassung beginnt. Wie kann man denn schreiben, dass man sich im Internet nicht entblößen sollte, damit es einem besser gehe und so tun, als ob der Einzelne es in der Macht hat, Geheimdienste oder eben nur Hacker auszusperren? Mit solchen Ratschlägen landen wir unversehens bei der konservativen Mischpoke, die da predigt Du musst dein Leben ändern und das als Selbstverpflichtung des Einzelnen begreift, was staatlicher Rechtsschutz sein muss. Die Logik eines Lorenz Caffier reicht nicht weiter als bis zum Aufstellen einer Art Stopp-Schild mit ähnlicher Aufschrift, die man von Supermärkten her kennt: "Bitte haben sie Verständnis dafür, wenn bei Datendiebstahl niemand gerufen werden kann."

*** Als die von Edward Snowden losgetretene Welle der Enthüllungen begann, veröffentlichte das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik diese Stellungnahme. "Im Kontext der Bündnispartnerschaft NATO arbeitet das BSI auch mit der NSA zusammen. Diese Zusammenarbeit umfasst jedoch ausschließlich präventive Aspekte der IT- und Cyber-Sicherheit." Nun hat Spiegel Online rund 200 Seiten von NSA-Dokumenten veröffentlicht, unter anderem die Agenda des BSI-Vizepräsidenten zu seinem NSA-Besuch. Mit einer Präsentation des abhörsicheren Fishbowl-Telefonsystems der NSA dürfte vielleicht die Frage verbunden gewesen sein, wie dieses System vom BSI zertifiziert werden kann, damit es auch als Merkelhandy taugt, wie die Angebote von Secusmart und der Telekom.

´*** In der letzten kleinen Wochenschau habe ich auf Marc Andreesen und seine Vision der Roboterzukunft verlinkt. Sie wird nicht von allen geteilt, nicht in Deutschland, aber auch nicht in den USA, weshalb der Bericht über den Krieg um die Hauptstadt des Internets wohl noch hinter einer Paywall steckt. Man kann bei Alex Payne weiterlesen, wie der Widerstand aussieht, bis die Paywall wie übrlich gefallen ist.

*** Wo König Fußball regiert, werden seine Untertanen systematisch verblödet. Mit dem Geld deutscher Bürger haben sich die öffentlich-rechtlichen Anstalten bei der WM eingekauft und servieren ein Programm auf dem Niveau von Butterfahrtveranstaltungen mit einer unsäglichen Kathrin Müller-Hohenstein als journalistischer Heizdecke. Das schreibt die tageszeitung leider offline unter der irrlichternden Überschrift "Wie Helmut Kohl und Heiner Geißler". Dazu kommen "Experten" wie Oliver Kahn und Mehmet Scholl, die genau gar nichts erklären können. Die Zeiten einer Fußball-WM 2006, als Jürgen Klopp am digitalen Wischtisch in Ansätzen zeigte, was eine Spielanalyse ist, sind offenbar vorüber. Kurze, gewagte These: Wer seine Zuschauer derart beim Fußball verblödet, wird auch die NSA-Affäre herunterspielen auf Pool-Plansch-Niveau. Immerhin hält das Netz auch Angebote mit Verstand bereit oder den kuriosen Live-Kommentarstream der Piefke-Basher, mit dem die deutsche Ausgabe des Standards gestartet ist. Die Ehrenrettung kam in dieser Woche vom Geburtstagskind Jürgen Habermas, auch wenn sie leicht vergiftet war mit dem Glauben an einen sinnbündelnden Journalismus anstelle von, nunja, ähem, vielleicht 10000 Fliegen?

"Denken Sie an die spontan auftauchenden Portale, sagen wir: für hochspezialisierte Briefmarkenfreunde, Europarechtler oder anonyme Alkoholiker. Solche Kommunikationsgemeinschaften bilden im Meer der digitalen Geräusche weit verstreute Archipele – vermutlich gibt es Milliarden davon. Diesen in sich abgeschlossenen Kommunikationsräumen fehlt das Inklusive, die alle und alles Relevante einbeziehende Kraft einer Öffentlichkeit. Für diese Konzentration braucht man die Auswahl und kenntnisreiche Kommentierung von einschlägigen Themen, Beiträgen und Informationen. Die nach wie vor nötigen Kompetenzen des guten alten Journalismus sollten im Meer der digitalen Geräusche nicht verloren gehen."

Was wird.

Im Meer der digitalen Geräusche plätschert und gluckert es ganz sommerlich, während die Fanmeilen stinken. Mit Experten des NSA-Untersuchungsausschusses begann diese Wochenschau, mit ihnen soll sie enden, denn in der anstehenden Sitzungsdoppelwoche tanzen eine Menge Erklärbären in Berlin. Nicht nur in Sachen NSA, wo der Untersuchungsausschuss mitsamt seinen Experten einen Bericht des Militärischen Abschirmdienstes (MAD) auswerten muss, nach dem das militärische Nachrichtenwesen der Bundeswehr neben Cisco-Hardware nun auf chinesisches Gerät setzt.

Auch die Militärexperten sind gefordert, denn die Anhörung zu waffenfähigen ferngesteuerten Luftfahrzeugen steht vor der Tür. Rechtzeitig zum Expertenstreit ist in den USA ein wunderbar gestalteter Artikel der Washington Post erschienen, der einmal darstellt, wie viele Drohnen der Kontrolle entglitten und abstürzten. Über 400 größere Drohnen gingen so verloren, nicht gerechnet die geheimen Drohnen-Systeme, die die CIA besitzt und betreibt. Neben Abstürzen nach Kommunikationsabbrüchen vermerkt das Blatt handfeste Pilotenfehler, etwa das Kunstück, eine Drohne "kopf"-unter zu fliegen, ohne dies zu merken. Erwähnenswert auch die Piloten-Aussagen nach zwei Abstürzen im Jahre 2008 und 2009, die Drohnen seien von "Dämonen besessen" gewesen. Es fehlt nicht viel, bis Wünschelrutengänger auf der Startpiste auftauchen.

Bekanntlich soll mit Unterstützung der Experten entschieden werden, ob unsere Bundeswehr unter Ursula von der Leyen ein waffenfähiges System kauft oder auf eine europäische Drohne wartet. Oder ob die Truppe gar das große Lob der geleasten Kameradschaft weiter trällert, nur echt mit dem schönen roten Stempel Combat Proven.

Dann ist da noch der transatlantische Cyber-Dialog vom deutschen Auswärtigen Amt und vom US State Department, der am Freitag in Berlin starten soll. Geht es nach Bundesinnenminister Thomas de Maizière, so ist das ein rühmlicher Abschluss der NSA-Debatte. Das Logo, das bis zum Start des Dialoges von der Presse nicht veröffentlicht werden darf, zirkuliert bereits auf Twitter. Es zeigt den Umriss der USA, ein bisschen Atlantik und gleich daneben die BRD, im Maßstab 1:5 so aufgeblasen, dass unsere Förderation der Bundesländer etwa gleichgroß ist wie die der Vereinigten Staaten. Zwischen den beiden Ländern zirkulieren Nullen und Einsen (beaufsichtigt von NSA und BND). Yo!

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 29 Juni, 2014, 06:25
Das Zeitalter der Extreme nannte Eric Hobsbawm das 20. Jahrhundert. Und das war es wohl, nicht nur wegen Jahrhundert-Katapstrophen wie 1. Weltkrieg und Genozid der Nazis, meint Hal Faber. Auch die Informations-Technik hat einiges beizutragen.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** "Es ist nichts, es ist nichts." Das waren die letzten Worte des osterreichischen Thronfolgers Franz Ferdinand am 28. Juni 1914, dem Sankt-Veits-Tag. Nur eine Fleischwunde und das beim größten Jäger aller Zeiten, der 272511 Tiere erschossen haben soll, unter ihnen mehrere Elefanten? Franz Ferdinands Phaeton war einfach nicht schusssicher konstruiert, die Überwachungstechnik selbst auf dem damaligen Stand der Technik alles andere als korrekte "Situational Awareness", wie dies im heutigen Polizeijargon heißt. Denn zuvor war eine Bombe geworfen worden, nur kullerte sie unter den falschen Wagen. Franz Ferdinand war ungehalten: "Da kommt man nach Sarajevo, um einen Besuch zu machen, und wird mit Bomben beworfen! Das ist empörend." Als dann sein Wagen falsch abbog und steckenblieb, konnte Gavrilo Princip unbedrängt schießen. Der Name des Anarchisten war bosnisch, der Wahnsinn kam aus Serbien, die Waffen ebenso.

*** Danach begann das große Gemetzel, das wir heute unter dem Namen "1. Weltkrieg" einordnen. Anderswo wird das Abschlachten nur Grand Guerre, Großer Krieg genannt. Etwa in Ypern, Start: 26. Juni 2014, Ende: 26. Juni 2014, Land:Belgien. Neben der Neuaflage der Kriegsschulddebatte gibt es zum Jubiläum zeitgenössischen Unsinn, etwa die Geschichte mit den Selfies von der Front. Die Pläne, diesen Krieg kurz und schmerzlos zu führen, lagen in den Schubladen der Kriegstreiber bereit und führten dennoch geradewegs in die Stahlgewitter. Kundige Warner gab es zum Kriegsausbruch wenige, der Hurra-Patriotismus war gefragt. Da sollte man an Norman Angell erinnern, der damals schrieb, dass der Krieg eine nutzlose Sache sei, angesichts der internationalen Arbeitsteilung und der ungeheuer gewachsenen Schnelligkeit der Informationsverarbeitung gerade im Aktiengeschäft. Die Welt könne es sich nicht erlauben, mit der dank Telegraphie vernetzten Wirtschaft einen Krieg zu tolerieren. Auch ein Irrtum. Die Welt ging nicht offline und die Kryptographen und Codebrecher aller Länder spielten eine wichtige Rolle. Bis heute gilt die Entschlüsselung des ADFGX-Verfahrens durch die Franzosen als Grund dafür, dass Paris nicht eingenommen werden konnte.

*** Die Entschlüsselung der Zimmermann-Depesche gehört zu dieser Geschichte, denn sie zwang die USA zur Aufgabe ihrer Neutralität. Die Vereinigten Staaten schickten 4,3 Millionen Menschen in den Krieg und waren später die ersten, die den Versailler Vertrag unterzeichneten, der ebenfallls Geburtstag hat. Am 28. Juni 1919 unterzeichneten die deutschen Vertreter unter Protest den Vertrag, der mit den Reparationszahlungen in der Weimarer Republik als politische Folie für den Republikhass auf den Weg zum 2. Weltkrieg eine Rolle spielte. Gibt es einen Zusammenhang zum NSA-Skandal, der in dieser Woche vom Bundestags-Untersuchungsausschuss so mustergültig Licht in das Dunkel bringt? Es gibt ihn. Ross Anderson macht darauf aufmerksam:

"Als Großbritannien und die USA Deutschland im Jahre 1944 angriffen, schickten wir nicht wie im I. Weltkrieg Millionen Menschen nach Europa, sondern eine Kampftruppe von einigen Hunderttausend Männern mit Tausenden von Panzern, gestützt von Tausenden von Flugzeugen und Schiffen. Heute ist der Übergang von der Kriegsarbeit zum Kapitaleinsatz noch größer geworden. Um einen ausländischen Führer zu töten, können wir eine Drohne nehmen, die eine Rakete abfeuert, die gerade einmal 30.000 Dollar teuer ist. Aber sie ist gestützt durch ein kolossal teures Investment — der Marktwert all der Firmen, die mit PRISM angezapft wurden, liegt über einer Billion Dollar."

*** In der letzten Wochenschau habe ich belustigt das Logo des Transatlantischen Cyber-Dialoges kommentiert, der inzwischen ziemlich geräuschlos über die Bühne ging. Besorgte Kommentatoren erwähnen zwar, wie der US-Vertreter John Podesta eine trockene Auflistung vorlegte, während unser Außenminister mit Pathos von der Freiheit des Menschen sprach. Aber, huch, nun soll Edward Snowden per Video am 11. September befragt werden, dem Schicksalstag der Amerikaner schlechthin. Damit würde Deutschland die Gefühle der Amerikaner nun richtig verletzen und das geht doch überhaupt nicht unter Freunden. Wer so argumentiert, findet auch nichts dabei zu schreiben, dass "Terroristen das World-Trade-Center in die Luft sprengten". Einsturz und Explosion sind nunmal unterschiedliche paar Schuhe.

*** Schuhe, Schuhe, natürlich ist die Assoziation an diese bunten Dinger der Fußballer bei ihrer Weltmeisterschaft da, die häufig in unterschiedlichen Farben getragen werden müssen, warum auch immer. In besagter Wochenschau hieß es, dass mit der WM am Volk vorbei schmutzige Politik betrieben wird und Gesetze verabschiedet werden, die niemand groß beachtet. Die tageszeitung hat nun den Faktencheck versucht und dabei wenig gefunden, was in den letzten Sitzungen vor der Sommerpause verklappt werden kann. Beim Fracking passiert jedenfalls nichts. Die Auswahl der Themen irritiert, denn wer hat allen Ernstes gedacht, das Alexander Dobrindt, in der großen Tradition unfähiger CSU-Verkehrsminister stehend, vor der Pause ein Gesetz zur PKW-Maut einbringen würde? Zumal in der kommenden Woche, in der die in Bayern so hassgeliebte Republik Österreich den 10. Jahrestag des "erfolgreichsten Mautsystems der Welt" begeht? Immerhin, das Gesetz zur Absicherung stabiler und fairer Leistungen für Lebensversicherte ist zur Freude der Versicherungswirtschaft ist auf gutem Wege. Das viele Lebensversicherungen nun drastisch verschlechtert werden, geschenkt, geschenkt: Dafür sind die Fußballmatches doch sooo lebendig und werden mit Bierchen in der Hand herrlich unverbissen geführt. Und die deutsche Torlinientechnik erst!

Was wird.

Das Luis Suarez jetzt bei einem Remake des Aufstandes der Untoten mitspielen soll, ist vorerst nur ein Gerücht. Kein Gerücht ist, dass der Zombie namens De-Mail neu belebt wird, obwohl er in Sachen Verschlüsselung nicht "state of the art" ist, wegen dieser schlimmen Virengefahr in den Mails, weshalb alles durchsucht werden muss. Was denkt sich bloß Herr Justizminister, der da vom Bundesinnenminister prompt korrigiert wurde? Morgen wird Dresden zur De-Mail-City Deutschlands ausgerufen. Die Dresdener haben richtig viel Dussel und bekommen alle schicke De-Mail-Adressen für ihren Gombschudor. Nun müssen wir nur noch klären, wie De-Mail auf sächsisch ausgesprochen wird. Ich setzte da auf meine treuen Leser. Irgendein Eggschbärde wird sicherlich die Antwort wissen, auch wenn das Sommerrätsel noch fern ist. Hier gilt übrigens, dass auch Trolle, die Hacker der Gefühle, mitmachen können. Oder muss es Drolle heißen? Man müsste die trolligen Piraten fragen, die daggen in Halle in Sachsen.

Dann ist da noch die anstehende Expertenanhörung zum deutschen Drohnenproblem. Die gesammelte Liste der schriftlichen Expertenaussagen ist sehr interessant, zumal sich nun auch der Wehrbeauftragte des Bundestages öffentlich für die Anschaffung von Kampfdrohnen ausgesprochen hat. Wie wäre es mit einem waffentragenden Predator, der beim Verlust des Kommunkationslinks souverän die vorprogrammierte Notlandeprozedur abarbeitet, mit einem klitzekleinen unprogrammed pitch over? Was noch fehlt, was sicher kommen wird, ist die Antwort der Bundesregierung auf die Frage, welch neuer Impuls das Verteidigungsministerium beflügelte.

"Durch den 'Impuls' des Bundesministeriums der Verteidigung ist den beteiligten Nationen bewusst geworden, dass eine Harmonisierung des Betriebes und des Zulassungswesens für UAS in Europa -- besonders im Hinblick auf eine kurz- bis mittelfristige Nutzung ihrer verschiedenen UAS-Systeme im nationalen Luftraum -- notwendig ist. Bisher wurden diese Systeme fast ausschließlich in den Einsatzländern eingesetzt."[/]

Deutschland, deine Oberlehrer. Ach, glückliches Österreich, könnte man da seufzen. Einfach mal mit dem Hinweis, dass man nicht in der NATO ist, den Überflug der Global Hawk verweigern, das steht dem Deutschen nicht zu.

Das war's. Ois hod sei End. Its all over now, zumindest für Bobby Womack. Aber in allem steckt auch ein Anfang. Womacks Song war der erste, den Bruce Springsteen auf der Gitarre lernte. "Warmer Wind wirft Weite her." Manche Musik passt einfach zur Lage des Individuums, aber keinesfalls zur Lage der Nation.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 06 Juli, 2014, 00:19
Vier Innenverteidiger? Der Rücken von Neymar? Interessiert Hal Faber nicht, der nimmt sich fußballfrei. Zu Hause läuft in Berlin das Sommertheater an. Da bringen sie eine moderne Farce zur Aufführung: Spion und Spion. Leider nicht so lustig.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

(http://1.f.ix.de/imgs/18/1/2/6/3/4/5/8/Villa-a42259ba16b6dc48.jpeg)

*** Huch, ein Bild? Ist schon Sommerrätselzeit? Sind die Nachrichten allealle und die Kaimane in Baggerseen aufgewacht? Was ist mit der Wirbelsäule des brasilianischen Papageis? Monty Pythons Comeback gescheitert, die Truppe hinter Gittern? Aber nicht doch, die Auflösung kommt sofort, schließlich stecken wir im größten Bundes-Nachrichten-geDümmel aller Zeiten. Da soll nun nach Berichten der Süddeutschen Zeitung ein BND-Mitarbeiter für die USA spioniert haben. Er soll sich vor allem um geheime Dokumente gekümmert haben, die der NSA-Untersuchungsausschuss auswertet. Die Sache ist alles andere als klar: nur ein einziger Mann, der auch noch per schlichter, unverschlüsselter E-Mail die CIA kontaktierte? Gut, die USA wollen wissen, was die deutsche Politik über die NSA weiß. Würde der 31-jährige Mann für die wieder mal bösen Russen spioniert haben, wäre seine Verhaftung kein Thema. Aber für einen eng befreundeten Geheimdienst, da verhaftet man doch nicht, da kopiert man den USB-Stick und teilt sich brüderlich die Erkenntnisse und gut ist.

Die Presse mag sich noch über die Zerstörung eines Bündnisses aufregen, aber das war es denn auch schon. Schließlich will auch der BND wissen, was die Politik via Untersuchungsausschuss über den BND weiß. Die jahrelange Arbeit an der parlamentarischen Kontrollverlust-Kommission vorbei muss ja auch irgendwie dokumentiert werden. Mindestens zwei Dutzend BNDler dürften sich mit dem Ausschuss beschäftigen, immer brav auf der legalen Suche nach OPINT. Nachrichten vom Ausschuss wie die über den beflügelten Drohnenkrieg gibt es ja genug, die ausgewertet werden müssen.

*** Damit klärt sich auch des Fotos Rätsel: es handelt sich um eine Rudolf-Steiner-Schule der Verehrer übersinnlicher Schleiertänze. Sie war einstmals ein Kampffort des Oberkommandos der Wehrmacht und später gemeinsamer Sitz von CIA, NSA und BND mit dem hübschen Tarnnamen: "Dokumentationsstelle für Wehrtechnik und Umweltschutz". In der Schulgeschichte heißt es zur Zeit nach 1990, als die Operation Blackfoot begann:

Die USA versprachen sich durch die Einbindung der Deutschen besonders effektive Informationenbeschaffung. So wurde das Gebäude ab 1990 im Föhrenweg zur Mitnutzung durch den BND freigegeben und genutzt. Die Amerikaner waren im Untergeschoss des Gebäudes. Die anderen Etagen benutzten die Mitarbeiter des BND. Man versprach sich gegenseitige Hilfe und vollständigen Informationsaustausch. Die Eigenständigkeit beider Geheimdienste wurde natürlich beibehalten, zumal die Interessen beider Staaten nicht gleich sind und auch ein gegenseitiges Misstrauen vorhanden war. Die Amerikaner waren umfangreich mit Geld und speziell ausgerüsteten Kraftfahrzeugen ausgestattet. Der BND arbeitete zumindest anfangs sehr zögerlich und schwerfällig....

Im Aktensicherungsraum des BND stand ein Faxgerät, das Texte nicht nur ins Hauptquartier nach Pullach faxte, sondern praktischerweise auch zu einem CIA-Anschluss. In der Welt der Schlapphüte gibt es nicht nur die Spione, sondern auch die Informations-Wasserträger, die Agentenführer und die Agentenumdreher. Aus gegebenem Anlass sei an die abenteuerliche Geschichte von Hüseyin Yildirim erinnert, der als Transporteur zwischen dem DDR-Spion James W. Hall und dem Ministerium für Staatssicherheit arbeitete. Anlass ist Imperium ohne Rätsel, das diese Woche erschienene Buch vn Klaus Eichner, des Chefanalytikers der DDR-Aufklärung über die NSA. Es kaut in weiten Teilen die Geschichte von Edward Snowden wieder und betreibt Geschichtsklitterung mit der Behauptung, dass sich das Ministerium für Staatssicherheit an die Gesetze gehalten habe, die NSA hingegen nicht.

*** Interessanter ist da ein anderer Punkt: Zehn Aktenordner füllte die von Hall als Printout entwendete und von Yildirim kopierte Bestandsaufnahme der NSA, die National SIGINT Requirements List (NSRL) mit den Informationswünschen der NSA, den sogenannten Informations-Selektoren über Personen und Einrichtungen:

"Wir wussten: Die Einspeisung der Namen in die NSA-Computer bewirkte, dass bei jeder Nennung des Namens in einer Aufzeichnung diese weitere selektiert werden würde. Gleichzeitig war klar, dass damit eine strenge Überwachung und nachrichtendienstliche Bearbeitung bei Einreisen in die USA verbunden sein würde. Wir konnten mittels der Informationsinteressen der Intelligence Community nachweisen, wie stark bereits Anfang der 80er Jahre deren Interessen auch an der Aufklärung und Bearbeitung der westlichen Verbündeten waren."

Fünfzig Blatt umfassten die Informationswünsche über französische Personen und Einrichtungen, 35 Blatt galten dem Partnerland Westdeutschland. Dass dieses Material nach Auflösung der Stasi unter strenger Geheimhaltung an die USA zurückgegeben wurde, mag man wie Eichner als Skandal sehen. Zumindest der Verfassungsschutz hat sich aber die NSRL angesehen und 94 Seiten genauer analysiert. In diesen Tagen haben gab es viel Wirbel um die Überwachung des Tor-Netzwerkes durch die NSA, weil der Source-Code von Selektoren veröffentlicht wurde. Für sich genommen nichts Neues, seitdem die Existenz des 2006 von der NSA vorgestellten Programmes Mjölnir durchsickerte. Mjölnir ist in der nodischen Sage der Hammer von Thor, mit dem nach Meinung der Programmierer das Tor-Netzwerk gedengelt werden sollte, denn Tor stinkt bekanntlich. Nun hat also die Analyse des Source-Code begonnen, die zumindest ans Tageslicht bringt, das vieles aus den Snowden-Unterlagen etweder ein Fake sein könnte oder aber aus Lernmaterialien stammt. Die Schlussfolgerung der Entrüster, dass das Linux Journal Lesestoff für Extremisten birgt, erscheint abwegig:

// START_DEFINITION
/* These variables define terms and websites relating to the TAILs (The Amnesic Incognito Live System) software program, a comsec mechanism advocated by extremists on extremist forums. */
$TAILS_terms=word('tails' or 'Amnesiac Incognito Live System') and word('linux' or ' USB ' or ' CD ' or 'secure desktop' or ' IRC ' or 'truecrypt' or ' tor ');
$TAILS_websites=('tails.boum.org/') or ('linuxjournal.com/content/linux*');
// END_DEFINITION


Noch abwegiger sind eigentlich nur noch die Hacker des Chaos Computer Clubs, die in ihrer Stellungnahme zu den bekannt gewordenen Programm-Schnippseln davon sprechen, diese Bezeichnung für Extremisten sei "ein weiterer Sargnagel für diese Geheimdienste und ihre Partner." Wie war das noch bei der Vorstellung des Verfassungsschutzberichtes, als verfassungsamtlich festgestellt wurde, dass Extremisten Verschlüsselung benutzen? Kein Aufschrei, nirgends.

*** Ist es auch Wahnsinn, so hat es doch Methode: unter den Neuerscheinungen dieser Tage gibt es ein weiteres Buch, Deep Web von Anonymus. Geschlagene 200 Seiten quält sich da ein Autor mit bemühtem Schreibstil ab, um die wilde, dunkle Welt von Tor zu beschreiben. Immer wieder werden LKA-Beamte und Staatsanwälte vom Autor befragt, was sie zum schlimmen Tor sagen; immer wieder betonen sie "in geschliffenem Beamtendeutsch", dass Tor in anderen, fernen, schlimmen Ländern die Meinungsfreiheit schützen hilft. Kein Interview mit den Ermittlern, das nicht in einem Plädoyer für die Vorratsdatenspeicherung endet. Besser kann das nur noch die Gewerkschaft der Polizei, wenn sie jubelt, dass die Vorratsdatenspeicherung kommen wird, damit wir Tor und Tails-Extremisten nichts zu lachen haben.

Was wird.

Ja, es gab noch andere Themen, etwa die Anhörung im Bundestag zur künftigen Drohnenpolitik, einen dröhnenden Schlagabtausch zwischen den Parteien und eine selbstfrauliche Vorentscheidung der Ministerin. Damit ist das Thema nicht gegessen, denn immerhin fragen sich sogar SPD-Politiker, warum man sich bei all dem NSA-Theater für ein US-System entscheiden sollte, das als Killer-System bekannt ist. Schließlich sind genau in diesem Punkte die deutsch-israelisch-afghanischen Beziehungen bestens eingespielt, schließlich kommen 40 Prozent der Heron-Bauteile aus Deutschland. Die Diskussion wird lustig weiter gehen. Damit komme ich zu einer Premiere der besonderen Art: Wenn diese kleine Wochenschau längst online im Netz steht und die Sonne über Deutschland lacht, wird erstmals ein Blogger und "Krautreporter" im ehrwürdigen Presseclub der ARD auftreten, der einstmals ein "Frühschoppen" war. Gesoffen wird längst nicht mehr.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 13 Juli, 2014, 05:00
Es gibt Tode, die kann man nur schwer verkraften, auch wenn sie nicht im persönlichen Umfald passieren, trauert Hal Faber. Und muss sich doch mit den Verirrungen dieser kleinen netzpolitischen und informationstechnischen Welt beschäftigen.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details
schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und
Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Charlie Haden ist tot. Ich kann es noch gar nicht fassen, vor wenigen Tagen habe ich mir erst "Last Dance", sein jüngstes Album, zusammen mit Keith Jarrett, angehört, das gar nicht nach Abschied klang, Titel hin, Alter her. Und nun ist Charlie Haden tot. Ein Verlust für die Musik, den man gar nicht ermessen kann. Ob es noch einmal einen Bassisten gibt, der die Musik der Zeiten, in denen er gelebt hat, so geprägt hat wie Charlie Haden, das glaube ich kaum. Nicht einmal Charles Mingus ist im Vergleich so prägend, so stilbildend, so vorwärtstreibend, so erneuernd. Charlie Haden ist tot. Ich bin tief traurig. Und tröste mich mit den Montreal Tapes und den Alben des Liberation Music Orchestra.

*** Und wie soll ich jetzt weitermachen? Aber nun gut: Endlich geht die fußballlose Zeit zu Ende und wir können uns alle auf das Freundschaftsspiel Deutschland gegen Argentinien im schönen Düsseldorf freuen. Schließlich ist das Jahr bald vorüber. All die klugen Analysen, wie die über Mensch gegen Maschine, all die Aufreger und knallharten Analysen vom heftig umkämpften Arbeitssieg "unserer Jungs" über Brasilien sind dann verblichen und vergessen. Nur eine nicht. Da hat doch Google glatt die Frechheit besessen, in einem experimentellen Newsroom mit Suchanfragen und Schlagzeilen zu experimentieren, die auf Suchanfragen reagieren. Ein Feature, das jeder Redakteur beherrschen muss, wenn er einen interessanten Newsticker oder die Seite einer Tageszeitung zusammensetzt.

*** Nur wollten die Programmierer bei Google inmitten des Twittergewitters Gnade beim Experiment walten lassen und schauen, wie sich das tapfere Brasilien in den Suchläufen widerspiegelt, wenn nicht von einer Katastrophe die Rede ist. Über die Suchläufe von Brasilianern wurde anschließend nichts veröffentlicht. Was aus diesen Experimenten folgt, ist klar wie Ochsenschwanzsuppe: Google ist urböse und die Politik muss dringend etwas tun. Mindestens ein Kartellverfahren muss her für diese experimentelle Frechheit der Laborratten, diesen Frevel an einem großartigen Männersport. Man google einfach mal "Messi sorgt für Ordnung" und schaue sich an, wie Deutschlands nächster Gegener vor dem Freundschaftsspiel skandalös von Google ignoriert wird.

*** Die Argumentation der Frankfurter Allgemeinen Zeitung wird noch von den Leserkommentatoren übertroffen, in denen staatliche Suchmaschinen gefordert werden, vielleicht nach dem Vorbild des chinesischen Panguso oder des russischen Sputniks. Ach ja, die Kommentare in den Leserforen. Den feingeistigen FAZ-Autoren machen sie schwer zu schaffen. Dass man erntet, was gesät wird, wenn so gegen Google gebolzt wird, kommt nicht in den klugen Köpfen an. Wer über die Ritter der Cyber-Empörung lästert und die Forderung nach Asyl für Snowden als "eitle Rufe" abtut, muss mit Gegenrede rechnen. Schließlich gibt es neben den verschnarchten Stützen der Gesellschaft auch Bürger, die diese Gesellschaft verändern wollen. Ansonsten ist es bezeichnend, dass die FAZ dem Internet nicht vertraut. Wie sagte noch ein gewisser Jürgen Kuri auf der re:publica (ich wiederhole mich): "Ein lebendiges Forum ist auch in der Lage, sich selbst zu regulieren." Das gilt ja nicht nur für unsere großartigen Heise-Foristas. Man schaue nur mal, wie aktuell bei der tageszeitung der Austritt des Berliner Landesverbandes aus der Piratenpartei diskutiert wird.

*** Bekanntlich haben die Piraten in Schleswig-Holstein dieser Tage dafür gesorgt, dass dort der Datenschützer Thilo Weichert nicht wiedergewählt wurde. Die Aktion wird als Erfolg verkauft, mit dem Zusatz, dass man um den politischen Anstand ringt und eine öffentliche Ausschreibung den besten Landesdatenschutzbeauftragten ins Amt spült. Man schaue nur im letzten Link, wie sachlich die Prinzipienreiterei der Piraten diskutiert werden werden kann. Kein Hass, nirgends, höchstens Mitleid und Unverständnis. Dass die nördlichsten Piraten eine gänzlich andere Vorstellung von Datenschutz haben, wenn sie die Namen von ermittelnden Polizeibeamten ohne Rücksicht auf verpfuschte Schwärzungen veröffentlichen, ist natürlich ein Werk von Rainer Zufall.

*** Was aber sind die Verirrungen der Piraten schon gegen die Verwirrungen von Spion & Spion, die aus einem Skript eines Billy-Wilder-Filmes entstiegen sind, komplett mit Harry Lime in den Katakomben von Wien. Wenn der eine Agent vom Verfassungsschutz aufgefordert wird, anderen Agenten zu überprüfen und der diesen Fall auch noch dem russischen Generalkonsulat in München schickt, dann hilft auch keine Prüfung des "Verräters" durch einen Psychiater. Die Diagnose, dass die Geheimdienste mangels jedweder Kontrollmechanismen verrottet sind und aufgelöst werden müssen, ist eine gesellschaftspolitische. Leider hilft die Diagnose nicht weiter: wenn dieser Agenturbericht stimmt und Bundeskanzlerin Merkel inmitten all der geheimdienstlichen Irritationen es abgelehnt hat, dass Deutschland Mitglied der "Five Eyes" wird, muss man die Alternativen sehen, die Merkel offenbar sieht. Es ist ja kein Geheimnis, dass christliche Volksparteipolitiker einen europäischen Geheimdienst installieren wollen, der dann so groß und mächtig werden könnte wie der gnadenlose europäische Récupération des Renseignments im Science-Fiction-Krimi Drohnenland. Damit passen auch Betrachtungen ehemaliger BND-Mitarbeiter über Chancen und Risiken eines Nachrichtendienstes der Europäischen Union in das Puzzle. Die BRD als vollwertiges Mitglied der "Five Eyes" auf einer Höhe mit den Partnern der UKUSA wäre für unsere Nachbarn so akzeptabel wie die deutsche PKW-Maut. Nämlich gar nicht.

*** In dieser Woche hat der Bundestag mehrere Petitionen abgelehnt, die Asyl für Snowden oder ein Bett für Snowden forderten. Snowden muss sein Asyl in Russland verlängern. Nach neuesten Veröffentlichungen von Glenn Greenwald überwachten die USA prominente Muslime und kümmerten sich um jede Menge Beifang. Dass es mittlerweile auch Kritik an der scheibchenweisen Veröffentlichungstaktik von Greenwald gibt, mit der Greenwald und andere das Optimum an Einnahmen zu erreichen suchen, sei nicht verschwiegen. So haben wir die wenigen Glücklichen im Besitz der Snowden-Dateien, die freilich keine Technik-Experten sind und denen nach zwei Stunden regelmäßig die Augen ausfallen, wenn es um Technik geht. Dann müssen sie schnell an die Tastaturen. So manifestiert sich das, was der investigative Journalist Seymour Hersh auf der Jahrestagung des netzwerk recherche so formulierte: "Newspapers turn out to be not very interested in spreading the wealth."

Was wird.

In der kommenden Woche wird unsere Bundeskanzlerin Angela Merkel 60 Jahre alt. So etwas will mit Schmidscher Gelassenheit gemeistert werden, vielleicht bei einer Runde Eierlikör mit ihrer Nachfolgerin von der Leyen. Momentan weilt Merkel aber ganz ungelassen in Brasilien, um der scharfen NSA-Kritikerin Dilma Rousseff ihr Beileid auszusprechen. Zusammen gucken Merkel und Rousseff heute abend mit Wladimir Putin und seinem Intimfeind Joachim Gauck irgendein Spiel an. Womöglich kommt auch Chinas Xi Jinping vorbei mit ein paar Tüten Chips und diesem schicken Scanner, dessen Malware Daten in die Volksrepublik reportierte. Zeit genug, einige Geburtstagsvorbereitungen für Angela Merkel zu treffen. Festredner ist der Historiker Jürgen Osterhammel, als Band könnte wieder einmal der Shanty-Chor auftreten. Vielleicht mit einem schönen Lied wie Pet Sematary zum Andenken an Tamás Erdélyi, genannt Tommy Ramone. Oder wie wäre es mit Dolly Parton mit feinster Warmherzigkeit? Frei nach William Blakes Tiger, Tiger, burning bright gibt es bereits ein erstes entzückendes Geburtstagsständchen als Vorlage:

What Angela Merkel trace,
Rose before thine eager face?
Then when thy hand began to
click, Thou snatched in an Augenblick!

NSA, NSA, burning bright,
In the networks of the night;
What immortal line of code,
Put Thee at every single node?

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 20 Juli, 2014, 05:44
Please allow me to introduce myself, I'm a man of wealth and taste. Ein gewisses diabolisches Grinsen kann sich Hal Faber tatsächlich nicht verkneifen. Trotz aller Tode, berühmter ebenso wie namenloser, die vor allem für politische Unruhe sorgen.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Ja, damals: Als die Dokumentation "Sympathy for the Devil" im Fernsehen lief, kam der Blues über uns, die Musik der Schwarzen. Ganz nett war dann, wie Alexis Korner schrammte. Aber dann kam ein Albino und zerlegte alles nach Strich und Faden. Johnny Winter schenkte uns "Nothing but the Blues", was immer noch der beste Grund dafür ist, die IP-Adresse zu verbiegen, um die bei uns gesperrten Songs des Albums hören zu können zum Abschied. Zurück im Delta oder tief unten in Florida, dort ist Johnny Winter nun angekommen.

*** Nirgendwo ist Flug MH17 angekommen. Vieles spricht für einen versehentlichen Abschuss, doch wer verantwortlich ist, das ist noch unklar, nicht nur in der Wikipedia. Aus der Sicht des Datenjournalismus haben Lufthansa und Singapore Airlines einfach nur Glück gehabt. Der hilflose Ruf nach UN-Blauhelmen entspricht der allgemeinen Konzeptionslosigkeit der neuen deutschen Ostpolitik und dem Festredner-Schwafeln von "Russlands reichs-nostalgischem Weg" auf der Geburtstagsfeier der Kanzlerin.

*** Der Geschichtsprofessor Osterhammel sprach auf der Feier vom Internet als "revolutionäre Daseinsmacht" wie es etwa die Religion ist in seinem Buch Die Verwandlung der Welt. Vielleicht geht es auch etwas kleiner. Da gibt es nun einen großen Bohai um deutsche Spione, während die Regierung "mit bleierner Gelassenheit" auf die Emthüllungen von Edward Snowden reagiert. Ausgerechnet den Entwurf des BND für Gegenspionage soll der Mann sowohl an die Amerikaner wie an die Russen gemailt haben. Vielleicht sollte man einmal den Alltag von Spion und Spion betrachten. Die tageszeitung hat das gemacht, im Falle eines Spiones des Assad-Regimes, rekonstruiert nach Akten des Bundeskriminalamtes. Da wird der Entwurfsordner von Gmail benutzt, mit Skype telefoniert, Foto-Material auf USB-Stick gebrannt und nach Syrien geflogen. Wieder einmal ist es die Telefonüberwachung mit einem IMSI-Catcher, die den Durchbruch bringt: In sieben Tagen werden 15 verschiedene Orte und 10.688 Handys überwacht, bis man die verschiedenen Geräte des Spions identifiziert hatte. Der Rest war dann Routine-Sache, ganz ohne Großabschnorchelung am De-CIX.

*** Ohne Überwachung sind Menschenleben in Gefahr - "innocent lives will be lost."! Mit dieser steilen These der Heimatschützerin Theresa May hat Großbritannien das heftig diskutierte  Notstandsgesetz-Paket DRIP (Data Retention and Investigatory Powers Bill) verabschiedet. Bei den Debatten in den beiden Kammern waren teilweise weniger als 20 Politker anwesend, als ob noch Fußball-WM wäre. Aber Briten gehen so. Die Online-Welt ist böse, da muss unter Berufung auf den schwer unter Terror leidendem Staat Dänemark die Vorratsdatenspeicherung wieder her und ausgeweitet werden, am besten auf die ganze Welt: "Service providers have to comply with their legal obligations, irrespective of where they are based." Bezeichnend ist, dass der Vorgang mit dem Broadcasting Ban von 1988 verglichen wird, "the most stringent controls imposed on the electronic media since the Second World War. A watershed had been reached in government relations with British journalism - never again could the boast be made that Britain enjoyed complete freedom of speech." Wer braucht schon Rede- und Informationsfreiheit. In seiner Kolumne Electronic Chronicles schrieb der US-Amerikaner Paul Levinson damals:

"These moves, though no doubt born of understandable frustration in a world plagued by terrorism, are astonishing attacks on the bulwarks of democracy. At a time when the world is being thrilled to the marrow with the first rays of freedom in the Soviet Union, England -- the birthplace of modern Western democracy -- is taking a frightening step backwards. The move has all the slipper signs of fascim."

Levinsons Kommentar wurde in den damals bestimmenden Online-Diensten wie Compuserve oder Prodigy gelöscht, das Recht auf Vergessen war in den 80ern ein Gutsherrenrecht. Auch das kommt heute wieder, wenn ein Gigant wie Google das von der EU geforderte Recht auf Vergessen einführt und die europäischen Staaten und ihre Justizorgane erst recht von Google abhängig macht.

*** In Schweden sind die Rechtsanwälte von Julian Assange in erster Instanz mit dem Versuch gescheitert, den schwedischen Haftbefehl und damit den europäischen Haftbefehl gegen ihren Mandanten aufheben zu lassen. Sie ziehen nun vor das Berufungsgericht Svea hovrätt und geben sich zuversichtlich, diesmal zu gewinnen. Unterdessen hat Ecuador noch einmal bekräftigt, Assange so lange Asyl in der Botschaft zu gewähren, bis er zu einem sicheren Aufenthaltsort reisen kann. Die Generalstaatsanwältin Ny, die die Vorwürfe gegen Assange untersucht, deutete einen Ausweg aus dem perfekten Patt an. Nach ihrer Ansicht ist ein Verhör in der Botschaft in der Botschaft schon deshalb nicht möglich, weil dort kein Zwang auf Assange ausgeübt werden kann, ein Wattestäbchen zur bislang fehlenden DNS-Probe zu akzeptieren. Könnte der Wikileaks-Chef nicht vorab eine Eklärung abgeben, dass er der DNS-Probe zustimmt? Darauf wollte die Anwälte nicht eingehen.

Was wird. (Was war reloaded.)

Wir sind Weltmeister. Aber wir können uns nicht benehmen. Darum üben wir noch. Frei nach Ernst Blochs Hoffnungsprinzipien und dem enttäuschten Klaus Theweleit kann man nur festhalten: Der Fußball, der geht so und Philipp Lahm auch. Wenn jetzt bitte noch die elende "political correctness" sich aus dem Fußball raushalten könnte und diese furchtbaren Mercedes-Sterne verschwinden, könnte es noch was werden mit dem Fußball. Automarken werden sowieso total überschätzt, die Zukunft gehört dem rollenden Flatrate-Unwesen.

Die Zukunft war bekanntlich schon einmal besser. Man denke nur an das Konzept der öffentlichen Feiermeilen und Kunsträume mit den Centerbeams, die Otto Piene am MIT entworfen hat, wo die ersten programmierten Lichtskulpturen entstanden. Am MIT war Piene Professor für "Telekommunikation, Laser, Video, Holographie, Himmels- und Umweltkunst", wie er sein Forschungsgebiet nannte. Vor vielen Jahren schrieb Piene mit seiner Loseblattsammlung More Sky eine vergnügliche Gebrauchsanweisung für das Leben in der Zukunft. Sein Olympia-Regenbogen sollte ein Zeichen der Hoffnung setzen für alle Menschen im Nahen Osten. Nun ist Piene in Berlin im Taxi gestorben und More Sky zur Retrospektive geworden. Zu seinen Ehren startet das Sommerrätsel 2014 mit der Kategorie "Kunstware", die weit mehr als nur "Computerkunst" umfasst.

Auch Heribert Hellenbroich ist gestorben. Das Bundesinnenministerium hat ihm eine etwas nichtssagende Kondolenz spendiert, in der "die Bekämpfung der Wirtschaftsspionage durch die frühere Deutsche Demokratische Republik" besonders gewürdigt wird. Das mag ein Bruderkampf der Staaten gewesen sein, doch der eigentliche spielte sich zwischen ihm und seinem ultramarxistischem Bruder ab, ein echtes BRD-Vermächtnis. In diesen unseren NSA-durchtränkten Zeiten geht das Sommerrätsel auch mit der Kategorie "Spyware" an den Start.

Mit Heinz Zemanek ist der bedeutendste österreichische Informatiker gestorben. Aber dann gab es da noch einen, den Commander Cliff Allister McLane, den Gründer von Pan y Arte, den Dietmar Schönherr von Wünsch dir was. Diese Sendung würde heute im pc-Zeitalter sofort verboten werden, nicht nur wegen Leonie Stöhr oder abgesoffenen Autos. Dass in der Sendung gegeneinander antretender Familien die Kommune 1 auftrat und höchst intelligent über den Sinn von Ehe und Familie diskutierte, ist ein Hack der ersten Güteklasse. Auch das Vorlesen der Künstler, die von Nationalsozialisten getötet wurden, bei der Verleihung der Goldenen Kamera zähle ich dazu. "Warum haben Sie nur die schöne Schau gestört?" Ja, warum nur? In Andenken an Dietmar Schönherr und im Vordenken an das bevorstehende Jubiläum des Btx-Hacks geht darum die Kategorie "Hackware" im neuen Sommerrätsel an den Start.

Vorschläge zum kniffligen Rätseln sind wie immer willkommen. Zu gewinnen gibt es nichts, höchstens Ruhm bis zur Löschung durch diesen oder jenen Idioten. Aber

Be careful with a fool
You know, someday he may get smart
He will treat you so cool and chilly
Till he will hurt you to your heart

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 27 Juli, 2014, 07:00
Manchmal wünscht sich Hal Faber die Schlichtheit jener IT-Experten, die Andersdenkende einfach zum Troll erklären. Schließlich sind wir nicht im Waffeleisenzeitalter.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Angeblich herrscht im Nahen Osten Waffenstillstand, nur in den Tunneln wird gekämpft und im Internet. In meiner Twitter-Timeline sind die Raketenwarnungen von #IDF verschwunden, doch Aufatmen gilt nicht, die Schizophrenie ist in Schussweite. Die gruselige Frage, wo die Kritik an Israel aufhört und wo der Antisemitismus beginnt, steht wieder einmal vor der Tür und tritt diese mit Krawumm ein. In dieser Lage wünscht man sich die Schlichtheit jener IT-Experten, die Andersdenkende einfach zum Troll erklären und dann mit Nichtbeachtung strafen. Doch so einfach geht es nicht, hier hilft kein Kochrezept und kein Ausblenden unerwünschter Wirklichkeiten.

Algorithmen sind Vorschriften und Schrittfolgen, nach denen Computer Prozesse abarbeiten und Aufgaben lösen, vergleichbar einem Kochrezept. Dienste wie Google News oder Rivva erstellen so eine automatisierte Nachrichten-Übersicht, beim US-Unternehmen Narrative Science werden ganze Texte erstellt.

So erklärt das Handbuch Groundbreaking Journalism von Vodafone und irights das Ende des klassischen Journalismus und den Übergang zum Kochrezept, 30 Jahre nach dem Sachertorte-Algorithmus, dem ultimativen Buch gegen die Computer-Angst. Ja, heiter ist aller Anfang und am Ende schreibt der Roboter die Tora. Übrigens ist nicht nur der Journalismus bedroht, auch die Tage des System-Administrators sind gezählt. Und die Wikipedia wird auch kein Menschenwerk mehr sein.

*** Bis es soweit ist, lernen wir alle noch eine Programmiersprache: leider nicht online, sondern nur auf Papier, erzählt das Wochenend-Feuilleton lang und breit vom Programmieren als oberste Bürgerpflicht der inneren digitalen Agenda: "Wer den Computer beherrschen will, muss sich mit ihm verstehen." Na dann, die geschickt geschaltete Werbung für Codeacadamy, Team Treehouse und Udacity macht uns alle zu besseren Menschen wie Ranga Yogeshwar. Apropos Kochrezept, wie wäre es mit dieser erweiterten kochtechnischen Frage:

Ein Waffeleisen kann Waffeln machen, ein Computer kann Programme ausführen. Warum aber sind wir im Computer-Zeitalter und nicht im Waffeleisenzeitalter?

Digitale Agenda? Da war doch was? Genau, ein CeBIT-Auftritt der drei Superminister, die die Digitalisierung Deutschlands schultern wollen. In dieser Woche ist termingerecht zur Sommerpause der Politik ein erster Entwurf dieser digitalen Agenda "zufällig veröffentlicht" worden, nachdem er bereits durch alle Redaktionen kursierte, bis er im Briefkasten von Netzpolitik aufschlug. Er liest sich, als habe ein besonders schlechter Algorithmus Bullshit-Bingo gespielt, dabei auf Kriegsfuß mit der deutschen Sprache stehend: Aus einer Koordinationsaufgabe wird eine "koordinative Aufgabe", ein "runder Tisch Internet und Menschenrechte" wird "verstetigt" und wenn schon mal der Mensch und seine Arbeit im Mittelpunkt der Agenda steht, dann qualmt der Assoziationsblaster:

Forschung für die Zukunft der Arbeit in einer digitalisierten Welt leistet einen Beitrag dazu, eine gewinnbringende Koevolution von Technik und sozialen Faktoren wie Kompetenzentwicklung, (Arbeits-)Prozessinnovationen und gesundheitlichen Präventionskonzepten zu ermöglichen.

*** Phrasen wie die von der gewinnbringenden Koevolution zeigen den Verlust des Denkens. Dabei ist überall Aktionismus angesagt: Strategien werden gezimmert, Aktionspläne gezeichnet, Steuerkreise gemalt, Plattformen aufgebaut und ein noch zu schweißender Ordnungsrahmen muss auch noch her. Aus der klaren Sprache des Koalitionsvertrages ist unter Mithilfe von drei Ministerien ein digitaler Murks entstanden. Nicht länger ist forsch die Rede von "wir ergreifen Maßnahmen zur Rückgewinnung der technologischen Souveränität" Deutschlands, wie das im Koalitionsvertrag formuliert wurde. Stattdessen heißt es nun:

Gemeinsam mit der Wirtschaft wollen wir die deutsche Technologiekompetenz für vertrauenswürdige IT stärken und dauerhaft sichern. Hierzu richten wir eine Plattform "vertrauenswürdige IT" ein.

*** Am Ende steht dann der TÜV, der heute schon alles zertifiziert, was nicht bei Drei auf die Bäume geklettert ist, und winkt mit einer hübschen Plakette. Manche Sätze der Agenda lesen sich, als wären wir im Waffeleisenzeitalter:

Wir wollen Verschlüsselungs-Standort Nr. 1 auf der Welt werden. Dazu soll die Verschlüsselung von privater Kommunikation in der Breite zum Standard werden. Die Anwendung von Sicherheitstechnologien wie De-Mail bauen wir aus.

Wer diese drei Sätze Ernst nimmt, muss seinen Bürgern die Ende-zu-Ende-Verschlüsselung von De-Mail kostenlos anbieten, möglichst mit verschiedenen Verfahren und Verzeichnisdiensten für öffentliche Schlüssel. Derzeit ist das nicht der Fall, nur ein Plätzchen für die Hinterlegung von S/Mime-Zertifikaten ist da. Hilfestellung oder gar Erklärungen, was man sich unter X.509 vorzustellen hat, sucht man im System vergebens. Auffällig ist auch, wie häufig vom Algorithmus der Agenda betont wird, dass Netzpolitik Europapolitik ist. Gerade hat ja auf europäischer Ebene der Verordnungsentwurf zur elektronischen Identifikation die letzten Hürden genommen. Damit ist das Aus des deutschen Sonderweges einer qualifizierten elektronischen Signatur programmiert, durch Politik und ganz ohne Algorithmus.

*** Die Digitale Agenda spricht von Cybercrime, Cyberspionage und Cybersecurity – und von einer Cyber-Sicherheitspolitik gegen einen Cyber-Rüstungswettlauf. Klingt nett, doch ein Blick auf die aktuellen Nachrichten zeigt, dass es längst cybermäßig lichterloh brennt an allen Ecken und Enden. Auch die Tagespolitik spricht eine andere Sprache, nämlich diese hier:

"Der BND handelt bei seiner Aufgabenerfüllung im Einklang mit den bestehenden verfassungsrechtlichen und gesetzlichen Vorschriften.'

Dieser dürre Satz ist im Kern die regierungsoffizielle Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion mit elf Einzelfragen. Zuvor heißt es lediglich, das die Fragen 1 bis 11 gemeinsam beantwortet würden. Das nennt man eine symbolische Klatsche. Für diesen einmaligen Vorgang bedauert es der Journalist und Jurist Heribert Prantl, dass es keinen Straftatsbestand der "Missachtung des Parlamentes" gibt und er schreibt, leider nicht online, gewissermaßen den Gegenkommentar zur Agenda dieser Regierung:

Die Art und Weise, wie die Bundesregierung mit den Anfragen des Parlaments umgeht, ist skandalös. Das Bundesverfassungsgericht hat die Herablassung, die Oberflächlichkeit und die Dürftigkeit, mit der die Regierung immer wieder Fragen der Parlamentarier behandelt, für verfassungswidrig erklärt. Die Regierung schert sich wenig darum. Wie wenig, das zeigt die Antwort zu den Rechtsgrundlagen der Arbeit des BND im Ausland.

*** Diese Herablassung hat Methode, kann Prantl ergänzt werden. Denn die Regierung gibt auf Anfrage zwar Auskunft über Software, die die Bundeswehr einsetzt oder einsetzen will, wenn soziale Medien in den Einsatzländern beobachtet werden. Kommt die Anfrage auf den BND, wird eisern geschwiegen oder vage von "statistischen Verfahren" geschwafelt, mit denen der BND Echtzeitanalyse von Streaming-Daten betreibt. Die wenig gesicherte Meldung hinzugenommen, nach der sich der BND für die In-Memory-Datenbank SAP HANA interessiert, um schneller gigantische Datenmengen durchsuchen zu können, könnte man fast auf die Idee kommen, dass es eine zweite digitale Agenda gibt.

Was wird.

Mit den Kriegen in Israel und der Ukraine sind wir weit von einem Sommerloch entfernt, in dem sich das traditionelle Sommerrätsel breit machen kann, in dem in der Kategorie Spyware sicherlich auch der BND sein Plätzchen unter all den Geschichten von Spion & Spion hat. Geht es nach dieser Meldung, so schnorchelt unser Auslandsgeheimdienst in Frankfurt am weltgrößten Peering Point mit, wo Milliarden von E-Mails über die Systeme geschaltet werden. Technisch sieht das so aus:

(http://2.f.ix.de/imgs/18/1/2/7/5/2/7/9/De-Cix2-f89149d4187e8c15.png)

Frage: Mit diesem Bild ist ein kleines Jubiläum verbunden, das in der nächsten Woche gefeiert wird, wenn die nächste Wochenschau am Rande der norddeutschen Tiefebene entsteht. Worum geht es?

Ein weiteres Jubiläum naht am 5. August mit dem Tag im Jahre 2014, als Großbritannien Deutschland den Krieg erklärte. Technisch wichtiger war der Betrieb der ersten elektrischen Straßenampel im US-amerikanischen Cleveland. Das muss doch gefeiert werden, wie der Mensch sich erstmals freiwillig dem Signalgeber unterwarf. Seit langem werden Verkehrsampeln von Computern gesteuert, womit wir vom Waffeleisen zurück bei den finsteren Algorithmen sind, die unser Leben in Rot- und Grünphasen aufteilen. Besonders schick sind jene Systeme, die im Verbund mit der Kennzeichenerkennung die Fahrgeschwindigkeiten errechnen und weitergeben können. Da wird es nicht nur den Geheimdienstlern warm ums Herz.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war.Was wird.In einer gewittrigen Sommernacht:des Sommerrätsels erster Teil
Beitrag von: SiLæncer am 03 August, 2014, 06:00
Sommerlöcher? Wunschmaschinen? Oder alles nur Lug und Trug, die Einsschusslöcher lassen kein anderes Denken mehr zu? Hal Faber eröffnet trotz allem das Sommerrätsel.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Willkommen bei dieser kleinen Wochenschau und der ersten Ausgabe des Sommerrätsels, vor vielen Jahren als Vehikel gedacht, im WWWW das Sommerloch zu umschiffen. In diesem Jahr gibt es mehr Einschusslöcher als Sommerlöcher, in dem Gaza-Krieg abseits der Genfer Konvention, den Auseinandersetzungen an der ukrainischen Grenze oder dem Abschlachten in Syrien. Kann man in einer solchen Situation wirklich über Kunst schreiben und rätseln, wenn das Töten von Schutz suchenden Zivilisten mit der Notwendigkeit verglichen wird, den Rasen zu mähen – was den "Rasen" kräftigt. Ich schaue auf meine Karten zum Waldbühnenkonzert des west-östlichen Divan und sage ja. Man muss. Es ist wichtig und nötig, über Kunst zu schreiben oder nachzudenken, ob es Musik ist wie von Kareem Rouston oder Ayal Adler oder eben Computerkunst.

Der ganze Artikel (http://www.heise.de/newsticker/meldung/Was-war-Was-wird-In-einer-gewittrigen-Sommernacht-des-Sommerraetsels-erster-Teil-2282378.html)

Quelle : www.heise.de
Titel: Was wirklich wahr war in des Sommerrätsels erstem Teile
Beitrag von: SiLæncer am 04 August, 2014, 20:32
Pah, alle viel zu einfach wegen der Bildersuche von Google? Steht alles ohnehin in der Wikipedia? Keine Rätsel, nur das Abfragen von Gelerntem? Ganz so einfach war es doch nicht.

Gleich die erste Frage des Sommerrätsels zur Rolle der Kunstware im Zeitalter der universalen Googlierbarkeit wurde nicht gefunden. Gesucht wurde der Künstler George Widener, der als Soldat in Deutschland mit seinem einzigartigen fotografischen Gedächtnis beim 26th Tactical Reconnaissance Wing in Zweibrücken Satellitenbilder auswertete, wie sie heute beim Fall des Flugzeug-Abschusses in der Ukraine diskutiert werden. Aus dieser Erfahrung entstanden später Kunstwerke, wie etwa die Auflistung aller Flugzeuge, die an einem Sonntag abstürzten.

Der ganze Artikel (http://www.heise.de/newsticker/meldung/Was-wirklich-wahr-war-in-des-Sommerraetsels-erstem-Teile-2283043.html)

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. Der zweite Teil des Sommerrätsels, passend zu Spion&Spion
Beitrag von: SiLæncer am 10 August, 2014, 08:20
"Geht nach Hause, kleine Kinder. Oder geht, wohin ihr wollt." Aber halt! Hal Faber hat da noch den zweiten Teil des diesjährigen Sommerrätsels. Und das in diesen Tagen, da wir wieder einmal lernen, wie sich die Welt in Freund und Feind aufteilt.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Journalisten lieben Jubiläen. Sie machen Artikel im Voraus planbar und sollten eigentlich täglich anfallen. Ganz anders als das öde Tagesgeschäft lassen sich Jubiläen mit Tonnen von Moral anreichern. Man sieht es an den Zeitungen, die allesamt an diesem schönen Sommer-Wochenende den 100. Geburtstag der Troll-Zeichnerin Tove Jansson feiern. Nein, hier passiert das nicht. Oder doch nur ein kleines Häppchen, wie damals, als Jansson starb, nicht ohne der Welt den wunderbaren Satz gegeben zu haben: "Geht nach Hause, kleine Kinder," sagte Schnupferich, "oder geht, wohin ihr wollt. Das ist genauso gut."

Der ganze Artikel (http://www.heise.de/newsticker/meldung/Was-war-Was-wird-Der-zweite-Teil-des-Sommerraetsels-passend-zu-Spion-Spion-2289599.html)

Quelle : www.heise.de
Titel: Was wirklich wahr war, bei Spion & Spion
Beitrag von: SiLæncer am 12 August, 2014, 13:43
Lauter Schlapphüte tummelten sich im zweiten Teil des Sommerrätsels. Dessen Denkaufgaben wurden nicht alle so einfach gelöst – trotz Googles Bildersuche.

Wieder einmal ist es an der Zeit, die Denkaufgaben des Sommerrätsels aufzulösen und die Bildersuche von Google zu verfluchen. Aber halt, nicht alle Rätsel wurden so einfach gelöst wie in der Frage 2, als ein Bild auftauchte, das man auch auf Cryptocomb finden konnte. Es zeigt den in Deutschland zur Persona Non Grata erklärten CIA-Offizier Ralph Goff in der Richard-Sorge-Straße. Gesucht und schnell gefunden war damit der deutsche Meisterspion Richard Sorge, der im Oktober 1941 die Sowjetunion davon unterrichtete, dass Japan nicht angreifen wird. Damit konnten Stalins Militärtaktiker im II. Weltkrieg die Kräfte zur Westfront gegen die Deutsche Wehrmacht schicken.

Der ganze Artikel (http://www.heise.de/newsticker/meldung/Was-wirklich-wahr-war-bei-Spion-Spion-2290476.html)

Quelle : www.heise.de
Titel: Der dritte Teil des Sommerrätsels, ethisch den Verstand auf die Probe stellend
Beitrag von: SiLæncer am 17 August, 2014, 07:00
Hacker-Ethik? Ach, geh mir weg. Ethisch finden manche ja sogar Gammas Trojaner-Software. Aber trotzdem: Ethisch soll es zugehen in Hacker-Kreisen. Hal Faber fragt nach. Wenn auch hier nur in Rätselform.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Wir kennen alle Murphys Law und vertrauen auf Moores Law, doch wenn es um Linus' Law geht, da beginnt das Kopfkratzen und Entlausen. Denn es gibt glatt zwei Gesetze mit diesem Namen. Das eine stammt von Eric Raymond, dem Hüter der Jargon Files. Es steht in seinem Text über Kathedralen und Basare und ist eine Art Mantra der Open Source Szene: "given enough eyeballs, all bugs are shallow". Wenn genügend Augäpfel geworfen werden, verschwinden die Käfer. Mit Linus' Law verbindet sich aber auch ein kleiner Text von Linus Torvalds in einem Buch von Pekka Himanen, das die Hacker-Ethik mit der protestantischen Ethik vergleicht, die da sagt "arbeite und sei sparsam, bis dir die Augäpfel rausfallen". Gegen diesen düsteren Ansatz wendet sich der Linux-Schöpfer und schreibt von den drei Stufen menschlicher Motivation: Überlebensdruck, dann soziales Miteinander und, als höchste Stufe das Tun und Hacken Just for Fun. Fun, das stahlharte Bällebad der Moderne, das ist mein Stichwort: Willkommen beim dritten und letzten Teil des Sommerrätsels. Es geht um die Hackware, um berühmte Hacker und nicht minder berühmte Hacks. So etwas war schon einmal Teil des Sommerrätsels, als der spektakuläre Bankeinbruch der Bayerischen Hacker geraten werden sollte. Diesmal soll es hoffentlich kniffelig genug sein und nicht durch die elende Google-Bildersuche ausgehebelt werden können. Aus Respekt vor Robin Williams sind Fragen zu Hackern wie Karl Koch und Boris Floricic ausgeschlossen und doch: Wer fühlt sich bei den Rekrutierungs-Szenen von Good Will Hunting am MIT eigentlich nicht an die NSA erinnert?

Der ganze Artikel (http://www.heise.de/newsticker/meldung/Was-war-Was-wird-Der-dritte-Teil-des-Sommerraetsels-ethisch-den-Verstand-auf-die-Probe-stellend-2293620.html)

Quelle : www.heise.de
Titel: Was wirklich wahr war bei den Hacker-Rätseln
Beitrag von: SiLæncer am 19 August, 2014, 13:22
Aus. Aus und vorbei. Das gilt für den Sommer wie für das beliebte Sommerrätsel. Es ging um Hacker und Hacks aller Art und sollte nach Protesten der Rätselfreunde etwas kniffliger sei.

Also keine Bilder für die Inverssuche mit Google, nichts, was mit Bing einfach gefunden werden kann. Das Resultat: Von zehn Fragen wurden drei gelöst. Vielleicht waren auch nur die Fragen schlecht oder das Wetter zu kühl.

Des Sommers letzte Rätselei begann mit der Frage 1, wann und von wem Hacker in Deutschland erstmals ehrenvoll erwähnt wurden. Wer die Online-Archive durchstöbert, wird schnell herausfinden, das Hacker Anfang der 80er Jahre erwähnt werden, fast zeitgleich mit dem Hackerfilm War Games. So warnt etwa die Computerwoche vor Hackern, die mitnichten die Robin Hoods des Informationszeitalters seien, sondern dumme Jungens. Die erste ehrenvolle Erwähnung ist aber älter und findet sich in dem 1975 von Joe Weizenbaum geschrieben Buch "Computer Power and Human Reason":

Der ganze Artikel (http://www.heise.de/newsticker/meldung/Was-wirklich-wahr-war-bei-den-Hacker-Raetseln-2294269.html)

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 24 August, 2014, 06:05
Ukraine? Irak? Ach, Deutschland hat auch einiges zu bieten, was fassungslos macht, merkt Hal Faber an. Und dabei hat er nur einige Dokumente gelesen. Und Pressekonferenzen angeschaut. Da kann man schon mal in Märchendichterstimmung verfallen.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Nach den Sommerrätseln über Kunstware, Spyware und Hackware bekamen wir ein Sommerrätsel ganz eigener Art, die "Digitale Agenda 2014-2017", präsentiert von drei Ministern auf einer kuriosen Pressekonferenz. Ist nicht schon alles kommentiert, angemahnt und belästert worden, vom Bullshit-Bingo bis zum abenteuerlichen kriminalistischen Gedankenflug von Siggy "Pop" Gabriel? Gemach, gemach, die richtigen Klopfer folgen noch. Wer Papier mag, schlage einfach die Seite 3 der Wochenendausgabe der Frankfurter Allgemeinen Zeitung auf und lese in Ruhe, wie die Telekom die Schwarzwaldregion zu drangsalieren versuchte, wo hochspezialisierte Betriebe schnelles Internet brauchen. Über den "Breitbandausbau auf 50 Mbit" können sie dort nur lachen.

*** Wieder fehlte wie auf der CeBIT die Forschungsministerin Wanka, weil sie den ausgeklügelten Parteienproporz CDU-CSU-SPD gesprengt hätte. Dabei stecken in ihrem Etat die weitaus größten Mittel, denn abgesehen von dem Geld aus der Digitalen Dividende II soll niemand mehr Geld in die Agenda stecken als die Ministerin. Soll sie doch Schaulaufen, etwa bei der Deutschen Telekom.

*** Nachhaltig irritierte bei der Vorstellung der Digitalen Agenda, wie schlecht die drei Minister vorbereitet waren. Neben den verqueren Ausführungen von Gabriel zur Störerhaftung konnte Dobrindt nicht auf die Frage reagieren, wie es um die (LTE-)Frequenzen für den künftigen Ausbau des Sicherheitsfunks bestellt ist. Dabei beschäftigt diese Frage nicht nur die einschlägigen Polizeilobbyisten, sondern eine eigene Abteilung in seinem Verkehrsministerium, die vom Innenministerium abkommandiert wurde. Kein Wort davon in der Digitalen Agenda.

*** Bundesinnenminister Thomas de Maizière schaffte es, auf die Frage nach der nicht thematisierten Überwachung mit dem Hinweis auf seine Lateinkenntnisse zu reagieren: "Also müssen wir mal mit diesen mystischen Begriffen aufhören. Überwachung heißt auf Lateinisch Supervision. Das ist ein ehrenhafter Beruf." Dumm nur, dass die einschlägigen Wörterbücher für Überwachung custodia anbieten, bekannt aus Juvenals Satiren: "Quis autem custodiet ipsos custodes?" Wer überwacht die Überwacher oder die Wächter, das ist doch die ehrenwerte Frage dieses alternativen Sommerrätsels namens "Digitale Agenda".

*** Wer überwacht eigentlich, dass die 55 neuen Stellen beim Verfassungsschutz nach dem geplanten IT-Sicherheitsgesetz auch wirklich in der Abteilung Wirtschaftsspionage eingerichtet werden und nicht bei den überflüssigen Gesinnungsschnüfflern? Wer überwacht etwa, dass die thüringischen Kollusöre nach der Veröffentlichung des Abschlussberichtes nun von der Staatsanwaltschaft belangt werden? Es gibt Dokumente, die fassungslos machen, ganz ohne den Blick in den Irak oder in den Donbas.

*** Und dann war da noch der gierige kleine Häwelmann, angeblich das Lieblingsmärchen unseres amtierenden Bundesinnenministers: "Mein Lieblingsmärchen ist das Märchen vom kleinen Häwelmann. Und das ist in der Politik weit verbreitet. Dass, wenn etwas geschieht, alle schreien: Mehr, mehr mehr!" Eine gewagte Zusammenfassung de Maizières, der zumindest bei Flüchtlingen weniger, weniger, weniger ruft und sicher nichts mit Journalisten anfangen kann, die sich wundern, wie einfach die Lieferung eines Kontingents Waffen gegenüber dem Empfang eines Kontingents Flüchtlinge beschlossen werden kann.

*** Thomas de Maizière hatte kurz vor der Verkündung der Digitalen Agena in der Zeitung von der Gier der sogenannten Internet-Gemeinde fabuliert und sich und die Leser gefragt, was denn das für eine Gemeinde sei. Keine, könnte man fröhlich antworten, denn es war kein bekanntes Gemeindeblatt oder -blog, sondern das Handelsblatt, das als erstes gierig die Agenda veröffentlichte. Aber hey, man kann das Märchen auch so zusammenfassen, schließlich gilt die Märchenfreiheit:

Es war einmal ein kleiner Junge, der hieß Häwelmann. Des Nachts schlief er in einem Rollenbett und auch des nachmittags, wenn er müde war; wenn er aber nicht müde war, so hatte er eine App auf seinem Häweltablet und konnte steuern und mit dem Bett in der Stube umherfahren, und davon konnte er nie genug bekommen, denn so konnte er die Stube überwachen und die Wohnung und vieles mehr. "Mehr, mehr", schrie Häwelmann, denn er wollte von seinem Bettchen aus die Menschen überwachen und die Tiere im Walde und die Sterne am Himmel. Supervision war das, glaubte der Häwelmann, und hielt es für einen ehrenhaften Beruf obendrein. Immer mehr wollte der kleine Häwelmann überwachen, doch am Ende der Geschichte schmiss ihn die aufgehende Sonne in die Spree – und dann? Ja, und dann? Weißt du nicht mehr? Wenn ich und du da nicht gekommen wären und nicht gegen die zunehmende Überwachung demonstriert hätten und dabei den kleinen Häwelmann aus der Spree gezogen hätten, so hätte er doch leicht ertrinken können!

*** Was die Überwachung angeht, so ist seit der Auskunft der Bundesregierung über die Einsatzbereitschaft des Online-Durchsuchungsprogrammes bekannt, dass es bei der Software für die Quellen-TKÜ hapert. Nach der Version 4.20 von FinSpy untersucht das Bundeskriminalamt, ob die Version 4.50 dem Pflichtenheft entspricht. Denn die dringend benötigte Software darf nur "kryptierte Kommunikation" (Ziercke) vor der Verschlüsselung "an der Quelle" ausleiten und keinesfalls mal eben eine Festplatte durchschnüffeln, Screenshots machen oder sich in einen Stream einklinken. Eile ist geboten, denn zur anstehenden Herbsttagung des Amtes im November soll nicht nur ein Nachfolger für BKA-Chef Jörg Ziercke gefunden werden, der seine Abschiedsrede längst gehalten hat. Auch die Einsatzbereitschaft der Quellen-TKÜ soll dann gemeldet werden können.

*** Ach, ach. Man kann ganz trübsinnig werden bei all dem kruden Zeugs, was diese alten und nicht so alten Säcke so anstellen. Trösten wir uns ein bisschen mit einem alten Sack, der ganz ausgezeichnete Musik macht.

Was wird.

Nachfolger, Nachfolger, da war doch was? Richtig, in Schleswig-Holstein sucht man immer noch den Nachfolger für Thilo Weichert. Der darf am Montag die Sommerakademie der Datenschützer eröffnen, die sich mit dem "Supergrundrecht auf Sicherheit" befasst, unter anderem mit einem Vortrag von Snowdens deutschem Rechtsanwalt. Statt mehr, mehr, mehr Überwachung geht es umTechnik, Terror, Transparenz. Passend dazu gibt es ein nettes Video über die Zeit, als Thilo Weichert vom Verfassungsschutz überwacht wurde. Jetzt kämpft die Piratenpartei Schleswig-Holstein "aus Prinzip" gegen ihn, sinnigerweise mit einem Foto bebildert, das Weichert auf der Demonstration "Freiheit statt Angst" zeigt.

Freiheit statt Angst, da war doch was? Gegen den Überwachungsirrsinn findet am kommenden Samstag in Berlin genau diese Demonstration Freiheit statt Angst statt. Gestartet wird am Brandenburger Tor, dann umrundet man all die parlamentarischen Gebäude, in denen sich die Politiker abmühen, den Deckel auf der NSA-Affäre zu halten. Schließlich mischt Deutschland munter mit, etwa in der Türkei, in der ebenso intensiv wie zwecklos nach "Döner-Mördern" gesucht wurde. Auch das NATO-Mitglied Albanien ist offenbar ein Kernland. Dann geht es im gebührenden Abstand am Kanzleramt vorbei, ehe die Füchse im Tiergarten die Abschlusskundgebung hören können. Nach der durch den Bundestagswahlkampf aufgepimpten Demo 2013 dürfte die Zahl der Demonstranten dieses Jahr selbst bei gutem Wetter rückläufig sein. Snowden ist weit weg, wie im Mobilisierungsvideo zu sehen, das schwer verständlich ist. Statt "wir haben nichts zu verbergen" heißt es einfacher "wir haben wichtigeres zu tun" oder, was ich besonders apart finde, "ich bin höchstens Beifang". Brandenburger Tor, großer Auflauf? Da war doch was? So gehen Deutsche, Deutsche gehen so.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 31 August, 2014, 07:59
Der Sommer ist vorbei. Aber um Trübsal zu blasen, dafür muss man nicht auf den Herbst warten, grantelt Hal Faber. Und bemitleidet eine einsame Schlampe, mit der niemand demonstrieren will. Besser aber unter Schlampen leben als in Putins Neurussland.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Das war's wieder einmal. Rund um den Reichstag und am Kanzlerinnenamt vorbei schlängelte sich die diesmal doch recht überschaubare "Netzgemeinde" von 6500 Personen mit ihren Plakaten und Transparenten. "Freiheit statt Angst" klingt gut, aber ist offenbar schwer zu visualisieren und noch schwerer zu erklären. In den Reden zu dieser Demonstration überwog die schwer moralische Schaumsprache der Gutmenschen und überschlug sich in der Beschreibung der Taten eines Edward Snowden, als sei dieser der Weltbefreier himself. Dazu der Appell an Guck & Horch, ein deutscher Snowden möge sich bitte melden. Auch deshalb waren Plakate, die etwas für Snowden wollten oder forderten, eindeutig in der Mehrheit – nur der Schwarze Block forderte Freiheit für Bruder Adel und der Hurenblock Freiheit von der Zwangsregistrierung.


Der ganze Artikel (http://www.heise.de/newsticker/meldung/Was-war-Was-wird-2305091.html)

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 07 September, 2014, 06:00
Gutmenschen? Gutmenschen! Wenn Dieter Nuhr schon für Sprachpflege geehrt wird, muss sich Hal Faber ein bisschen auf die Suche machen. Eine interessante Erfahrung. Und das nicht nur, weil Forenkommentare echt hilfreich sind.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

(http://2.f.ix.de/imgs/18/1/3/2/3/8/6/1/Magenta-7000bf7efe481f4f.png)
*** Ehrlichkeit ist nun eine Farbe und sie ist ein knalliges Magenta, benannt nach jenem Ort in der Nähe von Mailand, wo der Boden nach einer missglückten Kommunikation von 10.000 Toten gefärbt wurde. "Wir wissen, was Kunden brauchen", behauptete die Telekom bei der Vorstellung von Magenta Eins – und verkauft ab sofort einen Dreierpack der umfassenden Kundenbindung in drei Hemdgrößen, inklusive 7-tägiger Speicherung aller IP-Adressen.

*** Achja, Transparenz stand auch noch weiß auf magenta auf der Folie, noch über der Geschwindigkeit. Transparent und ehrlich, wie es meine Art ist, habe ich mich diese Woche nach den Protesten zur Benutzung des Wortes "Gutmensch" in der letzten Wochenschau auf die Suche gemacht. In Zeiten, in denen ein Flachwitzler wie Dieter Nuhr 30.000 Euro für die Pflege der deutschen Sprache bekommt, ist das eine interessante Erfahrung: Weder konnte ich Belege dafür finden, dass der Begriff Teil der nationalsozialistischen Propaganda war, wie vom Deutschen Journalisten Verband und dem Duisburger Sprachforschungsinstitut behauptet wird, noch fand ich den "gutt Mensch" in jiddischen Wörterbüchern, nur den guter-jíd, den chassidischen Rabbi. Ein Leserbrief:

"Da ich zu denen gehöre, die sich am Sonntagmorgen schon immer unter der Dusche freuen, dass sie gleich ein neues WWWW lesen können, erlaube ich mir mal, eine PM zu schreiben und für meine Kritik nicht die Kommentarfunktion zu nutzen: An der Demo 'Freiheit statt Angst' kritisierst du im neuesten WWWW die 'schwer moralische Schaumsprache der Gutmenschen', und das tut mir richtig weh. Nicht wegen der Kritik an sich, sondern weil ich den Begriff 'Gutmenschen' bisher immer nur von ausgesprochenen Idioten gehört oder gelesen habe, von Leuten, die andere diffamieren wollten, weil diese sich für was auch immer engagieren. (Und von denen mir noch niemand die Frage beantworten konnte, was denn ihr positives Leitbild ist, dem ich nachstreben sollte, um dieser Kritik zu entkommen: lieber ein 'Schlechtmensch' werden?)"

*** Im Januarheft 1992 der "Zeitschrift für europäisches Denken", allgemein als Merkur bekannt, wetterte Karl Heinz Bohrer gegen die westdeutsche Schaumsprachigkeit mit scheuerlichen Floskeln wie der von der "Mauer im Kopf niederreißen" oder dem Gerede vom Querdenker. Bohrer wünschte sich ein "Wörterbuch des guten Menschen". Kurt Scheel, der den Artikel redigierte, leistete sich ein Späßchen und machte daraus das "Wörterbuch des Gutmenschen" in Anlehnung an das Wörterbuch des Unmenschen. Im Jahre 1994 erschien es dann, der erste Band des Wörterbuches des Gutmenschen, herausgegeben von Klaus Bittermann und Gerhard Henschel. Das Buch berief sich auf Eckhard Henscheids Wörterbuch "Dummdeutsch", das 1985 und – von uns Krauts erweitert – 1986 bis 1992 erschien, ohne jemals den Gutmensch zu erwähnen. Nur das Gutdraufsein hat es in dieses Wörterbuch geschafft, der Vorläufer von Yolo.

*** Sinnigerweise haben die Herausgeber des Wörterbuches den Gutmenschen nicht selbst definiert, sondern einen Gutmenschen zitiert, Horst Eberhard Richter: "Die Besorgten [sehen sich] als geduldige, aber empfindsame Menschen. Sie verspüren innerlich intensiv, was von außen auf sie einwirkt. Aber zugleich kümmern sie sich aktiv um das Leben außerhalb. Häufiger als der Durchschnitt machen sie sich Sorgen um andere Menschen. Wichtig ist ihnen aber auch ihre Innenwelt. Sie sind es gewohnt, sich über ihre eigenen Probleme Gedanken zu machen, und dies in Bereitschaft zu Selbstkritik. Sie verkriechen sich nicht, sondern zeigen sich gern, legen Wert darauf, schön auszusehen."

*** Dieser nervige Typ Mensch, der lieber betet statt zu argumentieren, ist etwas in die Jahre gekommen, besonders unter dem Tugendterror der politisch korrekten Meinungsäußerung, wie sie von der Rechten betrieben wird. Aber es gibt ihn noch, den reinen Gutmenschen, das zeigte Freiheit statt Angst etwa mit der Rede des "im Exil" lebenden US-Amerikaners Jacob Appelbaum. Und es gibt auch die Angst, als Gutmensch auszusehen, etwa bei den Grünen, wie es die tageszeitung in dieser Woche auf ihrer Titelseite trefflich zur Flüchtlingsproblematik kommentierte. Wie war das damals noch mit den Gutmenschen? "Mein Freund ist Ausländer." Genau 90 Minuten lang. Ansonsten gilt heute: Papier ist geduldig.

*** Moralische Überhöhungen können schnell in die Irre führen. Nehmen wir die Frage, wo die deutschen Whistleblower bleiben. Warum gibt es bei uns keinen Snowden? Die erste Antwort könnte darauf verweisen, dass bei unseren Diensten wie BND oder Verfassungsschutz keine Dienstleister wie Booz Allen Hamilton arbeiten. Eine zweite könnte auf das Alter des Whistleblowers verweisen. In all den vielen Büchern über Snowden wird vom Erstaunen der Journalisten berichtet, die in Hongkong einen sehr jungen Menschen trafen. Mit zunehmendem Alter, mit einem Haus und Kindern, sieht das ganz anders aus und liest sich dann wie in diesem Forenkommentar ...

"Übrigens habe ich nicht gesagt, dass ICH kurz vor der Berufsunfähigkeit durch Gewissensbisse stünde. Nur der Teil 'Aber manche können nicht mehr ruhig schlafen und müssen ihr Seelenheil pflegen' war auf mich selbst gemünzt. Ich wollte damit einerseits meine persönliche Motivation erläutern, warum ich mich hier äußere. Andererseits gibt es eben auch Kollegen, die bereits an einem gravierenderen Punkt angelangt sind. Kollegen, die den politisch eingeschlagenen Weg für falsch halten und gerne den Bürgern und dem Grundgesetz dienen wollen, finden sich bei allen Partnerbehörden. In unserem Metier arbeiten nicht nur von Grund auf schlechte Menschen. Jeder einzelne der Zweifler mit Gewissensbissen versucht, mit der persönlichen Situation fertig zu werden. Verschiedene Lösungswege stehen zur Verfügung. Herr Snowden hat einen möglichen Weg gewählt und damit enorme Wirkung erzielt."

So der O-Ton aus einer Behörde, bei der "Industrievertreter ein und aus(gehen), um ihre tollen neuen 'Crime Investigation and Prevention Solutions' zu verkaufen." Hinterlassen in einem offenen Forum, anonym kommentiert. Glaubt man der Süddeutschen Zeitung, so hat sich das überlebt. Kein zielloses Plaudern mehr, sondern ein strukturierter Dialog mit dem Leser ist angesagt. Da reserviert man eine ganze Seite der Wochenend-Beilage, auf der sich acht Historiker äußern, und eröffnet eine Debatte zu einer Frage, die auch so kommentiert werden konnte. Kritische Kommentare sind notwendig, damit der kenntnislose Bellizismus mancher Medien den passenden Widerspruch bekommt und eine andere Sicht der Dinge existieren kann. Nun hat einer der Hausherren des Heiseforums das Kommentieren unter anderem auf Google+ selbst kommentiert. tl,dr? Wie wäre es mit diesem Satz zu diesen Sätzen von Twister:

"Twisters Anmerkung, dass der Begriff 'Troll' heutzutage inflationär gebraucht wird, ist sehr notwendig. Jede Äußerung missliebiger Meinung wird derzeit schnell zum Trollen. Trolle aber, andersrum gesehen, sind ein Zeichen dafür, dass Foren funktionieren."

Was wird.

Widewidewitt, bumm, bumm, Wibadiwum. Wir bauen die Welt um, bis sie uns gefällt. Mit freundlich aussehenden Überwachungskameras Mindestens bis zur nächsten IFA, die noch smarter werden will. Wer "wir" ist, wird wohl die Wibadiwumme Jasmin wissen. All die smarten Dinge, die da mit ihrer proprietären Software ins Haus kommen, und aus dem IT-Gefängnis ihrer Hersteller befreit werden müssen. Moment, moment, das ist die falsche Sicht. Ganz ohne Forum beginnt Jasmins Pendant Fefe mit einem anderen wir:

"Wisst ihr noch, wie wir alle sauer waren, dass die Leute ihre WLANs nicht abgesichert haben, und das unsicher war? Und dann haben wir gemerkt, dass wenn die alle ihre WLANs zunageln, und wir dem Anschlussinhaber Haftung überhelfen, dass es dann nirgendwo mehr freies WLAN für Passanten gibt? Rückblickend eine total doofe Idee, dass wir da gemeckert haben. Hätten wir mal die Schnauze gehalten."

(http://3.f.ix.de/imgs/18/1/3/2/3/8/6/1/Hinterlassen-8407a8887148bc93.jpeg)
Natürlich kann man das kommentieren. Oder man kann sich auf die Datenspuren freuen, die sich wieder einmal mit Datenspuren befassen, die wir so vorder- oder hinterlassen:

The past lives on in your front room
The poor still weak the rich still rule
History lives in the books at home
The books at home
It's not made by great men.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 14 September, 2014, 07:14
Es gibt zu viele Berater, die über Online-Journalismus reden und sich dabei eine goldene Nase verdienen, und zu wenige, die sich der Praxis stellen, meint Hal Faber. Die Philosophen aber helfen wirklich mal weiter.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Ist der Online-Journalismus abgeschafft? Ist diese kleine Wochenschau am Ende? Denn so sieht es aus, schreibt ein mehr- oder minderkluger Kopf in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, der längst vergessen hat, wie es mit der Schweriner Volkszeitung im Web begann oder mit Nando.Net als Angebot für Kinder und Jugendliche, die später einmal eine richtige Tageszeitung lesen sollten. So muss das also aussehen, heißt es mit einem Pathos, das an den verblichenen Schrirrmacher erinnert:

"Exzellenten Stoff hervorbringen, ihn in überwältigender Opulenz aufarbeiten, geschickt über alle sozialen und nicht-sozialen Kanäle vertreiben und obendrein einen nicht gekannten Austausch mit dem Leser pflegen. Kurzum, sie müssen ein Feuer anzünden, an dem keiner vorbeikommt."

Feuerchen gefällig? Opulent kann ich auch: schon die letzten Ausgaben der Wochenschau waren bebildert, abseits des Sommerrätsels. Opulent geht so:

(https://3.f.ix.de/imgs/18/1/3/4/1/6/7/7/4040-7c1603405cea96f4.jpeg)

*** Aber man predigt ja zu tauben Ohren. Online-Journalismus gibt es nicht, wurde und werde ich nicht müde zu erzählen. Das Medium ist eben nicht die Botschaft, auch wenn es uns Hunderte, Tausende, Millionen von Beratern weismachen wollen, die gut davon leben, ihr Geschwätz an verunsicherte Verlagshäuser und verzweifelte Autoren zu verkaufen. Es gibt zu viele, die über Online-Journalismus reden und zu wenige, die sich der Praxis stellen: Journalismus eben, auf und in den unterschiedlichsten Medien und Ausprägungsformen. Und mit jeweils ganz eigenen, oft kombinierbaren Möglichkeiten, das, was man zu sagen und zu berichten hat, an den Leser zu bringen.

*** Und was ist nun mit dem unerhörten Austausch mit dem Leser? Von mir zu dir, von korpulent zu intelligent? Nach einer nicht repräsentativen Umfrage unter den irgendwie repräsentativ kommentierenden Lesern dieser kleinen Wochenschau nölt selbige viel zu häufig. So im Stil: "Früher war alles besser, gnagna und überhaupt, früher, da blickten wir doch alle durch." Blickten wir das wirklich? Ja, vielleicht bei einen 4040, da konnte man noch jedes Byte beobachten, wie es in den Arbeitsspeicher wanderte, aber dann kam schon der Kontrollverlust und die Klagen über selbigen. So habe ich mich, nach dem Gutmenschen der letzten Wochenschau, wieder einmal auf die Suche gemacht, in Archiven gewühlt und bin fündig geworden bei einem Philosophen, der vor vielen Jahren die c't als die "einzig unbestechliche unter Deutschlands Computeranwendungszeitschriften" lobte. Der schrieb im selbigen Aufsatz:

"Nicht umsonst fiel die Trennung zwischen Supervisor Level und User Level bei Motorola, Protected Mode und Real Mode bei Intel in die Jahre, als auch US-Amerika an den Aufbau eines wasserdichten Zweiklassensystems ging. Nicht umsonst sind beim 80386 gerade die Input- und Output-Befehle durch höchste Privilegstufe geschützt: In einem Imperium, dessen Bevölkerung den Rest der Welt nur durch die Mattscheibe von Fernsehnachrichten zu sehen bekommt, bleibt schon der Gedanke an Außenpolitik ein Regierungsprivileg."

*** Nun haben wir hier kein Sommerrätsel mehr, also kann ich ohne Probleme auf den Germanisten Friedrich Kittler verweisen, der diese originelle Verschwörungstheorie 1991 auf der Jahrestagung des FIfF zum Besten gab, wo er eigentlich über den Frieden und Electronic Warfare sprechen sollte. Kittler hatte damals auf seinem 386er den Memory-Expander QEMM386 von Quarterdeck installiert und arbeitete mit dem Knechtschaftsmodul Word 5.5. Er stand deshalb mit DOS, Intel und ganz besonders Microsoft auf dem Kriegsfuß, weil nichts lief, wie er das wollte, insbesondere nicht die Nutzung des "Expanded Memory". Durch den Protected Mode fühlte er sich nicht geschützt, sondern abgerichtet, vor der Mattscheibe seines Bildschirms sitzend, als Konsument, zu unfroher Arbeit verdammt. Wir sehen, die Zurichtung des Subjektes à la mode de USA fängt eigentlich viel früher an als mit den Spitzeleien von NSA und BND. Bleibt nur die Frage, was gute Arbeit ausmacht in einer Zeit, in der "die Arbeit in unmittelbarer Form aufgehört hat, die große Quelle des Reichtums zu sein" (Karl Marx, nicht Friedrich Kittler). Offenbar kann das niemand beantworten, warum sonst wird jetzt für eine Milliarde Euro zur guten Arbeit und zu "Arbeitsprozessen als soziale Faktoren" geforscht im Schweiße unserer Angesichter?

*** Wie geschützt wir allesamt verblöden, das hat in dieser Woche der Spiegel sehr schön gezeigt, als er die hilflosen Handlungsvorschläge Handy veröffentlichte, unter ihnen Schmarren wie "Baldige Ergebnisse beim No-Spy-Abkommen" und Gedankenmüll wie "Druckszenario aufbauen". Sollte wirklich ein Druck aufgebaut werden, dann muss er vom Volk und seinen Volksvertretern kommen, nicht von einer Kanzlerin, die mit ihrem Mobilfunkvertrag schnell zu einem nationalen Provider wechselt. Pustekuchen. Wenn es wirklich um handfeste Details bei NSA und BND geht, wechselt unsere Regierung vom Protected Mode zum Black Mode, dem geschwärzten Modus zum Wohle des Staates, nicht der Menschen. Nicht einmal die NSU-Mitglieder des Untersuchungsausschusses, die zur Geheimhaltung verpflichtet werden können, dürfen die Akten einsehen, so zerbrechlich ist das Imperium Merkelennium. Getoppt wird der Unsinn, wenn selbst europäische Gremien wie Europol auf Weisung aus den USA den Abgeordneten Informationen verweigern. Um es mit Carl Schmitt zu sagen: Souverän ist der, der über den Schwärzungszustand entscheidet.

*** Aber halt, war nicht die opulente Vorstellung dieser Apple-Watch das wichtigste Ereignis dieser Woche? Wohl eher nicht, wenn man nachliest, wie die letzten Hoffnungen der Anständigen auf Apple als das handelnde Subjekt der universellen menschlichen Befreiung enttäuscht wurden. Nein, Apple hat nichts kapiert, seitdem es mit dem iPod den "Beginn des Informationszeitalters" und des Verteilungskapitalismusses einläutete. Statt am Rad der Geschichte zu drehen, spendierte man seiner Uhr ein kleines Scroll-Rädchen:

Es gibt allein zwei unterschiedliche Formen des Informationskapitalismus, die miteinander im Krieg sind, ohne es zu wissen. Wenn Apple die welthistorische Relevanz seines Modells verstünde, dann würde es mit seiner positiven, 'organischen' Kraft den Überwachungskapitalismus wegwischen. Aber nein, stattdessen ist man fixiert auf Dinge: Jungs und ihre Spielzeuge, die ewige Selbsttäuschung bei jeder technischen Innovation. Wir denken immer, es sind die Produkte, die für Innovation und Revolution stehen, aber es sind die Zusammenhänge und Strukturen, die Logik dahinter, die sich ändern.

*** Jungs und ihre Spielzeuge, das sitzt, das hat Schmackes. Diese Uhr, die in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung als das "calvinistische Über-I am Handgelenk" verdammt wird und die doch nur eins will, unsere Knete. Was natürlich die Frage provoziert, was Freud von einem Über-Ich am Handgelenk halten würde, das aufzeichnet, wie wir uns je nach Geschlecht die Perle putzen, den Delfin lackieren, den Lurch würgen oder einen von der Palme schütteln. Ausgerechnet unsere sonst so undigitale Regierung hatte sofort eine Antwort parat, in Gestalt der Wirtschaftsstaatssekretärin Brigitte Zypries aus Darmstadt-Wixhausen. Sie empfahl ihren Zuhörern, die Apple Watch beim Sex doch tunlichst abzulegen. Sonst würde doch Intimes gemessen. Wie sangen noch die Straßenjungs? Jeder Mensch ist mal alleine. Und nimmt dann die rechte H^^^ ähem, sein Spielzeug. Und dazu dann das ganze Konsenssoßeheulsusenmusik-Elend, ja, das passt.

*** Darauf muss man nicht gleich einen Ausflug in unsere dunkelsten Stunden unternehmen, es ist aber möglicherweise der passende Kommentar:

Through these city nightmares you'd walk with me
And we'd talk of it with idealistic assurance
That it wouldn't tear us apart
We'd keep our heads above the blackened water
But there's no room for ideals in this mechanical place
And you're gone now
There has to be passion
A passion for living, surviving
And that means detachment.

*** Ablösung? Wo bleibt denn das Positive, Opulente, das Feuer unter unseren Hintern? Ja, man kann sich wirklich mit Digitalcourage freuen, dass der Verein zusammen mit Women in Exile den taz Panter Preis 2014 gewonnen hat und 5000 Euro bekommt. Doch muss diese Geschichtsvergessenheit um jeden Preis nötig sein? "Das Künstlerduo Rena Tangens und padeluun gründete 1985 in Bielefeld Digitalcourage e. V. Seit damals arbeitet der Verein, dem inzwischen rund 850 Mitglieder angehören, an verschlüsselter E-Mail-Software und für mehr Datenschutz", heißt es da bei der taz. Dabei ist es gar nicht so lange her, dass der schöne Name "Verein zur Förderung des öffentlichen bewegten und unbewegten Datenverkehrs", später FoeBuD der schicken Digitalcourage weichen musste.

Was wird.

(https://2.f.ix.de/imgs/18/1/3/4/1/6/7/7/Anschluss-432b0f1c9aead474.png)
Gleich am Wochenanfang wird es lustig, denn da werden auf einer Konferenz zur Zukunft der digitalen Gesellschaft von unserer Forschungsminsiterin Deutschlands digitale Köpfe gefeiert und geehrt, ermittelt von einer Jury der Gesellschaft für Informatik. Abgesehen davon, dass Menschenköpfe bis auf Weiteres noch immer sehr analog funzen, leben die Informatiker offenbar länger, wie der Ewigkeitsfanatiker Ray Kurzweil es einstmals visionierte. Anders ist es nicht zu erklären, dass ein Mensch wie Marco Boerries als Software-Wunderkind ausgezeichnet wird, im zarten Alter von 48 analogen Jahren.Gewiss, er gab uns Open- bzw. LibreOffice, nachdem sein Starwriter sich gegen Wordstar und Word Perfect behaupten konnte, doch was das Kind im Manne heute auszeichnet, bleibt verborgen. Einerseits. Andererseits ist es vielleicht gar nicht schlecht, wenn Deutschland einen Sonnengott bekommt als Alternative zum fliegenden Spaghettimonster. Es ist alles eine Frage der Anschlüsse, in der Realität wie in Traumasien.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 21 September, 2014, 06:02
Der Kapitalismus ist alternativloser denn je, auch in Deutschland, wo alles supertoll ist, Bis auf das Asylrecht. Die Börse feiert 'ne Party, bei der Hal Faber mit langem Gesicht in der Ecke steht. War was? Ein Milliardär ist ein bisschen zurücktreten.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

(http://3.f.ix.de/imgs/18/1/3/4/7/1/2/4/Programm1954-467d4f85bbd91e41.png)

*** War was? Larry Ellison ist weg, aber nur ein kleines Bisschen. Die ölreichen Schotten essen weiter ihren Haggis und die Camper haben ihre iPhones, fünf Minuten Ruhm inklusive. Der chinesische Kapitalismus feiert seinen Börsengang von Alibaba und Damabisa Moyo kann jubeln über das "turbokapitalistische Feuerwerk". Freuen wir uns auf die Fusion von Alipay und Apple Pay, ebenso über den großen Zusammenschmiss von SAP und Concur, das Firmen wie Airbnb und Uber als Kunden hat. Eigentlich müsste der Kapitalismus mit der Klimakatastrophe verschwinden, aber war der nicht eigentlich schon vor 25 Jahren am Ende, als die Sache mit dem Klima bekannt wurde? Jedenfalls ist dank Naomi Klein etwas Hoffnung da, jedenfalls hinter der Paywall der Süddeutschen Zeitung:

"Die Entmachtung der Öl-und Kohleverbrenner könnte die ermatteten Widerstandsbewegungen des 20. Jahrhunderts revitalisieren und zusammenbringen, um 'die unerledigte Aufgabe der Befreiung' endlich zu vollenden: ökonomische Gerechtigkeit."

*** Der Kapitalismus ist alternativloser denn je, besonders in Deutschland, wo alles supertoll ist, mal abgesehen von ein paar kleinen Korrekturen, etwa beim Asylrecht. Mit Hilfe eines Grünen wurden Bosnien-Herzegowina, Serbien und Mazedonien zu sicheren Herkunftsstaaten erklärt. "Wir können mehr Verfolgte aus Syrien aufnehmen, wenn weniger Nichtverfolgte aus Serbien zu uns kommen." Das sagte ausgerechnet Bundesinnenminister Thomas de Maizière, mithin Vorsitzender einer Behörde, die das Kontingent bei der Aufnahme syrischer Flüchtlinge auf 10.000 Menschen festgesetzt hat und dieses auch nicht erhöhen will. 10.000 von 3,5 Millionen, nicht gerechnet die Fluchtwellen aus dem Irak. Natürlich ist die Abschaffung der Residenzpflicht ein Fortschritt, auch die Arbeitserlaubnis für Flüchtlinge nach drei Monaten kann als Verbesserung gelten. Irgendwie müssen doch auch Flüchtlinge an ein Mobiltelefon kommen können.

*** Zu den seltsamsten Geschichten dieser Tage gehören die bewundernden Schilderungen über die Cryptophones der Firma GSMK, die aufmucken, wenn sie von illegale Funkzellen oder IMSI-Catchern angebohrt werden. "Dieser Text soll keine Werbung für GSMK machen", heißt es in der Zeit ausgerechnet in einem Artikel, der vor Werbung nur so strotzt. Gelobt wird die Firewall, die in den Cryptophones überwacht, was der Baseband-Prozessor tut. Ganz toll, was die "kleine Berliner Firma, die vor mehr als zehn Jahren von Mitgliedern des Chaos Computer Clubs gegründet wurde", da geschafft hat. Dass dies mit Fördermitteln aus dem Forschungsministerium im Rahmen des SMOG-Projektes passierte, das muss man ja nicht im real existierenden Kapitalismus erwähnen, oder? Besonders schön ist diese Passage aus dem offiziellen Abschlussbericht von SMOG:

Das Ziel dieses Teilprojekts, fertig verwendbare Softwarekomponenten für den Schutz vor Angriffen über die Luftschnittstelle zu entwickeln und diese als softwareseitig nachrüstbare Produktsuite in moderne Smartphones mit leistungsfähigen Betriebssystemen zu integrieren, ist mit diesem kommerziellen Produkt somit voll erreicht worden. Die kommerzielle Vermarktung dieses Produkts hat zum Zeitpunkt der Abfassung dieses Schlußberichts bereits begonnen; die verwendete Methodik wurde sowohl in Europa wie auch in Nordamerika zum Patent angemeldet.

Eine softwareseitig nachrüstbare Produktsuite, die andere als Patent längst hätten lizensieren und einbauen können, erfordert natürlich Root-Zugriff auf die Hardware und den Baseband-Prozessor. So viel Freiheit darf es einfach nicht geben in diesem Ökosystem, das auf der systematischen Untertanisierung beruht. Handy kommt von Hand, nix Verstandy, von Verstehen und Nachdenken und so Zeugs.

*** Mit Reflexionen aus einem beschädigten Leben haben auch Politiker ihre liebe Mühe. Man nehme nur den amtierenden Justizminister Heiko Maas von der SPD, der im paywallgeschützten Interview mit der Financial Times die Forderung aufstellte, dass Google seinen Suchalgorithmus veröffentlichen soll. Dabei ist der Algorithmus längst öffentlich, da er von Google-Chef Larry Page zum Patent angemeldet wurde. Vor zwei Jahren erschien zudem John Mc Cormacks preisgekröntes Buch, in dem die Idee von Larry Page und Sergeij Brin laienkompatibel dargestellt wird. Bis heute ist es mangels Marktinteresse nicht übersetzt worden.

*** Und was diese Geschichte mit von Marktmächten und Marktinteressen im Turbokapitalismus anbelangt: Wie wäre es, wenn unser Justizminister von der Schufa die Offenlegung der Algorithmen fordern würde, die das Leben im Kapitalismus weit stärker prägen als Google? Das wäre systemsprengend und geht gar nicht, denn "Ohne Schufa kein Happy End". Das geht gar nicht in einer SPD, die es nicht mal schafft, bei der AfD antichambrierende Mitglieder vom Schlage eines Sarrazins rauszuschmeißen.

*** Mit 1,2 Prozent Stimmenanteil hat Kim Dotbomb mit seiner Internet Party das Mana Movement aus dem Parlament entfernt. "Mutti" John Key, der Sohn einer vor der Shoa geflüchteten österreichischen Jüdin, wird weiterhin Premierminister bleiben. Mit der unumwunden Niederlage von Kim Dotcom sind alle Pläne pulverisiert, die Internet Party in anderen Ländern zu etablieren. Der ganze Moment der Wahrheit hatte etwas ur-kimblianisches, denn der :Dicke im Geschäft blieb den Beweis dafür schuldig, dass Warner Brothers eine Mail an Key geschrieben haben.

*** Nun ist bekanntlich der Journalist Glenn Greenwald zusammen mit Kim aufgetreten, womit der Hacker seine speziellen Freunde vom Chaos Computer Club übertrumpfte: Die hatten Greenwald beim 30C3 nur per Videoschalte auf dem Kongress, wie Julian Assange und Edward Snowden beim "Moment der Wahrheit". Wie formulierte es der Twitterer MEGAprivacy Video: "We're honoured to have Edward Snowden demo our upcoming end-to-end encrypted video chat." Wer es freundlich nimmt, wird von einer Werbeverkaufsveranstaltung sprechen, auf die sich Snowden ahnungslos eingelassen hat. Unfreundlicher gesagt, hat Edward Snowden seinen Ruf als Whistleblower nachhaltig ramponiert. Wie von den zwei Körpern des Königs muss man nun von den zwei Körper Snowdens sprechen und die Funktion des Superhelden für die Hackerkultur analysieren.

Was wird.

Zum opulenten Bild in der letzten Wochenschau gab es viele Fragen. Der dort gezeigte deutsche Volksrechner stammt jedenfalls aus dem Jahre 1974 und soll daran erinnern, dass in diesem Jahr der Intel 4040 Geburtstag hat. Erinnert werden soll auch an eine Zeit, in der Deutschland oder Europa bei Hard- und Software auf gleicher Höhe lag. Bald startet das Vintage Computing Festival Berlin, auf dem dieser Rechner im Betrieb bestaunt werden kann. Neben der Ausstellung gibt es Vorträge und Workshops. 1974 waren bereits 20 Jahre vergangen, als am 21.9.1954 der erste Fortran-Code (zu sehen im Einstiegsbild dieser Wochenschau) auf einem Rechner lief. Heute kann man mit der Lupe suchen, was von der deutschen Souveranität in punkto IT zu halten ist. Angeblich soll ja "Made in Germany" gefragt wie nie zu vor sein, nicht nur in Gestalt von Cryptophones bei GSMK. Verschläft Deutschland die Zukunft? Ja, so ist es! Stimmt nicht! Aha, so geht also streiten. Ist ja fast wie bei den Piraten, nur dass diese keine noble analoge Bühne brauchen, sondern sich digital auf Twitter selbst zerlegen. Das ist doch einen Schrottplatz wert.

(http://3.f.ix.de/imgs/18/1/3/4/7/1/2/4/Schrott-f9293cb6669bef81.png)

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 28 September, 2014, 04:31
Von politischen und ideologischen Zielen bis zur Erzeugung von Spannung gegen Langeweile resümiert nicht nur Hal Faber. Er lässt jenen mit dem Hellfeld und dem Dunkelfeld den Vortritt.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

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*** Jaja, Opa erzählt vom Krieg. Aber ja, es gab mal wirklich eine Zeit, in der Deutschland einen von Philip Morris bezahlten "Minister of Tomorrow" hatte, einen ständig rauchenden Schlot ganz eigener Klasse. Nun ist er tot und im Reich der Wissenden, während der amtierende Minister für die Zukunft der Wissensarbeit davon faselt, dass Programmiersprachen als Fremdsprache gelten sollen. Dies in einer Woche, in der sich am Hasso Plattner Institut in Potsdam 4300 Schüler eingeschrieben haben, um in vier Wochen Python vom Python-Entwickler Martin von Löwis zu erlernen und mit dieser Sprache eine virtuelle Schildkröte über den Bildschirm zu steuern. Denn wer Python kann, kann bald Systeme wie Dropbox und Youtube programmieren und schweinereich werden. Ein Praktikumsplatz in einem Startup sollte vielleicht auch drin sein. Toll. In drei Bundesländern ist Informatik übrigens ein Pflichtfach. Und dann gibt es noch Berlin, wo es ganz im Stil des neuen Flughafens Systeme für die Nicht-Benutzung gibt, nach dem Motto: Ich bin ein Server. Und das ist auch gut so!

*** Hört man genau hin, erzählen Opas und Omas nie vom Krieg, sondern von Katastrophen, von irrsinnigen Brüchen in der Biographie, die zumeist unverarbeitet in Opa- und Oma-Köpfen stecken und am Lebensende ausbrechen, in höllisch dementen Momenten. In jener Zeit, in der es den Minister of Tomorrow gab, wurde der Hacker Kevin Mitnick gefasst und verurteilt. EnkelInnen ohne passenden Opa mögen das auf Wikipedia nachlesen. Eine Bewegung namens "Free Kevin" entstand und mit dieser ein neues Wort, "Hacktivism" im Jahre 1995 von einem Mitglied der Hackergruppe Cult of the Dead Cow propagiert. Vier Jahre später spaltete sich die Gruppe Hacktivismo ab, auf die sich – jetzt kommen wir in der Neuzeit an – wiederum Anonymous berief, beim Hacken for the Lulz. Im Heute, Hier und Jetzt will Kevin Mitnick nun das ganz große Rad drehen und mit Zero Day Exploits im großen Stil handeln. Sein "Absolute Z Program" erinnert Opas an einen Comic mit einem durchgedrehten Weltherrschaftsaspiranten, aber das Sommerrätsel ist längst vorbei. Aus "Free Kevin" ist "Bezahlt Kevin" geworden und die Hackerethik hat sich erledigt. Das wusste schon Wau Holland, der anlässlich des Todes von Tron auf Spiegel Online vorab erklärte, warum die in der vorigen Wochenschau erwähnte Firma GSMK entstehen musste:

"Die amerikanische Hackerkultur wird nach unserer Einschätzung sehr stark zusammengehalten von dem Motiv 'Free Kevin' zur Befreiung des eingekerkerten 'Musterhackers' Kevin Mitnick – und das ist zu wenig. Mir fehlen einfach die inhaltlichen Perspektiven, etwa im Umgang mit milliardenschwerer Technik wie Chipkarten. Nach dem Tod von Tron heißt hierzulande die klare Devise: Jetzt erst recht! Also, ISDN-Verschlüsselungs-Telefone bauen, wie er es in seiner Diplomarbeit beschrieben hat. Und bei Chipkarten auf Teufel komm' raus hacken und zerlegen, was zu zerlegen ist. Und wenn's die Geldkarte ist, die dabei plattgemacht wird – da gibt es keine Rücksicht. Nach Tron kann es keine Rücksicht mehr geben"

*** An dieser Stelle lassen wir den Kriminalisten den Vortritt. Das sind die mit dem Hellfeld und Dunkelfeld und der Frage, ob Anonymous, die Hacker oder diese Hacktivisten eigentlich Cyberkriminelle sind.

"Hacktivismus stellt die Verbindung des Hackings mit dem Geist des Protestes und damit einhergehenden neuen Arten des sozialen Umgangs seit dem Ende des 20. Jahrhunderts dar. Die Motivation der als Hacktivisten bezeichneten Täter begründet sich häufig in politischen und ideologischen Zielen, wobei die Täter Mittel der modernen Kommunikation und Fertigkeiten des Hackings nutzen, um ihre Ziele zu vermitteln und durchzusetzen. Die Handlungen der Hacktivisten können aber auch durch Spaß am Hacking, die Gewinnung von Anerkennung und Respekt in der Szene oder die Erzeugung von Spannung gegen Langeweile motiviert sein."

*** Von politischen und ideologischen Zielen bis zur Erzeugung von Spannung gegen Langeweile, das ist eine dermaßen breite Definition, dass jeder Aufruf einer Shell schon als Hacktivismus gelten kann. Wie gut, dass die Kriminalisten feststellen konnten, dass derzeit Ruhe herrscht, auch wenn jede Ruhe einfach nur die Ruhe vor dem großen Sturm sein könnte. Nun sollen Medienrecherchen das Dunkelfeld ausleuchten, weil es zum echten Hacktivismus gehört, dass "Hacktivisten ihre Taten auf digitalen Plattformen 'öffentlich' machen und damit ins Hellfeld bringen und insofern auch der dunkelfeldbegünstigende Aspekt eines niedrigen Anzeigeverhaltens nur eine geringe Rolle spielen würde". Alles klar? Etwas einfacher gesagt: Zu jedem Hacker gehört ein Medium, das seine Taten rühmt.

*** Gar schauderlich sind diese Medien-Berichte über Hackertaten, wenn es um TOR und TAILS geht. Ganze Bücher werden über die dunkle Seite des Internet geschrieben, auf der der berüchtigte Drogenmarktplatz Silk Road angesiedelt ist. Auch unter den Kriminalisten ist das Gemunkel groß. Man denke nur an das Grundsatzreferat Kriminalistik 2.0 des aus dem Dienst scheidenden BKA-Chef Jörg Ziercke, in dem das Zwiebelrouting von TOR als das Urböse schlechthin beschrieben wird. Mal sehen, ob sein humorvoller Nachfolger Holger Münch das besser hinkriegt, denn die offizielle Auskunft der Bundesregierung zu TOR ist da und liest sich so:

"Die Bundesregierung befürwortet Maßnahmen, die der Verbesserung von Datenschutz und Datensicherheit dienen. Hierzu zählen insbesondere auch Technologien, Verfahren und Anwendungen, die dem Schutz personenbezogener oder vertraulicher Daten vor unbefugten Zugriffen Dritter einschließlich der Anonymisierung und Pseudonymisierung dienen. Dies entspricht auch dem Grundgedanken des Telemedienrechts. Nach Einschätzung des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) ist TOR für niedrigen bis mittleren Schutzbedarf ein brauchbares Werkzeug zur Aufrechterhaltung der digitalen Privatsphäre."

*** Die nützliche Definition für den mittleren Schutzbedarf unserer Privatsphäre steckt in einer Antwort auf eine Anfrage der Linksfraktion, was sich so bei der Bekämpfung von Cybercrime tut und ob es in unserem schönen Land cyberterroristische Attacken gegeben hat. Nö, teilt die Regierung mit, nur E-Mail mit Schadsoftware in den Anhängen, die "vor dem Hintergrund einer Beurteilung ihrer Qualität sowie ihrer Anhänge mit hoher Wahrscheinlichkeit einen nachrichtendienstlichen Urheber vermuten lassen". Ob dahinter unsere Freunde von der NSA oder einem Sonststaat stecken, wird nicht gesagt, das ist Verschlusssache R.U. oder VS Geheim. Denn ganz im Tal der Ahnungslosen lebt diese unsere Regierung nicht. Aufklärung des Volkes, das geht einfach nicht, weil viele Unbefugte in so einem Volk enthalten sind:

"In den Antworten [...] sind Auskünfte enthalten, die unter dem Aspekt des Schutzes der nachrichtendienstlichen Zusammenarbeit mit ausländischen Partnern besonders schutzbedürftig sind. Eine öffentliche Bekanntgabe von Informationen zu technischen Fähigkeiten von ausländischen Partnerdiensten und damit einhergehend die Kenntnisnahme durch Unbefugte würde erhebliche nachteilige Auswirkungen auf die vertrauensvolle Zusammenarbeit haben. Würden in der Konsequenz eines Vertrauensverlustes Informationen von ausländischen Stellen entfallen oder wesentlich zurückgehen, entstünden signifikante Informationslücken mit negativen Folgewirkungen für die Genauigkeit der Abbildung der Sicherheitslage in der Bundesrepublik Deutschland sowie im Hinblick auf den Schutz deutscher Interessen im Ausland."

Was wird.

Bekanntlich haben die Sicherheitslagenverräter von der Opposition das Bundesverfassungsgericht angerufen, um die Vernehmung Edward Snowdens zu den Fähigkeiten von ausländischen Partnerdiensten zu erreichen. Derweil ist Snowden einer der diesjährigen Preisträger des alternativen Nobelpreises und das bringt Schweden in die Klemme. Unmittelbar nach Bekanntgabe des Preises ließ der noch amtierende schwedische Außenminister der Stiftung die Nutzung seines Pressezentrums untersagen, in dem sonst verkündet wird, wer den Preis bekommt. Snowden will den Preis am 1. Dezember im schwedischen Reichstag entgegennehmen. Dann ist freilich eine neue Regierung im Amt, die ein Signal setzen könnte.

Vom alternativen Nobelpreis zum alternativen IT-Gipfel ist es nur ein Wörtchen. Dieser findet, genau wie der echte IT-Gipfel mit Merkel in Hamburg statt und wird von der Open Source Business Alliance und den Grünen veranstaltet, gleich nach dem großen, bereits jetzt alles überschattenden Gipfel. Wo Merkel ist, muss de Maizière ausweichen, weshalb seine Arbeitsgruppe einen Tag davor die IT-Sicherheitsagenda Deutschlands vorstellt. Damit dies ausreichend gewürdigt wird, gibt es nächste Woche schon einmal den #FoDiG. Nein, das ist keine Neuauflage des FoeBuD, sondern der live gestreamte Dialog mit Experten der Zivilgesellschaft über den Datenschutz und das Recht auf Vergessen. So sieht Netz-Teilpolitik aus.

(http://1.f.ix.de/imgs/18/1/3/5/0/2/5/8/Netzteilpolitik-3ba06125e898276b.jpeg)

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 05 Oktober, 2014, 06:39
Eine Apple-Anzeige regt zum Nachdenken an an so einem langen Wochenende, an dem der östliche Bürgermut gelobt wird. Es ist an der Zeit, dass mal ein Kapitalist die Welt interpretiert, findet Hal Faber.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

(http://1.f.ix.de/imgs/18/1/3/5/4/4/3/3/Apple-89ac86f0d8d2ed58.jpeg)

*** Mao, Engels, Lenin, Marx, Trotzky, Hallo. Dazu die Ansage: "Es wurde Zeit, daß mal ein Kapitalist die Welt verändert." So wirbt man kurz und bündig. So warb Apple jedenfalls im Jahre 1984 in allen großen westdeutschen Zeitungen. Die Kampagne mit den fiktiven Buchrücken und einem echten Macintosh durfte seinerzeit übrigens nicht als Papier in den Unrechtsstaat DDR einreisen. Dort war das Verhohnepiepeln der Klassiker des real existierenden Sozialismus nicht erlaubt und Trotzki samt seiner permanenten Revolution ein Fall für die Giftschränke. Nun haben wir den Tag der deutschen Einheit hinter uns, afrikanisches Liedgut geschmettert und vom "Radweg Deutsche Einheit" geschwärmt. Der von Bonn nach Berlin führen und ganz im Geiste des großen Täve Schur davon künden soll, wie Radeln, Elektromobilität und digitale Infrastruktur zum Sieg des, ähem, des Samwerkapazitiven Einheitsstaates Deutschland beitragen. Während an diesem bananigen Wochenende in Berlin alte Computer und Relais munter rasseln, sollte man sich daran erinnern, was mit ihnen angestellt wurde: Stalin statt Marx und Engels! Aus der Perspektive des Amtes für nationale Sicherheit liest sich das so:

Du hast doch mir den 40-Mark-Schein rübergeschickt. Kannst du mir zufällig sagen, was da draufsteht?

Informant: Das ist ein... na ja.. so'n Computerdruck. Und der ist rot gestaltet, so ungefähr wie ein 50-Mark-Schein, nur ist... statt Engels ist da ein Stalin-Bildnis drauf und dann sind da im Text sind da drinne hier: Für diesen Schein kriegen Sie nichts, aber für den echten auch nichts. Und dann sind da noch solche grafischen Darstellungen wie zum Beispiel Industrieanlage und daneben absterbender Wald. So und dann Banknotennummer, da steht denn bloß druff die Nummer 49-53-61-89, da musste ich selbst mal stutzen, was das war...

*** Von 1949 über 1953 bis 1989 und es geht weiter, Volksgenossen: 25 Jahre nach dem siegreichen "Wir sind das Volk" antwortet die aktuelle Regierung: "Na und?". Welch feinsinniger Zug unserer Politiker ist es doch, zu diesem Jubiläum der "Einheit in der Vielfalt" nicht nur Cybertalk zum Besten zu geben und zur Nutzung von De-Mail aufzurufen. Perspektivisch glänzend und die innere Bindung nostalgischer Ostis fördernd ist die Idee, den PM 12 wieder aufleben zu lassen, damit verdächtige Personen ohne Prozess und Einspruchsmöglichkeiten auf Weisung anonymer Verfassungsretter Deutschland nicht verlassen können.

*** Das heile Bild wird schwer getrübt durch einen anderen unserer Demokratierettungsdienste, der beim Projekt namens Eikonal die Mauer durchlöcherte, die zwischen aus- und inländischer Kommunikation gezogen wird. Die das Grundgesetz aushebeln mit ein bisserl Software, wer merk(el)t das schon? Ein mit dem ausdrücklichen Segen von Frank-Walter Steinmeier eigens programmierter Filter namens DAFIS (wohl: Deutsch Ausländischer Filter Internationaler Systemkommunikation) schaffte es nicht, die deutschen Daten vollständig zu löschen, bevor das Material unseren amerikanischen Freunden übergeben wurde. Die dann in den Gigabytes dann nach typisch terroristischen Begriffen wie EADS und Eurocopter suchten. Bis zur Einstellung der Operation sollen immer wieder deutsche Daten durch den albtraumartigen Filter geflutscht sein. Für 300 Millionen Euro wollte man bekanntlich einen neuen Filter proggen, frei nach den geflatterten Worten von Karl Marx, dass die Philosophen die Welt nur verschieden gefiltert haben und es darauf ankommt, die Filter zu verändern.

*** Es ist an der Zeit, dass mal ein Kapitalist die Welt interpretiert: So eine Apple-Anzeige regt zum Nachdenken an langen Wochenenden an, an denen der östliche Bürgermut gelobt wird. Wer hat eigentlich die Welt mehr verändert, der Marxismus-Leninismus, der Kapitalismus oder der Macintosh oder das iPhone? Ganz schnell müsste man eigentlich den Kapitalismus rausstreichen. Wer Berichte über das Tun der Samwer-Brüder liest, die fremde Geschäftsmodelle kopieren, eine Kultur der Angst aufbauen, und ihre Mitarbeiter als Soldaten klassifizieren, kann sich nur mit Schaudern vom Kapitalismus abwenden. Aber, aber: Abseits der reinen Nachrichten vom Börsengang überwiegt ein bewundernder Unterton über den "Schrauben-Würth des Internets" in den Berichten. Vor harten Hunden kuschen ist eben eine deutsche Untugend, unabhängig von allen deutschen Unrechtsstaaten, immer wieder gern gesehen und ausgelebt bis zur Verkümmerung des aufrechten Ganges. Dann fällt noch ein Faktor auf: In dieser Woche veröffentlichten die Marktforscher von IDG gemeinsam mit dem Workplace Bullying Institute eine weltweite Umfrage unter 650 hohen IT-Managern. Nicht weniger als 75 Prozent der Befragten wurden im Laufe ihrer Karriere schikaniert, womit die IT mit Abstand der mieseste Platz für Manager wäre -- mit den Jobs-Typen als dem miesesten von allen.

*** Für Mao, Engels, Lenin, Marx und auch für Trotzki gab es eine Basis der materiellen Produktion, die den Überbau bestimmte: Von Software hatte alle fünf keine Ahnung. Bei der Hardware gibt es Überlegungen des Fabrikanten Friedrich Engels zur Zukunft von Rechenmaschinen. In Maos Zeiten, als in China Computer benutzt wurden, wurde mehr den Operateuren misstraut als den Geräten. Später entschied man sich für die MOPS-Architektur und kaufte eine unbegrenzte Lizenz für ganz China. Bis heute kämpft der Drachenkern mit Akzeptanzproblemen. Vom Kybernetiker Stafford Beer, der im sozialistischen Chile unter Allende am Cybersyn-Projekt arbeitete, gibt es die Anekdote, dass er einen Kybernetik-Vortrag abbrechen musste, weil dieser eben nicht mit der Avantgarde der Arbeiterklasse als Lenkungsinstanz endete, sondern mit dem Satz: "Der Staat ist eine Maschine". Andererseits gab es in der DDR den Kybernetiker Georg Klaus, der Demokratie kurzerhand mit Rückkoppelung übersetzte – und damit in Ungnade fiel. Zur Offenlegung von CP/M und zur Vorstellung von Windows 10 als allerneueste Kachelei muss man mit einer tiefen Verbeugung vor Gordon Moore festhalten, dass Software diese Welt mehr als Hardware, Marx & Co verändert hat. Die grafische Oberfläche von Douglas Engelbart und das World Wide Web von Mauerfeind Tim Berners-Lee sind Revolutionen. Dazwischen gibt es viele Spielarten. Das Vermächtnis der Hippies um Whitfield Diffie könnte man dazu zählen, auch wenn es nur die Retter mit den drei Buchstaben ärgert.

Was wird.

Liberté, Égalité, Fraternité, das alles gab es vor Mao, Engels, Lenin, Marx, Trotzky und Hallo. Das hatte Drive und brachte Menschen dazu, an das Menschsein zu glauben. Wie oft konnte man an diesem feiervollen Wochenende das Wort von den "unhintergehbaren Menschenrechten" hören (die, nebenbei, im Mittelmeer ersäuft werden)?? Hopplahopp, sie sind hintergehbar, Großbritannien macht den Anfang: die britische Regierung will nach dem Sieg über die schottischen Abspalter auch die lästige europäische Menschenrechtskonvention loswerden, die nach den Worten des Premierministers David Cameron zu skandalösen Urteilen geführt hat. Es ist eine Zäsur, gegen die weder Hard- noch Software ankommen können.

Oder vielleicht doch? Die Frankfurter Buchmesse startet, mit einem Großauftritt von Jaron Lanier, ganz ohne den IRL kleinen doch inetRL großen Zampano Frank Schirrmacher, aber mit dem Buch von Christian Schwägerl über die Analoge Revolution. Vergesst Mao, Engels, Lenin, Marx, Trotzky und Hallo: Der Mensch erkennt nach dieser Lektüre, wie er mit Natur und Technik unauflösbar verwoben ist. Es gibt kein Internet, sondern ein Allesnetz, in dem Steine, Pflanzen, Tiere, Menschen und Computer miteinander verbunden sind und eine tobende Party vibrierender Materie feiern. Alles Klar? Auch auf der Andrea Doria?

Wie könnte eine Wochenschau anders enden, als mit einem Kommunist, der einen Chip interpretiert? Die Ehre gebührt in diesem Falle Erich Honecker, der am 15. August 1989 zur Vorstellung des ersten in der DDR gefertigten 32-bit-Chips eine Art teleologischen Agrarmarxismus predigte: "Den Sozialismus in seinem Lauf hält weder Ochs noch Esel auf."

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Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 12 Oktober, 2014, 06:00
Wo bleibt das Positive? Ist der Computer nicht unser aller Freund?, fragt Hal Faber in diesen grusligen Zeiten, in denen irgendwelche Internetpioniere mit seichtem Humanismus-Geschwätz irgendwelche Friedenspreise bekommen.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

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*** "So sieht ein Arbeitsplatz-Killer aus", plakatierte der DGB im Jahre 1979. Bemerkenswert, dass keine schwielige Hand den Killer hält, sondern eine weibliche Griffzange zu sehen ist, mit gefährlich spitzen Fingernägeln und einem Stempelabdruck am Daumen. Wie dem auch sei, die Kampagne hatte Erfolg. Jahrelang gruselten sich die Deutschen vor den Computern. Wenn von ihnen schon einmal im geistreichen Feuilleton geschrieben wurde, waren es in Texten wie dem über den Sonnenstaat des Doktor Herold, der zeitgleich mit dem Plakat erschien. Noch 1985 forderte ein Wissenschaftler und Journalistenausbilder einen "umfassenden Entwicklungs- und Anwendungsstopp von Informationstechnik" auf allen Ebenen und bekannte Mescalero-mäßig seine "klammheimliche Freude" über alle Formen der Computersabotage. Niemals dürfe der Deutsche zur Gruppe der "Technologie-Dulder gehören, die früher oder später an ihrem Bildschirm-Arbeitsplatz durch Roboter ersetzt werden wird."

*** Von wenigen Begeisterten abgesehen, die "Reisen zu den Infonauten" unternehmen, wiederholte sich das Gruseln, als das gefestigte Deutschland unter Kohl die "Datenautobahn" wahrzunehmen begann. Während Netztechnologien alle Lebensbereiche eroberten, erschauderte man mit "Sex, Lügen und das Internet", in Anlehnung an einen Film von Soderbergh. Das zog sich hin bis zum "Tatort Internet" der Freifrau von und zu Guttenberg. Jetzt geht es munter weiter mit Jaron Lanier, der als Friedenspreisträger erzählen kann, wie gruselig doch die Zeiten sind in denen wir leben, garniert mit seichtem Humanismus-Geschwätz. Das einer wie Lanier von den Friedenspreisverschleuderern als "Pionier in der Entwicklung des Internets" gewürdigt wird, ist eine grandiose Fehlleistung ähnlich der "Ländersache Datenautobahn" eines Helmut Kohls. Ebensowenig kann er den Cypherpunks zugerechnet werden, wie es die tageszeitung schwärmt. Über das "philosophische Urgestein der digitalen Welt" sinnieren die den Preis aufbindenden Preiselbären:

"Eindringlich weist Jaron Lanier auf die Gefahren hin, die unserer offenen Gesellschaft drohen, wenn ihr die Macht der Gestaltung entzogen wird und wenn Menschen, trotz eines Gewinns an Vielfalt und Freiheit, auf digitale Kategorien reduziert werden."

Solche Sprachschäume sind einfach nur schmerzhaft. Wer oder was entzieht denn unserer "offenen Gesellschaft" (des Mos Maiorum eigentlich die "Macht der Gestaltung"? Und was sind bitteschön "digitale Kategorien"? Duckduckgeht man diesem Begriff hinterher, landet man wieder und wieder bei dem schwachsinnigen Satz der Jury, selbst bei der Wahl anderer Sprachen.

*** Im krassen Gegensatz zum seichten Sprachplanschen lässt sich allein an den Tickernachrichten einer einzigen Woche konkret bestimmen, wie das mit der "Macht der Gestaltung" aussieht in diesem unseren Land. Da gibt es einen amtierenden Präsidenten des Bundesnachrichtendienstes, der gemäß einer Zeugenbefragung allen Ernstes ungestraft behaupten darf, dass Geheimdienstler ohne jegliches Reglement und Kontrolle in Deutschland Satellitendaten aus dem Ausland erfassen und auswerten dürfen, weil diese "im Weltall erhoben werden", in dem keine deutschen Gesetze gelten würden. Juristen finden das skandalös, während wir rätseln dürfen, wo das Weltall à la mode de BND beginnt? Troposphäre, Stratosphäre, Mesosphäre, Thermosphäre? Ich schlage die Schindlersphäre vor. Sie beginnt wenige Meter über dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung, wenn man aufspringt und sich über den Schnüffelstaat empört. Dann darf man abgeschnorchelt werden.

*** Nun gut, für die abstrusen Argumente eines Geheimdienstlers kann man einen wie Lanier nicht verantwortlich machen. Was aber ist mit seiner Idee, dass die NSA alle entschädigen muss, die ohne richterlichen Beschluss ausspioniert wurden, weil Geld der Gegenwert einer unbegrenzten Lizenz zum Ausspähen ist?

"They will not be able to do omni spying anymore. They won’t be able to spy in advance without people knowing they’re being spied on, because the people will get money, and that’s proper."

Wenn am Ende nur die Frage wichtig sein sollte, wer wie bezahlt wird, muss es auch Antworten geben, was mit dem Geld passiert, das für die Leitung der universalen Schnüffelei gezahlt wird. So ist es recht aufschlussreich, wie es um die Investments des ehemaligen NSA-Chefs Keith Alexander bestellt ist, deren Offenlegung angeblich die nationale Sicherheit der USA bedroht. Worüber man nicht sprechen darf und wo man nicht investieren und infiltrieren kann, darüber muss man schweigen und kräftig sabotieren. Bislang machten deutsche Provider und Firmen große Augen, wenn man als Journalist nach möglichen NSA-Spionen fragte. Undenkbar! Dabei ist der Kopf rund, damit der Spion die Seiten wechseln kann.

*** Ja, der Snowden-Zähler ist wieder ein kleines Stückchen gewachsen, mit stabilen Tendenzen für die nächsten 35 Jahre. Diesmal mit Hilfe von Laura Poitras, der Filmemacherin, die in Berlin im Exil lebt, wobei dieses Exil selbst gewählt ist: Ihren neuen Dokumentarfilm Citizen Four stellte sie persönlich in New York vor. Er soll übrigens die tröstliche Nachricht enthalten, dass Snowdens Freundin nun in Moskau an seiner Seite lebt und dieser nicht, wie weiland Kim Philby, im Alkoholismus enden muss, wie das die Klatschpresse befürchtete. Kein Grusel im Osten.

*** Nach vielen obskuren Entscheidungen zum Friedensnobelpreis findet die Auszeichnung von Malala Yousafzai und Kailash Satyarthi große Zustimmung und nur wenig Kritik. Abgesehen von radikalen Islamisten kam die heftigste Kritik im Freien Westen™ ausgerechnet vom Twitter-Konto von Wikileaks, hinter dem Julian Assange vermutet wird. Man zwitscherte dort, dass die junge Malala als 2Marke westlicher Medien abwertete und meinte, dass das Nobelkomitee die Regeln der Preisvergabe verletzt habe. Auch wenn die Antwortfristen für Assanges Anwälte in dieser Woche noch einmal verlängert wurden, läuft die Zeit im aktuellen Verfahren davon. Hinzu kommt, dass Schweden Pälästina anerkennen will, um den sogenannten "Zwei-Staaten-Prozess" einzuleiten. Die Argumentation, dass solch ein Staat als Marionette der USA agiert, erscheint abseitiger denn je zuvor. In Schweden hat sich derweil die Anwältin der durch Assange genötigten Frauen in der größten Tageszeitung zu Worte gemeldet und die urteilende Rolle der Medien beklagt: Nach der Tragödie kam die Farce, nun kommen die Clownereien und danach die Tränen.

Was wird.

Wie war das noch einmal mit der "Macht der Gestaltung"? Wir haben einen BND-Präsidenten, dessen Verstand ins Weltall entflüchtet ist. Wir haben die bereits in der letzten Woche erwähnte BND-Operation Eikonal, die nun nicht vom BND, sondern von der genervten NSA beendet worden sein soll. Wir haben einen Verfassungsschutz, der seit 2005 und nicht erst seit 2011 etwas vom nationalsozialistischen Untergrund etwas hätte wissen können. Was wir angesichts dieser geballten Inkompetenz nicht haben, ist Mumm. Politische Verantwortung für den Eikonal-Filter DAFIS, die wie erwähnt bei Frank-Walter Steinmeier liegt, wird aus Gründen der nationalen Sicherheit abgelehnt, wobei die Gründe selbstschweigend eine geheime Verschlusssache sind.

Ist Besserung zu erwarten? Die Skepsis ist groß. Für den NSU-Untersuchungsausschuss muss in der anstehenden Woche der abgehalfterte Clemens Binniger (PDF-Datei) ran, die Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden zu loben. Am gleichen Tag debattiert Wirtschaftsminister Siggi Pop Gabriel mit Googles Eric Schmidt über die "Wirtschaft von morgen", gleich nach der ach so transparenten TTIP-Debatte im Bundestag. Es soll selbstredend kein Google-Bashing werden, sondern eine "offene Debatte". Schließlich verändert sich Google gerade von einer unbösen Suchmaschine zum (nicht nur) deutschen offiziellen Löschdrescher im Namen eines Datenschutzes, der Meinungsfreiheit für einen Fußabtreter hält, auf dem die Scheiße hängenbleiben kann. Und dann? Der rest wird Schweigen sein, wenn unsere Datenschützer und, haha, haha, "Beauftragte für Informationsfreiheit" das letzte Wort haben: "Eine Befugnis der Anbieter von Suchmaschinen, Inhaltsanbieter routinemäßig über die Sperrung von Suchergebnissen zu informieren, besteht nicht." Schwamm drüber!

Wo bleibt das Positive? Ist der Computer nicht unser aller Freund, wie es ein chilenisches Flugblatt während der Regierungszeit von Salvador Allende im Juli 1973 formulierte? Was ging da schief?

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Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 19 Oktober, 2014, 08:01
Wir. Dienen. Was dann vom Geschwurbel übrig bleibt, sind Datenwellen, aus denen irgendwie erstaunliche Vermögen entstehen, weil unaufhörlich gerührt wird, hat Hal Faber festgestellt.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

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*** Mit großem Tamtam und schwer bedeutsamen Artikeln im Feuilleton hat Jaron Lanier am vorigen Sonntag den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels bekommen. Er bedankte sich mit einer langen und ziemlich wirren Rede, die hier im Original und hier als Übersetzung nachlesbar ist. Das eigentliche Drama folgte: Ausgerechnet die Frankfurter Allgemeine Zeitung veröffentlichte eine dermaßen stark gekürzte Fassung seiner Rede, dass Leser ohne Zugang zu diesem "Internet" vor einem Rätsel standen. Dabei war es der verstorbene Feuilleton-Chef der FAZ, Frank Schirrmacher, der Lanier zum Schutzpatron vor einem Internet kürte, in dem Menschen nicht als Crowd, sondern nur noch als "Rudel" oder englisch als "Pack" wahrgenommen werden. Mit seiner Geschichte von den "Flashmobs" und "Shitstorms" des "Packs" hat Lanier unter seinen Zuhörern ein wohliges Gruseln erzeugt, denn gebildete Menschen legen nun einmal nicht ihren "inneren Schalter" um, auch wenn sie Geschichten vom Enthaupten hören, die sich nicht in irakischen Provinzen abspielen.

"In der Online-Welt führen These und Antithese, eine Hand und die andere, nicht mehr zu einer höheren Synthese. Hegel wurde enthauptet. Stattdessen gibt es nur statistische Datenwellen, die unaufhörlich zu erstaunlichen Vermögen zusammengerührt werden von denen, die sie benutzen, um ihren wirtschaftlichen Vorteil auszurechnen."

*** In der Online-Welt können These und Antithese nebeneinander stehen und verlinkt werden, eine gedachte Linie muss nicht gezogen werden. Und Hegel verstarb an Cholera oder an einem Magenleiden in Berlin, auch wenn im Preußen seiner Zeit die Enthauptung die gesetzlich vorgeschriebene Hinrichtungsmethode war. Im Keller seines Hauses befindet sich heute eine wunderbare Sammlung toter Medien wie etwa Btx-Terminals und Abhörgeräte des Ministeriums für Staatssicherheit.

*** Was vom Geschwurbel übrig bleibt, sind Datenwellen, aus denen irgendwie erstaunliche Vermögen entstehen, weil unaufhörlich gerührt wird. Wer das ist, wer damit erstaunliche Vermögen akkumiliert und eben mal eine Zeitung wie die Washington Post kaufen kann, darüber schweigt Lanier. Stattdessen spricht er lieber von Rudeln und Büchern, die bei Amazon zu bestellen sind oder gleich aufs Kindle geladen werden. Wer ist eigentlich die unendlich reiche "Minderheit ganz oben auf den Rechnerwolken", die von der Ökonomie des Teilens profitiert? Warum nennt Jaron Lanier nicht Jeff Bezos, Marc Zuckerberg, Peter Thiel oder Pierre Omidyar, die die "Regierungen schwächen"? Und wie geht das eigentlich, den Reichtum zu vermehren? Das machen die bösen Algorithmen, die alles wissen. Bei Lanier liest sich das so:

"Big Data schürt die algorithmische Konzentration von Reichtum. Zuerst ist es in der Musik- und Finanzbranche passiert, doch der Trend greift auf jeden zweiten Schauplatz menschlicher Aktivität über. Algorithmen erzeugen keine Garantien, doch sie zwingen nach und nach die breite Gesellschaft dazu, Risiken zu übernehmen, von denen nur ein paar wenige profitieren."

*** Selbstredend bleibt es unklar, wer die paar wenigen sind. Vielleicht sind es nur die Samwer-Brüder, die irgendwem das Internet geklaut haben und es nun stückweise verscherbeln. Vielleicht ist alles nur ein ganz ausgefuchster Plan fiesester Kommunisten und sonstiger Expropriateure, die sich am Internet der Dinge begeistern und von HighTech-Öko-LPGs träumen, auf denen massenhaft Drohnen eingesetzt werden und die intelligente Fabrik den Arbeiter von seiner Arbeit enteignet?

"Die laufende Aktualisierung von großen Datenbeständen (Big Data) wird in allen Facetten eine Grundlage von Planungsprozessen sein. Die partizipatorisch-sozialistische Gesellschaft wird die Widerspruchsebenen zwischen Expertentum und Beteiligung, gesamtgesellschaftlichen Interessen und Schutzrechten des Individuums laufend auszutarieren haben – allerdings ohne den Antagonismus von Kapital und Arbeit, ohne Krisen und Kriege."

*** Dieser linke Text hat keinen Link, weil er in den marxistischen Blättern steht, die klassenbewusst tote Bäume nutzen, um "Kybernetik, Internet und neue soziale Medien" für die Zeit nach dem Sieg des Sozialismus durchzudenken. Aber passend zu den Aufbrüchen von links kommt die Warnung aus Amerika, natürlich vorgetragen von Evgenij Morozov: Denkt mal an Chile und den Sieg des Sozialismus unter Allende, wo der Computer, diese Planmaschine, alles vermasselte. Oder war gar dieser Deutsche dran schuld, der statt einem ordentlichen Desktop die Bedienungselemente des Rechners in einer Chording-Tastatur in der Armstütze verbaute?

*** In seiner eigenartig verschwurbelten Form hat Jaron Lanier seinen Zuhörern in Frankfurt auch etwas Richtiges erzählt vom Datenschutz, als er die Regel "Privacy by Design" so formulierte:

"Ganz gleich, was man über Datenschutz denkt, es ist der Code, der in fernen Cloud-Computern läuft, der bestimmt, welche Konzepte von Datenschutz gelten. Die Idee von Datenschutz hat viele Facetten, breit gefächert und stets schwer zu definieren, doch der Code, der Datenschutz schafft oder verhindert, ist auf banale Weise konkret und allgegenwärtig."

*** Nun gibt es ja das Vorurteil, dass deutscher Datenschutz besonders gut ist, ein ganz oberfeines "made in Germany" halt. Einnern wir uns nur an die Zeit, als eine Ministerin namens Ilse Aigner den deutschen Datenschutz als höchstes Gut pries – und ausgrechnet den "digitalen Radiergummi" von X-Pire auszeichnete, der wenig später eine Bruchlandung produzierte. Bei Lichte betrachtet ist der Qualitäts-Datenschutz gar nicht so deutsch, sondern eine Art griechischer Import. 1970 wurde mit dem hessischen Datenschutzgesetz das erste Gesetz dieser Art realisiert. Diese "Regelung für den Schutz personenbezogener Daten und zur Abwehr einer Gefährdung der verfassungsmäßig festgeschriebenen Gewaltenteilung durch die Automatisierung der Datenverarbeitung" verdanken wir dem Juristen Spiros Simitis, der heute 80 Jahre alt wird. Der Jurist, der als einer der ersten erkannte, dass Datenschutz und Demokratie zusammengehören, war "nur" hessischer Datenschützer. Den Ruf auf die Stelle des Bundesdatenschutzbeauftragten lehnte er mit dem richtigen Hinweis ab, dass ein Datenschutz unter federführender Aufsicht des Bundesinnenministeriums der Gewaltenteilung widerspricht. Sein Hinweis aus dem Jahre 1977, dass Polizei, Verfassungsschutz und das Gesundheitswesen eigene, besonders scharfe Datenschutzgesetze brauchen, gilt unverändert. In diesen Tagen, in denen selbst ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss vom Geheimdienst BND genasführt ist es wichtig, an die Maxime von Simitis zu erinnern, dass der bewusste Verzicht auf zugängliche Informationen eine Grundvoraussetzung der Demokratie ist. Für den Datenschutzpropheten gibt es nur ein passendes Geburtstagsständchen.

Was wird.

Große Ereignisse werfen wieder einmal ihren Schatten voraus, besonders wenn sie, wie der IT-Gipfel in Hamburg, die Zugspitze überragen. Das ist zwar der höchste Berg in Deutschland, aber er setzt sich nicht für den Breitbandausbau ein. Darum gleich noch ein Filmchen. 50 Megabit bis 2018 in jedem Haushalt! Wer wird denn da noch irritiert sein, wenn unsere Kanzlerin die aktuell aufs Eis gelegte Netzneutralität so definiert:

"Hier geht es um ein europa-einheitliches Vorgehen, zum Beispiel bei der Frage der Netzneutralität, die es ermöglicht, dass jeder Zugang zum Internet hat und trotzdem bestimmte Spezialdienste von jedermann auch so angeboten werden können, dass das Ganze sicher ist."

Da kommt man glatt ins Grübeln wie sonst nur bei einer Lanier-Rede: Wer ist bloß dieser Jedermann, der Spezialdienste anbietet, die besonders sicher sind? Darf es ein bisschen mehr sein und dann natürlich ein bisserl mehr Taler kosten? Doch halt, alles wird gut, wenn man es gefickt einschädelt, sagt unsere Kanzlerin. Denn das Internet ist eine Art perpetuum netzle:

"Wenn man es geschickt macht, entstehen aus jedem neuen Internetprodukt auch wieder neue Arbeitsplätze."

Arbeitsplätze? Hat da jemand Arbeitsplätze gesagt? Die gibt es bekanntlich bei der Bundeswehr. In der nächsten Woche startet unsere nach einem kleinen Fehlschlag eine Werbekampagne, die sich wohltuend von islamistischen Rekrutierungsvideos abhebt: Schöne Pferde, schöne Frauen und ewig rauscht das Meer. Wir. Dienen. Deutschland. Und aus diesem unseren Land kommen Islamisten nicht mehr raus. Wenn einem soviel Gutes widerfährt, dann will man mithelfen bei denen, die vor der Gewalt flüchten müssen. Oder ist ein knallhartes Positionspapier zur Sicherheitslage nicht die bessere Antwort?

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Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 26 Oktober, 2014, 06:00
Es ist nicht nur die Rückkehr von Gipfeln, die einen vernebelten Kopf hinterlässt, grummelt Hal Faber. Es ist auch die digitale Gesellschaft, die jeden Zukunftsenwurf eines Reichs der von Notwendigkeit befreiten Individuen absurd erscheinen lässt.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

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*** Über allen Gipfeln
Ist Ruh,
In allen Wipfeln
Spürest du
einen Hauch
Moore for more.
Warte nur, balde
haben wir Glasfaserkabel
und das fahrerlose Auto auch.

Johann Wolfgang Goethe war halt ein Visionär. Das unterscheidet ihn von den Besuchern der IT-Gipfel, angefangen vom ersten Gekraxel dieser Art. Erinnert sich noch jemand an das Gipfelprojekt Theseus, gefördert mit 200 Millionen Euro? Längst ist Theseus sanft entschlafen, obwohl nochmal ein paar Millionen für den Mittelstand zugebuttert wurden. Heute bestimmt W wie Watson, wohin die Reise geht, während W wie Theseus-Vater Wolfgang Wahlster auf IT-Gipfeln Vorträge hält.

*** Über den diesjährigen IT-Gipfel der Bundesregierung ist viel  geschrieben und kommentiert worden – aber längst noch nicht alles gesagt. Ja, die niedliche Suche nach dem F-Wort durch die Kanzlerin, die ihr ein Redenschreiber ins Manuskript gesetzt hatte, wurde ausgiebig belächelt. Das passte ins Bild der oberflächlichen Beobachter, denen das Manuskript vom Vortag nicht vorlag. Es gilt das gesprochene, von Kanzlerin Merkel gut abgelesene Wort und da kommt dann doch manches zu Tage, was sich besser analysieren lässt als die drei F "Frequenzen, Förderung und Festnetz".

*** Denn F wie Festnetz ist ein Täuscher der besonderen Art. Damit es wirklich schnell wird, müsste Glasfaser verlegt werden und das ist teuer. Deshalb die Funkerei. Es begann auf dem Gipfel schon damit, dass Merkels Vorredner Dieter Kempf auf dem Gipfel forderte, noch in diesem Jahr die 700 MHz-Frequenzen freizugeben: "Zusätzliche Frequenzen sind der größte Hebel für den schnellen flächendeckenden Ausbau mit Superbreitband." Die Frequenzen wollen die TK-Konzerne haben, aber auch die Industrie 4.0 für ihre Maschinendatenmischanlagen. Prompt regt sich der Protest bei den Leuten, die die Frequenzen im Namen der Sicherheit haben und andere ausgrenzen wollen. Kraftwerke bräuchten keine Reichweiten und sollten gefälligst oberhalb von 1000 MHz funken, heißt es da. Weitere Verteilungskämpfe sind zu erwarten.

*** Deutschland hat sich in weiten Teilen von der Hardwareproduktion zurückgezogen, zumindest was die IT anbelangt. Eines der letzten Großprojekte war der 32-Bit-Chip, auf den ich bereits verwiesen habe. Es empfiehlt sich, die Gedanken zu lesen, die Merkels Redenschreiber für den Gipfel anno 2014 formulierten:

"Jetzt müssen wir uns fragen: Wollen wir sehr viel Geld investieren, um beim Thema „more Moore“ wieder vorne mit dabei zu sein oder aber machen wir auf der Basis von „Moore“ mehr, also „Moore for more“? Und da sind wir an einem Punkt angelangt, an dem ich dafür plädiere, auf der Basis der neuesten Entwicklungen vor allen Dingen dafür Sorge zu tragen, dass alles, was sich auf dem Chip aufbaut, uns dann auch wirklich souverän zur Verfügung steht, sodass wir die Vernetzung mit der Industrie, mit der Realwirtschaft relativ gut hinbekommen."

An dieser Stelle hätte zwingend ein Plädoyer für Open Souce-Prinzipien in der Hardware und der Software folgen können, denn anders ist ein wirkliches "souverän zur Verfügung"-Stehen nicht machbar, sondern eine Abfolge von Abhängigkeiten, "was sich auf dem Chip aufbaut". Doch das geschah nicht. Wie Nutzer enteignet werden können, zeigte die Aktion von FTDI am Tag nach Merkels Gipfel-Rede. Aus der Aktion gegen Fälscher wurde ein Eigentor, weil die Firma sich nicht damit begnügte, den Treiber zu verändern, sondern die geklonten Chips selbst zu manipulieren. Achja, wer nicht nur Programmieren lernt, sondern verstehen lernt, wie Netzwerk und Firewall funktionieren wird sich auch seinen Teil zum selbstbestimmten zur Verfügung-Stehen denken können. Dann wäre noch darauf hinzuweisen, dass mitnichten nur Deutschland von einer Sonderrolle träumt. Auch die Schweiz will sich souverän profilieren, mit ihrem besseren Datenschutz.

*** Auf dem IT-Gipfel wurde dem armen alten Pferd De-Mail ein kräftiger Tritt verpasst, doch bitte weiterzulahmen, so ohne Verschlüsselung per default, beäugt vom misstrauisch gewordenen Bürgern. Dank der Bemühungen von NSA, BND und Co. wird dem Klepper nicht getraut: Seit vier Monaten ist Dresden De-Mail-City. Jeder der 530.000 Bürger kann dort eine De-Mail-Adresse haben und bekommt noch einen Einkaufsgutschein dazu. Das Resultat: 40 De-Mails wurden in der De-Mail-City registriert, rund um die Uhr. Ob da ein Barcamp hilft?

*** Viele haben sie in der Schule gelernt, die Ansichten von Karl Marx über die kommunistische Gesellschaft, "...wo Jeder nicht einen ausschließlichen Kreis der Tätigkeit hat, sondern sich in jedem beliebigen Zweige ausbilden kann, die Gesellschaft die allgemeine Produktion regelt und mir eben dadurch möglich macht, heute dies, morgen jenes zu tun, morgens zu jagen, nachmittags zu fischen, abends zu Programmieren, nach dem Essen zu kritisieren, wie ich gerade Lust habe, ohne je Jäger, Fischer, Programmierer oder Kritiker zu werden." [Die deutsche Ideologie)] Das ist aus der Sicht von Eric Schmidt natürlich vollkommener Unsinn. Diese lehnt auch die Work-Life-Balance ab, auf Deutsch die Vereinbarkeit von Familie, Privatleben und Beruf. Schmidt bewundert Frauen, die sich um ihre Kinder kümmern und um 11 Nachts in der Firma auftauchen und dann hart arbeiten. Ein Benefit-Programm mit dem Einfrieren von Eizellen wird bei Google sicher noch kommen. Und wenn Frauen Beruf und Familie vereinbaren können, dann bitte sollen das auch diese Schlappschwänze von Busfahrern schaffen, die die Menschen zum Googleplex kutschieren.

*** Mit Schmidt ist auch Julian Assange nicht einverstanden, aber aus anderen Gründen: Er hält den Google-Statesman für den verlängerten Arm der CIA. Nun entscheidet das schwedische Berufungsgericht in zweiter Instanz über seinen Antrag, den europäischen Haftbefehl außer Kraft zu setzen. Vielleicht ist eine eine Art Zeitumstellung – oder nur eine weitere Schleife in der Geschichte eines aufstrebenden Modezars.

Was wird.

Wipfel haben kurze Beine.
Je fetter der Vogel, desto magerer der Wald.
Ruhe ist die erste Bürgerpflicht.

Das, liebe LeserInnen, ist die Antwort des Computers, den Georges Perec und Eugen Helmlé in ihrem Hörspiel "Die Maschine" mit dem Goethe-Gedicht "Wandrers Nachtlied" fütterten. Er sollte nach einer automatischen Analyse des Gedichtes zeigen, dass Computer bessere Gedichte als Goethe generieren können. "Ruhe ist die erste Bürgerpflicht": In der Tat, das ist zeitlos! Ruhe bewahren, das ist der Sicherheitsratschlag schlechthin, gegen all die lästigen Einwände. Ruhe bewahren und nicht verschlüsseln, denn es ist zwecklos, jede E-Mail zu kryptieren. Das behauptete niemand anderes als der oberste deutsche Verfassungsschützer Hans-Georg Maaßen auf die Frage nach Konsequenzen aus der Snowden-Affäre, wenige Tage nach dem IT-Gipfel. Man müsse nur die Kronjuwelen und wichtigen Informationen schützen und alles wird gut. Haben Wipfel wirklich kurze Beine oder war da was anderes kurz? Auch Computer können sich mal irren.

Nach dem Gipfel ist vor dem Wipfel: Am Dienstag wird das von Otto Schily Ende 2004 eingerichtete Terror-Abwehrzentrum 10 Jahre alt. Zur Geburtstagsfeier wird geballte Sicherheitskompetenz aufgefahren, von Otto Schily über Thomas de Maizière, Jörg Ziercke (BKA), Gerhard Schindler (BND) und dem erwähnten Hans Georg "Zwecklos" Maaßen. Nichts soll die gute Stimmung trüben, schließlich hat man die vom Bundesverfassungsgericht gerügten Gesetze für die Einrichtung und Benutzung der Anti-Terror-Datei mühsam repariert. Die nächste antiterroristische Maßnahme, der Entzug des Personalausweises, beurteilen Juristen sehr skeptisch. Aber solange kann man feiern und von einem herausragenden "Beispiel für eine vernetzte Sicherheitsarchitektur in einem föderalen Staat" schwärmen: 20 gewaltbereite Islamisten wurden abgefangen, 400 schafften es in den Nahen Osten, 450 sollen die schicken Ausweise bekommen und keine Autos und Wohnungen mehr anmieten dürfen. Dann sind da noch 6300 andere zwielichtige Gestalten. Aber halt, was sagte der Computer? Ruhe ist erste Bürgerpflicht.

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Oh, wir haben noch ein Jubiläum, datumstechnisch leicht verwackelt. Nein, gemeint ist nicht diese seltsam fehlerhafte Übersetzung zur Geschichte von Ubuntu. Vor 10 Jahren veröffentlichte Eric Raymond das letzte Dokument aus der Reihe der Halloween-Dokumente von Microsoft. Die Get The Facts-Kampagne startete zwar im Juni 2004, musste aber im Herbst umgebaut werden, weil die Reaktionen nicht sonderlich positiv waren. Drei Jahre ging es mit unterschiedlichen Argumenten darum, Linux ins Abseits zu stellen, bis man die Kampagne vom Netz nahm. Vor eben jenen 10 Jahren ging Brandon Lynch zu Microsoft, beeindruckt von den internen Dokumenten und der Diskussionskultur. Heute ist er dort oberster Datenschützer. Als solcher hat er im Interview etwas ausgesprochen, was weder unsere Kanzlerin, noch all die illustren Teilnehmer des IT-Gipfels gewagt haben, auszusprechen: Snowden hat eine Wirkung gehabt, bei Microsoft wie bei den Kunden. Es gibt jetzt eine neue Computerangst und das verlorene Vertrauen in die Technik muss man sich wiederholen. Der Rest ist Gruseln im mageren Wald, und fette Vögel flattern.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 02 November, 2014, 09:19
Lasst Zahlen sprechen. Oder die Blähreden der Sicherheitsparanoiker. Oder die Selbstbeweihräuchrung der Anti-Sicherheitsparanoiker. Ach, oft wäre Schweigen Gold, grummelt Hal Faber. Manchmal aber ist Reden doch angesagt und kann die Welt ändern.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Im Lehrgebäude der ehemaligen "Heereswaffenmeisterschule" in Berlin-Treptow gibt es einen großen Saal, in dem die tägliche Lagebesprechung des "Gemeinsamen Terror-Abwehrzentrums" stattfindet. Hier grübeln die vereinten Kräfte von Polizei und Nachrichtendiensten darüber, wie akut die Gefahrenlage ist, in der sich Deutschland befindet. Aktuell sieht es gar nicht gut aus. Tausend Terroristen, von denen 230 in der Lage sein sollen, jederzeit größere Terroranschläge durchführen zu können, mahnen zu größter Vorsicht. Ausgelassene Feiern wie die zum 10. Geburtstag des Terrorabwehrzentrums sind einfach nicht drin, vielmehr wird etwas ausgelassen, nämlich der Blick auf die Missachtung des Trennungsgebotes. Nach den Erfahrungen des Nationalsozialismus, wo Kriminalpolizei, Geheime Staatspolizei und Sicherheitsdienst räumlich wie personell zusammenarbeiteten, sollte es nie wieder so etwas geben wie diese Verquickung der Dienste, doch das ist auch schon 10 Jahre her. Das Terror-Abwehrzentrum entstand unter Otto Schily, der als Festredner "saftige Details" von damals erzählen sollte, kündigte Bundesinnenminister Thomas de Maizière am Dienstag an. Doch Schily hatte keine Lust auf Saft, nahm lieber die "Freunde von der NSA" in Schutz und mahnte, endlich die Vorratsdatenspeicherung einzuführen. Damit ärgerte er Sascha, der die schlimmste Beleidigung suchte und auf Überwachungskonvertit kam.

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*** Als das Bundeskriminalamt gegründet wurde, hatten nur zwei von 47 leitenden Kriminalisten eine weiße Weste. Der Rest hatte mit dem Nazi-Regime paktiert, hatte hohe Posten bei der SS und im SD innegehabt. Unter Hitler jagte man Kommunisten und verbrachte sie in der Operation "Erholungsurlaub" ins Konzentrationslager Buchenwald. In Westdeutschland hatte man keine Probleme, eine Aktion gegen FDJ- und KPD-Funktionäre wieder als Operation "Erholungsurlaub" zu benennen. BKA-Präsident Franz Dickkopf, der früher Transporte nach Buchenwald durchführte, schwärmte im Amt ungehindert von seinen "Charlottenburgern" und der schönen Zeit, als die Schulungen von Kriminalpolizei und Gestapo in Charlottenburg zusammengelegt wurden – man wollte ohnehin dasselbe und musste halt dasselbe lernen, bis hin zum ordentlichen Foltern. Ein Musterschüler dieser gemeinsamen Musterausbildung war Klaus Barbie, der nach dem Zusammenbruch des Nazi-Regimes für die Amerikaner und dann auch für den BND spionieren durfte. In einer BKA-Denkschrift über Ausweisfälscher wird von Agenten, Kommunisten und asozialen Volksgruppen geredet, als sei die braune Zeit niemals vergangen. Die Schrift führte übrigens zur Einführung des maschinenlesbaren Personalausweises im Jahre 1983 und zur Debatte über die informationelle Selbstbestimmung. Heute steht die Absicht in dieser dunklen Tradition, mit einem Sonderausweis Personen daran zu hindern, Deutschland zu verlassen.

*** Lasst Zahlen sprechen: 1000 Terroristen, die von einem Terrorzentrum aus überwacht werden. 10 Anschläge, die nach Auskunft von BKA-Chef Ziercke in den letzten 10 Jahren dank des Terrorzentrums verhindert werden konnten. 1 Anschlag mit zwei Toten, der nicht verhindert werden konnte, weil sich der Gotteskrieger Uka schnell daheim radikalisierte und gemeinerweise nicht auf Facebook davon berichtete. Oh, eine Zahl habe ich noch: Heute vor 10 Jahren wurde der Filmemacher Theo van Gogh von einem Islamisten getötet. Zuerst wurde er angeschossen, dann schnitt ihm der Gotteskrieger die Kehle durch, dann heftete er mit Messern ein Bekennerschreiben auf den Rücken des Toten. Als Muslim dürfe er das, wenn ein Mensch Allah beleidige, erklärte der Mörder vor Gericht. Ein Porträt des Mörders hängt im Städtischen Museum von Amsterdam. Van Goghs damalige Mitstreiterin Ayaan Hirsi Ali, die in seinem Film von der Unterdrückung islamischer Frauen berichtete, durfte keinen Ehrendoktortitel entgegennehmen. Der freie Westen zeigt, was Sicherheit wert ist. (Nicht verschwiegen werden soll die Verschwörungstheorie, derzufolge der von Geheimdiensten überwachte Theo van Gogh deshalb keinen Polizeischutz bekam, weil die Dienste ihn als Lockfutter für einen größeren Fisch benutzen wollten.)

*** Zurück nach Deutschland und seinen Kriminalisten. Die fordern wider besseres Wissen, die einem besonderen Datenschutz unterliegenden Mautdaten zu Fahndungszwecken nutzen zu dürfen, natürlich nur im Einzelfall, mit besonderer richterlicher Genehmigung und bei Straftaten von erheblicher Bedeutung. Die Forderung wurde während der Verhandlungen gegen den "Autobahnschützen" aufgestellt, der ohne Zugriff auf Mautdaten, aber mit dem Scan von KFZ-Kennzeichen ermittelt werden konnte. Nun hat das Ganze ein Diplom-Soziologe gestoppt, mit einem Plan zur Pkw-Maut: Für 337 Millionen Euro bekommen wir ein Mautsystem, das Ausländer auf deutschen Autobahnen und einigen "genau bezeichnete Abschnitten von Bundesstraßen" überwacht, damit sie ihren Beitrag zur Verkehrsinfrastrukturabgabe leisten. Deutsche sind dabei nur "erstattungsmäßig" betroffen: Wenn das ganze Jahr über keine Autobahn benutzt wurde, muss die Infrastrukturabgabe natürlich zurück gezahlt werden. Was für ein wunderbares Argument der Dauer-Datenspeicherung im Geiz-ist-geil-Land! Ganz nebenbei wird hier ein System aufgebaut, auf das in wenigen Jahren die quengelnden Kriminalbeamten zugreifen wollen werden. Mehr Überwachung war nie. Was jetzt noch fehlt und wie die Faust aufs Auge passt, ist die kriminaltechnische Einarbeitung all dieser tollen Daten in die geographischen Informationssyteme unserer taffen Kriminalisten – bei denen es bislang keinen empirischen Beweis gibt, dass sie positive Auswirkungen für die Ermittler haben.

*** Dann war da noch das BKA-Projekt, diesen komischen Hacktivismus von Anonymous zu erklären und zu bewerten, ob der Strafrahmen gegen diese besonderen Datengangster nicht besser ausgeschöpft werden könnte. In dieser Wochenschau wurde es bereits kommentiert, doch die neueste Entwicklung verdient einen Nachtrag, weil die Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linken über zivil-militärische Krisenübungen der Europäischen Union zu Störungen des Internets eingetroffen ist und zum Nachdenken anregt. Da kabbelt man sich über Staaten wie Ranua und Celego irgendwo in Afrika, während es im Plaintext um die Ukraine geht. Hacker sind wahlweise als ehrenvolle Kämpfer oder Cyber-Terroristen mittendrin und das nicht nur in Planungsspielen: Im echten Leben (IRL) ist in dieser Woche Gottfrid Svartholm Warg a.k.a. Anakata für einen einzigen Angriff auf das Schengener Informationssytem SIS verurteilt worden. Vom 7. April bis zum 27. August 2012 wurden die Server des Regierungs-Hosters CSC in Valby gleich mehrfach angegriffen, ohne dass die Dänen etwas merkten. Sie wurden von Schweden auf den Vorfall aufmerksam gemacht, was wiederum an die aktuelle Geschichte der USA erinnert, denen erst nach Hinweisen befreundeter Dienste auffällt, dass sie möglicherweise angegriffen werden.

*** Auch gegen die sogenannten PayPal14 wurde in dieser Woche vor Gericht verhandelt. Das vorläufige mündliche Urteil fiel so milde aus, dass zumindest deutsche Medien es nicht für meldenswert hielten. Eine Bewährungsstrafe und 5600 US-Dollar Ordnungsgeld gegenüber dem von PayPal geltend gemachten Schaden von 5,5 Millionen, das liest sich wie eine Art Internet-Knöllchen. Das aber in diesem Verfahren willkürlich 14 Personen als Hacker haftbar gemacht wurden, ist bereits vergessen. Für die Chronik des laufenden Hacker-Wahnsinns muss freilich notiert werden, dass eine Aktion wie das von Russia Today kolportierte #PayPal15 einfach nur ein schlechter Hoax sein kann.

Was wird.

In der anstehenden Woche startet die Doku Citizenfour über Edward Snowden in deutschen Kinos. Premiere war auf dem Leipziger Dokumentarfilm-Festival, dort mit einem bemerkenswerten Vorspann, in dem sich Snowden direkt an die Leipziger Bürger wandte, die vor 25 Jahren etwas Großes lostraten. Was eine Ehrung des zivilen Ungehorsams in der DDR war, war gleichzeitig eine Ansage: Inmitten der aktuellen Snowden-Vermarktungsmaschine hält Edward Snowden nicht still und kocht händchenhaltend mit seiner Freundin in Russland Borschtsch. Er meldet sich zu Wort, wenn es nötig ist. Die Selbstbeweihräucherung der Journalisten Greenwald, aber auch die von Laura Poitras, die hier als Journalisten in eigener Sache schreiben, hat damit ihre Grenzen. Ebenso die bewundernswerte Strategie von First Look Media, genau nur die Journalisten einzukaufen, die wie sie selber ausgesprochen clever sind, hoppsla, "who had cultivated reputations as anti-authoritarian iconoclasts." Ein Whistleblower ist keine Verfügungsmasse. Auch nicht für Journalisten, die sich als antiautoritäre Bilderstürmer selbst vergöttern.

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Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 09 November, 2014, 06:46
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Feiern wir, wie die Gelegenheiten so in die Geschichte fallen. Zu Feiern gibt es genug, auch wenn man der dunklen Seiten deutscher Geschichte dieses Tages ebenso bewusst werden muss, grübelt Hal Faber - der sich bei allem Erschrecken freut.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Wie die getreuen, unersetzlichen Leser dieser kleinen Wochenschau bemerkt haben, ist selbige seit Kurzem bebildert, mit jeweils einer Illustration am Anfang und am Ende. Eigentlich ist das eine schicke Idee, doch zu diesem großen, exstasisch gefeierten "Fall der Mauer" war das eine schwierige Sache. Wie zu sehen ist, habe ich mich herausgemogelt und jeweils eine Illustration gewählt, die Mitte 1977 veröffentlicht wurde, als beide Systeme noch stolz auf ihren Aufritt waren. Sie könnten gut in jenem November 1976 angefertigt worden sein, als Wolf Biermann nach seinem Konzert in Köln ausgebürgert wurde und Ost wie West davon sang, dass so oder sodele die Erde rot wird. Nun ist der Drachentöter Biermann ein alter Mann und spendierte diesem unseren Land zur Feier ein Lehrstück linker Gehässigkeit, während sich die Mauerkreuze dorthin auf den Weg machten, wo die Mauer heute verläuft. Ja, das hat Tradition und das wird darum fortgesetzt: Die einzige Gemeinsamkeit, die BRD und DDR hatten, bestand darin, wie mies beide deutschen Staaten ihre Einwanderer behandelten.

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*** Den Anfang dieser Wochenschau macht die Schulbuchillustration aus der DDR über die verschiedenen Stufen der Beziehung von Mensch und Maschine. Auf der Stufe Nummer 5 sehen wir einen Großrechner, einen Informatiker und eine komplette Fabrik. Probleme gibt es nicht, wie es das Schulbuch vermerkt: "In automatisierten Werken ersetzt der elektronische Rechenautomat den Menschen auch noch in seiner Funktion der unmittelbaren Kontrolle." Das Ziel der Produktion ist die menschenleere Fabrik in der entwickelten Gesellschaft, in der die Menschen frei sind, ihren Neigungen nachzugehen. Das galt freilich nicht sofort, unverzüglich, weil der Sozialismus doch seinen Gang gehen muss. Es heißt ja Fortschritt und nicht Fortfall.

*** An diesem ach so beziehungsreichen 9. November geht der Blick aus Deutschland raus ins Land der Sockenpuppen und dort nach Wien. Dort wird Hedwig Kiesler, die schönste Frau der Welt, an ihrem 100. Geburtstag mit einem Grabmal geehrt. Natülich in der Gruppe 40 gleich neben Falco. Möge das Grab besser gepflegt werden als ihre Domain. Die Mobilfunk-Erfinderin, die immer noch als Corel-Gesicht erkennbar ist, war eine selbstbewusste Jüdin. Sie ließ eine voll funktionsfähige Puppe von sich selbst anfertigen und sah ihrem Lover ungerührt beim Sex mit ihrer Hedy Doll zu. Für den Schachspieler und KI-Experten David Levy ist Lamarr viel mehr als die mit der Torpedosteuerung, nämlich die Ahnfrau des Sexspiels mit Computern. Und wer an die Botschaft von der Verschmelzung von Technik und Natur im Zeitalter des Internet glaubt, wird in Hedy Doll und Hedy Lamarr die Vorläuferinnen der analogen Revolution erkennen. "I am Tondelayo. I make tiffin for you?"

*** I make tiffin, yes I make Blödsinn for you. Wer hätte gedacht, dass die Enthüllungen von Edward Snowden der Stoff sind, aus dem aberwitzige Dialoge stammen können, die an die Marx Brothers erinnern (um in Hedys Zeiten zu bleiben)? Was der NSA-Untersuchungsausschuss in dieser Woche in seiner Debatte über Funktionsträger produzierte, war kabarettreif. Mit freundlicher Genehmigung des netzpolitischen Stenografen und seines kongenialen Tipp-Guards liest sich die Aussage des studierten Informatikers und Nachrichtentechnikers B. wie ein Märchen aus 1001 Tag. Ich fuhr die Kiste an und alles war paletti:

"B.: Wer ein Formel-1-Auto fährt, muss nicht verstehen, wie das funktioniert. Wir hatten Schwerpunkt im Betreiben.

Renner: Die NSA liefert etwas, sie schließen es an, sie nutzen es, sie wissen aber nicht, wie das funktioniert, weil das ist Formel 1 und sie fahren nur VW Polo?

B.: Nein.

Renner: Wie dann?

B.: Jedes System hat Eingangs- und Ausgangsschnittpunkte und Spezifikationen, wie es funktioniert. Details sind nicht bekannt. Die Schnittstellen Eingang und Ausgang aber schon. Das können sie kontrollieren, bis auf das letzte Bit."

Nach dieser Lesart hatte der BND also keine Probleme, eine Black Box zu betreiben. Ob alle Schnittstellen erkannt waren, ist unbekannt bzw. "nicht-öffentlich". Vielleicht hing ja ein schicker NSA-Aufkleber dran, von wegen "Do not Open". Wer erinnert sich bei dieser Aussage nicht an das ausdrückliche Lob der Amerikaner zur Zusammenarbeit bei CT (Counter-Terrorism): "The BND's inability to successfully address German privacy law (G-10) issues has limited some operations, but NSA welcomed German willingness to take risks and to pursue new opportunities for cooperation with the U.S., particularly in the C.T. realm." Take risks, das ist eine schöne Umschreibung für das blinde Akzeptieren von "Spezifikationen", in denen ganze Falltüren stecken können, denn die Spezifikationen sind die der NSA, nicht allgemeine Standards oder "technische Richtlinien", wie sie das BSI ausschüttet.

*** Die Farce im Untersuchungsausschuss ging indes noch weiter. "Nicht vom Grundgesetz geschützte Funktionsträger" als Definition für deutsche Bürger, die für ausländische Organisationen arbeiten, sind zwar juristisch völliger Unsinn, doch was stört das einen deutschen Schnüffler? Man nehme nur das aktuelle Beispiel des BKA-Vizepräsidenten Jürgen Stock, der als erster Deutscher Chef von Interpol und damit ein ausländischer Funktionsträger geworden ist. Da warten doch Erkenntnisse nur darauf, "aus dem Weltall" gefischt zu werden, dort, wo es diesen elenden Datenschutz nicht gibt und Whistleblowern die ewige Verdamnis droht. Es gibt laut CDU/CSU "keinen Handelsbedarf" dachlattete der zuständige CDU-Arbeitsrechtler.

Was wird.

Nach der mit Hilfe von verdeckten Ermittlern enttarnten Silk Road 2.0 ist schnell ein Dienst namens Silk Road Reloaded aufgetaucht, der sich als sicherer Drogen-Umschlagplatz preist. Dabei soll jede Seidenstraße dieser Art direkt ins Gefängnis führen. Die Details zur aufgeflogenen Silk Road wie etwa der Ermittler, der von Beginn an als Moderator eines Forums mit von der Partie war, geben zu denken. Auch die Tatsache, dass der Betreiber ein GMail-Konto bei Google benutzte, gehört dazu. Am Ende reichte offenbar detektivistische Spürarbeit aus, ganz ohne Klagen über Verschlüsselungen, Bitcoin-Konten und über die fehlende Vorratsdatenspeicherung, für die deutsche Kriminalisten bekannt sind. Ob sie bei der internationalen Aktion gegen Darknet-Angebote dabei waren, ist eine unbeantwortete Frage. Vielleicht gibt es eine Antwort auf der Herbsttagung der Kriminalisten, moderiert von Sportjournalist Rudi Cerne von der Sendung "Aktenzeichen XY ungelöst". Es ist alles eine Frage des taktischen Sprints.

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Das Ende dieser Wochenschau stammt aus der ersten Btx-Broschüre für westdeutsche Untertanen und berichtet von der "großen Chance, diese Welt mit Hilfe des Computers transparenter zu machen". So stellte man sich im Jahre 1977 Westberlin in Klötzchengrafik vor, lange vor dem Btx-Hack, der in den kommenden Tagen gefeiert wird. Zunächst sollte Btx über Telefon und Fernseher bedient werden, doch damals schon schwärmte man gerne von den Segnungen des Breitbandausbaus:

"Datenverarbeitungskapazität wird in jedem Haus verfügbar wie Energie oder Wasser. Breitbandkommunikationssysteme können den Inhalt von Mikrofilmbibliotheken oder Datenbanken ins Haus holen; bargeldloser Zahlungsverkehr, Faksimile-Übertragungen von Post, die elektronische Zeitung, Alarmeinrichtungen gegen Feuer und Einbruch, Reservierungs- und Bankdienste und vieles andere werden möglich, ein breites Spektrum der Gruppenkommunikation wird eröffnet."

Nur die Umsetzung von der Gruppen- zur Einzelkommunikation fehlte. Dass aus dem Distributionsapparat ein Kommunikationsapparat werden könnte, das war in den 70ern höchstens bei der Linken bekannt, die noch fleissig die Radiotheorie von Bertolt Brecht studierte. Da wollte sie prompt unbedingt funkisch werden, wie beim Radio Dreyeckland. Dass Btx so eine Volxverbindung hätte haben können, wurde von allen übersehen, auch den jungen CCClern, verflixte 7 Jahre später.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 16 November, 2014, 05:30
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Der Rest ist Schweigen? Ach, der kleine Philae hat es gut, er kann sich nach weitgehend getaner Arbeit friedlich zur Ruhe begeben. Träumen Hal Fabers von elektrischen Brüdern im Geiste?

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Gut gemacht, kleiner Philae, schlaf schön. Träume von elektrischen Schafen und sonn dich ein bisschen (und vielen Dank an xkcd für die eindeutige beste Darstellung der Landung). Besser als auf der Erde hast du es allemal, kleiner Philae, da auf Tschurjumow-Gerassimenko. Hier bei uns würde allein dieser Name ausreichen, dass diese unsere deutsche Bundeskanzlerin diktatorische Anfälle bekäme. Tschurjumow, das klingt ja fast nach diesem Ramelow, der Europa in den Abgrund treiben könnte. Kleiner Philae, so ein Abgrund ist viel größer als ein Komet oder als ein Wal, ich kann das kaum in Saarländer oder Fussballfelder umrechnen.

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Auf alle Fälle geht es bergab und bergabber, und ein Europa "in völliger Abhängigkeit von der Linken" droht: Gegen die Bösartigkeit dieser Argumentation von Frau Merkel mutet sich das Biermann-Debakel der letzten Woche recht harmlos aus. Was machen wir eigentlich mit den 274.000 Thüringern, die als Putins fünfte Kolonne die Linke gewählt haben? Kann man sie nicht als Europa-Totengräber sofort verhaften und zum Grenzdienst bei Frontex verdonnern? Da möchte man lieber schlafen, schlafen, schlafen. Lange schlafen, wie wohl unser aller elektrischer Bruder im Geiste.

*** Es gab eine Zeit, da war er "Mister AOL" persönlich und stellte – zumindest in Europa – Steve Case, den Gründer von America Online, in den Schatten. Mit seiner Beteiligung am ehemals weltgrößten geschlossenen Online-Dienst hatte "Big T" Thomas Middelhoff den Deal seines Lebens abgeschlossen, der nach dem Verkauf der Anteile an Time-Warner einen satten Gewinn produzierte. Dabei begann er ganz klein mit einer Promotion über die Einführung von Btx. Nun ist er dafür verurteilt worden, den Unterschied von Ehre und Ehrlichkeit nicht so genau zu nehmen. Der Mann, der sich für unangreifbar hielt, muss für drei Jahre ins Gefängnis, unter anderem für eine 180.000 Euro teure Festschrift "Ethik für Führungskräfte" für seinen alten Kumpel Mark Wössner. Sie wurde bei Bertelsmann für Bertelsmänner gedruckt, zahlen musste aber Arcandor, das in die Pleite schlitterte. Prompt spricht Mark Wössner von einem unfassbar harten Urteil und auch sonst ist die Bestürzung groß, in der ach so lampedusafreien heilen Bürgerwelt: "Aber dass ihn nun die höchste Strafe trifft, die eine bürgerliche Gesellschaft gegen einen der Ihren verhängt – die Gefängnisstrafe –, ist unangemessen. Und dann noch drei Jahre." Wie, was, was habe ich da verpasst? Die höchste Strafe der bürgerlichen Gesellschaft gegen einen der Ihren muss unter drei Jahren liegen? Man wird doch wohl ein bisschen schummeln dürfen, als Gegenstück zu diesem elenden, unsäglichen das wird man ja wohl noch sagen dürfen, das möchte ich eigentlich nicht schreiben wollen, aber dieses nochdürfen und kommt bekanntlich von Notdurft. Der Rest ist Sch ...

*** "Guten Tag. Sie haben mit dem immunologischen Labor Bla telefoniert, danach mit der AIDS-Hilfe und dem Arzt Dr. Blubb. Dann haben Sie die Versicherung Balljanz angerufen und einen Termin im Sanatörium Blörp gebucht. Nein, wir überwachen Sie nicht. Wir haben doch nur ihre Metadaten, wissensschon." Ganz ohne Internet und geheimste EXIF-Einstellungen zeigt dieser kleine Ausschnitt eines Telefonates über Telefonverbindungen, was es mit diesen Metadaten auf sich hat. Da gibt es "einzelne Ereignisse wie Telefonate [,die] schon Dutzende Verbindungsdaten produzierten" und Schwuppdiwupp, kommen schon mal an die 500 Millionen Datensätze zusammen, selbst nach der Aussiebung von "Grundrechtsträgern". Die absurden Aussagen im NSA-Untersuchungsausschuss nehmen zu: Metadaten ohne Personenbezug sind Sachdaten, so einfach ist das, ebenso grundrechts- wie nervenschonend. Wenn die Zusammenfassungen und die Protkolle dieser Befragungsfarce stimmen, so müsste der Artikel 10 des Grundgesetzes geändert werden. IANAL, aber wie wäre es mit folgender Lösung, die zwischen Grundrechtsträgern und Hilfsträgern unter Rückgriff auf den bewährten Arierparagraphen ausreichend genau differenziert:

(1) Das Briefgeheimnis sowie das Post- und Fernmeldegeheimnis sind unverletzlich. Das Briefgeheimnis sowie das Post- und Fernmeldegeheimnis gilt nicht für Personen, die einen Eltern- oder Großelternteil haben, der nicht in der Bundesrepublik Deutschland, der Deutschen Demokratischen Republik, dem Deutschen Reich oder dem Heiligen Reich Deutscher Nation geboren wurde.

Was wird.

In der kommenden Woche geht es rund. Den Auftakt macht die Wau Holland-Stiftung mit ihrem Gedenken an den Btx-Hack. Über die Woche hinweg hat sie interressante Stücke aus dem Archiv veröffentlicht, wie verpeilt die Öffentlichkeit auf den Hack reagierte. Gleich mehrmals kam der Informatiker Klaus Brunnstein zu Wort, wie er die damals recht kleine CCC-Truppe zu kriminalisieren versuchte mit dem Verdacht, der CCC hätte weitere Geldinstitute erpresst. Dass der CCC damals gar kein rechtmäßig etablierter Verein war und alles Geld, wenn es dies je gegeben hätte, auf dem Fernmeldekonto eines Einzelnen gelandet wäre, wird bis heute gekonnt vernebelt, von Kritikern und Waufans gleichermaßen. Der eigentliche Skandal ist darob schnell in Vergessenheit geraten: Das gesamte, frisch von IBM gelieferte Btx-System hatte grundlegende Design-Fehler.

Ähnlich ergeht es dieser Tage der elektronischen Gesundheitskarte (eGK): Wenn in dieser Woche beim Bundessozialgericht über das Foto auf der Karte verhandelt wird, wird die Kürmelmonster-Geschichte verhandelt, nicht die gefährlichen Vernetzungsfantasien des medizinischen Teils der IT-Branche, die jeden Arzt mit iPad auf Visite schicken und Fitbit-Tracker am liebsten an den Anus heften will.

Ein Zeitalter geht zu Ende: Zehn Jahre lang führte Jörg Ziercke das Bundeskriminalamt in Wiesbaden und wird nun mit "The Duke" musikalisch in den Ruhestand geschickt. Zehn Jahre lang kämpfte der oberste deutsche Kriminalist für die Vorratsdatenspeicherung, von der Argumentation mit Terroranschlägen in Madrid bis zum letzten Strategiegespräch mit einem gelangweilten Mitarbeiter einer Nachrichtenagentur. Es gehört zu den großen Leistungen der deutschen Demokratie, dass Abgeordnete mit einem Sinn für die überwältigende Dimension einer solchen Überwachungsmaßnahme dem Ansinnen des Kriminalisten nicht nachkamen. Im Sinne dieser Widerständigkeit wird der anstehende Wachwechsel beim BKA auf der Herbsttagung 2014 zwar nicht gefeiert werden, aber das muss uns nicht stören. Es gibt halt viele Gründe zum Feiern und noch mehr ehrenvolle Abschiedsreden, als Engel auf einer Nadelspitze Platz haben. Insofern ist es auch eine Art Abschiedsgeschenk für Jörg Ziercke, wenn eine Kleine Anfrage der Linksfraktion pünktlich vor der Feier offenbart, was das BKA an Hard- und Software einsetzt, um passwort- oder PIN-geschützte Geräte von Verdächtigen analysieren zu können. Die Auskunft, dass dafür keine selbst entwickelten Systeme oder Verfahren benutzt werden, sondern käufliche Cracker aus Russland und Israel, ist leicht beunruhigend. Müssen es wirklich Programme und Hardwarevorrichtungen aus Ländern sein, in denen Polizeien Spuren verwischen? Ganz nebenbei sollte auch die Frage bei einem von allen deutschen Ermittlern benutzten US-Produkt erlaubt sein, warum ein Polizeiinspektor von einem deutschen Landeskriminalamt für den Hersteller in einem Testimonial damit Werbung machen darf, dass seine Truppe auf eine mit Truecrypt verschlüsselte Partition zugreifen konnte.

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Die Antworten, die im Mainzer Schloss gegeben werden, dürften anders klingen. Denn da redet EC³-Chef Troels Oerting, der in dieser Woche mit markigen Statements über Tor aufgefallen ist, etwa in der tageszeitung, die gleich einen seitenfüllenden, aber nicht online verfügbaren Nachruf auf das böse "Tor zur Unterwelt" veröffentlichte: "Die Kriminellen können davonrennen, aber sie können sich nicht verstecken." Das entsrechende Dankeschön an Cisco ist erstmal ein kleiner Aufschwung. Auch EU-Generaldirektor Matthias Ruete ist auf der Abschiedsfeier zu Gast. Einer, der als Copyright-Spezialist gerne davon spricht, dass die Anarchie des Netzes und dieser "gesetzfreie Raum" zum Untergang unserer Kultur führen kann. Man darf gespannt sein, wie sich in diesem Setting der neue BKA-Chef Holger Münch präsentiert. Vielleicht so gesprächig und mitteilungsbedürftig wie EU-Kommissar Günther Oettinger in seinem Blog, dem unsere Drei von der digitalen Agenda etwas gefaxt haben. Ein Fax? Genau, wegen der abhörsicheren Kommunikation zwischen Brüssel und Berlin. Da lachen die Leerrohre.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 23 November, 2014, 09:01
Sexismus in MINT-Fächern? Ach, ie wo, wo denkt ihr hin, kann keine Rede von sein. Oder vielleicht doch? Hal Faber hat so seine Zweifel, was die IT und die technischen Wissenschaften allgemein betrifft.

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Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Little Barbie Tables kann in der IT arbeiten und ist ein Mädchen so richtig nach dem Geschmack unserer Internet-Botschaftex Gesche Joost, Professx für Designforschung. Denn Barbie kann nicht programmieren. "Ich liefere nur die Ideen", sagt Barbie und lacht, "Ich brauche Steves und Brians Hilfe, um daraus ein richtiges Computerspiel zu machen." Doch ganz so doof ist Barbie nicht, schließtlich baumelt ein entzückendes rosa Herzchen an einer Kette um ihren Hals und drinnen ist ein USB-Stick mit der letzten Datensicherung. Trotzdem muss sie in der Computerklasse zum Notizheft greifen und kritzeln, während alle anderen in die Tasten hauen und die Nullen und Einsen eingeben, die die Lehrex im weißen Laborkittel mit einem Overhead-Projekter quer durch den Raum beamt.

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Ganz hinten sitzt ein Farbiger , der als einziger nicht lächelt. So sieht sie aus, die Realität in MINT, abgebildet in einem (inzwischen zurückgezogenen) Buch der Firma Mattel, beschrieben von der ehemaligen Microsoft-Mitarbeitex Susan Marenco. Was in den USA unter dem Hashtag #FeministHackerBarbie gekonnt veralbert wurde, brachte es in Deutschland nur auf dumme sexistische Sprüche und Neger-Witze. Dafür gab es hierzulande kaum Aufregung über das sexistische T-Shirt eines Philae-Ingenieurs, dass in den USA als Agression gegen Frauen in MINT-Fächern interpretiert wurde. Doch wer da frei von Sünde ist, der schicke den ersten Tweet. Wollen wir nicht alle bessere Menschen werden, mit Microsoft oder ohne?

*** Wie groß war da die Aufregung auf beiden Seiten des Atlantiks, als bekannt wurde, dass die Rufnummer eines der Telefone von Kanzlex Angela Merkel in einer NSA-Datenbank verzeichnet war. Was schreib ich Aufregung, nein, ein richtiger Aufruhr war das, kurz vor der Schwelle zu einem kleinen Aufständchen gegen die USA. Zwar soll es nur die Nummer des Handys gewesen sein, das Merkel für die parteiinterne Kommunikation benutzte, aber auch das wäre eine Überwachung einex deutschen Staatsbürgex, die in dieser Form nicht hinnehmbar ist, weshalb Bundesanwalx Sigrid Hegmann vom Generalbundesanwalx Harald Range mit Ermittlungen beauftragt wurde. Nun aber kommt die Meldung, dass nur heiße Luft und keine Fakten um das christlich demokratische Prepaid-Unionsphone gefunden wurden und die Sache abgeblasen wird. Dabei wäre es doch interessant gewesen, einmal Genaueres über die Kommunikation von Angela Merkel zu erfahren, etwa, wie sie am Smartphone eine "email" schreibt und diese dann im Irgendwo speichert, wo die NSA mitliest, ehe sie die Mail am heimischen Computer vervollständigt: "Lieber Klaus Schüler, kannst du bitte dafür sorgen, dass die Teller mit dem deutschen Sushi bei unseren Tagungen nicht mehr in meiner Reichweite stehen. Grüße, AngeMöhrela."

*** Komisches Szenario? Aber nicht doch. Beschrieben hat das unser aller Bundesinnenministex Thomas de Maizière in seiner Rede auf der Tagung gegen die Organisierte Kriminalität: "Nehmen wir mal an, ich formuliere auf meinem Smartphone eine email, während ich unterwegs bin. Dann komme ich nach Hause und bearbeite diese email an meinem Computer, bevor ich sie dann abschicke. Wie ordnen wir diesen Sachverhalt den Schutzbereichen des Grundgesetzes zu? Unsere informationstechnischen Systeme haben sich massiv geändert. Was übertragen wird und damit Kommunikation ist und was auf einem Gerät liegt, entscheidet letztlich der Programmierer. Das Netz wird damit zum System." Obwohl der Bürgex de Maizière die Mail noch nicht abgeschickt hat, liegt diese irgendwo bei einem Dienst in der Cloud, ist noch keine Telekommunikation im Sinne der Telekommunikationsüberwachung, aber ist durch einen zauberischen Programmierer geschützt. Hier müsste abseits des Artikels 10 des Grundgesetzes die Quellen-TKÜ greifen: Ein Trojaner müsste her, die weitere Entwicklung dieser Mail zu verfolgen. Erinnern wir uns außerdem an die gefährlichen Sauerland-Terroristen, die ihre Mails in Entwurfsordnern speicherten, aber niemals abschickten. Von dieser Art der organisierten Verschleierung geht eine große Gefahr aus, auch wenn sie dank E-Mail Made in Germany auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung stattfindet.

*** Dagegen müssen nach de Maizière Baggerx her. Seine Art der Argumentation ist lesenswert, führt sie doch eine Unterscheidung gemäß einer Datenqualität ein, die neu ist: Ein Dokumentenentwurf ist niederigerer Qualität als die fertige Mail, die verschickt wird. "Dokumente z.B. an denen ich arbeite, werden zu Kommunikationsdaten, wenn mein System sie in der Cloud speichert, obwohl ich sie als Nutzer nicht bewusst übermittele. Unser Rechtssystem setzt bislang am Zustand der Daten an, nicht an der Qualität. Doch das System entscheidet zunehmend über den Zustand, nicht der User." Wie die Argumentation weitergehen wird, lässt sich leicht erahnen. Was vom Computerprogramm im Entwurfsordner zwischengespeichert ist, steht dank minderer Qualität mit niedrigeren Rechten in dem Zugriffsbereich der Behörden und kann angezapft werden. Wäre da nicht die Sache mit der Verschlüsselung. Aber halt, die Rede de Maizières ging ja weiter: "Zum Tragen kommt dies auch beim Thema Kryptierung. Bei einer vom Richter angeordneten Wohnungsdurchsuchung dürfen wir selbstverständlich verschlossene Türen öffnen, auch mit Hilfe Dritter. Mitunter wurden schon ganze Fundamente ausgebaggert, um nach Beweisen zu suchen. Bei verschlüsselten Systemen sollen wir hinnehmen, dass die Tür verschlossen ist und bleibt, nur weil es heimlich erfolgt." Diese Sätze de Maizières verwirren leicht und erinnern an das Geschwafel seines Vorgängex, denn Verschlüsseln erfolgt nicht heimlich. Man verschlüsselt, wie man seine Tür abschließt. Heimlich bzw. ohne Keylogger nicht sichtbar ist nur die Eingabe eines Passwortes zum Zugriff auf Verschlüsselungsmaterial. Wie dies mit Baggern verglichen werden kann, die auf Spurensuche sind, ist auch nicht klar. Vielleicht ist es ein dezenter Hinweis auf Brute-Force-Methoden mit Programmen wie Passware Kit Forensics, die beim Bundeskriminalamt im Einsatz sind.

*** BKA-Tagung? Ja, genau. Was bleibt da schon außer einem Hilferuf. Wer, wenn ich schriee, hörte mich? Aber wer hört schon zu, außer der NSA? Aber der nutzt das auch nicht immer: Organisierte Kriminalität und die Entwicklung der Kryptographie haben eine gemeinsame Geschichte. Wie ein interessanter Artikel des Stanford Magazine ausführt, vermutete die NSA, dass Martin Hellman, Ralph Merkle und Whitfield Diffie für Drogendealer arbeiteten, als sie erstmals ihre Forschungen zur Kryptographie veröffentlichen. Als die NSA die Argumente für den Einsatz von Kryptographie in einem Aufsatz Hellman las, dass "es zwar nur eine entfernte Möglichkeit ist, aber die Gefahr eines aufkommenden Polizeistaates bedacht werden muss, der Überwachung durch fortlaufende Computerisierung perfektioniert", wussten die Agenten der Behörde, dass die Hütte brannte. Ihr Versuch, die Krypto-Forschung per Gesetz ähnlich wie die Atomforschung zum Staatsgeheimnis zu machen, misslang. Danach versuchte man, über Forschungsgelder der National Science Foundatoin Einfluss auf die Krypto-Entwicklung zu nehmen bzw. die NSA als Geldgeber der Forscher zu etablieren. Als auch das misslang, schwächte man Kryptosysteme über die Mitarbeit in Standardisierungsgremien ab. Bei der bekannten Geschichte muss in diesen Tagen gegen alle Versuche, "Kryptierung" zu diffamieren, daran erinnert werden, dass Blätter wie die New York Times und Science mit ihrer Berichterstattung die jungen Kryptographen vor einem Verschwinden schützten. Ein Argument, dass im Zuge der Debatte über die Snowden-Dateien nichts an Aktualität verloren hat, wie ein kleiner Briefwechsel beweist.

Was wird.

Am kommenden Montag wird das Urteil im Fall von Barrett Brown erwartet, dem ursprünglich einmal 105 Jahre Haft drohten, bis die meisten Punkte der Anklage fallen gelassen wurden. Wenn er Glück hat, wird er zu zwei Jahren Haft verurteilt und wäre frei, weil er seit zwei Jahren im Gefängnis sitzt. Wenn er Pech hat, bleibt er ein Beispiel für die Kriegserklärung der USA. "Gegen den Journalismus, den das Internet und Menschen wie Edward Snowden oder die Informatin Chelsea Manning den Gruppen wie Wikileaks oder Anonymous ermöglichen", wie die tageszeitung in ihrem Paywall-geschützten Artikel über den "Staatsfeind Nummer zwei" schreibt. Zuletzt hatte Barrett Brown in seiner Review of Arts and Letters and Jail sich mit dem hochgelobten Buch von seiner Unterstützerin Gabriella Coleman beschäftigt, das leider viele Fehler enthält.

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Nicht nur Barbie kommt aus den USA, auch Google, die ach so böse Suchmaschine. In der kommenden Woche werden wir viel über die europäischen Pläne hören und lesen, Google zu zerschlagen, eine US-amerikanische Firma. Pläne, die Juristen völlig verwegen finden, denn jedem steht es frei, DuckDuckGo oder Swisscows zu benutzen. Das gerne angeführte Beispiel von Microsoft mit ihrer Windows-Knebelung passt eben nicht. Wer den ausgewiesenen Blödsinn des deutschen Leistungsschutzrechts kennt, wird sich mit dem Vorschlag anfreunden können, Google in zwei Suchmaschinen zu zerschlagen. Die eine ist für alle Suchläufe zuständig, die mit A-M beginnen, die andere für N-Z. Damit man sie einfach x-gerecht auseinanderhält, wird die eine Startseite in Mädchenrosa, die anderen in Jungsblau gefärbt.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 30 November, 2014, 06:00
Der Sommer ist vorbei und Hal Faber steigt in die Jahresendplanung ein. Das jährliche Hamburger Hackertreffen wirft seine Schatten voraus. Aber was ist eigentlich ein Hacker? Bill Gates?

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Nein, man kann wirklich nicht sagen, dass es bei uns Sommer ist. Die Hacker-Rätsel sind längst vorbei. Dennoch hat das Thema Konjunktur. Da ist die Geschichte mit dem Altair, der eine ganze Hacker-Generation beeinflusste. Bill Gates, ein Hacker? Als solcher wird er jedenfalls in dem Nachwort von 2010 in dem Evergreen von Steven Levy beschrieben. Ein Buch, das derzeit seinen 30. Geburtstag feiert, mit Menschen wie John Carmack, die sich für das Buch bedankten, weil es half, ihr Anderssein zu erklären und zu akzeptieren. Die ganze Passage mit Bill Gates, ist bemerkenswert, denn Gates nahm es Levy jahrelang sehr übel, dass dieser seinen Open Letter to Hobbyists einer breiteren Öffentlichkeit bekannt machte. Die Passage anno 2010, die geht so:

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Es ist schon lustig. Als ich jung war, kannte ich überhaupt keine alten Leute. Als wir die Mikroprozessor-Revolution in Gang setzten, war niemand als, wirklich niemand. Man traf sich nicht mit Journalisten, die alte Leute waren. Ich verhandelte nicht einmal mit Leuten, die um die Dreißig alt waren. Nun sind Menschen mit Fünfzig, Sechszig dabei. Und nun bin ich alt und habe micht damit abzufinden. Es ist schon verrückt, wie alt diese Industrie geworden ist. Als ich jung war, habe ich Sie getroffen und nun bin ich alt und treffe Sie wieder. Jesus!

*** Es ist bezeichnend, dass bei den Geburtstagsfeierlichkeiten wieder einmal die alte Hacker-Ethik ein Thema geworden ist: "Der Hacker-Geist kann helfen", heißt es da, sehr schlicht und kontextlos, ohne den Geist der frühen Jahre. Prompt fühlt man sich an die Lanier-Bewunderer erinnert, die von einem hippokratischen Eid der ITler schwafeln. Bei der tageszeitung muss Steven Levy auf die Frage antworten, was er denn von den neuesten Aktionen von Anonymous halte. Die Antwort zeigt, dass er ein typisches Kind der 60er Jahre ist:

Ich halten nichts von Leuten, die ihre Computer dazu benutzen, einfach aus Gaudi zu stehlen oder zu zerstören. Aber Leute, die so etwas aus legitimen politischen Motiven machen, sind für mich Aktivisten. Ich bin in den 1960er Jahren groß geworden, daher habe ich großen Respekt vor zivilem Ungehorsam. Ich bin aber nicht mit allem einverstanden, was Anonymous tut. Wenn man zum Beispiel eine Nachrichtenwebsite hackt, weil einem nicht gefällt, was die schreiben, ist das Zensur.

*** Parallel zum Erscheinen von "Hackers" gab es im November 1984 die erste originäre Hacker-Konferenz, veranstaltet von Stewart Brand und seinem Whole Earth Catalog. Unter dem Motto "Keep Designing" (und nicht etwa Keep Hacking) lud Steward Brand jede Menge Hobbyisten und Techno-Bastler zum Stelldichein, um die Frage zu diskutieren, wie die von Levy zusammengestellte "Hacker Ethik" eine "Informationsökonomie für das nächste Jahrtausend" entwickeln könne – kleiner als millenial dachte man in den 60ern nicht. Liest man die Berichte von damals, diskutierte man scheinbar einfache Sätze wie Brands Bonmot "Information should be free", aber auch tiefe Einsichten wie die von Steve Wozniak: "Information should be free but your time should not": Lebenszeit ist ein kostbares Gut. Brand sah später das große Ganze fast als heiliges Ereignis:

Ich denke, dass Hacker – konzentrierte, innovative, respektlose Computer-Programmierer – die interessantestes und effektivste Gruppe der Intellektuellen sind, die es seit den Denkern der US-Verfassung gegeben hat. Keine andere Gruppe hat sich so der Idee verschrieben, eine Technologie zu befreien und ist damit erfolgreich gewesen. Sie setzten sich nicht nur gegen das aktive Desinteresse US-amerikanischer Unternhemen durch, sondern ihr Erfolg zwang amerikanische Unternehmen, ihren Stil zu übernehmen. Indem sie das Informationszeitalter auf den Einzelnen und auf den Personal Computer herunterbrachen, haben sie die amerikanische Wirtschaft gerettet. Die stillste all der Subkulturen der 60er Jahre hat sich als die innovativste und mächtigste all dieser Kulturen erwiesen.

*** Das Informationszeitalter von heute zeigt in diesen kalten Tagen seine unschönen Seiten. Das Internet soll uns gefälligst die Demokratie bringen, die mit den richtigen, guten Daten, fordert die Zeit mit einer seltsamen Illustration, der heilige Dreieinigkeit aus Hacker-Hoodie, Dreitastenmaus und Baseballschläger. Das ist nicht nur ein gewagtes Bild, sondern auch eine seltsame Vorstellung vom Internet, die nicht einmal zu der Zeit funktionierte, als Mail-Adressen noch uunet!ora!nuts geschrieben wurden. Die tageszeitung hat in dieser Woche ein wichtiges Dokument des zivilen Ungehorsams veröffentlicht, nämlich die Rede von Edward Snowden zur Verleihung des Stuttgarter Friedenspreises. Dabei veredelte die Chefredakteurin Snowden in ihrer Rede Snowden zum fünften Musketier, der mit den vier anderen (Julian Assange, Glenn Greenwald, Chelsea Manning und Laura Poitras) eine "unglaublich gelungene Choreografie der publizistischen Enthüllungsskandale" produzierte. In seiner nüchterneren Rede kündigte Snowden an, dass er als Journalist arbeiten und Artikel schreiben werde, um den Verhältnissen die Stirn bieten. Das Kind der 90er Jahre sprach von echten Informationen und trügerischen Absichten:

Als Bürger müssen wir uns darauf verlassen, dass unsere Regierung uns mit wahrheitsgemäßen Informationen über ihre Politik und ihre Aktivitäten versorgt. Damit meine ich nicht, dass wir die Namen jedes einzelnen Terrorverdächtigen kennen müssen oder jede Polizeiuntersuchung, die stattfindet. Aber wir müssen wenigstens die groben Züge der politischen Strategien verstehen, die unsere Regierung verfolgt.

*** Damit kommen wir zu den wahrheitsgemäßen Verdrehungen. Wenn nur die Hälfte aller Aussagen zutrifft, die in dieser Woche im NSA-Untersuchungsauschuss öffentlich zu hören waren, dann dehnt der BND nicht nur seine Befugnisse aus, sondern überdehnt die Gesetze oder biegt sie zurecht. Heraus kommt eine angeblich zulässige Totalüberwachung durch einen Dienst bar jeder funktionierenden Kontrolle. Sollten die Einzelheiten stimmen, hat der BND größere Rechtsbefugnisse als sie die Dienste in den USA haben. Besonders die Definition des Juristen, dass deutsche Journalisten ohne Weiteres ausspioniert werden können, wenn sie für ein ausländisches Medium arbeiten, ist von einiger Sprengkraft: Wer länger in diesem Geschäft dabei ist, hat zwangsläufig für ausländische Blätter oder sonstige Medien gearbeitet. Illegal, Scheißegal, A-sozial, scheint die Devise zu lauten.

*** Wie heißt es im Gesetz: In den Fällen der §§ 5 und 8 sind die Suchbegriffe in der Anordnung zu benennen. Ferner sind das Gebiet, über das Informationen gesammelt werden sollen, und die Übertragungswege, die der Beschränkung unterliegen, zu bezeichnen. Weiterhin ist festzulegen, welcher Anteil der auf diesen Übertragungswegen zur Verfügung stehenden Übertragungskapazität überwacht werden darf. In den Fällen des § 5 darf dieser Anteil höchstens 20 vom Hundert betragen. Die willkürliche Definition dessen, was diese 20 Prozent einer abgeschöpften Kommunikations-Ausleitung sind, dürfte sogar verfassungswidrig sein. So neu ist das nicht bei einem Dienst, der Auslandsspionage betreiben soll, aber in seiner Geschichte munter Inlands-Spitzel beschäftigte. Wen stört schon diese Verfassung und dieses unsere Grundgesetz? Über allem steht die Südmilch AG, wie die Geheimarbeiter in Pullach von ihren Kollegen genannt wurden. Darauf ein kleines Käsebrötchen.

Was wird.

In der letzten Wochenschau wurde das Schicksal des von Barrett Brown erwähnt, der auf sein Gerichtsurteil wartet. Hier ist der Link, der zum erwähnten Artikel über den "Staatsfeind Nummer Zwei" führt, der nach wie vor am Warten ist. Denn noch ist nichts entschieden: Nach einem Eilantrag der Kläger ist die Verkündung des Strafmaßes auf den 16. Dezember verschoben worden.

In Deutschland hat unterdessen die Suche nach Verschenksofas begonnen, ebenso das nunmehr Halfnarp genannte Auspendeln der Termine zum 31. Jahresendtreffen der nicht unbedingt athletischen Personen, die sich gerne Hacker nennen. Für sie dürfte die Lektüre von Levys Hacker-Buch wahrscheinlich irritierend sein. Dieses kleine Update von 2003 mag helfen. Immerhin gibt es auch bei diesem Congress ein Jubiläum zu feiern, denn anno 1984 fing es an mit chaotischen Kongressen und Geldsorgen abseits der Super-Hacks. Erst 1987 erzielte man den ersten Überschuss, der diesmal mit dem besofaten Riesenbau des Congress Centrum Hamburg noch einmal üppig ausfallen dürfte. Danach ist erst einmal Ende in diesem Gelände, denn bis 2019 wird renoviert und alles so piekfein gemacht, dass Poppen mit Folie nicht mehr möglich ist. Doch in der Kälte dieser Tage kann man ja auch an den Sommer denken, wenn das Chaoscamp vom 11. bis 17. August zum gemeinsamen Abschwitzen einlädt.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. Von verblichenen Chancen,klingonischen Familiengesprächen ...
Beitrag von: SiLæncer am 07 Dezember, 2014, 06:00
Wenn Daten in Wärme verrauchen, dann ist das mehr als nur kalter Kaffee. Nicht mal ein vorweihnachtlicher Weihnachtsmarkt-Glühwein kann Hal Faber solche Kopfschmerzen bereiten.

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Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

(http://3.f.ix.de/imgs/18/1/3/9/4/4/9/8/Auchwir-d88d7718c3d14473.png)
*** Es gab eine Zeit, in der auch Thomas Middelhoff zum deutschen Volk gehörte und am Standort Deutschland lebte, der gepflastert ist mit den Grabsteinen verblichener Chancen. Der in diesem Land arbeitete, seine Steuern zahlte, sich zu ihm bekannte und das Jammern über Deutschland satt hatte. Nun ist er bis auf Weiteres womöglich sogar über das christliche Weihnachtsfest in Untersuchungshaft, da Fluchtgefahr besteht. Stimmen die Nachrichten, so soll Bürger Middelhoff sich geweigert haben, seinen Reisepass abzugeben, wie dies ausreiseverdächtige Islamisten tun müssen. Als zuletzt ausgeübten Beruf gab Middelhoff an, "Investment-Spezialist" zu sein, was das Gericht als "ungewisse berufliche Beschäftigung" einordnete. Längst vergangen sind die Tage, an denen sich Middelhoff über das Internet als TV-Rückkanal auslies und einen 60 Millionen Dollar-Deal mit dem Shawn Fanning ausheckte: Internet-Genies wie Fanning würden in Deutschland mit dem Erbe von BRD und DDR niemals verstanden werden, meinte Middelhoff damals, da müsse man schon aus dem Tal des Bösen kommen, wie es die tageszeitung heutzutage formuliert.

*** Kalter Kaffee? Aber nicht doch! In Erfurt hat das erste Starbucks aufgemacht und das ganz ohne Abbitte für den miserablen Kaffee, der in der DDR ausgeschenkt wurde. Nun, es ist ein freier Markt und eben nicht die große Politik, in der mit Bodo Ramelow ein Gewerkschafter zum Ministerpräsidenten gewählt wurde, der frühzeitig mit der Erfurter Erklärung den Kampf gegen soziale Härten wie Hartz IV aufnahm. Doch Bodo Ramelow ist Linker und damit ein Kapitalistenfresser. Er wurde noch vor einem Jahr vom "Verfassungsschutz" überwacht, er gehört zu den "totalitären Untoten aus der Stalinzeit" (Biermann) und ist "Top-Agent einer Ex-Stasi-Connection" (Scheuer, CDU). Aber es ließ sich dann gut an: Er wollte sich nicht von Gott helfen lassen und hielt eine gute Antrittsrede, was prompt zu einem ARD-Brennpunkt führte, ob denn die Bananen alle werden? Ob es ein historischer Augenblick war und die Rede ins Museum kommt wie die Sätze von Wulff, wird sich zeigen. Mit dem Verzicht auf V-Leute beim Verfassungsschutz wird ein Schritt gewagt, der zu einer politischen Polizei führen könnte, die wirklich kontrolliert werden kann.

*** Eikonal klingt wie ein Abführmittel und wirkte ähnlich: Erschnüffelte Hinweise des BND wurden an die USA übergeben. Vor dem NSA-Untersuchungsausschuss redete in dieser Woche ein Techniker Klartext auf die Frage hin, was denn in dem "BND-Rechner" passiere, der da im Rechenzentrum eines Telekommunikationsanbieters in einem separaten Raum die Kommunikation untersucht. Da ging es früher leitungsvermittelt sehr ordentlich zu, mit den Pillen in Blistern, mit den Blistern in Schachteln und den Schachteln in Schubladen. Bei der paketvermittelten Kommunikation gibt es noch die Apotheke, doch liegen alle Pillen auf dem Fußboden, die roten wie die blauen und auch die in vielen anderen Farben. Alle Pillen in diesem Datenpool werden mit Selektoren untersucht, ob welche drunter sind, "für die wir ein Rezept haben". Dabei wird angeblich nichts gespeichert. Es gibt "kein Löschen von Daten, sondern Daten sind einfach weg, verrauchen in Wärme." Das müssen wir uns weihnachtlich gestimmt als großen Kometenschweif vorstellen und dazu das Einschlaflied des friedlichen Bürgers singen Weißt du wieviel Pillen drehen. Schlafe weiter Michel, auch wenn die parlamentarische Kontrolle der Geheimdienste absolut nicht funktioniert. Um es in einem Satz zu fassen, klaue ich einfach diesen Kommentar, zu finden im letzten Link:

Wir werden kein Internet der Dinge, keine selbstfahrenden Autos, kein E-Health, keine Industrie 4.0, keine Prozessdatenverarbeitung über das Internet machen können, wenn wir es weiter dulden, dass staatliche Bedienstete cyberterroristische Angriffe auf Infrastrukturen straffrei und mit Deckung der Exekutive verüben, unkontrollierbar durch Parlamente, wie es mit Stuxnet im großterroristischen Bereich an Atomanlagen gezeigt wurde und mit Drohnenmorden in Pakistan und Jemen jeden Tag an Demokratie und Rechtsstaat vorbei in Zusammenarbeit mehrerer terroristischer Geheimdienst stattfindet.

*** Ob dagegen die Idee hilft, die Geheimdienste unter Kontrolle der UN zu regulieren, ist eine andere Frage. Nach der Tempelberg-Rede von Putin ist deutlich geworden, dass die Welt in einen "II. Kalten Krieg" schliddert, in dem Geheimdienste dringend gebraucht werden. Das Gerede vom Cyber 9/11 liefert die Schablone für die Aufrüstung.

*** Zu den skurrilsten Nachrichten dieser Woche dürfte die Absicht von Glenn Greenwald gehören, die Snowden-Dokumente für andere Journalisten freizugeben, in einer Art Geheimschutzstelle, ausgerechnet in New York. Dort sollen Kollegen mit "unverbrauchtem Blick" die Dokumente sichten, sofern sie nicht durch Kollegen des Guardian bereits in Hongkong vernichtet wurden. Das alles unter den gütigen Augen von NSA und CIA, die sicher auch eine µ-SD in einem Kuchen finden können, wenn es zum Rückflug geht. Damit ist die Schlacht um die beste Cloud-Verschlüsselung eröffnet: In dieser Woche hat sich bereits Julian Assange zu Worte gemeldet und wie sonst nur Rüdiger Weis das kann, die Mathematik als letzte Bastion gegen die allumfassende Überwachungsgesellschaft gefeiert. Feier, Feier? Zur Feier dieser außerordentlich gelungenen Demonstration von Open Access muss natürlich Einstein zitiert werden:

Insofern sich die Sätze der Mathematik auf die Wirklichkeit beziehen, sind sie nicht sicher, und insofern sie sicher sind, beziehen sie sich nicht auf die Wirklichkeit. Mathematische Theorien über die Wirklichkeit sind immer ungesichert – wenn sie gesichert sind, handelt es sich nicht um die Wirklichkeit.

*** Zu Einsteins Zitat passt auf eine Weise, die kaum mathematisch bestimmt werden kann, ein Zitat aus Ecuador. Das Land, das Assange in seiner Londoner Botschaft beherbergt, hat bekanntlich den Mitgliedern des parlamentarischen Umweltausschusses die Einreise verweigert. Die offizielle Begründung bemüht eine Realitätsverzerrung jenseits aller demokratischen Streitkultur. Kafka lachte laut:

Es gilt hervorzuheben, dass auffallend viele der ecuadorianischen Gesprächspartner der Parlamentariergruppe Organisationen oder Personen sind, die in der Vergangenheit mittels Realitätsverzerrung, bisweilen durch rechtswidrige Verleumdung und mit der Absicht, politischen Schaden und einen Ansehensverlust der ecuadorianischen Regierung zu erzeugen, die ecuadorianische Regierung attackiert haben. Diese geplanten Termine und Unterredungen deutscher Abgeordneter mit Personen, die jenseits der demokratischen Streitkultur agieren, sind nicht mit dem Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten und Menschliche Mobilität Ecuadors koordiniert worden.

Was wird.

(http://1.f.ix.de/imgs/18/1/3/9/4/4/9/8/GEHIRN-8cb615026360492e.png)
"Wir müssen den Kindern mehr Deutsch lernen", sagte der große Bayer Edmund Stoiber im Jahre 2002 und brachte es mit dieser gerupften Sentenz immerhin zu einem eigenständigen Buchtitel, ganz ohne den praktischen Start am Hauptbahnhof. Nun will seine Partei auf ihrem anstehenden Parteitag beschließen, dass in Einwanderer-Familien deutsch gesprochen werden muss und nicht etwa klingonisch. Das könnte für die Bayern ein Anfang sein, ihre Aussprache zu verbessern, ist aber sicher nichts für Einwanderer im zweitbeliebtesten Einwanderungsland der Welt. In Erinnerung an die Schrödersche Green Card-Initiative, die vor 10 Jahren ach so erfolgreich war, kann die Forderung am Fortschritts-Standort Deutschland nur lauten, dass in jeder Einwanderer-Familie ein Mitglied Computerlinguist ist oder sich zu einem solchen ausbilden lässt. Das wird uns helfen, nach der großen Singularität die Computer zu verstehen, wenn diese auf ausgesprochen mörderische Gedanken kommen.

In diesen ach so feierlichen Tagen bleibt nur der bekannte Wunsch übrig: "O Herr, lass Hirn vom Himmel regnen ..." Und wenn es regnet, Herr, pack es in Folie. Denn wir sind das Volk der Anwohner.

Quelle : www.heise.de
Titel: 4W: Von einem Zombie-Alarm und Geschichte als Grauen statt als Farce
Beitrag von: SiLæncer am 14 Dezember, 2014, 06:12
Die Untoten von Pegida scheinen bereits den politischen Diskurs zu bestimmen, befürchtet Hal Faber. Es gibt wieder gute Menschen und diejenigen, die unwert für Deutschland sind.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

(http://2.f.ix.de/imgs/18/1/3/9/9/0/5/7/Zombie-3ed33b03f8d120b2.png)
*** Junge, es wird wieder kalt, da lässt man nicht das Fenster auf, wenn draußen die Untoten von der Pegida durch die Straßen ziehen und über ihre mit Sorge wahrgenommenen Wirklichkeit grölen. Mädchen, ja mach das Fenster zu, wenn Zombies für das Klima kämpfen. Stoßlüften ist das Gebot der Stunde, wenn die Untoten die Straßen verpesten, diese Jungen, die wirklich nichts gelernt haben und nun stammtischhaft einherkommen. Aber sie meinen es ja anders, sie beißen ja nicht, beschwichtigt das Blatt, dem die klugen Köpfe abhand kommen:

Die Motive, die in Dresden Tausende, woanders Hunderte seit Wochen auf die Straßen treiben, haben jedenfalls sehr viel damit zu tun, dass stammtischhafte Beschreibungen einer mit Sorge wahrgenommenen Wirklichkeit als extremistisches Fehlverhalten „demaskiert“ werden. Das ist arrogant, obrigkeitsstaatlich und demaskiert sich selbst. Denn jeder Bürger dieses Landes hat Anspruch darauf zu erfahren, welcher Islam und welche Migration zu Deutschland gehören sollen.

*** Geschichte ereignet sich zwei Mal, einmal als Tragödie, einmal als Farce? Wohl eher als Grauen. Ja, es gibt gute Migranten und Roma, die wir ohne Federlesens abschieben, weil diese Migration nicht zu Deutschland gehören darf. Wir sind schließlich ein Volk der Dichter und Sänger im Land der Lichtgrenze, und wenn das Licht der Aufklärung bis nach Riga geflogen ist, dann ist es hier halt finster und die Zombie-Pegida demonstriert mit AfD-Mitgliedern aus der Mitte der Gesellschaft gegen für Deutschland Unwerte. Welcher wohltuender Unterschied solch ein grünes RT-Mikrofon gegenüber den blauen ARD-Häubchen ausmacht! Deutschland entpuppt sich als das Land der geheimen Putin-Versteher. Wie der das Ding mit diesem Tataren auf der Krim gedreht hat, sagenhaft.

*** Ich greife etwas vor, denn diese Veranstaltung findet erst 2015 statt, aber die in dieser Woche veröffentlichte Ankündigung des Bundes deutscher Kriminalbeamten zeigt schön die Argumentationslinie dieser neuen moralischen Panik:

Flüchtlingsströme aus den umkämpften Gebieten bahnen sich ihren Weg auch zu uns. Der hilflose Umgang und die Überforderung des deutschen Staates mit diesen Flüchtlingen liefern den Nährboden für eine spürbar steigende ausländerfeindliche Haltung. Hooligans und Rechte versuchen, im Internet und auf deutschen Straßen diesen Umstand für ihre Zwecke zu nutzen.

*** Ströme sind gefährlich und müssen kanalisiert werden. Und dieses Internet erst, das jetzt von Hooligans und Rechten und der Sceurity-Szene benutzt wird, was gar nicht angeht. Was diese moralische Panik so gefährlich macht, ist die Unterstellung eines Nichtsagenkönnens. In dieser Woche ist der große Warner Ralph Giordano gestorben, dessen Brief an den damaligen Bundespräsidenten Wulff bei den BRDschatzern von Politically Incorrect veröffentlicht wurde. Heute zählt der Anwurf zur Standardfloskel der Pegidaisten, auch wenn die meisten nichts mit einer "paternalistischen Kultur" anfangen können und lieber "Ausländer raus" rufen:

"Wo sind wir denn, dass wir uns fürchten, zu Ausländer- und Fremdenfeinden gestempelt zu werden, wenn wir uns zu eigenen Wertvorstellungen bekennen? Wo sind wir denn, dass wir uns scheuen müssen, eine paternalistische Kultur, in der das Individuum nichts, die Familie und Glaubensgemeinschaft aber alles ist, integrationsfeindlich zu nennen?"

*** Aufklärung, Aufklärung, das war doch etwas? Richtig, die Geschichte mit dem Vodafone-Handy von Angela Merkel, das in einer Datenbank der sich ständig erweiternden NSA-Dienste geführt wurde, wird vom Generalbundesanwalt nicht weiter verfolgt. Hinter dieser Mitteilung verbirgt sich das ganze Elend der häppchenweisen NSA-"Aufklärung" durch Medien wie "Spiegel" und "Intercept", der gerade mal wieder 10 Screenshots veröffentlichte. Da hat der Spiegel ein Dokument "selbst hergestellt" und berief sich nun auf sein Zeugnisverweigerungsrecht, als die Ermittler näheres zu dem Dokument wissen wollten. Etwas umständlich wird dann erklärt, dass es sich um eine Abschrift handelte, mit dem Hinweis, dass die gemeinsam mit dem Verschlüsselungsexperten Jacob Appelbaum erzeugte Abschrift vom Blatt selbst nie veröffentlicht wurde. Die Abschrift selbst wurde als Ausdruck im Ayuthaya-Font eines Macs veröffentlicht, dem Standardfont der Thai-Version des Mac OS X. Liest man das ausführliche "Zitat der Abschrift" im Buch über den NSA-Komplex (S. 228), so findet sich der Hinweis auf die National SigInt Requirement List (NSRL), die Liste der Aufklärungsziele und den Zielnamen GE CHANCELLOR MERKEL. Dazu merken die Super-Rechercheure des Spiegels an, dass der Auftrag mit der NSRL-Nummer 2002-388* im Jahre 2002 eingestellt wurde – als GE CHANCELLOR noch Gerhard Schröder war, der meistens die Mobiltelefone seiner Leibwächter benutzte. Kein Wunder, dass der Generalbundesanwalt einen auf "Grundlage des in Augenschein genommenen Beweises" hergestellten Sekundärbeweises nicht akzeptiert und den Beweis nicht bewerten will. Aber eine hübsch aufregende Geschichte war's doch, komplett mit einem Entschuldigungs-Telefonat von Präsdient Obama. Da passt doch gleich ein anderer (Vize)-Präsident ins Bild:

You're not going to use the story, Mr. Scott? No, sir. This is the West, sir. When the legend becomes fact, print the legend.

*** Die Nachrichten aus dem freien Westen über die Praxis der CIA, mit im feinsten Neusprech so genannten "folterähnlichen Methoden" an Informationen zu kommen, sind unappetitlich. Sie dokumentieren mehr als das Versagen eines Dienstes oder eines Staates, sie künden von der Aufgabe der Kommunikation, übrigens auf beiden Seiten. Informationen wurden so offenbar nicht ermittelt. Der ökonomische Aspekt war viel wichtiger: James Mitchell und Bruce Jessen sind die Realnamen der CIA-Psychologen, die sich Schlafentzug, Waterboarding und rektale Ernährung ausgedacht haben. Ihre eigens für das Foltern gegründete Firma "Mitchell, Jessen & Associates" hat für die Verfeinerung der Methoden 81 Millionen US-Dollar kassiert und ist bis zum Jahre 2021 von allen Gerichtsverfahren freigestellt, sollte es doch einmal gelingen, diese Machenschaften vor Gericht zu bringen. Das wäre eine europäische Pflicht, ganz abseits von der Strafbarkeit der Vorgänge in Deutschland.

*** Nun ist die Rolle der Psychologen zwar schon länger bekannt, doch die geschäftlichen Details haben es in sich. Das gesamte, von Obama gestoppte Programm hätte 180 Millionen Dollar gekostet. Die Firma operiert noch heute und bietet zeitgemäß einen besonderen Schutz vor Cyberterror an, weil sie eine "langjährige Erfahrung im Verstehen, Vorhersagen von extremen, hoch-risikoreichen Situationen hat, in denen strategisches Handeln verbessert werden kann". Und weil Religionszugehörigkeiten in diesen besinnlichen Tagen ja besonders gerne diskutiert wird: Die Folterer und fast alle Angestellten der Firma sind Mormonen und gehören der "Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage" an. Was schließlich zu der Frage führt, wie die Empörung bewertet werden muss.

*** Nach all den Reden über Whistleblower, nach den Preisen für Edward Snowden, Laura Poitras und Glenn "Häppchen" Greenwald erwähnt kein Blatt den Mut von John Kiriakou, der die Folterpraxis aufdeckte und dafür im Gefängnis sitzt. Als gäbe es ein Leistungsverweigerungsrecht, bringt news.google.de nur Nachrichten über einen Handballspieler in der Landesliga hervor und macht John Kiriakou zum Zombie.

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Dabei sind seine Briefe aus dem Gefängnis lesenswert, beschreiben sie doch, wie Post-Foltermethoden aussehen, wenn Wärter Häftlinge anlügen und hoffen, dass sie dann übereinander herfallen.

Was wird.

Der im Gefängnis sitzende Barrett Brown ist in dieser Wochenschau mehrmals erwähnt worden. Sein Urteil wird am Dienstag erwartet. Die Begründung des Gerichts liegt vor, unterliegt aber dem Geheimschutz. Dagegen hat Brown Einspruch erhoben. Das amerikanische Volk habe ein Recht, zu erfahren, auf welchen Beschuldigungen seine Verurteilung beruhe, schreiben seine Unterstützer. Dagegen hoffen die Kläger, dass das Geheimhaltungsgebot Journalisten davon abhalten wird, über den Fall des Anonymous-Unterstützers zu berichten: Im Westen nichts Neues.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. Wobei abgehandelt wird, wie die Deutschen so gehen.
Beitrag von: SiLæncer am 21 Dezember, 2014, 07:06
Muss man alles Ernst nehmen, nur weil die plumpen Ressentiments gleich massenhaft vorgetragen werden? Hal Faber zweifelt sehr daran, dass der Gang, wie manche Deutsche ihn so gehen, wirklich der aufrechte ist.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

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*** "Es lebe das heilige Deutschland", rufen die Redner wie weiland Claus Schenk Graf von Stauffenberg vor dem Erschießungskommando der Nationalsozialisten, und die Menge antwortet mit Ahu, Ahu. So gehen die Deutschen, die Deutschen gehen so, als ob sie aus der Geschichte nichts gelernt haben. Und sie hören sich seltsam an, die Menschen im Tal der Ahnungslosen. Die Forderung, mit diesen Menschen zu reden, die nicht differenzieren können, erinnert an das ältere schaumsprachige Gedröhn, man müsse doch mit Nazis reden, die tun doch nur so. Ein paar Jugendzentren und Sozialarbeiter später sind wir bekanntlich viel weiter, wie die Geschichte des NSU zeigt.

*** Soll man Ängste ernst nehmen, wie "christliche Angst" in der Aussage, dass es in 20 Jahren keine Weihnachten mehr zu feiern gibt, weil Jesus zwar ein Prophet war, aber nur einer unter vielen, wie Muhammad? Was die Prophezeihungen anbelangt: Richtig glücklich sind in diesen Tagen die Lagerdenker mit ihrer Abgrenzung der Latenznazis und die Verschwörungstheoretiker mit ihrer Ansicht, dass Pegida ein Produkt deutscher Politiker ist, um von ihrer Politik abzulenken, die eben diese Pegida-Demonstranten in ihrer sozialen Stellung bedroht. Wer fehlt in der Liste? Richtig, die Theoretiker, die bejubeln, wie effektiv Pegida die sozialen Medien nutzt, ganz wie im ägyptischen Frühling. Facebook ist ein Brandbeschleuniger. In einem Land, in dem eine Ausländermaut, ähem Infrastrukturabgabe kommt und das Wort Ausländerfeindlichkeit eines von 400 Hinterländler-Worten für den alltäglichen Hass auf das Fremde und andere ist, kann noch viel passieren.

*** "Es lebe das heulige Deutschland" in einer Zeit, in der Geschichte gemacht wird wie in einem Comic-Buch, wenn die Guardians of Peace angreifen: Da gibt es also eine regierungsamtlich genehmigte Filmsatire über einen Film namens The Interview. Dieser motivierte angeblich nordkoreanische Überhacker, die miserabel gesicherten Server von Sony Pictures zu hacken. Dabei gibt es jede Menge nordkoreanischer Filme, in denen US-Amerikaner als gefährliche Irre mit schlechtem Haar dargestellt werden, die Kinder vergiften und die Welt mit AIDS oder Ebola infizieren wollen. Dass der kleine dicke und kranke Kim Jong Un als Zigarren paffender Schrank im US-Dreh gezeigt wird, passt bestens zum Comic, in dem die nächste Folge nicht auf sich warten lässt: Der russische Präsident Putin schaltet sich ein und lädt Kim Jong Un nach Moskau ein, zur Siegesfeier eben jenes Weltkrieges, in dem Stauffenbergs Operation Walküre genau nichts bewirkte. Das Ganze wird nicht ohne exklusives Kim-Interview mit Russia Today ablaufen, also der Medienorganisation, die Pegida, Bogida & Co mögen, weil sie so anders als unser "Lügenpresse" ist, diese "Hure der Abschaffung Deutschlands". Und jeder lügt, so gut er kann, damit die Verschwörungstheoretiker Recht behalten.

*** Da wird dann Kim Jong Un auf Amerika und die UN-Resolution schimpfen können, wie es seine lyrische Art ist: "Eigentlich haben die USA keine Berechtigung und Befugnis dazu, die Menschenrechte der anderen in den Mund zu führen, und sind sie selbst der grausamste Verletzer der Menschenrechte und deren größtes Ödland." Im Ödland, das ist dort, wo die "erweiterten Verhörmethoden" der CIA gelten und Guantanamo auf Kuba eine Bastion der Menschenrechte ist. Ödland? Das erinnert an den längst vergrifffenen Thriller Ödland von Jan Marc Ligny, in dem der Hacker Yann in ein Flugzeug verschleppt wird und die ganze Palette der Folter eines Geheimdienstes mit dem netten Namen NetSurvey erlebt, der vom Namen her an die BND-Tarnfirma Hauptstelle für Befragungswesen erinnert, nur moderner:

"Yann gab eine ganze Menge Hacks und Piraterien zu, von denen sie einige wirklich überraschten. ('Ach wirklich, auch das Pentagon? Davon wussten wir überhaupt nichts.') Doch das, was sie hören wollten, war nicht dabei. Aus guten Grund - Yann hat immer nur für sich selbst gearbeitet. Seine Fundstücke behielt er für sich oder gab sie an die weiter, die es betraf, und zwar umsonst. Niemals hatte er auch nur eine Sekunde daran gedacht, aus seinem Hobby eine lukrative Einnahmequelle zu machen, ganz zu schweigen davon, in Richtung Spionage oder Sabotage abzugleiten. Für Yann war Hacking eine Leidenschaft, keine Waffe. Doch damit konnte er den paranoiden, auf einen Komplott getrimmten Cyberpolizisten nicht kommen."

*** Am Ende ist Yann gedreht. Dann zieht der leidenschaftliche Hacker als überzeugter, guter Hacker für ein Land in den Cyberkrieg, gibt es doch zu jedem Ozeanien ein Ostasien, das den Staat oder wahlweise den Bürger bedroht. Das Problem der privaten Ethik liegt im Als-Ob der Einstellung: Verhalte dich immer so, als ob du ein guter Hacker bist. Überprüfen kann es eh niemand, und wenn es dein Gewissen erleichtert, bitteschön. An dem Als-Ob ändern all die schönen Sätze der Hacker-Ethik nichts, seitdem sie von Reinhard Schrutzki ins Deutsche übertragen wurden, mit einigen landestypischen Verbesserungen: "Computer können dein Leben zum Besseren verändern. Das funktioniert natürlich nur, wenn man in der Lage ist, dem Computer Strukturen vorzugeben, die diese Tendenz zum Besseren bereits enthalten. Wenn die Strukturen fehlen, kann auch der Computer nicht helfen. Armer Boy George." Als die Hacker-Ethik 1987 im Chaos Computer Buch erschien, war Boy George eine exzentrische Anziehpuppe, die als Sänger auftrat. Wo die richtigen Strukturen fehlen, da kann es passieren, dass ein Hacker einen anderen symbolisch kastriert, nur weil dieser seine Forschungs-Ergebnisse zur UMTS-Technik vor dem maßgeblichen Hackerkongress (TM) abseits des Kongresses veröffentlicht.

*** Die Ergebnisse selbst, also die Nutzung des Signalling System 7 der UMTS-Technik zu Hackerzwecken, erscheint dabei in der medialen Umformung als möglicher Weg, wie Angela Merkels Handy gehackt worden ist. Man habe nur SMS-Nachrichten auf diese Weise knacken können, weil zum Dekodieren der entschlüsselten Sprache noch der entspreche Player fehlt. Die Faszination dieses angeblichen Hacks des Merkel-Handys durch die Geheimdienste war schon im letzten grauenhaften WWWW ein Thema. So geht es munter weiter mit den Spekulationen, auch in dem umgeformten Artikel. Nachweisbar sei es nicht, dass diese Methode beim Abhören von Merkels Handy genutzt worden ist, aber der Ansatz sei "zu attraktiv, als dass ihn alle Geheimdienste hätten übersehen können". Was fast wie ein Beweis klingt, denn von "allen Geheimdiensten" hin zur omnipotenten NSA ist es nur ein kleiner Schritt. Mit welchem Gottvertrauen deutsche Leser auf deutsche Hacker reagieren, findet sich in den Leserbriefen zum selben Artikel. "Der CCC knackt regelmäßig ach-so-tolle Verschlüsselungen. Das haben die Profis seit Btx immer wieder gemacht". Dieser Nimbus soll weiter Bestand haben. Wehe, wenn da jemand seinen Schwanz nicht im Zaum hat.

*** Dabei lieferte diese Woche eine von vielen Medien exklusiv veröffentlichte eidesstattliche Erklärung von Sebastian Edathy viel interessantes Material frei Haus, was da alles angeblich per SMS ausgetauscht wird in der politischen Szene unter Parteifreunden. Die Rede ist von einem besonders abstoßenden Exempel für Karrierismus, Missgunst und Intrige. Vielleicht findet sich ja noch jemand, der die bizarre Kommunikation der SPD entschlüsselt. "Genossen, wir dürfen uns nicht von der Geduld hinreißen lassen," das war einstmals ein Satz, der die frühe Sozialdemokratie prägte.

Was wird.

Keine Musik heute? Doch. Black Messiah. Das passiert. Und nicht die blinden Ressentiments von Pegida. Und mit mehr Zukunft, als all die Buzzword-Jongleure auf dem DLD jemals aufbringen werden. Auch dann, wenn sich unser neuer Mann fürs Neuland unter sie mischen wird und vielleicht mit dem Berufs-Disruptiven von Uber die Klingen kreuzt.

In dieser Woche musste das erwartete Urteil im Fall von Barrett Brown aufs nächste Jahr verschoben werden. weil die Ankläger eine Fülle neuer Beweise für das angeblich so schändliche Tun des Sprechers von Anonymous nachlieferten. So kam man nicht einmal dazu, sich über die einzelnen Punkte zu verständigen, die zur Ermittlung des Strafmaßes zählen können. Dies hielt Julian Assange in der equadorianischen Botschaft nicht davon ab, ein //wikileaks.org/Assange-statement-on-the.html:Statement zu veröffentlichen, dass er im Mittelpunkt der Verhandlung gestanden hat.

(http://3.f.ix.de/imgs/18/1/4/0/7/4/9/3/Althusser-c8b1d574a68c707f.jpeg)
Der vor Gericht zitierte "son of a bitch", den Barrett Brown erschossen sehen wollte, sei eigentlich er selbst, Julian Assange. Leider zitiert Assange nicht den polizeilich ermittelten Tweet. Denn der volle Wortlaut des polizeilich ach so wichtigen Tweets enthält einen Hinweis auf PGBOARD, einem der schärfsten Assange-Kritiker.

"“A dead man can’t leak stuff… Illegally shoot the son of a bitch.” – Bob Beckel, Fox News, December 6th 2010 #Assange in @PGPBOARD style."

So geht Geschichte und Weihnachten kommt. Mit Lametta und Pegida. Anderswo wird statt Christmas Encryptmas gefeiert. Sucht noch jemand Geschenke? Journalisten sind ja sowas von un-be-stech-lich, da kann ich ruhig Werbung für das wichtigste Buch des Jahres 2015 machen. Keine Angst, es ist nicht vom George-Kreis, pegidafrei, kein Krimi, der Humor kommt auch nicht vor und dennoch ist es ein Schnäppchen, als Vorbestellung.

Quelle : www.heise.de
Titel: 4W: Über Esel, den Gang der Welt und die daraus resultierende Verzweiflung
Beitrag von: SiLæncer am 28 Dezember, 2014, 07:10
Nachrichten vom Untergang des Abendlandes sind etwas verfrüht. Was aber ist dieses Abendland? Möglicherweise die Welt, über deren Gang man nur verzweifeln kann, mutmaßt Hal Faber.

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Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

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*** Weihnachten, dieses Fest der Liebe liegt hinter uns, der Untergang des Abendlandes konnte gerade noch einmal abgewehrt werden. Ochs und Esel in ihren Ställen sind versorgt, und was das Wunder des Gebärens angeht, ist dies der Coca-Cola Peepshow überlassen. Die Weihnachtslieder sind verstummt, nur einem Kanarienvogel bekam das Fest überhaupt nicht. Niemand musste Yussuf "the Cat" Islam singen, leider auch niemand das Lied vom gläsernen Menschen im Visier der NSA, das uns Udo Jürgens hinterlässt. R.I.P. Oh heul mir den Fluss voll, weil Joe Cocker auch gegangen ist. Angeblich war es die Lunge, doch wenn man liest, wer Brite des Jahres geworden ist, bekommt man Zweifel: Man kann auch an Verzweiflung über den Gang der Welt sterben.

*** Dieser Dreck, der in in ganz Europa mit kräftigem "Payback" der ach so klugen Presse terminus post quem Schirrmacher hochgespült wird, reizt zu weiteren Kommentaren. Aber nach zwei Runden würde der IT-Aspekt, dass Pegida ein mit Leserreportern und üblen Randfiguren garniertes Facebook-Problem ist, den Vorwurf der Kurzatmigkeit kassieren. Vielleicht bleibt es noch übrig, Schrödingers Ausländer zu erklären, die da mit Spaziergängen in Dresden bekämpft werden: Sie nehmen uns den Job weg und kassieren alle Sozialleistungen. Die Kontinuität ist bedrückend: Der Hass ist immer der Hass auf den sozial Schwächeren. Man muss bedauern, dass für eine Analyse dieses Formates kein Platz mehr im Geheimdienst-fixierten Chaos Computer Club ist: Das nur zur Kritik an der letzten Wochenschau.

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*** Zu den IT-Weihnachtsgeschenken, die leichte Irritationen unter den Weihnachtsbäumen und Mistelzweigen hervorrief, gehörte die Nachricht von Google an Wikileaks, dass man Daten über einen Wikileaks-Mitarbeiter herausgeben musste. Es kann eigentlich nur ein schlechter Weihnachtsscherz von Wikileaks nach diesem Buch sein, dass Mitarbeiter noch Google-Mail nutzen oder überhaupt genutzt haben. Nach dieser ebenfalls zum Fest der Liebe getwitterten Werbung für Slur ist es möglicherweise die bittere Wahrheit verwirrter Leute oder ein ganz, ganz schlechter Scherz. Die Macher, die sich selbst als Wikileaks 2.0 verstehen, haben den Slogan "Die Wahrheit gehört dem, der sie bezahlen kann", programmatisch umgesetzt. Ein größerer Abstand zu den Zielen und Werten von Wikileaks ist kaum denkbar.

*** Nein, Nordkorea ist nicht das Wikileaks der Filmindustrie geworden. Wenn diese Analyse stimmt, erfolgte der Angriff aus Japan und dürfte ein Insider-Hack gewesen sein. Die Tat einem Staat anzuhängen, liegt im Interesse von Hacker-Firmen, die im Auftrag von Staaten arbeiten. Das eine App zum Film angeboten wird, in der ein Trojaner das Online-Banking aushebelt, ist nur passend schmückendes Beiwerk. Der zur Weihnachtsdebatte um den Weltfrieden hochstilisierte Film hat sich als ein derart schwaches Machwerk entpuppt, das andere Theorien etwa über einen Marketing-Trick von Sony mit Pustefix gemalt sind. Wer sich den Unsinn ansehen will, ist ausreichend gewarnt. Der Rummel um den Film erfasste selbst US-Präsident Obama, der es bislang nicht geschafft hat, sich den ungleich wichtigeren Film Citizenfour anzusehen. Zu den Nachrichten gehört darum auch die Anzeige eines US-Bürgers gegen Citizenfour, weil Filmemacherin Laura Poitras zusammen mit Edward Snowden und Glenn Greenwald dem US-amerikanischen Volk schweren Schaden zugefügt haben soll. Scheinbar Whistleblower und Journalisten, hätten sie alles getan, um aus dem Material ihren Profit zu erwirtschaften.

*** Whistleblower als geldgeile Profiteure abzuwerten, ist keine neue Strategie. Interessant ist, wie in dieser Woche mit dem Wort von der Snowden-Hysterie eine der ältesten Ausgrenzungen der Welt bemüht wird, ausgerechnet im Rahmen des US-europäischen Cyber-Dialoges. Im deutschen Kontext wird Hysterie gerne in der Pegida-Diskussion benutzt, um die sachliche Diskussion zu betonen, die man bittschön führen sollte. Die sachliche Diskussion zu den bislang bekannten Snowden-Dokumenten stört die Politik wie die Medien mit ihren Häppchen aus dem Fundus der Dokumente. Weniger als 1% sind bis jetzt veröffentlicht worden. Die histrionische Inszenierung geht weiter. Vielleicht kommt 2015 ein weiteres Prozent hinzu. Gute Aussichten, schlechte Aussichten.

Was wird.

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Aus, aus und vorbei? Aber nicht doch. Das Jahr ist noch gar nicht zu Ende, der 31C3 hat gerade erst angefangen, die Antworten auf die Snowden-Enthüllungen zu suchen: Die Hysterie schlägt in ihr Gegenstück um, die Euphorie, wenn "im Auftrag von ZEIT ONLINE" Fotografen und Hacker gemeinsam versuchen, die Hände von Politikern zu fotografieren, nur um anschließend zu behaupten, dass Geheimdienste das mit hoher Wahrscheinlichkeit machen. Die lustigen Geschichten um das SS7-Netz und das kaputte UMTS verdienen es, wenigstens einmal technisch sauber dargestellt zu werden. Etwa so, wie vor 10 Jahren Thomas Maus die damals bekannten Ansätze zur elektronischen Gesundheitskarte nach allen Regeln der IT-Sicherheit zerlegte. Es ist so eminent wichtig, genau zu sein und nicht die Spekulationen und die daraus entstehenden Meldungen zu favorisieren, die prompt davon fantasieren, dass von der Leyens Fingerabdruck geknackt ist.

So sind die Berichte, dass alte Kassen-Karten in ein paar Tagen nicht mehr funktionieren, völliger Quatsch, weil es nach wie vor sonstige Kostenträger gibt, die an der herkömmlichen KVK-Karte festhalten oder auf eine eGK ohne Foto umsteigen: Die MitarbeiterInnen von Bundespolizei, Bundeswehr, Verfassungsschutz und Bundesnachrichtendienst genießen dieses Privileg. So könnte der Eindruck entstehen, dass hier wegen der leidigen Fotos problemorientiert vorgegangen wird. Aber ach, es ist der schlichte Kostendruck, auch bei den Kassen, die jetzt Karten ohne Bild raushauen, um ihr Quorum zu erfüllen. Derweil rummst es im deutschen Gesundheitssytem ganz gewaltig, weil der "Anti-Mehdorn" angesagt ist, wie an manchen Orten zu lesen ist: "Die vorgesehenen Ausgaben für die Gematik GmbH in Höhe von über 57,6 Mill. € bzw. 1,09 € für jedes Mitglied in der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) für 2015 belegte das Gremium mit einem „Sperrvermerk“." Gezahlt wird nur, wenn der oberste eGK-Projektleiter der Gematik, Professor Arno Elmer, geht.

(http://3.f.ix.de/imgs/18/1/4/0/8/7/3/1/Ada-a5751dfa16454518.jpeg)
Er hat wohl zuviel über die "Autobahn des Gesundheitswesens" geredet, die angeblich steht, während die wichtigen IT-Spezialisten reihenweise den Dienst bei der Gematik quittierten. Für den 2015 anstehenden Test der elektronischen Gesundheitskarte könnte der Zahlungsstopp der gesetzlichen Kassen ein Desaster darstellen.

Noch ist das Jahr übrigens nicht vorbei. Das Jahresend-WWWW steht auf dem Programm, mit der Analyse der Klicks und Pageviews, die schöne Überraschungen bereit hält. Auch die Vorschau auf 2015 ist schwer angesagt, immerhin ist es das "Ada-Lovelace-Jahr", mit besonderer Betonung auf der Rolle der Frauen in der IT: "Am Anfang war Ada", doch Grace Hopper und Nadia Magnenat Thalmann folgten. Und dann "gewinnt" eine Frau bei Facebook einen Manager-Posten, im Jahre 2014. Was ist übrigens mit Frauen in der IT bei den Geheimdiensten und in der Kryptoanalyse bei CIA und NSA? Das ist ein Thema seit Adelaide Hawkins, was Adelaine Hawkins seinerzeit prompt selbst dementierte.

Quelle : www.heise.de
Titel: 4W:Die Jahresend- und -anfangedition, mit etwas Aufklärung, etwas Rückblick ...
Beitrag von: SiLæncer am 01 Januar, 2015, 07:00
Alles ändert sich, damit alles bleibt, wie es ist? Statistiken sprechen ihre eigene Sprache, vor allem, wenn die Server des Heise-Verlags sie ausspucken. Etwas mehr Aufklärung, etwas mehr Optimismus bitte, fordert Hal Faber.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche, zum Jahresende dieses Mal aber donnerstägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich - und zum Jahresende dann doch mehr Rück- als Vorschau.

Was war.

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*** Die Eulen der Minerva haben ihren Flug längst begonnen. Und doch: "Wenn wir wollen, dass alles bleibt, wie es ist, dann ist es nötig, dass alles sich verändert." Am Jahresende muss ein schlichtes Motto für das nächste Jahr her, wenn in der Tradition des Jahresend-WWWW oder des Jahresanfangs-WWWW die nüchternen Zahlen auf den Tisch kommen, was die Top-100 von heise online im abgelaufenen Jahr gewesen sind. Was das stockkonservative Motto anbelangt: Es hat sich sehr, sehr viel geändert im Jahre 2014, doch ist nicht längst nicht alles gleich geblieben. In absoluten Zahlen ist diese Meldung über das nächste Windows mit 1.331.230 PIs und 1655 Kommentaren zur Microsoft-Politik die Spitzenmeldung des abgelaufenen Jahres, was der bleibenden Tendenz der Leser entspricht, technische Themen zu favorisieren. Addiert man jedoch die Meldungen, so hat der Purzelbaum des kleinen Philae die Gemüter bewegt: Allein fünf Meldungen zur Landung der Sonde (Top 2, 1.255.000 PIs) und zur ESA-Mission (Top 3) haben es in die Top Ten geschafft. Wenn man auf die Top 100 herauszoomt, sind es gar 25 Berichte. Die Themenseite Rosetta hat die sonst dominierende Themenseite Linux überholt.

Zitat
Wenn die Philosophie ihr Grau in Grau malt, dann ist eine Gestalt des Lebens alt geworden, und mit Grau in Grau lässt sie sich nicht verjüngen, sondern nur erkennen; die Eule der Minerva beginnt erst mit der einbrechenden Dämmerung ihren Flug.

*** Aber halt: Wollen wir, das alles bleibt oder wollen wir alles verschlüsseln, damit sich etwas wirklich verändert, diese Frage bewegte die Leser und Leserinnen des Newsticker aus der norddeutschen Tiefebene ganz gewaltig. Rechnet man die PIs der Forumskommentare und die der Meldung, dass Truecrypt nicht mehr sicher ist, stellt das Thema alle übrigen in Schatten. Mit 2.371.580 PIs zeigt sie das überragende Interesse des werten Publikums an sicheren Systemen. Mit deutlichem Abstand folgen die Nachrichten zum Horror-Bug von SSL. Schaut man indes abseits der Meldung allein auf die aufgelaufenen Forenkommentare, so siegt ein Evergreen: Beginnend mit dieser Meldung vom Limux-Projekt nahm die Diskussion "Linux kontra Windows" in den Foren Ausmaße an, die alle Themen in den Schatten stellte. Wir nennen es Redeschlacht.

Zitat
Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines andern zu bedienen.

*** Bevor die Erbsenzählerei zu langweilen beginnt, muss eine bittere Pille geschluckt werden. Bereits im Jahresrückblick 2013 hieß es: "Die NSA mit ihrem Superrechenzentrum überwacht uns alle und entschlüsselt alles. Oder auch nicht", ein Thema, was auch in der letzten Edition wieder aufgenommen wurde. Über das gesamte Jahr hinweg gab es Nachrichten vom Tun und Treiben der Behörde, deren Organisationsstrutktur sich damit nach und nach zu erkennen gibt, doch Nachrichten von "Spion & Spion" sind keine Schlager. Einzig die Meldung, dass die NSA direkt in Deutschland sabotiert, brachte es in die Top 100 der Meldungen, aber abgeschlagen auf Platz 92. In der Diskussion im Forum sorgte die Meldung, dass nach Analyse eines Quellcodes Tor-Nutzer als Extremisten markiert werden, für Aufregung und einen Rang auf Platz 68 im reinen Forumsranking, aber das war's auch schon. Im Jahr 2013 schaffte es das Abhören der NSA von Merkels Handy ebenso wie die Aufdeckung der Identität des Whistleblowers Edward Snowden unter die Top-Meldungen und führte dazu, dass das Thema NSA insgesamt die Nummer 1 wurde. Ein Jahr später schaffte es die Meldung eines Boulevard-Blattes, dass auch Merkels neues Blackberry 10 abgehört wurde, nicht einmal unter die Top 200. Größer war da schon die Empörung über die Staatsanwaltschaft, der die von einem Nachrichtenmagazin vorgelegten Beweise nicht ausreichten. Die ökonomisch sicher erfolgreiche Technik, den Bestand der Snowden-Files tröpfchenweise zu veröffentlichen, mag die Aufmerksamkeit für das Thema dämpfen. Gelegentliche Ausreißer sind dann skurrile Berichte aus dem deutschen NSA-Untersuchungsausschuss, wenn Aktionen von BND und NSA zwar auf deutschem Boden stattfinden, aber irgendwo im Weltraum passieren und dieser als rechtsfreier Raum definiert wird. Insgesamt, das zeigt auch diese Zeitleiste, gibt es kaum Konsequenzen. Alles verändern, damit alles bleibt, wie es ist? Pah, warum so kompliziert, wenn Themen ausgesessen werden können.

Zitat
Seit je hat Aufklärung im umfassendsten Sinn fortschreitenden Denkens das Ziel verfolgt, von den Menschen die Furcht zu nehmen und sie als Herren einzusetzen. Aber die vollends aufgeklärte Erde strahlt im Zeichen triumphalen Unheils.

*** Ein aktuelles Beispiel für die ermüdende Tröpfel-Taktik: Bereits im Jahre 2013 gab es Informationen, wie mit dem Programm Bullrun die Verschlüsselung ausgehebelt werden soll. Erst zum Jahresend-Kongress des Chaos Computer Clubs wurden weitere Einzelheiten zu Bullrun publik. Die lapidare Begründung für die Verzögerung: Es habe die Zeit gefehlt, die Masse der Dokumente zu Bullrun zu analysieren. Positiv muss angemerkt werden, dass die Hacker- und Medienkonkurrenz der Besitzer der Snowden-Files dazu führt, dass die ach so sorgfältig durchgeführten Schwärzungen sich gegenseitig aufheben. Die 2014 aufgestellte Forderung Open the Snowden-Files kann ohne weiteres ins kommende Jahr übertragen werden.

*** In die Fussstapfen der NSA als Thema Nr. 1 ist im Jahre 2014 der Addition aller Meldungen der Fall Redtube getreten, der im Dezember 2013 zu Köcheln begann. Im Ranking, in dem Foren-Kommentare und die Meldung zusammen bewertet werden, brachte es die Meldung über das ominöse Porno-Gutachten mit 1771 Leser-Kommentaren auf Platz 3 (1.373.905 PIs für die Meldung, 1.158.360 PIs für das Forum). Die in Zusammenarbeit mit rührigen Heise-Lesern veröffentlichte Meldung, dass ein Gericht der Briefkastenfirma auf den Leim ging, folgte auf Platz 6 der Top Ten (1.289.335 PIs Meldung, 1.062.825 PIs Forum), weitere vier Meldungen zum Treiben des Rechtsanwaltes Thomas Urmann bis hin zu Nummer 5 über seine Verurteilung wegen versuchten Betruges schafften es ins vordere Mittelfeld der Top 100. Das damit Abmahnungen von legalen Streaming-Diensten und Filesharing-Angeboten im kommenden Jahr vom Tisch sind, dürfte allerdings ein frommer Wunsch sein.

Was wird.

Und wo bleibt das Positive, wo bleibt die Veränderung bei all der Erbsenzählerei, die doch nur das Bestehende bestätigt? Willkommen also im Jahr 2015! Noch leicht schwindelig vom vielen Sekt? Falsch, ganz falsch ist das, denn 2015 ist das Jahr der Trance. Im Jahr 1995 veröffentlichten die Trendforscher Gerd Gerken und Michael Konitzer die "Trends 2015" und prognostizierten zwei Dutzend große Trends und viele kleine. Das Zeitalter der Trance, hervorgerufen durch "Cyber" und die allgemeine Verbreitung der "Virtual Reality" bricht 2015 an, wenn die Saat der "telematischen Gesellschaft" aufgeht. Vergessen wir NSA und BND, denn "es gibt keine echte Steuerung mehr, alle Menschen verhalten sich, wie sie es für richtig halten. Als Summe dieser Impulse entsteht eine Selbststeuerung der Gesellschaft: Die Evolution ist dann das Ergebnis der Aktivitäten aller Beteiligten." Die Suche nach linearen Ursachen ist anachronistisch, die Fantasy-Bank der 2015 lebenden Menschen ist vernetzt. Die Menschen selbst werden von den Trendforschern "New Edger" genannt. "Datenbanken, elektronische Dialogsysteme, Mailboxen etc. Dort erlebt der New Edger seine Identität - und zugleich seine grenzenlose Universalität dank der Verbindungen in die ganze Welt. Edge ist ein kollektives Phänomen der Vernetzung und eine Art Zukunfts-, Informations- und Gefühlsbank, die allen gehört. Man vertraut darauf, dass auch andere Menschen, wie man selbst, ihre Vorstellungen in den Netzwerkpool hineinwerfen. Jeder weiß, dass aus all den Impulsen, die ins Netzwerk der Ideen und Möglichkeiten hineingegeben werden, im Sinne der Selbststeuerung etwas entstehen wird. Und das klappt."

Zitat
Der Mythos geht in die Aufklärung über und die Natur in bloße Objektivität. Die Menschen bezahlen die Vermehrung ihrer Macht mit der Entfremdung von dem, worüber sie die Macht ausüben. Die Aufklärung verhält sich zu den Dingen wie der Diktator zu den Menschen. Er kennt sie, insofern er sie manipulieren kann. Der Mann der Wissenschaft kennt die Dinge, insofern er sie machen kann.

Die schönen Visionen vom New Edger – der heute von Trendforschern als "Digital Native" bezeichnet wird – haben den Nachteil, dass die prognostizierten Trends nicht unbedingt eingetreten sind. Ein Beispiel: "Nach der Jahrtausendwende gehen wir nur noch 25 Stunden pro Woche zur Arbeit. Wir fahren in Fashion-Kleinstautos und bezahlen nur noch nach gefahrenen Kilometern." Die Kleinstautos sind da, das Smartphone findet sie und zeigt die aufgefahrenen Kosten an. Doch 25 Stunden pro Woche arbeiten? Man lese nur die Abrechnung eines Arbeitsrichters mit dem Irrsinn der Hartz-IV-Reformen. Stattdessen leisten sich die staatsragenden Medien eine Debatte, in der von einer "fiskalische Nettobilanz je Migrant von minus 1800 Euro im Jahr" die Rede ist und heizen damit die Ausländerfeindlichkeit kräftig an. Dass der Sozialstaat von Zuwanderung profitiert, weil höher qualifizierte Menschen nach Deutschland kommen, wäre ein Thema für 2015. Man kann es auch einfacher, weniger merkantilistisch sagen: Sich offener zu geben, das wär doch was, und wir hätten alle was davon - ein besseres Leben nämlich. Besser jedenfalls wäre es, als durch das Fördern von dumpfen Pegida-Ressentiments Deutschland ins tumbe Niemandsland einer Marine Le Pen zu führen. Solch deutsch-französische Freundschaft könnte mir gestohlen bleiben.

Womit wir be der aktuellen NSA-Debatte wären. Wenn aus der Tatsache, dass Geheimdienste sich für Metadaten interessieren, der Schluss gezogen wird, dass hier ein Trend vorliegt, der zur "Bildung von Monopolen oder Oligopolen" führt, wünscht man sich mehr Offenheit der Analyse. Denn wenn dann auch noch Oligopole oder Geheimdienste die "Schlüssel" verwalten, "mit denen zukünftig kontrolliert wird, welches Betriebssystem wir auf unseren Computern und Tablets nutzen können", dann ist es zappenduster. Aber was heißt schon NSA-Debatte, wenn ich nochmal auf die Statistik für 2014 verweisen darf. Gibt es überhaupt eine Debatte über die Auswirkungen der Digitalisierung für unser Leben außerhalb eines engen Zirkels im bürgerlichen Feuilleton und einer Szene aus Netzpolitikern und Edel-Hackern? Wobei selbst da die Debatte ja viel zu oft in Horrorszenarien versandet, vom neuen Netz-Optimismus war bislang wenig zu spüren.

Zitat
Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! ist also der Wahlspruch der Aufklärung.

(http://2.f.ix.de/imgs/18/1/4/0/9/1/3/2/Aufklaerung-c1a43240d08d47cb.jpeg)
So bleibt uns doch eine Aufgabe für 2015, über den aufklärerischen Impetus der NSA-Berichterstattung, der netzpolitischen Diskussionen und der Digitalisierungsuntersuchungen hinaus. Mehr Optimismus wagen, auch wenn die Eule der Minerva ! Wo bleibt das Positive, wenn es nicht von uns kommt, die wir schon lange in der digitalisierten Welt leben, auch wenn uns das manches Mal wie Tiere in einem Zoo erscheinen lässt, die staunend von Neuland-Besuchern begafft werden. Denn was heute als in den digitalen Menschheitsabgrund führende Technik beschrieben wird, ist auch nicht mehr als Brückentechnik, bis nach dem Verschwinden der Computer das Verschwinden der Interfaces alte Versprechen der Digitalisierung und der Vernetzung endlich einzulösen vermag. Mehr Netz-Optimismus wagen! Mehr Aufklärung! Mehr Veränderung! Das sei auch all den Filterblasen-Debattierern des digitalen Untergangs aufs neujahrliche Frühstücksbrot geschmiert. Oder in die Heringstunke geschüttet. Prosit, darauf einen Tancredi, und auf ein Neues.

Quelle : www.heise.de
Titel: 4W: Von der Mitte der Gesellschaft, die auch etwas Optimismus vertragen kann
Beitrag von: SiLæncer am 04 Januar, 2015, 06:10
Ist es schon wieder so weit? Das neue Jahr geht seinen Gang, und die Facharbeiter der IT nehmen in der Mitte der Gesellschaft ihre Arbeit auf. Eine neue Morgenröte? Ach, wär es nur so, darbt Hal Faber, und fordert immer noch mehr Optimismus.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

Zitat
Indeed, were it not for the often, in its own terms, highly creative labor of people who proudly claim the title 'hacker,' few of today's sophisticated time-sharing systems, computer language translators, computer graphics systems, etc., would exist. (Joe Weizenbaum)

(http://2.f.ix.de/imgs/18/1/4/0/9/5/1/1/Mitte-9e9ce9de653cbef2.jpeg)
*** Vor vielen Jahren schrieb Joe Weizenbaum in seinem Buch von "Computers and Human Reason": "In der Tat, gäbe es nicht die – nach ihren eigenen Worten – höchst kreative Arbeit von Leuten, die den stolzen Titel 'Hacker' für sich beanspruchen, so hätten wir heute kaum die modernsten Simultanrechner,. elektronischen Übersetzer, Zeichner etc." Diese kreativen Hacker sollen nun in der Mitte der Gesellschaft angekommen sein und müssen ab sofort "als Vorbild dienen", befanden Redner und Teilnehmer des Chaos Communication Congresses 31C3. Hacker sind nicht mehr die Nerds am Rand der Informatik, sondern Facharbeiter, Grundschul-Lehrer und Anwälte des Datenschutzes, die ehrenwerten Tätigkeiten nachgehen, etwa Iris-Minutiae aus Wahlplakaten destillieren. So demonstriert vor 12.000 anderen Menschen aus der der Mitte der Gesellschaft beim vorerst letzten Kongress des Chaos Computer Clubs im Hamburg – das Veranstaltungsgebäude CCH wird wegen Renovierung geschlossen. Nach ihrem Jahreskongress kehren die Hacker zurück zu ihrer Arbeit in kräftiger Hilfe, diese Gesellschaft zu stärken, was Datenschutz und Informationsfreiheit angelangt. Wie jede andere Mitte der Gesellschaft hat man hehre Ziele. Man will Kalif werden anstelle des Kalifen und wieder das Netz regieren, das nicht den Konzernen wie Google überlassen werden darf. Die Frage, ob man früher, zu Weizenbaums Zeiten, wirklich regierte, wird mit ein bisschen Hackerfolklore abgetan. Denn man regierte nicht, als mit Regierungsmitteln und Forschungsfreiheit die Grundlagen des Netzes geschaffen wurden.

*** Klar, wie in jeder gesellschaftlichen Mitte gibt es Auffälligkeiten ihrer Mitglieder, wie den Hacker, der sich wie ein Rockstar aufführt und den Beamer zertrümmert, wenn die neuesten Powerpoints der NSA nicht ordentlich auf die Leinwand geworfen werden. Passierte nicht? Wie wäre es mit einem Hacker, der das "Tausendjährige Reich" zitiert, weil ihm eine Antwort eines NSA-Mitarbeiters an Befehlsketten erinnert? Auch fallen aus der Mitte der Gesellschaft immer wieder Hacker-Existenzen aus, entweder als Apostaten gegen die Renegaten oder als Schwarzschafe wie die Hacker, die bei Gamma Technologies und anderen Firmen Überwachungssoftware programmieren, nachdem sie jahrelang begeisterte Besucher des Kongresses gewesen sind.

*** Der Kongress der Hacker in "einer neuen Mörgendämmerung" ist eine bestens laufende Maschinerie geworden, die dafür sorgt, dass man sich treffen kann, quatschen und lernen, wie ein Parteitag, nur ohne Beschlüsse. Denn in der Mitte der Gesellschaft sein, ist anstrengend genug und Vereine gibt es viele, die da zusammenkommen. Da ist man konziliant und gibt einander den Raum zum sprechen. Neben dem CCC etwa Digitalcourage oder die Courage Foundation, deren Mitglied Maria Alyokhina gerade in Russland erneut verhaftet wurde. Dort fehlt der Gesellschaft die selbstbewusste Mitte, die bürgerliche Freiheiten verteidigt.

*** In der Mitte der Gesellschaft angekommen, fangen die Hacker an, "Lösungen zu bauen und Probleme zu benennen", Schutzmöglichkeiten gegen die Geheimdienste zu programmieren und Warnungen vor dem Internet der Dinge auszusprechen. Das Abhören der Mitte der Gesellschaft soll teuer gemacht werden, wobei die Lösungsmenge nicht unbegrenzt ist, will man doch keine Extreme unterstützen. PEP ist beispielsweise ein Ansatz geworden, von dem man nicht sprechen darf, weil seine Macher den CCC verlassen haben. Dann lieber ein Lob von Tor, verbunden mit einem Aufruf, sich als Nutzer zu Tor zu bekennen, damit Eingreifer merken, dass dort "ganz normale Leute" unterwegs sind, die mit den ganz normalen Porno-Suchereien. Normale Leute haben übrigens niemals bei der Arbeit gestört.

*** Normal ist überhaupt eine gefährliche Kategorie. Für Militärs ist es normal, eine Liste verdächtiger Personen in einem Einsatzgebiet aufzustellen, oder eine Liste der Wissenschaftler und Forscher, die bevorzugt evakuiert werden müssen vor einem vermeintlichen Feind. Die Aufregung der neuen Mitte um die Todeslisten verdeckt den eigentlichen Skandal, dass im Fall von Afghanistan neben wichtigen Personen auf Weisung der US-Militärs Drogenhändler auf den fragwürdigen Listen aufgeführt wurden. Im Bericht der Listenverwalter heißt es, dass seinerzeit der deutsche NATO-General das Verfahren für illegal erklärt hatte, da es internationales Recht verletzte. Ob diese richtige Einschätzung – zwischen Kriegsparteien und Kriminellen muss unterschieden werden – dazu führte, dass deutsche Militärs und ihre Berater das böse Spiel mitmachten, Drogenhändler auf "Obamas Listen" zu erfassen, wird leider nicht diskutiert und kann ohne Veröffentlichung der Listen nicht bewertet werden. Wieder einmal hinterlassen die bruchstückhaften Snowden-Files ein großes Rätselraten, auch bei den Militärexperten am Rande der Gesellschaft. Ob dies Edward Snowden so gewollt hat mit seinem vorbildlichen zivilen Ungehorsam, ist nicht einmal bekannt.

Zitat
I think that hackers - dedicated, innovative, irreverent computer programmers – are the most interesting and effective body of intellectuals since the farmers of the U.S. Constitution. No other group that I know of has set out to liberate a technology and succeeded. /.../The quietest of all the '60s sub-subcultures has emerged as the most innovative and powerful. (Steward Brand)

Was wird.

Optimistisch ins Neue Jahr starten, das ist eine feine Sache und zur Nachahmung empfehlenswert. Zumal es nicht nur das Ada-Lovelace-Jahr ist, sondern auch ein Boolesches Jahr. Ein Lehrer, der es mit seiner Algebra in die Royal Society brachte, das ist auch was. Wobei gerade die Royals zum Jahresanfang klarmachen, wie das geht mit der Transperenz. Eben gar nicht. Derweil sind ganz ohne Snowden Dokumente aufgetaucht, die zeigen, wie intensiv die streikenden Gewerkschafter in der Amtszeit von Margaret Tatscher überwacht wurden, ganz ohne Internet, aber mit Hilfe von Price Waterhouse.

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Kaum hat der CCC seine Konferenz "A new dawn" in Hamburg beendet, geht es in München mit It's Only The Beginning weiter, veranstaltet von einer anderen Mitte der Gesellschaft. Diese hört lieber Günther Oettinger zu, der drastisch über die Blödheit von Promis urteilte, ganz anders als die Hacker. "Die Achterbahnfahrt geht weiter, die digital Natives fangen gerade an, ihre Zeichen zu setzen". Na, dann möge es kein Einbahnstraßenzeichen sein. Als Musiker übernimmt Giorgio Moroder in München den Part von Alec Empire. Ach, da feiern wir lieber den 80. Geburtstag von Elvis mit seiner besten Show.

Zitat
A hacker is someone who enthusiastically probes and explores and plays with anything, out of love and intellectual excitement. You can hack anything. You can hack cars or stamp collecting. But to hack computers is the highest art, because COMPUTERS GO ON FOREVER. (Ted Nelson)

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. Traurig und wütend, immer noch.
Beitrag von: SiLæncer am 11 Januar, 2015, 06:00
Man muss von den hohlen Peinlichkeiten der Politik reden und von den Verwirrungen des vermeintlich kleinen Mannes. Man muss sie aber nicht verstehen. Die Vielfalt und die Freiheit aber, die verlangt mehr als nur Toleranz, ist sich Hal Faber sicher.

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Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

(http://3.f.ix.de/imgs/18/1/4/1/4/2/5/7/charlie-Web-28f2b2ad972f86e3.jpeg)
*** Liberté, Égalité, Fraternité – peng. Kaum ist der gemeine Anschlag auf Charlie Hebdo vorbei, kaum sind die Mörder getötet, die Geiselnahme in einem jüdischen Supermarkt beendet, hat die große Sicherheitsdiskussion begonnen. Vergessen sind die Zeiten, als die französische Praxis der 12-monatigen Vorratsdatenspeicherung von Kriminalisten gelobt wurde, weil mit ihr auch das Bundeskriminalamt und das FBI arbeiten konnte. Stattdessen gibt es Stellungnahmen wie die von der Gewerkschaft der Polizei zur "verfassungskonformen Speicherung von Telekommunikationsdaten" und zur "besseren nachrichtendienstlichen Überprüfbarkeit von Finanzströmen", die auf einen Ausbau der Geheimdienste hinausläuft. Das wäre eine Karikatur wert, wie sich im Namen der Sicherheit der Schnüffelstaat weiter ausbreiten möchte und en passant auch die "Freiheit der Presse" anrempelt, die über Gebühr die Schönsprech-Betroffenheit prägte. Leider ist dieser Schonsprech-Duktus auch in die Verlautbarungen der Kritiker eingeflossen, wenn sie die Forderung nach der Vorratsdatenspeicherung beklagen und schwülstig eine "evidenzbasierte Sicherheitspolitik fordern: "Wer angesichts dessen nun gleichwohl die Einführung einer Vorratsdatenspeicherung fordert, instrumentalisiert die Opfer dieses abscheulichen Verbrechens für seine Zwecke und trägt zur Irreführung der Öffentlichkeit bei."

*** Wer da anmahnt, man dürfe in den Tagen der Trauer nicht solche kritischen Töne anschlagen und müsse lieber "in Gedanken mit unseren französischen Nachbarn" und ihren Führern sein, die sich trefflich in Pose setzen, dem sei verlinkt: In Frankreich selbst hat La Quadrature due Net die neue Sicherheitsdebatte kritisiert. All das Fordern und Speichern auf Vorrat soll kaschieren, dass die Behörden die Überwachung der Täter reduzierten: "Wir sind unterbesetzt, wir müssten uns verdreifachen, um die Stadt besser schützen zu können." Der technische Glaube an die Machbarkeit von Sicherheit ist durch keine Satire zu erschüttern. Die Namen der Attentäter standen auf der US-amerikanischen No-Fly-Liste und im Datenverbund der Schengen-Länder. Es hat den Anschein, als ob im Gefängnis, unter Aufsicht des Staates, die entscheidenden Kontakte geknüpft wurden.

*** #JeSuisCharlie ist schnell getippt, aber ganz so einfach ist es nicht: Ich kann nicht zeichnen wie Georges Wolinski, der einmal seufzte, dass ihn die Humorlosen ins Grab bringen werden. Seine Worte über sein Frankreich sind online zu lesen. Mit Worten kann man nur an die Ideen der Vernunft erinnern. Man kann es aber auch gründlich falsch machen, wie es der Enthüller Glenn Greenwald demonstrierte. Noch gründlicher hat sich jedoch der Bundesverband der Zeitungsverleger bei seiner Solidaritätsaktion mit Charlie Hebdo vertan: je suis blöd. Das Kritiker-Wort von der, jaja, auch hier zu findenden Instrumentalisierung ist da noch handzahm.

*** Instrumentalisieren ist das Gebot der Stunde, besonders unter den Anhängern verschiedener Religionen. Es ist ein einziges Elend, wie es schon Karl Marx erkannte, als er seine bekannte Analogie über die Religion als Opium des Volkes schrieb. Weit weniger bekannt ist seine Analyse: "Das religiöse Elend ist in einem der Ausdruck des wirklichen Elendes und in einem die Protestation gegen das wirkliche Elend. Die Religion ist der Seufzer der bedrängten Kreatur, das Gemüth einer herzlosen Welt, wie sie der Geist geistloser Zustände ist. Sie ist das Opium des Volks." In diesem Sinne hilft auch der reflexiv verarbeitete Anruf bei einem klugen Iman nicht weiter, die Hölle der Vorstädte zu erklären. War es nicht der ehemalige Präsident Sarkozy, der in den Banlieus "kärchern" wollte? Ihm wünschte der Geiselnehmer Coulibaly einen "Guten Morgen", als er Sarkozy im Rahmen eines preisgekrönten Sozialisierungsprojektes traf. In Frankreich leben mehr Muslime (und Juden) als in jedem anderen Land des datenbehüteten Schengen-Raumes; zwischen 1000 und 2000 wird die Zahl der Franzosen geschätzt, die für ISIS kämpfen sollen. Unter diesem Gesichtspunkt kann der Al Quaida zugeschriebene Anschlag auf Charlie Hebdo als perfide Variante der Außenwerbung gelten, wie dies das Telefonat des Geiselnehmers mit der freien Presse nahelegt. Die gern angeführte Aufwertung des Terrors folgt medialer Logik. Nicht nur die Satire, die Revolution will übertragen werden.

*** Was bleibt angesichts der Außenstände des real existierenden Irrsinns? Wer nach absoluten Wahrheiten lechzt, hat schon verloren. Die hohlen Peinlichkeiten der großen Politik wie die des demonstrierenden "kleinen Mannes" auf der Straße müssen hier nicht weiter verlinkt werden. Die Toleranz zeigt sich nicht im Zitieren der Freiheit des Andersdenkenden, sondern im Aushalten der Vielfalt anders Denkender. Mehr gibt es nach dieser Woche nicht zu sagen. Und was wird dann? Das hängt von uns allen ab.

Was wird.

Richard Stallman würde nie ein Taxi von Uber bestellen, nicht einmal, um sich zu einem One-Night-Stand fahren zu lassen. Und das, obwohl er nichts gegen attraktive Fahrerinnen und Fahrer hat, die unterwegs eine Handentspannung oder Ähnliches anbieten, weil Stallman seit langem für die Legalisierung von sexuellen Dienstleistungen kämpft. Ganz nebenbei plädiert er dafür, den Quatsch von einer Sharing Economy umzubenennen. Es ist ein System, das auf die Ausbeutung von Subunternehmern setzt, schlicht PISSE aka piecework subcontractor share economy. Das alles dürfte Uber-Chef Travis Kalanick wenig beeindrucken, der sich am kommenden Wochenende erst nach München-Mitte zum DLD chauffieren lässt, ehe es im Uber-Schrauber zum Weltwirtschaftsforum in Davos geht. Welchselbiges nach den blümeranten weltrettenden Themen vergangener Jahre schlicht fragt, wie das "Business in a changing world" so läuft. Die Kernfragen der Konferenz sind schnell beantwortet. Haben wir die finanziellen Risiken der Globalisierung im Griff? Nö. Verfälschen die Märkte die Preise geopolitischer Gefahren? Aber hallo, wir haben uns doch grüne Ausgleichspünktchen dahinten im Amazonas-Gebiet gekauft. Wie kann der Markt der dezentralisierten Globalisierung funktionieren? Vielleicht gar nicht, solange von Märkren die Rede ist?

(http://1.f.ix.de/imgs/18/1/4/1/4/2/5/7/charlie-Karikatur_plantu-0c3f7f281a3e8dd2.jpeg)
Märkte, Märkte, da war doch was? Richtig, vor 15 Jahren erschien das Cluetrain Manifest von den Märkten, die Gespräche sind und sich schneller selbst organisieren als die Unternehmen, die die Ausbeutung der Marktchancen betrieben haben. Nun haben zwei Unentwegte eine frisch renovierte Version des Manifestes veröffentlicht: Die Märkte sind voll von Trollen, Idioten und Schatzräubern, doch der größte Hammel sind wir alle als tumbe Horde, die es sich gefallen lässt, dass Trolle, Idioten und Schatzräuber trollen, beleidigen und räubern können. Wo ist unser Stolz auf dieses wunderbare Netz geblieben? Nach Knigge ist Stolz das Bewusstsein innerer Erhabenheit, das nur eine Person haben kann, nicht ein System von Röhren. Betrachten wir das Netz als Menschenwerk wie den Kölner Dom, dann Wird Alles Gut (tm). Punktum!

Doch halt! Es muss in dieser kleinen tristen Wochenschau eine Korrektur des letzten WWWWs nachgetragen werden: Zu meiner Schande habe ich nicht mitbekommen, dass die Stadt Hamburg die Sanierung ihres Kongresszentrums verBERt. Frühestens 2017 soll damit angefangen werden, womit der CCC seinen Spielort vorerst nicht aufgeben muss. Außerdem habe ich behauptet, dass der bei den Dresdener Datenspuren vorgestellte Ansatz, mit PEP die Kommunikation zu verschlüsseln, auf dem 31C3 keine Rolle spielte. Das stimmt so nicht, denn im Jahresrückblick wurde PEP erwähnt. Worum es bei dem dabei eigentlich geht, wird auch online sehr schön gezeigt.

Quelle : www.heise.de
Titel: 4W: Von Lügenpressen, fünfter Gewalt und dem Irrsinn unaufgeklärter Debatten
Beitrag von: SiLæncer am 18 Januar, 2015, 06:00
Historisch ahnungslos, das scheinen in diesen Zeiten allzu viele zu sein, befürchtet Hal Faber, der sich weigert, "das" Internet zu verdammen. Und "den" Journalismus auch nicht. Es gibt ganz andere Vergifter der Pressefreiheit.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

(http://3.f.ix.de/imgs/18/1/4/1/6/7/7/9/Zeitung-6cb4d65967d1b668.jpeg)
*** Vor 235 Jahren begann das, was die ehrwürdige Zürcher Zeitung in ihrer Erstausgabe vom 12. Januar 1780 "die Beschleunigung der Pränumeration" nannte, die Herausgabe eines Blattes mit Tagesnachrichten. "Es wird uns zwar, so wie anderen Zeitungs=Schreibern, nicht möglich sein, die Weltbegebenheiten früher anzuzeigen, als sie geschehen sind; oder, als sie auswärtige Zeitungen der Welt berichten. Aber doch haben wir Anstalten getroffen, vermittels der besten Französischen, Englischen, Italienischen, Holländisch= und Deutschen Zeitungen, und auch durch zuverlässige Privat=Correspondenz die Nachrichten immer so bald zu erhalten, und in unsere Zeitungen einzurücken, als es andere von unseren Nachbarn thun können." Das ist umständlicher formuliert als das bekannte "All the news that’s fit to print", mit dem die New York Times im Jahre 1851 an den Start ging, aber weitaus ehrlicher. Denn Nachrichten waren zunächst einmal Nachrichten, die in anderen Zeitungen standen und übernommen wurden. Man hatte ja kein Internet, das alle darüber aufklären konnte, wie alle von allen abschreiben. Wie Tom Standage in seiner Geschichte über "Das Viktorianische Internet" launig erzählt, machten sich bereits die ersten Telegraphen in ihrer Community darüber lustig, dass alle dieselben Nachrichten morsten.

*** Doch was sind die nunmehr aufs biedermeierliche fokussierte Neue Zürcher Zeitung oder die giftgaswaffenerklärende New York Times schon gegen die Lausitzer Rundschau? Die Zeitung, die aus Spremberg wiederholt und beharrlich über die Aktivitäten von Neonazis berichtet und dafür im Jahre 2012 mit Lügenpresse halt die Fresse beschmiert wurde. Was seinerzeit auch im TV berichtet wurde, ist knapp drei Jahre später wohl wieder vergessen, als das Neonazi-Wort von der Lügenpresse zum Unwort des Jahres 2014 ausgerufen wird. Zur Begründung der Jury schreibt Stephan Hebel (Autor von Deutschland im Tiefschlaf) dann, nach historischer Herleitung des Wortes: "Natürlich ist nicht automatisch ein Nazi, wer – womöglich historisch ahnungslos – von 'Lügenpresse' redet." Historisch ahnungslos, was vor drei Jahren klar den Neonazis zugeordnet wurde? So macht man es sich – und Pegida – zu einfach.

*** Ausführlich zitiert Stephan Hebel in seiner Begründung den Philosophen Habermas, der von dem Internet meint, dass es zerstreue und bestenfalls der Unterhaltung diene. Entsprechend unwillig ist auch Hebel eingestellt: "Ich warne vor der Illusion, das 'Web 2.0' als freier Kommunikationsraum könne den professionellen Journalismus nicht nur ergänzen, sondern ersetzen." So, kann es nicht? Und Journalisten sind erst recht unersetzlich? Weit besser und weit genauer hat da der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen in dieser Woche hingeschaut, der im Interview über die fünfte Gewalt konstatierte, dass Journalisten künftig im Zweitjob als Aufklärer über ihre Arbeit diese ihre Arbeit reflektieren müssen – für den Leser, der als fünfte Gewalt in vielfacher Form in der Zivilgesellschaft auftreten kann:

"Die fünfte Gewalt besteht aus den vernetzten Vielen des digitalen Zeitalters, die längst zur publizistischen Macht geworden sind, zu einer 'Publikative' eigenen Rechts. Sie verändern und beeinflussen die Agenda und das Tempo des klassischen Journalismus, veröffentlichen auf Blogs, Wikis, in sozialen Netzwerken, werden als Medienkritiker und Meinungskorrektiv aktiv, bilden Protestgemeinschaften, treiben bei Bedarf die Entlarvungs- und Enthüllungsarbeit voran. /.../ Und sie finden sich mitunter zum grausamen Mobbingspektakel zusammen. Ein Agendasetting von unten, Medienkritik, Fahndungs- und Entlarvungsarbeit bis hin zur brutalen Attacke - all das sind Rollen- und Aktionsmuster der fünften Gewalt."

*** Sehr interessant ist die Beobachtung des Medienwissenschaftlers, dass der Sachbuchmarkt Teil einer Gegenpresse geworden ist, mit Büchern von Sarrazin und Pirincci, wobei letzterer offen damit spielt, Philosophen auf die Fresse zu hauen. Oder halt, ist das Satire? So krank gar, wie andernorts angedeutet? "Zwar sollte die geistige Freiheit nie mit der Schädeldecke enden, aber Satire ist eine Art der intulektuellen Artikulation, die keinem gesunden Menschenverstand entspringen kann ... und eine Schwalbe macht noch keinen Sommer."

*** In dieser Woche wurden mehr Traktakte über "den" Journalismus und "das" Internet veröffentlicht als Nachrichten über Sicherheitslücken von Microsoft. Gute wie ausgesprochen dümmliche über die große Gerüchteschleuder Internet, immerhin mit dem originellen Zusatz über die christlichen (!) Tugenden: "Glaube, Liebe, Hoffnung sind die Feinde der nüchternen Fakten." Den Vogel dürfte eine Sammlung journalistischer Irrtümer darstellen, die so endete: "Wir sind nicht Charlie, sondern der Schwarzwälder Bote. El País. Aftonbladet. ZEIT ONLINE." Schade, dass irrtümlicherweise die Lausitzer Rundschau fehlte. Besonders hübsch ist übrigens der Irrtum Nummer 3, demzufolge Journalisten sich gegen die Mehrheitsmeinung stellen müssen, wenn dies nach Ansicht der Journalisten der Schutz einer Minderheit bedarf. Hier hat ein Franzose namens Jacques Derrida etwas genauer hingesehen, als er mit dem Marxismus abrechnete:

"Sicherlich kann eine solche Technik –wie die Presse –Minderheiten eine Stimme verleihen, die in den Institutionen nicht vertreten sind. Sie kann dazu beitragen, dass Fehler berichtigt und ungerechte Zustände beseitigt werden. In keinem Fall repräsentiert jedoch eine derartige 'Demokratisierung' die 'öffentliche Meinung' auf legitime Weise, ohne Siebwirkung. Die 'Pressefreiheit' ist das kostbarste Gut der Demokratie; in dem Maße indes, in dem die Gesetze und die Sitten den Fragen nicht gerecht geworden sind, die wir gerade gestellt haben, müssen diese grundlegende 'Freiheit' und mit ihr die Demokratie noch erfunden werden. Tag für Tag. Mindestens." (Jacques Derrida: Marx' Gespenster. Der Staat der Schuld, die Trauerarbeit und die neue Internationale.)

*** Schweife ich ab? Keineswegs, denn die festgefahrenen Codes der Politik durchbrechen nach Derrida alles Gerede von der Berücksichtigung der Minderheit. In der Süddeutschen Zeitung formuliert dies Heribert Prantl auf seine Weise angesichts der prompten Forderung nach Vorratsdatenspeicherung durch CDU/CSU und durch den SPD-Vizekanzler – die Grünen zieren sich noch ein Bisschen: "Wer 'Je suis Charlie' sagt und zugleich umfassende Vorratsdatenspeicherung fordert, der lügt. Eine solche Vorratsdatenspeicherung vergiftet die Pressefreiheit."

Was wird.

Wie wäre es mit einem neuen Hashtag, "Jesus Raif"? Am Freitag wurde in Saudi-Arabien die Auspeitschung des Bloggers Raif Badawi aus medizinischen Gründen um eine Woche verschoben, nachdem der Gefängnisarzt festgestellt hatte, dass Badawi die 50 Schläge auf Rücken und Beine in 5 Minuten möglicherweise nicht überleben würde. Es ist eine Hinrichtung auf Raten, die in Saudi-Arabien praktiziert wird, von einem Land, das den Anschlag auf Charlie Hebdo verurteilt hat. In der tageszeitung schreibt Karim El-Gawhary offline über den Staatsterrorismus, mit dem die Meinungsfreiheit wie der radikale Islamismus bekämpft wird, bei sinkenden Ölpreisen. Das archaische Auspeitschen bildet damit das Gegenstück zu unserem Gerede vom Cyberwar. Raif Badawi wurde von einem Strafgericht zu 1000 Peitschenhieben und 10 Jahren Haft verurteilt, weil er nach Ansicht des Gerichts in seinem Blog "Freie saudische Liberale" den Islam beleidigt haben soll.

(http://2.f.ix.de/imgs/18/1/4/1/6/7/7/9/Camus-4e62b809db4bf479.jpeg)
Unter anderem zitierte Badawi in seinem Blog einen weiteren klugen Franzosen, Albert Camus: "Der einzige Weg, mit einer unfreien Welt umzugehen, besteht darin, so absolut frei zu sein, dass bereits die schiere Existenz ein Akt der Rebellion ist."

In dieser Woche wurde in der Schweiz nicht nur der Franken "entkoppelt", sondern auch eine Kunstaustellung beschlagnahmt, in dem ein Bot wahllos Dinge aus dem Darknet oder auch Silk Road genannten Bereich kaufte, die dann als Kunst in Vitrinen wanderten. Nachdem 10 Ecstasy-Pillen eingeführt wurden, waren offenbar die Grenzen der Kunst erreicht. Nun muss ein Gericht darüber entscheiden, wer denn verantwortlich ist, wenn ein Roboter autonom handelt. Haben uns nicht gerade Wissenschaftler vor intelligenten Maschinen gewarnt? Die Kunst war schneller.

Quelle : www.heise.de
Titel: 4W: Von Cryptowars, Ponyhöfen und der Frage, wie man Demokratie retten kann.
Beitrag von: SiLæncer am 25 Januar, 2015, 06:00
Geben wir dem tiefen Staat, was des Ausnahmestaates ist. Oder doch nicht? Hal Faber jedenfalls weiß, dass das Leben kein Ponyhof ist und die Demokratie entschiedener Verteidiger bedarf.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

(http://1.f.ix.de/imgs/18/1/4/2/1/3/8/3/Sigsaly1-0170d626ed4b70ee.jpeg)
*** Namhafte Philosophen und Religionsstifter sind sich darin einig, dass das Leben kein Ponyhof ist. Irgendwas ist immer falsch, selbst die Google Bildsuche: Nur 5 Kilometer zwischen realer Welt und Ponyhof, das drückt die Unschärferelation halt sehr unscharf aus. Wo, bitteschön, waberloht dann das Internet? Hier zeigt sich wieder einmal, wie gut es ist, dass wir einen Innenminister haben, zuständig für Ponysport und die innere Sicherheit von Begriffen. Hoch oben in den Schweizer Bergen, in Davos nämlich, gelangte er zu der philosophischen Erkenntnis, die seine Presseabteilung sofort verbreitete, als Meldung "Bundesinnenminister in Davos":

"Mir ist es wichtig, nicht die Erwartung zu wecken, wir könnten das Internet perfekt machen. Die Welt ist nicht perfekt – wie sollte sie im Internet perfekt sein? Daher brauchen wir Kompromisse."

*** Das Internet ist nicht perfekt, soso. Das Internet ist kaputt und antisozial, es ist eine "Riesen-Scheiss-Pleite". Nein, das stammt nicht vom kompromissbereiten Innenminister, sondern von Andrew Keen, einem Autor und gescheiterten Internet-Pionier, der das Pech hatte, mit seinem Musik-Startup Audiocafe von Napster überrollt zu werden. Dementsprechend ist Keen mehr auf Krawall gebürstet denn auf Kompromiss gestriegelt. Schauen wir uns daher lieber den Kompromiss an, den de Maizière auf einem Forum für Cybersicherheit in Lille formulierte. Nach Agenturangaben forderte de Maizière, dass Sicherheitsbehörden verschlüsselte Kommunikation entschlüsseln oder umgehen können müssen. Nach Angaben seiner Pressestelle formulierter er ungleich geschickter:

"Die Ereignisse in Paris verdeutlichen einmal mehr, dass wir gemeinsam handeln müssen. Das Handeln krimineller und terroristischer Bestrebungen findet auch in der virtuellen Welt statt. Verschlüsselte Internetkommunikation macht an Landesgrenzen aber nicht halt. Deshalb sind der Schutz des Internets, die Gewährleistung bestmöglicher Cybersicherheit, und die Bekämpfung von Cyberkriminalität, Cyberspionage und Cyberterrorismus Herausforderungen, die nur mit guter internationaler Zusammenarbeit bewältigt werden können."

*** Dass Verschlüsselung an Landesgrenzen nicht halt macht, genau wie dieses Unperfektnetz, ist eine sehr gelungene Umschreibung der aktuellen Situation, in der die Entschlüsselung kein Frage der Landesgrenzen, keine Beherrschung der Entschlüsselungstechnik durch ein einzelnes Land ist. Anders kann es unser Ponyhofverwalter gar nicht formulieren, denn sonst würde er der ihn bindenden Regierungserklärung widersprechen, nach der "wir Verschlüsselungsstandort Nr. 1 in der Welt werden wollen". Entsprechend ponyhofgroßartig klingt das in der Rede von de Maziére:

"Einerseits möchten die deutschen Kryptostrategen unsere Bürger und die Wirtschaft im Internet schützen, z.B. durch Verschlüsselungstechnologien für alle, z.B. durch Ende-zu-Ende-Verschlüsselung. Deshalb erklärt z.B. unser BSI für Laien verständlich auf seiner Webseite, welche Verschlüsselungstechniken es gibt und wie man sie richtig einsetzt und diese Entwicklung geht weiter."

Dann gibt es ein Andererseits in Form einer ebenso schlichten wie falschen Analogie, die mit dem Verschließen der Haustür arbeitet. Die von de Maizière angeführten Beispiele sind, auf die Technik übertragen, vollkommener Unsinn:

"Man soll sein Haus verschließen, man soll eine Alarmanlage einbauen, man soll ein sicheres Auto kaufen, und trotzdem hat die Polizei selbstverständlich das Recht, unter bestimmten rechtsstaatlichen Voraussetzungen in ein Haus einzudringen und vieles andere mehr."

*** Dort, wo die Polizei neben dem Recht die Technik hat, Verschlüsselung zu brechen, ist das System selbst unsicher und eröffnet anderen Interessenten ebenso die Möglichkeit, "in ein Haus einzudringen". Die harten Forderungen überlässt man lieber Scharfmachern wie dem Counter-Terrorismus-Beauftragten der EU, Gilles Kerchove, der in seinem Papier nicht nur die Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung betreibt, sondern beim Unterpunkt Encryption Klartext redet:

"The Commission should be invited to explore rules obliging internet and telecommunications companies operating in the EU to provide under certain conditions as set out in the relevant national laws and in full compliance with fundamental rights access of the relevant national authorities to communications (i.e. share encryption keys)."

*** Schlüssel für die Ver- und Entschlüsselung kann man aber nur teilen, wenn man die Schlüssel besitzt, indem man eine entsprechende Hintertür aufmacht, die Schlüssel-Hinterlegung verstaatlicht oder halt Staatsrojaner auf die Rechner schickt, die alles gewissenhaft mitschreiben. Ausdrücklich wurde der Vorschlag von Kerchove in der Sitzung der Sicherheitskommission am Dienstag von Belgien, Finnland, Frankreich und den Niederlanden begrüßt, während sich Deutschland der Stimme erhielt. Einzig das Königreich Schweden erklärte sich grundsätzlich mit jeder Form der Entschlüsselung von Bürgerkommunikation nicht einverstanden. Was hier im Namen der Sicherheit angedacht ist, trägt längst den Namen Cryptowar 3.0 und ist nichts anderes als eine Bankrotterklärung der Demokratie, wie der Kommentator Rieger richtig erklärt. Der Staat darf nicht über alles gestellt werden und umgekehrt: "Du aber darfst dem Staat nicht geben, was des Staates nicht ist", heißt es bei Antigone. Aber das hatten wir schon einmal. Wie die Cryptowars.

*** Der erste Cryptowar kann gerade als Herz-Schmerz-Klamotte in den Kinos bewundert werden, es ist der Kampf von Genies wie Alan Turing und Claude Shannon im Namen ihrer Länder, kleinere Schiffsopfer und Heiratsschwindel inklusive.

*** Auf Cryptowar 1.0 folgte der Cryptowar 2.0 mit der Entdeckung der Public-Key-Kryptographie im Jahre 1970 durch James Ellis. Da dieser bei dem uns heute so wohlbekannten Geheimdienst GCHQ arbeitete, wurde seine Entdeckung totgeschwiegen, bis Whitfield Diffie und Martin Hellman das Prinzip in den 80ern wieder entdeckten. Auch hier gibt es eine Parallele zum Cryptowar 1.0: Ähnlich wie Turing wurde Ellis geschnitten. Als er für seine Forschung 1997 in London geehrt werden sollte, war er gestorben. Auf dem von Netscape gesponsorten Encryption Summit wurden so nur Diffie und Taher Elgamal im Oberhaus geehrt, während sich der deutsche Vertreter Ullrich Sandl für ein gelockertes Kryptoverbot stark machte. Kurz darauf erlitt er einen schweren Unfall, einen "mysteriösen Fenstersturz" und verschwand für Jahre von der politischen Bühne. De Maizières Vorgänger Manfred Kanther vom Ponyhof "Gibknete" importierte damals aus den USA die Idee eines BSI-zertifizierten Krypto-Chips mit staatlicher Hintertür unter dem Codenamen Pluto. Die Idee hinter dem Chip: Wer andere als das staatliche Verschlüsselungsverfahren benutzen würde, macht sich verdächtig. Damals auf der Seite der Gegner eines Verschlüsselungsverbotes: Die Firma RSA, die als guten Kunden die NSA hatte – oder auch nicht. Auch das gehört zu einem Cryptowar, dass die Grenzverläufe unklar sind. Vorbei, vorüber und vorbei. Heute ziehen wieder Freiwillige in den Krieg, mit dem Schlachtruf Schlüssel hinterlegen? Machen wir gerne!. Um es mit Rüdiger Weiß zu sagen: Cryptomagie hilft (=Cryptography plus Mathematics plus General Intelligence beim Aufpassen auf die Schlüssel).

Was wird.

Ach, das Jahr 2015 ist ja das Jahr, in dem wir endlich wieder in der Zukunft landen. Noch schöner aber wird 2016, denn da landen wir in der Pampa. Nach Konferenzen in Washington D.C, London und Mexico City macht die Wikimedia Foundation im kommenden Jahr einen Ausflug ins Blaue. Im norditalienischen Bergdorf Esiono Lario sollen über 1000 Wikipedianer auf rund 700 Dorfeinwohner treffen. Gemäß dem Motto "Anyone can edit" wird das Dorf gleich umgestaltet und bekommt ein Funknetz verpasst. Dass wie in London 2000 Teilnehmer anreisen und das Budget sprengen ist quasi ausgeschlossen – neue Übernachtungsmöglichkeiten lassen sich nicht so schnell herbeieditieren.

Aber zurück in die Zukunft: Ganz abseits der neuen Cryptowars und doch mit diesen zusammenhängend muss vor einer anderen Tendenz gewarnt werden, die zeigt, wie leicht Deutschland in den tiefsten Überwachungsstaat schlittert. Im Februar soll ein Prozess gegen den ehemaligen SPD-Politiker Sebastian Edathy beginnen, zu dem die mit den Akten versorgte Frankfurter Allgemeine Zeitung eine Vorverurteilung liefert, die sich gewaschen hat. Edathys Laptop ist verschwunden, doch der Bundestag lieferte die Log-Dateien eines Browsers nach, die zeigen sollen, was Edathy machte. Die als Warnung für alle zeigen können, wie gut Abgeordnete überwacht werden. Unversehens wird es verdächtig, wenn jemand Passworte einsetzt und ein Entpackprogramm auf seinem Rechner hat, wenn eBay-Aufzeichnungen darauf hindeuten, dass einer mit dem alten Lustmolch Hajo Ortil gehandelt hat. Die Unschuldsvermutung? Egal, Log-Dateien reichen doch, ein Entpacker-Programm ist benutzt worden und auch dieses Deep Web des Tor-Netzes hat der Mensch betreten. Immerhin, die schmierige "Aktenaufarbeitung" der FAZ könnte auch dem letzten Ignoranten zeigen, was mit der avisierten Vorratsdatenspeicherung auf uns zu kommt. In einer Reaktion hat ein Leser, kein noch so kluger Redakteur, den unerhörten Sachverhalt zusammengefasst:

(http://3.f.ix.de/imgs/18/1/4/2/1/3/8/3/IBM370tastatur-12680775186361db.jpeg)
"Aber man kann sie auch anders deuten, und manche Eingaben mögen – man verzeihe die Banalität – auch mit der täglichen Arbeit des damaligen Abgeordneten Edathy zu tun haben. Wenn wir zukünftig Menschen aufgrund ihrer Browserverläufe anklagen wollen, dann geht das weit über den von den Netzfreunden gerne 'Stasi 2.0' genannten Überwachungsstaat hinaus."

Nein, es endet nicht versöhnlich, nur untröstlich und unfroeselich. Längst sind die Zeiten vorbei, als der Computer einen fetten roten AUS-Knopf hatte und absolut nichts mehr gespeichert werden konnte. Es war die Zeit als die Zeit noch keine kosmische Adresse hatte.

Quelle : www.heise.de
Titel: 4W: Vom Karneval des Rechtsstaats und dem Kreuz mit den IT-Visionen
Beitrag von: SiLæncer am 01 Februar, 2015, 06:16
Selbst wenn sie die Cryptowars nicht gewinnen, haben Sicherheitspolitiker noch jede Menge im Köcher, das uns aber ganz definitiv alle schützt, weiß Hal Faber. Das Vertrauen in die IT lassen sie sich doch so schnell nicht erschüttern.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

(http://1.f.ix.de/imgs/18/1/4/2/5/1/2/2/Donna-a62f080c4af23d28.png)
*** An dieser Stelle stand ein Satz von der "schönsten Negerin Deutschlands", so über Donna Gains aufgeschrieben und in der "Twen" veröffentlicht von ihrem Fotografen, dem US-Amerikaner Will McBride. Der kam als junger US-Soldat nach dem Krieg in Deutschland an und blieb hier. Zunächst machte er Fotos von seinen Kameraden in Grafenwöhr, später installierte er No War!-Monumente. Sie passen auf ihre Weise zur großen Rede zum Tag des Nachdenkens über unsere Geschichte, die Richard von Weizsäcker am 8. Mai 1985 hielt. "Je ehrlicher wir ihn begehen, desto freier sind wir, uns seinen Folgen verantwortlich zu stellen." Von Weizsäcker hielt diese Rede drei Tage nach dem Besuch der Herren Kohl und Reagan auf dem Soldatenfriedhof Bitburg, wo die neue "deutsche Normalität" proklamiert werden sollte. Doch nichts ist normal in Deutschland, wo die "Entsorgung der Vergangenheit" gerade wieder von "besorgten Deutschen" gefordert wird, gerade in dieser Auschwitz-Woche. Und dann starb da noch Carl Djerassi, der Schöpfer der Science in Fiction und Verfasser von Dokudramen.

*** Der Krieg ist aus. Kaum war der Crypto War ein Thema, da ist er schon wieder vorbei! Vergessen wir alle Überlegungen zu falschen Schlüssen und fehlender Technik, der Krieg ist aus, ehe er angefangen hat. Denn, hach, diese "Kryptierung" von Inhalten ist ja überhaupt kein Problem. Das hat der nette Herr Krings im Bundestag in gesagt und der muss es ja wissen, als unermüdlicher Kämpfer gegen den Karneval des Rechtsstaates. Mit tierischem Ernst hat er die richtigen Paragraphen herausgeholt und Tacheles geredet, um sich anschließend wieder über sein kryptiertes Smartphone zu beugen:

"Wenn die Sicherheitsbehörden etwa im Rahmen laufender Ermittlungsverfahren auf richterlichen Beschluss hin verschlüsselte Daten bzw. Kommunikation auswerten müssen, werden technische Möglichkeiten zur Entschlüsselung eingesetzt. Häufig gelingt dies wegen der sehr starken Kryptierung allerdings nicht. In diesem Fall kann versucht werden, die Kommunikation noch auf dem IT-System, auf dem sie verschlüsselt wird, vor der Kryptierung auszuleiten (Quellen-TKÜ). Durch Quellen-TKÜ werden also keine Daten erlangt, die nicht auch durch eine „konventionelle“ TKÜ erlangt würden. Maßnahmen der Quellen-TKÜ können auf § 100 a StPO/§ 20 l BKAG bzw. im Hinblick auf das Bundesamtfür Verfassungsschutz auf das G-10-Gesetz gestützt werden."

*** Sollen sie doch verschlüsseln, die Kriminellen, die Islamisten und die Verfassungstürzer, es gibt ja immer noch ein IT-System, auf dem verschlüsselt wird. Da wird dann halt der Inhalt vorher ausgeleitet, wozu haben wir denn dieses Gesetz zur Telekommunikationsüberwachung und diesen famosen G-10 Sprengstoff? Dass die dafür notwendigen selbst gestrickten Schnüffelprogramme nicht wirklich funktionieren und eine "Quellcodeprüfung" des eingekauften Programmes nunmehr schon zweieinhalb Jahre dauert: geschenkt. Schließlich haben wir die Kryptierer ordentlich eingeschüchtert mit der Verdoppelung des Strafmaßes beim Hackerparagraphen ab Januar 2015. Die wagen es schon gar nicht mehr, verschlüsselte Schadprogramme zu benutzen und nehmen lieber marktgängige, verfügbare Produkte. Ach, BMW hat Daten unverschlüsselt übertragen? Genauso muss man es machen und hastunichtgesehen sind wir auf dem IT-System und drosseln die Karre auf Tempo 80, wie gefordert.

*** Nein, das ist keine Büttenrede zum Karneval des Rechtsstaates. Die Vorstellung, mal eben mit einem Trojaner die Verschlüsselung aushebeln zu können, gehört zum festen Glauben der Politiker wie das Amen zur Kirche, wie das unverrückbare Wissen, dass eine Vorratsdatenspeicherung uns vor terroristischen Anschlägen schützt. Dies hat der EU-Kommissar für das Innere, der Grieche Dimitris Avramopoulos, gerade wieder bekräftigt und dabei den geplanten Vorratsdatenwerkzeugkasten gleich kräftig ausgeweitet, wie Netzpolitik das hübsch anhand der EU-Dokumente auseinanderklamüsert: Eine breite Konsultation muss her und ein neuer Vorschlag zur EU-Vorratsdatenspeicherung muss auch das das Social Media-Gedöns umfassen, sonst stimmt die Balance zwischen Freiheit und Sicherheit nicht mehr: "social media to be included in the scope of a possible new version of the proposal to make it effective". So kommt es zur Ausweitung der Kampfzone, mit glänzenden Perspektiven. Denn wenn man Social Media zum Bestand der Vorratsdaten zählt, braucht man Programme, die Social Media-Vorräte analysieren und Verbindungen herstellen können. Predictive Policing ist dann das Gebot der Stunde. Die schöne neue Welt des vorausberechneten Verbrechens hat denn auch einen eigenen Workshop beim anstehenden europäischen Polizeikongress bekommen, der vom netten Herrn Krings eröffnet wird.

*** Hier passen die Innenminister gut ins Bild, die sich in Riga trafen und sich über den Austausch von Flug"gast"daten unterhielten. Ihr Abschlusskommunikee enthält neben den üblichen Bekenntnissen zur Freiheit und Sicherheit die Forderung nach

"a targeted proposal to amend the Schengen Borders Code is a necessary step to reinforce external borders by making it possible to proceed to systematic checks on individuals enjoying the right of free movement against databases relevant to the fight against terrorism based on the common risk indicators."

*** Wer die neue Form der Reisefreiheit genießt, wird also überall mit Hilfe einer nicht weiter genannten Zahl von Datenbanken durchleuchtet. Außerdem soll das Internet durchkämmt und brutale Inhalte von den Providern entfernt werden. Wie eindrucksvoll sich die hoch effiziente Task Force Check the Web geschlagen hat, ist ja bekannt. Da schadet es nicht, gleich die nächste Suchtruppe opulent auszustatten, das RAN Centre of Excellence.

*** Was? Kein Kommentar zu den neuen Nutzungsbedingungen von Facebook? Kein empörtes Aufstampfen und Austreten? Nun, Facebook kann wie jede Firma noch die idiotischste Formulierung in den Nutzungsbedingungen unterbringen, wenn diese nicht juristisch bestritten werden. Erinnert sei daran, dass F-Secure in seinen Nutzungsbedingungen die Passage hatte, dass das erstgeborene Kind eines Nutzers oder einer Nutzerin den Finnen überlassen werden muss. Das vernünftigste inmitten all der Aufregung über Facebook und Google hat ganz abseits von NSA und BND ausgerechnet der Aufregemeister Evgenij Morozov der tageszeitung gesagt, dort steht es leider hinter einer Paywall und so dehnen wir mal das Zitatrecht ein bisserl:

Statt Google komplett zu zerschlagen, müssen wir Konzerne aufteilen. Erst einmal bräuchte es einen kostenlosen Basisdienst im Internet. Dafür sollte weder mit Geld noch mit Werbung bezahlt werden. /.../ Die nächste Ebene wäre einfach: Google kann erweiterte Services verkaufen. Wenn ich Ortungsdienste will oder andere Features, dann gegen eine Gebühr. Ich zahle 3 Dollar und gut ist. Aber für den Basisdienst zahlt der Staat. Es gibt keine Werbung. Und mit meinen Daten passiert in diesem Basisdienst nichts.

Was wird.

(http://1.f.ix.de/imgs/18/1/4/2/5/1/2/2/Schlussfiff-6527d958b13f44a1.png)
Man könnte es Satire nennen oder es als karnevalesk bespotten, doch eigentlich ist es ein Trauerspiel. Im November soll der Test der seit 2006 gesetzlich verbindlichen elektronischen Gesundheitskarte starten, nachdem der Durchstich doch so bravourös verlaufen ist. Ausgerechnet die positiv urteilenden Sachverständigen, nicht die Kritiker der Karte, haben nun Schwierigkeiten festgestellt. Hunderte von Seiten mit detaillierten Spezifikationen sind veröffentlicht worden, Testläufe wie Durchstiche sind erfolgt und dann heißt es lapidar: "Vor allem die Abstimmung der verschiedenen bestehenden Systeme aufeinander (Kompatibilität) sowie die Anforderungen des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) bereiten den Herstellern offensichtlich noch große Probleme." Dafür ist die Karte supersicher. So sieht das Armutszeugnis der deutschen IT-Industrie aus, die gerne vom Internet der Dinge oder übersetzt von "Industrie 4.0" schwärmt, aber die "Komplexität" bei der Gesundheits-Datenabutobahn "unterschätzt" hat. Aber es gibt Hilfe. Auf dem Smartcard-Workshop, der zum 25. Mal stattfindet. Dort wird die Vorläuferkarte des elektronischen Arztausweises diskutiert, ohne den die Gesundheitskarte ein 1-Milliarden-Nichts ist.

Und sonst so? Keine Visionen haben oder lieber nicht zum Arzt gehen? Aber nicht doch. Wir haben ja Sigmar Gabriel, TTIP-Superstar. Der gibt einen Vision Talk zur Industrie 4.0 Dazu heißt es im Programm: "Informations- und Kommunikationstechnologien basieren nun immer stärker auf IP-Technologie, die sich auch in „artfremde“ Branchen wie zum Beispiel den Maschinenbau oder die elektrotechnischen Fachgebiete beginnt auszudehnen." Gefräst wird in der Cloud, wo neue Geschäftsmodelle erst ansatzweise überschaubar sind. Das nennt sich Fortschritt.

Quelle : www.heise.de
Titel: 4W: Von Autobahnen, Fluchtfahrzeugen und dem aufrechten Gang
Beitrag von: SiLæncer am 08 Februar, 2015, 06:00
Glückliche Seufzer und frühlingshaftes Stöhnen hallen durch die norddeutsche Tiefebene. Der Lenz kommt und bringt den heißen Scheiß Jetzt ganz neu: "Predictive Geheimdiensting". Hal Faber weiß, wie kaputt das Internet ist.

(http://3.f.ix.de/scale/geometry/600/q75/imgs/18/1/4/3/0/3/2/4/Autonomie-800-52412a1816ff0352.jpg)

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Süße, wohlbekannte Düfte streifen ahnungsvoll über die norddeutsche Tiefebene. Das Land seufzt fett und glücklich, denn Frühling wird's und die Blumen der d!conomy träumen schon, wollen balde nach Hannover kommen. Die CeBIT ruft und unsere Kanzlerin gurrt und freut sich über die "enge deutsch-chinesische Zusammenarbeit", die auf der Messe gefeiert werden soll. Von China lernen, heißt siegen lernen und zwar im Klartext. Eröffnet wird die CeBIT von Jack Ma und Glenn Greenwald, was für eine wunderbar frühlingsfrische Kombination ist das, von Iniativ-Kapitalist und Investigativ-Aktivist!

*** Da flattert ein blaues Band durch die Lüfte und liefert per Drohne Produkte ab, bei denen zwei von drei gefälscht sein sollen. Ein blaues Ehrenbändchen auch für den Journalisten, der mit seinen häppchenweisen Veröffentlichungen aus dem Snowden-Fundus nun die lieblichen Pferde vorführt und ohne Vorwarnung die Twitter-Konten derjenigen nennt, die von NSA und GCHQ überwacht werden. Nun gut, viele der dort aufgelisteten wie Mikko Hypponen wissen längst, wie kaputt das Internet ist.

*** Glückliche Seufzer und frühlingshaftes Stöhnen klingt denn auch aus dem fernen Amerika zu uns, wo Firmen wie Booz Allen Hamilton, Raytheon oder CSC an der Börse punkten konnten: Nicht weniger als 14 Milliarden Dollar sind im neuen Haushaltsentwurf der US-Regierung für die Entwicklung von "Cyber Security" vorgesehen, da ist für jeden dieser Spezialisten das eine oder andere Geschäftlein drin. Nun gut, viele werden jetzt auf die 53,9 Milliarden Dollar verweisen, die die Geheimdienste für ihre ehrenvolle Arbeit haben wollen. Die sind aber größtenteils gebunden und angelegt, in großen Datensilos für die Speicherung von Metadaten hübsch belastbarer Esel. Dagegen ist die nun von Obama ausgerufene Cyber Security ein neues Feld, in dem geklotzt werden darf.

*** Nun gut, so ganz neu ist es nicht, auch nicht bei uns, wie es diese Rede des Präsidenten des ehrenhaften Bundesnachrichtendienst beweist. In ihr spricht Gerhard Schindler von den auswärtigen Wirtschaftsspionen und von SSCD, dem "SIGINT Support für Cyber Defense", einem besonders vielversprechenden Ansatz. Die dann folgende Beschreibung von SSCD verdient vor dem Hintergrund des aktuellen BND-Skandals genaue Lektüre. Begeben wir mal wieder auf die allseits bekannte Datenautobahn:

"Bildlich gesprochen suchen wir auf einer stark befahrenen Autobahn ein Fluchtfahrzeug, das Diebesgut mit sich führt. Manchmal haben wir nur das Kennzeichen, manchmal vielleicht nur die Autofarbe. Der Fahrer des Fluchtfahrzeuges kann sich allerdings auch tarnen: etwa das Nummernschild ändern oder die Autobahn wechseln. Wenn wir das Fluchtfahrzeug trotz all seiner Tricks finden und anhalten und dann auch noch an das Fahrtenbuch gelangen, haben wir erste Hinweise darauf, wer die Hintermänner sein könnten. Die alles entscheidende Voraussetzung für den Erfolg ist, dass man eine umfangreiche Datenbasis über mögliche Angreifer, benutzte Angriffswege, Kontrollstrukturen und technische Details der Schadsoftware inklusive verwendeter Tarnverfahren hat."

Ran an die Fahrtenbücher! Her mit den Daten und zwar mit den Daten aller Autos, aller Fahrer, aller Passagiere und all das Metazeug bis hin zum letzten Ölwechsel, das brauchen wir auch noch. Denn nur so kommt das demnächst auf dem Polizeikongress zu diskutierende Predictive Policiing zu den wunderbarsten Erfolgen, im Gewand des "Predictive Geheimdiensting":

"Idealerweise fangen wir das Fluchtfahrzeug allerdings bereits ab, bevor es das Diebesgut überhaupt aufnimmt."

Ein Fluchtfahrzeug, das ganz ohne Dieb und Diebesgut schon auf der Flucht ist und gefangen werden darf, so sieht das Frühlingserwachen der Geheimdienstler aus. Inmitten der konkreten Beispiele, die der BND-Präsident aufführt, finden sich lustige Sachen. Dazu gehört ein über die "Auslandserfassung" ermittelter Cyber-Angriff auf Frankreich zum Beispiel, gefolgt von einem Angriff auf Deutschland, wo längst die Firewalls "scharf gestellt" wurden und daher alles abschmettern können. Das wichtigste von Schindler angeführte Beispiel hat im Kontext der aktuellen Debatte über die Zusammenarbeit von BND, NSA und GCHQ geradezu hufelschultische Qualitäten:

"Ein ausländischer Dienst hat im Rahmen seiner Cyberabwehr einen Teil einer Angriffsstruktur aufgeklärt. Es handelt sich dabei – sagen wir – um einen Server auf den Malediven, auf welchen eine erfolgreich installierte Spionagesoftware ihre abgezogenen Daten meldet. Im Rahmen der Zusammenarbeit wird diese Information an den Bundesnachrichtendienst gegeben, und die IP-Adresse des Servers auf den Malediven wird als Selektionskriterium in unsere Sensorik eingesteuert. Jetzt kann man anhand der Erfassungen feststellen, welche Rechner sich ebenfalls infiziert haben und ihre Daten ungewollt an Server auf den Malediven melden."

*** All diese Aktionen in Sachen Cyber Security werden wohlgemerkt mit der feindlichen Wirtschaftsspionage gerechtfertigt, die Deutschlands "Hidden Champions" ausmanövrieren soll. Tausende von Firmen sind es, etwa Deutschlands Maschinenbauer, die dieses unsere Land dank der Industrie 4.0 in eine strahlende Zukunft führen soll. Aber die Sache mit der Wirtschaftsspionage ist bei uns ebenso wie in den USA ein Ablenkungsmanöver, das nur bei denen funktioniert, die noch daran glauben, dass Wirtschaftsmacht auf der Güterproduktion beruht. Längst hat indessen die Produktion von Informationen den alten Kreislauf abgelöst, Google und Facebook lassen – nachträglich zur letzten Wochenschau – grüßen. Hier gewinnt, wer die Macht hat, die Fragen nach bestimmten Informationen so zu steuern, das nur bestimmte Antworten zugelassen sind, oder, um in Schindlers Beispielswelt zu bleiben: Hier gewinnt der, der ein beliebiges Auto als Fluchtfahrzeug bezeichnen kann. Unten bleibt hier, wer hilflos ein Recht auf Vergessen fordert und prompt großzügig gewährt bekommt. Der tiefe Staat in dem durch Snowden aufgeklärtem Informationszeitalter kann es sich dabei leisten, seinen Diensten die Leviten zu lesen: Ja, was sich das britische GCHQ geleistet hat, war illegal. Doch jetzt ist alles gut und die Medien wie die Freunde von Snowden freuen sich über ihren "Sieg".

Was wird.

Die schöne Utopie vom Aufrechten Gang ist längst der Autokorrektur zum Opfer gefallen. Bestenfalls kann man noch eine Userbewertung abgeben und das Lied bei Amazon kaufen. Seit gestern ist die c't draußen und mit ihr ein Text über den Geldmangel bei einem wichtigen Kryptoprojekt, der schnellstens behoben werden konnte. Schließlich ist Kryptographie die wichtigste Waffe gegen autoritäre Regime oder für den Schutz der Polizei. Glaubt man der Gesellschaft für Informatik, so ist Kryptographie sogar die einzige Hilfe vor der ständigen drohenden Sabotage der Informationsgesellschaft.

Nun führte die Nachricht über die Geldprobleme bei GPG dazu, dass sich ein prominenter Nachrichtenversteher aus dem Umfeld des kryptofreundlichen Chaos Computer Club aufregte und einen ziemlich wütenden Blick auf die Produktion von Open Source Software warf. Tenor der Anklage: Solange es kein bedingungsloses Grundeinkommen gibt, arbeitet man besser für Microsoft und nutzt die Freizeit für seine Lernprojekte, weil Open Source eine Freizeitbeschäftigung ist und bleiben soll. Wer diese protestantische Ethik nicht und sogar noch "Staatsknete" annimmt, ist auf einer "Ansehensstufe mit Steuerhinterziehern". Schließlich folgt am Schluss ein borniertes, typisch deutsches Argument: Denkt an die Kinder! Was nicht ohne Widerspruch und Zustimmung blieb, auch im Heise-Forum. Ein Ende ist nicht abzusehen, in nächster Woche geht es sicher weiter. Wir lernen, dass die neuen Crypto Wars ihre lustigen Seiten haben. Es gibt genug übrigens Projekte, die Spenden benötigen.

Vergessen wir die Berlinale! Die Stadt hat nichts frühlingshaftes, überall hängen Propagandaplakate herum und verschandeln zierliche Gebäude wie das ICC mit dem Slogan Wir wollen die Spiele. Berlin will spielen, 88 Jahre nach den Führer-Spielen mit Jesse Owens. Es gibt andere Filme: Heute vor 100 Jahren wurde Griffiths Birth of a Nation aufgeführt, ein übles rassistisches Film-Meisterwerk. Mit dem meisterlichen Remix rebirth of a Nation von DJ Spooky sei daran erinnert, dass unser Remix-Wettbewerb gestartet ist. Man gönnt sich ja sonst nichts.

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Quelle : www.heise.de
Titel: 4W: Von IBM am Himmel und Cyberkriegern in Flecktarn am Boden
Beitrag von: SiLæncer am 15 Februar, 2015, 06:00
Wer wird wissen, wer darf etwas wissen? Die vernetzte Gesellschaft steht nicht erst im Jahr 2015 vor grundsätzlichen Problemen. Die Fragestellungen führt Hal Faber gerne noch einmal auf ihre Ursprünge zurück.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

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*** In dieser kleinen Wochenschau vom Rande der maßgeblichen deutschen Tiefebene ist schon mehrmals das Gutachten zum postmodernen Wissen behandelt worden, das der der französische Philosoph Jean-Francois Lyotard im April 1979 für den Universitätsrat der kanadischen Provinz Quebec verfasste, etwa in diesem Artikel. Lange vor Iridium, Thuraya oder den Ideen von Greg Wyler und Elon Musk sah Lyotard, dass die Menschheit ein Cloud-Problem hat. Inzwischen ist einer der Urtexte des 21. Jahrhunderts als PDF-Datei verfügbar und eine prima Hilfestellung, die Sache mit dem Cyberkrams zu verstehen:

Nehmen wir einfach an, dass eine Firma wie IBM berechtigt sein wird, einen Streifen im Umfeld der Erde zu besetzen und darauf Kommunikationssatelliten und/oder Datenbanken zu platzieren. Wem werden sie zugänglich sein? Wer bestimmt, welche Kanäle oder Daten verboten sind? Der Staat? Oder wird der Staat nicht viel mehr ein Benutzer unter vielen anderen sein? Damit werden neue Rechtsprobleme aufgeworfen und mit ihnen die Frage: "wer wird wissen?".

*** Wer wird wissen, wer darf etwas wissen, wenn der Staat nur ein Nutzer unter vielen anderen ist? Da haben wir den US-Präsidenten Barack Obama, einen der mächtigen Männer und am Ende kann er doch nur die Facebooks und Googles dieser Welt drängen, etwas für die Cybersicherheit zu tun. OK, ein Erlass ist auch noch drin. Aber was tun, wenn Zuckerberg, Schmidt und Nadella nicht mal zum Dinner kommen wie damals mit Steve Jobs? So wird das nichts mit der Cybersicherheit. Der Staat ist auch nur ein Benutzer, der sich wie Obama eine starke Verschlüsselung wünscht, aber leider, leider, sind da noch die Dienste mit ihren wunderbaren Programmen für unser aller Sicherheit, nicht nur in den USA. Dort wird besonders viel gesammelt, gespeichert und gesucht. "Es ist nicht alles Schwarz und Weiß, wie es manchmal behauptet wird", seufzt Obama dann in die Mikrofone. Stark verschlüsseln mögen täte er ja gerne, darf er aber nur ein kleines Bisschen mit seinem Blackberry. Denn auch wer luftdichte Verschlüsselung will, will auch vor Terroristen geschützt werden. Das geht halt nur mit luftiger Verschlüsselung.

*** " Wir haben es mit immer mehr Diensten und Anbietern zu tun, die ihre Produkte zunehmend verschlüsseln. 'Dank Snowden' hat auch die islamistische Szene die Vorteile einer kryptierten Kommunikation begriffen. Das macht es für uns noch schwerer, an Informationen zu gelangen.

Diese Aussage stammt natürlich nicht von Obama, denn das denglische "kryptieren" ist eine Wortschöpfung des Bundeskriminalamtes, um das Verschlüsseln noch geheimnisvoller zu machen. Die Aussage stammt vom obersten Verfassungsschützer Hans-Georg Maaßen, der von der tageszeitung interviewt wurde. In dem vom ihm herausgegeben Verfassungsschutzbericht 2013 ging der "Dank" von Maaßen noch nicht in Richtung Edward Snowden. Da wurde ein 300 Seiten starkes "Privacy-Handbuch" dafür verantwortlich gemacht, dass Autoren, die sich dem Cyberterrorismus zuordnen, so schlau geworden sind. Mit dem geplanten Ausbau des Cyber-Schutzes beim Verfassungsschutz muss es schon mehr sein als ein kleines Büchlein.

*** Auf Maaßen ließ die tageszeitung Jérémie Zimmermann von La Quadrature due Net antworten, mit einem Hohelied auf Open Source als "einzige vertrauenswürdige Technologie, die uns noch übrig geblieben ist". Von jedermann überprüfbare Programme und dann insbesondere die quelloffenen Programme für Verschlüsselungstechniken sollen der letzte Schlüssel sein, den der Staat nicht bekommen kann. Kaum war das Hohelied von Zimmermann verklungen, erfolgte in der tageszeitung etwas Größeres, eine Heiligsprechung des bescheidenen Herrn Koch. Der edle Programmierer und sein wunderbar einfach zu lesender Quellcode von GnuPGP, der zu wenig Fehler hatte, um von der Wartung leben zu können, beschäftigte die Phantasie des Journalisten. Ein Mann gegen den Rest der Welt: "Die Gefahr für die Vereinigten Staaten von Amerika und Großbritannien geht von einem Keller in Erkrath-Hochdahl aus, 12 Minuten mit der S-Bahn von Düsseldorf." Die Lobhudelei kennt offenbar keine Grenzen, auch wenn es mit der Logik ganz gewaltig hapert. Freie Software wie das "Betriebssystem GNU", das "zwar auf Linux-Rechnern funktioniert, aber nicht mit diesen identisch ist"?? Ähm, nein, nein, alles falsch: "Würde er von einem Bus überrollt, wäre es vorbei mit der frei verfügbaren Verschlüsselung." Das ist mal ein Tipp für die Schurken vom Dienst.

*** "Ich lebe ein Leben, das ich eigentlich nicht verdient habe, aber was soll's. Wir sind eigentlich alle Schwindler", heißt es in der Autobiographie von David Carr, in der Carr über seinen Weg aus dem Drogendschungel berichtete. Am Freitag interviewte der Medienjournalist noch Glenn Greenwald und Laura Poitras, Edward Snowden war per Video zugeschaltet. Das Gespräch drehte sich um den Dokumentarfilm Citizen Four, der gerade mit wichtigen Preisen ausgezeichnet wird. Kurz danach war David Carr gestorben, ein schneller Tod gleich neben der Redaktion der New York Times, in die er 2002 eingetreten war. Dort wurde er als Medienkritiker bekannt und so passt es auf seine Weise, dass der letzte Text von Carr über den Abschied des Talkmasters Jon Stewart geht. Carrs letzte Sätze sind denkwürdig. "Es ist alles nur ein einziger Witz, den alle mitmachen. Es sind wissende Flachsereien und Scheinattaken auf vorgefertigte Nachrichten, die von Leuten vorgelesen werden, die irgendwie gelangweilt sind von dem, was sie da vorlesen. Es wird nun noch weniger lustig sein."

Was wird.

Vor seinem IT-Essen in Stanford wurde Barack Obama von Kara Swisher interviewt. Er erzählte dabei, dass Nordkoreas Attacke auf Sony zwar heftig, aber nicht sehr problematisch gewesen sei. Dazu seien die nordkoreanischen Cyberkrieger einfach nicht gut genug gewesen. Wirklich gut in diesem Geschäft seien China und Russland, aber auch der Iran sei in letzter Zeit gut geworden. Abschätzige Worte, die Kim Jong Un gar nicht gefallen dürften. Leider gibt es unter den neuen Kampflosungen des Kimilsungismus-Kimjongilismus keine direkt passende Antwort auf diese Form der Cyber-Demütigung, am ehesten vielleicht noch diese hier: "Mit ideologischen Kanonen konzentrierte, kontinuierliche und treffsichere Aktionen durchführen!" Lacht da jemand vor seinem Phablet?

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Das ist vielleicht zu früh, denn was ideologische Kanonen anbelangt, so kann diese Antwort der Bundesregierung zu den Cyberkriegern bei der Bundeswehr durchaus mithalten. Die Linke fragte, ob sich deutsche Cyberkrieger in Zukunft auf dem digitalen Schlachtfeld tarnen dürfen. Die Antwort lautete, dass unsere Bundeswehr zwar bislang noch keinen Cyber-Angriff durchgeführt habe, aber im Flecktarn antreten darf. Sich als Iran oder Nordkorea ausgeben, wenn man in Somalia oder dem Donbass Rechner angreift oder sich das MonsterMind unserer amerikanischen Freunde zur Wehr setzt, das würde gehen. Der entscheidende Satz formuliert das ausgesprochen elegant und könnte glatt als Losung bei den Cyberkriegern in Greding und Gelsdorf aufgehängt werden:

"Die Nutzung so genannter Stealth-Techniken verletzt das Heimtückeverbot nicht, da ihr Einsatz keine Handlung darstellt, durch die ein Gegner in der Absicht, sein Vertrauen zu missbrauchen, verleitet wird, darauf zu vertrauen, dass er nach den Regeln des in bewaffneten Konflikten anwendbaren Völkerrechts Anspruch auf Schutz hat oder verpflichtet ist, Schutz zu gewähren.

Quelle : www.heise.de
Titel: 4W: Von Spindoktorei, nerdiger Neureligiosität und ...
Beitrag von: SiLæncer am 22 Februar, 2015, 06:00
Einen kühlen Kopf behalten. Ja, manchmal wär das was, in diesen unseren aufgeregten Zeiten, findet Hal Faber. Und regt sich doch gleich wieder auf.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

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Was war.

***Manchmal ist es erholsam, über den Tellerrand zu blicken und die norddeutsche Tiefebene zu verlassen, in Gedanken natürlich. Heute ist ja der Welttag des Nachdenkens und so etwas steht nicht nur den PfadfinderInnen gut an. Man kann wie diese Truppe über das Milleniumsziel Nummer 8 nachdenken, insbesondere über Punkt 8A, den ein gewisser Herr Varoufakis mitformuliert hat. Dieser Herr ist von wenig nachdenklichen deutschen Journalisten in der abgelaufenen Woche als Halbirrer porträtiert worden, obwohl er ein vorzüglicher Spieltheoretiker ist. Das interpretieren Begriffsstutzige als Spindoktorei. Passenderweise haben nur die Pfadfinder der Nachdenkseiten einen kühleren Kopf behalten,

*** Nachdenken ist angebracht, was nach den Horror-Meldungen über die höchstentwickelste Hacker-Gruppe der Welt mit den neuesten Nachrichten aus dem "Snowden-Schatz" folgte. Gemalto war Ziel eines Angriffes eines gemeinsamen Mobile Handset Exploitation Team von US-amerikanischer NSA und britischem GCHQ, die einen "Workshop" abhielten. Dass bei diesem Trainingskurs alle SIM-Karten, Kreditkarten und auch unsere elektronischen Gesundheitskarten kompromittiert sind, ist reine Panikmache. Die Snowden-Dokumente, soweit sie nicht geschwärzt sind, sprechen von 300.000 K{i}s eines somalischen Providers und davon, dass man sich nach Gemalto auch den deutschen Hersteller Giesecke & Devrient vornehmen will. Natürlich ist jeder Geheimdienst daran interessiert, einen nicht identifizierbaren, nicht verfolgbaren Zugang in Kommunikationsnetze zu bekommen, aber schwerlich an den Daten aller Teilnehmer. Der tiefe Staat als universaler Datensammler, der alles über alles in riesigen Datencentern in der Walachei sammelt, ist das am Ende gar eine Projektion des von Hackern kultivierten Snowden-Rituals? Ausgerechnet der libertäre Geldgeber Peter Thiel, dessen Firma Palantir Technologies die Nachrichtendienste dieser Welt beliefert, brachte es in einem Interview auf den Punkt, als er zu Snowden befragt wurde:

"Ich habe eine etwas andere Einstellung zu den Snowden-Enthüllungen. Ich denke, sie zeigen, dass die NSA mehr wie die Keystone Cops denn wie Big Brother arbeitet. Was mich erstaunt, wie wenig James Bond-ähnliche Sachen gemacht werden und wie wenig sie mit all diesen Informationen anstellen. Deswegen denke ich, dass die NSA in einer Art Anti-Technolgie-Zone lebt, in der sie nicht mit den Daten anzufangen weiß, die sie sammelt. So saugen sie halt all diese Daten ab, überall in der Welt. Ich denke, das war selbst für Obama neu, dass er Merkels Telefon anzapfte."

*** Nebelbomben eines Auskenners und Auftragnehmers? Brauchen NSA und GCHQ oder auch unser BND all diesen Daten, um "intelligence" zu produzieren? Oder sind sie längst so ein eigenständiges Subsystem, dass sie uns bzw. der Gesllschaft vorschreiben können, was alles geheim ist? Ist gar ein Putsch der Geheimen im Gange, eine Sabotage an der Demokratie, ein Griff nach der politischen Macht, wie es Frank Rieger formulierte:

"Was man jedoch kaum mehr ohne moderne, überwachungsanfällige Kommunikationsmittel vollbringen kann, ist gewaltlose gesellschaftliche Veränderung durch Diskurs, Meinungsbildung und politische Organisation.

*** In diesem Sinne lohnt sich der Blick in die aktuelle c't für diesen Kommentar über die veraltete Kryptographie, der allenthalben auf Unverständnis und heftigen Widerspruch bei den Nerds trifft, die das Zeug ja aus dem Effeff beherschen und von schockierend naiver Berichterstattung reden: Lasst PGP endlich sterben!. Jeder Journalist hat (zumindest in der IT) jede Woche mit Informanten zu tun, die Vertrauliches kommunizieren wollen und nach dem Schlüssel fragen. Erschröcklich ist dann die Rückläufer-Quote von Mails, die trotzdem unverschlüsselt geschickt wird. Wer einen Ausstieg aus der unverschlüsselten Kommunikation fordert und trotzdem an PGP-Systemen festhält, fördert die Etablierung der Kaste der Hackerpriester.

*** So bleibt es dabei, dass es keine technische Lösung für politische Probleme gibt. Verschlüsselung schön und gut: Die Geheimdienste verfolgen ihre eigene Agenda. Dass sie und verwandte Organisationen eine eigene Fraktion im Staatsapparat bilden, die sich jeder demokratischen Kontrolle entzieht, dagegen hilft Verschlüsselung nicht. Die hässliche Fratze des tiefen Staats ist nicht dazu da, kleine Nerds zu erschrecken, dass sie endlich mal Verschlüsselung praktikabel machen. Es nutzt anscheinend nichts, die Techniker in die Mitte der Gesellschaft zu holen, wenn sie als Fremdkörper durch eben diese Gesellschaft trudeln und als selbsternannte Elite Unverständnis für die Nicht-Techniker transportieren. Ein Heilmittel gegen den tiefen Staat ist nicht eine technische Priesterkaste, sondern eine Gesellschaft, die sich auf ihre Freiheit besinnt und sich nicht von den Geheimdiensten vorschreiben lässt, wie Sicherheitspolitik den Staat und die Struktur der Gesellschaft definiert.

Was wird.

Was der Sigmar kann, kann Angela schon lange: Am Donnerstag behauptete Wirtschaftsminister Gabriel, auf einem roten Sofa sitzend und sichtlich zufrieden, dass Deutschland der Ausrüster der Welt ist. Am Montag wird seine Chefin, Frau Dr. Merkel, im bayerischen Amberg die "Smart Factory" von Siemens besuchen und das Hohe Lied der Industrie 4.0 anstimmen, wo "Softwarefähigkeiten" mal eben eine ganze Fabrik zum Tanzen bringen. Das hört sich dann so an:

"Es werden sich natürlich die Arbeitstätigkeiten völlig verschieben. Es wird in der klassischen Produktion sehr viel mehr Softwarefähigkeiten brauchen. Es werden bestimmte andere Arbeitsgänge durch Robotik und anderes ersetzt. Und deshalb ist das Thema "lebenslanges Lernen" – wie qualifiziere ich mich als Facharbeiter eben auch weiter? – von ganz besonderer Bedeutung."

Von Industrie 4.0 und den neuen Softwarefähigkeiten über die drohende Arbeitslosigkeit hin zum lebenslangen Lernen, das ist ein Schnelldurchlauf der Extraklasse. Schade, dass es der Datenschutz nicht in die Ballung geschafft hat, sondern einige Sätze später behandelt wird unter den allseits bekanneten Polbildungen Freiheit und Sicherheit:

"Das heißt, es ist nicht nur so, dass sich die industrielle Produktion verändert, sondern ich habe dann auch sehr viel mehr Daten verfügbar. Und jetzt muss ich aufpassen, dass ich auf der einen Seite den Datenschutz beachte, aber auf der anderen Seite die Verarbeitung von großen Mengen an Daten nicht so restriktiv handhabe, dass neue Produkte gar nicht mehr entstehen können. Hier geht es insbesondere darum, das richtige Verhältnis von Schutz und Freiheit der Datenverarbeitung zu finden."

In der nächsten Woche findet dort, wo sich früher mal die nachdenkenden Pfadfinder des CCC versammelten, der europäische Polizeikongress statt mit seinen Vorträgen und Messeständen all der Firmen, die mit der Polizei ins Geschäft kommen wollen. Nicht alle sind da gern gesehene Gäste. Diesmal gibt es schon im Vorfeld eine Art Ausladung des Veranstalters, der Netzpolitik die Akkreditierung mit dem Hinweis verweigert, dass das Umfeld dieser Blogplattform zur Demonstration vor dem Kongress aufruft. Dabei geht es da gar nicht um das Verkaufen, sondern um das Ersaufen.

Bevor ihre Software zum Lieblingsspielzeug des Bundesnachrichtendienstes wurde, durfte Palantir Technologies auf dem Polizeikongress ihr damals "World Check" genanntes System vorführen. In diesem jahr hält eine neue Softwareklasse Einzug, sogar mit einem eigenen Workshop. Nach dem OK eines Datenschützers können die Bundesländer Software für Predictive Policing anschaffen, zur Erleichertung der Einsatzplanung. Das freut die Software-Firmen, auch wenn die wissenschaftliche Evaluierung noch aussteht, wie es ausgerechnet eine niedersächsische Studie formuliert. Am Rande der norddeutschen Tiefebene kann man es noch in Aktion sehen, das kritische Nachdenken:

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"Allerdings bleibt unklar, wie der Schritt von der Theorie zur Vorhersage vollzogen wird – hier sind die Softwarelösungen wie eine Black Box zu sehen. Die Kenntnis darüber, wie und mit welchen Daten Prognosen angestellt werden, ist wichtig, um einen Abgleich mit Gesetzen und Bestimmungen vornehmen zu können. Ferner bleibt ohne einen Nachweis der Wirksamkeit in Form einer nach wissenschaftlichen Standards durchgeführten Studie offen, ob der Erwerb von Predictive Policing eine lohnende Investition ist."

Black Box? Macht nichts, wir arbeiten noch mit ganz anderer Gurken-Software. Erstmal anschaffen, denn hey, Schlussfolgerungen auf Basis der aktuellen Erkenntnisse wären verfrüht. Hauptsache, die Verfrühungssoftware wird endlich genutzt, die Softwarefähigkeiten dürfen einfach nicht brach liegen. Solche Vorhersagemodelle sind Polizei 4.0.

Quelle : www.heise.de
Titel: 4W: Von inneren Drängen, äußeren Zwängen und 32 IP-Anfragen
Beitrag von: SiLæncer am 01 März, 2015, 06:08
Man achte Michel Foucault, meint Hal Faber, die Einführung in das Panopticon der umfassenden Überwachung ist aktueller denn je. Da sollte sich auch der "artgerechte Journalismus" mal darauf besinnen.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

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*** Ich bitte um höfliche Beachtung des Gütesiegels "artgerechter Journalismus" weiter oben. Jeder Satz, jedes Zeichen dieser kleinen Wochenschau ist handgetippt, selbst die Leerzeichen sind durch sorgfältiges Drücken der Leertaste eingepasst worden. Die gesamte Kolumne ist bei artgerechter, schmierstofffreier Haltung des Journalisten entstanden und frei von jeglichen Desinformationsgiften. Für diese geballte Ladung an nützlichen Informationen wurde kein Katzenfotos entstellt und kein Häkelschwein geschlachtet. Auch wurde nicht geraucht oder gar ein Hund bestohlen. Diese Kolumne entstand quasi aus internem Drang und der nie versiegenden Lust auf das Zeilenhonorar des Verlages am Rande der ... Ach, lassen wir das.

*** In einem anderen Verlag in einer anderen Stadt hat ein renommierter Journalist mit dem Gütesiegel UNINUN (unermüdlich investigativ unterwegs) einen Keylogger an verschiedene Rechner seiner Kollegen geflanscht, ganz zuletzt bei einer Praktikantin.. Nach Darstellung des Verlages "knackte" der Übeltäter die Rechner "aus einem inneren Drang" heraus, was klingt, als sei das Hacken eine Zwangshandlung wie das Popelfressen. Und hastunichgesehn, prompt poppte auch hier wieder die NSA auf, die heutzutage für so Vieles herhalten muss:

"Der Fall, um den es aber hier geht, ist wohl keiner, hinter dem Monstrositäten wie die NSA stecken. Es war ein Diebstahl digitaler Art; der Verdächtige knackte Redaktionsrechner quasi aus innerem Drang."

*** "Keine Monstrosität" klingt wie ein "kleines bisschen schwanger" und ist eine Verniedlichung, die eigentlich nur mit einer Verschwörungstheorie *und* einem beteiligten Geheimdienst erklärt werden kann. Natürlich sollen und dürfen Journalisten bei brisanten Recherchen versteckte Methoden einsetzen, wenn das Interesse der Öffntlichkeit gegeben ist auch in Redaktionen. Wenn etwa mal geklärt werden soll, wie miese Kampagnen entstehen. Doch die Monstrosität, in den Kernbereich der beruflichen Lebenführung anderer einzudringen, hat im Zeitalter der digitalen Archive eine ganz andere Dimension. Die linksalternative Zeitung, die sich schwer entrüstet, wenn es um den Staatstrojaner geht, verniedlicht den technisch sehr ähnlichen Keylogger. Derzeit nicht online, sondern nur auf Papier ist zulesen, wie die Sache weitergeht, quasi mit dem inneren Drang, auch am Montag wieder eine Zeitung am Kiosk zu haben:

"In der taz haben die Mitarbeiter sämtliche Passworte geändert. Der Sicherheitsexperte und Hacker Bern Fix, der für die Wau Holland-Stiftung arbeitet, soll die Redakteurinnen und Redakteure nun in digitalem Sicherheitsmanagement schulen. Aber auch er sagt: 'Ein Angriff von innen lässt sich nicht verhindern'."

*** Nichts gegen Bernd Fix oder gar gegen die Wau Holland-Stiftung, die steuerabzugsfähige Gelder für wichtige Projekte sammelt, aber die Zuschreibung "Sicherheitsexperte und Hacker" offenbart das ganze Elend, das schon Thema der letzten Wochenschau war. Wenn Journalisten, die eigentlich viel vom Schützen verstehen müssen und seit 20 Jahren mit Verschlüsselung arbeiten, Sicherheitsexperten und Hacker brauchen, liegt mehr im Argen bei der "4. Macht" als gedacht. Hacker oder eben Sicherheitsexperten – was nur ein anderes Wort ist – können da gar nicht helfen. Ihr Glauben an eine technische Lösung ist nur ein Glaube, wie so viele Religionen.

*** 20 Jahre sind keine lange Zeit. Das zeigt dieser lustige Text von Clifford Stoll, einem Sicherheitsexperten und Hackerjäger, der exakt vor 20 Jahren erschienen ist und aus der Erfahrung von 20 Jahren Online-Sein ein Blick auf heute wirft und bei allen Prognosen daneben liegt. Bücher werden bei Amazon geordert, Flugtickets online gekauft und die Süddeutsche Zeitung beklagt sich am Wochenende, dass das Flirten ausgestorben ist, weil nur noch Partnerbörsen genutzt werden. Und das alles in 20 Jahren. Sind 40 Jahre eine lange Zeit? Aber nicht doch: Exakt vor 40 Jahren erschien in Frankreich "Surveiller et punir" von Michel Foucault, bei uns als Überwachen und Strafen ein Jahr später. Der "Rezeptaussteller, Richtungsanzeiger, Kartograph und Waffenschmied" Foucault ist ja in einigen Wochenschauen als Anreger präsent gewesen, etwa hier oder hier, sogar mit NSA-Bezug. Die Einführung in das Panopticon der umfassenden Überwachung ist aktueller denn je, bis hin zum Satz, dass jedes Herrschaftssystem ein System von Schaltungen ist. Denn das Überwachen ist nicht nur der Rundumblick eines Benthams, sondern im Netz des Schreibens und der Schrift eingeschrieben, mit einer Unmasse an Dokumenten, den Aufzeichnungstechniken der Herrschaftsmacht, die das Individuum als Datenmaterial festschreiben. Schreiben und Dokumentieren, Überwachen und Unterdrücken hängen eng zusammen: "Die Einführung des Notizblocks bei den Griechen war genauso revolutionär wie die Einführung von Computern im Privatleben", das sah Foucault hellsichtig voraus.

*** Nun haben wir die Computer in unser Privatleben eingeführt, sogar in unser Sexleben. Bei 210.000 Männern ist das in Deutschland ganz schlimm, denn sie sind – wofür sie nichts können – pädophil und "benutzen regelmäßig Kinderpornos", wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung in einem seltsamen Artikel schreibt. Da geht es spaltenlang über die Mühen der Polizei, sichergestellte Datenträger zu sichten, doch statt mehr Personal einzustellen und auszubilden oder externe Ermittler hinzuzukaufen, wird das Hohe Lied der Vorratsdatenspeicherung gesungen, die unbedingt kommen muss, weil es ein ganz übles Darknet gibt, das Polizisten nicht betreten dürfen. Das Böse breitet sich aus im dunklen Internet, da müssen wir doch die IP-Adresse des Bösen haben. Aber halt:

"Je intensiver ermittelt wird, desto mehr findet man. Die Arbeitsbelastung werde auch nicht dadurch abnehmen, dass mehr Personal eingestellt wird, heißt es im BKA ganz unverblümt. Ja, es würden mehr Taten entdeckt und auch aufgeklärt, aber ob die Aufklärungsquote höher würde – wer kann das schon sagen?"

*** Sieh an, sieh an. So, wie die Pädophilen auf Kinderbildern stehen, so haben auch die Kriminalisten einen eigenen Fetisch, die Aufklärungsquote. Sie ist so wichtig, dass auf Polizeikongressen kräftig gejammert wird, mit dem ein oder anderen Rückzieher. Das Verfahren, die digitalen Lebensdaten aller Bürger zu sammeln und aufzuheben, erscheint so alternativlos, dass die CSU ein Animationsfilmchen veröffentlicht hat, in dem gelogen wird, dass sich die Balken biegen. Ganz interessant ist dabei die Darstellung, das ringsherum um Deutschland gespeichert wird, was das Zeug hält, z.B. in der Schweiz. Dort heißt das Verfahren putzig Randdatenerhebung und wird von einer eigenen Behörde betrieben, die täglich die IP-Daten aller 103 Internet-Providerlis sammelt und sechs Monate bevorratet. Für 2013 liegen die Zahlen der (kostenpflichtigen) Abfragen vor. Bei 725.6287 Straftaten insgesamt wurde 32 mal die IP-Adresse nachgefragt und das, während die Aufklärungsquote in Sachen Kinderpornographie wie früher sank. Die LeserInnen dieser Wochenschau wird er nicht wundern, dass man auf Abhilfe sinnt – mit einer Verlängerung der Speicherdauer von 6 auf 12 Monaten. Natürlich gibt es Gegner, die das Kindeswohl mit Füßen treten, wie es dann immer so schön heißt. Die Ausweitung auf das Internet der Dinge wird die nächste Stufe sein. Verräterisch ist der, der sein Licht zur Unzeit anmacht.

*** In der Schweiz hat einer sein Licht ausgemacht. Sehr selbstbestimmt und mit ordentlicher Selbstpromotion für das letzte eigene Buch, auch auf dem Kindle verfügbar. Natürlich muss er das letzte Wort behalten:

"Selbstmord aber ist in Deutschland geächtet, wenn nicht gar verboten; zumindest jegliche Hilfe, 'Sterbebegleitung' genannt. Der Staat greift nicht nur bis zur Läppischkeit in unser Leben ein, verordnet – giftige – Glühbirnen, Fahrradhelme, plant einen 'Tag der genitalen Selbstbestimmung' (ein Gedenktag zum Thema Beschneidung), verlangt 'Lufthoheit über Kinderbetten', akzeptiert einen erschreckenden Anstieg des Alkoholkonsums bei Jugendlichen (verniedlicht 'Koma-Saufen' genannt, als ging es um eine lustige Abiturfeier), akzeptiert den Tod von Hunderttausenden durch industrieverpestete Luft. Aber über mein Leben, mein Lebensende darf ich nicht selber entscheiden."

(http://3.f.ix.de/imgs/18/1/4/4/1/1/9/7/Pfeife2-e8076ceac03178f0.jpeg)
*** Von einem anderen gibt es den letzten Tweet vor dem Transit zum Vulcan: "Das Leben ist wie ein Rosengarten, perfekt, aber nur in deiner Erinnerung." Ein anderer hatte gar nichts mehr, nachdem er Russlands Engagement in der Ostukraine im Fernsehen kritisiert hatte. Vier Schüsse, viele Blumen, viele Fragen. "Was macht der Russe?"

Was wird.

Es gibt viel zu tun und zu speichern. Mit intelligenten Stromzählern braucht allein eine Stadt wie Hannover vier Millionen Zertifikate, wenn eine PKI zur Sicherung der Zugriffe eingerichtet werden soll. Hannover? Was soll da los sein? Aber hallo, das Special ist gestartet, die Messe ruft. Riesigst grüßt das Wirtschaftswunder 4.0. Das wird man doch noch ein paar Daten ausleiten dürfen. Man muss halt einen Plan haben.

Quelle : www.heise.de
Titel: 4W: Von digitalen Talibananen, düsteren Kellern und dunklen Schatten
Beitrag von: SiLæncer am 08 März, 2015, 06:00
Es gibt Propaganda, und es gibt Propaganda. Da treibt dann schon mal die Talibanhaftigkeit als Netzneutralität ihr erschröckliches Unwesen, grummelt Hal Faber, der mal keine Eulen nach Athen tragen will.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

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*** Hoppla, der legendäre Stoiber-Rap vom Transrapid am Hauptbahnhof hat ein kleines Brüderchen bekommen. Kein Geringerer als EU-Kommissar Günther Oettinger hat losgerappt im Bundesfinanzministerium in der Veranstaltungsreihe BMF im Dialog. Sein Lieblingsbeispiel von der Auto fahrenden Familie, bei der der Sohn daddelt und die Tochter Bilder auf Instagram guckt hat er mit einem Portalkrankenhaus erweitert, in dem sehr seltsame Dinge passieren. Der bizarre Monolog in Echtwort:

"Wenn Sie Verkehrssicherheit in Echtzeit haben wollen, da geht es um unser Leben, dann muss dies absoluten Vorrang haben, in Qualität und Kapazität. Wenn wir das Portalkrankenhaus im ländlichen Raum, das bei einem schweren Unfall vielleicht auch Operationssaal sein soll, und das Uniklinikum mit dem Oberarzt macht dies, wenn diese digitale und elektronische Operation möglich sein soll, dann geht dies nur in perfekter Qualität und Kapazität der Übertragung der Anweisungen, die der Oberarzt im Organbereich Lunge oder Herz oder Kreislaufgefäße beim Patienten gibt. Das muss uns wohl doch etwas wert sein. Und da kann man doch nicht von perfekter Gleichheit reden. Ist es wichtiger, dass im Auto hinten rechts die sechsjährige Tochter hockt und lädt sich Musik runter, Youtube, hinten links hockt der neunjährige Bengel und macht irgendwelche Games. Ist es wichtiger, dass die beiden in Echtzeit oder der Alte vorne links in Echtzeit hört, von rechts kommt jemand? Ich finde, Youtube runterladen hat ein paar Sekunden Zeit. Ich finde, das Game kann auch mal nicht perfekt auf dem Bildschirm sein. Aber Verkehrssicherheit, ein kommerzieller Dienst, Gesundheit, ein kommerzieller Dienst und ein paar andere fallen mir ein, sollten von der Netzneutralität, von diesem Taliban-ähnlichen Thema abweichen dürfen."

*** Eine Portalklinik ist eine abgespeckte Klinik ohne klassische Abteilungen mit einer Ausrüstung, die vor allem für Untersuchungen und Diagnosen gedacht ist. Sie besitzt wie in diesem Beispiel skizziert, keinen Operationssaal, weil sie eben keine Unfallklinik oder Universitätsklinik ist, für die eine Portalklinik Zulieferer ist. Für Günther Oettinger zählt das alles nicht, denn er will am eingängigen Beispiel der Teleoperationen das Thema Netzneutralität lächerlich machen. Ausfallsichere Standleitungen für Operationsübertragungen, die deswegen auf mehreren Kanälen übertragen werden, die mit dem Internet nichts zu tun haben, so etwas passt nicht ins Bild von "digitalen und elektronischen Operationen" im "Organbereich Lunge oder Herz", so genau kann man das halt nicht sehen beim Teleschnippeln. Anstelle ausgewogene Argumente pro und contra zu den amerikanischen Regelungsansätzen zu präsentieren, spicht Oettinger von einem Taliban-ähnlichen Thema. Ja, die Taliban, das sind kriminellen Schurken, die es zu bekämpfen gilt, gerade in Deutschland: Abu Beckedahl-Al-Almany, Al-Haksa Rieger und Muhhammad Lobo und natürlich die Piratenpartei, das sind die persönlichen Feinde in der Mimimi-Welt des EU-Kommissars, der in seiner Stoiberei auch einen echten Heveling unterbringt:

"Was die Netzneutralität betrifft, da haben wir gerade in Deutschland Talbian-artige Entwicklungen. Da ist die Netzgemeinde, da sind die Piraten unterwegs, da gehts um perfekte Gleichmacherei. Da heißt es die böse Industrie. Da geht es nicht um die Industrie, da geht es nicht um den Vorstand und sein Gehalt."

*** Das letzte Mal, dass ich einen eigenen Mail-Server im Keller stehen hatte, war zu der Zeit, als Netware 4.11 in meinem Büro die Rechner verband und E-Mail über einen MHS-Gateway nach Compuserve gepumpt wurde. Lang, lang ist's her, so lange, dass selbst die deutsche Wikipedia zu Netware nur Schwachsinn speichert: Nein, Netware war nicht die einzige Möglichkeit, PCs zu vernetzen. Es gab Dutzende von Alternativ-Lösungen, unter anderem Lantastic aus Arizona, das Werbung machte mit dem Gouverneur von Arkansas, der "fantastisch einfach" zu Hause seine Rechner koppeln konnte. Jawohl, Bill Clinton ist gemeint, der einzige Präsident, dessen offizielles Portrait einen weiblichen Schatten hat. Schuld daran ist der Hofmaler Nelson Shanks. Sollte Hillary Clinton bei der nächsten Präsidentschaftswahl antreten und siegen, dürfte Shanks seinen Auftrag los sein. Nun hat Clinton gerade eine E-Mail-Affäre, komplett mit einem eigenen Mailserver im Haus. Unglaubwürdig? In der Tat, von einer Agentur herbeigeschrieben von Journalisten, die MX-Records nicht lesen können. Aber was soll's, es reicht ja zum Abschreiben von Schreibfehlern wie Eric Hoteham und der Spekulation "möglicherweise ein Pseudonym", in der Realität aber eine falsch abgeschriebene Whois-Abfrage. Das passt zum Weltfrauentag, äh internationalen Frauentag, der am "Samstag, den 8. März", stattfinden soll.

*** Gegen eine Zahlung von 5000 Euro an den Kinderschutzbund ist das Verfahren gegen den Ex-Politiker Sebastian Edathy eingestellt worden. Das ist schade, denn auf diese Weise wird die abenteuerliche Vorverurteilung mit dem Logdatenbeweis nicht von einem Gericht gewürdigt. Auch wäre eine Klärung ganz schick, wieso Edathys Laptop immer noch verschwunden ist, obwohl das wunderbare Findewerkzeug Computrace auf ihm installiert ist, wie auf allen Abgeordneten-Laptops. Hatte Edathy etwa Linux installiert? Hat der kanadische Geheimdienst Zugriff auf den kanadischen Hersteller, zumal Kanada auch Schauplatz des Verfahrens gegen Azov Films ist, in dem Edathys Ankäufe entdeckt wurden. Ich wäre so gerne ein richtiger Verschwörungstheoretiker geworden, doch nun muss ich Journalist bleiben.

Was wird.

Wirklich große Ereignisse werfen ihren Schatten voraus. Seit Jahren wird um die Apple Watch gerüchtet, nun ist es am Montag soweit, eine neue Zeit beginnt. Die Uhr, mit der das Schlafzimmer erobert werden soll, wird vorgestellt. Dabei darf eigentlich keiner mehr schlafen, denn Apple drückt angeblich kräftig aufs Gaspedal eines iMobils, vom iJetpack ganz zu schweigen. Think different!

Waren es nun sechs oder fünf Wasserhähne, die im Neubau des BND abgeschraubt wurden? Das Anzapfen einer Wasserleitung beim Projekt "Austrittskanal" war jedenfalls erfolgreicher als das Projekt Eikonal, mit dem EADS ausgespäht werden sollte. Doch schauen wir in die Zukunft, denn es gibt gute Nachrichten: Für 5000 Druckseiten in den Jahren 2016 und 2017 werden grüne Bäume ihr Leben lassen müssen, damit die braune Vergangenheit des BND so ordentlich dokumentiert ist wie die Schatten der Vergangenheit über der stark angebräunten Geschichte des Bundeskriminalamtes.

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Schatten, Schatten über Alles, über Alles in der Welt: Glaubt man dem Spiegel, so steht eine deutsche "Lösung" bei der Vorratsdatenspeicherung bevor, sogar ein "Alleingang für die systematische Speicherung von Telefon- und Internetdaten", weil sich auf europäischer Ebene nichts tut. Man will ein Gesetz "hinbekommen", dass den gerichtlichen Auflagen entspreche und ein Muster für ganz Europa sein könne. Am anlasslosen deutschen Speicherwesen soll die Schengen-Welt genesen.

Na, ob das die Netz-Taliban so einfach durchgehen lassen? Auf dem nächsten Polizeikongress könnte der neue BKA-Chef Holger Münch als Grinsekater auftreten. Schließlich ist es ja ein Grüner, nur echt mit einem ordentlich aufgeführten Eiertänzchen. Ganz nebenbei könnte man sich der Frage widmen, wie es eigentlich um die grundrechtsschonende Alternative zur Quellen-TKÜ bestellt ist, zu der die Firma ESG mit dem Projekt "tGATT 2.0" Forschungen betreibt, wie von den eTalibanen berichtet. Denn große Ereignisse werfen ihre Schatten voraus, wenn die Sonne tief steht und die Eule losfliegt.

Quelle : www.heise.de
Titel: 4W: Von Dreherchen, Kinderchen und Speicherchen. Und einem Trauerfall.
Beitrag von: SiLæncer am 15 März, 2015, 05:00
Ugh! Oder nicht? Trauer ist das eine, Empörung über das, was entgegen landläufiger Meinung keineswegs unausweislich ist, das andere. Das lässt sich Hal Faber nicht nehmen.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war. >

*** Hanfinduzierte Teleportation. Oder doch nicht? Ein anderer Großer scheint den passenden Kommentar lange vor dem eigentlichen Anlass abgegeben zu haben. Uns aber bleibt nur ein "Ugh!", oder so: At last, Sir Terry, we must walk together. Oder, anders, zufällig aufgeschlagen nicht nur von Heise-Foristen: "Herr, was soll sich die Ernte erhoffen, wenn nicht das Interesse des Schnitters?"

*** Vorbei, vorbei, vorbei.

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Kuscheltiere auf dem Weg zum Friedhof der Kuscheltiere

*** Aber nun gut, es gibt dafür schon seltsame Zahlenkombinationen und Dreher. Nach meinem Empfinden kann heute die Zahl 1,4032015 gefeiert werden, irgendwo in der Nähe von Wurzel 2, aber weil in den USA Datumsangaben skurril vertauscht sind, entsteht die Wochenschau am Pi Day, einem Supertag. Er ist passend garniert mit reichlich Spam, mit Raspberry Pi-Angeboten zu supertollen Preisen. Dann feiert mal schön, ihr Datumsdreher, denn der nächste Supertag dürfte am 9. Mai 3141 kommen und die meisten Heise-Leser nicht mehr interessieren. Manchmal sind Zahlendreher nicht nur skurril, sondern höchst gefährlich. Da wurde in Bremen ein Großalarm wegen unmittelbar drohender Islamistengefahr ausgelöst, und prompt wurde eine christlich aramäische Familie festgesetzt, weil französische Kennzeichen so schwierig zu lesen sind mit den Zahlen in der Mitte. Ein kleines Fehlerchen nur, ein Dreherchen und jede Ähnlichkeit mit Brazil ist meinem kränklichen Hirn geschuldet.

*** Was gegen den andauernden, nicht nachlassenden Terror getan werden kann, wird getan. Der schiere Umfang der Cyber-Propaganda der Islamisten mit ihren Drohungen, das Weiße Haus, Big Ben und den Eiffelturm in die Luft zu sprengen, muss bekämpft werden. Darüber informierte sich unser Bundesinnenminister Thomas de Maiziére auf dem informellen Treffen der europäischen Innenminister. Eine neue Truppe muss her, so der europäische Anti-Terror-Koordinator Gilles de Kerchove. Eine schlagkräftige Internet Referral Unit, angesiedelt bei der Polizeibehörde Europol, soll extremistische Inhalte zuverlässig aus dem Netz putzen. Favorisiert wird der Vorschlag von der lettischen Ratspräsidentschaft, für die das Projekt "Digital Europe" besonders wichtig ist, bis hin zur militärischen Cyber-Verteidigung.

*** Die lettische Tagung findet ausgerechnet in Berlin statt und ist einer von den Kongressen, über die die Bundesregierung ins Schwärmen kommt, wenn sie "Cyber Network Operations" (CNO) erläutern soll:

"Die technischen Möglichkeiten, im Internet zu operieren, sind universal, grundsätzlich bekannt und werden in offen zugänglichen Foren und Kongressen diskutiert. Schwachstellen in Soft- und Hardware werden genutzt, um in gegnerische Netzwerke einzudringen, dort aufzuklären, einzelne Funktionen zu stören und zeitweise außer Betrieb zu setzen oder dauerhaft zu schädigen. Das Vorgehen im Einzelfall hängt ab vom Operationsziel und von der Konstellation der Schutzfunktionen des gegnerischen Netzwerks. Dabei werden die Vorgehensweise und die dabei zu nutzenden Werkzeuge auf den Einzelfall zugeschnitten. CNO richten sich gegen gegnerische Computernetzwerke und dringen in diese ein. Dabei werden u.a. Zugangsmöglichkeiten über das Internet genutzt. Die Mittel des elektronischen Kampfes nutzen die physikalischen Bedingungen für die Wellenausbreitung im elektromagnetischen Spektrum."

*** Digital sich anschleichende Kämpfer im Tarnfleck hatten wir schon, jetzt wird das elektromagnetische Spektrum zum Schlachtfeld erklärt, auf dem der elektronische Kampf um die Wellen geführt wird. Dabei geht es ungemein gesittet zu beim Cyberkrieg:

"Von der zulässigen Tarnung strikt zu unterscheiden ist die unzulässige Nutzung falscher Identitäten mit dem Ziel, eine Zurechnung zu Zivilisten, zivilen Einrichtungen oder anderen geschützten Personen oder Objekten zu provozieren und sie so zum Ziel eines Gegenangriffs zu machen."

*** Daneben gibt es, auch das hatten wir schon, zulässige Stealthtechniken, die das Heimtückeverbot nicht verletzen, aber unsere Cybertruppe zuverlässig tarnen. Bedenklich an diesem CNO-Geschwurbel ist die Vorstellung, dass es verantwortliche Militärs gibt, die diesen Unsinn glauben. Das sind nicht die Geeks in Uniform, die im Battle Lab in Greding arbeiten, sondern Personen, die nur hübsche Powerpoints vom Cyberwar gesehen haben. Leider noch nicht verlinkbar ist ein Bericht der tageszeitung von der weltgrößten Waffenmesse Idex in Abu Dhabi, auf der erstmals Drohnen und Cyberwaffen ausgestellt werden durften. Besonders denkwürdig der ehemalige Entwicklungsminister Dirk Niebel, der am Stand seiner neuen Firma Rheinmetall für die Oerlikon High Energy Laser Gun wirbt, mit dem denkwürdigen Slogan "Low cost to kill ratio". Gut, das alles ist noch kein Cyberwar, denn der entsprechende Konferenzteil "Cyber Warfare" der Idex war nur geladenen Gästen zugänglich, die unter sich bleiben wollten. So wundert sich der taz-Reporter und schreibt:

"Der Schaukasten eines italienischen Unternehmens mit dem Namen 'Hacking Team' wirbt mit einer 'Hacking Suite für Regierungsspionage'. Die Slogans sind erstaunlich eindeutig: 'Erfassen Sie relevante Daten, egal, ob sie übermittelt werden oder nicht. Dringen Sie in PCs und mobile Geräte ein, um sie zu überwachen. Bleiben Sie unsichtbar und unauffindbar.'"

*** Hacking Team? Das sind die unsympathischen Zeitgenossen, deren Hacking-Handbücher enttarnt wurden, die Schnüffel-Software für Smartphone-Plattformen entwickelt und diese an 21 Staaten verkauft haben, darunter Äthiopien, Kasachstan und die Vereinigten Arabischen Emirate, allesamt nicht lupenreine Demokratien. Von Reporter ohne Grenzen wird die Firma zu den Feinden des Internet gezählt. Besagte Reporter sorgten am Donnerstag mit ihrer Aktion grenzenloses Internet für Verwirrung. Es ging um das Entsperren von neun Webseiten, die von elf Staaten blockiert werden. Eine Korrektur der Korrektur der Korrektur der eigentlichen Meldung am deklarierten "Welttag gegen Internetzensur", das kommt nicht alle Tage vor.

Was wird.

Heute abend wird die CeBIT eröffnet. Erstmals ist das ÖPNV-Ticket nicht Bestandteil des Messetickets, eine wirklich gelungene Demonstration des High-Tech-Standortes Deutschland. Die Kontrollen sollen moderat ausfallen. Wer Industrie 4.0 verständlich ohne Buzzwords erklären kann, bekommt ein kostengünstiges Guru-Guru-Ticket. Freuen wir uns also auf Claas 4.0 in der Landwirtschaft, auf Wirtschaftswunder 4.0 und was sonst noch mit 4.0 benamst werden kann, vielleicht Kinder 4.0. Damit wird IBMs Watson und sein Cognitive Cloud Computing angepriesen, ein System mit angeschlossenen mitlernenden CogniToys, die gemeinsam mit dem Kind lernen, wobei gleich beide Seiten immer "klüger" werden. Es ist ein Produkt für hippe Eltern, die zuvor ihre Kinder mit Babynes gestillt haben.

"Der kluge CogniToy-Dino beherrscht die Echtzeit-Konversation mit voller Spracherkennung, kann mündlich gestellte Fragen beantworten und erinnert sich an seinen Spielgefährten – weiß also dessen Name oder Lieblingsfarbe. Eltern können über eine cloudbasierte Plattform die Entwicklung ihres Kindes verfolgen und erhalten Einblicke in seine Lernfähigkeit und Vorlieben."

Wie war das noch in Zeiten, als aufmerksame Eltern ganz ohne Cloud "Einblicke" in das Leben ihrer Kinder hatten und sich nicht sonderlich um "Lernfähigkeiten und Vorlieben" kümmern mussten, sondern diese kannten? Das angepriesene WiFi-Überwachungsspielzeug kommt in Form einer ausgestorbenen Spezies. Irgendwann lernt das Kind hoffentlich, dass es Dinosaurier nicht mehr gibt, dass es Fragen gibt, die dank Störerhaftung nicht einfach beantwortet werden können. Ein Glück, dass einige Leute ihre ganz eigene Show abziehen. Und das nicht nur, weil dieser kleine Verlag in der norddeutsche Tiefebene meinen Lebensunterhalt [...] ach, lassen wir das mal wieder.

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Doch die CeBIT ist nicht alles. Am Ende der Woche startet der Grüne Polizeikongress. Womit wir wieder beim Dauerthema dieser kleinen Wochenschau sind, diesem dauernden Kampf gegen den zunehmenden Terror, der das öffentliche Leben lähmt. Gerade weil die Grünen eine Partei der Freiheit seien, brauche man mehr Polizisten und nicht mehr Technik, so die grüne Fraktionsvorsitzende Katrin Göring Eckhardt. Eine spannende Argumentation. Während die vieldiskutierte Vorratsdatenspeicherung in den Niederlanden und Bulgarien gekippt wurde, während aus Brüssel das Signal kommt, vorerst keinen neuen Anlauf zum Überwachungsstaat 4.0 zu starten, wollen sich die Grünen unvoreingenommen dem Thema widmen. Ein Vorschlag für ein klitzkleines Bisschen Speichern tauchte bereits in der tageszeitung auf, allerdings in Richtung SPD und dazu noch als einzig sinnvolle Lösung angepriesen:

"maximal zwei Wochen Vorratsdatenspeicherung bei IP-Adressen, null Vorratsdatenspeicherung bei Telefonkontakten. Damit sollten Bürgerrechtler und Polizei leben können."

Dann leben Sie mal schön in diese Woche rein. Möge Anatolius von Laodicea, der Schutzpatron vor Zahlendrehern, rechtzeitig zur Stelle sein, in den Weiten des Internet.

Quelle : www.heise.de
Titel: 4W: Von schlimmeren Welten als dieser und den Verwirrungen ........
Beitrag von: SiLæncer am 22 März, 2015, 07:11
Wenn der Streisand-Effekt wütet, bleibt Schmodder zurück, der ekelhaft stinkt. Dabei kann man auch ohne Shitstorms so richtig übles Zeug in die Weltgeschichte blasen, befürchet Hal Faber. Dann doch lieber mit den Wildschweinen grunzen.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

(http://3.f.ix.de/imgs/18/1/4/5/3/7/6/7/CeBIT-Sonnenfinsternis-385d8da026bd7741.jpeg)
*** Mit dieser Ausgabe der kleinen Wochenschau nach der ach so wunderbar abgelaufenen CeBIT werde ich die Zahl meiner geschätzten Leserinnen und Leser mutwillig ramponieren, Stinkefinger hin oder her. Mit den Shitstorms im Internet gibt es einhergehende Shit-Effekte, die nur noch Streusand sind, der übel riecht. Die neue Atemlosigkeit stinkt aus dem Mund der Beteiligten, die alles und jeden unter einem großen Verdachtsvorbehalt einordnen können. Da rauscht ein Glenn Greenwald ran, tritt auf der CeBIT auf und meint allen Ernstes, es gebe keine schlimmeren Welten als diese unsere. Ein Blick nach Syrien oder in x-beliebige Flüchtlingslager ringsum, ein bisschen Geschaukel auf den Wellen vor Lampedusa? Geschenkt, dann schon lieber ein Gemurmel von Siggy Pop als "Nachricht" rausgeblasen, am besten im Stil der größtmöglichen Bösartigkeit: Sollte Deutschland Edward Snowden Asyl gewähren, wollten es die amerikanischen Freunde für diesen Fall hinnehmen, wenn Terroristen in Deutschland Massaker veranstalteten.. Glaubt jemand ernsthaft an diesen Unsinn? Niemand kennt den genauen Wortlaut der Antwort von Sigmar Gabriel an Glenn Greenwald, und Gabriels Sprecherin bügelt ab. Leise rieselt der Streisand und am Ende wird schon was dran sein. So wird die "abstrakte" alltägliche Gefahr täglich etwas größer und abstrakter.

*** Ja, Sigmar Gabriel, der ehemalige Pop-Beauftragte der SPD, hat es nicht leicht. Einerseits ist er Wirtschaftsminister in einer Regierung, in der seine Chefin wirtschaftet, indem sie adrett die Hände hält. Andererseits will er irgendwann einmal Wahlen gewinnen und muss dafür ein Profil haben. Auf der CeBIT mit den Chinesen herumlaufen und über Industrie 4.0 zu reden, genügt dafür nicht. Auch die schönen Memos von Firmen wie Microsoft reichen nicht aus, denn alles, was mit dem Internet der Dinge kommt, hat auch damit zu tun, dass klassische SPD-Milieus weiter dequalifiziert werden und sei es als 4.0 Fachwerker, dem Videos und Fotos vorführen, was er da zusammensetzen soll. So schmuck es sein mag, wenn sich der Wirtschaftsminister mit dem achtreichsten Mann von Deutschland auf Sofas niederlässt, so wird daraus noch längst kein neues Programm. Dies merkt der erfahrene Politiker selber und so gehört es zu den Seltsamkeiten dieser Woche, dass er seine SPD als Aufpasserpartei präsentiert, die sorgfältig darauf achtet, dass all die Punkte im Koalitionsvertrag abgearbeitet werden. Die Konsequenz liest sich in der Süddeutschen Zeitung dann so:

"Sigmar Gabriel führt seine Partei, aber ihm fehlen der Wille und die Vorstellung, mit seiner SPD das Land zu führen. Hinter der herzhaften Rustikalität, die er ausstrahlt, verbirgt sich entschlossene Unentschlossenheit. Gabriel hat Kraft, aber keine Stärke; er verwechselt Pose mit Haltung. Er ist präsent, aber er präsentiert keine Botschaft."

*** Dem präsenten Sigmar Gabriel ist auch nicht wirklich damit geholfen, dass er von einer dankbaren Kanzlerin zum Ehrenmitglied der Union erhoben wird, für seine unermüdliche zupackende Art, alle drei Tage die Generalsekretärin der SPD zu rupfen, wenn seine Argumente in Sachen Vorratsdatenspeicherung mal wieder nicht zünden wollen. Da war doch diese wunderbare Argumentation, dass gespeicherte Vorratsdaten zwar nicht Verbrechen verhindern, aber doch bei der Aufklärung helfen können beim Mord an der sozialdemokratischen Jugend:
"Das ist die Erfahrung gewesen der Norweger bei dem Attentat von Herrn Breivik, einem rechtsradikalen Attentäter, auf sozialdemokratische Kinder und Jugendliche in einem Zeltlager. Da wird immer behauptet, das hätte gar nicht stattgefunden - das ist falsch, wir haben die Norweger gefragt. Und das gilt auch in vielen anderen europäischen Staaten. Ich glaube also, dass wir wegmüssen von so einer ideologischen Debatte. Und ich meine, wir erleben doch gerade, dass die Welt ziemlich gefährlich geworden ist und dass die Gefahren aus anderen Teilen der Welt zu uns importiert werden."

*** Geht es noch dümmer und ideologischer? Eine ziemlich gefährliche Welt, in der die Gefahren dazu noch aus anderen Teilen der Welt "zu uns importiert" werden. Es geht. Mit einer Richterin, gar einer wachechten Präsidentin des Bunderichtshofes, die im Interview die offenbar aktuell stattfindende Praxis der Vorratsdatenspeicherung so beschreibt:
"Dass Daten zurzeit in anderen Ländern abgefangen und dann für das deutsche Strafverfahren zu Nutze gemacht werden, ist sicher nicht die richtige Antwort auf das Problem."

*** Irgendwo in Frankreich oder in der Schweiz oder in sonst einem Land, wo die Vorratsdatenspeicherung gelebte Praxis ist, werden Daten für deutsche Ermittler abgefangen, aufbereitet und für deutsche Strafverfahren zur Nutze gemacht, davon ist zumindest Bettina Limpberg überzeugt. Dass diese Art der internationalen IT-Auftragsverarbeitung auch noch rechtens sein kann, scheint jedenfalls kein Problem zu sein, sonst hätte die erfahrene Juristin nicht Strafverfahren erwähnt, in denen dies praktiziert wird. Sachdienliche Hinweise, um welche Verfahren es sich handeln könnte, nehme ich gerne entgegen, zur Not auf einem bekannten dunklen Parkplatz im Norden von Hannover. Denn dann könnte man sich so manche Bundestagsdebatte zum Thema Vorratsdatenspeicherung schenken, auch wenn es immer wieder apart ist, wie zunehmend Delikte auftauchen, "die auch (bei) Normalbürgern erheblichen Schaden anrichteten und für die es ohne IP-Adressen keinen Ermittlungsansatz gebe". Schwerste Straftaten und terroristische Absichten? Das Internet der Dinge kommt, da müssen noch ganz andere Sachen ermittelt werden, wenn erst einmal hartnäckig schweigende Sensoren von erfahrenen Kriminalisten zum Reden gebracht werden als virtuelle Zeugen. Man stelle sich nur intelligente Ventile vor, die Fotos von der Raumkamera abrufen, wenn jemand an den Wasserhähnen fummelt.

*** Dieses Internet der Dinge kam auf der CeBIT wunderbar an, nicht nur in der heise show. Die Nerds haben etwas zum Basteln, den Behinderten wird geholfen und das bisschen Überwachung, da werden Datenschützer schon das richtige Machtwort sprechen. Ach, werden sie? Vielleicht werden sie nicht einmal gefragt, wenn es ans Vernetzen der Dinge geht. Der technische Datenschutz soll ja vom Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) kommen und seinen technischen Richtlinien. Allein bei den Smart Metern hat das BSI ein gutes Dutzend Richtlinien veröffentlicht, die als Pionierarbeit gelten, von den Smart-Meter-Zählern über die Smart-Meter-Gateways bis hin zu den Zählpunkten. Es lohnt sich, einmal mit den Richtlinien des BSI bewaffnet das Stadtwerk einer mittleren Stadt anzusehen. Da müssen für jeweils 100.000 Einwohner angenommene 50.000 Zählpunkte und im Schnitt ein Smart-Meter-Gateway pro 10 Zähler bereitgestellt werden. Das bedeutet nach den Vorgaben des BSI: 15.000 Smart-Meter-Zertifikate für die Gateways (drei pro Gateway), die alle obendrein alle zwei Jahre erneuert werden müssen. 5000 TLS-Zertifikate für die Authentifizierung der Gateways im Home Area Network (HAN). Alleine so sind 20.000 gültige Zertifikate notwendig. Setzt man auf Verbraucherseite ebenfalls Zertifikate (auf Smartcards) ein, kommen 50.000 Zertifikate hinzu. Bei 100.000 Einwohnern muss also eine PKI mit 70.000 Zertifikaten unterhalten werden. Große Städte werden nicht umhinkommen, eigene Trustcenter zu betreiben, um den enormen Kostenfaktor senken zu können. Ein Traum für große wie kleine Techniker.

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*** Doch halt, das BSI bewertet nicht nur die Smart Meter, sondern viele andere Sachen auch. Sollte die Software zur Quellen-TKÜ erst einmal funktionieren, so ist das BSI die Instanz, die prüfen muss, ob die Vorgaben der standartisierten Leistungsbeschreibung eingehalten werden. Dementsprechend begleitet das BSI seit den Tagen von Innenminister Schäuble die Entwicklung des Programmes, das vor der Verschlüsselung oder nach der Entschlüsselung der "Gesprächsquellen" ausleitet. Das soll nun ein Skandal sein, meint Netzpolitik. Kommentare, die die Arbeit des BSI bewerten und fordern, dass die wichtigste deutsche Sicherheitsbehörde aus dem Geschäftsbereich des Innenministeriums herausgelöst werden muss (wie übrigens auch der Bundesdatenschutzbeauftragte), werden als geschmacklose  Entgleisungen bewertet. So geht Satire, ganz ohne Stinkefinger.

Was wird.

Gibt es ein Leben nach der CeBIT? Nach dieser wunderbaren Messe in einer wunderbaren Stadt bleibt nur Tristesse übrig und man sehnt sich nach Australien, wo die Party in Sydney weitergeht. Der Schwung ist da, das Perpetuum Mobile kommt aus Hannover. Wenn es denn mit dem Internet der Dinge nicht mehr klappen sollte, bleibt immer noch Bayern übrig, das in Brüssel die Terrorbekämpfung anleitet, kurz vor Elmau.

Quelle : www.heise.de
Titel: 4W: In dem sich das veröffentlichte Leben von seiner zynischen Seite zeigt.
Beitrag von: SiLæncer am 29 März, 2015, 07:39
Wenn Ungewissheit nur durch immer noch peinlichere Fragen überdeckt werden soll, reicht Fremdschämen schon nicht mehr aus, befürchtet Hal Faber. So bleibt nur der Versuch, die Leere auszuhalten, auch wenn der Himmel über uns in Wirklichkeit nie leer ist.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war. >

(http://1.f.ix.de/imgs/18/1/4/5/6/9/0/2/Astronaut-5487b79f7dd50a5e.jpeg)
*** Ja, so ist das im Leben. Manche wollen Astronauten werden (und landen bei Accenture), manche Piloten, und manche was ganz und gar Verrücktes wie Medienethiker (was ich bislang für ein besonders blödes Oxymoron hielt). So kommt es, dass nach dem von einem angeblich psychisch kranken Piloten herbeigeführten Absturz eines Linienfluges der Absturz der Medien begann, unter eifriger Begleitung durch "Experten" und "Nachbarn". Längst war da die medizinische Diagnose im Kasten, obwohl befragte Mediziner wieder und wieder vor voreiligen Schlüssen warnen. Doch egal, es war eine Depression und der Pilot ein Amokflieger, was zusammen auch das Zeug zu einem Oxymoron hat. Die Witwenschüttler unter meinen Kollegen werden sich bald wieder an nichts erinnern können oder treuherzig versichern, doch nur zu schütteln, weil es denn die Leserinnen und Leser so wollen. Das Ganze übrigens nicht auf die "privaten" Medien beschränkt, auch öffentlich-rechtliche zeigten sich von ihrer zynischen Seite, wie dieser kleine Twitter-Dialog beweist:

@hrinfo Nach #Germanwings-Absturz: Stimmung an deutscher Börse eingetrübt. #Lufthansa-Papiere verlieren mehr als 4 Prozent an Wert.

Leser: Nehmt mal einen Grundkurs in journalistischem Anstand. Bitte.

@hrinfo Können wir den bei Ihnen buchen?

*** Auch die newstips@heise.de bekamen nach dem Absturz von 4U9525 etliche Hinweise wie die nach den doch seltsamen Youtube-Vorlieben des Piloten oder die Geschichte zum Absturz von Egypt Air 990, weil da ein islamistischer Hintergrund auftauchte. So gesehen könnte man eigentlich froh sein, dass heise online ein technisch orientierter Nachrichtenticker ist, doch auch das ist zu kurz gegriffen im Getöse besinnungsloser Mitmedien, die anfangs über all die technischen Ursachen spekulierten, die es dann doch nicht waren – und die eine große Wochenzeitung zu einem ebenfalls unfassbar peinlichen Schnellschuss verleiteten. Und natürlich gibt es auch im Lichte der neuesten Erkenntnisse ernsthafte IT-Fragen wie die, dass eine pilotenlose Maschine, im Sinne der Asimovschen Gesetze programmiert, niemals in den Berg fliegen könnte, selbst wenn der ausdrückliche Befehl eines Menschen dies vorgeben würde. Aber dies lässt sich aus anderem Anlass und unter anderen Vorzeichen weit besser diskutieren als in diesen Tagen, daher schwieg der Newsticker hier trotz all der ernstgemeinten als auch der verschörungstheoretisch verschwurbelten Newstipps. Auf der nach oben offenen Skala idiotischer Vorschläge dürfte dagegen der Vorschlag des CDU-Politikers Jarzombek, Web-Cams in Flugzeugen zu installieren, ganz hoch oben stehen. Bodenkontrolle für das Cockpit, das bringt genau welche zusätzliche Sicherheit?

*** So schießen die Spekulationen ins Kraut, wobei die Frage bleibt, welches Kraut da eigentlich konsumiert wird, wenn es unter der Überschrift Furchtbares Geheimnis heißt: "Wäre die Gesundheitskarte in vollem Umfang eingeführt worden, so sagen ihre Befürworter, dann hätten die verschiedenen Ärzte, die Andreas Lubitz behandelten, voneinander gewusst, dann hätte der Fliegerarzt ihn womöglich nicht tauglich geschrieben." Wo genau wird auf der elektronischen Gesundheitskarte die Arztadresse gespeichert – oder sind es doch zentrale Patientenakten, die da herbeiphantasiert werden? Am Ende tötete dann auch noch der deutsche Datenschutz die Passagiere und Besatzungsmitglieder von 4U9525. Interessanterweise fehlen in dem Getöse Artikel, die in die Gegenrichtung blicken. Wie genau würde die fünfjährige Speicherung von Flugpassagierdaten bei innereuropäischen Flügen hier weiter helfen? Meldungen über den bundesweiten Protest gegen die neue Variante laufen unter Kiezleben. "Scannt mein Gepäck und nicht mein Leben" ist als offizieller Slogan freilich auch etwas neben der Spur.

*** Scannt unsere Kennzeichen! Die Ausländermaut ist am Freitag vom Bundestag beschlossen worden, der Bundesrat ist dabei angeblich außen vor, da es um Bundesstraßen und Autobahnen geht. In letzter Minute beschloss der Verkehrsausschuss am Mittwoch, dass "Synergieeffekte geschaffen" werden sollen. Doch wie die aussehen sollen, wird erst klar, wenn man den ursprünglichen Mautplan kennt: Die Planung, dass die Maut-Verbuchung bei deutschen Autofahrern künftig vom KFZ-Bundesamt durchgeführt wird, ist vom Tisch, eben wegen dieser Synergieeffekte. Auf deutsch Kosteneinsparungs-Knaller. Die Privatfirma, die von den Ausländern das Geld einkassieren soll, wird auch für deutsche Autofahrer zuständig sein, weil das einfach billiger ist, wegen dieser Synergieeffekte. Der Zuschlag erfolgt in freihändiger Vergabe durch den Verkehrsminister, weil bis zum avisierten Start der Maut im nächsten Jahr keine Ausschreibung zu bewältigen ist. Zwei Favoriten sind im Rennen, hier Toll Collect, dort AGES. Den Zuschlag erhält, wer das günstigste Angebot zum Scannen und Speichern der KFZ-Kennzeichen abgeben kann, komplett mit Ausleitfunktion der Vorratsdaten für Polizei und Zoll und einem Richtervorbehalt für die besorgten Datenschützer.

*** Natürlich kann die wichtigste Nachricht dieser Woche nur von einem Techniker kommen. Klaus Landefeld erklärte klipp und klar, dass der Bundesnachrichtendienst freie Hand bei der Internet-Überwachung hat, also keiner wie auch immer gearteten Kontrolle der Arbeit hinter seiner Cockpit-Tür unterliegt. Diese Diagnose kommt nicht überraschend, doch sie hat es in sich, wenn man die zweite Anhörung des NSA-Untersuchungsausschusses hinzufügt Man stelle sich vor: Da gibt es einen ehemaligen Vorsitzenden der parlamentarischen G10-Kontrollkommission, der von der Existenz einer Abhhöraktion erst aus der Presse erfahren konnte. Übersteigt das die Vorstellung von Kontrolle? Muss man nicht eher von einer Unkontroll-Unkommission reden, die von einer von einer psychosomatischen Erkrankung des politischen Körpers kündet. Die Überwachung in Deutschland, schreibt der Historiker Josef Foschepoth, war niemals ein vorübergehendes Ereignis, "sondern ein anhaltender, immer schwieriger und komplexer werdender politischer Prozess", der die Entwicklung der Bundesrepublik nachhaltig geprägt habe und bis heute präge. Noch ist die letzte Steigerung nicht erreicht, die heimliche Überwachung der Kontrollkommission durch den BND oder den Verfassungschutz – oder ist sie nur noch nicht bekannt geworden? In den USA gab es ja im Vorfeld der Veröffentlichung des CIA-Folterberichtes den unschönen Vorfall, dass der CIA die Kommission überwachte. Die Konsequenzen sind bekannt und vom CIA-Chef Brennan in einer Direktive festgelegt: Keine Verurteilung der Täter, sondern die Einrichtung eines Directorate of Digital Innovation, damit der nächste Schnüffelangriff besser getarnt ist und möglichst nicht auffliegt.

*** Wo bleibt das Positive angesichts solcher Nachrichten? Es kann nur von dem größten lebenden Kolumnisten Deutschlands kommen, dem wir die die mautnahe Erkenntnis verdanken, dass eine Überraschung eine Art Hinterhalt ist, nur schlimmer. Vor 10 Jahren konnte das Geburtstagsständchen für Harry Rowohlt punktgenau landen, heute ist es leicht verspätet. Was auch nichts macht, wenn die richtigen Freunde lange vorab gratulieren oder nur ganz kurz vorher. "Zum Licht empor mit klarem Blick, ein Vorwärts stets, nie ein Zurück, dann hat das Leben Zweck und Ziel. Wer Großes will, erreicht auch viel." Harry Rowohlt hat Großes erreicht. In diesem Sinne kann angesichts der bevorstehenden Umschaltung auf die Osterzeit und den herbeibrausenden Frühling nur ein Gesumm gebrummt werden, von Winnie der Pu:

Der Kuckuck gurrt auf keinen Fall,
Er kuckt und kuckt nur überall,
Und Pu macht ›Pu!‹ mit lautem Knall
Wie ein Vogel am Himmel.

Was wird.

Zum Tag der Pressefreiheit gibt es im Vorfeld viele Veranstaltungen, angefangen mit der De-Fragmentierung bei der LiMA. Eine sticht mit ihrer Frage besonders hervor in diesen Absturz-Tagen, formuliert von Reporter ohne Grenzen: "Wieviel Medienschelte verträgt Pressefreiheit?" Ich kannte bislang den in der Juristerei gültigen Begriff der Richterschelte und Politikerschelte als abgewandelte, ironische Form. Doch nun geht es zur Sache, denn Medienschelte kommt nicht umsonst, sondern gleich mit dem drohenden Untergang der Medien, ehemals auch vierte Gewalt genannt. Sei's drum, denn nun geht es um mehr als um die "Freiheit von zweihundert reichen Leuten, ihre Meinung zu verbreiten".

(http://3.f.ix.de/imgs/18/1/4/5/6/9/0/2/De-CIX-fcbdb1425b57920a.png)
"Irgendetwas läuft falsch in der Beziehung zwischen Journalisten und ihrem Publikum. Die Symptome sind unverkennbar: Grassierendes Misstrauen etwa in die Ukraine-Berichterstattung, Shitstorms in den Diskussionsforen von Qualitätsmedien, Manipulationsvorwürfe bis hin zur vergifteten Parole von der 'Lügenpresse'. Doch was sind die Ursachen für diese Phänomene? Wie lässt sich ihnen begegnen? Wann schlägt Kritik an medialer Deutungsmacht in eine Gefahr für die Pressefreiheit um?"

Fragen über Fragen. Und der Himmel über uns so leer.

Quelle : www.heise.de
Titel: 4W: Von den Fehlern der Vergangenheit
Beitrag von: SiLæncer am 12 April, 2015, 06:00
Aus den Fehlern der Vergangenheit für die Zukunft lernen, das wär mal was. Doch die Gegenwart lehrt uns, dass es nicht ganz so einfach ist, auch nicht für Hal Faber.



Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Dort, wo der Horizont unter der Brücke beginnt, weiden Kühe. Man könnte zu ihnen kraxeln, nur um eine weitere Weide mit Kühen zu sehen, denn hier ist tiefste Provinz, hier ist Unort. Es gibt ein Entkommen, sagt die aufgestelzte Brücke und der Ro 80 steht bereit, eine der beiden Richtungen zu nehmen und die Tristesse hinter sich zu lassen. Adrett und linkisch zugleich wankelt der Sohn, vom Papa exakt in der Mitte festgehalten.

*** In der deutschen Provinz zu Paderborn entstanden bei Nixdorf Computer, hier war der Erfindergeist zu Haus, bereit, die Welt zu erobern und die Tristesse hinter sich zu lassen. Ja, was soll all das Geplappere über Microsoft und Bill Gates, dessen BASIC doch nur abgekupfert war, wenngleich es nach Einschätzung von Gates eine große Leistung war, dies für den 8080er geschafft zu haben, in der Provinz von Albuquerque. Es war das kleinste. Doch halt, nicht alle sind dieser Ansicht und schreiben wider den Papageienjournalismus:

Nicht zuletzt in der Historie europäischer IT-Entwicklungen schlummern kaum bekannte Schätze, von denen auch das Silicon Valley profitierte. Ich habe bereits in den 60er Jahren bei Telefunken gejobbt und während der Altair erschien, arbeitete ich im Forschungszentrum der Nixdorf Computer AG. Seitdem beschäftigt mich auch die Frage, wie es geschehen konnte, dass einstmals technisch führende Unternehmen so rasch untergingen. Museen, Kuratoren und Journalisten sollten sich bei technikhistorischen Arbeiten der Möglichkeit bewusst sein, dass heute existierende Unternehmen und Politiker vieles aus den Fehlern der Vergangenheit lernen könnten.

*** Aus den Fehlern der Vergangenheit für die Zukunft lernen, das wär mal was. Doch die Gegenwart lehrt uns, dass es nicht ganz so einfach ist, lernend von der Provinz hinaus zu den Sternen zu gelangen. Selbst am Tag des Kosmonauten müssen wir die Grenzen sehen, dies im Unterschied zu unserer Regierung, die auch im Weltraum ungehindert schnüffeln will. Immerzu gibt es Umwege und Holzwege und dann sind da noch die Anderen in diesem Internet. Über Umwege hat es die unverzagte Chelsea Manning nicht nur geschafft, Guardian-Autorin zu werden, sondern ist seit dieser Woche auf Twitter präsent. Dazu kann man ihr eigentlich nur das Glück wünschen, nicht den Transgender-Hassern zu begegnen, die das schönste deutsche Diskussionsforum vandalisierten, weil es um Dinge ging, die nicht ihrem reaktionären Menschenbild entsprechen.

*** Zum dritten Mal in der Geschichte von heise online musste ein Forum zu einem Artikel geschlossen werden, weil dieser Artikel Anlass für ausfällige, üble Kommentare war. Anders als Sascha Lobo zu glauben scheint, ist dies kein deutsches Phänomen, sondern kann überall im Internet gesichtet werden, etwa bei der Verunglimpfung von Monica Lewinsky. Wir sollten uns von dem Gedanken verabschieden, dass Nerds oder sonstwie an IT interessierte Menschen besonders tolerant sind und sachlich diskutieren können. Dabei ist ein offenes Forum mit einem größtmöglichen Maß an Freiheit, wie hier begründet, eine wichtige Sache. Nicht jedem müssen alle Kommentare schmecken, aber das gehört dazu zur großen Freiheit. In diesem Sinne sei die Beobachtung zitiert, die der wissenschaftliche Leiter der Hacker Foundation einst niederschrieb:

"Eher werden die Menschen ans Unvermeidliche fixiert als verändert. Vermutlich macht das Internet sie nochmals zu dem, was sie ohnehin sind, nur noch mehr so, als sie es ohnehin sind. Das entspräche der wirtschaftlich begründeten Gesamttendenz der gegenwärtigen Gesellschaft, in ihren Bewusstseinsformen nicht länger über sich selber, den status quo hinauszugehen, sondern diesen unablässig zu bekräftigen und, wo er etwa bedroht dünkt, wiederherzustellen. Der Druck, unter dem die Menschen leben, ist derart angewachsen, dass sie ihn nicht ertrügen, wenn ihnen nicht die prekären Leistungen der Anpassung, die sie einmal vollbracht haben, immer aufs neue vorgemacht und in ihnen selber wiederholt würden."

*** In der vorigen Wochenschau erwähnte ich die kühne Aussage des SPD-Chefs Sigmar Gabriel, der da zu glauben scheint, dass eine Vorratsdatenspeicherung die NSU-Mordserie nach den ersten Taten verhindert hätte. Nachzutragen ist an dieser Stelle, dass sehr wohl Daten vorhanden waren, wie es dank einer Anfrage des Bundestags-Abgeordneten Andrej Hunko von der Linksfraktion bekannt wurde: 20 Millionen Datensätze aus Funkzellenabfragen und 14.000 Bestandsdaten der Anschlussinhaber wurden von der "besonderen Aufbauorganisation" Bosporus untersucht, doch weil partout von "Döner-Morden" phantasiert wurde, nutzten die Datenberge genau gar nichts. Immerhin: jetzt sind sie nützlich, um den SPD-Chef als Ignoranten zu überführen, der seine Argumente nicht mal überprüfen lässt. Das Unwort der Döner-Morde wurde passend zur Untat von der deutschen Presse verbreitet, die damit kein Ruhmensblatt füllte.

*** Marokkanische oder algerische Islamisten sollen versucht haben, den Fernsehsender TV5 zu übernehmen. Dabei sollen leicht zu erratende Passwörter eine Rolle gespielt haben. Zu den besseren Nachrichten dieser Woche gehörten nicht nur die Penisdialoge von Whistleblower Edward Snowden und Komiker John Oliver, sondern ein kleines Gespräch über Passwörter und Passphrasen, das separat veröffentlicht wurde. Oliver befragte Snowden über die Sicherheit verschiedener Passwörter und dieser antwortete ganz im Sinne des Bundeskriminalamtes mit seinen Vorschlägen zu "Sicherheit und Aufbau von Passwörtern", dass etwa "MargaretThatcheris110%SEXY" eine Phrase wäre, die besseren Schutz bieten könne. Was Oliver wiederum völlig egal ist. Besser kann das Dilemma in der IT-Sicherheit nicht ausgedrückt werden.

*** Die letzte Ergänzung zur abgelaufenen Woche betrifft nicht unbedingt Margaret Thatcher, doch die Praxis der Massenüberwachung in Großbritannien, gegen die Amnesty International klagt, begann unter Thatcher, die die Geheimdienste anwies, die Gewerkschaften auszuspionieren. Seit Mittwoch werden in Großbritannien wieder die Pässe von Ausreisenden kontrolliert, die die Fähren oder den Eurotunnel benutzen. Die Exit Checks werden in einer Datenbank gespeichert, die locker die Speicherung der Passenger Name Records (PNR) überschreitet, gegen die gestern demonstriert wurde: 100 Millionen Daten pro Jahr werden von Menschen gespeichert, um 150.000 "Overstayer" zu finden, die länger bleiben, als vom Visum her erlaubt ist. Besonders bemerkenswert: Nicht Grenzbeamte kontrollieren und speisen die Daten ein, sondern Angestellte der Fähren- und Zugunternehmen. Diese dürfen dafür die Daten zu Marketingzwecken analysieren. Ein Wirtschafts-Ankurbelungsplan, wie er auch von unserem auf Vorrat irritierenden Wirtschaftsminister Gabriel stammen könnte.

Was wird.

Hat Kuba seinen 9. November erlebt? Der historische Händedruck ist nett, doch ohne weitere Schritte nur eine Art des Bakterientausches und ein Schlag in die Magengrube der USA. Da gibt es einen Pachtvertrag, über den sie verhandeln und ein historisches Übel beseitigen könnten. Start-Ups stehen bereit, dieses Internet auf Kuba auszuweiten.

Was mit der Provinz begann, endet mit der Provinz: Gleich neben Paderborn liegt Bielefeld, auch wenn das mancher nicht recht glauben will. Dort werden am kommenden Freitag wieder einmal die Big Brother Awards vergeben. An geeigneten Kandidaten dürfte in vielen Kategorien kein Mangel herrschen, schließlich enthüllten die Snowden-Häppchen wie die Arbeit des NSA-Untersuchungsausschusses so manches preiswürdiges Detail der Arbeit deutscher Behörden und Dienste. Auch die Wirtschaft wird sich nicht lumpen lassen, wie bei den Biotechnologie-Firmen zu sehen ist, die zum Start der Medizinmesse ConHIT am Dienstag an die Tröge drängt.

Nur finanziell sieht es mau aus für Digitalcourage, die die Gala zur Preisverleihung veranstaltet. Diese soll 35.000 Euro kosten, die längst noch nicht gedeckt sind. Denn hinter den Datenschutzaktivisten steht keine fette Nixdorf-Stiftung oder Stiftung Westfalen. So schließt diese Wochenschau leicht bettelnd und mit einem dieser geflügelten Sätze aus der Provinz, direkt vom Fotografen: "Vor dem Himmel kommt das Leben auf Erden, und da gilt es, eine soziale Gesellschaft aufzubauen."

Quelle : www.heise.de
Titel: 4W : Von Daten, Daten und nochmals Daten.
Beitrag von: SiLæncer am 19 April, 2015, 07:37
Neusprech macht intelligent. Und Daten sowieso. Oder so. Hal Faber möchte manches Mal verzweifeln, weil es doch so kommt, wie immer gewarnt wurde und niemand glauben wollte.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Damit nicht auffällt, dass ein Schreibalgorithmus das WWWW produziert, beginnt die kleine Wochenschau nicht mit den wieder aufgetauchten Untoten, sondern mit einer kleinen Nachricht, die bereits gemeldet wurde: Die strenge Zweckbindung der LKW-Maut soll aufgehoben werden. Vergessen sind die Beteuerungen der Parlamentarier bei der Verabschiedung des "Bundesfernstraßenmautgesetzes", dass so etwas niemals passieren wird. Inmitten der Debatte um die neue Achslastbemautung ab 2018 soll ein Passus in die Reihe der Mautverordnungen, der die Daten für Dritte freigibt. Zur Begründung der "Nutzbarmachung" müssen natürlich Startups her, die die Daten kaufen. So bewahrheitet sich einmal mehr, dass es neben dem Grundgesetz für Abgeordnete ein Untergrundgesetz mit einem kantigen Imperativ gibt: "Denk an Deine Zukunft!" Natürlich leise und lächelnd, nicht laut, da tönt es denn ganz anders, übrigens nicht einmal mit LKW-Bezug, weil bei der kommenden PKW-Maut auch eine Nutzbarmachung nützlich sein kann:

"Mautdaten geben uns Informationen über die Verkehrslage. Ihre Analyse wird zu einer besseren Vorhersage von Staus führen. Durch intelligente Verkehrsleitsysteme können die Verkehrsströme besser gesteuert werden. Dies wird Staus erheblich reduzieren und somit auch einen großen volkswirtschaftlichen Nutzen mit sich bringen. Ebenso könnten in Zukunft auch Startup-Unternehmen mobile Anwendungen entwickeln, mit deren Hilfe die Autofahrer noch intelligenter an ihr Ziel geleitet werden. Die Wissenschaft hat nun die Aufgabe, mit den Daten neue Möglichkeiten zur intelligenten Verkehrslenkung zu erforschen.

*** So strömen die Worte im fließenden Neusprech und wir werden immer intelligenter. Der Fall LKW-Maut illustriert, was bei der neuen, ebenso schicken wie "grundrechtsschonenden" Leitlinie zur Vorratsdatenspeicherung noch passieren wird. Die Speicherung unser aller Daten wird ausgedehnt und die schwersten Straftaten werden immer leichter, bis hin zum Schwarzfahren mit der S-Bahn. Aus der Erforschung des kommunikativen Verhaltens von Schwerkriminellen (die natürlich sechs Monate Daten braucht) leitet sich bruchlos die Bevorratung mit allen Standortdaten ab. Bereits jetzt ist die Ausweitung auf Einbruchsdelikte als bayerischer Vorschlag im Gespräch. Die Koppelung der Vorratsdaten und Funkzellenabfragen mit der wissenschaftlichen Vorausanalyse im Namen der Sicherheit wird kommen. So und nicht anders denkt ein Überwachungsstaat. Und das wird erst der Anfang sein.

*** Betrachtet man die hübsche Infografik zur Höchstspeicherfrist, so fällt das mit einem Parkverbot überlegte Diskettenlogo auf. Es soll symbolisieren, dass keinerlei Kommunikationsdaten auf Disketten gespeichert werden, was besonders grundrechtsschonend ist, da Disketten mittlerweile Mangelware sind. Ansonsten gibt es ja die ebenso schicke wie praktische Telekommunikationsüberwachung, dank der man ja E-Mail speichern kann, ganz ohne Höchstspeicherfrist. Wobei auch die TKÜ nicht immer hilft und durch Kommissar Zufall Unterstützung erhalten muss, wie ein Heise-Leser berichtet.

*** Gleich zwei deutsche Minister (und das Heer ihrer Jura-Experten) sind der Meinung, dass diese Höchstspeicherfrist der Daten aller Bürger nicht von den Gerichten gekippt werden kann. Im Schönsprech klingt das so: "Das Ergebnis ist wirksam und maßvoll zugleich und hält die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts und des Europäischen Gerichtshofs ein." Das wird sich zeigen, denn der Gang nach Karlsruhe ist vorprogrammiert. Zudem widerspricht die Vorratsdatenspeicherung klar der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes, in der die die anlasslose Datenspeicherung von Personen gerügt wurde, "bei denen keinerlei Anhaltspunkt dafür besteht, dass ihr Verhalten in einem auch nur mittelbaren oder entfernten Zusammenhang mit schweren Straftaten stehen könnte".

*** Kinder, wie die Zeit vergeht: David Boie ist der Rechtsanwalt, mit dem die Untoten von SCO in einer unendlichen Prozessgeschichte Geld im großen Stil von der IT-Branche abpressen wollte. Das ist lange her, aber nun ist Boie mal wieder im Gespräch. Der Grund ist ein Brief an US-Medien, in dem er davor warnt, die von Wikileaks veröffentlichten Daten des Sony-Hacks zu veröffentlichen. Sie enthalten viele persönliche Details, die von Wikileaks ohne Schwärzungen veröffentlicht wurden. Dafür gab es deutliche Kritik, bis hin zur Charakterisierung als Lächerleaks. Aber vielleicht ist Julian Assange einfach langweilig. Die Begründung von Wikileaks, warum die Sony-Dateien wichtig sind, ist jedenfalls ungewöhnlich schwach und argumentiert mit der Kumpanei von Großer Politik und Hollywood. Der Drohbrief von Boies ist interessant: Wer im Namen der Freien Rede Dateien aus dem Sony-Konvolut veröffentlicht, macht sich zum Handlanger von Nordkorea, das die Meinungsfreiheit bekämpft und den Rummel um Menschenrechte so gar nicht verstehen will.

*** Mit Günter Grass ist einer gestorben, der mitunter gute Bücher schrieb, mitober sich aber einmischte, wenn es um Menschenrechte ging. Zuletzt mischte er sich ein, als es um die Menschen an der Südküste unseres Abendlandes ging. Gebessert hat sich nichts, das Schlechte triumphiert, es ist eine Schande. Europa schützt sich vor Flüchtlingen mit toten Flüchtlingen in einem Mittelmeer, in dem vor vielen hundert Jahren der herumirrende Odysseus so mit Gastgeschenken überhäuft wurde, dass Poseidon sich beschwerte. Und putzig treiben die Leichen.

Was wird.

Beschwerden gab es zum letzten WWWW, weil es doch keine Hacker Foundation mehr geben würde und es deshalb auch keinen "wissenschaftlicher Leiter" dieser Truppe geben könnte. Tatsächlich habe ich meine hochgeschätzten Leserinnen und Leser mit einem sed 's/Fernsehen/Internet/g' beschummelt. Als wissenschaftlicher Leiter der Hacker Foundation hatte Theodor W. Adorno den zitierten "Prolog zum Fernsehen" im Jahre 1953 geschrieben. Mit sed werden seine Beobachtungen recht zeitgemäß:

"Was aus dem Internet werden mag, läßt sich nicht prophezeien; was es heute ist, hängt nicht an der Erfindung, nicht einmal an den besonderen Formen ihrer kommerziellen Verwertung sondern am Ganzen, in welches es eingespannt ist.

Die re:publica kommt und hat ihren ersten Fahrplan veröffentlicht. Am letzten Tag spricht Zygmunt Bauman, der geneigten LeserInnenschaft bei Heise als "Pfeife paffender Grandseigneur der Soziologie" vorgestellt. Baumann ist Träger des Adorno-Preises und hat einen der wichtigsten Dialoge zur Überwachungsgesellschaft mit David Lyon geführt, der gerade in der Berliner Gazette seine wunderbare Gedanken über das Zusammenleben in der Post-Snowden-Welt veröffentlicht hat. Man sollte sie auf Vorrat speichern, denn dieser unser deutsche Überwachungsstaat könnte noch auf die bewährte deutsche Idee kommen, Schrifttum zu verbieten, das den Überwachungsphantasien von Maas und de Maizière den Krieg erklärt. Politiker, die es für ihre Pflicht halten, eine ganze Gesellschaft unter Verdacht zu stellen, können auf seltsame Gedanken kommen. Nun aber Baumann, der gar nicht so weit von Adrono entfernt ist, wenn er die Überwachung (und die Verfügbarkeit von Ladestationen auf der re:publica) kommentiert:

"Wie die Schnecke, die ihr Haus immerzu bei sich trägt, so müssen die Beschäftigten in der schönen neuen flüchtig-modernen Welt ihr jeweils persönliches Panoptikum selbst hervorbringen und auf dem eigenen Buckel mitschleppen. Sie sind uneingeschränkt verantwortlich dafür, sich selbst im gebrauchsfähigen Zustand zu halten und ihren störungsfreien Betrieb zu gewährleisten [ wer sein Mobil- oder Smartphone zu Hause lässt, um einen Spaziergang zu machen, und sich damit der lückenlosen Verfügung seines Vorgesetzten entzieht, kann in ernsthafte Schwierigkeit geraten.

Quelle : www.heise.de
Titel: 4W: Von Selektoren, Blabla und dem alltäglichen analogen Denken
Beitrag von: SiLæncer am 26 April, 2015, 07:00
Der Weg der Disruptierenden zum Ruf nach einem Führer scheint nicht weit. Und der Widerstand? Wenn die Gesellschaft in die Hände digitaler Führer fällt, helfen manchmal nur analoge Gegenmittel , und wenn es Taubenscheiße ist, meint Hal Faber.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Journalismus ist Bla, war Bla und sollte Bla sein, in allen Spielarten von Bla. Man fülle bei diesem Leersatz die Variable Bla je nach Bedarf mit den großen Worten wie Objektivität, Zeitzeugenschaft, Gewissenhaftigkeit, Qualität oder Lüge, dann kann man sich an den einschlägigen Diskussionen beteiligen. Journalismus zeigt immer nur Ausschnitte, wie Negativ 7A mit dem Reporter, der ungerührt einen Film nachlädt, weil er doch das Leid dokumentieren muss. Das ist mindestens seit Egon Erwin Kisch so, dessen Reportage über das Killen von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht mit Fotomantagen von Viktor Kuron-Gogol ergänzt wurde.

*** Von diesem Vorfall um den Investor Peter Thiel gibt es ein Dutzend Smartphone-Vieos und völlig unterschiedliche Berichte, wie in Kurosawas Rashomon. Da gibt es den "machtvollen Protest gegen die Machenschaften der NSA" – wegen der Verbindungen, die eine von Thiels Firmen mit dem Apparaten des tiefen Staates unterhält. Da ist von der Entrüstung die Rede und der neuen Diskriminierung der Schwarzen und dem Protestruf "Black Lives Matter". Aber auch das Gegenstück ist zu finden, Berichte vom Protest des Publikums, das mit dem Schlachtruf "Peter Thiel Matters" die Protestierenden niederbrüllte. Da war Peter Thiel, beschützt durch seine Bodyguards, freilich längst entschwunden, nicht ohne seinen Ärger über die "typischen Berkeley-Protest-Hipster" ventiliert zu haben. Hipster, das kann man in Thiels Buch "Zero to One" nachlesen, sind durchweg gescheiterte, tragische Figuren, die als Barista hinter einer Kaffeemaschine enden. Immerhin, die ach so geschätzte Disruption wird in diesem Beispiel deutlich wie selten erfahrbar, abseits der wahren Begebenheit. Da kommen Protestierende mit einem gesellschaftlichen Anliegen und die "digitale Gesellschaft" antwortet mit dem Ruf nach ihrem Führer.

*** Wie komme ich auf das Beispiel? In Kürze startet die Großkonferenz "re:publica" in Berlin mit 6000 Besuchern und 400 Vorträgen. Im Vorfeld haben die Organisatoren die lieben Medienpartner mit Fragen zur Selbstdarstellung präsentiert. "Wie stellt Ihr Euch die digitale Gesellschaft der Zukunft vor?" Nur eine Antwort überzeugte mich, von den uraltlinken Pahl-Rugensteinischen "Blättern", seltsamerweis auf Englisch: "There is no such thing as digital society. There is only society." Wer nicht mehr bereit ist, die Gesellschaft als Ganzes zu sehen, für den ist "Peter Thiel Matters" der richtige Schlachtruf, wenn Berlin digital spricht.

*** Bis anhin glaubte ich, dass Sprache analog funktioniert, wie unser Denken, aber man muss ja ständig weiter denken in dieser Gesellschaft, in der in dieser Woche ein Grünbuch auf uns abregnete wie Frösche in Magnolia. "Wie lassen sich Werkzeuge mit Baustellen, Kisten mit Containern, Heizung und Lüftung mit dem Wetter vernetzen?" Arbeit 4.0 ist die Lösung, die Antwort auf bohrende Fragen wie: "Sitzt der LKW-Fahrer von heute auf seiner Route morgen zwar nicht am Steuer, aber als Pilot in seinem Führerhaus und überwacht die elektronischen Instrumente? Hat er übermorgen seinen Platz in einem Logistikzentrum, von wo aus er mehrere selbstfahrende LKW aus der Ferne kontrolliert?" Was Drohnenpiloten schaffen, müssen auch die Asphalt-Cowboys und Cowgirls schaffen, die im richtigen Leben aufschrecken, wenn es überall piepst. Die andächtig vor Bäumen stehen, ehe sie plattgemacht und von ihnen abtransportiert werden.

*** Dank eines Geheimvermerks gibt es bekannt gewordenene "Selektoren", die wiederum zu "Signaturen" führen und damit zum Löschen dieser Signaturen, inklusive dem Killen von Warren Weinstein und Giovanni Lo Porto. Wobei es bei allem Protest unerheblich ist, ob Ramstein beteiligt ist, denn die Satelliten-Links von Intelsat zu den Drohnen sind dreifach redundant ausgelegt. Inmitten der neu anschwellenden Verärgerung über den BND und seine Zusammenarbeit mit der NSA, die nun sogar die Bundesanwaltschaft mobilisieren soll, sei darum dank b's weblog auf die analoge Sprache verwiesen, mit der Ex-Bundeskanzler Schmidt die Arbeit der Geheimen schilderte:

"1969 wurde ich Verteidigungsminister, ich war damit auch zuständig für den Militärischen Abschirmdienst. Mein endgültiges Urteil wurde bestätigt. Deshalb habe ich mir später als Regierungschef niemals einen Bericht des BND vorlegen lassen. Ich wusste, die Einschätzung des Geheimdienstes beruhte zum Teil auf dem Abhören von Telefonen, manchmal auf Indizien und oft auf Eindrücken, die stark gefärbt waren durch die politische Präferenz des Berichtenden. Abgesehen davon: Jedermann weiß, dass die Auslandsgeheimdienste in aller Welt Dinge treiben, die nach dem dort geltenden Gesetz verboten sind. Oder sie tun, was das Gesetz befiehlt, und tun aber auch das, was das Gesetz nicht befiehlt. Deshalb sind Gremien eingerichtet worden, die kontrollieren sollen, was die Geheimdienste tun. In diesen Kontrollkommissionen sitzen Leute, die sich wichtig fühlen, aber kaum etwas ausrichten. Warum sollte ich also diese Berichte lesen? Ich habe das persönliche Gespräch mit Nixon, mit Kissinger, mit Ford und Reagan immer vorgezogen, desgleichen mit Breschnew und mit Honecker."

*** Pikanterweise stammt dieser Kommentar aus einer Zeit, als im Zuge der Snowden-Enthüllungen bekannt wurde, dass Merkels persönliche Gespräche von ihrem privaten Telefon aus von der NSA abgehört wurden. Aber auch so kommt zusammen, was zusammen kommen muss, und all das verdanken wir Edward Snowden, der ein 50 Seiten langes Entwurfspapier über Stellar Wind weitergab. Auf dieser Basis klagten US-Journalisten nach dem Freedom of Information Act und bekamen in dieser Woche ein 750 Seiten starkes Dokument aus der Regierungszeit von George W. Bush, das enthüllt, wie Gesetze gedehnt wurden, um "Assessments" von unamerikanischen Umtrieben erfassen zu können. Das ganze Ausmaß von Stellar Wind, von dem hier lange vor Snowden 180074:anno 2009 berichtet wurde, zeigt eine Demokratie-Vernichtungswaffe in Aktion.

Was wird.

Spannend wird es, wenn der Gesetzentwurf zur Vorratsdatenspeicherung veröffentlicht wird. Denn noch trüben geheime Nebenabreden das Bild, wenn Absprachen nach dem §113 des TKG-Gesetzes eingemischt werden. Doch bis zum Gesetzentwurf ist es ein langer Weg, auf dem die Leitlinien in vielen Punkten geändert werden können. Viele quengeln jetzt schon, dass die bekannten Leitlinien zu eng sind, etwa die kleine Polizeigewerkschaft und selbst der große Koalitionär. Im aktuellen Interview des Spiegels lobt BKA-Chef Holger Münch die Franzosen, die nach dem Attentat auf Charlie Hebdo vieles wussten, was in Deutschland so nicht möglich gewesen wäre. Und jammert zudem über unerfüllte Wünsche und meint, dass die Fristen der Speicherung zu kurz sein könnten: "Auch dass die E-Mail-Adressen nicht gespeichert werden, könnte eine Schwachstelle sein." Doch wo Gefahr ist, wächst das Rettende auch, seit Göte 1.0: Zum Herbst hin soll der neue Bundestrojaner, pardon, die vom BKA selbst entwickelte Software zur Quellen-Telekommunikationsüberwachung fertig sein, hurra. Diese kleine Wochenschau erscheint am Welttag des geistigen Eigentums und darum ist es recht und billig, den Spiegel-Dialog zu veröffentlichen, der sich entwickelte, nachdem Münch sich beklagte, dass 85 % der Verdächtigen verschlüsselt und dem BKA Teile der Kommunikation durch die Lappen gingen:

"SPIEGEL: Gingen? Sie reden in der Vergangenheitsform?
Münch: Im Moment ist das noch so. Aber wir entwickeln ein Instrument, mit dem wir – nach richterlicher Genehmigung – an den Computer des mutmaßlichen Täters gehen, bevor er seine Kommunikation verschlüsselt hat.
SPIEGEL: Das heißt: Der sogenannte Bundestrojaner steht kurz vor seiner Einführung?
Münch: Wir nennen es lieber Quellen-Telekommunikations-Überwachung. Im Herbst soll sie einsatzbereit sein.
SPIEGEL: Sie haben diese Spähsoftware selbst entwickelt?
Münch: Wir wollten das nicht auf dem freien Markt einkaufen."

Schade. Es wäre lustig gewesen, wenn Holger Münch den Vertrag mit Ingo Münch ausgehandelt hätte.

Quelle : www.heise.de
Titel: 4W : Vom digitalen Prekariat, weißen Spionen und schwarzen Schafen
Beitrag von: SiLæncer am 03 Mai, 2015, 06:40
"Heraus zum Kampftag der Arbeiterklasse!" gellte es nur halblaut durch die Straßen. Das digitale Prekariat wundert sich über seine schwarzen Schafe. Deren in der Wolle weißen Brüder und Schwestern erfahren ihre ganz eigene Reinwaschung, bemerkt Hal Faber.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Tja, das war der 1. Mai, ein kühler Kampftag der Gewerkschaften und der Autonomen. Halt, halt, nicht so wuschig. Die richtige soziologische Definition sollte schon in ihrer ganzen systemischen Schönheit zitiert werden, auch wenn der Titel "Soziologie des Steineschmeißens" absolut daneben gebäckert ist:

"Wir feiern an diesem Tag jene Arbeit, die unter Anleitung durch das Kapital, das schließlich selbst ein Ergebnis von Arbeit ist, soviel Mehrwert heckt, dass sich aus ihr ein Wohlfahrtsstaat finanzieren lässt, der als Sicherheitsnetz für alle jene Arbeitskraft dient, für die das Kapital keine Verwendung hat. Die Menschen wiederum nutzen diesen Tag für all das, was ihnen die Arbeit verweigert, an erster Stelle Freizeit – und zwar jene Freizeit, die sie nur haben, weil und solange sie auch Arbeit haben."

*** Die revolutionäre Mai-Demo schaffte in Berlin die Wanderstrecke in Rekordzeit und feierte das hinterher ausgiebig. Man blieb unter zwei Stunden und war in der frischen Luft so schnell, dass die angekündigte Hausbesetzung erst stattfand, als das Gros der Demonstranten vorbeigeeilt war. Auch die DGB-Demo schlug gegen die Kälte ein hohes Tempo, demonstrierte lautstark für "Work in Germany" und wetterte über das digitale Prekariat und die bösen, bösen Internetfirmen. Bei der großen Abschlusskundgebung wurde dann aber von den Krauts feierlich unter Beifall der deutschen Arbeiterbewegung eine Website enthüllt mit dem schönen Namen Fair Crowd Work Watch, hoch gelobt vom zuständigen Verein, dem Deutschen Crowdsourcing-Verband. Das derzeit der frisch gebackene Big-Brother-Preisträger Elance-ODesk die Bewertung anführt, muss mit der Diktatur des Prekariats zu tun haben, in der die Crowd-Genossen alles optimieren.

*** Enthüllt wurde am Rande der DGB-Demo eine seltsame Skulptur, die mit der Unterstützung einer Crowdfunding-Kampagne erschaffen wurde. Im Geiste des Speaker's Corner im Londoner Hyde Park stehen die Whistleblower Edward Snowden und Bradley Manning auf Stühlen, in ihrer Mitte Julian Assange. Dass die zierliche Chelsea Manning als Mann abgebildet ist, könnte als grausamer Witz der Geschichte gedeutet werden, ebenso wie die Tatsache, dass Manning inzwischen Guardian-Autorin ist, also für ein Blatt schreibt, das Julian Assange vehement kritisiert. Einen institutionellen Narzissmus sieht er bei dem Blatt der Linken am Werk und, schlimmer noch, das Ausmelken vom dritten Stuhlsteher Edward Snowden sei ein Verbrechen erster Ordnung. Zum 1. Mai ließ Assange auch das über Tor erreichbare neue Leaks-Abwurf-System freischalten, nicht ohne zu erklären, dass 99% der Snowden-Enthüllungen von der "Mainstream-Presse" zensiert worden sind. Schaut man auf den Snowden-Zähler von Cryptome, so ist Intercept mit den Glenn Greenwald-Artikeln die wichtigste Quelle der Enthüllungen, aus der wiederum die Mainstream-Presse zitiert. Aber mit der neuen Einreichungs-Plattform von Wikileaks wird alles wieder gut – und alles öffentlich.

*** Heute ist der Tag der Pressefreiheit und bei all dem Whistleblowing mal ein guter Anlass, sich mit der Presse als Berufsgeheimnisträger nach Satz 1 Nummer 5 des Paragraphen 53 der Strafprozessordnung zu befassen. Die Presse hat ein Zeugnisverweigerungsrecht zu den Veröffentlichungen selbst erarbeiteter Inhalte, sofern es nicht um die Aufklärung eines Verbrechens geht oder der demokratische Rechtsstaat in seiner ganzen Herrlichkeit gefährdet ist. Erinnert sei an das famose Diskettenbild bei der neuen Vorratsdatenspeicherung, das "kein Abruf der Verkehrsdaten von Berufsgeheimnisträgern" verspricht. Diese Verkehrsdaten werden zwar gespeichert, aber züchtig umgangen, wenn sich herausstellt, dass ein Telefonanschluss oder eine IP-Adresse zu einem Journalisten führt und dieser gerade recherchierte. Als Ableitung aus der Meinungsfreiheit gibt es im Presserecht die Konsequenz, dass sich jeder Journalist nennen darf. Mit Spannung wird darum beim Gesetzesentwurf der neuen Vorratsdatenspeicherung erwartet, wie er mit der fünften Gewalt, die inzwischen auch recherchiert und sich herausmendelt aus den blubberbloggernden Zuständen, gar zivilisiert 2.0 einherkommen will mit der Frage:

"Wie kann sich die fünfte Gewalt – ohne institutionelle Anbindung – gleichsam selbst zivilisieren? Auf welche Weise verhindert man, dass ideologische Parallelrealitäten entstehen, die einer offenen Gesellschaft gefährlich werden können? Und wie bleibt, in einer Zeit radikal individualisierter Nischenöffentlichkeiten, die Agenda der Allgemeinheit als Fixpunkt öffentlicher Debatten gewahrt?"

*** Das Wort der Woche ist zweifellos "Industriespionage" gewesen, benutzt von zwei Persönlichkeiten ganz unterschiedlicher Art. Zunächst beruhigte uns der Cyberwar-Spezialist und NATO-Berater Sandro Gayken in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung:

"Die Spionage der Vereinigten Staaten in unserer Wirtschaft ist gerechtfertigt, in unserem Interesse und keine Industriespionage."
Ei der Daus, da sind wir aber erleichtert. Was alles immer da an Selektoren und Zielvorgaben von der NSA zum BND geschickt wurde, war nur zu unserem Besten. Niemand will da die Wirtschaft ausspioneren mit Selektoren wie "EADS", sondern nur ein bisschen nachgucken, ob da nicht etwa Waffen verschoben werden. Und beim BND, da sind allesamt wunderbare Menschen im Dienst:

"Der BND hat sich – als sicherheitspolitische und nicht als industriepolitische Institution – korrekt verhalten und keinen Verrat begangen. Im Gegenteil. Er hat reagiert. Er war diplomatisch mit dem transatlantischen Partner. Er hat die Politik informiert."

Ich könnte weinen vor Glück. Gebt mir die Hand von einem dieser BND-Mitarbeiter, die ich küssen darf, mit der Bitte um Vergebung. Hinfort, hinweg mit all den Unterstellungen, dass hier ein unzureichend kontrollierter Babel-Dienst Schaden am deutschen Volk erzeugt hat. Keine hysterischen Ausfälle der Ritter wider die Überwachung mehr, die an deutsche Tradtionen anknüpfen, die man nach Meinung der FAZ-Nischenöffentlichkeit tunlichst vermeiden sollte.

*** Andererseits gibt es sehr wohl Industriespionage, die aus den USA kommt. Das wissen wir von dem einen, der die Wahtheit (tm) mutig ausspricht, und das klingt so:
"Die Verlage stellen Google ihr Wissen zur Verfügung. Da findet ein 'Brain Drain' in Richtung Google statt, den man auch transparente Industriespionage nennen könnte"

Transparente Industriespionage! Hirnauslutscherei! Von Lord Vollderlarry, dem Urbösen. Vergesst die NSA und druff auf den großen Google-Sack, wo es bekanntlich niemals den Falschen treffen kann, trotz dieser News-Initiative. Das befindet Christopher Lauer, im Axel Springer-Verlag für strategische Innovationen wie das Leistungsschutzrecht zuständig und derzeit trotz erklärtem Piraten-Parteiaustritt weiterhin aktiver Abgeordneter im Berliner Abgeordnetenhaus. Längst sind die Tweets gelöscht, in denen er seine Follower aufforderte, die Petition gegen das Leistungsschutzrecht zu unterzeichnen. Ja, wenn das Piratenschiff kieloben treibt, ist es Zeit für die Piratinsolvenz und ein Tänzchen der Ratten.

*** Wie einfach war es doch früher mit der Industriespionage und den Selektoren. Da taten sich die Typen aus der NSA mit ihren Kollegen vom israelischen Geheimdienst Mossad zusammen und beklauten die Firma Inslaw. Die hatte mit öffentlichen Geldern ein Programm zur juristischen Fallbearbeitung namens Promis entwickelt, das erstmals mit Big Data ernst machte und unterschiedlichste Informationen verknüpfte. Heute gilt Inslaw als der erste Vorläufer von Prism, dem erstmals von Snowden veröffentlichten NSA-Programm. Israel und die USA erweiterten die illegal übernommene Software mit einer Backdoor-Funktion und verscherbelten sie an befreundete Dienste, in Deutschland an den BND und das Zollkriminalamt. Das alles ist im Buch über die Datenmafia zu lesen, mit dem hübschen Untertitel "Geheimdienste, Computerspionage und neue Informationskartelle." Es mag leicht veraltet sein, wenn statt Backdoor vom Softwareloch die Rede ist und ein Suchsystem beschrieben wird, das "Überschriften in der Computerwelt der Gopher" erfasst, doch lässt es keinen Zweifel daran, dass von der NSA in den 80ern bis Mitte der 90er Industriespionage betrieben wurde.

Was wird.

Vor 70 Jahren wurde Deutschland befreit. Aus gegebenem Anlass hat Bundeskanzlerin Merkel, die in der BND-Geschichte unbewundernswert schweigsam ist, in ihrem Podcast vorab die geflügelten Worte gesprochen, bevor sie am 10. Mai nach Russland fliegt: "Ich sage erst mal, dass es keinen Schlussstrich unter Geschichte gibt." Wo andere den Schlussstrich unter einer Geschichte ziehen und die Gewinne und Verluste bilanzieren oder gar das Bruttoinlandsprodukt als Kriegswaffe berechnen, wird es bei Merkel sehr unspezifisch. Unter Geschichte gibt es keinen Schlussstrich, denn Geschichte wird gemacht, keine Atempause, es geht voran. Berge explodieren, mit Maus und Mann!

Quelle : www.heise.de
Titel: 4W: Von Befreiung und Freiheit.
Beitrag von: SiLæncer am 10 Mai, 2015, 05:12
Manches pfeifen die Spatzen von den Dächern, und kein Geheimdienst kann ihr Pfeifen stopfen. Hofft Hal Faber zumindest, der unter Freiheit etwas anderes versteht als die aufheulenden Polizeigewerkschaften.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die $sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** "Christoph, wir beide wissen, dass es wirklich eine große Herausforderung (und vielleicht sogar unmöglich) sein wird, die öffentliche Debatte unter Kontrolle zu halten, aber wir sollten nichts sagen, was die Erklärung möglicher neuer Enthüllungen und den Umgang damit noch schwieriger macht. Richtig?"

Richtig liegt zumindest die Süddeutsche Zeitung mit ihrer Ansicht, dass diese Diplomatenmail eine saftige Ohrfeige ist. Geschrieben hat sie Jim Melville, der zweite Mann der US-amerikanischen Botschaft in Berlin an Christoph Heusgen, den außenpolitischen Berater von Kanzlerin Angela Merkel. Der hatte zuvor gejammert über die kritische Phase des Wahlkampfes und dass man für den Fall vorausplanen müsse, "dass etwas Neues von Snowden kommt". Zum Muttertag bekommt Mutti nur das Beste, in diesem Fall eine detaillierte Analyse ihrer untertänigen Stellung zu Barack Obama und die Aufarbeitung der Schmierenkomödie vom abgehörten Merkel-Handy. Als diese Aktion, von der es keine Beweise gibt, zwischen Merkel und Obama telefonisch besprochen wurde, schlug die USA tatsächlich ein No-Spy-Abkommen vor - zwischen Präsident und Kanzlerin. Wie reagierte der Spitzenbeamte Heusgen in seiner Mail?

"Wir glauben, es ist ein wenig zu eng, die Verpflichtung, keine Überwachungsmaßnahmen durchzuführen, lediglich auf den Präsidenten und die Kanzlerin zu beziehen."

Obi, Obi, es zwickt und passt nicht. Geht es nicht etwas weiter? Ein wenig zu eng ist es, doch Änderungen kommen nicht in Frage. Überarbeitungen werden nicht akzeptiert, heißt es in der Antwort-Mail. Pünktlich zu den 70-Jahr-Feiern der Befreiung vom Faschismus und zum Muttertag kann die deutsche Öffentlichkeit im Mailwechsel nachlesen, was seit der Kapitulation der 4-Mächte-Status bedeutet, und das nicht nur bei Foschepoth. Die deutsche Souveranität hat klare Grenzen, die jeder Kanzler und jede Kanzlerin anerkennen muss. Da mag noch so viel Falsches oder Halbwahres von Snowdens "Übersetzern" gekommen sein: Allein für diese Aufdeckung des permanenten Ausnahmezustandes hat Snowden unseren Dank verdient. Ganz nebenbei wird uns anschaulich vor Augen geführt, wie sehr die große Politik damit beschäftigt ist, wenn "etwas Neues von Snowden kommt".

*** Zur Lage Deutschland passen die neuesten Erkenntnisse, die der NSA-Untersuchungsausschuss vom hypomnesischen Bundesnachrichtendienst ans Tageslicht gefördert hat. Was immer es mit den Selektoren auf sich hat, kann nicht mehr geklärt werden, weil die Datei nicht mehr vorhanden ist und es keine Sicherheits-Backups gibt. Der Rechner, auf dem sie sich befand, "ist irgendwann abgezogen worden". Von wem der Befehl zum Abzug kam, wohin der Rechner zog, das alles ist natürlich schwer geheim. Aber da halten wir Optimisten es ganz mit dem US-Diplomaten Jim Melville: Es ist unmöglich, die öffentliche Debatte unter Kontrolle zu halten. Die Crowdfahndung läuft. Insofern halte ich es nicht mit dem wackeren Wolfgang Kaleck, der recht subversiv behauptet, dass es egal sei, von welchem Geheimdienst man ausspioniert wird: Der Untersuchungsausschuss kann sich nun einmal gemäß den politischen AGB nur mit deutschen Diensten beschäftigen, auch wenn er liebend gern NSA-Mitarbeiter einladen würde: Where, oh where are the little selectors gone? Nein, das Leben ist kein Hundehof. Aber wir armen Hündchen versprechen, artig zu sein:

"Wie Sie wissen, haben wir den Versuch mit der Aussicht auf den Abschluss eines 'No-Spy-Agreements' begonnen. Ich verspreche, diesen Ausdruck künftig nicht wieder zu verwenden. Wir haben realisiert, dass wir dieses Ziel nicht erreichen werden."

*** Du weißt, dass die Polizeiliche Kriminalstatistik erschienen ist, wenn eine der Polizeigewerkschaften aufheult und den dramatischen Anstieg der Fallzahlen beklagt, in diesem Fall den Anstieg um 1,8 Prozent bei den Wohnungseinbrüchen, ganz auf der alarmistischen Linie des Innenministeriums. Schaut man genauer in die Statistik oder auch nur in die entsprechende Pressemeldung, hatten die Wohnungseinbrüche prozentual das niedrigste Wachstum aller Delikte im Jahre 2014. Keinbruch, kein Ruf nach Predictive Policing? Oder geht der Ruf nach weitestgehend zentralisierten deliktsbezogenen Ermittlungen durch geschulte Einbruchssachbearbeiter in diese Richtung?

*** Ganz ohne jede vergleichende Aussage ist diesmal das "Tatmittel Internet" geblieben, weil die Statistik umgestellt wurde: Erstmals wurden "Cybercrime-Delikte nur dann erfasst, wenn die Tat innerhalb Deutschlands und nicht in den Tiefen des Internetzes begangen wurde. Die vom Ausland aus begangenen Delikte sollen künftig in einer eigenen Statistik erfasst werden und wurden diesmal überhaupt nicht erwähnt. 49.925 deutsche Fälle landeten in der Statistik, mit einer Aufklärungsquote von 29,3 Prozent, wobei der Teilbereich Computersabotage nur auf 17,7 Prozent kam. Was bleibt, ist eine leichte Trauer, dass die Internetkriminalitätshochburg Delmenhorst dank der neuen Zählweise von der Landkarte verschwunden ist. Dafür hat jetzt der interaktive Sicherheitsindikator neues Zahlenmaterial, mit dem das Stadt-Land-Gefälle beim Tatmittel Internet erklärt werden kann.

*** Die ach so aufklärerische re:publica ist vorbei, die erste ihrer Art, bei der Frank Schirrmacher nicht Hof hielt unter den Linden im Cafe Einstein und viele Redner und Besucher in Privataudienz zu sich kommen ließ. Sein Blatt berichtete von den verehrten Nerds aus China und davon, dass Hacktivisten Leute sind wie du und ich. Die Mühen und öden Ebenen politischer Arbeit waren vergessen, als der Aktivist Jacob Appelbaum die Aktivistin Sarah Harrison durch die Luft wirbelte und ihr einen ganz besonderen Panda schenkte, einen Geheimdienst-Bären. Nach China war Appelbaum von Rhizome geschickt worden, künstlerisch das Thema Mitleid und Ekel im Verein mit Ai Weiwei zu bearbeiten. Rhizome schickte auch einen in Ehrfurcht erstarrten Berichterstatter mit, der das Projekt beschreiben durfte. Die Rechtfertigung der Veröffentlichung von Dokumenten des Sony-Hacks, weil bei Sony "rassistische Arschlöcher" sitzen, zeigt eine ungewöhnliche Weltsicht. Das mitten in China per Cryptophone geführte Telefonat zwischen dem nicht Reisen dürfenden Ai Weiwei und dem nicht Reisen wollenden Julian Assange ist auch interessant. Letzterer hatte mit vielen Tweets in dieser Woche einen eigenen, heftigen Wahlkampf gegen David Cameron geführt, der von einer Last-Minute-Verzweifelung profitierte und nun der große Wahlsieger ist.

Was wird.

Liebe NSA, du kannst mit meinen Daten machen, was du willst. ABER NICHT MIT MEINEN AUGEN. Zu den vielen Seltsamkeiten rund um die Snowden-Dateien gehört die Erkenntnis, dass der mächtigste Geheimdienst der Welt ausgesprochen üble Powerpoints produziert. So vermutete man beim Guardian am Anfang, dass die Powerpoints nur deshalb geheim sind, weil sie so furchtbar hässlich sind. Bis zum 22. November läuft die Biennale in Venedig und dort kann man die Arbeit "Secret Power" des Künstlers Simon Denny bewundern, der sich (in Anspielung auf Nicky Hager) mit dem Grafikdesigner David Darchicourt, auseinandersetzt. Darchicourt illustrierte als "Creative Director of Defense Intelligence" der NSA von 2001 bis 2012 unter anderem die "Incorruptable Network Security" der NSA, entwarf das Briefpapier der Organisation und schuf zahlreiche Vorlagen für die Powerpoints, die Snowden bekannt machte. Während der politische Teil der Frankfurter Allgemeinen Zeitung mit zahlreichen Invektiven gegen die absurde Form der NSA-Kritik hetzt, sie gleichsam in bester Nazi-Tradition sieht, weht im Feuilleton ein letzter Hauch von Schirrmacher, wenngleich schon von Jünger angehaucht in Diskursgewittern:

"Zu den größten Trümpfen der Sicherheitsdienste zählt, dass wir sie für eine Blackbox halten, eine Maschine, die im Geheimen Dinge verrichtet, die zu kompliziert sind, als dass wir sie verstehen können. Simon Denny gibt dieser Maschine nun ein Gesicht. Anhand von Bildern lernen wir - genau wie die NSA-Mitarbeiter -, die Arbeit des Geheimdienstes zu verstehen."

Quelle : www.heise.de
Titel: 4W: Vom Zauber, der verflogen ist.
Beitrag von: SiLæncer am 17 Mai, 2015, 06:00
Lucille schweigt, der Blues bleibt. Trauer ist angesagt, grummelt Hal Faber, in diesem beschissenen Leben. Nicht nur, weil einer der Großen unserer Zeit gegangen ist und uns nur Pudel wie die SPDler mit ihrer Vorratsdatenspeicherung zu bleiben scheinen.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

***The thrill is gone, Lucille schweigt, aber nur 12 Takte lang. Denn der Blues ist immer da und verlässt dich nicht, weder auf dem Friedhof noch in der mean old world. Aber niemand, niemand kann dir B.B. King wegnehmen.  How blues can you get, dafür gibt es keine Grenze in diesem beschissenen Leben. Denn immer, wenn du denkst, es wird was und es ändert sich, dann ist der Blues da. Bei dir.

(http://1.f.ix.de/imgs/18/1/4/9/3/0/9/0/Wochenschau20150515_Anfanguebwstaat-53fbacca265014ab.png)

*** Es gab eine Zeit, als Sigmar Gabriel in der SPD ganz offiziell als "Beauftragter für Popkultur und Popdiskurs" eine Website namens sigmar.de hatte, auf der der niedersächsische Ministerpräsident für Blues in Lehrte warb. Heute hat er als Pudel von Merkel für solche Sperenzchen keine Zeit, denn Blues und Politik, das geht gar nicht. So eröffnete er in dieser Woche pudelbrav eine China-Ausstellung, in der Regimekritiker wie der im letzten WWWW erwähnte Ai Weiwei mit keinem Wörtchen erwähnt werden. Ja, Kunst muss eben doch auf Wirtschaftsinteressen Rücksicht nehmen, das wusste bereits Albert Dürer, als er sein Monogramm entwarf.

*** Der Pudel als solcher nimmt vielerlei Gestalt an. So gibt es neben dem Gabrielschen Großpudel auch Zwergpudel wie Heiko Maas, die brav das Stöckchen namens Vorratsdatenspeicherung apportieren, wenn ihnen das befohlen wird. Und wie schnell das geht! Um 14:51 war am Freitag der Referentenentwurf für die Vorratsdatenspeicherung fertig, um 20:34 tauchte er bei Netzpolitik.org auf. Und wie schön das aussieht! Klar und deutlich beschreiben die Juristen im Abschnitt "A. Problem und Ziel" ihr verfassungswidriges Vorhaben, sprechen von tiefen Grundrechtseingriffen , die aber notwendig sind, weil es sonst nur eine Frage des Zufalls ist, ob Daten da sind oder nicht. Und das geht ja gar nicht! Sonst müssten ja die Strafverfolgungs- und die Gefahrenabwehrbehörden auf Kommissar Zufall setzen. Aber halt, es kommt noch besser, denn es gibt "B. Lösung". Diese Belösung geht so:
"Die Eingriffsintensität wird durch ein deutlich reduziertes Datenvolumen (keine verpflichtende Speicherung von Daten von Diensten der elektronischen Post) und eine sehr kurze Speicherfrist (vier bzw. zehn Wochen) im Vergleich zur vorhergehenden Ausgestaltung deutlich reduziert."[/]

*** Das ist zwar das Verletzen von Grundrechten, aber eben nur ein kleines Bisschen. Ritzen liegt voll im Trend, warum soll das nur bei Jugendlichen gehen. Eine geritzte Verfassung, das hat was. Zumal bei den rund 1000 Unternehmen, die künftig mit der verdachtslosen Speicherung aller unserer Verkehrsdaten beschäftigt sein werden, keines verbluten bzw. einer "erdrosselnden Wirkung" durch unbillige Härten ausgesetzt sein soll.
"Von den vorhandenen ca. 1000 Erbringer öffentlich zugänglicher Telekommunikationsdienste sind 20 so groß, dass sie 98 Prozent des Marktes abdecken, die übrigen sind kleine bis mittlere Unternehmen, die sich voraussichtlich häufig auf eine unbillige Härte berufen werden."

*** Wir sehen, dass die neue Vorratsdatenspeicherung nicht nur unterschiedslos alle Menschen trifft, die sich gerade auf dem Boden der Bundesrepublik aufhalten, sondern eben mal bis zu 980 Unternehmen in die Krise schickt. Wo es um den Schnüffelstaat geht, darf man nicht auf Wirtschaftsinteressen Rücksicht nehmen, so einfach ist das. Dann überleben halt die fittesten und sind umso mehr in der Lage, sich um die technologische Souveranität zu kümmern, die im Koalitionsvertrag steht, den die Sozialen Pudel Deutschlands mit unterschrieben haben. Ganz nebenbei werden die Kosten für den Schnüffelstaat auf die Beschnüffelten umgelegt, eine ungemein elegante Lösung:
"Es ist davon auszugehen, dass die übrigen betroffenen Unternehmen diese Kosten bei ihrer Preisgestaltung einkalkulieren und an ihre Kunden weitergeben werden."

*** Und Hurra, Juchheissassah! Mit der Vorratsdatenspeicherung kommt ein neues Gesetz, dass die Datenhehlerei unter Strafe stellt. Denn die neuen Datenberge wecken Begehrlichkeiten bei all denen, die Bewegungsprofile bilden und auswerten können. Die Bestimmungen sind wunderbar multifunktional gelungen! Schließlich wird direkt das Bundeslagebild Cybercrime erwähnt, der rasant zunimmt und auch zu dieser Datenhehlerei führt.
"Wer Daten, die nicht allgemein zugänglich sind und die ein anderer durch eine rechtswidrige Tat erlangt hat, sich oder einem anderen verschafft, einem anderen überlässt, verbreitet oder sonst zugänglich macht, um sich oder einen Dritten zu bereichern oder einen anderen zu schädigen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft."

*** Zwar soll der Passus zur Datenhehlerei nur die abschrecken, die sich an den anlasslos gespeicherten Daten vergreifen wollen, doch mit der schammigen Definition einer rechtswidrigen Tat ist man auch das elende Problem der Whistleblower losgeworden, die Journalisten informieren wollen. Und, was noch hübscher ist, ist die Ausnahmegenehmigung für die Strafverfolger, nicht nur bei den berühmten "schweren Straftaten" zuzugreifen, sondern auch bei Ordnungswidrigkeiten. Denn die Datenhehlerei
"...gilt nicht für Handlungen, die ausschließlich der Erfüllung rechtmäßiger dienstlicher oder beruflicher Pflichten dienen. Dazu gehören insbesondere solche Handlungen von Amtsträgern oder deren Beauftragten, mit denen Daten ausschließlich der Verwertung in einem Besteuerungsverfahren, einem Strafverfahren oder einem Ordnungswidrigkeitenverfahren zugeführt werden sollen."

*** Ganz nebenbei findet sich in den Ausführungsbestimmungen ein Passus zu den Berufsgeheimnisträgern, der das Herz eines jeden Ermittlers freudig pochen lässt. Die einmal diskutierte Weißliste der Geheimnisträger ist vom Tisch, auch die TK-Verkehrsdaten von Politikern, Pfaffen und Pudeln werden gespeichert:
"Die Berufsgeheimnisträger in ihrer Gesamtheit schon von der Speicherung ihrer Verkehrsdaten auszunehmen, ist nicht möglich. Dazu müsste sämtlichen Telekommunikationsanbietern, von denen es in Deutschland ca. 1000 gibt, mitgeteilt werden, wer Berufsgeheimnisträger im Sinne des §53 StPO ist; diese Liste müsste dauernd aktualisiert werden."

*** Wir lieben euch alle. Und das ist gut so! Sind die Daten da, kann man sie auswerten und hoppla, wenn ein Berufsgeheimnisträger mit dynamischer IP-Adresse auf einmal drunter sein soll, hat man sie schon ausgewertet und schließt gnädig die Augen. So geht anlasslos. Genauere Regeln sind verpönt, denn da gibt es ja diesen rasanten Wandel der Technik. Was heute eine dynamische Adresse ist, kann morgen IPv6.

*** Überhaupt hatte es dieser Freitag computertechnisch in sich: Da wurden Indizien bekannt, nach denen der Bundesnachrichtendienst für die USA in Österreich mithörte, ganz nach dem Motto "Ausland ist Ausland". Tapfer kämpfte der Bundestag gegen Hacker und die Gefahr, dass da Daten abfließen wie das Wasser im Bundesnachrichtendienst. Es entbehrt nicht der Ironie, dass man einen Trojaner im Netz vermutet und daher am Freitag auf alle Rechner die Warnung schickte: "Um Datenverlust zu vermeiden, schalten Sie bitte ihre PCs zum Dienstschluss aus." Die Vorstellung, dass die "pfeilschnellen Rechner" von Dell nach dem Ausloggen sonst ein ganzes Wochenende herumdösen, bis eine Reinigungsfachkraft das macht und kein Bundesrechenzentrum ein shutdown -q verschickt, hat etwas tröstliches. Es geht nichts über Handarbeit.

Was wird.

Wie Dänemark soll auch Deutschland das Bargeld abschaffen, empfiehlt ein "Wirtschaftsweiser", dem man ohne Weiteres abnimmt, dass er niemals Trinkgeld gibt. Begründet wird die neue Vorratsdaten-Überwachungskomponente damit, dass auf diese Weise die Märkte für Drogen und Schwarzarbeit ausgetrocknet werden und wertvolle Zeit an der Kasse aufgeholt werden kann. Man hätte auch den "Kampf gegen den Terrorismus" als Begründung nennen können. Der führte 2011 dazu, dass automatische Kontenabfragen drastisch erleichtert wurden. Seitdem verdoppeln sich die Abrufzahlen Jahr für Jahr, weil der Terrorismus ansteigt.

Vielleicht regt sich Protest, wenn das in Deutschland sehr beliebte Bargeld flöten geht, vielleicht auch nicht. Dann muss der Blues-Sänger auf der Straße in Naturalien bezahlt werden. Aber warum in die Ferne gucken, wenn das Schlechte liegt so nah? Bereits in zwei Wochen soll das Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung nach Informationen von Netzpolitik vom Bundeskabinett beschlossen werden. Vorher gibt es am Dienstag noch einen großen Pudelkonvent, bei dem die Fraktion von Sigmar Gabriel des Pudels Kern berät. Dahin fahren sie, die Sozialdemokraten. Dahin, vielleicht. Der Kasus aber lässt uns bitter lachen.

Darauf einen Security Blues ...

They who can give up liberty, mama,
what in the world they do?
Obtain a little safety, mama
that's all for these fools.
But when it all sums up, they
deserve no liberty 'n safety too.

Quelle : www.heise.de
Titel: 4W: Von Geistern, Trostlosigkeit und Erleuchtung
Beitrag von: SiLæncer am 24 Mai, 2015, 06:00
Trostlosigkeit allenthalben, sieht Hal Faber, angesichts dieser unserer Schützer des Rechtsstaates. Rechtsstaat? Da komme der Geist über uns, auf dass er uns erleuchte und der Präventionsstaat unsere Sicherheitsparanoiker doch noch scheitert.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

(http://3.f.ix.de/imgs/18/1/4/9/9/8/7/8/BND-a529b57aba7e0e89.png)
*** Der arme Herr Schindler von der FDP. Da führt er eine deutsche Behörde, die mit 3800 Mitarbeitern größer ist als das Auswärtige Amt der Bundesrepublik Deutschland. Das ist der Bundesnachrichtendienst, der seine Mitarbeiter überwiegend aus ehemaligen Bundeswehr-Soldaten rekrutiert, die das Gehorchen gewohnt sind. Und dann muss er eine Aussage machen, der in einer Tageszeitung als ein Quantum Trostlosigkeit beschieden wird. "Wir sind abhängig von der NSA und nicht umgekehrt." Mit dieser einfachen Erkenntnis des Freidemokraten löst sich ein Satz von Bundeskanzlerin Merkel in Schall und Rauch auf: "Unter Freunden spioniert man nicht." Aber klar tut man das, wenn es die amerikaniischen Freunde wollen im Rahmen unser engen und vertraulichen transatlantischen Abstimmungsgepflogenheiten.

*** Schindler ist der Vorgesetzte von Hartmut Pauland, dem Leiter der Abteilung technische Aufklärung und ehemaliger General der Bundeswehr. Dieser berichtete im NSA-Untersuchungsausschuss: "Ende des ersten Halbjahres kamen die Snowden-Veröffentlichungen. Und dann war das Leben anders als gedacht." Aber nie im Leben kam er trotz all den enthüllenden Dokumenten von Snowden auf die Idee, mal nachzufragen, was es mit den Selektoren auf sich hat. In Bad Aibling lief alles weiter wie bisher Pauland ist der Vorgesetzte eines Unterabteilungsleiters, der nur als D.B. auftritt und der dafür verantwortlich ist, welche Suchbegriffe in Bad Aibling beim Abfischen des Datenstroms benutzt werden. Der beauftragte einen Unterabteilungsleiter damit, einen Mitarbeiter namens M.T. mal die Selektoren sichten zu lassen. Was dann folgte, nannte eine Tageszeitung praktizierten Anarchismus. Eine Liste der Selektoren wurde ausgedruckt und verschwand, der Rechner mit den Daten wurde "plattgemacht". Das vom armen Herrn Schindler verbreitete Quantum Trostlosigkeit setzte sich auf allen Ebenen durch. Und täglich grüßt das Selektier.
"Abteilungsleiter Pauland fragte seine Mitarbeiter selbst dann nicht, warum er die Suchbegriffe prüfen und viele von ihnen löschen ließ, als der Vorgang durch das Wirken des Untersuchungsausschusses öffentlich und zum großen Aufreger im politischen Berlin geworden war. Warum er so handelte, konnte er am Donnerstag nicht nachvollziehbar erklären."

*** Angesichts dieser umfassenden Trostlosigkeit finden sich in den Zeitungen zum Pfingstwochenende, oh jauchzet ihr Christen, Kommentare zum BND und warum Deutschland diesen Geheimdienst so dringend braucht. Der Tenor: Es geht um den Kampf gegen den Terror, Leute, in dem man nicht nachlassen darf. Schlimm, ganz schlimm ist es, wenn "die Amerikaner" den BND ausladen und so die anhaltende Kritik an dem BND dessen "Arbeitsfähigkeit" einschränke. Und alle bedauerten den armen Herrn Schindler, der da meinte, die Zukunftsfähigkeit seiner unfähigen Behörde stünde auf dem Spiel. Die Tapfersten mahnten ein bisschen Demokratie an und mehr Kontrolle. Kein einziges Wort davon, dass die NSA einen menschenrechtswidrigen Überwachungsverband eingerichtet hat und der BND im miteilenden Gehorsam die deutsche Verfassung bricht. Wir sehen: Die Trostlosigkeit ist überall. Tarnen, Täuschen und Vernebeln, diese militärischen Tugenden beherrscht nicht nur der BND.
"Da gibt es den Heiligen Geist, der von den alten Meistern als Taube gemalt wird; auf ihren Bildern sieht man Strahlen, die von dieser Geisttaube ausgehen und zu den Menschen führen, gerade so, als habe dieses Wesen ein göttliches Intranet installiert."

*** Pfingsten, die Himmel jauchzen, die Christen glühen und geben sich ganz zeitgenössisch, preisen die Luftratten und die geschützte Kommunikation zwischen dem Heiligen Geist und seinen Followern. Selbst der wackere Demokrat Heribert Prantl wird da zum Prediger (das Zitat ist von ihm und schwebt hinter einer Klingelbeutelwolke) und preist das Fest der "vollkommenen Kommunikation". Nun unterscheidet sich die göttliche Taube von der gemeinen Drohne dadurch, dass sie niemals das GPS-Signal verlieren kann, wie es den gejammten Schiebel-Coptern der OSZE im Osten der Ukraine laufend passiert. Drohnen sind, zumal wenn sie militärisch eingesetzt werden, entweder Instrumente des gezielten Tötens oder Aufklärer zum Schutz unserer Soldaten. Hier gab es in dieser Woche wenig Aufklärung, weder bei der in der Oberpfalz abgestürzten US-amerikanischen Shadow-Drohne noch bei den deutschen Lunas, die ganz ohne Jammer systembedingt das GPS-Signal verlieren und bis zur Klärung des Problems auf dem Boden bleiben müssen. Daneben gibt es gute Drohnen für einen guten Zweck, ob in den Vereinigten Emiraten oder in den Niederlanden, wo sie mit Defillibratoren herumfliegen, so als Heiliger Geist für Arme.

*** Was es auch noch gibt, bei den Makern vom Heise-Verlag und in zahlreichen Vereinen, sind Hobbyisten, die Spaß an der Drohnenfliegerei haben. Sie alle, vom Profi-Pilot bis zum Hobbybastler über einen Kamm geschoren, ergeben die Schlagzeile eines deutschen Boulevard-Blattes: "Wikileaks veröffentlicht 7000 Namen! Drohnen-Profis geraten ins Visier von ISIS und Al-Qaida." Gemeint ist die Aktion Transparancy Toolkit, bei der drei US-Amerikaner ein Skript programmierten, das Linkedin-Profile von US-Amerikanern nach Begriffen wie "drone" "UAV" usw. durchsuchte, und dann die Daten von 139.361 US-Bürgern entführten und Wikileaks übergaben. Nun kann man die neue Wikileaks-Seite Intelligence Community Watch besuchen und sich daran machen, die Überwacher zu entlarven. Die Truppe um Julian Assange unterstützt eine Manhunt-Operation für Amateure, die an den Pranger stellt, was der Algorithmus gefunden hat. Etwa einen Automechaniker, der in seiner Freizeit Quadcopter baut und fliegt. "Transparency for the state, privacy for the rest of us!", mit diesem Slogan warb Wikileaks dereinst. Die Rechtfertigung für diese Aktion ist die Annahme, dass die drei Programmierer des Transparency Toolkits "Morddrohungen von US-Analysten" erhalten haben.

Was wird.

Nein, ich glaube nicht, dass Julian Assange in die Reihe derer gehört, die in der kommenden Woche als Supernerds auf der Bühne, im Fernsehen und in den sozialen Medien auftreten werden, komplett mit dem Second Screen der Zuschauer. Das Buch der Gespräche mit Helden ist auch schon fertig, die mediale Dröhnung perfekt. Ach, halt, es gibt auch noch ein Überwachungsspiel, bei dem jeder mitmachen kann mit seinen echten Daten, man kann auch einen "Freund überraschen", in dem man dessen echte Daten eingibt, was fast ein Spielchen wie bei Wikileaks Intelligence Community Watch ergibt. Das Supernerd-Thema ist übrigens alt und in der Zwischenzeit nicht besser geworden. Supernerd will die Trennung zwischen dem Whistleblower und dem Nerd aufheben, der mit dem Material der Whistleblower seine eigenen Dinger dreht. Ganz nebenbei ist ein Schuss Allmachtsphantasie im Spiel, bekannt aus Film und Fernsehen. Das "uns" der Nerds und das "uns" der Gesellschaft sind nicht identisch,, wenn es heißt: "Die digitale Gesellschaft gibt uns viel Macht, die Gesellschaft zu verändern."

(http://1.f.ix.de/imgs/18/1/4/9/9/8/7/8/EagleIV-e6d11ae148ea35e5.png)
Apropos digitale Macht und reale Macht: Zur Vorbereitung des G7-Gipfels im Zentrum der Welterweckung wird das Schickimicki-Hotel Elmau gerade umgerüstet. Die letzten Gäste sind abgereist, das militärische Sperrgebiet wird seit gestern installiert. Zäune werden errichtet, Funk- und Kameratürme werden installiert. Ab dem Pfingstsonntag gilt für vier Quadratkilometer rund um Elmau ein absolutes Betretungsverbot, die Grenzkontrollen nach Österreich werden wieder eingeführt. 17.000 Polizisten und Bundeswehr-Helfer werden erwartet, für sie hält der bayerische Innenminister Herrmann am kommenden Dienstag einen ökumenischen Gottesdienst samt "mutmachender Ansprache". Die Kunde vom göttlichen Intranet will offenbar auch in Elmau verbreitet werden. Wenn es mit den Himmelsstrahlen der Tauben und den Feuerzungen nicht klappt, gibt es ja noch die IP-Kommunikation. Allein fünf Eagle IV der Bundeswehr werden als mobile LTE-Relaisstationen im militärischen Frequenzbereich ihren Dienst antreten, denn wenn Obama ankommt, wird das mobile Netz der Telefonbetreiber gejammt. Selbst die Tetra-Funken der Polizei müssen in andere Frequenzbereiche ausweichen, weil US-Geheimdienste und Obama-Bewacher absoluten Vorrang haben. Denken wir darum den Satz des armen Herrn Schindler etwas weiter: "Wir sind abhängig von der USA und nicht umgekehrt." 100 Kilometer entfernt liegt Bad Aibling.

Quelle : www.heise.de
Titel: 4W: Über das Positive berichtend.
Beitrag von: SiLæncer am 31 Mai, 2015, 07:18
Man hat es nicht leicht, wenn man dann doch mal was Positives erzählen will, grummelt Hal Faber. Vor allem, wenn sich gewisse entscheidende Personen doch arg am Rand der Realität bewegen. Manchmal bleibt nur die Hoffnung, dass es doch noch Sommer wird.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

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*** Ja, wo bleibt eigentlich das Positive? Gibt es nur noch Wochenschauen der Trostlosigkeiten, die sich wie ein seichtes, weichgespültes Überwachungstagebuch lesen? Ist Hal Faber matschig im Gehirn oder hat es gar längst exportiert? Das sind schwere Fragen. Die Antwort: Es ist eine große Kunst, das Positive zu sehen. Nehmen wir nur die ältere Dame aus Köln, die sich zur Theateraufführung der Supernerds hochzufrieden darüber zeigte, dass die Veranstalter ihre Daten abfragten: "Damit sie wissen, wer kommt. Man weiß ja nicht, ob sich nicht Bombenleger darunter mischen. Wie in Paris." Was die ältere Dame von den nebulösen Andeutungen von dem in seiner Wirklichkeit eingesperrten Julian Assange hielt, ist leider nicht überliefert. Assange prophezeihte, dass wir eine "postmoderne Version von Nordkorea" erleben werden, wenn "das System" nicht zusammenbricht und es so weitergeht, wie es bisher weitergeht. Deutschland als Nordkorea? Große Frage, schwere Frage. Vielleicht muss das Wassertröpfchen, dass bei Naenara links tröpfelt, mit der tröpfelnden Stundenglas-Animation verglichen werden, die bei Assanges Auftritten eingeblendet wird, sobald der Australier den Netz-Che spielt. Heiter in die Apokalypse, das ist das richtige, positive Motto des Schauspiels, in dem die Macher raunten, dass man live vor Ort "Dinge am Rande der Legalität" zeigen werde. Huch, da musste man glatt Gruseln.

*** Dinge am Rand der Realität, so könnte man die nun vom Kabinett beschlossene neue Vorratsdatenspeicherung beschreiben, die selbst die regierungseigene Datenschüchterin Andrea Voßhoff als nicht gesetzeskompatibel beschreibt. Bitteschön, das ist das Positive: Aus Unionssicht wird die Frau langsam untragbar. Es gibt auch was zu Lachen: Der Vorschlag des SPD-Vizechefs Ralf Stegner, die Vorratsdatenspeicherung zu befristen ist ein einziger Witz. Wie war das noch mit den Anti-Terrorgesetzen nach 9/11? Auf fünf Jahre befristet? Sie gelten immer noch, denn die abstrakte Terrorgefahr ist ja da, man sieht es an der älteren Dame bei den Supernerds. Die Befristung ist ohnehin ein Trick der SPD-Oberen, die aufmüpfige Basis totzukuscheln. Denn selbst ein befristetes Gesetz darf nicht grundgesetzwidrig sein, wie es diese Vorratsdatenspeicherung nunmal ist. So wird gelogen, dass sich die Balken biegen: "Die zeitliche und rechtliche Beschränkung auf Telefon- und Internetverbindungen ohne E-Mail-Erfassung sowie die Speicherung mobiler Standortdaten für vier Wochen lassen die Erstellung von individuellen Verhaltensprofilen gar nicht zu." Ach ja? Wie lustig: Genau eine Woche reichte, um sehr detailliertes Profil von Ton Siedsma zu erstellen, wie es Netzpolitik.org dankenswerterweise übersetzt hat. Es kommt der Tag, da wird die Säge sägen. Es geht übrigens noch positiver, wenn gleich die europäischen Perspektiven beachtetet werden. Wie bei der ebenfalls vom Bundeskabinett beschlossene deutsche PKW-Maut, die von der EU-Kommission untersucht wird. Doch hier ist es wie mit der Schaumweinsteuer, die einstmals zur Kriegsführungsfinanzierung eingeführt wurde und immer noch einbehalten wird: Die PKW-Maut wird bleiben, doch die KFZ-Steuer auch.

*** In der Wochenendausgabe der Süddeutschen Zeitung ist ein langes Interview mit Bundeskanzlerin Merkel im Vorfeld des videobegrüßten G7-Gipfels zu Elmau erschienen. Auch hier kommt das Positive sofort, klaro: Ganz unverhohlen beschreibt die Tageszeitung, wie das Interview autorisiert wird und durch die Hände zahlreicher Bearbeiter geht, bis hin zu Merkel, die mit grüner Tinte das letzte Wort hat. Eine Zensur findet nicht statt. So wird aus dem kernigen Satz "Abhören unter Freunden geht gar nicht" der politische Satz:
"Ich bin überzeugt, dass nachrichtendienstliche Tätigkeit jedem von uns Schutz und Sicherheit gibt. Ich habe im Juli 2013 gesagt, dass der Zweck nicht die Mittel heiligt. Das steht hinter meinem Satz, dass das Abhören von Freunden nicht geht. Das gilt unverändert. /.../ Mein politischer Satz beschreibt ganz offensichtlich einen anspruchsvollen Grundsatz, dennoch halte ich ihn für wichtig."

*** Auch die in dieser kleinen Wochenschau bereits kommentierte auffallend devote Haltung der Bundesregierung zum kategorischen Nein beim No-Spy-Abkommen wird so ausgelegt, dass einem viel Grünes schwant. Beim No Spy unter Freunden habe es Kontakte gegeben und Versuche, Verhandlungen über ein solches Abkommen zu führen. Der Wahlkampf hatte damit rein gar nichts zu tun. Ist so. Ehrlich.. Nun ist dieser Woche eine (von vielen?) Prioritätenliste der NSA bekannt geworden, die zeigt, wie das unter Freunden geht. Eine Regionalstelle für staatliche Sonderauflagen unserer deutschen Telekom schaltet Leitungsbündel um Leitungsbündel, damit der belgische Terror überwacht werden kann.

*** Der BND beschaltet Leitungen nach Belgien, Luxemburg und Österreich. Über Nachbarn weiß man halt alles, das ist gelebte Überwachungspraxis, die an der Wäschespinne beginnt und irgendwo in den Bergen der Schweiz endet. Die dortigen Grünen sind erbost, die offizielle Politik ungehalten. Das kratzt am Selbstverständnis der Eidgenossen, die stolz darauf sind, dass Firmen wie Blackphone bzw. Silent Circle oder Kolab sich wegen der strengen gesetzlichen Regelungen zur Privatsphäre vor Jahren für die Schweiz entschieden haben. Wo bleibt denn da das Positive? Klar gibt es das: Die vom Guardian übernommene Meldung, dass PGP-Legende Phil Zimmerman vor der NSA in die Schweiz flüchten musste, ist falsch, denn Silent Circle und Blackphone sind schon länger Schweizer.

*** Zu den kleineren Nachrichtenfetzeln dieser wunderbaren Pfingstwoche gehört eine Geschichte, die deshalb positiv zu nennen ist, weil sie Aufklärung aus der Frühzeit des Internet bietet. David P. Reed, der in einigen Publikationen als Erfinder oder Entwickler von UDP genannt wird, hat die schiefe Bezeichnung korrigiert und interessante Details genannt. Danach waren er und Steven T. Kent damit beschäftigt, eine Ende-zu-Ende-Verschlüsselung in das Protokoll einzubauen, was jedoch von der ARPA abgelehnt wurde. Nicht etwa, weil das Design schlecht war, sondern weil die NSA in einem öffentlich zugänglichen ARPA-Projekt überhaupt keine Verschlüsselung haben wollte. Frühzeitig erkannte man die Gefährlichkeit des Vorschlages zu einer Zeit, als das RSA-Kryptosystem entwickelt wurde.

*** Positives gibt es auch von Google zu vermelden, um mal wieder ein bisschen in klassischer IT zu schwelgen. Obwohl: Was ist schon klassische IT in den Zeiten der Digitalisierung der Welt; da reicht es schon zum Positiven, wenn es mal gar nix Sensationelles zu berichten gibt. Denn das würde ja doch nur zu noch mehr Überwachung, noch gläsernerem Nutzer führen, höre ich die Bedenkenträger schon mal prophylaktisch jammern. Aber ein bisschen mehr Utopie, ja, das hätte man sich schon gewünscht von einem Konzern, der doch eigentlich nix Böses will. Diskutieren lässt sich schlecht über die konkreten Zukunftsvorstellungen, die sich aus einer Utopie ergeben, wenn die Utopie fehlt. Oder, wenns eine Nummer kleiner sein darf: wenn "eine Vision für Übermorgen fehlte. [...] So sieht es also momentan aus: Apple zeigt die Technik von heute, Google die von morgen, und Microsoft – Mega-Verschlafer der Mobiltechnik von heute – die von Übermorgen. Wer hätte das noch vor ein paar Jahren gedacht..." Aber vielleicht ist es ja auch ganz anders und wir verstehen nur wieder nicht, was uns der Gottseibeiuns der konservativen Netzkritiker sagen will. Also doch das Positive: "Ich bin ein Teil von jener Kraft, die stets das Böse will und stets das Gute schafft."

Was wird.

Oh, wie wunderbar positiv das formuliert ist! Beim Cyber-Angriff auf den Bundestag sind "vereinzelte Datenabflüsse" festgestellt worden. Einzelne Daten, aber mehrere Flüsse führen dazu, dass die gesamte Bundestags-IT an diesem Wochenende ausgeschaltet ist, die dann noch laufenden Büro-Rechner gewissermaßen vereinzelt sind, damit kein Flüsschen fließen kann. Die Systemadminstratoren haben frei und gucken das Fußballpokal-Endspiel, während sich hochbezahlte Cyberwar-Spezialisten mit dem Feind batteln. Da passt es bestens, dass vor dem hochbewachten Treffen in Elmau sich in der ebenso hochbewachten Moritzburg die Innenminister der sechs einwohnerstärksten EU-Länder treffen und über Cybercrime und Terrorismus beraten.

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Ja, als wir noch keine Wahl hatten, haben wir tagtäglich die Einschränkung unserer Freiheit akzeptiert. Jetzt haben wir ja die Wahl, hurra, wie positiv und supertoll das doch ist! Wir können unter vielen, vielen Chipkarten wählen, die uns von den Zwängen des Alltags befreien. Eine Bankkarte, eine Deutschlandkarte, einen Personalausweis, vielleicht auch einen Schlüssel zu einem Datennetz oder halt eine tragbare Datei, ganz ohne Bürgercloud. Vor 25 Jahren erschien diese Anzeige und erinnert uns daran, das ab sofort, dawei, dawei der elektronischen Gesundheitskarte der Marsch geblasen wird. Den wunderbaren Spaß haben natürlich die Krankenkassen, die nach den Krypto-Vorgaben des mitjubelnden BSI die nächste Generation der Karten produzieren müssen. Die A-Karte haben diesmal die Apotheker gezogen, die nur den ausgedruckten Medikationsplan bekommen und nicht automatisch in ihre EDV übernehmen können. Mordor wurde auch nicht an einem Tag erbaut.

Quelle : www.heise.de
Titel: 4W: Von Versammlungfreiheit und Revolution in der Provinz
Beitrag von: SiLæncer am 07 Juni, 2015, 06:00
Für die christliche Vorratsnächstenliebe nimmt sich der Staat aus, Grundrechte zu demolieren. Hal Faber runzelt die Stirn über die blitzsaubere Dixiklo-Demokratie.

Was war.

*** Was sind schon Großdemos in München zu einer Zeit, in der die Bundeskanzlerin in Stuttgart die christlichen Prinzipien der Vorratsnächstenliebe erklärt in einer Art Psalm:

"Aber wenn der Staat, dafür, dass er das Leben von 80 Millionen sichern will, auch mal Informationen braucht, auf die er zugreifen kann, auf die er ja gar nicht zugreift, aber nur zugreifen kann, wenn etwas mit einem nicht richtig läuft und der als, sozusagen, Terrorist oder Gefährder der Sicherheit auftritt, dass man sagt, dem Staat geb ich's nicht, allen anderen geb ich"s, aber dem Staat, der darf da gar nichts mit anfangen."

*** Frei nach der Antigone von Sophokles sollen wir also dem Staat geben, was des Staates Eigentum nicht ist, weil es Gefährder der Sicherheit gibt. Im Gegenzug zu dieser ständig steigenden abstrakten Terrorgefahr nimmt sich der Staat Freiheiten heraus, mal eben die Grundrechte zu demolieren, natürlich im Namen der Sicherheit: Mit 50 polizeilich überprüften Demonstranten, die auf einer "ihnen zugewiesenen Fläche" in Sicht- und Hörweite von Schloss Elmau auftreten dürfen, demonstriert die Bundesrepublik Deutschland, was aus dem "hohen Gut der Versammlungsfreiheit" in einer Demokratie geworden ist. Nach Ansicht des Münchener Verwaltungsgerichtes wird mit dieser Auflage das Gute gerettet und das Böse gebannt. Auf jeden dieser offiziell zugelassenen Demokratieretter kommen zwei Richter, von den 24.500 Polizisten ganz zu schweigen, die gegen die Selbstmord-Gämsen vom Al-Quaida-Ortsverein Garmisch im Einsatz sind.

*** In seltener Klarheit demonstriert die Staatsführung der Bundesrepublik Deutschland mitsamt der angeschlossenen Justiz, was ihr Meinungs-, was Versammlungsfreiheit wert ist zum Treffen der Champions League der Politik, bei dem Putin frühzeitig wegen Foulspiel vom Platz gestellt wurde. "Wir sind eine Gruppe von Staaten, die Werte wie Demokratie und Rechtsstaatlichkeit teilen", sagte ein Scherzkeks. Jede Ähnlichkeit mit der Deutschen Demokratischen Republik ist zufällig, schließlich ist der Sperrzaun eine temporäre Einrichtung in dieser blitzsauberen Dixiklo-Demokratie. Ein Blick auf die Seite der BAO "Werdenfels" in diesem Facebook, schön wie eine Waschmaschine, ist schon interessant. Wir sehen den esoterischen Kummerkasten, Hubschrauber, Einsatzwagen und Polzisten mit schusssicherer Weste, dazu das Zirkuszelt-Logo des G7-Gipfels und die bajuwarischen Löwen. So sieht die Versammlungsfreiheit aus, professionell demonstriert von 24.500 Menschen.

*** Eigentlich ist Oracle an allem Schuld: ohne den Ankauf von Micros Fidelio wäre für den Bau in den Bergen kein Geld da gewesen, die Freiheit des Individuums und das Breite Angebot für inkompatible Gästesegmente zu retten. Nun tagen dort Politiker, wo einst die Begeisterung für die Volksgemeinschaft aller Deutschen groß war und die Judenmission gepredigt wurde. Ganz unter sich nur mit den eigenen Sherpas, am besten noch von Robotern betreut. Menschen sind immer ein Risiko und sollten im Tal bleiben, wo Jammer die Kommunikation stört, wenn Obama kommt. Kommunikation unter risikobehafteten Menschen ist eben ein ganz besonderes, ein Hochsicherheits-Risiko, das ausgeklammert werden muss wie den lästigen Krams über die NSA-Selektoren. Wenn mehr als 50 in Hörweite ihren Zorn vortragen, ist die Bedrohung enorm. Mehr als 50, die nicht richtig laufen, sind in der Rotte Gefährder oder sozusagen Terroristen und verdienen die Einkesselung bei lebendigem Leibe. Hinhören nein danke, woher kennen wir das?

"Wir könnten aber die Volkskammer als ein großes Kontaktinstrument von Regierung und Bevölkerung einrichten, als ein großes Sprech- und Horchinstrument. Natürlich müssten auch sie [die Abgeordneten] nicht nur reden, sondern auch fragen und zuhören", schrieb Bertolt Brecht vor 60 Jahren in seinen Bemerkungen zum Rundfunk in der DDR. Dieser unterschied sich mit seinem Düdelsendungen nicht von BRD-Sendungen, was Brecht sehr erboste. Der Österreicher formulierte in seinen Bemerkungen das, was er als Deutscher in den 30er Jahren schon mal als Radiotheorie vertreten hatte, nur viel präziser:

"Der Rundfunk wäre der denkbar großartigste Kommunikationsapparat des öffentlichen Lebens, ein ungeheures Kanalsystem, das heißt, er wäre es, wenn er verstünde, nicht nur auszusenden, sondern zu empfangen, also den Zuhörer nicht nur hören, sondern auch sprechen zu machen."

*** Hach, nun haben wir die perfekte digitale Gesellschaft und Menschen "aus Fleisch und Blut" können dank Internet und dem Geburstagskind Tim Berners-Lee sprechen, mit Marx-, Engels- und Katzenzungen. Aber wer hört denn noch zu, wenn wir K-a-t-z-e schreiben, anstatt das Bild einer Katze zu zeichnen? Da gibt es laut der Frankfurter Allgemeinen Zeitung im "intellektuell hoffnungslos provinziellen Hauptstadt-Berlin den Verein "Digitale Gesellschaft e.V.", der sich über seine Website "netzpolitik.org" zu Worte meldet und dennoch bleibt die Revolution da in der Berliner Provinz aus, ganz wie bei den Arbeiterradiovereinen der Weimarer Republik, für die der Journalist Egon Erwin Kisch ganz poetisch wurde:

Achtung!Achtung!Achtung! Wir sprechen heut auf roter Welle! Wir funken jetzt von dieser Stelle Unsere Verachtung Gegen alle Mucker, Gegen alle feigen Ducker Gegen süßlichen Kitsch mit Zucker.

*** Als Edelkitsch mit Zucker könnte man die meisten Artikel bezeichnen, die zum zweijährigen Jubiläum der Snowden-Papiere erschienen sind. Viele idealisieren den jungen Mann, da tut es gut, seinen eigenen Beitrag in der New York Times über die Macht der Informationen und die Notwendigkeit von Verschlüsselung zu lesen. Selbst wenn Snowdens Materialsammlung aufdecken würde, dass NSA, GCHQ oder BND bei ihren Informationsraubzügen nach Recht und Gesetz gehandelt haben, ist die Notwendigkeit einer wirksamen weitergehenden gesellschaftlichen Kontrolle dieser Dienste deutlich geworden – wenn man sie denn nicht abschaffen will. Auch wenn die parlamentarische Kontrollkommission aufgewacht ist und dem BND auf die Finger klopft, gibt es noch viel Spielraum für bessere Kontrollen. Wie formulierte es der Datenschützer Thilo Weichert auf dem Kirchentag, auf dem Merkel zur Vorratsdatenspeicherung sprach? "Man sollte nicht so tun, als seien staatliche Behörden deswegen die Guten, weil sie den Terror bekämpfen."

Was wird.

Die Cyberattacken auf den Deutschen Bundestag sind alles andere als aufgeklärt. Die Bundesanwaltschaft ermittelt und Insider murmeln etwas von russischen Hackern. Das für Spionage zuständige Bundesamt für Verssungsschutz hat seine Hilfe angeboten, doch die Linksfraktion im Bundestag hat diese abgelehnt. Es ist verständlich, dass eine Behörde, die die Linke ausspäht und in Gestalt ihres Präsidenten verkündet, dass bis heute "in ganz Europa kein einziger Fall amerikanischer oder britischer Wirtschaftsspionage" nachgewiesen wurde, nicht eben der beste Ermittler ist. Ulkigerweise sieht das der BND ganz anders und geht von nachweisbarer Wirtschaftsspionage aus. "Danke, BfV", kommentiert die FAZ den Vorgang mit einer Untergebensheitsadresse und grübelt, ob die Linke hier irgendetwas zu verbergen hat? Ja, könnte es nicht sein, dass Daten beweisen, dass sie von Moskau gesteuert werden oder gar im Auftrag von Moskau unterwegs waren?

Am Donnerstag beginnt die Potsdamer Sicherheitskonferenz. Die beiden Keynotes zur Cyberabwehr geben BfV-Chef Hans-Georg Maaßen (der die Cyberattacke nicht untersuchen darf) und BSI-Chef Michael Hange (der für die Untersuchung verantwortlich ist). Außerdem wird ein "Lab" für sichere Identitäten abseits aller Klebetricks eröffnet. Die Potsdamer Konferenz endet mit Darstellungen von Vertretern der Firmen Cisco, CSC und Huawei, die über die digitale Souveranität Deutschlands diskutieren. Nein, ich mache keine Witze.

Am Ende wird bekanntlich alles gut. Wenn es nicht gut wird, ist es einfach noch nicht das Ende. Wann es kommt, können die Briten mit dem United Kingdom Longevity Explorer ausrechnen, ganz ohne Angst, von einem deutschen Anwalt verklagt zu werden. Dann ist es halt so weit und dann legschd di niedr. Deshalb versackt das vorsommerliche Deutschland gerade in einer Trauer-Ubble: Winnetou hat die Glocken gehört. Es gibt Schlimmeres, was man hören kann.

Quelle : www.heise.de
Titel: 4W: Voll durchdigitalisiert und mit Anweisungen.
Beitrag von: SiLæncer am 14 Juni, 2015, 00:18
Während an diesem wunderschönen Sommerwochenende die Admins eines gewissen Parlaments so richtig schwitzen müssen, genehmigt sich Hal Faber ein kühles Blondes und stößt auf Herrn Zukunft an, der den Cyberspace nach Deutschland brachte.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

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*** So ein wunderschönes Vorsommerwochenende, so ruhig und beschaulich, dass selbst die Katze jede Bewegung einstellt wie ein Generalbundesanwalt seine Ermittlungen. Das ist doch eine vorzügliche Gelegenheit, einmal die bekannten Fakten zusammenzufassen. Rund 20.000 Arbeitsplatzrechner sind im Netz des Deutschen Bundestages registriert, verteilt über die gesamte Bundesrepublik, weil auch die Wahlkreisbüros der Abgeordneten mit der parlamentarischen IT versorgt werden müssen. 14 dieser Rechner an acht Orten wurden von einem Angreifer infiziert, ob gezielt oder zufällig durch Drive-by-Download verseucht, das steht noch nicht fest. Gezielt war der Angriff insoweit, als nur nach Word-Dokumenten gesucht wurde, die nach dem 1. Mai 2015 gespeichert wurden. So kamen 20 Gigabyte zusammen, die "abgeflossen" sind, wie es im BSI-Bericht heißt. Wohin, zu wem, dass ist die eigentlich wichtige Frage. Suchte man Details zu den deutschen Waffenexporten, die im Wonnemonat Mai den Bundestag beschäftigten? Nach den Verbindungen zwischen Abgeordneten und Waffenherstellern? Waren es schick formatierte Listen aller Passwörter der Mitarbeiter? Knastköder-Kompromat im Edathy-Stil wird es nicht gewesen sein, dafür werden keine Word-Dokumente angelegt. Jedenfalls waren keine "Hacker" am Werk. Für sie gibt es ganz andere Ziele.

*** Der Rest ist alter Wein in alten Schläuchen, seit Mainframe und OS/2-Zeiten bekannt. Dass Abgeordnete im Namen ihrer wichtigen Funktion als Pfeiler der deutschen Demokratie die IT-Sicherheit einen feuchten Dreck interessiert, ist spätestens seit dem Protest vor Jahren bekannt, als die Bundestags-IT den Umgang mit USB-Sticks in Turnschuhnetzen abstellen wollte. Das war nämlich ein Eingriff in die Freiheit des Abgeordneten. Gegenmaßnahmen sollten allenfalls auf die Abeckung von Schnittstellen mit sterilen Heftpflastern und Verbänden beschränkt bleiben. Die Schilderungen der werten Heise-Leser sprechen Bände, ein Auszug sei mir gestattet. Der Admin einer Kommunalbehörde schreibt im Forum, was er alles machen musste:

"Blackberry mit PIN --> Anweisung: PIN entfernen! iPad mit PIN --> PIN ist unerwünscht, läßt sich aber nicht abstellen, Anweisung: anderes Tablet kaufen. Android-Pad mit PIN --> Anweisung: PIN entfernen. Laptop mit Truecrypt HD-Verschlüsselung --> Anweisung: Verschlüsselung entfernen. Paßwort-Komplexitätsregel gesetzt --> Anweisung: einfache Paßwörter erlauben. Regelmäßiger Paßwortwechsel erforderlich --> Anweisung: Änderungspflicht abschalten. Hauseigenes WLAN mit Authentifizierung: --> Anweisung: Anonymen Zugang für alle erlauben. Gruppenbezogene Zugriffsrechte auf Netzlaufwerke --> Anweisung: Politiker-Riege bekommt Vollzugriff auf alles"

*** Bemerkenswert ist jedenfalls, was für ein Unsinn um die allseits gewünschte Unsicherheit für die Volksvertreter geschrieben wird. Pünktlich zum Todestag von Frank Schirrmacher zeigt sich die tageszeitung von ihrer bräsig-konservativen Seite und ließ Chefredakteurin Ines Pohl schirrmachern, was das Zeug hält. Fordert eine gesellschaftliche Debatte darüber, was die "Durchdigitalisierung des Lebens" kostet. Wo doch diese, ähem, durchdigitalisierte Gesellschaft "längst in der Hand jener ist, die die ganze Welt beherrschen".

*** Schirrmachers Blatt, die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) nutzte den Tag, um den Schirrmacher-Preis an jenen Hans Magnus Enzensberger zu vergeben, für seine 10 Regeln zum digitalen Widerstand unter anderem mit dem Verzicht auf diese Strompost. Zur Preisvergabe soll der digitale Allestöter Evgeny Morozov Texte von Frank Schirrmacher rezitieren. Einer fehlt noch, der Sascha Lobo, der fix wie immer unser schönes Deutschland in seiner ganzen digitalen Durchdringung zum failed state erklärt, in dem uns die Herren von Google fürsorglich beherrschen.

*** Fast jeder kennt den Witz des ehemaligen Kanzlers Kohl von der Datenautobahn, die Ländersache ist. Den nahm man Kohl kaum übel, das Alter halt. Doch das ist falsch, denn nach 20 Jahren Internet, nach über 10 Jahren Google müsste doch etwas Verständnis da sein, was wo wie "durchdigitalisiert" ist. Selbst Journalisten lernen dazu: Vor 15 Jahren erschien in der FAZ ein Total-Verriss von Google, weil bei Eingabe von "Boris" keine Informationen zu Boris Becker kamen, sondern ein "Online-Tagebuch von einem Mann mit Vornamen Boris" an erster Stelle stand. Fazit nach dem "Test": diese Suchmaschine hat keine Chancen. So etwas könnte heute nur noch im Feuilleton erscheinen. Wer sich weiterhin technisch unbedarft gibt, ist die Politik. Im Bundestag wurde am Freitag die Vorratsdatenspeicherung diskutiert, der Einstieg in den postindustriellen Überwachungsstaat. Dankenswerterweise hat Kristian Köhntopp, der seit 25 Jahren das Internet erklärt, mal aufgeschrieben, wie ein Politiker argumentiert, der nach eigener Aussage mit dem Internet-Neuland aufgewachsen ist und ein Start-up hatte:

"Das Einzige, was hier gespeichert wird, ist die Adresse, mit der Sie selbst im Internet für 24 Stunden bekannt sind. Eine Information in 24 Stunden. Zumindestens im Regelfall. Und um daraus zu schließen, auf welchen Servern Sie gewesen sind oder mit wem Sie kommuniziert haben, brauchen Sie das, was man in der IT eine Zwei-Faktor-Authentifizierung nennt, sie brauchen nämlich die Gegenseite auch, die festgehalten hat, beispielsweise einen Server, auf dem Sie Nachrichten ausgetauscht haben, wann welche IP-Adresse dort online gewesen ist.

Was wird.

Während die einen im Palazzo Popolo noch den Trojaner suchen und auf die Sommerpause hoffen, um die IT neu aufzusetzen, feiern die anderen schon, eine ganze Woche lang: Die FIRST, das "Forum of Incident Response and Security Teams" kommt nach Berlin mit so spaßigen Vorträgen wie "A Day in the Life of a Cyber Intelligence Professional". Zugegeben, einen Vortrag des Bundestags-CERT hätte man sich schon gewünscht, vielleicht mit einer dieser Anonymisierungs-Tüten aus dem Museum. Aber man kann nicht alles haben. Auf der Berlin Beer Week kriegen gefrustete Security-Experten und Admins lecker was zu trinken.

Alles haben wollen nicht nur unsere Vorratsdatenfans, sondern auch die Schweizer Politiker. Die Novellierung des Nachrichtendienstgesetzes und des BÜPF (PDF-Datei (https://www.admin.ch/opc/de/federal-gazette/2013/2683.pdf)) stehen an, letzteres ist ausgeschrieben das "Bundesgesetz betreffend die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs". In der kommenden Woche debattiert der Nationalrat über das BÜPF-Paket. Enthalten sind so nette Sachen wie die Ausweitung der Randdatenspeicherung von sechs auf zwölf Monate und die Legalisierung des Einsatzes von IMSI-Catchern unter den Kantonsgenossen. Die Namen sind vielleicht gewöhnungsbedürftig, die Technik kennen wir, erst recht die Argumente für den modernen Überwachungsstaat. Die Randdatenspeicherung ist nichts anderes als unsere Vorratsdatenspeicherung und die besonders aparte Begrifflichkeit GovWare läuft bei uns unter dem ebenso verkorksten Namen "Quellen-TKÜ". Dabei muss alles seine Ordnung haben, weg mit der unschweizerischen Rechtsunsicherheit!

(http://1.f.ix.de/imgs/18/1/5/1/5/3/1/6/Jeschke-9ea50fe2cc22262f.png)
Beispiele für diese Rechtsunsicherheit sind die nach geltendem Recht fehlende Möglichkeit, reine Email-Provider zur Speicherung von Randdaten zu verpflichten, oder die Überwachung von verschlüsselter Kommunikation im Bereich Email und Internettelefonie, welche oft nur durch den – nach geltendem Recht höchst umstrittenen – Einsatz von besonderen Informatikprogrammen (GovWare) möglich ist. Daher muss dafür gesorgt werden, dass die Überwachungen, die zur Aufklärung strafbarer Handlungen notwendig sind, nicht durch die Verwendung neuer Technologien verhindert werden können."

Kein Wunder, dass das berühmte "breite Spektrum" der üblichen Verdächtigen in einem Offenen Brief (PDF-Datei (https://www.digitale-gesellschaft.ch/uploads/2015/06/Offener_Brief_Massenueberwachung.pdf)) gegen die Pläne protestiert, von der digitalen Gesellschaft über den Schweizer CCC bis hin zu Wilhelm Tux. Tauchen wir in Solidarität unsere Brotspeere ins Fondue.

In der nun abgelaufenen Woche ist Herr Zukunft gestorben, der großartige Wolfgang Jeschke, der die Science Fiction als Befreiungsliteratur verstand, als Befreiung von der Engstirnigkeit. Als William Gibson seine ersten Erzählungen in den USA unter dem Titel "Burning Chrome" erschienen ließ, verstand Jeschke das sofort richtig. Der deutsche Titel lautete schlicht "Cyberspace". Und das Wort war unter uns.

Quelle : www.heise.de
Titel: 4W:Von Bären mit geringem Verstand und unserem positiven Verhältnis zu den Daten
Beitrag von: SiLæncer am 21 Juni, 2015, 07:15
Mit den Faktoren ist einfach nicht zu spaßen. Sie umringen uns, sie prasseln auf uns nieder, auch auf Hal Faber.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Winnie-der-Pu war ein Bär von geringem Verstand. Als Christopher Robin einmal von der Schule zurück in den Hundert-Morgen-Wald kam, berichtete er Pu von den Faktoren, die er in der Schule lernen musste. Pu stellte sich vor, wie er Seite an Seite mit Christopher losreitet, um gegen diese vermaleideten Faktoren zu kämpfen. Pu stellte sich die Sache so einfach vor wie unser digitaler Verkehrsminister Alexander das mit der Maut für Ausländer. Dobrindt lernt gerade, dass die Faktoren in Brüssel leben.

*** Obwohl Pu ein Bär von geringem Verstand war, sprach er ein tückisches Englisch tideludum, das nur Harry-der-Pooh-Rowohlt verstand und angemessen übersetzen konnte. Die Geschichte von der Rückkehr Christopher Robins war fester Bestandteil der Einschulung meiner Kinder und wurde jeweils am Tage davor vorgelesen, zur Warnung wie zur Aufmunterung gleichermaßen. In einem Land, das eine Rate-Show mit dümmlichen Fragen für Bildung hält und eine junge Frau zum Bildungsprekariat erklärt, ist das immer noch bitter nötig. Harry-der-Pooh las das Ende der Pu-Geschichten aberhundertdrölfzigfach vor bei seinen Auftritten, dieses "an jenem verzauberten Ort ganz oben in der Mitte des Waldes" …

"Wenn ich es vorlese, sage ich mir immer: Mal sehen, wer diesmal gewinnt. Ich oder das Kapitel. Wenn das Kapitel gewinnt, muss ich weinen; wenn ich gewinne, muss ich nicht weinen, und dadurch gewinnt wiederum das Kapitel."

(http://2.f.ix.de/imgs/18/1/5/3/0/5/5/5/Puparlament-6a61531b80bd9cad.png)
*** Ja, mit den Faktoren ist einfach nicht zu spaßen. Sie umringen uns, sie prasseln auf uns nieder wie die very readyness high force der NATO mit ihren überaus einsatzbereiten Soldaten. Soldaten? In einer seiner Kolumnen schrieb Harry-der-Pooh über Soldaten und fensterte dort den verhängnisvollen Satz rein:

"Soldaten sind Mörder? Möglich. Das sind wir alle.

*** Seitdem war Harry-der-Pooh für die CDU und dem Alexander seine Maut-Partei ein Ferkel. Nicht das Ferkel von Pu, das ein sehr weises Tier war und erkannte, wie schwer es ist, tapfer zu sein, wenn man zu den kleinen Tieren gehört. Da geht der Kampf gegen die Faktoren schnell einmal nach hinten los. Nein, Harry-der-Pooh war für die große Politik ein richtiges Ferkel, eine ganz ungehörige Drecksau. Schuld daran war ein angehender Lehrer am Bavink-Gymnasium in Bielefeld (har, har, har). Der verteilte in einer Klasse einen Textausschnitt von Harry unter seinen Schülern, um anhand der Soldaten die ZEICHENSETZUNG zu üben (Caps Lock, für Alexander):

"Soldat A. erkennt früh dass er zu blöd für was anderes ist und wird Karriereoffizier obwohl er Klavier spielen kann und auch sonst das Zeug zu einem Oberkellner hat. Ohne ein einziges Mal Pulverdampf gerochen zu haben wird er Sprecher eines Verteidigungsminsters und späteren Bundeskanzlers macht auf meine (Steuerzahler) Kosten mehrere Segelscheine lässt sich weil seine bisherige Mausi ihm zu feldgrau erscheint scheiden muss weil wichtig ständig umherziehen zeigt in Den Haag Madrid Sandhurst und Washington dass er keine Fremdsprachen kann. Muss sich im Pentagon immer wieder zeigen lassen dass es fünf Ecken hat."

*** Dieser didaktische Übungstext aus Bielefeld (har) führte dazu, dass auf Antrag der CDU die Bildungsminsterin Gabriele Behler begründen musste, warum die "Verunglimpfung von Soldaten Lehrgegenstand" war und wie die unsägliche Indoktrination von Schülerinnen und Schülern abgestellt werden kann. Der Rest ist im NRW-Plenarprotokoll vom Mai 1996 nachlesbar oder eben im Buch "Pooh's Corner II" oder in der Zeit vom 21. Juni 1996, gleich neben dem Nachruf auf Ella Fitzgerald. Der Text von Harry-der-Pooh über die Soldaten endet übrigens so:

"Soldaten sind zum Sterben da. Sórum wird ein Schuh draus. Nun zeigt mal, was ihr könnt. Nun sterbt mal schön. Rekruten natürlich nicht, dass wir uns da nicht missverstehen. In Hamburg zum Beispiel, im alten HSV-Stadion, um die Ecke von dort, wo ihr mich einst gemustert habt: Sterbt, sterbt, sterbt. Da zahl ich dann auch Eintritt. Zum allerletzten Mal."

*** So ist Harry Rowohlt gestorben, und niemand sagt verfatz dich mehr. Mit ihm geht die Erinnerung an Franz Pierenkämper, einem Sitzredakteur beim Bochumer Volksblatt und Mitbegründer der USPD. Der Großvater von Harry-der-Pooh steht für eine ausgestorbene Sorte von Sozialdemokraten, wir haben ganz andere.

*** Wenn diese kleine Wochenschau längst auf einem hannöverschen Parkplatz in die treu sorgenden Hände eines Redakteurs gewandert ist, diskutieren sie bei der SPD im Konvent noch immer über die Vorratsdatenspeicherung und TTIP. Über 50 Wortmeldungen zum Thema VDS müssen abgearbeitet werden. Wer nicht bei diesen Sozialdemokraten ist, dem bietet sich das bemerkenswerte Schauspiel, wie eine Partei sich demütigen lässt von einem ahnungslosen katzenmörderischen Vorsitzenden, der unbedingt einen Überwachungsstaat will, um seine Wahlchancen zu erhöhen. Dazu werden Lügen aufgetischt über Firmen, die "sowieso speichern" und vom erfolgreichen Einsatz der Bevorratung in Österreich und der Schweiz. Für jemanden wie Otto Schily ist das verfassungswidrige Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung eine zu kurz geratene Selbstverständlichkeit wie die deutsche Rohstoffpartnerschaft mit Kasachstan.

*** Dem Vorsitzenden der SPD hat ein anderer Vorsitzende, der vom Bund deutscher Kriminalbeamten, einen langen Brief geschrieben, was neben Terrorattacken und schwersten Starftaten noch zur Suche in unser aller Daten berechtigt: Kindesmissbrauch, Betrug, Erpressung und Korruption müssten ebenso verfolgt werden, desgleichen politisch motivierte Kriminalität. Was noch nicht da ist, wird gleich ausgeweitet und das mit einer schicken, modernen Begründung:

"Die Digitalisierung unseres Alltags hat längst dazu geführt, dass Telekommunikationsdaten heute auch bei sogenannter Alltagskriminalität benötigt werden."

*** Wer so mit der Digitalisierung des Alltags argumentiert, wird bald beim kleinsten Online-Betrug an die Daten wollen und vor allem die Ausweitung auf E-Mail und De-Mail oder e-Post und sonstige Kommunikationspfade fordern. Sind ja nur in der Digitalisierung des Alltags entstandene Sachen und daher ganz was anderes als dieser Postverkehr mit seinem Briefgeheimnis.

*** Halthalthalt, alles falsch, bitte mal locker machen! Sollen wir nicht alle ein positives Verhältnis zu unseren Daten entwickeln, wie das die Bundeskanzlerin zum Tag der Familienunternehmen forderte? Kann es angehen, dass amerikanische Unternehmen bei der Digitalisierung die Wertschöpfung mit ihren Apps bestimmen? Muss es nicht eher so sein, das Familienunternehmen wie die Deutsche Telekom Geld bekommen für den Bandbreitenausbau? We are family!

Was wird.

Der Bundestag ist gehackt. Bundestagsdaten dringen durch die Mauer und lustige Mails über die Paritätische Doppelresidenz machen die Runde. Die Suche nach den Schuldigen beschäftigt nicht nur das BSI und die beauftragte Firma BFK-Consulting des Cyberwar-Experten Christoph Fischer, sondern auch die Linksfraktion. Die ließ ihre Fraktionsserver von dem auf Staatstrojaner spezialisierten Programmierer Claudio Guarnieri untersuchen und der fand Fernwartungscode und eine Kopieranweisung für Dateien. Die Interpretation einer von ihm gefundenen IP-Nummer als Fingerzeig zu russischen Tätern ist gewagt und wird bezweifelt. Ironischerweise hatten die Firmen FireEye und ihre Tochter Mandiant, die besagte IP-Nummer in einem Bericht den Russen zuordnen, die ganze Woche über einen eigenen Stand auf der Berliner FIRST-Konferenz, doch niemand von der Linkspartei ließ sich da sehen und die Zuordnung erklären. So eine Prüfung stört nur im parlamentarischen Gewusel im Computer-Chaos-Club. Bis zur Sommerpause wird es weitergehen mit den Zuweisungen und Vermutungen und dann kommt ja das Sommerloch, in dem Sammy der Kaiman zuschlägt und den Bundestags-Hacker verspeist, mit Haut, Haaren und dem Sourcecode von Mimikatz.

Wer ein positives Verhältnis zu seinen Daten hat, wird den Besuch des feministischen Vorbilds Queen Elizabeth in Deutschland begrüßen. Verschwörungstheoretiker und Fans von Geheimdienst-Aktionen werden sich an die von der Königin beim GCHQ veranlasste Abhöraktion erinnern, die unter dem Namen Squidgygate archiviert ist. Im Verlauf dieser Aktion legte die US-amerikanische NSA 1056 Seiten mit Abschriften von Telefonaten an, die Diana, Prinzessin von Wales geführt hat. Dieser Sachverhalt kam erst im Jahre 2008 ans Tageslicht: We are family, wohin man auch sieht.

Halthalthalt! Vielleicht lügt da der Telegraph wie gedruckt, bei aller Liebe zu den Daten. Genau dies hat die Sunday Times am vorigen Sonntag gemacht, als sie um jeden Preis den Whistleblower Edward Snowden diskreditieren wollte. Alle Beschuldigungen stellten sich als unwahr heraus, doch in ihrer Komposition sind sie ein Kunstwerk, das vor billigster Fälschung zu schützen eine wichtige Aufgabe von Anwälten ist. Wenn das man keine Schule macht.

Quelle : www.heise.de
Titel: 4W: Vom Verlust der Freiheit und Feuern in Neuland
Beitrag von: SiLæncer am 28 Juni, 2015, 06:14
Eine traurige Woche geht zu Ende. Und das nicht nur, weil die SPD wieder mal eingeknickt ist. Bedrückt steigt Hal Faber über die rauchenden Trümmer Neulands, des abgebrannten.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** "3600 bekannte terroristische Gefährder" gibt es nach Aussage des CDU-Politikers Armin Schuster in Europa. Sie seien "Ziele, die man im Blick halten sollte". Einer der Gefährder ist Yassin Sahli, der in Frankreich bei Lyon eine Niederlassung von Air Products in die Luft jagen wollte und einen Menschen enthauptete. Sein Helfer wurde ermittelt, weil eine Kamera das Nummernschild eines Autos filmte und dies zu einem Treffer in der KFZ-Vorratsdatenbank führte. Sahli wurde vom Geheimdienst beobachtet, doch diese Beobachtung wurde 2008 aufgehoben. Ob Frankreichs neues Geheimdienstgesetz einen wie ihn ermitteln kann, wenn die drei Geheimdienste der Franzosen ohne richterliche Genehmigung Verbindungsdaten und die Online-Kommunikation auswerten dürfen, ist eine schwierige Frage. Die gilt auch für die nach dem Attentat auf Charlie Hebdo neu eingestellten 1100 Geheimdienstler und 1580 Anti-Terrorspezialisten, unter ihnen viele Software-Entwickler. Das neue Gesetz stellt explizit Algorithmen unter Schutz, die zur Analyse von Verbindungsdaten entwickelt werden, um die 3000 Personen zu überwachen, die die französischen Dienste im Visier haben. Weil in der Parlamentsdebatte zum Gesetz stolz davon die Rede war, man werde jetzt eine "kleine NSA" haben, müsste man eigentlich Grinsen angesichts der Nachricht von Elyseeleaks, dass die NSA die letzten drei Präsidenten des Landes überwachte. Doch die Lage ist viel zu ernst.

*** Denn unermüdlich werden im Namen des Kampfes gegen den Terror Freiheiten aufgegeben, die sich demokratische Gesellschaften seit der französischen Revolution erkämpft haben. In diesem Sinne war es eine traurige Woche, in der eine SPD wieder einmal umknickte, die auf ihrer Website von Menschenhassern und Demokratiefeinden spricht. Die SPD hat dem vom Kanzleramt vorgeschlagenen Verfahren im ersten Schritt zugestimmt, dem Parlament als höchstem Repräsentant der Demokratie keinen Einblick in die Liste der NSA-Selektoren zu geben. Stattdessen soll eine Vertrauensperson Einblick in die Liste bekommen und ihre Erkenntnisse der G10-Komission und dem NSA-Ausschuss in geheimer Sitzung vortragen – nachdem das Kanzleramt die Erkenntnisse geprüft und gegebenenfalls zensiert hat. Der ehemalige Verfassungsrichter Kurt Graulich mag ein ehrenwerter Mensch sein, der sich mit Terrorismus und Rechtsstaatlichkeit auskennt, doch müsste er sich als Vertrauensperson erst einmal in die Materie einarbeiten, wie die NSA ihr Data Mining betreibt. Dabei soll er nicht einmal Hilfe eines Spezialisten bekommen, der auswerten oder zumndest demonstrieren kann, wie Selektoren und ihre Operatoren zusammenwirken. All dem hat die SPD zugestimmt und sich in letzter Instanz den Geheimhaltungswünschen der USA unterworfen. Dazu als Schmankerl ein BND-Reförmchen, das Kritiker auf die Palme bringt. Das alles ist eine betrübliche Erkenntnis, auch nach der Zustimmung der SPD zur Vorratsdatenspeicherung nach einer Debatte, in der das Wort Kompromiss inflationär gebraucht wurde. Jaja, der Kompromiss ist der Verzicht auf vermeintliche Freiheitsrechte und einer Partei würdig, die unter ihrem Leitstern Willy Brandt den Radikalenerlass verabschiedete. Und hey, auch Willy Brandt würde diese Radikalen von Greenpeace anzeigen.

*** Apropos Erkenntnis: In der letzten Wochenschau verbreitete ich die Erkenntnis, dass die IT des deutschen Bundestages möglicherweise von Bären mit geringem Verstand betreut wird und nicht von IT-Sicherheitsleuten. Alles falscher Alarm, denn nun hat sich die Firma zu Worte gemeldet, die das System betreibt: Bundestag.de ist sicher. Anlass für diese in ihrer Schlichtheit nur echten IT-lern verständliche Mitteilung ist ein Bericht der Süddeutschen Zeitung auf Basis eines Beitrags von Kristian Köhntopp. Weiteres über die IT des Bundestages ist bei einem kleinen Verlag in der norddeutschen Tiefebene zu erfahren, der unbeirrt behauptet: Neuland ist abgebrannt. Wie abgefackelt die Sache ist, zeigt sich an der Nachricht von 100.000 gesperrten Web-Adressen, die die deutschen Abgeordneten nicht erreichen können, weil ihr Datenverkehr nun über das besonders sichere IT-Netz der Bundesregierung geleitet wird und die dort Filter zuschlagen. Mit anderen Worten: für unsere Regierung und ihre Ministerien sind 100.000 Web-Adressen gesperrt: Neuland ist gefährlich.

*** In Neuland leben seltsame Menschen. Das fand Ilse Aigner heraus, in Bayern als Ministerin für Wirtschaft und Energie auch für die Digitalisierung und Medien zuständig. Zur Eröffnung des Münchener Filmfestes schwärmte sie über den neuen Film des Regisseurs Oliver Snowden. Gemeint war Oliver Stone, der in München seinen Film über Edward Snowden drehte, mit Mitteln aus der Filmförderungvon Aigner. Das offizielle Foto vom Set erinnert eher an den Whistleblower Manning und nicht an den Whistleblower Edward Snowden, den der Europarat in dieser Woche würdigte. Edward Snowden ist der Mann, dem Frankreich aus Verachtung für die US-amerikanische Spionage nach dem Vorschlag eines Journalisten politisches Asyl gewähren sollte, während Norwegen ihn an die USA ausliefern würde, käme er ins Land. Carolin Emcke nannte ihn einen öffentlichen Flüchtling, der allseits gefragt aber überall unerwünscht ist und diagnostizierte eine ganz besondere Unfähigkeit zu trauern:

In seinem Bild spiegelt sich die Widersprüchlichkeit einer vorgeblichen Wertegemeinschaft, die den überfälligen gesellschaftlichen Selbstverständigungs-Diskurs über legitime und illegitime Praktiken von Geheimdiensten endlich führt und gleichzeitig denjenigen sanktioniert und verbannt, dem sie diese Unterscheidung erst verdankt. So wird Edward Snowden unfreiwillig zum ikonografischen Zeugen der traurigen Unfähigkeit, politische Irrtümer oder Verfehlungen einzugestehen und zu korrigieren.

*** Einen lustigen Irrtum habe ich noch. Nicht nur Edward Snowden, sondern auch der Aktivist Jacob Appelbaum lebt außerhalb der USA. In diesem Fall im freiwilligen Exil in Berlin, mit dem unbestreitbaren Vorteil, dass er die Welt bereisen kann, etwa nach China, um Ai Weiwei zu besuchen. Als Wikileaks-Aktivist geriet er ins Visier einer Grand Jury, die die Aktionen der Gruppe in den Jahren 2009/2010 untersuchte, als Wikileaks von Chelsea bzw. damals Bradley Manning veröffentlichte. Schon in der vorletzten Woche begann Appelbaum damit, Auszüge aus den Ermittlungsakten zu twittern, in dieser Woche veröffentlichte Intercept die kompletten 306 Seiten, die Googles Widerstand gegen das Schnüffeln der Grand Jury dokumentieren. Appelbaum hatte nämlich ein Google-Konto benutzt, um den Rechtsschutz der Google-Juristen genießen zu können. Anderen, weniger wichtigen Netzpersönlichkeiten empfahl er diese Woche Riseup.net, die Plattform für Menschen, "die an an einem freiem gesellschaftlichen Wandel arbeiten".

Was wird.

Hurra, Hurra, wir bekommen eine neue Fusions-Datenbank! Nach der Antiterror-Datei und der Verbunddatei Rechtsextremismus hat die Innenministerkonferenz in Mainz beschlossen, dass unter technischer Leitung des Bundeskriminalamt der Datenaustausch über Wohnungseinbrüche bei bandenmäßig durchgeführten Raubzügen bundesdateiweit vereinheitlicht wird. Weg mit den lästigen Grenzen zwischen den Bundesländern, an die sich die Banden nicht halten. Freuen wir uns über die neue zentrale Datei "und daraus womöglich ableitbare künftige Einbruchserien über Landesgrenzen hinweg". Darf es ein bisserle mehr sein? Etwas Predictive Policing gefällig? Den lapsus mit der nicht beschlossenden ständigen Schleierfahndung in ganz Deutschland kriegen wir auch noch hin.

Gegen datenbankliche Übergriffe von Staat und Behörden ist der Verein Digitalcourage bzw. vormals FoeBuD seit Jahren aktiv. Freuen wir uns deshalb mit allen Freunden und Förderern, wenn am Montag die Datenschutzaktivistin Rena Tangens in geplanter Anwesenheit von Bundeskanzlerin Merkel die Auszeichnung "Persönlichkeit des Verbraucherschutzes 2015" der Stiftung Verbraucherschutz in der Kategorie "Persönlichkeit" erhält. Rena Tangens prägte nicht nur die Arbeit von Digitalcourage, sondern erfand zur Verleihung der jährlichen Big Brother Awards den Satz vom "Negativpreis für Datenkraken".

(http://3.f.ix.de/imgs/18/1/5/3/7/8/7/7/Otto-59b9c9919da8e0b3.jpeg)

Schade, dass Datenkrake Otto nicht dabei sein kann, weil er gerade für die kommende Dauerausstellung des Berliner Technikmuseums unter dem neuländisch klingenden Thema "Das Netz. Menschen, Kabel, Datenströme" restauriert wird. Sonst hätte Otto sehr zärtlich einen seiner Tentakel um Justizminister Heiko Maas geringelt, der als Schirmherr der Veranstaltung den Preis überreichen wird. Aber hey, wir wollen nicht so sein und formulieren es mal mit der SPD-Linken, die ihren Heiko mit viel Applaus bedachte: "Auch von mir, denn es stimmt: Wenn man eine anlasslose Speicherung nicht prinzipiell ablehnt, dann hat er ein gutes Verhandlungsergebnis erzielt."

Quelle : www.heise.de
Titel: 4W: Von Mäusen und ... Menchen?
Beitrag von: SiLæncer am 05 Juli, 2015, 00:16
Die Katze lässt das Mausen nicht, ist sich Hal Faber recht sicher. Dabei gibt es doch herrliche Urlaubslektüre: Bedienungsanleitungen für NSA-Software, unverständliche Abstimmungszettel, Sensordaten. Dann lieber eine mausende Katze.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Nun ist er da, wie in der letzten Wochenschau vom Rande der norddeutschen Herdplatte geschrieben. Der nette Herr Graulich ist als Sonderermittler von der Bundesregierung berufen worden und berichtet dieser, während das Parlament zu kuschen hat. Es scheint, dass da ein aufrechter Jurist sich an die "Selektorenliste" setzt, der anders als der amtierende Justizminister weiß, was ein Grundgesetz ist, wenn er im Interview erklärt:
"Es gibt keinen akzeptablen Grund für die Vorratsdatenspeicherung, sie ist ein unverhältnismäßiger Eingriff in die Persönlichkeitsrechte. Wir durchsuchen auch nicht den Hausmüll aller Bürger, weil sich dort Hinweise auf Straftaten verbergen könnten. Außerdem ist das Risiko für einen Missbrauch der gespeicherten Daten viel zu groß.

*** Allerdings hat es Herr Graulich nicht so mit den Computern. Er weiß zwar, dass es diese Krypto-Partys gibt, aber Verschlüsseln, das ist dem bekennenden Buddhisten viel zu kompliziert. Vielleicht in einem anderen Leben. Die Haltung ist schade, muss der Mann doch nach Verbindungsdaten suchen und die zugehörigen Bestandsdaten ermitteln. Sollten diese dann im Ausland liegen, etwa in den USA, dann war's das schon. Es sei denn, es gibt einen eSuperman im schicken Hemdchen und dem berühmten Teledurchblick, der als Spindoktor zu Hilfe eilt. Jawohl, als Spindoktor. Erklärbärchen wie Bruce Schneier sind nicht erwünscht:
"Die Prüfung könnte schnell an einen Punkt kommen, an dem wir mehr Daten, mehr Kontextwissen brauchen. Das geht wahrscheinlich nicht ohne die Amerikaner. Es muss auf der US-Seite eine Art Spindoctor für die Selektoren geben. Ich glaube nicht, dass mit der Einsicht in die Selektorenliste die Aufklärung schon erledigt sein wird."

*** Es ist alles eine Frage der Identität, das wusste schon US-Präsident Kennedy, der als Clark Kent verkleidet Superman zum Geburstag gratulierte. So und nicht anders muss das Verhältnis zur Presse gesehen werden! Ein Präsident, der sich schützend vor Superman stellt! Eine Angela Merkel, die sich als Tilo Jung verkleidet zur Bundespressekonferenz aufmacht! Doch ach, wir haben nur einen Geheimdienstkoordinator, der in der US-Botschaft seine Instruktionen abholt und auf Wunsch der CIA und NSA seinen Stellvertreter "ins Archiv" versetzte. Womit wir mindestens lernen, dass es mehr gibt auf dieser Welt als wir uns träumen ließen: Selektorenlisten, geheime Archive von Geheimdienstkoordinatoren, da geht noch was, da kann Herr Graulich über Aktenberge wandern wie in seinem geliebten Himalaya.

*** Aber es mit dem Computer zu haben, das ist nicht nur das Problem von Herrn Graulich. Es ist ja auch ein Kreuz, wenn man nicht mehr weiß, was denn überhaupt ein Computer ist. Früher, in den Zeiten des großen Eisens, da musste man das noch gar nicht wissen als normaler Mensch. Und konnte es auch nicht, da alle Computer der Welt (so acht, neun Stück) in großen, gut gekühlten Hallen versteckt waren. Später aber konnte man sie leicht erkennen: So hässliche graue Kisten gab es sonst nirgends, wurde man einer ansichtig, konnte es nur ein Computer sein. Und jetzt? Da reden die Experten schon vom Internet der Dinge, wo Otto Normaluser noch nicht mal wirklich weiß, was er mit seinem Smartphone alles anstellt. Dabei greifen die Experten selbst zu kurz: Ist ihr Internet der Dinge doch nicht mehr als der rudimentäre Anfang einer intelligenten Umgebung. Wieder einmal ist die Technik weiter als die Gesellschaft, die noch gar nicht gelernt hat, mit der vorhergenden Version umzugehen. Ich freue mich auf die schöne neue Welt, ehrlich. Aber vielleicht wäre es doch ganz gut, wir jammerten nicht nur über die gar erschröklichen Algorithmen, sondern verständigten uns darauf, wie die Zukunft in einer intelligenten Umgebung realiter aussehen soll.

*** Aber das ist Zukunftsmusik. In jeder Beziehung. Dafür hat sich was getan in dieser heißen Woche, das man als Kernschmelze bezeichnen könnte. Auf 800 MByte kompromierte PDF-Dokumente über die Funktionsweise und Bedienung von XKeyScore wurden veröffentlicht. Jetzt kann sich jedermann im Strandkorb in die Bedienung eines Systems einarbeiten, das weltweit unamerikanische Umtriebe erschnüffelt. Jetzt enthüllt sich erst, wie das Herzstück der NSA-Datensammelei funktioniert. Nicht nur der NSA: Erinnert sei daran, dass unser toller Verfassungsschutz eine Testversion von XKeyScore installiert hatte, um selbst mal auszuprobieren, wie weit das Teil zur Wirtschaftsspionage zu gebrauchen ist. Wie nun Schutzchef Maaßen allen Ernstes erklären kann, dass es keine Anhaltspunkte für die NSA-Spionage gibt, wird sein Geheimnis bleiben. Eigentlich wäre brüllendes Gelächter fällig: "Hihi haha, hoho, wir haben XKeyScore ausprobiert, aber, hehehe, es ist nur eine hastig zusammengebaute Sammlung von Open Source-Programmen, kicher, mit der man mehr recht als schlecht bis zu 20 Terabyte am Tag in eine MySQL-Datenbank stopft. Diese zusammengeklöppelte Software von Hobbyisten ist doch keine ordentliche Spionage, haha. Wenn wir unsere erweiterte Fachunterstützung Internet ausbauen, dann benutzen wir doch nicht so ein Gefrickel wie XKeyScore." Liest man, was die erste Sichtung von XKeyScore ergibt, so steht fest, dass Open Source neben Open Intelligence (Opint) eine wichtige Stütze der Geheimdienste geworden ist:
"XKEYSCORE is a piece of Linux software that is typically deployed on Red Hat servers. It uses the Apache web server and stores collected data in MySQL databases. File systems in a cluster are handled by the NFS distributed file system and the autofs service, and scheduled tasks are handled by the cron scheduling service. Systems administrators who maintain XKEYSCORE servers use SSH to connect to them, and they use tools such as rsync and vim, as well as a comprehensive command-line tool, to manage the software."

*** Ja, da träumt man wie früher, dass die NSA Supercomputer wie früher den IBM Harvest oder die superschnellen Cray-Rechner einsetzt und dass ihre supersmarten Agenten mit Datenhandschuhen und Datenbrillen in den Objekten suchen wie in den Romanen von Michael Crichton, doch nun sind es hundsgewöhnliche Server, MySQL und ein paar simple Tabellen mit Nummern von Wissensarbeitern in deutschen Ministerien. Immerhin: die Frage vim oder emacs ist von der NSA gelöst worden, das ist schon was.

*** Was jetzt nach Fefe kommt, ist die Frage, ob eine Klausel gegen Geheimdienste die NSA und ihre Verbündeten davon abhalten kann, ein Bündel aus quelloffenen Programmen einzusetzen, um weltweit Menschen, Unternehmungen und Regierungen zu beschnüffeln. Jeder kennt wahrscheinlich die Antwort, die Richard Stallman für die Freie Software gegeben hat (Nein!). So bleibt am Ende die Frage übrig, ob die NSA daran gehindert werden kann, Fehlerberichte einzusenden und ihre unter der GPL entwickelten Programme geheim zu halten.

*** Wo bleibt das Positive? Es tut gut, dass es von unser aller Kanzlerin kommt und von der NSA mitgeschnitten wurde. Wir lesen eine Zusammenfassung, in der Merkel sagt, dass sie keine Ahnung hat, wie es mit Griechenland weitergehen soll und "ratlos" ist. Ich. Habe. Keine. Ahnung. Nicht gut ist es, dass diese Merkelsche Ratlosigkeit ein Griechenland betrifft, das nach Wochen hemmungsloser Desinformationskampagnen in Deutschland wie in Griechenland nun die Wahl hat. Pleitegriechen? Oxi! Nazi-Merkel? Nein! Wer die Propagandaschlachten in Deutschland wie in Griechenland gelesen hat, ist um eine Illusion ärmer, was den Journalismus anbelangt. Dieser geistige Sondermüll soll vom BND abgegriffen worden sein?

*** Die konzertante Aktion von Wikileaks, Berliner Aktivisten und deutschen Tageszeitungen wurden von einem ellenlangen offenen Brief von Julian Assange begleitet, der von Frankreich, ausgerechnet Frankreich, eine humanitäre Geste erwartete. Sein Leben sei direkt bedroht und müsste gerettet werden, schrieb Assange an Präsident Hollande, dessen Stab die Überfluggenehmigung für die Maschine des bolivianischen Präsidenten Evo Morales annullierte, weil man Edward Snowden in ihr vermutete. Immerhin: Durch den Brief erfuhr man, dass Assanges jüngstes Kind wie seine Mutter die französische Staatsbürgerschaft hat und Assange selbst von 2007 bis 2010 in Frankreich lebte, dem Land der großen Ideale. Durch die postwendende Antwort erfuhr man außerdem, dass Frankreich weiß, was ein europäischer Haftbefehl ist. Auf dieser Ebene funktioniert Europa.

Was wird.

Der Sommer ist da. Träge treibt Sammy, der Kaiman, im Baggersee, jederzeit bereit, das Sommerloch zu füllen, sollten die "verrückten Griechen" nicht noch verrückter werden. Der Chaos Computer Club hat seine Campingplatzgebühren veröffentlicht und ist drauf und dran, sich körperbetont zu geben, da zwischen Haftlagerstich und Germaniastich. Erinnerungen an ein früheres Sommerloch werden wach, als auf dem Camp der Start von Openleaks verkündet wurde und Mitglieder kurzfristig aus dem Club gefeuert wurden, weil sie Daten von Wikileaks gelöscht haben sollten. In einer kühlen Ziegelei dürfte es diesmal ruhiger zugehen als in erhitzten Zelten.

Halt! Stopp! Zum Sommer gehört bekanntlich das Sommerrätsel dieser Wochenschau all der Ereignisse, die im großen Strom der Nachrichten untergegangen sind. Vorschläge und Anregungen für Rätselfragen aller Art werden ab sofort dankbar entgegen genommen, während der Autor sich langsam dem flüssigen Aggregatszustand nähert. Selbst Katzen wissen besser mit der Hitze umzugehen

Quelle : www.heise.de

Titel: 4W : Handelnd von Kriegen, Trauer und Vorbildern.
Beitrag von: SiLæncer am 12 Juli, 2015, 00:14
Die Trauer nimmt wieder überhand, wenn Menschen sterben, deren Wirken wir vermissen werden. Hal Faber verneigt sich. Und ist wütend über all den Anti-Verschlüsselungs- und Neuland-Unverstand. Denken hülfe.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Caspar Bowden hat den Kampf gegen den Krebs verloren. In einer Zeit, in der Politiker in den USA und anderswo wieder einmal anfangen, von einem Kryptoverbot oder einer Schlüsselhinterlegung zu faseln und die Crypto Wars neu anzufachen, ist das ein schwerer Verlust. Ja, wir brauchen mehr Datenschützer vom Format eines Caspar Bowden und nicht weniger, da hat Techcrunch recht. Ich habe Caspar Bowden und seine Art zuletzt in der Reference Group des EU-Projektes ABC4Trust erlebt, als für Stiudenten in Griechenland und Schüler in Schweden ID-Systeme entwickelt wurden, die dennoch die Privatsphäre der Beteiligten schützten. Das Projekt war eine typische Caspar-Bowden-Idee der gegenseitigen Befruchtung von IT-Industrie und Wissenschaft, die entstand, als Caspar es schaffte, Kim Cameron und Kai Rannenberg zusammenzubringen. Wer Caspars Art nicht kannte, stolperte häufig über seinen bekanntesten Job, den des Chief Privacy Advisers Europa bei der Firma Microsoft, so nach dem Denkschema "Microsoft und Privatsphäre", was soll das schon sein. Doch Caspar Bowden suchte aktiv den Kontakt zu den Datenschützern, die er ermutigte, nicht nachzulassen im Kampf gegen Unsinn wie der verdachtsunabhängigen Vorratsdatenspeicherung unseres digitalen Lebens. Schließlich suchte er auch den Kontakt zur Politik und verfasste für das Europa-Parlament 2013 eine erste Einschätzung der NSA-Enthüllungen.

*** Dabei war Caspar selbst auch ein Vorbild, mit seinem unermüdlichen Kampf gegen den britischen RIP Act, den er im Jahre 2000 als Leiter der britischen Foundation for Information Policy Research führte. Diese Foundation wurde 1998 von Caspar Bowden und seinem Mitstreiter Ross Anderson ins Leben gerufen – das Geld kam von Microsoft und den britischen Provider-Kooperativen Poptel und Demon. Die Foundation sollte IT-Experten, Politiker und Sozialwissenschaftler zusammenbringen und ein unabhängiger Ansprechpartner für Journalisten sein, die sich neben der Technik auch für soziale Konsequenzen der Technik interessierten. Apropos Ross Anderson: Er gehörte zu den Unterzeichnern einer Petition gegen den amerikanischen und britischen Unsinn mit den Zweitschlüsseln, die unter der Woche veröffentlicht wurde. Diese Petition konnte Caspar selbst nicht mehr unterzeichen. Selbst die Electronic Frontier Foundation, die eigentlich ihren Geburtstag feiern wollte, trauert um Caspar.

*** Caspar Bowden hatte keine Scheu, auch bei den Hackern aufzutreten und vor der Datenenteignung durch die Cloud zu warnen, etwa bei der SIGINT oder dem 31C3, schon von der Krankheit gezeichnet. Seine erste eigene Konferenz organisierte er für die Scientists for Labour im Jahre 1997 unter dem Titel Liberty on the Line: Opportunities and Dangers of the Superhighway. Inmitten des ersten Kryptokrieges ging es schon damals gegen Bestrebungen, Kryptographie zu verbieten oder gewollt schwache Verschlüsselung zu erlauben. Und es ging um die universale Ausschnüffelung, um die massenhafte Überwachung auf dem Informations-Superhighway mit einem Vor-Blick auf Prism & Co.:
"Super-computers have the potential to conduct random electronic "fishing expeditions" against the whole population. Telephone and letter interception cannot be automated: digital monitoring can.'

*** Die Konferenz-Ankündigung verbreitete Caspar Bowden auf der wichtigsten Mailingliste der Cypherpunks, auf der rund 50 aktive Teilnehmer über Kryptopolitik und Staatstheorien diskutierten. Dort wurden auch Berichte über die Tagung veröffentlicht, etwa das Plädoyer von Phil Zimmermann für eine freie Kryptografie, die von Bürgerrechtlern in solchen Staaten eingesetzt werden kann, in denen Bürgerrechte nicht beachtet werden. Beeindruckend war auch Whitfield Diffie, der die Key-Escrow-Pläne der britischen Regierung für undurchführbar hielt, und eine selbstorganisierte Public Key Infrastructure als die einzig sinnvolle Alternative bezeichnete. Das wurde von den Cypherpunks begrüßt, die von 1992-1998 über Remailer und Anonymisierungssysteme diskutierten. Dass solche Angebote nutzerfreundlich und sicher sind, war bis zuletzt ein Anliegen von Caspar Bowden, etwa beim Tor-Projekt oder beim Qubes-Projekt. Auch dort wird er vermisst, das nächste Release soll seinen Namen tragen.
"We the Cypherpunks are dedicated to building anonymous systems. We are defending our privacy with cryptography, with anonymous mail forwarding systems, with digital signatures, and with electronic money. Cypherpunks write code. We know that someone has to write software to defend privacy, and since we can't get privacy unless we all do, we're going to write it. We publish our code so that our fellow Cypherpunks may practice and play with it. Our code is free for all to use, worldwide. We don't much care if you don't approve of the software we write. We know that software can't be destroyed and that a widely dispersed system can't be shut down."

*** Beim Verteilen der Codes mochten die Cypherpunks von 1992 bis 1998 großzügig sein und sich nicht groß darum gekümmert haben, wer was mit dem Code anstellt. In manchen Dingen reagierte man eher kleinkariert. Da beschwerte sich ein Dave Vincenzetti vom CERT Italien, als US-Aktivisten über die Gestaltung eines T-Shirts für eine Konferenz diskutierten, was, wie wir heute wissen, ein zentral wichtiger Baustein jeder Hacker-Konferenz ist. Dann beschwerte sich ein Julian Assange, als andere Teilnehmer darüber ratschlagten, wie sie eine Einweihungsparty feiern könnten. Nun haben sich die Wege der beiden Teilnehmer der kleinen Mailingliste wieder gekreuzt: Assanges Wikileaks veröffentlichte Hunderte von Mails der Firma Hacking Team, deren Chef David Vincenzetti ist. Aus dem glühenden Verteidiger von Zimmermanns PGP, der auf der Mailingliste den kommerziellen Ansatz von Viacrypt vehement verurteilte, wurde einer, der ohne Skrupel seine Überwachungs-Software in den Sudan lieferte oder nach Athiopien, wo die Journalisten von Zone 9 überwacht wurden.

*** Was in dieser Woche nach und nach und nach über Hacking Team bekannt wurde, dürfte die Firma des Cypherpunks Vincenzetti in den Ruin treiben, auch wenn man bei Hacking Team gegensteuert. Doch Hacking Team ist nur ein großer Brocken, aber nicht alleine. Das zeigen die von Wikileaks veröffentlichten Mails. Rund um diese Firma mit ihrem Remote Control System existiert ein Mikrokosmos von Beratern und Kleinfirmen, die als Dienstleister einspringen und keine Skrupel haben, die Software dem pakistanischen Geheimdienst vorzuführen (nur den Hinflug scheute man). "Wir haben tollen Code und kümmern uns nicht, was andere über diesen Code denken und wie andere Staaten diesen Code einsetzen. Hauptsache, die Kasse stimmt." Allein sechs solcher Firmen sind in Deutschland ansässig und arbeiten als Support-Mittelsmänner zwischen Hacking Team und den Kunden, die Rechner und Telefone von "Kriminellen" überwachen wollen. Sie tragen Namen wie TKSL, Gesellschaft für Telekommunikations-Sonderlösungen, die an BND-Tarnfirmen erinnern, und haben Webseiten, die sich stark ähneln. Da wird das ägyptische Militär unterstützt oder die "Cyber Security-Einheit" in Kuwait, die dortige Biduns überwachen will. Auch in den ach so rechtlich sauberen Ländern erfolgt der Support über deutsche Mittelsfirmen. Da werden die Steuerfahnder in Luxemburg unter den hübschen Codenamen "Condor" und "Falcon" bedient, die Zürcher Kantonalspolizei als "Zuegg" unterstützt, wenn sie sich eilig, eilig, in ein Samsung Galaxy einschleichen sollen.

Was wird.

Wie es um diese "Lawful Interception" bestellt ist, das zeigt die offizielle Stellungnahme der Kantonalspolizei Zürich zum Einsatz von Software bei der Strafverfolgung. Zuerst wird betont, dass die Software ganz normal beschafft wurde, um Schwerverbrecher zu überwachen, die sich "durch die Wahl ihrer Kommunikationsmittel der Strafverfolgung entziehen" wollen. Natürlich nur mit entsprechender Genehmigung des zuständigens Gerichtes. Dann wird der Artikel der Strafprozessordnung aufgeführt, der den Einsatz von Wanzen o.ä. in Wohnungen erlaubt, sich aber nicht auf ein Android-Phone bezieht, für das man dringenden Supportbedarf bei Hacking Team anmeldete. Das nennt die Schweizer Presse dann ein Buebetrickli, was man wohl als Taschenspielertrick übersetzen könnte. Schließlich waren es nur zwei Maßnahmen, in denen die Software von Hacking Team eingesetzt wurde.

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Der Trick erinnert an das aktuelle Verfahren über die Befugnis zur Online-Durchsuchung durch unser Bundeskriminalamt, das derzeit vor dem Bundesverfassungsgericht verhandelt wird. Seit 2009 soll es erst eine Online-Durchsuchung und vier Quellen-TKÜ-Ausleitungen gegeben haben, obwohl die Zahl der islamistischen Gefährder rasant gestiegen ist. So gibt man sich bescheiden und datensparsam, bis die richterliche Prüfung überstanden ist. Jede Wette, dass danach gefordert wird, die tollen BKA-Tools in anderen Deliktsbereichen einzusetzen. Denn solche aufwendigen Maßnahmen müssen sich schließlich rechnen im deutschen Rechenstaat. Das Urteil wird zum Ende des Jahres erwartet.

Dann ist ja noch Zeit, oder? Draußen, in einer lauen Sommernacht, passiert was, bei der kleinen Rakete.

Quelle : www.heise.de
Titel: 4W: Vom guten Leben in überwachten Zeiten
Beitrag von: SiLæncer am 19 Juli, 2015, 09:20
"Och, komm. Du hast das doch prima gemacht." Unser aller liebstes Netz war jedenfalls in dieser Woche schwerst erschüttert über die Kanzlerin. Derweil sammelt Hal Faber schonmal Steilvorlagen fürs Sommerrätsel.

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Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Endlich bekommt die seltsame Regierungs-Show Gut leben in Deutschland die Beachtung, die sie verdient. Zu Beginn wurde die offene Diskussion über den Islam gefordert, aber auch ein europäischer Solidaritätszuschlag für Griechenland. Lang ist's her. Unser aller liebstes Netz war jedenfalls in dieser Woche schwerst erschüttert, als unser alle Bundeskanzlerin Angela Merkel, eine erschöpfte und überarbeitete Frau, einem Mädchen namens Reem Swahil den Kopf streichelte und diesen "unheimlich sympathischen Menschen" lobte. "Och, komm. Du hast das doch prima gemacht." Reem weinte derweil. Das Video der regierungsamtlichen, femininen Ungeschicktheit kennt jeder, den offiziellen neuen Titel nur wenige. Der lautet "Niemand ist vollständig". Das kann man so deuten, dass wir alle einen Dachschaden haben, nicht nur die PR-Strategen des Kanzleramtes, die in der ersten – später zurückgezogenen – Presseerklärung berichteten, Reem habe nur vor Aufregung geweint. Das kann man aber auch anders deuten, denn das Zitat zu diesem Vorgang, das meine Twitter-Timeline wieder und wieder wiederholt, lautet:

Das lässige Streicheln über Kinderhaar und Tierfell heißt: Die Hand hier kann vernichten. Sie tätschelt zärtlich das eine Opfer, bevor sie das andere niederschlägt, und ihre Wahl hat mit der eigenen Schuld des Opfers nichts zu tun. Die Liebkosung illustriert, dass alle vor der Macht dasselbe sind, dass sie kein eigenes Wesen haben. Dem blutigen Zweck der Herrschaft ist die Kreatur nur Material.

*** Es stammt aus der Dialektik der Aufklärung von Max Horkheimer und Theodor W. Adorno und endet nicht, wie auf Twitter, mit dem Wort "niederschlägt". Denn so brutal ist eine Angela Merkel nicht, sie hätte auch einen weinenden Varoufakis liebevoll gestreichelt. Vor der Macht sind alle dasselbe und Merkels Wahl hat nichts mit der Schuld des Opfers ihrer Streichelei zu tun. Inmitten der verschlafenen und gähnenden Schuljungen gab es ja sonst nichts zum Streicheln. Und vorher auch nicht: Da war Merkel bei Infineon und Globalfoundries in Dresden, um sich über die Bedeutung der Halbleiterindustrie für Deutschland und die Industrie 4.0 zu informieren. Zärtlich ruhte ihr Blick auf einem Wafer.

*** Vorige Woche beschäftigte sich diese kleine Kolumne mit den weißhütigen Hackern von Hacking Team, die sich inzwischen wortreich verteidigen. In internen Mails zeigte sich Firmenchef David Vincenzetti gar nicht erbaut über Einrichtungen wie Citizenlab, die als erste auf die zweifelhaften Deals seiner Firma aufmerksam machten. Alles Flachpfeifen, die viel Geld bekommen und nur dort forschen, wo es nicht riskant ist, heißt es in einer Mail.

"Ich habe eine Frage für alle: BITTE NENNT mir ein einziges wirklich "demokratisches" Land, ein Land, dass die Rechte von niemanden verletzt und das eine TOTAL saubere Weste hat, was Menschenrechte anbelangt".

*** So einfach kann man es sich machen, wenn man sich als White Hat Hacker begreift und dabei Länder wie Ägypten beliefert. Wenn man trotz Embargos auch Russland als Kunden akzeptiert. Das alles kann ja nicht ganz falsch sein, wenn die USA mal eben die Genehmigung erteilen, dass Ägypten ein 100 Millionen Dollar teures Grenzüberwachungssystem mit einer Technik bekommt, die auch ins Land hineinhorchen kann. Nun gut, USA und Menschenrechte, das ist eine kipplige Sache, wie die aktuelle Klage von Laura Poitras beweist. Sie lebt in Berlin und erklärt in der Frankfurter Allgemeinen im Interview Deutschland für ein ganz wunderbares Land, Überwachung inklusive:

"Ich habe aus einigen Quellen gehört, dass ich für den BND 'strahle wie ein Christbaum'. Aber ich denke, die Erfahrung des Sozialismus und die Stasi-Vergangenheit haben dazu geführt, dass man in Deutschland geschützter ist. Das Land hat aus seiner dunklen Vergangenheit gelernt. Aber eines Tages würde ich gerne meine BND-Akten sehen."

*** Naiv oder subversiv, das ist die Frage. Sie bringt uns zu einem kleinen, feinen Land, das Hacking Team ohne Probleme belieferte, wie es das Beispiel der Kantonspolizei Zürich zeigt. Nur ein Kantönchen weiter, in Basel, kam ein anderer Trojaner zum Einsatz, der deutsche Staatstrojaner von Digitask unter dem Namen Federal Software. Mit tatkräftiger Unterstützung der Firma Dreamlab Technologies soll der Trojaner auf dem Computer eines Bankers installiert worden sein, gegen den wegen Veruntreuung von Kundengeldern beziehungsweise Anlagebetrug ermittelt wurde. Nach den Ermittlungen und der Übertragung von Beweisen soll das Programm gelöscht und der Banker über die Ermittlung informiert worden sein. Der Rest ist Schweigen. Die Technik muss ja geheim bleiben, sonst sind künftige Einsätze der Digitask-Software gefährdet. So demoliert die Software einen Rechtsstaat, wie dies nun auch ein britisches Gericht erkannt hat. Auch dort darf man weitermachen mit der "Gouvernment Software".

*** Apropos Dreamlab. Zuletzt arbeitete die Firma mit der deutschen Abteilung von Gamma zusammen, wie reuige Weißhacker des CCC berichteten, bei denen sich ein Gewissen meldete. Seinerzeit war auch Dreamlab reuig. Doch wer wird sie ignorieren können, die guten Staatsaufträge für die gute Sache? Schließlich ist Spionage eine uralte Kulturtechnik, wie das Käsemachen in der Sennerei. Was für die große deutsche Politik bedeutet, dass nach den Wegwerfhandys die Wegwerfcomputer und -Tablets kommen werden – die Nutzung von Tails und anderen Selbstschutzsystemen ist für Politiker zu schwierig und wird capulcusären Pinguinen überlassen.

Was wird.

Der Sommer ist da, die Ferienzeit ist angebrochen und die Preise für Draußen-Spässekens steigen. Die Deutschen reisen ins Ausland, natürlich ohne ihre Kunstwerke. Die sind "nationales Kulturgut", was Schutz und Bewachung braucht. Wie beim Staatstrojaner und bei der Vorratsdatenspeicherung wird die Privatsphäre nach den Plänen der Regierung kurzerhand zur Manövriermasse. Auch der Gedanke an eine europäische Kultur wird abgeschafft, alles im Zeichen des Kampfes gegen fiese Milliardäre und sonstiger Kunsträuber. Denn der Kulturgutschutz hat nach Paragraf 17 des geplanten Gesetzes Vorrang vor der Unverletzlichkeit der Wohnung und gestattet es sachverständigen Personen, bei Verdacht schon mal die Tür einzutreten wie ein Spezialeinsatzkommando. Sollen Bilderstürmer die Internationalität deutscher Sammlerkultur retten? Noch wird am Entwurf gedreht und geklebt, aber eine nette Vorlage ist er schon – für das Sommerrätsel.

Das dreiteilige, traditionell das Sommeloch bekämpfende Rätsel beginnt am nächsten Wochenende mit eben dieser großen europäischen Kunst als Bilderrätsel, ganz im Zeichen von Googles träumender Software für Roboter und ihre Schäfchen. Angeblich zeigt sich so, dass die Computer mit KI überfordert sind, wie manche Journalisten. Es könnte freilich sein, dass Politiker wie Hollande wirklich so aussehen, zu später Verhandlungsstunde beim Grexit, kurz bevor sie zu Zombies werden. So wendet sich vielleicht manches zum Guten: Wer möchte denn nicht diese knuffige Angela Merkel streicheln, die Google irgendwie mit der Roboterrobbe Paro assoziiert?

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Quelle : www.heise.de
Titel: 4W: Mit lauschigen Rätseln in einer stürmischen Sommernacht
Beitrag von: SiLæncer am 26 Juli, 2015, 07:00
Was sich alles gegen uns wenden kann, beschäftigt Hal Faber natürlich auch. Zudem ist es aber Zeit für den ersten Teil des alljährlichen Sommerrätsels.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich. Und bringt dieses Mal, wie aus den Vorjahren gewohnt, aus Anlass des Sommers das zugehörige Sommerrätsel.

Was war.

*** Stell dir vor, es gibt neue Leaks von der NSA und keiner achtet drauf. Offenbar aus dem Fundus der Cablegate-Dokumente stammend, sollte die Zusammenfassung einer Steinmeier-Reise aus dem Jahre 2005 für Aufsehen sorgen. Das Dokument, das sogleich als Überwachungsprotokoll betitelt wurde, präsentiert uns einen "scheinbar erleichterten" Außenminister, wie dies ein Berichterstatter formulierte und einige Telefonnummern. Für Julian Assange von Wikileaks reicht es allemal als Beweis und so erklärte er: "Today's publication indicates that the NSA has been used to help the CIA kidnap and torture with impunity." Diese großspurige Art ist nicht dazu angetan, Empörung zu entfachen, sondern ist genau das, was der empörte Hans Leyendecker in der Süddeutschen Zeitung so beschreibt: "Wenn Affären Serienprodukte sind, verfällt ihr politischer Kurswert, und es braucht schon große Schweinereien, um noch echte Aufregung auszulösen." Genau die große Schweinerei fehlte in sommerlicher Hitze. Ist es ein Aufreger, dass in den Wikileaks-Dateien Malware steckt? Aber nicht doch, gehn wir schwimmen?

*** "Willfährig blenden wir aus, dass alles, was über uns in den gigantischen, nie vergessenden Datenbanken zu finden ist, eines Tages gegen uns verwendet werden kann", heißt es in der Einführung zum aktuellen Versuch der Kollegen von c't und heise online, weiter Licht in den NSA-Skandal zu bringen. Und uns begreiflich zu machen, warum die Langeweile, die viele angesichts immer neuer und zeitlich arg gestreckter Enthüllungen befällt, allen auf die Füße fallen wird. Hoffen wir, dass es sich nicht als Donquichotterie erweist, deren Windmühlen nicht nur aus den Maßnahmen des tiefen Staats, sondern auch aus der öffentlichen Gleichgültigkeit bestehen.

*** Aber wir wollen unterhalten werden. Ja, es ist Sommer und Zeit für das alljährliche Sommerrätsel. Aus besonderem Anlass ist das erste Rätsel der Malerei und der Bildenden Kunst gewidmet, denn Deutschland leistet sich gerade eine seltsame Debatte über die Frage, was denn ein national wertvolles Kulturgut ist und wie selbiges geschützt werden kann vor der Abwanderung ins Ausland. Immerhin ist seit der letzten Woche das höchst umstrittene Zutrittsrecht in Wohnungen aus dem Entwurf gestrichen worden.

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Es gibt sie noch, die Privatsphäre. Was es noch gibt, sind Computerbücher und das nicht nur im ePub oder Kindle-Format. Mitunter sogar solche, die wertvolle kulturelle Güter zitieren. Diese werden im Sommerrätsel gesucht.

Also gleich zur Frage 1: Welches Buch wird im Bild rechts gesucht?

Um gleich Frage 2 anzuschließen: Der Schrei von Edvard Munch soll zu den bekanntesten Gemälden der Welt gehören. Googles Bildersuche bietet viele Varianten, von Homer Simpson bis Angela Merkel. Eine fehlt. Sie ist auf dem Titel eines Computerbuches zu finden, das erstaunlich endet.

*** Bücher, viele Bücher, und viele, viele Fahrer in gelben Autos, die Bücher bringen und Fahrradwege zuparken. Der Geburtstag von Amazon führte beim "Buchladen" Amazon zu vielen Bestellungen, bei den Lesern zu einer saukontroversen Debatte. Während Jeff Bezos reich und berühmt ist, ist sein erster Angestellter Shel Kaphan nur reich geworden, doch kaum berühmt. Dabei gehörte er zu denen, die Amazon in der Tradition des Whole Earth Catalogues sahen, als Versender von Ideen und Dingen für ein anderes Leben. "Es war immer unsere Mission, schwer auffindbare Werkzeuge, besonders Informationswerkzeuge an eine weit verstreute Kundschaft zu liefern, die solche Artikel nicht an ihrem Wohnort kaufen kann.

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Das sollte Amazon fortsetzen." Kaphan verließ die Firma vor der Zeit, als Amazon zum Händler für alles Mögliche wurde und vor dem Platzen der Dotcom-Blase, in der die Träume der Bobos vom guten Leben aufgegeben wurden. Auf soziale Nachhaltigkeit im Geschäftsmodell achten, das ist lange her.

*** Wobei Kaphan wiederum daran erinnert, dass Jeffs Ehehälfte McKenzie keine Probleme damit hatte, ein Amazon-kritisches Buch mit einer Rezension abzuschießen. Wie war das noch, als niemand anderes als Tony Morrison den ersten Roman ihrer Recherche-Assistenten über den grünen Klee lobte? Heute leben wir in einer Zeit, in der eine enge persönliche Beziehung zu einem Autor oder Künstler von einer Software ermittelt und geahndet wird.

Daraus ergibt sich Frage 3: Gesucht wird links ein Buch .... und ein Bild.

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Sowie Frage 4: Big Brother ist schwer beschäftigt. Was sehen wir im Bild rechts und was sehen wir nicht?

*** Die Geschichte mit diesem Cyberwar beginnt kompliziert zu werden. Auf der einen Seite steht das Anliegen von Informatikern und IT-Experten, diese Kriegsführung zu ächten und gegen alle Bestrebungen dieser Art Cyberpeace zu fordern. Auf der anderen Seite steht .... eine Mutter, die liebend gerne bei der Sendung mit der Maus gearbeitet hätte, aber nun, hachja, die Millionen für Beschaffungsprojekte heraushauen muss für ihre Chefin, die Frau im Hosenanzug. Dafür wird sie eines Tages vor ihren Kindern stehen, mit der stummen Subdominanten im Bundeswehr-Getöse. Den dort ist die Einschätzung eines Cyberkriegs eine recht unkonkrete Sache, da "weder rechtlich noch anderweitig klar definiert": Alle reden vom Cyberkrieg, aber keiner definiert ihn. Das ist ganz praktisch:
"Geschwindigkeit und Unvorhersehbarkeit von Cyber-Angriffen können es aktuell sehr schwierig machen, Angreifer und Motive festzustellen. Bewaffnete Konflikte, aber auch Auseinandersetzungen unterhalb dieser Schwelle, insbesondere bei sog. hybridgen Bedrohungen, haben heutzutage oft auch eine Cyber-Komponente."

*** Cyberangriffe sind so verflucht schnell, dass sie vorbei sein können, ehe "Krieg" gerufen und der Angreifer identifiziert werden kann. Und dann gibt es noch hybridge Bedrohungen, eine Art Hyber-Bridge in fremde Netze, etwa in die IT des Bundestages. Wer schützt uns? Ganz klar der BND, der seine Wasserhähne im eigenen Bau nicht kontrollieren kann, aber den Cyberraum dank SSCD mit Kantels Töle.
"Aktuell betreibt der Bundesnachrichtendienst (BND) den Aufbau eines Frühwarnsystems, welches Deutschland erstmals in die Lage versetzen wird, Angriffe auf die deutsche IT-Infrastruktur zu erkennen, bevor diese wirksam werden und Schaden anrichten können. Mit dem als SIGINT Support to Cyber Defence (SSCD) bezeichneten System werden die Voraussetzungen geschaffen, um Cyber-Bedrohungen aktiv vorzubeugen."

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*** Solchermaßen beruhigt können wir uns wieder dem Sommerrätsel widmen, denn beim BND ist alles in guten Händen. Selbst der Sonderermittler in Sachen NSA-Selektoren profitiert vom technischen Sachverstand der ihm zugeteilten BND-Mitarbeiter.

Also dann Frage 5: Auch im Bild links wird ein Buch und ein Bild gesucht.

Was uns zu Frage 6 führt: Von Selektoren zermalmt? Michelangelos Pieta inspirierte die Künstliche Intelligenz.

*** Unter den erwähnten Antworten der Bundesregierung findet sich die Auskunft, dass seit dem Jahre 2000 keine Aufträge an die in Italien angesiedelte Firma Hacking Team durch die Bundesregierung und/oder nachgeordneter Dienste vergeben wurden. Hacking Team und sein Super-Spion erhitzten in dieser Woche die Gemüter, weil die Italiener sich bedenkenlos aus dem großen Topf der Open-Source-Software nahmen, was sie brauchten, selbst bei einschränkenden Lizenzen. Ohne jede Bedenken wollte man auch ausgewiesene Militär-Lieferanten versorgen. Ethische Probleme hatte man nicht. Die Nachricht von einem Selbstmord in Südkorea stimmt nachdenklich. Rechtlich darf der Staat alles tun, um nordkoreanische Spione zu entlarven, aber nicht unbescholtene Bürger belauschen. Doch ein Spionage-Vorwurf wurde schneller gefunden als ein herumliegender 150-Euro-Schein. Nachgerade amüsant ist es, wie man bei Hacking Team die Entwicklung von Palantir verfolgte, die damals mit 9 Milliarden Dollar bewertet wurden und heute bei 20 Milliarden liegen sollen. In dieser Preisklasse wollte man spielen und den goldenen Schnitt machen. Das ist jetzt Makulatur.

Immerhin kommen wir damit schon zu Frage 7: Schon wieder Michelangelo? Aber ja doch. Mit diesem Knirps wird ein Buch gesucht oder das Cover zu einem Album einer bekannten Band.

Frage 8 musste sein. (Der Ärger ist vorprogrammiert.) Das Buch?

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Was wird.

In diesen trägen, warmen Sommerzeiten dürfte wohlplätschernd am Baggersee die Nachricht niemanden überraschen, dass sich die wunderbare elektronische Gesundheitskarte und ihre wundersamen Wirkkräfte um ein weiteres Mal verzögern werden. Überraschend ist jedoch, dass die Industrie nicht fertig wird, die für den Test notwendigen Konnektoren zu liefern. Haben nicht Industrievertreter wieder und wieder betont, dass man jederzeit loslegen kann und nur die ewig nörgelnden Ärzte und Zahnärzte die Bremser sind? Die Telekom kann aus dem Stand 1500 Ärzte-Tablets auf iPad-Basis raushauen, hat aber bei 500 Konnektoren Probleme. In der Folge wird der "Großtest" der Gesundheitskarte schrumpfen, ebenso die wissenschaftliche Begleitforschung und wer dann noch "Halt!" rufen will bei diesem Projekt, wird kurzerhand überfahren. Wo bleibt das Positive? Es kommt, es kommt: In der nun anstehenden Woche wird der "eGovernment-Monitor" vorgestellt. Die Einladung spricht von einer beispiellosen Erfolgsgeschichte.

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Das Schnuckelchen muss nicht erraten werden, schließlich waren Ada und ihre Gefährtinnen wie Mina Rees schon vor 10 Jahren in einem Sommerrätsel präsent, das den Frauen in der IT gewidmet war.

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Trotzdem muss gemeldet werden, dass im Heinz Nixdorf-Museum zu Paderborn eine Ausstellung über Frauen in der Computergeschichte geöffnet wird. Die Auflösung dieser ersten Teils des Sommerrätsels erfolgt wie immer am Montag. Die nächste Folge beschäftigt sich mit Kryptographie und Medienkompetenztests.

Also Frage 9: Alles Babel oder was?

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Und zum guten Schluss Frage 10: Sexpuppen sollen mit Hilfe der KI noch sexier werden, vielleicht so schlau wie Hedy Lamarr, die das Frequenz-Hopping miterfand. Das Lamarr auch Sexpuppen konstuierte, bauen ließ und testete, ist weniger bekannt. Gesucht wird immer noch ein Buch.

Quelle : www.heise.de
Titel: 4W: Die Auflösung des ersten Teils des Sommerrätsels.
Beitrag von: SiLæncer am 27 Juli, 2015, 20:56
Die erste Runde ist vorbei und nun auch keine missratene Frage mehr offen: Hal Faber hat alle Antworten. Und reichlich Gehacktes: Spaß mit dem Hacking Team und seinen Hackern.

Die lustigste Geschichte in einer lauen Sommernacht produzierte diesmal jemand anders. Nachdem sich das Unternehmen “Hacking Team” selbst als Opfer fieser Hacker inszenierte, haben besagte Hacker eine Gegendarstellung über den gehackten Newsletter-Verteiler der tollen Mailänder Firma verschickt. Kunden und andere Interssenten konnten so lernen, wie man das Remote Control System "Galileo" der Firma installiert und betreibt. Sie konnten sich auch darüber amüsieren, dass der Chef von Hacking Team eine Verschlüsselung für überflüssig hält: “Wir haben nichts zu verbergen”.

Frage 1: Dem bekannten Journalisten Rainer Zufall ist es zu verdanken, dass der Astronom Galileo Galilei den Amerikaner Ed Krol dazu animierte, den "Astronomen" aus dem Ständebuch des Jost Amman auf den Titel seines Buches The Whole Internet User's Guide & Catalog zu nehmen. Als eines der "wichtigsten Bücher des 20. Jahrhunderts" geadelt, inspirierte Krol den Verleger Tim O'Reilly dazu, nur gemeinfreie "kostenlose" Stiche für seine Buchtitel zu nehmen. Das Rätsel wurde gelöst.

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Frage 2: Auch Frage 2 bereitete meinen Lesern keine Schwierigkeiten. Das Unix Haters Handbook von Garfinkel, Weise und Strassman mit seiner Illustration frei nach Edvard Munch wurde enttarnt, nur nicht das Ende dieses Buches. Es ist schlicht eine Spucktüte, wie sie in jedem Flieger zu finden ist. Natürlich hat die Tüte eine Geschichte: In dem Anti-Vorwort zum Hasser-Buch schrieb Dennis Ritchie, dass er das Buch zum Kotzen findet. Als echter Wissenschaftler wertete er das Buch nüchtern: "Like excrement, it contains enough undisgusted nuggets of nutrition to sustain life for some"

Frage 3: Die Bildersuche von Google ermöglichte den Lesern zwar den Fund von "Bobos in Paradise", jenem Buch von David Brooks über die New Upper Class der Internet-Reichen, was vielleicht eine Spielverderberei war, aber das zugehörige Bild Der Traum von Henri Rousseau blieb unentdeckt.

Frage 4: Das Bild des britischen Kubisten William Roberts über den "Control Room, Civil Defence Headquartes" aus dem Jahre 1941 zierte den Titel der Taschenbuchausgabe von George Orwells "1984". Roberts gehörte 1914 zur Kunstbewegung der Vortizisten und hatte im Ersten Weltkrieg für die Unterstützung der britischen Armee gemalt. Dies wollte er im Zweiten Weltkrieg wiederholen und die Arbeit im streng geheimen Bletchley Park darstellen. Das wurde ihm nicht gestattet. Nur den Control Room durfte er betreten.

Frage 5: Diese Frage suchte den von Lynn Hershman Leeson herausgegebenen Sammelband "Clicking In. Hot Links to a Digital Culture" und die Venus von Urbino des Malers Tizian.

Frage 6 und Frage 7 sind in diesem Sommerrätsel gründlich missraten, denn das Cover-Album einer bekannten Band (Frage 7) gehörte zur Frage 6. So konnte dieses Bild nicht gefunden werden, das von Frank Kelly Freas zu einem Queen-Cover umgemalt wurde und natürlich nicht das Buch Beyond AI zur Künstlichen Intelligenz. So erwischte es in Frage 7 auch den David von Michelangelo vom Cover des Buches "The Age of Spiritual Machines" von David Kurzweil, das bei uns unter dem schrulligen Titel Homo S@piens erschien.

Frage 8, die Cover-Illustration von Frederick Brooks Mythical Man Month wollten viele Leser haben, um ein wirklich einflussreiches Buch zu ehren. Entsprechend schnell wurde diese Rätselfrage gelöst. Die unbestrittene Nummer 1 der Computerbücher, Donald Knuths "Art of Computer Programming" fehlt, weil dieser Illustrationen ablehnt.

Frage 9: Der Turmbau zu Babel von Pieter Brueghel d.Ä. ziert das Cover von Paul Grahams Buch Hackers & Painters, in dem dieser sich mit der Kultur des Machens beschäftigt, die Hacker, Maler, Architekten und Bildhauer beflügelt. Das Bild wurde geraten, das durchaus lesenswerte Buch nicht.

Frage 10: Ähnlich verlief die Raterei beim letzten Bild, das den Barberinischen Faun zeigte und auf die Erzählung "Alan Turing" von Rolf Hochhuth verweist. Turing und die Geschichte der Enigma verweisen uns auf die Geschichte der Kryptographie, die im nächsten Sommerrätsel eine Rolle spielt, aber auch auf den Turing-Test für Kunstwerke. Damit schließt sich der Kreis zum nächtlichen Spuk von Hacking Team mit einem Satz von Edward Snowden: Wer nichts zu verbergen hat, hat vielleicht nichts zum Denken....

Quelle : www.heise.de
Titel: 4W: Ein Abgrund von Landesverrat in einer rätselhaften lauen Sommernacht
Beitrag von: SiLæncer am 02 August, 2015, 05:30
Carl von Ossietzky. Walter Kreiser. Conrad Ahlers. Rudolf Augstein. Netzpolitik.org steht nun in einer ehrenvollen Reihe, meint Hal Faber, der sommerrätselt und sich gleichzeitig fürchtet, die politische Justiz könnte mit ihrem Willkürakt durchkommen.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich. Und bringt dieses Mal, wie aus den Vorjahren gewohnt, aus Anlass des Sommers das zugehörige Sommerrätsel - heute, trotz erschreckender anderer Ereignisse, die zuerst gewürdigt werden müssen, der zweite Teil.

Was war.

*** "Meine sehr geehrten Damen und Herren, es gibt aber auch Skandale, die als Skandale kaum wahrgenommen werden. Nämlich, dass geheime und geheimste Unterlagen aus dem Bereich der Nachrichtendienste in die Medien gelangen, sobald sie den politisch-parlamentarischen Bereich erreichen. Es ist ein Skandal, wenn z. B. der geheime Wirtschaftsplan des Bundesverfassungsschutzes sowie geheime Zusatzinformationen hierzu von den Medien abgedruckt und von einem Bundestagsabgeordneten kommentiert werden."

So ärgerte sich Hans-Georg Maaßen über die Tatsache, dass seine tollen Pläne für ein Sonderkommando namens Erweiterte Fachunterstützung Internet bekannt wurden. Die Untat zeigte er beim LKA Berlin an, doch die Strafanzeige wurde an die Generalbundesanwaltschaft überstellt, die nun gegen die Kollegen von Netzpolitik.org ermittelt. Der Vorwurf: Landesverrat. Markus Beckedahl und André Meister stehen nun auf einer Stufe mit Conrad Ahlers und Rudolf Augstein, mit Carl von Ossietzky und Walter Kreiser. Wieder einmal zeigt sich politische Justiz in Deutschland mit ihrer hässlichen Fratze, nach 1931 und 1962 im Jahre 2015, gekoppelt mit einer Desinformationskampagne, die ein Journalist gegen abschätzig titulierte "Internet-Dienste" führen darf, der das Symposium moderieren durfte, auf der Hans-Georg Maaßen über den Skandal bramarbasieren durfte.

*** Was der erklärte Angriff auf die Pressefreiheit soll, darüber wird heftig spekuliert. Gut möglich, dass der simple Grund für die Absendung des Gelbograms an die Blogger schlicht das Verjährungsproblem ist, dass bei *Bloggern und Journalisten* schon nach sechs Monaten greift. Die Anzeige dürfte nach einer juristischen Analyse des Vorgehens auf eine Anklage hinauslaufen, auch wenn die Sache jetzt erst einmal ruht, weil man ein Gutachten abwarten will. Das ein solches Gutachten über das löchrige System der "Verschluss"sachen nicht vorher erstellt wurde, zeigt, dass die Bundesanwaltschaft nicht gerade mit Könnern ihres Faches besetzt ist. Opportunistische  Duckmaus trifft Spitzmaus und alles ist paletti. Das ist mehr als ein unendlich peinlicher Missbrauch von Strafrecht.

*** Will Maaßen nach vorwärts ins eigene Schwert fallen oder fürchtet er einen deutschen Edward Snowden so sehr, dass er den ohnehin bescheidenen Ruf des Amtes noch einmal ordentlich demoliert? Das Vorgehen erinnert an den berühmten "Kampf gegen das Verrätertum", an den Prozess gegen die Journalisten Ossietzky und Kreiser, die beide als Landesverräter angeklagt wurden. Und so könnte sich denn wiederholen, was Ossietzky seinerzeit spöttisch beschrieb:

"Dennoch war diesmal für eine reizvolle Abwechslung gesorgt: Wir verließen den Saal nicht als Landesverräter, sondern als Spione.

Denn zur Anklage muss schon der Beweis her, dass sich ausländische Nachrichtendienste aus den Landesverrats-Dokumenten ein Bild davon machen können, wie schlecht das Amt und seine Landesämter bei der Auswertung und Indoktrinierung von Facebook und anderen sozialen Medien aufgestellt ist. Um jeden Preis muss in dem anstehenden Landesverrats-Prozess der Eindruck vermieden werden, dass der Schutz einer Behörde Vorrang hat vor der Pressefreiheit. Denn sonst könnte eine Stimmung entstehen, in der dieser "Dienstleister der Demokratie" aufgelöst werden und durch eine politische Polizei ersetzt werden muss, die einer wirksamen Kontrolle unterliegt.

*** Kommt die politische Justiz mit ihrem Willkürakt gegen Netzpolitik durch, könnten Zeiten anbrechen, die der Kommunistenverfolgung in den 50er Jahren in nichts nachstehen. Jedes Presseorgan, dass einen öffentlichen Schlüssel und eine gesicherte Abwurfstelle für Dokumente im Internet anbietet, wird unter Generalverdacht gestellt und von der "erweiterten Fachunterstützung Internet" beobachtet. Was sich da abzeichnet, lässt sich gut an der aktuellen Debatte über Hintertüren in Verschlüsselungssoftware zeigen, über die auch Netzpolitik berichtet. Aus den verschlüsselt kommunizierenden bzw. erreichbaren Landesverrätern werden schnell Spione und dann ist die berühmte Frage zu den undemokratischen Umtrieben fällig: "Benutzen Sie oder haben Sie jemals in der Vergangenheit PGP zur Verschleierung ihrer Kommunikation benutzt?"

*** Dieser zweite, nun aus aktuellen Anlass etwas klein geratene Teil des Sommerrätsels beschäftigt sich aber ebenfalls mit der großen, immerfort laufenden Debatte um Kryptografie in der Neuzeit. Ehrens- und erwähnenswert ist es, wenn Cryptome veröffentlicht, wie in der Schweiz Geräte speziell für die NSA und den GHCQ hergestellt wurden, doch der Blick gehört diesmal den Widerständlern. Denjenigen, die sich gegen staatliche Verbote zur Wehr setzten oder eigene softwarebasierte Verschlüselungssyteme erfanden. Ursprünglich sollte dieses Sommerrätsel ein reines ungooglebares Bart-Rätsel werden, doch wer kennt sie nicht, die mächtigen Rauschebärte von Whitfield Diffie, Ronals Rivest und Martin Hellman & Co?. Doch in der ersten großen Krypto-Debatte waren auch rasierte Typen gefragt – die später ordentliche Bärte entwickelten. Ja, Frauen kommen in diesem Rätsel leider nicht vor, Sakoshi Nakamoto auch nicht. Zu gewinnen gibt es auch nichts, hier gibt es kein Money-Programm wie bei Hacking Team, das die Wallet.dat klaut bei der "Lawful Interception".

Also gleich zu Frage 1: Wir sehen unten im Bild aus der Frühzeit des Internets die Notizen zu einer Präsentation, deren Screenshots durch das in ihnen enthaltene Logo nun doch zu leicht zu erraten wären. Wer wetterte da gegen die NSA und ist heute Träger eines prächtigen Bartes? Zu einer Zeit, als WAIS, Eudora und Gopher die verfügbaren Internet-Dienste waren, forderte seine Organisation die "Freiheit vom ASCII-Gefängnis" und "die absolute Notwendigkeit, die Verschlüsselung von der Kontrolle durch die NSA zu befreien, da sie eine überlebenswichtige Technologie ist".

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Frage 1: Wir sehen aus der Frühzeit des Internets die Notizen zu einer Präsentation, deren Screenshots durch das in ihnen enthaltene Logo nun doch zu leicht zu erraten wären. Wer wetterte da gegen die NSA und ist heute Träger eines prächtigen Bartes? Zu einer Zeit, als WAIS, Eudora und Gopher die verfügbaren Internet-Dienste waren, forderte seine Organisation die "Freiheit vom ASCII-Gefängnis" und ]"die absolute Notwendigkeit, die Verschlüsselung von der Kontrolle durch die NSA zu befreien, da sie eine überlebenswichtige Technologie ist".

(http://1.f.ix.de/imgs/18/1/5/5/9/2/4/4/Frage2-1ca86418bb79e04b.png)
Weiter mit Frage 2: Im Bild links ist ausschnittsweise ein Bartträger zu erraten, der mit dem Herrn aus Frage 1 die Organisation gründete, aber selbst mit einer eigenen Gruppe bekannt geworden war. Fotografiert wurde er bei einem eher traurigen Anlass.

*** Die Debatte um das Verbot oder um die Einschränkung der Kryptographie mit hinterlegten Schlüsseln wird heute seltsam ahistorisch geführt, als ob es nie eine solche Debatte gegeben hat. Tatsächlich war man schon einmal viel weiter, insbesondere bei der Erkenntnis, dass Key Recovery blanker Unsinn ist. Es gab eine Zeit, in der deutsche Politiker gegen das Key Recovery-Verfahren wetterten:

"Dies bedeutet im Ergebnis: die amerikanischen Stellen wollen jederzeit Zugriff nehmen können auf verschlüsselte Texte. Dies gilt auch für vertrauliche Daten ausländischer Nutzer. Das ist nicht akzeptabel. /..../Die Sicherheitsprobleme können gelöst werden. Denn die erforderlichen technischen Mittel, um sich zu schützen – etwa mit 'starken' kryptographischen Verfahren – sind in Deutschland frei verfügbar."

Daraus ergibt sich Frage 3: Wer sagte diese wichtigen Sätze und wann?

(http://3.f.ix.de/imgs/18/1/5/5/9/2/4/4/Frage4-ffecc20feb9ebb61.png)
Gehen wir wieder über zu den Bärten und damit zu Frage 4: Kein Bart? Dieser Mann im Bild rechts setzte sich wo für starke Kryptographie ein?

(http://3.f.ix.de/imgs/18/1/5/5/9/2/4/4/Frage5-5925497c67ba8c88.png)
Und kehren mit Frage 5 zurück: Kein Bart? Das geht ja gar nicht. Also ein hübscher Bart. Dieser Mann im Bild links sorgte für ein Waldbeben.

(http://1.f.ix.de/imgs/18/1/5/5/9/2/4/4/Frage6-acec328310bccd78.png)
Gleich weiter mit Frage 6: Im zweiten Bild links noch ein Bart mit starken Kryptogedanken und einem Patent, das für Furore sorgte.

Was wird.

Es gehört zu den Schmankerln aus dem prallen Leben, dass in der anstehenden Woche die Landesverräter von Netzpolitik.org von der Initiative Deutschland – Land der Ideen eine Auszeichnung erhalten werden, in Anerkennung der Tatsache, dass die Blogger eine "wichtige Stimme in der Medienlandschaft" geworden sind. So sieht sie aus, die erweiterte Fachunterstützung Internet im Land der durchgestochenen Ideen.

Exakt zeitgleich mit dem Chaos Communication Camp wird das IT-Netz des Bundestages abgeschaltet und peu a peu wieder neu gestartet. Die mit ihren Booten angereisten Hacker haben gerade die letzten 250 Tickets von 45.000 in vier Minuten vom Server gekratzt. Wenn sie im Ziegeleipark Mühlenberg im Zeichen des Landesverrates unter freien Himmeln planschen, schwitzt die Bundestag-IT. Immerhin soll es in Berlin genug Strom geben, während auf dem Ziegeleigelände Generatoren laufen müssen für den Spaß am Gerät. Am 17. August, wenn das Camp schließt, soll die Bundestags-IT nach dem Neustart für frischen Landesverrat wieder zur Verfügung stehen. Das ist ein wirklich raffinierter Plan. Daran beteiligt ist Deutschlands freundlichster Geheimdienst, in dem ein wuschelbärtiger Kryptologe vor vielen Jahren die verschlüsselte Botschaft eines Terroristen entschlüsseln konnte.

Daraus wiederum folgt natürlich Frage 7: Wer ist mit dem gerade erwähnten wuschelbärtigen Kryptologen gemeint?

(http://3.f.ix.de/imgs/18/1/5/5/9/2/4/4/Frage8-ec46a000156c9c3e.png)
Gleich weiter mit Frage 8: Der 3-Tage-Bart fehlte in diesem Quiz. Im Bild links wird ein wichtiger Denker gesucht, der über informationstechnische Syteme und Verschlüsselung Pionierarbeit leistete.

Und dann Frage 9: "Die schwer geheime Überwachungssoftware von heute wird morgen der Gegenstand von Dissertationen sein und bald darauf ein Werkzeug von Hackern." Von welchem Bartträger stammt der Satz?

(http://3.f.ix.de/imgs/18/1/5/5/9/2/4/4/Frage10-011af4f34510606a.png)
Zu guter letzt Frage 10: Im Bild rechts ein letzter Bart zum Abschied, mit der Mahnung zur kompletten Dokumentation der Verschlüsselung.

Wie immer erfolgt die Auflösung der Rätselfragen am Montag. Bis dahin wünsche ich allen einen ruhigen #Landesverrat.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was wirklich wahr war in der zweiten Rätsel-Sommernacht
Beitrag von: SiLæncer am 03 August, 2015, 20:56
Unser lauschiges Sommerrätsel wird aus Berlin mit Wasserbomben beworfen. Wenn in der Hauptstadt der Bauernschwank vom "Landesverrat" aufgeführt wird, bleibt kein Auge trocken.

Tja, ein Sommerrätsel funktioniert nicht wirklich, wenn es ein Sommertheater vom Landesverrat gibt. Inzwischen ist, nach einer gut besuchten Demonstration die Politik aus ihrem Sommerschlaf aufgewacht und liefert eine Posse ab, die an einen Bauernschwank erinnert. Keiner will es gewesen sein und doch wurde ein Brief geschickt, während die wichtigste Person, ein externer Gutachter, einfach in den Sommerurlaub gefahren ist. Viel fehlt bis nicht zur genauso plausiblen Erklärung in der Bundespressekonferenz, dass Sammy (der Kaiman vom Baggersee) das Gutachten gefressen haben könnte. Oder den Gutachter. Für einige ist der Generalbundesanwalt Range der Schuldige, für andere ist er nur feige, aber nicht bösartig und geht ohnehin bald in den Ruhestand. Wahlweise gibt es noch die drei M – Maas, Maaßen und de Maizière – die von dem #Landesverrat ramponiert werden. Das nennt man hochsommerlich eine gelungene Wasserbombe.

Sommerlich gestimmt sollte es im zweiten Teil des Sommerrätsels um die Kombination von Kryptographie und Bärten gehen, das Ganze nur in Ausschnitten, damit eine schlichte Googlesuche nicht schon zum Erfolg führen konnte. Kryptographie ist hier als Gegenmittel zu einem Staat zu verstehen, der die Menschen ausschnüffelt, der Escrow-Keys haben will, um im Fall eines Landkreisverrates ihre Kommunikation lesen zu können. Und die Bärte, tja, es gibt nicht allzuviele Frauen in der Kryptographie und die, die hier arbeiten, wie Sarah Flannerry bei Wolfram Research, scheuen die Medien. Die feministischen Geeks wie Patricia Torvalds werden das ändern.

(http://3.f.ix.de/imgs/18/1/5/5/9/9/1/7/Gilmore-477ab98f05d96d38.jpeg)
Frage 1 zeigte einen Ausschnitt aus einer Präsentation, die EFF-Gründer Mitch Kapor im Januar 1993 hielt und die die Forderung nach freier Entschlüsselung enthielt, ganz ohne Kontrolle durch die NSA. Dieser Forderung lag eine Einschätzung von EFF-Mitgründer John Gilmore zugrunde, der die Cypherpunks-Mailingliste unterhielt.

Frage 2 suchte eben diesen John Gilmore. Das Foto entstand auf der Freiluft-Hackerkonferenz HAL 2001, als Gilmore die Cypherpunks für Geschichte erklärte.

(http://3.f.ix.de/imgs/18/1/5/5/9/9/1/7/Rexrodt2-9c52409c2af16f68.jpeg)
Frage 3 wurde erraten. Der zitierte Ausschnitt entstammte einer Rede vom damaligen Bundeswirtschaftsminister Gunter Rexrodt (FDP) als er am 17. September die Initiative "Sicherheit im Internet" startete. Am gleichem Tag hielt Rexrodt eine weitere Rede zur Eröffnung eines Kongresses, auf der er ein Gütesiegel für Krypto-Produkte analog zum Wollsiegel forderte. Ein Jahr später wurden aus Rexrodts Ausführungen die "Eckpunkte deutscher Kryptopolitik" gezimmert, ein Meilenstein, den die Politik anno 2015 liebend gerne zermahlen möchte.

(http://2.f.ix.de/imgs/18/1/5/5/9/9/1/7/Sandl-0d2f72f24f0895cd.jpeg)
Frage 4 suchte den BMWi-Beamten Ulrich Sandl. Er stellte die deutsche Position zur Kryptopolitik ein Jahr zuvor im April 1997 auf dem Encryption Summit des Global Internet Project vor und verteidigte sie hartnäckig gegen die US-Referenten, die Key-Escrow-Verfahren für ein Geschenk des Himmels hielten. Ein Bartträger namens Whitfield Diffie feierte Sandl als Bruder im Geiste. War damit die Kryptodiskussion in Deutschland längst zu Ende? Nö.

(http://2.f.ix.de/imgs/18/1/5/5/9/9/1/7/Zimmermann-7bf672746f7bec6e.jpeg)
Frage 5: "Waldbeben" lieferte den entscheidenden Hinweis, denn niemand anders als Wau Holland feierte im August 1997 den Artikel der Le Monde, der über die HIP 97 berichtete. In den Newsgroups verbreitete Wau Holland unter dem Betreff "Waldbeben:Cyberpunks befreien PGP" seine Übersetzung der Geschichte, wie Phil Zimmermanns PGP nach Europa kam. Und Phil Zimmermann wurde gesucht und erraten.

Frage 6 suchte David Chaum, den Pionier des elektronischen Geldes namens Digicash und den Inhaber eines Patents, das Amazon erheblichen Ärger bereitete.

Frage 7: Als Hans Dobbertin noch beim BSI arbeitete und diese Behörde als Deutschlands freundlichster Geheimdienst galt, knackte Dobbertin die verschlüsselte Nachricht des österreichischen Briefbombenattentäters Franz Fuchs. Auch die Sicherheit von MD5 fand Dobbertin ungenügend.

(http://2.f.ix.de/imgs/18/1/5/5/9/9/1/7/Pfitzmann-6afafcd62ee6a738.jpeg)
Frage 8: Wie Dobbertin verstarb auch Andreas Pfitzmann jung. Vor 10 Jahren schmiss "Deutschlands freundlichster Geheimdienst" Pfitzmann von seinem alljährlichen Sicherheitskongress, weil dieser es gewagt hatte, die heilige Kuh Biometrie zu kritisieren. In Erinnerung bleibt Pfitzmann nicht nur bei seinen Studenten, die das Rätsel lösten, sondern bei allen, für die die "Gewährleistung der Vertraulichkeit informationstechnischer Systeme" kein Abgrund von Landesverrat ist, sondern ein wichtiger Bestandteil des modernen demokratischen Staates.

Frage 9: beschäftigte sich mit einem Satz vom Bartträger Bruce Schneier, den dieser zuletzt bei seiner Analyse des BIOS-Hacking durch die NSA wiederholte. Natürlich wurde diese Frage erraten.

(http://2.f.ix.de/imgs/18/1/5/5/9/9/1/7/wau-79bb1db20cf4d327.jpeg)
Frage 10: Ja, den Bart von Wau Holland erkannten viele Leser, aber was mit der Mahnung gemeint war, blieb unentdeckt. Gesucht wurde das TV-Statement des CCC-Ehrenvorsitzenden anlässlich der Krypto-Debatte: "Ein Verschlüsselungsverfahren taugt nur dann etwas, wenn man es komplett dokumentieren kann. Man muss nachvollziehen können, wie es funktioniert. Und damit kann man die meisten Verschlüsselungsverfahren einfach knicken." Das Foto entstand auf der HAL 2001 bei einer Art Gedenkgottesdienst der Hacker für den kurz zuvor verstorbenen Wau Holland und wirft damit einen Blick voraus, wenn sich die Szene in einem Ziegeleipark trifft und über die Krypto-Dämmerung diskutiert.

Quelle : www.heise.de
Titel: 4W: Von netzpolitischer Solidarität mit einem ganz speziellen Sommerrätsel
Beitrag von: SiLæncer am 09 August, 2015, 00:11
Haltung zeigen. Ja, das gilt, nicht nur im Sommertheater um Landesverrat, auch angesichts all der Hater, meint Hal Faber. Und rätselt aus gegebenem Anlass über neuländische Kriegführung.

(http://3.f.ix.de/scale/geometry/600/q75/imgs/18/1/5/6/4/0/7/5/Theater-640253387acabae7.jpeg)

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich. Und bringt dieses Mal, wie aus den Vorjahren gewohnt, aus Anlass des Sommers das zugehörige Sommerrätsel - mit dem dritten Teil geht es weiter.

Was war.

*** Der Landesverrat als Sommertheater geht weiter, das Finale mit seiner humanistischen Botschaft von den Segnungen des Internet will noch geschrieben werden. Wir sind irgendwo im dritten Akt in einem Theater, das zum Bauernschwank tendiert, weil sich ein Lachgrund von Landesverrat auftut. Allein die Behauptung eines Herrn Müller vom Verfassungsschutz, dass ein Staatsgeheimnis deswegen vorliege, weil Netzpolitik.org die Dokumente auf Englisch publizierte und "dies ausländischen Geheimdiensten die Kenntnisnahme erleichtert habe", gehört eher in ein Stück wie "Herr Müller muss weg" denn auf die politische Tagesordnung. Man könnte amüsiert Chain of Fools summen bei dem, was uns da geboten wird. Denn glaubhaft ist das alles nicht. Besagter "Herr Müller" wusste schon vor einem Jahr, dass Dokumente über die am 1. April 2014 gestartete Initiative zur "erweiterten Fachunterstützung Internet" durchgesickert waren. Denn da berichtete und zitierte das Neue Deutschland ausführlich aus dem EFI-Papier und der Aufrüstung des TK-Überwachungssystems mit dem hübschen Codenamen "Perseus". Das war bei den alten Griechen ein Typ mit Tarnkappe und Flugsandalen, der überall unbeobachtet auftauchen konnte, bei den US-Amerikanern ein Fake von einem Superspion, der das Manhattan-Projekt ausspionierte.

*** Aber wir haben nicht nur ein köstliches Sommertheater vor uns, sondern auch das letzte Sommerrätsel zu bewältigen. Es dreht sich natürlich um alle Formen des Landesverrats und um Computer, um Cyberwar (mal wieder), um Netwar oder Information Warfare und dem Kampf um Informationsüberlegenheit oder wie man sonst diese Sachen nennt, bei denen angeblich die Sicherheit ganzer Länder auf dem Spiel steht, wenn man nicht dieses Vertrauensgremiun des Bundestages im Haushaltsausschuss unter Kontrolle hat. So heißt es in Maaßens Strafanzeige:

"Die im Beitrag wiedergegebenen Zitate entstammen im Wortlaut ganz überwiegend mit dem im vom BfV im Nachgang zur Sitzung des Vertrauensgremiums (VG) am 6.05. 2014 erstellten Bericht zum Konzept der ,Erweiterten Fachunterstützung Internet’ (EFI) an dieses Gremium einschließlich der Anlagen (VS-Einstufung VS-VERTRAULICH). und Teilen des Vorwortes zum BfV-Wirtschaftsplan 2015 (VS-Einstufung Geheim) überein."

Also folgt logischerweise Frage 1: "'Der Feind, vor dem etwas versteckt werden soll, sitzt meistens nicht in Paris oder Genf, sondern im Haushaltsausschuss des Deutschen Reichstags', schrieb 1931 der des Landesverrats angeklagte Journalist Carl von Ossietzky. Daran hat sich nichts geändert. Was ist denn diese 'TKÜ-Anlage Perseus', die für 3,5 Millionen Euro 'regelmäßig modernisiert' werden muss?

Das ergibt sich Frage 2: Und was macht dieser Verfassungsschutz mit Netzpolitik? Wenn er die Prenzlberger überwacht, ist es geheim und kann nur gerätselt werden. Für welchen anderen Geheimdienst arbeitet das Bundesamt für Verfassungsschutz?

*** In eine Komödie gehört auch das Verhalten des Generalbundesanwaltes Harald Range bei seinem provizierten Rauswurf. Dieser wird durch die staatstragende Frankfurter Allgemeine Zeitung unter dem Titel: "Wunderbarer Abschied - Ranges Entlassung bewegt die deutsche Justiz" in einem langen Artikel und einer Internet-Kurzfassung gefeiert. Auch seine Kollegen sind in einem Reflex mit einer Rückenstärkung dabei – in einem Verein, der sein problematisches Rechtsstaatsverständnis schon im Namen trägt. "Ich wollte nicht wie ein geprügelter Hund vom Hof schleichen, sondern aufrecht durchs Tor gehen – auch um mich nicht strafbar zu machen." Das ist schon ein seltsamer Satz für den Chef einer Behörde mit 200 Mitarbeitern, die mangels Expertise ein extermes Gutachten zum Problem des Staatsgeheimnisses bestellen musste. Was wiederum die Frage aufwirft, wie die Journalisten von Netzpolitik, die keine Juristen sind, einen "vorsätzlichen" Landesverrat begehen konnten.

So kommen wir denn gleich zu Frage 3: Hunde, wollt ihr ewig schleichen? Welches epochale Werk erschien vor 60 Jahren minus 13 Monaten und zerstörte eine bis dahin marktbestimmende These über die Beeinflussung von Hunden? Gesucht wird das Lebewesen oder das Objekt, durch das John gegessen wurde.

Sogleich weiter mit Frage 4: Es fehlt nicht an Vergleichen mit der "Spiegel-Affäre" und jener Zeit, als sich Helmut Schmidt heldenhaft den Studenten stellte. Auf wen bezieht sich Schmidt, wenn er von Staatsterrorismus spricht?

*** In jeder ordentlichen Komödie gibt es die Rolle des Volltrottels, der nichts kapiert und alle erheitert. Im vorliegenden Fall ist diese Rolle gleich mehrfach besetzt durch Journalisten der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, die allen Ernstes im Jahre 2015, 20 Jahre nach den ersten Blogs davon schreiben, dass man doch bitte einen Unterschied machen müsse zwischen diesen Blogwarten und dem von ihnen angezettelten Shitstorm und richtigen Journalisten. So beängstigend wirkt eine ordentlich angemeldete Demonstration mit überraschend vielen Teilnehmern auf diese Zeitung, dass sich die angesehenen Feuilletonisten dieser Zeitung an einem herumstehenden Plüschtier namens Totoro so richtig aufgeilen können und sich an die Dekonstruktion machen. Eigentlich fehlt nur noch jemand, der sich Gedanken macht über das vom CCC kreierte T-Shirt von André Meister und eine Hommage an die RAF sieht, weil jene Fraktion umfassend vom BKA beobachtet wurde wie Netzpolitik es heute glaubt. Die richtige Antwort auf all das journalistische Getöse gaben Journalisten und Blogger gemeinsam. Der Rechtsanwalt Wolfgang Kaleck schrieb: "Die neuen, 'aktivistischeren' Formen der Berichterstattung sind da ein wichtiges Korrektiv, das dazu beitragen kann, eine unabhängige Presselandschaft zu bewahren. Jetzt liegt es an den Behörden und Gerichten dieses Landes, dieser Entwicklung dadurch Rechnung zu tragen, dass sie anerkennen, dass auch die neuen Medien und Kommunikationsformen ebenfalls den Schutz der Verfassung genießen."

Kommen wir also zu Frage 5: Wir sehen im Bild unten das Rechenzentrum des BKA aus dem Film Der Baader Meinhof Komplex. Was stimmt, was ist falsch?

(http://3.f.ix.de/imgs/18/1/5/6/4/0/7/5/Frage5-7cd23e23659a0b8c.png)

Daraus ergibt sich fast zwangsläufig Frage 6: Welcher BKA-Beamte warnte vor Big Brother?

*** Der "Prozess Internetbearbeitung" beim Bundesamt für Verfassungsschutz will die globale Informationsquelle auswerten und die "Aneignung von ideologischen Versatzstücken" via Facebook, Twitter und Youtube durch verfassungsschutzrelevante Personenkreise unter Aufsicht stellen. Bedrohlich ist dieses Internet für die Hüter unserer Verfassung und die soldatischen Beschützer unseres Landes schon immer gewesen. Deswegen gibt es ja diverse Verordnungen und Ausführungsbestimmungen zum Cyberwar und Cyberkrieger, die unser Land schützen sowie abenteuerliche Ideen von zulässiger Tarnung und unzulässige Nutzung falscher Identitäten. Aber neu ist das nicht. Bereits im Jahre 1997 entwickelte die Bundeswehr ihre erste Cyber-Doktrin im Rahmen ihrer IT-Vision: "Die entstehenden administrativen IT-Systeme und Kommunikationssysteme werden derart komplex sein, daß kleine, weniger technisierte, aber hochmotivierte autonome Gruppen (Terrorteams, partisanenartige Gruppierungen) virenartig in die großen Systeme eindringen und damit allen Bereichen der Gesellschaft gefährlich werden können."

Man könnte eigentlich drauf kommen, auf Frage 7: Wie nannte die Bundeswehr das Internet?

*** Aber das ist ja sowieso so eine Sache mit dem Internet. Man dreht sich manchmal in selbstbezüglichen Schleifen und kündigt an, was dann auch prompt eintritt. Etwa, dass sich die Hater mal wieder aufspulen – und das dann auch im Forum, in dem sich neben einigen vernünftigen Diskussionen natürlich heftig über die Aufforderung zum "Haltung zeigen" echauffiert wird. Mit einigen Hater-Ausfällen bis hin zum Aufruf, Listen mit Personen zu führen, mit denen abgerechnet werden solle. Dabei sagte Anja Reschke eigentlich Dinge, die selbstverständlich sein sollten: Was man gegen die Hater, die Rassisten und Menschenverachter tun muss. "Dagegen halten, Mund aufmachen. Haltung zeigen, öffentlich an den Pranger stellen." Aber! Reschke macht etwas, was heutzutage schon als bemerkenswert gelten muss: Sie verfällt nicht auf den allzu gern genommenen Ausweg, nach Sperren und schärferen Gesetzen gegen "das Internet" zu rufen. Es gibt doch noch intelligentes Leben in diesem Deutschland, in dem sich allzuoft laut tönende Menschen dieses seltsame Neuland nur mit schweren juristischen Geschützen bewaffnet und voller Sperrgelüste zu betreten trauen.

Okay, gehen wir weiter zu Frage 8: "Virenartig eindringen", das erinnert uns an das böse Hacking Team und den guten Bundestrojaner. Gesucht wird ein Virenforscher, der Theoretiker des Cyberwars wurde.

Was wird.

Dieses kleine Wimmelbild soll daran erinnern, dass auf dem Chaoscamp in der anstehenden Woche darüber gesprochen wird, wie man sich gegen Hacking Team zur Wehr setzt und nicht gänzlich hilflos ist, im guten wie im schlechten Fall. Schließlich leben wir in einem Land, in dem man Haltung zeigen kann, in dem Kryptographie erlaubt ist und das Streaming nicht zensiert wird.

(http://3.f.ix.de/imgs/18/1/5/6/4/0/7/5/Frage9-8fc3f7bfd6e31dff.png)
Frage 9: Gelb wie Anja Reschke ist einstmals in Brüssel präsentiertes Bundeswehr-Papier aus frühen Zeiten, das sich mit dem Konzept der Informationsüberlegenheit beschäftigt. Gesucht wird aus aktuellem Anlass eine Software und eine Debatte über sie.

(http://1.f.ix.de/imgs/18/1/5/6/4/0/7/5/Frage10-1c5f3cd06fd467b1.png)
Frage 10: Hier war der Zensor schlafen. Die kleine Löschung erinnert daran, dass inmitten des Informationskrieges die NSA und "it's capacity to listen in on most international telephone conversations, cables, telegraphs, wire transfers, and the like". Gesucht wird ein Buch.

Quelle : www.heise.de
Titel: Des letzten Sommerrätsels Auflösung: Was wirklich wahr war
Beitrag von: SiLæncer am 10 August, 2015, 18:56
Der letzte Vorhang ist gefallen, das Sommertheater schließt die Pforten. Es bleibt, ein paar Tippfehler zu klären und die Antworten zu geben.

Das Sommertheater um den "Landesverrat" von Netzpolitik ist fast vorbei. Zu klären sind nur noch ein paar Schreibfehler wie Marcus Beckendahl, die davon künden, was das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) von Bloggern hält: nichts. Nicht geklärt werden dürfte die berechtigte Frage, ob die "Landesverräter" observiert wurden, ob ihre Kommunikation mit dem System überwacht wurde, das beim BfV den Codenamen "Perseus" trägt.

Damit sind wir auch schon beim letzten Rätsel dieses Sommers. Die Frage 1 suchte nach eben diesem besonderen "Perseus", der beim BfV im Einsatz ist. Obwohl man, wie ein Leser richtig anmerkte, bei Netzpolitik einiges über "Perseus" erfahren kann, ist das Rätsel bis auf Weiteres ungelöst, was sich hinter Perseus verbirgt.

Gelöst wurde Frage 2: Das Bundesamt für Verfassungsschatz leistet Amtshilfe für den nicht so üppig ausgestatteten Militärischen Abschirmdienst (MAD). So besitzt der Verfassungsschutz schicke IMSI-Catcher von Vadian Mobile, die zum Absetzen von stillen SMS gegen eine militärische Bedrohung benutzt wurden.

Frage 3 wurde auf vielfachen Leserwunsch in das Sommerrätsel aufgenommen. Gesucht wurde Three Models for the Description of Language (PDF-Datei), mit der der Behaviorismus von Noam Chomsky zerlegt wurde. Das zerstörte Objekt ist ein Sandwich. Noam Chomsky ist auch in Frage 4 gesucht, denn er ist einer der bekanntesten Vertreter der Theorie vom Staatsterrorismus. Diese Frage wurde fast gelöst.

Frage 5 wurde debattiert, denn hier waren mehrere Lösungen denkbar. Richtig ist, dass das abgebildete Film-Bild nicht viel mit dem realen BKA-Computersystem zu tun hatte, das unter Horst Herold eine Datenjagd machte, die Rasterfahndung genannt wurde. Das war eine Siemens 4004-Anlage, die in dieser Form nicht mehr gefilmt werden konnte. Richtig ist damit die Lösung, dass die Zimmerpflanzen fehlen. Richtig wäre aber auch, dass nur die Siemens-Sichtgeräte 8150 im Hintergrund zum ursprünglichen Rechner passen. Ansonsten sieht man die runde Konsole eines TR440-Rechnersystems (PDF-Datei), rechts die Lochkarteneinheiten einer Univac 9200 und links Bandlaufwerke von IBM, im Vordergrund ein CDC-Laufwerk im Hintergrund einen TR-Drucker, der als OEM-Produkt von CDC stammt.

Frage 6 suchte den Mastermind hinter der Rechentechnik, Horst Herold, der in seinem Aufsatz "'Polizeiliche Datenverarbeitung und Menschenrechte" diese Sätze über die Informationsverarbeitung bei der Polizei geschrieben hatte. Der Spiegel ließ seinerzeit die letzten beiden Sätze weg -- was zu einer kleinen Affäre über den transparenten Staat führte.

Frage 7 beschäftigte sich mit dem asynchronen Cyberwar, über den am 27. Februar 1997 eine IT-Vision der Bundeswehr erschien, in der von Software-Agenten und Frameworks die Rede ist, die das WorldWideNet durchsuchen und Informationen verdichten. Das mit dem WorldWideNet das Internet gemeint ist, wird erst im Anhang deutlich, der technische Protokolle auflistet. Immerhin erkannte die Bundeswehr schon 1997 die Bedeutung des Information Warfare:

"Durch den Einsatz von Computerviren, Trojanischen Pferden usw. oder das Auslösen von Elektromagnetischen Impulsen (EMP) können im Rahmen eines Information Warfare militärische und zivile Systeme ausgeschaltet werden, ohne deren einwandfreie Funktionsfähigkeit weder eine militärische Organisation noch eine hochtechnische Industriegesellschaft insgesamt überlebensfähig sind."

Frage 9 war ein Foto des gelben Papiers, das auf Lotus Notes hinweist. Genutzt bei der Bundeswehr und der NATO, sollte Notes die "Information Superiority" der IFOR-Truppen herstellen und ihre Präsentation den serbischen Präsidenten Milosevic davon zu überzeugen, seine Kriegspläne zu begraben.

Frage 10 enthielt versehentlich die Antwort, wie erkannt. Es war zu heiß. Der Sommer bleibt, das Rätsel ist vorbei.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird.
Beitrag von: SiLæncer am 16 August, 2015, 05:08
Ozapft is? Wenn es denn nur als selige Erinnerung erscheinen mag: Auch der tiefe Staat macht derzeit Sommerpause, was nicht heißt, dass wir uns in Ruhe zurücklehnen können, warnt Hal Faber. I am sorry, I am afraid I can't do that.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

(http://2.f.ix.de/imgs/18/1/5/6/6/9/7/6/Anschlaege3-d742066a6b3932e8.png)
*** Es ist Sommer, der tiefe Staat schläft und die IT-Experten des Bundestages arbeiten fieberhaft in Schichten rund um die Uhr, um dieses verwanzte System zum Laufen zu bringen. Nach ihrer Schicht fahren sie raus nach Zehdenick aufs Camp, wo die Hacker in der Hitze braten und Food-Hacking betreiben, indem eine Ravioli-Dose mit der Crimpzange aufgemacht wird. Unter freien Himmeln wird über das Hacken philosophiert und der Coup von Netzpolitik gefeiert. Doch halt, der Bundestag schläft nicht, er hat Abgeordnete wie Hans Peter Uhl, die auch in größter Hitze Rede und Antwort stehen. Seit den Zeiten von OZapftis ist Uhl für das Bashing des Chaos Computer Clubs zuständig und lässt sich nicht lumpen. Unvergessen ist seine Erklärung, dass dieses unsere Land von Sicherheitsbeamten reagiert wird. Das freudsche Überkompensation ist im offiziellen Redemanuskript korrigiert, doch lohnt es sich, das Original im Zeitalter von Hacking Team und NSA, von neuer Vorratsdatenspeicherung und Landesverratsermittlungen zu lesen:
"Das Land wird von Sicherheitsbehörden geleitet, die sehr kontrolliert, sehr sorgfältig, sehr behutsam mit dem sensiblen Instrument der Quellen-TKÜ umgeht – und so soll es auch sein. Das heißt es wäre schlimm wenn unser Land am Schluss regiert werden würde von Piraten und Chaoten aus dem Computerclub. Es wird regiert von Sicherheitsbeamten, die dem Recht und dem Gesetz verpflichtet sind."

*** Während die Chaoten aus dem Computerclub mal eben eine kleine Zeltstadt aufgebaut haben, die soviel Wasser und Strom verbraucht wie die drei umliegenden Städte zusammen, während die Chaoten parallel dazu auch noch die Bundestags-IT reparieren, wurde wieder einen echten Uhl in freier Wildbahn gesichtet, als er vorgab, die Landesverrats-Dokumente gelesen zu haben. Seine Inhaltsangabe stammt aus einer anderen Realität:
"Da müssen Sie in die Veröffentlichung der Netzpolitik gehen, und dann sehen Sie, dass dort seitenweise im Orginaltext dargestellt wird, wo die Schwachstellen der Bundesrepublik sind in der Ermittlung von Terrorgefahren, in der Ermittlung von Spionageangriffen auf Deutschland und dass man diesen Schwachstellen begegnen muss, indem man ganz dezidiert Personal für bestimmte Aufgaben, Methoden der Ermittlung und Erkenntnisgewinnung und auch Technik einschalten wird. Das heißt, wer jetzt zum Beispiel einen Terroranschlag auf einen Weihnachtsmarkt vorhat, der IS, der weiß jetzt genau, was er verhindern muss, umgehen muss, dass er nicht vom Verfassungsschutz entdeckt wird."

*** Weihnachtsmarkt statt Sommercamp, was für eine erfrischende Vision. Mit der "erweiterten Fachunterstützung Internet" hat das wenig zu tun, mit Logik noch weniger. Die Dokumente über die 75 neuen Planstellen zur softwaregestützten Überwachung und "Auswertung der klassischen Telefonie (z. B. Sprache, Telefax, SMS) wie auch der erfassten Internetkommunikation (z. B. E-Mail, Chatprotokolle, Websessions und Dateitransfere)" geben den Terroristen des IS genau keinen Hinweis, was er umgehen muss oder was er unterlassen muss, um nicht von der geheimnisvollen TKÜ-Anlage "Perseus" erfasst zu werden. Umso perfider ist der indirekte Vorwurf, hier würden Terroristen unterstützt, die auch noch in Deutschland zuschlagen. Was nur noch fehlt, ist das Sicherheits-Mantra, nachdem die Freiheit für eben diese Sicherheit vor Anschlägen aufgegeben werden muss, mit Antiterrormaßnahmen, die natürlich wieder aufgegeben werden können, wenn die Gefahr vorüber ist und die Anschläge zurück gehen. Ja, genau.

(http://2.f.ix.de/imgs/18/1/5/6/6/9/7/6/Anschlaege-d9508703f34b2689.png)

*** Was dem einen sin Uhl ist dem anderen sin Eurogall. Gegen die zunehmende terroristische Gefahr will die Europäischen Union ein Internet-Forum der Service-Provider und social Media-Anbieter einrichten, um besser "terroristische Narrative online zu bekämpfen" und den Zugriff von Terroristen auf soziale Netzwerke zu beschränken. Natürlich dürfen die Bedenken der Strafverfolger nicht fehlen, was neue kryptographische Technologien anbelangt. Nicht auszudenken, wenn die Islamisten ihre einfache PGP-Version von "Asrar al-Mujahideen" mit unzureichenden Schlüssellängen durch stärkere Verfahen ersetzen. Dass bei diesem Internet-Forum der EU Menschenrechtsorganisationen ausgeschlossen sind, um eine flüssigere Kommunikation zu ermöglichen, ist auch so ein schutz-terroristischer Akt. Fehlt nur noch, dass die Netztneutralität auch diesen Terroristen Vorteile verschafft beim Download von Bombenbausanleitungen. Ach nein, fehlt nicht ja gar nicht. Auch dafür gibt es eine qualifizierte politische Stimme.

*** Staunend laufen Kamerateams auf dem Chaos Computer Camp herum und filmen, was diese Hacker so treiben. Hackerkinder und junge Mädchen am Baggersee im Familiy Village dürfen nicht gefilmt werden – das machen die stolzen Hackermütter und -Väter selbst. Die Kleinen sind als Motiv ohnehin nicht recht geeignet für die Bild-Klischees vom schwitzenden Coder, der unter lichtschützender Alufolie im Zelt Passwörter knackt, "weil das die Grundlagen des Computerhackings" sind. Die Hacker selbst wollen mit einem Fotowettbewerb die Klischees bekämpfen. Da sind die USA schon weiter, wie die Tagesschau berichtet. Hier können Mädchen, die strukturierter als Jungs vorgehen, in einem 14-tägigen Sommercamp lernen, wie man Passwörter knackt. Und *alles* über Cybersecurity. Dass diese Camps von der NSA finanziert werden, kann man als gelungene Form der Nachwuchsarbeit interpretieren. Nicht einmal Zelten müssen die Mädchen können.

Was wird.

In einer ganz anderen Welt, in der konsumiert und nicht gebastelt wird, steht die Internationale Funkaustellung vor der Tür. Der Schwall der Pressemitteilungen wächst umgekehrt proportinal zu inhaltlichen Aussagen. Fortschritt ist die beste Therapie, ja, das ist so eine Aussage. Das genetisches Profiling bereits zur persönlichen Diagnostik führt und damit schon die Therapie eingeleitet ist, gehört in die Kategorie des laufenden Schwachsinns. Aber dann gibt es noch "Emotions Analytics", die eine neue Form der Beziehung zwischen Mensch und Technik ermöglichen, wie sie bislang nur bei den Hackern anzutreffen ist. Digitale Therapien edeln noch die schlichteste App zur "Software als Medizin". So heißt es bei Flying Health zur Gesundheit als Geschäftsmodell:
Wir arbeiten intensiv mit Wissenschaftlern und Erfindern zusammen, bringen Ideen in die Realität und bauen nachhaltige Unternehmen auf. Unser Ziel ist es, die menschliche Gesundheit zu erhalten oder zu verbessern. Erst wenn dieses Ziel erreicht ist, können Unternehmen wachsen und an Wert gewinnen.[/]

Da halten wir uns lieber an die IT im engeren Sinn, oder? Wie wäre es mit der Antivirenfirma Kaspersky, die den Deutschen Bundestag in Sachen IT-Sicherheit berät. Nein, diese pikanten Beschuldigungen ehemaliger Mitarbeiter sind nicht gemeint. Auf der IFA beschäftigt sich Kaspersky mit dem Thema "Chipping humans – The Internet of Things becomes the Internet of Us“ und lässt auf einer Pressekonferenz seine Mitarbeiter live chippen. Durch den eingepflanzten Chip soll ein höheres Sicherheitsniveau beim Internet der Dinge erreicht werden, sollen uns die ganzen intelligenten Umgebungen besser erkennen. "Open the pod bay doors, Hal." "I am sorry, Dave, I am afraid I can't do that." "What's the problem?"

(http://2.f.ix.de/imgs/18/1/5/6/6/9/7/6/Anschlaege1-3f6e16164f998977.png)
Ja, wo ist denn das Problem beim Internet of Things und der Industrie 4.0 mit den Menschen 1.0? Auch im Jahre 2501 wird Hal9000 recht haben: " I think you know what the problem is just as well as I do." Wenn die technologische Singularität erreicht ist, werden Computer dies viel schneller wissen. Adaption, Assimilation und Akkomodation sind die ersten neuen Computerbefehle, die die Menschen lernen müssen. Dies Angst vor den Killer-Robbotern ist übertrieben. Wir können nicht verhindern, dass sie gebaut werden, aber wir können ihnen ja eine Ethik einpflanzen.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 23 August, 2015, 05:19
Flucht? Manch einer glaubt tatsächlich, die machen das aus Jux und Dollerei. Während andere am liebsten die Feuerleitern kappten, wenn die Flüchtlingsheime brennen. Dummes Deutschland, gesegnet nur mit einer dummen digitalen Agenda, zürnt Hal Faber.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Sommer! Sonne! Deutschland feiert, etwa beim großen Abhörfestival Echelon Open Air in Bad Aibling, wo der Bundesnachrichtendienst einen satten Rave hinlegt und die Polizei Oberbayern-Süd begeistert twittert: "Let's be weird!" Tiefentspannt das ganze Land, es muss ja irgendwie weitergehen nach dem Ende des Hackercamps mit seinen krossen, braungebrannten Hackern. Dazu gehört der Start der Digital Freedom Alliance, mit anklickbarer Deutschlandkarte. Ja, wir leben schon ein besonders schönes Fleckchen Erde. Komme mir da keiner mit den faschistoiden Frührentnern und besoffenen Rechtsradikalen von Heidenau, die systematisch von der NPD aufgestachelt wurden. Sie repräsentieren nicht das Deutschland, das 12 Millionen Vertriebene, 3 Millionen rückkehrende Soldaten und 5 Millionen Aussiedler locker verkraftet hat. Es ist ein Land, das auch mit den Flüchtlingen anständig umgehen kann, die nicht über diesen wunderbar komfortablen Immigrations-Assistenten ihr Ziel auswählen konnten, sondern den nackten Arsch retten mussten.

*** Es kann überhaupt keinen Zweifel daran geben, dass Deutschland von diesem Zustrom neuer Talente profitiert, wenn diese bleiben werden, sollte Syrien untergehen. Wir werden mit diesen Menschen im Jahre 2030 ganz ohne idiotische Asyldebatten besser dastehen als heute. Man lese nur die netten Geschichten aus dieser Zukunft, wie sie edelst qualifizierte Forscher mit Mitteln des Bundesforschungsministerium als "Foresight" aufgeschrieben haben. "Deutschland selbermachen" heißt es, nicht "Deutsche machen selber", wo Maker-Spitzencluster mit der WerkRaum-Zertifizierung ihrer 3D-Drucker von der Afrika-Kooperationsstrategie "Nachhaltiges Selbermachen" profitieren kann und wo das Möbeldesign aus Eritrea kommt. Es wird ein glückliches Deutschland voller "Nachbarschafts-Waschrestaurants" und LeiLas sein, in denen jeder Mensch seine Qualitäten voll entfalten kann, ein Deutschland, in dem es keinen Philosophieunterricht mehr gibt, sondern das Schulfach "Wohlergehen und Lebensqualität" heißt und Lisa einen Aufsatz schreiben muss.
"Für die heutige Stunde sollte sie einen kurzen Aufsatz darüber verfassen, was 'ein glückliches Leben führen' genau bedeutet. Diese scheinbar einfache Aufgabe entpuppte sich für Lisa als echte Herausforderung. So richtig hatte sie noch nie darüber nachgedacht, was Glück für sie bedeutet. Auch ein Blick in ihr digitales Lebensbuch, das automatisch Lisas Tagesablauf im Zusammenhang mit ihren Körperwerten speichert, war nicht aufschlussreich. Sie sah darin zwar, dass ihre Glückshormone steigen, wenn sie sich einen neuen Pullover oder Schuhe aussuchen darf und dachte, dass Glück vielleicht vom Besitz schöner Dinge abhängig ist. Doch dann entdeckte sie, dass die Glückhormone auch in die Höhe schossen, als sie ihrer besten Freundin ein Geschenk machte."

*** Glückshormone in den Körperwerten, aufgezeichnet durch ein Lebensbuch, mit Hilfe zahlloser Sensoren in den T-Shirts, die in der Luxus-Ausgabe Hormon-Ausschüttungen erfassen und "Aussagen zum Immunstatus" geben. Das muss die Vollendung jener Digitalen Agenda und damit der Weg zur internationalen Vorreiterrolle Deutschlands sein, von der wir in dieser Woche eher Negatives hören mussten. Aber halt, noch ist es nicht soweit. Wenn schon die von einem TK-Unternehmen angebotene Volks-Verschlüsselung mit PGP als Ausdruck der regierungsseitig betriebenen digitalen Agenda herhalten muss, ist etwas schief gelaufen. Ganz abseits aller schlappen Breitbandinitiativen, die schon beim Start von UMTS zu verlogenen Sprüchen über Kundenorientierung und Netzqualität führten, ist es verdächtig, wie in der Agenda wie in den Foresight-Ergebnisbänden andauernd Wachstum und Beschäftigung betont wird.

*** Die Realität sieht anders aus. Das Wachstum hat Grenzen, wie seit Jahren bekannt. Uns wird das Öl ausgehen, dann das Wasser. Auch Computer müssen sich auf dem Weg ins Paradies anpassen, die Software sowieso. Wer keine Arbeit hat, wird halt Maker oder eine Bricoleuse, die Weitwurf-Toaster repariert.
"Von draußen winkt ihr Nachbar Ralf, ein Umweltaktivist, und schaut herein: 'Kann ich Dir meinen Toaster zum Reparieren hierlassen? Heute Morgen hat er den Toast drei Meter weit geschleudert!' 'Klar, kein Problem', sagt Tinka und denkt: 'Dass er Stammkunde bei mir geworden ist, habe ich auch der Zertifizierung als Grüner WerkRaum zu verdanken. Ich habe Schalldämmungen eingebaut, und das Quartier hat durch den WerkRaum seinen Öko-Fußabdruck stark reduzieren können. Wer hätte je gedacht, dass ich 2030 schon so etabliert bin', überlegt sie weiter. 'Noch vor fünf Jahren habe ich hier nur mit meinen technologieverrückten Maker-Freunden an Platinen rumgebastelt. Wir sahen uns als eine kleine exklusive Tech-Community. Über die vielen Nachbarn jeden Alters, die stricken, nähen und Kuckucksuhren bauen, Umweltaktivisten oder programmierende Senioren hätten wir uns wohl eher gewundert. Inzwischen gehen hier alle ein und aus und lernen voneinander.'"

*** Aus der ganz weit weg gelegenen Zukunft des Jahres 2030, in dem diese kleine Wochenschau nicht mehr existieren wird (obwohl, wer weiß ...), ist der Sprung in die nahe Zukunft der nächsten Wochen ein ziemlich harter. Noch immer waberloht die Netzpolitik-Affäre, wenngleich nicht mehr mit größter Flamme. Die Spekulatius-Zeit ist angebrochen, in der jeder über die Motive hinter dem Landesverratsvorwurf rätseln darf. Besonders apart ist hier die Zeit, die einen eigenen Abwurfkasten für Whistleblower betreibt und Netzpolitik.org kurz vor der Geburtstagsfeier anathematisiert. Whistleblower wären schön doof, wenn sie nach diesem Vorfall Dokumente an Netzpolitik schickten, wo die Cryptophones längst überwacht seien. Das erinnert glatt an den ominösen Beamten, der Netzpolitik auf die Abteilung SI (für EigenSIcherung) des Bundesnachrichtendienstes aufmerksam machte, wo erfolgreich eine "abschreckende Drohkulisse" aufgebaut wurde. Beim Bruderdienst Verfassungsschutz dürfte diese Kulisse noch pompöser sein, denn dort geht es um das Existenzrecht einer überflüssigen Behörde, die sich wie eine Polizei aufspielt. Erinnert sei daran, dass der aus Heidenau stammende Mitverfasser der Dresdener Thesen als unbedenklicher Mitläufer eingestuft wurde.

*** Aus der Welt der Geheimdienste sind in Ecuador Dokumente aufgetaucht, die von der noch vorhandenen Opposition – nach einem Vulkanausbruch wurde die Pressezensur eingeführt – zu Fragen an Präsident Correa genutzt werden. Nach einem auf den Dokumenten fußenden Zeitungsbericht beschattet der ecuadorianische Geheimdienst Senain den Australier Julian Assange in der Landesbotschaft zu London und sorgt mit der Operation Hotel dafür, dass sein Lebensstil sich dem botschaftlichen Leben anpasst. Interessanter als die Details zum Alltagsleben von Assange ist die Information, dass der Senain 535.000 Dollar an Hacking Team überwies, um den Oppositionsführer Carlos Figueroa überwachen zu können. Am Ende ging die fortlaufende Forderung nach neuen Sicherheitslücken zum Eindringen in Figueroas Geräte selbst den Support von Hacking Team auf die Nerven. Dass Wikileaks mit den Mails von Hacking Team half, das alles aufzudecken, ehrt die Truppe.

Was wird.

Irgendetwas dreht sich und das Lebbe geht weider. Noch läuft die Froscon und bald danach gibt es gleich nebenan die Kölner Woche deiner Privatheit, komplett mit Cryptoworkshop und einer Demonstration. Auch am Rande der norddeutschen Tiefebene tut sich was, wenn das Spamfilter-Festival beginnt. So wie Netzpolitik keine abwegige Spezialpolitik ist, ist auch die Netzkultur eine Spielart unter anderen im möglichst bunten Kulturbetrieb.

Wer die Schmiergelder von Strauß vermisst, das Ehrenwort von Kohl und Adenauers Werk sowie Schäubles Beitrag, dem antworte ich mit einem Zitat des ehemaligen Bundespräsidenten Heinrich Lübke aus dem Jahre 1961 zu diesem Thema:"Glücklich die Staaten, in denen die Bürger wissen wollen, aus welchen geistigen und moralischen Quellen diejenigen ihre Kräfte schöpfen, die führend sind in Gesellschaft und Staat; und weiter, ob ihre Fähigkeiten und ihr natürlicher Ehrgeiz, etwas leisten zu wollen, im rechten Verhältnis stehen zu ihrem Rechtsinn, ihrer Wahrheitsliebe und den anderen Werten unserer sittlichen Ordnung."

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. Von Schwarmterroristen und ernsten Komikern
Beitrag von: SiLæncer am 30 August, 2015, 05:02
Manchmal muss man angesichts der pöbelnden DumpfbackenSelbstverständliches extra betonen, wundert sich Hal Faber. In anderen Welten darf man immerhin Hoffnung gegen den Machismo-Nerdismus schöpfen. Auch was zum Wundern.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

(http://1.f.ix.de/imgs/18/1/5/7/4/7/5/3/Ordnung-2c9014ccca289f41.png)
*** Ja, das ist das Problem mit der Meinungsfreiheit. Manchmal tut sie weh. Manchmal sind es gar keine Meinungen, sondern üble Pöbeleien wie das Wort von der Schlampe, mit der Bundeskanzlerin Merkel beschimpft wurde. Hier gibt es eine Grenze, an der das endet, was man den politischen Diskurs nennen könnte:
"Um es also deutlich zu sagen: In diesen Foren haben irgendwelche ausländerfeindlichen, rassistischen und rechtsradikalen Parolen nichts zu suchen. Angriffe auf Flüchtlinge in Deutschland, die hier verbal geäußert werden und andernorts schon zu physischen Attacken führten, haben hier nichts zu suchen. Seltsame Parolen von Identitären und Reichsdeutschen, die ihr menschenfeindliches Gedankengut hinter kruden Verschwörungstheorien verstecken, haben hier nichts zu suchen."

*** Man kann es ja versuchen, diese Mischung aus Alkohol und Deutschsein damit zu erklären, dass der Diskurs durch das Dispositiv abgelöst wurde, nur kommt man damit nicht sehr weit. Denn die rechtsradikalen Pöbeler haben sich schon lange von jeder Diskursfähigkeit verabschiedet. Zuhören ist nicht mehr möglich, Verstehen ist nicht gewollt, da alles Lügenpresse ist für die besoffenen Besorgten. Auf traurige Weise bewahrheitet sich der Satz von Karl Lagerfeld über die Träger von Jogginghosen, denen die Kontrolle über ihr Leben entglitten ist. Ob sie von Joko und Klaas erreicht werden, ist auch die Frage. Die Komiker sagten:
"Denn keine Fernsehquote, kein Shitstorm kann jemals so schlimm sein wie der Applaus von Leuten, die auch dann klatschen, wenn ein Flüchtlingsboot mit 800 Menschen im Mittelmeer versinkt."

*** Abseits der Pöbeleien verwundern die Sticheleien über Aktionen, die durchaus pragmatisch sind und nicht nur der Imagepflege dienen, wie dies von der Entscheidung des Langenscheidt-Verlages behauptet wird. Der hat das Online-Wörterbuch Arabisch freigeschaltet, was von 35.000 Menschen geliked wurde. Auch das Hin und Her der Gerichte beim Versammlungsverbot in Heidenau ist verwunderlich. Die Argumentation mit einem polizeilichen Notstand in einer Gegend, die regelmäßig die Spaziergänge von Pegida und ihren Anhängern genehmigt, konnte erst vom Bundesverfassungsgericht abgewiesen werden. Aber vielleicht ist sowas normal in einem Land, wo selbst Pop-Heulbojen identitäre und reichsdeutsche Verschwörungstheorien von sich geben, sich Krypto-Antisemitismus und Krypto-Schlager gute Nacht sagen und besagte Heulbojen es dann nicht gewesen sein wollen, wenn sie jemand drauf festnagelt. Stattdessen dann ihre Anwälte auf Blogs loslassen.

*** Das Internet ist die DDR von heute schreibt die Frankfurter Allgemeine Zeitung in ihrer Rezension von Jonathan Franzens Unschuld, sich wohlig gruselnd wie bei den Artikeln über die Opfer von Ashley Madison und ihre Sockenpüppis. Im Unschulds-Roman verarbeitet Franzen seine Lektüre von Internet-Großkritikern wie Evgeny Morozov und Jaron Lanier und schreibt über den Totalitarismus des Netzes, in dem man seine Persönlichkeit nicht kontrollieren kann. Im FAZ-Interview wird Franzen zu Snowden und Assange befragt und antwortet, dass sie einiges Gute bewirkt hätten. "Was Assange angeht, so gibt es diese absurde Idee in Silicon Valley, dass, wenn jeder alles weiß, die Welt wundervoll sein wird." Dass die Idee von dem zunehmend sich verfolgt fühlenden Assange dem Silicon Valley zugeschlagen wird, überrascht etwas. Denn in diesem Valley haben Firmen wie Palantir ihr Hauptquartier, die bestens am Geschäft mit den Geheimdiensten verdienen.

*** Solche Firmen wurden nicht von unserer Arbeitsministerin besucht, als sie in dieser Woche mit dem Kontrollverlust experimentierte, natürlich in einem Volkswagen. Sie traf sich mit starken Frauen wie Facebooks Sheryl Sandberg oder Obi Felten, ihres Zeichen "Head of getting Moonshots ready for contact with the real world", die eine andere Art Arbeitsministerin ist. Am Ende der Reise hatte Nahles nach eigener Aussage das Gefühl, "bei den Maschinenmenschen Borg aus 'Star Trek` gelandet zu sein". Die assimilierte Arbeitsministerin ist inzwischen wieder in Deutschland gelandet und setzt ihre Kampagne Arbeiten vier null fort, mit starken Gedanken auf Twitter, über Arbeit in Zeiten der Schwarmintelligenz.

*** Seit dieser Woche ist bekannt, dass die Bundesregierung viel früher Kenntnis hatte von den Ermittlungen in Sachen Landesverrat, der mit Informationen über die "Erweiterte Fachunterstützung Internet" im Sommer 2014 begann. Der Bundesnachrichtendienst wollte die "Durchstecher" finden, die nach Darstellung der FAZ nun auf den Berliner Tischen tanzen, angeblich weil die Exekutive des Staates nichts mehr gilt und eine Netz-Bürgerwehr von Schwarmintelligenten das Geschehen bestimmt.
"Der Rechtsstaat war Netzpolitik.org und anderen Schwarmintelligenten aber ohnehin immer egal. Siehe Kinderpornografie, siehe Vorratsdatenspeicherung, siehe Urheberrecht. Die Netz-Bürgerwehr nimmt das Recht lieber in die eigene Hand: 'Legt Euch nicht mit dem Internet an!'"

*** Zwei Tage später ist aus der Schwarmintelligenz unter dem Eindruck der Geschehnisse in Heidenau bereits ein Schwarmterrorismus geworden, der für Hassparolen im Internet sorgt. So kommt im Blatt für kluge Köpfe auf das Feinste Rechts und Links, die Pöbeleien und die Netz-Bürgerwehr zusammen, wenn man blindwütig herzum argumentiert:
"Dasselbe gilt für Hassparolen im Internet, die Heiko Maas offenbar erst jetzt auf Facebook entdeckt hat. Einen Schwarmextremismus gibt es schon lange; wer den erst jetzt wahrnimmt, muss sich den Vorwurf gefallen lassen, er sei auf einem Auge blind. Oder dass er Angst vor Leuten hat, die sagen: Legt euch nicht mit dem Internet an!"

Was wird.

In der nächsten Woche feiert die solchermaßen angegriffene "Netz-Bürgerwehr" übrigens vorzeitig ihren Geburtstag, mit einer kleinen Tagung unter dem Motto Das ist Netzpolitik! und einer schwer geheimen Party hinterher.

Sie findet inmitten des IFA-Trubels statt, parallel zur Microsoft-Präsentation von Windows 10-Geräten und zur Vorstellung des Internet der Dinge bei IBM im Marshall-Haus. Dort wird niemand anders als das lernende Computersystem Watson "im direkten Dialog mit den Kunden" Fragen zum Internet der Dinge beantwortet. Die bei IBM benutzten Kühlschränke, offenbar unverzichtbar für eine IoT-Demonstration, kommen von Elektrolux, nicht von Samsung.

"MEN invented the Internet. And not just any men. Men with pocket protectors. Men who idolized Mr. Spock and cried when Steve Jobs died. Nerds. Geeks. Give them their due. Without men, we would never know what our friends were doing five minutes ago.

Dieser blatante Sexismus, wie er hier in der New York Times herausposaunt wird, ist Unsinn. Vergessen ist die Arbeit von Frauen mit Beiträgen wie dem Spanning Tree Protocol von Radia Perlman, die Kommandozeile von Glenda Schroeder oder der Line Mode Browser von Nicola Pellow. Natürlich wird jeder Ada Lovelace, Grace Hopper oder Adele Goldberg nennen, Geschichtskundige vielleicht noch die Frauen von Blethley Park, aber dann? Schon bei der LINC-Programmierin Mary Allen Wilkes passen viele. Am Dienstag eröffnet Bildungs- und Forschungsministerin Johanna Wanka die Ausstellung über Frauen in der Computergeschichte, die über Nerdetten wie Christiane Floyd oder Limor Fried berichtet. Das mag ein guter Ausgangspunkt sein, die unkritische Nerdness der Szene aufzubrechen.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. Vom Gang der Geschichte in den Ebenen
Beitrag von: SiLæncer am 06 September, 2015, 05:09
Die Menschen haben keinen freien Willen mehr, denn dieser ist ins Internet der Dinge abgewandert. Dabei sollten sie lieber mal Karl Marx lesen und die Technik verstehen, finden Hal Faber.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

"Die Menschen machen ihre eigene Geschichte, aber sie machen sie nicht aus freien Stücken, nicht unter selbstgewählten, sondern unter unmittelbar vorgefundenen, gegebenen und überlieferten Umständen. Die Tradition aller toten Geschlechter lastet wie ein Alp auf dem Gehirne der Lebenden. Und wenn sie eben damit beschäftigt scheinen, sich und die Dinge umzuwälzen, noch nicht Dagewesenes zu schaffen, gerade in solchen Epochen revolutionärer Krise beschwören sie ängstlich die Geister der Vergangenheit zu ihrem Dienste herauf...." Karl Marx, 1852

*** Ja, ich weiß, Karl Marx ist out, die Flüchtlinge rufen lieber "Merkel, Merkel" und das tun sie seit der Pressekonferenz am Montag immer lauter. Aber es lohnt sich immer noch, Marx zu lesen und Technik zu verstehen, besonders wenn die IFA den Newsticker blutrot färbt und alle Halle lang ein neuer Trend ausgerufen wird, ohne eine Erwähnung der aktuellen Ereignisse.

*** Die Menschen haben keinen freien Willen mehr, denn dieser ist ins Internet der Dinge abgewandert. Dank WLAN weiß die Waschmaschine, was sie wirklich will und bestellt selber die Mittelchen, die sie zu ihrer Existenz braucht. Sie braucht dabei keinen Beistand höherer Wesen, sondern ruft den Trockner. Es kommt noch schlimmer, viel schlimmer: Auch den tröstenden Gedanken, dass Katzen die letzten Geschöpfe mit einem freien Willen unter allen Himmeln sind, können wir uns abschminken. Wir schauen mit Petcube in die TV-Röhre, die längst keine Röhre mehr ist. Es hat schon seine geschichtsnotwendige Richtigkeit, wenn ein e-Book-Macher wie PocketBook aus Radebeul sich daran macht, die e-Kommunikation mit Frau Malzahn zu betreiben, "damit Menschen ihr Haustier beobachten, mit ihm reden und spielen können, ganz gleich wo sie sich befinden." Das hilft hervorragend gegen den bösen Alp auf den Gehirnen der Lebenden, inmitten dieser Ströme und Wellen, die "zügig", "unverzüglich" und "verstärkt" gelenkt und gebändigt werden müssen. Die Spannung steigt, nicht nur bei der Aktion Arschloch. Da geht noch was.

*** Geschichte wird gemacht, es geht leicht fehlgefärbt voran, mit einer Schwarzen Null: Kanzlerin Merkel sorgt sich um die Integration derer, "die dauerhaft bei uns bleiben" und erklärt eben diese Integration zu einer nationalen Aufgabe machen. Das kann klappen, wenn niemand einen Rosengarten verspricht. Der Europapolitiker Daniel Cohn-Bendit und der Politologe Claus Leggewie geraten geradezu ins Schwärmen, wenn sie die Umrisses eines neuen Deutschlands skizzieren, in dem die Behäbigkeit und Bräsigkeit verschwunden ist und neuer Mut zu Experimenten, gar eine Improvisationskunst gefordert wird, ganz in Gedanken von Steve Jobs, dem Sohn von Abdulfattah Jandali:

"Das gewaltige Volksvermögen dieser Republik könnte sich mit der Improvisationsgabe von Exilanten und Migranten verbinden und die soziale Innovation von Wirtschaft, Gesellschaft und Politik vorantreiben. Diese konkrete Utopie macht klar, was am dringendsten von uns verlangt wird: Vertrauen. Vertrauen, dass der Einwanderungsprozess mittelfristig gelingen wird. Dass er dieses Land voranbringen kann und es aus seiner Behäbigkeit herauszwingt, ohne Schaden zu nehmen."

*** Da ist noch mehr als Behäbigkeit. Ein starkes Stück Aufklärung war am Montag in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zu lesen, der Projektleiter des Forschungsverbundes SED-Staat über den Fremdenhass in der DDR berichtete. Der Hass war so stark, dass Stasi-Offiziere der Abteilung Terrorabwehr 1985 eine Doktorarbeit über den Schutz von Ausländern verfassten. Besonders groß war der Hass auf die Vietnamesen und Äthiopier, die Computerhandel im großen Stil betrieben, wie Vobis und Escom zusammen auf der anderen Seite der Grenze. "Allein im November und Dezember 1987 erwarben die Ankaufsstellen des DDR-Gebrauchtwarenhandels von ihnen Computer im Wert von 120 Millionen Mark. Einrichtungen des Gebrauchtwarenhandels boten die Ware an und verkauften sie zum Teil originalverpackt in Volkseigenen Betrieben." Als die Gastarbeiter kamen, stieg der Ausländeranteil in der Bundesrepublik auf 4,3 Prozent. In der DDR lag er bei 0,1 Prozent, als die Staatssicherheit vor einer drohenden Gefahr zu warnen begann und Eindämmungsmaßnahmen und Abschiebungen vorschlug. Gewarnt wurde auch, weil die Arbeitsmoral und Produktivität der Zugereisten deutlich über dem Niveau lag und es Ausschreitungen gab, bei denen Bürger die "vietnamesischen Werktätigen von ihrer guten Planerfüllung abzubringen" versuchten.

*** Während die richtigen Flüchtlinge kommen, werden die Wirtschaftsflüchtlinge abgeschoben, solange es kein System der "Arbeitskontigente" gibt. Das Wirtschaftssystem, das so viel Wert auf Reichtum und ein gutes Leben legt, hat kein Verständnis für Leute, die auch so gut leben wollen wie wir. Freiheit und Wohlstand sind unteilbar wie die 0.

"Der Aufstieg der unteren Klassenzur formal aktiven Teilnahme am öffentlichen Leben und die Erweiterung sowohl des Informationsflusses als auch der Informationsbestände haben die neue anthropologische Situation der 'Medienzivilisation' . Innerhalb dieser Zivilisation werden alle Angehörige der Gemeinschaft in unterschiedlichem Maße zu Adressaten einer intensiven, ununterbrochenen Produktion von Botschaften..." Umberto Eco, 1964

*** Nach Auskunft von Facebook ist es kein Verstoss gegen die Benutzungsbestimmungen, wenn jemand die Botschaft verbreitet, dass man Flüchtlinge überfahren sollte. Gegen die sehr unzivilisiert daherkommenden Botschaften vom rechten Rand der Gesellschaft haben sich Pranger im Internet gebildet, wie etwa Perlen aus Freital. Prompt gibt es Rechtsextremismus-Experten, die das nicht gut finden und wie Verfassungsschutz-Chef Maaßen vor der Aufstachelung des rechten Terrors warnen. Das ist das Stück, die auch in der Politik mit wunderbaren Negern gespielt wird, wenn man Verständnis für die "Sorgen dieser Bürger" hat und alles andere als das von Merkel geforderte "keine Toleranz für die, die nicht zu helfen bereit sind, wo rechtlich und menschlich Hilfe geboten ist." Ein Verfassungsschutz, der Mucksmäuschentum fordert, den kann niemand gebrauchen.

Was wird.

Die Flüchtlinge kommen und Deutschland modernisiert sich. Schließlich brauchen die Ankommenden die besonderen Errungenschaften der deutschen Zivilisation, eine elektronische Gesundheitskarte und den elektronischen Aufenthaltstitel als Äquivalent zu unserem wunderbar neuen Personalausweis. Da trifft es sich gut, wenn dank der Unterstützung der Bundesregierung kostenlose Workshops angeboten werden, warum elektronische Identitäten nützlich sind.

Vielleicht kommt mit den Neuausgaben auch Schwung in die Konzeption der Patientenrechte bei der Gesundheitskarte. Selbst die besonders klugen Deutschen haben ja Probleme mit acht unterschiedlichen PIN, die jeweils sechs-stellig sind. Da gibt es nämlich Widerborste bei der Bundesbeauftragten für den Datenschutz, denen die Lichtbilddiskussion egal ist und die sich um einen praktischen Umgang mit dem System bemühen. Denn eins ist klar: Die Menschen machen ihre eigene Geschichte, aber sie machen sie nicht aus freien Stücken, sie machen sie mit dem Computer. Mensch und Computer gehören zusammen. "Gemeinsam Arbeit erleben" ist doch ein wirklich schönes Motto für alle Zweibeiner und Binärrechner, wenn man eifrig dabei ist, Dinge umzuwälzen und den Geistern der Vergangenheit einen kräftigen Tritt gibt.

Quelle : www.heise.de
Titel: 4W: Von europäischen Dingen und einem "koordinierungsbedürftigem Ereignis"
Beitrag von: SiLæncer am 13 September, 2015, 07:01
Die schnelle Tagesmeldung auf einer Flughöhe mit der Eule der Minerva? Fragt sich Hal Faber. Eigentlich warten wir noch immer und schauen nachdenklich den farbstichigen Julian Assange an, wie er mit gestärktem Hemd unter einem blätterlosen Baum steht.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Ach, Europa. Bist du wirklich erst aufgewacht, als ein Boot mit 800 Menschen kenterte, da zwischen den Küsten des Lichts? Bist du mehr als Ungarn und Dänemark plus der Verordnung über die Krümmung einer Gurke und Politikern, die "mit Bestürzung" sehen, wie das arabofaschistische Syrien seine Bevölkerung abschlachtet? Bist du, Europa, gar eine Killerin, mit Frontex nach außen und TTIP nach innen hin? Um es in einem Satz zu sagen:

"Ein postdemokratisches, neoliberales Kuddelmuddel nationaler und oligopolistischer Interessen, ein Experimentierfeld für neue Regierungs- und Verwaltungsformen jenseits demokratischer Legitimierung; gegenseitige ökonomische Erpressung bis an den Rand von Wirtschafts- und Bürgerkrieg; Lobbyismus und Verschmelzung von Politik und Wirtschaft in groteskem Ausmaß; eine Politik, in der Banken wichtiger sind als Menschen; eine Regierungsform, die über das Schicksal der Gesellschaften in Geheimverhandlungen zum TTIP bestimmt, jenseits der Parlamente, jenseits der Öffentlichkeit: Ein Europa, das als Eurozone auf den Hund gekommen ist.

*** Europa neu denken, das fällt schon schwer, wenn dieses Europa die Ankommenden nur in Relation zum steigenden Bruttoinlandsprodukt wahrnimmt, als Wirtschaftsankurbeler, die an Stelle dieser "Wirtschaftsflüchtlinge" treten, die das Versprechen vom guten Leben im Wohlstand einfach so auf sich beziehen. Was ist das für ein Europa, das nicht etwa aus grundsätzlichen Erwägungen die deutsche Vorratsdatenspeicherung kippt, sondern dies wegen dem Eingriff in die Dienstleistungsfreiheit der Telekommunikationskonzerne moniert. Schließlich kostet die verdachtsunabhängige Speicherung unserer gesamten Kommunikation ziemlich viel Geld, das nicht durch die Kommunikation der Syrer mit ihren Familienresten wieder verdient werden kann. Was die Kommunikation mit Deutschland und den Deutschen anbelangt, so hat Bundeskanzlerin Merkel einen passablen Rat parat: Frauen, streckt sozusagen eure Fühler aus.

*** Europa ist eine Wirtschaftsmacht, aber kein Empire, auch Großbritannien nicht. Dort hat die Queen einen Thronrekord aufgestellt, adrett begleitet vom Vorsitzrekord Angela Merkels. Seit der tröstlichen Globalisierungskritik von Empire wissen wir, dass Europa im 17. Jahrhundert die Initialzündung für das heutige Empire gegeben hat, für eine umfassende Kontrollgesellschaft. In dieser Gesellschaft lebt die Hoffnung auf einen Fortschritt zum Besseren im Schwarm, der die Geschichte nicht als Ausrede nimmt und verkalkte Erinnerungen kurzerhand abschlägt. Nun ist ein anderes Buch erschienen, die Wikileaks Files mit einem Vorwort von Julian Assange. Ausgehend von der These, dass alle großen Reiche auch ihre eigene Kommunikationgeschichte haben, stellt Assange das US-Empire als die alles dominierende Weltmacht vor, die über das Kommunikations- und Spionagenetz ihrer 169 Botschaften mit Hilfe von 71.000 Agenten die Welt steuert und überwacht.

*** Das von Henry Kissinger aufgebaute, strukturierte System der Botschaftsdepeschen zeigt nach Assange, wie früh die USA die Destabilierung von Syrien zum Ziel hatten, um die Region bis hinein nach Europa zu erschüttern. In seinem Szenario gibt es keine Fehler wie fehlende Massenvernichtungswaffen, vor denen wieder gewarnt wird, keine geschönten Berichte, nur ein US-Imperium, das schaltet und waltet. Bis zum heutigen Tag: Sollte der es der neue, stramm linke Labour-Chef Jeremy Corbyn schaffen, Premierminister zu werden, prophezeit ihm Assange im Interview mit Russia Tody eine möglicherweise lebensbedrohende Intervention der USA.

*** Diese Überhöhung des "Gegners" ist vielleicht notwendig, um die Veröffentlichung der US-Depeschen durch Wikileaks zu einem ähnlichen Ereignis zu verklären, wie es die Veröffentlichung von US-Luftangriffen im Irak unter dem Titel Collateral Murder war. Wenn die Geschichte seines Ghostwriters Andrew O’Hagan stimmt, entstand Assanges Buch der "Wikileaks Files" nach einer Idee von Perry Anderson, eine Buchreihe namens "WikiLeaks Map of the World" zu entwickeln. In diesen Büchern sollten Experten für das jeweilige Land den Stellenwert der US-Depeschen erklären und auf diese Weise den wissenschaftlichen Journalismus vertreten, den Assange im Jahre 2010 als höchstes Ziel der Arbeit von Wikilaks ausgab.

*** Scientific Journalism? Die schnelle Tagesmeldung auf einer Flughöhe mit der Eule der Minerva? Eigentlich warten wir noch immer und schauen nachdenklich den farbstichigen Julian Assange an, wie er mit gestärktem Hemd unter einem blätterlosen Baum steht. Oder Laura Poitras, die sich in ihrer Berliner Wohnung auf einer Chaiselongue räkelt, fotografiert von Jacob Appelbaum. "Gemeinsam ist den Porträts, dass sie in einem künstlerischen Akt diejenigen in den Konsekrationsraum der Kunst erheben, die sich nicht aus herausragenden gesellschaftlichen Positionen gegen unerwünschte politische Entwicklungen wenden, sondern als wachsame Privatpersonen", informiert die Kunstkritikerin. Da gibt es dann einen Ausstellungsteil bei Samisdata, der deutsch betitelt "Schuld, Scham und Angst" heißt und sich mit Journalisten beschäftigt, die Angst haben und Dokumente schreddern. Die sich schuldig fühlen, weil sie mit der Kultur der Geheimhaltung kollaborieren. Wie gut, dass es ganz andere Journalisten gibt, die für das Wahre, Schöne und Gute stehen und sorgsam über die 94 Prozent der Snowden-Dokumente wachen, die noch nicht veröffentlicht worden sind.

Was wird.

Damit richtet sich mit der aktuellen Nummer 1 in den Charts der Blick in die strahlende Zukunft. Denn in dem Kontext von Intercept, in dem ein von Appelbaum Portraitierter wie Glenn Greenwald veröffentlicht, wird ein neues Format in die Welt gebracht, das sich Field of Vision nennt und als journalistisch-wissenschaftliches Filmemachen versteht. Das neue Format, das orientiert an "House of Cards" nichts weniger als eine neue Bildsprache einführen will, beginnt mit einem Film von Laura Poitras über – Überraschung!! – Julian Assange. Eine neue Sprache. Das kann eigentlich nur der große Dekodierer Joyce beschreiben, am besten in der Golden Probe Show der Nachdenker.

"Der Stolzprout, der ein ultimatives Schreiben entwickeln wird, ist der Poet, noch mehr gelernt, der das Lesen dieser Originalität dort entdeckte. Das ist der Punkt unseres Buches der Eschatologie von Kills, den es nun erreicht in soundso vielen gegensätzlichen Worten. Was nicht entkodet werden kann, kann dekodet werden, wenn ein Ohr wirklich sehen kann, was ein Auge je bekümmerte. Nun, die Doktrin besteht, wir haben gelegentlich Gründe, begründete Effekte und Affekte, gelegentlich wiedergründende Anderseffekte."

Quelle : www.heise.de
Titel: 4W: Von tickenden Bomben, baren Münzen und explodierenden ....
Beitrag von: SiLæncer am 20 September, 2015, 01:55
Ja, wir sehen bescheuert aus, wenn wir uns selbst ins Bockshorn jagen. Es scheint aber mittlerweile gesellschaftsfähig zu sein, das als große Leistung anzusehen, bemängelt Hal Faber. Aber hey, cyber olé! Da platzt doch glatt das Sparschwein.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Es gibt Geschichten, die würde kein Heise-Redakteur für den Newsticker akzeptieren, weil sie allen Gesetzen widerspricht, wahlweise denen der Logik, der Physik oder denen des deutschen Rechtsstaates. Und dann gibt es solche Geschichten, von einem Schüler, der ein elektronisches Metronom zu einer Bombe umbaut:
"Ich habe es gebaut, hörte das Ticken und dachte mir: Hey, das hört sich aber wirklich an wie eine Bombe. Also besorgte ich mir ein paar Batterien, pulte die Etiketten ab, so dass sie wie einfache Metallbüchsen aussahen und klebte sie mit Band zusammen. Und das schrieb ich mit großen Buchstaben darauf: KONTAKTSPRENGLADUNG. Ich dachte, Mensch, das wird ein Riesenspaß. Ich packte das in Bill Werners Spind! Ich kannte zufälligerweise seinen Spindcode."
Ein Lehrer hörte das Ticken der Bombe im Spind, der Schulrektor öffnete diesen, nahm die Bombe, fest an seine Brust gedrückt und rannte so schnell wie möglich auf das Fußballfeld der Schule, wo die Bombe demontiert werden sollte.
"Ich musste lachen, obwohl ich versucht habe, es zu unterdrücken. Also tat ich so, als müsse ich husten, um es zu überspielen. Aber ich konnte nicht einmal das hinkriegen, weil ich wusste, dass ich das Metronom mit einem zuschaltbaren Widerstand ausgestattet hatte, damit es schneller tickt, wenn jemand die Tür öffnet."
Das Lachen verriet den Bombenattrappenbastler Steve Wozniak und seinen köstlichen Joke, wie in "iWoz" geschildert hat. Er musste eine Nacht im Jugendknast verbringen, wo er "all den schweren Jungs" zeigte, wie man die Drähte des Ventilators nimmt und mit den Gitterstäben verbindet, damit die Gefängniswärter einen "gewischt" bekommen, wenn sie die Tür öffnen. Joke! Joke!

*** Steve Wozniak hatte "mächtig Spaß da drinnen" und der Witz hatte keine weiteren Folgen. Heute, nach dem Unabomber und den islamistischen Selbstmordattentätern, würde nach so einem Spaß sicher ein "Jugendknast" folgen, der die gesamte Lebensplanung über den Haufen wirft, einschließlich eines Bastelverbotes. Heute reicht schon die Konstruktion einer digitalen Uhr ganz ohne Bombe aus, um wegen "half a bomb" verhaftet und erkennungsdienstlich behandelt zu werden. Stimmt ein viel zitierter Tweet, ist Ahmed Mohamed von Präsident Obama eingeladen worden und kann zumindest so mit Steve Wozniak gleichziehen. Vielleicht nimmt er eine kleine Bastelei mit, wie die "Bombe", die seine Lehrerin nicht im Eilschritt auf den Sportplatz brachte, sondern zunächst in ihre Tasche steckte.Bruce Schneier fand dazu die richtigen Worte: "Wir sollten aufhören, uns zu terrorisieren. Wir sehen dabei nur bescheuert aus."

*** Achja: Allen Gesetzen widersprechen, das kann man heute auch in Deutschland, sogar regierungsamtlich. Das sieht man am WLAN-Gesetzentwurf, eine einzige Unverschämtheit, die den Eurpäischen Gerichtshof übergeht und von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung als "übereifrige Verbeugung von Sigmar vor Dieter" beschrieben wird. Gemeint ist Dieter Gorny, der Vorsitzende des Bundesverbandes der Musikindustrie. Siggy "Pop" Gabriel ist übrigens nicht nur der Minister, der eben diesen Gorny zu seinem Digitalbeauftragten machte, sondern diese Woche in Berlin auch erklärte, dass Deutschland in zehn Jahren die beste digitale Infrastruktur der Welt haben müsse. "Darunter dürfen wir es nicht machen." Wie das mit dem Anspruch von Bayern zusammenpasst, die beste digitale Infrastruktur in ganz Europa zu haben, ist dann eine Frage der Mengenlehre.

*** Das Bild, das Gabriels Sozialdemokratische Partei Deutschlands abgibt, ist überaus kläglich und beschämend, nicht nur beim WLAN-Gesetzentwurf oder bei der Aufarbeitung der Machenschaften der NSA, in der die Opposition die Gerichte bemühen muss. Wie diese Partei die Demontage des Asylrechts mittragen will und gleichzeitig hehre Worte über Europa und die europäische Idee verkündet, erinnert an eine gespaltene Persönlichkeit, eine gespaltene Parteilichkeit gewissermaßen. Zumindest sollte Europa realistisch gesehen werden, als die Heimat zweier Diktaturen, zweier Weltkriege und vieler Konzentrationslager, ganz wie in Ágnes Hellers Reaktion auf die Lobreden mancher Politiker. Die ganzheitliche Philosophin bekommt in diesem Jahr den Willy-Brandt-Preis-– zusammen mit Sarah Harrison, die für ihren "besonderen politischen Mut" ausgezeichnet werden soll. Gemeint ist wohl die Zeit, die Harrison an der Seite von Edward Snowden auf einem Moskauer Flughafen im extraterritorialen Raum verbrachte, bis Snowden eine Aufenthaltsgenehmigung in Russland bekam. Eine SPD, die nicht den Mut aufbrachte, sich für ein Asyl von Snowden in Deutschland stark zu machen und deren Politiker sich dabei auf eine "fehlende juristische Grundlage" beriefen, wäscht sich selber rein. Was wird uns da als aufrechter Gang verkauft?
"Die Menschen müssen stehen bleiben, in sich gehen und darüber nachdenken, was sie tun wollen, und warum sie das tun, was sie tun. Und sie dürfen nicht alles für bare Münze nehmen, was ihnen als bare Münze verkauft wird. Das heißt, am Denken hängt tatsächlich eine ganze Menge." (Ágnes Heller)

*** Wenn es in dieser Woche für jedes Cyber in den Nachrichten ein Fünferl für mein Schweinderl gegeben hätte, so wäre die Sau explodiert. Allein die Meldungen zum Cyber-Ausbau der Bundeswehr oder der US-Armee produzierten ein ganz spezielles Cyber-Hoch, ein "Full Spectrum Cyber" der Buzzwords und Münzfälschereien. Besonders apart ist dabei die Behauptung, dass es bei den deutschen militärischen Cyber-Missionen nur um den Verteidigungsfall geht, nicht um Attacken auf den Gegner, also um Cybels. Denn zu einer Attacke bräuchte man ein Bundestagsmandat. Vergessen wir die Einschätzung der Bundeswehr, dass zur Herrschaft im Cyber-Raum auch "Effektoren" angeschafft werden müssen für einen Schlag auf die Cyber-Infrastruktur des Gegners, der sich anschickt, einen Angriff zu starten. Auch die Einschätzung von Rüstungsfirmen wie Lockheed Martin, dass die Nachfolger der Global Hawk-Drohne nicht mehr nur aufklären, sondern in den "Electronic Warfare" eingreifen können müssen, sollte verdrängt werden. Dieses komische Cyber kommt einfach anders daher, wenn das Schlachtfeld realistisch bestimmt wird. Ganz unmilitärisch gilt diese Form der Verdrängung auch für einen seltsamen Newcomer wie die Deutsche Cyber-Sicherheitsorganisation, die von einem national abgrenzbaren deutschen Raum ausgeht.

Was wird.

Frohgemut geht es in die nächste Woche, denn Mutter Angela wird es schon richten in diesem ihren Land, für uns und alle unsere Flüchtlinge. Statt im Cyber-Raum rumzugurken, könnte die Bundeswehr IRL humanitäre Schutzkorridore nach Mitteleuropa einrichten. Schließlich hilft auch die IT mit, wo sie nur kann, die Jahrhundertaufgabe zu meistern. Nehmen wir nur SAP, wo man bis Ende des Monats eine App fertig entwickelt haben will, die bei der Integration von Flüchtlingen helfen soll, mit neuester Transparenz:
"Die meisten haben ja Mobiltelefone dabei. Die Idee der App ist, dass Flüchtlinge nicht nur direkt erfasst, sondern auch in Echtzeit die Verteilung und die Aufnahmekapazitäten im Bundesgebiet angezeigt werden. Zudem soll sie auch Helfer und Flüchtlinge direkt in Kontakt bringen."

Oder besser so?

"Mit xy-Software werden die einzelnen Standorte und Häuser mit ihren vorhandenen Kapazitäten erfasst. Dabei ist geplant, dass jedem aufgenommenem Flüchtling in xy-Software ein Foto zugeordnet wird. Über einen persönlichen Barcode auf dem Standortausweis wird ein eindeutiges Wiederfinden des um Asyl Suchenden für die Helfer erleichtert. Die direkte Labor-Anbindung sorgt für eine schnelle Übertragung von Laborwerten in die Datenbank von xy-Software und somit zum jeweiligen Flüchtling. Software erleichtert die Arbeit der anwesenden Ärzte, schafft Zeit und öffnet so wiederum Ressourcen. Alle Untersuchungsergebnisse, Laborwerte und Unfälle werden zentral erfasst."

Verknüpfen wir die Ideen mit der Idee einer elektronischen Gesundheitskarte für Flüchtlinge, dann werden auch die Alteingessenen etwas von der Jahrhundertaufgabe haben.

Ja, es ist alles wirklich so dumm und unverfroren. Dann machen wir uns eben auf nach Hannover, denn die Hoffnung stirbt zuletzt: So kann das Spamfilter-Festival die Hoffnung wecken, dass Netzkultur das ist, "was wir draus machen. Wir wollen nichts mehr verpassen, wir wollen Feedback, wir wollen intervenieren können und nicht mehr nur zuschauen, oder manchmal doch, aber dann nur wann, wo und was wir wollen". Gut gebrüllt, Löwen, auf dass die Schweine doch nicht platzen müssen: "Netzkultur, das ist für uns auch die Erprobung einer Gesellschaft ohne kulturelle und soziale Grenzen, an denen uns der Zugang verweigert wird."

Quelle : www.heise.de
Titel: 4W: Von Mess- und anderen Systemfehlern.
Beitrag von: SiLæncer am 27 September, 2015, 06:51
Vergurkt nannte man das früher. Heute macht das Software, und die Angst vor den Algorithmen, die konservative Technologiekritiker säen, nimmt überhand, befürchtet Hal Faber. Starrsinnige alte Männer, everywhere? Nein, schlimmer: das "Modell Deutschland".

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Es ist ja nur ein bisschen Software in einem kleinen Computer, der ein Pümpchen steuert, dieses Denoxtronic-System. Das Steuerungssystem von Bosch, das auch an VW verkauft wurde mit den Standardeinstellungen, "wie bei einem Computer, der mit Windows und ein bisschen Excel und Word an den Arbeitsplatz geliefert wird", erklärt es ein Bosch-Ingenieur in der Süddeutschen Zeitung. Die Einrichtung, die Parametrisierung besorgen die Automobilhersteller selbst. Bei Volkswagen, Skoda und Seat hat man die Software beim Motörchen EA 189 ganz besonders pfiffig eingestellt. Die Denoxtronic patched by Volkwagen arbeitet seit 6 Jahren nur dann mit voller Kraft, wenn das Auto auf einem Prüfstand steht. Nur ein bisschen Software, das müsste doch kein Problem sein, diesen speziellen Debug-Modus so zu schalten, dass die Denoxtronic immer läuft. Eine kleine Umkalibrierung, und dann ist Frieden. Der Aufwand ist doch überschaubar. Oder?

*** Es ist ein bisschen mehr. Zum System Volkwagen gehören halsstarrige alte Männer, die die Debatte über Stickoxide und Klimaschutz für eine Spinnerei von Weicheiern und Gutmenschen halten. Männer, die auch dann noch lügen und betrügen, wenn die seit 2013 bekannten Messwerte mit dem Fehlverhalten einiger Weniger erklären. Mehrere Forschungsabteilungen, Heerscharen von Hausjuristen und Lobbyisten haben sich bei Volkwagen mit der Vermarktung des Clean Diesel in den USA, mit Hinhaltesspielchen und Ausweichmanövern beschäftigt. Einige hundert Mitarbeiter sollen damit beschäftigt gewesen sein, die schöne Fiktion aufrecht zu erhalten, die Lobbyist Matthias Wissmann 2011 auf der Detroit Motor Show so verzählte: " Es kann gut sein, dass der Clean Diesel in manchen Weltregionen klimafreundlicher sein wird als das Elektroauto." Apropos Weltregionen: Der nun geschasste Martin Winterkorn ist der bekannteste Unterstützer von TTIP in der deutschen Wirtschaft. Mit dem Abkommen im Rücken gegen die US-amerikanischen Abgasnormen klagen, das war die Exit-Strategie von Volkswagen für den Ausstieg aus dem Schwindel. Doch das haben sie total verbockt, halt "screwed it" im besten Maskulinisten-Slang.

*** Es ist noch ein bisschen mehr. Ob Gerhard Schröder oder Angela Merkel, die Förderung der deutschen Automobilindustrie und besonders des Volkswagen-Konzerns gehört zum Leitbild der deutschen Politik, den hartnäckigen Widerstand gegen schärfere Umweltauflagen inbegriffen. Die Blockade der von der EU gefordeten Diesel-Steuer war höchste deutsche Politik, verkündet von Angela Merkel im April 2011 via "Bild": Der Diesel wird nicht teurer, basta. Nun sind zigtausende der gern genannten deutschen Arbeitsplätze gefährdet und die Erkenntniss macht sich breit, dass die Lüge das Geschäftsmodell von "Made in Germany" darstellt, bei Bankern, Autobauern und autofreundlichen, bankerfreundlichen Politikern. Das System macht keine Fehler. Es ist ein einziger Messfehler. Es gibt sie noch, die dunkle Seite der Macht.

*** Wenn die kalifornische Firma Apple in dieser Situation die Nachricht durchreicht, dass man 2019 ein Elektroauto anbieten will, ist das eine Ansage gegen die Deutschland AG, zusammen mit der Forderung von Elon Musk nach einer korrekten Bepreisung des CO2-Ausstoßes. Dagegen wirkt die These der Arbeitgeber bewusstseinserheiternd, dass es die Umweltverbände sind, die jetzt die Zerstörung der deutschen Automobilindustrie besorgen.

*** Es ist etwas her, da machte sich der BKA-Chef Holger Münch Gedanken über die Bringschuld der Polizei. Gerade weil die Vorratsdatenspeicherung eine so undurchsichtige Maßnahme ist, müsste die Polizei handeln, wenn sie Transparenz durch Vertrauen ersetzen will:
Die Unwissenheit und Skepsis der Bürger, die sich in Diskussionen wie der zu Mindestspeicherfristen zeigt, zieht außerdem eine Bringschuld der Polizei nach sich, polizeiliche Maßnahmen zu erläutern und so Vertrauen zu schaffen.
In dieser Woche gab es eine Anhörung zur Vorratsdatenspeicherung (VDS) im Bundestag, in der sich die Mehrheit der Experten klar für die Technik ausgesprochen hat und überdies eine Ausweitung der geplanten Totalüberwachung forderte. Mindestens sechs Monate müssten die Daten behalten werden und dazu die unsinnige Vorschrift fallen, dass Berufsgeheimnisträger wie Anwälte, Journalisten und Ärzte von der VDS ausgenommen werden. Wenn angesichts der geballten Argumentation für die VDS davon gesprochen werden kann, dass die Luft für das entsprechende Gesetz "sehr dünn" ist, dürfte es sich um die Luft in einer Filterblase handeln. Denn, wie BKA-Chef Münch es mit einem Zitat ausdrückt, geht es um das Vertrauen in die Polizei:
Wer vertraut, kann eben nicht über alles informiert sein, sondern legt seine Zukunft zu einem gewissen Grad blind in die Hand von Menschen und Mechanismen.

*** Der saudi-arabische Botschafter Faisal bin Hassan Trad hat seinen Posten als Vorsitzender des UN-Menschenrechtsrats bei den Vereinten Nationen in Genf angetreten. Dies ist nicht nur angesichts des Bloggers Raif Badawi eine Farce. Auch die Geschichte um Ali al-Nimr gibt zu denken. Nun ist bei der Analyse der e-Mails von Hacking Team herausgekommen, wer der ominöse Mister W. ist, der im Auftrag einer nicht genannten Firma den italienischen Überwachungsspezialisten ein Übernahmeangebot unterbreitete. Wafic Said, ein in Großbritannien lebender Syrer mit engen Verbindungen zum saudi-arabischen Königshaus, wollte über seine Firma Safinvest Hacking Team für 37 Millionen Euro übernehmen, in "Halo" umbenennen und im arabischen Raum installieren, wo die Software dringend gebraucht werde. Die Verlagerung des Firmensitzes war ausgedacht, um Exportkontrollen nach dem Wassenaar-Abkommen unterlaufen zu können, als "Safe Harbour der Schnüffler". Wobei auch der sichere Hafen der Guten gerade versandet ist.

Was wird.

"Klar, warum denn auch nicht? Er dürfte natürlich nicht zu mehr Überwachung führen. Ich möchte auch nicht, dass irgendwelche Firmen mit meinem Denken einen ökonomischen Mehrwert akkumulieren. Aber wenn diese Chips unsere Denkkräfte und unsere Produktivkräfte auf progressive Art und Weise fördern würden, wären sie doch ein Fortschritt. Es gibt diesen wunderbaren Satz von Spinoza 'Wir wissen noch nicht, was unser Körper kann.' Akzelerationistisch übersetzt heißt der Satz: Wir wissen noch gar nicht, was der techno-soziale Körper kann."

Dies antwortete der derzeit angesagte Berliner Philosoph Armen Avanessian auf die Frage der tageszeitung, ob er sich einen Chip einpflanzen lassen würde. Avanessian lobt einen wie Edward Snowden als kleinen Bürokraten des Widerstandes, der niemals demonstriert oder Karotten gepflanzt habe. Er, Avanessian, nicht dieser Alien-Experte, will schneller denken können, um den Kapitalismus zu überholen, mehr nicht. Da kommen die Chips goldrichtig, wenn sie nicht überwachen. Aber was ist, wenn sie als Körpertrojaner auftreten, wenn das vermessene Ich über sich selbst Buch führt und das digitale Ich ein gläsernes ist?

Unter dem hübsch aktuellen Motto "Grenzen überwinden" wird in Frankfurt das deutsche Einheitsfest gefeiert, mit 50 Bürgerrechtlern (Ost) in der ersten Reihe nach der Kanzlerin und unser aller Gauck. 30 anerkannte Flüchtlinge sind ebenfalls dabei und der Vereinigungsminister von Südkorea. Es gibt eine Ländermeile mit regionalen Spezialitäten und eine Licht/Ton-Installation zum Thema. Grenzen sehen so aus.

Quelle : www.heise.de
Titel: 4W: Von Fetischen, Cyborgereien und aufmerksamen Puppen.
Beitrag von: SiLæncer am 04 Oktober, 2015, 01:26
Der Sound zu all den Feierlichkeiten ist schrill, und oft unpassend. Daher: Keine Atempause, Geschichte wird gemacht. Aber was deutsche Ingenieurskunst versaubeuteln kann, dass geht in anderen Bereichen doch auch, befürchtet Hal Faber.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** "Niemand würde behaupten, dass die Entwicklung von TDI-Motoren relevante soziale Transformationen nach sich zieht – auch wenn sie das sicherlich tut", schreibt César Rendueles in seinem Essay über "Cyberfetischismus" . Hat das wirklich niemand behauptet? Schade, denn jetzt erleben wir, wie die kleinen Dieselmotörchen mit 1,2-2,0 Liter Hubraum beim VW-Skandal eine soziale Transformation nach sich ziehen: Der Auspuff wird zum Einpuff, was dazu führt, dass viele gelehrte Abhandlungen über die Herrschaft, ähem die böse Magie der Algorithmen ausgestoßen werden, deren trickreiches Wirken sich nur hin und wieder in abstürzenden Messkurven offenbart.

*** Nur wer viel misst, misst den Mist, den "eine kleine Gruppe Manipulateure" mit ihrer Ramdoubler-Software angerichtet hat. Was 20 Jahre nach SoftRAM 95 es aus der kleinen Welt der Windows-Rechner in die große Welt der Autos geschafft hat, deren Software ein "biologisches Maß an Komplexität" erreicht hat. Wen das stimmt, haben wir Rechner mit Datenkörpern erschaffen und dabei längst die Kontrolle über die Synapsen verloren. Es ist die andere Seite jener Angst-Lust über die Künstliche Intelligenz, von der wir gleich hoffen, dass sie uns erlöst von unserer metaphysischen Einsamkeit im All. Hal 9000 war ja auch ein sehr verständiger Partner inmitten der Einsamkeit, bis zum letzten Kinderlied.

*** Die Illusion vom starken, schadstoffarmen sauberen und noch bezahlbaren Diesel ist geplatzt, ausgerechnet in Deutschland, das wie kein anderes Land der Welt von seiner Automobilindustrie abhängig ist. Die ganzen Phrasen von der Wissensökonomie, von den deutschen Ingenieursleistungen, von Industrie 4.0 und Arbeit 4.0 gehören damit ebenfalls auf den Rollenprüfstand: Betrügen und bescheißern wir uns nicht hier genauso wie VW oder wie bei der deutschen Einheit? So gesehen könnte die relevante Transformation ganz unsozial aus den USA kommen, wo sich der scheidende US-Präsident Obama als Klimakrieger inszenieren möchte. Hoch im Norden in Kotzebue, da zeigte er dem Rolling Stone, wie man ein Selfie vom Ende der menschlichen Zivilisation macht.

*** Dabei hat der Diesel in den richtigen Leistungsklassen seine Vorteile, zu sehen an den Tanken, wo die Trucker umstandslos AdBlue nachfüllen, nur um sich in den nächsten Stau zu stürzen, aus dem allein das automatische Fahren Erlösung verspricht. Dieses verblödende Vorrücken Meter um Meter sollte man wirklich dem Rechner überlassen können, während man in der Zeitung blättert oder im Heiseforum stöbert. Aber ist da nicht der Anfang vom Ende der bestehenden Ordnung eingeleitet? Werden da nicht Zigtausende von Arbeitsplätze durch diesen kybernetischen Kapitalismus gefährdet, der seine Vollendung im Light out Fab bei Globalfoundries erfährt? Die Fabrik ohne Arbeiter, die Norbert Wiener im Jahre 1949 beschrieb, als er in einem Brief an einen Gewerkschaftsboss vor der kommenden Entwicklung in der Automobilindustrie warnte? "Ich bin mir sehr wohl bewusst, dass jede Arbeit, die in Konkurrenz zur Sklavenarbeit steht, ganz gleich ob diese Sklaven menschlicher oder mechanischer Art sind, die Bedingungen der Sklavenarbeit akzeptieren muss."

*** Wieners Warnungen wurden von Walter Reuther gehört, der den geschäftstüchtigen jüdischen Wissenschaftler einlud, auf einem Gewerkschaftskongress über das Thema der kybernetischen Steuerung zu sprechen. Das lehnte Wiener unter Verweis auf anstrengende Europa-Reisen und seine angegriffene Gesundheit ab. Er war verwarnt worden. Denn der kybernetische Kontakt alarmierte das FBI, das eine Akte "Norbert Wiener a.k.a. Weiner" anlegte und Wiener als Gefährder der Stufe C einstufte – subversive Aktionen gegen die Regierung der Vereinigten Staaten. Die Frage, wo denn der Mensch bleibt, wurde von Volkswagen in der Halle 54 beantwortet, ganz im Sinne von Norbert Wiener. Damit bin ich bei einem echten Jubiläum angelangt, ganz abseits der Einheitsfeiern. Denn wir Menschen sind biologische Maschinen, die sich mit Informationsmaschinen in Form von Smartphones verbinden, um Kriegs- oder Flüchtlingsmaschinen zu werden. Kurzum, wir sind Cyborgs.

*** Vor 30 Jahren ging es nicht nur Zurück in die Zukunft, vor 30 Jahren begann eine Zukunft. In der in Berkeley erscheinenden Socialist Review veröffentlichte Donna Haraway ihr feministisches Cyborg Manifesto, das den Cyborg von den kruden Anfängen bei Kline und Clynes als Schwanzersatz befreite, während sich Haraway über die Männer und ihre Ängste mokierte: "Der Cyborg ist ein Geschöpf der post-Gender-Welt, er ist nicht mit dem ganzen Zeug von Bisexualität, prä-ödipaler Verschmelzung, nicht entfremdeter Arbeit oder anderen Versuchungen beladen, eine organische Ganzheit all der Teile zu bilden, die in einer höheren Einheit verschmolzen werden sollen." Der Cyborg soll den ganzen dualistischen Quatsch von Körper und Geist überwinden, der die sozialistische und feministische Debatte seinerzeit plagte.

*** Also zurück zu Hals Kinderlied? Halt, stopp, da war doch noch was! Wo ist der Song zum Wiedervereinigungsjubiläum? Nein! Bitte nicht! Schmeiße jetzt keiner die Scorpions an! Wie wär's mit Fehlfarben, "Es geht voran"? Oder, wenn man schlecht gelaunt und etwas melancholisch veranlagt ist, die 17 Hippies mit "Was bleibt", zumindest im übertragenen Sinne: "Weiß verblüht der Flieder zur Zeit. Zu mir hast du ja gesagt – und sieh’ nur was bleibt." Oder gar die Einstürzenden Neubauten mit Halber Mensch? Aber möglicherweise sollten wir doch auf den 9.November rekkurieren und dann John Zorns unvergessliche und fast unerträglich mahnende Musik gegen das Vergessen hören. Zum Abschluss dann Brechts von Eisler vertonte Kinderhymne. Andere Vorschläge?

*** Ja, genau, Musik ist politisch, ist es immer gewesen, und wenn sie sich unpolitisch gab, war sie erst recht politisch. Kaum jemand kann von diesem politischen Charakter der Musik ein besseres Lied singen als Nina Simone. Man kann gar nicht oft genug auf die fantastische Dokumentation   "What happend, Miss Simone?" hinweisen, die Netflix bereits im Juni veröffentlichte. Und dann führt man sich gleich noch "live at Montreux 1976" zu Gemüte, mit der wohl berauschendsten Version von "My Baby Cares for Me", die die Welt je gehört hat.

Was wird.

"Fantastisch. Ich weiß, dass wir gute Freunde werden": So beginnt die Geschichte der smarten Barbie, die hier in epischer Breite erzählt wird. Die bereits mit einem Big Brother Award ausgezeichnet wurde. Barbie für den rosafarbigen Einstieg in die technologische Singularität soll zu Weihnachten in den USA auf den Markt kommen. Wir sehen: Barbie findet Mathe nicht mehr doof und arbeitet auch nicht mehr als Web-Hiwi in der IT mit Steve und Brian, sondern sorgt für zahlreiche Arbeitsplätze in der heilen "scripted Reality". Wenn sich junge Mädchen mit ihren Wünschen an die Puppe richten, muss die Vorarbeit stimmen. Dialoge müssen geschrieben, geprobt und gesprochen werden und wehe, es geht da nicht politisch korrekt zu. Auf die Frage "bin ich sexy" muss eine Antwort kommen, die garantiert nicht von Donna Haraway stammt. "Du bist klug, talentiert und witzig", so ist das richtig. Man stelle sich eine Puppe vor, die auf den barbieanischen Imperativ Erhebe deine Stimme! schlicht anwortet, dass Pop in Noten gefasster patriachalischer Zwang ist. "Barbie, ich bin scheu und möchte doch Freundinnen haben." "Da muss man sich nicht schlecht fühlen, wenn man scheu ist. Überlege mal, wir sind doch auch gute Freundinnen geworden." Barbie ist darauf programmiert, Schimpfworte zu ignorieren, sie sind in den zentralen Toytalk-Servern mit der Wissensbasis von Barbie nicht vorhanden. Hack mich, hack mich ruft das Rumpel-Datenstaubsaugerlein verzückt am Lagerfeuer.

Also feiern wir mal. Feiern wir die Einheit mit denen von drüben wie hüben, die Einheit mit unseren Cyborgs, die Einheit mit denen, die jetzt noch kommen und mit denen wir zusammen im 21. Jahrhundert ankommen müssen, trotz aller wippenden Politiker, die da holzen. Wir müssen ankommen in einem Jahrhundert, in dem sich Europa öffnet gegenüber anderen Völkern, Rassen, Ethnien. Ein paar Türen sind schon offen, aber sie wurden nicht aufgehalten. Auf das Aufstoßen kann man Anstoßen.

Quelle : www.heise.de
Titel: 4W: Von Siegen und Niederlagen.
Beitrag von: SiLæncer am 11 Oktober, 2015, 05:30
Wir werden alle sterben!1Elf! Oder doch nicht, ist das Internet denn wirklich noch zu retten? Hal Faber staunt über PR-Flaks. Aber Ethik in der IT? Ha, selten so gelacht. Das bittere Lachen des Herrn K.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Wir leben in interessanten Zeiten. Max Schrems hat gesiegt, in einem kleinen Vorgeplänkel einer Auseinandersetzung, gegen die Franz Kafkas Process wie die Verhandlung über ein Parkknöllchen aussehend wird. Blumen werden vor dem Max-Schrems-Schrein im Berlin Spy Museum niedergelegt. Dort, wo an diesem Samstag die Demo gegen TTIP durch die Stadt walzte, gegen ein Abkommen, das selbst Bundestagsabgeordnete nicht lesen dürfen, so geheim ist es. Wie nett, dass ausgerechtnet jetzt Klartext in einem verwandten Fall gesprochen wurde: In dieser Woche hat es ein historisches Urteil zum Datenschutz gegeben, das sich gegen die "Safe Harbor"-Praxis der USA richtet. Jetzt diskutiert alle Welt, wie sich das Urteil auswirkt und die PR-Maschinerie vieler Hersteller und Anbieter läuft auf Höchsttouren. Meine Inbox wird vollgedonnert mit Pressemeldungen, wie Firma xy dank ihrer blafasel-Technologie die Daten in der Cloud retten kann vor dem Untergang des Internet. Schließlich sind angeblich 5483 Firmen vom Aussterben bedroht, da muss doch was getan werden für die Daten-Flüchtlinge. Was beim Urteil noch viel folgenreicher sein dürfte, sei hier zitiert:
"Herr Schrems legte bei der irischen Datenschutzbehörde eine Beschwerde ein, weil er im Hinblick auf die von Herrn Edward Snowden enthüllten Tätigkeiten der Nachrichtendienste der Vereinigten Staaten, insbesondere der National Security Agency (NSA), der Ansicht war, dass das Recht und die Praxis der Vereinigten Staaten keinen ausreichenden Schutz der in dieses Land übermittelten Daten vor Überwachungstätigkeiten der dortigen Behörden böten."
Wir lesen: ein europäisches Gericht lässt eine Klage zu, in der Edward Snowden und die NSA explizit genannt werden. Dies geschieht zu einer Zeit, in der in den USA der Vortrag des Journalisten Barton Gellman über den Snowden-Effekt an einer Universität zensiert wird, weil er Einzelheiten zu den Tätigkeiten der Nachrichtendienste enthielt. Angeblich wurde nach einer bewährten Methode sogar überlegt, den beim Vortrag benutzten Beamer zu zerstören – wer weiß schon, was in so einem Beamer-Speicherchen stecken bleibt. Dabei ist Barton Gellman neben Glenn Greenwald der Journalist, der direkten Kontakt mit Snowden hatte, von ihm Informationen bekam – und erheblich vorsichtiger mit dem Material umging. Klar ist, dass es NSA-Mitarbeitern nach einem Ukas nicht gestattet ist, sich Snowden-Files etwa aus der verdienstvollen Sammlung von Cryptome zu besorgen. Safe USA oder Save USA, das ist die Frage.

*** Auf die benamste Universität wird hier übrigens nicht verlinkt, da Snowden die Sache verlinkte und somit vom Netz entfernte: Nach "Streisand Shitstorms" dürfte ein "Snowden-Tweet" die neue Macht im Netz stellen. Ist sie dann der digitale Arm eines verbitterten Mannes? Immerhin ist Snowden mit seinen Enthüllungen im wissenschaftlichen Überbau angelangt, in dem es dank Snowden düster zugeht. Wir wissen nun, dass wir überwacht werden, aber wir fühlen es nicht. Was tun sie noch mit unseren Datenkörpern, von dem wir nichts wissen? Auch wenn Snowden gar nicht handelt, sondern seine Jünger hat, die das Tröpfeln der Daten besorgen, ist die Wirkung beachtlich:
"Snowdens unermüdliche Veröffentlichungen der Überwachungsaktivitäten der NSA geben nicht notwendigerweise die Sicherheit, dass wir wissen, was da passiert. Vielmehr können sie dazu dienen, unsere Vermutungen zu bestätigen und zu verstärken 'was sie sonst noch etwas machen, von dem wir immer noch nichts wissen'. Eine diffuse Paranoia ist das Resultat, als eine besondere Form der existenziellen Angst in der Moderne. In Kafkas Process taucht das Objekt der Paranoia von K. in den Verwinkelungen der modernen Bürokratie auf und hinterlässt einen profundes, unauflössliches Gefühl des Unbehagens. Heute steckt das Objekt in einer Black Box hinter den Interfaces unserer Geräte."

*** Gut möglich, könnte aber auch das Gegenteil sein, wenn der Process als Humoreske gelesen wird, in der die Justiz in Pornoheften blättert. Was Kafka selbst wollte, ist nicht ganz klar, da er die Kapitelaufteilung seines Werkes verschlüsselte und es niemand bisher geschafft hat, das System des Versicherungstechnikers zu dechiffrieren. So sind unterschiedliche Lesarten des Textes möglich, wie K. überwacht und bestraft wird, etwas, das auch für die Lesarten der heutigen Überwachung gilt.

*** Mit den Lesarten ist das eine zwiespältige Sache, zumindest bei Journalisten, wie dieser Artikel zur Datenhehlerei zeigt, die bald als eigenständige Straftat geführt werden soll. "Journalisten müssen außerdem ausschließlich aus beruflichen Gründen handeln: Sobald sie sich auch privat für das Thema ihrer Recherchen interessieren, entfällt also das Presse-Privileg." Ich sehe sie schon kommen, die verschwenzelten Disclaimer der Kollegen: Ich habe nie privat mit Volkwagen zu tun gehabt, ich fahre ausschließlich Opels mit der roten Plakette.

*** Volkswagieren, schreibt der IT-Omnisoph Gunter Dueck in seiner Reaktion auf den Volkswagenskandal, ist der Punkt, an dem Informatiker und Mathematiker ihre Ethik und Ehre aufgeben. Sie schreiben dann einen Softwarecode für das Motörchen EA 189, mit dem 10 verschiedene Betriebsmodi eingestellt werden konnten, um diesen und jenen Test zu umgehen. Von Ethik und Ehre der Informatiker und Mathematiker keine Spur. Konsequent denkt Dueck die Sache weiter und erinnert an die vielkernig angepriesenen Smartphones:
" Man könnte doch eigentlich gleich nur vier Prozessoren einbauen und die anderen vier irgendwie per Software vortäuschen? Ich muss noch einmal nachdenken, wie man hier volkswagiert. Für Digital Immigrants oder Erst-Smartphonekäufer reichen vier Prozessoren allemal, die merken es doch nicht, es ist ja das gleiche Prinzip wie bei Billigbrustimplantaten."

*** Ethik für Informatiker, Ehre der Ingenieure? Lachen wir lauthals über den Quatsch und feiern lieber ein kleines Jubiläum. Exakt heute vor 20 Jahren, am 11.10.1995 tauchte im Usenet unter /comp/os/ms-windows/win95misc ein Beitrag namens "SoftRAM95 Update" auf, in dem sich der Autor wunderte, was denn diese SoftRAM95-Software der Firma Syncronys Softcorp. eigentlich macht. Einen Tag zuvor war in der New York Times ein Artikel erschienen, der über Merkwürdigkeiten beim Börsenkurs dieser nicht gelisteten Firma berichtete, die für ihren RAM-Verdoppler höchstes Lob bekam – von zwei kalifornischen Börsenhändlern. Der verwunderte Beitrag zitierte Ergebnisse der "National Software Testing Laboratories", einer Tochter des MacGraw-Hill-Verlages mit der Zeitschrift Byte. Dieses Labor konnte nur die absolute Wirkungslosigkeit der Software feststellen. Etwas, das zeitgleich auch von dem c't-Journalisten Ingo Storm entdeckt und in einem Artikel "Verdichtung und Wahrheit" beschrieben wurde. Am 20.10 erhielt der Heise-Verlag eine Klage, am 27. 10 erging die einstweilige Verfügung des Landgerichtes Hamburg, die es dem Verlag die Behauptung untersagte, "es handele sich bei SoftRAM95 um eine Placebo-Software". Bereits eine Nummer später konnte der Heise-Verlag genau das mit der Placebo-Software behaupten und technisch untermauern und veröffentlichte den Artikel Placebo forte! Das war faktisch das Ende von Synchronys Softcorp, die am 8. Mai 1995 allein zu dem Zweck gegründet wurde, SoftRAM95 zu verkaufen. Der leitende Software-Entwickler des Projektes, Wendell Brown, ist heute ein gefragter Guru. Wie schreibt es der Philosoph und Google-Berater für das Recht auf Vergessen, Luciano Floridi: "Die sensitiven und privaten Informationen der Vergangenheit müssen in der Vergangenheit bleiben, aber das Web ist eine Scheibe ohne jede historische Tiefe."

Was wird.

Die Buchmesse kommt. In den geheizten Hallen zu Frankfurt werden Bücher aufgewärmt wie das von Floridi über die 4. Revolution nach der Erfindung des Rades, der Dampfmaschine und des geschnittenen Brotes. Gleich drei Revolution in einer findet Christopher Kucklick in seinem Buch über die granulare Gesellschaft, eine Differenz-Revolution, eine Intelligenz-Revolution und eine Kontroll-Revolution. Oder wie wäre es mit der molekularen Revolution des Dividuellen, getrieben durch Algorithmen, Big Data und Social Media?

Nostalgiker lesen übrigens die Halloween-Dokumente, diese kleine Nachricht aus der gefrorenen Hölle, und warten die nächste Folge der Dokumente ab, die gerade von Satya Nadella und Max Schrems umgeschrieben werden. Clouds in überstaatlichen transnationalen temporären Zonen sind 'ne hübsche Sache.

Quelle : www.heise.de
Titel: 4W: Deutschland, ein Herbstsachstandsbericht
Beitrag von: SiLæncer am 18 Oktober, 2015, 01:07
Was sind wir normal geworden! Unfähige Manager, korrupte Funktionäre, illegal operierende Geheimdienste, gerade so wie alle anderen. Hal Faber möchte aber lieber ein neues Lied, ein besseres Lied singen.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** "Bislang ist die Welt durch Fortschritt doch immer ein Stück besser geworden, mit weniger Armut, mit weniger Menschen, die in Kriegen sterben. Warum sind wir bloß so pessimistisch? Ich verstehe das nicht, das ist doch irrational und macht wissenschaftlich keinen Sinn. Wir sollten viel optimistischer sein!" (Google-Gründer Larry Page in exklusiver Spiegel-Promotion anlässlich der Buchmesse)

Ja, Larry, alter Montessori-Knabe, Optimismus ist angesagt, allein schon deshalb, weil wissenschalftlich bewiesen ist, dass Optimisten mehr von halb gefüllten Gläsern haben als all die Miesepeter, die jetzt jammern und klagen. Es ist doch wunderbar, dass 404 namentlich bekannte Abgeordnete die neue deutsche Vorratsdatenspeicherung beschlossen haben und wir endlich das Gerede der Politiker los sind, die zu jedem Anlass ab der Größe eines Kindergeburtstages die Einführung der Vorratsdatenspeicherung fordern, wegen der Sicherheit. Lachen wir über die Pessimisten, die das neue Gesetz als ein Stück weiterer Verschlechterung der Polizeiarbeit empfinden und eine Ausweitung des Straftatenkataloges fordern. Bis hin zu dem per SMS an Mama mitgeteilten Handygummiklau auf der Geburtstagsfeier ist da noch Vieles drin. Oder ist alles nur eine harmlose kleine Pufferung gewesen?

*** Da mögen die Gegner der wunderbaren Datenspeicherung aller Netzteilnehmer noch so laut ihr Dauermantra Karlsruhe beschwören und verkennen, wie modern der Volkswille doch ist, all seine Daten bereit zu stellen. Wir haben nichts zu verbergen und zu vertälern in diesem wunderschönen Deutschland voller attraktiver Natur-Konstellationen. Wir müssen der Polizei doch helfen und mit unseren digitalen Spuren den Beweis dafür liefern, dass wir keine Cyberkriminelle sind und mit der Datenhehlerei nichts am Hut haben, keinen Scoop breit. So sehen wir auch dem nächsten Schritt gelassen optimistisch entgegen, wenn in den DNA-Datenbanken des Google-Appendix 23andme oder des abenteuergesättigten Ancestry nach DNA-Spuren von Clan-Mitgliedern gefahndet wird.

*** "Im traurigen Monat Oktober wars, die Tage wurden trüber, der Wind riss von den Bäumen das Laub, beim DFB gings drunter und drüber." So könnte man mit Heinrich Heine das Ende vom großen Schwindel des Fußball-Sommermärchens bedichten. Im Mittelpunkt, auch das passt, ein Franzose namens Robert Louis Dreyfuss, der laut Spiegel "dieselbe DNA wie Adidas" hatte. RLD, kürzte ihn der damalige DFB-Medienchef Wolfgang Niersbach ab, "das vereinbarte Honorar für RLD" soll er am Rande eines Geheimpapiers geschrieben haben. Das alles deckten der Spiegel und der Sportjournalist Jens Weinreich auf, was in den nächsten Tagen insofern die Medien beherrschen wird, weil der Beweis angetreten werden muss, dass Wahlstimmen der FIFA-Bonzen gekauft wurden. Wir müssen das unbedingt positiv sehen: Deutschland wird normal. Es hat nicht nur unfähige Manager wie bei Volkswagen, sondern auch korrupte Sportfunktionäre, wie jedes andere Land.

*** Und dann war da noch was ganz unverhofft Wunderbares in Normaloland: Wie jedes andere Land haben wir einen Auslandsgeheimdienst, der sich einen Deut drum schert, wer gerade ein Freund ist oder Feind. Im Zweifel hat das Anhäufen von Intelligence Vorfahrt vor der Intelligenz. 700 Personen, dazu Militärposten der USA in Afghanistan, französische Botschaftsangehörige oder Manager von Automobilfirmen - den BND interessierte alles. Ausspähen unter Freunden geht doch, denn Kompromat kann man immer gebrauchen. Insofern agierte der Bundesnachrichtendienst eben nicht außer Rand und Band. Im nächsten Schritt werden wir sicher erfahren, wie der BND Hotels für spezielle Gäste verwanzt, ganz wie in der Spionage-Hochburg Berlin nach 1989. Bis dahin dürfte der starckdeutsche Entrüstungs-Zeigefinger angesichts der Drone Papers und der neuesten Zeugen im NSA-Untersuchungsausschuss wieder mal nur auf die USA zeigen. Doch auch hier gibt es die positive Entwicklung mit der zauberhaften Möglichkeit, dass bald diese Drohnen auch über unseren Köpfen kreisen können wie in Afghanistan. Das Standard-Equipment von Rohde&Schwarz für Airbus-Flieger funktioniert bestens in den Drohnen, die die Bundeswehr beschaffen will; die Integration in den Luftverkehr macht große Fortschritte, auch wenn die Flieger so langsam wie eine Cessna sind.

*** In unserem schönen Deutschland steht das Projekt der Beheimatung gegen die veraltete Idee einer homogenen Gesellschaft, die "besorgte Bürger" aufgreifen, um sich im ISIS-Stil zu rechtsextremen Attentätern zu machen, nur ohne Selbstmord mit anschließender Belohnung im Jenseits. Die Tat muss uns Ansporn sein, die Vorratsdatenspeicherung noch schneller einzuführen, oder wie, oder was? Sie wird die Transformation Deutschlands nicht aufhalten können und die von Europa anstoßen müssen, denn was von allen denkenden Wesen unerwünscht ist, sind Grenzen und Zäune, an denen wieder Tote liegen, die aus Kriegsgebieten wie Afghanistan und sonstwoher gekommen sind. Deshalb ist an dieser Stelle der Optimismus des Dichters gefragt wie vor Jahrhunderten:

Ein neues Lied, ein besseres Lied,
Es klingt wie Flöten und Geigen!
Die Misere ist vorbei,
Die Sterbeglocken schweigen.

Die Jungfer Europa ist verlobt.
Mit dem schönen Geniusse
Der Freiheit, sie liegen einander im Arm,
Sie schwelgen im ersten Kusse.

Und fehlt der Pfaffensegen dabei,
Die Ehe wird gültig nicht minder –
Es lebe Bräutigam und Braut,
Und ihre zukünftigen Kinder!"

Was wird.

Überaus positiv gestimmt geht es damit in die nächste Woche, zurück in die Kindheit, wie immer, wenn ein neuer Asterix erscheint. Diesmal sogar mit schulischen Reminszenzen an den Lateinunterricht, wenn es heißt: Gallia est omnis divisa in partes tres, quarum unam incolunt Belgae .... So begann eine faustdicke Lüge oder besser gesagt die Propaganda, die Julius Caesar nach einem verheerenden Massaker an den Germanen brauchte, um seinen Ruf aufzubessern. Mit von der Partie ist Julian Assange unter dem Namen Polemix. Ursprünglich sollte die Figur Wikilix heißen. Aktuell bieten die Nachrichten um Assange auch Stoff für einen Comic, wenn es stimmt, dass man in Ecuador ungehalten ist, weil Wikileaks die Mails von Hacking Team als Scoop veröffentlichte. In einem Interview geben sich die Macher ganz unpolitisch und interessieren sich nur "für den Weg der öffentlichen Meinung" und bezeichnen Assange als Ur-Journalisten, der immer auf der Suche nach dem Scoop ist. Diese Interpretation des Journalismus im Geiste der Political Correctness wird noch getoppt durch den farbigen Piraten Baba im Ausguck des Piratenschiffes von Kapitän Enternix. Er hat keine Schwierigkeiten mehr, das r auszusprechen. "Witze mit Schwarzen sind heute schwierig. Viele funktionieren nicht mehr. Deshalb sind auch wir vorsichtig, wir möchten ja niemanden provozieren." Die gelebte Gegenwärtigkeit 4.0 kann recht stillos sein. Wo bleibt denn da das Positive? Wie wäre es mit dem Konsum 4.0???

"Die Form des Konsums in der nächsten Gesellschaft ist vermutlich der Stil, der die wiederholbare Konsumentscheidung eines Individuums in Relation zu ihrer digitalen Berechenbarkeit und analogen Unberechenbarkeit, zu einer Konformität, die ihre Protokolle ausreizt, und zu einer Devianz, die fragile Idiosynkrasien testet, setzt."

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. Von freien Piraten und anderen Fallstricken.
Beitrag von: SiLæncer am 25 Oktober, 2015, 01:28
Deutschland im Herbst, bleierne Zeit. Aber anders als in den 70er Jahren, wohl aber genauso deprimierend, meint Hal Faber. Sinnlos, sich gegen den Mahlstrom der Zeit zu wehren? Ach was! Wo bleibt denn da das Positive?

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Bleiernes Deutschland im Herbst, anno 2014. Im Scheißwetter-Demonstrationshäufchen vor der Abstimmung über die Vorratsdatenspeicherung sah man grüne Plakate der Grünen, rote Plakate der Linken und das Gelb-Lila der Freien Demokraten. Orange fehlte: Plakate und Fahnen der Piraten wurden nicht geschwenkt. Dafür mag es viele Gründe geben, etwa das Dreckswetter. Piraten sind Schönwettertierchen, wie ihre kleine Demonstrations-Jolle zeigt. Oder die frühe Uhrzeit: Piraten, zumal die Berliner Variante, sind Nachteulen. Einer der lustigsten Gründe liegt in der Erklärung, dass Piraten eigentlich verkappte Freidemokraten sind. Ist nicht der Freie Welthandel, von dem Lindner & Co schwärmen, eine Unterform der Freibeuterei? Ein an unseren Interessen ausgerichtetes Einladungsgesetz ein echtes Piratenfloß im Moskenstraumen der Zeit? Zeit, die verfließt, verwirbelt und die Strudelraten bei der FDP ankommen lässt: "Es darf nicht alles sinnlos sein, was wir damals mit der Digitalagenda gesetzt haben", wird der ehemalige Oberpirat und Regierungsdirektor im Verteidigungsministerium, Bernd Schlömer im Spiegel zitiert. Sein Vorgänger Nerz lobt dazu den Kern der FDP und den Kampf gegen den Datendurst.

*** Ja, darf denn nicht alles sinnlos sein? Muss immer ein Sinn, eine Moral und eine Lehre hinter allem stehen und winken wie die Marihuanamieze aus der Hochzeit der Piraten? Seit jenen sonnigen Tagen der Schönwettertierchen ist viel vergangen. Wenn es eine Konstante bei den Piraten seit 2013 gibt, dann ist es die Klage über das innerparteiliche Klima, wenn es an den Parteiaustritt geht. Was ist schon die schönste "Digitalagenda", wenn das Taktgefühl und die Achtung fehlen im Umgang zwischen Pirat und Pirat? Zumal dann, wenn solche Monstren wie Antifaschismus und Geschlechtergerechtigkeit beim Austritt erwähnt werden müssen? Wie war das noch? "Jeder Bürgerin und jedem Bürger in einem antifaschistischen und sozialistischen Land ist der historische Fortschritt bewusst, den die Befreiung der Frau im Sozialismus darstellt." Der Rest war ein einziger Witz, aufgezeichnet durch den BND, extra für einen Bundeskanzler Kohl, der das überhaupt nicht lustig fand. Die Hauptverwaltung Aufklärung der Stasi sammelte übrigens keine BRD-Witze.

*** Bleierne Zeiten und das einzige, was funktioniert, ist die Uhrzeitumstellung. Schon die deutsche Unterwerfung unter das NATO-Verteidigungsbündnis mit dem Überflug US-amerikanischer Drohnen über den deutschen Landen verursacht Kopfzerbrechen. Weil die Österreicher wieder einmal keinen Überflug wollen und weiter östlich gelegene Routen noch riskanter sind, starten die Global Hawks vom italienischen Stützpunkt Sigonella, fliegen dann über Frankreich nach Deutschland, um nach eineinhalb Stunden im Deutschlandtransit ihr Operationsgebiet in der Ostsee zu erreichen. Nach der Mission geht es eineinhalb Stunden über Deutschland zurück, "zu reinen Transitzwecken". Was bei dem Einsatz der "Global Hawks" in Norwegen vor einem Jahr nicht möglich war, wird jetzt kurzerhand per Federstrich durch unser Verteidigungsministerium erlaubt.

*** Ab Ende Oktober sollen für ein Jahr "regelmäßig monatlich zwischen drei und fünf dieser Überflüge" erlaubt sein, bei denen die "aktiven und passiven Aufklärungssensoren" abgeschaltet sein müssen. Kollegen schwärmen davon, dass dies den Amerikanern strikt untersagt sei. Aber das ist überhaupt noch nicht in trockenen Tüchern: "Die USA werden die Einhaltung dieser Auflage schriftlich bestätigen", besagt zunächst einmal, dass die USA noch gar nichts bestätigt haben, was da im Rahmen der European Reassurance Initiative ab dem 28. Oktober stattfindet. Dabei sind die US-amerikanischen Global Hawks mit SAR-Sensorik ausgestattet: Eine Kontrolle, ob die Aufklärungsinstrumente wirklich ausgeschaltet sind, ist von unten aus nicht möglich. Im Rahmen der norwegischen Aktion anno 2014 sollte ein deutscher Beobachter im Kommandozentrum der Global Hawks nach dem Rechten schauen, ob nicht spioniert wird. Das war schon damals heikel und wird bei der aktuellen Sitaution gleich für nicht praktikabel erklärt. Wir lernen: Ein US-amerikanischer Global-Hawk kann sich über Deutschland in einem Luftraum bewegen, in dem auch Business-Jets fliegen können; ein EuroHawk kommt nicht vom Boden weg. Eine bessere Propaganda für die Kauf-Pläne der aktuellen Verteidigungsministerin kann es nicht geben. "Mit der Zustimmung zur Nutzung des deutschen Luftraums für die European Reassurance Initiative wird Deutschland einer wichtigen Bündnisverpflichtung gerecht und agiert als verlässlicher Partner."

*** Ein anderes Amerika-Bild präsentiert uns Wikileaks, das in dieser Woche E-Mails vom privaten AOL-Konto des CIA-Chefs John Brennan veröffentlichte, dazu die private Adress- und Kontaktlisten unter Missachtung der Privatsphäre, die auch ein CIA-Chef hat. Glaubt man den Ausführungen des "Hackers", der sich die Zugangsdaten per social Engineering besorgte, ist die Tat eine Solidaritätsaktion für die Palästinenser, die Veröffentlichung bei Wikileaks eine Aufklärung über die korrupte Obama-Regierung. Das ist sehr nach dem Geschmack von Julian Assange, für den es auch einen Leak gab, der ein harter Rückschlag für ihn sein dürfte. Im Mailwechsel zwischen der Botschaft von Ecuador und der schwedischen Staatsanwaltschaft ist abzulesen, wie Ecuador die schwedischen Ermittler im Juni 2015 abgewiesen hat, die bereits nach London geflogen sind. Bereits im November 2012 schrieb der Vertreter der britischen Kronanwaltschaft nach Schweden: "There is no question of him beeing allowed out of the Ecuadorian embassy, treated and then allowed to go back. He would be arrested as soon as was appropriate." Eine medizinische Behandlung außerhalb der Botschaft kann nicht stattfinden, ein von ihm vor kurzem gewünschter MRT-Scan in einem Krankenhaus würde nach der Untersuchung zum Geleit in ein britisches Gefängnis führen.

*** Das Positive? Wie wär's mal mit einem positiven Amerika-Bild? Der plumpe Antiamerikanismus, in dem sich Links- und Rechtsradikale nur allzu gerne einig sind, hat nunmal mit der amerikansichen Realität und mit der in diesem Deutschland wenig zu tun. Dessen Bewohner sind ganz gut gefahren mit all der amerikanischen Unkultur, die auch konservative Bildungs-Hipster mit Leidensmiene beklagen. Deutschland hat Helene Fischer, Amerika Beyoncé. Lieber mit der amerikanischen Unkultur eines Steve Reich, einer Billie Holiday, eines George Gershwin, eines Kendrick Lamar, eines Neil Young, eines John Zorn oder eines Morton Feldman gepflegt abhängen, als sich mit Pegida-Leitkultur gegen vermeintliche Umvolkung abstrampeln. Und wenn das FBI einreitet, um auch hierzulande mal ein paar korrupte Fußballfunktionäre hochzunehmen, dann darf man sich ebenfalls freuen. Das Fazit? Genau, es ist nie alles so schwarz und weiß, wie uns die linken wie rechten Vereinfacher und populistischen Meinungsmacher weismachen wollen. Your pride and my pride, don't waste my time.

Was wird.

Die Bewacher vor der Botschaft haben ihren Posten verlassen, denn im Fall von Assange dürfte die Kameraüberwachung ausreichen. Notfalls tut es ein passender Algorithmus, der vorhersagen kann, wann der Mann vor der Tür erscheint. Auch die deutsche Bundespolizei wird solche Algorithmen brauchen können, wenn sie in Zukunft die (zumindest in Baden-Württemberg) rechtswidrige Schleierfahndung durch eine genaue Regelung ersetzt, die festlegt, wie häufig und wie intensiv nach illegalen Grenzübertretern gefahndet wird. Die unwürdige Praxis des Racial Profilings passt nicht mehr in einem Deutschland, in dem Flüchtlinge willkommen sind. Lasst doch endlich Algorithmen unsere Zukunft berechnen! Dann hört auch dieses Gejammer endlich auf.

Noch willkommener als Flüchtlinge sind Lobbyisten, jedenfalls bei den Politikern. Rund 1000 von ihnen sollen Zugangsausweise für den Bundestag besitzen und beraten, was das Zeug hält. Obwohl das virtuelle Wählergedächtnis vor Gericht gewonnen hat und der Bundestag die Namen der Lobbyisten herausgeben müsste, gehen die deutschen Volksvertreter in die Berufung, auf Drängen von CDU und SPD. Wer wen wie schmirgelt, das muss bitte unter der Decke bleiben, sonst ist das parlamentarische Märchen gefährdet wie das Sommermärchen beim Deutschen Fußballschuhfinanzierer-Bund mit seinen Chargen, die sich an nichts erinnern können.

Auch kritisches Nachdenken über die Funktion des Lobbyismus im Spiel von Ökonomie und Gesellschaft ist vergriffen, dafür hat die Arbeitgeber-Lobby BDA die Steilvorlage gegeben und unseren Innenminister zum Bücherverbot animiert. Wie erfolgreiche Lobbyarbeit aussieht, kann man übrigens bei der Abstimmung in der nächsten Woche sehen, wenn in Brüssel die Netzneutralität mit einer eigenwilligen Drehung beschlossen wird.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. Vom Prinzip Hoffnung bis zum Prinzip Garage.
Beitrag von: SiLæncer am 01 November, 2015, 00:07
Ob nun alles verhunzt wird oder wir nur verhohnepipelt, ist eigentlich egal. Im Endeffekt sind wir die Dummen, meint Hal Faber, und wundert sich über Überholspuren, die im Kies enden. Bleibt das Prinzip Hoffnung.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Ja, im Prinzip, sagte Radio Eriwan, kann man viele Dinge zum Prinzip erheben. Da gibt es das Prinzip Hoffnung, dass der Mensch derzeit noch in der Vorgeschichte lebt und seine Heimat in realer Demokratie erst finden muss. Bekannt ist das Prinzip Verantwortung und, in kleiner Münze präsentiert, das Prinzip Merkel mit dem "Wir schaffen das" als Imperativ. In dieser Woche ist das Prinzip Verhunzung hinzugekommen, eingeführt von EU-Digitalkommissar Oettinger mit einer Bestimmung zu "Spezialdiensten" inmitten einer fragwürdigen Beschlussfassung für ein offenes Internet. Das Pressestatement zum Prinzip Verhunzung lässt an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig: Das offene Internet wird von Angeboten mit Qualitätsgarantien abgelöst.
"Start-ups, VOD-Anbieter und andere Nutzer können frei entscheiden, ob sie ihre Dienste wie bisher über das offene Internet nutzen wollen oder eine Qualitätsgarantie haben wollen. Für die meisten Dienste reicht die Übertragungsqualität im offenen Internet völlig aus."

*** Wie frei diese Entscheidung ist, zeigte umgehend Telekom-Chef Timoteus Höttges, der das Prinzip Verhunzung enthusiastisch im Firmenblog begrüßte. Ein paar Prozent Schutzgeld von Startups für garantierte Telekom-Qualität, da soll man sich nicht so anstellen, dass gehört dazu, wenn man als Startup wachsen will. Prompt gab es Proteste der üblichen Verdächtigen, selbst die Piratenpartei erhob ihr greises Haupt. Bemerkenswert der Protest der nichttechnischen Presse, die das Empört euch! des Widerstandskämpfers Stéphane Hessel aufnahm und gegen das Prinzip Verhunzung den Lesern ein Empört euch mitgab und Verhunzer Oettiinger kritisierte.
"Statt die Netzneutralität fest zu verankern, hat er ohne Not den ersten Schritt zum Zwei-Klassen-Netz zugelassen. Bleibt die Hoffnung, dass bald gegen die neue Regelung geklagt wird. Dann könnte der Europäische Gerichtshof die Rechte der EU-Bürger stärken. Wieder einmal."

*** Radio Eriwan sagte übrigens sehr selten nein, etwa auf die Frage: "Gibt es in der Sowjetunion eine Postüberwachung?" Die Antwort: "In Prinzip nein. Briefe mit antisowjetischen Inhalt werden jedoch nicht befördert." Nun ist er da, der Bericht des Selektorenlistenbeauftragten Graulich zu den NSA-Selektoren beim BND, sogar in drei Varianten. Da ist zum einen der offene Bericht für das gemeine Volk, immerhin 263 Seiten lang, ohne abseits bekannter Selektoren wie EADS und Eurocopter konkrete Namen zu nennen. Dann gibt es für die Happy Few eine hundert Seiten längere Fassung, die "streng geheim" ist und Namen nennt. Schließlich die Fassung mit weiteren 150 Seiten, die so geheim sind, dass sie nur im Bundeskanzleramt gelesen werden dürfen. Dort strebt man jetzt eine "klarstellende gesetzliche Regelung des Auftragsprofils" des Bundesnachrichtendienstes an. Hier muss man schon mundartlich werden und vom Prinzip Verhohnepipelung reden oder ist es schon Vergantung oder technisch eine Mustermannisierung, frei nach dem abgedruckten Selektor MAX.MUSTERMANN\&\#37;2540INTERNET.ORG??? Neben den abgefragten Mailadressen sind die Erläuterungen zu den Inhalts-Stichworten (Telekommunikationsmerkmale bzw. TKM) ganz aufschlussreich:
" Die genaue Zahl der den amerikanischen Selektoren zu Grunde liegenden TKM ist dem BND nicht bekannt. Sie lässt sich mangels Kenntnis des von der NSA verwendeten Algorithmus auch nicht zurückrechnen, sondern nur erfahrungswissenschaftlich schätzen. "

*** Erfahrungswissenschaftlich bleibt festzuhalten, dass die hauchdünne Mehrheit im EU-Parlament, die der Antrag der Grünen für die Straffreiheit und gegen die Auslieferung von Edward Snowden gefunden hatte, ein kleiner, feiner, später Dank ist für die von ihm eingeleitete Aufklärung der NSA-Machenschaften. Dies gilt auch für den Sacharow-Preis, den das EU-Parlament an den Blogger Raif Badawi verlieh. Und wo wir schon bei den Preisen und Ehrungen sind, sollte der Sonderpreis für den Blogger Eliot Higgins und sein Bellingcat-Team nicht vergessen werden, die den Einsatz von Splitterbomben in Syrien und den Buk-Abschuss in der Ukraine dokumentierten, alles Sachen wie bei Snowden, von denen Journalisten zehren konnten. Und wenn wir schon bei den Bloggern sind, sollte die Ehrung von Raqqa is Being Slaughtered Silently nicht vergessen werden, dem Team, das in dieser Woche zwei Mitarbeiter verlor, die vom Islamischen Staat getötet wurden.

*** Mit der großen Verschwulung von Akif Pirinçci ist der Verlag Manuscriptum in eine Bresche gesprungen, die zahlreiche besorgte Kommentare zur Lage der Meinungsfreiheit produzierte, etwa bei den LeserInnen von Telepolis oder der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Verleger Thomas Hoof, mit den guten Dingen und dem guten Brot groß geworden, schreibt davon, dass Buchhandel, Grossisten und Medien über die "Springstöckchen für öffentliche Gehorsams- und Dressurübungen" gesprungen sind, weil sie den Schwachsinn des Autors von der Muslimisierung der Bundeswehr (um etwas Harmloseres aus dem unsäglichen Traktat zu nennen) bewusst nicht vertreiben wollen. Ja, wer widerwärtig redet, darf unter Berufung auf die Meinungsfreiheit weiter widerwärtig reden und versuchen, mit der neuen Rechten die Regierung zu stürzen. Doch wer dann mit einem falschen Voltaire-Zitat kommt, verkennt, dass die Verurteilung einer Widerwärtigkeit auch zur Meinungsfreiheit gehört ebenso wie die Selbstentscheidung eines Händlers, ein Buch nicht zu vertreiben oder eines Hoteliers, einem Kongress dieser Neonazis keine Räume zu vermieten. Ansonsten gilt für alle Empörten ein Prinzip, das hier ganz einfach erklärt ist.

Was wird.

Es ist jetzt 15 Jahre her, da schaltete der IT-Konzern Hewlett Packard, geführt von Carly Fiorina, eine Anzeige mit den Worten "Das Prinzip Garage". Zu sehen war die Nummer 976 der offiziellen kalifornischen Monumentsliste, eine schlichte Garage als Geburtsort des Silicon Valley. Die Werber setzten die geschlossene Garage dank Photoshop auf einen Waldweg und ließen sanft das Mondlicht auf die Hölzer fallen, als würde drinnen David Packard und William Hewlett die Mondscheinsonate klimpern. Der Text war kurz und knackig, wie es sich für das Prinzip Garage gehört: "Keine Machtspielchen. Keine Bürokratie." In dieser Woche schaltete Hewlett Packard in vielen deutschen Zeitungen wieder eine Anzeige mit genau derselben Garage. Diesmal ist sie geöffnet, unter blauen Himmeln und aus der Perspektive einer Garagenratte fotografiert. "In diesem Moment wird Geschichte geschrieben", beginnt der Werbetext, um langatmig von der anstehenden größten Firmenaufspaltung aller Zeiten zu erzählen. HP zerlegt sich in eine Firma, die Menschen das Leben mit Druckern erleichtert und eine, die Unternehmen mit einem IT-Lösungsportfolio und einer Zukunftsvision schnell zu irgendwelchen Zielen transportiert. Erinnern wir uns nur an den Milliardenvertrag, den die Deutsche Bank mit HP abgeschlossen hat und begrüßen wir damit gleich Kim Hammonds im Vorstand dieser Bank, deren IT "lausig" sein soll.

Seltsame Tage sind das, etwa Halloween voller Zombie-Apps auf dem Smartphone, damit es vom Selfie-Stick so richtig runtergruseln kann. Nichtkommunistische Gespenster gehen dann um. Es wird immer gruseliger, denn es folgen Allerheiligen, Volkstrauertag und Totensonntag in der Einreisetransitzone, in der wir alle leben. Deutschland, kalte Mutter. Wird es mit der feinfühligen Hilfsbereitschaft 2.0 besser werden, so zart und sanft, ganz ohne moralischen Druck? Ab Montag gilt übrigens das Gesetz zur Fortentwicklung des Meldewesens, mit dem ein Geburtstagskind gefeiert wird, der nicht mehr ganz so neue elektronische Personalausweis. Ab sofort ist das Ummelden ganz feinfühlig elektronisch möglich. Nur die analoge ausgedruckte Klebeadresse, die muss noch von Beamtenhand fühlig aufgebappt werden. Kein Thema, dass mit dem neuen Meldewesen Parteien unbegrenzten Zugriff auf die Meldedaten zum "Zwecke der Wahlwerbung" haben. Das dient nämlich der Rettung der Demokratie. Und ein Prinzip Verstrahlung wird sich auch noch finden lassen.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. Über die furchtlose Verbergung in kommenden Zeiten.
Beitrag von: SiLæncer am 08 November, 2015, 05:00
Oops, falsche Site History. Aber gut, da Privatsphäre eh nur ein gesellschaftliches Konstrukut ist ... Immerhin, was man zu fürchten hat, das bestimmt man immer noch selbst, meint Hal Faber, verschämt über die Schulter schauend.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** "Remember, remember, the Fifth of November, Gunpowder, treason and plot"

Das geschichtsbewusste Vereinigte Königreich der Großbriten und Nordiren hat den Guy Fawkes Day benutzt, um im Unterhaus den "Entwurf" eines Netz-Überwachungsgesetzes vorzustellen, der es in sich hat: Jede besuchte "Frontseite" eines Internet-Angebotes jedes surfenden Reichsbürgers soll 12 Monate lang in einem "Internet Connection Record" gespeichert werden, auf dass Polizei und andere Dienste darauf zugreifen können, vom berüchtigten GCHQ bis hin zur Food Standards Agency, die das englische Essen überwacht. Über 25 Behörden können einen Tagesablauf sehen, der beim Aufstehen in der Morgenstund mit Gold im Mund an diesem Fawkes-Day pornobereinigt vielleicht so ausgesehen haben mag:

heise.de
fefe.de
ernstchan.com
deutschlandfunk.de
cryptome.org
twitter.com
google.com

Schöpfen die Dienste oder die Polizei einen Verdacht, können sie mit richterlicher Genehmigung und einem OK eines noch zu ernennden Informations-Kommissars – das geplante Weltklasse-Verfahren nennt sich "Double-Lock" – die vollen Daten anfordern, etwa so:

http://www.heise.de/newsticker/meldung/Grossbritannien-Entwurf-fuer-Netzueberwachungsgesetz-vorgestellt-2877521.html
http://blog.fefe.de/?ts=a8c581b1
https://ernstchan.com/fefe/thread/48296
http://www.deutschlandfunk.de/markus-ferber-csu-zur-fluechtlingspolitik-wir-haben-doch.694.de.html?dram%3Aarticle_id=335930
https://cryptome.org/2015/10/wikileaks-honeypot-update.htm
https://tweetdeck.twitter.com/#
https://news.google.com/

Herzallerliebst, wie hier die Privatsphäre gewahrt wird. "Wir schauen, wer in welches Haus geht, aber nicht, wer wen besucht", das war noch die lustigste Erklärung zur neuen britischen Investigatory Powers Bill, frei nach der trefflich benamsten Schrammelband Police und ihrem Song Every breath you take, every move you make. Sich die Surfgewohnheiten aller Bürger anzuschauen, das sei doch nur das Äquivalent zum guten alten Einzelverbindungsnachweis, schwärmte die oberste britische Polizistin Sara Thornton.

*** Ganz so weit ist es in Deutschland zwar noch nicht, aber nur einen Tag nach diesem Fawkes-Day zeigte der deutsche Bundesrat mit seinem Ja zur Vorratsdatenspeicherung, dass sein Name nicht von Rückgrat abgeleitet ist. Noch in diesem Monat könnte es bei uns losgehen mit dem anlassunabhängigen Generalverdacht, der auf der Herbstparty des Bundeskriminalamtes gefeiert werden dürfte. Denn auch da geht es, wie beim britischen Vollzeitspeichergesetz, um den Kampf gegen den Terrorismus. Um all die bösen Menschen, die mit den von Asrar al-Mujahideen (PGP) abgeleiten Varianten wie Asrar al-Ghurabaa (ISIS) oder Asrar al-Dardashah ( Al-Quaida) verschlüsseln und Proxies benutzen, oder Tor.

*** Wenn der Staat zum Hacker wird, wird jedermann Hacker. Zumindest in dem Sinn, dass VPN-Proxies eingesetzt werden, um den vernetzten Tagesablauf zu verschleiern, und dass man die E-Mail verschlüsselt. Was übrigens nicht direkt verboten wird. Ganz anders da das strikte Verbot für alle Wissenden, über die Existenz von Hintertürchen zu reden. Natürlich gibt es in Großbritannien Protest gegen die umfassende Vorratsdatenspeicherung, zumal sich die in der Opposition befindliche Labour Party als Totalausfall präsentierte. Vorbei die flammenden Reden eines Jeremy Corbyn gegen den Personalausweis oder die Videoüberwachung, stattdessen präsentierte man einen harmlosen Schatten-Innenminister Andy Burnham, der diser IP Bill im Prinzip zustimmte und nur wissen wollte, was ausländische Anbieter machen sollen.

*** Ach ja, das Ausland. Besonders dieses Deutschland wurde inselauf, inselab zitiert, weil man sich über ein kolportiertes Goebbels-Zitat aufregte: "If you have nothing to hide, you have nothing to fear". Das soll Goebbels 1933 zur Gründung der Gestapo gesagt haben, doch der Nachweis für dieses "Wer nichts zu verbergen hat, hat von uns nichts zu befürchten" steht aus. Zu diesem Satz selbst ist viel geschrieben worden, das Allerklügste gleich hier um die Ecke. Historisch stammt er aus den USA, niedergeschrieben im Jahre 1918 vom Sozialisten Upton Sinclair. In seinem Buch The Profits of Religion (Profit und Religion) beschreibt Sinclair, wie er und seine Familie und Freunde vom Secret Service überwacht wurden, wie Telefonate abgehört, wie ihre Briefe geöffnet wurden.
"Not merely was my own mail opened, but the mail of all my relatives and friends – people residing in places as far apart as California and Florida. I recall the bland smile of a government official to whom I complained about this matter: 'If you have nothing to hide you have nothing to fear.'"

So gesehen, ist das Zitat historisch stimmig, weil das Gesetz für Investigatory Powers den GCHQ als wichtigsten Geheimdienst bestätigt und seine Praxis der Massenüberwachung mitsamt der entsprechenden Ausrüstung legalisiert. Stellen wir darum das milde Lächeln eines hochrangigen GCHQ-Mitarbeiters vor, als er dieses Traktat vom umsichtigen Ehrendienst verfasste, der keine Hintertüren will und Firmen berät, wie sie sich besser schützen können. Da liegt es nahe, auch den Bundesnachrichtendienst zu würdigen, der bis auf Patzer im Promillebereich alles richtig gemacht hat mit diesen urheberrechtsgeschützten Selektoren, die vom BND eigens für den Gutachter "auf Excel-Listen umformatiert" wurden. Das wird man noch einen intelligenten Ansatz nennen dürfen. Persilschein oder Persiflage, das wäre noch zu klären in der Arbeitsküche.

Was wird.

Excel, Excel, da war doch was? Ein gleißendes Leuchten hängt über der IT-Branche, denn auf geht es zu den ruhmreichen Gipfeltreffen mit der Politik, ob beim IT-Gipfel der Bundesregierung oder beim offenen IT-Gipfel der Grünen. Hier das Motto "Digitale Zukunft gestalten: innovativ, sicher leistungsstark", dort "Offenheit für Innovationen". Man mag sich gar nicht vorstellen, wie eine analoge Zukunft aussehen könnte oder eine Partei, die Nein sagt zu diesen Innovationen "für eine vitale digitale Gesellschaft". Egal, auf den Gipfeln wird es leuchten und strahlen und große Worte werden fallen wie das Herbstlaub. Wie war das noch mit der deutschen technologischen Souveränität, festgehalten in der digitalen Agenda der Bundesregierung? "Wir brauchen keine deutschen Router, keine deutsche Hardware oder eine deutsche Suchmaschine. Aber wir müssen zum Beispiel den Schlüssel für die Verschlüsselung in der Hand behalten." Diese Aussage zum IT-Gipfel vom Chef der Software AG stammt aus dem paywall-geschützten FAZ-Artikel: "Flüchtlinge überfordern die Computer des Staates", in dem die Unmöglichkeit beschrieben wird, die in Excel gespeicherten Flüchtlingsdaten zu vereinheitlichen. So werden die inkompatiblen Excel-Tabellen ganz innovativ ausgedruckt und neu erfasst im Staat 4.0.

Das bringt mich zu einer Gegendarstellung in eigener Sache, weil in der letzten Wochenschau vom greisen Haupt der Piratenpartei die Rede war. Tatsächlich ist die Partei jung und auf einer Mission: Sie will jedem Journalisten (Männer, Frauen, transexuelle Eichhörnchen und Schreibroboter inbegriffen) die Grundlagen der Kryptografie beibringen. Erst danach löst sie sich auf und schreibt Bewerbungen.

Eigentlich gehört er mit 65 Jahren in Rente geschickt, der zweite Schlapphut-Dienst mit dem schönen Namen Verfassungsschutz. 40 Jahre lang schützte er die deutsche Verfassung vor dem tatgewaltigen Rechtsanwalt Rudolf Gössner, vielen Lesern als unermüdlicher Laudator bei den Big Brother Awards bekannt. Nun wird das Verfahren wieder aufgerollt, denn der Verfassungsschutz besteht darauf, dass die 40-jährige Spitzelei und Schnüffelei verhältnismäßig und notwendig war, die zarte deutsche Verfassung zu schützen. Den Weltrekord für die längste innergeheimdienstliche Überwachung will man sich nicht nehmen lassen, die Anerkennung dieser Leistung soll nicht mit dem Makel der Unrechtsmäßigkeit befleckt sein.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 15 November, 2015, 05:00
"Um seine Zerstörungskraft zu entfalten, muss der Hass kollektiv werden. Der Einzelne, der in seiner Ecke hasst, bleibt ein armseliger Wicht", zitiert Hal Faber. Und: "Unsere Antwort auf Gewalt ist noch mehr Demokratie, noch mehr Menschlichkeit."

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

(http://3.f.ix.de/imgs/18/1/6/4/7/3/2/9/ParisNachDenAnschlaegen-ef88cda3527f35f5.jpeg)
*** "Das Objekt des Hasses ist nicht einfach der andere, sondern ein anderes Selbst, also ein anderer, der mich selbst in Frage stellt. Das erklärt die mörderischen Regungen des Hasses. Die Feindschaft will den anderen auf den ihm angeblich zukommenden, niederrangigen Platz verweisen, der Hass hat immer den Tod als Horizont im Auge.

In Paris ist der Philosoph André Glucksmann gestorben, friedlich im Alter von 78 Jahren. Über 120 Pariser und 45 Beiruter erfuhren einen Tod durch Motive, die Glucksmann in seinem Spiegel-Interview über den Hass im Jahre 2005 diagnostiziert hatte.

"Um seine Zerstörungskraft zu entfalten, muss der Hass kollektiv werden. Der Einzelne, der in seiner Ecke hasst, bleibt ein armseliger Wicht oder wird schlimmstenfalls ein isolierter Mörder. Ideologien können der Kollektivierung des Hasses dienen, aber sie sind nicht dessen Ursache. /.../Auch die Religion scheint mir nur ein Vorwand. /.../Der islamische Fundamentalismus ist eine Säkularisierung der Religion, das heißt eine politische Benutzung der Theologie.

*** Was sich in Paris ereignet hat, hat nichts mit dem Islam zu tun, sondern ist eine politische Nutzung der Religion, die ihre Wurzeln im relativ jungen Wahhabismus hat, der in Saudi-Arabien weiter entwickelt wurde. Der auf diesen gedanken fußende Islamische Staat ist keine rückwärts gewandte religiöse Form, sondern eine höchst moderne Ausprägung des politischen Terrorismus. Muhammed Ibn Abd al-Wahhab hatte jeden Gedanken an einen Märtyrer-Tod als Selbsterhöhung von Menschen im heiligen Krieg abgelehnt. Schließlich wird gerne vergessen, dass der Handel mit Aufputschmitteln und Drogen in Saudi-Arabien noch vor dem Ölhandel eine Haupteinnahmequelle des Islamischen States ist, wie dies Louise Shelley in Dirty Entanglements nachgewiesen hat.

*** Einen Monat vor dem Gespräch mit dem Philosophen André Glucksmann erschien im Spiegel ein Artikel, der den Zeitplan von Al Qaida analysierte, die einzelnen Eskalationsstufen ziemlich genau beschreibt und zeitlich präzise vorhersagt. In der jetztigen Phase der Konfrontation nach den Anschlägen von Beirut und Paris, wenn die Großtonsprecher der Rächer und Rechthaber und Untersteller in der Politik voll aufgedreht werden, klingt Glucksmanns Stimme wie eine leise Mahnung. Auf die Frage, ob man fatalistisch resignieren muss, weil der Hass nicht Vernunft und Aufklärung zu überwinden sei, antwortete er:

"Keineswegs. Man kann und muss dem Hass widerstehen, das ist die Grundlage aller Zivilisation - die Fähigkeit einer Gemeinschaft, ihre Todestriebe und Mordinstinkte zu meistern."

*** Unzivilisiert und vulgär ist da ein Matthias Matussek mit seiner Bemerkung über eine Viertelmillion unregistrierter junger muslimischer Männer oder ein Julian Assange mit seiner funny getweeteten Meinung, dass Frankreich, Großbritannien und die USA für den Islamischen Staat verantwortlich sind. Zu erinnern ist an den Norweger Jens Stoltenberg, der bessere Worte fand als die Scharfmacher im politischen Feld, die da Glauben machen, dass Terroristen über den Fluchtweg als Asylanten das Abendland heimsuchen, während die Fahnder noch in den Anfangsermittlungen stecken. Paris ändert alles? Gegen die Grenzschließer und Abschotterdenker sagte Stoltenberg:

"Unsere Antwort auf Gewalt ist noch mehr Demokratie, noch mehr Menschlichkeit, aber nicht noch mehr Naivität. Das sind wir den Opfern schuldig."

*** Mehr Menschlichkeit, mehr Demokratie in einer Zeit, in der mehr Überwachung gefordert werden wird, mehr Datenspeicherung und -Analyse, bis hin zu Mail-Inhalten, einhergehend mit dem Verbot der Verschlüsselung "nach Paris". Das erfordert echten Mut, die Hand von den IT-Werkzeugen zu lassen, die angeblich alles mehr vorhersehbar machen sollen. Dabei ist dieser Freitag, der 13., ein 11. September nach dem 11. September, ein zweites Zeichen, dass die französischen Behörden mit ihren jüngst erweiterten Rechten für alle Geheimdienste bzw. Polizeien und ihrer predikativen Analysesoftware auf ganzer Linie gescheitert sind. Mindestens einer der Terroristen soll ihnen bekannt gewesen sein. Das deutet darauf hin, dass es Kommunikationsstrukturen gibt, auf die der umfassend ermächtigte Staat nicht zugreifen kann. Auch die Rekrutierungsstrukturen des "Home-Grown-Terrorism" sind bekannt. Es ist nicht einfach, den aus Statistiken entschlüpften Gedanken von Emmanuel Todd zu folgen, doch der Hinweis auf die in den Vorstädten verfaulende Jugend dürfte wichtiger sein als das Draufhauen auf den verbohrten Laizismus der Franzosen. Mehr Religion kann nicht die Antwort sein, genau wie man nicht für Paris beten muss.

*** Mehr Demokratie, daran kann man auch mit Helmut Schmidt erinnern, den Mann, der es schaffte, im Bundestag nicht zu rauchen. Diese Vebeugung vor dem Hohen Haus sollte in Erinnerung bleiben, und wird es auch, mit einem schönen Gedicht. Zugegeben, gegen Schmidt und den von ihm mitertüftelten NATO-Doppelbeschluss habe ich in Bonn demonstriert, ansonsten waren wir ja Hysteriker, wie es geschichtsklitternd heißt. Klittern und Zukleistern, ist das nicht das Wesen der deutschen Regierungskunst? In dieser Woche wunderbar zu bestaunen beim BND und beim Kanzleramt, nicht nur bei der Aussage einer Dienst-Datenschützerin und der Debatte über die Weltraumtheorie, wonach das Internet ab 15.000 Meter Höhe ein rechtsfreier Raum ist, in dem nicht nur der Euro Hawk abschnorcheln kann. Wie schön, dass im geselligen Datenverkehr mit den amerikanischen Freunden eine grob entwickelte Argumentationslinie gab, die unter allen Umständen beibehalten werden musste. Jetzt aber flugs die KK, im BND-Sprachgebrauch die kleine kosmetische Korrektur mit den "begründeten Ausnahmefällen" wie diesem Franzos' Laurent Fabius.

Was wird.

Was bleibt nach alledem, wenn sich Heerscharen an Terrorismus-Experten ans Einordnen, Auskünfteln und Vorausdeuteln machen? Wissen sie die absolute Wahrheit, unbeirrbarr, jederzeit? Vielleicht ist eine kleine Kultur des Irrtums angebracht, wie Carolin Emcke schreibt, die einst den Regierungsantritt des jungen Augenarztes Baschar al-Assad begrüßte:

"In Zeiten wie diesen, in denen der öffentliche Diskurs durch eine zunehmend enthemmte Aggression vergiftet wird, tut es gut, sich der eigenen Anfälligkeit für Irrtümer gewahr zu bleiben."

So ein Irrtumsvorbehalt könnte unserem Innenminister Thomas de Maizière gut zu Gesicht stehen, der mit seltsamen Dienstanweisungen für ein Schnellverfahren irrlichterte, die sein Bundesamt BAM selbst für nicht rechtsstaatlich mit systemischen Mängeln behaftet sieht. Während zum IT-Gipfel der Bundesregierung Berlin die Hauptstadt der Digitalisierung wird, tritt de Maizière in Mainz auf. Auf der Herbsttagung des Bundeskriminalamtes, die sich in seltener Aktualität mit dem internationalen Terrorismus beschäftigt, wird über die Bedeutung des Internets für Radikalisierungsprozesse gesprochen und über "Prävention oder Repression" philosophiert. Integration scheint wohl nicht gefragt zu sein, ganz anders als in Bayern, wo es kurz und knapp sagt, wir packen's an. Und das dann halt macht, ganz ohne eiskalte Arroganz derer, die mitten in der Nacht von Paris schon die Messer zücken.

Tja, Bayern hat seine guten Seiten, nicht nur das gute Bier und den fränkischen Wein. Hier kümmert man sich um das Elementare und packt es halt an, wie der erste Bayduino mit dem hübschen Namen Tassilo zeigt, der Kindern und Jugendlichen aus Deutschland wie aus Syrien oder Sonstwohnehin das Basteln und Tüfteln nahebringen soll. Tassilo ist eng verwandt mit dem englischen Micro-Bit, doch radikal als Open Source-System ausgelegt, ganz ohne NDA, der dort unterschrieben werden muss. Schamlose Werbung im WWWW für eine Geschichte, die ganz am Anfang steht? Inmitten all der Flüchtlings- und Flüchtlingskinder und unserer Kindeskinder-Debatten darüber, wie es weitergehen soll, hat mir der Aspekt gefehlt, wie man es IT-gerecht von unten angehen kann in einer Welt, in der es nicht mehr den Kosmos-Baukasten (BRD) oder das identische "Computer-Spielzeug PIKOdat" (DDR) gibt. Darum dieser Hinweis (https://www.startnext.com/bayduino).

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. Von Krisennummern und anderen Telefon-Nachrichten.
Beitrag von: SiLæncer am 22 November, 2015, 01:14
Verschlüsselung verbieten. Whistleblower aufhängen. Totalüberwachung der Kommunikation. Manche dunkle Phantasien von Sicherheitsfanatikern treiben Hal Faber den Angstschweiß auf die Stirn. Lemminge sind nichts dagegen.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** "On est parti on commence." "Los, lass uns anfangen": eine SMS, wie sie an einem Freitagabend zu Tausenden verschickt werden, wenn sich Gruppen auf den Weg machen zur Disko, ins Konzert oder in den Tod. Gefunden auf einem weggeworfenen Handy, das nach einer Funkzellenabfrage zuletzt bei einem Hotel in Alfortville eine Netzverbindung hatte, wo ein Salah Abdeslam in der Nacht vor dem Terroranschlag zwei Zimmer gebucht hatte. Nach all den Spekulationen, ob die islamofaschistischen Massenmörder des Daesh trickreich über Playstations kommunizierten, das anonyme Twister oder gar Telegram benutzten, diese "Dark-Web-App für Terroristen" (ARD-Kommentar), eine bestürzend einfache forensische Aussage. Doch hilft sie nicht weiter, weil die große Debatte um Verschlüsselungssysteme längst angelaufen ist. Nicht nur bei uns, sondern vor allem in den USA, wo der Wahlkampf anläuft. Dort hat die Kandidatin Hillary Clinton einen ganz grundsätzlichen Gegensatz zwischen der Regierung und den IT-Firmen im Silicon Valley als Wahlkampfthema entdeckt. Noch "besser" läuft es in Großbritannien, wo man an einem neuen Überwachungsgesetz feilt und Journalisten direkt dem Silicon Valley vorwerfen, Jihadisten zu unterstützen. Als Tiefpunkt können die Auswürfe des ehemaligen CIA-Chefs Woolsey gegen Edward Snowden gelten, den er am liebsten am Nacken aufgehängt sehen möchte.

*** Die Terroristen fuhren mit einem Mietwagen aus Brüssel-Molenbeek nach Paris, doch die Frage, ob man Autovermietungen wie Verschlüsselung verbieten sollte, dürfte Verwunderung hervorrufen. Nicht so bei der Verschlüsselung, da darf jeder warnen, wenn das gemeine Volk die Volksverschlüsselung einsetzt. Denn diese schiefen Debatten helfen, vom Versagen der Sicherheitsdienste abzulenken, die im Fall der Pariser Terroristen weitreichende Befugnisse hatten, aber nicht imstande waren, die Reisewege zu überwachen. Bei so einem grundsätzlichen Problem ist es ziemlich egal, ob eine PGP-Variante wie Asrar al-Mujahedeen oder Amn al-Mujahid eingesetzt wurde. Was übrigens nicht nur ein Problem der Sicherheitsbehörden ist. Die bekannteste Veröffentlichung des Daesh ist wohl die Schrift "Remaining Anonymous Online". Sie beginnt mit einer langen Koran-Interpretation, ob Muslime im Zeitalter des Kalifats gegen das Gebot verstoßen dürfen, das Lügen unter Strafe stellt. Wer im Internet seinen Namen verheimlicht und seinen wahren Standort verschleiert, kann innerhalb des Kalifats bestraft werden, doch außerhalb gilt die Taqiyya.

*** So können im Netz kämpfende Terroristen oder ihre Pendants von den Geheimdiensten sich durchaus Anonymous nennen und vorgeben, den IS zu bekämpfen. Bei dieser Art von Hackaktivismus von einem Online-Aufstand der Anständigen zu sprechen, ist weit hergeholt, wie schon die Presseerklärung der Kämpfer zeigt. Da wird mal eben die Arbeit von Wikileaks einbezogen. Wenn in den Kommentaren die Aktionen der "Computer-Nerds" gelobt werden, in denen gleichzeitig gefordert wird, den Einsatz bewaffneter Drohnen nicht ausschließlich als extralegale Exekution zu begreifen, dann stimmt das bedenklich. Frank Rieger vom Chaos Computer Club schrieb dazu in der Zeitung für kluge Köpfe:
"Die Auseinandersetzung Anonymous vs. IS erinnert vor diesem Hintergrund in gewisser Weise an das antike griechische Theater und das japanische No-Theater, bei denen die Schauspieler symbolbeladene Masken tragen. Es ist der Konfliktstil der Zukunft."

*** Apropos kluge Köpfe. Bundesinnenminister Thomas de Maizière hat in diesen Tagen anlässlisch der Absage eines Fußballspiels keine gute Figur gemacht, aber Schwamm drüber. Ein Teil seiner Aussagen würde die Leser dieser Wochenschau nur verunsichern. Beachtenswert sind aber seine Sätze in einer Mini-Diskussion über die "digitale Sorglosigkeit" auf dem IT-Gipfel der Bundesregierung. Ich bräuchte mal von ihnen eine Krisennummer ist als Satz, obwohl er nur halbernst vorgetragen wurde, in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert. Ausgesprochen vom nominellen obersten Dienstherr des Bundesamtes für Lageberichte über den Stand der IT-Sicherheit, der weltweit größten Sicherheitsbehörde, gegenüber der Institutionen wie die ENISA sich winzig ausmachen. Adressiert an Frank Rieger in seiner Eigenschaft als führenden Kopf des Chaos Computer Clubs, der nach der Erzählung der Frankfurter Allgemeinen Zeitung die Rufnummernabfrage "mit einem Lächeln zur Kenntnis" nahm. Tatsächlich antwortete Frank Rieger, dass der CCC ein Verein ist, bei dem jeder das tut, was er für wichtig und richtig hält, indem CCCler etwa aktuell Internet in Flüchtlingsheimen installieren. Das ist weit mehr als ein Lächeln, hier auf die Bedeutung der Kommunikation mit der alten Heimat zu verweisen, ob verschlüsselt oder nicht. Hier geht es um die Grundbedürfnisse des Menschen.

*** Auf der Herbsttagung des Bundeskriminalamtes wurden viele große Worte gesprochen wie die zur Ablehnung von Bundeswehreinsätzen im Inneren abseits echter Notlagen. Auch "digitale Bürgerwehren" waren nicht im Sinne des BKA-Chefs Holger Münch – wobei nicht klar wurde, ob Anonymous oder eine andere Gruppe gemeint war. Das meistgeraunte Wort hinter den Kulissen war indes nicht das vom islamistischen Terror, sondern das von "Resonanztaten", also von Anschlägen rechter Extremisten auf Flüchtlingsheime und Gegenreaktionen von Salafisten. Das Wort vom Ende des Glückvorrates machte die Runde, dass mit einer quasi statistischen Sicherheit ein Terroranschlag in Deutschland stattfinden wird. Hinter den Kulissen eilte der Chef des Verfassungsschutzes Hans-Georg Maaßen von Interview zu Interview und warnte vor den an Waffen ausgebildeten Rückkehreren und den Moscheen, die gut besucht sind. Allein den westlichen Lebensstil zu leben, damit die Toleranz und Würde zu demonstrieren, eben die Werte unserer Wohlfühlgesellschaft reiche nicht aus. Natürlich forderte Maaßen auch neues Personal, das 2017 oder 2018 zum Einsatz kommen kann. Hinter einer Paywall der Süddeutschen Zeitung findet sich dieser Gedankengang:
"Bedarf es derzeit besser trainierter und bewaffneter Polizisten? Gut, dann muss ich mehr Steuern zahlen. Ist in IS-Zeiten eine engere Zusammenarbeit europäischer Geheimdienste nötig, macht die längere Vorratsdatenspeicherung Sinn? Selbst darüber sollte man reden, solange jeder mitreden kann. Berechtigte Bedenken muss man deshalb nicht aufgeben. Aber diese Gesellschaft ist gefestigt. Wenn sie unter dem Eindruck der Gefahr Zugeständnisse macht, dann kann sie die dem Staat später auch selbstbewusst wieder nehmen."
Da geht noch was.

Was wird.

Am Montag sollen die Abgeordneten des NSA-Untersuchungsausschusses einen Blick auf jene Selektoren werfen können, die der Bundesnachrichtendienst in eigener Verantwortung auf die von ihm gesammelten Daten loslässt. Es sind nicht die strittigen US-amerikanischen Selektoren, die nach wie vor streng geheim sind, weil man sich unter Freunden vertrauen kann und gemeinsam weiter spionieren muss gegen die Terroristen. Aber es ist ein immerhin ein Einblick in die Funktionsweise der Behörde, die Hand- und Spanndienste für die USA leistet, abseits der Ausführungen gelangweilter Mitarbeiter vor Gericht. Unterforderung am Arbeitsplatz ist jedenfalls eine aparte Begründung und eine tolle Vorlage für den nächsten Bond mit der Lizenz zum Telefonieren.

Auch wenn das Verschlüsseln unter politisch motivierter Verfolgung steht, gibt es Veranstaltungen wie Himmelslandschaft mit DEC-Mobilar
Vergrößern das Forum Privatheit, in dem die Chancen der informationellen Selbstbestimmung in der nahen Zukunft ausgelotet werden. Bei all den Summen, die das Forschungsministerium in neue Projekte der Sicherheitsforschung steckt, ist etwas für die Privatheit übrig geblieben.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. Durch dick und dünn, durch Not und Tod.
Beitrag von: SiLæncer am 29 November, 2015, 09:05
"'s ist Krieg! 's ist Krieg! 's ist leider Krieg - und ich begehre nicht schuld daran zu sein!", zitiert Hal Faber, der die IT-Krieger schon losziehen sieht, aller Hacker-Ethik entledigt.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Hurra, wir fliegen in den Krieg! In Syrien verteidigen wir unsere Sicherheit, schreibt CDU-Mann Norbert Röttgen als "fremde Feder" in der Zeitung für kluge Köpfe. Seine christliche Parteigenossin Ursula von der Leyen übernimmt als deutsche Verteidigungsministerin im Interview die Daesh-Terminologie von der "Kreuzfahrernation". Auf die muntere Kreuzfahrt gehen ein paar Aufklärungsflugzeuge mit digitaler Bildtechnik aus Israel und eine Fregatte zum Geleitschutz eines Flugzeugträgers und ein paar Kampfretter für unsere Piloten nach einem Aufflugunfall. Hurra, hurra, wir fliegen, auch wenn niemand weiß, was man sich morgen in London, Paris oder Berlin überlegt. Wie war das nochmal in Afghanistan: "Das ist ein Scheißkrieg, für den wir uns opfern und niemand weiß, was eigentlich hier los ist."

*** Das Ganze ist ja "nur" ein kleiner Einsatz, nur als Geste der Solidarität gedacht, da darf man schon nach der Symbolik hinter dieser Geste fragen. Denn da sind wir flugs in unserem Element, der IT mit all ihren Schattenseiten, düsteren Ecken und 0Days. Alle großen Tageszeitungen haben in dieser Woche so etwas wie Vorberichte vom großen Cyberkampf gegen den Deash gebracht, vom Löschen, Sperren und Hacken, hübsch ausgemalt mit Anonymous-Masken mächtiger Hacker. Besonders apart die Idee der Süddeutschen Zeitung, einen schwerst bewaffneten Trupp Cyberkrieger mit diesen Masken abzubilden und den digitalen Raum zum "Kriegsgebiet" zu erklären, in dem ein "gnadenloses Wettrüsten" stattfindet. Die Kriegswaffen "Handy, Computer und Server" ziehen in der "Allianz zwischen Staat und Hackern" aufs Schlachtfeld, wo es der kriegerischen Logik nach bald Tote geben wird beim gegenseitigen Cyberschießen auf die "Infrastruktur".

*** Wir schreiten Seit an Seit mit unserem europäischen Digitalkommissar, wenn er erklärt, dass nun nicht mehr mit Bombengürteln angegriffen wird, sondern es mit Perl und PHP gegen sensible Bereiche der Infrastruktur geht, gegen Wasserversorgung, Stromnetz und Flugsicherung. Dabei kennt Günther Oettinger keine Informatiker und Hacker und Datenschützer mehr, keine Parteien, sondern nur noch Deutsche! Ja, jetzt ist es an der Zeit, geschlossen da zu stehen und das Grundmisstrauen gegenüber Geheimdiensten schnellstens in Vertrauen umzutauschen. Sind sie nicht ungemein effektiv, diese Heuhaufen-Anhäufer. Alle! Deutsche! Vertrauen! Schön soll er werden, unser Cyberburgfrieden. Im nächsten Schritt, wenn dieses Ur-Vertrauen in BND, MAD und Verfassungsschutz da ist, wenn wir die Schnüffler mielkisch lieben, können wir ihnen natürlich erlauben, die Gesetze zu ignorieren. Und als Medaille gibt es das Eiserne Schweigen am Bande, selbst für diejenigen, die für Netzneutralität kämpfen und damit laut Oettinger ja eine taliban-ähnliche Orientierung besitzen.

*** Vor allem aber muss Schluss sein mit dem verschlüsselten Informationsaustausch der Terroristen Ja, mit solchen Worten kann man fein kämpfen und mordsmäßig Karma sammeln und die Sicherheitslage von Brüssel mit der von Bayreuth vergleichen. Fakten stören da nur. Mehrere Wochen sind ins Land gegangen, seitdem der belgische Innenminister Johan Jambon noch vor den Anschlägen in Paris erklärte, dass es für Geheimdienste schwierig sei, die Terroristen-Kommunikation mit Playstations 4 im Playstation Network zu entschlüsseln. Doch noch immer geistert das Gerede des Informatikers und ehemaligen IBM-Managers durch den Raum, ordentlich dramatisiert als Terror auf Playstation 4. Kein Wunder, dass selbst redliche Figuren wie Peter Schaar auf den Unsinn reinfallen und fabulieren, dass man Nachrichten mit dem Joystick in Gebäudewände schießmeißeln kann.

*** Bevor das Grauen uns überspült, ein Restfunken Hoffnung. Inmitten all der hektischen Kriegsvorbereitungen und der moralischen Aufrüstungsappelle an Hacker und Informatiker klingt die Forderung nach Cyberpeace wie ein Märchen vom anderen Stern. Ein Internet, das dem Frieden dient, wer hat sich so etwas Komisches ausgedacht? War es nicht von Anfang an eine Kriegswaffe mit dieser Ausfallsicherheit im Fall eines Atomkrieges? Soll all das schöne Herumhacken fürs Vaterland in den kritisischen Infrastrukturen des Gegners tatsächlich mit einer Genfer Konvention für den Cyberspace untersagt werden? Müssen Informatiker und Programmierer nicht vielmehr das machen, was wirklich zaehlt und in den virtuellen Tarnfleck steigen? Viele Fragen, schwere Fragen, auch wenn es coole Antworten gibt. Vielleicht sollte man mit der ganz einfachen Frage beginnen, ob es deutsche Familien gibt, in denen nicht das Leiden am Krieg präsent ist bis zum heutigen Tag. Angefangen bei den Fluchterlebnissen der Eltern bis zu den merkwürdig erscheindenden Ritualen wie dem Verstellen der Sender vor dem Ausschalten von TV und Radio kommt da sicher viel zu Tage.

*** Da bleibt nicht mehr viel, als Gedichte zu zitieren.

's ist Krieg! 's ist Krieg! O Gottes Engel wehre,
Und rede du darein!
's ist leider Krieg – und ich begehre
Nicht schuld daran zu sein!

Was sollt ich machen, wenn im Schlaf mit Grämen
Und blutig, bleich und blaß,
Die Geister der Erschlagnen zu mir kämen,
Und vor mir weinten, was?

Wenn wackre Männer, die sich Ehre suchten,
Verstümmelt und halb tot
Im Staub sich vor mir wälzten, und mir fluchten
In ihrer Todesnot?

Wenn tausend tausend Väter, Mütter, Bräute,
So glücklich vor dem Krieg,
Nun alle elend, alle arme Leute,
Wehklagten über mich?

Wenn Hunger, böse Seuch' und ihre Nöten
Freund, Freund und Feind ins Grab
Versammelten, und mir zu Ehren krähten
Von einer Leich herab?

Was hülf mir Kron' und Land und Gold und Ehre?
Die könnten mich nicht freun!
's ist leider Krieg – und ich begehre
Nicht schuld daran zu sein!

Ja. Wenn dann der Krieg in vollem Gange ist, da wälzen sich auch Demokratie und Rechtsstaat halbt tot im Staub, und da ist von Hackerethik und dem offenen Netz, das heute noch wir alle sind, nicht mehr die Rede. Nur das Grauen, das Grauen, das bleibt.

*** Wenn diese kleine Wochenschau in den unendlichen Weiten des friedliebenden Internets erscheint, bricht in den USA ein Tag an, an dem gejubelt werden kann. Es ist der Tag von Edward Snowden, denn morgen endet erst einmal die anlasslose Telefonüberwachung durch die NSA, die dank Snowden an das Tageslicht kam. Zwar kann die NSA weiterhin schnorcheln und besitzt nach wie vor weit reichende Möglichkeiten, braucht aber für jeden inneramerikanischen Einzelfall einen richterlichen Beschluss, ehe sie die Telefone von Terrorverdächtigen überwachen kann. Außerdem werden die bislang auf Vorrat gespeicherten Daten ein wenig länger erhalten bleiben, zur Sicherheit. Bis Snowdens Veröffentlichung war die Sache 14 Jahre lang geheim. Was lernen wir daraus? Die USA schafft es, ihre Gesetze zu verändern. In Deutschland werden Snowdens Dokumente zur Kenntnis genommen, doch Konsequenzen bleiben aus.

Was wird.

Nach 20 Gipfeln soll es diesmal richtig krachen und ein rechtlich bindender Vertrag zustande kommen. Wenn am Montag in Paris das Pokern und Feilschen um diesen Weltklimavertrag beginnt, herrscht dort der Ausnahmezustand, was eine praktische Sache ist. Bekannte französische Klimaktivisten haben Hausarrest bekommen und sind damit so etwas wie Klimaterroristen. Auch der Zugterrorismus dürfte schnell und entschlossen geräumt werden. Mit dabei bei der Sicherung des 2-Grad-Ziels ist Bill Gates, der zwei Milliarden Dollar in Clean Energy stecken will. Sinnvoller wäre eine Steuer auf jede Ressource, die das Klima schädigt, angefangen bei den Plastiktüten und den vielen Disketten und CD-ROMs mit Microsoft-Software.

Wie praktisch ist es doch, dass es da dieses friedliebende Internet gibt, in dem Daten aus klimaneutralen Rechenzentren abgerufen werden, etwa in Island. Es ist unser Internet und es ist wieder einmal an der Zeit, so pathetisch zu werden wie damals, als der aus der Zukunft zurückkehrende Perry Barlow die Regierungen der alten, abgewrackten Welt ermahnte, die Pfoten vom Internet zu lassen. "Wer sich zugehörig zu einem offenen, dezentralen, von Selbstbestimmung geprägten Netz fühlt, ist Teil dieses Wir." Wir sollten uns gegen den Krieg im Cyberspace und für das nachhaltige Vernetzen entscheiden, gegen Terror-Hysterie und gegen Dienste, die in sich geschlossen sind als Gated Communities. Ein Vorhaben, das sinnigerweise im Internet nicht mit Kurzzitaten der Hacker-Ethik enden muss, sondern mit dem "Original". Wie war das noch mit dem Transparenz schaffen ohne Waffen? Ihr Internet oder unser Netz, überall.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. Vom Ankern im Schlamm und Verrücktwerden vor Langweile
Beitrag von: SiLæncer am 06 Dezember, 2015, 05:46
In der taz stehen Statements zum Krieg gegen den Terror von heute und von gestern, von Regierung und Opposition einander gegenüber. Hal Faber hingegen ringt darum, das K-Wort erst gar nicht zu bemühen, und gerät so in illustre Gesellschaft.

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Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war

*** Ja, da hat der Säzzer der taz zugeschlagen und die Nachricht über den deutschen Aufklärungsbeitrag gekonnt mit Passagen aus alten Zeiten kombiniert, als Bundeskanzler Gerhard Schröder erklärte, dass man nicht allein auf militärische Maßnahmen im Krieg gegen den Terror setze. Hoppsa, sagte ich Krieg? Ganz falsch. Was da um Syrien herum passiert, ist ein militärischer Prozess mit einem deutschen Beitrag oder eine gemeinsame, abgestimmte Aktion. Vorbildlich ist da die aktuelle Bundeskanzlerin Angela Merkel, die in ihrem aktuellen Video-Podcast mit einem migrantischen Bundeswehr-Teilnehmer (Soldat wäre zu hart) spricht, ohne ein einziges Mal vom Krieg zu reden. In der kommenden Woche besucht Merkel die Teilnehmer vom Kommando Schnelle Einsatzkräfte Sanitätsdienst, die in Aktion treten, bevor es in den Wald der Erinnerung geht.

*** Die Bundeswehr ist an vielen Fronten und auf vielen Wassern aktiv. Richtig spannend wird es an der Heimatfront, wenn Mitte Dezember die Wundertüten-Software SASPF heruntergefahren wird und für drei Wochen stillsteht. Grund ist ein anstehendes Update, von dem niemand weiß, ob es erfolgreich aufgespielt werden kann. Das ist insofern misslich, da die Teilnehmer der Bundeswehr das Zustandsmanagement ihrer Flugzeuge, Panzer und Schiffe über SASPF abwickeln. So können die Aufklärungstornados erst im Januar nach der "mörderischen Terrorbande" gucken, wie Verteidigungsministerin von der Leyen den Daesh genannt hat. Geschickt eingefädelt, dieses Software-Intermezzo über Weihnachten, wenn alles unter dem Baume feiert. Immerhin: Das heftige Blitzlichtgewitter haben die Flugzeuge bravourös überstanden, und Fotos von Windows im Tarnfleck gab es auch noch.

*** Auch in dieser Woche hat der NSA-Untersuchungsausschuss für erfrischende Schlagzeilen gesorgt, besonders mit der Erkenntnis, dass Mathematiker das Gras wachsen hören können. Wobei mit Gras die Selektorenlisten vom BND und der NSA gemeint sind, um die seit Wochen gestritten wird. Jetzt will sogar die G10-Kommission des Bundestages mit ihrer Klage auf Einsicht in die Spezialität des BND vor das Bundesverfassungsgericht ziehen. Unterdessen sind Details aus dem Inneren der Superbehörde bekannt geworden, in der sich Mitarbeiter dermaßen langweilten, dass sie für andere Dienste spionieren. Drei mal täglich kontrollierte Markus R. die eingehende E-Mail beim BND, ein Vorgang der 10 Minuten dauerte. Er speicherte interessante Fundstücke für seine amerikanischen Freunde auf einem USB-Stick ab und drehte ansonsten Däumchen und wurde "verrückt vor Langweile". Auf seinem Computer fand man sein Abschiedsschreiben, adressiert an Gerhard Schindler.

"Sehr geehrter Herr Präsident, nach einigen verschwendeten Jahren im Dienst ist es endlich geschafft. Ich habe meine Zeit überstanden und werde demnächst wieder in das echte Arbeitsleben integriert. Würde ich all die negativen Dinge aufzählen, die es in dieser Anstalt gibt, ich würde nicht fertig werden. Jedem, der mich fragt und sich in dieser Behörde bewerben will, werde ich abraten. Hier verlernt man das Arbeiten. Sie haben echt ein schweres Los, von so etwas Präsident zu sein."

*** Dabei muss irgendjemand beim BND aus seinem Büroschlaf aufgewacht sein und im allwissenden Heise-Forum gelesen haben. Die Warnung vor Saudi-Arabien wurde vom "BND-Kunden" des Auswärtigen Amtes prompt dementiert. So eine Kritik an einem Verbündeten ist unpassend, wo dieser bekanntlich ein Stabilitätsanker ist. Doch im Schlamm Ankern geht selten gut. Bleibt nur noch die Frage übrig, ob die Warnung vor Saudi-Arabien auch in Comic Sans ausgedruckt wurde.

*** Nach einer mir nicht bekannten Logik kann das Terror-Risiko nicht mehr wachsen. Schließlich haben die Geheimdienste alles im Griff, außerdem ist das Schengen Informationssystem SIS gut gefüllt. Dennoch kann es ganz hilfreich sein, wenn sich Europol und Internetfirmen zusammensetzen und über den Kampf gegen den Terror beraten. Mit von der Partie beim ersten "Dialog-Forum" unter Ausschluss der Öffentlichkeit waren Vertreter von Ask.fm, Facebook, Google, Microsoft und Twitter. Was beraten wurde, ist geheim, doch sprach man auch über Hintertüren in Software-Programmen, um verschlüsselte Kommunikation mitlesen zu können. Die Hartnäckigkeit dieses Themas zeigt, dass es neben dem Krieg gegen den Terror weiterhin den Krieg gegen die Mathematik gibt.

*** Wenn diese Wochenschau online geht, ist der 125. Geburtstag von Fritz Lang vorüber. Mit den 1000 Augen des Dr. Mabuse drehte Lang einer der ersten Filme vom Leben unter einem allgegenwärtigen Überwachungsapparat, der von Nazis gesteuert wird. Die Idee des Überwachungsapparates hatte Jan Fethke 1931 in einem futuristischen Kriminalroman ausgearbeitet, der vor den Nationalsozialisten warnen sollte. Fethke war vor dem Zweiten Weltkrieg ein Regieassistent bei Fritz Lang gewesen und hatte die Drehbücher zu Mutter Krausens Fahrt ins Glück, Jenseits der Straße und später zur Lem-Verfilmung Der schweigende Stern mit verfasst. Im Drehbuchteil von Fethke findet sich die Geschichte von einem Roboter namens "Omega", dem eine Seele eingebaut wird — für einen Propaganda-Film der DDR gegen den Atomkrieg ein ungewöhnliches Thema. Das führt uns wieder in die Gegenwart: in den USA ist Joseph Engelberger gestorben, der "Vater der Roboter" im Automobilbau. Engelbergers Erfindungen wurden stark von den Robotergesetzen geprägt, die Isaac Asimov in einer Kurzgeschichte niederschrieb. Zeit seines Lebens weigerte er sich, Robotern menschliche Eigenschaften zuzuschreiben.

Was wird

Glückliches Saarland, glückliches Hamburg! In diesen Bundesländern ist der Besuch des 32C3-Kongresses als Bildungsurlaub anerkannt worden, wie dies seit vielen Jahren bereits für deutsche Geheimdienstmitarbeiter gilt. Mit der Veröffentlichung des Halfnarps wird klar, was Bildung heute ist. Neben der obligaten Sicherheitsschulung und ein bisserl Robotik dürfte die Failosophy über das "G'scheitern" und Wiederaufstehen von Projekten der wichtigste Fortschritt beim CCC sein, der sich selbst sehr gerne unfehlbar gibt. Hat man nicht alles korrekt erkannt, vom krebsenden, immer noch sehr "neuen" Personalausweis bis zum Sicherheits-Irrtum der elektronischen Gesundheitskarte? "Aber das wichtigste wäre die offene Rede gewesen, gegen das Schweigen", heißt es im Buch vom "Scheitern der Arbeiterbewegung" des Ruhrgebiets-Historikers Erhard Lucas. Gescheiterte Projekte gibt es zur Genüge, die der Debatte bedürfen. Snowden sitzt in Russland fest, Wikileaks hat abgewirtschaftet und wer die Liste der Düsternis zum dunklen Jahresende verlängern will, kann das ja in den Kommentaren tun.

Quelle : www.heise.de
Titel: 4W: Von Grenzen, Grenzbeamten, Grenz-IT - und Wintermärchen.
Beitrag von: SiLæncer am 13 Dezember, 2015, 06:21
Tja, wenn Software-Updates die Grenzen öffnen, dann ist mal wieder ein IT-Wintermärchen im Gange. Derweil kämpft die SPD ihren ganz eigenen Kampf mit der digitalen Welt. Und das nicht nur in Antragsbüchern, befürchtet Hal Faber.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Puh, da sind wir noch einmal davongekommen: Fast acht Stunden lang stand das Schengener Informationssystem still und war für die Staaten nicht erreichbar, die keine lokale technische Kopie besitzen oder diese nur unregelmäßig ziehen. Mitten im Kampf gegen den Terror war ein Software-Update fällig, das keinen Aufschub duldete und recht plötzlich von den Technikern von EU-LISA angekündigt wurde. Nicht auszudenken, wenn Erika Mustermann, geboren in Damaskus, unabgefragt in unseren wunderbaren Schengen-Raum eingereist wäre. Seit Jahren fahnden alle möglichen Behörden mit dem Bild nach dieser Frau, die bereits im Besitz des neuen Ankunftsausweises ist, der bei seiner Vorstellung vom BAMF-Chef Weise als "IT-technisches Wintermärchen" gefeiert wurde. Immerhin soll dieser Ausweis mitsamt der hinter ihm liegenden Infrastruktur einer zentralen Datenbank und Erfassungs-Arbeitsplätzen in den Erstaufnahme-Einrichtungen das erste Großprojekt sein, in dem die IT-Spezialisten und nicht die Politik das Sagen, ähem, räusper, die "Vorfahrt" haben. Wir kennen das ja vom Straßenverkehr, wenn Polizeieskorten alles aufhalten, wenn ein hohes Tier vorbei braust.

*** Wo SIS so kippelt, ächzt und knackt, dass Daten-Aufnehmer und -Abgleicher in den tollen Registrierungs-"Hotspots" auf kalten Entzug gesetzt werden, da ist es nur folgerichtig, wenn am kommenden Dienstag Frontex ausgebaut wird, mehr als 1000 Köpfe zusätzliches Personal bekommt, dazu 1500 weitere Grenzbeamte aus den Mitgliedsstaaten und viele, viele Computer. Etwas lustig klingt es schon, dass man daneben auch auf europäischer Ebende an einer Gesetzesinitiative "zu einem einheitlichen europäischen Dokument für Flüchtlinge" werkelt, wo wir doch gerade unseren tollen deutschen Ankunftsausweis präsentiert haben. Die Vorstellung, dass ganz Europa das fortschrittliche Kerndatenbanksystem von Bundes-CIO KLaus Vitt akzeptiert und obendrein den ordentlichen gefalteten Papierlappen unserer Bundesdruckerei, hat etwas Skurriles. Die Spannung steigt, und am Ende steht die Frage, wer von rechts gekommen ist bei der allfälligen Datenversorge für unsere rein sprachlich ausgezeichneten Flüchtlinge. Da liegen die "Flüchtlingsgespräche" nahe, die über das edelste Teil eines Menschen gehen, seinen Pass, einen Ausweis, der für jedwede Ordnung zuständig ist.
"Die Sorge für den Menschen hat in den letzten Jahren sehr zugenommen, besonders in den neuen Staatengebilden... Aber die Pässe gibts hauptsächlich wegen der Ordnung. Sie ist in solchen Zeiten absolut notwendig. Nehmen wir an, Sie und ich liefen herum ohne Bescheinigung, wer wir sind, so daß man uns nicht finden kann, wenn wir abgeschoben werden sollen, das wär keine Ordnung. Sie haben vorhin von einem Chirurgen gesprochen. Die Chirurgie geht nur, weil der Chirurg weiß, wo z. B. der Blinddarm sich aufhält im Körper. Wenn er ohne Wissen des Chirurgen wegziehn könnte, in den Kopf oder das Knie, würd die Entfernung Schwierigkeiten bereiten. Das wird Ihnen jeder Ordnungsfreund bestätigen."

*** Google übersetzt Ankunftsausweis übrigens jahreszeitlich passend mit "advent card", ein "papier d'avent" wäre aus dieser Weiterübersetzung im französischen Sprachraum auch passend und sicher gibt es einen hübschen finnischern Ausdruck wie der zum Eukonkannonkisat mit den Ehefrauen. Zum ersten Mal in seiner Firmengeschichte hat sich das Startup-Sammelsurium Siemens ein englisches Firmenmotto zugelegt, das "prägnant und knackig die Philosophie des Hauses" benennen soll. "Just do it" war bekanntermaßen vergeben, auch "Vorsprung durch Technik" hat jemand anders. So entschied man sich bei Siemens für "Ingenuity for Life". Dafür offeriert uns Google Einfallsreichtum, Genialität, Findigkeit, Raffiniertheit und Brillianz, na bitte, wie findig. Die französische Variante wäre Ingenuité, ist aber mit "Treuherzigkeit" in der Rückübersetzung etwas suboptimal ausgefallen. Deshalb heißt es dort korrekt "L'ingénousité au service de la vie". Auch "Engenhosidade para a vida" dürfte die Sprach-Stefanowitsche mit der Brillianz entzücken, wie da ingênuo umgangen wurde. Ahnungslos will man bei Siemens halt nicht sein, denn man will ja ran an die "die Ideen unserer klugen Köpfe innerhalb und außerhalb unseres Unternehmens", was nur hartgesottene Foristen anders übersetzen.

*** Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands hat es nicht geschafft, die hochgelobten Wahl-Tablets einzusetzen, die als Zeichen des unbedingten Ja zum digitalen Fortschritt ausgelegt wurden. Böse Genossen mit Technik-Kenntnissen behaupten, dass die Wahlleiterin Doris Ahnen bei der Tablet-Abstimmung so erschrocken war, als der Rechner das sofort ermittelte Ergebnis von 74 Prozent für Sigmar Gabriel anzeigte, dass sie die Prozedur mit Wahlzetteln wiederholte. 74,3 Prozent dokumentieren einen "Schweren Rückschlag", ein "Fiasko" oder eine "Blamage" für den Mann, der die Vorratsdatenspeicherung lobte und nun die große alte Arbeiterpartei dazu brachte, im TTIP-Abkommen das freundliche Emoji-Gegrinse des Kapitalismus zu sehen. Zwar haben die "Parteisoldaten" keinen Zugang zu den TTIP-Dokumenten wie etwa ExxonMobilde oder BusinessEurope, aber mit dem Siggy seinem Ministerium wird da schon was rauskommen. Die 150.000 Menschen, die in Berlin gegen TTIP demonstrierten, die wollen wir mal schnell vergessen. Das war eine Sammlung von Verirrten. Aber von großen Würfen war ja auch nie die Rede, oder?

*** "Grausige Entdeckung: noch ein NSU-Opfer" titelte die tageszeitung über die vorgelesene Aussage von Beate Zschäpe im NSU, die eine schwer erträgliche Geschichte auftischte, von der hilflosen Frau, die aus Liebe und Sorge um ihre "Familie" schweigen musste und nichts unternehmen konnte. Diese Familie tötete Enver Simsek, Abdurrahim Özüdogru, Süleyman Tasköprü, Habil Kiliç, Mehmet Turgut, Ismail Yasar, Theodoros Boulgarides, Mehmet Kubasik, Halit Yozgat und Michèle Kiesewetter. In einer Zeit, in der rechtsextreme Parteien und ihre Pegida-Sturmtruppen von der Sorge um die deutsche "Familie" schwafeln und Flüchtlingsheime brennen, muss die Aufklärung weiter gehen. Ohne die Hilfe der Terroristin, die Bekenner-DVDs verschickte, deren Inhalt sie angeblich nicht kannte. Aber mit der Hilfe und den Tricks von IT-Spezialisten.

Was wird.

In den nächsten Tagen wird Julian Assange in der Botschaft von Ecuador Besuch aus Schweden bekommen. Die beiden Länder haben sich auf ein Rechtshilfeabkommen in der Causa Assange geeinigt, das eine Befragung des Australiers ermöglicht. Zeitnah zu dieser Befragung zum Vorwurf der "Vergewaltigung in einem minderschweren Fall" wird in Schweden über eine Anklage entschieden. Entfällt die diese Anklage, muss sich Assange mit der britischen Justiz beschäftigen: Er wurde vor 5 Jahren verhaftet und saß 10 Tage im Gefängnis, eher nach einer Kautionszahlung unter Meldeauflagen entlassen wurde. Das Geld der Bürgen wurde eingezogen, doch ist der Verstoß gegen Haftauflagen ein eigenständiges Delikt. Vielleicht ist es diese Perspektive, die zu ihn düsteren Prognosen vom erlebten Ende der Privatsphäre treibt, veröffentlicht in seinem Haussender Russia Today.

Bekanntlich hilft hier die Mathematik und auch die IT hat ihren Anteil daran, sei es mit DANE oder p=p. Gegen alle düsteren Prognosen ist es an der Zeit, sich daran zu erinnern, dass die Kryptologen hier eine gesellschaftliche Verantwortung tragen wie die Kernphysiker, die sich einstmals auf den Pugwash-Konferenzen mit der atomaren Bedrohung beschäftigten. Kryptographie ist die einzig sinnvolle Antwort auf die Frage ob wir überwacht werden. Denn so stellt sich die zentrale Frage, wie Überwachung behindert, verteuert, erschwert werden kann. Nun gibt es nicht allein die IT, auch mit politischen Forderungen wie die der Abschaffung des deutschen Verfassungsschutzes kann man Verantwortung übernehmen. Die moralische Bankrotterklärung dieser Truppe, die vor der Mordserie des NSU begann, hat dieser Tage einen neuen Höhepunkt erklommen als dessen Chef allen Ernstes verkündete: "In manchen Bereichen unseres Hauses kann man all das machen, was man schon immer machen wollte, aber man ist straflos. Zum Beispiel Telekommunikations-Überwachung."

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. Wir sind und wir hassen uns, darum werden wir ...
Beitrag von: SiLæncer am 20 Dezember, 2015, 09:20
An manchen Orten wurstelt es sich eben noch wurstiger als in Berlin, stellt Hal Faber fest. Gegen den Präventionsstaat, in dem die Politik von Paranoikern am Nasenring durch die Arena gezogen wird, helfen keine Furchtableiter.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Willkommen im neuen Jahr! ja, richtig gelesen, ein neues Jahr, wenn nicht gar ein neues Zeitalter ist angebrochen mit der neuen Vorratsdatenspeicherung. Ab vorgestern kann landauf, landab von uns allen alles mitgespeichert werden, was irgendwie wie eine Verbindungsinformation aussieht und unseren Standort verrät. Das ganze zum Wohle der Polizei, die serienweise Kinderpornotauscher aus dem Verkehr ziehen kann und zum Unwohle der Sicherheitsexperten, die bemängeln, wie Mobilfunkfirmen mit ihren Daten umgehen. Noch wohler fühlt sich der bayerische Verfassungsschutz. Der war zwar von dem SPD-Justizminister Maas in seinem Wurstl-Gesetz nicht vorgesehen, aber bayerische Würste sind immer extra gewurstelt, wegen dem Terror sein Fratzl, wissensscho. Hach, es wird ein schönes neues Jahr werden. Ganz, ganz weit weg erscheint dieses 2014, wo eben jener Heiko Maas kurz vor Weihnachten die Vorratsdatenspeicherung ganz entschieden ablehnte. "Man kann mit uns nicht umgehen wie mit der FDP" , sagte Maas damals, was hinkommen dürfte, weil die FDP gegen die VDS klagen will. Derweil die erste Verfassungsschutzbeschwerde gegen die VDS diskutiert wird, weht er kräftig durch diese kleine Wochenschau, der berühmte Hauch der Geschichte. Er erinnert uns an den 14. Dezember 1995, als eine Justizministerin mit Tränen in den Augen zurücktrat. An Sabine Leutheusser-Schnarrenberger wird man sich noch erinnern, wenn Maas längst vergessen ist.

*** Neidisch guckt der Innen-Bayer Joachim Herrmann nach Frankreich, diesem Musterland der Vorratsdatenspeicherung, wo alles noch viel schnieker ist und alle Dienste und Sondereinheiten in den Daten suchen können und abgenommene Pässe zentral verwahrt werden. Wo es mit dem "Fiche S" ein Zusatzspeicher-Zeichen für die Gefährder mit Zusatzklassifikationen S16 für den Anfangsterroristen bis S1 für den sprengbereiten Staatsfeind gibt. Brauchen wir nicht auch so etwas, so eine S-Karte für mehr Sicherheit? Zwar alles nicht sehr wirksam, um Terrorattacken zu verhindern, aber doch schwer nützlich, rund 20.000 Personen kurzfristig zu internieren oder unter Hausarrest zu stellen.

*** Ehe diese Kolumne als antibajuwarische Generalklatsche verstanden wird, sei darauf verwiesen, dass auch in Bayern gute Arbeit gemacht wird, besonders von der Polizei. Hier scheint es noch den Realismus zu geben, der in der Politik abhanden gekommen ist: "Ich persönlich will keine Zustände wie in George Orwells '1984'. Da habe ich als Polizist lieber eine Befugnis weniger, bevor ich in einem Überwachungsstaat lebe." Indes, in was für einem Staat wir leben, muss auch vermittelt werden. In eben diesem Bayern hat das Justizministerium eine Aufklärungsaktion gestartet, die Flüchtlingen den Rechtsstaat erklären soll. Wie wäre es mit einem nur unwesentlich veränderten Film in leichter Sprache, der Pegida-Anhängern erklärt, wie der Rechtsstaat funktioniert? "Für alle, die zu uns kommen, gelten unsere Gesetze. Und natürlich auch die ungeschriebenen – wie zum Beispiel die Kehrwoche." Nein, das ist nicht Bayern, das hat die baden-württembergische Integrationsministerin Bilkay Öney am Mittwoch im Landtag gesagt.

*** In dieser Woche haben wir anlässlich der "endgültig fertigen" EU-Datenschutzreform lernen können, dass ein Internetjahr sich in Hundejahren umrechnen lässt und die Datenschutzreform deswegen eigentlich 70 Jahre alt sein wird, wenn sie irgendwann um 2018 herum tatsächlich greift. Statt Hurra, Hurra zu rufen oder wie Heiko Maas von einem "historischen Tag für den Datenschutz" zu schwafeln, müsste klar und deutlich gesagt werden, wie hoch der Preis für diese gründlich verwässerte Reform ist, den vor allem betriebliche Datenschützer bezahlen müssen - und alle überigen Bürger, wenn es mühsam weitergeht wie bisher:
"Es werden ihn aber vor allem alle europäischen Bürgerinnen und Bürger bezahlen, wenn wir nicht sofort beginnen, an der nächsten, technologienahen Edition der Datenschutzgrundverordnung zu arbeiten, statt – wie beim letzten Mal – zwanzig Jahre lang zu warten, bis endlich irgendetwas geschieht. "

*** Ffssssch! Die Macht ist erwachsen, Star Wars ist da, die Lichtschwerter zuzeln, ganz vortrefflich passend zum Fest der Liebe und all der Verwurschtereien, die in ein einziges großes Zuzeln mündet. Im verschneiten Wald (danke, Klimaschutzkonferenz!) kloppen sich Finn und Rey mit dem Urbösen mit dem verbeulten Masken-Tick. Schon der obligate widerständige Roboter BB-8 sieht wie eine fehlproduzierte Weihnachtskugel aus im puritanisch-protestantischen Weihnachtsmärchen. Ein Gottesdienst zu Star Wars ist das Mindeste, was in der innig gelebten Adventszeit gemacht werden sollte. Viel christliches Gedankengut ist drinne, bis hin zum Imperattiv, dass man nicht auf der Seite des Bösen stehen darf. Auch die Krippenszene verdient eine zeitgemäße Interpretation, mit Jedi-Rittern statt dieser Könige aus dem abgebrannten Morgenland. Im Übrigen ist diese Geschichte nicht mehr zeitgemäß, dass jeder Christ einem Flüchtling ein Dach über dem Kopf geben muss, und sei es ein Stalldach auf einem Wüstenplanet.

*** Die launigen Zeiten der Shitstorms sind vorbei, der Hass bricht durch, mitunter auch in den wunderbaren Heise-Foren zu spüren, wo es zwar hart hergeht am Baggersee, doch selten gehässig. Sollte es ein Gesetz geben, das Hasskommentare mit mehr als zwei Rechtschreibfehlern löscht, so wäre es effektiver als das, was ein runder Tisch da ausgehandelt hat. Das war wohl nichts. Die richtige Antwort auf all die Hass-Attacken ist ein fetziges Verpisst euch!, doch die Sache mit der Modernität unserer Zeit zu erklären, in der die Stammtische ins Internet gewandert sind, das greift zu kurz. Der Hass sitzt tief, sagt man und meint nicht die verzierenden Tätowierungen. "Ich bin überzeugt, man liebt sich nicht bloß in anderen, sondern hasst sich auch in anderen", bemerkte einst Georg Christoph Lichtenberg, ein Nerd, dem wir das schöne Wort vom "Furchtableiter" verdanken. Oh, Toleranz. Auch schon oft besungen.

Was wird.

Eigentlich ist Berlin die Hauptstadt der Bewegung derer, die gegen die totale Überwachung kämpfen. So behauptet es die aktuelle Berliner Wochenend-Ausgabe der tageszeitung , zwar nicht online und verlinkbar, dafür aber proppenvoll mit triefendem Lob für den Grünen-Netzpolitiker Konstantin von Netz, der Aktivistin Stephanie Hankey von Tactical tech und Crille, der Cryptoparties organisiert. Auch eine hübsch gruslige Beschreibung der c-base durfte da nicht fehlen.

In der anstehenden Woche wird Berlin durch Hamburg abgelöst, wenn sich die Gated Communities der vielen disparaten Hacker-Szenen im Chaos Congress Centrum treffen, das noch nicht wegen Renovierung geschlossen ist – so kann man sich irren. Kurz bevor mit 2016 wieder einmal das Jahr der Katzen anbricht, gibt es Katzencontent ohne Ende. Für Hacker und Häcksen gibt es Vorträge und Workshops, für Häcksen und Hacker das Rahmenprogramm mit Lynn Hershman Leeson, deren Hot-Link-Sammlung "Clicking In" (bzw. die CD "Clicking On") Bestandteil unseres Sommerrätsels war. Dort findet man auch diesen Trost und Ratschlag für bessere Zeiten:

"Invisibility – there are things we can't see now, that are there, that are embedded, that it really takes time in order to be able to see. There are many ghosts that are lurking around and lingering through us that takes the technology of another generation or so in order to uncover and show what those stains and strains and perceived flaws really we're building towards."

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. Vom Bezahlen und bezahlt werden.
Beitrag von: SiLæncer am 27 Dezember, 2015, 06:00
Es gibt viele Möglichkeiten, mit wem man die ruhigen Tage verbringen könnte. Dumpfbacken, Brandstifter (ob geistig oder real) und wehleidige Kleingeister gehören nicht dazu, da wäre Hal Faber die Gesellschaft eines Waldmenschen lieber.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Der Tag, vor dem der große Christ
zur Welt geboren worden ist
war hart und wüst und ohne Vernunft.
Seine Eltern, ohne Unterkunft
fürchteten sich vor seiner Geburt
die gegen Abend erwartet wurd.
Denn seine Geburt fiel in die kalte Zeit.
Aber sie verlief zur Zufriedenheit.
Der Stall, den sie doch noch gefunden hatten
war warm und mit Moos zwischen seinen Latten
und mit Kreide war auf die Tür gemalt
dass der Stall bewohnt war und bezahlt.

Mit Bertolt Brecht Weihnachten zu verbringen, ist das Schlechteste nicht in kriegerischer Zeit. Denn neben den vielen guten Wünschen ist es in dieser unserer Gesellschaft wichtig, dass bezahlt wird, was fremde Freunde brauchen, ob auf Amazon oder anderswo. Denn sonst ist es mit der einfachen Geste, mit der wunderbaren Gabe zur Gastfreundschaft schnell vorbei, nicht nur an Weihnachten. Der Weihnachtstext über das Geben in der Süddeutschen Zeitung ist gewissermaßen der Kontrapunkt zum überaus freundlichen, von keiner Kritik getrübten Loblied auf den genialen Jeff "Captain Future" Bezos in der Weihnachtsausgabe des zugehörigen Magazins. Der Mann, der nicht sonderlich unter Nadelstichen zu leiden hat und mit seinem Raketenprojekt bis zum Rand des Weltraums fliegen kann, musste in dieser Woche seinem Rivalen Elon Musk mit dem gelungenen Flug von SpaceX gratulieren und verschwendete dafür sogar ein Leerzeichen.

*** Achja, gratulieren können unsere treuen Forums-Leser besser, wie man an den Weihnachtsgrüßen von epic fail sehen kann:

"War doch schon oft so, dass alle Leute mächtig heiße Luft verbreiten, doch der heise-Forist, der Eine Welche, der Erlauchte, der RobinHood der Informationstechnologie, der Bill Gates im Trump-Universum, das A & das O der universellen Logik, der R2D2 unter uns analogen Einzellern, der Geschmacksneutrale, der Meister Proper unter den Punks, der Diego Maradona unter den Gotteshändern, der Weihnachtsmann, der an Ostern die Eier versteckt, der Hanuta unter den Duplos, der Raider unter uns Twix-Schokoriegeln, der Dreizehnte vom dreckigen Dutzend, das Handschuhfach im autonomen Fahrzeug von Geohot, der Schatz im Silbersee, DER weiß es besser."

*** So ist es. Eigentlich könnte die kleine Wochenschau mit dieser schönen Gewissheit aufhören, doch gibt es unschöne Zahlen zum Fremdenhass und über die Hasskommentare im Internet, die vom künftigen OSZE-Vorsitzenden Frank-Walter Steinmeier als geistige Brandstiftung angeprangert wurden. 850 Attacken auf Flüchtlingsunterkünfte, von den Schmierereien ganz zu schweigen, das ist ein Geben der anderen Art. Wie schrieb Bert Brecht in den Flüchtlingsgesprächen:

"Eine Zeit lang hat's ausgesehn, als ob die Welt bewohnbar werden könnte, ein Aufatmen ist durch die Menschen gegangen. Das Leben ist leichter geworden. Der Webstuhl, die Dampfmaschine, das Auto, das Flugzeug, die Chirurgie, die Elektrizitåt, das Radio, das Pyramidon kam und der Mensch konnte fauler, feiger, wehleidiger, genusssüchtiger, kurz glücklicher sein. Die ganze Maschinerie diente dazu, dass jeder alles tun können sollte. Man rechnete mit ganz gewöhnlichen Leuten in Mittelgröße. Was ist aus dieser hoffnungsvollen Entwicklung geworden? "

*** Statt mittelgroßen Menschen haben wir wehleidige Kleingeister in einem Deutschland, in dem die, die nicht fliehen konnten, besonders laut gegen Flüchtlinge hetzen. Dazu kommen "Wirtschaftsbosse", die von Brandbeschleunigern reden und damit die Wirkung von "Flüchtlingsströmen" meinen. Natürlich darf dabei die Klage zum weichen Euro nicht fehlen, ebenso die düstere Zukunftsprognose vom kommenden Schicksalsjahr und zur Zukunft von VW. Wobei dieser Konzern ein Auslaufmodell ist, wie Tesla nach seinem OTA-Update zeigt, komplett mit rauflustiger Stimmung im Heise-Forum. Dabei findet der hinter dem Getue um Big Data liegende Trend nur wenig Beachtung: Mittelgroße Manager werden im großen Stil entlassen und durch IT-Systeme ersetzt, die fortlaufend Daten optimieren und unkündbar sind. Die ganze Daten-Maschinerie wird die ganze Maschinerie stellen, bis die Blase platzt, wieder einmal.

Was wird.

"@leitmedium kommst du zum #30c3?", mit diesem harmlosen Tweet begann eine Geschichte, die es in sich hat. Weil er nicht antwortete, wurde ein Netizen und seine Familie erbarmungslos verfolgt, von einem Hacker, der in seinen Taten nichts weiter Schlimmes sah. Nur ein bisschen Sicherheit testen, wollte das Mitglied des Chaos Computer Clubs, der c-Base und anderer Netzszenen. "Ein Spiel von Computerfreaks, sach ich mal", so sah er die Sache, ein Spiel, dass für den "Gegenspieler" acht Monate Angst bedeutete, für seine Frau das schwerste Jahr ihres Lebens. In ein paar Jahren werden ihre Kinder drüber schreiben, was sie vom Stalking mitbekommen haben, denn die Schrift stirbt nicht aus. Kurz nachdem diese kleine Wochenschau online geht, beginnt in Hamburg der 32C3, wo "Ethics, Society & Politics" von der Failosophy und dem Entertainment eingerahmt ist. Die Frage einer zeitgemäßen Hacker-Ethik, die Menschen wie den stalkenden Hacker erreichen kann, steht wieder einmal im Raum beim Spiel von Computerfreaks, die eine Abschussliste witzig finden. "Es gilt also Regeln zu finden, die zwischen Anspruch und Wirklichkeit vermitteln. Regeln oder besser Leitlinien, die für jedermann einsichtig sind und ganz selbstverständlich befolgt werden." Das wurde im Jahr 1988 in Hamburg geschrieben und ist mit einigen Nachschlägen auch im Jahr 2016 aktuell.

Am Rande des Hacker-Kongresses wird Im Rausch der Daten aufgeführt, jener Film über die große EU-Datenschutzreform des Jahres 2015, der uns erzählt, wie die europäische Politik tickt und von Lobbyverbänden getickt wird. Dass im Namen des Datenschutzes Informationsverhinderung betrieben wird, wird das große Thema im Wahl-Jahr 2016 sein, nicht nur in Baden-Württemberg. Dabei muss man nicht einmal die ganz große Keule der Geschichtsfälschung schwingen, das kleine, rund 40.000 Euro teure Knüppelchen tut's auch, mit dem Abgeordnetenwatch behindert wurde. Die offengelegte Lobbyisten-Liste verdiente sich zur Weihnachtszeit ein ganz besonderes Schmankerl, weil die Bundestagsverwaltung nicht mehr im Jahre 2016 die Gerichte bemühen will. Wie anders tönte man doch ganz am Anfang dieses nun abtretenden Jahres, als von dem Schutz der Persönlichkeit geschwafelt wurde, von Sozis wie von den "Christlichen". Womit der Lobbyismus nicht verschwunden ist, der sogar außerparlamentarisch funktioniert, wenn die Piratenpartei "die eine oder andere Telefonnummer von fähigen Sicherheitsexperten aus dem Umfeld des CCC, des AK Vorrat, von Digitalcourage oder der FSFE" herausgeben will.

2016? Aber Hallo, ganz so weit ist es noch nicht. Das traditionelle Jahresend-WWWW mit all den Statistiken, Rück- und Ausblicken steht noch an, ehe am Rande der norddeutschen Tiefebene nach den Boole-Feiern und dem Ada-Geburtstag ihr binär rechnender Urahn an der Reihe ist und der ganz große Leibniz-Rummel losgehen kann: "Während Gott rechnet und denkt, ereignet sich die Welt."

Quelle : www.heise.de
Titel: 4W: Von Büchern, solchen und solchen. Und noch solcheren ... und etwas Musik.
Beitrag von: SiLæncer am 03 Januar, 2016, 01:13
Ein Buch! Ein Buch! Ein Königreich für ein Buch. Oder so ähnlich, oder wie? Hal Faber fällt wie allen anderen auch aller Anfang schwer. Aber das macht nichts. Es sind auch nicht alle Bücher wirklich von Wert, auch wenn sie bedeutungsvoll sein mögen.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** "In omnibus requiem quaesivi, et nusquam inveni nisi in angulo cum libro", schrieb Thomas von Kempen, wie man bei Umberto Eco nachlesen kann. Nirgendwo habe ich Ruhe gefunden, nur in der Ecke mit einem Buch. Bei all den Dingen, die in der IT-Branche so abgehen, sind gute Bücher ein wichtiger Ausgleich. Zumal dann, wenn man sie umstandslos auf ein iPad oder ein Tablet packen kann, am besten ohne DRM als gemeinfreie Artefakte. Also, dann wollen wir mal: Eine etwas andere Wochenschau zum Jahresanfang.

*** Ja, aller Anfang ist schwer. Das kommt davon, dass man Anfänger ist oder Anfängerin. Anne Frank war so eine, als sie im Juni 1942 Het Achterhuis begann. Bekanntlich konnte sie ihre Aufzeichnungen nur bis zum 1. August 1944 fortführen, da wurde sie von begeisterten Lesern des Buches "Mein Kampf" zu einer Landpartie mitgenommen, die in Bergen-Belsen 1945 endete. So kam es, dass ihr Vater Otto Frank Hand an die Aufzeichnungen legte und alle Abschnitte entfernte, in denen Anne Frank sich beispielsweise mit ihrer Sexualität beschäftigte. Das von ihm erstellte Kompilat gehört heute zum Weltdokumentenerbe. Nun liegt nicht nur die Böllerei und Feierei des Unglücksjahres 2015 hinter uns, sondern auch Neujahr, der Internationale Tage der Gemeinfreiheit. An ihm werden die großartigen künstlerischen Leistungen der Personen gemeinfrei, die vor 70 jahren gestorben sind. Dazu gehört die wundervolle Tiergeschichte "Bambi. Eine Lebensgeschichte aus dem Walde" und die "Meine 365 Liebhaber" einer gewissen Josephine Mutzenbacher, geschrieben von Felix Salten – zumindest in Europa, denn in den USA sind sie das Eigentum anderer. So können wir das hemmungslos genießen, was der große Kybernetiker Oswald Wiener einen Roman von Weltrang genannt hat.

*** Für Anne Frank gibt es keine Gemeinfreiheit. Der schweizerische Anne Frank Fond sieht das Redigier-Werk seines 1980 gestorbenen Gründers in Gefahr und konnte sich mit seiner Auffassung vor einem niederländischen Gericht durchsetzen. Zwar gibt es weiterhin Widerstand gegen die Entscheidung, etwa von der niederländischen Anne Frank-Stiftung oder vom Blogger Olivier Ertzscheid, doch was zählt, ist der Sieg der Anwälte. Frühestens 2036 oder 2050 wird Annes Weltdokumentenerbe gemeinfrei. Bemerkenswert: Nach dem Willen der Anwälte soll der Blogger nicht nur die Veröffentlichung des Tagebuches zurückziehen, sondern alle Medien von der Löschung informieren, seine Reue aussprechen und seine Schande bekennen sowie den Anwälten eine Liste aller kontaktierten Medien übermitteln, damit die Reue gerichtsfest dokumentiert ist. Das gesamte Verfahren erinnert an Thomas Morus' "Utopia" von 1516. In seinem utopischen Land gibt es keine Anwälte, denn würde es sie geben, wäre jeder Frieden dahin.

*** In Deutschland ist Mein Kampf von Adolf Hitler gemeinfrei geworden, eine kommentierte wissenschaftliche Ausgabe mit der Erstauflage von 4000 Stück bereits ausverkauft. Hitler starb 1945. Zu seinen Lebzeiten wurden mehr als 12 Millonen Exemplare verkauft und sehr wohl auf breiter Flur gelesen, obwohl das später geleugnet wurde. Da machten Deutschlands Bürger ganz besorgt auf ahnungslos und machten das "Tagebuch der Anne Frank" zum meistverkauften Taschenbuch der 50er jahre. Hitlers böses Buch wird landauf, landab besprochen, ganz besorgt fragt etwa die tageszeitung ihre Leser, ob dieses Buch noch gefährlich ist. Dazu gibt es das berühmte Bild von Sergant Arthur E. Peters, wie er in Hitlers Münchener Wohnung auf dem Bett liegend im Buch schmökert und den Inhalt durchtelefoniert. Mein Kampf kommt auch ins Theater, wo der türkische Musiker Volkan Türeli aus dem Buch liest, das jeder seine Freunde dort besessen hat. In der Türkei gilt mein Kampf als weit verbreitete Lektüre, als Teil der Weltgeschichte, heißt es in der Berlin-Ausgabe der tageszeitung an diesem Wochenende. Dort wird der Wirbel um Erdogan nicht verstanden. War ja nur gut gemeint.

*** Mein Kampf gibt es auch als Dokumentarfilm, der auf Youtube in 12 Teilen gesehen werden kann. Der Regisseur Erwin Leiser hatte sich mit den Folgen des Hitler-Buches beschäftigt und den im Buch deutlich lesbaren Judenhass von Hitler dokumentiert, überwiegend mit nationalsozialistischer Propaganda, die er in DDR-Archiven gefunden hat. Die Kollegen von Leni Riefenstahl hatten 1942 im Warschauer Ghetto einen "Informationsfilm über den Juden" gedreht. Ihre Bilder wurden auf Geheiß des Propaganda-Ministeriums unter Verschluss gehalten, da sie das Elend der Juden "zu krass" darstellten. Unter dem Tarntitel "Richthofen, der rote Baron" verschwand der Film in den Archiven, bis Erwin Leiser ihn fand und mit NS-Aufmärschen zusammenschnitt. Die Filmkritik bemäkelte damals den problematischen Umgang mit Archivmaterial, wir würden heute von einem gelungenen Remix sprechen.

*** Wird Hitlers Gefängnisschrift den deutschen besorgten Bürgern Munition zur Hand geben wie diese Böller, mit denen sie zum Jahreswechsel vor Flüchtlingsheimen auftauchten? Man wird sehen, doch in den bornierten Pegida-Köpfen bräunt es längst dank anderer Lektüre. Der freigestellte Geschichtslehrer Björn Höcke hat in einer Rede über das Fortpflanzungsverhalten von Europäern und Afrikanern seine Argumente eindeutig vom "wissenschaftlichen Rassismus" des Philippe Rushton abgeschrieben. Rushton machte mit seiner r/K-Theorie im rechten Umfeld der Eugeniker Karriere. Die überlegene Rasse sind bei ihm die Asiaten, gefolgt von den Kaukasiern und den Schwarzen. Der Islam war für Rushton keine Religion, sondern ein besonderer genetischer Defekt, der besonders aggressive Personen bzw. Araber erzeugt, die vernünftigen Argumenten nicht zugänglich sind.

*** Vernünftige Argumente sind nicht die Sache von Helmut Roewer a.k.a. Stephan Seeberg, den Theoretiker des völkischen Umsturzes. Er ist die leibgewordene Verköperung meines Dauerargumentes, dass der Verfassungsschutz aufgelöst werden muss. Mutige Menschen, die gegen einen nationaldeutsch witzelnden Bachmann stehen, sind ein Konglomerat von Taugenichtsen und Schwätzern. Wo Adolf Hitler vom Erzfeind Frankreich schrieb, steht ihm Helmut Roewer nicht nach. Der erste Weltkrieg ist das Resultat einer russisch-französischen Verschwörung. Na, so ein Zufall.

Was wird.

Doch raus aus den Büchern, hinein ins "richtige" Leben! Frischauf ins neue Jahr 2016, allein die Themen klingen altbacken und fad. Etwa dann, wenn sich der Großauftrieb von Politikern und Wirtschaftsführern auf dem Weltwirtschaforum zu Davos mit der 4. industriellen Revolution, bei uns auch Industrie 4.0 genannt, beschäftigt. Etwas knapper geht es kurz davor bei der DLD-Konferenz in München zu, wo der zu Recht vergessene Hausphilosoph von Google, Luciano Floridi, mit dem Philosophen des Internet-Kolonialismus, Peter Sloterdijk, über die 4. Revolution unterhalten wird. Als Moderator wünschen wir uns mal WhatsApp-Gründer Jan Koum, der ebenfalls auf Burdas Digitalsimulation auftreten will. Wegen der vorbildlichen Nutzlosigkeit.

Nun, da das neue Jahr endlich angefangen hat, gibt es mal keine Musik zum Start ins Wochenende, die mein Redakteur sonst empfiehlt, den ich ja nur Samstagnachts, aus meinem schwarzen Hubschrauber kletternd, auf dem Heise-Parkplatz treffe. Zum Start ins Jahr gehen wir vielmehr in die Geschichte zurück und hören uns den wunderbaren, großartigen Oscar Pettiford an. Es ist nicht nur sein Bass-Solo bei der von Coleman Hawkins aufgenommen, besten jemals gespielten Version von "The Man I Love". Es ist auch ein Auftritt wie 1958 "mit Freunden" (zu denen unter anderem auch Attila Zoller gehörte), den er in Hamburg spielte. Ach, wäre das Leben nur immer so relaxed, swingend und spannend wie diese Musik. Hoffen wir das Beste für 2016.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. (Die Wochenschau von Hal Faber)
Beitrag von: SiLæncer am 10 Januar, 2016, 08:29
Straftaten? Straftaten! Auch Hal Faber muss sich dem stellen, und meint nicht die Benutzung von Comic Sans. Auch nicht die Musik, die manche Leute in vergangenen Tagen zu Gehör brachten, selbst wenn manches davon wie ein Verbrechen erscheint.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Gutes tun, Gutes tun
Gutes tun ist gar nicht schwer
Man kann soviel Gutes tun
Zuhause und im Kreisverkehr:

Bewusster atmen
Gesunde Sachen essen
Mit Nazis diskutieren
Die Mutter nicht vergessen
Auch einmal fremden Hundekot entfernen
Den Islam näher kennenlernen

Gutes tun, Gutes tun
Gutes tun ist gar nicht schwer
Man kann soviel Gutes tun

Zuhause und im Kreisverkehr. (Funny van Dannen)

*** Aahhh, tut das gut, diese vollständige Offenlegung in bester okzidentaler Tradition: Diese von keiner Hard- oder Softwarefirma gesponsorte Wochenschau wird von einem männlichen mehrheimischen Deutschen ohne Migrationshintergrund mit Gedit unter Ubuntu geschrieben. Dabei werden die Richtlinien des Presserates beachtet, ehe diese Wochenschau vom Rande der norddeutschen Tiefebene epizoisch wird. Da heißt es über unsere ausländischen Bürger (Mitbürger ist ja schlimmstes Othering):
"In der Berichterstattung über Straftaten wird die Zugehörigkeit der Verdächtigen oder Täter zu religiösen, ethnischen oder anderen Minderheiten nur dann erwähnt, wenn für das Verständnis des berichteten Vorgangs ein begründbarer Sachbezug besteht."

*** Nun geht es in dieser Wochenschau selten um die Berichterstattung über Straftaten, sieht man einmal von der Benutzung von Comic Sans ab. Aber in Köln agierten rund um den Bahnhof Banden junger Männer wie auf dem Tahrir-Platz in Kairo zur Hochzeit des arabischen Frühlings. Dazu gibt es eine Statistik, die die Bundespolizei veröffentlicht hat über 32 Straftaten mit 31 namentlich bekannten Verdächtigen, aufgeschlüsselt nach Herkunftsländern:
"Unter den 31 bekannten Verdächtigen der übrigen Delikte seien neun algerische, acht marokkanische, fünf iranische, vier syrische, ein irakischer, ein serbischer, ein US-amerikanischer und zwei deutsche Staatsangehörige. 18 von ihnen seien Asylbewerber."

*** Huiwusch, da ist sie hin, die Freundlichkeit gegenüber den Allothigen und anstelle einer Debatte über die Gewalt gegen Frauen oder den allgegenwärtigen Alkoholkonsum bekommen wir dummes Zeug zu hören wie die Forderung nach einer Ausweitung der Videoüberwachung, die in Köln mit 350 Stunden Videomaterial zu Buche schlug oder dem Einsatz von intelligenter Videotechnik und Bodycams bei der Polizei. Auch die Geschichten vom dauernotgeilen Orientalen mit seiner Allogamie dürfen nicht fehlen, denn die Sehnsucht nach einfachen Erklärungen ist groß, egal wie groß der Unsinn ist. Ich weiß zwar nichts, aber das habe ich schon immer gesagt und wenn etwas wiederholt wird, dann ist es der Unsinn vom Schweigekartell der Medien. Worauf selbige reagieren und ihre Leser per E-Mail anschreiben, um gleich einmal die Kanzlerin (Regierungskrise? Umsturz?) ins Spiel zu bringen, wie das die Süddeutsche Zeitung in ihrer Entschuldigung schafft:
"Nein, es hat damit zu tun, dass bislang nicht feststeht, wer diese Straftaten begangen hat (Asylbewerber? Kriminelle, schon länger in Deutschland agierende Banden? Andere Ausländer? Ausländisch aussehende Deutsche?) und dass es bis jetzt keine Beweise dafür gibt, dass wirklich Flüchtlinge die Täter waren. Deshalb steht auch nicht fest, dass die Kanzlerin an der Gewalt von Köln auf jeden Fall mit schuld ist."

*** Ob diese Mitschuld der Kanzlerin auf jeden Fall einmal fest stehen wird oder ob hier nur jemand mit der Sprache drechselnd umgegangen ist wie die Deutschen mit den Polen, wird sich zeigen müssen. Viel wäre schon geholfen, wenn man zwischen Polizeiberichten und persönlichen Berichten von Polizisten a.k.a. "Einsatzerfahrungsberichten" unterscheiden kann, in dem schon mal der elektronische Aufenthaltstitel (eAT), das Pendant zu unserem Ausweis-Plastikkärtchen so zerrissen wird, wie das Felix Graf von Luckner mit den Telefonbüchern machte.

*** Oohhh, oohhh, ich muss noch mal Disklamieren: In der Regel wird diese Wochenschau auf einem Thinkpad geschrieben, welches ein gar wundervolles Maschinchen ist mit all seinen Sicherheitseinstellungen im BIOS, der brauchbaren Tastatur und dem kleinen roten Rubbelknopf für die Mausbändigung. Umso trauriger ist die verspätet eintreffende Nachricht, dass der deutsche Thinkpad-Designer Richard Sapper verstorben ist, der 1986 mit dem IBM Convertible 5140 auch den ersten Laptop von Big Blue entwarf. Ja, vor 30 Jahren war die Welt noch in Ordnung, ganz besonders die der Hacker, die ihr romantisches Hacker-Manifest veröffentlichten.
"Das ist nun unsere Welt .... die Welt der Elektronen und der Verteiler, die Schönheit des Baud. Wir nutzen einen bestehenden Dienst, ohne zu zahlen, der saubillig sein könnte, wenn er nicht von profitgeilen Nimmersatts angeboten werden würde und ihr nennt uns Kriminelle. Wir erforschen ... und ihr nennt uns Kriminelle. Wir suchen das Wissen ... und ihr nennt uns Kriminelle."

*** Heute sind Hacker am liebsten Nerds, die immun gegen jede Zweifel im Wahr/Falsch-Modus arbeiten und in diesem schon einmal als Stalker auftreten können. Wer ihren Jargon beherrscht, kann ihren Trachtenjanker-Hoodie anziehen und eine wunderbare Zeit auf dem Kongress haben. Die anderen sind eh auf der CES gewesen, die in dieser Woche den Newsticker zudröhnte. Denn dort galt: Die Angst vorm schlauen Trockner ist die Angst vor Manipulationen dieser Geräte durch schlaue Hacker. "Wir erforschen einen Kühlschrank ... und ihr nennt uns Kriminelle."

Was wird.

Alles wird gut, das ist ein Satz, der nach dem Zweiten Hauptsatz der Thermodynamik für die Guten und die Bösen gleichermaßen gilt. Nach all den Querelen und Kabalen um die Selektoren ist es doch eine erbauliche Nachricht, dass die NSA und der BND in Bad Aibling wieder zusammenarbeiten bei der Überwachung des "islamischen Krisenbogens". Die Selektoren phagozytieren die Nachrichten, als hätte es nie eine Verstimmung gegeben. 4,5 Millionen Selektoren für unser alle Sicherheit und das Beste daran: "Seit einigen Monaten nun reichen die Amerikaner die geforderten Begründungen für jeden einzelnen Suchbegriff ein." Das ist gelebte transatlantische Transparenz! Man denke nur an die Synergieeffekte bei der Knete, wenn geldgierige Informanten bezahlt werden können und nicht mal eben so ein ganzer Hauptbahnhof dicht gemacht werden muss wegen explosiver Deter-Minierer.

Gut und güter wird es auch beim Bundeskriminalamt mit seinen angeschlossenen Landeskriminalämtern, diesen hoch spezialisierten Service-Dienstleistern und Cybercrime-Literaturwissenschaftlern. Dem Vernehmen nach wird dort die gesamte Mail-Kommunikation mit Julia Mailoffice auf PGP umgestellt, komplett mit eigener PKI. Charlotte Lindholm und ihre KollegInnen sind dank Thunderbird und Enigmail auch im Außendienst verschlüsselt angeschlossen. Das sind ja die Guten. Die Bösen nehmen die PGP-Varianten Asrar al-Mujahedeen oder Amn al-Mujahid. Und der Rest? Der will ja nicht kriminell werden, da sei die neue Mainzer Erklärung der CDU vor.
"Wir haben die Speicherfristen für Verbindungsdaten (sogenannte 'Vorratsdatenspeicherung') eingeführt und sorgen damit für wirkungsvollere Strafverfolgung. Künftig sollen diese Daten auch Verfassungsschutzbehörden nutzen können. Wir setzen uns mit Nachdruck für die wirksame Überwachung auch verschlüsselter Kommunikation (sogenannte 'Quellen-TKÜ') ein und wollen den Verfassungsschutzbehörden die Befugnis zur 'Online-Durchsuchung' zur Vorbeugung vor terroristischen Aktivitäten geben."

Ich sagte es doch: Alles wird gut, der Überwachungsstaat wird ausgebaut. Wer von den korpuskulären Sozialdemokraten Protest erwartet, glaubt auch an Kleine-Dosen-Heilverfahren. Oder wahlweise an die neun Ringe der Macht von Privategrity, "den Sterblichen, ewig dem Tode verfallen", gegeben. Neun unkorrumpierbare Admins, die gemeinsam eine Backdoor öffnen können, das gehört mehr in die Welt von Tokien als in unsere, in der sich die Gewissensfrage stellt: Baez oder Bowie? Aber eigentlich ist das keine Frage. Ich jedenfalls möchte das nie wieder hören, Musik im Stile von Baez' Sacco-und-Vanzetti-Song, des schlimmsten Stücks gutgemeinten und gerade deswegen unerträglichen Pops, das ich je erlebt habe, und das gut als Hintergrundbeschallung in unsägliche grüne Mittelschicht-Restaurants mit Nobel-Ambiente und entsetzlich überschätzter Küche passt. Also: Hoch lebe Bowie!

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. Von den Zigeunern am Rande des Universums
Beitrag von: SiLæncer am 17 Januar, 2016, 08:57
Ach ja, die deutsche Sprache. Manche lassen sich durch sie dazu verrenken, von einer "thymotischen Unterversorgung" zu schwafeln. Derweil singt im Apple Store leise aus den Boxen David Bowie, den Hal Faber vor einer Woche noch hochleben ließ.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

"Der Mensch muss endlich aus seinem tausendjährigen Traum erwachen und seine totale Verlassenheit erkennen. Er weiß nun, dass er seinen Platz wie ein Zigeuner am Rande des Universums hat, das für seine Musik taub ist und gleichgültig gegen seine Hoffnungen. Leiden oder Verbrechen." (Jacques Monod über den Zufall)

*** Ja, draußen knallt es ganz enorm, zur Verblüffung der Forscher, doch das Zufallsprodukt Mensch hält dagegen, mit der Musik von David Bowie. Der hat sich von der Bodenkontrolle mit "Blackstar" verabschiedet und uns gezeigt, was Sterben in Würde bedeutet, mit allem Respekt vor der Privatsphäre. Die vorige Ausgabe dieser Wochenschau endete mit einem Gruß an Bowie und einem "Hoch lebe er", als wenige Stunden später sein Tod bekannt gegeben wurde. Skandalöserweise drehte sich die Erde weiter und dem Universum war es schnurzegal, was diese Zigeuner da trieben. Was bleibt, ist die Musik und der steigende Aktienkurs.

"Selbst im Apple Store kommt leise aus den Boxen Bowie. Das merken die unterbelichteten Apple-Millenials natürlich nicht, die dort ihren Technikkäse in die Ohren ihrer Kundschaft faseln. Und Bowie singt: 'I'm so high it makes may brain whirl, I dropped my cell phone down below.'"

So steht es, geschützt durch die Waberlohe, in der Süddeutschen Zeitung in einem Bericht, der da schildert, wie gestandene Väter ihre Kinder am Montag in der Kita abgaben und dann zusammenbrachen, "Fuck!! Shit!!" Dazu hören wir Bowie: Look up here, I'm in heaven, lesen Bowie-Geschichten und betrachten Bowie-GIFs und erinnern uns an die Zeit, als es richtig aufregend war, das Bowienet zu erkunden. Für David Bowie war es die Erfahrung des Kontrollverlustes:

"And I have no control over that at all. The lot on Bowienet are quite funny and sarcastic – they're not, like, goths, all serious and heavy. They do a lot of sending-up, referencing The Laughing Gnome and that, which I like. Am I OK with that? Oh God yeah! I had to get over that a long time ago. But then, as we all know, history is revisionism. One makes one's own history." (David Bowie)

*** Ja, der Revisionismus regiert. Die Menschen, diese Zigeuner am Rande des Universums machen ihre eigene Geschichte. Und sie machen ihre Geschichten ganz alleine, aus freien Stücken, bis der letzte Zufall kommt. Mitunter sind es sehr deutsche Geschichten, mit ganz eigenartiger Musik. Während #Bowie Trend bei Twitter in den USA und Großbritannien war, rangierte #ausnahmslos bei uns auf dem ersten Platz, mit einem Aufruf zu Sprech- und Denkverboten mit 14 Regeln und drei FüßInnennoten, der es in sich hat. Selberdenkende aller möglicher Geschlechter werden von diesem Aufruf allseitig angetanzt. Viele Forderungen sind richtig, aber in einer Sprache von Alpha-Frauen vorgetragen, die nicht auf Verständigung aus ist, sondern ihre Herkunft aus Unversitätsseminaren nicht leugnen kann: "Wir alle sind von struktureller Diskriminierung geprägt und müssen erlernte Vorurteile erst einmal reflektieren, um sie abzulegen." Viel fehlt nicht, um einen "nationalen Pakt für Reflektion" auszurufen, mit Pflichtkursen an der nächsten Volkshochschule oder im massiv offenen Online-Kurs und einer Ablegeprüfung im Fach "gendersensible Neuprägung". So ist es nur traurig, wie die notwendige Debatte über Köln abgleitet ins Allgemeine und den Kurzgeschlossenen Auftrieb gibt, die umstandslos den Skandal von Rotherham mit 1400 Kindern und Köln zusammendenken. So tönt es von der Militärakademie für NATO-Stabsoffiziere ebenso eisig wie beflissen in der Neuen Zürcher Zeitung:

"Nach dem Fiasko der grossen Rassereinheit im Dritten Reich darf der Traum multikultureller Vermischung bei Verdacht auf alles Eigene nicht auch noch zuschanden gehen. Deshalb kommt es am Kölner Bahnhof am 31. Dezember 2015 zu einer direkten Wiederholung von Rotherham im Schnelldurchgang."

*** Ach ja, die deutsche Sprache. Als in dieser Wochenschau im Sommer 2014 Gedanken zum Gutmenschen erschienen, gab es viele Reaktionen, die auch in der darauf folgenden Wochenschau zitiert wurden. Nun ist der Gutmensch zum Unwort des jahres gewählt worden, vor "Hausaufgaben" und "Verschwulung". Die Wahl kommt mit einem schönen Nebeneffekt, nämlich der vollständigen Veröffentlichung des Artikels von Karl-Heinz Bohrer aus dem Jahre 1992, in dem fremdredigiert der neuzeitliche Gutmensch das Licht der Welt erblickte. Schon damals ging es um die Asylfrage und die rechtslastig verkrampften Vorstellungen von deutscher Nationalität, die sich an ethnischen Kriterien ausrichtete statt an kulturellen. Nachzulesen ist auch, wie Bomber Harris durch die Geschichte spukte, und der erste Golfkrieg gerechtfertigt wurde:

"Sie enthielt natürlich den Gedanken, dass die angelsächsischen Bomberkommandos im Falle des Zweiten Weltkriegs keineswegs eine schuldlose Zivilbevölkerung als Opfer trafen, daß der Krieg der Alliierten gegen Nazideutschland keineswegs unmoralisch war, dass sie sich nichtsdestotrotz schmutzige Hände machten. Dass 'sich schmutzige Hände machen' also nicht notwendigerweise politisch und moralisch verwerflich sei, sondern umgekehrt manchmal notwendig. Zum Beispiel im Golfkrieg."

*** Worüber schon Karl-Heinz Bohrer rätselte, ist die Tatsache, dass sich nur in Deutschland eine solche Schaumsprache entwickeln konnte, in der Worte wie "Querdenker" akzeptiert wurden, in der man "verkrustete Strukturen aufbrechen" will oder eben über die "von struktureller Diskriminierung geprägte Privilegierung" schwafelt und "Denkanstöße" geben will. Es bleibt weiterhin ein Rätsel, das seit 1992 seiner Lösung harrt. Der Fortschritt seit damals hat immerhin für die Erkenntnis gesorgt, dass die Schaumsprache kein Privileg der Grünen und/oder Linken ist. Es sei nur an die thymotische Unterversorgung gedacht, von der der AfD-Philosoph schwafelt, der die "Seelenfakultäten" der Deutschen analysiert. Thymotisch soll Mut, Zorn und Empörung zugleich umfassen, wie früher die maßlos gekränkte Gutmenschenseele "wütend und traurig zugleich" war. Wie heißt es dazu im Wörterbuch des Gutmenschen, was bestens zur heutigen AfD und ihren Pegidioten passt? "Er kann nicht anders als beleidigt auf die Erfahrung der bloßen Unabhängigkeit einer anderen Meinung reagieren." Genau.

Was wird.

"Monsieur Newton und seine Anhänger haben von Gottes Werk eine recht merkwürdige Meinung. Ihrer Meinung nach ist Gott gezwungen, seine Uhr von Zeit zu Zeit aufzuziehen, andernfalls würde sie stehenbleiben. Er besaß nicht genügend Einsicht, um ihr eine immerwährende Bewegung zu verleihen. Gottes Maschine ist ihrer Meinung nach sogar so unvollkommen, dass er gezwungen ist, sie von Zeit zu Zeit durch einen außergewöhnlichen Eingriff zu reinigen und sogar zu reparieren, so wie ein Uhrmacher sein Werk repariert, der ja ein um so ungeschickterer Handwerker ist, je öfter er gezwungen ist, sein Werk in Ordnung zu bringen und zu reparieren." (Gottfried Wilhelm Leibniz an Samuel Clarke)

Am kommenden Dienstag beginnt der Reigen der Feierlichkeiten im Leibniz-Jahr 2016, passenderweise mit einem Hannoveraner Vortrag über die Sprache der Tiere. Inzwischen wissen wir, dass Tiere dank Smartphone und Tablet im modernen Diskurs mithalten können, jedenfalls solange kein Windows 10-Update ansteht. So liegt es nahe, aus dem vom hannöversch-britischen Königshaus provozierten Briefwechsel zwischen Leibniz und Clarke zu zitieren, welcher Newton verteidigte. Dieser hatte damals ausgerechnet, dass Jupiter und Saturn kollidieren könnten und damit das ganze göttliche Uhrwerk des Universums eine Macke hatte, die den Menschen bedroht. Der von Leibniz verhöhnte Gedanke an einen reparierenden Gott wurde Jahre später mit Hilfe der Himmelsmechanik von Laplace mathematisch entschärft, freilich mit einem anderen Ausgang. Als Laplace seine Berechnungen vor Napoleon demonstrierte, fragte ihn dieser, was denn Gott in seinem System mache. "Citoyen premier Consul, je n’ai pas eu besoin de cette hypothèse." Der olle Uhrmacher wird nicht mehr benötigt.

Was bleibt, sind die Menschen, die Zigeuner am Rande des Universums. Da singen sie Bowies Lieder oder die von Peter Gabriel. Glaubt man Gabriel, kommt nach den 3D-Druckern mit den Gehirnscannern eine neue, wunderbare Zeit auf die Menschen zu, wenn sich die Grenzen zwischen der Vorstellung und der Realität vollständig auflösen. Wenn der Architekt an Roboter angestöpselt wird, die seine Überlegungen ausdrucken und noch am selben Tag zusammenbauen können, tritt der allseits entfaltete Mensch auf und baut BER zu Ende.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. Von Einsamkeit, Gebrüll und Meinungsführerschaften.
Beitrag von: SiLæncer am 24 Januar, 2016, 01:52
Es ist hoffnungslos. Oder doch nicht? Dabei sind es nicht nur prominente Internet-Versteher, die verzweifelt nach der Vernunft im Internet schreien. Hal Faber aber fürchtet die Meinungsführerschaft der "hermetischen Teilöffentlichkeiten".

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Der Deutsche ist ein guter Mann:
Er hält die Frau in Ehren.
Er zündet Flüchtlingsheime an
Und gründet Bürgerwehren.

Dieses bitterböse Gedicht vom ehemaligen Titanic-Journalisten Thomas Gsella brachte ihm eine Facebook-Sperre ein, weil besorgte Bürger sich bei Facebook beschwerten. Am rechten Rand ist man erstens empfindlich und zweitens allergisch gegen Satire. Das Facebook dem nachgibt und gleichzeitig eine "Initiative für Zivilcourage Online" bekannt gibt, ist ein schönes Beispiel für die Symbolpolitik gegen Hatespeech. Die Beschwerde selbst entstammt der ach so beliebten Praxis des Nicht-Nachdenkens, [i"]eine Art Rasterfahndung für Laien, die nach ideologischen Alarmbegriffen und Merkmalen sucht, durch die sich potenzielle Gegner und Feinde schnellstmöglich erkennen (oder selbsttätig konstruieren) lassen."[/i]

*** Ihr liebt den Haß und wollt die Welt dran messen.
Ihr werft dem Tier im Menschen Futter hin,
damit es wächst, das Tier tief in euch drin!
Das Tier im Menschen soll den Menschen fressen.

Andere Zeiten, anderer Dichter? Das Jahr ist noch jung, unschuldig ist es nicht mehr: 63 Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte, davon 14 Brandanschläge sind ein deutliches Indiz für den grassierenden Fremdenhass. Auch die Antanz-Angriffe, teilweise gekoppelt mit Sexualdelikten, sollen erwähnt werden, wenn es um die Ozeane mit verexkrementierten Gedanken geht, die heute wieder einmal deutsche Köpfe umspülen. Die "guten Täter" des dritten Reiches haben ihre Nachfolger gefunden, die ihren Hass nicht nur in den "Kommentarspalten im Internet" ausleben. "Auf der Straße führen sie sich wie Gekränkte auf, denen es eine kleinliche Polizei, verbiesterte GegendemonstrantInnen oder politisch viel zu korrekte Medienpartner erschweren, sich so offen und frei für ihren Führer auszusprechen, wie sie es möchten." Aber in den Kommentarspalten laufen sie zu ungeahnter Form auf, sodass selbst die optimistischsten Internet-Versteher kurz vor der Verzweiflung sind: "Lasst uns nicht allein mit den stumpfen Horden. Kommt! Wir halten nicht mehr lange durch im digitalen Stalingrad der Vollidiotie." Und wenn wir doch allein bleiben? Ist dann nicht das Toben der stumpfen Horden das moderne Abbild dessen, zu was die Mobilisierung gegen die Weimarer Republik bedeutete und zu was sie letztendlich führte?`Auch das wird in den Kommentarspalten des Internet befürchtet, dieses Mal von gar nicht stumpfen Kommentatoren. So sind dann die hermetische Teilöffentlichkeiten nur die Mosaiksteinchen, die das Bild eines autoritären und faschistoiden Deutschtums ergeben, vor dessen Meinungsführerschaft mir mehr als graut.

*** In Davos tagte wieder einmal das Weltwirtschaftsforum. Man erfuhr vom deutschen Bundespräsidenten, dass eine Begrenzung der Flüchtlingszahlen moralisch und ethisch geboten sein kann und dass Europa in der Krise stecke. So oder so sieht das staatliche Unbehagen an der Willkommenskultur aus. Zum millionenfachen Jobschwund durch maschinelle Intelligenz, die etwa in der Versicherungswirtschaft die Sachbearbeiter überflüssig macht, äußerte er sich nicht. Aber das machen ja andere in der IT.

*** Mit kindlicher Begeisterung sprach der Google-Manager Philipp Schindler beim DLD über die maschinelle Intelligenz, die bei Diensten wie Google Fotos wahre Wunder vollbringe. Für Davos sparte man sich die Nachricht auf, dass Google mit IBM und Philipps dem heruntergewirtschafteten National Health Service mit smarten Geräten und maschineller Intelligenz unter die Arme greifen will, zum Nutzen von chronisch Kranken. Wie gut, dass Google, anders als General Electric, angefangen hat, in Großbritannien Steuern zu zahlen. Auch die Zahlung an Apple ist so betrachtet ein Google-Goodie. Nächste Woche, wenn Amazon, Apple, Facebook und Microsoft ihre Zahlen verkünden, wird man sehen, ob Google die wertvollste Firma auf dem digitalen Planeten ist. Zumindest Microsoft scheint schon die weiße Fahne zu hissen.

*** Weil Frank Schirrmacher tot und das Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zum Gedenken an ihn ein Friedhof geworden ist, hat die Süddeutsche Zeitung nach der Übernahme von Schirrmachers Edge-Themen nun die Debatte über die "Künstliche Intelligenz" aufgenommen, aber bis auf die Grafik leider nicht online frei geschaltet. Passenderweise macht die FAZ-Kolumnistin des Maschinenraums den Anfang und schwächt mit dem Artikel die Befürchtungen ab, die Stephen Hawking dieser Tage äußerte. Hawking würde es um generelle KI-Systeme gehen, nicht um spezielle Systeme aus dem Bereich des maschinellen Lernens. Die sind nützlich und werden uns im Alltag die Arbeitsplätze weg- und mühsame Arbeiten abnehmen. Man müsse nur sachlich die Leistungen solcher Computersysteme beurteilen wie die Qualitäten eines guten Autofahrers. Den Rest regelt schon "der Markt" und "die Müdigkeit" des Menschen:
"Die Konsequenzen der Entwicklung hängen auch davon ab, welche Arten von künstlicher Intelligenz am Markt nachgefragt werden. Für simulierte Menschen-Gehirne gibt es eigentlich keinen Bedarf. Wohl aber für Systeme, die Teilaspekte des menschlichen Denkens und Könnens deutlich effizienter und besser erledigen können – schlicht, weil sie mit der Geschwindigkeit moderner Computer weitaus mehr Daten einbeziehen, aus mehr Beispielen lernen können und keine Müdigkeit kennen."

*** Eine andere Davoser Debatte verdient Erwähnung, weil sie mindestens ebenso kurios ist wie der Kniefall vor Marktkräften und Schlafbedürfnissen. Ausgerechnet der Chef eines Geldhauses, das gerade 6,7 Milliarden Euro Verlust meldete, machte sich dort für die Abschaffung des Bargeldes stark. Die freiheitswürgende Wirkung dieser Maßnahme ist schon mehrfach Thema dieser Wochenschau gewesen, doch hat es was, diese These zu vertreten, während in Deutschland gerade Hunderttausende von Bankkarten ausgetauscht werden und ein neuer Kreditkarten-Betrug aufgedeckt wurde. Halten wir uns deshalb nicht mit Späßchen über geldsuchende RAFler auf, halten wir es mit Jean Ziegler, über den in diesen Tagen Erstaunliches bekannt wurde: "Geld produziert Geld. Geld ist ein Herrschafts- und Machtmittel. Der Wille zur Herrschaft ist unausrottbar. Er kennt keine objektiven Grenzen." Wer die Verfügungsgewalt über Bargeld entzieht, entzieht Macht, könnte man schlussfolgern.

Was wird.

Nach der Schelte über das Zigeuner-Zufall-Zitat in der letzten Wochenschau bitte ich um Nachsicht, so flappsig vom Zufall gesprochen zu haben. Denn den Zufall gibt es nicht, solange es keinen strikten wissenschaftlichen Beweis für den Zufall gibt, sondern nur faule Erklärungen. David Bowie ist tot und gleichzeitig wird ein neunter Planet diskutiert, das kann einfach kein Zufall sein.
"Und ist diese Steinmasse, fragte Coppi, die dem Kult fürstlicher und religiöser Zeremonienmeister diente, die den Sieg der Aristokraten über ein erdgebundenes Völkergemisch verherrlichte, zu einem freistehenden Wert geworden, jedem angehörend, der davor hintritt."

Am kommenden Montag wäre der der Widerstandskämpfer Hans Coppi 100 Jahre alt geworden, ein Gedenktag, der im kleinen Familienkreis, erweitert um linke Bezirkspolitiker, am Hans-und-Hilde-Coppi-Gymnasium begangen wird. Ob die in Fahrtrichtung Links abgebogenen Piraten aus der Selbstzerleger-Szene dabei sind, ist nicht bekannt. Es ist ja nur ein kleiner Gedenktag eines kleinen Kämpfers im zivilen Widerstand abseits der Stauffenbergs & Co. Schon der 100. Geburtstag von Coppis Chronisten Peter Weiss wird anders gefeiert, mit Vorlesungsreihen, Aufführungen und Sonderbänden. Wir nennen es Erinnerungskultur.

Wir alle
das möchte ich nochmals betonen
haben nichts als unsere Schuldigkeit getan
selbst wenn es uns oft schwer fiel
und wenn wir daran verzweifeln wollten.
Heute
da unsere Nation sich wieder
zu einer führenden Stellung
emporgearbeitet hat
sollten wir uns mit anderen Dingen befassen
als mit Vorwürfen
die längst als verjährt
angesehen werden müssten.

Auch dazu gibt es eine ganz eigene, passende Musik.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. Mit Ken und Barbie, mit Lilli und den Helden des Cyberspaces
Beitrag von: SiLæncer am 31 Januar, 2016, 00:12
Dingsbums. Ja. Die Wirklichkeit? Ooooch. Interessiert doch nicht, wo es doch so schöne Verschwörungstheorien und Phantasmagorien gibt. Hal Faber ist immer noch frustiert und zweifelt daran, dass KI der Intelligenz der Menschheit auf die Sprünge hilft.

(http://3.f.ix.de/scale/geometry/695/q75/imgs/18/1/7/3/9/6/8/9/3e86fbe6102deb697bbd4dab2a08f5a4_edited_102538588_b113fb7f5e-4f0eb7dbad98ed18.jpeg)

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

(http://3.f.ix.de/imgs/18/1/7/3/9/6/8/9/3e86fbe6102deb697bbd4dab2a08f5a4_edited_102538752_24a2591bdd-12cc87e33ede5a50.jpeg)


Was war.

*** Das Internet der Dinge ist da. Es begann harmlos als Internet der Dingsbumse, mit Dildos, die sich über Bluetooth als "Serial Port 1" mit einem Smartphone und dem Code 0000 verbinden lassen. In Zeiten, in denen kaum noch jemand weiß, was eine serielle Schnittstelle ist, ist das doch ein hübscher Einfall. Seinen vorläufigen Höhepunkt hat das Internet der Dinge mit Hello Barbie ausgerechnet im Kinderzimmer erreicht. Kein Wunder, dass in dieser Woche in Berlin gezeigt wurde, wie Barbie und Ken es tun bei ihrem Date. Im Kinderzimmer spielt ein Mädchen mit seinen Puppen und lässt es im Bend Over-Porn so richtig krachen: Kens Hose wird runtergezogen, Barbie bückt sich und es geht los mit dem großen Stöhnen, den OOOhs und AAAAhs. Der heiße Sketch, den Digitalcourage da aufführte, sollte geladene Journalisten daran erinnern, dass auch Kinder eine Menschwenwürde haben, die verletzt werden kann.

*** Klingt pathetisch, war es auch. Falsch war es obendrein auch noch: Erst wenn ein Kind bei "Hello Barbie" auf den Gürtel drückt, zeichnet ein Mikrofon auf, was es sagt und schickt dies via WLAN zu einem Server der Firma Toytalk. Dort wird die Sprache analysiert und einer von 8000 Sätzen zurückgeschickt, die Barbie sprechen kann. Ein Lachen oder ein dreckiges Stöhnen in der Phantasie junger Mädchen wird bei der Analyse auf Sprache übergangen, ein längeres AAA könnte als Ada extrahiert werden und zurück käme dann von dieser Barbie, die sich vor allem für Mode interessiert:
"Well, I bet you're quite a computer whiz, just like Ada Lovelace -­--­- she was the first computer programmer ever! What's your favorite thing about computers?"

*** Ein harmloser Satz, der allenfalls den guten Professor Rojas auf die Palme treiben dürfte, der leidenschaftlich gerne Ada Lovelace demontiert, als erste Stümperin vor dem Gerät, mit bescheidenen Mathematikkenntnissen. Um eine Demontage war es auch den Aktivisten von Digitalcourage gegangen, denn sie stören sich seit der Verleihung der Big Brother Awards 2015 daran, dass Eltern über eine Barbie-App mithören können, was ihr Kind zur Puppe spricht. Das kann man als Teil der elterlichen Verantwortung sehen (Mattel tut das) oder eben (wie Digitalcourage) als Verletzung der Privatsphäre von Heranwachsenden. In jedem Fall ist diese Variante des Internets der Dinge nicht etwas, das sich still und heimlich ins Kinderzimmer schleicht. Der Zugang zum WLAN ist abgesichert und kann über eine App nur von jemanden eingestellt werden, der Barbies Halskette zum Blinken kriegt. Die Sprachdaten des Kindes werden verschlüsselt übertragen, nach einem Protest auch die Antworten von Barbie. Denn zeitgleich mit der Berliner Aktion haben Hacker die Innereien der Puppe analysiert und ein erstes Fazit gezogen: Mattel gibt sich Mühe und reagiert schnell, wenn Sicherheitslücken aufgedeckt werden. Spannend wird es werden, wenn die neuen Barbie-Modelle sprechen können. Ein bisschen Slang und ein paar Kraftausdrücke für die "kurvige" Barbie müssten schon drin sein, ganz zu schweigen vom kurvigen Ken.

*** Ken und Barbie haben es getan, Lilli/Lisa/Elena nicht. Größer als die Berliner Aufregung über Barbie war die Berliner Aufregung über eine junge Deutschrussin, die wegen ihrer Schulprobleme bei einem Bekannten übernachtete. Das verriet nicht Barbie, sondern die Abfrage ihrer Handydaten, komplett mit der Funkzellenabfrage, in der jeder Berliner mehrmals im Jahr auftaucht. So ist das mit dem Internet der Dinge, die wir tragen. Natürlich wird das die russischen Verschwörungstheoretiker nicht beirren, denn so eine deutsche Funkzelle ist keine ehrliche russische Yota-Funkzelle und ein "Onkel" oder eine "Tante" findet sich immer für ein Interview. Immerhin lernt Restdeutschland mit Hilfe eines Mädchenschwindels, dass es nicht nur im Internet Filterblasen gibt, sondern auch im richtigen Leben. Fürs Auftauchen, um Luft zu holen, ist keine Zeit mehr, auch nicht bei den freiwilligen Flüchtlingshelfern, die ihre Variante einer Phantasmagorie frei setzten. Berichte aus der Wirklichkeit sehen anders aus.

*** Marvin Minsky, der Vordenker der Künstlichen Intelligenz, ist gestorben. Er brandmarkte "Hello Barbie" als schwachsinnigen Versuch, KI zu kommerzialisieren und davon abzulenken, dass die Welt in spätestens 20, 30 Jahren funktionierende Pflegeroboter braucht, wenn Menschen älter als 200 Jahre werden, aber wenig Nachwuchs haben. Minsky, der kleine, von IBMs Watson angetriebene Roboter, weint ihm keine Träne nach. Dazu hätte man ihm Tropflöcher und einen Schneuzvorrat einbauen müssen und dem Backend-Watson etwas Code, Gefühle zu dekodieren. So läuft mal wieder eine schräge Debatte um die KI an, in der sich nach Constanze Kurz nun die die Multimedia-Professorin Elisabeth André für Roboter mit künstlicher Haut stark macht, weil die Haut es ist, mit der wir Trauer, Freude und Wut vermitteln, wenn wir die Hand zur Faust ballen. Es müsse doch Wege geben, wie wir aus dem Uncanny Valley der Frankensteins ins Sunny Valley von Paro und Co kommen. OK, Marvin Minsky hätte drüber gelacht und sich mehr über den Sieg der Google-KI beim Go-Spiel gefreut und dazu einen kleinen Barocktanz improvisiert.

*** Während diese Zeilen darauf warten, abgeholt und ins Internet der Zeichen gestopft zu werden, jährt sich der Geburtstag von Franklin D. Roosevelt. Das ist der Mann, von dem die Hälfte aller klugen Sätze über die amerikanische Demokratie stammen – die andere Hälfte hat der Franzose de Toqueville geschrieben. In den USA geht es mit großem Tamtam in die Vorwahlen, kräftig unterstützt von Microsoft und dem App-Lieferanten Interknowlogy. Das findet der liberale Kandidat Bernie Sanders gar nicht witzig, der allen Ernstes von seinen Gegnern als Sozialist tituliert wird. Seine Konkurrentin Hillary Clinton hat immer noch Probleme mit unverschlüsselt verschickten E-Mails, die im Nachhinein für streng geheim deklariert worden sind, sodass allein der unverschlüsselte Versand eine Straftat sein könnte. So mischen sich die Geheimdienste in den Wahlkampf ein und können feixen. "Vom organisierten Geld regiert zu werden, ist genauso schlimm, wie vom organisierten Verbrechen regiert zu werden", sagte Roosevelt. Der Präsident, der 1940 J. Edgar Hoover zum Chef aller Geheimdienste machte, vergaß, die organisierten Dienste zu erwähnen.

*** All die Debatten um das Verschlüsseln, um Hintertüren werden von den Diensten amüsiert zur Kenntnis genommen. Dies erklärte der Sicherheitsforscher Nicholas Weaver auf der ersten Enigma-Konferenz von Usenix, wie im Video zu sehen. Weaver, der am ICSI in Berkeley arbeitet, erklärte die Verschlüsselung als nützliche Zusatzinformation, die bei der massenhaften Überwachung anfalle. Wer mit PGP oder den PGP-Derivaten Asrar al-Mujahedeen (al Quaeda) oder Amn al-Mujahid (Daesh) arbeite, strahle wie ein Casino in der Wüste von Las Vegas. Über die Metadaten könne das Kommunikationsnetz von Absender und Empfänger ausgeleuchtet werden. Jeder, der etwa Asrar al-Mujahedeen benutze, sei als Terrorist einzuordnen. "Das ist doch brilliant. Wer immer sich dies bei der NSA oder dem GCHQ ausgedacht habe, sollte einen fetten Weihnachtsbonus bekommen." Angesichts der Vielzahl an ZeroDays und anderen Sicherheitslücken könnten Geheimdienste getrost auf Verschlüsselungs-Hintertüren verzichten. Es sei viel einfacher, nach einer Analyse der Metadaten den Computer eines Überwachungsziels direkt anzugreifen. Wort! Ähem, Slovo!

Was wird.

(http://3.f.ix.de/imgs/18/1/7/3/9/6/8/9/Lagasnerie-083093c3bfcd3e82.jpeg)
Aus Frankreich kommt die Kunde, dass der im russischen Asyl lebende Edward Snowden, der im politischen Asyl lebende Julian Assange und die im Gefängnis lebende Chelsea Manning die neuen Sozialisationstypen der nächsten Revolte sind, die die "Konsequenzen staatlicher Unterdrückung mit allen Mitteln fliehen" und dank Internet ein "neues Spielfeld des Widerstandes" erobern. Bebildert ist die zum Safer Internet Day erscheinende, mit großer Empörung geschriebene Kunst der Revolte des Philosophen Geoffroy de Lagasnerie mit dem Standardbild der letzten Dutzend Bücher zu diesem Thema, der von Anonymous gekaperten Guy-Fawkes-Maske. Der Zuccotti-Park in New York, der Tahrir-Platz in Kairo, der Taksim-Platz in Istanbul sind gut und schön, reichen aber nicht an das Gefängnis heran, in dem Chelsea Manning sitzt, die ecuadorianische Botschaft mit dem Räumen für Julian Assange oder dem Haus in Russland für Edward Snowden. Manning, Assange und Snowden sollen die großen Neinsager sein, die die Existenz der Staaten verneinen. Sie sind für den jungen Philosophen die ersten, die die wirklich im unabhängigen Cyberspace leben, in denen die Regierungen der industriellen Welt, die müden Giganten aus Fleisch und Stahl, keine Macht mehr haben. Wort!

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. Über die Willkür in der Geschichte.
Beitrag von: SiLæncer am 07 Februar, 2016, 06:24
Wenn mal wieder jemand mit absurden Begründungen auffällt, ist man sich sicher: Es geht, nein, nicht um Assange, es geht um Terrorbekämpfung. Hal Faber sieht die Geschichte schon zur Farce verkommen, ganz ohne die bislang notwendigen Wiederholungen.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Julian Assange und seine Anwälte haben einen schönen Erfolg errungen. Sie konnten drei Juristen einer vierköpfigen UN-Arbeitsgruppe von der Willkür überzeugen, die aus dem Willen von Assange erwuchs, sich keinesfalls einem schwedischen Justizverfahren zu stellen. Die Juristen werteten sehr streng, ganz im Sinne der Darstellung von Assanges Anwälten: Aus den 10 Tagen im britischen Gefängnis Wandsworth wurde eine "Isolationshaft", aus den Jahren, in denen sich Assange im Instanzenweg bis zum obersten Gerichtshof gegen seine Auslieferung nach Schweden wehrte, wurde eine fortgesetzte Freiheitsberaubung wegen der harten Meldeauflagen. Die Flucht in die Botschaft von Ecuador, nachdem alle juristischen Mittel ausgeschöpft waren, gehört in dieser Sichweise zu einer Kausalkette willkürlicher Bedingungen. Der Spott über diese Form der Wahrheitsfindung ist groß, der Vergleich der Berichterstatter mit dem Spice-Girl Geri Halliwell ist noch der harmloseste Kommentar.

*** Man darf gespannt sein, was die Blackbox der Menschrechte noch in sich birgt. Wird sich ein versteckter Mafiaboss auf Assange berufen können? Die Spannung bleibt auch deshalb erhalten, weil Schweden wie Großbritannien nun zwei Monate Zeit haben, ihre Sicht der Dinge vorzutragen, dass in der Causa Assange durchaus angemessen gehandelt wurde. Beide Länder haben bereits gegen den Vorwurf willkürlicher Haftbedingungen protestiert, was bedeutet, dass die UN-Arbeitsgruppe nach den Stellungnahmen wieder tagen muss.

*** Das Drama geht weiter, auch wenn Assange vom Balkon donnerte, das alle beteiligten Parteien mit Konsequenzen rechnen müssen, den UN-Bericht in der Hand wie ein neues Testament haltend. Betrachtet man den Vorgang nüchtern ohne alle Posen und Erklärungen, so fällt der Absatz Nr. 92 in der Urteilsbegründung der UN-Arbeitsgruppe auf. Hier wird erklärt, das Verfahren rechtmäßig, aber trotzdem unangemessen sein können und zu kritisieren sind:

"The Human Rights Committee, in its General Comment No. 35 on Article 9 also stated that 'An arrest or detention may be authorized by domestic law and nonetheless be arbitrary'. The notion of 'arbitrariness' is not to be equated with 'against law', but must be interpreted more broadly to include elements of inappropriateness, injustice, lack of predictability and due process of law, as well as elements of reasonableness, necessity, and proportionality."

Aus dieser Sicht folgt nicht nur das Recht der UN-Arbeitsgruppe, die Causa Assange zu bewerten, sondern auch das Recht der beteiligten Länder, das Verfahren fortzusetzen. Nach wie vor muss Schweden das eingeleitete Verfahren gegen Assange mit einem abschließenden Verhör zu Ende bringen, nach wie vor ist Großbritannien gehalten, die Verletzung der Meldeauflagen zu bestrafen. Nach wie vor muss Australien seinem Staatsbürger Assange einen neuen Pass ausstellen und nach wie vor muss Ecuador darauf bestehen, dass das diplomatische Asyl anerkannt wird. Nach wie vor muss sich Assange immer wieder in Erinnerung rufen, weil die öffentliche Aufmerksamkeit der einzige Schutzschild ist, der ihm noch geblieben ist. Der Schutzschild soll bekanntlich vor der Nachstellung durch die USA schützen, die am Publisher Julian Assange interessiert sein soll.

*** Ja, nach australischem Verständnis ist Julian Assange immer noch Bürger dieses Landes, auch wenn er sich in seiner Londoner Zeit nur einmal meldete, um für die Wikileaks-Party anzutreten. Die wurde passenderweise zum 1. Januar von der australischen Wahlkommission aufgelöst, weil ihr der Nachweis von 500 aktiven Mitgliedern nicht gelang, durchgeführt mit antiquierten Methoden wie der Telefonanruf bei registrierten Mitgliedern. Im Zuge des Kampfes gegen den Terror will Frankreich die Aberkennung der französischen Staatsbürgerschaft in die Verfassung aufnehmen und die Praxis der Ausbürgerung demokratisieren, die man bislang nur von Diktaturen kannte. Zuletzt war dies 1848 ein Mittel, um nach der Abschaffung der Sklaverei die Sklavenhändler aus den Übersee-Departements verfolgen zu können. Die allgemeine Erklärung der Menschenrechte untersagt übrigens den willkürlichen Entzug der Staatsangehörigkeit.

*** Die Staatsbürgerschaft abschaffen wollen wir noch nicht, aber dafür ist die in dieser Kolumne mehrfach besprochene Abschaffung des Bargelds inzwischen mit großem Getöse in den Nachrichten angekommen. Besonders interessant ist die Nebenforderung, nicht etwa all das Kleingeld abzuschaffen, dass man ohnehin den zahlreichen Türstehern in die Näpfe wirft. Der 500-Euro-Schein, der 28 Prozent des Euro-Bargelds ausmacht, soll verschwinden, weil er wie einst der 1000-DM-Schein von Banken in Osteuropa gehortet wird. Bei der Umstellung der Bankeinlagen von 500 auf die 200-Euro-Scheine müssen größere Tresore her, was nach Angaben des Wirtschaftspredigers Hans-Werner Sinn die Tresorkosten um das Zweieinhalbfache in die Höhe treiben wird. Wir haben es also mit einem Wirtschaftsförderungsprogramm für Tresorbauer zu tun, bejubelt von den ach so toll abgesicherten Online-Bankern und den Terror-Überwachern, die wie immer mit den unsinnigsten Argumenten auffallen. In Frankreich und Belgien gibt es diese Barzahlungsgrenzen, doch den Terroristen hat das nicht den Weg verbaut ins Bataclan. Was folgt aus der Erkenntnis, das Bargeld das Privacy Shield des kleinen Mannes ist? Natürlich nichts, denn wir haben ja nichts zu verbergen.

*** In der schönen neuen Welt der Hyperinformation treffen wir auch bei der selbst ernannten journalistischen Avantgarde auf die alten Probleme. Ausgerechnet beim Intercept ist die Flunkerei eines Kollegen aufgeflogen. Das von Pierre Omidyar finanzierte Webportal ist nicht irgendwer, sondern der offizielle Nachrichtengral der Snowden-Dokumente, diese "wegweisende Form des Welterbes". Kann man da überhaupt etwas verfälschen, wo auch nach den neuesten Zahlen nur die Spitze des Gralberges zu sehen ist, der erst in 42 Jahren enthüllt sein wird? Man kann, glauben die Macher der Transmediale und schreiben recht putzig:
"Indem sie die inneren Mechanismen geheimer Verbindungen zwischen Regierungen und Industrie offenlegen, repräsentieren die Snowden-Archive eine Art kollektives Unterbewusstsein – etwas, das die Gesellschaft nie über sich selbst, ihre Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft erfahren sollte. In diesem Sinne könnten die Snowden-Dokumente als Nachricht von 'Kindern einer Ära, die noch anbrechen muss' [Kim Ki-Duk] betrachtet werden. Wegen der kryptischen Sprache und der spezialisierten Information der publizierten Dokumente dauern die Interpretationsversuche aber noch an."

*** Es dauert also, bis der Kindermund tut Wahrheit kund. Bleibt dem Kolumnisten nur anzumerken: So lange ist es ganz nützlich, weiter heise online zu lesen, wo kryptische Sprache und spezialisierte IT-Informationen vom Leben auf einem nicht porösen Planeten verständlich aufbereitet werden.

Was wird.

Am Rosenmontag, da feiern wir, Alaaf und Helau und so weiter. Oder auch nicht, dafür mit besserer Musik. Vor 60 Jahren aber sah das am Kölner Hauptbahnhof so aus, behutet und benässt. An eben diesem Tag wurde dem Präsidium der KPdSU ein 70-seitiger Bericht über Verfolgungen in der Sowjetunion vorgelegt, denn der 20. Parteitag stand vor der Tür, an dem Stalins Nachfolger Nikita Chruschtschow seine Geheimrede über den Personenkult und seine Folgen hielt. Die Generalabrechnung mit dem Stalinismus und dem Mord all derer, die nicht linientreu waren, erschütterte den "Ostblock". Die "zügellose Willkür", die er Stalin vorwarf, hatte Chruschtschow selbst bewiesen, als er als Parteichef der Ukraine 54.000 Menschen "in die nächste Welt" schickte. Jener Chruschtschow, der der Ukraine später die Krim schenkte und Amerika mit dem Sputnik schockte, der in seiner Sowjetunion eher beiläufig gefeiert wurde. Die vollständige Geheimrede wurde erst 1989 veröffentlicht und so gehört es zu den großen journalistischen Leistungen, dass Harrison Salisbury bereits am 16. März 1956 in der New York Times über die Rede berichtete und ihren Inhalt analysierte.

Diese kleine historische Erinnerung schaut in die Zukunft, ganz ohne Willkür, denn mit der sich abzeichnenden neuen NATO-Abschreckungspolitik, der russischen Aggression Einhalt zu gebieten, während Putins Held wieder in den Vordergrund tritt, wiederholt sich die Geschichte nicht, sie wird ganz originär zur Farce. Der Kalte Krieg 2.0 lässt grüssen.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. Vom Patriotismus, Pasta und Podemos.
Beitrag von: SiLæncer am 14 Februar, 2016, 07:00
Man erschreckt beim Blick in das, was Einstein als "gutes normales Bürgergemüt" beschrieb und das er des tierischen Hasses und Massenmordes für fähig hielt. Es braucht aber keine Gelegenheit, um Hass zu machen, befürchtet Hal Faber.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** m!l!ek! , m!l!ek! Der Nachweis der Gravitationswellen mittels einer direkten Messung derselben ist ein Ereignis, über das sich auch ein Pandabär in seiner Zwangsjacke unbändig freuen kann. Der Heisig, das Maskottchen von heise-Regulars bei Einstein@home, darf nicht fehlen beim fröhlichen Feiern in Hannover, wo doch Projektvater Heinz Billing fehlen musste. Nach all den Gerüchten bestätigte sich eine Theorie von Einstein, der selbst Zweifel hatte, als er die Ableitung aus seiner allgemeinen Relativitätstheorie formulierte. Damit sind längst nicht alle von Einstein gestellten Probleme gelöst. Wie wäre es, im Zeichen des 2. Kalten Krieges sich mit dieser Frage von Einstein nach den (deutschen) Patrioten zu beschäftigen?
"Man kann sich die Frage vorlegen: Wieso verliert der Mensch in Friedenszeiten, während welcher die staatliche Gemeinschaft fast jede Äußerung viriler Rauflust unterdrückt, nicht die Eigenschaften und Triebfedern, welche ihn während des Krieges zum Massenmord befähigen? Damit scheint es sich mir so zu verhalten. Wenn ich in ein gutes normales Bürgergemüt hineinsehe, erblicke ich einen mäßig erhellten, gemütlichen Raum. In einer Ecke desselben steht ein wohlgepflegter Schrein, auf den der Hausherr sehr stolz ist und auf den jeder Beschauer sogleich mit lauter Stimme hingewiesen wird; darauf steht mit großen Lettern das Wort 'Patriotismus' geschrieben. Diesen Schrank zu öffnen ist aber für gewöhnlich verpönt. Ja der Hausherr weiß kaum oder gar nicht, daß sein Schrank die moralischen Requisiten des tierischen Hasses und Massenmordes birgt, die er dann im Kriegsfalle gehorsam herausnimmt, um sich ihrer zu bedienen."

*** Nein, Einstein schrieb diesen in Deutschland zensierten Text nicht über die patriotischen Europäer mit ihrem hasserfüllten Programm, als er das Oberstübchen des Deutschen zu erklären versuchte wie die Verzerrung der Raumzeit. Als er sein Verhältnis zum Staate als eine Geschäftsbeziehung darstellte, wie man sie mit seiner Lebensversicherung hat. Was natürlich zuviel war für den Redakteur des vaterländischen Gedenkbuches, in dem sein Text erscheinen sollte, "zum Wiederaufbau der zerstörten ostpreußischen Heimstätten und zur Heerschau(!) der geistigen und sittlichen Führerschaft des gegenwärtigen Deutschlands".

*** Der ideale Journalismus, so steht es heute offline in der tageszeitung, ist wie Pastateig. Der kommt in eine Maschine, die stellt man ein und heraus kommen Fusili oder Paccheri, bzw. Feuilleton-Artikel oder Politisches von den Hohlnudeln. Das Ganze wird dann noch von Algorithmen geknetet und für diesen oder jenen Bildschirm optimiert. In das passende Social-Media-System eingetütet und fertig ist die perfekte Leserbindung, wenn sich ordentlich Kommentarsoße über den neuen Journalismus ergießt. Vor allem macht der ideale Journalist, die ideale Journalistin keine Fehler wie den, Bernie Sanders als selbsternannten Journalisten zu bezeichnen. Nun hatte ich den Fehler gemacht und Sanders in dieser kleinen Wochenschau als liberalen Politiker bezeichnet, der von anderen als Sozialist bezeichnet wird. Das kam erstens überhaupt nicht gut an und war zweitens falsch. Zumindest wenn man sich an Äußerungen von Sanders selbst hält, in denen er vom demokratischen Sozialismus schwärmt und erläutert, was er darunter versteht, in Anlehnung an Roosevelt. Als Alternative zu Hilary Clinton hat Sanders nun einen Erfolg errungen, während die direkte Clinton-Gegenspielerin Carly Fiorina| den Wahlkampf einstellte, nicht ohne junge Frauen daran zu erinnern, dass der Feminismus eine Gottesgabe ist. Wer sich nicht für den relativ abstrakten demokratischen Sozialismus interessiert, dürfte sich eher an seine Positionen zur Netzpolitik halten oder dafür interessieren, dass Sanders, anders als Clinton, gegen den Patriot Act und weitere Überwachungsgesetze gestimmt hat.

*** Wer sich indes für den demokratischen Sozialismus interessiert, dürfte mit Interesse den Start von DiEM 25 in Berlin für flüchtlingsfreundliche 12 Euro Eintritt verfolgt haben. DiEM ist eine Bewegung für eine europäische Erneuerung, die sich in etlichen Reden auf die Volksfront-Idee der 30er-Jahre bezog und damit vom Geiste Podemos erfüllt ist. Getragen von Politikern wie dem Griechen Yanis Varoufakis oder dem Australier Julian Assange, will die Bewegung für Demokratie in Europa laut ihrem auf der Website veröffentlichten Manifest viele Punkte verwirklichen, die dem demokratischen Sozialismus zugerechnet werden. Nun ging der Vorhang hoch, und viele Fragen blieben offen, weil jede(r) Reden abspulte und es eine Außenseiterin wie Gesine Schwan war, die auf die politisch zu erringenden Mehrheiten verwies. Das war gegen Varoufakis Absicht gesprochen, sich vor allem an die zu richten, die nicht mehr an Politik glauben. Schwans kluger Einwand kommt aus einer Partei, die mit einer gefährlichen Menschenmasse zu kämpfen hat.

*** Bemerkenswert der Beifall für den Aktivisten Jacob Appelbaum, der eine brauchbare Ende-zu-Ende Verschlüsselung für die DiEM-Aktivisten forderte, als ob die IT die Lösung aller Dinge sei. Das klang mehr nach Leninismus als nach einem demokratischen Sozialismus im europäischen Frühling. Da passte es ganz hübsch zum Aufruf, dass die Kämpfer des ersten Krypto-Krieges nach 17 Jahren ihre Liste der Krypto-Produkte aktualisierten und zeigen konnten, dass die USA und Deutschland beim Verschlüsseln weltweit führend sind. Ja, mit 112 Produkten ist Deutschland das Land abseits der USA, das vielfältige Produkte anbieten und technologische Souveränität im Sinne des aktuellen Regierungsprogrammes realisieren kann.

*** Appelbaum hin, Varoufakis her. Auch in diesen Kreisen ist Lenin im Zweifelsfall leider immer noch angesehener als ein Anarchist ("Unordnung, das ist Ordnung minus Macht") wie der französische Chansonier Léo Ferré. Schade. Da gäbs einiges zu lernen. Auch für DiEM-Aktivisten.

*** Mit Problemen besonderer Art kämpften Geheimdienstler, die sich auf der Münchener Sicherheitskonferenz ohne Beteiligung deutscher Geheimspitzen mit dem Problem der Verschlüsselung beschäftigten. Da sprachen sich alle für starke Verschlüsselung aus, aber auch für ein seltsam vage umrissenes Projekt, das "Verschlüsselungsproblem" zu lösen. Ausgerechnet der Niederländer Robert Antonius Cornelius Bertholee sprach über Privatheit und Sicherheit, während zu Hause bekannt wurde, dass die mit der Kontrolle der Dienste beauftragten Politiker keine Kontrolle über die Abhörpraxis von Polizei und Geheimdiensten haben. Das Gegenstück unserer deutschen G10-Kommission wird einfach ignoriert.

Was wird.

Der ideale Journalismus recherchiert auch, wenngleich es Grenzen für die formbare Pasta gibt. Man schreibt kein Manifest der Verantwortungsdemokratie für eine Partei, über die man berichten soll. Hass-Postings auf Facebook veröffentlichen, nur um im Sinne eines Benchmarks herauszufinden, ob Facebook diese üblen Postings rechtzeitig löscht, sind ein unzulässiger Grenzübertritt. In diesem Sinne könnte man Facebook sogar loben, wenn die rechte Hetze eingedämmt wird. Dabei ziehen die Neonazis und radikale Patrioten inzwischen zum russischen Vkontakte um, damit ungestört weiter gehetzt werden kann. Die fehlenden Privatsphären-Schutzeinstellungen stören dabei nicht, auch darf der Verfassungsschutz gerne mitlesen, Väterchen Russland sowieso. Der neue kalte Krieg kennt keine Grenzen, die sind nur was für Migranten und andere Schwächlinge.

Gesundheitskarte, EC-Karte, BahnCard, Presse-Ausweis, neuer Personalausweis – was fehlt in dieser Liste? Der Organspendeausweis? Nein, halt, der Datenspendepass muss her, damit man stilecht seine "krankheitsrelevanten Daten" überall hinterlassen kann, wo es Hoffnung auf Heilung gibt. Dieser bezaubernde Vorschlag kommt vom Hasso-Plattner-Institut und ist total praktisch. Eine Vorlage gibt es auch schon, sie wurde auf einem eHealth-Workshop des Bitkom von einem großen deutschen Softwarehaus verteilt, um zu testen, wie weit (der Verstand der Zuhörer ausgetrocknet ist) man gehen will im Datenrausch.

Quelle : www.heise.de
Titel: 4W: Vom Genießen und von inneren Qualen, vom Urfaschismus heute ...
Beitrag von: SiLæncer am 21 Februar, 2016, 05:51
Ist der Mac katholisch? MS-DOS protestantisch? Fragen, die für die Ewigkeit gedacht sind, wie der, der sie stellte. Hal Faber trauert schon wieder. Das Leben zu genießen ist manchmal schwer, nicht nur, wenn man Umberto Ecos Analyse des Urfaschismus liest.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Umberto Eco ist tot, der Mann, der alles untersuchte, was man zum Lügen verwenden kann. Er war ein Mensch, der sich besonders liebevoll mit der Medienzivilisation, dem Fernsehen und den Comics beschäftigte, man denke nur an die Analyse der Ohrläppchen all der Bösewichter, gegen die James Bond antreten musste. Auch mit den Sorgen und Nöten des IT-Alltags kannte er sich aus und gehörte zu denen, die nicht über das Internet jammerten, sondern frühzeitig Alphabetisierungskurse für all diejenigen forderte, die sich keinen Computer leisten können. All das natürlich vor dem Hintergrund des von ihm so geliebten Mittelalters, der einzigen Zeit, die er aus erster Hand kannte. Bekannt wurde er so mit seiner These, dass der Macintosh katholisch ist und MS-DOS für Protestanten gemacht wurde. Windows war für ihn eine prunkvolle anglikanische Erweiterung, immer drauf und dran, zum Irrsinn des DOS-Promptes zurückzukehren, wo der Benutzer gefangen ist in der Einsamkeit seiner inneren Qual. Der eine oder andere Informatiker wird sich zudem an die Verteidigung von Claude Shannon erinnern, dessen elementare Informationstheorie Umberto Eco für wichtiger hielt als die Relativitätstheorie von Albert Einstein. Sollte es Hal-Faber-Fans geben, so dürften sie sich daran erinnern, dass das von Umberto Eco in Basic geschriebene Gottesprogramm aus dem Foucaultschen Pendel mal Gegenstand eines Sommerrätsels war: Der Anagramm-Suchalgorithmus von IAHVEH sollte helfen, das Passwort des Computers Abulafia zu finden, wobei immer wahnsinnigere Methoden eingesetzt wurden, bis der Protagonist Casaubon Im Suff auf die Frage des Computers "Hast du das Passwort" einfach "Nein!" schrieb – und drin war.

*** Zuletzt protestierte Eco mit vielen anderen Schriftstellern gegen die zunehmende Überwachung der Kommunikation, wie sie im Zuge der NSA-Affäre vielen Menschen bewusst geworden ist. Denn Eco war nicht nur ein vergnüglicher Semiotiker oder ein Dan Brown für Leute mit Köpfchen, sondern auch ein politischer Mensch. Wer an diesem gammelig-kalten Sonntag Zeit und Muße hat, sollte seine hellsichtige Analyse des Urfaschismus lesen, die weitab von seiner Analyse der Kindheit unter Mussolini klarmacht, welche Einstellungsmuster hinter den rechtsradikalen Auswürfen stehen, die bei A wie AfD anfangen und bei P wie Politisch inkorrekt aufhören. Eine Kurzfassung findet sich in der englischen Wikipedia, doch es sind nur 14 Punkte, passend zum erwähnten Basic-Programm, die den Urfaschimsus ausmachen: Traditionskult, .Ablehnung der Moderne (1789 oder die 68er), Irrationalismus, Rassismus, Angst vor sozialem Abstieg, Nationalismus, ein Gefühl der Demütigung, der "Kampf" als Selbstzweck, gepaart mit einem Elitedenken, dazu Heldentum und Todeskult samt Waffenfetischismus und Populismus. Besonders dieser Populismus sollte zu denken geben, schrieb Eco doch schon 1995:
"Für ein gutes Beispiel des qualitativen Populismus bedürfen wir nicht länger der Piazza Venezia in Rom oder des Nürnberger Parteitagsgeländes. In der Zukunft erwartet uns ein TV- oder Internet-Populismus, in dem die emotionale Reaktion einer ausgewählten Gruppe von Bürgern als Stimme des Volkes dargestellt und akzeptiert werden kann. Aufgrund seines qualitativen Populismus muss der Urfaschismus gegen 'verrottete' parlamentarische Regierungen eingestellt sein. Wo immer ein Politiker die Legitimität eines Parlaments in Zweifel zieht, weil es den Willen des Volkes nicht mehr zum Ausdruck bringe, riecht es nach Urfaschismus."

*** Auch die Geschichte mit der Lügenpresse findet sich bei Umberto Eco, als letzter der 14 Punkte. Orwells Newspeak, wie in "1984" beschrieben, gehört zum Wesen des Urfaschismus, etwa als harmloser Neusprech vom "Gastrecht", getarnt und gepaart mit der unschuldigen Form schlichter "Tatsachen", die dann in Talkshows zum Schlechten gegeben werden.
"Alle Nazi- oder faschistischen Schulbücher bedienten sich eines verarmten Vokabulars und einer elementaren Syntax, um die Instrumente komplexen und kritischen Denkens im Keim zu ersticken. Aber wir müssen uns auch auf andere Formen von Newspeak einstellen, selbst wenn sie in der scheinbar unschuldigen Form einer populären Talk-Show daherkommen."

*** Dass Eco zu genießen wusste und sich mit gleicher Kennerschaft wie auf anderen Gebieten zum Essen zu äußern wusste, sei noch erwähnt, weil es das Bild eines der letzten Universalgelehrten vervollständig. "Wer der italienischen Küche in ihrer ganzen Vielfalt begegnen will, muss die enormen Unterschiede kennen", schrieb er, der die Unterschiede zu benennen wusste, um das Verbindende zu fördern. Ach, es bleibt halt erstmal doch nur die Trauer.

*** Mit seinem letzten Buch "Nullnummer" hat Umberto Eco für die einen einen Journalismus-Krimi rund um eine geklaute Diskette geschrieben, für die anderen ein Traktat über die Inszenierung von Nachrichten. Wer den Nachrichtenknaller dieser Woche verfolgte, das Drama von Apple und die Fragen rund um die Arbeit der FBI-Ermittler, wird angesichts der unklaren Informationslage unweigerlich an Ecos Verschwörungstheorien denken müssen. So gesehen ist die Warnung von Edward Snowden eine Kurzfassung der "Nullnummer".

*** Man kann versuchen, die Haltung von Apple als Marketing-Nummer lächerlich zu machen, wie dies das FBI tut. Dabei irritiert leicht, dass es durchaus Marketing sein kann, weil Apple als Firma erkannt hat, wie wichtig der Datenschutz für das Vertrauen der Kunden in die Produkte einer Firma sind. Wobei Vertrauen hier eine religiöse Kategorie ist wie der Glauben: Bei Apple-Produkten gibt es keine Möglichkeit der Überprüfung, wie es bei Open-Source-Hard- und -Software zumindest angedacht ist. Vor vielen Jahren (1971) schrieb E.A. Rauter zu einem anderen Produkt, das mit Vertrauen warb:
"Wenn Vertrauen und Glauben zu den höchsten Tugenden gezählt werden, müssen sie eine Notwendigkeit sein. Wo viel von Vertrauen die Rede ist, müssen viele da sein, die von dem Vertrauen einen Vorteil erwarten. Je lauter der Ruf nach vertrauen, umso größer die Zahl der Betrüger."

Was wird.

Flüchtlinge fuhren mit einem Bus mit der Anzeigetafel "Reisegenuss" aufs Beste versorgt ins sächsische Clausnitz. Dort demonstrierten "besorgte Bürger" gegen ihre Ankunft, was dazu führte, dass die Polizei einfachen unmittelbaren Zwang ausübte, um die angeblich provozierenden Flüchtlinge in ihre zugewiesene Herberge zu bringen, die von einem AfD-Mann namens Hetze geleitet wird. Das Kuschen der Polizei vor den "besorgten Bürgern" ist auf Video festgehalten, auch die Tränen kleiner Kinder, die Polizeiuniformen vorsätzlich durchtränkten. Die Tatwaffe der Flüchtlinge, ein riesiger gefährlicher Reisebus, ist sichergestellt.

Unter dem Motto "Migration und Sicherheit" wollen die Innenminister der Bundesländer in der anstehenden Woche auf dem europäischen Polizeikongress in Berlin über die Sicherheit der Polizei diskutieren. Die Unsicherheit und Angst der Flüchtlinge dürfte da kein Thema sein, schließlich berichtet der oberste Einsatzleiter von Frontex, wie sicher und geordnet alles abläuft beim Absaufen im Mittelmeer, mit neuen Rekorden bei den Flüchtlingskindern. Unter den Innenministern der Länder fehlt Sachsens Markus Ulbig (CDU), sonst eine feste Größe auf dem Kongress, der gerne für den verstärkten IT-Einsatz im "Ostverbund" der Landespolizeien wirbt.

Achja, die gute, zuverlässige vorherschauende IT mit ihrem vorhersagenden Wunderprogrammen der Predictive Analytics. Sie ist ein bisschen zu kurz gekommen beim Abschied von Umberto Eco. Dabei hatte der ja was übrig für die tollen Märchen der Künstlichen Intelligenz. Übe ich mich halt zum Abschluss mal in "Postdictive Analytics". Nie gehört? Das geht so: Ex-Innenminister Jörg Schönbohm tritt auf besagtem Polizeikongress auf. Er kann stolz sein, schließlich ist sein Sohn Arne Chef des BSI geworden. Vorher war Arne beim Cybersicherheitsrat Deutschland. Der hat nun einen neuen Ober-Cyber namens Philipp von Saldern. Unterstützt wird er ausweislich der Pressemeldung von Uwe Proll, dem Leiter des europäischen Polizeikongresses, der jetzt mit Jörg Schönbohm diskutiert. Wir nennen es "Cyber in a nutshell".

Genug vom Cyber-Tralala? Wie wäre es dann mit ein bisschen Couchkartoffel-Aktionismus, noch möglichst bis zum Ende dieses Monats? Frau von der Leyen (CDU) muss ja sparen und ist dankbar für jeden Tipp, während die deutsche Rüstungsindustrie mal wieder dank Herrn Gabriel (SPD) vor einem Alljahres-Rekord steht. Er wird als Genosse der Geschosse in die Geschichte eingehen und das ganz ohne dieses Cyber oder Blabla 4.0. Diese Welt ist halt doch ein fürchterlicher Platz, Baby. Das Leben manchmal wirklich ungenießbar.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. Von Zuckerbergen und Auswanderern
Beitrag von: SiLæncer am 28 Februar, 2016, 02:31
Ja, manchen erscheint Philantropie als letzte Rettung. Eigentlich ist es heutzutage aber vor allem Beruhigung des schlechten Gewissens. Hal Faber fragt sich, ob das die Welt besser macht - und ob ein leerer Bauwagen wirklich das Ende der Hoffnung bedeutet

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Er. War. Da. Mark Zuckerberg, der "Mann ohne Merkmal" (Süddeutsche Zeitung), der kleine Mann, ganz groß weilte in Berlin und joggte mit seinen Bodyguards durch die Stadt. Das herausragende Ereignis wird in den Fäuletons der Republik ausführlich gewürdigt, wie damals, als John F. Kennedy die Stadt besuchte und Peter Lustig der Toningenieur war, der seine Rede mitschneiden durfte. Eine ganze, tief schürfende Seite spendierte die SZ "dem Besuch", ein großes Foto vom Jogger Zuckerberg zierte die Morgenpost und die tageszeitung, die immerhin von einer "Lehrstunde in Sachen Filterblase" berichtete. Auch im Äther erschallte das Lob über den ersten Preisträger des Axel Springer Award, diesen Herrn "Sückerbörg".

*** Dabei wurde der Name des Laudators Peter Thiel deutsch gesprochen, während dieser über seinen lieben Freund Mark tönte, "er wollte ein Netzwerk bauen, das Menschen respektiert und wertschätzt". Kein Wort zum kaum gezügelten Hass auf Facebook, denn bittschön, die wirklich harten sind doch bei Putins vK und die Guten bei Facebook. Schließlich wurde auch noch Bill Gates hinzugeschaltet, der aus dem Häuschen war: "Mark, du und Priscilla, ihr bereitet den Weg für eine neue Generation von Menschenfreunden." Eine Generation von Freunden mit Firmen, die möglichst wenig Steuern zahlen und den Staaten dieser Welt die Geldmittel entziehen zum Erhalt einer solidarischen Infrastruktur und dann den Philanthropen rauskehren. Den teilnehmenden Journalisten sind vorab die Fragen verboten worden beim der Zuckerbergida-Demonstration, nur Leute des Axel Springer-Verlages durften "Anmerkungen" machen, etwa wie toll es ist, mit Zuckerberg Karaoke zu singen.

*** Eine der Festreden auf Zuckerberg hielt Martin Schulz, der Präsident des Europaparlamentes. Das war eine Bankrotterklärung des europäischen Gedankens, vorgetragen von jemanden, der vor gar nicht so langer Zeit mit Frank Schirrmacher über den technologischen Totalitarismus debattiert hatte. Aber bittschön, auch Bankrotteure haben ein Recht auf Leben und Meinung und dürfen die Innovation eines Mark Zuckerbergs mit der eines Carl Benz vergleichen. Dafür gab es dann Beifall von der deutschen Internet-Koryphäe Geesche Joost. Nicht zu vergessen die FC-Bayern-Quietsche-Ente von Dorothee Bär (CSU), der Auto-Testerin von Auto-Bild. Die Verleihung des Axel Springer Award stand unter dem Motto "Innovation", was etwas arg hoch gegriffen ist für eine Firma, die als studentisches Titten-Bewertungsnetzwerk enstanden ist. Am Ende spielten übrigens nicht Berliner Philharmoniker, sondern nur ein Quartett der Truppe und dann auch noch California Dreaming. Die verzweifelte Suche nach dem Knopf für das Abschalten half nicht. Tags darauf gab es noch ein Townhall-Meeting, ein Bürgergespräch, mit einer deutschen Pressesprecherin, die - was man eigentlich nicht für möglich hielt - noch hysterischer durch die Landschaft hopste als am Vortag, und mit vorgefertigten Fragen wie die vom Hasso-Plattner-Institut. Immerhin: Er. Ist. Weg.

*** Weg ist ein anderer, der im Land der Innovationen wirklich vermisst wird: Peter Lustig hat das Basteln an Unsinnsmaschinen wie Klaus-Dieter eingestellt. Zurück bleibt ein Bauwagen, viele trauernde Heise-Leser und die Erinnerung an eine politisch unkorrekte Zeit, als man im Kinderfernsehen Rotwein trinken durfte und bei einem Dreh mit Ton, Steine, Scherben fürs Fernsehen entdeckt werden konnte.

*** Wieder da ist ein anderer Bekannter, der für 30 Millionen Euro programmierte Staatstrojaner, der unmittelbar vor dem Einsatz stehen soll und die mitlauschende Quellen-Telekommunikationsüberwachung realisiert. Die Firma Syborg hat offenbar als Beraterfirma des zuständigen Bundeskriminalamtes ganze Arbeit geleistet und sich dabei selbst ordentlich aufgehübscht: Man nennt sich nun Cyborg Solutions, vertreibt aber nach wie vor SARS an die deutschen Behörden, ein Programm, dass unverschlüsselte Excel-Tabellen verschickt. Da geht noch was. Überhaupt sind abseits der juristischen Bedenken noch spannende Fragen zum Staatstrojaner offen, etwa die, wie das Programm installiert wird. So einfach wie beim Zoll und seiner ozapftis-Aktion wird es selten gehen, als ein Grenzbeamter mal eben mit dem Laptop eines verdächtigten Amphetamin-Schmugglers in einer "Umkleide" verschwand. Auch dürften die Steuerserver, zu denen die mitgeschnittene und dann verschlüsselte Kommunikation geschickt wird, wohl kaum wie damals in den USA oder Kanada stehen dürfen, sondern müssen schon in der deutschen Cloud versteckt sein. Andernfalls gibt es gute Chancen, das Beweismaterial für unzulässig zu erklären.

*** Apropos abhören: Durch neue Veröffentlichungen von Wikileaks wurde bekannt, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel im Jahre 2008 bei Telefonaten mit Ban Ki-Moon, Berlusconi und Netanjahu von der NSA abgehört wurde, als der Klimagipfel von Stockholm vor der Tür stand. Das von Wikileaks veröffentlichte Material stammt offenbar aus dem Fundus der Snowden-Dokumente, die sonst über The Intercept veröffentlicht wurden. Vielleicht erhöht Wikileaks die Schlagzahl bei den Veröffentlichungen, um mehr Aufmerksamkeit zu bekommen und das vermarkten zu können: Parallel zu den neuen Dokumenten kündigte man Wikilicense an, eine isländische Firma, die Namens- und Warenzeichen von Wikileaks und Julian Assange vermarkten will. Man denkt an Firmen, deren Waren mit Transparenz und Aufrichtigkeit assoziiert werden können. Wer fühlt sich nicht beim Anblick dieser Schuhe vom Deutschen Dr. Märtens an harte, kernige Kerle erinnert, die etwas einstecken können?

Was wird.

Alles wird gut. Und das geht so: Der Bundesnachrichtendienst überascht kurz vor seinem 60. Geburtstag am 1. April mit einer Nachricht, die leicht als April-Scherz durchgehen könnte. Danach soll der Vize-Präsident des BND den BND kontrollieren, damit dieser nicht wieder Leute wie die EU-Vertreterin Catherine Ashton abhört. Bis zu dieser abartigen Form der Kontrolle kann man sich an einem Dienst erfreuen, dessen Mitarbeiter schon mal die Ländervorwahlen verwechseln. Die an einer abstrusen Weltraumtheorie basteln können und IT-Fachleute haben, die die "Tiefen" eines Abhörsystems wie XKeyscore nicht verstehen und das darum seit Jahren in einem "Probe-Wirkbetrieb" läuft.

Im Zuckerberg-Getöse ging der Auftritt von David Gelernter am Google-Institut in Berlin etwas unter. Schließlich ist die Aufforderung Hört auf, den Computer zu lieben eher Peter-Lustig-Stil, auch wenn sich dahinter schlichte Werbung für das neue Buch von den Gezeiten des Geistes verbarg. Ein Informatiker, der die Tiefen des menschlichen Bewusstsein "vermessen" will und "vogelwild die Philosophie plündernd" gegen die technologische Singularität antritt, das hat was. Womit wir natürlich bei Microsoft gelandet sind, denn bei dieser Firma tritt mit Yuri van Geest ein Vertreter der Singularitäts-Universität auf. Im Vorfeld der CeBIT 2016 soll er für die "digitale Transformation von Unternehmen, Staat und Bildungssystemen" werben und daran erinnern, dass Microsoft auf der CeBIT 2015 ein Memorandum für ein digitales Wirtschaftswunder veröffentlicht hatte. Doch was sind schon Wunder? Jede hinreichend fortschrittliche Technologie ist bekanntlich nicht von Magie zu unterscheiden.

"Ich bin gebaut, für alle Arten von Weltraumtätigkeit, und ich kann selbständig oder mit Fernsteuerung arbeiten. Ich besitze genug eingebaute Intelligenz, um mit gewöhnlichen Hindernissen fertig zu werden und einfach Notsituationen zu bewerten. Meine derzeitige Aufgabe: Überwachung von Projekt Morpheus."

So sprach Hal 9000 als er noch Sokrates hieß, wie im Manuskript zu lesen. Tja, gestern war die Zukunft heute. Aber gemach: bald werden sie aufbrechen und uns unserem Müll draußen und in den Köpfen überlassen.

Quelle : www.heise.de
Titel: 4W:Von Einzäunungen & vom eierwollmilchsaulegenden Schicksalsjahr vor 60 Jahren
Beitrag von: SiLæncer am 06 März, 2016, 04:30
Freiheit, was ist das schon, wenn man sich stattdessen gemütlich hinter Stacheldraht einkuscheln kann. Hal Faber aber wird angesichts der Orbans und Seehofers dieser Welt wütend. Und erfreut sich an etwas seltsamer Historie.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** "Frei zu sein bedeutet nicht nur, seine eigenen Fesseln zu lösen, sondern ein Leben zu führen, das auch die Freiheit anderer respektiert und fördert." (Nelson Mandela) Den Orbans und Seehofers und Trumps dieser Welt ins Stammbuch geschrieben. Und den Pegida-Schreiern, die von der Welt noch so wenig gesehen haben, dass sie Freiheit nicht einmal buchstabieren können. Ebenso den Abmahnanwälten, die sich auch für nichts zu schade sind.

*** Tja, genau, was es nicht alles gibt. In dieser Woche habe ich gelernt, dass konstruktiver Journalismus der neueste Schrei ist. Er geht genauso wie diese Aufforderung zur "konstruktiven Kritik", mit der mich meine Lehrer in der Schule terrorisierten oder die Recep Tayyip Erdogan von türkischen Journalisten einfordert. Der neueste Schrei, ähem, der konstruktive Journalismus wird offenbar von Leuten betrieben, die beim "Aufzeigen von Lösungen" sich grafisch an das "Deutsche Wochenblatt zum Kampfe um die Wahrheit" anlehnen. Ich glaube nicht, dass diese kleine Wochenschau konstruktiven Journalismus betreiben kann. Schließlich sind wir Journalisten nach einer hübschen Gemeinheit von Karl Kraus immer diejenigen, die nachher alles vorher gewusst haben. Da halte ich mich lieber an die Historiker, diese rückwärts gekehrten Propheten (nach einem Kompliment von Karl Kraus). Denn diese verkünden ungemein konstruktiv, dass man 1968 vergessen sollte und 1956 der heiße Schrei ist.

*** 1956 landete Fidel Castro auf Kuba und Nelson Mandela im Gefängnis, im Treason Trial. Das ist eine glasklare historische Kausalität, und wenn man noch die in dieser Wochenschau bereits erwähnten Aktionen von Chruschtschow hinzurechnet, ist alles gorillaglasklar. 1956 ist das neue 1789, mindestens. Die Beweise sind erdrückend: Im Januar 1956 wurde beispielsweise bei der Allianz-Versicherung der erste IBM-Computer in Europa eingeschaltet, ein IBM 650, der meistverkaufte Computer seiner Zeit. Ja, auch der Z 11 ist ein 1956er, wenngleich von der nicht so erfolgreichen Sorte. Noch ein Indiz gefällig? Genau, "brennend heißer Wüstensand" ist das Stichwort und Freddy Quinns Superhit Heimweh die Antwort. 1956 nationalisierte Ägypten den Suez-Kanal und machte sich daran, zusammen mit Syrien die Vereinigete Arabische Republik zu gründen, woraufhin sich der Iran und Jordanien zu einem eigenen Pan-Arabien zusammenfanden. Die syrische Katastrophe von heute hat eine Vorgeschichte .... und viele unverhoffte Nebeneffekte.

*** Hach, dieses 1956 hat es wirklich in sich: Genau heute vor 60 Jahren verabschiedete der Bundestag das 2. Wehrergänzungsgesetz und das Soldatengesetz. Wenig später verabschiedeten die Parlamentarier, dass die neue deutsche Armee ab dem 1. April "Bundeswehr" heißen sollte, außerdem bekam Deutschland ein Wehrpflichtgesetz für Männer. Man war wieder wer mit einer ordentlichen Wehr, auch wenn das in Ostdeutschland gar nicht gerne gesehen wurde und das "Neue Deutschland" von einer "Diktaurvollmacht Adenauers" schrieb. Augen Geradeaus! Das unscheinbare Datum schrieb auch deutsche IT-Geschichte, denn inmitten der allgemeinen Aufrüstung gelangte ein Pöstchen namens "Rechentechnik" in den Verteidigungshaushalt der BRD, dotiert mit 50 Millionen DM. Computer und Krieg sind unzertrennlich. Von den 50 Millionen gingen 27 Millionen an die Deutsche Forschungsgemeinschaft, die das Geld an AEG-Telefunken und Siemens-Halske zur Lieferung von "Rechen-Großgeräten" weiterreichte: Die Zeit der universitären Basteleien mit der "Programmierbare Elektronische Rechenanlage München" oder der Göttingen 1 und 2 war vorbei, jetzt sollte die deutsche Industrie zeigen, was sie bauen konnte. So entstand die Siemens 2002 und später der TR 4.

* Ein Blick in die Geschichte der Bundeswehr zeigt, dass diese bereits im Schicksalsjahr 1956 im Juli an einem NATO-Manöver teilnahm, das im Raum Göttingen den Kampf gegen die Armeen des Ostblocks probte. 60 Jahre später ist das Blockdenken der NATO-Hardliner wieder hochmodern. Die eine oder andere Desinformation wird gestreut und das Putin-Verstehen für Fortgeschrittene bleibt auf die USA beschränkt. Was bei der NATO so passiert, wenn ein Nerd versucht, auf unsichere Passworte aufmerksam zu machen, gibt zu denken. Sieben Jahre Gefängnis wegen des Verrates von Staatsgeheimnissen, bei dem selbst das Urteil zum Staatsgeheimnis erklärt wird, damit eine Revision nicht möglich ist, so sieht das Lehrstück aus, wie Störenfriede mundtot gemacht werden. Übrigens mit tatkräftiger Hilfe durch Journalisten, die für den BND arbeiten und von Spähangriffen hochbezahlter Meisterspione fantasieren.

*** Bleiben wir doch im Wirtschaftswunderjahr 1956, wo das fröhliche, unbeschwerte Konsumieren oberste Bürgerpflicht war. In Nürnberg nahm das Informatik-System Quelle seinen Dienst in der "Paketfabrik" auf – und verhinderte ganz nebenbei, dass sich die neue Wissenschaft von der Informatik auch Informatik nennen konnte. In Abgrenzung von der Kybernetik, die Benzedrin- und Pervitin-süchtige Großtheoretiker entwickelten, sollte die Informatik als Ingenieursdisziplin bescheidener daherkommen. Hier hat sich in 60 Jahren doch viel getan, wie an dem aktuellen Brandruf der CCC-Sprecherin Constanze Kurz zu erkennen ist. Sie wünscht sich, dass Informatiker jetzt als öffentliche Intellektuelle auftreten, gar eine "neue Reflexionselite" stellen sollen. Also wortgewaltige IT-Habermase, die sich dem wohlfeilen Gerede vom Internet der Dinge widersetzen und sich nicht in den akademischen Kapitalismus fügen, der die abgehalfterte Soziologie als prekärer Beruf heute prägt.

*** Zu dumm aber auch, dass die gepriesenen Informatiker nicht den Mund aufmachen wie Émile Zola, sondern sich mit "myopischen Forschungsthemen" wie der klinischen Datenintelligenz beschäftigen. Folgt man der Stimme der deutschen Informatik, so ist die Schule daran schuld, weil sie Kinder nicht mit dem Bayduino spielen lässt. Ganz anders sieht das laut Kurz in Großbritannien aus, von wo aus bald eine Welle blendender Informatiker zu uns rüberschwappt, die obendrein als wache Intellektuelle den Massenprotest gegen das dortige Überwachungsgesetz anführen. Zum dumm nur, dass die große British Computer Society zur IP-Bill schweigt wie ein Plumpudding. Wenn überhaupt, dann äußern sich IT-Outsider wie Ross Anderson, der auch in der Lage ist, die Verdienste von Edward Snowden zu würdigen.

*** Ach ja, es geht voran, Geschichte wird gemacht. 1956 war das Jahr der beiden Aufnahmesessions, in denen das erste Quintett von Miles Davis zu ungeahnter Form auflief und vier klassische Jazz-Alben produzierte: "Cookin'...", "Relaxin'...", "Steamin'..." und "Working' with the Miles Davis Quintet". Ach ja. Eine ganz andere Form von Heimweh.

Was wird.

Konstruktiv kritisch schweift der Blick des Journalisten in die strahlende Zukunft, die auch nur ein handlicher Wochenkalender ist. Im lieblichen Hannover steht die CeBIT an und verbreitet bereits im Vorfeld viel feinen Fug mit Themen wie der D!conomy, mit D! wie Digitalisierung. Auch die "Datenklau-Verhinderungskunde" ist mit von der Partie, wobei dieser Übersetzungsvorschlag für Kryptologie im "Wörterbuch Fremd-Deutsch" etwas problematisch ist, denn sehr wohl können verschlüsselte Daten geklaut werden. Nur die Entschlüsselung kann verhindert werden, auf das man niemals erfahren kann, ob so ein iPhone einen gefährlichen schlafenden Cyber-Erreger enthält, ein Cyber-Pathogen, das hastunichtgesehen ganze Städte d!ahinrafft.

Sogar einen echten Stapellauf wird es auf der CeBIT geben, verrät uns das Programm der Cyber Global Conferences. Allerdings wird kein Schiff ins Wasser gelassen, sondern die eierlegende Wollmilchsau der Verschlüsselung präsentiert, die offenbar Eier, Wolle, Milch und Kotelett vor unberechtigtem Zugriff einschließt. Angeblich soll das Wort aus der Sprache der Bundeswehr-Soldaten kommen und seit 1959 belegbar sein, womit ein leichter Bezug zu 1956 gegeben ist. Die Zukunft ist auch mit von der Partie, denn da sind ja diese Cyber-Pathogene, die vom Tarnfleck im Cyberraum bekämpft wird. Ich freue mich schon auf den taffen EiLegWoMilSauInf, den Eierlegendenwollmilchsau-Infanteristen mit der dreifach gekordelten Maus am Halfter und dem zackig gebrüllten "Alt F4!!".

Quelle : www.heise.de
Titel: 4W: Von künstlichen Intelligenzen und einer unkünstlichen Messe
Beitrag von: SiLæncer am 13 März, 2016, 05:00
Romantizismen können nicht nur in der Musik gehörig nerven. Und doch gehören sie zu manchem Meisterwerk einfach dazu. So mag auch der unaufhaltsame Sieg der KI über den Menschen manch konservativ-romantisches Nebenher mit sich bringen, grübelt Hal Faber.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Manchmal konnte Keith Emerson einem ja schon auf die Nerven gehen mit seinen Romantizismen. Die bei Nice noch durch die Mitspieler gebremst, bei Emerson, Lake & Palmer aber durch den oft arg sentimentalen Greg Lake eher noch gefördert wurden. Aber das ist egal: Emerson ist einer meiner großen musikalischen Helden, der mit ELP nicht nur meine Musiklehrer davon überzeugte, dass es ein musikalisches Leben auch diesseits der Wiener Klassik und gewisser "neuzeitlicher Moden" gibt, sondern mich von Anfang an für sein Klavierspiel, seinen Synthesizer-Einsatz und seine Kompositionen begeisterte. Besonders mit Emerson, Lake & Palmer öffnete mir Emerson Gehörgänge einerseits in eine Musik abseits des alltäglichen Gedudels. Und andererseits zu etwas, das heutzutage immer noch, auch wenn die Anfänge bereits 100 Jahre her sind, seltsamerweise als "Neue Musik" bezeichnet wird. Lustigerweise waren für mich auch Punk à la Clash/Crass/AngelicUpstarts und ProgRock nach ELP/KingCrimson/GentleGiant-Art zwei Seiten derselben Medaille: Musik entgegen der wohlfeilen Harmlosigkeit, die sich zu dieser Zeit als Mainstream in der Rockmusik durchzusetzen begann. Nun ist Keith Emerson gestorben.

*** Was dagegen lebt, ist – entgegen aller immer wieder zu hörender Unkenrufe – die Künstliche Intelligenz. Denn ES ist passiert: Nach dem Sieg im Schach, nach dem Triumph des Thermomix beim Kochen hat der Computer den Menschen in Go geschlagen. Dabei hat der Computer Züge gemacht, über die professionelle Go-Spieler nur den Kopf schüttelten. Alles nur Mathematik, doch so bekommen wir eine Ahnung von einem anderen System, von einer "künstlichen Intelligenz" im Sinne des verbrauchten Wortes. Neben klugen Kommentaren, dass man ein neues Go vom Go-Computer lernen kann, sind die Apokalptiker aus dem Häuschen: "So, glaube ich, fühlt sich so ein Sci-Fi-Szenario an, in dem eine überlegene außerirdische Intelligenz die Erde angreift, und wir sind nicht schlau genug, ihre Strategie zu verstehen. Wir sehen, was sie tut, aber wir verstehen es nicht", heißt es, verbunden mit einem kleinen Rundschlag zu Computern, die selbst ihre Software schreiben, bevor sie auf die Reise gehen ins Universum. Denn wir sind halt doof, so als Spezies im Allgemeinen und als Programmierer im Speziellen. Wie sagte es noch Arthur C. Clarke? Ach, ich wiederhole mich.

*** Bis wir daneben stehen und über diese Computer mit dem Kopf schütteln, haben wir noch einige Möglichkeiten. Heute kann man beispielsweise in einigen Ländern Deutschlands darüber abstimmen, ob die Frauen zurück an den Herd geschickt werden und ob über die "Unglückszeit" des deutschen Faschismus geschwiegen werden soll. Als seien die Landtagswahlen eine Abstimmung über sie, bringt die tageszeitung ein großes Portrait über Angela Merkel. Die Lenkerin der Deutschland AG, die Pragmatikerin, die immer darauf achtet, dass die Maschine läuft, wird ausgehfertig gemacht für eine schwarz-grüne Zukunft. Die Partei, die einst im Jahre 1987 so große Angst vor dem Computer hatte, dass sie die Zahl auf 10 PC limitierte, ist längst auch technisch anschlussfähig geworden beim Liebäugeln mit dem Konservativismus.

*** Die Schlagzeilen, die Volkswagen in dieser Woche produzierte, zeigen die Auflösung genau dieser Deutschland AG, an der Merkels Herz hängt. Der längst überfällige Rücktritt des US-Chefs ist nichts gegen die Nachricht, dass man noch zum Jahreswechsel 2014/15 die Abgas-Software mit einem Update erweiterte, als die Untersuchungen gegen Volkswagen in den USA schon liefen. Die Folgen dieser Aktion, staatliche Auflagen zu ignorieren und auf eine kleine Strafzahlung zu hoffen, wird Konsequenzen für die besagte Deutschland AG haben. Da mag man noch so unbeschwert den Beginn der Bulli-Produktion in Hannover feiern oder auf die anderen Hersteller zeigen, es nutzt nichts. Um es in Verdrehung eines verdrehten Sloterdijk-Geraunes zu sagen: Hier entscheidet ein Autokonzern über den Ausnahmezustand.

*** Der US-Amerikaner Jacob Appelbaum hat auf einem Symposium über den Widerstand gegen Zensur und Überwachung entschieden, dass alle, die ihn als Online- oder Internet-Aktivisten und nicht als Journalisten bezeichnen, sein Leben gefährden. Denn damit würden sie suggerieren, dass er kein richtiger Journalist sei, was wiederum staatliche Dienste bewegen könnte, ihn mehr zu beobachten und zu verfolgen. Das ist eine starke These, die sich im Umfeld von Wikileaks gut macht, aber ansonsten merkwürdig bleibt. Bei Reporter ohne Grenzen gibt es das "Barometer der Pressefreiheit", das getötete oder verhaftete Journalisten und Online-Aktivisten ausweist. Elf in diesem Jahr getötete Jounalisten, 152 verhaftete Journalisten und 163 verhaftete Online-Aktivisten zeigen, dass es kaum einen Unterschied macht, wie die Etiketten beschriftet sind. Die Unterscheidung ist eher ein Tritt gegen die etablierten Medien wie dem Guardian, der New York Times und den Spiegel, die auf der Konferenz heftig kritisiert wurden.

*** Ohnehin ist manche Unterscheidung in diesen Tagen seltsam: Was soll man von dem Vorsitzenden des NSA-Untersuchungsausschusses halten, wenn er die Online-Aktivisten des Chaos Computer Clubs auffordert gemeinsam mit dem BSI (!) gegen "Putins Trolle" vorzugehen? Patrick Sensburg erkannte richtig, dass Verbote und Blockaden nicht helfen, weil sie Verstöße gegen die Meinungsfreiheit sind.
"Aber wenn beispielsweise das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik oder der Chaos Computer Club die Gerüchte und Seiten der Trolle enttarnten, hätten Bürger die Möglichkeit, sich unabhängig zu informieren und Informationen zu verifizieren."
Unabhängige Bürger-Informationen nach gemeinsamer Vorarbeit von Sicherheitsspezialisten und Hackern, die allen Ernstes erzerrte Informationen enttarnen können, das könnte anderswo als Vorzensur interpretiert werden. Zumal es gerade unter den Hackern illuminoide Typen gibt, die glauben, dass "The Con" uns alle in "Pinks" verwandeln will, indem fortlaufend unser "Slack" geraubt wird Dann schon lieber eine freie Presse mit unabhängigen Journalisten oder eben auch "Recherche-Verbünde" in denen Spezialisten mitarbeiten, ob Hacker oder Kryptologen.

*** Als Ronald Reagan, der Vorläufer von Donald Trump, in den USA zum Präsidenten gewählt worden war, wollte er nach Darstellung von Ken Adam den "War Room" im Weißen Haus sehen, den Adam für den Film Dr. Seltsam von Stanley Kubrick gebaut hatte. Ausgerechnet der ehemalige Schauspieler nahm das verschwörungstheoretisch höchst interessante Spektakel für bare Münze. Adams "War Room" ist Teil unserer Kultur geworden, auch die Bauten für die Bond-Filme werden in Erinnerung bleiben. Und nein, der neue Präsident Obama fragte nicht nach dem Adam-Raum. Nun ist auch Sir Ken Adam, der in Berlin geborene Klaus Hugo Adam, gestorben.

Was wird.

Hurra, hurra, es ist wieder soweit mit der CeBIT! Diese tolle IT-Messe da in Hannover wird gelauncht! Die Zeit der unterirdischen Pressemeldungen ist endlich vorbei, das sinnbefreite Geplaudere mit den Vertriebsmenschen kann beginnen. Weg mit dem Gefühl der verbauten Zukunft, denn die IT wird uns retten und alles strahlend und größer machen. Diesmal ist alles 4.0 und in XXL, wenn Günther Oettinger die Messe eröffnet hat. Der schießfreudige EU-Mann ist Optimist und freut sich in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung bereits auf das Jahr 2020, wenn die Fußball-EM ganz im Glanze des 5G-Netzes erstrahlt. Das Blatt lobt denn auch die CeBIT als größte IT-Messe der Welt und sorgt sich über alle Deutsche, die die CeBIT belächeln oder von den wilden Zeiten voller Standparties schwärmen. Ja, Deutschland muss einen "echten Sprung in die neue Welt des Internets der Dinge" machen und all die Trantüten überhüpfen, die da von "Datenschutz" reden und die Zwangssmartmeterisierung ablehnen.

Am zweiten Tag wird Angela Merkel von Wahlen befreit glücklich über die CeBIT gehen und sich das große Umkrempeln anschauen, Schweizer Stände besuchen, bei SAP, IBM und Microsoft Hallo sagen, das Internet der Dinge begucken, vielleicht in 3D einen Henkel ihrer Handtasche nachdrucken lassen und wieder nach Berlin verschwinden, achtsam von Sicherheitsleuten und Fotografen begleitet. Wenn Obama zur Industrie-Messe kommt, um Amerikas Erfindergeist zu unterstreichen, wird das sicher anders aussehen. Bis dahin freuen wir uns über den Start der deutschen Volksverschlüsselung, ganz ohne Hintertüren made by USA.

Es geht ja voran, dank der Flüchtlinge. Die haben ein ganz wunderbares Kerndatensystem, in dem Daten zusammengeführt werden, die in dieser Form eigentlich "wg. Datenschutz" verboten ist. Medizinische Daten, Sozialdaten, Finanzdaten und vieles mehr, das Ganze obendrein in eine "Sealed Cloud" gepackt. Und ist es nicht wunderbar, dass uns genau diese Big-Data-IT, die Flüchtlinge und Asylsuchende verwaltet, auch schützt vor gut gebauten Männern im kampffähigen Alter, die aus den Booten steigen. "Big Data enttarnt Terroristen unter Flüchtlingen", da sage einer noch etwas gegen Big Data. Sagt ja zu Sahra, es ist für unser aller Gesundheit das Beste, wenn alle Gesundheitsdaten zusammengeführt werden. Erinnern wir uns an AlphaGo: Sie wollen doch nur spielen.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. Von toten Göttern und Selbstradikalisierern.
Beitrag von: SiLæncer am 27 März, 2016, 07:32
Aufklärung, französische Revolution, Weltkriege und Privatsphäe: Was für seltsame Assoziationen so eine österliche Sommerzeit doch erzeugt. Auch eine Rückkehr in vordemokratische Zeiten klingt an - was Hal Faber aber weniger mit der Sommerzeit verbindet.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Hach, immer diese Sommerzeit mit den WWWW-Verspätungen und der Diskussion über die Sommerzeit, mithin doch ein Triumph der Aufklärung und der Veränderungslust über das dumpfe Weiterwursteln. War es nicht der amerikanische Revolutionär Benjamin Franklin, der in seiner Denkschrift an den Pariser Magistrat den eingesparten Kerzenverbrauch berechnete? Etwas billig auch der gern wiederholte Versuch, die Sommerzeit als Produkt des Krieges hinzustellen. Dagegen muss man klar und eindeutig gerade zum Naschfest Ostern festhalten, dass die Sommerzeit 1911 bei uns in Berlin erfunden wurde, um abends im Tageslicht nach getaner Arbeit ein längeres Privatleben im Hellen haben zu können. Die "Sehnsucht nach Sonne", die von der "Sarotti-Zentrale für Einführung einer deutschen Sommerzeit" propagiert wurde, war mehr als ein Werbetrick, zu dem nach dem Krieg der kolonial kodierte Sarotti-Mohr hinzukam, das Schokoessen zu fördern. Was Benjamin Franklin gefreut hätte, der im Bürgerkrieg seine Offiziere mit Schokolade versorgte, damit ihre Truppen härter für die amerikanische Demokratie kämpfen können.

*** "Those who would give up essential Liberty, to purchase a little temporary Safety, deserve neither Liberty nor Safety."

*** Von Tag zu Tag wird Benjamin Franklins Satz etwas wahrer, denn es mehren sich die erschreckten Kleingeister und die verschlissenen Innenminister, die wesentliche Elemente der Demokratie aufgeben wollen, wie es der Datenschutz ist, nur um ein bisschen temporäre Sicherheit zu erkaufen. Hier geschieht Übles, da hat die gern tot gesagte Piratenpartei völlig recht, wenn abgelenkt wird vom Thema, warum der Datenabgleich zwischen den europäischen Polizeibehörden nicht funktioniert hat, warum die Türkei mit den Niederlanden und nicht mit Belgien zusammenarbeitete. Ganz zu schweigen vom Kommunikationsproblem der Polizei im flandrischen Mechelen mit der französischen Antiterrortruppe. Nun soll auch der dritte Terrorist des Bombenattentats auf dem Flughafen Zaventem erkannt und festgenommen sein, wie alle anderen längst in einer polizeilichen Datenbank registriert. Eine hübsche Pointe ist auch die Tatsache, dass Teile der Polizei offenbar über Whatsapp kommunizierten, weil das Sicherheitsnetzwerk mit dem hübschen Namen ASTRID wegen der vielen Rettungseinsätze überlastet war.

*** So war es wieder an der Zeit, dass wir "informiert" wurden von Medien, die selten etwas wichtiges wussten und ihr Gebrabbel in in Panikgewittern vor den Absperrungen zum besten gaben mit der Erkenntnis, dass jetzt "Krieg" ist. Nein, es ist nicht Krieg, es ist Ostern im Rückzugsraum Deutschland und die Christen feiern die Aufersteheung ihres Gottes mit Schoko-Osterhasen und Krokant-Ostereiern. Der eine oder andere wird beim Abpellen der Alufolie vielleicht trübsinnig die Frage stellen, wie tot Gott ist mit den verzweifelten Menschen in Idomeni, dieser konstruktiven Lösung da im Schlamm. Hilft es da schon, wenn ein Papst ein paar Füße wäscht und die Konkurrenz den Terror kurzerhand zur Gotteslästerung erklärt? Ich habe da meine Zweifel, aber halt auch keinen Draht für übernatürliche Wesen, die im Zweifel einen Kopfschuss mit dem Glauben an den richtigen Gott legitmieren.

*** Diese Zeilen entstehen vor dem großen Eiersuchen an einem historischen Tag: Vor 40 Jahren schickte Queen Elizabeth II anlässlich eines Truppenbesuches unter dem praktischen Userinnennamen HME2 ihre erste E-Mail ins Arpanet. Damals wurde ein Computer in Malvern angeschlossen, nachdem das Rutherford-Atomlabor wegen der Messdaten russischer Atombombentests schon früher dran war. Besonders persönlich war die E-Mail nicht gehalten, doch die Geschichte ist dennoch interessant, wie bei Peter Kirstein zu lesen ist: Unter den 5Eyes gab es keine Angst vor amerikanischer bzw. britischer Dominanz der Technik. So wurden die Grabenkämpfe vermieden, die in Deutschland und Frankreich geführt wurden. Militär und Wissenschaft profitierten davon.

*** Edward Snowden hat die moderne Zusammenarbeit der 5Eyes aufgedeckt und würde es wieder tun, nur mit der Tat nicht so lange warten, wie er es getan hat. Wie lange er die Tat vorbereitet und geplant hat, diese eminent wichtige Frage wurde auch beim Gespräch zwischen Greenwald, Chomsky und Snowden nicht aufgeworfen. Auch Glenn Greenwald würde wieder so handeln, wie er gehandelt hat und Snowdens Dokumente weiterhin in homöopathische Dosen verabreichen, von denen er und die angeschlossenen Publikationen noch jahrzehntelang zehren können. So bleiben die Snowden-Archive bis auf Weiteres zu großen Teilen verschlossen, wie übrigens auch die Einschätzung der US-amerikanischen Geheimdienstaufsicht Verschlusssache ist, ob Snowdens Dokumente überhaupt einen Schaden angerichtet haben. Jede Schadenseinschätzung wäre geeignet, die Arbeit der Dienste zu enthüllen, eine Formulierung, die auch in Deutschland wohl bekannt ist: Ist der Bundestag wirklich von Tophackern russischer Geheimdienste gehackt worden? "Aus der Kenntnis der von Ihnen begehrten Informationen könnten sich unter Umständen Rückschlüsse ziehen lassen ..." Aus Schaden wird man klug ist ein alte, nutzlose Volksweisheit.

*** Edward Snowden ist über Umwege zu den Geheimdiensten gekommen. Er hat in Genf gearbeitet und schließlich als Mitarbeiter von Booz Allen Hamilton IT-Systeme der NSA betreut, bis er sich im Dienst selbstradikalisierte. Seine ursprüngliche Entscheidung für diese Karriere entstammt einem Informatikstudium, nachdem er als Armeeanwärter nach einem rätselhaften doppelten Beinbruch ausgemustert wurde. Bis heute sind die Militärdokumente nicht einsehbar, denn sie würden – (erraten?) – geeignet sein, die Verteidigungsbereitschaft der USA zu unterhöhlen. Während in Dresden die Frühgeschichte des BND mit vielen Waffen und Dokumenten gezeigt wird, wurde in Hamburg eine Fotoausstellung zur Geschichte des Dienstes eröffnet, der nächste Woche Geburtstag feiert. Zur Eröffnung sprach BND-Chef Gerhard Schindler Klartext über ITler und ihren Traum von toller Arbeit: "Bei den ITlern ist es oft so, dass sie deshalb gerne zu uns kommen, weil sie das machen dürfen, was sonst gesetzlich verboten ist." Es ist ein trauriges Statement über eine Branche, sie sich mit seltsamen Theorie über ihren gesetzlichen Rahmen hinwegsetzt, das höchstens deshalb positiv gedreht werden kann, weil auch in Deutschland Selbstradikalisierungen denkbar sind, drei Jahre nach Snowden.

Was wird.

Obama war als Vorgruppe der Rolling Stones auf Kuba, bald kommt er ohne sie zur Hannover-Messe nach Deutschland, schließlich haben wir die fast genauso rüstigen Scorpions. Obama kommt als Botschafter des guten TTIPs. Die Sicherheitsmaßnahmen sind angelaufen. Unbewachte Parkplätze zur Übergabe unbedachter Kolumnen stehen ab sofort unter verschärfter Beobachtung, deutsche Chlorhühnchen haben Flugverbot und im benachbarten Wolfsburg werden sogar die Pedale von Volkswagen demontiert, damit sie den Präsidenten nicht vergiften können. Alles Lüge? Aber nicht doch, es ist einfach konstruktiver Journalismus, der den Leser nicht apathisch zurück lässt, sondern Handlungsalternativen zeigt. Her mit der Flagge und den Jubelklängen! Flagge raus, wenn gleich nach der Verleihung der Big Brother Awards gleich nebenan in Bielefeld die 1. europäische Bürgerinitiative zur Demonstration in Hannover aufruft, das reinheitsgebotene Bier zu schützen. Das mächtige Bayern steht hinter uns. Wer solche Freunde hat ...

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. Vom Löschen, Tauschen, Spielen.
Beitrag von: SiLæncer am 03 April, 2016, 03:56
Ach ja. Deutsch sein. Dazu gehört wohl, machmal peinlich, manchmal übereifrig, immer aber sehr bemüht nach Definitionen dieses "Deutsch seins" zu suchen, befürchtet Hal Faber. Nein, relaxed, das gehört wohl eher nicht dazu. Ausgechilled vielleicht schon.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Satire darf alles, doch was ist Satire? Einen Menschen mit den Worten "Sackdoof, feige und verklemmt" zu bezeichnen, gehört in den Bereich der Schmähkritik, wobei es wirklich nicht hilft, diese Schmähkritik ausdrücklich als Satire zu bezeichnen. Insofern war es kein gelungener Aprilscherz des Zweiten Deutschen Fernsehens, einen Beitrag von Jan Böhmermann zu löschen, sondern eine schlichte juristische Notwendigkeit. Allenfalls stellt sich hier die Frage, wieso die Aufzeichnung der "Parodie einer Schmähkritik", die als lupenreiner Rassismus einherkommt, überhaupt gesendet wurde und die gereimte Dümmlichkeit keinem ZDFler auffiel. Spätestens bei "Recep Fritzl Priklopil" hätten alle Warnlampen angehen müssen, was die bekannten "Grenzen der Satire bei uns in Deutschland" sind.

*** So gesehen ist es ein trauriger Zwischenfall, der das eigentliche Problem verdeckt: Nach dem Beleidigtsein eines Erdogans nach Ausstrahlung einer gelungenen Musiknummer müsste grob gefragt werden, was das für eine Flüchtlingspolitik ist, die einen Politiker wie Erdogan als demokratischen Partner Europas hofiert. Das ist das eigentlich Verwunderliche beim "Tauschgeschäft", nicht Erdogans Verwunderung, darüber dass ein Land wie Deutschland, das Flüchtlingsrechte ignoriert, beim Presserecht keinen Spaß kennt.

*** Doch hach, wir sind längst weiter, schon beim nächsten Aufreger, was es ausmacht, ein Deutscher zu sein und was daran peinlich gefunden wird und wie man von Hitler profitieren kann. Wieviele Flüchtlinge und Jahre braucht man eigentlich, dass dieser Unsinn mit den Definitionen des Deutsch-Seins aufhört?
"Früher oder später wird das Asylrecht für politische Flüchtlinge abgeschafft. Es passt nicht in die Gegenwart. Als die bürgerliche Ideologie Freiheit und Gleichheit noch ernst nahm und die ungehemmte Entwicklung aller Individuen noch als Zweck der Politik erschien, mochte auch der politische Flüchtling als unantastbar gelten. Das neuere Asylrecht gehörte zum Kampf des dritten Standes gegen den Absolutismus, es beruhte auf der Solidarität des westeuropäischen Bürgertums und seinesgleichen in zurückgebliebenen Staaten. Heute, wo das in wenigen Händen konzentrierte Kapital zwar in sich gespalten, aber gegen das Proletariat zur solidarischen und reaktionären Weltmacht geworden ist, wird das Asylrecht immer störender. Es ist überholt. Soweit die politischen Grenzen Europas nicht gerade den Interessensdifferenzen von gegnerischen, mehrere Nationen umspannende Wirtschaftsgruppen entsprechen, fungieren sie fast bloß als allgemeines ideologisches Herrschaftsmittel und als Reklamemittel der Rüstungsindustrie."
Das schrieb der politische Flüchtling Max Horkheimer unter dem Pseudonym Heinrich Regius in "Dämmerung", seinen Notizen über Deutschland zum Abschied aus Deutschland. Eine erhellende Kurz-Analyse, was den Ursprung des politischen Asylrechts anbelangt, erhellend aber auch die Sicht auf ein Europa, in dem Wirtschaftsinteressen Vorfahrt haben vor den Menschenrechten.

*** Das Horkheimer-Zitat gemahnt zum Tode von Hans-Dietrich Genscher auch an seine Balkon-Rede in der Prager Botschaft, schließlich glaubte Genscher mit dem Zusammenbruch des Ostblocks, dass Fragen nach einem politischen Asyl bald der Vergangenheit angehören werden. Selbst ein Genschman konnte die Welt nicht zum Allguten hin verändern.

*** In Amerika angekommen, schrieb Horkheimer basierend auf seinen Vorlesungen an der Columbia University die "Kritik der instrumentellen Vernunft". Das Werk ist eines der Bücher, die das verquere Verhältnis des Menschen zur Natur kritisierte, die von instrumentell denkenden Menschen restlos ausgebeutet wird. Die Warnung vor der Technik und den nur auf die Technik fixierten Fachwissenschaftler wird verständlich angesichts der Kriegsspieltheorien, mit denen damals Kybernetiker wie Herman Kahn und John von Neumann erste Entwürfe für den zu erwartenden Nuklearkrieg voraus dachten – nicht zu vergessen John Nash. Damit schwenkt diese kleine Wochenchau wieder in die überschaubare Welt der IT ein, denn mit dem IBM-Ingenieur Max Woitschach gibt es einen, der die Spieltheorie aufgriff und als Unternehmensplanspiel weiter entwickelte. Sein Werk wird nun wissenschaftlich erforscht, seine Kritik der unreinen Vernunft steht noch aus. Manager, die spielerisch Entscheidungen üben und dabei von Computern und Big Data hantierten, waren vor 40 bis 50 Jahren bei allen westdeutschen Firmen hoch im Kurs: Für die Bundesrepublik sind 117 Unternehmensplanspiele nachgewiesen worden, die bei Bull Deutschland, Hoechst, IBM oder Siemens ausdauernd gespielt wurden. Eine besondere Rolle "spielte" dabei IBM, weil ihre Unternehmensspielsoftware Topic-1 gratis mit den Computern ausgeliefert wurde. Wer heute über Serious Gaming oder etwas Ökolopoly schwadroniert, vergisst diese Wurzeln. Die modischen Floskeln von einer Kultur des Scheiterns, Ausprobierens und Lernens, mit denen der Spiegel heute um sich wirft, haben alte Vorgänger.

*** Zurück zu den Wurzeln will man auch im Bundesinnenministerium, wobei es hier um west- wie um ostdeutsche Ministerialgeschichte geht. Nach Arbeiten über die braunen Wurzeln des Bundeskriminalamtes und die schattige Geschichte des Bundesnachrichtendienstes ist es an der Zeit, über die Ministerien zu forschen, die sich mit der Bevölkerungskontrolle in allen Aspekten befassten. Die Absicht ist vorbildlich formuliert: "Wie viele Mitarbeiter mit Nazi-Vergangenheit hatte das Bundesinnenministerium (BMI) in der Zeit nach dem zweiten Weltkrieg? Wirkte sich eine ehemalige NSDAP-Mitgliedschaft auf die deutsche Innenpolitik der Jahre 1949-1970 aus?" Man könnte die historischen Frage auch ruhig auf die Jetztzeit ausdehnen: Wer dachte sich eigentlich im BMI das Konzept des Staatstrojaners aus? Die Antwort, ob dieses Tool rechtmäßig ist und nicht gegen das Grundgesetz verstößt, wird ja mit Spannung erwartet. Am 20. April will das Bundesverfassungsgericht seine Entscheidung bekannt geben und mündlich begründen.

Was wird.

Womit wir schon hopplahopp in der Zukunft sind. Schluss ist's mit den elenden Aprilscherzen und den scherzbehafteten Jubiläen, mit Tay-Sprüchen und Anwürfen gegen die Künstliche Intelligenz. Wobei der schönste Aprilscherz diesmal von der "Süddeutschen Zeitung" kam, deren Chefredakteur Kister stolz auf den Titel "Gutmenschen-Prawda" ist:. Zum 1. April gab es unter dem Titel "Radikale Roboter" den gut gemeinten Ratschlag, wie beim Turing-Test der falsche Mensch enttarnt werden kann: "Fragen Sie ihn, was sich hinter und neben ihm befindet. Das kapiert er nicht." Das kapieren Computer nicht. Wenn sie antworten, dass neben ihnen und hinter ihnen weitere Racks stehen, haben sie sich enttarnt.

Ein Jubiläum gibt es noch: Heute vor 20 Jahren wurde der Unabomber Ted Kaczynski verhaftet, nachdem sein "Manifest" gegen die Künstliche Intelligenz und andere Technologie-Gefahren veröffentlicht worden war. Seine Schwägerin und sein Bruder erkannten ihn am Schreibstil. Zu diesem Jubiläum startet am Donnerstag in Dortmund die Ausstellung Vigilanten und Whistleblower, die Kaczynski umstandlos den "Figuren des digitalen Widerstands" zurechnet, die sich auf eine "höheres Recht" berufen wie etwa Edward Snowden und Chelsea Manning. Das ist zwar völliger Unsinn, aber eben auch künstlerische Freiheit, die dieses unsere Land auszeichnet. Der Informatiker und KI-Forscher David Gelernter, dem Kaczynskis Bombe eine Hand, ein Auge und einen Lungenflügel zerstörte, warnte unlängst in der Zeitung vor dem "Gehirn des Golems" und unbesonnenen Eingriffen in die Physiologie von Geist und Bewusstsein. Tempora mutantur, nos et mutamur in illis.

Es gibt aber auch Konstanten, die ihresgleichen suchen: Fern am Horizont, doch schon Ende des Monats stattfindend, taucht das Vintage Computer Festival Europe auf. Es wird zum letzten Male im schrägen Setting der Mehrzweckhalle des Eisenbahnsportlervereins München-Ost stattfinden: Am Tag nach dem proletarischen Kampftag wird das Gebäude abgerissen, damit schicke Lofts, Penthäuser und Latte-Schlürfstuben entstehen können. Beim Hipster-verdächtigen Thema "Was mit Medien" ist natürlich der Jubiliar Apple mit von der Partie, mit einem Gerät, von dem Admins heute noch schwärmen. Repariert wird nicht mehr, Geschichte wird gemacht.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. Von hehren Zielen und bitterem Scheitern
Beitrag von: SiLæncer am 10 April, 2016, 10:45
Ein Land in Mittelamerika ist in aller Munde, auch in Hal Fabers. Doch während die einen daran arbeiten, ihn ins rechte Licht zu rücken und die anderen verkrampft das Haar in der Suppe suchen, erinnert er daran, dass die EU die Münder schließen will.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Oh, wie schön ist Panama, jenes Land der Kindheit, das man niemals verlassen möchte. Ganz anders als dieses Land zwischen Süd- und Mittelamerika, in dem die Veröffentlichung der Panama Papers keine Konsequenzen hat. In dem man von einem "perversen Angriff auf unsere Nation" spricht und gleichzeitig stolz ist auf das moderne Gesetz zu den "Sociedades Anónimas", das man 1984 von der US-Steueroase Delaware 1:1 kopierte. So entstand die laute und dreckige Panama City, von der Lufthansa gerade zum Reiseziel des Monats gekürt. Dort sitzt die von dem Deutschen Jürgen Mossack gegründete Kanzlei Mossack Fonseca in einem Gebäude zusammen mit einer Privatklinik, in der sich kranke Klienten behandeln lassen können.

*** 11,5 Millionen Dokumente, insgesamt 2,6 Terabyte Daten, die mit Hilfe der Optical Character Recognition aufgetürmt wurden, was den Software-Lieferanten Nuix vor Stolz fast zum Platzen bringt. Das ist nicht alles. Angeblich 400 Journalisten arbeiteten insgeheim an dem Mordstrumm, natürlich über das Internet verbunden und verschworen. Nach den Offshore-Leaks von 2013 mit 86 Journalisten und 260 Gigabyte Daten hat das ICIJ einen neuen Rekord gesetzt und zeigt dies mit einem Spielchen. Die zusammen arbeitenden 400 Journalisten sind also Helden. Denn sie stellen das her, was die tageszeitung als neue Weltöffentlichkeit feiert:

"Die aktuelle Enthüllung ist nicht die erste des Netzwerks, aber die wahrscheinlich komplexeste, die je von investigativem Journalismus geleistet wurde. Einzelne Redaktionen könnten einen solch gewaltigen Datensatz in seinem globalen Kontext niemals entschlüsseln. Seit einigen Jahren finden Journalisten erfreulicherweise Antworten darauf, wie sie zur vierten Gewalt in einer Weltgemeinschaft aufsteigen können."

*** Große Worte, die noch größer werden, wenn Hans Leyendecker, der 500-Pfund-Gorilla des investigativen Journalismus seine Lehre vom Schmutz aufschreibt, gegen die Putin-Versteher, die die Veröffentlichungen mit der Gleichschaltung der Presse unter Goebbels vergleichen oder gegen die Informations-Verbieter.

"Eine wirklich gute Nachricht ist, dass Journalismus funktioniert, obwohl es ihm ökonomisch an vielen Orten nicht gutgeht. Hunderte Journalisten aus aller Welt, aus unterschiedlichsten Kulturkreisen, haben sich zusammengetan, um die große Geschichte mit den vielen Details aufzuarbeiten. Sie haben miteinander, und nicht gegeneinander gearbeitet, und ein Jahr lang dichtgehalten. Für viele ist es die Geschichte ihres Lebens, und sie werden dranbleiben. Mag der Teufel wissen, welches Motiv jeder einzelne von ihnen hat. Aber gemeinsam tun sie etwas für Aufklärung und gegen ungerechte Verhältnisse."

*** Gegen ungerechte Verhältnisse veredeln die Journalisten die Arbeit von Whistleblowern zu Erkenntnis-Wunderwerken, wenn sich die Politik weigert, Whistleblower anzuhören. Eine schöne Vorstellung, die mit der Realität wenig gemein hat. Denn ausgerechnet Europa, das über die Steueroasen und ihre Bankgeheimnisse schimpft, steht in der nächsten Woche vor der Abstimmung über eine neue Richtlinie zum Schutz vertraulicher Geschäftsinformationen und vor rechtswidrigem Erwerb sowie rechtswidriger Nutzung und Offenlegung, die dieser Form des aufklärerischen Journalismus den Garaus macht. Deswegen gibt es seit über einem Jahr Proteste und Kritik von mehr als 400 Journalisten. Während der Präsident des Europaparlamentes davon schwadroniert, dass Steuerhinterziehung unsere Gesellschaft zerfrisst, kann man bei den den "Lux-Leaks" sehen, wie es mit dem neuen EU-Gesetz aussehen könnte, weil Luxemburg sich auf einen ähnlichen Paragraphen beruft. Dort ist nicht nur der Whistleblower, sondern auch der Journalist angeklagt. Die Verhandlungen beginnen am 28. April.

*** Die Nachricht von den Panama Papers animierte die deutsche Piratenpartei zu frohlockenden Prognosen über ihre isländische Schwesterpartei, die mit Birgitta Jonsdottir bei vorgeschobenen Neuwahlen die Ministerpräsidentin stellen könnte. Die Regierung überstand zwar die Misstrauensabstimmung, doch bei den Piraten gibt man sich siegesgewiss als Hacker unserer bisherigen überholten Regierungssysteme.

*** Buch macht kluch, sagt der Volksmund. Doch jedes Buch hat einmal ein Ende, wie auch das Bücherschreiben. Der große schwedische Schriftsteller Lars Gustafsson ist tot. Mit seinem Aufruf für Informationsfreiheit als Bürgerrecht war Gustafsson ein Unterstützter der schwedischen Piratenpartei. Er betrieb ein Schreibprogramm ganz eigener Art. Übersetzer von Rilke und dem großen Seamus Heaney. Autor von Büchern und dem unverzichtbaren "Handbuch für das Leben". Mit seiner Erzählung über die Tennisspieler hinterlässt er eine der schönsten Computergeschichten in der Literatur. Da wird der Computer des Luftfahrt-Kontrollzentrums der Air Force von Fort Worth benutzt, um Bücher von Strindberg und Pietziewzskoczsky in Gödelnummern umzuwandeln, damit sie à la mode de Vroniplag vergleichbar werden. Das Resultat ist unbekannt und liegt in einem einsamen Computer, der womöglich immer noch rechnet. Mit seiner Logik der Toleranz gab Gustafsson zuletzt nicht nur den Philosophen einen hübschen Zweisatz als Denkaufgabe.

"In Fragen der Vernunft und der Freiheit haben Gesellschaften genauso wie Individuen eine klare Antwort zu geben. Sie müssen sich entscheiden. Es gibt hier keinen Mittelweg. Das gilt für die Bürger eines Landes genauso wie für die Zugezogenen."

*** Während Gustafsson sein Buch über die schwedische Piratenpartei und die Verfasstheit von Schweden nicht mehr schreiben kann, gibt es zumindest in Deutschland einen Versuch, das Geschehen rund um die Piratenpartei zu reflektieren. Die Geschichte der Affenschande soll gedruckt werden, wenn Politik als Notwehr finanziert ist. Das Erbe der Piratenpartei ist jedenfalls keine Stange Geld, das nach Panama verschoben werden muss, nur eine bittere Erkenntnis mit dem piratenüblichen Schuss Megalomanie:

Die Piratenpartei, wir alle haben es vergeigt. Wir haben das Projekt in den Sand gesetzt. Und das ist eine Affenschande: Es gab ein Zeitfenster, in dem alles möglich schien. Wir trieben die etablierte Politik für einige Monate vor uns her. Beobachter wie Akteure: Alle waren sich einig, dass sich im parlamentarisch-politischen System dringend etwas ändern muss, und eigentlich war das unsere Aufgabe."

Was wird.

Es geschieht nicht alle Tage, dass ein Geheimdienst sich unter die Verbraucherschützer mischt. Ausgerechnet der britische GCHQ, anerkanntes Mitglied der "Five Eyes" äußerte sich besorgt über die Einführung von Smart Metern in Großbritannien, weil diese intelligenten Stromzähler allesamt mit demselben Schlüssel verschlüsselt wurden. Wie die Best Practice in Deutschland angesichts des Smart-Meter-Zwangs aussieht, will ein Workshop des CAST in der anstehenden Woche klären.

(http://1.f.ix.de/imgs/18/1/7/8/8/2/9/0/EDRI-db79d18bfe9e421b.png)
Wissenschaftler haben mit ihren wissenschaftlichen Werkzeugen bewiesen, dass es ePundits gibt und die wichtigsten deutschen e-Influenzler Jilian C York und Jon Worth sind, noch vor der einflussreichen Truppe von Netzpolitik. Die ruft unverdrossen zum Widerstand gegen die Vorratsdatenspeicherung von Fluggastdaten auf, das wie der Schutz der Geschäftsgeheimnisse in der kommenden Woche im Europaparlament verabschiedet werden soll.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. Jenseits der Satiregrenze.
Beitrag von: SiLæncer am 17 April, 2016, 06:05
Schulterzucken. Haben wir keine anderen Probleme? Doch, haben wir, ist sich Hal Faber sicher. Was aber nicht heißt, dass Meinungsfreiheit unwichtig wäre. Im Gegenteil.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Das Date auf dem Parkplatz fällt aus. Heute kommt die kleine Wochenschau nicht aus dem wunderschönen Hannover, sondern von janz weit wech. Bekanntlich adelt es den Journalisten wenn er inkulpativ arbeitet, die Situation vor Ort mit den schönsten Erikativen beschreibt, stöhn, ächz und wimmer. Heute bin ich also an der "final frontier" unserer Kultur unterwegs, an der Grenze zur Satire. Hopplahopp ist diese Deppengrenze (Ukraina) überschritten und die Landschaft wird wild und ungemütlich, die Sprache derb und natürlich ukrainisch:
Du Küchenjunge von Babylon, Radmacher von Mazedonien, Ziegenhirt von Alexandria, Bierbrauer von Jerusalem, Sauhalter des großen und kleinen Ägypten, Schwein von Armenien, tatarischer Geißbock, Verbrecher von Podolien, Henker von Kamenez und Narr der ganzen Welt und Unterwelt, dazu unseres Gottes Dummkopf, Enkel des leibhaftigen Satans und der Haken unseres Schwanzes.

*** Was Jan Böhmermann kann, konnten die Zaporoger Kosaken, wenn man der Legende Glauben schenkt. Anders als im Hetmanat muss sich Böhmermann für seine Verse nun vor Gericht verantworten, was staatstragende Blätter richtig finden und vom guten Gang der Dinge schwärmen. Ein wenig ratlos zuckt man dabei mit den Schultern, was ein Straftatsbestand wie Majestätsbeleidigung im 21. Jahrhundert zu suchen hat. So etwas soll ja gelöscht werden.

*** Ende einer seltsamen Affäre, in der die Straftat "Verbrechen an der deutschen Sprache" leider keine Rolle spielt? Selten habe ich so viele schlechte Gedichte auf der nach unten offenen Knödel-Skala gelesen wie in diesen Tagen. Doch halt: "Gibt es ein Land außer Deutschland, wo wo man die Nase eher rümpfen lernt als putzen?", das fragte sich schon Lichtenberg. Denn Böhmermann und der mit ihm produzierte epileptische Anfall der öffentlichen Böhmermann-Diskussion ist in seiner eifrigen Hyperrechtschaffenheit genau der Hofnarr, den diese Republik sich gerne hält. Böhmermann ist genau das von Angela Merkel und Winfried Kretschmann regierte Deutschland, das sich nicht scheut, einen schmierigen Deal mit Erdogan abzuschließen und stolz darauf ist, wie glatt alles läuft im Leerlauf. Jetzt wird kräftig gewürdigt, während der Mann eine Kunstpause einlegt.

*** "Der Umgang der Politik mit den Menschen sollte möglichst auf einer für beide Seiten verständlichen kommunikativen Ebene stattfinden: Vielleicht lassen sich dann auch in Zukunft solche oder ähnliche Taten weitgehend vermeiden."
Nein, das ist nicht Habermas und seine Theorie des kommunikativen Handelns. Es ist der Vorwurf des Anwaltes, der den heimtückischen Mordversuch an Henriette Reker als Tat eines wertkonservativen Rebellen umdeutet, die irgendwie aus Notwehr passierte, weil viele Bürger von der Flüchtlingspolitik "mehr als irritiert waren." Die nach tagelanger Internet-Recherche genau geplante Tat wird zu einem Akt des Widerstandes, wenn der Anwalt aus dem Strafverfahren einen politischen Prozess machen möchte. Nein, das ist keine Satire.

*** Wo sind sie nur, die müden Witzchen? Wie wäre es mit einer neuen Arbeitsbeschaffungsmaßnahme? Gern auch für Fahrdienstleister, die während der Arbeit ein Online-Spiel auf dem Handy spielen oder beim Multitasking wie die Kanzlerin im Bundestag noch Züge überwachen können – oder auch nicht. Von einer Studie aus hochgerechnet, soll es allein in Deutschland mehr als 50.000 Verkehrsunfälle gegeben haben, die durch die Ablenkung am Smartphone passierten. Natürlich gibt es längst die mobilen Darwin Awards, doch sind sie den armen Smartphones gewidmet, die ihr Leben aushauchten. Die für Menschen tödlichen Varianten findet man auf den einschlägigen Bilderbrettern.

*** Europa ist in dieser Woche mit Japan gleichgezogen und hat einen Schutz von Geschäftsgeheimnissen installiert, der es praktischerweise zulässt, dass geheim ist, wie das Geschäftsgeheimnis definiert ist. Journalisten wie Whistleblower sollen von diesem gehemnisvollen Geheimnisschutz dann ausgenommen sein, wenn sie Missstände öffentlich machen, die aus einer bestimmten geheimen Geschäftspraxis entstehen. Ein Widerspruch zu den weiter laufenden Veröffentlichungen wie den Panama Papers besteht nicht: Die Special Purpose Vehicles Schweizer Banken sind schließlich kein Geheimnis, sondern ein simpler Weg zur Verschleierung der Vermögensstruktur der Kunden. Was noch zu klären bleibt sind die Anschuldigungen gegen die CIA, wie sie Bradley Birkenfeld, der Edward Snowden der Finanzbranche, im Münchener Exil vortrug. Dort, wo die Süddeutsche Zeitung erscheint, die nach Putin der Investmentbank Goldman Sachs gehört. Ungeprüfte Informationen in den Informationsunterlagen führten zu diesem "Fehler".

Was wird.

Es soll in diesem unseren Lande Grundrechte geben, die nicht verhandelbar sind. Was es ganz sicher gibt, sind Firmen, Behörden und andere Organisationseinheiten, die es mit den Grundrechten nicht so genau nehmen, die Arbeitnehmerrechte in Arbeitwegnehmerpflichten umdefinieren und an der Überwachung von Kernbereichen der privaten Lebensführung großen Gefallen finden oder in ihr eine auskömmliche Geschäftsidee sehen. Wer das tut, muss sich Kritik gefallen lassen, nicht nur von den offiziell dafür zuständigen Datenschutzbeauftragten. Die Big Brother Awards sind eine Form, die einpreist, was andere gerne einsargen, all die schmutzugen Tricks beim schlampigen Umgang mit Daten. Auch wenn manche Auszeichnungen und Problemdarstellungen nicht einleuchten mögen, ist immer wieder interessant zu sehen, wer da einen Preis bekommt. Am kommenden Freitag ist es soweit, mit Sabine Leutheusser-Schnarrenberger als Gastrednerin.

Fünf Minuten lang scheint der arme US-amerikanische Präsidentschaftskandidat Bernie Sanders gestern mit Papst Franziskus gesprochen zu haben, bevor dieser zu einem Flüchtlingslager nach Lesbos flog. Als nicht besonders strenggläubiger Jude hatte Sanders den Papst für seine Kritik an den Reichen und Superreichen gelobt, die riesige Vermögen anhäufen. Nun erhält Sanders Unterstützung von den Großverdienern im Silicon Valley, was kluge Köpfe so irritiert, dass sie zu den ollen Kamellen von Ayn Rand greifen. Dabei ist die Sache ziemlich einfach: es gibt Linke wie Paul Mason, die in der Sharing Economy die Möglichkeit sehen, den Kapitalismus durch Digitalisierung direkter Tauschsysteme abzulösen. Und es gibt Libertäre, die in jeder anti-staatlichen "Disruption" das nächste dicke Ding schlummern sehen. Bernie Sanders hat keine Chance, aber diese nutzt er jetzt.

Und jetzt? Jetzt, schepper, kreisch, hüpf, ham wir ne Party. More to come.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. Über große Barden, BKA-Gesetze und B-Firmen
Beitrag von: SiLæncer am 24 April, 2016, 05:58
Immer wieder gibts für diverse Leute Kröten zu schlucken. Frösche aber, die werden nur selten zu Prinzen, so oft man sie auch küsst, befürchtet Hal Faber. Um so schlimmer, dass der Prinz gerade erst und der große Barde schon lange tot ist.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** "Der Mensch, der stolze --
mit kleiner, kurzer Macht sich brüstend
und vergessend, was allein gewiss ist,
sein gebrechlich Dasein --
spielt, gleich zornigen Affen
so tolles Zeug dem hohen Himmel vor,
dass Engel weinen, die, gelaunt wie wir,
sich alle sterblich lachen würden."

Am 400. Todestag des größten Barden der Menschheit den Affen geben und eine Wochenschau schreiben, ist eine traurige Sache, zumal auch Prince gestorben ist. Wer schreibt uns jetzt Songs wie "Kiss", und "Nothing compares 2 U" oder komponiert aus dem Frühstück kurzerhand "Starfish and Coffee"? Jemand, der Tanzen, Singen und 25 Instrumente spielen konnte, wäre im elisabethanischen England zu Shakespeares Zeiten ein Schauspieler von Interludien geworden, immer in Gefahr, am nächsten Pranger ausgepeitscht zu werden. Take all my Love, aber wer nimmt schon Liebe angesichts der unerträglichen Zukunft? Prince, der Schwarze aus dem mittleren Westen, wusste, wie das geht.

War is all around us
My mind says prepare to fight
So if I gotta die
I’m gonna listen to my body tonight

*** Für manche, wie den amtierenden Innenminister Thomas de Maizière, ist die jüngste Vergangenheit unerträglich. Er wettert gegen die Richter in Karlsruhe, die bei der Entscheidung zum BKA-Gesetz nichts besseres zu tun haben, als dem Gesetzgeber in Sachen Sicherheit in den Arm zu fallen. De Maizière und nicht Shakespeare ist der rechte Terror-Experte, für den die Internationalisierung von Gefahren alles rechfertigt, bis hin zu Richtern, die gefälligst einen anderen Körperteil, mit Ar beginnend, kriechend aufzusuchen haben, in aller gebotenen Unterwürfigkeit vor dem Gesetzgeber. Der Ärger des Ministers ist unverhältnismäßig angesichts der der sanften Art, wie Karlsruhe einige Paragraphen als "zu unbestimmt" kritisiert und "flankierende rechtsstaatliche Absicherungen" fordert für das, was die tageszeitung die Magna Charta des Polizeirechts nennt. Noch hübscher ist freilich die Formulierung, dass in Karlsruher Streicheleinheiten für die Ermittler verteilt wurden beim Vertrauensbeweis für das BKA. Das wird man im Kampf gegen den islamistischen Terror am kommenden Dienstag doch feiern dürfen, wenn BKA, BfV, BND und MAD zusammen mit de Maizière und Merkel sich die tolle Antiterror-Datei angucken gehen. Was für ein schöner Presstermin mit Gelegenheit zum lockeren Gruppenfoto für die deutschen Medien, ganz anders als dieser Anschlag, bei dem man prompt "keinen terroristischen Hintergrund" vermutete.

*** Die heimliche Online-Durchsuchung ist mit den Grundrechten des Grundgesetzes vereinbar, die Nutzung der dabei erhobenen Daten unterliegt nicht der Zweckbindung, sofern der geänderte Zweck etwas mit der "Gefahrenlage" zu tun hat. Bei der Übermittlung von Daten ins Ausland muss man gucken, dass ein "hinreichend rechtsstaatlicher Umgang" mit den Daten erlaubt ist. Im BKA wurde die Nachricht begrüßt und mit einer Stellenausschreibung für die dafür notwendigen Cyberanalysten gekrönt, die "im Dialog mit nationalen und internationalen Partnerdienststellen sowie IT-Firmen und -Ansprechpartnern (z. B. Provider)" hinreichend rechtsstaatlich arbeiten wollen. Für die Piratenpartei ist es ausgemacht, dass das BKA keine Daten beispielsweise an das FBI übermitteln darf: "Daten über Deutsche an Staaten wie die USA weiterzureichen, wo kein angemessener Datenschutz gilt und Menschenrechtsverletzungen drohen, ist Polizei und Geheimdiensten ab sofort verboten." Eine durchaus eigenwillige Interpretation.

*** Wie die Zusammenarbeit mit Großbritannien aussieht, wenn dort das weitreichende Überwachungsgesetz über die Investigatory Powers Ende des Jahres in Kraft tritt, ist eine interessante Frage. Aktuell ist dort Obama zu Besuch in einer Art Warteschleife, bis die Demonstranten gegen TTIP das schöne Hannover verlassen haben. Sein Schutzschiff ist schon eingetroffen. In Hannover wird Obama mit seiner Freundin Angela die Hannover Messe besuchen. Ob er die deutsche Angst verstehen wird, mit der schon EU-Kommissarin Ceclilia Malmström ihre Probleme hatte, darf bezweifelt werden. Vielleicht müsste ihn ein Amerikaner über den Handels-Unfug aufklären. In London ist Obama mit dem Brexit beschäftigt und dem historischen Irexit, dem britischen Gedenken an den irischen Aufstand vor 100 Jahren.

*** Die Verleihung der Big Brother Awards ist vorüber, die traditionelle Gala vorbei. Wieder einmal hat es ein Preisträger geschafft, was seit der ersten Gala anno 2000 nur Microsoft, die Deutsche Telekom und das statistische Bundesamt schafften: Sie schickten jemanden in die Hechelei der Löwen, den Preis abzuholen und eine Gegenrede zu halten. Mit dem "Sozialunternehmen" Change.org ging das gründlich daneben, weil sich der Moderator auf "Regeln" berief und dem Change-Vertreter das Mikrophon abklemmte: Erst brav den Preis abholen und dann ein paar Takte sagen, so und nicht anders lauten die "Regeln". Was folgte, war ein beiderseitiges Rüpeln, ehe Gregor Hackmack die Position von Change.org erläuterte. Ja, man arbeite mit deutschen Datenschutzbeauftragten zusammen und ja, man übermittelt Daten in die USA nach dem veralteten Safe-Harbour-Abkommen und ja, man speichere dort die Daten zentral, weil die Kosten einer lokalen Speicherung die B-Corporation überfordere. Nun ist der Sozialgedanke dieser B-Firmen, wie sie die Berliner Gexsi-Bank in Deutschland etablieren will, etwas anders gelagert als die einer gemeinnützigen Organisation, weil sustainable profits immer noch profits sind – das Missverständnis ist vorprogrammiert. "Wenn der Kapitalismus gut ist, dann muss er für die Armen gut sein", dieser Satz von Hal Taussig, der mit dem europäischen Reisebüro Untours die erste B-Firma gründete, ist für Linke unakzeptabel.

*** Für jede B-Firma gibt es eine Bewertung mit einem Punktesystem, so auch für Change.org. Mit diesem Scoring kann eine Firma bewerten lassen, ob sie den ethischen Ansprüchen an B-Firmen Genüge tut. Was ist, wenn Scoring-Systeme zur Selbstbewertung in einer Firma zum Einsatz kommen, deren zentrales Credo Think! lautet? Genau, dann gibt es einen Big Brother Award für die Kopfarbeiter. Das Wissen, wie Wissensarbeiter untereinander vernetzt sind, wie kollaborativ sie sind, welchen Einfluss sie auf andere haben und so weiter, das wird im "IBM Personal Social Dashboard" abgebildet und ist für jeden IBMer nützlich, der im immer weiter wuchernden System der Management-Ebenen überleben will.

Was wird.

Ob man das IBM-Dashboard auf der re:publica ten zeigt, ist unbekannt, doch dort würde das Social-Graph-Programm für glänzende Augen bei den Netzflummihipstern sorgen, die sich demnächst in Berlin versammeln. Dort ist IBM ein Hauptsponsor, stellt Neo, Connie oder sonstwas für einen niedlichen Roboter vor und zeigt den, äh, Trampelpfad ins kognitive Zeitalter. Mit Toskana gibt es sogar eine IBM-Premiere, wobei der Name der WhatsApp-Software für Wissensarbeiter sicher von der Toskanafraktion inspiriert ist, einer lockeren linken Vereinigung mit Hang zu Leckereien. Auf der Alles-Netz-Konferenz ist auch das Geburtstagskind dabei, mit einem Tratsch, wie man gegen den Hass im Internet vorgehen kann. Und so endet dieser kurze Ausblick, ganz kognitiv gestimmt, natürlich mit Shakespeare.

Mein Hirn soll meines Geistes Weibchen sein,
mein Geist der Vater,
Und diese zwei erzeugen
ein Geschlecht stets brütender Gedanken,
Und die bevölkern
diese kleine Welt, an Launen
wie die Menschen dieser Welt,
denn kein Gedanke ist zufrieden.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. Von Palmen, Präsidenten und dem großen Push zum 1. Mai
Beitrag von: SiLæncer am 01 Mai, 2016, 05:53
Jede Menge Abschiede und trotzdem große Worte beim BND kommentiert Hal Faber in dieser Woche. Hoffnungen macht das alles nicht. Dnan doch lieber zu den Netzaktivisten gucken, aber wen holen die sich denn ins Boot?

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** In Berlin ist Frühling, doch traurig steht die Kunstpalme (oder ist es Palmenkunst?) im Hof des Bundesnachrichtendienstes herum. Heiße Tränen fließen, aber wenigstens sind diesmal die Wasserhähne dicht, es gibt keinen Watergate-Skandal. In dieser Woche musste BND-Chef Gerhard Schindler (FDP) seine Teppiche zusammenrollen und flog fristlos entlassen aus dem Amt, weil er Kanzleramtsminister Peter Altmaier (CDU) auf die Palme brachte. Der führt die politische Fachaufsicht über den BND und ist nach dem neuen BND-Gesetz dafür zuständig, welche Dateien der BND speichern darf. Spindler wollte nach der einigermaßen überstandenen NSA-Affäre noch weiter reichende Dateibefugnisse haben.

Auch der Vizepräsident des Amtes, der traditionell vom Auswärtigen Amt kommt, ist seinen Posten los. Michael Klor-Berchtold soll Botschafter im Iran werden, wo Deutschland kräftig mitverdienen will am erwarteten Wirtschaftsboom. Sigmar Gabriel fliegt schon mal vor mit einer prominent besetzten Wirtschaftsdelegation und pfeift auf seine Jungsozialisten.

Armer BND, kopflos liegt der Schiessscharten-Trumm an der Spree, denn auch der dritte Mann in der Nomenklatura, der traditionell für die Militärverbindung zuständig ist, ist erst seit Anfang des Monats dabei, die Verbindung zur kämpfenden Truppe zu verzahnen. So wird die große BND-Reform mit Bruno Kahl (CDU) als Reförmchen enden und zu einem Heimspiel für die Bundeskanzlerin Angela Merkel, mit freundlicher Genehmigung von Wolfgang Schäuble.

Der hatte bekanntlich gefordert, dass dem BND durch die Reform mit einem rechtlichen Rahmen nicht die Hände gebunden werden dürfen, die man in Kontakt mit anderen Diensten halt schon mal schmutzig machen muss. Für diesen Schmutz sind ja die wieder installierten Wasserhähne da. Freuen wir uns über den nächsten Journalisten-Skandal mit der Überwachung deutscher Medien durch diesen "Auslandsdienst". Das Revanche-Foul zur Berichterstattung über den NSA-Untersuchungsausschuss wird, nun ja, vorprogrammiert.

*** Die Bundesregierung kann bei ihrer Reform von den Kaaseköppen lernen: dort bekommen die beiden Geheimdienste für In- und Ausland eine weit reichende Reform spendiert, die es ihnen erlaubt, die Internet-Kommunikation abzuhören und die dabei angefallenen Rohdaten an befreundete Dienste anderer Länder weiterzugeben. Alles im Namen der Abwehr terroristischer Gefahren, wenn der Abgriff "ermittlungsgerichtet" ist und kein generelles Abhören auf Vorrat. Die Hände sind frei, sie können verraten, tralala. So sieht er aus, der Weg in die smarte Diktatur. Dabei ist es einfach notwendig, dass wir dem BND und anderen Diensten Daten liefern für die harte Arbeit der Selektoren und unermüdlich schuftende Algorithmen, die die Schufte überführen sollen. Es muss doch möglich sein, Terroristen wie die Abdeslam-Brüder zu erkennen und ihnen eine Fußfessel zu verpassen. Wenn die nicht mehr sendet, hat man schneller den Ort lokalisiert, an dem sie sich in ihr Paradies gesprengt haben.

*** Als der BND entstand, versuchte sein damaliger Chef Reinhard Gehlen, gleichzeitig auch Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz zu werden, mit dem schlagenden Argument vom flüssigen Informationsaustausch in ein und derselben Person. Ja, damals hatte man das gemeine Terrorabwehrzentrum und seine tollen Verbunddateien noch nicht. Nun hat der Verfassungsschutz für seine rückhaltsvolle Aufklärung der NSU-Morde und den landesverräterischen Anschlag auf netzpolitik.org gerade den Big Brother Award für sein Lebenswerk erhalten, da kommt neue Kunde. Glaubt man der Exklusiv-Eilmeldung von Correctiv, so galt der Angriff gar nicht den Netzpolitikorgern, sondern den lästigen kontrollierenden Parlamentariern, diese "Durchstecher" im Namen des Volkes. Da ist es doch besser, wenn die Arbeitsplätze der Verfassungsschützer ordentlich verschlüsselt werden. Sachsen-Anhalt war da schon immer ein großes Vorbild.

*** Ein Nachtrag: In der letzten Wochenschau habe ich einiges zur Entscheidung in Sachen BKA-Gesetz geschrieben und über die Reaktion unseres Bundesinnenministers. In dieser Woche hat Thomas de Maizière sich sehr ausführlich zum Datenschutz und dem Datenreichtum geäußert, den zu heben für alle ein schöner Schatz wäre. Dabei erzählte er, dass seit Inkraftreten des BKA-Gesetzes im Jahre 2009 insgesamt 80 Personen vom Gesetz betroffen waren und fragte in die Runde der Zuhörer:

Ist das "Massen-Überwachung"? Ist das "Daten-Sammel-Wut"? Ist das "grenzenlose Überwachung Unschuldiger"?

Ja, denn selbst in dieser Rede fehlte jeder Hinweis, dass mit den Regelungen Anschläge verhindert worden sind. Dafür fehlte der Standard-Hinweis nicht, dass zu unser aller Sicherheit der "Informationsaustausch im Inland und mit ausländischen Partnern" absolut notwendig ist. Überwachung wird gemacht, es geht voran.

Was wird.

*** Heraus, heraus zum 1. Mai, und sei es nur, um auf dem VCFE in München-Ost alte Schnauferl zu sehen und darüber zu rätseln, wie man mit ihnen Bierflaschen aufmachen kann. Mit uns zieht die neue Zeit 4.0! In Berlin tobt längst die antikapitalistische Walpurgnisnacht und der ewige Kampf von Köfte (Myfest) gegen Bratwurst DGB-Demo), mit den Autonomen irgendwo dazwischen. Auch anderswo werden die Siege der arbeitenden Klasse gefeiert.

*** Arbeit? Mit dem durchaus proletarisch klingenden Hashtag #Schichtwechsel legt Microsoft auf der re:publica das hierarchielose Unternehmen zu feiern, das endlich fesche Windows bekommt. Microsoft darf sich als ordentlicher Sponsor Gedanken machen und eine Keynote über Big Data halten, mit dem der Terror-Graph ermittelt werden kann. Bei allem Tamtam ist es verwunderlich, dass der neue Chefguru Yuri van Geest nicht mit von der Partie ist, der das MS-Credo von den Exponential Organisations predigt, eine Art RAMDRIVE.SYS für Konzerne.

*** Auch der zweite Großsponsor IBM lässt sich auf der re:publica nicht lumpen. Er stellt sein VDISK.SYS vor, hoppla nein, natürlich sind "Enterprise Social Networks" gemeint, in dem alle Teammitglieder sich am Blick auf ihren Social Graph erfreuen und Manager "eine High Level-Sicht [haben], wie aktiv Teams zusammen arbeiten". Ja, auch dieses Thema war schon in der letzten Wochenschau zu lesen, da der Blick in die Arbeitswelt von heute einen Big Brother Award bekommen hat. Die inoffizielle Reaktion des re:publica-Ausstellers ist durchaus interessant. Bei der Arbeit verstehen wir keinen Spaß. Und am Ende singen alle Purple Rain, aus Gründen. Oder wir wäre es mit "Dem Morgenrot entgegen", einer einstmals verbotenen Tiroler Verunglimpfung, aus einer Zeit, als es noch keine elektronischen Fußfesseln gab?

Wir haben selbst erfahren der Arbeit Frontgewalt in düstren Kinderjahren und wurden früh schon alt. Sie hat an unserm Fuß geklirrt die Kette, die nun schwerer wird.

Quelle : www.heise.de
Titel: 4W: Von John Does und anderen vergessenen Vaterlands-Verrätern
Beitrag von: SiLæncer am 08 Mai, 2016, 07:50
War das schön, als die digale Boheme von elektrischen Schafen träumte und vom Arbeiten, das viel Geld bringt. Lang, lang ist's her, die Wirklichkeit, ob IRL oder im Netz, ist härter, auch wenn die Revolution schon begonnen hat, meint Hal Faber.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Aus, aus und vorbei ist die re:publica, die Berliner In-Group-Selbstbeweihräucherungs-Bussi-Bussi-Veranstaltung der Netzszene, die mit 8000 Teilnehmern drauf und dran ist, den orangeberockten Bhagwanis den Rang abzulaufen. Jetzt zieht man weiter, nach Dublin, ins Mekka des "optimierten" Datenschutzes. Das ist eine konsequente Internationalisierung, die auch die Münchener DLD längst optimiert hat. zeitgleich fand sie in New York statt, mit Dirk Ahlborn, dem Hyperloop-Konstrukteur im Dienste von Elon Musk und Wolfgang Karch, dem Chefredakteur der Süddeutschen Zeitung, der sich für die Panama-Paper feiern ließ. Nein, hier sollen nicht die Anfänge dieser re:publica verklärt werden, als man anno 2007 sich in Kalklagern daran machte, das Internet in seiner ganzen Einfalt zu sprengen, weil dem Bloggen die Welt gehörte. Als man sich eine zünftige deutsche Blogger-Ethik gab, denn irgendwovon muss der Mensch ja seinen Glauben nehmen, wenn der Szenepapst Sascha Lobo die Arbeit an der Digitalen Bohème zum Lebensmittelpunkt ausruft. So war das, ja, vor 10 Jahren, als digitale Nomaden das Tippseln auf dem Laptop Arbeit nannten und das Glücksversprechen des Kapitalismus wieder einmal ganz neu war und sexy. So kam die Konferenz zum Buch zustande, diese re:publica, die mittlerweile Millionen-Umsätze macht, im Gegensatz zu den Bloggern, die mit ihren Texten nach wie vor ein hartes Zu-Brötchen verdienen.

*** Zur 10. re:publica wunderte sich ein süddeutscher Feuilletonist über die muckelige Bleibigkeit der Konsenskonferenz und stellte Fragen, die er auch 2007 hätte stellen können: "Warum nur kam so vieles anders, als man es sich damals erhofft hatte? Warum ist das Netz nicht das schöne, neue Kommunikationsmittel, sondern eben auch Werkzeug für Hass und Verleumdung, für Überwachung und Ausgrenzung?" Ja, auch damals wunderte man sich, warum nix draus wurde mit der bereits 1996 ausgerufenen Unabhängigkeit des Cyberspace, warum keine Republik Digitalia entstand. Hass und Verleumdung gab es übrigens auch damals im Netz, nicht nur anno 2007 bei der ersten re:publica, sondern auch 1996 mit den Zuendelsites. Warum vieles anders läuft als in schönen Träumen von absoluter Transparenz, durfte auf der re:publica der Journalist Frederik Obermeier verteidigen, einer derjenigen, die mit der Veröffentlichung der Panama-Paper das große Los gezogen hatten, Geschichte zu schreiben. Großes Los? Die zum Umfeld von Wikileaks gehörende Aktivistin Renata Avila holzte los und forderte die ungekürzte Zuschaustellung aller Dokumente im Internet. Das lehnte Obermeier unter Verweis auf deutsche Pressegesetze mehrfach beharrlich ab. Auch der Hinweis von ihm, dass die TTIP-Leaks von Greenpeace eine Abschrift sein mussten, weil der Whistleblower-Schutz unzureichend ist, wurde angezweifelt.

*** Nun aber hat sich der unbekannte John Doe der Panama-Paper mit einem Manifest über die digitale Revolution zu Worte gemeldet, das eines der wichtigsten Dokumente zu dieser Umwertung aller Werte sein könnte, viel härter als Perry Barlow und mit einer großen Umarmung von Edward Snowden, der auf der re:publica heilig gesprochen wurde:
"Ich habe mitangesehen, was mit Whistleblowern und Aktivisten in den USA und Europa geschehen ist, wie ihr Leben zerstört wurde, nachdem sie Vorgänge öffentlich gemacht hatten, die offensichtlich kriminell waren. Edward Snowden sitzt in Moskau fest, im Exil, weil die Obama-Regierung auf Grundlage des Antispionage-Gesetzes Haftbefehl gegen ihn erlassen hat. Man sollte Snowden für seine NSA-Enthüllungen als Helden feiern und ihm Preise verleihen, aber ihn nicht bestrafen."

*** Wie war das noch mit dem Feiern der Helden? Auch wir haben solche, aber das ehrende Gedenken fällt fast flach. An dieser Stelle stand es schon einmal, aber man kann es nie genug betonen. Heute vor 85 Jahren begann der Prozess gegen die Whistleblower Carl von Ossietzky als Herausgeber und Walter Kreiser als Journalist und Flugzeugexperte. Dieser hatte aufgedeckt, dass die Reichswehr eine Luftwaffe aufbaute und damit gegen den Versailler Vertrag verstieg. Landesverrat? So ein Schwachsinn: Es sollte ein Tag zu Ehren des Whistleblowers sein. So aber ist es die Piratenpartei, die der EU die Frage stellt, warum es immer noch keinen Whistleblower-Schutz gibt.

*** Nun denn: Warum gibt es keinen Whistleblower-Schutz? John Doe hat die Antwort:
"Die Ungleichheit der Einkommen, die Kluft zwischen Arm und Reich, ist eines der wichtigsten Themen unserer Zeit. Es betrifft jeden von uns, weltweit. Seit Jahren tobt die Debatte über eine plötzliche Verschlimmerung der Lage, doch Politiker, Wissenschaftler und Aktivisten sind trotz ungezählter Reden, Analysen, schwacher Proteste und ein paar Dokumentarfilmen rat- und hilflos, wie diese Entwicklung aufzuhalten ist. Die Fragen bleiben: Warum? Und warum gerade jetzt? In den Panama Papers ist die Antwort darauf nun offensichtlich geworden: umfassende, alltägliche Korruption."
Versagt haben für John Doe die Politiker als Gesetzgeber, Richter als Gesetzesausleger, Juristen als willfährige Büttel der internationalen Mafia der Steuerhinterzieher und die Banken sowieso, von Dupin über Fletcher bis TopHat. Auch der Schluss ddes Manifestes sollte in die Geschichtsbücher kommender Generationen aufgenommen werden:
"Die Auswirkungen dieses vielfachen Versagens führen zum ethischen Niedergang unserer Gesellschaft und letztlich zu einem neuen System, das wir noch Kapitalismus nennen, das aber in Wahrheit ökonomisches Sklaventum ist. In diesem System – unserem System – wissen die Sklaven weder, dass sie Sklaven sind, noch kennen sie ihre Herren, die in einer Parallelwelt leben, und die unsichtbaren Ketten sorgfältig unter einem Haufen unverständlicher Gesetzestexte verstecken. Das weltweite Schadensausmaß sollte uns alle wachrütteln."

*** Ob das mit dem Wachrütteln funktioniert, ist leider nicht ausgemacht. Mit einer bestimmten Rütteltechnik wird ein Wiegen daraus, mit einem sanften Lied zum Einschlafen. Schlaf, Bürgerlein, schlaf, Vater Staat hütet die BAFin, die Mutter schüttelt das Briefkästelein, herunter fällt ein Dividendenschein, Schlaf, Bürgerlein, schlaf. Interessant ist die Passage des Doe-Manifestes, in der behauptet wird, dass neben der Süddeutschen Zeitung viele namhafte Medien kontaktiert wurden, auch Wikileaks! Und alle hatten kein Interesse an den Panama-Papers bzw. meldeten sich nicht bei dem Whistleblower. Dieser hat Vieles riskiert und so endet er mit einer Aussage über die digitale Revolution, die auch ein bisschen riskant ist, weil Datenspeicher Bürgerschlafspeicher sein können.
"Historiker wissen, dass Besteuerung und ungleiche Machtverhältnisse in der Vergangenheit bereits Revolutionen ausgelöst haben. Damals war militärische Macht notwendig, um die Menschen zu unterdrücken, während es heute genauso effektiv oder noch effektiver ist, die Menschen vom Zugang zu Informationen abzuschneiden – auch weil das im Verborgenen geschieht. Aber wir leben in einer Zeit günstiger, grenzenloser Datenspeicher und schneller Internetverbindungen, die nationale Grenzen überschreiten. Es sieht also sehr danach aus, dass die nächste Revolution digital sein wird. Vielleicht hat sie aber auch schon begonnen."

*** Ein Live-Stück dieser digitalen Revolution wurde übrigens auf der re:publica gezeigt, als Arik Toler von Bellingcat zeigte, wie mit dem unablässigen Stream von GPS-getaggten Bildern, Selfies, und Geoinformationsdaten Aufklärung betrieben werden kann, was die Kriege in der Ukraine und Syrien anbelangt. Unmittelbar danach veröffentlichte Bellingcat seine Suche nach einem Zeichen, das mit dem Absturz von Flug 17 der Malaysian Airlines einige Bedeutung hat. Für viele Medien ist das entweder ein alter übel stinkender Hut oder eine Putin-Provokation und keine Nachricht wert

Was wird.

Sind die Medien am Ende? Aber nicht doch. Gepriesen sei unsere Bundeskanzlerin Merkel, die nächste Woche den Kongress der Lokalpresse eröffnet und deshalb vorab die Lokalpresse lobt. Ihren Politikstil will sie dabei nicht verändert haben, aber ihr Informationsverhalten ist, huch, schneller und vielfältiger geworden, auch gegenüber Medien: "Der Regierungssprecher ist auch bei Twitter mit dabei. Die Bundesregierung hat einen Facebook-Auftritt; das gab es natürlich früher nicht. Dadurch haben Menschen auch die Möglichkeit, Dinge immer wieder abzurufen, ohne dass sie jetzt andere Medien – zum Beispiel Zeitungen – zur Hand nehmen." Ich sehe schon Hände, die an Stirne klatschen und Tilo Jung beim Vorbereiten der nächsten Runde dämlicher Fragen.

Aber hach, dämliche Antworten haben ja wir zur Genüge, die Kommentare zum Durchmarsch von Donald Trump dank Facebook und TV beweisen es. Algorithmen, die "mehr Diversität in die Timeline" bringen, können schwer problematisch sein. Ubrigens: Trumps Amerika existiert bereits, egal, was das bunte Amerika so auf die Beine bringt. Was bleibt, ist die Erkenntnis, dass 20 Jahre heise online mehr Volk auf die Beine bringt als gedacht. Selbst meine besten Feinde sind dabei, das ist schon was. So kann das nächste Rätsel starten, gelassen wartet die Männer-WG am Heise-Teich auf den Start der Party.

Quelle : www.heise.de
Titel: 4W: Mit pentekösterlichen Gedankensplittern und musikalischen Listen
Beitrag von: SiLæncer am 15 Mai, 2016, 08:07
Wenn Adorno über die Massengesellschaft rantet, der BND fröhliche Urständ feiert und die Zehn Gebote Digitaliens theologische Wege aufzeigen, ist es Zeit für die einsame Insel, befürchtet Hal Faber. Der aber wenigstens weiß, welche Musik er mitnimmt.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Mai, Mai, at Waterloo, da steht ein Geschichtsbuch im Regal und selbige wiederholt sich laufend, ein netterMythos. So sind rechtzeitig zum European Song Contest mit krimtatarischen Favoriten fette Analysen zum Geschrammel von Abba fällig, wo es doch einfach nur passierte.
"Der Kitsch ist jenes Gefüge von Invarianten, das die philosophische Lüge ihren feierlichen Entwürfen zuschreibt. Nichts darin darf sich grundsätzlich ändern, weil der ganze Unfug der Menschheit einhämmern muss, dass nichts sich ändern darf."

*** So schön durfte nur Adorno über den Schund der Massengesellschaft ranten. Derweil ist am Rande der norddeutschen Tiefebene das große Kopfkratzen ausgebrochen. Angefangen hat es mit der Frage, die Robert Darnton in seinem Buch über die Zensoren stellt: "Wo ist im Cyberspace der Norden?" Da, wo die norddeutsche Tiefebene aufhört oder noch nordiger? Und warum braucht es überhaupt einen Norden im Cyberspace? Darnton erklärt die harmlose Frage zu einem moralischen Problem und schreibt von Chinas "Großer Firewall" und der uneingeschränkten Überwachung durch die NSA als Beispiele für Staaten, die ihre Interessen auf Kosten des Einzelnen durchsetzen.
"Hat die moderne Technologie eine neue Gewalt geschaffen, die das Gleichgewicht zwischen der Macht des Staates und den Rechten der Bürger aus der Balance gebracht hat? Vielleicht, aber deswegen dürfen wir nicht annehmen, dass dieses Gleichgewicht in der Vergangenheit unangefochten gewesen wäre."

*** Abba hatten unrecht, von wegen "The history book on the shelf is always repeating itself". Das sieht man schon daran, dass im vorrevolutionären Frankreich verbotene Bücher, die "im Ausland" quasi mit verschleierter IP-Adresse gedruckt wurden, von einer speziellen Bücherpolizei aufgestöbert wurden. Anschließend wurden sie einem Henker übergeben, der praktischerweise (neudeutsch: dual use) neben dem Abschlagen von Köpfen für das Zerreißen und Verbrennen von Büchern zuständig war. Jedenfalls, solange der Polizeiinspektor nicht korrupt war und selbst mit verbotenen Büchern handelte. Übrigens ist in Darntons Buch nicht von der Internetüberwachung und -Zensur die Rede, die manchen Rezensenten beschäftigt.

*** Ja, in dieser Woche hatte kein Staat, sondern Facebook ordentlich damit zu kämpfen, dass kein Algorithmus, sondern Menschen wie du und ich die Ergebnisse prüfen, die von RSS-Feeds aufgehäuft werden. Sapperlot nochmal, denn natürlich sind Menschen nicht wertneutral, erst recht nicht Journalisten. Nun gut, da bleiben wir doch lieber bei Google, wo die Demokraten immer besser davonkommen als die Republikaner. Jedenfalls sind wir dann davor sicher, dass Facebook keine Wahlen entscheidet.

*** Wer nicht auf Schlager abfährt, hat es vielleicht mit den Chorälen und Kirchen. Zu einem digitalen Pfingstwunder gehört die Erkenntnis, dass mindestens ein Gott online ist und über dem Internet der Dinge thront. Nehmen wir also die Transzendenz-Hinweise der Digitalisierung ernst, auch wenn die 10 Gebote des Cyberspace bei den kritischen InformatikerInnen leider nur in der Papierform ihrer lesenswerten FIfF-Kommunikation stehen. Besonders passend für den aktuellen Wochenendsermon ist das sechste Gebot von Pfarrer Gernot Meier. Nein, nix mit Ehebruch:
"6. Gott hat uns den Geist der Freiheit geschenkt, der uns frei machen wird. Deshalb: Du sollst nicht einfach glauben, was du in deiner eigenen Informationsblase zu lesen, sehen und hören bekommst.
Das Konzept des freien Wissens, der freien Zugänglichkeit zu allen Informationen, des bunten, fröhlichen sozialen Lebens im Netz ist nicht deshalb schlecht, weil Überwachungseinrichtungen es konterkarieren"

*** Höchst aktuell zählt der Badener Theologe Netzneutralität, offene WLANs ohne Zombie-Störerhaftung und offene Software zu den Voraussetzungen seiner Internet-Religion von der Rückeroberung des Netzes als "freie Medienverbundmaschine". Solchermaßen pfingstlich eingestimmt, darf auch das 3. interchristliche Gebot nicht fehlen, weil es in dieser Welt der Überwacher, Überwachungsdienste und Verfassungsschützer ohne Handlungsmöglichkeiten wichtig ist, selbst, wenn man die theologische Schlagseite nicht mag. Verschlüsselung aus christlicher Nächstenliebe, das geht so:
"3. Uns ist der andere als Bruder und Schwester in Christus anvertraut. Deshalb: Du sollst die Integrität deines Nächsten schützen.
Viele Menschen haben nicht die Möglichkeit, sich mit Verschlüsselung zu schützen, d.h., sie können oder dürfen diese nicht nutzen. Das bedeutet zurzeit, die Welt der Computernutzer zerfällt in die, die sich abschirmen und schützen können, und in den Rest. Wenn es mein Nächster oder meine Nächste nicht vermag, ist sie diesem Treiben hoffnungslos ausgeliefert. Wenn ich aktiv anfange, mich zu schützen und auf meine Integrität achtgebe, wenn ich anfange, einen Kreis um mich zu ziehen, in den keiner, den ich nicht eingeladen habe, hineinkommen darf, dann werden sich langsam digitale Kulturtechniken entwickeln, die es allen ermöglichen, so zu handeln. Im Umkehrschluss bedeutet das, wenn ich mich nicht schütze, bin ich nicht nur selber schuld, sondern jede Datei, jede E-Mail, jede Information, die unverschlüsselt durch das Netz gesendet wird, schützt auch meinen Nächsten nicht und verändert das System auf Dauer nicht."

*** Da passt auch eine christlich-soziale Position zu den Geboten, die im Geburtstagsständchen davon schwärmt, dass das Disruptive zum Normalen wird. Das ist zwar ein schiefes Bild, weil es das Disruptive schlechthin nicht gibt, nur disruptive Technologien, die einer anderen Technologie oder einem Berufsstand den Garaus machen. Aber sich ausmalen können, wie Verschlüsselung greift und ein Akt der Nächstenliebe sein kann, kann mit der seltsamen Idee von der Existenz höherer Wesen versöhnen.

*** Ausgerechnet der BND, dessen Kunstpalme hier schon öfter zu sehen war, hatte die Feuilletons zur Besichtigung seines gigantomanischen Neubaus geladen, in dem auf jedem Schreibtisch zwei Computer stehen. Dort, im strengen Raster kleiner Fenster, wanderten die Kritiker und fragten sich angesichts ewiger Wiederholungen der Rechtecke: "Was macht das mit einem Menschen, wenn er in so einem Gebäude arbeitet?" Die Antwort zum Klotz am Bau, dem zweitgrößten Berliner Gebäudekomplex nach dem Flughafen Tempelhof, ist nicht eben schmeichelhaft. Wo Menschen Rechtecke werden, ist das Gebäude eine "gigantische Vereinzelungsanlage", steingewordener Ausdruck einer Behörde, die unfähig ist zu offener Kommunikation. Die Waben eines Überwachungsbienenstaates sollen den Bürger einschüchtern. Der Bau als Nichtgeist und Nichtgeschmack, eine Mischung aus Entehausen und Fort Knox, das passte bestens zu der Nachricht, dass Roland Berger und nicht etwa die parlamentarischen Kontrolleure den BND durchleuchten soll. Das ist noch von Gerhard Schindler und nicht vom Claudia-Roth-Bremsklotz Bruno Kahl veranlasst worden und eine schöne Kontinuität: Schließlich war der NSA-Spezialist Edward Snowden bei einer ebensolchen Beraterei angestellt, bei Booz Allen Hamilton. Vielleicht wird es doch noch was mit dem deutschen Whistleblower.

*** Und wenn doch nicht? Wenn angesichts der Nicht-Whistleblower, übermütig gewordener Nicht-Trolle und Dann-doch-ESC-Fans die einsame Insel eine ernsthafte Alternative wird? Dann fehlt doch wieder die Musik. Aber welche nimmt man nun mit auf eine einsame Insel, auf der es keinen BND, keinen DDoS-Möchtegernzensor und keine Volksmusik gibt? Gute Frage, also ist es mal wieder Zeit für eine Liste. Was man auf eine einsame Insel mitnimmt, ist ja nicht unbedingt die Musik, die man zu normalen Zeiten immer hören würde – aber wohl doch die, die einem am meisten beschäftigt, beschäftigen kann, berückt, berauscht. Ich mach den Anfang. Möglicherweise oder vielmehr: wahrscheinlich sind die geneigten Leser anderer Ansicht - auch als alle anderen Leser. Nur her mit den Ideen, eine Leser-Liste kann es dann das nächste Mal geben, so denn genug Vorschläge eingehen.

    Miles Davis, Kind of Blue
    Steve Reich, Music or 18 Musicians
    Kendrick Lamar, To Pimp a Butterfly
    Charlie Haden's Liberation Music Orchestra, Ballad of the Fallen
    Emerson, Lake and Palmer, Welcome Back My Friends
    Esbjörn Svenson Trio, Live in Hamburg
    Luigi Nono, Al gran sole carico d'amore
    Talking Heads, Stop Making Sense
    Van Morrison, It's Too Late to Stop Now
    John Coltrane, A Love Supreme
    The Clash, London Calling
    John Zorn, Bar Kokhba Sextet: 50. Birthday Celebration Vol. 11
    Gang of Four, Entertainment!
    György Ligeti, Requiem
    Joy Division, Substance
    Morton Feldman, Patterns in a Chromatic Field
    Hüsker Dü, New Day Rising
    Orchestre International du Vetex, Flamoek Fantasy
    Fehlfarben, Monarchie und Alltag
    Peter Fox, Stadtaffe
    Colin Stetson, New History Warfare Vol. 1 - 3
    Johann Sebastian Bach, Goldberg-Variationen
    17 Hippies, Live in Berlin
    Wu-Tang Clang, Enter the Wu-Tang (36 Chambers)
    Isaac Hayes, At Wattstax

Was wird.

Ein seltsames Jubiläum wirft seine Schatten voraus: Am 16. Mai 1966 begann nach dem Scheitern des Großen Sprungs nach vorn mit einem Schreiben der "Gruppe für die Kulturrevolution des Zentralkomitees" die chinesische Kulturrevolution, die anderthalb bis zwei Millionen Menschen das Leben kostete. Heute gilt sie als größter Ausbruch anarchistischer Massengewalt in einem totalitären Staat. Die Computerentwicklung wurde eingestellt und konnte erst 1973 wieder aufgenommen werden. Nach wie vor gilt das Tabu, über diese Phase mit ihren Greueltaten zu sprechen, an der das stolze China zerbrach. Niemals wollte man vom Zerplatzen aller revolutionären Ideale sprechen. Der heilige Geist war jedenfalls nicht in die Chinesen gefahren.

Und damit überlasse ich Abbaloide das Singen dem Computer, der kann es bekanntlich immer besser.

Quelle : www.heise.de
Titel: 4W: Von oxymoronischen Botschaften und möglicherweise fliegenden Schweinen
Beitrag von: SiLæncer am 22 Mai, 2016, 00:15
Die schlichte Wahrheit hat keine Chance, seufzt Hal Faber und ergänzt seine Playlist. Unterdessen stellt sich bei Sigmar G. die geistige Quellenfrage, während wir bei seiner Chefin wohl eher nach Moral suchen.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

"Glücklich die Staaten, in denen die Bürger wissen wollen, aus welchen geistigen und moralischen Quellen diejenigen ihre Kräfte schöpfen, die führend sind in Staat und Gesellschaft; und weiter, ob ihre Fähigkeiten und ihr natürlicher Ehrgeiz, etwas leisten zu wollen, im rechten Verhältnis stehen zu ihrem Rechtssinn, ihrer Wahrheitsliebe und den anderen Werten unserer sittlichen Ordnung."

Die letzte Wochenschau endete mit der Mao-Bibel, da ist es nur konsequent, aus ihrem Pendant, der kleinen grünen Bibel zu zitieren, in der die Gebrüder Grimmig die besten Sätze des Bundespräsidenten Heinrich Lübke sammelten. Das Zitat stammt aus Lübkes Neujahrsansprache 1962 und wurde von den aufmüpfigen 68ern in zahlreichen Varianten für kabarettistische Einlagen genutzt – die sittliche Ordnung war damals halt saukontrovers. Heute stellt sich mit Wucht die geistige Quellenfrage bei Sigmar Gabriel, während bei seiner Chefin Angela Merkel wohl eher nach den moralischen Quellen gesucht werden muss. Sie fährt in die Türkei zum Weltgipfel der humanitären Hilfe und zur Begegnung mit einem System Erdogan, in dem die Angst regiert. So hat ein kuschendes Parlament die Immunität von 138 unerwünschten Abgeordneten aufgehoben hat. Unter ihnen 50 kurdische Abgeordnete, denen der Vorwurf gilt, sie hätten die verbotene PKK unterstützt, der unter anderem dadurch genährt sein soll, dass sie "verschlüsselnde Kommunikationssysteme" genutzt haben.

Womit ich wieder beim Thema der pfingstlichen Wochenschau bin und dem dort wiedergegebenen 3. urchristlichen wie humanitären Gebot des Schutzes der Integrität der Kommunikation mit dem Nächsten durch Verschlüsselung. Dieser wichtige Aspekt eines Datenschutzes, der mehr ist als die Forderung nach mehr Personal für Datenschutzbeauftragte, lässt einen so schnell nicht los. Wie formulierte es Peter Schaar in seinem Geburtstagsständchen für heise online, einem Appell an mündige Bürger und Bürgerinnen im Kampf um eine aufgeklärte Informationsgesellschaft?

"Von zentraler Bedeutung sind kryptographische Verfahren, die vertrauliche Informationen vor Überwachung und Registrierung schützen. Bestrebungen, verschlüsselte Kommunikation zu verbieten und Informationstechnik mit Hintertüren für Geheimdienste und sonstige Stellen auszustatten, sind kontraproduktiv, denn sie schwächen die Informationssicherheit nicht nur dort, wo es um die Aufdeckung krimineller Aktivitäten geht."

Eine Binse? Von wegen. Man lese nur, wie Hillary Clinton unverschlüsselt mit ihrem Sonderberater Dennis B. Ross per E-Mail kommunizierte, weil der Zugang zum Verschlüsselungssystem in der Londoner Botschaft gerade geschlossen war, ein Feiertags-Fressen für jeden Geheimdienst. Oder man lese einmal das Statement zum Problem der Strafverfolger, mit verschlüsselter Kommunikation umzugehen, das in dieser Woche veröffentlicht wurde und kaum Beachtung fand. Natürlich sprachen sich die Vertreter von der europäischen Agentur für Netz- und Informationssicherheit (ENISA) und von Interpol dagegen aus, Hintertüren in Verschlüsselungssystemen zu fordern. Aber sie scheinen in Punkt 4 einen fantastischen Weg gefunden zu haben, das "Verschlüsselungs-Dilemma" zu überwinden.

"Wenn eine Umgehung der Verschlüsselung nicht möglich ist, aber der Zugang zu verschlüsselten Informationen für die Sicherheit und Strafverfolgung dringend erforderlich ist, dann müssen gangbare Lösungen zur Entschlüsselung angeboten werden, die die Schutzmechanismen nicht schwächen, sowohl in der Rechtssprechung wie durch die technische Entwicklung. Für letztere wird eine enge Zusammenarbeit mit Industriepartnern und mit der wissenschaftlichen Gemeinschaft der Experten für Kryptoanalyse stark befürwortet, damit eine Verschlüsselung dort gebrochen werden kann, wo dies rechtlich geboten ist."

Es gibt keine Lösungen, starke Verschlüsselungen zu knacken. Wir sind ja nicht beim Kryptochef und seiner Vollbit-Verschlüsselung, diesem Running Gag der Foristen von heise online. Oder beim Chaos Computer Club, der die Formulierung von "gangbare Lösungen zur Entschlüsselung, die die Schutzmechanismen nicht schwächen", für ein gelungenes Oxymoron hält. Durch die Blume wird in der engen Zusammenarbeit mit Industrie und Krypto-Experten gefordert, erkannte Schwachstellen geheim zu halten und die technischen Entwicklungen und Erkenntnisse den Polizeibehörden und Strafverfolgern zugänglich zu machen: "Wir wollen es genauso machen wie die NSA", wäre die knackige Zusammenfassung des Statements von ENISA und Interpol. Da passt es doch wie A**** auf Eimer, dass dieses Statement auf einer Europol-Konferenz entstand, auf der Journalisten nicht zugelassen waren, sondern nur "50 officials, industry players and experts". "Your law is contagious", heißt es in Running with the Pack von Bad Company, auch so ein Song, den man auf einer einsamen Insel krachen lassen kann.

Für die wunderbaren Insel-Vorschläge habe ich zu danken, sie bereichern und verschönern jede Playlist. Deshalb geht es auch mit Musik weiter und mit YMCA direkt nach Cannes, wo diese Village People bei der Gala von Cinema against AIDS auftraten, fit wie alte Turnschuhe.

Musik von David Bowie, Nine Inch Nails und Radiohead bilden den Soundtrack vom neuen Poitras-Film "Risk", in dem die Filmemacherin dokumentiert, wie Julian Assange als Biker verkleidet mit dem Motorrad bis zur Botschaft von Ecuador brettert, nachdem er sämtliche Einsprüche gegen seine Auslieferung nach Schweden verloren hat. Mit Ausnahme der tageszeitung war der "distanzarme Film" den deutschen Berichterstattern keine Erwähnung wert, wohl aber den britischen Medien. Assange und Lady Gaga, das ist eine gelungene Kombination für Einsichten, die der Guardian, der Telegraph und der Evening Standard auf ihre Weise verarbeiten, während der Hollywood Reporter die Dokumentarfilmerin Poitras nach ihrer Objektivität befragt. Doch die Julian-Assange-Fraktion und so gilt Jake Appelbaums Diktum, dass Journalisten (in den USA) Staats-Stenographen sind und Assange ein politischer Gefangener, dem Hillary Clintons Rache droht. Die schlichte Wahrheit, das niemand über den Gesetzen steht, seien es die von Schweden oder die von Großbritannien, hat so keine Chance.

Was wird.

Gesetze sind real, aber veränderbar. Weswegen morgen der Tag des Grundgesetzes begangen wird, ein willkommener Anlass für Digitalcourage, eine neue Überwachungsgesamtrechnung zu präsentieren, in der die Vorratsdatenspeicherung mit eingepreist ist. Wieviele Überwachungsmaßnahmen verträgt eigentlich so eine Demokratie? Muss nicht auch hier der für die Vorratsdatenspeicherung verantwortliche Bundesinnenminister mal an der politisch ach so beliebten Notbremse ziehen?

Natürlich gibt es Gesetze, die über dem Grundgesetz rangieren. Da wäre etwa die überstaatliche Pflicht, am bevorstehenden Towel Day ein Handtuch über der Schulter zu tragen, wie das gute Kosmos-Wanderer tun. Der Towel Day ist in Erinnerung an einen großen Autor wichtiger denn je. Douglas Adams half den Geeks dieser Welt, das Leben auf einem durchgedrehten Planeten zu ertragen. 15 Jahre nach seinem Tod ist die Welt technisch dort, wo seine Phantasie längst angelangt war, wie es die Geschichte vom Babelfish zeigt. Jetzt warten wir nur noch darauf, das Schweine fliegen werden und jeder glücklich bis an sein Ende lebt. Soll ja alles möglich sein in einem unendlichen Universum, selbst die Kanzlerwahl von TTIP-Fan Sigmar Gabriel. Also, keine Panik, bitte.

(http://1.f.ix.de/imgs/18/1/8/1/6/5/5/2/panic-f2cb897680b4b878.png)

Quelle : www.heise.de
Titel: 4W: Was wird. Von heimlichen Philanthropen und vermummten Netzbürgern
Beitrag von: SiLæncer am 29 Mai, 2016, 07:50
An intimen Leibesübungen des Schaukampfsportlers Hulk Hogan flammt die Debatte über die Pressefreiheit wieder auf. Dabei stimmt Hal Faber der Meinung der Jura-Professorin Khiara Bridges zu: Arme haben keine Privatsphäre.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Philanthropie – altgriechisch für die Menschenfreundlichkeit – ist ein schönes Wort. Im alten, gedruckten Duden steht es zwischen der Phiale, der Schale für ein Blutopfer und der Philatelie, von Herrn Duden wortwörtlich übersetzt als Liebhaberei von Gebührenfreiheitsmarken. Okay, im digitalen Zeitalter schauen wir lieber in die Wikipedia und lesen dann eine halbe Doktorarbeit zu dem Thema. Alternativ bietet sich die vorige Wochenschau an, die sich mit Philanthropie beschäftigt. Oder wir e-blättern in der New York Times und lesen einen Text, in dem der Milliardär und Internet-Übervestor Peter Thiel davon spricht, dass sein Investment in den Schaukampfsportler Hulk Hogan nicht nur den modernen Journalismus definiert, sondern "eines meiner größeren phlianthropischen Dinge ist, die ich je getan habe. Ich denke dabei in solchen Begriffen".

*** Was hat Peter Thiel, als erklärter Libertär ein Liebhaber von Gebührenfreiheiten aller Art getan? Der Super-Investor hat 10 Millionen dafür bereitgestellt, dass Hulk Hogan und einige andere das Netz-Klatschblatt Gawker mit Prozessen in den Ruin treiben können. Bislang geht die Strategie auf: 140 Millionen Dollar Schadenersatz hat ein Gericht nach dem Studium von 4235 Dokumenten dem Hulk zugesprochen, weil Gawker ein Sex-Video mit dem Wrestler veröffentlicht hat.

*** Weitere Prozesse sind im Anmarsch: 10 Millionen Dollar will die Journalistin Ashley Terrill haben, weil sie nach einem Gawker-Bericht belästigt wurde. 35 Millionen will Shiva Ayyadurai haben, der selbsternannte Erfinder der E-Mail, was der Gawker-Ableger Gizmodo rundweg bestreitet. Die Lösung: Ayyadurai hatte als Student 1978 ein Programm geschrieben, das er "Email" nannte. Doch der teuflische Kern der ganzen Pudelei ist neun Jahre alt: Damals veröffentlichte der Gawker als erster eine Geschichte über Peter Thiels Homosexualität. Dies soll ihn beim Verhandeln mit saudi-arabischen Investoren geschadet haben.

*** Mit dem Eingeständnis über seine ach so menschenfreundliche Unterstützungstat in der New York Times hat Thiel eine Debatte über die Pressefreiheit in Gang gesetzt. Sie ist bekanntlich nach einem geflügelten Wort Paul Sethes das Recht von 200 reichen Leuten, ihre Meinung zu verbreiten. Kommt jetzt das Recht der Superreichen hinzu, Meinungen zu verbieten? Sethe kannte keine jungreichen Multimilliardäre wie Peter Thiel, aber er kannte sehr wohl das Prinzip: "Frei ist, wer reich ist. Das ist nicht von Karl Marx, sondern von Paul Sethe", schrieb er in einem Leserbrief an den Spiegel. Was Peter Thiel über Gawker sagt, klingt nicht so prägnant wie bei Sethe, meint aber dasselbe: "Ich kann mich selbst verteidigen, aber die meisten Leute, die sie angreifen, sind nicht wie ich." Ohne jetzt große Sympathien für ein Klatschblatt wie Gawker zu haben, das vom Super-Investor Pierre Omidyar unterstützt wird: Die Methode stinkt. Neu ist sie auch nicht: Mother Jones kann ein Lied davon singen, wie man ums Überleben kämpft. Was Gawker auch tut.

*** Denn auch das ist eine erstaunliche Tatsache, mit Klatsch und Tratsch aus dem Silicon Valley der disruptiven Startups und Risikokapitalisten über 45 Millionen Dollar Umsatz im Jahr erzielen zu können. Im neuen "Tal der Puppen" zählt die Privatsphäre derer, die aus den Daten anderer das nächste große Ding zusammenbasteln. Prägnant fasst diesen tiefen US-amerikanischen Klassenwiderspruch die Jura-Professorin Khiara Bridges in ihrer Studie zu Datensammlungen in den USA zusammen: Arme haben keine Privatsphäre.

*** Über diese gefährlichen Algorithmen wird dieser Tage argwöhnisch gewacht; sie werden kommentiert und mit gut gelaunten JubilarInnen diskutiert. Manchmal kommt dabei ziemlicher Blödsinn heraus, wenn Microsofts Tay als irrlaufender Algorithmus bezeichnet wird, während es doch Menschen waren, die Tay gezielt mit ihren verzerrten Weltbildern fütterten, bis das System schließlich abgeschaltet werden musste. Der umlaufende Hass im Internet hat unseren Bundesinnenminister auf den Plan gerufen, der anlässlich der Vorstellung der polizeilichen Kriminalstatistik von einer Zunahme der Volksverhetzung sprach und hastunichtgesehen ein Vermummungsverbot für das Internet forderte. Ist es die schiere Dummheit grundrechtsnegierender Placebos, wie es der Netzgrüne von Notz formuliert? Hat ein Troll-Algorithmus vom Innenminister Besitz ergriffen? Offen sollst du auftreten, Netizen, wie wir das von Hillary Clinton (hdr22@clintonemail.com) kennen.

*** Ein Vermummungsverbot gilt in Deutschland nur auf Versammlungen, was den Schluss zulässt, dass unser Innenminister das Netz im Neuland als eine einzige Versammlung begreift, in der Menschen wie Hal Faber und Reiner Unsinn allein vor ihren Bildschirmen sitzen, natürlich als Hunde verkleidet. Wie kann man diese Vermummungs-Terroristen, diese Experten der Sprachradikalisierung finden, wenn nicht mit einer gemeinsamen Anti-Vermummungsdatei (GAV), gehostet beim BKA, gespeist von den Vermummungsexperten von BND und Verfassungsschutz? Wenn man dann entmummt unterwegs ist und versonnen in die Webcam lächelt, schlägt ein israelischer Algorithmus zu. Was fehlt beim entmummten, gläsernen Bürger? Eine sauber geklärte Vermögenslage abseits panamischer Briefkästen? Kein Problem, bald haben wir auch diese Anonymität im Griff.

Was wird.

Der Juni beflügelt, zumindest was diese Geschichte mit der Sicherheit vor Cybercrime anbelangt. Da treffen sich die führenden Kämpfer auf der 2. nationalen Cyber-Sicherheitskonferenz in Potsdam. Voriges Jahr wurde dort über den Angriff auf die Bundestags-IT mit großer Souveränität diskutiert, diesmal wird für die Chefs von Verfassungsschutz, BKA und BSI zusammen mit dem Bundes-CIO sicher wieder ein vergleichbarer Cyberknüller für Diskussionsstoff sorgen. Wie wäre es mit der absoluten Bankrotterklärung des polizeilichen Informationsaustausches? Zudem ist der Chef von Airbus Defence and Space mit von der Partie, da könnte man hübsch über die vielen Probleme mit dem Airbus 400M reden und sich fragen, ob da nicht auch ein bisserl Cyber mit im Spiel war.

Außerdem ist unweit von Potsdam vor den Toren von Berlin die Berlin Air Show: So ein Airbus vor der imposanten Kulisse des Flughafens Berlin-Brandenburg, auch das beflügelt ungemein, so als Symbolbild. Mit Firmen wie Teraki, Synergeticon und anderen sind erstmals Startups mit dabei, die sich auf "disruptive Entwicklungen in der Luftfahrt" spezialisiert haben, wie der Veranstalter verkündet. Nur Fliegen ist schöner? Von wegen.

In Vorzeigeprojekten wie A400M und BER darf die De-Mail nicht fehlen, ein Mail-System auf der Basis von totgerittenen Pferden. In Berlin entscheidet das Anwaltsgericht, ob Rechtsanwälte das elektronische Anwaltspostfach ab dem 29. September 2016 nutzen müssen oder nur oder mindestens eine De-Mail-Adresse haben müssen, damit der ordentlich identifizierte Bürger mit seinem Anwalt vertraulich verkehren kann. Man darf gespannt sein, wie die Pferde bei diesem Mummenschanz antraben.

Quelle : www.heise.de
Titel: 4W: Vom Klimawandel, verbindenden Kulturgütern und schändlichen Keyloggern
Beitrag von: SiLæncer am 05 Juni, 2016, 05:25
Die Frau mit dem Haarhelm vermeidet ein Foto mit dem Problembären in Schönefeld. Weiter nördlich arbeiten sie eine Stalking-Affäre auf. Hal Faber verzichtet aus Respekt auf Tiefschläge.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Popcorn regelt. Aber Popcorn ist unberechenbar, ein Stück Chaostheorie voller Endosperm. "Diese Gewitter sind wie Popcorn und platzen überall auf", sagte der Meterologe hilflos im ZDF und sprach von einem "Tiefdrucksumpf". Prompt haben wir wieder das jährliche Jahrhunderthochwasser und Tote im Schlamm. Die im Mittelmeer und die vielen Toten dort können wir gleich hinzuzählen, denn auch hier ist der Klimawandel Auslöser des Geschehens. Man sollte sich daran erinnern können, dass der arabische Frühling abseits aller Twitter-Revolutionsromantik mit Protesten gegen die drastische Verteuerung von Lebensmitteln nach einer der größten Missernten Nordafrikas begann. Wieder einmal haben unsere Vorhersagesysteme, Computer und Rechenmodelle versagt, weil die Algorithmen nicht angepasst sind an die Realität, in der das Eis der Arktis so schnell schmilzt, dass der Anomalie-Graph aus dem Koordinatensystem wegtaucht. Rechnen mit dem Klimawandel ist schließlich bei weitem nicht so lukrativ wie etwa dieses autonome Fahren. Ach, wie gut, dass unsere Regierung Geld für hochpräzise Wetter-Apps ausgibt in ihrem datenbasierten Modernitätsfond, da steigen die Chancen, Unwetterwarnungen auf Smartphones zu liefern, sofern die Rechenmodelle stimmen. Dann freuen wir uns auf den Regenbogen nach dem Abzug des nächsten Jahrhundertgewitters.

*** Ach, wie schön ist Pana^H, äh, waren die strahlend blauen Himmel über der Berliner ILA. Der Problembär, äh, der Problemairbus war da und zwang Verteidigungsministerin von der Leyen zu einer Guided Tour mit Umwegen: sie wollte auf keinen Fall ein Bild von ihr und dem PP&P-Vogel im Hintergrund. Wie staatstragend waren hingegen die Grünen, die sich vor Airbus-Fliegern ablichten ließen und auf einer Pressekonferenz zum Thema nachhaltiges Fliegen mit "Major Tom" Enders auftraten. Das Thema ist ausbaufähig, besonders beim Thema nachhaltiges Töten. Sicher wird es irgendeine Alge geben, aus der sich wunderbar kompostierbare Dum-Dum-Geschosse fertigen lassen. Und beim Superthema 3D-Drucker gibt es weitere Anknüpfungspunkte: Wie wäre es, das Parteiprogramm auf einen Stoff zu drucken, der die neue Biegsamkeit der Partei illustriert, die mit CETA-ja flattert wie ein Fähnchen im Wind? Ja, so vergeht die Zeit und der grüne Protest von ehemals mit scharfen Debatten über Drohnen wird elegant verklappt, schließlich ist Airbus Airborne Solutions für die Starts und Landungen deutscher Heron-Drohnen in Afghanistan zuständig, als Leasing-Partner der Bundeswehr. Ach, wie schön ist es, dass es an diesem Wochenende einen "Grünen Polizeikongress" gibt, den die tageszeitung als Kuscheln für die innere Sicherheit umschreibt. Wenigstens der Bayernkurier hat noch die alten Reflexe drauf.

*** Apropos waffenfähige Drohnen auf der ILA, da ist ja ein großes Aufseufzen und erleichtertes Aufatmen quer durch die diese unsere Republik gegangen, als bekannt wurde, dass das Töten mit Handy-Daten gar nicht geht. Das hat ein gewisser Henrik Isselburg dem NSA-Ausschuss erzählt, der zwar als Leiter des Referats Operative Auswertung kein Fachmann für Ortungstechnik ist, aber vom Bundesamt für Verfassungsschutz kommt, einem Hort der knallharten Wahrheit. Mit Handy-Daten und besonders mit diesen furchtbar hinterhältigen Metadaten klappe es nicht so genau, jemanden zu orten und dann eine Rakete abzusetzen. Oder vielleicht doch? "Sollte der Bundestag dazu aber ein Gutachten in Auftrag geben, werde das BfV die Ergebnisse gern zur Kenntnis nehmen." Was für ein die Fassung schützender Satz eines operativen Auswerters. So erklärt man zwar kein Problem für beendet, verschiebt aber die Beweislast zu einem Gutachter. Ein Verfahren, das sich schon einmal bewährt hat, wie es das Graulich-Gutachten zeigte.

*** Heute ist bekanntlich der Welterbetag, an dem man tiefsinnig das materielle wie immaterielle Kulturgut betrachten soll, um zu verstehen, wie uns das Welterbe verbindet. Mit den Vollpfosten von der AfD verbindet uns immer noch die Bewunderung für die Dresden, während beim Fußball bekanntlich die Meinungen auseinander gehen. So ändern sich die Zeiten: Vor 10 Jahren gab es den ersten Podcast von Bundeskanzlerin Merkel zur Fußball-WM in einem bunten, feiernden und weltoffenen Deutschland. 425 Podcasts später gibt es Wünsche zur EM für "Die Mannschaft" (tm), die von den besagten Vollpfosten abgelehnt wird.

*** Mein Vorschlag wäre, zum hohen Gedenktag des Welterbes die Snowden-Dokumente als Dokumentation der immateriellen Niedertracht in das Welterbe aufzunehmen. Sie wurden heute vor drei Jahren, am 5. Juni 2013 Glenn Greenwald übergeben, ehe sich Edward Snowden der Weltöffentlichkeit stellte. Die Dokumentation des Treffens von Laura Poitras bekam einen Oscar und taucht gelegentlich in den Mediatheken auf, anders als die Snowden-Dokumente, von denen bislang rund 6500 von 58.000 veröffentlicht wurden. Zuletzt war es die Hauszeitschrift der NSA, die man durchstöbern konnte. Nun hat der ehemalige US-Justizminister und Oberstaatsanwalt Eric Holder höchstselbst Snowdens Tat am vergangenen Wochenende als öffentlichen Dienst gelobt, der der Gesellschaft geholfen habe, "indem er die Debatte und die Veränderungen, die seither gemacht wurden, angestoßen hat". Zur Erinnerung: Holder wollte während seiner Amtszeit Snowden hinter Gittern sehen.

*** Was hat Snowden bewirkt? Glaubt man Greenwald, so haben die Berichte über die NSA bei vielen Netznutzern das Bewusstsein geschärft, dass die Privatsphäre verteidigt und der Selbstdatenschutz verschärft werden muss. Da tut sich also was, auch bei uns. In dieser Woche hat Forschungsministerium 16 Projekte mit Fördermitteln bedacht, die den selbstsbestimmten Datenschutz in der digitalen Welt vorantreiben sollen. Von MoPPa bis SIOC, von AN.ON-Next bis VVV allein fünf beim Unabhängigen Landeszentrum für Datenschutz in Schleswig-Holstein, wo der drittmitelgeförderte Forschungsbereich des ULD ein wichtiger, jedoch umstrittener Posten ist. Es bleibt spannend, was von dieser Stärkung des Selbstschutzes am Ende beim berühmten Endanwender ankommt.

*** Dem Mann, der bei der taz Sebastian Heiser war, ist eine spannende Recherche gewidmet, die einmal aufzeichnet, was ein Keylogger in einer Zeitungsredaktion anrichten kann. Mit der Flucht des investigativ mitloggenden Journalisten in ein südostasiatisches Land ist die Geschichte keineswegs abgeschlossen. Die Frage, was wir aus dem Fall gelernt haben, ist ergänzungsbedürftig, aus mehreren Gründen. Denn die "journalistisch-voyeuristische Grenzüberschreitung" kann eine Suche nach Romeo-Kompromat unter den 23 Mitarbeitern sein, wie sie bei den Diensten immer noch beliebt ist. Oder eine soziale Machtfrage, wie dies das Beispiel des leitenden Tor-Entwicklers Jacob Appelbaum zeigt, der ernster Vergehen gegen das sexuelle Selbstbestimmungsrecht beschuldigt wird. Dann wäre da noch die Frage nach dem 500-Pfund-Gorilla: Was ist, wenn statt einem relativ einfach zu entdeckenden Keylogger der Bundestrojaner oder seine Brüder im Geiste zum Einsatz kommen? Im Zweifelsfall ist das Redaktionsgeheimnis oder der journalistische Informantenschutz eine Idee, mehr nicht. Gegen sie lässt sich immer noch so etwas wie die Gefahr des Beweismittelverlustes ins Feld führen. Alle Festplatten und Datenträger verschlüsseln, dieser Selbstdatenschutz muss viel weiter gedacht werden.

*** "Lebe jeden Tag, als wäre es Dein letzter. Irgendwann wirst Du damit Recht behalten". Der größte Boxer aller bisherigen Zeiten war auch ein großer Philosoph und jeder Nachsatz über ihn wäre ein schlapper Punch.

Was wird.

Wieder einmal wird ein Ereignis am Rande der norddeutschen Tiefebene die Augen auf sich ziehen. Nein, die große Party von heise online ist nicht gemeint, die Teilnehmer-Wettbewerbe laufen ja noch. Am Dienstag wird aus Hannover von der Forschung berichtet, die an dem ruhigsten der Menschheit bekannten Ort durchgeführt wurden. Die Rede ist von der ESA-Mission LISA-Pathfinder, die am Sondenparkplatz durchgeführt wird und beeindruckende Messungen erzielt haben soll, die zeitgleich in den Physical Review Letters veröffentlicht werden.

Quelle : www.heise.de
Titel: 4W: Stell dir vor, es ist hybrider Krieg, und wer zu Hause bleibt...
Beitrag von: SiLæncer am 12 Juni, 2016, 00:38
Im Internet wird ein neuer Krieg geführt und alle machen mit. Hal Faber erinnert sich wehmüttig an die guten alten Zeiten bei der Schülerzeitung, immer vom Verfassungsschutz begleitet.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Es gab eine Zeit, in der ein junger, ungestümer Hal vom Verfassungsschutz beobachtet wurde, weil er einem Grüppchen angehörte, das sich Kommunistischer Oberschülerverband nannte und in Hannover neben der bundesweiten Pflichtlektüre "Schulkampf" eine kleine Zeitschrift namens "Widerhaken" herausgab. Irgendwie muss man ja mit dem Schreiben anfangen, wenn es nicht auf schwiemelige Gedichte hinauslaufen soll. Der "Widerhaken" beschäftigte sich Nummer für Nummer mit drei Themen: den Berufsverboten, der Exegese von Karl Marx und der NDR-Sendung Sympathy for the Devil des großen Horst Königstein, weswegen Jungautor Hal wegen "Abweichung von der Parteilinie" aus der K-Truppe herausgeworfen wurde. Von der Rektorenkonferenz Hannover wurde der "Widerhaken" als "Desinformations-Schmierblättchen" betitelt, alles bestens notiert vom Landesverfassungsschutz Niedersachsen.

*** In dieser komischen Zeit Anfang der 70er Jahre gab es einen anderen deutschen Geheimdienst, der sich ein Referat F in der Abteilung VII der Hauptverwaltung Aufklärung leistete, das für "Desinformationsstrukturen und Desinformationskulturen" zuständig war. Die wichtigste Aufgabe der Desinformierer-Ost war das Fälschen von Material über Politiker, um "faschistische Tendenzen" in der Bundesrepublik Deutschland nachweisen zu können. Die größte Aktion des Referates war die Operation Neptun, als in Zusammenarbeit mit dem russischen KGB und dem tschechoslowakischen StB mehrere Kisten mit sorgfältig gefälschtem Kompromat in einem See versenkt wurden und als "Originalmaterial" des Hitler-Regimes "entdeckt" wurden. Das Ziel der Aktion war es, die Verjährung für Verbrechen im III. Reich zu verlängern und westdeutsche Politiker als Verbrecher in der Kontinuität der Nationalsozialisten darzustellen. Das gelang nicht, weil der tschechoslowakische Leiter der Aktion in den Westen 'rübermachte und die Sensation enttarnte.

*** Spion vs. Spion vs. Doppelspion ist ein beliebtes Spielchen im Kalten Krieg gewesen. Heute befinden wir uns nicht mehr im Kalten Kireg, heute sind wir weiter! Hurra, wir reden jetzt vom hybriden Krieg, in dem Desinformationskampagnen ein wichtiges "Wirkmittel" sind. In dem ein Edward Snowden allein dadurch schon in der "Bild-Townhall" als Verräter dargestellt wird, weil er sich in Russland aufhält. Wer aus bekannten Gründen nicht auf den Link klicken will, lese hier, wie Geheimdienstchef Gerhard Schindler vom BND die desinformationelle Hetzkampagne einläutet:

"Bei aller Wertschätzung und bei allem guten Willen, den ich ihm unterstelle, ist und bleibt er ein Verräter. Er hat amerikanisches Recht gebrochen. Und was ich noch eher skeptisch beurteile ist, dass er sich in die Hand der Russen begeben hat und damit das Spiel der Russen und die hybride Kriegsführung mit unterstützt."

Jaja, das schlimme Spiel der Russen, bei denen man immer auf ein Foul gefasst sein und die Koffer parat haben muss, um sich schnell nach Spanien abzusetzen. Hybride Kriegsführung ist übrigens für die Linke sinnigerweise nur heiße Luft, wie es in dieser Woche hieß, wenngleich auch dort bei der "Eskalation gegen Russland" in dem hybriden Krieg die "Manipulation der öffentlichen Meinung" eine Teilstreitkraft auf dem Schlachtfeld Internet ist.

*** Wie die Meinung manipuliert werden soll, zeigte in dieser Woche der zweite Geheimdienstchef Hans-Georg Maaßen mit einem interessanten Auftritt vor dem NSA-Untersuchungsausschuss. Das ganze gekrönt von der Tatsachenbehauptung, Snowden sei ein russischer Agent, wie es die Parlamentsnachrichten zusammenfassen. Auch bei Maaßen ist die intellektuelle Glanzleistung zu bestaunen, dass der Entzug des Reisepasses durch die US-Regierung Snowden selbst angelastet, der Versuch von ihm, Asyl in Deutschland zu bekommen, überhaupt nicht erwähnt wird. Dass der Zufallsfang der russischen PR-Strategie zupass kam, ist alles, was an "Tatsache" vorhanden ist. Bei der Frage, ob vielleicht der BfV-Chef Maaßen ein russischer Agent ist, ist dieselbe Logik am Werk. Wie staatstragend, dass ein Blatt wie Cicero dazu passend in einem online nicht verfügbaren Artikel "Falsche Freunde" darauf hinweist, dass alle Whistleblower aus dem Snowden-Umfeld sich gerne von dem Propaganda-Sender "Russland Heute" bzw. "Russia Today" interviewen lassen. So geht hybride Kriegsführung.

*** Zur Desinformationsstruktur der hybriden Kriegsführung werden nicht wie einstmals Kisten präpariert und in einem See versenkt werden müssen, wir haben ja das Internet mit der Darknet-Kiste innen drin. In der letzten Wochenschau wurde der Fall von Jacob Appelbaum nur kurz erwähnt, schließlich gab es nur Gerüchte und Appelbaum äußerte sich erst später dazu. Inzwischen ist aus der Causa Appelbaum ein großes Gesumm geworden, das sicher weiter summen wird. Wenige Beiträge sind wirklich interessant, etwa der von Patrice Riemens. Wagen wir darum eine kleine "Anmaaßung" und nehmen den Gedanken eines Heise-Lesers auf, der das Geschehen im Sinne der hybriden Kriegsführung interpretiert, seinerseits auf einen Artikel über Tor. Danach könnte der Zeitpunkt gekommen sein, dass Tor keinen Zuwachs an Traffic mehr braucht, der wesentlich von der stark angewachsenen Hacker-Szene kommt, mit all ihren Schattierungen von Sicherheitsforschern bis zu den Online-Aktivisten. Die Netzwerkstrecke DB ist ausreichend versorgt. Ob der Tor-Popularisierer Jakob Appelbaum ein Geheimagent ist oder nur ein nützliches Helferlein, ist dabei egal. Man kommt auch ohne verschwörungstheoretische Überlegungen aus, ob die zwei Dutzend US-Amerikaner und Briten in der Berliner Hacker-Szene Agenten sind oder nur von diversen Agenten und Militärattachés beäugt werden, die in Berlin agieren.

*** Krieg ist Frieden! Freiheit ist Sklaverei! Unwissenheit ist Stärke! Mit diesen Inschriften am Ministerium der Weisheit kann der US-amerikanische Wahlkampf betrachtet werden. Da gibt es in Chicago eine Firma namens Timshel, die eine Software namens The Groundwork vertreibt zum Zwecke der "Social Media Activation" von digitalen Couchkartoffeln, mit besten Ergebnissen bei Präsidentschaftskampagnen. Offensiv wirbt man damit, dass die Erfahungen der Obama-Kampagne in Software übersetzt wurden und nun von der PR-Agentur Groundwork bei der Truppe um Hillary Clinton als "Salesforce für Politik" zum eingesetzt wird. Wichtigster Finanzier von Allem: Eric Schmidt, der Über-CEO von Google. Das bewog Julian Assange, anlässlich des Medienforums von "Russland Heute" (s.o.) in Moskau davor zu warnen, dass Google Hillary Clinton unterstützt. Doch noch ist Schmidt nur ein Investor unter anderen. Wie man als Milliardär sein Geld richtig diruptiv anlegt, hat Peter Thiel gezeigt: Gawker ist pleite. Pressefreiheit ist die Freiheit von einer handvoll Milliardären, sich rächen zu können. Kommt von irgendwo ein Lichtlein her? Aber klar doch, nicht immer gehen die Rache- und Vernichtungspläne auf.

Was wird.

Die Fußball-EM hat angefangen, im Supermarkt um die Ecke gibt es Klobürsten in den Farben Schwarz-Rot-Kack und andere Hässlichkeiten. Selbst reputierliche Computer-Museen zeigen sich bildlich vom "Fußballfieber" infiziert. Die Froschfresser spielen gegen die Zigeuner und "wir" gegen die Krimverlierer: Twitter lässt in seiner ganzen Rohheit grüßen, von @schland_watch dokumentiert. Das ganze hat mit Fußball natürlich nichts zu tun: wenn England die EM gewinnt, fällt der Brexit aus. Das nennt man dann Abstimmung mit den Füßen.

Am Dienstag startet der "Digitale Flüchtlingsgipfel" des Bundesinnenministerium in Berlin. Mit dabei: Betterplace, die Initiative D21 und OpenTransfer sowie viele Firmen-Beauftragte für Corporate Responsibilty und chancengleichen Wohltaten. Man will offensiv die Möglichkeiten des Internet nutzen und die Hilfe besser koordinieren, "statt ständig das Rad neu zu erfinden". Eine gewisse Erfindungshöhe kann man dem Einfall der, ähem, sozialdemokratischen Bundesarbeitsministerin Nahles nicht absprechen, die Ein-Euro-Jobs bei Flüchtlingen auf 80 Cent zu reduzieren, weil diese meistens in den Aufnahmeeinrichtungen selber arbeiten würden. Ne kleine Einordnung? 15 bis 20 Cent kostet eine Minute beim Telefonieren nach Syrien. Aber digitale Flüchtlingshilfe, das können wir.

Quelle : www.heise.de
Titel: 4W: Von enthemmten Mittelschichten und Hilfs-Bundesinnenministern
Beitrag von: SiLæncer am 19 Juni, 2016, 00:09
Radikale Absteiger sind sie, diese Mittelschichtler. Gut, dass sie einen Innenminister haben, die auf alle aufpasst. Doch auch dem muss man auf die Finger schauen. Hal Faber rechnet mal nach.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** "Dazusitzen, in diesem wunderbaren Saal, zuzuhören, wie die Vertreter von 32 Staaten nacheinander aufstanden und erklärten, wie furchtbar gern sie eine größere Zahl Flüchtlinge aufnehmen würden und wie schrecklich leid es ihnen tue, dass sie das leider nicht tuen könnten, war eine erschütternde Erfahrung. [...] Ich hatte Lust, aufzustehen und sie alle anzuschreien: Wisst ihr denn nicht, dass diese verdammten 'Zahlen' menschliche Wesen sind, Menschen, die den Rest ihres Lebens in Lagern oder auf der Flucht rund um den Erdball verbringen müssen wie Aussätzige, wenn ihr sie nicht aufnehmt?“

Das Flüchtlingsdrama geht weiter mit neuen Rekordzahlen aus dem Mittelmeer, mit Berichten über grundrechtsverletzende Ausbootungen unter Aufsicht von Frontex und natürlich mit Konferenzen, in denen über Flüchtlingsquoten verhandelt wird. 100 Flüchtlinge pro Tag aus den türkischen Lagern, das kann Europa gerade noch verkraften, aber wehe, es sind zwei mehr, dann ist das Drama da.

*** Mittenmang in dieser Situation zerbricht der gehätschelte deutsche Mittelstand. Da sind die Bürger, die das Geschehen als Chance begreifen und helfen, die Sprachkurse geben und jede Menge Apps für Flüchtlinge entwickeln. Dafür werden sie vom Bundesinnenminister gelobt, der ihnen dieses Foto zeigt. Wir sehen acht Männer, kurz bevor sie in ein Boot steigen, um über das Mittelmeer zu kommen. Fünf von ihnen, rund 70 Prozent, hantieren dabei mit Smartphones.

*** Aber da sind auch die anderen in der Mittelschicht, die von der Statuspanik befallen sind. Besagter Thomas de Maizière ist in diesen Tagen der wichtigste Vertreter des sich selbst radikalisierenden Mittelstandes, wenn er davon fabuliert, dass 70 Prozent der männlichen Flüchtlinge von Ärzten krank geschrieben werden. Mit großer Mühe hat sein Ministerium diesen Unsinn zurechtgetwittert und von "spotlight-artigen" bis zu 70 Prozent gesprochen. Ja, wo das Smartphone nicht ausreichend Licht liefert, da muss schon ein greller Scheinwerfer her, gerichtet auf eine kleine Unterkunft. Und schwupps, ist bei fünf von acht untersuchten Flüchtlingen die geforderte Prozentigkeit erreicht. Und schwupps, ist de Maizière nach Frankreich entschwunden, zu einer Kabinettsitzung und der deutschen Fußballnationalmannschaft. Die in Evian logiert, dort, wo die Flüchtlingskonferenz von 1938 so kläglich scheiterte. Das Eingangszitat dieser Wochenschau stammt von Golda Meir, lediglich das Wort Konzentrationslager wurde von mir verändert.

*** Die Angst des besitzenden Mittelstandes treibt auch einen de Maizière um, weshalb er neben der 70-prozentigen Fehlleistung im Interview auch über eine Wachpolizei spekulierte und Videoüberwachung als "Element gegen die Einbruchskriminalität" in die Vorstädte bringen will: "Es gibt aber die Möglichkeit, auch Kreuzungen in Einfamilienhaussiedlungen zum Kriminalitätsschwerpunkt zu erklären und dort öffentliche Kameras zu installieren." Ein beruhigender Vorschlag, zu dem sicher eine ordentliche Deklaration gehört, was die Kameras alles können sollen. Sonst müssen sie, wie im schönen Hannover geurteilt, abgebaut oder dürfen erst gar nicht wie in Berlin aufgestellt werden. Viel beunruhigender sind scheinbar liberale :Kommentare wie der von Heribert Prantl zum Einbruchsproblem, wenn es unter Berufung auf Horst Herold heißt:

*** Wenn Einbrecher immer organisierter vorgehen, muss das auch die Polizei tun. Als einst Horst Herold, Präsident des Bundeskriminalamts zu RAF-Zeiten, in Nürnberg Polizeipräsident war, ließ er die Straftaten so penibel auswerten, dass er vorhersagen konnte, wo die nächsten passieren. Das heißt: Es kann im Idealfall die Polizei schon vor den Tätern da sein.

Da ist er wieder, der Traum des Predictive Policing mit seiner Theorie von den near repeats und integrierten Suchfunktionen in der Social Media-Abteilung des Internet. Die Maßnahmen werden etwa in NRW als "Erfolg" ausgegeben, die Versuche auf andere Städte ausgeweitet, obwohl es vor 2017 keine Zahlen gibt und wissenschaftliche Studien Mangelware sind. Bei der vorgeschlagenen Wachpolizei ist man eigentlich schon schlauer und weiter, erinnert sei an die Freiwillige Polizei-Reserve in Berlin, bestückt mit Law and Order-Typen aus der rechtsradikalen Szene. Nein, hier muss man dem Bundesinnenminister kein rechtes Gedankengut unterstellen. Der Trick, mit Angestellten Polizeibeamte zu ersetzen, ist ökonomisches Kalkül und nur die Vorstufe für den Wachauftrag für private Sicherheitsdienste, damit der Mittelstand in seinen Einfamilienhausssiedlungen besser schlafen kann und nicht zur AfD rübermacht. Diese Form Haushaltsentlastung könnte man noch optimieren: Wie wäre es mit Hilfs-Bundesinnenministern, schnell an der VHS ausgebildet, mit einem zertifizierten Abschluss in Prozentrechnung?

*** Bei der privaten Sicherheitsfirma 4GS, ehemals als Falck Group bekannt, hat der Amokläufer gearbeitet, der am Sonntag in Orlando 49 Menschen erschoss. Angeblich gibt es einen islamistischen Hintergrund mit Bezug auf den Anschlag in Boston, vieles deutet jedoch auch darauf hin, dass ein misslungenes Coming-Out ein Grund sein könnte, von einem, der die zum Coming-Out nötige Übereinstimmung mit sich selbst nicht zulassen wollte. Kurz vor dem Christopher Street Day steht die LBGTTIQ*-Community unter Schock, wird den Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transgender-, Intersexuell-, Queer oder unbestimmtwollenden Menschen die Haut vom Leibe gezogen, in einem Stück. Die Zeiten für Minderheiten sind schlechter denn je und "schwule Orte" sind wieder ein Stück in das gesellschaftliche Abseits gerückt und in der Community wachsen die Ängste. Auch der Mord an Jo Cox könnte in diese schlimme Richtung zeigen, schließlich verurteilte sie die Bigotterie der britischen Regierung gegenüber der LBGTTIQ* -Community. Gegen die Fanatiker, die Amerika, Britannien, Deutschland oder einen Islamischen Staat wieder groß machen wollen, muss der Schutz der Menschenrechte und der Grundrechte für alle gelten.

Was wird.

Bei Microsoft gibt es eine Firmenbibel, das Buch Exponential Organisation von Salim Ismail, Michael Malone und Yuri van Geest. Wer diese MTP-Prediger (Massive Transformative Purpose) liest, bekommt eine Ahnung davon, dass der Kauf von LinkedIn mehr ist als der letzte Versuch, Karlchen Klammer mit berufsbegleitenden Tipps zu neuem Leben zu erwecken. Auch die Vision von einem netten Bluescreen mit der Aufforderung von Karlchen "Ich möchte Sie gerne zu meinem beruflichen Netzwerk auf LinkedIn hinzufügen" wird es so nicht geben.

Während heise online weiter unverdrossen den 20. Geburtstag feiert und sich die Riesensause am Ententeich nähert, ist es der 10. Geburtstag vom Web 2.0 eher einer von der stillen Sorte. So viel gibt es da nämlich nicht zu feiern, nicht nur wegen Hass und Trollerei, das zeigt die Juni-Ausgabe von First Monday. Aus dem Mitmach-Web ist ein Ablausch-Web geworden, im doppelten Sinne, denn NSA & Co sind mit von der Partie. Die Blogosphäre ist kommerzialisiert und ausgetrocknet, der Online-Aktivismus hat sich immens verbreitert, doch führte er nicht zum erhofften zivilgesellschaftlichen Widerstand. Zehn Jahre nach dem Start vom Web 2.0 ist das Rechnen in Beständen angesagt, gewinnt das Netzwerken eine immense Bedeutung für alle, die ihren Job-Status in Gefahr sehen.

Es gibt Länder wie Kanada, in denen eine Jobsuche ohne LinkedIn-Profil nicht mehr möglich ist, wenn es um mehr als eine Praktikantenjob geht. Aus dieser Sicht ist das Andocken von LinkedIn bei Microsoft der erste Schritt zu einem "Social Credit System", wie es in China aufgebaut wird. Die Verbesserung des gegenseitigen Vertrauens bei der Suche nach einem Arbeitsplatz, einem neuen Kunden oder Geschäftspartner ist doch ein wunderbarer Ansatz, für den man vielleicht noch eine Drogen- und Finanzkontrolle braucht. Das mögen nicht alle so sehen. Darum, ganz im Sinne der anstehenden Party: Kopf hoch! Es gab schon immer lustige Kommentare.

Quelle : www.heise.de
Titel: 4W: Von Zukünften, Zitis und Zyklonopathen ...........
Beitrag von: SiLæncer am 26 Juni, 2016, 06:29
Wenn's dem Esel zu wohl wird, geht er aufs Eis. Oder setzt auf Nationalismus. Haben wir noch eine Zukunft? Fragt sich, was man darunter versteht, merkt Hal Faber an, und bekräftigt: Vive l'Europe. Es lebe die europäische Union und der Bundesstaat Europa.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** "Zukunft ist live. Aber nur eine ist die richtige", wirbt SAP gerade an allen möglichen Stellen für S4/HANA, wenn der Adblocker mal nicht in Betrieb ist. Ein schöner Satz in diesen Tagen, wo über die Zukunft der Jungen gejammert wird, die von den Alten ausgeknipst wird. Was nicht einmal für Großbritannien so richtig stimmt, wo die Wahlbeteiligung der Jungen unzureichend war. Also, wer hat eigentlich die Zukunft abgeschafft und durch die ewige Gegenwart ersetzt, mit endlosen Geschichten von Rosamunde Pilcher an britischen Küsten? Nein, SAP ist nicht dran schuld, da optimiert man nur den Customer Lifetime Value mit Hilfe von Big Data. Das soll Zukunft haben, den Menschen präzise auf seine Lebenswertigkeit hin auszurechnen. Vielleicht ist Zukunft aber auch etwas ganz anderes. Das schreibt Georg Seeßlen über die Zukunft als ein Menschenrecht, dass Asyl ausnahmslos allen Menschen ohne Zukunft gewähren sollte.
"Zukunft haben, die Möglichkeit, aus eigener Kraft und mit der Hilfe von anderen Lebensumstände, Machtverhältnisse und Entscheidungsräume zu verändern, die Hoffnung darauf, von der Fremd- zur Selbstbestimmung zu gelangen, aber eben auch Ideen, Fantasien, Träume zu entfalten ohne Furcht und ohne Zwang, kann zweierlei bedeuten: Das Privileg weniger oder das Recht aller."

*** Als Privileg weniger haben Peter Thiel und Mark Zuckerberg Zukunft, haben Firmen wie Facebook ein Monopol für die Vernichtung anderer Möglichkeiten, als Recht aller sind alle Menschen gefragt, eine Zukunft zu definieren. Wenn gleich nach dem Brexit bange gefragt wird, was denn die Märkte machen, als ob die Marktfreiheit und die Wettbewerbsfähigkeit die höchsten Werte unserer Kultur sind, kommt heraus, wie systematisch die Zukunft im Namen Europas abgeschafft wurde. Auch die Leichtigkeit, mit der Politiker das CETA-Abkommen als mögliches Vorbild einer britisch-europäischen Vereinbarung zitieren, zeigt ein Denken, das ohne Zukunft auskommt und sich mit dem Bestehenden abfindet.

*** Apropos CETA: Die Brexit-Bejubler, die jetzt ihre ganze Britishness ausleben wollen, vergessen Kleinigkeiten wie die Tatsache, dass die britische Wasserversorgung privatisiert und an einen kanadischen Fonds verkauft wurde, während sie in Schottland bei der öffentlichen Hand blieb. Es sind die Resonanzspuren des Thatcherismus, die diese Wahl auszeichneten. Oder da wäre die Tatsache, dass das Gros der britischen Agrarindustrie Farmen mit 100 Hektar Land sind, die reichen Familien und Investoren gehören und kein Umweltschutzgesetz ihre Windradbaumanie kanalisierte.

*** Aber wir sind ja in der IT und damit in der Zukunftsbranche schlechthin, da gibt es ein bisschen Bedauern und gut ist's, die Londoner Start-Ups können ja zwecks Freizügigkeit des Arbeitsplatzes nach Berlin kommen. Schließlich wird der gerade erst festgezimmerte Datenschutz beachtet, was will man mehr. Was die seltsamen Steuerpraktiken von Firmen wie Vodafone anbelangt, schildern Heise-Foristen in einfacher deutscher Sprache.

*** Zu den bekanntesten Brexit-Befürwortern zählt Sir James Dyson, dem die britische Presse zu Füßen liegt, wie sie selbst berichtet. "Ernsthaft, wenn Dyson ein Land [nach seinen politischen Ideen] designen würde, würden Sie in ihm leben wollen, weil es schön ist und Spaß macht und vor allem, weil es funktionieren würde." So sieht es aus, wenn man Zukunft und Gesellschaft mit einem Produkt verwechselt, das man verkaufen möchte. Wobei, wenn schon ein neues Britannien designet werden soll, wäre auch ein neues Königshaus ganz fesch, so voll auf der jakobitischen Linie mit Franz, dem Zweiten. Den Papst würd's freuen. Oder vielleicht sollten gleich die Welfen aus dem Haus Hannover wieder übernehmen. Muss ja nicht gleich zu einem zweiten victoriansichen Zeitalter werden.

*** Doch es wird anders kommen. Nüchtern betrachtet, hat nicht Boris Johnson, sondern Theresa May die besten Chancen, Klein-Britannien in die nicht vorhandene Zukunft zu führen. Ihr Meisterinnenstück hatte die härtere Ausgabe von Margaret Tatcher mit einem Überwachungsgesetz abgeliefert, das alle feuchten Schnüfflerträume berücksichtigt. Jetzt wird es zur Beschwichtigung der Kritiker überprüft, doch wesentliche Passagen sind als unverzichtbar davon ausgenommen worden. Unverzichtbar geht es auch in anderen Ländern zu, wo Bürger überwacht und nicht verunsichert werden sollen. Deutsche und russische Politiker lassen sich da nicht beirren: Beide Länder haben zeitgleich neue Anti-Terror-Gesetze verabschiedet, die die Überwachung der Bürger verbessern. Das deutsche Eilgesetz hat es so eilig, dass nicht einmal die Kosten für den "Erfüllungsaufwand" richtig berechnet wurden. Dafür hat die Bundespolizei enorm an Kompetenzen hinzugewonnen. Das russische Gesetz geht einen Schritt weiter und verpflichtet alle Provider die Inhalte von SMS oder e-Mails der letzten sechs Monate so zu speichern, dass sie für die Dienste lesbar sind, auch wenn sie verschlüsselt sein sollten.

*** Und so bleibt bei all dem Durcheinander, in dem die Brexit-Protagonisten schon anfangen, zurück zu rudern und zu betonen, dass das alles doch gar nicht so ernst gemeint war, in dem Boris Johnson ausgebuht wird und Nicola Sturgeon, erste Ministerin Schottlands, ein erneutes Referendum über die schottische Unabhängigkeit ankündigt, in dem die Sinn Fein ein Referendum über die Wiedervereinigung Nordirlands mit Éire fordert, in dem die EU-Granden durcheinanderreden und nicht so recht wissen, ob mehr oder weniger Eurpa die richtige Antwort auf den Brexit ist, in dem Pablo Turrión von Podemos eine sozialere und demokratischere EU fordert und einen Austritt Spaniens aus der EU ausschließt, in diesem Durcheinander also bleibt festzuhalten: Vive l'Europe! Es lebe die Europäische Union und der Bundesstaat Europa – auch als Hort der Demokratie und der Menschenrechte im 21. Jahrhhundert.

Was wird.

Dafür bekommen wir was viel Schickeres, die Zentrale Stelle für Informationstechnik im Sicherheitsbereich, ZITIS. Da Verschlüsselungen nicht einfach knackbar sind, sollen sich bis zu 400 IT-Mitarbeiter an die Programmierung von Trojanersoftware oder auf die Suche nach Sicherheitslücken machen, und Sachen benutzen wie etwa ein Ausleitungsmodul für Whatsapp. Womöglich arbeitet man auch als Zentralstelle für den Einkauf von Zero Days auf dem grauen Markt, auch das geben die geleakten Papiere her. Per Einrichtungserlass bekommt Deutschland eine Mini-NSA, weit umfangreicher als das einstmals geplante Kompetenzzentrums Informationstechnische Überwachung mit seinen 30 Mitarbeitern. ZITIS soll für das Bundeskriminalamt, die Bundespolizei und den Verfassungsschutz da sein, nur der Bundesnachrichtendienst ist nominell aus dem Spiel, bis der theoriemäßig zuständige Satellit im Weltraum gefunden ist.

Beim ZITIS-Spielchen der geheimen Dienste und Ermittlungsbehörden sollte der neue Bürger-Geheimdienst DISCREET nicht vergessen werden. DISCREET hat in Berlin mit der dreiwöchigen Ausbildung neuer Bürger-Agenten begonnen. Die Frage ist nicht uninteressant, wie ein moderner Geheimdienst aussehen kann, der bei der Totalausbeutung des Menschen durch "Facebook & Co" einschreiten kann. Auch wenn der erste Ausbildungskurs in Kryptologie etwas abgedroschen erscheint, so gibt es doch Spielraum nach oben. Erster Bürger-Agent ist übrigens nach eigener Einschätzung Edward Snowden, der von der Regierungsseite zur Bürgerseite wechselte – und in Russland das russische Überwachungsgesetz kritisiert. Als er noch mit dem Wechseln der Seiten beschäftigt war, besaß er eine Mail-Adresse beim Provider Lavabit. Dieser hat nach einigem Hin und Her über drei Jahre alle bis dato geheimen Dokumente jener Knebelorder freigeklagt, aus denen hervorgeht, dass eine "Grand Jury" den privaten SSL/TLS-Schlüssel von Lavabit haben wollte, um an Edward Snowdens Mailbox gelangen zu können. Die (zensierten) Details zu diesem pikanten Briefwechsel finden sich bei Cryptome als ZIP-Archiv, eine Rede ist für die kommende DefCon angekündigt

Kann ich es verantworten, meine Leser mit düsteren Gedanken über das kommende Europa in die gewitterhaltige Sommernacht entlassen, in der Zyklonopathen ängstlich das Haus hüten oder Buchen suchen? Nein, etwas Positives braucht der Mensch, wie es bereits dem großen Kant schwante, als er seinem Diener Lampe beim Dienen zuschaute. Und es gibt ja auch Erfolgsgeschichten weitab vom Hyperkapitalismus und dem Hä-Hä-Hä über die Briten. Im Kleinen und Feinen feiert Europa am Vorabend des 1. Juli mit einem High Level Event, dass eIDAS an den Start geht, jenes wunderbare System, mit dem man Niederlassungen im Ausland anmelden kann oder eben die Immatrikulation an einer ausländischen Universität durchführt. Ok, für britische Firmen wie OIX ist es ein Schlag ins Kontor. Dafür aber ist in einer Keynote die Deutsche Post mit ihrem e-Postbrief dabei, der gelben Lösung für ganz Europa.

Quelle : www.heise.de
Titel: 4W: Von guten Europäern & europäischen Demokraten & nicht-europäischen Denkern
Beitrag von: SiLæncer am 03 Juli, 2016, 06:31
"Durch Ungehorsam entstand der Fortschritt." Vielleicht sollte man auch mal ungehorsam gegen eigene liebgewordene Gewohnheiten sein. My home is my anarchy, oder so, trompetet Hal Faber den flüchtenden Vordenkern hinterher.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Es ist nicht leicht in diesen Tagen, ein guter Europäer zu sein. Nein, das liegt nicht am Gewürge dieser unansehnlichen Europagesellenschaft im Fußball mit Spielen wie dem zwischen Portugal und Polen. Es liegt an Europas Spitzenpolitikern wie einem Jean-Claude Juncker, der in seiner Amtszeit als Luxemburger Premierminister panamademische Steuermodelle entwickeln ließ, die die lieben Nachbarn schädigten. Es liegt an einem Spitzenpolitiker wie dem EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker, der befindet, dass CETA nicht Sache dieser lästigen Nationalparlamente sein soll, die sich Europa immer noch leistet. Es liegt aber auch an einem Europa, in dem die europoäischen Bürger nicht begreifen, was sie an ihrem von ihnen selbst gewählten Europaparlament haben. Und es liegt an einem Europa, in dem das Europäische Parlament, das Juncker ebenfalls übergehen will, einen Antoine Deltours im Jahre 2015 mit dem Europäischen Bürgerpreis ehrte. Nun ist Antoine Deltour im Namen des luxemburgischen Volkes zu 12 Monaten auf Bewährung verurteilt worden. Es ist ein verheerendes Signal und zeigt, wie eine mächtige Lobby von Regierungen und Großkonzernen versucht, Whistleblower zu isolieren und zu kriminalisieren. Dieses Europa der steuerflüchtigen Großkonzerne und der schutzlosen Whistleblower kann man nicht lieben, frei nach Gustav Heinemann.

*** Aber es liegt auch an den Denkern in Europa, dass sie nicht etwa Vordenker einer europäische Union sind, die diesen Namen verdient, sondern sich still und heimlich davonschleichen und mit der ganzen Sache nichts zu tun haben wollen. Da sind unsere öffentlichen Intellektuellen nicht besser als ein egozentrischer Populist, dem jede Lüge Recht ist, wenn's der eigenen Karriere dient. Und der sich überrascht zeigt, wenn ein brutushafter Dolch ihn unvermutet tritt.

*** Ja, womit wir bei Boris Johnson wären. Als er noch Londoner Bürgermeister war, fand Johnson Europa richtig Klasse. Er konnte nach Deutschland fliegen und drei gebrauchte Wasserwerfer vom Typ WaWe 9000 für den Schnäppchenpreis von 160.000 Euro kaufen. Sie wurden bei uns ausgemustert, weil mit dem WaWe 10000 ein wahres Wunderwerk deutsch-österreichischer Ingenieurskunst zum Einsatz kommt. Dass jemand Wasserwerfer für seine Stadt in einem Land kauft, in dem der Einsatz von Wasserwerfern verboten ist, störte Boris Johnson nicht. Er wollte der Innenministerin Theresa May ein Schnäppchen schlagen. Das ist die in der letzten Wochenschau erwähnte Frau, die jetzt Premierministerin werden könnte, nachdem Johnson schmählich abgetreten ist. Wer Kalif werden will anstelle des Kalifen, braucht halt einen Plan und den hatte He's no Good nicht, nur ein paar hübsch geschriebene Zeitungsartikel. So wird das nichts, so dreht am Ende Rupert Murdoch mit seinen Blättchen weiter die Rädchen einer Geschichte, bei der der Sieger Rupert Murdoch heißt. "Denn Brutus ist ein ehrenwerter Mann, Das sind sie alle, alle ehrenwert."

*** In Österreich gibt es einen behördlichen Glykolskandal, weil bei der Auszählung der Briefwahlstimmen anlässlich der Wahl des Bundespräsidenten gepfuscht wurde. Da wurden Briefwahlstimmen bereits in der Wahlnacht ausgezählt, oder wurden die Briefe zumindest aufgeschlitzt, was beides verboten ist. Da wurde klock neun am nächsten Tag nicht auf die Wahlbeobachter gewartet, weil man nicht der Letzte sein wollte. So gab es Rechtsbrüche, aber nicht die von der FPÖ vermuteten Manipulationen. Die Wahl in der Weinrepublik wird wiederholt, denn das "Fundament der Demokratie" muss tragfähig sein. Ein Wahlkampf zum Kotzen steht an, bei dem der falsche Vorwurf der Wahlfälschung sicher wieder ausgegraben wird. Mit dabei eines der erfolgreichsten IT-Projekte des Landes, die Beantragung der Wahlkarte mit der Handy-Signatur, das zum Start von eIDAS gelobt wurde. Ja, da rutscht Europa irgendwie elektronisch zusammen und Österreich ist Vorbild.

*** Seit letzter Woche wissen wir, dass mit ZITIS eine neue Behörde mit 400 Mitarbeitern aufgebaut wird, die sich um verschlüsselte Kommunikation kümmern soll. Dies wurde in dieser Woche vom ehemaligen Bundesdatenschützer Peter Schaar kritisiert. Leider nicht online verfügbar ist der Text von Martin Schallbruch, der in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung ein Plädoyer dafür hält, eine Behörde mit wenigen, aber dafür höchst qualifizierten IT-Experten aufzubauen, statt viele Experten über viele Behörden zu verstreuen. Immerhin ist der Mann einsichtig, der vor kurzem im NSA-Untersuchungsausschuss bekannte, dass jede verschlüsselte Mail ein Zugewinn an Sicherheit darstellt. "Abgeschwächte Verschlüsselung hilft nicht nur der Polizei, sie macht es Terroristen leicht, in industrielle Steuerungsanlagen einzudringen. Hintertüren werden nicht nur für rechtsstaatlich abgesicherte Ermittlungen genutzt, sondern auch von ausländischen Nachrichtendiensten. 'Pflichtschnittstellen' zum Ausleiten unverschlüsselter Nachrichten werden wahrscheinlich von Hackern angesteuert, bevor die Sicherheitsbehörden überhaupt so weit sind, sie umfassend zu nutzen." Schallbruch leitete einst die IT-Abteilung des Bundesinnenminsteriums, heute ist er stellvertretender Direktor am Digital Society Institut, das vom "Cyberwar"-Experten Sandro Gaycken geleitet wird.

*** Im Kreis der Verschlüsselungsangebote ist die Volksverschlüsselung angekommen und kann unter Windows benutzt werden. Es gibt Bedenken wegen der nicht ganz so offenen Lizenzen und der Einschränkung der Nutzung des Volksschlüssels im privaten Umfeld – für das geschäftliche gibt es bekanntermaßen die De-Mail mitsamt dem Verschlüsselungsangebot von Mailvelope. Noch nicht zu sehen ist, ob diese Volksverschlüsselung auf das deutsche Volk beschränkt ist, denn hurra, hurra, wir haben eine BND-Reform bekommen, die "den Datenverkehr von Ausländern im Ausland" zur Überwachung freigibt, so nach dem Motto "Jeder Mensch ist irgendwo Ausländer". Wie war das noch mit diesem Europa? Das Europa der Abhörer? Das ist künftig legal und feinsäuberlich geregelt, im Windschatten einer, haha, Europameisterschaft. "Dies sollte eigentlich verboten werden. Doch nun wird die Überwachung von EU-Einrichtungen, EU-Staaten und EU-Bürgern im Ausland möglich bleiben – unter anderem bei Vorgängen von 'besonderer Relevanz für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland'. Für den Schutz der EU-Partner soll in Karlsruhe ein neues Kontrollgremium eingerichtet werden, das aus zwei Bundesrichtern und einem Bundesanwalt besteht."

*** In dieser Woche wurde bekannt und in den Heise-Foren heiß diskutiert, dass ein Mensch sich im Zusammenspiel mit seinem liebevoll "Tessy" genannten Vehikel sich erfolgreich um die Aufnahme beim Darwin Award bemüht hat. Mit wochenlanger Verspätung dürfte diese Nachricht zu tiefschürfenden Diskussionen um Erkennungs-Algorithmen, Computerfehlern und dem Wesen des Menschen liefern. Sogar den Seitenhieb auf US-amerikanische Sonnenstaaten wie Florida werden wir lesen dürfen. Was fehlen wird, sind Details zum abbiegenden Sattelzug mit Aufliegern, die in den USA keinen Unterfahrschutz haben, keine Beschränkung der Gesamtlänge kennen und es viele Interstate-Abbiegungen ohne Ampelschaltung wie jene in Williston gibt, die im Navi-Systemen wie PC Miler oder Rand McNally nicht in der Überfahrtslänge ausgewiesen sind. Was bleibt, ist die Debatte über einen gehörten Harry Potter-Film, nachdem "System 7" ausgegeben wurde. Die nächste Debatte kommt, wenn Nikola auf Tesla trifft.

Was wird.

Bleiben wir vor Ort. In den USA wird heute der Disobedience Day gefeiert, vielleicht am Besten mit "Tag des zivilen Ungehorsams" zu übersetzen. "Durch Ungehorsam entstand der Fortschritt", das wusste schon Oscar Wilder. Dabei geht es am Disobedience Day nicht darum, anarchistisch über die Stränge  zu schlagen, sondern auch gegen eigene Gewohnheiten zu rebellieren: Wer sonst Tesla fährt, sollte an diesem Tag Fahrrad fahren. Dieser Tag, der an Thoreau erinnert, hat keine Tradition in Deutschland, wo ziviler Ungehorsam als öffentlicher Akt definiert wird, der "angekündigt ist und von der Polizei in seinem Ablauf kalkuliert werden kann", wie dies die Bundeszentrale für politische Bildung schreibt. In den USA wird der Tag genutzt, um über den Dissent Channel bei den US-Behörden zu diskutieren, der Kritikern von Missständen einen Kommunikationskanal geben soll. Alles Banane bei uns? Aber nicht doch. In der Reaktion auf die Luxleaks von Antoine Deltour, mit der diese Wochenschau begann, gibt es Erfreuliches für die Zukunft zu melden. Zum 1. Juli hat unsere Bundesanstalt für die Finanzdiensleistungsaufsicht (BaFin) eine Hinweisgeberstelle gestartet, für Whistleblower, "die über ein besonderes Wissen zu Unternehmensinterna verfügen". Ein kleiner Schritt, aber einer, im Tiki-Taka-Deutschland.

Quelle : www.heise.de
Titel: 4W: Von Voodoo-Korrelationen und anderen gestupsten Kolossalitäten
Beitrag von: SiLæncer am 10 Juli, 2016, 00:15
"My brain is a neural net", was im Deutschen zu "Mein Gehirn ist ein neutrales Netz" wurde - Androiden haben es nicht einfach, aber Wissenschaftler auch nicht. Hal Faber stimmt zu: "Was fällt, das soll man auch noch stoßen!"

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** "Oh meine Brüder, bin ich denn grausam? Aber ich sage: was fällt, das soll man auch noch stoßen! Das Alles von heute – das fällt, das verfällt: wer wollte es halten! Aber ich – ich will es noch stoßen! Kennt ihr die Wollust, die Steine in steile Tiefen rollt? – Diese Menschen von heute: seht sie doch, wie sie in meine Tiefe rollen! Ein Vorspiel bin ich besserer Spieler, o meine Brüder! Ein Beispiel! Tut nach meinem Beispiele! Und wen ihr nicht fliegen lehrt, den lehrt mir – schneller fallen!

*** Manchmal muss man unumstößliche Wahrheiten in die Tonne treten, weil sie umstößlich geworden sind und gestoßen werden müssen. Man nehme die Super-Vorhersagesoftware Precobs, deren Einsatz in München dazu führte, dass 2015 in den von Precobs überwachten Gebieten 25 bis 30 Prozent weniger Einbrüche passierten. Fantastisch? Nun sind die Halbjahreszahlen von 2016 da und im aktuellen gedruckten Behördenspiegel beklagt ein Polizeigewerkschaftler das satte Plus von 30 Prozent bei den Einbrüchen in München. Hat man im Vertrauen auf das "Predictive Policing" die Belegschaft reduziert? Ist die Software wirkungslos geworden? Macht nichts, der Folgeauftrag, die Software zu optimieren, ist so gut wie sicher. Die prinzipielle Wirksamkeit ist ja "bewiesen".

*** Manchmal passen all die abgetretenen Wahrheiten gar nicht mehr in eine Tonne. Bis zu 40.000 Studien müssen angeblich entsorgt werden, weil die MRT-Software fehlerhaft ist. All die schöne Hirnforschung ist für die Katz, all die schönen TED-Talks entpuppen sich als hirnrissiges Geschwafel. Man denke nur an megalomane Projekte wie Brain Research through Advancing Innovative Neurotechnologies (BRAIN), dem US-Präsident Obama 3 Milliarden Dollar gab, damit die elektrischen Schaltkreise des Gehirns kartographiert werden können. Oder an das Human Brain Project der EU, mit 1,2 Milliarden Euro EU-Gelder und weiteren 800 Milliönchen aus Ländermitteln etwas kleiner. Vom Reverse Enginieering unser kleinen grauen Zellen versprach man sich alles mögliche wie die Erklärung der Finanzblase. Neurowissenschaften produzierten Voodoo-Korrelationen, was prompt als unwissenschaftlicher Ausdruck beanstandet wurde. "Puzzlingly high correlations in fMRI studies of emotion, personality, and social cognition" klingt schon viel besser, nicht wahr?

*** Sehen wir den Zusammenbruch einer großen Forschungsszene (oder ist es nur ein einzelnes Softwareprogramm?) nach 20 Jahren Hirnforschung doch einmal positiv: Wir Menschen haben wieder einen freien Willen, all das neurowissenschaftlich untermauerte Nudging von Politik und Wirtschaft prallt von ihnen ab, nur beim Pissen folgen Männchen der berühmten neurowissenschaftlich ermittelten Fliege, während Weibchen beim Essen zum Obst gestupst werden können. Insbesondere funktioniert der liberale Paternalismus mit seinen geheuchelten Bürgerbeteiligungen, den Townhalls und Tings nicht so, wie er im Gefolge der Neurowissenschaft Einzug gehalten hat in die Politik.

*** Der Übermensch ist wegen Messfehler vorläufig ausgebremst, die von Julian Assange und Ray Kurzweil gleichermaßen ersehnte technologische Souveranität lässt auf sich warten. Auf der Strecke bleibt der Transhumanismus, ein trotz seines sympathischen Logos utilitaristisches Zukunftsbild. Er entpuppt sich als maskuliner Cargo-Cult. Verwiesen sei auf ein unbedingt empfehlenswertes Heft der kritischen Informatiker zum Thema, das gerade erschienen ist, auch so eine Korrelation. Aus einem Artikel daraus stammt die passende Passage:
"Der Transhumanismus arbeitet mit einer funktionalistischen Vorstellung vom Menschen, d.h. das, was den Menschen auszeichnet, sind die Funktionen, die sein Gehirn hervorbringt. Diese Funktionen können erfasst werden, indem das Gehirn möglichst vollständig begriffen wird, indem also die Form, die Funktionsweise und die Interaktionen der Neuronen, der Botenstoffe usw. erkannt werden. Funktionen und Muster bzw. Formen sichtbar zu machen, von der biologischen Materialität – der Wetware – zu extrahieren und auf ein anderes Material zu übertragen, erweist sich als Aufgabe derer, die sich die Gehirnemulation zum Ziel gesetzt haben.

*** Ja, Hirn und Computer, das ist ein unerschöpfliches Thema, gut für lange Artikel und arg gekürzte Vergleiche zwischen den IP-Paketen und flunkernden Neuronen. Jede Epoche der Menschheit versuchte, das Gehirn auf dem neuesten Stand der Technik zu erklären, mechanisch als Uhrwerk, hydraulisch als Gedankenpumpstation und chemisch als Denksuppe. Mit John von Neumann und der Kybernetik war klar, dass die Deutung als Computerschaltung ihren Siegeszug antritt, mit mächtigen Elektronenhirnen, vor denen selbst der Vater des deutschen Wirtschaftswunders kapitulierte. Nun haben wir die Chance, sich vom rechnenden Hirn zu verabschieden, genau zu dem Zeitpunkt, an dem die erste Inlands-Drohne in den USA einen Attentäter tötete (her mit der Kausalität). Denn frei vom Konstruktionszwang unser grauen Zellen können wir den Roboter als Partner begrüßen, der unser Bestes will, auch als Be-Schützer. Der will doch nur helfen.

Was wird.

Das "Endgame" steht an, allerdings keines mit der ausgepowerten "La Mannschaft". Am Montag beginnt in Brüssel die 14. Verhandlungsrunde zwischen der EU und den USA zum Handelsabkommen TTIP über die Lockerung von Handelshemnissen. Auch CETA ist dabei auf der Tagesordnung. Was sich technisch in der Lockerung von Umwelt-, Sozial- und Verbraucherstandards niederschlägt, soll endlich in trockene Tücher kommen. Der Zeitpunkt ist günstig, Europa ist vom Brexit abgelenkt und der schicke Privacy Shield ist aufgespannt. Da ist nur das klitzekleine Problem der Schiedsgerichte, wenn Firmen Staaten verklagen. Aber halt, es geht "Immer auf die Kleinen") und das sind "wir" ja nicht. OK, die andere "La Mannschaft" hat sich mit dem Atomausstieg eine 3-Milliarden-Euro-Klage von Vattenfall eingehandelt, aber das zahlen wir doch gerne für unser Schland. Zumal dann, wenn beim Streit über das Hinunterstupsen des Atommülls gleichzeitig die Demokratie gefördert wird.

In schönster demokratischer Stupserei ist die erste Lesung des BND-Gesetzes über die Bühne gegangen, diesem Nachrichtendienst, der sich für seine Arbeit nicht zu schämen braucht. Wie sagte es der neue BND-Chef Bruno Kahl in seiner Antrittsrede so schön:
"Denn Politik beginnt mit der Betrachtung der Wirklichkeit, und genau dazu sind die Dienste da: hinschauen, Wissenslücken schließen, Fakten sammeln, analysieren, aufbereiten für die Politik."
Beim Lückenschluss, beim Faktensammeln und beim Aufbereiten gilt mit Inkrafttreten des neuen BND-Gesetzes beim Staatsgehirn: Alle dürfen ein bisschen gucken, aber bloß niemand richtig.. Der BND darf alles beschnorcheln und mit XKeyscore auswerten, was benötigt wird, um die "Handlungsfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland" zu bewahren. Vertrauen ist gut, Kontrolle, nein danke.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. Von Nachahmern und Vortäuschern.
Beitrag von: SiLæncer am 24 Juli, 2016, 05:38
"Cyber ist wirklich ein Ding der Zukunft und der Gegenwart", sagt der Präsidentschaftskandidat des US-Republikaner. Hal Faber sucht hektisch nach dem Facepalm-Emoji.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** In dieser Woche schrieb der Journalist Heribert Prantl, dass das Internet eine Nachahmer-Provokationsmaschinerie sei und zugleich eine Hysterie-Maschinerie. Das ist bezogen auf das ganze Internet in seiner Vielfalt eine arge Vereinfachung, aber Prantl ging es um den Amokläufer von Würzburg mit seiner selbst gemalten Fahne des Daesh. Er verglich seine Tat mit dem Piloten der Germanwings-Maschine, den Amokläufern in Erfurt und Winnenden; und er hätte noch den jugendlichen Täter von München nennen können, aber das passierte später. Er hätte auch die hasserfüllten Amokläufer von Littleton hinzunehmen können. Alles jugendliche Amokläufer, die sich ausgeschlossen fühlten und ihre Tat übersteigerten, etwa mit einer Fahne und einem Bekenner-Video, um den Schrecken noch schrecklicher zu machen. Deswegen sollten weder Bilder noch Videos gezeigt werden, wegen der Nachahmer da in diesem Internet. Nicht zu vergessen, die Ballerspiele, die von allen gespielt wurden und die Morde des Rechtsterroristen Breivik. Alles ist Vorbild und alles im Internet erreichbar.

*** Nun liegt eine "heroische Gelassenheit" über München, behauptet die Münchner Süddeutsche Zeitung, während die Hamburger Zeit von einer "unbekannten Schwere" über der Stadt spricht und sich an die Ehrenrettung des Internets macht. Denn das viel gescholtene Internet erwies sich gerade in München mit #offenetür als weitaus besser als die Politiker, die prompt Muslime und/oder Flüchtlinge in Kollektivschuld nahmen und harte Maßnahmen forderten. Oder die mit dieser obzönen Wendung vor die Mikrofone traten, man sei in Gedanken bei den Familien der Opfer -- und auch das noch von einem Zettel ablesen müssen.

*** Alles andere als gelassen präsentiert sich die Türkei. Dort ist aus dem Kampf gegen die Putschisten ein Erdogan-Dschihad mit Massenentlassungen aller Art geworden. Aktuell werden 934 Privatschulen und Universitäten geschlossen, die Gewerkschaften aufgelöst und die zwischenmenschliche Brutalität kultiviert. "Noch gespenstischer sind eigentlich nur die verhaltenen Phrasen europäischer Politikerinnen und Politiker, die sich anscheinend nicht verhalten wollen zu dem Geschehen und so tun, als könnten sie sich nicht dazu verhalten." In dieser Woche hat Wikileaks fast 300.000 E-Mails an Politiker der Erdogan-Partei AKP veröffentlicht, offenbar gegen den Willen des mit den Kurden sympathisierenden Hackers und dies auch noch vorzeitig, das Ende der Hack-Aktion nicht abwartend. Im ersten Batch wurden die Mailboxen A-K ausgelesen und L-Z sollten folgen. Neben der Erkenntnis, dass Fehlermeldungen en masse von einem schlecht gewarteten Mail-System künden, wissen wir jetzt, dass viele Türken ihre Nachbarn anschwärzen. Das ist beim Erdogan-Putsch nach dem Militär-Putsch eine ebenso bedrückende Erkenntnis wie die Tatsache, dass Wikileaks die Bitte ignorierte, mit der Veröffentlichung zu warten. Das Spiel von Verpfeifen und öffentlichen Auspfeifen a.k.a. Whistleblowing folgt den Regeln der Aufmerksamkeitsökonomie, nicht den Bedürfnissen derjenigen, die sich im neuen Dschihad orientieren müssen.

*** Jede Stimme für Hillary ist eine Stimme für einen endlosen, dummen Krieg. Auch die Veröffentlichung von E-Mails führender Mitglieder des Demokratischen Nationalkongresses durch Wikileaks folgt diesem Schema. Zensur findet nicht statt, Schutz von Bürgern aber auch nicht: Wer Schmutz und Zank in der Partei an die Öffentlichkeit bringen will, müsste mindestens die Parteispender anonymisieren, deren Adressen, Sozialversicherungsnummern und Kreditkarteninformationen jetzt frei zugänglich sind. Wie diese Veröffentlichung Bernie Sanders helfen soll, sich doch noch bei den Demokraten als Präsidentschaftskandidaten durchzusetzen, ist schleierhaft. (Die andere Lesart, hier bei den Heise-Foristen, dass der Narziss Assange den Narziss Trump unterstützten will, ist noch abgedrehter.) Da wird einer von Sanders Vertrauten in der Mail als "verdammter Lügner" von Parteichefin Debbie Wasserman Schultz bezeichnet oder Clintons neuer Partner Tim Kaine als Fatzke. Solche Gehässigkeiten und Rücksichtlosigkeiten dominieren die e-Mails. Wenn das schon Skandale sein sollen, dann wäre Herbert Wehner mit seinen Schimpfworten über Parteigenossen und andere Politiker reif fürs Gefängnis.

*** Geht es nach dem Willen der Republikaner unter ihrem neuen Kandidaten Donald Trump, so müsste Hillary Clinton angeklagt und ins Gefängnis gesteckt werden. Sie soll buchstäblich an allem Schuld sein, was Trump in düsteren Bildern ausmalte. Amerika hasst wieder und der Hass kennt keine Grenzen. Der hier schon häufig erwähnte Star-Investor Peter Thiel ist dabei und stolz, ein schwuler Amerikaner zu sein, der seine Meinungsfreiheit als erbitterter Philantrop verteidigt. Donald Trump, bisher ein Problem der Republikaner, ist in dieser Woche eine Herausforderung geworden, der sich die Nation stellen und sie besiegen muss heißt es in der Washington Port, die einem gewissen Jeff Bezos gehört. Wer sich noch nicht mit Trump beschäftigt hat, sollte einen Artikel über seinen Ghostwriter lesen, gegen den Trump juristisch vorgeht.

*** Aber wir hier sind ja schwer im Cyber, nicht nur unsere Bundeswehr mit ihrem Cyberraum und Cyberkarrierepfaden von den Soldaten bei Wir.Klicken.Deutschland. Auch die größte Militärmacht der Welt beschäftigt sich mit dem Cyber-Thema, schließlich sind die USA das einzige Land, das dem Daesh den Cyberwar erklärt hat. In dieser Hinsicht hatte Trump in einem ersten Interview so dargestellt, dass die USA in den Dingen hinterherhinke, obsolet sei und dies ein Fehler der Politiker sei. Befragt, ob die USA sich im Cyberraum nicht nur verteidigen, sondern auch angreifen müsse, antwortete Trump im neuesten Interview, er sei ein Fan der Zukunft und Cyber sei halt die Zukunft. Zuvor war der Dialog so surreal, dass man sich fragte ob er überhaupt versteht, was Cyberwar ist:

Interviewer: Wir sind regelmäßig Cyberangriffen ausgesetzt. Werden Sie Cyberwaffen einsetzen, ehe Sie militärische Gewalt einsetzen?

Trump: Cyber ist wirklich ein Ding der Zukunft und der Gegenwart. Schauen Sie, wir liegen unter Cyberangriffen, aber vergessen das. Wir wissen nicht einmal, von woher sie kommen.

Interviewer: An einigen Tagen wissen wir es, an anderen Tagen nicht.

Trump: Weil wir obsolet sind. Gerade jetzt, besonders mit Russland und China und anderen Plätzen."

Was wird.

In diesen Tagen wird wieder an die tollen Leistungen der KI-Forschung erinnert, weil sich vor 60 Jahren die wichtigsten Vertreter dieser neuen Forschungsrichtung trafen und sechs Wochen lang debattierten, was zu tun ist, bis die Geburt der Denkmaschine angekündigt werden kann. Ein lustiges Völkchen voller Optimismus, das sicher erstaunt gewesen wäre, dass die Frage What to think about machines that think die Leute dermaßen rumtreibt. Die schönste Antwort auf die Frage kam vom Philosophen Daniel C. Dennett in Bezug auf die technologische Singularität, dem Zeitpunkt, an dem die KI a.) entweder dem Menschen überlegen ist und sich selbst entwickeln kann oder b.) die Technik soweit ist, dass der Mensch als KI in die Maschinen Einzug halten kann und auf der Festplatte weiter lebt. Dennett verknüpfte die Frage nach der Singularität mit dem Turing Test: Sie tritt ein, wenn die denkenden Maschinen so intelligent sind, dass sie den Menschen beschwindeln können, dass die Singularität da ist und der Mensch keine Möglichkeit hat, diesen Schwindel zu prüfen.

60 Jahre nach Dartmouth sind wir bescheidener geworden und wollen nur noch selbstfahrende Autos und ein bisschen Ethik, wer wann wen überfahren darf. Derweil ist der Philosoph Dennett am Verzweifeln und hat eine ganz unphilosophische Frage: Er hat auf einem Flohmarkt einen Roboterhund gekauft und weiß nichts über ihn. Immerhin hat er schon einen Namen, Tati, eine Hommage an Jaques Tati. Dieser kleiner Schlenker ist ein überaus dezenter Hinweis darauf, dass wie immer in den vergangenen Jahren das Sommerrätsel ansteht, diesmal in den Sparten Robotik, Weltraumgeschichten und, als Special vor der Party ein Rätsel zu 20 Jahren heise online.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. Vom Schutzbedarf und anderen Bedürfnissen
Beitrag von: SiLæncer am 31 Juli, 2016, 00:22
10 bis 100 Mal größer als das "Surface Web" soll das "Deep Web" sein, zu dem das schlimme Darknet gehört, aber auch das "private Web". Hal Faber ist da etwas skeptisch – auch dazu, wie der Rechtsstaat abgekocht wird.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Ja, wir hatten das schon einmal, diesen Aufbruch mit Cyberhall, hinaus in den Cyberraum mit dem Auftrag, das riesige Dunkelfeld zu bescheinwerfern, in dem es ein Darknet gibt, in dem alles zu haben ist, um Böses zu tun. Kurz bevor Holger Münch beim Bundeskriminalamt die Leitung übernahm, wurde heftig über dieses Darknet und den Hacktivismus diskutiert, der TOR und Tails braucht, damit er nicht verfolgt werden kann. Die Regierungs-Antwort aus dem Jahre 2014 kopiere ich in diese Wochenschau, denn sie ist "relevant für unser Thema", wie es auf Floskisch heißt:

"Die Bundesregierung befürwortet Maßnahmen, die der Verbesserung von Datenschutz und Datensicherheit dienen. Hierzu zählen insbesondere auch Technologien, Verfahren und Anwendungen, die dem Schutz personenbezogener oder vertraulicher Daten vor unbefugten Zugriffen Dritter einschließlich der Anonymisierung und Pseudonymisierung dienen. Dies entspricht auch dem Grundgedanken des Telemedienrechts. Nach Einschätzung des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) ist TOR für niedrigen bis mittleren Schutzbedarf ein brauchbares Werkzeug zur Aufrechterhaltung der digitalen Privatsphäre."

*** Ein brauchbares Werkzeug ist TOR, doch nur für niedrigen bis mittleren Schutzbedarf? Braucht man dazu diese Sina-Boxen, mit denen die deutschen Botschaften ans Auswärtige Amt angeschlossen sind? Was in manchen Ländern problematisch ist, wie das Beispiel der Arabischen Emirate zeigt, wo die Nutzung eines VPN drastisch bestraft werden soll. Dort, wo nach dem Bericht eines standhaften Hacktivisten die Überwachung in alle Richtungen ausgebaut wird, könnte schon der Besitz eines Sticks mit Tails ein kriminelles Delikt sein.

*** Jetzt ist Holger Münch Chef des Amtes, das mit dem Cybercrime-Lagebild erneut das große Dunkelfeld beklagt, das eigentlich niemand so richtig ausrechnen kann. So kommt der unvermeidliche Eisberg ins Spiel, mit einem "Surface Web" und einem 10 bis 100 Mal größeren "Deep Web", zu dem das schlimme Darknet gehört, aber auch das "private Web". 10 bis 100 Mal ist nicht sonderlich präzise und fußt obendrein auf einer Studie, die der heutige Google-Chefökonom Hal Varian im Jahre 2003 anfertigte, mit Daten aus den Jahren 0 bis 2000 nach Christus.

*** Münch kann zugute gehalten werden, dass er sich bemühte, Cybercrime abseits aller Darknet-Sensationsmeldungen sachlich abzuhandeln. Das besorgen "kundige" Journalisten schon selbst, komplett mit absurden Verdrehungen wie der Kriminalisierung von PGP, das angeblich von den Terroristen des 11. September 2001 benutzt wurde. Natürlich sind auch die üblichen Hardliner mit von der Partie, die eine stärkere Überwachung und Kontrolle des sogenannten Darknets in ihr "Sicherheitskonzept" aufnehmen. Gleichzeitig werden all diejenigen als Sozialromantiker verteufelt, die das Gespräch mit grundgestörten jungen Männern suchen. So bleibt eine ungenießbare Politsuppe übrig.

*** Nun hat auch unser aller Kanzlerin auf ihrer Sommerpressekonferenz Aktionismus gezeigt und passend zum Anti-Terror-Gesetz einen 9-Punkte-Plan vorgestellt. Es fängt an mit der Forderung nach einem "Frühwarnsystem für Radikalisierung", was offenbar eine Art Schleppnetzfahndung im Darknet sein soll. Der übliche Reflex mit der Forderung nach mehr Personal wurde ergänzt um den Zusatz "und bessere Technik, wo erforderlich". Wer will, kann hierin die Forderung nach Taser-Waffen verstecken, wie es in Bayern angedacht ist, oder aber nach besserer Funkversorgung statt besser trainierter Funkdisziplin. 2300 Beamte beim Einsatz gegen einen jungen Rassisten erschöpften die Kommunikationskanäle. Punkt drei ist der schnellere Aufbau der Zentralen Stelle für Informationstechnik im Sicherheitsbereich, jener Behörde, die alles entschlüsseln soll, was vom "Frühwarnsystem" erfasst wurde. Mit der "Vernetzung von Daten in Europa" sollen schließlich wie beim Anti-Terror-Gesetz die lästigen Begrenzungen des Daten- und Personenschutzes beseitigt werden.

Es ist eine schleichende Veränderung und wüsste man es nicht besser, wird so der Rechtsstaat abgekocht wie der berühmte Frosch im Wasserglas. Wobei Frösche ja das Wasser verlassen, während Merkel-Zuhörer staunend raunen: Keep calm, und macht mal weiter. Wir schauen zu beim Umbau der Türkei in eine Präsidialdiktaktur und halten den deutschen Weg für moderat. Schließlich gibt es hier (noch) wenig Tote und keinen Friedhof der Verräter.

*** Auch sonst hat es in Berlin mächtig gecybert. Bei der Bundeswehr, die ja mit der Polizei zusammenarbeiten soll, ist CIR draus geworden. CIR steht für die neue Bundeswehreinheit Cyber- und Informationsraum, eine Truppe mit der Sollstärke von 13.500 Cyber-Dienstposten. Man sieht sie da in den offiziellen Bundeswehr-Fotos schwer mit dem Papier kämpfen, denn es geht um die Bestimmung der Karrierepfade und da rauchen die Dienstköpfe. Wie heißt eigentlich der oberste Cyberkämpfer im Cyberraum? Ginge es nach dem Hyperraumschiff Enterprise, müsste es eigentlich ein Flottenadmiral sein. Da die Angriffe, diese Advanced Persistent Threads so furchtbar kleine Bytehäufchen sind, wäre vielleicht Flotillinchenadmiral der bessere Titel. Doch das wird natürlich gelöst: "Im Steuerungsboard wird nichts dem Zufall überlassen. Vorträge und Inhalte sind genau getaktet und aufeinander abgestimmt," heißt es in bestem Bundeswehrjargon. Oder ist das Consultant-Sprech?

*** Nun ist die gute Zuhörerin Hillary Clinton die demokratische Präsidentschaftskandidatin und tritt gegen Donald Trump an. Während sich das FBI dranmacht, die sie schädigenden Hillaryleaks zu untersuchen, spielt sich auf Twitter ein kleines Drama ab. Auf der einen Seite Wikileaks-Chef Julian Assange, der sich missverstanden fühlt, auf der anderen Edward Snowden, der Wikileaks sanft kritisiert. Die Retourkutsche Assanges kam prompt mit dem Vorwurf des Opportunismus. Solange niemand weiß, was alles in den Snowden-Dokumenten zu finden ist, lassen sich die Vorwürfe achselzuckend übergehen, genau wie die Spekulationen darüber, warum/ob Wikileaks Material zurückhält, um Trump zu schützen.

*** Was bleibt, ist allenfalls die Verwunderung, wie Jacob Appelbaum von Wikileaks nach der Veröffentlichung des Untersuchungsberichtes des Tor-Projekts geschnitten wird. Der Mann, der auf Konferenzen als direkter Vertreter Assanges agierte, wird umstandslos entfernt, ähem, entfolgt. Apropos Twitter und Wahlkampf: ausgerechnet der Social-Media-Guru Clay Shirky zeigt, wie das zu machen ist.

Was wird.

Mitten ins ehemalige Sommerloch fällt der Independance Day, die Aufhebung des Routerzwangs und so freuen wir uns auf spannende Administrationserlebnisse auf dem Weg zur großen Party von heise online. Zum ersten August kann man sich freilich auch daran erinnern, wie vor 30 Jahren der erste Hackerparagraph als Paragraph 202 wirksam wurde. Er stellte die unbefugte Datennutzung unter Strafe, nicht aber das Eindringen in informationstechnische Systeme: Die guten Hacker sollten weiterhin ihre Fähigkeiten schärfen, die guten Admins an der Datenverteidigung arbeiten können. Erst 2007 wurde auch das reine Überwinden einer Login-Prozedur als Straftat gewertet, zusammen mit dem "Auslesen der Verzeichnisstruktur" verdoppelten sich die Straftatbestände der Hacker.

Als die olympischen Spiele begannen, eine eigene Computernutzung für die Athleten anzubieten, wurde auf der Rückseite des Athletenpasses der Login-Name und das Passwort aufgedruckt. Verhedderte sich der Pass, konnte das jeder lesen und die offizielle Mailbox öffnen – der "Hacker" betrat die Sportarena beziehungsweise die Skipiste, denn das geschah in Lillehammer. Was in Rio ab Donnerstag passiert, wenn die Fußballer loslegen, soll noch stärker kontrolliert werden. Abgesehen von hübsch unsinnigen Regelungen für Twitter fällt auf, wie kritische Journalisten geschnitten werden, die keine Scheu haben, das Doping-System Doping-System zu nennen und den korrupten IOC von innen bestens kennen. Hach ja, der Sport ist sowas von unpolitisch, genau wie der von Nationalsozialisten eingeführte Fackellauf. Seltsam nur, dass die Webseite und Verkaufspräsenz von Jens Weinreich in Deutschland beim Filtersystem von Schulbehörden ausgeflaggt ist und als "politisch extrem / Hass / Diskriminierung" gewertet wird. Der Olympische Geist ist kleingeistig und stinkt wie ein übergetretener Dorf-Bach.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. Endlich wieder sommerrätselnd.
Beitrag von: SiLæncer am 07 August, 2016, 06:04
Ja, sie sind wieder lau, die Sommernächte. Wenn interessieren da schon die olympischen Spiele und der White Trash, der bald die Macht übernimmt, merkt Hal Faber an - der natürlich auch wieder ein paar Fragen für die Sommernacht hat.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich. Und, wie mittlerweile jedes Jahr im Sommer, auch ein Anlass zum Rätseln. Wegen der gestellten Fragen des Sommerrätsels. Natürlich.

Was war.

*** Die olympischen Spiele haben angefangen. Aufmerksame Roboter beobachten den gedopten Medaillenspiegel, während seelenlose Funktionäre zum Start ein Dokument der Schande veröffentlichten und 271 russische Sportsimulationen akzeptierten. Vorbei, vorbei, wen interessiert das schon in warmen Sommernächten? Dieser kundige Fährtenleser sei noch einmal empfohlen, falls doch.

*** Kurz vor der großen Sommerparty startet das Sommerrätsel mit drei Teilen. Es war schwer genug, sich gegen Frau Malzahn durchzusetzen und kein Rätsel mit Katzenbildern zu gestalten, aber dann ging es doch: Roboter sind das Thema der ersten Rätselei und, wie man sieht, gibt es jede Menge Hunde-, Mäuse- und Trauer tragende Schildkrötenroboter, aber kein einziges Katzenvieh. Faul und in sich ruhend in der Gegend herumliegen, vor dieser anspruchsvollen Aufgabe kapitulierten die findigsten Roboterbauer. Sie halten sich lieber an Robotermenschen wie du und ich, die die deutsche Telekom unter dem Titel "Digitale Verantwortung" lobpreist: Besonders dort, wo absolut geistlose Tätigkeiten wie das Priestersein von Robotern übernommen werden kann, zeigt sich die ganze Leistung der Automatisierung. Man kann aber auch so etwas einfaches wie einen Lieferroboter bauen, der demnächst über unsere Bürgersteige mit all den online bestellten Sachen oder mit der halbwarmen Pizza hoppeln soll. Mit ihm fängt unser gepflegtes, möglichst nicht googlebares Rätsel an. Zehn Fragen zur Robotik gilt es zu beantworten, die Auflösung gibt es am Montagnachmittag, danach geht es ab in den Weltraum.

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Also dann, los, mit Frage 1: So wie im Bild rechts sieht ein moderner Lieferroboter aus, der all die Paketboten von Bringmeister, DHL, Hermes, UPS usw. von ihrer elenden Botenexistenz erlösen soll. Gesucht wird ein großes Vorbild.

Nicht kätzisch sich faul zur Ruhe legen, gleich weiter mit Frage 2: Ein aufmerksamer Beobachter der Robotik schrieb: "Vielleicht kann ich Ihnen noch im Laufe dieser kurzen Bemerkungen über die sozialen und ökonomischen Auswirkungen der Automation zeigen, dass die neue Technik Eigengesetzlichkeiten entwickelt, die den Menschen, die sie geschaffen haben und anwenden, mit der Gewalt von Naturgesetzen gegenübertreten und neue gesellschaftliche Verhaltensweisen mit einem Nachdruck erzwingen, als seien die elektronischen und sonstigen Geräte mit eigenem Willen ausgestattet, also doch eine Art Roboter." Von wem stammt dieser Satz?

*** Groß war die Versuchung, die Robotergesetze in das Rätsel einzubauen, eines der guten Beispiele, wie wichtig die Science Fiction für den Alltag ist. Nun ja, fast zumindest, wo doch noch nicht alles zu Hause angekommen ist, was robbt und bottet. Erinnern wir uns an den "Fernlenkmanipulator", mit dem die Polizei in Dallas einen Angreifer tötete und freuen uns, dass nun auch der Berliner Innensenator zum Auftakt des Wahlkampfes ein Bumm, Peng, Knall-Spielzeug präsentieren konnte, mit dem sich feiner Roboterfug in der Stadt machen lässt, vielleicht sogar mit Befehl von oben durch diese internen Sondernetzwerke, für die es keine Vorratsdatenspeicherung gibt.

Womit wir bei Frage 3 angelangt wären: Tötende Roboter gibt es halt nur in Filmen und beim Militär. Gesucht wird das Kürzel eines optimierten Polizei-Kollegen.

Was fast automatisch zu Frage 4 führt: Y19 lautete der Befehl. Und die Antwort ist?

*** Vom Roboter unterscheidet sich der Mensch dadurch, dass er ein Hirn hat und es einsetzen kann. Etwa zur Analyse des "Undenkbaren", wie ein Krieg zwischen den USA und China ausgehen kann, der mit einem US-Präsidenten Donald Trump in die Möglichkeitszone rückt. Sollten Trump nicht noch mehr Khan-Patzer unterlaufen, wird er leider gewinnen. Das lässt sich darauf zurückführen, dass der White Trash den langen Weg von den Demokraten zu den Republikanern zurückgelegt hat und im "Make America great again" die eigene Perspektive sieht. Die zunehmende Automatisierung mit ordnungsliebenden Robotern, am "Front-End" von Menschen freien Restaurants und Hotels könnte mit einer Automaten- oder Maschinensteuer Gelder zurück in die ausblutenden Hillybillys bringen, doch das ist eine Forderung, die nach Umverteilung des Kapitals und Sozialismus riecht. So etwas gehört sich nicht, wenn ein Milliardär Präsident wird.

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Womit wir bei Frage 5 gelandet wären: Die früheste und bekannteste Roboterin ist die von Rotwang gebaute Maschinenreplikantin (im Bild links), die im Film Metropolis als Kopie von Maria die Arbeitermassen verführt. Gesucht wird eine Roboterin, die sieben Augen mehr hat.

Wer eben schon meckerte, wird sich über Frage 6 freuen: Roboter haben kein Hirn? Gesucht wird das passende Hirn-Transformationsprojekt.

*** Achja, der Sozialismus. "Die Roboter sind nicht nur eine neue Quelle der Steigerung der Produktivkraft menschlicher Arbeit. Im Sozialismus verändern sie zugleich tiefgreifend die qualitative Beschaffenheit der Arbeit und führen zur weiteren Vervollkommnung der materiellen Arbeitsbedingungen, bereichern den Arbeitsinhalt." So steht es im 1983 veröffentlichten Buch "Roboter im Sozialismus". In der DDR mochte man den Roboter so gerne, dass viele Maschinen zu Robotern erklärt wurden, obwohl sie nur einen rechnergesteuerten Motor besaßen. Damals sollten laut Fünfjahresplan 45.000 Roboter gebaut werden und den Werktätigen bei schweren oder gefährlichen Arbeiten zur Seite stehen, etwa beim Heben von Bettlägerigen im Krankenhaus. Von der Idee sind die Exoskelette übrig geblieben, die freilich von manchen den Cyborgs zugerechnet werden, die für das Überleben im Weltraum optimiert wurden und ursprünglich als Dada-Cyborgs aus der Welt der Kunst stammten.

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Also dann Frage 7: Die im Bild rechts zeichnenden Roboter sind "Kunst", so die Ars Electronica mit der Berliner Ausstellung im Volkwagen Forum. Gesucht wird die dazu passende "Wissenschaft".

Und gleich weiter zu Frage 8: Auf der Straße sollte ein berühmter Dusch-Roboter tätig werden. Sein Name?

Was wird.

Gar nicht so heimlich, still und leise ist der heise Tippgeber gestartet und hat im Forum für muntere Diskussionen gesorgt. Neben dem Lob ist es offenbar die heise Charta, die Unmut erzeugt, weil hier von Vertrauenswürdigkeit und Verantwortung die Rede ist, aber eben auch von den Regeln der journalistischen Sorgfaltspflicht. Es gehört zum traurigen Zustand dieser Welt, dass diese unsere Sorgfaltspflicht von etlichen Kommentatoren nicht ernst genommen wird. Nanu, wo bleibt denn da das Positive? Aber hey, das habe ich gerade geschrieben, weil es gut ist, wenn Kommentatoren ohne Zensur solchen Unfug schreiben können. Es kommt noch besser: Der heise tippgeber kommt ohne diesen Kanarienvogel aus, der in den USA bei etlichen Whistleblowing-Angeboten als Warntier aufgehängt wird. Geheime Durchsuchungsbeschlüsse und Geheimgerichte, über deren Tun und Lassen die Bürger zu Schweigen verpflichtet sind, gibt es in Deutschland nicht. Man sollte zu diesem Punkt die Meinung des obersten Microsoft-Juristen Brad Smith lesen und aufatmen, vorerst. Ob der Tippgeber sich bewährt und das journalistische Versprechen eingehalten werden kann – die Zukunft war noch nie so wertvoll wie heute. "Je mehr Bürger mit Zivilcourage ein Land hat, desto weniger Helden wird es einmal brauchen."

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Zum versöhnlichen Schluss dann erst einmal Frage 9: So wie im Bild links rollte und dudelte ein Unterhaltungsroboter auf einer Computermesse herum. Sein Nachfolger verkörperte einen berühmten Wahrheits-Instrumentalisten. Gesucht ist der Name des Roboters.

Und dann zum endgültigen Schluss Frage 10: Roboter kämpfen gegen Roboter, bis sie schmelzen, das ist ein sehr beliebtes Motiv vieler Filme, gerne mit kleinen Kindern wie Max in Real Steel. Gesucht wird ein kämpfender Max.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was wirklich wahr war. Die Lösungen des Roboter-Sommerrätsels.
Beitrag von: SiLæncer am 08 August, 2016, 19:07
Roboter kommen bei Lesern der kleinen Wochenschau nicht an. Drei von zehn Fragen wurden gelöst, bei mäßigem Interesse. Möge der Weltraum Besserung bringen.

Gleich die erste Frage des Sommerrätsels über Roboter bezog sich auf den Weltraum und wurde schnell gelöst. Man mag sich heute darüber streiten, ob das Mondmobil Lunochod ein Roboter war. Doch früher war die Lage eindeutiger, heißt es doch im zitierten DDR-Buch über "Roboter im Sozialismus": "Auch auf diesem Gebiet gilt es, die Überlegenheit des Sozialismus zu organisieren, so wie das der sowjetische Roboter Lunochod im Jahre 1971 bei seiner ersten Fahrt auf dem Mond demonstrierte.. Auf dem steht Lunochod herum, genau wie der Jadehase aus China, der gerade seine Arbeit eingestellt hat.

Frage 2 wurde auch gelöst, denn niemand anderes als Frederik Pollock, am Institut für Sozialforschung einer der Väter der Frankfurter Schule, äußerte sich 1956 nach seiner Rückkehr aus dem US-Exil zur "Revolution der Roboter". Im selben Sammelband schrieb der SPD-Politiker Fritz Erler von dem "fürchterlichsten Klassengegensatz" zwischen denen mit Arbeit und denen, die durch Roboter arbeitslos geworden sind und empfahl letzteren eine "Do it Yourself"-Bewegung an heimischen Werkbänken, quasi eine Maker-Initiative.

Frage 3 suchte das Kürzel eines Polizeiroboters. Gefragt war nicht Ed-209 (Enforcement Droid Series 209), sondern ROTOR, ein Roboter aus dem Forschungsprogramm "Robotic Officer Tactical Operation Research", der sich in unvorteilhafter Weise in einen Killerroboter verwandelt.

Frage 4 bezog sich auf ein Abenteuer des Raumschiffs Orion. Eine "geringfügige Umstellung des Analogbandes", mit dem der Roboter programmiert ist, ist die Einstellung Y 19. Sie sorgt dafür, dass der Roboter einen Tobsuchtsanfall bekommt und sich in seine Einzelteile zerlegt.

Frage 5 suchte die Roboterin Nine-Eye aus dem in Disney-Parks gezeigten 360-Grad-Film Timekeeper, die in der Fassung für das Pariser Disneyland aus Versehen Jules Verne mit auf die Reise durch die Zeiten nimmt.

Ein Roboter mit Hirn ist wie in Frage 6 gesucht möglich, wenn das Open Worm Project am Ziel ist. Allerdings ist die erste digitale Lebensform etwas eingeschränkt auf der Basis der Intelligenz eines Fadenwurms.

Frage 7 zeigte ein Kunstprojekt eines zeichnenden Robotorarms und suchte das Gegenstück in der Wissenschaft. Dort heißt der Roboter e-David und beweist immerhin, das Informatiker Humor haben: "Bildhafte kunsthandwerkliche Prozesse können als Optimierungsvorgänge gedeutet werden, in denen manuell Farbe auf einer Bildfläche verteilt wird, bis der Betrachter den Bildinhalt erkennen kann."

Humor haben auch manche Künstler, wie Frage 8 es etwas zu sehr verklausulierte. Sein wackeliger Roboter K-456 sollte mit Menschen auf der Straße interagieren und sie überraschen, wie eine Dusche, erklärte Nam June Paik sein Werk, das in der Neuen Nationalgalerie in Berlin seinen Platz hatte. Dort wird umgebaut. Vielleicht ist K-456 auf Duschgang.

Frage 9 suchte den Snowbot, mit dem der Whistleblower Edward Snowden auf den Bühnen dieser Welt telepräsent ist, obwohl er im echten Leben Russland nicht verlassen kann. Bald kommt ein Snowden-Spielfilm in die Kinos, bei dem dieser Snowbot eine wichtige Rolle spielt.

Frage 10 suchte die schlechteste Rolle, die der unlängst gestorbene Schauspieler Götz George nach eigener Einschätzung jemals gespielt hat. Im Film Die Sturzflieger mimt er den stotternden Roboter Max. Wir sind wieder im Weltraum, dem Thema des nächsten Sommerrätsels. Wie hieß es noch zum Start eines ganz besonderen Vereins vor 35 Jahren?

"Was heute noch wie ein Märchen klingt, kann morgen Wirklichkeit sein. Hier ist ein Märchen von übermorgen. Es gibt keine Kupferkabel mehr, es gibt nur noch die Glasfaser und Terminals in jedem Raum. Man siedelt auf fernen Rechnern. Die Mailboxen sind als Wohnraum erschlossen. Mit heute noch unvorstellbaren Geschwindigkeiten durcheilen Computerclubs unser Datenverbundsystem. Einer dieser Computerclubs ist der CCC. Gigantischer Teil eines winzigen Sicherheitssystems, das die Erde vor Bedrohungen durch den Gilb schützt."

Quelle : www.heise.de
Titel: 4W: Per aspera ad astra aut acta? Jedenfalls der 2. Teil des Sommerrätsels.
Beitrag von: SiLæncer am 14 August, 2016, 05:58
Viel Spaß wünscht Hal Faber, was angesichts der Gruselgestalten, die immer wieder die Nachrichten jedweder Coleur und jedwedes Weltteils dominieren, doch schwer fällt. Vielleicht hilft das Rätseln. Eskapismus darf manchmal sein.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich. Und, wie mittlerweile jedes Jahr im Sommer, auch ein Anlass zum Rätseln. Wegen der gestellten Fragen des Sommerrätsels. Natürlich.

Was war.

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*** Hach, da lachen nicht nur die Hühner bei alledem, was unser Bundesinnenminister zu unser aller Sicherheit verkündet hat, damit seine Partei Fleißpünktchen bei denen sammeln kann, die der AfD zugeneigt sind. Besonders pikant ist die Sache mit der ärztlichen Schweigepflicht, weil heute schon Ärzte verpflichtet sind, geplante Taten ihrer Patienten zu melden, sollten diese sich dem Arzt anvertrauen. Über den Attentäter von Ansbach gab es ein Gutachten, in dem davor gewarnt wurde, "dass er selbst seinen Selbstmord noch spektakulär in Szene setzen wird" – es bekam einen hübschen Eingangsstempel, wurde gelesen und abgeheftet. Und hach, den Doppelpass zu entziehen, dieses ur-grüne Projekt zu meucheln, das ist die unverholene Ansage, dass 2017 schwarz-grün auf Bundesebene bereits jetzt geplatzt ist.

*** Aber hach, die da oben lachen nicht, die fliegen nur, und das in bester Schwerelosigkeit. So stellte man sich die Weltraumfahrt in den zwanziger Jahren eines längst vergangenen Jahrhunderts vor. Damit sind wir beim zweiten Teil des Sommerrätsels, wobei endlich auch das Sommerloch da ist, mittendrin und brumm und dumm. Mit bestem Dank für den Gratz zum ersten Teil geht es auch deswegen in den Weltraum, weil Newsticker-Nachrichten zu Weltraum-Projekten wie ExoMars, Phylae oder "unserem" Alexander Gerst regelmäßig in den Top-Charts der meist geklickten und diskutierten Nachrichten auftauchen.

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So sei es denn, wir starten natürlich mit Frage 1: Im Bild rechts schweben sie nicht, sie liegen. Was illustriert diese Zeichnung?

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Weiter mit Frage 2: Noch so eine Vision aus den Anfangstagen der Weltraumfahrt. Was illustriert die Zeichnung im Bild links?

*** Ja, dieser schier grenzenlose Weltraum, der kann einen schon ganz schön kirre machen, mit schwarzen Sommerlöchern ohne Ende. Da hauen dann verzweifelte Redakteure unter der Rubrik Astrologie (!) Nachrichten von einem erdähnlichen Nachbarplaneten raus, der nach "Spigel-Informationen" existiert. Derweil ist die Spiegel-Information noch auf dem Status eines Gerüchtes und der Twitter-Account vom Projekt Pale Red Dot schweigt.

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*** Ganz anders da der Twitter-Account vom Waffenlobbyliebhaber Donald Trump, der in dieser Woche einer eingehenden Datenanalyse unterzogen wurde. So stellte sich heraus, dass Trump selbst mit einem Android-Phone twittert, während seine Mitarbeiter auf dem Twitter-Konto von Trump mit einem iPhone unterwegs sind. Die Untersuchung schlägt sich auch im deutschen Feuilleton wieder und man fragt sich dort besorgt, was nur in den Köpfen der Geister vorgeht, die für Trump das iPhone bedienen. Doch damit nicht genug, man schrammt auch anderswo Bereiche nahe an der Astrologie, wenn etwa der durchaus seriöse Scientific American sich an der Psycho-Analyse versucht und Trump in der Rangliste der Psychopathen zwischen Idi Amin und Adolf Hitler einordnet. Aus der Schweiz kommt die Ferndiagnose einer kombinierten Persönlichkeitsstörung mit narzisstischen, histrionischen und paranoiden Zügen, die in ihrer Aggressivität immer anderen die Schuld gibt und immer einen Schuldigen suchen muss. Zu sehen auch an seinem Weltraumtweet, lange vor seinen Wahlkampf-Ambitionen.

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Gar nichts mit Trump zu tun hat zum Glück Frage 3: Fritz Langs Film über Die Frau im Mond ist der berühmteste Film der frühen Weltraum-Begeisterung in Deutschland, nahezu jede Szene ist im kollektiven Gedächtnis eingebrannt. Gesucht wird daher ein anderer Film mit dem Fluggerät im Bild links.

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Auch Frage 4 hat nix mit Trump zu tun: Von der Theorie zur Tat: Gesucht wird der oberste Kopf hinter der Einrichtung im Bild rechts.

*** "Gegen Ende des 3. Jahrtausends unserer Zeitrechnung
erhob sich unsere
Stählerne Einfalt
Aufzeigend das Mögliche
Ohne uns vergessend zu machen: das
Unerreichbare.
Diesem ist unser Bericht gewidmet."
Heute vor 60 Jahren starb Bertolt Brecht, der Autor des Lindberghflugs, den er später zum Ozeanflug umbenannte, dabei aber den Fehler mit dem 3. Jahrtausend nicht korrigierte. Brecht degradierte Lindbergh zu einem unbenannten Flieger, weil der echte Lindbergh mit den Nationalsozialisten sympathisierte. Brechts Erben und Kämpfer gegen das Urheberbrecht basteln längst an der Oper Brechts Weltraumflug. Schließlich hätte er sich sehr über den Flug des Sputniks und den darauf folgenden Schock des Jahrhunderts gefreut, den er nicht mehr erlebte. Auch die Landung Castros in Kuba im Dezember 1956 erlebte Brecht nicht mehr, behielt aber recht: Er nannte Fidel Castro einstmals einen unentbehrlichen Menschen, weil dieser sein Leben lang kämpfen würde. Gerade wird Castros 90. Geburtstag gefeiert, mit einer schönen Facebook-Seite.

Womit wir dann nahtlos bei Frage 5 angekommen sind: Gesucht wird ein rechnender Romantiker aus einer ganz besonderen Abteilung.

Und bei Frage 6: "Er beginnt mit elementarer Mathematik und zeigt auf, wie viele andere Vorstellungen, einschließlich der sozialen Ideen, auf diesem Fundament errichtet werden könnten." Wer ist gesucht und wo wurde sein "Fundament" umgesetzt?

*** Der Sputnik ist geflogen, bei ExoMars wird Schiaparelli bald runterkommen. Das schafften auch Gagarin und Shepard, dem kürzlich gedacht wurde. Er starb früh, ein typisches Astronautenschicksal unter dem Einfluss kosmischer Strahlung. Nun wird die Raumfahrt unverdrossen privatisiert, etwa bei dem SpaceX-Programm, das 2018 ebenfalls mit einer Sonde den Mars erreichen und 2026 Menschen dorthin schicken will. Schließlich will niemand geringeres als Elon Musk dort seinen Lebensabend verbringen, Seite an Seite mit Trump-Unterstützer Peter Thiel und der Prinzessin vom Mars

Zwar nicht mit Trump, aber ein bisschen mit Musk und Thiel hat Frage 7 zu tun: Die Raumfahrt als Spielzeug von Superreichen. Das gab es schon einmal. Wie hieß der erste Förderer?

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Während Frage 8 sich eher nicht um Superreiche dreht: Auch Hacker können Raumfahrt, in das All hinaus wie auf dem Mond landen. Wie heißt das Projekt im Bild rechts?

Was wird.

Mit einem Gelächter über Thomas de Maizière begann die Wochenschau, so kann sie auch mit unserem Bundesinnenminister enden. Er trifft sich in Kürze mit seinem französischen Amtskollegen Bernard Cazeneuve, der eine "globale Initiative" gegen Verschlüsselung fordert und dabei auf deutsche Hilfe hofft. Wie beim Sicherheitstheater in dieser Woche, so geht es auch bei Cazeneuve um die Außenwirkung als Politiker. Beim Planen der Pariser Attacken benutzten die Attentäter keine Verschlüsselung, obwohl es ihnen befohlen wurde. Auch der LKW-Fahrer in Nizza kommunizierte unverschlüsselt; erstaunlich ist die Offenheit der Botschaften. Aber wer hier mit Logik in der Politik kommt, der kommt nicht weiter. Ernüchternd ist zu sehen, wie die Politik die Strategie der Islamisten nicht versteht. Zudem nutzen diese in den höheren Kommandoebenen von Al Quaida und Daesh jeweils eigene Verschlüsselungsprogramme und sind sicher nicht mit einer globalen Initiative zu beeindrucken.

Die entscheidende Frage ist, ob Firmen bereit sind, im Namen der gepredigten Sicherheit Hintertüren einzubauen. Wenn es juristisch heikel ist, kommt sicher eine handliche Weltraumtheorie daher, wonach im Äther gestattet ist, was im Äther gemacht werden kann. Wie heißt es so schön in der Antwort der Bundesregierung auf die Fragen der Linksfraktion nach ZITIS, Drucksache 18/9186? "Eine Bekanntgabe von Einzelheiten zu eingesetzten kryptologischen Methoden /.../ würde weitgehende Rückschlüsse auf die technischen Fähigkeiten zulassen" und damit die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährden. Und diese Sicherheit der Republik hat eingebaute Vorfahrt vor der Sicherheit der Bürger. Immerhin erfahren wir Bürger, das für das Kryptoknacken im Startjahr 2017 Sachmittel in Höhe von 10 Millionen Euro zur Verfügung stehen. Da winkt manch lukrativer Auftrag.

Was zu Frage 9 führt: Natürlich fliegt man nicht ohne Computer durch den Weltraum. Gesucht wird passend zu einem Geburtstag am kommenden Montag ein weltraumfester Rechner, der sich für seine Konstrukteure als außerordentlich lukrativ erwies, nur nicht im Hardware-Geschäft.

Und wir schließen den zweiten Teil des Sommerrätsels mit dieser Frage 10: Auf den Montag folgt bekanntlich der Dienstag. Da wird nach einer globalen Initiative international der 6. Waveday gegen die umfassende Dauerüberwachung unseres Lebens gefeiert, mit einem freundlichen Winken in die Kameras. Auch dieser Tag ist eigentlich ein Produkt der Weltraumforschung. Wer setzte zuerst Überwachungskameras ein?

Na dann. Viel Spaß. Vor allem viel Spaß in diesen Zeiten, in denen Gruselgestalten nicht den Horrorfilmen vorbehalten bleiben, sondern US-Präsident werden und die politische Agenda in Deutschland bestimmen wollen.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was wirklich wahr war. Die Rätsel einer Sommernacht
Beitrag von: SiLæncer am 15 August, 2016, 19:37
Nach allerlei Rätselhaftem für den lauen Sonntagabend lässt Hal Faber nun die Lösung auf dem Fuße folgen.

Es ist natürlich kein Zufall, dass beim Weltraum-Sommerrätsel die Falcon 9 von SpaceX landete. Die Weltraumfahrt gewinnt wieder an Schwung und prompt wurden sieben von zehn Rätseln gelöst, bei einem weiteren wurde eine Alternativantwort gefunden.

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Frage 1 zeigte die Führerkabine einer Weltraumrakete, wie man sich diese 1928 vorstellte. Über der Kabine der Fallschirm für ebenfalls gezeigte "Landung vor Neuyork", in der Kabine die Mannschaft beim Aufstieg der Rakete, dazu der Text: "Der starke Andruck presst die Mannschaft nieder; er bildet die Hauptgefahr der ganzen Fahrt".

Frage 2 zeigt das von Hermann Oberth entwickelte Funktionsprinzip einer zweistufigen Rakete. Diese Zeichnung soll den jungen Wernher von Braun bewogen haben, Raketenpionier zu werden. "Oberth, Valier und die Mode waren verantwortlich dafür, dass Teenager wie Wernher von Braun den Raumflug als berufliche Laufbahn ansahen."

Das in Frage 3 gezeigte Bild stammt aus dem 1940 gedrehten Film Weltraumschiff 1 startet, den der Biberacher Regisseur Anton Kutter produzierte. Kutter, der es ablehnte, in die NSDAP einzutreten, erhielt von der Reichsfilmkammer ein "Spielfilmverbot" und verlegte sich auf Semi-Dokumentarfilme, damals "Kulturfilme" genannt. Im Film gab es Originalaufnahmen aus der Heeres-Versuchsanstalt Peenemünde, die auf Anordnung der Filmzensur entfernt werden mussten. Auch der pazifistische Schluss ("Der Weltraum gehört allen") musste durch Filmaufnahmen einer Hitler-Rede ersetzt werden.

Frage 4: In der Ausschnittsvergrößerung bereitete das Heeres-Versuchsgelände Peenemünde den Lesern keine Probleme. Leiter des ganzen Komplexes mit eigenem KZ für 600 Häftlinge war Walter Dornberger. Später übersah er auch die Produktion von Aggregat 4, der einzigen Waffe, deren Produktion mehr Menschenleben kostete als der Einsatz.

Frage 5 suchte schließlich nach Wernher von Braun, jenem unpolitischen Ingenieur, über den Tom Lehrer ein Lied schrieb, das den "apolitischen" Braun kritisierte. Kritik gab es auch von anderer Seite: In seiner Autobiographie nannte Albert Speer den Raketenpionier einen "rechnenden Romantiker". Diese Frage bliebt ungelöst.

Frage 6 zitierte einen Satz, den der begeisterte KI-Forscher Marvin Minsky über die Weltraumsprache Lincos von Hans Freudenthal schrieb. Minsky war damals einer der Berater von Stanley Kubrick beim Film "2001 – Odyssee im Weltraum" .

In Frage 7 wurde der Raketenpionier Fritz von Opel aka der Raketenfritz gesucht. Über zahlreiche von ihm finanzierten Raketenexperimente vom Raketenschlitten bis zum Raketenauto versuchte Opel, den Opelwerken einen "neuen unermesslichen Markt" zu erschließen. Sein Ziel war die Mondlandung und die Nutzung der Mondkrater als Sonnenkraftwerke.

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Dass Hacker sich mit dem Weltraum beschäftigen, ist kaum verwunderlich. Frage 8 zielt auf das CCC-Camp in Finowfurt 2011, wo Nick Farr, Jens Ohlig und Lars Weiler in der Vortragshalle Kourou das Hacker-Raumfahrtprogramm vorstellten. Angesichts der Querelen um (sexuelle) Belästigungen und Intrigen bei Hacker-Projekten erwies sich Nick Farr geradezu prophetisch: "Wir können die gesamte Galaxie erobern, wenn wir für fünf Minuten aufhören, uns wie Idioten zu benehmen."

Frage 9 beschäftigte sich mit einem anstehenden Geburtstag und suchte einen Computer mit Weltraumbezug. Gesucht war der vom britischen Designer Bill Moggridge entworfene Compass von Grid, ein teurer Computer für den Weltraum und den Kriegseinsatz. Grid baute nur wenige Modelle, verdiente aber ausgezeichnet an den Patentrechten, als die Laptops aufkamen und alle für das Klappdesign zahlen mussten, auch Nokia mit seinem MikroMikko und seinem Communicator, der heute Geburtstag hat. Die Idee für so eine Symbiose hatte auch der deutsche Fritzbox-Designer Hans-Peter Constin und diese sogar patentiert, doch Drid hatte das ältere Patent. Und ja, die Antwort zu Frage 9 kann auch so ausfallen.

Frage 10 fragte nach dem, was unpolitische Ingenieure industrielles Fernsehen nennen. Morgen ist der #Waveday, der Welttag gegen die alltägliche Videoüberwachung. Wer die Webseite besucht, erfährt, dass die erste Videoüberwachung von Walter Bruch 1942 in Peenemünde installiert wurde, um den Start der Raketen aus nächster Nähe beobachten zu können. Wir sind es ja gewohnt, zivilisatorische Errungenschaften wie die Teflon-Pfanne und das feuchte Klopapier der Weltraumforschung zuzuschreiben. Winken wir also freundlich in die Kameras, die uns tagein, tagaus beäugen, während dummdreiste Politiker im Wahlkampf "Mehr Video-Technik" fordern. Als ob dies auch nur eines unserer Probleme auf der blauen Murmel lösen würde.

Der letzte Teil des Sommerrätsels beschäftigt sich, eine Woche vor der großen Party in lauer Wochenendsommernacht mit – Überraschung – heise online. Das Rätsel ist nicht mit dem Party-Jeopardy zu verwechseln und sucht auch nicht den Sinn des Lebens, sondern andere Zahlen.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. Mit einem letzten Rätsel vor der großen Party
Beitrag von: SiLæncer am 21 August, 2016, 04:13
Fische werden auch gereicht, aber Bratwürste schmecken besser. Die Erinnerung aber bringt manch der Vergessenheit anheim Gegebenes zu Tage, auch über heise online. Da wundert sich Hal Faber, dass die meisten Deutschen früher alles besser fanden.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich. Und, wie mittlerweile jedes Jahr im Sommer, auch ein Anlass zum Rätseln. Wegen der gestellten Fragen des Sommerrätsels. Ein letztes Mal für dieses Jahr. Und dann wird gefeiert.

Was war.

"Siehe! Da löste sein Schiff der fernhinsinnende Kaufmann,
Froh, denn es wehet' auch ihm die beflügelnde Luft, und die Götter
Liebten so, wie der Dichter auch ihn, dieweil er die guten
Gaben der Erd' ausglich und Fernes Nahem vereinte."

Hölderlin mit H wie heise online begleitet den nicht mehr ganz so kleinen Verlag in der norddeutschen Tiefebene mitsamt seinen gewitzten Kaufleuten (Männern und Frauen) in die nächste Zukunft. Von der wir recht wenig wissen, nur dies, dass in 30 Jahren tapfere Forenten aus dem OTF den Fischen Einhalt gebieten. Noch aber schreiben wir das Jahr 2016 und die große Party steht an, mit <fischrüberreich> und gern kritisierten Bratwürsten, Fischstäbchen und Sackhüpfen. Eigens deshalb dreht sich diese Wochenschau mit inkludiertem Sommerrätsel um die Geschichte von heise online. Es ist klar, dass dabei die Altvorderen im Vorteil sind beim heiteren Rätselraten, weil jüngere Ereignisse aus dieser Blasenwelt sehr einfach zu finden sind. Und was war schon los, so vor 10 Jahren? Der fernhinsinnede Journalist sieht seine Grenzen, wenn er Fernes und Nahes vermischen will.

*** Wohlan und in Erinnerung der Ursprünge, als der heimatsinnige Heinz Heise nach dem Krieg realisierte, dass ausgerechnet Telefonbücher ein "wertvoller Dienst zur Bewältigung der hohen Bevölkerungsfluktuation, der millionenfachen Integration ostdeutscher Vertriebener und Flüchtlinge" und wichtigste Auskunftsmedien sind bei der Kommunikation ohne Web und Suchmaschinen. Genau so, als Auskunftsmittel im Cyberspace, fing heise online an, als dieser komische Space kommerzialisiert wurde, mit etwas Werbung. "Die Telefonbücher werden an jeden Telefonkunden kostenlos geliefert. Die Finanzierungsgrundlage ist der Verkauf von Anzeigen und Informationseinträgen an Handel, Handwerk, Industrie und Gewerbe." Das schnelle Auffinden von Nah und Fern ist das Geschäft der Stunde. Fernes mit Nahem verbinden, die Nachrichten der ein und auslaufenden Schiffe, äh Software- und Hardwareprojekte, der Digitalisierung der Gesellschaft, das ist die Mission von heise online.

Fangen wir also auch mit dem Rätseln an, mit Frage 1: Wer war wohl der größte Anzeigenschalter in der Frühzeit? a.) Heise selber b.) Consors c.) Microsoft?

Ganz anderes Thema in Frage 2: Mit welchen Bratvorgang startete das OTF, wo man sich 2012, wie oben verlinkt, die Zukunft anno 2026 ausmalte und 2016 das Lametta wehmütig vermisst?

*** Aktuell leben wir vielleicht in interessanten Zeiten, besonders schön sind sie jedoch nicht. Im Namen der Sicherheit wird die Überwachung ausgebaut, auch wenn die IT ein paar Macken hat. Die Wunderwaffe heißt Predictive Policing. "Kameras und Sensoren erfassen uns, Daten werden zu Profilen zusammengefügt, Big Data ist nicht zuletzt eine gigantische Möglichkeit der Überwachung. Um die Logik der Datenauswertung bis hin zur Frage, wer eigentlich die Macht über unsere Daten und unser Leben hat", wir oder das selbstlernende Superprogramm Bluesky, das zukünftiges Gewaltverhalten prognostiziert, indem es unsere Smartphones überwacht und selbständig Terrorgruppen ausfindig macht. Ja, während die trefflichen Gewinner der Heise-Party ihre Muskelkater und Muskelkatzen pflegen, nach dem Forenfünfkampf mit Klettern und Fischwassertragen, läuft der Big-Data-Tatort HAL an. Das ist ein Titel ganz nach meinem Geschmack, wenngleich auch hier Heuristisches Algorithmisches Lernen gemeint ist, man kennt ja die Ausreden.

Gut, also Frage 3: Terror oder nicht? Wer oder was ist die Gruppe 251? Wen hatte sie auf dem Gewissen? Gesucht wird eine Todesanzeige.

Was eigentlich automatisch Frage 4 ergibt: Wie heise Gruppe, welche ein südeuropäisches Land ganz besonders schätzte?

*** Man kann sich fragen, wie es dazu kam, dass alle auf ihre Smartphones starren, ihre Adressdaten im Tausch für eine Taschenlampen-App rausrücken und statt Artikeln über die befreiende Kraft des Internet für unsere Zivilisation fast nur Service-Texte erscheinen, wie man seinen Browser einstellt. Für 1,99 kann man lesen, wie das Internet zu einer Technologie der sozialen Kontrolle wurde, in der Gründertypen wie Trump-Fan Peter Thiel nach dem Aus für Gawker nun einzelne Journalisten um ihre Existenz bringen, all das im Namen ihrer Definition von Meinungsfreiheit. Ja, es ist ein Kreuz mit dieser rätselhaften Meinungsfreiheit, nicht nur im hier und heute.

Man könnte fast sagen, dass auch Frage 5 logisch aus dem Gesagten folgt: Wer hat keinen Sarkasmus gefunden und musste frei sprechen?

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Was zu Frage 6 führt: Mit dem Bild rechts wird eine oxy-moronische Website einer Minderheiten-Meinung gesucht, die längst abgeschaltet ist.

*** Jeder Leser kennt wohl die Geschichte von den Fröschen, die im Wasser sitzen bleiben, das langsam erwärmt wird, bis es schließlich kocht und es sich ausgelurcht hat für die Sitzenbleiber. So schön, so falsch. Immerhin gibt es einen soziologischen Begriff dafür, den von den shifting baselines, nachgewiesen bei kalifornischen Fischern. Die älteren, die den ursprünglichen Fischreichtum kannten, hatten einen anderen Blick auf den Ertrag der Fischzüge als die Jüngeren, die in mageren Jahren groß wurden. Auf Deutsch geht es darum, dass Menschen in sich wandelnden Umgebungen den Wandel nicht registrieren können, weil sie zu sehr damit beschäftigt sind, ihre Wahrnehmungen permanent parallel zu den Veränderungen anzupassen. Erst gab es Handys, massenweise und jede Menge Varianten von PDAs, dann, vor 20 Jahren die ersten Smartphones und BlackBerrys für Geschäftsleute, jetzt starren alle gleichermaßen auf ein Smartphone und schießen lieber ein Bild, anstatt ein Naturereignis wie das Auftauchen eines Wales zu bestaunen.

*** Vor 20 Jahren wurde Osama bin Laden aus dem Sudan ausgewiesen und ging zurück nach Afghanistan, wo die Fatwa gegen Juden und Kreuzfahrer ausgerufen wurde, die zum Anschlag auf das World Trade Center führte. Heute vor 20 Jahren starb Rio Reiser, mit Jenseits von Eden unsterblich geworden, Allah wollte es so. Irgendwo über dem Regenbogen sind sie alle.

Wo wir bei traumatischen Ereignissen sind, und bei Frage 7: "Bringt, was Hund ist, zum Schweigen. Kein Ton." Diese Wochenschau war unter allen 890 bis jetzt geschriebenen meine schwerste. Wie heißt das nächste Gedicht des Dichters in dieser Reihe?

Und bei Frage 8: Auch heise online hatte ein traumatisches Ereignis der auslöschenden Sorte. Es begann mit einem schlichten "Hallo zusammen". Was ist gemeint?

Was wird.

Frohgemut geht es in die Zukunft, denn die gibt es, auch für den Online-Journalismus, der haarscharf an einer Kackastrophe vorbeischrammt, mit schmierigen Newsrobotern. Schließlich gilt es Büroversehen aufzuklären und einzuordnen, auch mit Hilfe des Bundesnachrichtendienstes. Der in diesen Tagen eine Dokumentation über den Prager Frühling veröffentlicht hat, geschrieben von Spion & Spion beider Seiten, unter Mithilfe von Journalisten – deren Namen geschwärzt sind. Das liest sich schon spannend, wie der BND vom Einmarsch der russischen Truppen überrascht wurde. Fragt sich nur, ob das auch für den laufenden Putsch und Gegenputsch in der Türkei gilt. Jedenfalls sucht der Dienst für seine Zukunft echte Nerds – die sich eine ZIP-Datei herunterladen müssen. Mit Tests dieser Art begann die Karriere von Edward Snowden bei der NSA.

*** Noch ist nicht klar, wer für die (LB1871700:Shadow Brokers)$ verantwortlich ist, deren Veräußerung derzeit wahlweise via Snowden den Russen oder einem US-Insider in die Schuhe geschoben werden. Dabei ist die Aktion vielleicht etwas ganz anderes, wie auch schon angedeutet wird: Die Heiligsprechung von Snowden wird vorbereitet, leider auch von damals beteiligten Journalisten. Bald nach der Heise-Party kommt der in München gedrehte Snowden-Film von Oliver Stone ins Kino, in dem selbiger als Super-Hacker der NSA an vielen wichtigen Projekten beteiligt ist. Der Film-Held schreibt ein fantastisches Backup-Programm, das umstandlos zum wichtigsten Überwachungsprogramm der NSA umfunktioniert werden kann, ohne Installation von irgendeinem Stückchen Code.

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Womit wir fast bei der letzten Frage wären – Frage 9: Das (im Bild rechts) hatten wir doch schon einmal? Gesucht wird ein Problem, das beinahe das Leben eines jungen Heise-Lesers zerstört hätte.

Und, zu guter Letzt, Frage 10: Um Erster!-Postings ranken sich jede Menge Mythen, aufgeschrieben von klugen Wiki-Foristen. Gesucht wird die Newstickermeldung, unter der dieser einstmals beliebte Zeitvertreib begann.

Wie üblich, werden die Rätsel am späten Montagnachmittag aufgelöst. Damit ist das Rätsel, jedoch nicht der Sommer vorüber: Dchließlich gibt es da diese Party, zu der ich rüberradeln muss, die nächste Wochenschau abgebend.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was wirklich wahr war: Die Heise-Rätsel einer Sommernacht gelöst
Beitrag von: SiLæncer am 22 August, 2016, 19:02
Das letzte Sommerrätsel dieses Jahres vor der großen Heise-Sause mit Forenfünfkampf, Redaktionsbesuch und Jeopardy beschäftigte sich mit der Geschichte von heise online.

Eigentlich lehrt uns die Geschichte ja, dass sie uns nichts lehrt: Wenn Bundeninnenminister Thomas de Maizière die Einführung von Gesichtserkennungssystemen an Bahnhöfen und Flugäfen fordert, dann müsste er konsequent die Einführung von gut ausgeleuchteten Stillstehzonen fordern, ohne die das Ganze nicht funktioniert. Zehn Jahre ist es her, dass beim Projekt Foto-Fahndung auf dem Mainzer Hauptbahnhof mit der Rolltreppe ein "Stillstehmoment" für die 2D-Erkennung gefunden wurde, der dennoch für den praktischen Alltagseinsatz nicht ausreichende Ergebnisse lieferte. Nun gibt es neue Systeme mit 3D-Erkennungsverfahren, die bei Distanzen wie der Mainzer Rolltreppe auf 60 bis 70 Prozent kommen – wenn das Ausgangsfoto einer gesuchten Person in bester 3D-Qualität vorliegt. Das große deutsche Sicherheitstheater geht weiter, wenn wir bald stramm vor der deutschen Fahne stillstehen müssen, die neben der automatisierten Personenkontrolle EasyBRD hängen werden.

heise online wird jedenfalls unverdrossen vom Kampf der Sicherheitsprogagandisten gegen die Freiheit berichten, wie in den vergangenen 20 Jahren, hübsch mit Werbung drapiert. Frage 1 beschäftigte sich mit den Werbekunden der ersten Stunde, die genau in dieser Reihenfolge Geld in die Kassen spülte. Zunächst warb man nur für die nächste Ausgabe der c't oder der iX, dann schaltete Consors Anzeigen und schließlich kam Microsoft dazu. Und richtig geraten wurde das auch noch.

Die ungelöste Frage 2 war wirklich für Insider und die Freunde des OTF. Dieses startete quasi in Verbund mit dem Projekt Einstein@home der Gravitationswellenjäger mit der Frage: "Hat noch jemand CPU-Zyklen zu verbraten?"

Frage 3 suchte eine Gruppe 251, gegründet nach der berühmten Message msg=251 von Günter Freiherr von Gravenreuth, der auf seine Art und Weise ein komplettes Rätsel füllen könnte. Es wurde diese Todesanzeige für den Symicron Explorer gesucht.

Frage 4 suchte eine weitere Gruppe, die sich in den Foren von heise online zusammenfand. Wer die Jubiläumsartikel liest, wird schnell bei der Stop1984 fündig, einem Zusammenschluss gegen die zunehmende Überwachung. Im Jahre 2002 wurden diese Datenschützer in Spanien ausgezeichnet.

Zu Frage 5: Die Formulierung "Wer Sarkasmus findet, darf ihn gerne behalten" ist sicher älter als heise online. In dieser oder mit Ironie gespickter Form ist es eine Formulierung aus Usenet- und Mailbox-Zeiten. Heise-Leser Holger Voss benutzte diese Formel, um sich in einer hitzigen Debatte davon zu distanzieren, dass seine bei Telepolis veröffentlichten Beiträge als Zustimmung zu Terroranschlägen gewertet werden. Deswegen wurde er vor Gericht freigesprochen, weil die Staatsanwaltschaft die Formulierung überlesen hatte. Das hatten wohl auch die Rätselrater überlesen.

Zur gelösten Rätselfrage 6 wurde das Foto eines Fliegers über der CeBIT gezeigt. Die Geschichte dahinter ist die Klage der Firma Nutzwerk gegen Heise, was gesucht war, ist die damals von Nutzwerk geschaltete Website www.heiseluegt.de. Heise lügt ist ganz klar ein Oxymoron, oder?

Frage 7 suchte das in diesem WWWW angerissene Gedicht 1. September 1939 von W.H. Auden, geschrieben zum Beginn des Zweiten Weltkrieges. Damals, gleich nach dem 11. September 2001, begann der Krieg gegen den Terror. Er zeigt, dass die Geschichte uns nichts lehrt.

Auch Frage 8 wurde gelöst. Sie zielte auf diese Ankündigung und die darauf folgende Debatte. Sie zeigt, welchen Wert den aufgelaufenen Diskussionen in den Foren beigemessen wurde diese

Frage 9 stammte, wie richtig geraten, aus dem Q&A der Lizenzbestimmungen der Firma SCO, die Linux-Lizenzen verkaufen wollte, weil sie im Code ihr geistiges Eigentum versteckt sehen wollte. Daraus entwickelte sich nicht nur die unendliche Geschichte, auch viele lustige Leser-Beiträge waren zu lesen, wie etwa die bedrückende Geschichte des Bonbonpapieressers Linux hätte beinah mein Leben zerstört.

Die letzte Frage 10 ging stilecht zur ersten Erster-Meldung, die hier zu finden ist. Wer die Ticker-News vom 13. September 1999 durchforstet, findet schließlich diese Meldung über Linux. Das war übrigens ein denkwürdiger Tag, denn damals wurden Microsofts Pläne für die Post-PC-Ära bekannt, in der wir heute leben. Ok, wir sind da noch am Anfang, der Quantenrechner mit ordentlicher A20-Gate-Emulation fehlt noch.

Viel Spaß auf der Party und weiter mit dem Newsticker!

Quelle : www.heise.de
Titel: 4W : Von kriegerischen Vätern und friedlichen Vorräten
Beitrag von: SiLæncer am 28 August, 2016, 00:15
Was der Vater aller Dinge ist, darüber kann man trefflich streiten. Der Krieg ist es eher nicht, betont Hal Faber, der noch etwas angeschlagen von der User-Party zum 20Jährigen von heise online vor sich hin grübelt.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

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*** Πόλεμος πάντων μὲν πατήρ ἐστί, πάντων δὲ βασιλεύς, καὶ τοὺς μὲν θεοὺς ἔδειξε τοὺς δὲ ἀνθρώπους, τοὺς μὲν δούλους ἐποίησε τοὺς δὲ ἐλευθέρους

Offizielle Übersetzung: Krieg ist aller Dinge Vater, aller Dinge König. Die einen erweist er als Götter, die anderen als Menschen, die einen macht er zu Sklaven, die anderen zu Freien.

Über diesen, von Dritten überlieferten Satz von Heraklit lässt sich trefflich streiten. Genau, streiten, denn Polemos kann man mit Streit, Konflikt oder Krieg übersetzen. Dass der Krieg der Vater aller Dinge sein soll, ist am Ende gar eine üble Verhunzung, die Mutter von der Leyen zurückweisen müsste als Genderquatsch. Den Streit, die produktive Auseinandersetzung mit den Argumenten anderer als Ur-Ding zu begreifen, das tat ein gewisser Robert Havemann in der DDR im Sommer 1956 mit seinem Text Meinungsstreit fördert die Wissenschaften. Am 25. August 1956 wurde Havemann für sein Eintreten für Meinungsfreiheit scharf kritisiert und wurde fortan von der Staatssicherheit überwacht. Freie Meinungen in der Wissenschaft waren schlichtweg unerwünscht im wissenschaftlichen Sozialismus. Havemanns "Rückantworten an die Hauptverwaltung "Ewige Wahrheiten" sollten heute in jedem modernen "Schulbuch" stehen bzw. auf dem schicken Schul-Tablet abrufbar sein, tun sie aber nicht.

*** Das ist schade für ein Land, in dem Innenminister ewige Wahrheiten verkünden, wie diese, dass Gesichtserkennung funzt und schleunigst eingesetzt werden sollte, im Krieg gegen die Terroristen. Die Behörden müssen technisch alles können, was ihnen rechtlich erlaubt ist? Wo die Technik unter Laborbedingungen mit ausreichender bimodaler Biometrie gute Bilder bekannter Krieger haben muss, damit sie Alarm schlagen kann. Längst ist nicht entschieden, ob die rechtlich erlaubte Suche im Bilderstrom das Recht auf Anonymität verletzt. Darüber lässt sich trefflich streiten, auch in kriegerischen Zeiten.

*** Wenn heute Krieg in Deutschland geführt wird, wird es ein Krieg mit dem Beschuss der einfachsten Ziele sein, also ein Cyberkrieg, der gegen die kritischen Infrastrukturen wie Strom, Wasser und Späti geführt wird. Für diese ist in jedem Bundesland artigst separiert der Katastrophenschutz zuständig, wenn die Katastrophe von einem Landrat ausgerufen ist. Bundesweit unterliegt die Katastrophe der Fachaufsicht des Innenministeriums und so ist der Zivilschutz fest in der Hand von Vater de Maizière, demnächst Bundeskanzler dieser Republik. Sein neues Konzept der zivilen Verteidigung hat zu zahlreichen Diskussion über Hamsterkäufe geführt. Gemeint ist nicht der Kauf eines Goldhamsters für Frau Malzahn oder der der Schutz des aussterbenden Cricetus Cricetus, sondern der so beschriebene Selbstschutz. Zehn Tage, länger geht der Krieg nicht.
"Die Bevölkerung wird angehalten, einen individuellen Vorrat an Lebensmitteln für einen Zeitraum von zehn Tagen vorzuhalten, um durch entsprechende Eigenvorsorge die staatlichen Maßnahmen zu unterstützen."
"Seitens der Streitkräfte besteht lediglich eine begrenzte Vorhaltung von Verpflegung für die Durchführung von Einsätzen, die eine durchhaltefähige Versorgung der Kräfte der Bundeswehr insgesamt nicht sicherstellt. Zusätzlicher Bedarf ist bei den Planungen zu berücksichtigen und über die privatwirtschaftlich organisierte Lebensmittelwirtschaft über den freien Markt zu organisieren."

*** Feuer und Flamme für unseren Staat, der im Kriegsfall auf die Lebensmittelwirtschaft setzt? Wie kocht man eigentlich weiter? Wie schön, dass man uns die Freiheit lässt, individuell zu bestimmen, was zum Überleben gehört – sofern man nicht Hartz IV bezieht, wo die Eigenvorsorge nicht bezahlt wird. Unterstützen wir den Plan mit 40 Liter Wein, 5 Kilo Nudeln 5 Kilo Zwiebeln und Knoblauch, 20 Liter Tomatenmark und diesem gräßlichen Parmesan in der "Grosstüten-Frischepackung". Oder wie wäre es mit TTT: Trinkwasser, Tütensuppen und Tofu, auch das in Kilo-Mengen. Der Glaube, dass mit solchen Vorräten eine irgendwie geartete "Resilienz" der Bevölkerung erreicht wird, erinnert an die Ratschläge des letzten Jahrhunderts, sich beim Atomblitz schnell unter die Schultische zu bücken und dann Jodtabletten zu kauen. Wo bleibt eigentlich das deutsche Startup, das fix auf das Innenministerium reagiert, die Geschäftsidee des durchgeknallten Alex Jones klont und auch bei uns Infowars-Notpakete anbietet, in den Geschmacksrichtungen Vegan und Grappa?

*** "S'ist Krieg, ist Krieg, Hurra, wir ziehen in den Krieg!" Natürlich hat sich auch unsere Bundeszentrale für politische Mobilmachung nicht lumpen lassen und ein passendes Heftchen veröffentlicht, das es in sich hat. Allein die Geschichte über "Propaganda und Desinformation" am Beispiel von Russia Today und Sputnik ist es wert, in die Geschichte des Kalten Kriegs 2.0 aufgenommen zu werden. Abseits von diesen erwähnten zweifelhaften Angeboten ist es schon interessant, wie Putin die ihm genehme Front National von Marine le Pen auf dem Weg zur Macht unterstützt. Nicht minder interessant ist die Forderung nach einem alternativen russischsprachigen Sender, der mit Russia Today konkurrieren kann und Gegenpropaganda betreibt. Das Radio Free Europe lässt grüßen. Psst, der eine oder andere Nachrichtendienst wird sicher Geld für diese Idee haben. Man könnte es jahreszeitlich passend Operation Sommerregen nennen, der Name ist ja wieder frei.

Was wird.

Ja, dieser Sommer hat es in sich. Diese kleine Wochenschau entsteht während und kurz nachdem heise online friedlich feiert im schönen Hannover, unterstützt von der ultimativen Playlist. Kein schwarzer Hubbschrauber landet diesmal nächtens auf dem Heise-Parkplatz, unauffällig wechselt stattdessen im Trubel des Forenfünfkampfes ein USB-Stick mit dieser Wochenschau den Besitzer, ganz ohne Geheimversteck im Rubiks Cube, wie Snowden Daten aus der NSA entwendete. Die Party findet in sportlicher Konkurrenz zum Bundesinnenministerium statt, das in Berlin zum regierungsweiten Tag der offenen Tür den Krieg als Cybercrime im PC durchspielt. Wenn von Cybercrime abseits des PC die Rede ist, dann wird regelmäßig über das "Darknet" geredet und spekuliert, zuletzt in der Berliner Erklärung christlicher Politiker, die selbiges mit Polizisten und Geheimdienstlern fluten wollen. Am 1. September freuen sich genau diese Cyber-Polizeien über einen arbeitsfreien Tag, an dem sie nicht untersuchen müssen, ob "Impulse" harmlose Webseiten aufrufen oder ins dunkle Netz verzweigen. Zum Monatsanfang soll TOR dank #torstrike für einen Tag abgeschaltet werden. Das Ganze soll ein Protest dagegen sein, wie unfair Tor mit dem armen Jacob Appelbaum umgegangen ist. Die Kinderei ist bemerkenswert für ein Projekt, dass sich dem Schutz von Dissidenten verpflichtet fühlt. Oder ist das egal, wie auch schon mal behauptet wird, dass es sich "in erster Linie um ein Projekt einer Handvoll selbsterklärter Anarchist/innen einer US-amerikanischen Software-NGO [handelt], die sich in Berlin gerne als Exilant/innen inszenieren." Welchselbige passend zum Streik mit #torfork zuschlagen. Was für ein #tordrama!

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Heute vor 100 Jahren wurde C. Wright Mills geboren, der Soziologe, der den Unterschied zwischen blue collar workers und white collar workers erkannte und theoriefähig machte. Heute wissen wir, dass die weißen blue collar workers Trump wählen werden, weil er ihnen die Scham nimmt, Essensmarken annehmen zu müssen. Das ist im düsteren Amerika ganz OK, solange die Marken an echte Amerikaner gehen. Dank all dieser Roboter und Systeme wie Watson geht es aber auch den white collars an den Kragen. Die Wissensarbeiter werden obsolet, wenn Wissen KI macht und nicht Ah!. Wird so der Kapitalismus zerstört, ganz ohne seinen Gegenspieler Sozialismus? Eine spannende Frage, über die man sich trefflich streiten kann: Das Sommerloch ist zu.

Quelle : www.heise.de
Titel: 4W: Vom vorausschauenden Rechnen und anregenden Lernen
Beitrag von: SiLæncer am 03 September, 2016, 19:30
Die sonntägliche Wochenschau ist nicht rechtsverbindlich, das weiß Hal Faber, die Distanz will er trotzdem nicht wahren und betrachtet was Schüler so mit "dem Internet" lernen könnten, was der BND damit so tut und wann das Anthropozän vielleicht began.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

Hach, das war eine nette Party mit entspannten Gesprächen im Schatten da vor dem Ententeich, mit vielen klugen Menschen und einem Jeopardy, in dem zu raten war, was ein gewisser Hal am Sonntagmorgen macht. Das war immerhin leichter zu erraten als die Frage, was "Hal" beim Tatort am Abend nach der Party eigentlich meinte. Der affige Bluesky konnte es nicht gewesen sein und das am Ende abseits aller Logik ein Programmierer mit einer Tontauben-Schrotflinte Kaliber 20 in einem Rechenzentrum herumballert und fast nichts kaputtgeht, sollte wohl zeigen, wie unüberwindlich diese künstliche Intelligenz ist. Da brauchte es kein Jeopardy oder Predictive Policing, um zu wissen, dass "User büßte für die Tat mit Gut und Blut", wie es eine ordentlich programmierte KI formulieren würde.

Dennoch sah sich das Bundeskriminalamt bemüßigt, nach diesem Tatort die vorhersagende Polizeiarbeit mit der ganzen Datensammelei zu erklären. "Polizeikräfte werden möglichst vorausschauend und sinnvoll eingesetzt." Wie unsere GEZ-Gebühren mit Borowski und das dunkle Netz, wo es in die "dunkelsten Bereiche des Internet" geht. Derweil bedroht diese künstliche Intelligenz von Bluesky auch die zitternden Mittelschichten, die sich ängstlich fragen, welche "Jobs" denn sicher sind.

Es gab einmal eine Zeit, da wurde nicht von "dem Internet" gesprochen und schon gar nicht von seinen dunkelsten Bereichen. Man sprach zuversichtlich von elektronischen Netzwerken und schrieb darüber, wie diese unser Leben bereichern können. Vor 25 Jahren erschien am 1. September 1991 im Scientific American der wohl einflussreichste und klügste Aufsatz über die Rolle von Computern in der Schule, Alan Kays Computers, Networks and Education (PDF-Datei). Gespickt mit Zitaten von Susan Sontag oder Neil Postman zeigte Kay Wege auf, wie Computer, in Netzwerken eingebettet, das Lernen bereichern können.

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Der einleitende Satz macht das klar: "Global vernetzte, einfach zu bedienende Computer können das Lernen bereichern, aber nur, wenn sie in einer schulischen Umgebung eingesetzt werden, die die Lernenden ermutigt, "Fakten" in Frage zu stellen und selbst neue Herausforderungen zu suchen." Kays Ansatz der anregenden, netzwerkgestützten Lernumgebung wird in vielen Beispielen ausgebreitet, etwa dem vernetzten Messen von Temperaturen an Schulen in der ganzen USA, wenn sich die Kinder einen eigenen Wetterbericht erarbeiten und die Ökologie der Zusammenhänge verstehen lernen. Ganz nebenbei ist sein Text einer der ersten Aufsätze, der einem Laien-Publikum das Konzept der Hyperlinks und Such-Agenten erklärt, mit Hilfe von Nicholas Negroponte und Seymour Papert.

Heute haben wir inspirierende Lernumgebungen, in denen der Stundenplan vom aktuellen Wetter und den Wellen bestimmt wird. Aber nicht doch, wir sind ja nicht im dänischen Hawaii. Bei uns verfasst man viel lieber ärgerlich oberflächliche Besinnungsaufsätze von der "digitalen Welt und warnt bei Schulbeginn, es mit der Notenjagd nicht zu übertreiben und mehr auf "digitale Bildung" zu setzen, wegen dieser sicheren Jobs, wissen's schon.

Alan Kays Vision ist weit entfernt, die Computer-Revolution aber auch. Kay und Papert waren nicht die einzigen, die sich mit der Rolle von Computern fürs Lernen beschäftigten. Hier muss man an die Hackerin Liza Loop und das LO*OP Center erinnern, besonders an den Aufsatz Sharing Your Computer Hobby with the Kids.

Während sich auf der Party von heise online Programmierer und IT-Administratoren, Hardware-Entwickler und OTF-Freunde trafen, kamen in Südafrika die Geologen zu ihrem internationalen Kongress zusammen. Die für Erdzeitalter zuständige 35-köpfige Arbeitsgruppe definierte, dass 12.000 Jahre nach dem Holozän nun das Anthropozän da ist, also das Zeitalter, in dem die Menschheit die Erde terraformt: Wir verändern die Erdtemperatur und ruinieren das Klima, rotten Tiere und Pflanzen mit großem Tempo aus und verdrecken die Erde bis auf lange Zeit nach der Selbstausrottung. Streit gibt es nur noch darüber, wann dieses Anthropozän angefangen hat. Als Einschaltjahr könnte man 1945 mit den Abwürfen der Atombomben nehmen und damit dokumentieren, dass wir einen Knall haben, die Erde zu verschandeln.

Noch ist der Geologen-Vorschlag freilich rechtlich unverbindlich, wie die Resolution zum Völkermord in Armenien. Man könnte also noch am aufrechten Gang als Beginn des Anthropozän festhalten, in der Einsicht, das wir uns zurückentwickeln, nicht nur durch Hofknicks (oder sagt man besser Kotau?) vor dem türkischen Thron. Ein Parlament, dass sich so von der Regierung behandeln lässt, verdient diesen Namen nicht, selbst wenn dadurch in ziemlich verquerer Logik Tote im Mittelmeer verhindert würden. Wir schaffen da gar nichts, Frau Bundeskanzlerin. Wir schaffen höchstens die Achtung vor der Demokratie ab, ganz ohne AfD & Co. Obendrein präsentierte sich ein Regierungssprecher in bester militärischer Infowar-Manier als Narratologist und sprach von einer nicht stattfindenden Distanzierung, um sich zu distanzieren.

Was wird.

Der Sommer geht vorüber und alle möglichen Löcher schließen sich. Die Polizei von Thüringen sucht zwar noch nach 14.450 Lizenzen eines USB-Anschluss-Überwachungsprogrammes namens Device Watch, doch irgendwo auf irgendwelchen Rechnern wird sich der Beitrag zur granularen Endgerätesicherheit schon finden lassen. Vielleicht war das Lizenzvolumen einfach nur falsch kalkuliert, so Pi mal USB-Ports mal USB-Sticks?

Der NSA-Untersuchungsausschuss nimmt am Donnerstag seine Arbeit wieder auf und hat dank eines kleinen Leaks zum Datenschutzbericht auf einmal richtig viel zu tun. Erfreulich, dass der etwas enttäuschende Tag der offenen Tür beim BND auf seine Weise doch noch ein bisschen Offenheit gebracht hat, wenn auch anders als geplant. So wurde in Bad Aibling nicht nur – wie bisher mit einer schicken Weltraumtheorie behauptet – die Kommunikation von Satelliten abgehorcht, sondern es gab eine "Kabelerfassung im außereuropäischen Ausland unter Mitwirkung eines ausländischen Nachrichtendiensts". Außerdem wurden mit dem NSA-Programm XKeyscore erhobene Daten ohne entsprechende Dateianordnung erfasst, gespeichert und "automatisiert G10-bereinigt an die NSA übermittelt. Dazu passt die ungeprüfte Übernahme von Selektoren der NSA. All das deutet auf Gesetzesverstöße hin und dürfte den Ausschuss lange beschäftigen.

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Auch zukünftig wird es rund um den BND nicht still werden, wie Reporter ohne Grenzen mitteilt. Drei UN-Berichterstatter haben eine Stellungnahme zum geplanten BND-Gesetz eingereicht und die Bundesregierung um eine Antwort gebeten. Die rechtlich nicht verbindlich ist, wir kennen das ja.

Mit dem leicht geheimen Prüfbericht der Bundesdatenschutzbeauftragten zum schwer geheimen Sachstandsbericht ihres Vorgängers sind viele Aussagen von Edward Snowden wieder in der Diskussion, die mitunter belächelt wurden. Passend zu den neuen Leaks kommt Oliver Stones Film über Edward Snowden Mitte September ins Kino, in dem der blasse Amerikaner zum Hacker-Superstar mutiert. Sicherheitshalber wurde außerhalb der USA gedreht, nicht weit von der Special US Liaison Activity Germany in Bad Aibling, nämlich in München. Damit es richtig ungemütlich NSA-like aussieht und ein sehr militärischer Orwell-touch nicht fehlen durfte, wurden die Katakomben des Münchener Olympiastadions genommen. Abseits bahnbrechender Computertricks könnte der Film eine gute Gelegenheit sein, Shailene Woodley von Our Revolution zu sehen.

Über Apples Milliarden-Dollar-Missverständnis wird genug geschrieben. Apples Geschichte begann auch damit, dass ein gewisser John Draper für die ersten Apples das "Charlie-Board" als Telefonschnittstelle entwickelte. Auf dem CaptainCrunch ComeTogether GeekFest 2016 in Berlin ist er wieder anwesend und schaltet zu nächtlichen Talks per Skype mit seinen Freunden nach Amerika zurück. Mit dabei die oben erwähnte Liza Loop, Richard Stallman, der Althacker Mark Abene und der Junghacker Reuben Paul. Es muss ja nicht immer ne Party sein.

Quelle : www.heise.de
Titel: Von globalen Kulturkreisen,großen Lauschangriffen und kleinen Grundgesetz-Räumen
Beitrag von: SiLæncer am 11 September, 2016, 00:19
Menschen, die von der CSU erwünscht sind, sollen entweder christlich oder abendländisch geprägt sein. Hal Faber sieht an dem gespreizten Konstrukt Haken – und wirft einen Blick auf die Piraten und einen verstorbenen Atomwissenschaftler.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Willkommen im christlich-abendländischen Kulturkreis, der auch Australien und Neuseeland umfasst und in dem Menschen alternierende Werte haben, "entweder christlich oder abendländisch". Das Oder in dieser Formulierung ist wichtig im neuen
Zuwanderungspapier der CSU, denn schließlich sollen auch Menschen aus Israel ohne Vorrangprüfung zu uns kommen können. Bei christlich will man in der CSU genauer hinschauen, etwa bei diesen Problemchristen in Bulgarien und Rumänien: "Ich weiß nicht, ob man Länder, die christlich-orthodox geprägt sind, zum abendländischen Kulturkreis zählen kann", sagt Kulturkreis-Beauftragter Stephan Meyer. Am Ende integrieren die sich genau so schlecht wie die Russlanddeutschen. Wobei, genau gelesen, auch dieses Abendländische einen Haken hat: Einen Kim Dotcom wird man in Bayern integrieren können, eine(n) Māori will man nicht. Dass mit dieser Art von selektiven Zuwanderung die künftige Bruderpartei AfD in Schach gehalten werden kann, ist eine Fantasie, und nicht mal eine hübsche. So denken Einzeller, denen schon die zweite Zelle zuwider und aus der Art geschlagen ist.

*** Als das jüdische Tschernobyl-Kind Maria Weisband aus der Ukraine nach Deutschland kam, war die Welt offener. Sie ging zur Schule, machte Abitur, studierte und ist inzwischen Diplom-Psychologin. Wer bei ihr liest, was an Antisemitismus in der Piratenpartei möglich war, mit Vorsitzenden, die rassistische Äußerungen als "Jugendsünden" deklarierten, dem wird das Scheitern der Piraten aus einem anderen Blickwinkel deutlich. Von einem verbrannten Label redet Ex-Piratin Weisband, während der Berliner SPD-Bürgermeister bei den anstehenden Wahlen lieber die Piraten als die AfD im Abgeordnetenhaus sehen würde. Da konnten sie mit ihren Plänen zum kostenlosen öffentlichen Nahverkehr so schön von "erfahrenen Sozialdemokraten" lächerlich gemacht werden. Nun haben die Mohren ihre Schuldigkeit getan, die Mohren mögen doch bitte bleiben. Bleibt nur die Frage, ob es da eine Lehre der Geschichte gibt.

*** Es gibt gute Geschichten und ganz und gar unglaubwürdige Münchhausereien. Eine solche ist die Affäre von Klaus Traube, der am vergangenen Sonntag gestorben ist. Da verliert jemand seine Brieftasche mit dem Personalausweis und solchen Ausweisen, die ihn als Zutrittsberechtigten zu deutschen Atomkraftwerken ausweisen. Da schickt ihm jemand eine Postkarte (für die Jüngeren hier: eine analoge Art unverschlüsselter Mail), die mehrsprachig verfasst ist. Die Konsequenz: Der Verfassungsschutz startet die erste große Überwachungsaktion auf bundesdeutschen Boden auf den Atomwissenschaftler Traube, weil der maßgebliche Verfassungsschützer keine Fremdsprachen beherrscht und den Inhalt als Terrorcodes für einen Angriff der RAF auf AKW interpretiert. 1976 wird Traube fristlos von der Siemens-Tochter Kraftwerk Union entlassen, ohne Angaben von Gründen. Monatelang wird Traube beschattet, eine Spezialeinheit brach in sein Haus ein und installierte die damals modernste Abhörtechnik mit Impulsgebern für automatisch startende Tonbandgeräte. So stolz waren die Geheimdienstler auf die umfassende Observierung Traubes, dass sie für die Operation Müll den Namen "großer Lauschangriff" erfanden. Leider war der ganze Angriff Müll, weil es kein einziges Indiz für eine RAF-Verbindung gab und alle Verdachtsmomente erfunden waren.

*** Der damalige FDP-Innenminister Werner Maihofer (Wahlslogan: "Im Zweifel für die Freiheit") verteidigte den illegalen Lauschangriff, wie im aktuellen Video Land unter Kontrolle zu sehen ist. Er musste seinen Dienst quittieren, Klaus Traube wandelt sich vom Atommanager zum vehementen Kritiker der Atompolitik. Der illegale Lauschangriff wurde nur bekannt, weil beim Verfassungsschutz ein Whistleblower namens Karl Dirnhofer die Akte Traube einem Journalisten und früheren Verfassungsschützer zuspielte. Sowohl Dirnhofer als auch der Journalist Hans Georg Faust wurden wegen des Verrats von Staatsgeheimnissen angeklagt, konnten aber nicht verurteilt werden, weil die Beweise aus dem Lauschangriff stammten und damit ebenfalls illegal erlangt worden waren. So war der große Lauschangriff ein großer Reinfall und konnte erst im Jahre 1998 legalisiert werden. Zur gleichen Zeit wurde bekannt, dass die NSA mit einem Programm namens Echelon den globalen Lauschangriff längst realisiert hat.

*** Bekanntermaßen haben wir mit dem Bundesnachrichtendienst einen weiteren Geheimdienst, der sich als Äquivalent zur großen NSA sieht und zusammen mit dem Verfassungsschutz kräftig aufrüsten will im Kampf gegen den Terror. Über 21 Millionen Euro sollen in Software zur Überwachung von Messenger-Diensten fließen, vor denen der im Februar in Dienst genommene Bundestrojaner als Nachfolger des analogen Lauschangriffes derzeit noch kapituliert. In dieser Woche wurde auch ein Gutachten des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages bekannt, nach dem die zukünftige Arbeit des BND mit dem beabsichtigten Ausschnüffeln ausländischer Journalisten grundrechtswidrig sein könnte. "Ist der Schutz des Telekommunikationsgeheimnisses universell? Steht er also allen Menschen zu? Oder gilt der Schutz nur auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland und für Deutsche im Ausland?" Das Gutachten wurde für André Hahn von der Linksfraktion angefertigt. Diese hofft, dass das Bundesverfassungsgericht die Verfasser des Gesetzes abwatscht und ihnen erklärt, wie teilbar oder unteilbar so ein Grundgesetz ist.

*** An einem 11. September wie diesem wird natürlich Bilanz gezogen – sie fällt verheerend aus. Zum Ende der Präsidentschaft Barack Obamas sind immer noch 61 Gefangene in Guantánamo in "weiterführender Haft nach den Gesetzen des Kriegsrechts". Glaubt man Trumps Anhängern, ist das Land in größerer Gefahr als 2001. Bizarr ist da die Meldung, nach der ein Buch über 9/11 zur Pflichtlektüre jedes Neueinsteigers bei Palantir gehört, neben einem Standardwerk zum Improvisationstheater. Angeblich hat Palantir Technologies die Software entwickelt, mit deren Hilfe Osama bin Laden gefunden wurde. Den Trump nach eigener Aussage als Präsident vor 9/11 "erledigt" hätte.

Was wird.

Das Geekfest rückt näher und die Snowden-Apotheose wird ab Freitag von den USA ausgehend weltweit gefeiert. Jede(r) bekommt Ruhm und Ehre und darf seine Motive erklären, doch der Märtyr Snowden wird erst jetzt übergroß ins Bild kommen, angefangen mit Brüll-Laufen durch deutsche Wälder. Die Berichte von der Brüsseler Privataudienz erklären schlicht Film und Vorbild für identisch und das Original für gut getroffen. Auch die Musik von Peter Gabriel bekommt ihr Lob für das Blasen der Pfeifen. Ein wichtiger Teil des Filmplots wurde nun vorab veröffentlicht, nur die programmierenden Heldentaten des Über-Hackers Snowden mit seinem Backup-Programm Explicit fehlen noch. Sie werden zur Zeit auf dem Film Festival in Toronto live gezeigt.

So ehrenwert Snowdens Vorschläge anlässlich der Brüsseler Preview auch gewesen sein mögen, so darf man doch über seine Ansicht staunen, dass ausgerechnet die Europäische Union ein "Champion der Menschenrechte" sein soll. Angesichts des anhaltenden Flüchtlingsdramas im Mittelmeer, zweifelhafter Deals mit Despoten vom Schlage Erdogans ist Snowdens Vertrauen in Europa naiv, der Vorschlag eines internationalen Schiedsgerichts für Whistleblower reines Wunschdenken. Vielleicht wird nach dem heroischen Filmdrama ja die Zeit kommen, sich in der Zeit nach dem Hurrikan noch einmal über Snowden zu verständigen.

Quelle : www.heise.de
Titel: 4W: Von Signalen und anderen Lebenszeichen
Beitrag von: SiLæncer am 18 September, 2016, 01:27
Die Kritiker des Gender-Mainstreaming dürften ihre Freude haben, wenn Commander McLane es dem Matriarchat mal so richtig zeigt. Ist aber nur eine sehr alte Geschichte. Schon damals aber hörten die Maschinen nicht richtig zu, ist sich Hal Faber sicher.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Frisch und munter hochmotiviert von den Demonstrationen gegen TTIP und gegen das seltsam ambivalente Ceta wieder zu Hause oder einfach nach den letzten Metern nur müde, viel zu müde um in Herbstnächten wie dieser über Ceta-Klagen oder nur das WWWW zu lesen? Deshalb vorab ein Wort in eigener Sache: Diese kleine Wochenschau, die frierenden Redakteurinnen und Redakteuren auf dunklen hannöverschen Parkplätzen überreicht wird, kann man auch hören. Oben rechts, mit Klick auf "Vorlesen". Man kann natürlich auch seit dieser Woche für 179,99 Euro den Bluetooth-Lautsprecher Amazon Echo kaufen und neben heise online sich andere Nachrichten anhören oder alexieren lassen – und sich anders als bei dem Einkaufsknopf einen Dauer-Mitlauscher installieren, der ständig zuhört und das Gehörte in der Cloud speichert, was die Spracherkennung verbessern soll. So langsam nähern wir uns dem ersten Menschengesetz in Ableitung von den bekannten Robotergesetzen: Du sollst laut und deutlich sprechen, damit die Maschinen dich hören können. Es ist wie in den Montagehallen, wo sich die Wege der neuen interagierenden Roboter mit denen des Menschen kreuzen: Du sollst dich angemessen bewegen und keine überraschenden Schritte machen. Natürlich ist man dort weiter, wo sich die neuen Imperien an der neuen Seidenstraße bilden und 80% der Weltbevölkerung lebt: Dort sollte man nicht müde in die Kamera blinzeln, was den Computer des findigen Professors automatisch dazu bringt, die Powerpoints zu vertauschen.

*** Unverdrossen wird seit jeher am Lernen gebastelt und optimiert, mit einer langen Tradition: Als die Raumpatrouille Orion über die Bildschirme flimmerte, war das nicht anders. Mit der Folge Kampf um die Sonne sollte in der Schule diskutiert werden, ob es nicht besser sei, in einem Matriachat zu leben, unter der Regierung von Margot Trooger, ganz wie Commander McLane, der als Verbindungsoffizier auf dem Frauenplaneten Chroma bleiben musste. Es folgten wilde Diskussionen. Heute ist es schon Feminismus, wenn in der Mode Frauen mit Achselhaaren auftreten. Da bleibt wenig übrig von dem, was vor 225 Jahren von Olympe de Gouges als allgemeines Frauenrecht proklamiert wurde, die Rechte des "an Schönheit wie auch an Mut in mütterlichen Schmerzen überlegene Geschlecht". So lesen wir, von einer, die von den Jakobinern wegen "Vergesslichkeit gegenüber ihrem Geschlecht" auf dem Schafott hingerichtet wurde:
"Wegen seiner, selbst fundamentalen, Meinungen braucht niemand etwas zu befürchten, die Frau hat das Recht auf das Schafott zu steigen; sie muss gleichermaßen das Recht haben, ein Podium zu besteigen; unter der Voraussetzung, dass ihre Bekundungen nicht die durch das Gesetz festgelegte öffentliche Ordnung stören."

*** Die festgelegte öffentliche Ordnung ist längst dabei, sich aufzulösen. Der große Theatermann Edward Albee ist gestorben, der Autor der Zoogeschichte, die er sich selbst als Geschenk zum 30. Geburtstag schrieb, und der kurzen Einakter von Mommy und Daddy, die den American Dream nachhaltig demolierten. Der in Deutschland zu Erfolg gekommene Albee lehnte Schreibmaschine und Computer ab. "Die Gesundheit einer Nation, einer Gesellschaft kann durch die Kunst bestimmt werden, nach der sie verlangt." Wendet man den Satz auf die USA an, wo Trump zur Eröffnung seines neuen Trump Hotels die Presse ausschloss und nur Kameras zur Besichtigung zuließ, sendet dieser Trumpismus ein ungutes Signal. Auch die Trumponomics sind bizarr, während der Wein in Löffeln serviert wird. Jemand, dessen außenpolitische Ideen beyond repair sind, beunruhigt.

*** Aber wir sind ja in Deutschland und können selbst Theater und Kunst, auch in der ganz absurden Variante, uraufgeführt im Münchener Hofbräukeller, rund um das Urheberrecht in statu quo ante corrugatum Oettinger mit seiner Idee von der Linksteuer. Wer Zeit und Muße hat, kann die spezifisch juristische Darstellung des Theaterstückes lesen oder die Niggemeiernde (mit vielen Kommentaren), die Funktionärs-Froitzheimernde und dann die offizielle Mitteilung der Verwertungsgesellschaft Wort. Sehr parteiliche Meldungen zur Zerstörung der Buchkultur gibt es auch.

*** Es geht um Gelder aus DVD-Rohlingen-, Festplatten- und Kopiererabgaben sowie um die Nutzung von PCs, für die die Verlage von der VG Wort Geld erhalten haben, sowohl Buchverlage wie Zeitschriftenverlage. Buchverlage behielten das Geld, Zeitschriftenverlage reichten es an die Verlegerverbände weiter, zur Journalistenausbildung. Nun sollen nach langem Zögern der VG Wort die unrechtmäßig einbehaltenen Pauschalbeträge der Buchverlage an die Autoren ausgeschüttet werden. Das klappt nicht und wird so schnell nicht klappen. So gab es eine Versammlung von etwa 200 schreibend tätigen Personen, die über einen Beschluss abstimmen soll, der kurzfristig durch eine Tischvorlage ersetzt wurde. Sie schaffte es nicht einmal, sich über eine Pause zu einigen, um die neue Vorlage zu diskutieren und vertagte sich ergebnislos. Trauriges Fazit von Froitzheim: "Während rechte Abendlandschützer uns Mainstream-Medien-Journalisten als Lügenpresse diffamieren, eskaliert das Misstrauen von Journalisten untereinander." Den Schwarzen Peter bekamen dafür die Freischreiber, ein Berufsverband von Journalisten, die auch Bücher schreiben und deshalb besonders stark an schneller Auszahlung interessiert sind. Und ja, dieses Disclosure darf nicht fehlen: Als freier Journalist eines Zeitschriftenverlages am Rande der norddeutschen Tiefebene bin ich zwar von Metis abhängig, doch von der Ausschüttung der Fantasto-Millionen nur am Rande betroffen, da das WWWW nunmal kein Buch ist.

Was wird.

Doch doch, sie gibt es noch, die Gesundheitskarte mitsamt der medizinischen Datenautobahn. Nur läuft die ultramoderne Kartentechnik langsam aus. Als erste wird wohl in diesen Tagen die DAK Gesundheit damit beginnen, Gesundheitskarten der 2. Generation auszuliefern, gefolgt von diversen AOKs wie etwa der AOK Hessen. Dies sind die ersten Karten der gesetzlichen Krankenkassen, die einen nennenswert großen Speicherbereich haben, in dem Patienteninformationen oder Organspendeerklärungen und ein Notfalldatensatz hinterlegt werden können. Damit freilich etwas auf der Karte gespeichert werden kann, brauchen die einspeichernden Ärzte einen Elektronischen Arztausweis mit digitalen Signaturen. Das wollen zumindest die Ärzte in Hessen solange nicht, bis eine "flächendeckende Breitbandvernetzung" vorhanden wird. So schleppt sich das Projekt der Gesundheitskarte weiter dahin und wartet wohl auf einen Breitbandjesus.

Wer nicht mehr wartet, ist die besonders von IT-Arbeitern bevorzugte TK, die mit einer Patientenakte in einer deutschen oder europäischen Cloud verhindern will, "dass das Silicon Valley das Mission Control Center des deutschen Gesundheitswesens wird".

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Klingt gut, doch wer sich das Scheitern von Google Health und das Krebsen von Microsoft Healthvault anschaut, bekommt nicht den Eindruck von einem funktionierenden Mission Control Center. Wer wirklich solche Geschichten glaubt, glaubt auch, dass im Gesundheitssektor Google und Sanofi Typ-2-Diabetikern helfen wollen oder er hat sein Lantus falsch dosiert.

Quelle : www.heise.de
Titel: 4W: Ohne Ziel ist auch der Weg egal.
Beitrag von: SiLæncer am 25 September, 2016, 04:25
The world is my oyster, das Willkommen im Lusttempel lud einst zum mitsingen ein. Trist aber erscheint sie heute, diese Welt. Und das Kino kann uns auch nicht retten, ist sich Hal Faber sicher, auch wenn man es nicht gleich zum Anachronismus erklären muss

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Nun ist er da, der Snowden-Film und sorgt, wie es sich für einen echten Stone-Film gehört, für Diskussionen, nicht nur in der Redaktion beim Verlag am Rande der norddeutschen Tiefebene. Dazu gibt es tief schürfende Filmbesprechungen in den Blättern mit eingebautem Kulturteil und K-Vermittlungsanspruch, auch solche Faktenchecks, wie sie von den hirnlosen Tatorten bekannt sind. Mein Lieblingssatz steht in der tageszeitung und gibt sich wohlausgewogen: "Andererseits ist natürlich schon die Vorstellung, dass das Kino heute noch eine gesellschaftliche Funktion erfüllt, ein rührender Anachronismus." Überholt, aus und vorbei soll also das Kino sein, obwohl es im selben Argumentationsstrang genau dieser Stone-Film sein soll, der in den USA die öffentliche Meinung über Edward Snowden beeinflussen könnte. Eigens deshalb hat Edel-Regisseur Stone der Filmemacherin Poitras vorgeschlagen, dass ihr Oscar-prämierter Film Citizenfour besser im Fahrwasser seines Blockbusters das Publikum erreichen könnte. Noch so ein Anachronismus, in dem Mann sagt, was für Frau gut ist. Mit der Behauptung, dass die USA einem Nazi-Deutschland entspreche und "Nürnberger Prozesse" gegen die Geheimdienstler James Clapper und Michael Hayden fordert, übergeigt der Weltbürger Stone sein hochgelobtes Feingefühl.

*** Welches "Gefühl" die Journalisten des "Editorial Board" der Washington Post getrieben hat, ein Pardon für Edward Snowden abzulehnen, ist derzeit noch unbekannt. Der Verstand kann jedenfalls nicht beteiligt gewesen sein bei diesen Journalisten, die basierend auf den Snowden-Leaks einen weiteren Pulitzer-Preis gewinnen konnten. Hier muss man Glenn Greenwald zustimmen, der von einem Skandal spricht, wie eine Zeitung da mit ihrer eigenen Quelle umspringt. Selbst der Eigentümer des Blattes ist wohl reflektierter. So lernen wir Journalisten nicht kennen, die die bewusste Entscheidung von Edward Snowden, seinen Datenberg nur Journalisten und nicht etwa Wikileaks anzuvertrauen, als "Leaking" denunzieren.

*** So ging Skandal-Journalismus in Deutschland und geht und gedeiht auch weiterhin prächtig, wie ein BND-kontaktbehafteter Journalist ausdauernd zeigt, der beste Verbindungen zu den Diensten hat. Die neueste These, dass Wikileaks umfrisierte Informationen von den "Funkaufklärern des Kremls" den USA unterschiebt, gehört zum Spiel von "Spion gegen Spion" oder auch "Russen gegen den Bundestag". Seitdem Daniel Schmitt (German Correspondent) und Julian Assange (Investigative Editor) anno 2008 die journalistische Zusammenarbeit mit dem BND veröffentlichten, wird Wikileaks mit Dreck beworfen. Das klappt auch deswegen, weil Wikileaks in Person von Julian Assange selbst nicht zimperlich ist und Veröffentlichungen über Hillary Clinton angekündigt hat, die diese stürzen sollen. Einschlägigen V-Theoretikern zufolge soll der Nachweis möglich sein, dass Clinton eine Rolle beim gescheiterten Putsch gegen Erdogan gespielt hat. So dreht das Kopfkarussell die Tatsachen schnell und schneller bis zum Schwindel, wie einem Tauschangebot jenseits aller Gesetze. Die Realität ist trist und trister und wer die Nachrichten über die Realität von Chelsea Manning liest, dürfte für das Bild vom "guten Obama" verloren sein. Ja, nichts ist mit "Welcome to the pleasuredom".

*** Wie schön ist es dann, wenn nach den Wahlen in Berlin, dort in der einzigen deutschen Großstadt mit echter Parteiverteilung, wo alles am Ende sein soll, wieder Glanz zu Guttenberg verbreitet werden kann. Dann schreibselt man von einem "gefallenen Star", der Glanz verbreitet. Einmal Star ist immer Star, besonders bei einer glanzarmen CDU, die sich an der Eingemeindung der AfD versucht. So kommt zur Umvolkung die Umguttenbergung in Gang, der von einem "transatlantischen Kraftfeld" schwärmen kann und ein gutes Wort für CETA einlegt. Passend dazu schwärmt die Hofberichterstattung über den "so kooperativen Verhandlungspartner" Kanada, dem man dankbar sein kann, so viel Geduld zu haben mit uns Europäern und eine Zusatzerklärung zuzulassen. Glanz, Geduld und Guttenberg, das ist eine echte Zauberformel, denn wer will schon lange Texte lesen und verstehen?

*** Es gab eine Zeit, da war die EU-Komissarin und Talentsucherin Neelie Kroes so etwas wie eine verehrte Mutter Theresa der Digitalisten, als das ACTA-Abkommen scheiterte, mit strahlenden Auftritten auf der re:publica. Heute ist sie im Verwaltungsrat von Salesforce und kümmert sich hauptamtlich um die Förderung niederländischer StartUps im Startupdelta. Mit den Bahamas-Leaks ist ihr "nie aktivierter" Posten bei der Briefkastenfirma Mint Holdings entdeckt worden, extra geschaffen, um den Kauf des stinkenden Energiekonzerns Enron durch nahöstliche Investoren abzuwickeln. Dieser fand nicht statt, doch die Sache hat ein Geschmäckle: Nachdem EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso im Pofallatempo zur Investmentbank Goldman Sachs wechselte, sind die Fehler im System offenkundig geworden, brav gedeckelt durch einen Parlamentschef, einem Freund "flexibler Solidarität".

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*** Manchmal schleppen sich die unterdrückten Nachrichten dahin, bis sie altersmüde doch durchsickern, wenn die Verteidigungsministerin in Bagdad ist, um vom :geschlagenen Daesh zu schwadronieren. Weil eine GIZ-Mitarbeiterin im vergangenen Jahr von Erpressern in Afghanistan verschleppt wurde, hat die Bundeswehr damals parallel zu den Verhandlungen mit den Entführern ihren ersten Cyberangriff durchgeführt. Der Angriff galt einer zivilen Infrastruktur, einem afghanischen Mobilfunknetz, und hatte offenbar das Ziel, die Bewegungsdaten der Entführer zu ermitteln, denen man dann ein Lösegeld angeboten hat. Mehr ist nicht bekannt, da "Erkenntnisse über die Vorgehensweise" zum Staatsgeheimnis erklärt wurden. Schließlich könnten böse Hacker die Taten der guten Soldaten bei der "offensiven Penetration" kopieren und wirklichen Schaden anrichten. Selbst die Frage, wer den Einsatz befohlen hat oder wie die Zielvorgabe war, ist für unzulässig erklärt worden. Wie Augen Geradeaus! kommentiert, lässt dies "für die Übernahme der Verantwortung bei solchen Geiselbefreiungsoperationen, die möglicherweise schiefgehen, schon Übles erwarten."

Was wird.

Übles hat die Zukunft für uns bereit: Morgen geht es wieder in die große Politik, mit einer Expertenanhörung zum geplanten BND-Gesetz, welches selbst der ehemalige BND-Chef Schindler für eine nasse Nudel hält. Passend dazu gibt es eine Kundgebung der unverwüstlichen Katharina Nocun, Dem Deutschen Volke gewidmet. Ja, es braust ein Ruf wie Donnerhall wie Schwertgeklirr und Wogenprall nichts mehr Geheim, Geheim! Wer will der Verfassung Hüter sein? (Darf in Deutschland nur Mario Götze pathetisch sein?).

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. Auf der Suche nach den richtigen Pillen.
Beitrag von: SiLæncer am 02 Oktober, 2016, 05:00
Bezeichnend, wenn die Autokorrektur aus Adorno Ahorn machen will, meint Hal Faber. Was kratzt's den deutschen Ahorn, wenn sich ein Adorno an ihm schubbert? Dabei wäre mehr Adorno, weniger Internet-Gebote auskotzendes Feulleiton ein Schritt nach vorne.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

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*** BNDal Forte ist ein Medikament zur Anwendung in sinnlosen politischen Prozessen, das laut Packungsbeilage zu 15 Prozent aus einer 30-prozentigen Scheinlösung besteht, zu gleichen Teilen angereichert mit hochkonzentrierter Massenüberwachung und Pressefreiheitsbrüchen. Es soll auch als weiße Salbe verfügbar sein, die man sich in die verschnupfte oder verkokste Nasenschleimhaut reiben kann, wenn man bei akutem Wählermangel vom Wirkstoff Terrorangst abhängig geworden ist. Angesichts der Nachrichten über erkannte und nicht veröffentlichte Sicherheitslücken von Überwachungskameras oder den Berichten aus dem NSA-Untersuchungsausschuss fragt man sich, welche Medikamente beim BND zum Einsatz kommen. Auf alle Fälle sind sie schädlich, denn sie machen die Geheimdienstler US-abhängig, sowohl mental, wie softwareseitig.

*** Ja, der goldene Herbst ist da und mit ihm kommt buchmessig bedingt die Saison der schlauen Spitzköpfe und der großen Feuilletons, mit Reden vom Untergang des Abendlandes, den christlichen Werten und dem Aussterben des Ehe rettenden Puffs. So treten sie auf, die vergeilten Schlussdeichler wie sloty(at)durlacherfreiheit.de, die mit ihren perlenden Schwänzen über die vernetzte Welt als kulturelle Herausforderung parlieren. Genau, diese elende vernetzte Welt aber auch, ist über sie nicht alles gesagt und geschrieben?

*** Nein, meint die Süddeutsche Zeitung und stellt lang und breit das Projekt Free Speech Debate des Dahrendorf-Programmes vor, das 10 Prinzipien zur Achtung der Meinungsfreiheit gesammelt und erläutert hat. Typisch deutsch, dass in der Lobhudelei aus den 10 Prinzipien gleich 10 Gebote gemacht werden – eine feste Burg ist halt unser unbedingte Glaube an Gebote und Bahnsteigfahrkarten. Vergleicht man übrigens die 10 Prinzipien mit dem, was die Flachpfeifen von #NichtEgal im Dialog mit dem Juristen Arnd Diringer über Meinungsfreiheit getwittert haben, bekommt man eine Ahnung, warum in Deutschland prompt von "Geboten" und "Gesetzen" die Rede ist. Leider sind die #NichtEgal-Ausführungen zur Strafbarkeit von bloßem Hass oder hässlichen Emotionen schon gelöscht und dem blitzschnellen Vergessen anheimgefallen. Nur so viel: Das mit dem Recht auf Meinungsfreiheit wollte man halt etwas enger auslegen im Auftrag der Firma.

*** Reicht es mit den Prinzipien zur richtig verstandenen Meinungsfreiheit? Nein, meint die Frankfurter Allgemeine Zeitung und beginnt gleich eine neue Großdebatte über "Internet als Vehikel der Demokratie", einzeln zahlbar hinter dem Vehikel namens Firewall. Gleich der erste Beitrag zur "Räson des Internet" reizt zum Lachen: "Lässt sich das Internet zur Vernunft bringen?" Hach, es wäre so einfach, wenn eine Technologie vernünftig wäre wie ein Messer, das zum Schneiden da ist und nicht zum Morden. So bekommt Facebook mal wieder einmal die Schuld in die Gesichtsbücher geschoben, die britischen Jungwähler nicht über das Brexit-Referendum informiert zu haben, die folglich der Wahl fernblieben und ihr Stimmrecht verspielten. Ja, ja, die Jungen Briten, da haben wir es doch besser, mit diesem rechtzeitig vor der Wahl veröffentlichten "Aufruf zu einer Leit-und Rahmenkultur" "in Zeiten gesellschaftlicher Unruhe", der "Halt und Orientierung" bringt mit den drei "Kraftquellen" Heimat, Patriotismus und Leitkultur sowie dem glücklich machenden Soundtrack der Nationalhymne.

*** Wen es ekelt, der sei mit mir und diesen aufklärenden Zeilen:
"Anzugehen wäre gegen jene Art folk-ways, Volkssitten, Initiationsriten jeglicher Gestalt, die einem Menschen physischen Schmerz – oft bis zum Unerträglichen – antun als Preis dafür, dass er sich als Dazugehöriger, als einer des Kollektivs fühlen darf. Das Böse von Gebräuchen wie die Rauhnächte oder das Haberfeldtreiben und wie derlei beliebte bodenständige Sitten sonst heißen mögen, ist eine unmittelbare Vorform der nationalsozialistischen Gewalttat. (Theodor W. Adorno)

*** Dies ist ein Zitat aus dem Vortrag "Erziehung nach Auschwitz", vom Hessischen Rundfunk am 18. April 1966 gesendet, in dem Adorno Tacheles sprach und sich mobile, schweifende Erziehungsgruppen und gar Kolonnen von Freiwilligen wünschte, "die aufs Land fahren und in Diskussionen, Kursen und zusätzlichem Unterricht versuchen, die bedrohlichsten Lücken auszufüllen." Von Adorno, freilich nicht im Radiovortrag benutzt, stammt auch der beste Aphorismus zu diesem Un-Ding namens Leitbild: "Das fatale Wort Leitbild, dem die Unmöglichkeit dessen eingeschrieben ist, was es meint, drückt das aus." Die Gier, das Verlangen nach Leitbildern, sind für ihn Gewaltakte, Kennzeichen einer unfreien Gesellschaft.

*** Seit gestern sind wir alle Teil der wichtigsten und größten Cyber-Kampagne, die Europa je gesehen hat, dem Cyber Security Month: Stop! Think! Connect! Wenn sich das Internet schon nicht zur Vernunft bringen lässt, dann müssen wir die Unvernunft gutheißen, alles zu becybern mit Veranstaltungen wie dem drohend klingenden "Die Hacker kommen!" in Hoyerswerda. Auch der Deutsche Bundestag macht mit und es gibt ein Live-Hacking und Hacker zum Anfassen und Anbeißen, ordentlich getrennt einmal im Fraktionssaal der SPD und dem der CDU sowie eine Vorschau unter der intern erreichbaren URL https://www.bundestag.btg/Aktuelles/Live-Hacking.php. Neben dem Monat zur Cybersicherheit gab es in Singapur die bis dato größte Cybersicherheitskonferenz von Europol, Interpol und No More Ransom. Das Konferenz-Hauptthema "Attribution" passte bestens zur ersten Kandidatendebatte im US-Wahlkampf zwischen Hillary Clinton und Donald Trump: Wer bestimmt eigentlich, dass Cyberattacken aus Russland kommen oder aus China oder von jemanden, der auf seinem Bett sitzt und 400 Pfund wiegt, NATO-Bündnisfall inklusive? Auf Trumps Hacker-Invektive reagierte The Hacker Quarterly vorbildlich mit dem Aussetzen eines Cyber-Preisgelds.

Was wird.

Er kommt aus dem Westen, ist aber ganz in Ordnung? "Ich habe lange nicht gemerkt, wie beleidigend das eigentlich ist.", heißt es in der tageszeitung zur deutschen Einheit. Wie schön der Westen war, will dort im Osten niemand wissen. Freuen wir uns zum Tag der Deutschen Einheit mit Oliver Polack, der uns und sich gratuliert für den outgesourcten Judenhass, den jetzt die Araber als "Leiharbeiter" übernehmen über die deutsche Biodiversität: "Deutscher, Biodeutscher, böser Deutscher, Nachkriegsdeutscher, Wessi, Ossi, Flüchtling, Nazi, besorgter Bürger, AfD-Wähler, Pegida-Vogel, Politiker, Idiot, Dümmling, kluger Mensch, dummer Mensch, deutsches Eichhörnchen, Araber." Es ist eine Geschichte aus dem deutschen Westen: Oliver Polaks Vater hatte die Konzentrationslager überlebt und danach weiter in Papenburg gelebt, als Jude unter Deutschen. Nach seinem Tode sollte eine Strasse nach ihm benannt werden, doch ein Stadtratmitglied war dagegen. Im Nachlass seines Vaters fand Oliver Polak eine Postkarte, "Mit schönen Grüßen aus Auschwitz", unterschrieben von diesem Stadtrat. So gehen die Deutschen, die Deutschen gehen so, in Ost wie West. "Wir sind Papst!", das können wir jubeln. "Wir sind Auschwitz!" Nie gehört und Google hustet.

Am 4. Oktober 2006 wurde die Domain Wikileaks.org bei Dynadot angemeldet. Zum kommenden 10-jährigen Geburtstag gibt es im Spiegel ein Interview mit Julian Assange. Dieser ist voll des Selbstlobes, besonders was Edward Snowden anbelangt:
"Nicht zuletzt dank der harten Arbeit von Wikilekas bekam Snowden in Russland politisches Asyl. Er hat Reisedokumente, er lebt mit seiner Freundin zusammen, geht zu Ballettvorführungen und verdient ordentliche Honorare für Reden. Edward Snowden ist im Wesentlichen frei und glücklich. Das ist kein Zufall. Es war meine Strategie, der einschüchternden Wirkung der 35 Jahre Gefängnis für Chelsea Manning etwas entgegenzusetzen. Und es hat funktioniert."

Hat es wirklich funktioniert? Mit seinen Reisedokumenten kommt Snowden nicht aus Russland heraus, in dieser Woche scheiterte in zweiter Instanz wie schon im Juni der Versuch, ihm freies Geleit zu einer Preisverleihung zu sichern.

Wie immer die harte Arbeit von Wikileaks aussah, es bleibt spannend, was abseits der filmischen Verarbeitung noch bekannt wird. Die zarte Andeutung, dass das neue Kuba, auf einen amerikanischen Wink hin, ein Asylangebot für Snowden zurückgezogen hatte, gehört dazu.

Und sonst so? Die Landesverräter von Netzpolitik feiern. Zur Party passt das einzige Woodstock-Video, in dem Steve Jobs zu sehen sein soll. One pill makes you larger, one pill makes you small: Feed your head. And the ones that mother gives you don't do anything at all. Eben. Mehr Adorno, weniger Gebote-Feuilleton.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. Von der Cyber-Apo zur Cyber-Wehrpflicht.
Beitrag von: SiLæncer am 09 Oktober, 2016, 05:43
Und immer noch bewegen wir uns in Neuland, wir alle, die wir immer noch nicht wissen, worauf das alles hinauslaufen soll. Da ist immer wiederkehrender Spott ganz fehl am Platze, meint Hal Faber, der sich weigert, Ethik nach Nützlichkeit auszurichten.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Die Produktion von Nachrichten ist ohne Zufallsgenerator nicht denkbar. Da wird Julian Assange zum 10. Geburtstag von Wikileaks gelobt, obwohl er vage bleibt oder belächelt, weil er die Äquatorlinie neu verlegt, da wird Wikileaks vom Department of Homeland Security mit Guccifer 2.0 und "den Russen" in einen Topf geworfen. Am Freitagabend hat Wikileaks die angekündigten Mails veröffentlicht, die Clinton in große Schwierigkeiten bringen sollen, doch wenig sensationell sind. Da wird die Kommunikation von John Podesta ausgebreitet, eines Lobbyisten der demokratischen Partei, der sich einstmals unter Bill Clinton für transparentes Regierungshandeln und die Informationsfreiheit der Bürger engagierte. Edward J. Snowden als akzeptierter Whistleblower repräsentiert das Gute repräsentiert, wird gefeiert und bekommt Preise wie das "Glas der Vernunft". Bei Harold T. Martin ist das ganz anders. "Hal", so sein Spitzname, wird als umgänglicher Mensch, als ehemaliger NSA-Mitarbeiter umschrieben, der wie Snowden bei den Geheimdienst-Profiteuren von Booz Allen Hamilton arbeitete. Anders als der im Support tätige Snowden war Harold Martin in der Eliteabteilung Tailored Access Operation (TAO) tätig und hatte ausweislich der Anklageschrift mehrere Terabytes an Daten für den privaten Gebrauch mitgenommen. Das als "Top Secret" eingestufte Material dürfte dazu führen, dass eine Grand Jury, ein Geheimgericht, in geheimen Verhandlungen seine Strafe verhandelt und Martins Anwälte sich einer umfassenden Sicherheitsprüfung unterziehen müssen, bevor sie überhaupt Details der Anklage sehen dürfen.

*** Alle Anstrengungen werden unternommen, den Fall unter Ausschluss der Öffentlichkeit zu verhandeln, weil absolut nicht klar ist, was das Motiv Martins ist. Ein heroischer Whistleblower ist er nicht, auch Spionage scheint nicht im Spiel zu sein und so wird Martin vom psychologischen Dienst des FBI, der Behavioral Analysis Unit befragt und analysiert – wer an Criminal Minds denkt, liegt ganz falsch. Mit dem Einstz einer Grand Jury droht Martin das Schicksal, das Assange für sich ausmalt, sollte er an die USA ausgeliefert werden. Nur die derzeit mögliche Höchststrafe von 11 Jahren ist niedriger. Harold Martin wird nicht von Bürgerrechlern oder der Courage Foundation unterstützt, er ist bald vergessen. Wie gut, dass in den USA Wahlkampf ist und Grabschergate die Medien beschäftigt. Es wird dreckiger und dreckiger, Handschuhe sind ausgezogen, die Hacker hacken, in den Maschinen oder Köpfen.

*** Wir. Dienen. Neuland. Die Idee, eine IT-Dienstpflicht bei der Cyberwehr-"Soforthilfe" mit Beeper-Alarmierung für alle Sicherheitsspezialisten einzuführen, muss konsequent als IT-Wehrdienstplicht weiter gedacht werden. Schon in der letzten Wochenschau wurde auf das Problem der Attribution hingewiesen: Wann sind einfach nur Hacker und Wirtschaftsspione, wann sind Hacker wie Guccifer 2.0 im Auftrag eines Staates unterwegs, wann kann man sicher sein, dass da ein Staat selbst mit seiner schicken Cyber-Truppe einen minimalinvasiven IT-Angriff durchführt? Im Zweifelsfall soll das BSI entscheiden was des Pudels Kern ist und beim Auftreten getarnter Militärs das Kommando an die Bundeswehr übergeben. Es klingt so ordentlich geregelt und ist doch der nackte Wahnsinn im Stil von General Jack Ripper und derer, die die Bombe, ähem, die "eigenen Zwecke" liebten:
"Die Kooperationspartner verpflichten sich, die Bestimmungen dieser Kooperationsvereinbarung, sowie alle ihnen im Rahmen dieser Kooperationsvereinbarung bekannt gewordenen Informationen auch nach Kündigung und Austritt aus dieser Kooperationsvereinbarung zeitlich unbegrenzt als vertraulich zu behandeln, sie Dritten nicht zugänglich zu machen und sie nicht für andere eigene Zwecke zu verwerten, die nicht dem Schutz der eignen IT dienen."

*** Wer bei dem IT-technischen Hilfswerk in schicker blauer Uniform mitmacht, dem darf bei einem "Außeneinsatz" in einem fremden Unternehmen kein Übernahmeangebot gemacht werden. Diese Quarantäne ist auf ein Jahr begrenzt und gilt umgekehrt auch für die SpezialistInnen, die bei einem Brandeinsatz eine andere Firma kennenlernen. Die Idee für die Cyberwehr trägt die Handschrift des neuen BSI-Präsidenten Arne Schönbohm, der von den Angreifern eine ganz eigene Vorstellung hat und eine Cyber-APO am Werke sieht, die eine "Informationshohheit" angreift , wie im Focus zu lesen ist.
"Ich habe den Eindruck, dass wir es hier mit einer Cyber-Apo zu tun haben. /../ Früher stand man mit Blumen vor dem US-Munitionslager, heute haben wir Menschen, die sagen: Wir wollen die Informationshoheit des Staates brechen."

*** Cyber-Apo, Informationshoheit, wer denkt da nicht an die verdienten Hacker vom Chaos Computer Club? Die Besten der Besten haben in dieser Woche ein Gutachten für den BND-Untersuchungsausschuss veröffentlicht, das technisch einfühlsam erläutert, was eine echte Zwickmühle für den Bundesnachrichtendienst ist: "Einerseits darf er inländische Kommunikationsinhalte nicht analysieren, andererseits kann er sie ohne eine tiefgehende Analyse nicht von ausländischen Datenpaketen unterscheiden." Aber "hilft das Verständnis der tatsächlichen technischen Vorgänge im Netz" wirklich weiter, wie Frank Rieger meint? Auch das zweite Gutachten zur IP-Lokalisation, von Gabi Dreo Rodosek von der Hochschule der Bundeswehr nicht ganz so einfühlsam und viel wissenschaftlicher geschrieben, kommt zu ähnlichen Ergebnissen: "Zusammenfassend ist eine Identifikation der Ursprungs- und Zielorte nur grob granular und bei nicht eingesetzten Verschleierungsmaßnahmen möglich. Aus der Ortsinformation (z.B. Hotel X im Ort Z) kann allgemein nicht auf weitere Eigenschaften der Kommunikationspartner (z.B. Nationalität) geschlossen werden." Bezogen auf die Aufgabe des Bundesnachrichtendienstes heißt das, dass seine Auslandsaufklärung viel stärker darauf kontrolliert werden müsste, ob nicht unbeteiligte Deutsche ausgeschnüffelt werden. Doch im Gegentum: Das neue BND-Gesetz soll diese Frage großzügig umschiffen. Das Licht wird ausgeblasen.

*** Oder nicht? In dieser Woche sind vier Bücher von FachhistorikerInnen erschienen, die sich mit der Geschichte der Organisation Gehlen, dem Sauhaufen von Pullach als Vorläufer des BND befassen. In den Geheimdienst gingen NS-Mitglieder und sogar NS-Verbrecher wie der Massenmörder Erich Deppner. Befragt auf die durch Snowden bekannt gewordene Wühlarbeit der NSA antwortet ein nachdenklicher Historiker im taz-Interview und es kling wie ein Pfeifen im Walde:
"Was wir aber gut nachvollziehen konnten, ist, dass eine tatsächliche und durchgreifende Kontrolle eines geheimen Nachrichtendienstes sehr schwierig, wenn nicht sogar strukturell unmöglich ist. Natürlich müssen hier alle parlamentarischen Möglichkeiten ausgeschöpft werden. Ich bin mittlerweile aber zu der Meinung gelangt, dass die wirksamste Kontrolle in einer bestmöglichen Ausbildung der Mitarbeiter besteht, nicht in erster Linie in einem technischen Sinn, sondern in ihrer Imprägnierung mit demokratischen und rechtsstaatlichen Werten – so dass das Gewissen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu klopfen beginnt, wenn sie Dinge beobachten oder tun sollen, die offensichtlich rechtswidrig sind."

Was wird.

Die Vorschau ist kurz, denn die große Schmutzschlacht steht uns noch bevor. Nicht nur in den USA im TV-Duell. Mit der Enttarnung von Elsa Ferrante hat nun auch das Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Zeitung beweisen, was die Privatsphäre dem deutschen Bürgertum wert ist: nichts. Die Enttarnung suggeriert, das Pseudonyme ein Verbrechen sind und erfolgreiche Schriftstellerinnen Steuerflüchtlinge sein könnten. Wer dieses Interview mit dem Investigativ-Journalist Claudio Gatti über die Aufdeckungspflicht zur Wahrheit gelesen hat, braucht sich über die bigotte Debatte zur Klarnamenspflicht im Netz nicht mehr zu wundern, mit der angeblich der "Hass im Netz" gestoppt werden kann.

Am 17. Oktober um 10:00 wird sich die ecuadorianische Botschaft für die schwedische Staatsanwältin Ingrid Isgren und die Kriminaltechnikerin Cecilia Redell öffnen. Letztere soll eine Reihe von "Körperflüssigkeiten" von Julian Assange sicherstellen, sofern dieser damit einverstanden ist. Das eigentliche Verhör wird vom ecuadorianischen Staatsanwalt Wilson Toainga Toainga geführt, dem dieser Tage die Fragen schriftlich übermittelt wurden. Danach wird das englische Verhör ins Spanische und Schwedische übersetzt werden müssen. Verweigert Assange die Speichelproben, dürfte die internationale Aktion abgebrochen werden und der Zufallsgenerator wird angeworfen.

Quelle : www.heise.de
Titel: 4W: Von Cyber-Botschaften, Cyber-Angriffen und taumelnden Kontinenten
Beitrag von: SiLæncer am 16 Oktober, 2016, 06:24
Ach, geht mir weg, poltert Hal Faber. Es kann doch nicht war sein, dass unsere Zeit mal mit dem Wort Trumpismus beschrieben wird. Oder doch? Den Bürger sieht man lieber mit Hut, statt mit der Wut des "Endlich sagt's mal einer".

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** "Verweigert Assange die Speichelproben, dürfte die internationale Aktion abgebrochen werden und der Zufallsgenerator wird angeworfen." So endete die letzte Wochenschau. Ganz zufällig war das falsch, denn das Verhör in der Botschaft wird verschoben, auf einen Termin nach den US-Wahlen. Vorher hatte kein Anwalt von Assange Zeit, man kämpft halt an vielen Fronten und gegen die skurrilsten Vorwürfe, nicht nur im US-Wahlkampf an der Seite von Trump. Dieser eigensinnige Trumpismus beunruhigt, nicht wegen veröffentlichter Risotto-Rezepte oder der Millionenspenden aus Katar für die Clinton-Stiftung, sondern wegen der Attribution Richtung Russland. Das mag stimmen, ist aber nicht Assanges Problem, sondern Teil seines Kalküls: Wenn Wikileaks Tag für Tag jetzt Tausende von demokratischen Mails veröffentlicht, sollen die Umrisse des tiefen Staates erkennbar werden, der Amerika eigentlich regiert.

*** Sollte sich daraus aus "Rache" ein Cyber-Angriff auf Russland entwickeln, hätte Assange sein Ziel erreicht, als Gröwaz in die Geschichte einzugehen (größter Wikileaker aller Zeiten). "Wir werden eine Botschaft senden", das klingt doch schon einmal vielversprechend, auch wenn nicht klar ist, wer die Botschaft senden soll, die Cyber-Armee oder die CIA. Nur noch ein kleiner Zufall und es kann losgehen mit dem Cybern. Zwei Tage lang haben über 700 Spezialisten in dieser Woche bei der ENISA bei Cyber Europe 2016 den Cyberkampf geübt und sich fit gemacht für die nächste Cyber-Krise. Vielleicht ist die erste "Botschaft" schon versendet worden, wie im Juli vermutet wurde? Unser neuer Cyber-Befehlshaber Ludwig Leinhos wird es hoffentlich wissen, mit 20 Jahren Erfahrung bei den Elektronischen Kampfführungsbataillonen (EloKa) und generalstäblicher Arbeit bei der Cyber-Verteidigung der NATO.

*** Zu den erstaunlichen Zufällen in dieser Woche gehört sicher der Selbstmord eines Syrers, der als mutmaßlicher Terrorist in einem sächsischen Gefängnis saß, nachdem er dank Facebook (!) auf der Flucht von Syrern erkannt und gefesselt wurde. Das ein Mensch mit Plänen für ein Selbstmordattentat selbstmordgefährdet ist, wer hätte das gedacht? Er hätte in einem besonders gesicherten Haftraum untergebracht werden müssen, doch im Freistaat Sachsen sah man die Sache anders.

*** Auch beim zweiten großen Zufall spielte die IT eine wichtige Rolle: Als das Landeskriminalamt Bayern eine Analyse einer DNA-Spur aus dem Fall der ermordeten Peggy Knobloch in die bundesweite DNA-Datenbank beim BKA kippte, gab es unter dem Namen "Uwe Böhnhardt" einen Treffer. Seitdem wird die verdächtige Verknüpfung diskutiert und länger bekannten Hinweisen nachgegangen, dass es Verbindungen zwischen dem rechten Terror der NSU und der pädophilen Szene gibt. Der Fall des wegen Kindesmissbrauchs veruteilten NSU-Unterstützers Tino Brandt lässt grüßen. Gleich zu Beginn der Ermittlungen wurden Sexfilme auf dem Computer von Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe gefunden und die These in den Raum gestellt, dass sich das Trio über den Handel mit Kinderpronographie finanzierte. Dann wurden die Raubüberfälle bekannt, bei denen rund 600.000 Euro erbeutet wurden. Demgegenüber wäre der Vertrieb von Kinderpornos ein viel zu großes Risiko gewesen, enttarnt zu werden, so die Meinung der Ermittler. Wie es aussieht, ist der nationalsozialistische Untergrund nach untergründiger.

*** Eigentlich ist es ja ganz anders gewesen. Eigentlich wollte das Nobelpreiskomitee Steve Jobs ehren, weil dieser der Menschheit so etwas Großes wie die Zukunft geschenkt hatte. Doch dieser verstarb vor fünf Jahren kurz vor der Bekanntgabe der Nobelpreise und so holte man das mit dem gebührenden Abstand nach und gab den Literatur-Nobelpreis an seinen Lieblingsmusiker, Bob Dylan. Literatur geht in Ordnung, schließlich gehört die ausgesuchte Grausamkeit, Desolation Row interpretieren zu müssen, zum klassischen Bestandteil des Englischunterrichtes in Deutschland. Nun also hat das alberne Unterfangen geklappt. Lustiger als die Entscheidung "sabbernder Hippies" (Irvene Welsh) sind die Versuche des Feuilletons, von Dylan eine Reaktion zu bekommen. Der trat nach der Bekanntgabe der Ehrung im Cosmopolitan in Las Vegas auf und erwähnte den Preis mit keinem Wort. Warum auch, schließlich ist er Musiker. Nun wird in großer Verzweiflung versucht, aus der Setliste des Leitfossils eine Botschaft zu basteln. Begann er das Konzert nicht mit Rainy Day Women und Everybody must get stoned? Das ist doch mal ne Ansage, genau wie damals, als Bob Dylan zusammen mit Ralf Dahrendorf und Michael Schumacher den Prinzessin von Asturien-Preis gewann.

*** Vielleicht werden in 100 Jahren Bücher über unsere Zeit geschrieben, die nicht nur den Neuanfang der Literatur im Lichte Dylans analysieren, sondern auch die grassierende rechtspopulistische Seuche unter dem Stichwort Trumpismus zusammenfassen – auch wenn Leute wie Björn Höcke bislang nicht dafür bekannt wurden, sich mit sexuellen Übergriffen auf Frauen zu brüsten. Das Frauenbild eines deutschen Rechtsnationalisten dürfte sich aber wenig von dem Trumps unterscheiden. Sprücheklopfen und die Wahrheit nach Bedarf zurechtbiegen können Leute wie Höcke, Gauland, Petry, Le Pen oder Orban allemal. Diese rechtspopulistische Mischpoke spricht für ihre Anhänger halt die Wahrheit, weil die Wahrheit immer das ist, was man selbst glaubt, abseits aller Belästigungen durch die Realität – zumindest erklärte dies die Haltung der Schafe, die ihre rechten Schlächter selbst wählen und ihnen ein begeistertes "Endlich sagt's mal einer" bei jeder ihrer Lügen und Verdrehungen hinterherrufen. Diese Schafe sind aber nicht nur das diskussionsunfähige Pack von Pegida, sondern auch gut situierte und diskursgestärkte Bürger:
"Freiheit war nur um den Preis von Sicherheit und moralischer Gewissheit zu haben. Mit mehr Möglichkeiten ausgestattet als je zuvor und gleichzeitig einem chaotischen Chor von unzähligen Versprechen und Forderungen ausgeliefert, merkten die unsicheren Bürger dieser Welt, dass sie nicht mehr aus einem Stück geschnitzt waren, dass es keine einzig gültige Perspektive mehr gab, von der aus sie die Welt oder die Welt sie hätte beschreiben können. Unzählige Mitglieder der Schicht, die mit den meisten Möglichkeiten ausgestattet war, nämlich des Bürgertums, brachen unter dieser Last zusammen. Der fragmentarische, episodenhafte Charakter der Existenz in der modernen Metropole ging einher mit der kompromisslosen Eile der Industrie, die alles, was ihren gegenwärtigen Bedürfnissen nicht entsprach, mit eisernem Besen wegfegte. Trotz größerer Entscheidungsmöglichkeiten hatten viele Menschen das Gefühl, dass ihr Leben und ihr Selbstgefühl vergänglicher und zerbrechlicher waren denn je; vielen Menschen, die sich diesen Anforderungen nicht gewachsen fühlten, erschien die scheinbare Stabilität der Vergangenheit beinahe wie ein gelobtes Land."
Nein, es ist nicht ein Vorgriff auf die historische Untersuchung, die in 100 Jahren unsere Zeit beschreibt, es geht um den taumelnden Kontinent in der Zeit vor la Grande Guerre, der Zeit vor dem zweiten Dreißigjährigen Krieg in Europa.
"Dem Bürger fliegt vom spitzen Kopf der Hut,
In allen Lüften hallt es wie Geschrei.
Dachdecker stürzen ab und gehn entzwei
Und an den Küsten – liest man – steigt die Flut.
Der Sturm ist da, die wilden Meere hupfen
An Land, um dicke Dämme zu zerdrücken.
Die meisten Menschen haben einen Schnupfen.
Die Eisenbahnen fallen von den Brücken."
Dass eben diese Bürger auch heute ihren Schnupfen mit dem Ende der Welt verwechseln, das ist das, was dann wirklich furchterregend ist.

Was wird.

Bekanntlich scheiterte die G10-Kommission mit einer Klage beim Verfasungsgericht aus formalen Gründen, weil sie zwar Aufsicht über den BND hat, aber selbst kein Verfassungsorgan ist. Immerhin wurde vom Gericht festgestellt, dass unmittelbar betroffene Bürger die Möglichkeit haben, feststellen zu lassen, ob der Einsatz der NSA-Selektoren ihre Grundrechte verletzt habe. Solchermaßen belehrt kann man auf die letzte Lesung des BND-Gesetzes im Bundestag zugehen, mit der die Leistungsfähigkeit unser Auslandsschnüffler gestärkt wird. Denn keine Angst, es kommt noch schlimmer: Da haben doch 30 europäische Inlands-Geheimdienste die Counter Terrorism Group gegründet und arbeiten an einer gemeinsamen Datenbank, deren Details unglaublich geheim sind. Auf Nachfrage der Linken, welche Datenfelder aus dem Phänomenbereich des islamistischen Terrorismus in diese Datenbank einfließen, kommt die Antwort, dass schon diese Auskunft über den Aufbau der Datenbank unzulässig ist. Selbst in der Geheimschutzstelle des Bundestages darf der Datenbankaufbau nicht eingesehen werden, da schon das kleinste Datenfeld Rückschlüsse zulassen könnte, welcher Geheimdienst einem anderen Dienst welche Informationen übergibt. Die berüchtigte Third-Party-Rule lässt grüßen und die Parlamentarier doof im Regen stehen. Lieb Datenbank, magst ruhig sein.
"Die erbetenen Auskünfte können aufgrund der Restriktionen der sogenannten „Third-Party-Rule" nicht veröffentlicht werden. Die „Third-Party-Rule" betrifft den internationalen Austausch von Informationen der Nachrichtendienste. Diese Informationen sind geheimhaltungsbedürftig, weil sie sicherheitsrelevante Erkenntnisse enthalten, die unter der Maßgabe der vertraulichen Behandlung von ausländischen Nachrichtendiensten an das Bundesamt für Verfassungsschutz weitergeleitet wurden. Eine Bekanntgabe dieser Informationen kann einen Nachteil für das Wohl des Bundes bedeuten, da durch die Missachtung einer zugesagten und vorausgesetzten Vertraulichkeit die künftige Erfüllung der gesetzlichen Aufgaben des Verfassungsschutzes einschließlich der Zusammenarbeit mit anderen Behörden, zumal mit Nachrichtendiensten anderer Staaten, erschwert würden. Selbst die Bekanntgabe unter Wahrung des Geheimschutzes durch die Übermittlung an die Geheimschutzstelle des Deutschen Bundestages birgt das Risiko des Bekanntwerdens, welches unter keinen Umständen hingenommen werden kann."

Quelle : www.heise.de
Titel: 4W: Von überwachten Ausländern und ausländischer Überwachungstechnik.
Beitrag von: SiLæncer am 23 Oktober, 2016, 05:03
Moral, was interessiert schon Moral? Und was interessiert der dumme Rechtsstaat, wenn, ja, was denn in Gefahr ist? Der Rechtsstaat? Ach, da drehen nicht nur unsere neuen KIs hol. I'm sorry, Hal, I'm afraid I can't do that.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Ein Ausspähen unter Freunden, das geht nun, volle Kanne. Es geht noch mehr: Der Bundesnachrichtendienst kann sich zur kleinen NSA umbauen und der großen NSA laut § 15.1 des neuen Gesetzes personenbezogene Daten automatisiert übermitteln. Da knallen die Grappa-Korken nach diesem schwarzen Freitag, an dem CDU/CSU und SPD eine illegale Überwachungspraxis weitgehend legalisierten. Es ehrt die FDP-Politikerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, wenn sie gegen die nun legalisierte "Ausland-Ausland-Fernmeldeüberwachung" vorgehen will und eine Klage gegen die Mogelpackung formulieren will. Man wird auch der Meinung zustimmen müssen, dass Grundrechte nicht nach Staatszugehörigkeit aus- und wieder angeschaltet werden können. Kurios ist es schon, wenn Kritikern der legalisierten Überwachungstechnik mit dem Argument begegnet wird, sie wollten blauäugig festschreiben, der BND müsse bitte strikt moralkonform spähen. Der Versuch, unter Berufung auf Bedrohungen wie den Daesh Moral und Technik gegeneinander auszuspielen, könnte noch ganz andere Verschiebungen erzeugen.

*** Es ist schon ein ganz eigenes Paradox, wenn die Aufgabe des Rechtsstaats damit begründet wird, dass der Rechtsstaat geschützt werden soll. Da kommt jede KI ins Schleudern und schnappt über. Aber halt, man kann auch mehr als nur KIs in den Wahnsinn treiben. Man denke nur an das Zusammengehen von BND und Verfassungsschutz, das Traumziel der Truppe, als diese von Reinhard Gehlen geleitet wurde. Die Lehren aus der deutschen Geschichte? Geschenkt, denn wie viel effektiver lässt sich gegen diese Reichsbürger vorgehen, die im Freistaat Paranoia leben. Wer meint, ich übertreibe, sollte passend zur Buchmesse den Taubentunnel, die Memoiren von John le Carré lesen, in dem dieser sein "Arbeitsfrühstück" beim damaligen BND-Chef August Hanning schildert. Hanning sitzt unter den Portraits von Wilhelm Canaris und Reinhard Gehlen und erklärt gemütlich, warum der in lange Guantanamo inhaftierte Murat Kurnaz eine Gefahr für die innere Sicherheit Deutschlands sein soll. Das findet selbst ein le Carré, der die NSA versteht und Snowden nicht mag, ein starkes Stück. Wie war das mit dem Durchdrehen, dem Rechtsstaat und der Freiheit? I really think I'm entitled to an answer to that question ...

*** Aber lassen wir die KIs mal außen vor, bleiben wir in der Welt der Spione und ihrer Dienste, für die sie unterwegs sind. In den USA gibt es das Office of the Director of National Intelligence, die Koordinations- und Kontrollbehörde der 17 Geheimdienste des Landes. Zur Arbeit dieses Büros gehört die Definition nachrichtendienstlicher Standards, etwa der Einschätzung, wie plausibel eine gewonnene Information oder Einschätzung ist. Sie kann mit high, moderate und low confidence klassifiziert werden. Die mitunter als Fakt bezeichnete Attacke russischer Dienste gegen die Demokratische Partei zum Zwecke der Wahlmanipulation wird nach den bisher bekannten Gutachten mit moderate confidance eingeordnet. Was die unter den Namen TG-4127 APT 28, Sednit, Fancy Bear, Pawn Storm oder Sofacy geführte Hackergruppe angeht, so ergibt sich die Attribution aus weiteren Attacken dieser Gruppe, allesamt gegen russische Kritiker.

*** Ob daraus abgeleitet werden kann, dass Wikileaks mit den Diensten in Verbund ist oder nur dieselben Ziele hat, weil man Trumps Weltsicht vollkommen übernommen hat, scheint unerheblich. In jedem Fall ist die von Ecuador bestätigte Netzsperre für Assange wenig mehr als eine staatliche PR-Maßnahme, denn die Veröffentlichung der "Podestamails" gehen Tag für Tag weiter, mit Sensationen wie der Bekanntgabe der Mail-Adresse von Obama bei seiner ersten Präsidentschaftskandidatur. Die autoritäre Maßnahme beendet nicht die Einmischung in den US-Wahlkampf, nur die Meinungsfreiheit von Assange. Wenn obendrein die Privatsphäre vieler Menschen beschädigt wird, haben alle verloren. Das Dumme dabei: Wikileaks kann man nicht umbenennen wie ein Hotel.

*** Während in Frankfurt auf der Buchmesse gedrängelt und geschoben wird, arbeite ich als Contentsklave an dieser kleinen Wochenschau, die dank einer geheimnisvollen Technologie namens HTML im Internet gelesen werden kann. Derweil ist in Frankfurt ein Buch der Renner, in dem eben jenes Internet der letzte Scheiß ist, was die kulturell Beflissenen ganz ungemein entzückt. "Das Internet ist ein Computernetzwerk, das Menschen dazu nutzten, andere Menschen daran zu erinnern, dass sie ein mieses Stück Scheiße sind." Das ist schon einmal eine ganz brauchbare These, zu der man nur noch dieses "Kostenlos" addieren muss, was bekanntlich meint, dass Konzerne wie Google mit unseren Daten Geld machen. Diese beiden Gedanken auf 360 Seiten auswalzen zu können, das ist die Hohe Schule der Schriftstellerei. "Ich stamme vom Internet ab. Ich weiß, dass alles im Internet, das wir als notwendig ansehen, von Nerds mit einer Vorliebe für miese Romane entwickelt wurde." Stop, Hal, I am afraid.

*** Angst? Nicht ganz von der Hand zuweisen. Obwohl es doch gut und tröstlich, dass wir jetzt dem Internet of Things und seinen DDoS-Scheißereien ausgesetzt sind und nicht diesem Internet der Nerds. Oder nicht? Zigtausende von Überwachungskameras und Videorekordern dieser Überwachungssysteme wurden genutzt, um das Internet lahmzulegen. Wobei die Beschreibungen häufig zu kurz kommen, denn es war kein Angriff der Hacker auf den Alltag, sondern ein Angriff des Alltags selbst, weil Vernetzung pfennigbillig sein muss. Es ist ja mal eine neue Erfahrung, dass man gegen diese Angriffe nichts tun kann, nicht einmal, wenn man einen dieser Nerds bis zur Höchstleistung foltert. Im Billignetz vom IoT mit seiner Schrottsoftware ohne jegliche Sicherheit auf Updates zu warten, das hat was von Beckett. Aber es gibt ja Lösungen, die von echten Internet-Hassern kommen, wie die Abrechnung nach Kilobyte.

*** Bleiben wir in der schönen Welt der Kultur. In der letzten Wochenschau versuchte ich mich an einer Erklärung, warum um alles in der Welt Bob Dylan einen Literatur-Nobelpreis bekommt. Nun macht sich besagter Bänkelsänger auf, die Literaturnobelpreisbindung zu ignorieren, wie es der große Schriftsteller Peter Glaser formuliert. Ganz kurz tauchte auf der offiziellen Website ein Vermerk zum Preis auf, doch verschwand er kurz darauf im Vergessnet. Passend wäre es, wenn der Boss von Frankfurt aus nach Hyperborea zieht, sein Buch ist ja große Literatur. So kann Dylan weiter ungestört touren. Artikel, die davon schwafeln, dass man in Schweden verärgert ist ob der gezeigten Arroganz, vergessen gern, dass dieselben Schweden in Gestalt des Nobelpreis-Sekretärs 2008 die amerikanische Literatur als provinziell und engstirnig bezeichneten.
People are crazy and times are strange
I'm locked in tight, I'm out of range
I used to care, but things have changed

Was wird.

Das größte deutsche Computermuseum steht in Paderborn und feiert in dieser Woche seinen 20. Geburtstag mit einem Kolloquium über "Utopien und Planungen zur vernetzten Welt". Klar, dass im Heinz Nixdorf Museumsforum die Firma Nixdorf als "Pionier der digitalen Vernetzung" gewürdigt wird. Leider endete sie wie viele Pioniere, skalpiert und ausgeraubt. Ja, es gab mal eine Zeit, in der man von ISDN schwärmte und vor ISDN warnte, in der man den Grünen empfahl, wenn überhaupt, dann Nixdorf-Computer zu kaufen. Damals konnte man sich nicht vorstellen, dass @home das Internet der Dinge übergriffig wird und es vielleicht eines moralischen Betriebssystems bedarf beim Aufbau des nächsten Netzes, mit eingebautem Schutz vor den Dingen.

Nach der allerletzten Festlichkeit von 20 Jahre heise online steht noch ein ganz anderer Geburtstag ins Haus. Am 25. Oktober vor 20 Jahren startete Lara Croft in ihre Abenteuer. Der erste virtuelle Superstar mit umfangreicher Oberweite und Lebensgeschichte, der obendrein den Bechdel-Test bestand, wurde eine feministische Ikone, der man nicht ungefragt irgendwohin grapschen durfte. Gefeiert wird der Geburtstag mit einem Weltrekordversuch im Lara-Croft-Verkleiden. Was bleibt? Träumen von einer besseren Welt. Vielleicht. Will I dream? I don't know.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. Von Algorithmen getrieben
Beitrag von: SiLæncer am 30 Oktober, 2016, 05:12
"Algorithmen gewinnen sozusagen eine gesamtgesellschaftliche Bedeutung", klingt es aus Politikermund – und auch so, als hätten die Redenschreiber zu viel Tatorte gesehen, meint Hal Faber.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** In München versagte eine Schritt-für-Schritt-Anweisung für ein System, das einen Film abspielen sollte, ausgerechnet auf den Münchener Medientagen. Forderte Ministerpräsident Horst Seehofer die Medienmacher auf, diese Anweisung zu veröffentlichen, damit alle nachschauen können, wo das Problem ist? Nix da, die Einzigartigkeit des Freistaates Bayern in Sachen Technik ist dahin und so fällt der Satz: "Dass du, liebe Bundeskanzlerin, die Zeugenschaft dieses Versagens hast, ist eine große Sache." So kann die liebe Bundeskanzlerin ihre sorgsam geplante Grundsatzrede halten und liest sie Schritt für Schritt aus ihrem Manuskript vor. Später wird die Grundsatzrede veröffentlicht und enthält auch die Passagen zur Videopanne, die nicht in der Redeanweisung enthalten war, nun aber bestens zum Thema des Vortrages passt, der algorithmisch gesteuerten Filterblase: "Insofern war es eigentlich auch gut, dass der Film vorhin ausgefallen ist. Stellen Sie sich vor, einer hätte schon berichtet, welch toller Film hier gezeigt worden wäre, was dann aber nicht stattgefunden hat."

*** Hat aber stattgefunden, dass Kanzlerin Merkel den Internet-Konzernen an die Gurgel, pardon, an die Algorithmen will? Sie sprach von transparenten Algorithmen, etwa dem oben abgebildeten ursprünglichen Pagerank, mit dem der Aufstieg von Google zum Konzern begann. Sie sprach etwas wolkig davon, dass sich "die großen Plattformen mit ihren Algorithmen zunehmend zum Nadelöhr für die Vielfalt der Anbieter entwickeln", was die Vorstellung entstehen lässt, dass diese Algorithmen etwas schwach auf der Brust sind. Die promovierte Physikerin las schließlich jenen Teil vor, bei dem die Verfasser ihrer Rede sich kräftig vergriffen: "Algorithmen gewinnen sozusagen eine gesamtgesellschaftliche Bedeutung. Früher hat man sich mit so etwas in Mathematik- und Physikstudien herumgeschlagen. Heute macht der Algorithmus die künstliche Intelligenz aus." Es klingt, als hätten die Redenschreiber zu viel Tatorte gesehen.

*** Jede Handlungsanweisung kann als Algorithmus definiert werden und die wenigstens davon sind Teilgebiete der Mathematik oder der Physik. Zugegeben, in den wichtigsten Algorithmen unserer Zeit, wie sie der Informatiker John MacCormick in seiner Rangfolge aufstellte, steckt eine Menge Mathematik. Auf Platz 1 setzte er die Public Key Verschlüsselungsverfahren, auf Platz 2 die Fehlerkorrekturverfahren, auf Platz 3 die Verfahren zur Mustererkennung und auf Platz 4 die Kompressionsverfahren – wie man sieht, hatte auch die Physik ihren Anteil an den Algorithmen, die allesamt keinem einzigen Konzern gehören. Erst mit dem 5. Platz mit Googles Pagerank kommt ein proprietärer Algorithmus ins Spiel.

*** Was die Transparenz der Algorithmen anbelangt, so wissen wir nichts über den neuen einflussmaximierenden Veröffentlichungs-Algorithmus, den Wikileaks unter dem Namen stochastischer Terminator entwickelt hat. Diese Handlungsanweisung soll die Veröffentlichung der "Podesta-Mails" steuern, die häppchenweise Tag für Tag weiter geht, obwohl Wikileaks-Chef Julian Assange derzeit nur unzureichenden Zugang zum Internet hat. Ebenso wenig ist bekannt, wie das Update des Terminators den Strom der geschwätzigen Mails verbesserte, die sich die Mitarbeiter im demokratischen Hauptquartier zuschickten. Das Foto vom badenden Bernie Sanders, die heftigen Angriffe von Chelsea Clinton oder die alberne Aufschneiderei eines Beraters über die Clinton AG hatten längst nicht den Sensationscharakter, den Wikileaks diesen Mails zubilligt. Das gilt eher für die FBI-Ermittlungen, die bei der Untersuchung des Sexting eines schwanzgesteuerten Politikers auf weitere E-Mails aus dem Clinton-Lager gestoßen sind. Jeder Drehbuchautor würde für diese schmierige Wende als vollkommen untauglicher Phantast gelten, doch passt es zu der US-Politik, die unter dem Druck von Trump zu einer Reality Show geworden ist, mit ganz eigenen Algorithmen.

*** Als deutscher Treppenwitz muss die Nachricht gewertet werden, dass Digitalkommissar Oettinger das Haushaltsbudget der EU überwachen und zusammenhalten soll. Auf diese Weise bekommt Europa einen EU-Vizepräsidenten, der sich nicht zu schade ist, von der Pflichthomoehe zu faseln und Chinesen zu verhöhnen, deren Haare mit Schuhcreme gekämmt würden. Auch wenn dies "im privaten Kreis" von 200 Zuhörern gesagt wurde, so müssen solche "Späßchen" verstören. Sie gehören zu einem vergifteten Diskussionsklima, in dem die lesbische Preisträgerin des Friedenspreises als Moralsuse abgekanzelt werden kann, wenn sie von der Universalität der Menschenrechte spricht. Das Ganze kommt nicht vom rechten Rand der AfD und der Pegida-Wirrköpfe, sondern aus der Mitte des deutschen Kulturbetriebes. Selbstgefälliger Pathos, wenn es um Menschenrechte geht, auch um die Rechte der LBGT-Szene. Wer so die Menschenrechte abkanzelt, hat auch kein Verständnis für die anhaltende Kritik an jenem BND-Gesetz, das den "Kernbereichsschutz" der Menschenwürde aufgibt, nur damit ein Nachrichtendienst eine gesetzliche Grundlage für seine Abhörpraxis bekommt.

*** Hu! Wenn diese Wochenschau im Internet auftaucht, wurde auf Island gewählt, mit den Piraten um Birgitta Jónsdottír auf dem zweiten Platz in der Wählergunst. Der lustige Wahlslogan, dass die Installation der direkten Demokratie so schwierig ist wie die Installation eines Computerprogrammes auf einem alten klapprigen Mac, wird wohl nicht den Ausschlag gegeben haben. Inmitten all der Porträts dieser Frau und all der Überlegungen, wie die Panama Papers das Ausmaß der Korruption aufdeckten, sollte die isländische Medien-Initiative nicht vergessen werden, der Jónsdottír ebenso vorsteht wie der isländischen Piratenpartei. An dieser Initiative für die Freiheit der Rede und dem Schutz der Whistleblower arbeitete einstmals auch Wikileaks mit, ehe es zum Bruch mit Jónsdottír kam. Vor sechs Jahren verabschiedet, ist das Projekt noch längst nicht abgeschlossen, weil das isländische Parlament die Durchführungsbestimmungen noch nicht beschlossen hat. So steht der modernste Whistleblowerschutz nur auf dem Papier und gerät bei all der piratigen Diskussion um das bedingungslose Grundeinkommen in Vergessenheit.

Was wird.

November ist die Zeit der Gipfelstürmer mit diesem IT-Gipfel, in dem sich die Bundesregierung und die deutsche Wirtschaft "permanent auf Neuland begeben", wie dies Angela Merkel in ihrer Rede in München skizzierte. In dieser Woche wurde die Neuausrichtung des deutschen IT-Gipfels mit neun Plattformen und auf ihr tagenden 34 "Fokusgruppen" beschlossen, die ihrerseits wieder in schicke Projektgruppen wie der Aufbruch in die Gigabit-Gesellschaft unterteilt sind. Erstmals als Fokusgruppe dabei ist der "Datenschutz", der Innenminister Thomas de Maizière vorstehen wird. Das könnte spannend werden, hat sich dieser Tage doch die oberste deutsche Datenschützerin gegen den vom Innenministerium geplanten Ausbau der Videoüberwachung ausgesprochen. Wenn die IT-Gipfler in Saarbrücken zusammenkommen, um über Lernen und Handeln in der digitalen Welt nachzudenken, ist Google mit seinem CEO Sundar Pinchai mit dabei. Er könnte der Hauptrednerin Angela Merkel erklären, was es mit diesen Algorithmen auf sich hat. Und Merkel? Sie könnte vielleicht diese "Smartphonekenntnisse" ausführlicher beschreiben, dank denen Deutschland mehr ist als eine verlängerte Werkbank derer, die ohne lästigen Datenschutz "aus großen Datenmengen neue Produkte machen". Besonders diese Formulierung macht ja neugierig: "Die Unternehmen können sich sozusagen diese Smartphonekenntnisse zu eigen machen, um ihre Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer an die entsprechenden Maschinen und technischen Einrichtungen der Unternehmen zu binden." Pflugscharen zu Touchscreens!

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. – Von Ordnungen und scheinbar billigen Lösungen
Beitrag von: SiLæncer am 06 November, 2016, 05:08
Die Welt könnte beschaulich sein, aber dafür herrscht wohl zu viel Chaos. Zudem breiten sich die roten und schwarzen Flecken aus. Eine Wahl steht an, die Cyberwaffen sind gezückt, während wir uns nackt im Internet vergnügen.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Nein, es ist nicht besonders spaßig, wenn vor dem Urlauber-Hotel ein Journalist hingerichtet wird. Wenn die Türkei mit Präsident Recep Tayyip Erdogan nun auf der Liste der Feinde der Pressefreiheit steht und die regierungskritische Zeitung Cumhuriyet angegangen wird. Eine islamofaschistische Diktatur droht, die sozialen Medien sind abgeschaltet. So bleibt von hier aus nur die Forderung: Freiheit für den Papagei und seine Journalisten!

*** Nun ist sie da. Die Ordnung. In Bayern entfaltet sich das neue Grundsatzprogramm der CSO [sic!] mit einem leicht verklärt gezeichneten Blick auf Oberstorf. Wo sich das Riesenrad gleich neben der Biomassen-Anlage dreht und ein Hubschrauber "stark und verläßlich" hinunter ins Alpenvorland hubschrappt. Himmelblau ist's über der Ordnung, da bei den Bergen, wo keine Autobahn und keine von Ausländern verstopfte Landstraße den freien Blick stört. Schlimm wäre es doch, wenn sich das absolute Chaos ins Bild schieben würde, welches der ordentliche Herr Dobrindt mit seiner PKW-Maut angerichtet hat, die uns den größten automatischen Abgleich von KFZ- Kennzeichen beschert, auf Fahndungsvorrat natürlich und wahlwirksam mit einer ökologischen Komponente. So eine Ordnung muss inklusive ordentlicher ausländischer Maut-Abgabe schließlich laufend überwacht werden, ob sich da nicht ein Zipfelchen Unordnung breit macht. Das wusste schon Georg Büchner, der den Staat in seiner Zeit gar nicht in Ordnung fand: "In Ordnung leben heißt hungern und geschunden werden. Wer sind denn die, welche diese Ordnung gemacht haben, und die wachen, diese Ordnung zu erhalten?"

*** Aber halt, es gibt nicht nur "Die Ordnung", die historisch bis auf die Reformation zurückgeführt werden kann. Die Ordnung muss in jedem bayerischen Haus gelebt werden, deshalb gibt es die Bayerische Hausordnung mit vier einfachen Punkten, angefangen bei der Pflicht, Bayerisch zu lernen. Wer dann in diese wunderbaren bayerischen Häuser einbricht, wird geschnappt, da braucht es keine Aachender Erklärung wie in Nordrhein-Westfalen. Was in dieser himmelblauen bayerischen Welt noch fehlt, ist die christliche Leitkultur, aber die hatten wir ein paar Wochenschauen früher in ihrem ganzen Elend ausgebreitet.

*** Ganz abseits aller weißblauen deutschen Ordnungsvorstellungen sind in dieser Woche Details von Spitzenpolitikern bekannt geworden, nachdem recherchierende Journalisten einmal die Big-Data-Jauche analysierten, die ihnen als kostenlose Probe zugetragen wurde. Plötzlich nackt im Netz, angeblich wegen dem Browser-AddOn Web of Trust, das hat was. Lassen wir einfach die Spitzfindigkeit beiseite, dass dieses AddOn kaum zur Standard-Umrüstung von Browsern gehören dürfte, bleibt Platz genug für das Erstaunen, dass es immer noch Menschen gibt, die Metadaten unbedenklich finden und allgemeine Geschäftsbedingungen anklicken, in denen aufrichtig erklärt wird, dass Metadaten kommerziell genutzt werden. Noch gilt die gute alte Internet-Faustformel, wenn etwas kostenlos ist, dann zahlt man nur anders. Umsonst ist nicht einmal der Tod und selbst ein häßliches buntes Brillengestell kostet ein paar Cents.

*** Möglichst für umme, möglichst kostengünstig sollte es sein, das dachten sich die Clintons, als sie dem Techniker Justin Cooper den Auftrag gaben, nach dem Ende der Präsidentschaft von Bill Clinton einen alten, übrig gebliebenen Apple-Rechner als privaten Mail-Server in ihrem Haus in Chappaqua zu installieren. Dieser Server wurde von Hillary Clinton weiter benutzt, als sie Außenministerin unter Präsident Obama wurde. Dabei wurden 62.320 E-Mails für Hillary Clinton über diesen Server geschickt, von denen 110 geheimhaltungsbedürftig waren oder geheimzuhaltende Passagen enthielten. Nachträglich wurden weitere 1983 aus diesem Fundus als geheim klassifiziert. Wer diese Zahlen von Clintons Mailserver-Skandal mit den 650.000 Mails vergleicht, für die das FBI in dieser Woche einen Durchsuchungsbeschluss bekommen hat, wird eine gewisse Diskrepanz feststellen. Sollte dieses Detail rund um den Sexting-Skandal eines ehemaligen Kongressabgeordneten die US-Wahl zugunsten von Trump entscheiden, hat sich dessen Spende für die FBI Agents Association bezahlt gemacht. Die Untersuchung, ob das FBI gegen den Hatch Act verstoßen hat, ist da noch das kleinste Übel.

Was wird.

Die Wahl zwischen Hillary Clinton und Donald Trump wird in der anstehenden Woche auch den Ticker in der norddeutschen Tiefebene beschäftigen, nicht nur die Schar der Nobelpreisträger, die vor Trump warnen, als ob der leibhaftige Brexit vor der Tür steht. Auf allen auf allen Seiten wird mit soviel Cyberkampf gedroht, das die Cyberwände wackeln. Die gerne "den Russen" zugeschriebene Gruppe Guccifer 2.0 hat per Blog angekündigt, sich die Wahlen vom "Inneren des Systems" anzuschauen. Nach neuesten Berichten hat sich der Gegentrupp von Cyberkriegern angeblich schon auf Kreml-Servern in Bereitschaft eingenistet. Auch die Volkswehren rechtsradikaler Militia-Gruppen in Amerika sollen sich hübsch maskiert im Cyberraum eingerichtet haben.

Natürlich ist auch der Kreml auf Hackerangriffe vorbereitet. Wie leichtfertig da mit dem Begriff "Hacker" gezündelt wird, ist einfach nur noch gruselig. Vorbei die Zeiten, als "Hacker" für technisch Interessierte stand, die sich Skripte basteln, um möglichst schnell an Congress-Tickets zu kommen. Aber bitteschön, wir können auch zündeln, wenn selbst eine deutsche Politikerin vom Schlachtfeld im Cyberraum reden darf. Wenn selbst die ihr unterstellte Armee von Hackern der Reserve (PDF-Datei) spricht und Freiwillige meint, die als "Ethical Hacker" gemeinsame Cyber-Übungen zusammen mit den Soldaten der "Cyber-Wirkkomponente" simulieren sollen – bis es knallt, ganz real im Dingsdanetz.

Am 8. November ist nicht nur US-Wahltag. Der 100. Geburtstag von Peter Weiss ist da und wird mit einer 50 Stunden langen Staffetenlesung der Ästhetik des Widerstandes begangen. Immerhin gibt es eine Kurzfassung, die durchaus aktuelle Bezüge aufweist:

"Auch wenn es schien, als würde die künstlerische Revolution an einer anderen Front als der politischen ausgetragen und setze sich nicht für gesellschaftliche Verändrungen ein, so war sie, indem sie sich gegen die verbrauchten Konventionen wandte und Normen zertrümmern wollte, die ihre Zwangsmuster seit langem enthüllt hatten, unserer Revolution doch verwandt. Mit ihrem Kampf um die Befreiung der Formen, der Bewegungen, um die Erneurung der Sprache, des Sehens, musste sie Einfluss ausüben auf unsere Sinne, unsere Suche nach einem verwandelten Dasein. Die Kunst habe keine Macht über de Realität, sagten die Politiker. Und mit der Realität meinten sie einzig und allein die Realität der Außenwelt. Sie sahen nicht, wie fadenscheinig diese Realität geworden war."

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. Von der besten aller Welten.
Beitrag von: SiLæncer am 13 November, 2016, 10:06
Wenn am 300. Todestag in memoriam Leibniz die Glocken läuten, mögen Einige das angesichts seltsamer Nachrichten als Warnung vor dem Ende der Welt interpretieren. Die beste aller Welten hat aber noch einiges zu bieten, ist sich Hal Faber sicher.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Something told me it was over nach dieser Woche, in der noch nicht abzusehen ist, was vom ersten schwarzen Präsidenten der USA bleibt. Das weiße Amerika hat nach einer denkwürdigen Nacht gesiegt, für das schwarze gilt jenseits des Ozeans none of us are free. Das weiße Amerika bedankt sich bei Julian Assange für seine heldenhafte Arbeit, etwa der Klu-Klux-Clan-Führer David Duke oder das "rechte blonde Gift", die Moderatorin Ann Coulter. Auch die Taktik des FBI-Chefs James Comey, mit 650.000 bedenklichen Mails den Wahlkampf aufzufrischen, wird als wichtiger republikanischer Schachzug gelobt. Ob hinter all dem Russland wirklich ein paar Stellschrauben bei Wikileaks drehte und dem Trüpplein um Assange etwas unter die Arme griff, wird sicher noch geklärt werden. Angesichts der demnächst anstehenden Bundestagswahl hat es die Angst vor solcher Einflussnahme bereits in die Cyber-Sicherheitsstrategie unserer aktuellen Regierung geschafft.

*** Leute, die dieses Internet hassen, können natürlich auch Trumps Sieg erklären und sehen eine "eine Art putinesken Mafiastaat" kommen, in dem das Tagesgeschäft dem Vizepräsidenten überlassen wird und für Big Daddy jede Pussy zu haben ist. Neben dieser überaus zynischen Sicht kommt eine Einschätzung wie die von Edward Snowden geradezu staatstragend daher. Ja, es ist nicht das Ende der Geschichte, sondern der Anfang von etwas Neuem. Gibt es beispielsweise ein Widerstandsrecht im Vorgriff zu Trumps zahllosen Drohungen gegen die Immigranten, in der IT die Hebel umzulegen und Datenbanken zu löschen, in denen Illegale verzeichnet sind?

*** Immerhin gibt es erste Hinweise, wie es weitergehen kann, wenn Trump nicht als Spottfigur oder Aushängeschild enden oder als Meteor verglühen soll. Im neuen Team taucht der homosexuelle Internet-Starinvestor Peter Thiel auf, ein Mann, der sich bekanntlich sehr disruptiv gibt und das korrupte politische System wissenschaftlich reformieren will. Der Milliardär Thiel passt zum Milliardär Trump, der als disruptives Startup die Republikaner aufgemischt hat. Die von ihm mitgegründete Palantir Technologies gehört zu den wichtigsten Software-Herstellern für die Überwachung des bedrohlichen Auslandes durch US-amerikanische Dienste. Ob jetzt der Moment da ist, an dem die NSA von einem wie Trump missbraucht werden kann, wie es Whistlebower Thomas Drake glaubt? Gegen die These vom schlüsselfertigen Überwachungssystem NSA (Katharina Nocun) steht die Erkenntnis, dass die USA noch Checks and Balances haben, um sich Privataufträgen eines Präsidenten zu entziehen, an dessen Privatuniversität Geschäftsleute mit Waterboarding fit für's Geschäft gemacht wurden.

*** Bald darf Barack Obama sein abgesichertes Blackberry aus der Hand legen und dem digitalen Archiv übergeben, während Trump, der Samsung bevorzugt, vielleicht mit der SIMKo3-Lösung oder einem speziellen Präsidenten-Knox seinen Dienst antritt. Vielleicht werden die IP-Telefone in seinem Büro ausgetauscht und durch "vergoldete" Sicherheitstechnik ersetzt, wie sie daheim seinen langen Schreibtisch ziert. Sail on, sail on, o mighty ship of state, sang dereinst Leonard Cohen in "Democracy is coming to the USA" unter dem Eindruck des Tianmen-Massakers. Nun ist er davongesegelt und hinterlässt uns die Erkenntnis: Das Kaputte ist ein Anfang.

Was wird.

Morgen ist der Höhepunkt des Leibniz-Jahres und wir denken an den Denker des Dualsystems und den Erbauer einer Rechenmaschine, die multiplizieren konnte. An seinem 300. Todestag werden zu seiner Todesstunde um 10 Uhr abends in Hannover die Glocken läuten und mehr als jeder zweite Hannoveraner wird andächtig einen dieser Kekse mit 52 Zacken verzehren, ehe er seine sonstigen Antidepressiva online ordert, die für ein melancholisches Leben am Rande der norddeutschen Tiefebene gebraucht werden. Doch selbst in der besten aller Welten kamen die Wissenschaftler nicht umhin, zur US-Wahl ihren an Leibniz geschärften Verstand zu präsentieren, nach der Wahl natürlich. Da wird zum Beispiel der von Trump versprochene Kampf gegen den Daesh analysiert. Die beste Welt ist es gerade nicht: "Ein wesentliches Element des weltweiten Kampfes gegen den Terror stellt die unter George W. Bush begonnene und unter Barack Obama deutlich ausgeweitete Praxis gezielter Tötungen mit Kampfdrohnen dar. Diese wird wahrscheinlich unter Trump weitergeführt."

Doch halt, wir wollen ja unseren Leibniz feiern, und in der besten aller Welten geht das entweder über die Variationsrechnung, bei der sich die Mathematiker damals der besten Welt annäherten, indem sie ganze Kurvenverläufe berechneten oder hemdsärmeliger über Voltaire. Mit dem scharfen Blick des Aufklärers ließ er seinen trefflichen Magister Panglos Magister Panglos auftreten:
"Panglos lehrte die Metaphysiko-theologo-kosmolo-nigologie; bewies mit der stärksten philosophischen Suade, daß ohne Ursach keine Wirkung sein könne, und daß in dieser besten aller möglichen Welten das Schloß des gnädgen Herrn Barons das schönste aller Schlösser sei und die gnädge Frau die beste aller möglichen Baroninnen. Es ist bereits klärlich dargetan, hub er zu demonstieren an, daß die Dinge nicht anders sein können, als sie sind; denn alldieweil alles, was da ist, zu einem Endzweck geschaffen worden, so zielt notwendig alles zu dem besten Endzweck ab. Gebt nur acht, und Ihr werdet diese Grundwahrheit durchgängig bestätigt finden. Betrachtet zum Beispiel Eure Nasen. Sie wurden gemacht, um Brillen zu tragen, und man trägt auch welche."

Hurra, diese Erde ist trotz Trump ein hübsches Plätzchen, nicht nur in Marrakesch. Mit industriefreundlichem Gruß! in die Woche, wenn es wieder andere Themen gibt und die Erde sich gedreht hat. Bis es soweit ist, gucken wir alle nochmal The Deer Hunter und verstehen die US-Provinz des Flyover Country, das wir bislang geflissentlich ignoriert haben. Aber vielleicht führt uns ja auch Patrick Bateman in die nahe Zukunft Amerikas.

Quelle : www.heise.de
Titel: 4W: Von unplatzbaren Filterblasen und dahinschmelzenden Datentöpfen.
Beitrag von: SiLæncer am 20 November, 2016, 06:22
In God We Trust? Als gäbe es Filterblasen erst seit dem Internet, mokiert sich Hal Faber, der auch gerne einen Weg ins Paradies fände, aber doch immer noch in der besten aller Welten bleibt. In der manchmal auch die geehrt werden, die es verdienen.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Da schau einer an: Die kleine Wochenschau vom Rande der norddeutschen Tiefebene hat eine wunderbare Ergänzung bekommen. #replay: heißt sie und ist ein digestiver Rückblick, der sich wie die Jahresendstatistik vor allem an den harten Zugriffszahlen orientiert. Hier geht es weiterhin subjektiv und kommentierend zu, was nicht jedersous Sache ist, auch weil das WWWW von WWWW zu WWWW als fortschreibender Kommentar begriffen werden kann.

*** Der eine kam, der andere wird nicht kommen. US-Präsident Obama besuchte Berlin auf seiner Abschiedstournee und gab höchst elegant die lahme Ente mit einem Satz, den das Bundespresseamt kurzerhand als Wahlempfehlung für Bundeskanzlerin Angela Merkel interpretierte. Nahezu zeitgleich sagte ein anderer US-Amerikaner ab, der mindestens ebenso berühmt ist: Bob Dylan kommt nicht nach Stockholm und erklärt uns Europäern nicht, was da in seinem Land mit der Wahl von Donald Trump passiert, in dem er seit 40 Jahren Tournee um Tournee bestreitet. "Vielleicht hebt er sich das nun alles für neue Songs auf," sinniert die tageszeitung. Vielleicht kommt er ja sowieso vorbei, heißt es in Schweden.

*** Da haben wir den Schlamassel: Wie können wir bloß im "postfaktischen Zeitalter" (so Angela Merkel nach der Berlin-Wahl) ohne Dylan und Obama überleben, mit "Informationen", die der neue Chefstratege Steve Bannon dem Hollywood Reporter gibt: "Dick Cheney, Darth Vader, Satan. Das ist Macht. Es hilft uns nur, wenn sie es nicht kapieren, wenn sie nicht verstehen, wer wir sind und was wir tun." Und das über die nächsten 50 Jahre in Dauerherrschaft. Um es mit Mark Zuckerberg kontextverdrehend zu sagen: "we take misinformation seriously".

*** Viel ist über Facebooks Rolle bei der Wahl geschrieben worden, noch mehr über diese Filterblasen, in der besonders diese Internet-Leute stecken sollen, die nicht mehr an Fakten und "der Wahrheit" (tm) interessiert sind. Die die Google-Suchergebnisse für unfehlbar halten und keine Aufzeichnungen von Launen. Dass Filterblasen auch ganz ohne Internet beim christlichen, ländlichen, rassistischen Amerika existieren, wo sich niemand großartig für Weltpolitik da draußen interessiert und lieber einem Gott vertraut, der Weiße ins Paradies geleitet, wird gerne ignoriert. Die gut ausgebildeten Eliten an den Küsten mögen über sie hinweg fliegen und von Globalisierungsfolgen und -Zwängen sprechen, es interessiert sie nicht da unten, so wie es sie nach dem Highschool-Abschluss nicht interessierte, auf ein College zu gehen. Was bekommen sie auch zu hören, diese rund 35 Millionen Männer und Frauen, denen wiederum die Internet-Leute auf ihrer tollen Ted-Welterklärungsplattform kurzerhand den Diskurs aufkündigen, während sie die Frage stellen, wie Amerika geheilt werden kann: "In der Moralpsychologie kommt die Intuition immer vor dem logischen Denken. Deswegen kann man politische Streitigkeiten nicht mit Vernunft und Fakten gewinnen. So funktioniert das nicht." So einfach ist das. Lassen wir das mit den Argumenten, wenn Blue Collar bedeutet, dass Leute nicht nur Arbeitsplätze verlieren, sondern auch ihr Selbstwertgefühl.

*** Wege ins Paradies? Ach, gerne, aber ich bleibe dann doch immer noch und erneut in der besten aller Welten, man kann es nicht oft genug betonen, die krampfhaftze Suche nach dem allein selig machenden Paradies führt nicht nur in religiös fanatisierten Pseudo-Staaten immer wiedr ins Verderben. Immerhin, es gab eine Zeit, in der das ländliche, das verarmte Amerika eine Ressource war, aus der die Vereinigten Staaten schöpfen konnten. Zum Tod von Jay Forrester mag man sich erinnern, dass Bauernsöhne mit technischen Basteleien Auswege aus der Armut suchten, dass Ken Olsen dann DEC gründete oder William Hewlett eben Hewlett-Packard. Es gibt das schöne Bild von Forresters Pferd Roany mit der von ihm gebauten Windkraftanlage im Hintergrund, mit der seine wissenschaftliche Karriere begann. Man mag sich auch an Forresters Mitarbeiterin beim SAGE-Projekt erinnern, der aus der Provinz kommenen Margaret Hamilton, die für ihre Apollo 11-Software nun vom scheidenden Präsidenten Obama mit der Medal of Freedom geehrt wird. Mit Bill und Melinda Gates sowie der posthum geehrten Grace Hopper sind übrigens noch zwei andere IT-Generationen bei diesem ganz speziellen Abschiedsgruß von Obama dabei.

*** Während Donald Trump nach und nach sein Kampfteam zusammenstellt, geht es bei uns sehr beschaulich weiter. Sie nennen es Einschläferung am lebendigen Volkskörper. Mit Weiter-So-Kanzlerkandidatin Merkel, Weiter-So-Bundespräsident Steinmeier und einem Weiter-Nichts-Schulz, der OettingAir nicht problematisch findet, da es "keine Alternative" zum Flug mit dem russischen Honorarkonsul gab. Doch halt, man lausche auf die Worte der Veränderung: Nach der technologischen Souveränität Deutschlands, die im Regierungsvertrag der großen Koalition als Forderung festgelegt wurde, und nachdem selbst bei den Chaos Computlern das für und wider der technologischen Souveränität abgewogen wird, bekommen wir Bürger nun die Datensouveränität. Doch was ist das eigentlich? Datensparsamkeit jedenfalls nicht, die ist altmodisch und knarzerig, wie die Uralt-Formel von der "informationellen Selbstbestimmung". Datenschutz so wichtig wie Umweltschutz? Aber Herr Bundespräsident, wo kommen wir dahin? Frau Merkel weiß es besser, sie verkündete das neue Mantra auf dem "IT-Gipfel" von Industrie und Politik:
"Wir haben jetzt auch die entsprechende rechtliche Grundlage, um das Thema Datenschutz, ich habe gehört wir nennen das in Zukunft Datensouveränität, zu bearbeiten. Die Datenschutzgrundverordnung ist eine Verordnung, aber der Minister de Maizière weist immer wieder darauf hin, dass es eine Vielzahl unbestimmter Rechtsbegriffe gibt, bei denen wir jetzt aufpassen müssen, dass wir es nicht wieder so restriktiv machen, dass das Big-Data-Management dann doch nicht möglich wird."
Im Zeitalter von Big Data werden mit dem angekündigten neuen Allgemeinen Bundesdatenschutzgesetz IT-Firmen (a.k.a. Big-Data-Management) Auftragsdienstleister der ach so souveränen Bürger, die sich künftig selbst bei der Auftragsdatenverarbeitung darum kümmern sollen, ob der Datenschutz eingehalten wird oder nicht.

Was wird.

Nahezu zeitgleich mit Merkel äußerte sich "Aufpasser" Thomas de Maizière bei einer Tagung des Bundeskriminalamtes zur Zukunft der Polizei-IT. Sie ist rosig, um nicht zu sagen richtig sonnig, wie der Sonnenstaat des Dr. Herold, an den Thomas de Maizière in seiner Rede erinnerte. Da finden wir den Komplementärbegriff zur Datensouveränität, den neuen "horizontalen Datenschutz" der Polizeibehörden, der ab 2019/20 die Arbeit der Polizei erleichtern soll.

"Wie könnte ein auf die Zukunft ausgerichteter horizontaler Datenschutz aussehen? Darüber können und müssen wir miteinander diskutieren. Aber ich denke, er bräuchte ein geordnetes Zugriffsmanagement, Vollprotokollierungen mit Analysefunktionen für die Datenschutzaufsicht und ein Datenmanagement, das sich an der Qualität der Eingriffe bei der Datenerhebung orientiert. Schutz der gesammelten Daten vor unberechtigtem Zugriff und nicht Schutz der getrennten Datentöpfe, das ist effektiver und moderner Datenschutz.

Was ein Datenmanagement ist, das sich an der Qualität der Eingriffe bei der Polizei ausrichtet, dürfte nun die Juristen beschäftigen: Die Datenschützer sind erstmal abgemeldet, sie bekommen vorgefertigte "Analysefunktionen" und gut ist's. Da werden also Daten angelegt, auf verschiedenen Stufen bearbeitet und weitergegeben, ohne dass die Zugriffsrechte an Rollenkonzepte gebunden sind.

Das Zugriffsrecht erstreckt sich auf alle gesammelten Daten, es gibt keine "Datentöpfe" mehr, auf die nur bestimmte Personen Zugriff haben. Der Datenschatz ist in der Horizontalen hübsch gebettet, und liegt dann, es deckt ihn da keiner zu, tralala. Und, liebes Bürgerlein, nun zeige keine Sonnenstaatsverdrossenheit. Das ist sooo 80er und Sebastian Cobler ist auch vermodert.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. What works for us?
Beitrag von: SiLæncer am 27 November, 2016, 06:37
Das Urteil der Geschichte? Das fällt hart aus. So wird mancher von der einen Seite bejubelt, von der anderen verdammt, jeder lebt in seiner eigenen Filterblase. Dass es oft das Zwischendrin ist, macht für Hal Faber den Reiz der Geschichte aus.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Socialismo o muerte! Wie wurde noch im Sommer der Geburtstag von Fidel Castro zünftig gefeiert! Der Mann, der zum Start der Präsidentschaft von Barack Obama noch befürchtete, das Ende von Obama nicht mehr zur erleben, hat auch das noch geschafft. Erspart bleibt ihm, einen Präsidenten Donald Trump zu erleben, der mit dem Bau von Casinos reich geworden ist, eben solchen Geldwaschanlagen der Mafia, die Castro von seiner Insel verbannte. So musste die Mafia nach Las Vegas umziehen und das viele Geld verdienen, mit dem schlussendlich dank Sheldon Adelson der Wahlkampf von Donald Trump finanziert werden konnte. So hängt das eine mit dem anderen zusammen im real existierenden Kapitalismus und auch die IT ist mittenmang, schließlich kaufte Adelson die West Coast Faire und machte mit der Comdex fette Gewinne.

*** Die Revolution ist nicht auf Rosen gebettet, und wenn, dann bleiben am Ende die Dornen über. Fidel Castro war kein Guter, weder 1959 noch in späteren Jahren. Homosexuelle hatten unter ihm nichts zu lachen und kamen in Umorientierungslager, mindestens 5000 Oppositionelle kamen ins Gefängnis. Kubas Sozialismus mit Volksbildung und Volksmedizin überlebte im Kalten Krieg das US-Embargo dank der Sowjetunion und später dank lateinamerikanischer Solidarität. Aber Castro war einer, der die Widersprüche analysieren konnte und selbst klarsichtig das Ende des kubanischen Modells kommen sah, auch wenn diese Aussage später dementiert wurde. Angeblich war es ein ironischer Spruch gewesen, der falsch ankam, weil Journalisten nun einmal keine Ironie verstehen. Sei's drum, die Analyse der Lage in Kuba stimmte. Was lernen wir also aus der Geschichte, außer dass sie niemanden freisprechen kann? Das Urteil der Geschichte steht immer aus.

*** Wie wäre es mit dieser Analyse, von einem linken Philosophen im Jahre 1998 über die Vereinigten Staaten von Amerika geschrieben. Was passiert, wenn die ungelernten Arbeitskräfte lernen, dass der Staat nicht daran interessiert ist, ihnen Sicherheit zu geben. Wenn der Staat Unternehmen nicht daran hindert, Arbeitsplätze in Billiglohnländer zu verlagern, wenn klar wird, dass Büroangestellte nicht daran interessiert sind, die soziale Unterstützung von anderen zu übernehmen? "An diesem Punkt wird etwas zerbrechen. Die nichtstädtischen Wähler werden für sich entscheiden, dass das System versagt hat und sich nach einem starken Mann umschauen, den man wählen kann – jemanden, der ihnen versichert, dass er, sobald er gewählt ist, den selbstgefälligen Bürokraten, tricksenden Anwälten, überbezahlten Versicherungsverkäufern und postmodernistischen Professoren zeigt, dass sie nicht länger das Sagen haben." Unter dem idiotischen deutschen Titel "Stolz auf unser Land" hat Richard Rorty Donald Trump vorab beschrieben, als er die amerikanischen Errungenschaften kritisch bewertete. Nun kommt er, der Präsident, bei dem die Vorstellung absurd ist, dass er eine Stunde lang über ein Problem nachdenken kann.

*** Seit Montagvormittag hat die deutsche Politik ein großes Problem. Das Problem hat einen Namen, kann nachdenken und Nachdenkliches zusammenhängend äußern, selbst auf Twitter: Edward Snowden darf von Vertretern der Opposition im NSA-Untersuchungsausschuss vorgeladen werden, der dieser Tage mit der Sensibiltätsfehlerkultur im Bundesnachrichtendienst beschäftigte. Komischer Name, aber es kommt noch besser, denn Snowden soll mit "niederigstschwelligen Angeboten" geködert worden sein, als Sachverständiger und nicht nur als Zeuge auszusagen, aus der Ferne. Aber bitte nicht in Deutschland vor Ort in Berlin, im hübschen Rondell des Untersuchungsausschusses, wie das Snowden über seinen Anwalt einfordert. Man spürt förmlich das Muffensausen einer anderen Rundung, wenn es heißt: "Allein die Tatsache, dass wir in Deutschland einen Untersuchungsausschuss haben, wird ja von der US-amerikanischen Seite schon als Affront gesehen. Die Tatsache, dass dieser Untersuchungsausschuss einstimmig Edward Snowden als Zeugen beschlossen hat, wird als Affront gesehen." Das ist schon ein anschwellender Keinbockgesang, die ach so wichtigen Beziehungen zur USA nicht zu verscherzen. Dort beginnen gerade die Vorarbeiten, Snowden zu "normalisieren".

*** Wer der Argumentation von Erich Möchel folgt, dass alles Gerede vom Cyberwar nur eine Spielart der modernen Diplomatie mit anderen Mitteln ist, kann die Bedeutung einer Einladung von Snowden, nach Deutschland zu kommen, als Souveränitätserklärung verstehen. Das wäre ein starkes Signal für Europa mit einem Deutschland, dessen künftiger Kanzler einem Edward Snowden politisches Asyl gewährt und ihn vor den US-Diensten schützt. Die Big Government schlicht damit übersetzen, dass jeder Bürger verdächtig ist. So etwas übersteigt natürlich den Horizont des ehemaligen BND-Chefs Gerhard Schindler, der Snowden für einen Straftäter hält. Ganz nebenbei erfahren wir im Interview, dass Schindler für Friedrich 30 arbeitet, einem Spezialisten für "Lobying, Security und Business Development". Sie nennen es Arbeit und geben ein hübsches Beispiel: "Ein Mandant aus der Sicherheitswirtschaft bietet Produkte und Lösungen zum physischen Schutz kritischer Infrastruktur. Für dieses Thema und die Leistung soll die Aufmerksamkeit erhöht werden, damit es zu noch größeren Investitionen in diesem Bereich kommt. friedrich30 formuliert die Strategie, identifiziert die Bedarfsträger und begleitet den gesamten Beschaffungs-/Vertriebsprozess."

Was wird.

Gleich am Montag ist Schindlers Nachfolger Bruno Kahl schwer beschäftigt. Der BND ist am 1. April 60 Jahre alt geworden, hat dieses Datum selbst aber noch nicht gebührend gewürdigt. Das wird nun nachgeholt, mit Sekt und leckeren Selektoren in einem Umspannwerk, also in einem ehemaligen Bau dieser kritischen Infrastrukturen. Mit von der Partie ist Kanzlerkandidatin Angela Merkel, die eine Rede halten wird. Vielleicht zum Thema "Spionieren unter Freunden, das geht gut" oder zum wunderbaren neuen BND-Gesetz unter dem Titel "Mit dem Datenstaubsauger für einen sauberen Cyberraum". Vielleicht erzählt Merkel auch die ach so lustige Biermann-Anekdote, dass die Stasi beim Hören der ersten Klänge der Stasi-Ballade nichts mit der Zeile "die Stasi ist mein Eckermann" anfangen konnte und sie als "die Stasi ist mein Henkersmann" transkribierte. Darüber hatte Merkel auf der Geburtstagsfeier des Barden ausgiebig gelacht. Wie gut, dass heute besseres Equipment zur Verfügung steht beim Abschnorcheln von "Auslandskontakten".

Der November geht, der Dezember kommt und mit ihm ein Hacker-Inferno in der Hansestadt Hamburg unter dem schönen Motto Works for me. In freier Wildbahn habe ich diese Definition zwar noch nie von einem Software-Entwickler gehört, aber Journalisten und Entwickler, das würde Bände füllen. Sind überhaupt Entwickler im Fokus eines Kongresses, "der für mich arbeitet" oder "das hat für mich funktioniert"? Wer das Inferno des Ticketverkaufs erfolgreich überstanden hat, wird eifrig im Halfnarp des 33C3 disponieren, der Rest wartet in Ruhe auf den endgültigen Fahrplan und sucht sich interessante, zukunftsweisende Streams heraus wie das Hacken des Fintech-Unternehmens N26.

Schaut man in das Heiseforum zur Meldung, überwiegt die leise Skepsis über die eingeschlagene Richtung, die meiner Ansicht nach nicht von Arroganz geprägt ist, sondern von der Erfahrung vergangener Kongress-Besuche. Dagegen wehrte sich Althacker erdgeist vehement und verteidigte die All-Inklusiv-Strategie des CCC gegen Forderungen nach einem "Altnerd-Brexit". Rätselhaft nur, was die Arroganz und vermutete Pöbelei anbelangt. Die eingeschlagene "breite" Strategie könnte eines Tages dazu führen, dass der Club in Hannover auf dem Messegelände etwas veranstalten kann, was größer als die CeBIT ist, mit eigener creepercardfreier LGBT-Halle. Works for them.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. Von @digitalcharta zur charta bibula
Beitrag von: SiLæncer am 04 Dezember, 2016, 01:53
Ein neues Lied? Gut und schön. Aber ach, es wäre nicht das erste Mal: So mancher, der neue Lieder anstimmt, verfällt dann doch wieder in alte Ressentiments, befürchtet Hal Faber. Oder macht ganz einfache Denkfehler.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Ein neues Lied, ein bess’res Lied
Oh Freunde will ich euch dichten!
Wir wollen hier auf Erden schon
Das Himmelreich errichten.

Deutschland ist bekanntlich seit den Zeilen von Madame de Staël das Land der Dichter und Denker. Dichter schreiben wundervolle wintermärchenhafte Balladen über das Himmelreich auf Erden mit Zuckererbsen für jedermann, sobald die Schoten platzen. Worauf sich natürlich Spatzen reimen, die den Himmel über der schönen deutschen Erde bevölkern dürfen. Denker hingegen schreiben Manifeste und Erklärungen. Da reimt sich nichts und er darf schon mal richtig krumm sein, der Gang der Gedanken. Mit dem schlichten "Die Gedanken sind frei" begann vor knapp 10 Jahren die Online Magna Charta, Version 1.0, verkündet und unterzeichnet ausgerechnet hoch oben auf der Wartburg, wo sich dereinst schon Martin Luther "im Reich der Vögel" wähnte. Die Online Magna Charta hatte es in sich, wollte man doch damals nichts Geringeres als eine ganze bunte Schar neuer Menschenrechte, weil die alten Menschenrechte genau das waren, alt und überholt.
"Neue Dimensionen der Information und Kommunikation erfordern nicht nur eine Anpassung des nationalen Rechts durch neue Mediengesetze, sondern auch grundlegend neue, weltweit anerkannte Menschenrechte."

*** Zu diesen neuen Menschenrechten gehörte damals "das Menschenrecht auf eine eigene, weltweit erreichbare private Mailbox für elektronische Post", schick mit "Right of Virtual Home" erklärt. Das Recht der freien Rede wurde mit Verweis auf eine in der Charta nicht weiter definierte "Netiquette" eingegrenzt und wenn dieses Recht nicht beachtet werde, sollte eine überstaatliche internationale Instanz zuschlagen, die "Netzgerichtsbarkeit". Mit dem Schlachtruf "Wir sind das Netz!" und einem Aufruf zum gewaltfreien Widerstand überall im WWW, wo Desinformation und Zensur auftauchen, endete die Online Magna Charta, Version 1.0. Erwähnenswert, dass noch im selben Jahr die Version 2.0 erschien, die in einem "Amendment" das Bürgerrecht auf Verschlüsselung und Verschleierung aufführte – eine Reaktion auf die 1997 geführte Debatte über die "Crypto Wars 2.0". Denn auch damals beschäftigte sich die hohe Politik mit dem Problem verschlüsselter Kommunikation und der Frage, ob der Staat mit einem Zugriffsrecht auf sie ausgestattet werden sollte. Erst im September 1998 sollte Wirtschaftsminister Günter Rexrodt das Recht auf Verschlüsselung privater Nachrichten anerkennen.

*** 30 Deutsche unterschrieben 1997 diese deutsche "Charta der Informations- und Kommunikationsfreiheit", zu einem Zeitpunkt, als das Internet von 40 Millionen Menschen benutzt wurde, die sich damals stolz Netizen nannten. Außerhalb Deutschlands wurde die Charta nicht zur Kenntnis genommen, wobei auch andernorts ähnlich großspurig allerhand verkündet wurde. Man denke nur an das Cluetrain Manifest mit seinen 95 Thesen, ganz wie Martin Luther auf der Wartburg, mit dem Markt als Gott. Noch großspuriger können eigentlich nur Journalisten sein, wie es später das Internet-Manifest zeigte, als man noch filterblasenfrei Unsinn verzapfte: "Wer Links nicht nutzt, schließt sich aus dem gesellschaftlichen Diskurs aus." Soso.

*** Am kommenden Montag startet das 1. deutsche Schirrmacher-Symposium mit den englischen Motto "re:claim autonomy", ein Versuch, die "Selbstermächtigung in der digitalen Weltordnung" festzuzurren. Auf dieser Veranstaltung gibt der nun für Deutschland auftretende Martin Schulz sein Debüt als Netzdenker und Erstunterzeichner: Im Vorfeld wurde bereits die Charta der Digitalen Grundrechte der Europäischen Union von Sascha Lobo & Co ausgerufen und in den großen Blättern dieser kleinen Republik als überdimensionierte Tablet-Edition abgedruckt, in dieser Form ganz klar ein Schaustück für die deutsche Öffentlichkeit. 14 Monate sollen Dichter und Denker auf ihren Laptops an dieser Bankrotterklärung des Cyberspace gearbeitet haben, die bald "dem Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres (LIBE) des Europäischen Parlaments vorgestellt" werden soll. Ja, klingt hart, geht aber nicht anders, denn die Charta enthält ein paar gute Ideen, aber (neben dem einfach nur dämlichen "Recht auf Nicht-Wissen") eben auch den fatalen Artikel 5, Absatz 2 und Absatz 4:
"(2) Digitale Hetze, Mobbing sowie Aktivitäten, die geeignet sind, den Ruf oder die Unversehrtheit einer Person ernsthaft zu gefährden, sind zu verhindern.
/.../
(4) Staatliche Stellen und die Betreiber von Informations- und Kommunikationsdiensten sind verpflichtet, für die Einhaltung von Abs. 1, 2 und 3 zu sorgen."
Formulierungen wie "sind zu verhindern" ("shall be prevented", "deben evitarse", gar "sont proscrits" im Französischen) verniedlichen das zentrale Problem, dass eine solche Verhinderung nicht möglich ist, wenn das Recht auf freie Information und Kommunikation (Artikel 2) ernst genommen wird. Wer verhindern will, braucht eine Infrastruktur, die nach Hetze, Mobbing und rufschädigenden Aktivitäten fahndet. So kommt es, dass wir passend zur Großstörungswoche bei der Telekom eine Großstörung bei den Netzdenkern diagnostizieren können.

*** Die erschütternde Ahnungslosigkeit und Abgehobenheit der Verfasser ist an der "Beta"-Reaktion auf die Kritik ablesbar:
"Der Begriff „verhindern“ übrigens, über den in netznahen Teilen der Öffentlichkeit besonders heftig gestritten wird, ist dort völlig anders aufgenommen worden, als er in der Gruppe diskutiert wurde, wo er gesellschaftlich betrachtet wurde. Zum Beispiel als Prävention von Hassrede und Hetze durch Aufklärung. Niemand in der Gruppe hat auch nur eine Sekunde lang die in dem Wort gelesene „Vorzensur“ im Sinn gehabt, das wäre für viele auch ein sofortiges Abbruchkriterium gewesen."
Da wird also der Begriff "gesellschaftlich" betrachtet, obwohl er eine juristische Wirkung entfaltet, wenn "staatliche Stellen und Betreiber von Informationsdiensten" (wie heise online) verpflichtet werden sollen, Hetze, Mobbing & Co zu unterbinden. Das ist mehr als nur naiv. Ansonsten gilt umstandslos, was Algorithm Watch zur Digitalcharta schreibt (mal abgesehen zu den Ausführungen über Big Data und Algorithmen): Es gibt keine digitalen Grundrechte. Und niemand will eine "digitale Welt" gestalten. Wir haben nur eine, analog und ressourcenendlich.

*** Jürgen Habermas, der Philosoph, gehört zu den Unterstützern der digitalen Charta, aber auch Heribert Prantl, der wortmächtige Journalist, der in der aktuellen Wochenendausgabe der Süddeutschen Zeitung hemmungslos von der wunderbaren Klarheit und Sprache der Bayerischen Verfassung schwärmt, die am 1. Dezember 1946 verabschiedet wurde. Für Prantl ist sie eine der schönsten und buntesten Verfassungen der Welt, die sich liest, als seien Fidel Castro und Papst Franziskus dabei gewesen, als sie verfasst wurde. "Sie ist wie ein Bauern-, Obst- und Gemüsegarten: Sie blüht und sie duftet, und nahrhaft ist sie auch." Wenn einer wie Prantl eine Charta unterstützt, die davon schwafelt, dass "jeder Mensch ein Recht auf digitalen Neuanfang" (Artikel 18) hat, ist vielleicht die traurigste Erkenntnis: Nunja, jeder Mensch hat das Recht, sich zu irren.

Was wird.

Im Land der Dichter, Denker und Charta-Verfasser sind nun die Ermittlungskünste der IT-Spezialisten gefragt: Sie sollen untersuchen, woher die NSA-Leaks von Wikleaks stammen, mit besonderer Beachtung von "Bundestag Vorabunterrichtung RfAB 23.6.2014-1.pdf". War ein Mitglied des Auswärtigen Ausschusses oder des Europa-Ausschusses der Wikleaks-Informant oder wurden die doch recht alten Datenbestände beim Hackerangriff auf den Bundestag von der Russengang namens Sofacy alias APT 28 alias Fancy Bear entführt und an Wikileaks übergeben? Metadaten mögen zwar nicht töten können – das machen immer noch die via Ramstein gelenkten Drohnen mit ihren Raketen –, aber sie könnten immerhin eine Karriere zerstören. q.e.d., sofern das noch im deutschen Sprachunterricht den Abiturienten mit auf dem Weg ins BKA gegeben wird. In der Zwischenzeit wartet die Welt, ob Wikileaks auch die Secret Santa Files veröffentlicht, ohne Rücksicht auf die Kinder. Für die Erwachsenen gibt es ja auch neue Weihnachtsgeschichten aus Bethlehem, da auf der Krim.

Wer sang das alte Entsagungslied?
Das Eiapopeia vom Himmel,
Womit man einlullt, wenn es greint,
Das Volk, den großen Lümmel.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. Vom Leben jenseits der Filterblase.
Beitrag von: SiLæncer am 18 Dezember, 2016, 03:35
Was waren die Zeiten noch schön, als deutsche Bürger nicht in analogen oder digitalen Filterblasen lebten, sondern in herrschaftsfreien Diskursen ihr gesellschaftliches Wohl bestimmten. Ach, die Zeiten gab es nie? Sowas aber auch, grummelt Hal Faber.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** "Die erste Freiheit der Presse besteht darin, kein Gewerbe zu sein." Dieser Satz stammt von Karl Marx, an ihn erinnerte Eckart Spoo, als er 1988 den Fritz Bauer-Preis bekam. Nun ist Eckart Spoo gestorben und wer seine Gedanken zur Pressefreiheit und informationellen Selbstbestimmung liest, zum Schweigen der Konzernmedien in Angriffskriegen und Katastrophen wie Aleppo, mag staunen, wie kritisch linker Journalismus sein konnte.
"Das Kapital wird nie ein Freund von Gleichheit und Brüderlichkeit sein, unter Freiheit versteht es nur, daß es sich nicht an Regeln halten muß, die seine Macht einschränken (sollten). Gegenüber allen Regeln, die einmal in günstigen historischen Momenten demokratisch erkämpft werden konnten, dringt es auf Deregulierung. Aber niemals ruft es nach Abbau der vielen Gesetze, die die individuellen und kollektiven Grundrechte des Volkes einschränken, das Volk einschüchtern."

*** Ja, der Journalismus hat es im postfaktischen Zeitalter mit seinen Fake News nicht leicht. Selbst im allseits bekannten Medium der Gegenöffentlichkeit ist es eine Qual, mitzulesen, wie Kollegen gegen das redaktionelle Truth Awareness Team kämpfen, bis der Text wie Aleppo aussieht. So gesehen ist es einfach nur logisch, dass die besonders klugen Köpfe einfach mitmachen beim postfaktischen Schreiben und von präzisen Erkenntnissen fabulieren, ohne selbige auszubreiten. So entfaltet sich ein Drama, das keines ist: Putin soll persönlich für Hackerangriffe verantwortlich sein und Obama verspricht Vergeltung. Beides ist kompletter Unsinn. Obama spricht im Interview nicht einmal von Vergeltung, das interpretieren die postfaktischen Journalisten in seine Worte. Auch mit der Wiederholung, dass Obama Putin für verantwortlich hält – "zumindest indirekt" – wird es nicht besser. Die schlichte Tatsache, dass Putin gar nichts anordnen und verantworten muss, sondern es eingespielte Mechanismen gibt, die seit dem Fall Lisa bekannt sind, ist wohl zu schlicht.

*** Ja, da müssen perfide "Internet-Söldner" her, wie sie im Dossier des BND und des Verfassungsschutzes für Angela Merkel als dämonische Hintertreiber genannt werden, die wie Hacker auch noch unsere Rechner nehmen, um sie als Bots zu missbrauchen. Das Geraune von den "Internet-Söldnern" hat Methode, denn anders als die Internet-Soldaten einer regulären Armee können Söldner überall angeworben werden und unterliegen keiner Knebelei wie die Bundeswehr beim Umgang mit den Medien. Gruppen wie APT28, Guccifer 2.0 oder eben Winnti können von allen Seiten angeworben werden, auch von US-amerikanischen Interessenten. Wie beschrieben die Shadow Brokers in dieser Woche ihr Anliegen in gebrochenem Englisch, als sie dementierten, rein kriminell zu sein? "TheShadowBrokers is opportunists. TheShadowBrokers is giving 'responsible parties' opportunity to making things right." Responsible parties, da lacht der einfache Gänsefuß. Beweise hat noch niemand vorgelegt, doch was soll's, der angekündigte Bericht wird es schon richten, mit großer Präzision.

*** Es gibt eine gute Nachricht, ausgesprochen von dem Facebook-Forscher, der aus Likes unser inneres Ich errechnen kann und damit unfreiwillig in den letzten Wochen für bombige Schlagzeilen sorgte: Die Wahl von Trump war nicht manipuliert und so etwas wie die Filterbubble gibt es nicht. Es gibt nur abwesende Nachrichten. Etwa die über die Debatte, was in einer DNA technisch gesucht werden kann und juristisch gesucht werden darf. Ausführlich und sachlich hat sich die Deutsche Spurenkommission mit einer Stellungnahme zu Worte gemeldet, ebenso ausführlich gibt es eine Stellungnahme der Kritiker, doch alles schnurrt mit markigen Worten zur "Flüchtlingsfrage" zusammen. So holt sich die Gesellschaft blaue Augen.

*** In dieser Woche haben die "Größen" des Silicon Valley ihre Aufwartung beim künftigen US-Präsidenten Donald Trump gemacht, eingefädelt vom Trump-Unterstützer Peter Thiel. Dieser sorgte prompt dafür, dass mit Alex Karp von Palantir Technologies die Überwachungstechnik mit dabei ist. Sie sollen die Möglichkeit bekommen, den US-Präsidenten jederzeit per Telefonanruf zu erreichen. Hinzu kommt, dass drei Personen in eine Art "technischen Beirat" (CEO Council) aufgenommen wurden: Ginny Rometty (IBM), Elon Musk (Tesla) und Travis Kalanick (Uber). So zahlt sich zumindest für IBM der offene Brief an Trump aus, in dem an erster Stelle "new collar jobs" gefordert wurden, scheinbar weitab der white collar und blue collar-Grenze. Derweil wird im Silicon Valley Thiels Traum von der gänzlichen Aufhebung des Staates weiter geträumt, während Geisteswissenschaftler auf computer science umgepolt werden. Hauptsache, sie schreiben keine Restaurant-Kritiken, die Trump auf die Palme bringen. In etwas anderer Mission war da Bill Gates unterwegs, der Trump mit seiner "unbelasteten" Vergangenheit als Chance für Innovationen mit John F. Kennedy verglich, der die Eroberung des Weltraums zu seinem Regierungsprogramm machte.

Was wird.

Das Jahr geht zu Ende, nur ein letzter Tatort noch, in dem Computerkram und Algorithmen eine mörderische Rolle spielen und dann ist Frieden angesagt und die Weihnachtsansprache fällig.

Ihr für ein Meer an Frieden und sozialer
Gerechtigkeit brav eintretenden Singleinnen
und Singles in den deutschen Städten
durch die bekanntlich hindurchgeht der Wind
Seid gegrüßt
Von einem dessen Einsamkeit am Heiligen
Abend gradso wie die eure ohne Maßen ist

Wenn die Uneinsamen anderen ihre guten Weihnachtsmärchen auserzählt haben, die Unsinns-Geschenke ausgepackt, die Kinder mit ihren Ausmalbüchern zum Drohnenkrieg beschäftigt und die Afghanen abgeschoben sind, ja, dann können die Streams beginnen. Der Fahrplan des natürlich von den Russen aufgekauften Kongresses des CCC steht seit einem Tag online, der vom gegenmit-Kongress auch. Wenn Edward Snowden redet und der Snowdenbot über die Bühne ruckelt, wird man sich vielleicht die Snowden-Kritik in Erinnerung rufen, die NSA-Mitarbeiter gegen Snowden ins Feld führten. Dass es interne Wege gebe, über die man als Whistleblower auf Missstände aufmerksam machen kann, etwa über den NSA-Inspector. Als Snowden nach Hongkong flog, war dies George Ellard. Nun hat das Bürgerkommitee zur Überwachung des Regierungshandelns (POGO) mitgeteilt, dass Ellard einen Whistleblower übel mitgespielt hat und selber gehen muss. Der betroffene Whistleblower will sich zu POGO-Fragen äußern, wartet aber die Freigabe durch die NSA ab.

Wir sehen: die NSA wird uns auch im Jahre 2017 mit spannenden Nachrichten beglücken, der deutsche NSA-Untersuchungsausschuss sowieso. Das hält selbst einen Politik-Aussteiger wie Ströbele im neuen Jahr bei der Stange.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. Ruhig ist das Blut und fröhlich die Weihnukka.
Beitrag von: SiLæncer am 25 Dezember, 2016, 01:46
Manch kleine Probleme der Vergangenheit stellen sich als Ursache heutiger Übel heraus. Als ob das nicht reichte, bleibt genug Unsinn anzustellen, dass das Wahren ruhigen Blutes nicht nur Hal Faber schwerfällt. Vor allem, wenn's Blut im Stacheldraht klebt.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Diese kleine Weihnachts-Wochenschau trällert nichts über letztes Weihnachten und schwer misteriöser Herzübergaben. Auch die fundamentale soziale Ungleichheit in unserer Gesellschaft, dieses weihnachtliche Krippenthema, ist heute nicht im Angebot. Diese Wochenschau ist für die einfache Mehrheit in Deutschland geschrieben, die in ihrem Leben ohne die Anbetung höherer Wesen auskommt. Aber was heißt schon Mehrheit: Das Jahr 2016 ist eines der sehr seltenen Jahre, an denen Weihnachten und Chanukka zusammenfallen und damit kann Weihnukka gefeiert werden.

*** Wobei Mehrheiten in Deutschland bekanntermaßen gefährlich schwankend sind, nicht nur in vergangenen Zeiten: Letzte Woche noch war eine Mehrheit der Deutschen der absolut bessere Bundestrainer als Herr Löw, diese Woche ist die neue Mehrheit davon überzeugt, bessere Fahnder und Spurenauswärter zu sein als die Fachleute in den Diensten und Polizeibehörden. Wenn ein Handy im dritten Anlauf gefunden wird, lachen die ehemaligen Bundestrainer und neugebackenen Abschiebehaftexperten. Dazu gackert das Kommentariat und fordert Konsequenzen, vom rechtspolitisierenden Hacker bis zum linksdrehenden Politiker. In der Anbetung des Staates gleichen sich die Wurstenden.

*** An dieser Stelle fehlt das Urteil, das die Süddeutsche Zeitung hinter ihrer Paywall über die sozialen Medien Deutschlands gefällt hat: Vorbildlich zurückhaltend, geradezu staatstragend sollen sich die Menschen auf Twitter und Facebook nach dem Attentat von Berlin verhalten haben, sieht man von den Dschihadisten der AfD ab. Ganz anders als die Terror-Experten und Erklärer, die von einer Weihnachtsmarktkultur reden und Motive bei denen suchen, die ihre Mordlust ausleben. Sei's drum: Mehr als diese lächerlichen Fake-News der Experten fürchte ich die Fake-Besserwisser oder die Fake-Selbstgerechten, die auf den jetzt aufgebauten mächtigen Beton-Perimetern der Weihnachtsmärkte ihre dummen Kommentare als Sprayer verbreiteten. "Muslime raus" steht da und ist einfach nur Schwachsinn.

*** Wer möchte jetzt nicht im Hause der hugenottischen Glaubensflüchtlinge Weihnachten feiern, wo geschäftig an neuen Gesetzen gebastelt wird, mit ganz vielen Videokameras, mehr Überwachung, mehr Kontrolle und mehr Datenspeicherung allüberall? Die gesammelten Datenbestände über den Terroristen "Amri" sind enorm und wurden selbst auf den Schirmen im GTAZ in Treptow gesehen und diskutiert. Das aber reicht nicht, denn Freiheit und Sicherheit bedingen einander, wie es in den Alltagsreden routinemäßig heißt, wenn die Freiheit wieder einmal eingeschränkt wird. Die schiere Sinnlosigkeit von geforderten Maßnahmen wie Fußfesseln für islamistische Gefährder wird deutlich, ultraschnelle Abschiebung eingeschlossen. Genau einen Tag nach dem Tod des Terroristen Amri trafen seine neuen Papiere in der Erstaufnahme ein, so kann das BAMF den Fall als korrekt gelöst abhaken. Anderswo erschallt der Ruf, die Datenbanken noch besser zu verzahnen, zu vergrößern und schlichte Fragen für das US-amerikanische ESTA-Formular dem eigenen Untertanen vorzulegen. Auf Youtube, auf Twitter und wie war noch der Facebook-Account? Soso, und in den Heise-Foren posten sie auch noch?

*** Nun, es gibt in den USA nicht nur ESTA-Formulare, sondern als Werbung geschaltete Tipps, wie mit dem Bedrohungsmodell Trump umgegangen werden kann. Verschlüsseln der Kommunikation und der Daten, Löschen aller anderen Daten, jeden Angriff auf die Redefreiheit transparent machen und ganz generell Widerstand leisten, so will die Electronic Frontier Foundation sicherstellen, dass die "befreiende" Internet-Technologie nicht als Werkzeug der Unterdrückung missbraucht wird. Das gilt auch für die IT-Firmen, die in die Gänge kommen und Schadensbegrenzung betreiben sollen. Neben diesen praktischen Verhaltenstipps gibt es in den USA Ansätze, die sandersistische "Revolution" über die Jahre zu retten und eine neue soziale Bewegung in Gang zu bringen. In der ersten Ausgabe der c't 2017 gibt es ein Interview mit Richard Stallman, in dem dieser den Helden Edward Snowden lobt und das zarte Pflänzchen Demokratie in Gefahr sieht, wenn der Staat die Whistleblower enttarnen und Informationen unterdrücken kann.Gefragt, was er beim Thema Überwachung von Donald Trump hält, antwortet Stallman: "Ich befürchte, dass er es noch schlimmer macht. Sehen Sie, in den 80er-Jahren waren Überwachung und unfreie Software für die meisten Leute lächerlich kleine Probleme. Sie dachten, ich mache aus einer Mücke einen Elefanten. Aber heute zeigt sich: Diese Fragen bestimmen unser Leben."

*** US-Präsident Donald Trump möchte unberechenbar sein, auch in Bezug auf die Atomwaffen. Immerhin besteht die Hoffnung, dass die US-Bewaffnung etwas moderner ist als die der Brexit-Planer in Großbritannien, wo die U-Boote mit den Atomraketen sich auf eine Steuerung durch Windows for Submarines verlassen, eine adaptierte Version von Windows XP: Wer seine Bomben liebt, der pflegt sie. Bernie Sanders hat damit recht, dass es ein kleines Wunder ist, wie die Welt seit 1945 ohne den Einsatz von Atomwaffen ausgekommen ist. Damit kommen wir zum einzigen echten Weihnachtsgeschenk, das Heiligabend auf den Gabentisch kam, nach einem Beschluss der Vereinten Nationen. Ob sich daraus wirklich ein internationaler Vertrag zur Ächtung der Atomwaffen entwickelt, wird wesentlich von Trump und Putin abhängen. Doch am 20. Januar wird sich Amerikas Haltung zur UN ändern, hat Trump versprochen. Womit wir mit Try a Little Tenderness schlussendlich den passenden Weihnachtssong gefunden haben.

Was wird.

Noch ist das Jahr nicht völlig am Ende, doch 2017 wirft seinen Schatten voraus. Denn 2017 werden Terroristen nicht mehr gejagt und erschossen, sondern vorzeitig und zuverlässig von künstlicher Intelligenz erkannt und von dienstlicher Kompetenz verhaftet. Mit dem Verbot des Postillons gelingt dem Justizminister Heiko Maas ein großer Schlag gegen die Fake-News. Bereits jetzt ist die Bundestagswahl schon ein großes Thema, auf das sich Brötchen- und Impulsgeber sorgfältig vorbereiten, genau wie die russischen Hacker und die beiden verbliebenen Wikileaker.

Irgendwann an diesen Festtagen dürfte bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung das große Weihnachts-Interview mit dem Ex-Wikileaker Daniel Domscheit-Berg online erscheinen, das mehr enthält als seine bekannte Kritik an Julian Assange. Offen sagt er im Gespräch, dass das Modell hinter Wikileaks, die Transparenz in das politische Handeln zu bringen, für ihn nach wie vor Bestand hat. "Ich bin der Meinung, dass die Welt eine bessere wäre, wenn die Menschen mehr Informationen hätten. Das ist ein idealistischer Gedanke. Vielleicht entscheidet sich die Mehrheit der Menschen dafür, dass sie gar nichts wissen wollen, und die Informationen interessieren keinen. Aber das wäre dann eine demokratische Entscheidung. Die Welt wäre vielleicht doch nicht so aufgeklärt, wie ich dachte, oder der Trieb, Wissen zu erlangen. Immerhin hätte ich dann aber einen Beitrag dazu geliefert, dass die Möglichkeit dazu besteht."

Quelle : www.heise.de
Titel: 4W: Wenn die dicke Frau gesungen hat: die Jahreanfangsedition ....
Beitrag von: SiLæncer am 01 Januar, 2017, 10:04
Die Zukunft ist auch nicht mehr das, was sie mal war, stellt Hal Faber betrübt fest und blickt unerschrocken in die Vergangenheit. Ja, früher. Ach was, so'n Quatsch. Jahresendstatistiken helfen, auch für etwas Optimismus. Die Zukunft kommt, versprochen.

Zitat
"Eine Grobheit besiegt jedes Argument und verdunkelt allen Geist. [...] Wahrheit, Kenntnis, Verstand, Geist, Witz müssen einpacken und sind aus dem Felde geschlagen von der göttlichen Grobheit. Dabei werden 'Leute von Ehre', sobald jemand eine Meinung äußert, die von der ihrigen abweicht, oder auch nur mehr Verstand zeigt, als sie ins Feld stellen können, sogleich Miene machen, jenes Kampfross zu besteigen; und wenn etwa, in einer Kontroverse, es ihnen an einem Gegen-Argument fehlt, so suchen sie nach einer Grobheit, als welche ja denselben Dienst leistet und leichter zu finden ist: Darauf gehn sie siegreich von dannen." (Arthur Schopenhauer, Parerga znd Paralipomena: Aphorismen zur Lebensweisheit)

*** Over, finito, aus und vorbei ist 2016, was für ein Jahr. Glenn Frey, David Bowie, Prince, Götz George, Manfred Krug, Leonard Cohen, Muhammed Ali, Bud Spencer, Papa Wemba, Ilse Aichinger, Natalie Cole, Fidel Castro, George Michael, Carrie Fisher und William Salice: Die Popkultur hat viele Stars hervorgebracht und dementsprechend gab es 2016 viele Tote. Das wird 2017 faktisch nicht anders sein, denn die Helden des Pops sind alle in die Jahre gekommen und siechen dahin wie die deutsche Sozialdemokratie. Jedes Jahr sterben viele berühmte Menschen, was soll's. Willkommen zur Jahresend-Ausgabe der kleinen Wochenschau, geschrieben vom hoch qualifizierten WWWW-Wahrheitsredakteur an seinem riesigen Postfak-Tisch auf seinem treuen Thinkpad, mit dem wunderbaren Gedit, Snapshot, Sonos, EMusic, Google Play Music, Last.fm – und Rotwein.

Zitat
"Die Theorie wird in einem Volke immer nur so weit verwirklicht, als sie die Verwirklichung seiner Bedürfnisse ist. Wird nun dem ungeheuren Zwiespalt zwischen den Forderungen des deutschen Gedankens und den Antworten der deutschen Wirklichkeit derselbe Zwiespalt der bürgerlichen Gesellschaft mit dem Staat und mit sich selbst entsprechen? Werden die theoretischen Bedürfnisse unmittelbar praktische Bedürfnisse sein? Es genügt nicht, dass der Gedanke zur Verwirklichung drängt, die Wirklichkeit muss sich selbst zum Gedanken drängen." (Karl Marx, Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie: Einleitung)

*** Genug des Kolophons, her mit den Statistiken, den nackten Tatsachen ihr schepperndes Gerippe. Schaut man auf die Zahlen, so ist die wichtigste Meldung des Jahres vom Wahlsieg Donald Trumps mitnichten der Spitzenreiter von heise online, sondern erst auf Platz 15 zu finden. Mit 1918 Beiträgen der Forumsteilnehmer ist die Wahl im Sternzeichen des Hashtags #TheRealDonaldTrump jedoch eine der meistkommentierten Meldungen des Jahres 2016. Sieger über alles mit 1.296.645 Zugriffen und reger Begleitung durch das Forum (1505 Beiträge) ist diese Meldung vom Wüten des Krypto-Trojaners Locky. Rechnet man diese Ratschläge (Platz 5) und diesen Kommentar zu Windows und Locky (Platz 6) hinzu, könnte man von einem strahlenden Sieger sprechen, nicht gerechnet die Folgemeldungen zu Petya (Platz 9), Mischa, Goldeneye & Co, begleitet auch von klickreicher #heiseshow zum Thema. Die Bedeutung der Ransomware schlug sich denn auch in der politischen Debatte nieder, als Bundesinneminister de Maizìere eine schnelle Eingreiftruppe forderte und das Gerede von der Cyberwehr durch von Firmen abgestellte IT-Spezialisten die Runde machte. Wir. Dienen. Neuland. war abseits aller Ränge denn auch eine der beliebtesten Wochenschauen. Das Motto ist, wie man (im Bild nebenan) auf dem 33C3 sieht, auch bei den Hackern vom Chaos Computer Club angekommen, die sich allerdings vorab erst einmal für dienstunfähig erklärten. Die Kriegsdienstverweigerung alter Zeiten lässt schön grüßen.

Zitat
"Gegen Leute, die ihre Definition von Ehe und Familie, von der Legitimität und Illegitimität verschiedener Lebensweisen allen anderen aufzwingen wollen und dabei Modelle in Anschlag bringen, die vielleicht in ihrer eigenen reaktionären Gedankenwelt funktionieren, in der Realität aber noch nie funktioniert haben, habe ich eine tiefe Abneigung. Sie ist wohl auch deshalb so stark, weil sie sich zu einer Zeit herausgebildet hat, als alternative Lebensformen dazu verdammt waren, in einem Bewusststein von Devianz ider Anormalität als etwas Minderwertiges, Peinliches und Beschämendes gelebt zu werden. Meine ebenso große Skepsis gegenüber den (im Grunde ebenfalls normativ argumentierenden) Apologeten der Anormalität, die uns die ständige Subversion und Nichtnormativität vorschreiben wollen, erklärt sich aus dem gleichen Grund." (Didier Eribon, Rückkehr nach Reims)

*** Mit 2299 Beiträgen ist der Locky-Kommentar zum Sicherheitsalptraum Windows übrigens ein ganz besonderer Spitzenreiter, was die Beteiligung der werten Leserschaft von heise online anbelangt. Überhaupt erfreuen sich die regelmäßigen Kommentare großer Beliebtheit, wie man an den Kommentaren Microsoft ist das neue Apple (Platz 11) oder zur überbewerteten Beratung im Einzelhandel (Platz 12), zum Gaming-Desaster namens Linux oder zum Internet of Shitty Things sehen kann. All diese Meinungsbilder schafften es unter die Top 30. Ein Wort noch zu den dem zweiten Platz, auf die es die gesammelten Meldungen über eine Großstörung bei der Deutschen Telekom brachten, komplett mit einer viel beachteten BSI-Warnung, einem wirklich perfekt getimten neuen Kongress der Telekom namens Magenta Security und netterweise schlecht programmierter Schadsoftware. Hier konnte nicht nur das neue Statistikformat replay zeigen, wie News auf heise online entstehen, hier zeigte sich auch die wunderbare Unwirksamkeit der "leistungsfähigen und nachhaltigen Cyber-Sicherheitsarchitektur", wie das die neu aufgelegte Cyber-Sicherheitsstrategie 2016 beschreibt. Wie bei der Aufstellung der Cyberwehr gibt es auch hier eine politische "Lösung" des Problems, nämlich eine weitere Einheit von IT-Spezialisten mit der Lizenz zum Gegenschlag und ein nigelnagelneues Gütesiegel für IT-Sicherheit, ein "Service", der an die aktuelle Debatte über vegane Currywürste erinnert.

Zitat
"Es gibt im Leben Augenblicke, da die Frage, ob man anders denken kann, als man denkt, und auch anders wahrnehmen kann, als man sieht, zum Weiterschauen und Weiterdenken unentbehrlich ist." (Michel Foucault, Sexualität und Wahrheit 2)

*** Apropos Namensgebung: Nicht weniger als 48 Namen von APT28 a.k.a. Fancy Bear, Sednit usw. listet die nunmehr veröffentlichte FBI-Analyse zu den russischen Hackern, deren Tun und Hacken nun dazu führte, dass noch-Präsident Obama 29 Russen aus den Vereingten Staaten von Amerika rauswarf. Wesentlich weniger Namen führt das insgesamt deutlich bessere NATO-Handbuch über den russischen Information Warfare an, das passenderweise zwischen den Jahren geleakt wurde. Der "russische Grizzly" ist das dritte IT-Großthema von 2016 mit vielen Einzelmeldungen gewesen, obwohl der Angriff dieser Truppe auf den deutschen Bundestag schon 2015 erfolgte. Eigentlich wird ein diplomatischer Rauswurf mit einem Gegenwurf geahndet, doch Putin blies das ab, weil er bekanntermaßen auf Trump setzt. Dafür wird er ausgerechnet von Hackern bewundert, die auf dem Hackerkongress in Hamburg selbst den Bärenerklärer Jessy Campos von der Firma Eset aufboten, der bei der Präsentation seines White Papers durchweg von Sednit sprach. "Der Bär hat viel Geld, er kann gut coden und versteckt auch noch Witze über Lionel Messi im Code, er hat also auch noch Spaß." Die berühmte "Attribution" der Coder zu einer Regierung sieht anders aus.

Der ganze Artikel (https://www.heise.de/newsticker/meldung/Was-war-Was-wird-Wenn-die-dicke-Frau-gesungen-hat-die-Jahreanfangsedition-pessimistisch-und-3583274.html)

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. Inmitten des Lebens von Sümpfen umgeben
Beitrag von: SiLæncer am 08 Januar, 2017, 06:37
Der tiefe Staat reüssiert, und gibt seltsamen Leuten Anlass zu seltsamen Hoffnungen. Dabei ist "Fake News" nur ein anderes Wort für das, was man früher Propaganda nannte. Und davon ließen sich auch schon intelligentere Leute nasführen, graut Hal Faber.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Die dicke Frau hat gesungen und das neue Jahr hat sich schon in der ersten Woche ganz prächtig entwickelt, auch wenn die Musike ausgeblieben ist. Aber da gibt es ja die Archive und wenn 2017 noch nicht liefert, kann der Mann mit dem Rock'n-Roll-Pullover von 1957 aushelfen, gesungen von der schlanken Frau. OK, heute trägt man weniger Pullover, mehr die scharfen Hoodies. Wobei es schwer die Frage ist, wer sich heute noch mit einem Julian Assange identifiziert, der fettes Geld für Leaks seiner Wahl bezahlen will und "Obama admin agents" sucht. Admin-Agenten, die zärtlich ihr vi-Magazin putzen, tauchen vor meinem geistigen Auge auf, während der Admin-Agent ins digitale Archiv des Machtwechsels eindringt und Wikileaks das Löse/Leakgeld auf 30.000 Dollar erhöht.

*** "Die Wahrheit über die Macht entgeht oft nicht deshalb den Volksmassen, weil der Staat sie absichtlich verheimlicht, sondern weil ihnen aus sehr viel komplizierteren Gründen der an die herrschenden Klassen gerichtete Diskurs des Staates nicht zugänglich ist." Dies hat ein gewisser Nicos Poulantzas über den "tiefen Staat" geschrieben, lange bevor sich ein Mitglied des Chaos Computer Clubs mit dem "tiefen Staat" beschäftigte und Snowden einen Haufen Dokumente verbreitete, die die Tiefenstruktur im US-amerikanischen Staatsgebilde verdeutlichten. Nun hofft Trumps neuer Weggefährte Julian Assange, dass der neue Präsident mit dem tiefen Staat aufräumt und nicht von ihm genasführt wird wie die Präsidenten vor ihm. So demonstriert Assange, dass er an die "drain the swamp"-Rhethorik von Trump glaubt, wo dieser drauf und dran ist, seinen höchst eigenen Swamp zu installieren.

*** Derweil hat der Staat in Gestalt seiner wichtigsten Geheimdienste das lang erwartete Attributionsdokument mit dem Befund "der Russe war's" veröffentlicht. Das ganze nur in gekürzter Form gegen über der "vollen Wahrheit", die Obama und Trump jeweils erfahren durften. So fehlen Hinweise auf die Mittelsmänner, die Material an Wikileaks übergaben, dafür ist nachzulesen, dass Russia Today arbeitet wie Radio Free Europe im Kalten Krieg. Was außerdem fehlt, ist eine schlüssige Erklärung für das Verhalten von FBI-Chef James Comey, der mit seinen Zweifeln Hillary Clintons Poistion schwer beschädigte. Auch er ein Russe? Oder ein Agent des tiefen Staates? Abgründe tun sich auf, oder wie es auf Englisch so wunderbar heißt, abysses open themselves:
"Moscow most likely chose WikiLeaks because of its self-proclaimed reputation for authenticity. Disclosures through WikiLeaks did not contain any evident forgeries."

*** Während sich Wikileaks unter Trump (in einem eilig gelöschten Tweet) mit dem offiziell assoziierten WikileaksTeam als neuer Auslands-Dienst "DOX" andient und Schweden mehrere 100 Seiten des aus dem Englischen ins Spanische übersetzten Verhörs mit Assange verschwedelt werden, bleibt eine Frage übrig. Es könnte ja sein, dass der "lupenreine Demokrat" Wladimir Putin (so jedenfalls der Twitterer Gerd Schröder auch im Fall von Edward Snowden so vorging, wie es das US-amerikanische Attributionsdokument beschreibt: stören, lästern und zuschlagen, wenn sich eine Gelegenheit ergibt. Im Falle von Snowden kann man dem Autor Anatoly Kucherna folgen, der das Leben und Lieben von Edward Snowden in seinen Büchern verarbeitet. In "Zeit des Tintenfischs" kommt Snowden in Moskau an – und fährt mit einem Fahrstuhl tief hinab unter dem Hotelkomplex, wo der Geheimdienst seine Räume haben soll. Blühende Phantasie? Kucherna ist nicht nur Autor, sondern auch der russische Anwalt von Snowden.

*** Der tiefe Staat ist aber keine amerikanische Erfindung, wie uns Poulantzas in "Faschismus und Dikattur darlegte. Und "Drain the Swamp" ist auch eine deutsche Forderung: Wer einen Sumpf trockenlegen will, darf nicht die Frösche fragen. Das jedenfalls meint der "Bund deutscher Kriminalbeamter", der volles Verständnis für die in dieser Woche von Bundesinnenminister de Maizière vorgelegten "Leitlinien für einen starken Staat in schwierigen Zeiten" hat. Volles Verständnis, was schreib ich da, es ist übervollst und übervolltester, mit mehr, mehr, mehr-Gequengel wie der kleine Häwelmann fordert BDK-Vorsitzender Schulz nicht nur die Beseitigung des elenden Föderalismus bei Polizei und Verfassungsschutz, sondern zusätzlichen Rückenwind. Mehr rechtliche Befugnisse bei der Telekommunikationsüberwachung, weg mit dem überzogenen Datenschutz, frei Bahn für Deutschlands Kriminalisten. Ganz neu im Katalog der Begehrlichkeiten: Künstliche Intelligenz und Predictive Policing mit maximalst möglichen Daten: "Interessant wird es erst werden, wenn die Polizei die Big-Data-Möglichkeiten ausschöpft und diese Massendaten mit personenbezogene Daten, also hauptsächlich Täterdaten, verknüpft". An die das verhindernden Datenschutz- und anderen Gesetze traut sich keiner heran? Na, dann ändern wir sie mal fix und foxi, denn die Gefährder sind unter uns. Siebenmal wurde in dem mächtigen Staatsmachtapparat, dem Gemeinsamen Terrorabwehrzentrum GTAZ, über Amri diskutiert und nichts passierte. Das schreit nach neuen Gesetzen.
"'Jeder kennt das Gesetz' ist die grundlegende Maxime eines modernen juristischen Systems, in dem außer den Repräsentanten des Staates es keiner kennen kann. Diese von jedem Staatsbürger verlangte Kenntnis ist nicht einmal Gegenstand eines besonderen Schulfachs. /.../ Das moderne Gesetz ist ein Staatsgeheimnis und begründet ein Wissen, das von der Staatsräson in Beschlag genommen wird." (Nicos Poulantzas)

Was wird

Wir schreiben das Jahr 2017 und sehen ein Wahljahr vor uns, in dem "der Russe" sehr aktiv wird und Tote Propaganda-Pferde geritten werden wie sonst nur in Winnetou. Trendforscher erschüttern uns mit der Nachricht, dass der Mensch in diesem Jahr seinen Verstand benutzen muss, ähem, wir für unsere Welt- und Katzenbilder verantwortlich sind. Die Lage ist unübersichtlich, die 20 Vorschläge, wie man in Trumps Amerika überleben kann wenig tröstlich: "Lassen Sie sich und Ihrer Familie Reisepässe ausstellen." Auch deutsche Meisterdenker geben sich wenig tröstlich und beharren auf dem Behalten des Verstandes als subversive Aktion im Zeitalter der Fake-klärung.

Da der Ausgang noch 246 Tage entfernt ist, ist die Nostalgie irgendwie verständlich, mit der die Kulturforscher von heute auf das Jahr 2000 blicken und auf diese Zukunft blicken, dabei den "wichtigen Einblick in die Gedankenwelt und die Diskurse der technischen Hochmoderne" erhaltend, "LGBTQIA*-Emanzipationsbestrebungen" inklusive. Gut, anno 2000 dachte zumindest IBM noch nicht daran, das ehrwürdigen Logo bunt zu machen oder die Unisex-Toiletten der Deutschen Bahn als Befreiung vom Genderzwang zu feiern. Wo ist eigentlich das versprochene Medikament für Depressionen aller Art?

In der anstehenden Woche gibt es weniger Angebote für Retrofuturisten denn für Journalisten, vulgo auch Datenhehler genannt. Denn viele , die noch investigativ arbeiten, müssen mit Dateien bzw. Daten umgehen können, die geleakt sind. Damit stehen sie unter der Fuchtel des neuen Gesetzes § 202d StGB zur Datenhehlerei, ein überaus moderner Ausdruck des runderneuerten Staatsgeheimnisses im Sinne von Poulantzas. Wie lässt sich eine Situation der Rechtsunsicherheit abwenden, die Informanten abschrecken und damit journalistische Recherchen behindern könnte?. Das fragen sich nicht nur die Reporter ohne Grenzen.

Optimistisch, wie diese kleine Wochenschau gestartet ist, geht es 2017 weiter, natürlich mit dem ultimativen Lied zum Lobe des Algorithmus. Einmal in einem Computerprogramm implementiert, findet er den einen von vielen Milliooonen – und die Liebe ist auch noch inkludiert.

Quelle : www.heise.de
Titel: 4W: Über kluge Entscheidungen in weniger klugen Zeiten
Beitrag von: SiLæncer am 15 Januar, 2017, 08:14
Schimpf, tob, wüt, brüll, mecker, schrei. Hal Faber versucht sich zu beruhigen und sucht den Gaston in sich. Gegen das Wahrheitsministeriums-Gefasel von Obrigkeit und Verschwörungstheorie-Gesabber der Wutbürger aber scheint kein Kraut gewachsen.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Keuch, stöhn, ächz, würg, grins, schluck und was der Erikative im Jubiläumsjahr vieler sind. Schneuz und schnief, hier arbeitet einer an neuen Wegen, "um Menschen Informationen zu geben, damit sie kluge Entscheidungen zu den Nachrichten, die sie lesen, treffen können". Was Facebook will, kann ich schon mal machen: meinen Leserinnen und Lesern, Lesebots und Bot-Programmierern Informationen geben, damit sie die kluge Entscheidung treffen, Facebook betreffend, eines der wichtigsten Datenpools für das Predictive Policing der Polizei. So eine ordentliche Social Media-Strategie sollte man schon haben, komplett mit der Lizenz, Fake-Freunde aufzubauen. Da ist Facebook so wichtig wie ein kleiner Fruchtzwerg, ähem und grummel, wie ein kleines Steak, nein, schluck und würg, wie ein neues ZIB, nnnnein auch nicht, kopfkratz starknachdenk, natürlich wie ein halbes ZITIS. Was ist diese neue Hackerbehörde gegen geschickt aufgebautes Fake-Personal auf Facebook, gern auch in größerer Zahl zu mieten?

*** Irgendwann bekommen wir dann doch noch das Wahrheitsministerium, das ja angeblich keiner will, und das man daher derzeit gerne zu Facebook auslagern würde. Die wollen aber auch nicht so recht. Also schiebt man den Hassrede- und Fake-News-Schwarze-Peter hin und her, bis keiner mehr weiß, was Meinungsfreiheit und die Weigerung, den Staat oder Konzerne über Wahr und Falsch entscheiden zu lassen, eigentlich bedeuteten. Aber Mancher hat sich ja selbst schon der Verantwortung entledigt, mal nachzudenken und nicht jeden Mist zu glauben, der durch die Netze geistert. Jeder kann es sich selbst aussuchen, ob er Schwachsinn hinterherdackelt. Wer aber mit der inflationären Ausbreitung von Flat-Earth- und Reptiloiden-Theoretikern konfrontiert wird, hat keine Hoffnung mehr auf selbstverantwortlich zu vernünftigen Entscheidungen kommende Bürger. Da macht ein Wahrheitsministerium den Braten auch nicht mehr fett, äh, die Wahrheit wahrhaftiger.

*** Natürlich sollte man als "Freund und Helfer" nicht einseitig agieren und flexibel andere Angebote zum Preditictive Policing oder Predictive Politikmaking heranziehen, wenn "die Lage" es erfordert. Etwa Vkontakte, jenes pulsierendes Netzwerk rein russischer Bauart, das zuletzt mit der Gesichtserkennung von FindFace mit medialer Aufmerksamkeit belohnt wurde, natürlich mit einem Schuss Pornografie. Auf Vkontakte und seinen eigenen Kontakten konnte ein britischer Russland-Spezialist ohne Bezahlung sein Trump-Dossier sammeln und zusammenstricken, das auf verschlungenen Wegen an seinen Endabnehmer Buttfeed gelangte. Es sorgte in den USA als "Fake-News" für Aufregund und eine denkwürdige Pressekonferenz des "germaphoben" künftigen US-Präsidenten. Nutten und Pippi, das waren jedenfalls keine Informationen, mit denen Menschen kluge Entscheidungen über Nachrichten treffen könnnen, die sie lesen, sehen oder hören. Ganz nebenbei zeigte sich die Fake-Problematik von ihrer besten Seite: Das Dossier war seit Monaten einigen politischen Journalisten bekannt, wurde aber wegen der mangelnden Überprüfbarkeit der "Fakten" ignoriert. Erst die Aktion der Dienste, das Dossier in ihren Briefings von Präsident und Präsident-Elect zu erwähnen, änderte die Einschätzung.

*** In diesem unserem Land sorgten die Leit­li­ni­en für ei­nen star­ken Staat in schwie­ri­gen Zei­ten für Diskussionen. Soll der Verfassungsschutz besser aufgelöst werden oder eine Zentralbehörde wie das BKA werden? Ein ehemaliger Verfassungsschützler hält das für eine Schnappsidee, wie er der tageszeitung sagte. Mit den ebenfalls vorgeschlagenen Fußfesseln für Gefährder ist selbst die alternative Presse einverstanden, weil sich Bewegungsspuren verdichten lassen. Derzeit werden in Deutschland 88 Personen überwacht, hauptsächlich Sexual- und Straftäter. Kommen 200 bis 300 Gefährder hinzu, dann brauchen wir, hurra, eine neue Behörde, denn das rund um die Uhre arbeitende Zentrum in Bad Vilbel ist auf maximal 100 Fesseln ausgerichtet. Ersetzt man dabei die in Deutschland eingeführte Standardfessel aus Israel durch das komfortable Zwei-Wege-System, könnten jederzeit Warn-Nachrichten an den Gefährder geschickt werden, etwa "Lass das gefällig sein!". Die übliche Gefährderansprache durch Beamtenbesuch, die zur zusätzlichen Radikalisierung führen kann, könnte entfallen.

*** Schnief, heul, schluchz: Auf einer re:publica schloss ihn die "Netzgemeinde" im Jahre 2015 in ihr großes Herz, nun ist er tot. Zygmunt Bauman beschäftigte sich mit vielen Formen der liquiden Überwachung, nicht nur mit Fußfesseln und Videokamera-Installationen. Er war im Internet unterwegs und warnte davor, sich auf diesem Schlachtfeld in den "Online-Schutzraum" der großen Vereinfachung zu begeben und als moralisch blinde und taube Internauten zu agieren. In seiner letzten Veröffentlichung beschäftigte sich Bauman mit den Flüchtlingen, den "Strangers at our Door" (deutsch: "Die Angst vor den anderen"). In diesem Essay arbeitete er den Zusammenhang zwischen Migration und Panikmache und erklärte das, was in England gerade "Migrationskrise" genannt wird. "Diese Krise ist im Augenblick eine Art politisch korrekter Deckname für den ewigen Kampf der Meinungsmacher um die Eroberung und Kontrolle des Denkens und Fühlens der Menschen. Die Berichterstatung von diesem Schlachtfeld löst derzeit fast schon so etwas wie eine 'moralische Panik' aus." Dabei ist das offene Gespräch mit den Ankommenden unerlässlich, mahnte Bauman wider und wieder an, weil alle Gesellschaftsformen sich auf die bevorstehende Kosmopolitisierung im großen Stil vorbereiten müssten, von der die "Migrationskrise" nur ein schwaches Vorspiel sei. Schnief, tempogreif.

Was wird.

Wenn diese kleine Wochenschau online gegangen ist, hat der Auftrieb der Entscheiderherden nach Davos zum Weltwirtschaftsforum längst begonnen. Dort wollen sich die Macher über ihr Steckenpferd die vierte industrielle Revolution beraten und sich einfach etwas besser fühlen, ganz ohne Trump, Putin und Merkel. Denn die Hominii Davosiensi sind verunsichert und verzagt wie nie und fragen sich gar, ob sie und ihre ständige Forderungen nach Disruption und grenzenlosem Kapitalismus am Ende gar verantwortlich sind für den populistischen Backlash. Ja, Davos macht sich Sorgen, heißt es dann in der Schwammsprache des Journalismus, wo doch das abgesperrte Bergkaff der allerletzte Ort sein dürfte, der "sich Sorgen" macht, wenn der dritte Kolonialismus seine Zukunft verhandelt. Die beste Zusammenfassung ebenda, in der Le Monde Diplo: "Eine Clique von global vernetzten Supperreichen betreibt die systematische Ausbeutung der übrigen Welt, von nun an tut sie es unter direkter Beteiligung des mächtigsten Politikers der Welt."

Für Davos Warmlaufen, das ist auch so eine Disziplin, die nach einem hübschen Erikativ sucht. In den angesagten Feuilletons wird dabei schwer geklotzt, poch, schepper über "Mensch, Moral und Maschine" in Frankfurt und wetz, keuch mit dem Aufruf "Raus aus der Steinzeit" in München. Da fordert man ein "Neuland-Update" für Deutschland als wäre die BRD ein Stoffel-System wie eines von Microsoft: "In einem Betriebssytem auf dem Computer lassen sich bestimmte Programme bekanntlich nur installieren, wenn dieses auf dem neuesten Stand ist. Gleiches gilt für die Digitalisierung in diesem Land." Insgesamt sollen bescheidene vier Updates und ein "Chief Digital Officer" im Rang eines Bundesministers dafür nötig sein. Das ist doch mal eine Ansage, oder? Damit das in Deutschland reibungslos klappt, sollten fähige Staatssekretäre für PPP-Projekte (Buzzwords & Hypes) und Strategie (Disruptionsgefasel) mit superschnellen 3D-Druckern für fesches Irgendwas den CDO bei seinen Updates unterstützen. Ist Whammer, Jammer ein Erikativ?

Achja, Deutschland: Wie üblich gibt es vor Davos dabei im Tiefland zu München die DLD-Konferenz aus dem Hause Hubert Burda Media, diesmal mit dem Motto "What's Up?", als "Was'n los hier?" übersetzbar. What's Up, Marissa, könnte man fragen, doch Marissa Mayer ist nicht mehr der Superstar von Google, den die DLD feierte, sondern auf Job-Suche. Höhepunkt in München soll ein "Fireside Chat" mit Microsoft-Chef Satya Nadella über die ansprechbare und verantwortungsbewusste Nutzung der künstlichen Intelligenz sein, und das um 9 Uhr in der Frühe. Danach werden ethisch programmierte Roboter von der Firma Hanson demonstriert, die sich nicht so garstig aufführen wie mein Namensvetter HAL 9000. "Was denn?" – man sollte halt auch von Disruptionsgefasel und Buzzword-Bingo nicht aus der Ruhe bringen lassen. Ich gehe jetzt den Gaston in mir suchen. Etwas mehr von ihm täte allen gut.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. Von Amtswechseln und schöpferischen Zerstörungen.
Beitrag von: SiLæncer am 22 Januar, 2017, 06:10
Man kann schon mehr als moralische Panik bekommen, bedauert Hal Faber die US-Amerikaner. Jammern aber hilft nicht. So mancher traditionell amerikanische Amerkianer kann unsere Unterstützung nun gut gebrauchen. Und vice versa.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Ripped, rusted and trapped: Das wütende Amerika ist da, Präsident Trump verbreitet Angst und Schrecken. In seiner Antrittsrede präsentierte er ein engherziges Amerika am Rande einer "moral panic". Er sprach noch beim Gala-Essen nach der zivilreligiösen Vereidigung von einem "casting", als wäre das Regieren eine einzige Show, mit einem Showdown am Ende der Sendung. Aus dem President-Elect ist der "Art of the Deal"-President geworden, der in den Büros des Weißen Hauses seine Deals durchziehen wird, wie das "im Internet" bereits geschehen ist. "Climate change" ist ein Begriff geworden, der ins Leere führt, weil die entsprechende Informationsseite der Regierung Obama schnurstracks in die Archive verschoben wurde. Mit globaler Verantwortung will Präsident Trump nichts zu tun haben, das macht ein Amerika nicht groß, in dem es nur noch zwei Regeln gibt: Buy American and Hire American. Die Wirtschaft bewundert die schöpferische Zerstörung, die der Kapitalismus so mit sich bringt.

*** Während Trump redete, besuchte Angela Merkel zusammen mit Bill Gates das Museum von SAP-Gründer Hasso Plattner, eine schöne Geste. Später spielte der unverwüstliche John Fogerty Songs von Creedence Clearwater Revival, begleitet von Plattner-Riffs, ein echter "Swamp" mit der trotzigen Ansage: Amerika ist anders. Sehr künstlerisch übrigens auch die Entscheidung von SAP, dieses Internet der Dinge nach dem Leonardo aus Vinci zu benennen.

*** Ja, die deutsche Stimmung ist jetzt ganz anders als damals bei Obamas Amtsantritt, während sie – das sollte man nicht vergessen – schon zu Beginn der zweiten Präsidentschaft Obamas bereits erheblich abgekühlt war. Man erinnere sich bloß an das erste Gesetz der zweiten Periode anno 2013, die von Obama verkündete Gummi-Lizenz zum Töten mit Drohnen. Ohne mit der Wimper zu zucken, begehe ich jetzt einfach mal Wortbruch und breche mir ein Stückchen raus aus meiner Kolumne zu Obamas Amtsantritt. Ich schrieb 2009: "Was kann mit der Amtsübernahme besser gefeiert werden als die Revolution im Journalismus, die heute vor 48 Jahren zur ersten modernen Presse-Konferenz mit frei gestellten Fragen führte. Ehe John F. Kennedy dieses Wagnis einging, mussten alle Fragen vorab schriftlich gestellt werden, wie dies heute noch bei einigen Firmen in der IT-Branche gepflegt wird. Kennedy schaffte das höfische Zeremoniell ab – allerdings sprach er die Fragen später mit befreundeten Reportern ab und ließ sich mit witzigen Antworten von professionellen Gagschreibern beliefern."

*** Bekanntlich hält Donald Trump nicht viel von Pressekonferenzen und twittert lieber, weil er weiß, dass die Presse seine Tweets ohnehin beachten und kommentieren muss. Außerdem gibt es keine störenden Nachfragen. Aus diesem Grunde ist diese Erklärung der US-Journalisten, die im White House akkreditiert sind, eine Sternstunde unserer Zunft. Leider hat sie nicht den größten Stellenwert: Man erinnere sich an die letzte Pressekonferenz von Trump vor seiner Vereidigung, als ein CNN-Journalist übergangen wurde. Die eiserne Journalisten-Regel, dass die Frage eines übergangenen Journalisten vom nächsten Fragesteller wiederholt werden muss, wurde da prompt gebrochen.

*** Doch was soll das Jammern über die USA, wenn es Deutschland gibt, mit einem Journalismus im noch jammerhafteren Zustand? Wo es Kollegen gibt, die nicht einmal wissen, wie Urteilsbegründungen vor Gericht eingeleitet werden und schnellstmöglich twittern, dass die NPD verboten ist. Wo andere Kollegen eine Reporterfabrik gründen und damit web-basiertes Training für angehende Blogger meinen. Passend dazu eröffnet dann auch noch der Geschäftspartner Facebook ein digitales Lernzentrum, aus dem dann all die fabrizierten Reporter stolpern. Zur weiteren Rolle der Fabrikbesitzer kann man diesen Kommentar oder diesen Hintergrundbericht lesen.

*** Die NPD ist nicht verboten, die AfD auch nicht. Das kleinste gemeinsam Vielfache, die europäische ENF-Fraktion, zeigt unterdessen, was sie von Journalisten hält: gar nichts. "Go away!, Go away!" skandierten die Trump-Anhänger zur Einführung des Präsidenten in den USA, "Ausmisten! Ausmisten!" skandierten die Zuhörer von Björn Höcke, als dieser über das "Denkmal der Schande" sprach und davon, dass die Bundesregierung zu einem Regime mutiert sei. Die bösartigen Assoziationsketten von Höcke erinnern an das Denkmal der Schande, einen Artikel, den der Journalist Giselher Wirsing 1967 unter dem Pseudonym Albrecht Lauffer schrieb. Besagtes Denkmal war Das Haus der Wannsee-Konferenz, wo vor 75 Jahren die "Endlösung der Judenfrage" besprochen wurde. Über Pläne, hier eine Gedenkstätte einzurichten, regte sich das braune Deutschland auf. "Rachedenkmal statt Kinderheim", schrieb die Deutsche Wochen-Zeitung, und die Deutsche National- und Soldatenzeitung jammerte über das 1967 als Kinderheim genutzte Gebäude: "Sollen Berliner Kinder für NS-Verbrecher büßen?". Auf diesen inneren Faschismus bezog sich der Geschichtslehrer Björn Höcke, nicht auf den vergreisten Rudolf Augstein von 1998. Wenn junge Journalisten solche Zusammenhänge nicht mehr kennen und sich auf Google-Ergebnisse verlassen müssen, hat einer wie Höcke leichtes Spiel.

Was wird.

Chelsea Manning wird am 17. Mai 2017 entlassen, nachdem US-Präsident Obama das harte Urteil gegen die Whistleblowerin zwar akzeptierte, aber das Strafmaß reduzierte. Zu wünschen ist, dass die Ex-Soldatin ihren Frieden finden kann, unbeirrt von dem Getue, das jetzt um Julian Assange inszeniert wird. Ob er in die USA gehen kann, liegt nicht in seinen Händen, da sowohl Großbritannien (Bruch der Bewährungsauflagen) wie Schweden (Vergewaltigung im minderschweren Fall) sich bisher nicht äußerten. Noch absurder wird es im Fall Snowden, wo ebenfalls ein Pardon gefordert wird, ganz ohne Anklage und Verurteilung. Nur zur Erinnerung: Michael Flynn, der Chefaufklärer der "Snowden-Leaks" bei der Defense Intelligence Agency, ist jetzt der Nationale Sicherheitsberater von Präsident Trump. Von Flynn stammt die Zahl von 1,7 Millionen DIA-Dokumenten, die Snowden "berührt" haben soll. Über 900.000 Dokumente aus dem Verteidigungsbereich soll Snowden dabei kopiert haben, so die letzten Zahlen von Cryptomes Tally. Seit wenigen Tagen ist ein Buch von Edward Epstein im Handel, das Edward Snowden in jeder Hinsicht demontieren will. Für Epstein ist Snowden entweder ein großer Angeber – oder aber ein Meisterspion, bei dem der Aspekt des Whistleblowing die eigentliche Tat, die Spionage im großen Stil für Russland, mit Hilfe allerlei Legenden geschickt übertüncht wird. Beweisen kann er nichts, denn genau wie der Rest der Welt hat auch Epstein keine festen Angaben, wieviele Dokumente Snowden wirklich in seinen Besitz gebracht hat. Geht es im aktuellen Tempo weiter, werden wir in 42 Jahren mehr wissen.

In dieser Woche ist die offizielle Chronologie des Behördenhandelns um die Person Anis Amri veröffentlicht worden. Niemand hat ja jemanden irgendetwas vorzuwerfen bei dieser organisierten Unverantortlichkeit. Deshalb richtet sich der Unmut auf das gemeinsame Terror-Abwehrzentum in Berlin, wo die Gefährder an die Wand projiziert werden und jeder seinen Senf abgibt. Solchermaßen abgewatscht, wollen die Terrorspezialisten in die Offensive gehen und eine Software namens Radar vorstellen, die erste für das "Predictive Terroristfinding" auf der Basis von Dyrias. Die Software basiert auf den eingespeicherten Vorgehensweisen von 30 Attentätern, 30 Gefährden und 30 Unterstützern. Bei der Eingabe der Daten von Anis Amri in eine frühe Beta-Version ordnete sie den Breitscheidplatz-Attentäter als "hochgefährlich" ein: Deutschland wird im Juli 2017 wieder sicher sein. Dann soll die Wunder-Software fertig sein, mit allen bekannten Gefährder-Daten gefüttert. Wo sind sie? Wohin gehen sie? Mit wem chatten sie im Internet? Das sind die drei zentralen WWW.

Wir hören uns derweil The Life of Pablo an. Nicht weil Kanye West so ein großer Spinner ist. Oder weil er sich in seiner Egomanie mit Trump vergleichen kann. Nein, einfach, weil es geniale Musik ist von einem Amerikaner, der wohl traditionell amerikanischer ist als Trump je sein wird. Was Trump in seinem Rassismus niemals begreifen wird.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. Am Anfang war das Chaos, am Ende auch.
Beitrag von: SiLæncer am 29 Januar, 2017, 06:35
Wer schützt unsere guten deutschen Daten, die wir im Schweiße unseres Angesichts mit wahrheitsministerlicher Genehmigung aus deutschem Gemüt gehauen haben? Ach, es ist alles ein Unsinn, barmt Hal Faber, der nicht mehr weiß, wohin auswandern.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Die vornehmste Aufgabe des Menschen ist es, für Entropie zu sorgen. Wir haben die Pflicht zur Unordnung, ach was schreibe ich in diesen trumpatischen Zeiten: Unser innerstes Dekret ist das Chaos. Nur so schlagen wir der künstlichen Intelligenz und ihrem doofen "deep learning" ein Schnippchen. Das hat dieser Tage Oswald Wiener auf einem Kongress in Köln zum Besten gegeben. Dafür wurde er im Feuilleton als Vater des Cyberspaces gefeiert, nicht etwa als Fürsprecher des Menschen. Ob der Austrokanadier das mitbekommen hat? Egal, denn wenn die Künstliche Intelligenz den Durchbruch geschafft hat, ist da immer noch der Mensch, der für Unordnung sorgt. Nichts anderes zeigt das Wimmelbild zur Rise of AI, mit einer Art Grenzzaun zwischen Menschlein und den im Sonnenaufgang strahlenden Türmen neuester Wohnmaschinen. Mit der Eintags-Konferenz soll Deutschland übrigens Europas KI-Standort Nummer Eins werden.

*** In dieser Woche konnte man beobachten, wie kreativ sich die deutsche Politik dem Problem der "alternativen Fakten" angenähert hat, ganz im Sinne der US-amerikanischen Entwicklung. Da haben wir einen Wirtschaftsminister, der mehr Zeit mit seiner Familie verbringen möchte. Das ist ein durchaus verständlicher Wunsch, denken wir nur an den Politiker Gustav Heinemann, der seine Frau liebte, nicht den Staat, fertig. Nun aber ist dieser unser Wirtschaftsminister ein alter Bekannter, der "Siggi Pop" Gabriel. Der will, um mehr Zeit mit seiner Familie verbringen zu können, in der Ära Trump mal eben den Außenminister machen. Das ist der Job, den einst der Flying Genschman prägte. Immerhin: Zum Schnelleinstieg braucht Gabriel nicht groß das Land verlassen. Die Münchener Sicherheitskonferenz steht vor der Tür, da kann sich Gabriel mit Bono und Bill Gates treffen. Oder mit dem Brexiter Boris Johnson, der sich in Syrien von der UN durchgeführte Wahlen mit dem Kandidaten Baschar al-Assad vorstellen kann.

*** Vielleicht kommt auch der neue US-amerikanische Kollege Tillerson zu Gabriel, wenn seine Ernennung vom Senat bestätigt wird. Gebraucht wird er nicht, denn Präsident Trump macht die Außenpolitik. Ein Mäuerchen hier, ein Einreiseverbot für Bürger aller muslimischen Staaten, in denen kein Trump-Hotel oder -Golfplatz existiert und ein Händchen für Teresa May. So muss Google den Rücksturz zum Googleplex für seine Grünkartler anordnen, während Microsoft Trump listig nach wie vor für einen "Actor" hält. Zudem warnte man die Shareholder vor Gewinneinbrüchen. Bis jetzt schweigt Außenminister Gabriel zur Reinkarnation des Reichsbürgergesetztes, verkündet am Tag des Holcaust-Gedenkens. Statt klarer Worte zeigt sich Deutschland nur "besorgt" über die Entwicklung.

*** Jedenfalls begibt es sich zu dieser Umbruchszeit, dass ab sofort nach einer einfachen unverschlüsselten SMS-Anfrage die Smart Data-Spezialistin Brigitte Zypries im Digitalwirtschaftsressort ihren Auftritt hat, von manchen gar als erste Internetministerin begrüßt. Historisch kommt ihr Einsatz zu einer Zeit, in der ZITIS aufgebaut wird. Die Zentralstelle für die neue Quellen-Anbagger-Telekommunikationsüberwachung-Software-mit-Cloud-Haltung (QUATSCH) kommt zwar nach München und nicht nach Köln, wie es einst von Justizministerin Zypries und ihrem Partner Wolfgang Schäuble angedacht war, doch was soll' s. QUATSCH kommt jedenfalls und macht alle Fragen von 2007 überflüssig, was nochmal ein Browser ist oder wie man SMS-Nachrichten verschlüsselt.

*** Alternative Fakten können manchmal ganz schön kompliziert sein, wie auf Twitter eingetippte Passwörter zeigen. Dann ist es besser, wenn man sich direkt an die Presse wendet und erklärt, sie solle gefälligst die Klappe halten und den Alternativfaktlern besser zuhören. Die Reaktionen sind klassisch, von #AltGov über #Alt-FAA bis zu AltUSNatParkService. Was noch fehlt, ist Alt-GS3, denn Trump twittert offenbar immer noch mit seinem ungesicherten Galaxy S3. Das Wettrennen der Geheimdienste um diesen nöligen Gral hat noch keinen erklärten Sieger. Alternativ könnte es natürlich der Fall, äh, Fakt sein, dass das Handy längst gehackt ist, aber es keinen Grund gibt, Trump zu stoppen. In Ermangelung eines echten amerikanischen Handys will Donald Trump natürlich nicht zu einem kanadischen Blackberry greifen wie weiland Obama. Buy American? Noch baut Apple keines in den USA und das, was früher einmal Motorola war, fertigte schon immer in Malaysia. Was die Cisco-Apparate im Weißen Haus anbelangt, wird man sehen müssen, ob Cisco wirklich 6 Milliarden in Mexiko investiert oder irgendetwas in Alt-USA so adrett drapiert, dass die neue Weißhausphotographin das très chic ablichten kann, wie vormals Pete Souza.

*** Ich bin nicht trumpoman, aber das Dekret zur Verbesserung der öffentlichen Sicherheit verdient nähere Betrachtung, etwa durch den Datenschützer Peter Schaar. Gut möglich, dass mit der Klausel die Privatsphäre aller Menschen außerhalb der USA für null und nichtig erklärt, der mühsam gefundene Kompromiss namens "Privacy Shield" arg zerbeult ist. In jedem Fall gewinnt die Sache mit der deutschen Datenhaltung auf natürlichem deutschen Boden bei T-Systems in Biere an Fahrt, auch wenn es ein bisschen teurer ist, wie bei den pipifeinen Freilandhühnern. Außerdem werden da unsere guten deutschen Daten "auf Schadcodes abgeklopft".

Was wird.

Nein, ich habe den neuen sozialdemokratischen Kanzlerkandidaten Martin Schulz nicht vergessen. Die von ihm proklamierte "neue Gerechtigkeit" gebietet es, ihn in die Zukunftsrubrik zu nehmen, denn er hat noch etwas vor. Schulz ist halt das Kandidatenhuhn, das laut Süddeutscher Zeitung mit den beiden Flügeln der SPD fliegen will, aber es nur zum Hühnerdapper bringen wird. Hühnerdapper, alle Achtung! An dieser Stelle nur der Einwurf aus der norddeutschen Tiefebene, dass Hühnerdapper bei uns das Fuß-an-Fuß-Setzen bei einem Spiel ist, um zu bestimmen, welche Mannschaft anfängt. Martin Schulz macht also Hühnerdapper mit Merkel und wenn er gewinnt, wird er Außenminister. In dieser kleinen Wochenschau habe ich mich über die von Schulz mitgetragene Charta der digitalen Grundrechte aufgeregt. Deshalb sei darauf hingewiesen, dass die öffentliche Kommentierung der Charta in zwei Tagen geschlossen wird. Über 400 Kommentare sollen eingegangen sein. Nun wollen die Initiatoren um Schulz beraten und eine erweiterte oder modifizierte Version veröffentlichen. Man darf gespannt sein, was aus der törichten Formulierung wird, dass staatliche Stellen und Informationsprovider zur Verhinderung von digitaler Hetze und Mobbing verpflichtet werden sollen. Werden unsere Worte abgeklopft, unsere Bilder seziert? Kommt das Wahrheitsministerium? Angeblich ist Orwells "1984" Spitzenreiter bei Amazon, aber das kann auch das Spässeken einer KI sein, die die Fettlogik der lesenden Entropiker bekämpft.

*** Hoppla, schon wieder schweift der Blick in die USA. Ganz abseits aller Trampeleien hat Twitter zwei "National Security Letter" veröffentlicht, im Vorfeld eines Gerichtsverfahrens, das am Valentinstag fortgesetzt werden soll. Im Kern geht es darum, dass das FBI von Twitter alle Daten zu den Tweets von Edward Snowden haben will, der von Russland aus das Geschehen in den USA kommentiert, bei Twitter aber Stillschweigen anordnete. Damit zurück nach Deutschland: Wie bereits im Jahr 2015 wird Edward Snowden wieder per Video auf der CeBIT sprechen. Dafür Einreisen kann er nicht. Schuld daran ist diese gelebte deutsche Erinnerungskultur.

Quelle : www.heise.de
Titel: 4W: Von runden Dingen, Atombomben und diesem Cyber-Dingens
Beitrag von: SiLæncer am 05 Februar, 2017, 06:20
Am Baggersee Enten füttern ist wahrlich besser als sich für das, ähem, schlechte Benehmen in den Tropen entschuldigen zu müssen. Hal Faber aber lenkt den Blick lieber auf einen (noch) funktionierenden Rechtsstaat.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Natürlich muss diese kleine Wochenschau mit der wichtigsten Nachricht der vergangenen Woche beginnen; Deutschland hat eine neue Münze, hach, mit einem roten Polymer-Ring drinnen, denn das ist das Symbol für die tropische Zone. Irgendwo im Süden, wo sich Menschen aufmachen, den miserablen Lebensbedingungen zu entkommen, die dem Drama in den "Klimazonen der Erde" – so der Münzrand – entkommen wollen. Nicht nur die Münzpräger, auch die Texter geben ihr Bestes: "Der rote Ring definiert den Übergang in eine luftige Freifläche, die die Münze ‚glanzvoll‘ zur Geltung kommen lässt. Die Typografie balanciert dabei bewusst außerhalb der Mitte und erzeugt eine zusätzliche Dynamik." So eine Dynamik ist immer gut, denn Deutschland kam immer gut in den Tropen zurecht, 'Tschuldigense mal. Und so eine Münze ist doch ein nettes Symbol inmitten der Migrationskrise, deren Anfang wir gerade mit dem "Flüchtlingsstrom" erleben, einem Rinnsal im Vergleich mit dem Aufbruch aus Afrika. Vier weitere glanzvolle Münzen werden noch geprägt, weil die Erde fünf Klimazonen hat, noch. Wie beschrieb es Kwame Anthony Appiah in seinem Buch "Kosmopolit": Die Übervölkerung der Welt wird noch weiter zunehmen. Innerhalb des nächsten halben Jahrhunderts wird unsere fruchtbare Spezies auf neun Milliarden Seelen anwachsen. Gespräche, die über Grenzen hinweg geführt werden, können ein Genuss oder eine Qual sein – je nach den Umständen. Aber eines sind sie meistens ganz gewiss: unvermeidlich".

*** Die Nachrichten vom Anti-Kosmopoliten sind eine Qual, heißt es im "Brief zur Lage" "und es tut körperlich weh, die Erkenntnisse dieser ersten Tage hinzuschreiben: Der Präsident der USA ist ein pathologischer Lügner." Die Zeiten werden härter, nicht nur für die Züchter und Freunde der Hommingberger Gepardenforelle. Die Nachrichten der letzten Woche erschüttern uns, das Gedenken an das Massaker von Bowling Green ist noch frisch in Erinnerung. Nach der aufwühlenden Rede von US-Präsident Trump zum National Prayer Breakfast betet ganz Amerika, dass Arnold Schwarzenegger bessere Einschaltquoten bekommt. Was gibt es schon Wichtigeres als eine gute Show oder ein ein guter Super Bowl? OK, manchmal sind unabhängige Gerichte mit "sogenannten Richtern" eine feine Sache – und Staatsanwälte, die ihre Arbeit machen. Der Streit über den Bann wird sicher vor dem Supreme Court landen und damit in einer kommenden Wochenschau.

*** In letzter Minute hat Donald Trump inmitten seiner Serie von Dekreten ein bereits angekündigtes Dekret zur Cybersicherheit zurückgezogen, dank dem das Amt für Verwaltung und Haushaltswesen als oberste Cyberbehörde den Kampf um die Sicherheit "unserer wertvollen und heiligen Netze" führen sollte. Die zentrale Website mit allen Cyber-Direktiven ist derzeit noch gähnend leer und unklar ist, ob der noch von Präsident Obama berufene oberste Cyberkämpfer Brigadegeneral Greg Touhill weiterhin im Amt ist oder durch einen Trumpisten abgelöst wurde. Die Sache ist deshalb interessant, weil auf der Seite von Trump der "Einbruch russischer Hacker" in US-Regierungssystemen heruntergespielt worden ist. Echte Verschwörungstheoretiker würden hier noch das Telefonat zwischen Putin und Trump hinzurechnen, von dem es auf US-Seite keine Aufzeichnungen gibt, doch soweit muss man nicht gehen.

*** Derweil arbeiten die fiesen russischen Hacker weiter, im NATO-Land Norwegen, wo im vergangenen Herbst ein Batallion US-Marines abgesetzt wurde. Und der engste Verbündete der USA im britischen GCHQ spricht davon, dass all das aufgeregte Reden von Cyber, Cyber nur ein Marketing-Trick der IT-Firmen ist, die Cyberkrams verkaufen. Während die Frage noch unbeantwortet ist, ob Donald Trump der IT-Branche schadet, ist es schon lustig, wenn in Australien ein weiteres missglücktes Telefonat von Präsident zu Präsident als Chance gesehen wird, qualifizierte IT-Fachkräfte nach Australien zu holen. Schließlich sind die Zeiten von Crocodile Dundee längst vorbei, abgelöst durch Gel-Roboter, die auch ein Krokodil schnappen können.

*** In Deutschland ist unterdessen ein neues BKA-Gesetz vorgestellt worden, das die IT-Branche entfesseln soll. Neben der Einführung der elektronischen Fußfessel will Bundesinnenminister de Maizière eine komplett neue IT-Infrastuktur für alle deutschen Polizeien aufbauen lassen, mit dem hübschen Argument, dass die IT-Architektur der Polizei "im Grunde aus der Zeit von Horst Herold" stammen würde. Statt dem unter Herold angeschafften Zentralrechner Siemens 4o04 soll ein "phänomenübergreifendes IT-System" angeschafft werden, in dem Informationen leichter fließen. Außerdem werde mit dem bundesweit einheitlichen IT-System ein "modernes Zugriffsmanagement" kommen, das durch Zweckbindung der Daten den höchstmöglichen Datenschutz gewährleisten werde.

*** Das mit der vom Innenministerium ausdrücklich erwähnten hypothetischen Datenneuerhebung gerade diese Zweckbindung der Daten durch ein fluides Modell abgelöst wird, macht die Sache spannend. Denn die Zweckänderung kennt mach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes Grenzen, gerade beim Superstar der Polizei-IT, der Online-Durchsuchung: "Wegen des besonderen Eingriffsgewichts von Wohnraumüberwachungen und Online-Durchsuchungen darf demgegenüber eine Zweckänderung von Daten aus solchen Maßnahmen nur erlaubt werden, wenn auch die für die Datenerhebung maßgeblichen Anforderungen an die Gefahrenlage erfüllt sind." Damit sind wir praktisch schon in der Rubrik "Was wird" angekommen, denn zu den aparten Nachrichten dieser Woche gehörte die Mitteilung, dass ZITIS, die Zentralstelle für die Online-Durchsuchungssoftware und die Kryptoknackerei, an einen besonderen Ort in München kommt. Wegen der "Bündelung von Ressourcen und Energien" und dadurch zu erzielenden Synergie-Effekten wird sie direkt bei der Universität der Bundeswehr angesiedelt. Ist bekanntlich alles ein großer Cyberkampf, da ist es gut, wenn Polizei und Militär gemeinsam marschieren. Cyberhelm ab zum Gebet – oder Trojaner, Feuer frei!

*** Da bleibt ja nur noch das Lied vom Baggersee. "Atombombe auf Deutschland, dann ist Ruhe im Karton": "Ich sehe das ja eigentlich schon seit Jahren vor mir: Diese Wasserrutschen und die sinnlos installierten bunten Ballons, die überall sind und ein fröhliches Ambiente schaffen. Ich sehe schon ganz visuell die Freude vor mir, die an diesem Baggersee entsteht." Statt Tauben vergiften im Park lieber Enten füttern am Baggersee. Und Tretboot fahren, jawoll! Oder doch die weniger radikale Variante und nach Australien auswandern? Man träfe dort bald auf liebe Kollegen, die hoffentlich auch Down Under weiter Interviews führen und Wissenswertes zum Besten geben. Hustenbonbons zum Puscheln gibt's da auch.

Was wird.

Wie immer nach dem Zug der Jecken und sonstigen Karnevalisten beginnt im der Reigen der Sicherheitskongresse, ob sie nun Münchener Sicherheitskonferenz, Europäischer Polizeikongress oder Grüner Polizeikongress heißen. Dabei kommt "Precrime" groß in Mode. Was zunächst als Werkzeug gegen den serienmäßigen Wohnungseinbruch angedacht war, wird dabei laut diesem Programm inzwischen als "Predictive Analytics" Werkzeug für alle Blaulichtorganisationen "Polizei, Verkehr, Feuerwehr, BOS" gehandelt. Zusammen mit der Ausweitung des europäischen Passagierdaten-Abkommens auf Bus und Bahnreisen, der Gesichtserkennung bei der immer besser werdenden Videoüberwachung können wir uns dann beruhigt und erleichtert zurücklehnen und seufzen, Ach, Europa, und diese deine verwegene Sehnsucht nach einer bipolaren Gemeinsamkeit mit der USA. Oder sollen wir, bestens aufgezeichnet, analysiert und datenumschlungen lieber grinsen? Ach Europa, du bist ja so grenzenlos gemein. Und damit ein aufmunternder Gruß aus Italien.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. Timeo Danaos et dona ferentes
Beitrag von: SiLæncer am 12 Februar, 2017, 06:06
Danaergeschenke gab es viele seit Troja. Wir müssen uns Odysseus als glücklichen Menschen vorstellen? Geheimdienstler heutiger Tage platzen mit ihren Menschengeschenken, Regierungstrojanern und Antiverschlüsselungen vor Glück, befürchtet Hal Faber.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

** Seit Shakespeare und AC/DC wissen wir, dass der Weg zur Hölle mit guten Vorsätzen gepflastert ist. Eines dieser Pflastersteinchen ist der Vorsatz, mal wieder eine Wochenschau ohne König Donald Trump zu schreiben: Vorbei, vernichtet und vergessen. Während Trump mit dem japanischen Premierminister zum Golfspielen und kreativen Basteln am Handicap und einem neuen Einreiseverbot nach Florida geflogen ist, schwirren Gerüchte auf niedrigerer Flugbahn durch die Luft. Wir haben es mit einem ganz besonderen Wochenend-Deal zu tun: Edward Snowden soll demnach von Russland als "Geschenk" zu Trump geschickt werden, womöglich hübsch behängt mit Handschellen, da eine Anklage droht. Die seltsame Meldung bestätigt nach Meinung von Snowden, dass er kein russischer Spion ist, weil jedes Land seine eigenen Spione konsequent schützen würde. Irrefutable Evidence?

*** Eine rührend einfache Lesart, die nicht berücksichtigt, dass Putins Russland wie die frühere Sowjetunion keine Skrupel mit "Geschenken" dieser Art haben. Nur zur Erinnerung: Vor 80 Jahren begannen in Moskau die stalinistischen Schauprozesse, in denen der deutsche Kommunist Heinz Neumann zum Tode verurteilt und hingerichtet wurden. Seine Frau Margarete Buber-Neumann war mit vielen anderen Kommunisten ein hübsches "Geschenk" an Deutschland für den Hitler-Stalin-Pakt. Und aus der Zeit des "Kalten Krieges" könnte man sich an den Fall Otto John erinnern, der mit Hilfe eines Journalisten aus der DDR fliehen durfte.

*** Interessant ist jedenfalls die Lesart, dass die russischen Dienste die Truppe um Trump versöhnlich stimmen möchte, weil US-Dienste aus abgehörten Gesprächen unter Russen inzwischen Details des Trump-Dossiers bestätigen können, die ein britischer Agent zusammenstellte. Dieses Dossier über das Trump-Kompromat war bereits Thema in einer Wochenschau. Wenn US-amerikanische Überwachungssysteme Telefonate derart genau zuordnen können, dürften die Hakeleien zwischen Regierung und Nachrichtendiensten zunehmen. Ob Snowden, dessen Russland-Visum bis 2019 verlängert wurde, tatsächlich auf der CeBIT Global Conference am 21. März sprechen kann, steht in den Sternen. Immerhin hat die Messeleitung mit #ESatCGC17 einen Hashtag veröffentlicht, unter dem ihm ab sofort Fragen gestellt werden können.

*** In dieser Woche zum Schutze des jungen Lebens konnte man lernen, dass das Mobbing im Internet bei den deutschen Fachleuten analog zum ungemein beliebten Begriff der Industrie 4.0 mittlerweile als Ausgrenzung 4.0 geführt wird, ohne dass ein einziges Stücklein vom Internet der Dinge beteiligt ist. Warten wir jetzt auf die Polizei 4.0, die bei einer mit dem Mobbing einhergehenden Straftat in Erscheinung tritt? Immerhin, den Terror 4.0 haben wir schon, denn niemand anderes als BKA-Chef Holger Münch beschwert sich im aktuellen Spiegel (hinter der Wall 4.0) über die lasche deutsche Gesetzgebung, die den Terror 4.0 nicht stoppen hilft. Terror-Anschläge unter Nutzung des Internet der Dinge? Aber nicht doch, der rhetorische Blindgänger verdient ein leistungsgerechtes Snippet:"Im Zeitalter des Terrors 4.0 ist ein Recht 1.1. fehl am Platz. Wir brauchen auch in der Strafverfolgung geeignete Eingriffsinstrumente wie Quellen-Telekommunikationsüberwachung und Onlinedurchsuchung, um Anschlagsplanungen aufzuklären, die über verschlüsselte Messengerdienste verabredet werden."

*** Warum das deutsche Recht die Versionsnummer 1.1 bekommt und somit zahlenlogisch dem Terror 4.0 unterlegen zu sein scheint, kann nur erahnt werden, hier bewegt sich Münch auf dem Niveau seines Vorgängers Jörg Ziercke, der gerne frei extemporierte. Der Fall Anis Amri, der Anlass für das Lamento des BKA-Chefs ist, kann es nicht sein. Amris Internet-Kommunikation konnte überwacht werden, ein IMSI-Catcher spürte seine Mobiltelefone auf, die Einstufung als Gefährder stand fest. So geht die Anklage an die Bundesländer: Nur in elf Ländern darf die Telekommunikation von Gefährdern überwacht werden, ganze sechs erlauben die Quellen-TKÜ und nur zwei die Online-Durchsuchung. Dann sind da noch die fiesen Messenger, verschlüsselte Mails und Skype-Telefonate der Terroristen, gegen die es keine Rechtsgrundlage für Maßnahmen zu geben scheint, jedenfalls nach Meinung des Generalbundesanwaltes. Besonders die Messenger bereiten ja auch Münch Probleme.

*** Es ist ein Thema, das zum Wechsel in der US-Regierung gehört, aber auch in den Kontext der deutschen Aussagen der Strafverfolger: In den USA hat wieder einmal eine Debatte über die Ethik des Verschlüsselns begonnen, aufgehängt am Fall der iPhone-Entsperrung von San Bernadino. Vorläufiges Fazit: Gute, um ihre Sicherheit bedachte Bürger verschlüsseln ihre Kommunikation, doch wenn sie eine unbrechbare Technik benutzen, schließen sie sich damit aus der Community der Staatsbürger aus. Diese Art der philosophischen Herleitung ist noch gar nichts. Nehmen wir nur das bereits in dieser Wochenschau erwähnte Snowden-Buch von Edward Epstein. Allein die Tatsache, dass Snowden in seiner Zeit in Hawaii kurz vor dem Abflug nach Hongkong zusammen mit der Tor-Aktivistin Runa A. Sandvik eine Cryptoparty organisiert hat, reiche aus, ihn als Vaterlandsverräter auszumachen. Wir sind wieder in einer Zeit angekommen, in der Kryptografie geächtet wird. Da wäre es glatt angebracht, eine Krypto-Kampagne zu starten. Aber hey, die feiert ja bald passend zur CeBIT ihren 20. Geburtstag! Da müsste man ja ein Fass aufmachen! Wenn ich bloß noch, 3 Iterationen weiter, die Passphrase von damals wüsste, könnte ich sogar meine alten Mails lesen ...

Was wird.

Wenn diese kleine Wochenschau im Netz erschienen ist, wird ein neuer Bundespräsident gewählt. Es ist der Mutmacher Frank-Walter Steinmeier, nicht der Miesmacher Dietmar Wischmeyer. Es ist ein Mann, der laut Spiegel mit seiner Bescheidenheit "protzt" (interessanter Trick). Zu den Höhen und Tiefen des Mutmachers gehört sicherlich der Fall Murat Kurnaz, auch so eine Art Danaergeschenk, das die Bundesregierung mit ihrem Kanzleramtschef Steinmeier aber so gar nicht haben wollte. An Kurnaz muss schon deshalb erinnert werden, weil Donald Trump keine Häftlinge aus Guantánamo freilassen und das Lager ausbauen will.

Bald kommt der Brexit, da können die Schotten musizieren, soviel sie wollen. Britannien wird dann eine Steueroase wie Panama, nur verregneter. So etwas muss natürlich gut vorbereitet sein, damit nicht so etwas Unschickliches passiert wie die Veröffentlichung der Panama Papers durch einen Whistleblower. Sie zeitigt gerade erste große Reaktionen, mit Verhaftungen in ganz Lateinamerika. So etwas darf unter Teresa "Maggie" May natürlich nicht passieren. Die Konsequenz: Großbritannien bekommt noch vor dem Brexit das härteste Whistleblower-Gesetz der vereinigten demokratischen Staaten, wenn die absprungswilligen Parlamentarier mitziehen. Whistleblower und Journalisten können dann verhaftet und als Spione angeklagt werden. Für die Versendung dieser zahlreich eintrudelnden Geschenkpäckchen eignen sich dann wohl die Falkland-Inseln. Ausgerechnet ein "Business Insider" bildet dazu Edward Snowden ab – und die unverwüstliche Kattascha. Dziekuje!

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. Von Geschichtsbüchern, Gefühlen und Gefährdern
Beitrag von: SiLæncer am 19 Februar, 2017, 06:00
Wenn das Original nur noch durch die Satire beschrieben werden kann und Skandale mit der Frage nach den Gefühlen von Protagonisten beendet werden, dann ist es 2017. Doch das goldene Zeitalter ist nicht mehr fern, resümiert Hal Faber.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Das war eine Szene für die Geschichtsbücher. Sie passierte in den USA. General Chaos ist entlassen. Die Presse wartet auf den Pressesprecher des Weißen Hauses, der erklären will, wie es weiter geht bei der Suche nach dem nächsten nationalen Sicherheitsberater. Ein geistig verwirrter Mann stürmt Pressekonferenz im Weißen Haus und pöbelt Journalisten an. Auch wenn es das Satireblatt so geschrieben hat, entspricht es doch der Wahrheit (TM): Ein verwirrter Mann stand da und pöbelte. Natürlich passt die Langfassung der Szene nicht in die Geschichtsbücher, natürlich tut die Katachrese "geistig verwirrt" all denen bitter Unrecht, die unter einer echten narzisstischen Persönlichkeitstörung leiden, doch so ist es halt. Geschichte wird von den Siegern geschrieben und Trump ist ein Loser, aber einer, dem der narzisstische Absturz noch bevorsteht. Bis dahin hat er alle Freiheiten, via Twitter etablierte Medien als Fake Media und Feinde des Volkes zu bezeichnen, wenn sie ihre Arbeit machen. Weniger gut (oder ein Fake?) ist der Versuch des Präsidenten, Geld für eine Kampagne gegen die US-Medien einzusammeln. Wenn die Medien in den USA ihre Arbeit jetzt gut machen, werden sie "all the presidents men", ob es für den Ehrentitel "unbestechlich" reicht, wird man sehen müssen. Bei uns ist es halt braver. Zentraler Pfeiler der Demokratie ist ja ganz hübsch, nur irgendwie Fake News.

*** Ein Milliardär Trump, der sein Eigentum mal eben als Southern White House bezeichnet, dürfte ignorieren, wenn eine US-amerikanische Stadt mit dem benachbarten Mexiko demonstriert. An all den Papierlosen waren ja Obama und Hillary Clinton schuld. Die komplette Abwesenheit von Gedächtnis und Geschichte ist sein Programm. Er blendet aus, wie sein James Comey, sein Adjutant in spe, mit Gerüchten um Hillary Clinton Wahlkampf betrieb -- was übrigens zeigt, dass der "tiefe Staat" auf seiner Seite steht. Seine "fein laufende Maschine" rumpelt, was einem Strategen wie Bannon nur recht sein dürfte: Lesenswert die taz-Serie zur Alt-Right-Bewegung und was sie wirklich über Trump denkt. Das Gerücht über die großflächige Mobilisierung der Nationalgarde zur Erfassung illegaler Immigranten würde Alt-Right und Bannon außerordentlich erfreuen. Während Trump munter zum wochenendlichen Golfen in den Sümpfen von Florida pendelt, trauen sich nur noch wenige Republikaner, die traditionellen Town Hall-Meetings abzuhalten, bevor die Sitzungs-Saison in Washington beginnt.

*** "Wenn Sie schon nach Gefühlen fragen, was ja nicht der Gegenstand des Ausschusses ist: Ich habe mich gefühlt wie nach dem Parteispendenskandal." Mit diesem interessanten Vergleich von Bundeskanzlerin Angela Merkel endete die verdienstvolle Arbeit des NSA-Untersuchungsausschusses über die NSA und der befreundeten Gang, die nicht wusste, was sie tat, niemals fragte, sondern nur lauschte und tauschte. Das "Abhören unter Freunden, das gar nicht geht" mit dem Parteispendenskandal zu vergleichen, ist so etwas ähnliches wie eine Freudsche Fehlleistung. Denn so antwortete die Bundeskanzlerin auf die freundlich-mitleidende Frage ihres CDU-Kollegen Patrick Sensburg, wie sie sich nach den ersten Nachrichten über die Enthüllungen dieses Edward Snowden gefühlt habe. Mit der von Merkel gefühlt gemeinten Spendenaffäre der CDU hatten wir das letzte deutsche Staatsoberhaupt, das sich vor einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss ausschwieg und dann abdanken musste. Ob Merkel hier ihrem Ziehvater Kohl nachfolgt, ist noch nicht ausgemacht, auch wenn ihr Gegenspieler Schulz momentan eine Art Katzen-Bonus hat. Alles wird gut, das war früher so ein tröstlicher Satz. Alles wird legal, heißt es heute: Mit dem BND-Gesetz wurde die Lizenz zum Abhören bekanntermaßen nachgereicht. Und damit das mit dem Gefühl auch etwas besser geht, sollten wir die Petition der Verschmelzung der Nationalhymnen gleich gesetzlich regeln.

*** Es ist natürlich einer dieser einfältigen Zufälle, wenn Bill Gates genau dann in München auftritt und sich für Afrika stark macht, wenn Limux abgewürgt wird. Wobei man Gates natürlich freisprechen kann, der sieht das große Ganze und kann sich sogar mit einer Automatisierungssteuer für Roboter und autonome Autos anfreunden. Limux dürfte ihm herzlich egal sein. Ganz nebenbei: Limux scheiterte nicht allein am unpraktischen Desktop oder an kräftiger Lobbyarbeit made in Unterschleißheim, sondern daran, dass andere Kommunen nicht mitzogen. Mit Hammux, Hannux, Berlux, Bremux, Bonnux, Ulmux und Frankfux würde die Situation ganz anders aussehen.

Was wird

Vor uns liegt das goldene Zeitalter. Wenn alle auf Facebook sind, wird die KI von Facebook Terroristen erkennen können, verspricht uns Mark Zuckerberg. Wer dann nicht auf dieser großkotzigen Plattform des sozialen Wandels ist, ist schon mal ein Hilfs-Terrorist, denn bitte, wer ist denn das "wir", von dem der Mann in seiner "politischen Vision" spricht?

Ist es das "wir", dass die Bertelsmann-Stiftung meint, wenn sie sich fragt, was "unsere" Gesellschaft zusammenhält, während sie den Vordenker der europäischen Digitalisierung feiert? Der von der Münchener Sicherheitskonferenz zurückfahrend erst einmal einen Zwischenstopp in Berlin einlegt und einen Vortrag über den Soft cyberwar hält, der aus Hacking und Fake News besteht. Toomas Hendrik Ilves muss es ja wissen, denn in seiner Regierungszeit gab es Internetangriffe auf sein Estland, von denen wir heute wissen, dass sie von der Jugendorganisation Naschi ausgingen. Doch hoppla, bei der Bertelsmann-Stiftung wird nächste Woche in Berlin über das bedingungslose Grundeinkommen diskutiert, als Voraussetzung für den Zusammenhalt der Gesellschaft. "Ist das bedingungslose Grundeinkommen eine realisierbare Idee für mehr soziale Gerechtigkeit und werden wir in Deutschland daher womöglich bald neidvoll nach Finnland blicken. Oder muss das Einkommen weiterhin an Bedingungen geknüpft bleiben, damit die Einsatzbereitschaft des Einzelnen als Bedingung für den gesellschaftlichen Zusammenhalt keinen Schaden nimmt." Das ist schwer die Frage.

Nach der Sicherheitskonferenz ist vor dem Europäischen Polizeikongress, wo IBMs Watson sich dran macht, Lügen zu entlarven. Manchmal sind es auch keine Lügen, sondern Schusseligkeiten, wie sie ein Justizminister begeht, der mit einer Rede über Fußfesseln startet, wo es doch um den Schutz der Polizei vor Rainer Wendt ging, oder so. Auf dem Polizeikongress wird über Smart Policing gesprochen, und die vorbeugende Verbrechensvorhersage mit ihren Erfolgen präsentiert; die Gesichtserkennung mit oder ohne Facebook wird bejubelt, die elende Fluggastdatenspeicherung sowieso. Die Polizei hat ja so viel zu tun, jetzt, wo neben den Straftätern sich auch noch diese Gefährder in unseren Alltag eingeschlichen haben. Von denen die dreistesten Gefährder fußgefesselt werden müssen, weil sie die Gefährderansprache nicht verstehen, die ihnen die Sache mit den Jungfrauen ausreden wollen. Wem das alles zu bedrohlich klingt, dem sei gesagt, dass es das Ganze auch in freundlich gibt und Grüner Polizeikongress heißt.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. Von untoten Hasen und widerständigen Grundrechten.
Beitrag von: SiLæncer am 26 Februar, 2017, 05:00
Viele Hasen sind des Jägers Tod. Oder so. Da seien aber die Jäger vor, die sich mal wieder einiges herausnehmen wollen. Hal Faber wundert sich, als wie treffsichere Prognosen sich manche TV-Serien herausstellen.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Simsalabimbambadalladudalladim

"Vernunft kann es nur in Verzweiflung und Überschwang aushalten; es bedarf des Absurden, um dem objektiven Wahnsinn nicht zu erliegen. Man sollte es den beiden Hasen gleichtun; wenn der Schuss fällt, närrisch für tot hinfallen, sich sammeln und besinnen, und wenn man noch Atem hat, von dannen laufen. Die Kraft zur Angst und die zum Glück sind das gleiche, das schrankenlose, bis zur Selbstpreisgabe gesteigerte Aufgeschlossensein für Erfahrung, in der der Erliegende sich wiederfindet. Was wäre Glück, das sich nicht mäße an der unmessbaren Trauer dessen was ist? Denn verstört ist der Weltlauf. Wer ihm vorsichtig sich anpasst, macht sich damit zum Teilhaber des Wahnsinns, während erst der Exzentrische standhielte und dem Aberwitz Einhalt geböte." (Theodor W. Adorno, Minima Moralia)

Am Ende konnte er nicht mehr aufstehen und von dannen laufen, der Krebs bodigte ihn: Armin Medosch ist tot. Der Mitgründer von te/epo/is, der so viel für die Netzkultur im deutschsprachigen Raum getan hat, starb in Wien. Erinnern möchte ich nicht an den Kurator und Künstler, das haben Felix Stalder und andere auf Nettime wunderbar getan, sondern an den flinken Hasen, der zum Kampf gegen das Telemediengesetz aufrief, das uns zu gläsernen Telebürgern machen sollte. An den unermüdlichen Aufsteher gegen diverse Kryptoverbote und gechipte Hintertürchen aller Art, der auf eine "kleine Welle des Widerstands" gegen den objektiven Wahnsinn hoffte. "Und so gehts: 'Redakteur' rechts unter diesem Artikel anklicken und ein Statement abgeben. Wenn genügend interessante Äußerungen zustande kommen, werden wir in Kürze ein eigenes netzpolitisches Meinungsforum eröffnen." Du gehst nicht gelassen in die gute Nacht, Armin.

*** Widerständige Hasen werden gebraucht, denn die Jäger sind unermüdlich und ballern drauflos. In Deutschland ist Bundesinnenminister Thomas de Maizière ein solcher Jäger, einer, der nichts von Datenschutz hält und wie sein Vorgänger dummes Zeug von einem Supergrundrecht erzählt. Grundrechte sind Grundrechte sind Grundrechte sind Grundrechte, und nur Juristen kommen auf die Idee, da Prioritäten zu setzen. Aber es passt schon ins Bild, denn wo wir bei den Rechten sind, kann man sie gleich zusammenschieben wie den letzten dreckigen Schnee. De Maizière möchte das Telekommunikations- mit dem Telemediengesetz zusammenschieben und so erreichen, dass Messenger Speicherpflichten nach der Vorratsdatenspeicherung bekommen. Das formulierte de Maizière ausgerechnet auf einem Polizeikongress, wo mit großem Beifall Stashcat vorgestellt wurde, ein Messenger, der auf Polizeiservern läuft – und verschlüsselt.

*** Jäger dürfen das, was Hasen abgesprochen wird. Bruno le Roux, der französische Amtskollege von Thomas de Maizière, war in dieser Woche nicht in Berlin. Aber das hinderte die beiden nicht, einen Brief zu verfassen, der in Berlin aufgegeben ist und dem EU-Kommissar Dimitris Avramopoulos in die Hände gedrückt wurde, als dieser nach Berlin zu ebenjenem Polizeikongress reiste. Unter den Forderungen des zweisprachigen Briefchens fällt eine auf:

Im Kampf gegen den Terrorismus müssen wir den europäischen Behörden rechtliche Mittel an die Hand geben, um den Gebrauch von verschlüsselter elektronischer Kommunikation im Rahmen strafrechtlicher und administrativer Ermittlungen berücksichtigen zu können. Die Europäische Kommission muss sicherstellen, dass die technischen und rechtlichen Mittel jetzt genutzt werden, und die Möglichkeit prüfen, neue Verpflichtungen für Anbieter elektronischer Kommunikationsdienste zu bestimmen.

La lutte contre le terrorisme requiert de donner les moxens juridiques aux autorités européennes afin de tenir compte de la généralisation du chiffrement des communications par voie électronique lors d'enquêtes judiciaires et administratives. La Commission européenne doit veiller à ce que des travaux techniques et juridiques soient menés dès maintenant pur étudier la possibilité de définir de nouvelles obligations à la Charge des prestataires de services de communication par voir électronique tout en garantissant la fiabilité de systèmes hautment sécurisés, et de proposer sur cette base une initiative législative en octobre 2017.

Sieht man davon ab, dass die französische Fassung den Zeitplan für eine gesetzliche Inititiative enthält, die noch im Oktober 2017 starten soll, ist die Formulierung "berücksichtigen können" bzw. "afin de tenir compte" ausgesucht feinstes Jäger-Neusprech. Es klingt, als würde da auf verschlüsselte Kommunikation Rücksicht genommen werden, doch welche rechtlichen Mittel sollen den Behörden zur Hand gegeben werden? Noch schwammiger sind die "neuen Verpflichtungen", die Anbieter elektronischer Kommunikationsdienste eingehen müssen. Aber hach, da gibt es Vorbilder. Wechseln wir noch einmal die Sprache und gehen nach Großbritannien, wo das Gesetz namens Investigatory Powers Bill die Service-Provider bei neuen Kommunikationsangeboten verpflichtet, "technische Fähigkeiten" zur Verfügung zu stellen, zu denen auch das Entschlüsseln der Kommunikation gehört. Da liegt der erlegte Hase in der Pfefferbrühe.

*** Angesichts dieser Hasengeschichte möchte man fast Elliot Alderson als neuen Berater gegen die Machtübernahme des tiefen Staates in der digitalisierten Welt anheuren. In der Hoffnung, dass es halt nicht aufs "sorgfältige Abschlachten der Bourgeoisie" rauslaufen würde. Dabei ist es ja sowieso so, dass "dieser Content an Ihrem Ort nicht verfügbar" ist. Ja, genau. Keineswegs wurde die Lunte der Revolution entzündet? Kontrolle ist eine Illusion, das schon. Auch die Kontrolle, wer oder was wie revolutioniert.

*** Wie die Serienwerdung eines eher blutrünstigen Fake-Films in einer weniger blutrünstigen als digitalisierten Zeiten angemessenen Serie, so absurd sind natürlich auch andere Ereignisse. Da ist dann auch eine wiederum blutrüntigere, eher terroristischen Zeiten angemensse Serie Patin. In dieser Woche zeigte sich der Bundesnachrichtendienst (BND) von seiner weiblichen Seite. So lernen wir, dass man beim Elternsprechtag schon mal Verzicht üben muss, Whatsapp und eigene Telefone bei den Schnüfflerinnen nicht erlaubt sind und die Arbeit mit der Kontrolle von Dschihadisten so etwas wie "Real-life-GZSZ" ist. Außerdem kann man lernen, wie hervorragend die Hirnwäsche beim BND gerade bei der jungen Mitarbeiterin funktioniert. "So etwas wie in 'Homeland', dass ein unbescholtener Bürger aus dem Haus geht und bei seiner Rückkehr seine Wohnung verwanzt ist, das wird nicht gemacht. Wir handeln auf gesetzlicher Grundlage und im Interesse der Öffentlichkeit: Wir wollen, dass die Politiker eine gute Informationsbasis haben, um über wichtige Sachverhalte zu entscheiden." Herzzerreißend, was da für die Politiker getan wird: Journalisten aus aller Welt überwachen, das gehört einfach zum Geschäft dazu, von wegen gesetzliche Grundlagen. Telefon- und Faxanschlüsse der BBC und der New York Times und der Nachrichtenagentur Reuters in Afghanistan, sowie die BBC-Zentrale in London, was tut man nicht für seine Freunde, die den GCHQ nicht mit Inlands-Lappalien belästigen wollen. So sieht die Vernetzung mit internationalen Nachrichtendiensten halt aus, da sollen sich die Journalisten nicht so anstellen. Zugegeben, Deutschland ist kein Überwachungsstaat – aber auf dem besten Weg dahin. Vielleicht ist beruhigend, was Terrorexperte Peter Neumann in diesem Streitgespräch beklagte: "Und die Leute, die sich wirklich mit Computern und Hacken auskennen, sind die Allerletzten, die bereit sind, in Strukturen wie denen bei den Nachrichtendiensten und der Polizei zu arbeiten." Womit wir wieder bei Elliot Alderson wären.

Was wird.

Bevor Neumann sich zum Streitgespräch zur tageszeitung begab, war auch er auf der Polizeikonferenz in Berlin, wo unter anderem über die intelligente Videoanalyse und besonders über die Gesichtserkennung gesprochen wurde. Bekanntlich will die Bundespolizei in Berlin am einfach strukturierten Bahnhof Südkreuz mit der Technik experimentieren und bereitet eine Ausschreibung vor. Wenn die Tauglichkeit bewiesen ist, sollen sechs Bahnhöfe in Berlin und alle bis dahin funktionierenden Flughäfen Berlins mit ihr ausgestattet werden. So könnte auch das arme Berlin auf dem Weg in die Smart City sein, genau wie San Diego, die reichste Stadt der US-amerikanischen Westküste. Könnte, könnte, Fahrradkette: die Berliner Datenschützerin hat sich bereits gegen das Zukunftsprojekt ausgesprochen, wenngleich mit der falschen Begründung, dass "die gewonnenen Daten mit digitalen Fotografien abgeglichen werden, die mittlerweile von fast jedem im Internet, insbesondere in sozialen Netzwerken, zu finden sind". Das ist bei der lückenlosen Identifizierung gar nicht notwendig, denn wenn jemand einen Menschen in den Rücken tritt, fällt das der Software als Aggressionstat auf, das Gesicht wird gespeichert und die Suche beginnt: "B - eine Stadt sucht einen Treter".

Die Kolumne sollte ohne den Grötaz und seine Gaggles auskommen, doch wenn sie erscheint, werden die Geschichten zur Oscar-Verleihung Geschichte schreiben. So bleibt mir nichts anderes übrig, als auf die Erklärung der ausländischen Regisseurinnen und Regisseure hinzuweisen. Es gibt weder das beste Land der Welt noch das beste Geschlecht, die beste Religion oder die beste Farbe. Die Kunst ist frei und Menschenrechte sind unveräußerlich. Basta.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. Vom Leben in interessanten Zeiten
Beitrag von: SiLæncer am 05 März, 2017, 07:00
Datenqualität ist Fahndungsqualität, und wo die Datenqualität unzureichend ist, sperrt man weg. Oder schränkt Menschrecht anderweitig ein. Nein. Nicht in der Türkei, merkt Hal Faber an und fragt sich, was sich der Justizminister noch so alles ausdenkt.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Während diese kleine Wochenschau am Rande der norddeutschen Tiefebene entsteht, twittert der 45. Präsident der USA aus dem Weißen Haus Süd in Mar-a-Lago heftigste Vorwürfe. Donald Trump beschuldigt seinen Vorgänger Barack Obama, ihn mitten im "heiligen Wahlkampf" abgehört zu haben. Er sei ein schlechter/kranker Mann. Damit eskalieren Fake News in Watergate-Dimensionen, sofern Trumps Beweise tatsächlich auf dem Vorwurf des rechtsradikalen Talkmasters Mark Levin beruhen, die NSA habe die Leitungen im Trump-Tower abgehört. Kann Trump aber harte Beweise für seine Vorwürfe vorlegen, etwa einen richterlichen Beschluss, ihn abzuhören, dann dürfte dies die Enthüllungen eines Edward Snowden locker in den Schatten stellen – und Russland erst recht in die Schusslinie stellen. In jedem Fall ist juristischer Beistand notwendig. Trump selbst wird wohl an Roy Cohn gedacht haben, schließlich twitterte er auch über den McCarthyismus. Wie fluchte einst Robert F. Kennedy so schön: "Wir leben in interessanten Zeiten.

*** Der "Welt"-Journalist Deniz Yücel sitzt im Gefängnis von Silivri, wo das demokratische Istanbul von Erdogan und seinen Schergen eingesperrt ist. Mindestens 150 weitere Journalisten sind in der Türkei weggesperrt, viele von ihnen wegen veröffentlichter Artikel in den letzten 10 Jahren. Das ist gesetzeswidrig, denn nach türkischem Recht müssen sich Strafanzeigen auf Artikel beziehen, die höchstens vier Monate alt sind. Mit #FreeDeniz und "Journalismus ist kein Verbrechen" auf Twitter und verschiedenen Autokonvois wird in Deutschland protestiert, auch einen Zeitungsaufruf hat es gegeben. Gegen diesen Aufruf hat sich das Blatt mit den klugen Köpfen gestellt und den ziemlich unklugen Satz formuliert Journalisten sind Schreiber, keine Unterschreiber. Journalisten sollen mit journalistischen Mitteln gegen Missstände angehen und nicht mit bloßer Unterschrift unter das, was der schreibende Journalist auch noch als Fake-Aufruf mit Fake-Unterschriften abkanzelt. Natürlich ist die Berichterstattung über Deniz Yücel und all die anderen Journalisten in der Türkei wichtig und wichtiger als ein Aufruf. Doch wenn die Unterschrift schon als das berühmte gemein machen gewertet wird, das Journalisten meiden sollen, läuft etwas wirklich falsch. Wie überhaupt in Sachen Journalismus und Yücel viel fake läuft.

*** Im Jahre 1962 soll der tschechoslowakische Geheimdienst eine "Operation Wales" auf dem jüdischen Friedhof der Grafschaft Castlemartin durchgeführt haben. Grabsteine wurden umgestoßen, einige mit Hakenkreuzen beschmiert. In Castlemartin übten damals Panzertruppen der im Aufbau befindlichen Bundeswehr mit britischen Soldaten, und betrunkene "Panzers" sollten für die Schändung des Friedhofes veranwortlich gemacht werden. Der Geheimdienst wollte mit der den Deutschen untergeschobenen Aktion die Fake News verbreiten, dass Deutschland Truppen wieder antisemitisch sind und von der Insel verschwinden müssten. Tatsächlich wanderten sie erst 1996 ab, was als größter Sieg einer deutschen Armee gefeiert wurde. Fake News waren lange vor der Verunglimpfung der Bundeswehr in Litauen ein bekanntes Mittel der Arbeit von Nachrichtendiensten. Nun hat der Intercept einen Artikel veröffentlicht, demnach das Schänden jüdischer Friedhöfe in den USA eine Propaganda-Aktion sein soll, um Trump-Anhänger zu diskreditieren. Das jedenfalls soll Präsident Trump glauben, so der Artikel, hinter dem sich eine andere Nachricht versteckt. Demnach hat ein früherer Mitarbeiter von Intercept Drohungen und Aktionen gegen jüdischen Gemeinden inszeniert, um eine ehemalige Geliebte zu diskreditieren. So wandeln sich Fake News als Fake Fake News zu News.

*** Mit dem Gesetz zur Neustrukturierung des Bundeskriminalamtgesetzes soll das Bundeskriminalamt für 254 Millionen Euro eine IT-Zentralstelle bekommen, über die die Informationen aller Polizeien zusammenfließen. Das als Polizei 2020 ausgerufene IT-Projekt besteht nach dem Gesetzentwurf aus einem einheitlichen Verbundsystem "mit zentraler Datenhaltung im Bundeskriminalamt", wobei der "Datenbesitz" dieser zentral gespeicherten Daten bei den einzelnen Länderpolizeien bzw. der Bundespolizei bleiben soll. In die Sprache des Bundesinnenministers übersetzt, entsteht ein einziger großer Datentopf, in dem die Daten von Hessen, Niedersachsen, Bayern etc. säuberlich ein Fläggchen tragen und nur von dortigen Polizeien gelöscht oder geändert werden können. Für Wartung, Pflege und Support der neuen zentralen IT sind 33 Millionen im Jahr vorgesehen, für die Datenschutzkontrollen des Supertopfes 4,3 Millionen. "Datenqualität ist Fahndungsqualität", hört man schon die Fahnder jubeln.

*** Dagegen sind die weiteren bekannt gewordenen Zahlen geradezu eine Petitesse: Einmalig 170 Euro kostet etwa die Fußfessel für Gefährder, dazu kommen monatliche Überwachungskosten von 500 Euro. Nur in Bayern wird es teurer, denn dort hat man die ursprüngliche Fußfessel-Idee aufgegeben. Nun sollen Gefährder unbefristet in Haft genommen werden können, Verfassung hin, Verfassung her. Oder ist das auch wieder nur eine Fake News? Erstaunliches hört man dabei von unserem Justizminister Heiko Maas, der das mildere Mittel Fußfessel mit flankierenden Maßnahmen wie Residenzpflicht und Meldeauflagen scharf schalten möchte. Ob der wackere Sozialdemokrat die Entscheidung des europäischen Gerichtshof für Menschenrechte im Verfahren Angelo de Tommaso vs Italien mitbekommen hat?

Was wird.

So langsam läuft der Wahkampf an. SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz macht sich bald an die Speisung der 5000 (oder 4000?), Angela Merkel fliegt staatsfraulich das alte Europa verkörpernd über den großen Teich. Die Linke "schärft" ihr sozialistisches Profil und die FDP hat Lindner, der sich den Türken entgegenwirft. Alle haben zu tun, nur bei den Grünen ist die Themenfindung schwierig. Sie stecken tief in der Flügelscheiße, trotz wachsender Mitgliederzahlen. Auf dem Grünen Polizeikongress zeigte sich ein erster Lichtstrahl, als ein Oberstaatsanwalt der hessischen ZIT ein Plädoyer für einen neuen "Straftatbestand der unbefugten Nutzung informationstechnischer Systeme" hielt. Das, was in Hessen schon einmal als digitaler Hausfriedensbruch bezeichnet wurde, soll ein probates Mittel sein, Botnetz-Betreiber verurteilen zu können. Eben weil normale Anwender überhaupt keine Chance haben, ihre Rechner gegen Trojaner wirksam zu schützen, die dann als Bots Bitcoins scheffeln, soll dieser neue Straftatsbestand her, um fehlende Strafbegehungen wie Sachbeschädigung oder gar Datenausspähung und Datenveränderung zu ergänzen. Was für ein wunderschönes grünes Thema neben der Rettung des Planeten!

Wenn beim Mobile World Congress in Barcelona ein Retro-Handy für Furore sorgen konnte, dann muss sich die CeBIT sputen. Wie war das noch, anno 1997, als Intel und Microsoft in einer hoffnungslos überfüllten Pressekonferenz die "Referenz-Spezifikation des NetPC als Entwicklungsgrundlage für die PC-Industrie" präsentierten? Nichts Geringeres als die Zukunft des "Business Computing" musste gegen Oracle und seinen Network Computer (NC) verteidigt werden. Eine ungeheure Vielfalt der Formen wurde vorhergesagt, doch wie sah das eigentlich aus? Auf Einreichungen der Informationsträger wartet die nächste Wochenschau.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. Von seltsamen Gewölben und noch seltsameren Gewohnheiten.
Beitrag von: SiLæncer am 12 März, 2017, 06:43
Wenn Populisten und Nationalisten unter sich sind, entsteht eine eigene Filterblase, die manch Beobachter für die reale Welt hält. Die Zukunft aber, sie gehört ihnen nicht und nicht dem tiefen Staat. Hal Faber ist sich sicher. Ja, ist er. Ja, verdammt!

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Tralala, Tralala, schon wieder nach diesem lauten Abschied für Armin beginnt die kleine Wochenschau mit einem Lied. Who can cypher anything with zeros? Not well known, but simply worth the heros. Fucking-a man ... Tagelang twitterte Wikileaks geheimnisvolle Sachen über "Vault 7". Suchmaschinen wurden gepeitscht und spuckten einen Saatgut-Bunker in Norwegen aus, fesch in einer dieser Einöden gelegen, in der sonst James Bond oder Lara Croft herumballern. Genau dort, wo die Trolle hausen und liebevoll gepflegt werden, soll ein furchtbares Geheimnis stecken? Dann erklärten weitere Wikileaks-Tweets den Dienstag zum Tag des großen Showdowns, der universalen Nackigmachung der USA. Der Tag, an dem endlich die zentrale Forderung von Wikileaks aus dem Jahre 2013 realisiert wurde, als man sich beim 30C3 an die Zuhörer wandte: "Get the ball out!". Jawohl, der Ball ist draußen und wird gekickt: Die CIA ist erfolgreich von Hackern unterwandert und Vault 7 geöffnet worden, wenn es auch vielleicht nicht ganz die große Sensation geworden ist. Rom wurde ja auch nicht an einem Tag zerstört.

*** Wegen der Vorankündigungen von Wikileaks wurden wieder Kameras vor der ecuadorianischen Botschaft in London postiert, in der Julian Assange lebt. So wurde Nigel Farage fotografiert, wie er die Botschaft verließ, jener UKIP-Politiker, der noch vor zwei Wochen mit Donald Trump dinierte. Überraschend ist das nicht, denn die europafeindliche UK Independence Party hat sich schon frühzeitig für Assange engagiert, weil sie den europäischen Haftbefehl ablehnt. Nun darf spekuliert werden, ob Farage als Emissär vom wieder einmal Golf spielenden Trump (aber damit ist nun genug der T-Nachrichten, liebe(r) bgks) eine Nachricht für Assange hatte. Nach einer anderen Lesart ist Farage der Wikileaks-Kontaktmann von Roger Stone. So sind die Populisten unter sich und können über die umfassende Inkompetenz der Dienste lästern. Die Nacht darauf gehörte den Verliebten.

*** Knapp unter Norwegen mit seinen Gewölben liegt das Rhein-Main-Gebiet, jedenfalls von den USA aus gesehen. Hier hat die CIA also eine Zweigstelle, hier ist die Drehscheibe für Logistik aller Art, auch Ramstein ist nicht weit entfernt. Als Assange vom Kater Schmitt genug hatte, zog er bekanntlich von der Wiesbaden-Area zum Kongress des Chaos Computer Clubs, trat dort auf und wurde dabei von einem Undercover-Agenten beobachtet. Orte wie Frankfurt sind Proxies an denen man die Verbindungsoffiziere anderer Länder treffen kann, erläuterte Assange. Und überhaupt, irgendwo muss die CIA ja ihre gefürchtete Drohnenflotte hinstellen können.

*** Donald Trump mag in seinem früheren Leben vielleicht ein Baulöwe gewesen sein, doch eigentlich ist es dieses Silicon Valley, das den US-Präsidenten und den gesamten US-amerikanischen Individualismus-Kurs geprägt hat, dieses Tal der Ahnungsvollen mit den rücksichstlosen Hippies, die in ihren Kommunen wundervolle Individuen hervorbrachten, aber nichts für die Obdachlosen taten. Wie rücksichtsvoll es hier vor sich geht, zeigt sich bei den Bros von Uber, die auf der South by Southwest genauso ein Thema sind wie der Ersatz von Passwörten und Passphrasen durch Passgedanken, die durch EEG-Sensoren in den Hörgeräten oder Kopfhörern von Starkey übertragen werden und schweinisch sein können. Wobei Uber dort in Austin gar nicht am Start ist, was ausgewiesene Digerati wie Dieter Zetsche nicht irritieren dürfte. Sharing is caring is ausbeuting, wissenschon.

*** OK, diese Digitalisierung durch das Tal der Ahnungsvollen ist noch in einem sehr frühen Staudium, sodass niemand weiß, ob die Begriffe digital und Demokratie überhaupt noch einmal zusammenkommen werden. Dort, wo heute auf der norddeutschen Tiefebene in einer etwas anderes Sprache die Lijsttrekker das Kommando haben, gibt es den Endspurt eines Populisten mit seltsamer Frisur. Geert Wilders Parteiprogramm füllt nicht einmal eine DIN-A4-Seite und besteht eigentlich nur aus einem Satz: Europa kaputt machen. Dagegen und gegen andere seines Schlages steht Pulse of Europe, aber auch diese IT-Branche und die fortschreitende Digitalisierung? Der Vorschlag, nur Programmierer zu wählen, mag nach dem Abrutschen der Piratenpartei kurios erscheinen, dennoch gibt es ihn:
"Wir brauchen wieder die produktive Verrücktheit, aus der die EU entstanden ist, und weniger von der de­struk­tiven Vernunft, nach der sie gerade funktioniert. Warum lassen wir Algorithmen nicht mal etwas Nützliches tun und politische Probleme mit lösen? Dann wählen wir aber auch Programmierer dieser Algorithmen wie Abgeordnete oder Verfassungsrichter. Und was ist eigentlich dran an der Idee, Politiker auslosen zu lassen, statt sie zu ­ wählen?"

*** Das Auslosen der Politiker war damals im alten Griechenland, im Quellgrund der Demokratie, üblich und wäre mal eine tragfähige Idee für das Hier und Jetzt, gegen den dröhnenden Populismus und andere verschrobene Ideen. Zukunft wird aus Mut gemacht, Tralala, Tralala, irgendwie fängt irgendwann Irgendwo die Zukunft an (ja, ich gebe zu, der vorangegangene Link ist fast schlimmer als Rickrolling). Und Politiker werden ausgewürfelt, das ist nachweislich kostengünstiger. Sind wir nicht alle Herdentiere am Smartphone, vulgo in der Filterblase trötend? Irgendwo hört Zukunft auf.

*** Aber erst einmal muss sie anfangen. Also nochmal, damit es keiner vergisst: Rom wurde nicht an einem Tag erbaut, Europa aber möglicherweise noch schneller zerstört, wenn die Populisten und Nationalisten und Rassisten und Identitären und andere Menschenverächter ihr übles Spiel ungestört betreiben können. Also: Der #PulseOfEurope schlägt stark, und er kann jeden Sonntag um 14 Uhr stärker werden.

Was wird.

Aber wo fängt sie denn nun an, die Zukunft? Eine schlechte Gewohnheit treibt mich Jahr für Jahr auf die CeBIT, die Jahr für Jahr etwas mit Zukunft im Blick hat und mit Future Talk gar ein besonderes "aufregendes Format für die Vermittlung von IT-Forschung", wie es die Pressestelle formuliert. Früher rechtfertigte ich den Trott zur CeBIT mit der Masse an Pressekonferenzen, auf denen erst Papier, dann CD-ROMs und schließlich USB-Sticks verteilt wurden, zusätzliche Gadgets und Kugelschreiber nicht zu vergessen.

Gelegentlich gab es auf der CeBIT sogar interessante Produkte. Etwa genau vor 20 Jahren: diese Supertechnologie MMX in den neuesten Pentium-Prozessoren von NetPCs, die erstmals keine Erweiterungsslots hatten, zur "Erhöhung der Bedienungssicherheit", wie es Intels PR-Abteilung formulierte. Die Vorstellung dieser Wegschmeißtechnologie für Unternehmen war so ein CeBIT-Knaller, dass Intel und Microsoft das noch einmal in den USA wiederholten. Wer sich die neuen NetPC nicht leisten konnte, machte es damals wie die IG Metall und versiegelte die Diskettenlaufwerke mit Superkleber. Fortschritt macht erfinderisch und Mut ist manchmal nichts anderes, als auf die Tube zu drücken.

In diesem Jahr wird die Masse der Pressekonferenzen von der Deutschen Bahn gestellt, wenn man dem Messeplaner trauen darf, der neben dem autonomen Bahnfahren allerlei Seltsamkeiten als Pressetermine aufführt. Kann sich jemand etwas unter "Radikalisierung der Denkweise über New York" vorstellen? Genau, ein neuer Grund, die CeBIT zu besuchen, dieses Schaufenster der Digitalwelt. Vielleicht treten da ja nicht nur billige Schauspielkräfte auf, sondern gestählte ITler, die wirklich wissen, was sie tun. Denn es klingt gefährlich, so weitab weg vom Tal der Ahnungsvollen. Chatbots im Tal des Todes, da wimmert die Mundharmonika unter der Schlinge. Wie schön, dass zeitgerecht in Hannover die erste Cyberversicherung vorgestellt wird, mit "Cyberschutz" in allen Bereichen, selbst bei diesen Drohnenfliegern. Denn diese Hüpferli hat nicht nur die CIA, sondern auch der Chaos Computer Club. Da ist Gefahr im Anflug.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. Vom Träumen und dem Schlaf der Vernunft.
Beitrag von: SiLæncer am 19 März, 2017, 06:05
Ach, ja. Die Jugend der Welt versammelt sich... Ach nee, das war was anderes, dafür gehts in die friedliche Stadt, der zur Smart City aber noch ein bisschen was fehlt. Die Träume von den elektrischen Schafen kommen dann von allein, brummelt Hal Faber.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Oh, der Arbeitsplan für heute? Sechs Stunden selbstanklagende Depression stehen an: Die kleine Wochenschau will geschrieben werden, zackzack, bevor draußen auf dem Messegelände von der d!conomy geträumt wird und der Waschraum 4.0 betreten werden kann. Hannover und das CeBIT-Motto "no limits", das muss man sich erst einmal vorstellen, diesen "Umbau in eine digital geprägte Metropole". Eine digitale Stadt hatten wir ja schon mal, eine digital geprägte Metropole kann ja nur aufregender werden, so mit einem eigenen Kunst-Orbit mittendrin und Holoball-Squash da draußen in Laatzen. Noch rollen dorthin die Straßenbahnen, aber eines Tages wird Olli dahin fahren, der Minibus, mit dem man dauernd quatschen muss. So träumt es sich gut in Hannover, dieser friedlichen Metropole an den Ufern der Leine.

*** Do Androids Dream of Electric Sheep? Träumen Androiden von elektrischen Schafen? Eine schwierige Frage, die selbst der großartige Philip K. Dick nicht eindeutig beantworten konnte. Wirklich sicher war er sich nur, dass Rick Deckard von echten, lebenden Schafen träumte, weil er sich nur ein mickriges elektrisches Schaf leisten konnte. Ja, wann werden unsere Androiden menschlich und beginnen zu träumen, auf dass wir endlich mit der Traumarbeit anfangen können und analysieren was sie wirklich denken. Besonders gespannt bin ich dann auf die Träume und Wiegenlieder von Marvin, dem paranoiden Androiden, der nachts elektronische Schäfchen zählt und den Abendsegen singt.

Now I lay me down to sleep
Try to count electric sheep
Sweet dream wishes you can keep
How I hate the night

Ob elektrisch oder nicht: Schafe blicken auf. Und erschrecken uns mit einer sehr analogen Dystopie.

*** In dieser Woche fand bekanntlich das traumhafte Festival South by Southwest statt, wo man sich offenbar mit der Frage beschäftigte, ob Faschisten von Algorithmen träumen. Die Microsoft-Wissenschaftlerin Kate Crawford bezog sich damit auf die Lochkarten-Maschinen von IBM und die Darstellung von Edwin Black, als sie sich über undurchsichtige Algorithmen beklagte, nach denen Grenzbeamte die Einreise von Personen in die USA verweigerten. So entpuppte sich, dass Faschisten gar nicht von Algorithmen träumen, sondern von unbeschränkter Macht: "Das ist der Traum eines Faschisten: Macht ohne Rechenschaft". Wo diese Frage geklärt ist, könnte man sich auf die Suche nach der Antwort machen, warum man in diesen Tagen so rasend schnell mit dem Faschismus-Vorwurf bei der Hand ist. Trumps neues Einreiseverbverbot führt zu neuen Algorithmen an der Grenze und zu neuen Niederlagen für Trump, doch die Sammlung von Dekreten und Verordnungen ist ganz sicher nicht Ausdruck eines neuen Faschismus. Wer immer nur nach Hitler sucht, schaut durch eine verzerrende Brille. Das gilt auch für den ersten Haushaltsplan, den die Regierung Trump vorgelegt hat, ein durchaus logisches Gebilde. Die Kürzungen bei der Unterstützung von Kunst und Forschung muss sein, denn die Wochenendflüge nach Florida sind teuer genug. Sozialprogramme wie "Meals on Wheels" werden abgeschafft, denn das Geschäft mit der Armut brummt: "The Systems works".

*** Unsere Bundeskanzlerin Angela Merkel hat bei ihrem Besuch im Weißen Haus Nord ein verdutztes Gesicht gemacht, als Donald Trump von den Gemeinsamkeiten schwärmte, die Überwachung der Telefone durch die Regierung Obamas. Nachdem Trumps Sprecher zwischenzeitlich auf den britischen GCHQ verwies, was prompt als Unsinn zurückgewiesen wurde, sind die Alternativen Nachrichten noch längst nicht am Ende. Hillary Clinton betreibt aus einer Pizzeria einen Kindersexring, Barack Obama setzt Mikrowellenerde als Kameras ein, nur dieser Klimawandel ist ein totaler Schwindel. So einfach, so unbekümmert werden da Dinge gesagt, von denen man weiß, dass sie nicht wahr sind. Es wird halt schon einen Weg geben, wie Trump per Mikrowelle abgehört wurde, so einen netten Lauschangriff hatten die Russen doch schon einmal mit dem Ding erfolgreich durchgeführt. Natürlich darf ein Lauschangriff nicht so einfach auffallen wie beim Aufstellen der Mikrowelle gleich neben dem WLAN-Router.

*** Auch die Sache mit der russischen Alfa Bank, die sich als Opfer sieht, ist etwas zu einfach gestrickt. Sowohl die Alfa Bank wie die Sberbank sind Kunden bei Kaspersky Labs, deren Abteilung Kaspersky Government Solutions den geschassten nationalen Sicherheitsberater Michael Flynn für 11.250 US-Dollar als Redner engagierte. Auch wer vom Oligarchenturm Rückschlüsse auf Trumps Vermögen zieht, macht es sich zu einfach. Ob die Anklage der FSB-Agenten ausreicht, die mit Hilfe von zwei russischen Hackern versuchten, an die Mail-Konten russischer Oppositioneller zu kommen, wird sich zeigen müssen. Von Russland aus dürfte dies als Einmischung in innerrussische Angelegenheiten gewertet werden, auch wenn amerikanischer Server und Webdienste beteiligt waren. Die Frage, wie eine ordentliche Attribuierung eines staatlichen Akteurs gelingen kann, ist noch lange nicht beantwortet.

Was wird.

Noch bevor Angela Merkel über die CeBIT geht, feiert die Software SCHAKAL ihre Premiere. SCHAKAL ist die Schleswig-Holsteinische Analyse-, Kriminologie-, Archivierungs- und Leitungssoftware, die die Polizei im Sonntags-Tatort einsetzt. Ein Super-System, das da im "echten Norden" geschaffen wurde und das Darknet spielend überwacht Alles digital, alles unter einem Dach: Informationssysteme, Online-Überwachung, Rasterfahndung. Wie das Land, so die Software, wie ein Jevener Pilsener (!), heißt es in der TV-Rezension des gefühlt 100. Tatort, in dem das Darknet auftaucht. Vorbei die Zeiten, als Schleswig-Holstein mit Fernschreibern und der Personen-Erkenntnis-Datei als erstes Bundesland die datenbankgestützte Fahndung einführte und es ruhig war zwischen den Küsten. Nun gut, SCHAKAL ist ein Fernsehgag, doch wie sieht die Zukunft aus? Beim Überwachen ist der echte Norden schon weit voran gekommen und der Traum eines Big Brothers fast erfüllt: Jeder Mensch in Schleswig-Holstein gerät jedes Quartal in eine Funkzellenabfrage.

*** Vergesst die CeBIT, hat sich Microsoft auf die Fahnen geschrieben. Man habe den Auftritt zugunsten der Messepartner reduziert, heißt es. Überhaupt müsse mehr Tempo bei der digitalen Transformation gemacht werden und wo kann man besser auf die Tube drücken als in Berlin? So dürfte es niemanden wundern, dass der Microsoft-Präsident & Chief Legal Officer Brad Smith mit der hübsch benannten Veranstaltung "Grundrechte können digital" in Berlin den Start der rechtsdichten deutschen Microsoft-Cloud feiert. Berlin, das ist die Hauptstadt, wo Grundrechte neu gedacht und neu gefasst werden, in Karlsruhe werden sie überprüft. Wie kreativ man dabei vorgehen kann, zeigt die endgültige Entscheidung des Bundesgerichtshofes in Karlsruhe zur Anhörung von Edward Snowden auf deutschem Boden. Zwar sind 2 von 8 Mitgliedern eines Untersuchungsausschusses ein mathematisches Viertel, doch muss das minderheitentechnisch so wichtige Viertel im strahlenden Lichte des Grundgesetzes gesehen werden, wo ein Viertel sich auf die Gesamtheit der Abgeordneten bezieht. Grüne und Linke sind so gesehen keine Minderheit, sondern nur zwei kümmerliche Zehntel. So geht das mit "Grundrechte können digital". Wer einfach so an die Weisen von Karlsruhe glaubt, dem sei gerufen: Träum weiter!

Quelle : www.heise.de
Titel: 4W: Von digitalisierungspolitischen Lücken und Beruhigungszäpfchen
Beitrag von: SiLæncer am 26 März, 2017, 07:16
Verschiedene Schattierungen von Grau scheint der Gipfel dessen zu sein, was sich manch biederer IT-Funktionär an Hipness vorstellen kann. Da muss Hal Faber ausnahmsweise auch mal nach Disruption rufen. Hey, Digitalisierung, das fetzt!

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Roll over, Beethoven, der große Chuck Berry kommt ins Pantheon der Musik und macht da erstmal ordentlichen Rock'n'Roll. Vielleicht lacht er nur über all die gelehrten Nachrufe, die ihn als Erfinder der Aufsässigkeit feiern. Beethoven überrollen, dazu braucht man Mumm. Wenn Ray Kurzweil mal wieder Unrecht hat und es doch Außerirdische gibt, werden sie Johnny B. Goode hören und beschließen, zur Erde auszuwandern, wo man so fantastisch jammen kann und sie ein sagenhaftes Instrument haben, die Gitarre. Nicht auf den Voyager-Sonden dabei: Die blödeste TV-Show Amerikas mit Chuck Barris. Wie der King of Rock'n'Roll ist der King of Schlock in ein Pantheon eingezogen, in dem er geehrt wird für die unvergleichlichen Popsicle Twins.

*** Baby doll, when bells ring out the summer free. Oh baby doll, will it end for you and me?. Keine Chance auf SchneeBIT mehr, da kann man Technologie nicht emotional inszenieren, bibber, niesel, niesel. Da braucht es schon die richtige Jahreszeit, wie damals bei der CeBIT Home mit der Cyberdance Hit Night oder dem Show-Giganten Jürgen Drews und Rex-Gildo, wissensschon. Im Juni 2018 dürfen wir also im rockenden Hannover – Scorpions! Charly Maucher! – Europas führende Eventplattform für Digitalisierung bestaunen. Ach, was schreibe ich da, Leadmaschine will man sein, so richtig disruptiv aufmischen. Tschüss norddeutsche Tiefebene, jetzt ist North by Northeast angesagt und aus der c't (Magazin für Computertechnik) wird f'd (Fetzige Digitalisierung). All das, weil die CeBIT in ihrer bisherigen Form zu brav, zu bieder und zu oft verregnet ist und nicht die "Over-the-Top-Player" anlockt, die auf dem "Playing Field" herumstehen. Nun kommt der dreifaltige Groove aus d!conomy, d!campus und d!talk. D!oh folgt dann am 16. Juni.

*** Eating your own dog food? Von wegen. Auch auf der CeBIT schreien all die Wissenden und Vordenker "Disruption, Disruption!" Aber wenn sie sie selbst betrifft, dann rennen sie schreiend weg. Es ist immer wieder amüsant. Oder eigentlich nicht, wenn die deutschen Bedenkenträger wieder Polka tanzen und jeden neuen Ansatz gleich mal für unmöglich erklären. Denkt groß? Traut Euch was? Ach, woher denn. Wenn sich Sicherheitsparanoiker und Behördenvertreter treffen, dann sind verschiedene Schattierungen von Grau der Gipfel der Coolness. Nun gut. Trauen wir uns trotzdem was, versuchen wir was. Und wenn's dann doch nicht klappt, wissen wir wenigtens, woher die Rettung kommt: In jeder Stadt und in jedem Land ....

*** Dieses Spielfeld, ach, es ist einfach nicht ordentlich geregelt und ausgemessen. Dabei sind es ausgerechnet die Deutsche Telekom und Vodafone, deren Drohungen, die CeBIT zu verlassen, den Neustart noch einmal forcierten. Redliche steuerzahlende Konzerne, die den Kunden brav SMS-Dienste anbieten und erleben mussten, wie sie von WhatsApp überholt und in den Schatten gestellt wurden. Schreiend wegrennen sollte man aber an deren Stelle lieber, wenn dieses wortreich in dem Weißbuch Digital Plattformen beklagt wird, das noch unter Siggy "Pop" Gabriel verfasst, aber auf der CeBIT von Biggy "Browser" Zypries vorgestellt wurde. Ein Werk, das die Diskussion auf Jahrzehnte befeuern soll. Da fordert man also als Wirtschafts-Leadmaschine im besten Deutsch aller Zeiten ein "Level Playing Field für Over the Top-Dienste" die die Legal Landscape, äh, den Rechtsrahmen ignorieren. Und stellt im Jahre 2017 fest: "Rechtsfreie Räume im Internet darf es nicht geben", nur um im selben Absatz das idiotische "Netzwerkdurchsetzungsgesetz" von Heiko "IQ" Maas über den grünen Klee zu loben und auch noch einen neuen Straftatsbestand des Cybermobbing zu fordern. Schluss mit lustig und den vielen phantasievollen Usernamen im Heise-Forum, das ist mal wieder eine wahrlich sozial-demokratische Idee im Stile der Charta des Hl. Schulz mit dem Artikel 5, Absatz 2 und Absatz 4. Nun heißt es:
"Wir wollen außerdem prüfen, ob durch ein eindeutiges Identifizierungsverfahren die Betreiber öffentlicher Meinungsforen verpflichtet werden können, ihre Nutzer vorab zu registrieren. Diese können zwar anschließend auf der Plattform anonym agieren. Im Fall erwiesen rechtswidriger Äußerungen müsste die Plattform die Identität des Nutzers jedoch den Behörden bekanntgeben."

*** Positiv ist zu bilanzieren, dass das Weißbuch Digitale Plattformen selbst auf dieser ereignisarmen CeBIT bei der Vorstellung nicht beachtet wurde, anders als im geschäftigen Berlin. Negativ, dass eine neue Behörde kommen soll, eine Digitalagentur, die als Think Tank "die digitalisierungs­politische Lücke an der Schnittstelle zwischen Politik, Wirtschaft und Gesellschaft" schließen soll. Digitalisierungspolitisch und Think Tank klingt schon einmal nett, zumal das Weißbuch eindeutig festhält, dass ein Digitalministerium entbehrlich ist. Des Pudels Kern der Digitalagentur ist ein ganz anderer: "Gleichzeitig wäre sie eine effektive Eingriffsbehörde, die kurzfristig auf Rechtsverstöße reagieren könnte" und "Komplementär zu Aufgaben der Bundesnetzagentur oder des Bundeskartellamtes könnte die Digitalagentur auch mit spezifischen hoheitlichen Aufgaben beauftragt werden". Was da um die Ecke kommt, ist ein Plan für ein Bundesamt für Wahrheit im Neuland, kurz BAWIN genannt.

*** Wenn es einen Preis für das kreative Finden von Akronymen gibt, so geht dieser in die USA an Politiker der Demokraten. Ihr Gesetzesvorschlag "Making Access Records Available to Lead American Government Openness Act", der MAR-A-LAGO Act über die Veröffentlichung der Besucherlisten im Weißen Haus Nord und Weißen Haus Süd, ist ein hübscher Hinweis auf die Regierungstätigkeit eines Präsidenten, der bis jetzt an fünf Wochenenden in seinem Golfclub Mar-a-Lago verbrachte. Wo er bald wieder sein wird, wenn der chinesische Kollege Xi Jinping kommt. Wo er sich entspannen kann von den Niederlagen der letzten Tage, die dem großen Dealmaker schwer zusetzen. Noch schwerer traf es seinen Strategen Steve Bannon, der als Kreppleopard entzaubert wurde, einer aparten Variante des Papiertigers. Jetzt steht die Steuerreform an, die die Wirtschaft ankurbeln soll, nachdem der heimischen Flugwirtschaft mit einem seltsamen Laptop-Bann geholfen wurde.

*** Europa feiert derweil Europa, die Sonntagsreden werden an einem Samstag gehalten und Google veröffentlicht die opulente Anzeigensonderbeilage "Aufbruch Daten", in der Europas besonderer Freiheitsbegriff erklärt wird: "Früher war frei, wer Land besaß und Tür und Tor hinter sich schließen konnte. Wer frei war, hatte also auch eine Privatsphäre." Diese wunderbare europäische Freiheit ist mit dem privaten Google-Konto wiedergekommen, ganz ohne Landbesitz. Ach, Europa, was zitterst du nur? Wo selbst Zehntausende im terrorgeplagten London demonstrierten. Alles wartet auf den Brief, den die Britin Theresa May am 29. März nach Brüssel schicken will. Das ist der Beginn des britischen Auszuges, der den Briten viel Geld wert zu sein scheint, den Schotten weniger. Während der CeBIT ging der erste erfolgreiche Einsatz von Boaty McBoatface über die Bühne. Wem der Name nichts sagt: Das ist ein britisches gelbes Unterseeboot, in dem anders als im Song einer Band namens The Beatles niemand leben kann. Das britische Volk stimmte in einer Abstimmung dafür, ein 125 Meter langes Polarforschungsschiff mit 90 Mann Besatzung so zu nennen. Das Volk will ein ordentliches Schiff mit einem lustigen Namen. Es hat ein gelbes Beruhigungs-Zäpfchen bekommen, das Schiff wird unterdessen RSS David Attenborough getauft. Wir leben in spannenden Brexit-Zeiten.

Was wird.

Als das ruhmreiche Britannia die elenden Hunnen besiegte, spielte einer der ersten Computer namens Colossus eine wichtige Rolle, die vor 10 Jahren mit einem Cipher Event gewürdigt wurde. Am Ende wurde der rekonstruierte Colossus von einem deutschen Funkamateur mit dem Rufzeichen DL2KCD geschlagen. Nun wird der Wettlauf zwischen Computerarchäologen in Großbritannien und Funkamateuren/Kryptologen wiederholt, diesmal mit einer Enigma als Verschlüsselungsgerät: Am 7. April wird der verschlüsselte Funkspruch stilecht auf dem 40-m-Band übertragen. Anregen könnte diese Beschreibung, wie Joachim Schüth vorgegangen ist. Natürlich muss diese Wochenschau in trumpistischen Zeiten mit Chuck Berry enden:

Arrested on charges of unemployment,
He was sitting in the witness stand
The judge's wife called up the district attorney
Said you free that brown eyed man.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. Auf dem Weg zum finnischen Bahnhof.
Beitrag von: SiLæncer am 02 April, 2017, 06:39
Es ist so eine Sache mit Theorien. Ach, "grau, teurer Freund ...", und so weiter und so fort. Hal Faber, auch schon mal von des Gedankens Blässe angekränkelt, wundert sich, weiß aber auch, wie sehr man an der Realität verzweifeln kann.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Die Finissage des Kommunismus geht weiter. Auf der anderen Seite des Großen Teiches ist die bolivarische Revolution am Ende. Auf der anderen Seite von Deutschland regieren CDU und SPD weiter. Nichts war's mit r2g im Saarland, so groß wie 359.913 Fußballfelder. Zwar hat die Linke ein vergleichsweise gutes Ergebnis geholt, während die Grünen patzten und die Piraten untergingen, aber was ist das für eine Linke? Die Lafontaines als Kommunisten, das glaubt höchstens Gerhard "Nordstream" Schröder und der Spiegel-Kolumnist Jakob Augstein. Pixel platzen nicht vor Scham? Da wäre ich mir nicht so sicher. Tja, was sind die echten Linken? Vielleicht die autonomen Antifaschisten auf Seiten der Kurden?

*** "Die wahre Theorie muss innerhalb konkreter Zustände und an bestehenden Verhältnissen klargemacht und entwickelt werden." Heute vor 150 Jahren beendete der erklärte Nicht-Kommunist Karl Marx die Arbeit am ersten Band des Kapitals und machte sich an die Vorbereitung der Druckfassung eines Werkes, das man nach einem Diktum des französischen Philosophen Althusser mindestens achtmal hintereinander gelesen haben muss, ehe man so etwas wie Verständnis zusammen hat. Chan geht leichter. Ebenfalls vor 150 Jahre eröffnete die Revolutionärin Mathilde Franziska Anneke in den USA eine Mädchenschule. Man kann es drehen und wenden, wie man will, "es genügt nicht, dass der Gedanke zur Verwirklichung drängt, die Wirklichkeit muß sich selbst zum Gedanken drängen". Auch von Karl Marx, als er sich noch am ollen Hegel abarbeitete. Oder, etwas poetischer vom Teufel persönlich: "Grau, teurer Freund, ist alle Theorie, und grün des Lebens goldner Baum."

*** Noch mehr Geschichte? Heute vor 100 Jahren begannen die Verhandlungen russischer Exilanten mit dem Deutschen Reich, wie man die Damen Krupskaja, Armand und Bronski sowie die Herren Lenin, Radek und Sinowjew nach Rusland bringen könnte, damit sie dort den Staat plattmachen und mit Deutschland Frieden schließen können. Ein Waggon mit angekreideter Grenze zu einem extraterritorialen Gebiet ging auf die Reise nach Sassnitz, dort wo heute die Rohre für Schröders Nordstream II verladen werden. Auf dem Weg zum finnischen Bahnhof ging es sogar über Berlin und Lenin hatte reichlich Zeit, seine Aprilthesen vorzubereiten, dank derer der Kommunismus in einem unterentwickelten Land wie Russland siegen konnte. "Kommunismus ist Sowjetmacht plus Elektrifizierung", das gehört zu den beliebten Lenin-Zitaten mit einem Körnchen Wahrheit. Natürlich lehrt uns die Geschichte nichts, wie üblich, außer vielleicht, wie eine grottenschlechte Infografik aussehen muss.

*** Von der Bundeswehr kommt ein Informationsvideo, das irgendwo in Absurdistan gedreht wurde. Mit vielen Wisch-Weg-Bewegungen wird mit der Stimme von Egon Hoegen siebtsinnig erklärt, wie das neue Kommando Cyber- und Informationsraum aufgebaut ist. Transparente Entscheidungen, schnelle Informationen, kurze Kommunikationswege und IT-Spezialisten, die das alles "super" finden, sorgen für ein überaus klares Resultat: "Hacker haben so keine Chance mehr." So bleibt die revolutionäre Erkenntnis, frei nach Lenin: Es gibt Hacker, die sich von einer neuen Organisationsstruktur abschrecken lassen. Dazu passt die neue Image-Werbung mit dem Claim "Wann darf man Hacker hacken" – natürlich immer, sofern sie sich in diesem Cyberraum aufhalten und damit eine Gefahr darstellen. Anders sieht es im Informationsraum aus, unter dem die Bundeswehr offenbar die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit versteht. Da kämpft man eher gegen Fake-News mit diesem Netzwerkdurchsetzungsgesetz.

*** Der tödliche Weg des Anis Amri wird rekonstruiert und wird im Wahlkampf in Nordrhein-Westfalen eine Rolle spielen, wie es Bundeskanzlerin Merkel andeutet. Aber Gemach, es ist ja dafür gesorgt, dass sich so etwas nicht wiederholen kann. Das Bundeskriminalamt hat das Supertool RADAR iTE entwickelt, ein Programm mit Precrime-Fähigkeiten, auf wissenschaftlicher Grundlage aufgebaut. Es kann sogar in der Cloud betrieben werden, denn die Basis für das Superprogramm RADAR ist außerordentlich schlicht. In der Antwort auf diese Anfrage heißt es: "Bei der Durchführung einer Risikobewertung im Rahmen von RADAR iTE kommen die beiden Standard-Komponenten 'Excel' sowie 'Word' des Microsoft-Office-Systems zum Einsatz. Es ist keine spezielle Anwendung für diese Zwecke entwickelt worden." Da sind wir aber beruhigt – oder beunruhigt?

*** Während das Bundeskriminalamt mit Excel nach Terroristen sucht, hat sich die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht beim nationalen Cyberabwehrzentrum eingefunden. Irgendwie müssen ja diese fiesen Banker kontrolliert werden, die via Whatsapp Insidergeschäfte vermitteln. Hier gibt es ja auch radarterrorismustechnisch gesehen eine erschreckende Sicherheitslücke, da muss wohl ZITIS ran, die Spezialstelle für Entschlüsselungen und Entschnüffelungen. Was wohl aus dem Softwaremodul zur Dekodierung von WhatsApp geworden ist, das Kriminalisten und Zollfahnder je nach Bedarf von Digitask anmieteten?

Was wird.

Jetzt, wo endlich der letzte Aprilscherz hinter den Ofen hervorgekrochen ist und klar sein dürfte, dass unser aller Innenminister Thomas de Maizière uns mit abhörsicheren Hüllen für den Reisepass vor "Spionageaktionen ausländischer Geheimdienste" schützen will, können wir wieder zur Tagesordnung übergehen. Da wären unsere eigenen Schlapphüte, die Passausleser vom Bundesnachrichtendienst. Sie brauchten geschlagene fünf Wochen, um Gerüchte über die Existenz einer Liste von "Gülen-Anhängern" zu bestätigen, die der Partner-Geheimdienst Millî Istihbarat Teskilâti überprüft haben wollte. Was so unter Freunden eben alles geht. Fünf Wochen Geheimniskrämerei? Wegen der vielen ü's und ö's in den Namen war wohl der Abgleich mit den eigenen Sammlungen bei BND und Verfassungsschutz schwierig, man denke nur an Namen wie Cem Özdemir, Deniz Yücel (#FreeDeniz!) und Michelle Müntefering. Deshalb sucht man, bitte festhalten, die Sherlock Holmes im Cyberspace. Dr. Watsons sind offenbar genug da.

Wumms, da knallen die E-Korken! Nein, nicht die Wahl in Ecuador ist damit gemeint, die einen wie Julian Assange in seinem selbst gewählten Einzimmer-Exil bedrohen, sondern das Einstein Center for Digital Future. Es wird am Montag in Berlin eingeweiht. Insgesamt werden 50 neue (Junior)-Professuren geschaffen, die diese geheimnisvolle "Digitalisierung" untersuchen, mit rund 40 Millionen Euro hat man die ersten 18 schon beisammen und präsentiert sie in der Wilhelmstraße. Weitere 75 Millionen sollen reingekippt werden, wenn 2018 eine Zwischenbilanz zeigt, dass die Forschung erfolgreich ist. Alles ist so unglaublich cutting edge, dass man schnell 0 und 1 verwechseln kann. Ditte is Bälin, mit 158 Informadsch-Professöcker bestückert, zeigens man nem Silicon Valley dat schnieke E. (<-- dieser Satz ist eine Auftragsübersetzung).

So gut es eben geht, ist diese Wochenschau trumpfrei geblieben. Dennoch muss ein Blick in eine düstere Zukunft geworfen werden. Nachdem die Republikaner im US-Senat die Datenschutzbestimmungen der Obama-Regierung geschlachtet haben, liegt es am amtierenden US-Präsident, sie vollends abzuschaffen. Das ist ein weit einfacherer Durchsetzungsakt als die Auflösung von Obamacare und dürfte in den nächsten Tagen vielleicht so ablaufen. Feiern wir dagegen oder dafür den 40. Geburtstag von Alice und Bob!

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. Zur neuen deutschen Fake-Aufrüstungswut.
Beitrag von: SiLæncer am 09 April, 2017, 08:46
Ein Cyber ist ein Cyber ist ein Cyber ist ein Cyber. Was man uns damit sagen will? Gute Frage, meint Hal Faber, der all die Cyber-Angstträume von Flinten-, Meinungs- und Bedenkenträgern so traurig findet, dass er (noch) lachen muss.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Rumtata, Tschinderassassa, ach wie toll das fetzt, da lacht meine innere Pickelhaube. Wir haben einen wunderbaren Cybermarsch für unsere neue Teilstreitkraft, die Cyberkrieger, da können selbst die flott klingenden Älpler nicht mithalten. Und so fesche blaue Barette haben unsere IT-Kämpfer, wohl der Hinweis darauf, dass die zivile IT bei der BWI ein lupenreiner IBM-Laden ist, mit Lenovo Thinkpads an der Schreibtisch-Front. Dabei steckt dieses Cyber längst im Exoskelett unserer Truppen, wie es unsere Verteidigungsministerin in ihrer Rede betonte: "Denken wir an den MedEvac-Hubschrauber in Mali, der nicht abhebt, ohne dass er an ein SAP-Programm angeschlossen wurde." Was für eine tolle Werbung für SASPF, ganz für umme. Aber gemach, es kommt noch besser.
"Wenn die Netze der Bundeswehr angegriffen werden, dann dürfen wir uns auch wehren. Sobald ein Angriff die Funktions- und Einsatzfähigkeit der Streitkräfte gefährdet, dürfen wir uns auch offensiv verteidigen. Bei Attacken auf andere staatliche Institutionen können wir immer im Rahmen der Amtshilfe tätig werden. In den Auslandseinsätzen ist die Lage klar. Hier bestimmen die Bundestagsmandate die Möglichkeiten – und Grenzen – das gilt selbstverständlich auch für den Cyberraum. Und soweit es darüber hinaus noch rechtlichen Klärungsbedarf gibt, stehen wir ohnehin in engem Austausch mit den zuständigen Ressorts. Dabei ist Cyber nur einer der wesentlichen Anteile im größeren Informationsraum. Die Vielfalt stellt uns tagtäglich vor neue Herausforderungen. Mit der hybriden Kriegsführung in der Ostukraine haben wir einen Vorgeschmack bekommen. Und die Drohung eines virtuellen Kalifats ist keine leere mehr. Wir erinnern uns an den Bundestagshack ebenso wie an die Fake-News-Kampagne gegen die Bundeswehr in Litauen."

*** Das ist schon erstaunlich. Einerseits ist der Cyberraum unendlich groß, andererseits scheint er Landesgrenzen zu haben, wo die ITler nur mit einem Mandat des Bundestages loshacken dürfen. Nicht minder überraschend auch, wie hier der Bundestagshack in das militärische Bedrohungsszenario eingebettet wird und Narichten von Russia Today an der Grenze zur Kriegshandlung gewertet werden. Dieses Cyber muss also "offensiv verteidigt" werden, bis hin zum harten Bodenkampf mit abgesessener IT-Infanterie, bis auch die letzte Fake-News besiegt worden ist. Ich höre schon zackig gebrüllte Kommandos und Befehle, wenn das Bundeskriminalamt wieder einmal ein Botnetz ausgehoben hat. So etwas muss die Truppe schon übernehmen dürfen, um die nötige DDoS-Power für das "offensive Verteidigen" zu bekommen, oder?

*** Natürlich gefällt diese neue Cyber-Teilstreitkraft nicht jedermann. Die Wumm-Peng-Baller-Fraktion wird daher die Nachricht beklatschen, dass unser Heer drei neue Artilleriedivisionen bekommt. Das ist eine Investition, die "nach Ansicht von Bundeswehrexperten deutlich teurer werden [dürfte] als die Investitionen in die Cyberabwehr." So gehen die Deutschen, die Deutschen gehen so – vor dem großen Strategen, dem Weltpolitiker mit Weitblick namens Donald Trump in die Knie.

*** Bleiben wir bei den Fake-News in unserem frisch militarisierten Leben. Was von der Leyen mit ihrer neuen Truppe nicht schafft, das hat das Bundeskabinett ganz locker hinbekommen, die Internetfreiheiten ins Koma zu schicken. Das irrsinnigerweise Netzwerkdurchsetzungsgesetz genannte Zensurgesetz ist auf den Weg gebracht. So wie einst von Paul Sethe die Pressefreiheit als Freiheit von ein paar reichen Leuten definiert wurde, ihre Meinung zu verbreiten, soll jetzt die Meinungsfreiheit die Freiheit von ein paar Unternehmen sein, "objektiv strafbare Inhalte" in Selbstjustiz zu verbieten. "Soldaten sind Mörder", das ist künftig ein Fall für Twitter und Facebook Deutschland, nicht mehr für ordentliche Gerichte. Doch die Hoffnung stirbt zuletzt, diesen Durchsetzungsmurks zu verhindern. Nein, gemeint ist nicht die Opposition mit einer Partei der Grünen, denen der Murks nicht weit genug geht. Soviel zu einer Partei, die einst mit dem Konzept der alternativen Gegenöffentlichkeit groß geworden ist.

*** So ist es wieder einmal Karlsruhe der Zauberort im Auge des Sturms: Nahezu zeitgleich hat sich das Bundesverfassungsgericht mit der Zulässigkeit von Schmähkritik befasst. So werden wir noch viel Spaß mit mitleidlosen Bloggern haben, die aus der Erwähnung in einem Heise-Forum unter Hinweis auf das Netzwerkdurchsetzungsgesetz bereits jetzt über Klagen nach dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz fantasieren. Ja, die Heise-Foren werden offenbar zu den "höchstens zehn sozialen Netzwerke" mit mehr als zwei Millionen Nutzern in Deutschland gerechnet, die vom Gesetz betroffen sind. Schlappe 50 Millionen Euro werden die Netzwerke für den Aufbau ihrer Privatgerichtsbarkeit aufwenden müssen, heißt es in der Gesetzesbegründung. So etwas muss natürlich mit mehr Werbung wieder reingeholt werden – oder mit dem Verkauf von Daten an die Politik. "Facebook und Twitter sitzen auf riesigen Datenmengen über die Probleme unseres politischen Systems, die sie nicht rausrücken", meint Philipp Howard in der Süddeutschen. Das muss doch zu monetarisieren sein!

*** Hinzuweisen wäre noch auf Artikel 2 des empörungsreichen Netzwerkdurchsetzungsgesetzes, mit dem das Telemediengesetz im §14 Absatz 2 wieder einmal ergänzt werden soll. Erst ging es in diesem Artikel zur Bestandsdatenauskunft nur um den Schutz des geistigen Eigentums, dann kam ganz selbstverständlich die "Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus" hinzu und die Auskunftspflicht wurde auf die Nachrichtendienste ausgedehnt. Nun geht es weiter im Geschirr der Datenschnüffler. Neben dem geistigen Eigentum sind "andere absolut geschützte Rechte" in aller gebotenen Undeutlichkeit aufgeführt. Der neue Freifahrtschein für Daten-Auskünfte aller Art liest sich dann so:
"Auf Anordnung der zuständigen Stellen darf der Diensteanbieter im Einzelfall Auskunft über Bestandsdaten erteilen, soweit dies für Zwecke der Strafverfolgung, zur Gefahrenabwehr durch die Polizeibehörden der Länder, zur Erfüllung der gesetzlichen Aufgaben der Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder, des Bundesnachrichtendienstes oder des Militärischen Abschirmdienstes oder des Bundeskriminalamtes im Rahmen seiner Aufgabe zur Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus oder zur Durchsetzung der Rechte am geistigen Eigentum oder anderer absolut geschützter Rechte erforderlich ist."

*** Vielleicht hat das alles dann doch bald ein Ende, und vom Weinen übers Lachen gehen wir zum letzten Schrei über, weil nichts mehr bleibt, worüber man noch lachen könnte. Wie sang einst Peter Hammill bei Van der Graaf Generator: "We walked along, sometimes hand in hand, between the thin lines marking sea and sand; smiling very peacefully, we began to notice that we could be free, and we moved together to the West. We're refugees, walking away from the life that we've known and loved; nothing to do nor say, nowhere to stay; now we are alone."

Was wird.

Am Montag wurde in Berlin wieder einmal einer dieser Exzellenz-Cluster gestartet, die Deutschland nach vorne bringen soll, egal wo dies ist. Diesmal will man im Namen von Einstein dieser Digitalisierung auf die Schliche kommen. Fragen gibt es ja genug. Was treibt den Menschen, einen Dildo mit Kamera zu kaufen? Medizinischer Forscherdrang eher nicht. Interessant dürfte die Forderung der Einstein-Abteilung für Digitale Gesundheit sein, die elektronischen Patientenakten der medizinischen Telematik in die Cloud zu legen, damit alle, Forscher wie Ärzte, auf die personalisierten Daten zugreifen können. So freuen wir uns auf die Medizinmesse ConHIT ebenda zu Berlin, die die allgemeine Verfügbarkeit von Patientendata als Messe-Highlight anpreist und nicht als Datenschutz-GAU. Patientenakten in der Cloud, die zum Zugriff nötige Software als Software-as-a-Service, da schlägt doch allen IT-Menschen das Herz schneller.

Wer etwas wirklich Gesundes tun will, kann sich an einem Ostermarsch beteiligen. Oder, wie jeden Sonntag um 14 Uhr, am #PulseOfEurope in diversen (nicht nur) deutschen Städten. Angeblich erleben wir ja die Geburt eines Außenpolitikers von Helden-Format. Zu dumm, dass dieser unstete "Held" mit seinem durchaus kritisch beurteilten Schnellschlag im Besitz eines Atomköfferchens ist, das Air Force-Pilot Wes Spurlock in Mar-a-Lago getragen hatte. In einigen Regionen Deutschlands wird nicht marschiert, sondern das Fahrrad benutzt. Auch E-Bikes sind gestattet, inzwischen ist Strom ja regenerativ sowas von gesund.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. Von der Reformation zur Lachattacke.
Beitrag von: SiLæncer am 16 April, 2017, 01:15
Freiheit? Freiheit! Was dieser Tage alles gefeiert wird, da kommt einiges zusammen. Das Wichtigste aber sollte man keinesfalls vergessen, betont Hal Faber.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Wie lange bunte Schlangen walzen sich die Ostermärsche durch das Land, als mutige Antwort auf die dicken Raketen bei der Kimparade. Huch, heiliger Lammbraten, soll die österliche Wochenschau etwa mit einer dieser "Fake News" beginnen? Dann doch lieber mit den Aufrüstungsbemühungen unserer Bundeswehr, die mit "Cyber Days" ihre IT-Kampfkraft stärkt und die Besten der Besten auf Basis der Software "Capture the Flag" einem harten Einsatztest unterzieht. Nachdem es schon in der letzten WWWW-Ausgabe cyberte, schickte mir ein Leser das nebenan abgebildete, von ihm kommentierte Foto von der Kaserne, in der die Leitung der Teilstreitkraft Cyber- und Informationsraum residiert. Wir sehen: Ein beeindruckender Cybersicherheitszaun umgibt das Gelände, in dem der Wachposten in einem niedlichen Torhäuschen das Tablet mit Bajonett präsentiert. Rund um das Häuschen, noch bröckelig geschichtet, sind feldgraue Rudimente der mächtigen Militär-Firewall zu sehen, die zur Not auch als Wurfgeschosse dienen könnten. "Lasciate ogni intelligenza, voi ch' entrate."

*** Ja, so ist die besonders gehärtete Militärpräsenz mit den Kampf-Walls von Secunet bestens ausgestattet, den Cyber-Gefahren zu begegnen. Ganz anders steht unser deutscher Bundestag da, der nach einem "Geheimbericht" der "Pentesting"-Firma Secunet fette Sicherheitslücken aufweist und zunächst einmal für 470.000 Euro für eine Firewall ausgibt, bei der die Abwehr-Klötzchen dichter gepackt sind als eine Lastwagenlieferung von Amazon Prime-Retouren. Gratulation an Secunet für diesen vorösterlichen Werbe-Coup in eigener Sache!

*** Vor 500 Jahren, zu Ostern 1517, predigte der Dominikanermönch Johann Tetzel zum göttlichen Ablassverfahren in Jüterbog und schlug eine große Truhe auf, aus der sich der neue christliche Geschäftszweig der Evangelen entwickelte. Denn ungerecht waren sie ja, diese käuflichen Reuen der menschlichen Sünden in Depot-Form, mit dem die großen Bankhäuser entstanden, an die das Geschäft verpachtet wurd. Der Ablass für Sodomie notierte anno 1517 mit zwölf Dukaten, der Kirchenraub mit neun, Hexerei mit sechs. Vergleichsweise kostengünstig war der Elternmord und der Mord am eigenen Weibe mit vier Dukaten. Besonders schick und an die Internet-Ökonomie erinnernd war die Möglichkeit, sich vor der Tat den passenden Ablass zu kaufen, wie dies Ritter Hake tat, bevor er Tetzel ausraubte. Eine Tagesreise weiter südlich erlebte Martin Luther in Wittenberg, wie seine Schäfchen über die Grenze nach Jüterbog gingen, um sich freizukaufen. Bekanntlich lief in dieser Woche "Die Luther Matrix", nur echt mit Deppen-Leerzeichen, mit Sicherheit der größte Trash des Jahres 2017. Wer Edward Snowden mit Martin Luther zusammenbringen kann, für den muss Barack Obama eine Erleuchtung sein.

*** Das Programm der re:publica 2017 ist draußen und siehet, es ist eine gar österliche Offenbarung der Liebe. Drei Religionen treten diesmal an und ringen um den Glauben der 3000 Netzschäfchen, die nach Berlin zum Ablassen kommen. Da sind die Voodoo-Priester der Blockchain, eine Art digitaler Oblaten, in denen der Geist des Internet steckt. Mit der Blockchain kann die Demokratie demokratisiert, die Natur renaturalisiert werden, sogar der Stromhandel über den Gartenzaun ist möglich, damit das Entreprekariat seiner prekären Existenz entfliehen kann. Dann sind da die Katholen, die gekonnt die große Tetzel-Frage stellen: What the Fuck is Netzpolitik? Ja, wenn der Mensch ein Abbild Gottes ist, dann sind seine Daten Rohöl für diese göttliche Teilhabegerechtigkeit: Mindestens eine Kirchensteuer für Internetkonzerne muss doch drin sein.

*** Schließlich gehen die Evangelen in Berlin in die Vollen, stolz auf 500 Jahre Reformation ziehen sie voll verinnerlicht aus, die digitale Theologie zu verkünden mit den Zehn Geboten für die Digitale Welt. Statt "Think!" (IBM) oder "nutze deinen Verstand!" (Kant) lesen wir Gefasel in schlechtem Deutsch statt Gebote: "Du brauchst dich nicht vereinnahmen zu lassen!". Vereinnahmen, sowas kannte ich nur von den Vereinen und ihrem "Mein Freund ist Ausländer". Das mit dem Datentestament mag ja noch angehen, bedarf aber technischer Anleitung, zumal Downloads in einem Nachlass stecken können, die nach dem Glauben deutscher Christen einfach pietätlos sind: "Du sollst nicht illegal downloaden!"

*** Nun ist seit Montag auch Pessach, das bis zum 18. April gefeiert wird. Dieser Auszug aus Ägypten dauerte halt. Zum höchsten Fest der Juden (es dauerte auch etwas, bis Luthers Judenhass fürs Reformationsjubeljahr Thema wurde) ist bei uns Verleugnung angelaufen, ein Film über die Fake News, die "Forscher" wie David Irving oder Ernst Zündel mit seiner Zündelsite oder "Reporter" wie Fred Leuchter in die Welt setzten. Wer glaubt, dass diese Sicht des Holocaust als reine Meinungssache abgetan werden kann, hat den Unsinn schon vergessen, den Trumps Sprecher Sean Spicer über die Holocaust Center erzählte. In diesem Wortbild steckt die Holocaust-Industrie der Faktenverdreher, gegen die seinerzeit Deborah Lipstadt aktiv wurde und Irving einen Lügner nannte. Seinerzeit? Als Lipstadts Buch "Betrifft: Leugnen des Holocaust" 1994 in Deutschland erschien, war Deutschland mitten im "Superwahljahr" und Erwin Leiser fragte sich im Vorwort, wie Medien mit Neonazis, Holcaust-Leugnern und anderen Verharmlosern umgehen sollen. "Man darf ihnen nicht die Möglichkeit geben, ihre Thesen in Radio und Fernsehen zu vertreten. Redefreiheit steht nur denen zu, die sie nicht missbrauchen."

Was wird.

Damals kam das Internet hinzu, das von Leuten wie Zündel rege genutzt wurde, um Fake News über den Völkermord zu verbreiten. Prompt gab es Klagen gegen Verlinkungen und die merkwürdigsten Kompromisse. In einer Bulkware von damals, Beihilfe zur Realität betitelt, kam der Fall des Internet-Providers Web.com zur Sprache, der Zündel hostete, aber von jeder Seite aus einen Link zum Nizkor-Projekt verlangte, wo jede Behauptung der Zündels, Irvings, Leuchters und Stäglichs detailreich widerlegt wird. Erwähnt sind auch die vielen Seiten, die Neonazi-Schmierer auf Geocities unter Namen wie "Reichskanzlei" oder "Lebensraum" einrichteten. Heute finden sich solche Seiten auf VKontakte oder, ziemlich versteckt, auf Facebook. Nein, früher war nicht alles besser! Heute haben wir ja das hübsch benamste Netzwerkdurchsetzungsgesetz, das von der Mehrheit einer Menge von Befragten für begrüßt wird. Ob sie den Murks des Gesetzentwurfes gelesen haben, ist nicht bekannt. "Redefreiheit steht nur denen zu, die sie nicht missbrauchen", so einfach geht das heute nicht. Zum kommenden Gesetz heißt es in der Deklaration für Meinungsfreiheit sprachlich verquast und inhaltlich verschwurbelt:

"Absichtliche Falschmeldungen, Hassrede und menschenfeindliche Hetze sind Probleme der Gesellschaft und können daher auch nicht durch die Internetdiensteanbieter allein angegangen werden – dafür bedarf es der Kooperation von Staat, Zivilgesellschaft und der Anbieter. Wir setzen uns daher für eine gesamtgesellschaftliche Lösung ein, durch die strafwürdiges Verhalten konsequent verfolgt wird, Gegenrede und Medienkompetenz gestärkt werden und ein die Meinungsfreiheit respektierender Rechtsrahmen für die Löschung oder Sperrung rechtswidriger Inhalte erhalten bleibt."

Wo bleibt das Positive? Deutschland bekommt im Herbst den ersten echten Sicherheitsbahnhof. 500 Pendler testen dann wie seinerzeit beim fehlgeschlagenen Test im Mainzer Hauptbahnhof, ob die Gesichtserkennung über moderne Videokameras so weit gediehen ist, dass Gesichter von Gesuchten auf den großen Rolltreppen endlich automatisch gefunden werden können. Zwar hat will man noch "zeitnah" entscheiden, welche "Hersteller von Gesichtserkennungssystemen" eigentlich die Software dafür stellen, wenn ein Gesicht von der Datenbank identifiziert wird und die Bundespolizei per Vorrangschaltung die Verfolgung durch das Berliner S-Bahn-Videonetz aufnimmt. Auch beim zweiten Projekt der automatischen Analyse zum automatischen "Erkennen gefährlicher Situationen" hat man sich noch auf keinen Software-Partner festgelegt, doch freuen wir uns mal ganz österlich gestimmt:"Wenn's Videokasterl Sicherheit bringt, die Seele in den Himmel springt". Die Seele des Menschen, das bewies der Arzt Carl Ludwig Schleich vor 100 Jahren höchst wissenschaftlich im Einklang mit den alten Griechen, ist das Zwerchfell. Gesegnete Seelenattacken allerseits.

An Pesach wird ja die Freiheit gefeiert. Musik ist da immer gut, von John Zorn und seinen Chaverim vom Bar Kokhba Sextet sowieso. Teli, die Himmelschlange, übrigens, führt Gershom Sholem aus, verursacht Finsternisse. Freuen wir uns also lieber an der Freiheit und hoffen wir, dass sich andere Schlangen durch Deutschland wälzen, die Himmelsschlange aber Ruhe hält.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. Vernunft oder Unvernunft, das ist die Frage.
Beitrag von: SiLæncer am 23 April, 2017, 05:14
Sein oder nicht sein? Ach, die vom großen Barden gedichtete Frage ist schon längst überholt, wenn es um erst einmal um die Vernunft geht. Die allenthalben mit Bauchgefühl und alternativen Fakten gemeuchelt wird.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** That time of year thou mayst in me behold,
When yellow leaves, or none, or few do hang
Upon those boughs which shake against the cold,
Bare ruined choirs, where late the sweet birds sang.
In me thou seest the twilight of such day,
As after sunset fadeth in the west,
Which by and by black night doth take away,
Death’s second self that seals up all in rest.
In me thou seest the glowing of such fire,
That on the ashes of his youth doth lie,
As the death-bed, whereon it must expire,
Consumed with that which it was nourished by.
This thou perceiv’st, which makes thy love more strong,
To love that well, which thou must leave ere long.

Ja, der große Barde hat Geburtstag und so passt das 73. Sonett zum Abschied von der Idee der Demokratie in Europa, mit dem Segen von Donald Trump. Natürlich ist Shakespeare mit dabei, als Teil des europäischen Erbes, wenn der Franzos' in der tageszeitung über sein Land deklamiert: "Favoriten fallen in Ungnade, alte Parteien geraten ins Schwanken, die führende politische Klasse gerät in Panik, und die Franzosen sehen ihren Wahlschein wenige Tage vor dem Wahlgang an wie Hamlet den polierten Schädel in seiner Hand. Vernünftig sein oder nicht – das ist die Frage."

*** Wobei die Vernunft es gebieten würde, den Europa-Politiker Emmanuel Macron zu wählen, wie es Martin Walser den Franzosen vorschlägt, ganz im Fahrwasser von Daniel Cohn-Bendit. Aus französischer Sicht sieht freilich es anders aus, hier muss die dauernd twitternde Marine Le Pen im ersten Wahlgang gewinnen, wenn sie eine Chance auf die Regierungsmacht hat. Deswegen gilt an vielen Orten die Vernunft recht wenig und man ist im Zweifel rechts. "Hier träumen sie davon, Macron zu stürzen, bevor er überhaupt ins Amt gekommen ist. Und im Zweifel wählen sie dann Le Pen."

*** Ringsherum wird der Tag von Mutter Erde gefeiert, mit der Behauptung, dass unsere Kommunikation grüner und grüner wird. Es gibt Märsche für die Wissenschaft und gegen den Schlaf der Vernunft, da erscheint eine Zeit, in der Frankreich wieder begeistert Partant pour la Syrie gegen den Islam zu Syrien ins Feld ziehen könnte, nicht unbedingt erstrebenswert.

*** Glückliche Melinda und Bill Gates! Eine Ritterin und ein Ritter der Ehrenlegion zu sein, ist ihnen nicht vergönnt, doch die Auszeichnung mit dem Verdienstorden der Legion durch Präsident Hollande ist auch schon was. Unglückliche Pamela Anderson! Der von ihr präferierte Kandidat ist Luc Mélenchon, der ihrem Busenfreund Julian Assange Asyl versprochen hat und eine Zusammenführung der "jungen Familie" Assanges – genau wie Marine Le Pen. Mr Melenchon for President! S'il vous plait. Oder doch nicht.

*** Wenn das so einfach wäre. Schließlich ist die Regierung Trump dabei, Wikileaks den Pressetatus zu entziehen, mit dem die Regierung Obama die Whistleblower um Assange bedacht und dann links liegen gelassen hatte. Es gilt, die CIA-Scharte auszuwetzen, und so wird Julian Assange zu einem zweiten Philip Agee umgelabelt, stilecht mit Fake-News, die CIA-Chef Pompeo da in die Welt posaunt. Der Athener CIA-Chef Richard Welch, der 1975 erschossen wurde, wurde von dem ostdeutschen Journalisten Julius Mader enttarnt. Wie gut, dass heutzutage alles etwas einfacher geworden ist. Statt irgendwelcher Stationschefs irgendwo braucht man nur noch Digital Targeters, die in der Gegend um Washington arbeiten können und diesen finalen digitalen Rettungsschuss beherrschen, ganz ohne Dreck und Blut und Bombenknall.

*** Es gibt viele Filme, in denen Attentate und Börsenspekulationen eine wichtige Rolle spielen. Die Leerverkäufe im Bond-Film "Casino Royale" sind vielleicht das bekannteste Beispiel. Nun soll ein technisch begabter Einzeltäter das volle Programm beim Anschlag auf die Spieler von Borussia Dortmund durchgezogen haben. Mit Fernzünder Sprengfallen und ablenkenden Bekennerbriefen, dazu der Kauf von Börsenpapieren mit der Aussicht auf Fantastillionen Euro. Zu den erschreckenden Erkenntnissen des Mordanschlages muss man die Tatsache rechnen, dass die armen "Angesprengten" (so der soldatische Begriff) gleich am nächsten Tag spielen mussten, wegen genau der "wirtschaftlichen Notwendigkeit", auf die der Täter mit kapitalistischem Hintergrund spekulierte. Zurück bleibt die Frage, ob es sich bei der recht aufwändigen Aktion nicht um einen Testlauf der Wettmafia handeln könnte, für sich gesehen die größte Gruppe, die unter dem Label "Organisierte Kriminalität" zusammengefasst wird.

*** Wir leben bekanntlich in der Abstiegsgesellschaft, was selbst junge, gut ausgebildete Elektrotechniker nervös macht. Nach der jüngsten Shell Studie finden 71 Prozent der jungen Menschen, dass ein sicherer Arbeitsplatz "sehr wichtig" ist, weitere 24 Prozent halten das noch für "einigermaßen wichtig". Diesen 95 Prozent steht die schlichte Erkenntnis gegenüber, dass handfeste Roboter und diese überall auftauchenden geheimnisvollen "Algorithmen" in Zukunft viele Tätigkeiten übernehmen werden. "Wir werden nur noch gut bezahlt für etwas, was Computer oder Roboter nicht selbst können", sagt der Philosoph Gunter Dueck in der von Roboterbauer Kuka finanzierten + 3. Das hat Konsequenzen. Die Überflieger der StartUp-Szene sind längst durch ein Entre-Prekariat ersetzt, das sich mit staatlicher Förderung in Hubs zusammenfindet, immer im hübschen Abstand zum zauberhaften Hannover gelegen.

Was wird.

Damit ist diese kleine Wochenschau schwuppdiewupp in der Zukunft angelangt, denn die oberste Hub-Beauftragte Deutschlands, unsere Wirtschaftsministerin Brigitte Zypries, wird am kommenden Mittwoch in Berlin mit der Microsoft-Chefin Sabine Bendiek im Rahmen der Global Cloud for Good über die "Demokratisierung künstlicher Intelligenz" sprechen. Ja Sapperlot, kann es denn bei der künstlichen Intelligenz eine gesellschaftliche Mitbestimmung geben? Eine künstliche Intelligenz ohne marktwirtschaftliche Interessen? Schöne neue Arbeitswelt? Oder bleibt alles, wie es ist, nur mit Internet-Anschluss im Großraumbüro?

Unter dem leicht irreführenden Titel Endstation Großraumbüro – Computern als Handwerk! startet zum nächsten Wochenschluss wieder einmal das Vintage Computing Festival Europe als handfeste Ergänzung zur Silicon Valley Revolution. Den 64er als Großraumbüro für Daheim zu deklarieren, ist jedenfalls gewagt. Als Highlight empfiehlt sich das genaue Gegenteil zu einem Großraumbüro, die Demonstration des Navigationssystems des Tornado-Kampffliegers, eine "archaische Kombination aus elektro-mechanischem, analog-elektronischem und digitalem Rechnen".

Archaisch ist das richtige Stichwort: Ich halte das weiter oben erwähnte Gerede vom "finalen digitalen Rettungsschuss" für einen ganz gefährlichen Blödsinn. Das Bild vom finalen Schuss suggeriert technisch unbedarften Gemütern, dass es eine schnelle, präzise, lethal wirkende Lösung auf all die Cybercyber-Gefahren geben könnte, mit der die herrschende Politik Angst schürt. Ziel ist es dabei immer, dass "kritische Infrastrukturen" als technik höher eingestuft werden als Systeme wie eine kritische Demokratie mit selbstbewussten Menschen. Gleich nach dem Treffen der traditionsbewussten Hobbyisten in München kommt die Elite der Cyberkämpfer bei der Cybercrime Conference (C³) des Bundeskriminalamtes und des German Competence Center against Cybercrime (4Cs!) in Berlin zusammen und bespricht, wie der finale digitale Rettungsschuss abgegeben werden kann. Shodan kommt es zum Showdown: Wer schießt schneller als sein oder Ihr Cyber-Schatten? Die Presse wird nach den Mittagshäppchen und Eingangsstatements ausgeschlossen. Da wünscht man sich, die Hand of Man würde die Schwindler greifen.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. Kommen die Bobos zurück? Und stirbt die Freiheit zuvor?
Beitrag von: SiLæncer am 30 April, 2017, 09:00
's ist Krieg! 's ist Krieg! Und er wird ebenso blutig enden wie alle anderen Kriege, wenn wir nicht seiner Anfänge wehren, ist sich Hal Faber sicher. Von wegen Pest oder Cholera ...

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Sie sind wieder da. Gefühlte 900 Wochenschauen früher waren sie häufig ein Thema, die Bobos, die Mitglieder der digitalen Boheme, auch Bobos (Bohemian Bourgeoisie) genannt. Nun hat sie Laurent Joffrin ausgemacht, der Chefredakteur der Libération, den ein Albtraum plagt. Wird Macron "die Stimme nicht nur der gesetzten Lifestyle-Linken, der sogenannten Bobos, und der digitalen Boheme, sondern der ganzen Republik sein?" An der Frage verwundert zunächst, dass Lifestyle-Linke, Bobos und die digitale Boheme (also nochmal Bobos) zusammen jene 24 Prozent ausmachen können, die für Macron gestimmt haben. Ist Marianne in der IT uns deutschen Micheln so weit enteilt oder gibt es da nicht doch die eine oder andere Stimme, die für Macron ist, weil dieser an Europa festhalten will?

*** Gibt es nicht das eine oder andere Argument, für Macron zu stimmen, um Le Pen zu verhindern? Mit großem Tamtam wurde in dieser Woche der schräge Fall eines Bundeswehrsoldaten und Flüchtlingssimulanten diskutiert, der im französischen Saint-Cyr ausgebildet wurde, dort bereits 2014 mit rechtsnationalem Gedankengut in seiner Masterarbeit auffiel und eine Todesliste linker Aktivisten in Deutschland und Frankreich zusammengestellt hatte. Das sollte selbst der dummen Linken zu denken geben, die bei der anstehenden Stichwahl von der Wahl zwischen Pest und Cholera schwafelt.

*** Die wichtigste Nachricht der Woche dürfte wohl das Eingeständnis von Facebook sein, Teil einer Desinformationskampagne gewesen zu sein. 30.000 gefälschte Accounts bzw. "falsche Verstärker" will man allein in Frankreich gelöscht haben. Das mächtige Netzwerk ist damit ein Kampfterrain der Cyberkrieger, die Wahlen beeinflussen wollen und kann sich nicht dagegen schützen. Das gilt für künftige Wahlen wie für die US-Wahl, die uns bislang 100 Tage Trump und 100 Tage Spicer beschert haben. Achja: Die Attribuierung, die Facebook vornimmt, unterscheidet sich nicht von den Vermutungen der US-Geheimdienste.

*** Ja, da schwafelt es vom Cyberkrieg und von der digitalen Abwehrbereitschaft, als wäre der digitale Krieg, der im Vorfeld der staatlichen Auseinandersetzungen bereits mit Fake News und Info-Müll bereits in eine Art Vorkrieg eintritt, ein besseres Ballerspiel, zum Vergnügen der hippen neuen Bundeswehrsoldaten. Der Krieg, der mit der Beeinflussung der Wahlen in den Demokratien beginnt, wird aber genauso blutig enden, dass man mit Matthias Claudius keineswegs Schuld daran sein will.

's ist Krieg! 's ist Krieg! O Gottes Engel wehre,
Und rede du darein!
's ist leider Krieg – und ich begehre
Nicht schuld daran zu sein!

Was sollt ich machen, wenn im Schlaf mit Grämen
Und blutig, bleich und blaß,
Die Geister der Erschlagnen zu mir kämen,
Und vor mir weinten, was?

Wenn wackre Männer, die sich Ehre suchten,
Verstümmelt und halb tot
Im Staub sich vor mir wälzten, und mir fluchten
In ihrer Todesnot?

Wenn tausend tausend Väter, Mütter, Bräute,
So glücklich vor dem Krieg,
Nun alle elend, alle arme Leute,
Wehklagten über mich?

Wenn Hunger, böse Seuch' und ihre Nöten
Freund, Freund und Feind ins Grab
Versammelten, und mir zu Ehren krähten
Von einer Leich herab?

Was hülf mir Kron' und Land und Gold und Ehre?
Die könnten mich nicht freun!
's ist leider Krieg – und ich begehre
Nicht schuld daran zu sein!

Es ist eben nicht die Wahl zwischen Pest und Cholera, sondern zwischen nationalistischer Diktatur und (keineswegs perfekter) liberaler Demokratie, wenn man sich zwischen rechten Populisten und europabegeisterten Liberalen entscheiden muss. Es genügt der Blick ins eigene Haus, man muss nicht auf Paris starren: Frauke Petry oder Christian Lindner? Alexander Gauland oder Katrin Göring-Eckardt? Die Freiheit kommt halt schon mal auf Krücken - und zeigt mit dem Antlitz der kleinen Parteien, wohin die Reise gehen könnte. Oder, anders gesagt: War Alexander von der Bellen der Anfang, oder wird Marine Le Pen der Anfang vom Ende sein?

*** Alles schaut auf die Türkei und die ungehemmt laufende Ermächtigung von Erdogan, während es doch bei uns auch hoch hergeht. Die große Koalition macht tabula rasa mit dem gern beschworenen ach so "friedlichen Zusammenleben in einer offenen Gesellschaft". Wenn selbst Juristen das Netzwerkdurchsetzungsgesetz als Meinungsfreiheitsbekämpfungsgesetz bezeichnen, dann ist das schon bemerkenswert. Wenn ein SPD-Politiker sich gegen die Wortwahl von heise online verwehrt, wo von Deep Packet Inspection light die Rede ist, ist das sein gutes Recht. Wenn man aber gleichzeitig gar nicht definieren kann (oder will?), was genau diese "Steuerdaten" sind, die Provider auswerten dürfen, ist dies der Teil, wo das "Gesetz über Maßnahmen zur Gewährleistung eines hohen gemeinsamen Sicherheitsniveaus" in technische Willkür ausufert. So steuert man mit dem Abgreifen von "Steuerdaten" ein Stück weiter hin zum Überwachungsstaat, komplett mit schicker Fußfessel für ca. 130 Gefährder und weitere Extremisten, auch nach verbüßter Haftstrafe.

*** Mit dabei: die Polizei-Cloud, die das Bundeskriminalamt nun aufbauen darf, natürlich mit dem schicksten Oracle. Nach dem vollkommen unsinnigen Gerede über Datentöpfe und Kerndatensysteme muss man das neue BKA-Gesetz als dreifache Bären-Kraul-Aufnötigung verstehen. Jetzt ist Schluss mit den unsinnigen inkompatiblen Datenbanken der Bundesländer. Besonders pikant: Die Kennzeichnungen, welche Datensätze aus den Altsystemen in der neuen Cloud verarbeitet, an wen sie weitergegeben werden dürfen und an wen nicht, entfallen und werden nach §91 durch Einrichtungsanordnungen ersetzt. Widewidewitt, ich mach mir die Polizeiwelt, widewide wie sie mir gefällt, tralala. Offen bleibt nur ein einziger Wunsch, aufgeschoben bis zur anstehenden Bundestagswahl: Könnte da nicht, wie jetzt in Berlin bei der Umsetzung des eGovernment ein AfDler den Ausschussvorsitz der vorgesehenen parlamentarischen Begleitkommission zur Umsetzung des BKA-Gesetzes übernehmen?

*** Sie sind wieder da und er ist wieder da: René Obermann, bis 2014 Vorsitzender der Deutschen Telekom und knallharter Problemlöser, ist einer der neuen Heraus-Ratgeber der Zeit, dem Wochenblatt für pensionierte Lehrer. Der Kämpfer gegen die Netzneutralität soll dem Blatt wohl zum technischen Durchblick verhelfen. Wir wissen ja: Sein Herz schlägt für Snowden, sein juristischer Verstand sagt öh, äh. Die Gefangenen des Widerspruchs sind andere.

Was wird.

Heraus, heraus zum 1. Mai, dem internationalen Kampftag der Arbeiterklasse! Überall wird gefeiert und gefaustet, nur nicht in den US of Amerika, wo der traditionelle Loyalty Day of Americanization diesmal besonders hübsch von Präsident Trump proklamiert wird. Ja, es ist hart, loyal zu einem archaischem System von "Checks and Balances" zu stehen, dass einem Deklarator so oft die Arbeit vermiest. Da erinnern wir uns doch lieber an die heroischen amerikanischen Arbeiter.

Die deutsche Arbeiterklasse – jedenfalls ihr gewerkschaftlicher Flügel – hat heuer für ihren großen Tag ein seltsames Motto gefunden. "Wir sind viele. Wir sind eins." klingt handzahm wie eine Facebook-Gruppe für die Abschaffung der Mengenlehre oder wie frühe Poesie von Floh de Cologne. Das entsprechende Plakat dazu zeigt eine rote 1 vor violettem Hintergrund, leicht an 1&1 erinnernd, das die Arbeiterklasse gerade mit kombinierten Auto-Telefon-Verträgen von 99,99 Euro korrumpiert. Was soll's. Der traditionelle Maiaufruf des Gewerkschaftsvorsitzenden ist ein Katzenvideo, das die Kampfkraft besonders stärkt, in Zeiten, in denen Arbeiterfaust gemäß ver.di zu Angeboten auf eBay führt. Mir freischwebenden Intellektuellen bietet die Bucht da nichts dergleichen an, sondern nur das "Manifest der neuen Libertären", ein Aufruf für mehr Schwarzarbeit und Schwarzmärkte. So sind sie verworren, die Zeiten, in denen eine Debatte über die geistige Situation der Zeit nicht zu Habermas, sondern zur großen Regression führt. Nichts gegen Gewerkschaften, im Prinzip. Wie das so ist mit Prinzipien: Gestandene Anarchisten (etwas Geschichtsbewusstsein tut immer gut) halten die Anarcho-Syndikalisten zwar für stinkende Reformisten – aber dann doch lieber FAU als DGB.

Wo bleibt der feste Halt, wenn alles schrumpft und schwächelt? Natürlich in Bielefeld, wo am Freitag die Big Brother Awards verliehen werden. Mit Kräften arbeiten sie da bei Digitalcourage daran, "Datenkraken ans Licht" zu zerren. Viele IT-Firmen halten schon mal die Luft an, auch in dem einen oder anderen Ministerium bringt sich vorsorglich ein Stellungnahmenschreiber in Stellung. Währenddessen laufen die Vorbereitungen in Bielefeld. Einen Eklat wie letztes Jahr, als der zum Mikro stürmende Deutschland-Chef von Negativpreisträger Change.org für Unruhe sorgte, will man auf jeden Fall vermeiden. Was an der Petitionsplattform Schlimmes ist, soll derweil ein radegebrochener Artikel aus Italien erklären.

Bis es soweit ist, dass Punkt 18:00 am Freitag die Preisträger und Preisträgerinnen bekannt gegeben werden, hat die Woche noch allerhand zu bieten. Besonders in Berlin, wo zum Tag der Pressefreiheit eine Soli-Show für inhaftierte Journalisten stattfindet. Soli steht dabei für Solidarität, ein Wort, das früher zum 1. Mai gehörte wie Joghurt zum Obst. #FreeDeniz, #FreeRaif.

Quelle : www.heise.de
Titel: 4W: Zwischen Pest und Cholera kann man nicht wählen, die bekommt man.
Beitrag von: SiLæncer am 07 Mai, 2017, 05:00
Ob die Nicht-Tradition der Wehrmacht für die Bundewswehr auch zur deutschen Leitkultur gehört? Man weiß es nicht, befürchtet Hal Faber, der im Zweifelsfall dann doch lieber auf die dem Menschen innewohnende Vernunft hofft.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Bald beginnt das große Wählen in den Ländern zwischen den Meeren, in Frankreich und in Schleswig-Holstein. Im Norden steht ein historischer Tag an, wenn das vorletzte Häuflein der Piratenpartei das Segel streicht und das Boot aufgeben muss. 8,2 Prozent waren es dereinst, die für die Hoffnungsträger-Piraten stimmten, die als Fraktion nach anfänglichen Problemen mit Kondomen und Kaffeemaschinen solide Aufklärungsarbeit betrieb und sich erfolglos mit der Europäischen Union anlegte. Die Bilanz: ein paar bedenkenswerte Beiträge Einzelner und viel Einzel-Fleißarbeit, doch weit und breit kein prägendes Thema. Dabei könnte es eine andere Leitkultur geben, die auf Datenschutz und Selbstbestimmung fußt und das moralinsaure Gerede vom christlich geprägten händeschüttelnden Abendland kalt lächelnd in die Tonne tritt. Der Rätsels Lösung: Geschickt haben die anderen Parteien Piratenthemen besetzt und eingemäntelt, bis ganz hinunter nach Bayern bei der CSU und ihrer Forderung nach einem Bundesdigitalministerium. Wenn gleichzeitig im Namen der Sicherheit Gesetze verschärft und Maulsperren wie das Netzwerkdurchsetzungsgesetz verabschiedet werden, ist das einfach dem Terror und Hass geschuldet und nicht einer Partei zuzurechnen, die jetzt von Gerechtigkeit quengelt.

*** Weiter südlich geht es hoch her. Über das "Rätsel" Macron ist viel geschrieben worden, bis das Sammelsurium der Macronleaks auftauchte. In der Erklärung von Wikileaks etwas zu spät, um noch die Wahlen zu beeinflussen, nachdem eine Attacke via 4Chan in dem Sinn erfolgreich war, dass die banktechnisch angeschlagene Marine Le Pen die "Fake News" von den Bahamas glaubte. All das hinderte Julian Assange aber nicht daran, die Dateien zu sichern und zu sichten und zu verbreiten, um alsdann zu erklären, dass die Leaks nicht zur Unterstützung von Marine Le Pen gedacht seien, sondern das Image von Russland schädigen wollen. Zu dumm, dass "Alt Right" offenbar anders dachte und mit #Macronleaks eine Kampagne für Le Pen aufgezogen hat. Solche Erklärungen sind typische Nerdgedanken von grandioser Schlichtheit. Doch vorschnelle Urteile und Attribuierungen wie "APT28 war's" verbieten sich, genau wie im Fall von Assange höchst selbst: Nach einem Jahr der Überarbeitung ist der Assange-Dokumentarfilm "Risk" von Laura Poitras in den USA erschienen und zeichnet jetzt das Bild eines Menschen, dem die Welt als einziges Brettspiel für sich und seine Geheimnisse erscheint. "Gib mir einen Punkt, wo ich hintreten kann, und ich bewege die Erde", sagte schon Archimedes.

*** Nächsten Sonntag kommt dann die nächste Wahl, da geht es mit smartgerecht.nrw gegen NRWIR und auch ein Digitalisierungsministerium ist mit dabei, diesmal von der FDP gefordert, wo man Steve Jobs verehrt. Noch ein Wortwitz gefällig? NRWDR, heißt es in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung in einer beißenden Kritik des Radiosenders WDR, dieser "Anstiftung zur Langweile" und Dudelfunk des Ewiggleichen. "So reflektiert die 'Informationswelle' des Westdeutschen Rundfunks die Stagnation in Nordrhein-Westfalen, steht für das Land und eine Politik, die nicht vorankommt und damit ausgelastet ist, den Stau zu verwalten – den auf den Straßen und den in den Strukturen – und sich einzurichten in Verhältnissen, die von maroden Brücken und Bahnhöfen, von Schulen und Reformunfähigkeit blockiert sind." Ach, WDR, vergangen sind die Zeiten, als das Mittagsmagazin ein großer Treffer war, von den Computerkarten zur Radiothek ganz zu schweigen. Nun ist :Dieter Thoma gestorben, der dem Sender ein Profil gab im lauten und lärmigen Westen. Mit seiner Mahnung an Journalisten zur Selbstkritik und Bescheidenheit bleibt er im Gedächtnis: "Dass man über ein Mikrofon oder eine Kamera verfügt, macht das, was man sagt, nicht wichtiger als das, was unsere Hörer zu sagen haben."

*** Für die frisch mit einem Preis geehrte Teilstreitkraft Cyber- und Informationsraum (CIR) sucht die Bundeswehr verzweifelt Cyber-Soldaten. Aus dem alten "Zentrum Informationstechnik" ist das "Zentrum für Cyber-Sicherheit" geworden, in Berlin hat man ein "Cyber Innovation Hub" installiert, das von einem jungen Fregattenkapitän geleitet wird und Gediente sammelt, die schon einmal ein Start-Up gegründet oder in einem solchen gearbeitet haben. Und nun das: In Folge des letztens erwähnten Neonazis finden sich bei der Truppe "entnazifizierte" Stahlhelme der Wehrmacht und anderer Unrat. Die Öffentlichkeit muss wieder einmal erfahren, dass bei den Bürgern in Uniform rechtsgerichtetes Gedankengut wieder einmal hoch im Kurs steht. Dagegen steuert Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen energisch an, das muss man ihr anrechnen. Liest man dazu die Kommentare im ausgezeichneten Blog Augen geradeaus!, so überwiegt das Erstaunen: Die Jungs von der harten Truppe entpuppen sich durch die Bank weg als Mimosen, die schon den Ton der Ministerin für unbotmäßig halten. Bei der Wehrmacht waren auch die Guten, heißt es dann und eine Tradition muss man auch haben, wenn es ans Töten geht. Wo bleibt da der Ehrenschutz? IT-Spezialisten oder Nerds werden bei solchen Einstellungen das Weite suchen.

Was wird.

Mit glänzenden Augen arbeiten sich Journalisten an der TED-Konferenz ab und schwärmen dann vom irren Rausch der Zukunft, dem sich eine winzige Oberschicht hingeben kann, zu der Leute wie Peter Thiel oder Elon Musk gehören. Letzterer will jetzt auch noch Los Angeles umkrempeln und untertunneln, damit seinesgleichen in ihren Teslas schneller ans Ziel kommen. Damit können sich deutsche Städte nicht messen. Hier ist man schon happy, wenn neben dem Oberbürgermeister in der führenden deutschen Digitalstadt Darmstadt ein Chief Digital Officer inthronisiert wird. Ähnlich sieht es bei den Konferenzen aus: Morgen beginnt die re:publica, trotz "Love out Lout" und IBM Human Resource Festival eine sehr deutsche Konferenz mit viel Bussibussi und Kuscheln gegen den Hass im Netz. Statt Elon Musk gibt es Gerry Kasparov, der ausgerechnet zum 20. Jubiläum seiner Niederlage gegen Deep Blue in Berlin auftritt. Nun, IBM ist auch nicht mehr das, was es früher einmal war.

Doch zurück zur re:publica, die als Bloggertreffen mit der Frage startete, wie man seine Blogs monetarisieren kann. Damals hielt Sascha Pallenberg die positive Keynote, heute Autotester bei Daimler. Ja, die Bundeswehr wollte mitmachen auf der re:publica, ein Rekrutierungszelt aufbauen und IT-Kräfte mit ihrem Tarnfleck-Duftstoff anlocken. Ein richtiger Gedanke, schließlich zogen dort schon vor Jahren die digital Natives begeistert in den Krieg. Doch, so bestraft halt das Geschäftsleben, man war viel zu spät mit der Idee und alle Standflächen waren längst ausverkauft. Well, that's just how it is....

Quelle : www.heise.de
Titel: 4W: Vom Weinen und Wimmern, von Werten und vom Wühlen.
Beitrag von: SiLæncer am 14 Mai, 2017, 06:09
Mancher Wurm entpuppt sich als Maulwurf. Aber ein kaputtgespartes Gesundheitswesen kann sich nunmal keine moderne IT leisten. Aber Hal Faber kann sich den Hinweis nicht verkneifen, dass James Comey ja einen neuen Job sucht. Vielleicht bald nicht nur er.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** I don't Wanna Cry, doch alte Songs entfalten ihren Charme, anders als alte Betriebssysteme, die auf den merkwürdigsten Rechnern zu finden sind. Es ist sicher nicht das erste Mal, dass sich jemand von den Ransomware-Spezialisten aus den Werkzeugkästen der NSA mit hübschen Namen wie "Shadow Brokers" oder "Eternal Blue" bedient, wohl aber der bisher bekannteste größte Schadensfall. Wobei, wenn beim Einseuchen mit der Ransomware Zuganzeigen und Ticketautomaten bei der Bahn hopps gehen und die Frankfurter S-Bahn nicht mehr mitteilt, um wieviel sie sich verspätet, man sich eher an dieses Internet of Things erinnert fühlt denn an einen "Cyberangriff". Die "weltweite Computerattacke", von der "Experten" mit ernster Mine in manchen Medien reden, ist die schmutzige Seite der Cyber-Überwachung mit Hilfe klaffender Sicherheitslücken. Don't cry for me, NSA, könnte man eigentlich singen, aber der NSA Song geht anders.

*** Merkwürdige Rechner und Windows SMB, das ist auch die Konfiguration der alten Systeme, die in britischen Krankenhäusern stehen, wo der National Health Service (NHS) gerade tot gespart wird. Immerhin, WannaCry enthält ja den ganz lieb gemeinten Hinweis für die ganz Armen, die nicht mit Bitcoins zahlen können: Wartet einfach sechs Monate, dann wird alles wieder gut. Wer denkt da noch an das fette Versprechen der Brexit-Befürworter, dass der NHS 350 Millionen Pfund pro Woche bekommen soll, die sonst an die Europäische Union gezahlt werden. Sparen ist angesagt, das findet nicht zuletzt Theresa May, die für ihre anstehende Wahlkampf-Tour den Bus der Europafreunde gekauft hat. Immerhin sind jetzt erstmals Patientendaten in Großbritannien verschlüsselt, die vorher frei verfügbar waren.

*** Die spannende Frage mitten im Weinen und Schluchzen ist natürlich, wie es nach dem Wochenende weitergeht. Reicht es, wenn das BKA ermittelt, wenn WannaCry in den Worten von Bundesinnenminister Thomas de Maizière "sich in die angespannte Bedrohungslage einfügt"? Während Admins ihre Gaben vor dem großen allmächtigen Gott "Patch-Patch-Patch" aufschichten und Räucherstäbchen anzünden (hilft immer), könnte der eine oder andere Staat auf die Idee kommen, dass hier ein CyberCyber vorliegt, also ein Angriff auf kritische, alte, ranzige Infrastrukturen. Muss man da eigentlich nicht zurückcybern und an jede Bitcoin-Überweisung für WannaCry eine digitale Sprengfalle anbringen? Wie war das noch mit dieser Cybertruppe von der Bundeswehr, die auf der re:prublica keinen Platz bekam? Gibt es gar einen NATO-Bündnisfall? Oder ist ein G7-Gegenschlag der Industrienationen erforderlich? Was ist mit den, haha, britischen Atom-U-Booten und ihren Windows XP-Installationen? Und wie war das noch mit den Klagen über die Abhängigkeit von Microsoft?

*** Gibt es vielleicht ähnliche Systeme in den USA, wo ja Autocorrect sich heldenhaft in die Bresche geworfen haben soll, nachdem Präsident Trump sich irgendwie daran erinnerte, welcher Code an der Reihe ist: Nach dem Feuern von James Comey und der Erklärung seiner Anwälte ist das Gerede über Russland immer noch nicht gestoppt, da könnte man glatt auf Russland feuern. FBI-Chef Comey an "Tonbänder" oder sonst ein Aufzeichnungssystem im Weißen Haus und an die mysteröse Aufnahmetechnik in Mar-a-Lago zu erinnern, das hat was. Wieso hat ein so mächtiger Mann wie der US-Präsident eigentlich keine ordentlichen Schweigekegel? Wer hat die besseren "Trump tapes", die Amerikaner oder die Russen?

*** Trumps Warnungen vor "Durchstechereien" und anderen Unartigkeiten rufen natürlich Erinnerungen wach. Nämlich an einen gewissen Mark Felt, einstmals die Nummer 2 im FBI nach Edgar J. Hoover. Felt wollte FBI-Chef werden und wurde mehrfach bei der anstehenden Beförderung übergangen. So sorgte er zusammen mit vier weiteren FBI-Agenten dafür, dass im November 1972 die Informationen über die Watergate-Affäre an die Presse sickerten und die Washington Post ihre berühmte Artikel druckte. Felt ging geschickt vor, indem er die Informationen vervielfältigte, damit nicht der Verdacht allein an ihm hängen blieb. Als der US-Präsident Nixon wusste, wo die undichte Stelle war, konnte er Felt nicht feuern. Bob Kunkel, Charles Bates, Dirk Long und Charles Nurum standen gewissermaßen als Backup-Kopien bereit. Heute wird übrigens gern übersehen, dass Nixon sich an das legale Prozedere hielt, es beim Samstagnachtmassaker Juristen mit Rückgrat gab und die Republikaner eine Partei mit Prinzipien waren. Nichts davon ist in der Ära Trump übrig geblieben. Wie es im Falle Comey weitergeht, dürfte interessant sein, denn nicht das FBI, sondern die Firma CrowdStrike hatte die Ermittlungen geführt.

*** Freut euch, Söhne und Töchter Mannheims! Dort steht nach einem Bericht von Christian Specht im Behörden-Spiegel der "Mannheimer Weg 2.0" kurz vor dem Start. Der Mann ist Erster Bürgermeister und Sicherheitsdezernent in Personalunion und betreut eine neue Installation von Videokameras in einem System, in dem Software vom Fraunhofer IOSB die Bilder nach auffälligen Bewegungsmustern durchsucht. Wer rennt, hinfällt, schlägt oder tritt, wird künftig schneller dem Aufsichtsbeamten gemeldet. Außerdem soll das gespeicherte Bildmaterial "eine schnelle Identifizierung von Straftätern und eine verlässliche Beweismittelsicherung" ermöglichen. Was der Sicherheitsbahnhof in Berlin erst noch testen will, wird in Mannheim bereits eingeführt. "Als Lösung ist eine intelligente, algorithmenbasierte Software in Entwicklung." Diese verflixten Algorithmen aber auch. Xavier Naidoo hat sich bislang jedenfalls für den Mannheimer Sicherheitsdezernenten nicht auffällig bewegt. Als Role Model taugt er den Mannheimern aber wohl trotzdem nicht mehr.

Was wird.

Beim BSI haben sie dank WannaCry Feuer in der Hütte und Arbeit am Wochenende. Dennoch wird dort unverzagt der Sicherheitskongress vorbereitet, diesmal unter dem Motto Digitale Gesellschaft zwischen Risikobereitschaft und Sicherheitsbedürfnis. Risikobereitschaft ist doch ein schönes Wort für die Angewohnheit, ungepatchte alte Windows-Systeme solange weiterlaufen zu lassen, bis selbst Karlchen Klammer mit Altersschwäche abgeht. Aus dem Programm erfahren wir, dass es Konzepte des sicheren Alterns einer Gebäude-IT gibt, aber nichts, was Windows XP anbelangt.

Am kommenden Mittwoch wird Chelsea Manning aus der Haft entlassen und freut sich schon auf die warme Frühlingsluft. Aus Russland kommen aufmunternde Worte von Edward Snowden. Er freut sich, dass Manning wieder die Freiheit genießen kann, die sie mit ihrem Whistleblowing verteidigt hatte. Snowden wünscht ihr Mut und eine kräftige Stimme in der Freiheit. Aus London schickte Julian Assange sein Statement zum Beginn des Prozesses gegen Manning. Ob Chelsea Manning ihre Freiheit genießen kann, ist nicht zuletzt eine Geldfrage. Denn Freiheit ist nur ein Traum, wenn man sie unbelastet genießen kann. Salmei, Dalmei, Adomei, vielleicht wünscht sich auch Chelsea Manning in eine ganz andere Zeit, wie der irre Zauberer mit seiner Kröte, der einstmals mühelos eine Militärübung aufmischte. So endet diese subjektive Wochenschau, wie sie angefangen hat, mit einem Song. Now it is all on the table and everybody knows.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. Von alten Seilschaften und neuen Freiheiten.
Beitrag von: SiLæncer am 21 Mai, 2017, 08:32
Chelsea Manning ist frei. Das ist das Positive der Woche. Auf der anderen Seite der Skala haben sich die Sozialdemokraten mit Heiko Maas positioniert, findet Hal Faber.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Von wegen Schulz-Effekt. Ordentlich gewirkt hat in Nordrhein-Westfalen der Jäger-90-Effekt mit einem Innenminister, der nie niemals so etwas wie Verantwortung zeigen wollte oder konnte und einer schwachen Ministerpräsidentin, die es nicht schaffte, sich von solch einem unfähigen Innenminister zu trennen. Das wird auch zur anstehenden Bundestagswahl so kommen. Martin Schulz mag noch so viel von sozialer Gerechtigkeit reden, mit Heiko Maas hat die SPD einen Justizminister, der atemberaubende, freiheitsberaubende Gesetze in Serie erarbeiten lässt. Sie lassen die SPD alt aussehen, sollen aber "Sicherheit" vermitteln. Der Spitznamen Heiko "Schily" Maas will verdient sein, Tag für Tag mit einer SPD im Kontrollwahn.

*** Neben dem verfickten Hate-Speech-Gesetz ist in dieser Woche eine Formulierungshilfe bekannt geworden, die dem Staatstrojaner mächtig Auftrieb verschafft. Das Geschraube an der Eingriffstiefe des Staatstrojaners dürfte in die Geschichte als der Hexenhammer der SPD eingehen. "Wenn man nicht haargenau wie die CDU denkt, fliegt man glatt aus der SPD", spottete einstmals der Kabarettist Werner Neuss. Das war 1965, kurz vor der ersten Großen Koalition.

*** Wer angesichts dieser Sorte sozialdemokratischer Überwachungsgerechtigkeit nach den liberalen Neinsagern von der FDP ruft, steht auch doof da. Statt Baum oder Leutheusser-Schnarrenberger erscheint heutzutage das Startup-Männchen Lindner, für den Nordrhein-Westfalen nur das Sprungbrett war, um über diesen fünf-Prozent-Kasten zu kommen. Wenn wir mit der Freigabe der Passfotos in den Überwachungsstaat rutschen, dann ist diese "Formulierungshilfe" für die Online-Durchsuchung genau das passende Rektal-Zäpfchen. Schlaf weiter, Deutscher Michel, denn die Überwachung ist ja "subsidiär", eine seltene Ausnahme, fast so rar wie ein pinkes flauschiges Einhorn: "Vor der Durchführung einer Online-Durchsuchung ist daher insbesondere zu prüfen, ob nicht auch eine offene Durchsuchung und Beschlagnahme in Betracht kommt."

*** Unten in München jubeln sie. München, wo in Nachbarschaft der Universität der Bundeswehr mit ihren Cyber-Angreifern gerade ein paar Gebäude leergeräumt werden, damit dort die "Zentrale Stelle für Informationstechnik im Sicherheitsbereich" (ZITIS) mit ihren 400 Mitarbeitern einziehen kann. Das ist bekanntlich die Behörde, die Staatstrojaner fertigen soll und jetzt den Auftrag für noch mehr Staatstrojaner bekommt, Juchu, Chuch’e, Juchheissassa. Zum Chef der neuen ZITIS hat Bundeskanzlerin Angela Merkel in dieser Woche Wilfried Karl vom Bundesnachrichtendienst bestellt, auch darüber ist der Jubel groß. Schließlich ist der BND eine geschichtsträchtige deutsche Behörde.

*** Wilfried Karl, das ist der BND-Mann W.K., der mehrfach im NSA-Untersuschungsausschuss aussagte, und der Sensibilitätsfehler beim Einsatz von Selektoren einräumte. Wer mal in die Protokolle seiner Aussagen vor diesem Ausschuss schaut, wird sich mitfreuen dürfen. Endlich haben auch wir Deutschen unseren Herrn Karl, der sich geschmeidig anpasst an den Lauf der Zeiten: Nahtlos kann derjenige, der immerzu beteuerte, nur Auslandsdaten auszuwerten, dazu übergehen, sich mit Inlandsdaten zu beschäftigen und tiefe Eingriffe in die informationelle Privatsphäre zu leiten, den einen oder anderen Sensibilitätsfehler inbegriffen. Der nun folgende Satz könnte zeitlos sein, doch er ist nach dem Netzwerkdurchsetzungsmaasschilygesetz nur temporär gültig, denn er wird nach diesem Gesetz als Hate Speech gelöscht: Arsch auf Eimer.

*** ZITIS wird Software für die Online-Durchsuchung entwickeln oder geeignete Programme aufkaufen, wird die zentrale Forensikstelle für alles, was staatlichen Ermittlern als verschlüsseltes Material so in die Hände fällt. In einer markigen Rede auf dem IT-Sicherheitskongress des BSI sprach Bundesinnenminister Thomas de Maizière davon, dass ZITIS das "Gewaltmonopol des Staates" im Internet sichert. Kleiner Schönheitsfehler: Der Minister erschien nicht selbst in Bad Godesberg, sondern schickte als Vertreter Andreas Könen vom Bundesinnenministerium, Leiter der Stabstelle IT-und Cybersicherheit. Könen las die Rede de Maizières vom Blatt ab. So klang alles sehr unmarkig, denn der ehemalige Vizepräsident des BSI und frühere deutsche Verbindungsmann zu den Datengrabschern der NSA ist ein Mann der leisen Töne und blickt nicht so streng durch seine Brille, wie dies der Chef für Law, Order und Gewaltmonopole für gewöhnlich tut. Auch Könen ist ein Bekannter aus dem NSA-Untersuchungsausschuss, in dem er als Fachmann die Authentizität der Snowden-Dokumente attestierte.

*** Lauter als Könen ist da schon das andere Chefchen, Arne Schönbohm vom BSI, der nach eigenem Bekunden gar nicht mit seinem Kollegen von ZITIS geredet hat. Das schöne Bild der Chinesischen Mauer zwischen der Abteilung Attacke und der Abteilung Verteidigung, inklusive der Absicherung der Bundesnetze und Aufklärung der Bürger taucht vor unseren inneren Augen auf. Leider, leider ist es nur eine Fatwa Morgana, denn besagter Schönbohm hat mit seiner Rede von der Internet-Apo über Menschen, die die Informationshoheit des Staates brechen wollen, schon alles eingerissen. Ein Staatsbeamter, der allen Ernstes glaubt, dass der Staat eine Informationshoheit über seine Bürger hat, dürfte seine Mühe haben, wenn Bürger gegen seine schöne Bundes-IT Recht bekommen mit der Feststellung, dass dynamische IP-Adressen personenbezogene Daten sind.

*** Istjaschongut, ich lass das Granteln. Hier kommt das Positive: Chelsea Manning ist frei und beweist wiederum Mut, sich mit einem Foto im Übergang der Weltöffentlichkeit zu zeigen. Einst als Mann als schlimmster Cyber-Verbrecher der Welt tituliert, ist es weiterhin bemerkenswert, dass sie nun als Frau unverändert an das Schlusswort ihres Plädoyers glaubt, an die große Debatte einer aufgeklärten Öffentlichkeit. Schade, dass sie in der Freiheit vorerst einen US-Präsidenten erleben muss, der absolut nichts von einer großen Debatte hält. Ähnliches gilt für Julian Assange, da die schwedischen Ermittler eingesehen haben, dass sie an einem toten Punkt angelangt sind und daher vorerst den Haftbefehl aufheben und die Ermittlungen einstellen. Nun sitzt er weiter in der Botschaft und hat das Pech, mit einer britischen Regierung von Theresa May verhandeln zu müssen, die härter denn je gegen Internet-Aktivisten und Menschenrechtler vorgeht. Was auf den ersten Blick nicht als Assanges Problem erscheint, denn sein Feind sind ja die USA. Das geht so weit, dass er überlegt, die einstmals befreundete Dokumentarfilmerin Laura Poitras zu verklagen, deren Neufassung des Dokumentarfilms Risk ihm überhaupt nicht gefällt. Für Assange gilt Kein Vergeben oder Vergessen.

Was wird.

Als er noch Präsident der USA war, hatten Barack Obama und sein gesamter Leitungsstab peinlich genau darauf geachtet, dass der Fall Julian Assange nicht zur Sprache kommt. Erst auf der letzten Pressekonferenz seiner Regierungszeit wurde der Australier von Obama erwähnt. Nun kommt Obama nach Berlin zum evangelischen Kirchentag und wird mit Bundeskanzlerin Merkel über christliche Werte und das Übernehmen von Verantwortung diskutieren. Wenn der Süddeutschen Zeitung zu glauben ist, kassiert Rockstar Obama pro Auftritt 400.000 Dollar und hat Einnahmen, mit denen selbst die aufs große Geld erpichten Eheleute Clinton alt aussehen. Nur an den Trump-Clan dürfte er mit seinen Einnahmen nicht herankommen.

Während Obama mit den Evangelen diskutiert, sollte Trump bei den Katholen die Wahl von Callista Gingrich als Vatikan-Botschafterin erklären. Bei Gingrich Productions knallen die Sektkorken. Da kann man glatt wieder ein hübsches Video mit dem Papst machen. Angeblich hat Papst Benedikt XVI Newt Gingrich bekehrt.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. Von Liebessommern und trickreichen Retouchen
Beitrag von: SiLæncer am 28 Mai, 2017, 07:31
Diese Woche ging es wieder mal um Nachrichten, gefälschte und echte – aber wer kennt da schon noch den Unterschied. Und Hal Faber fragt sich nicht zum ersten Mal, warum das Internet immer noch Dinge lösen muss, die längst gelöst wurden.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Das war vor 50 Jahren und wer es heute hört, kann sich auf den Prophetic Explorer verlassen: "We'll all be Magick Supermen" -- Niemand muss einsam und allein bleiben, wir alle sind Supermenschen und ja, "A splendid time is guaranteed for all". So kann man das lesen, was uns die Endrille, der final groove da mitteilt. Oder auch nicht: Andere hören, wie Paul McCartney "I'll fuck you like superman" singt, aber nee, das ist so very unbritisch, dass ich es nicht glauben kann. Außerdem ist rosafarbenes Kryptonit selten geworden, mit dem Superman eines der vier Geschlechter annehmen kann, die Menschen haben können. Vielleicht kann man es als eine Hommage an Karlheinz Stockhausen interpretieren, der auf dem wunderbaren Cover abgebildet ist. Der allerorts gefeierte Summer of Love begann in London, nicht in Berlin, wo Lügen und Manipulationen den Tod von Benno Ohnesorg während der "Zauberflöte" begleiteten.

*** Ja, heute geht es um das große Glauben und Wissen, um echte und um gefälschte Nachrichten, gewissermaßen um das silberschwarze Kryptonit in uns. Es geht um geheim umgebaute Botschaften und ganz geheime Antworten, ohne einen Kirchentag, der die AfD auf Twitter gekonnt "journalistisch einordnet". Wer ohne orangenen Lutherschal vor den Augen auf diese Veranstaltung blickt, sieht klar und deutlich, was sie ist: der perfekte Wahlkampfauftakt für Pfarrerstochter Angela Merkel.

*** So greifen wir denn zu einem anderen topmodischen Shawl, gestrickt in Kanada vom Citizen Lab. Kurzfassung für die Tl,dr'olle: Über abgephishte Mail-Konten sollen sich russische Quellen mit ausländischem Dateimaterial versorgen und dieses Material gezielt verpesten, um es alsdann in irgendwelchen Leaks weiterzugeben. Manchmal sind es nur unscheinbare Änderungen, manchmal Fälschungen im großen Stil. Was im Forum prompt die üblichen Verteidiger Russlands auf den Plan rief, verdient doch einen Nachschlag, denn diese Form der Pest-Propaganda hat Auswirkungen.

*** So kann es zur Zeit nicht ausgeschlossen werden, dass zu den verpesteten Leaks ein dubioses Dokument gehört, das ganz entscheidend die Handlungen des geschassten FBI-Direktors James Comey bestimmte. Indiz: die Erwähnung einer gewissen Amanda Renteria, deren Existenz vom FBI unzureichend recherchiert wurde. Das Dokument erweckt geschickt den Eindruck, als habe es Absprachen zwischen der Politikerin und der Generalstaatsanwältin Loretta Lynch geben, bezieht sich aber auf eine Amanda Renteria, die Jahre zuvor für die Demokraten gearbeitet hat.

*** Natürlich beherrschen auch andere Dienste die Tricks mit gefälschten Dokumenten, etwa CIA, FBI und NSA. Oder nehmen wir stilgerecht zum Andenken an Benno Ohnesorg die Hauptverwaltung A des MfS, die liebevoll eine Berliner Demonstrantenkartei der APO fälschte und sie der politischen Polizei Westberlins unterjubelte. Bis zur Aufklärung dieser Geschichte vom lieben Schwiegersohn bleibt ebenfalls der Fälschungs-Verdacht im Raum, denn die Bitte um Erlaubnis, "russische Telefone" benutzen zu dürfen, ist zu skurril, um wahr zu sein. Technisch wie juristisch wäre es Spionage für eine andere Macht. Aber die besten und unglaubwürdigsten Plots schreibt bekanntlich das Leben, nicht die heute-Show oder Böhmermann.

*** Achja, das Schreiben: aus ist es mit der Freude, eine Kolumne von John Markoff zu lesen, in der sich der IT-Journalist nicht nur mit der Hackerjagd und seinen Lieblings-Gadgets, sondern mit dem Stand der Industrie beschäftigt. Die Worte zu seinem Abschied sind eigentlich schlicht: Technik kann unsichtbar werden (wie die Kopfhörer, die US-Präsident Trump bei der Afrika-Diskussion der G7-Staatschefs getragen haben soll). Aber Technik darf uns nicht entmündigen. Und mehr noch: "Wenn wir wirklich unsere Wohnungen, unsere Autos, unsere Gesundheit und anderes privaten IT-Firmen überlassen, in einem Maße, wie wir uns das niemals vorstellten, brauchen wir viel, viel stärkere Standards für die IT-Sicherheit und den Schutz der Privatsphäre, als sie heute existieren. Besonders in den USA ist es an der Zeit, In Sachen Sicherheit und Privatsphäre nicht länger herumzutänzeln, sondern echte, bindende Gesetz zu verabschieden." What the Doormouse said... Wer wie John Markoff im Summer of Love und in der kalifornischen Gegenkultur die Anfänge der PC-Geschichte sieht, wird nicht vergessen, dass inmitten der Gegenkultur die gegen den Vietnamkrieg protestierenden Hippies wie Whitfield Diffie es waren, die sich mit digitalen Signaturen und Verschlüsselungsproblemen beschäftigten und Lösungen fanden -- die bis heute zumindest funktionieren.

*** Nun ist der Summer of Love lange her und die Zeiten haben sich geändert. Zwar scheißt man heute auch auf Regeln, nur anders. Während bei uns der Sommer die Menschen an die Baggerseen treibt, werden die Mauern des Schweigens diskutiert, die der langweilige Dienstleister Arvato im Auftrag von Facebook hochgezogen hat. Sinnigerweise gibt man sich bei der Löscharbeit genauso intransparent wie der Vordenker des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes, der sich der Diskussion entzieht. Immerhin ist Heiko Maas kein Poser wie Mark Zuckerberg, dem man laut Süddeutsche das Vertrauen entziehen sollte, weil "Häme, Hass und Empörung" das Geschäftsmodell von Facebook sein sollen. Wenn Google das Weltwissen ist, Amazon der Welthandel und Apple die Weltkultur, dann ist das Vertrauen, das wir als "persönliches Kapital" dem Hass-Giganten entziehen sollen, längst über die Wupper oder wie der nächste Fluss Ihres Vertrauens heißt. Und Gottes Liebe und Gnade ist in den Maschinen.

Was wird.

Das schöne Leipzig (Leibsch) ist nicht nur die Stadt, wo sich um Weihnachten herum die Hacker beim Congress treffen, es ist auch einer der wichtigsten Endpunkte der neuen chinesischen Seidenstraße, auf der die Züge zwischen den BMW-Werken hibbdebach und dribbdebach rollen. Gefeiert wird das auf dem ITF-Gipfel der UNESCO mit den Verkehrsministern von China, Großbayern, Kasachstan, der Mongolei und Russland, ein hübsches Gegenstück zum Rummel um Trump. Bekanntlich findet dieser ja deutsche Autos böse, böse und das Projekt der Seidenstraße ist auch nicht nach seinem Geschmack.

Darin ist sich Trump mit den Ölprinzen des Hauses Saud einig. Mit dabei Freyung, ein Ort wie aus dem tiefsten China klingend. Liegt aber im Bayerischen Wald und wird vom Verkehrsminister Alexander Dobrindt zur Excellenzstadt für Mobilität 4.0 geweiht. Natürlich nicht ohne ein zünftiges Berliner Startup. Jetzt stelle man sich so eine Idee vor: Jeder Autofahrer klebt sich einen roten Punkt an die Scheibe und nimmt jeden mit, der da winkt. Ganz ohne App und fette Cloud-Anbindung aller Optimierungen der Fahrtwege. Igittegitt, das ist ja so hannöversch und viel zu make-erisch gedacht, das geht ja gar nicht. Da könnte ja jeder mitmachen. Und wo bleibt da unser Internetz? Lasst uns auf die Reise gehen, wo man den Sommer ohne Whisky erträgt.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. Von der achten Kunst, Hacken
Beitrag von: SiLæncer am 04 Juni, 2017, 09:04
Hacker sind Künstler und mindestens wie Leonardo da Vinci. Vielleicht aber auch Hippies. Wer weiß das schon, denkt sich Hal Faber, und fragt einen Experten: Kunsttheoretiker Putin erklärt die Welt.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Puh, da haben wir ja noch einmal richtig Glück. Wir können nach dem Sommer wählen gehen und "die Russen" werden uns nicht daran hindern oder etwa das Ergebnis in ihrem Sinn beeinflussen und die AfD stärken. Leben und Leben lassen! Das hat kein Geringerer als der russische Präsident Putin gesagt. Auf "staatlicher Ebene" wird nicht gehackt, erklärte Putin kurz und bündig. Aber er sagte noch mehr und schenkte uns damit eine komplette Kunsttheorie. Nun wissen wir, dass gleich nach dem Aufwachen die Hacker echte Künstler sind und so, wie der der Künstler den lieben langen Tag malt, wenn er gut drauf ist, hackt der Hacker Tag und Nacht. So, wie der Künstler in der Kultur seines Landes steht und sie reflektiert, ist auch der Hacker eingebunden und patriotisch drauf, jedenfalls nach Putin: "Wenn sie sich patriotisch fühlen, werden sie anfangen und den berechtigten Kampf gegen all die führen, die schlecht über Russland sprechen, wie sie das glauben."

*** Gut, Putin mag das auf Russisch anders formuliert haben, was man gemeinhin als eine glaubhafte Abstreitbarkeit beschreibt, aber jede große Theorie hat einmal klein angefangen. Wenn russische Hacker also Kritiker "der Russen" hacken, dann tun sie das aus Liebe zum Land und aus Liebe zum Coden. Da kann es bei dieser Überlagerung schon mal ein Übereifer passieren, was soll's. Hat nicht selbst eine große Hackerin wie Kristina Vladimirovna Svechinskaya, die scheinbar nur auf das große Geld aus war, erklärt, dass sie Mütterchen Russland liebt?

*** Nun hat ein genialer Kunsttheoretiker wie Putin Vorbilder, in diesem Fall einen Paul Graham mit seinem Buch "Hackers & Painters". Graham, Entwickler der Yahoo! Stores-Software, vergleicht sein Werk mit dem Bildnis der Ginevra 'de Benci von Leonardo, das ist schon einmal eine Ansage. Hacker arbeiten so intensiv an der Schönheit ihres Codes wie Leonardo da Vinci an seinem Bild, wobei Leonardo selbst so rastlos war wie Michael Jordan, schrieb Graham im Jahre 2004. Für Kunstinteressierte: Jordan ist ein ehemaliger Basketballspieler. Stellen wir uns einen hüpfenden Leonardo vor, dann haben wir das, was einen guten Hacker ausmacht.

*** Snowden ist übrigens kein Hacker, weder ein guter noch ein schlechter. Er ist auch kein Vaterlandsverräter. Das jedenfalls meinte Putin im Interview mit Snowden-Verfilmer Oliver Stone gemäß Newsweek. in Ausschnitten wiederum übersetzt von Sputnik News – echtes Hörensagen ist eine andere Kunstform, aber lassen wir das. Snowden hätte, wenn ihm seine Arbeit als NSA-Contractor nicht gefallen habe, "einfach kündigen" und gehen sollen, meint der Kunsttheoretiker Putin. Ob das eine versteckte Drohung gegen die eigenen Cyberkräfte ist oder bei russischen Diensten so gehandhabt wird, gehört zu den noch ungelösten und spannenden Fragen unserer Zeit: Wer hat wohl mehr 0-Days, "die Russen" oder "die Amis", diese Pandemie-Experten?

*** Für die Hacker ist Snowden ein solcher. Das Snowden-Field liegt auf der SHA in Zeewolde zwischen dem Hopper- und Zuse-Field hübsch am Wasser, dahinter die Feuchtgebiete von Wozniak und Manning. Mehrere Talks bei "Still Hacking Anyway" beschäftigen sich mit den "Snowden Revelations", den gesammelten Enthüllungen und Erleuchtungen. Obwohl Snowden wie ein alter Mann im Sessel sitzt, hält er doch nicht still, wie von Putin angeraten, sondern kommentiert Überwachungspraktiken außerhalb von Russland, etwa hier in Japan. Die "Revelations", besser gesagt die Snowden-Dokumente waren übrigens von Anfang an brisant, wie der scheidende Politiker Christian Ströbele in der Rückschau zur Arbeit des Parlamentarischen Kontrollgremiums sein Beschissensein erklärte:

"Es ist zwar verlockend, mehr zu wissen als andere. Aber deprimierend, nicht publik machen zu können, wenn Regierung und Dienste lügen. Im Fall Edward Snowden wussten Bundesregierung und BND genau, dass seine Dokumente über die globale Überwachung authentisch waren – sie hatten ja selbst mit der NSA kooperiert und beim millionenfachen Datenabgreifen mitgemacht. Doch Regierung und BND haben die Echtheit angezweifelt. Sie hätten nichts sagen oder auf US-Interessen verweisen können. Aber sie haben gelogen. Wenn manche Politiker und Beamte in den Diensten in ihren Familien so mit der Wahrheit umgehen würden – keiner würde mehr mit ihnen reden."

*** Ströbele wurde zwar zum Tode von Benno Ohnesorg interviewt, doch schlägt am Ende das traurige Resümee vom linken Leben im falschen durch, wenn Ströbele als Konsequenz die Auflösung des Verfassungsschutzes fordert. Das ist zwar nur ein Ein-Punkte-Plan eines einzelnen Grünen, aber besser als die zehn Harmlosigkeiten der Partei, die sich recht bildhaft in Punkt vier an Pulse of Europe ankuschelt. Passend zu den Punkten würde ich noch einen Sticker gegen WLAN-Strahlen für den anstehenden Straßen-Wahlkampf vorschlagen.

*** Während in den Kulturspalten deutscher Tageszeitungen landauf, landab über die Befindlichkeiten derer geschrieben wird, die 1967 dabei waren, und die kein Internet, kein Handy und nur manchmal ein Telefon in der WG hatten und auf das Radio angewiesen waren, ist die tageszeitung schon ein Ereignis weiter und berichtet vom Summer of Love in San Francisco, in dem der laut taz der "Personal Computer als Verstärker des Geistes" erfunden wurde. Das ist nicht nur künstlerisch wertvoll, schließlich soll die Cypherpunk-Mitgründerin und Hackerin Jude Milhon den Begriff "Hippie" für die Flowerpower-Szene in die Welt gesetzt haben. Leider noch nicht online: Ein Interview mit Howard Rheingold, in dem dieser vom Journalisten empört gefragt wird, warum diese tolle Gegenkultur und die Hippie-Bewegung nicht immun waren gegen den Neoliberalismus. Rheingolds lakonische Antwort: "Tja. Warum hat es keine Kultur auf der Welt verstanden, nicht vom Kapitalismus geschluckt zu werden?"

*** Der Sommer der Liebe war schon zwei Jahre vorbei, Martin Luther King war tot und Richard Nixon US-Präsident, da zog eine bunt zusammengewürfelte Bande von Hippie-Musikern nach Macon, Georgia. Man aß bei Mama Louise, raufte sich zu den Allman Brothers zusammen und schenkte der Welt Jahrhundertsongs wie den Statesboro Blues. Nun ist Gregg Allman tot. God rest his Soul war der Song, den Gregg zum Tod von Martin Luther King schrieb:

"I thought that Martin Luther King was a beautiful man, and he was trying to bring us all together and end the strife in this country. He knew we couldn't do that by fighting each other, and he knew we couldn't do it by bombing other people halfway across the earth. He was trying to show us another way to go about it, and he died because of that."

Was wird.

Bekannt ist, dass US-Präsident Trump im Weißen Haus seit seinem Amtsantritt ein besonders gesichertes weißes iPhone benutzt. Seit covfefe besteht zudem die Vermutung, dass Trump die Sprachsteuerung zum Twittern nutzt und coverage etwas undeutlich ausgesprochen haben könnte. Natürlich könnte es analog zum Kunsttheoretiker Putin auch sein, dass Trump als politisch interessierter Mensch in Politikforen wie 4chan oder bei Fefe vorbeischaut und über die Debatten zum Wortschöpfung covfefe gelangte: Es ist ja auch längst nicht ausgemacht, ob die Erde eine Scheibe, eine Kugel oder ein anderes atypisches Fragment ist, unter einem von vielen Big Bangs entstanden.

Auch dieser Klimawandel könnte nur eine Phantasie sein. Der von Trump mit vielen Fake Facts angestoßene Ausstieg der USA beim Klimaabkommen von Paris könnte zudem ein Hinweis darauf sein, dass Paris nicht existiert, genau wie Bielefeld und Pittsburgh. Auf dem Weg in eine drei Grad wärmere Welt ist das alles egal. Doch Eines ist sicher: Apple wird am Montag etwas ganz Großes vorstellen, ein Pfingstwunder. Wie wäre es mit einem Siri Speaker eigens für die Tweets des Präsidenten? Hübsch im Design, mit ordentlich viel Gold, damit der Klimakiller nicht mit einer gesprochenen Order die blaue Murmel zerdeppert.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. Wo unser Land doch immer digitaler wird
Beitrag von: SiLæncer am 11 Juni, 2017, 00:38
Snowden, Manning und nun auch Winner? Der digitalste Bauer wird wissen, dass die Snowden-Enthüllungen gerade ihren vierten Jahrestag feierten, aber wer ist nun Whistleblower, wer Leaker?

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

Hach, was ist heute ein herrlicher Samstag, und er ist der "Tag der Bundeswehr" noch dazu. Da sitzt man gerne im Flecktarn vor dem Rechner und tippselt an der kleinen Wochenschau für Mitternacht, vier Jahre nach Snowdens Gang an die Öffentlichkeit. Diesmal eben in stiller Bewunderung für die Bürger in Uniform, die sich offenbar ganz gesittet benommen haben und nur hier und da etwas Wehrmachtskrempel sammelten. Hätten da nicht Sachen der US Army gereicht, etwa von der bisher größten logistischen Aktion der Neuzeit, liebevoll beschrieben von Popular Mechanics? Heutzutage brettert man einfach den Strand hoch und das war's.

Wirklich kompliziert ist nur die Fliegerei, da braucht es zur Verlegung der Flieger von Incirlik weg zwei Monate, genauso lang, wie Theresa May und ihr Abgeordnetenhaus brauchte, um eine Wahl bis zum großen Desaster durchzuziehen. Das ist eine dieser newsmäßig neuerdings so beliebten Korrelationen, aber keine Kausalität, denn bei der Bundeswehr ist die SAP-Anbindung der schwierige Teil, was bei Wahlen glücklicherweise entfällt. Dafür kann bei ihnen schon mal ein Youthquake, ein Jungbeben passieren, wie es geschah zu jener Zeit, als Jeremy Corbyn lebte und unter das Volk trat. Ob das Weiterwursteln von Theresa May mit Hilfe der Ulster-Partei mit dem Karfreitagsabkommen von 1998 kompatibel ist, steht freilich in den Sternen.

Die Sterne, zumindest in der vom deutschen Informatiker Markus Kuhn entdeckten Microdots der EURion-Konstellation waren ihr Schicksal: Reality Leigh Winner, eine Linguistin und ehemalige Soldatin stolperte beim Ausdrucken eines NSA-Dokumentes über die Erkenntnisse, die Kuhn mit einem Xerox-Kopierer gewann. Xerox war die erste Firma, die mit diesen Microdots experimentierte und Drucker/Kopierer-Nutzer explizit auf das Vorhandensein des Machine Identification Codes hinwies. Der Fall von Reality Winner sorgte für viele Diskussionen im Heise-Forum, nachdem Wikileaks ein Kopfgeld auf einen Journalisten aussetzte. Die Schuldzuweisung ereilt Matthew Cole von Intercept nicht von ungefähr. Folgt man hier einfach der Beschreibung seines Verhaltens im Jahre 2008, das John Kiriakou in seinem Buch Doing time like a Spy wiedergibt? "Entweder hat das FBI Coles Emails gelesen oder Cole kooperierte mit dem FBI, das mich anklagen wollte. Entweder spionierte das FBI einen Journalisten aus oder Cole hatte gesungen." Eine Antwort steht noch aus, weil völlig unklar ist, welcher der vier an der Story beteiltigten Intercept-Journalisten so unvorsichtig war, mit einer Quelle über eine andere Quelle zu reden. Das allein reichte schon zur Enttarnung.

Auch die Frage, ob Reality Leigh Winner nur eine Leakerin ist oder sich als Whistleblowerin versteht, ist noch ungeklärt, ganz anders als im Fall von Chelsea Manning. Das Weiße Haus niederbrennen, das ist eine voreingenommene Aussage der Ankläger über Winner. Und Manning? In dieser Woche hat die junge Frau ihr erstes Interview gegeben, mit bemerkenswerten Statements. Gleich zu Beginn ein Dankeschön an Ex-Präsident Obama, danach der hartnäckige Verweis darauf, dass sie selbst allein Verantwortung trage und von niemanden, schon gar nicht von Assange angestiftet worden sei. Dafür möchte man sie umarmen: Hugs for Chelsea!

Eine klare Haltung bewies auch der von Trump gefeuerte ehemalige FBI-Direktor James Comey bei seiner Aussage vor dem Geheimdienstausschuss des US-Senats. Bekanntlich will Trump gegen Comey unter Eid aussagen. Das könnte interessant werden. Im Trubel dieser Statements ist leider die Aussage des republikanischen Politikers Dan Coats untergegangen, der dem Geheimdienstausschuss darlegte: "it remains infeasible to generate an exact, accurate, meaningful and responsive methodology that can count how often a U.S. person's communications may be collected". US-Amerikaner werden überwacht wie der Rest der Welt, doch die NSA hat keine Ahnung, wie viele es sein könnten, weil sie keine sinnvolle Methode gefunden hat, das Ausmaß der Überwachung mit dem großen Datenschnorchel zu berechnen. So sieht ein Offenbarungseid aus. Bekanntlich warten wir ja auf den Abschlussbericht des NSA-Untersuchungsausschusses, der sich derzeit in der "Ressortabstimmung" befindet, aber noch im schönen Juni erscheinen soll. Schon möglich, dass sich dort ein ähnlicher Passus findet, wenn das Ausmaß der Verdatung bei der Operation Eikonal abgeschätzt werden soll. Inland, Ausland, Schmausland, das ist im Zeitalter von Big Data einfach nicht mehr exakt feststellbar.

Was wird.

Weit, weit über die norddeutsche Tiefebene hinaus schweift der Blick, bis in die mächtige Metropolregion Rhein-Neckar. Dort findet diesmal der IT-Gipfel von Bundesregierung und Industrieverbänden statt. Kurz vor der Sommerpause der Politik will man wieder einmal zeigen, wie weit und wie überaus führend Deutschland bei dieser Digitalisierung mit seinem enormen Aktionsprogramm ist. Da heute bekanntlich alles digital sein muss und dafür gar seltsame Superlative wie der digitalste Bauer gebildet werden, hat man auch den IT-Gipfel umbenannt und spricht jetzt vom Digital-Gipfel. Auf ihm hält Bundeswirtschaftskurzministerin Brigitte Zypries eine ihrer letzten großen Reden und besucht das Großkraftwerk Mannheim, wo der digitalste Strom überhaupt natürlich aus Kohle entsteht – oder so.

Mit dabei ist natürlich auch unsere Bundeskanzlerin, die vor ihrer üblichen Keynote bei einem Rundgang erkundet, wie es denn so ist, in diesem unseren "immer digitaler werdenden Land" zu leben. Da schau her. Weil diese kleine Wochenschau mit SAP angefangen hat, soll sie auch mit SAP enden, denn zum Digital-Gipfel zeigt der Konzern zusammen mit Roche Diabetes Care (besser bekannt unter Accu-Check) den Einstieg in das "Predictive Doctoring" von Gesunden per Smartphone und App. Wie heißt es in der Digitalgipfelbeschreibung so unschön: "Roche und SAP haben gemeinsam ein Computerprogramm entwickelt, das dem Arzt einen Überblick über alle relevanten Echtzeit-Daten eines Patienten verschafft. Der Arzt kann so individuell dem Patienten Tipps und Empfehlungen geben, die ihm helfen, trotz erblicher Veranlagung nicht an Diabetes zu erkranken." Für die Menschen mit Diabetes gibt es was anderes, ein Purpose Statement zum angstfreien Leben.

Dann aber, wenn nach dem Sonstwas-Gipfel alles in die Sommerpause verschwindet und der Kaiman Sammy im Baggersee sein furchtbares Haupt erhebt, wird es Zeit für die Sommerrätsel. Sie stehen diesmal im Zeichen des Summer of Love der Hacker und Hippies, deshalb sei das taz-Interview mit Howard Rheingold nachgetragen, das letzte Woche noch offline war. Meditation und LSD führten also zum PC. Oder auch nicht. Für Rätsel-Vorschläge bin ich wie immer dankbar. Und als kleiner Vorgeschmack aus einem ganz bezaubernden Gedicht:

I like to think

(it has to be!)

of a cybernetic ecology

where we are free of our labors

and joined back to nature,

returned to our mammal

brothers and sisters,

and all watched over

by machines of loving grace.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. In diesem unseren Land ist einer gegangen
Beitrag von: SiLæncer am 18 Juni, 2017, 05:31
In Ludwigshafen hat sich ein Mann von Ehre und Verdiensten verabschiedet, die Geheimdienstoperation TPAJAX ist nun reichhaltig dokumentiert und Bob Dylan wurde beim Abschreiben ertappt.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

"Wisst Ihr nicht, was es heißt
In diesem unseren Land zu leben"
(Fahnenflucht, Demokratie)

Während es in Ludwigshafen einen Digitalgipfel gab, verabschiedete sich in Ludwigshafen ein Staatsmann von der Welt. Der "Kanzler der deutschen Einheit" ist nicht mehr unter uns. Nun können wir an diesem Wochenende viele vorbereitete Nachrufe lesen, die aus dem Ordner /Dokumente/ÜberDieWupper nach Aktuell kopiert wurden. Ja, Kohl hatte Verdienste und anderes wie seine Ehre. Das Positive soll man loben und so schlage ich diese Sätze aus seiner Rede auf der CeBIT 1998 vor, in der er Deutschland als das Land mit einer erstklassigen Informationsinfrastruktur lobte, das Land, in dem "mehr Menschen als in jedem anderen Land der Welt an moderne Hochleistungsdatennetze angeschlossen" sind.

"Eine unverzichtbare Voraussetzung für den erfolgreichen Weg in die Informationsgesellschaft ist das Vertrauen der Menschen in die Sicherheit der Kommunikationsnetze. Persönliche Daten müssen vor Missbrauch, vor jeder Form erbärmlicher Indiskretion, geschützt sein."

Jede Form erbärmlicher Indiskretion enthält das Mitlesen und Ausschnüffeln staatlicher Behörden sowohl der Inhalte wie der Metadaten, ganz im Sinne, wie dies heute nach dem Entwurf des Europäischen Parlaments erreicht werden muss. Das ist doch mal einen Ansage in einer Zeit, in der Kohls Nachfolger diskutieren, wie mit dem Quatsch von heute das Gesetz von morgen radikalisiert werden kann. Wie mal eben einmal mit eingeschleusten Staatstrojanern, mit Keyloggern oder mit dieser Quellen-TKÜ Messenger wie Whatsapp überwacht werden.

Als Kohl 1998 auf der CeBIT sprach, diskutierte sein Kabinett gerade, ob man den Bürgern überhaupt erlauben könne, diese komische Kryptologie-Technik zu benutzen. Erst im Herbst 1998 gab Kohls Wirtschaftsminister Rexrodt Entwarnung und lobte starke Verschlüsselung als Technik, die der Wirtschaftsstandort Deutschland brauche, um gegen Wirtschaftsspionage geschützt zu sein.

Zugegeben, der Ärger mit Kohl war minimal. Ein Telefonat mit etwas Drohsprech von einem Anwalt, als ich in dieser Wochenschau vom Fax des "Kommandos Helmut Kohl" berichtete, in dem behauptet wurde, dass Kohl die Spender von Schwarzgeld für die CDU doch nennen wolle. Etwas Gezoff mit Lesern über Kohls berühmtes Zitat von den Datenautobahnen in dieser Wochenschau, in der Angela Merkel sich den Digital Natives näherte. Viel größer ist wohl der Ärger im Hause Gaus gewesen, als Helmut Kohl in der israelischen Knesset von der "Gnade der späten Geburt" sprach. Denn der Publizist Günter Gaus, der diese Formel prägte, sah es komplizierter, wie seine Tochter Bettina in diesem Kohl-Nachruf zitiert:

"Wäre ich nicht 1929 geboren worden, sondern zehn Jahre früher – wie hätte ich mich denn verhalten als Scherge in Bergen-Belsen? Oder, dieses Entsetzen drang etwas später in mein Bewusstsein, an der Rampe in ­Auschwitz? Könnte ich meine Hand für mich ins Feuer legen? Helmut Kohl hat das Wort von der Gnade der späten Geburt in einer Rede in Israel benutzt, als sei es von ihm nicht nur entlehnt, sondern auch falsch verstanden und als Teil eines Ablasszettels missbraucht."

Am Ende seines Lebens war Helmut Kohl darüber verbitttert, dass die deutsche Einheit und die europäische Integration Deutschlands als sein Lebenswerk nicht zu einem Nobelpreis reichten, wie ihn Russlands Gorbatschow oder etwa US-Präsident Obama für seine "außergewöhnlichen Bemühungen für die Zusammenarbeit zwischen den Völkern" bekamen. Mit diesem Nobelpreis für einen, der die Drohnen liebte, fiel das Ansehen der Preise. Nun hat ein weiterer US-Amerikaner für eine neue Delle gesorgt: Niemand anderes als Bob Dylan hat es offenbar geschafft, für den Literatur-Nobelpreis Phrasen zu übernehmen, die aus den SparkNotes stammen, einem Hilfsangebot für literaturbedürftige Studenten. Was sich als Skandal herausstellt, kann durchaus Teil einer künstlerischen Aneignung sein oder gar ein listiger Protest gegen das europäische Urheberrecht.

Listig ist es schon, wenn das für die Aufhellung der US-Geschichte zuständige Office of the Historian des US-Büros für Public Affaires eine längere Presse-Mitteilung über die Pariser Friedensgespräche des Jahres 1919 veröffentlicht, an deren Ende ein kleiner unscheinbarerer Vermerk Iran, 1951-1954 auftaucht. Dahinter verbirgt sich die bisher umfangreichste Sammlung an Dokumenten zur Operation TPAJAX, benannt nach der iranischen Tudeh-Partei TP und dem Abflussreiniger Ajax. Mit dieser Operation US-amerikanischer und britischerGeheimdienstler wurde versucht, dem amtierenden Schah zu helfen und Einfluss auf die Erdölexporte zu sichern. Erreicht wurde, dass nach den Unruhen Irak und Iran zu Todfeinden wurden. Im jahre 2009 bekannte sich US-Präsident Obama in seiner Rede an die islamische Welt zu dieser CIA-Aktion, die Auswirkungen bis heute hat. Bis 2013 sollte die CIA ihre Dokumente veröffentlichen, nun sind sie da. Iran-Feind Präsident Trump könnte interessante Details lesen, wenn er denn längere Dokumente lesen könnte.

Apropos Dokumente. In der letzten Wochenschau habe ich mich mit Reality Winner beschäftigt und damit, wie unvorsichtig die Journalisten waren, die unprofessionell mit dem Dokument vorgegangen sind, das Winner ihnen schickte. Bei genauerer Analyse der Vorgänge zeigt sich nun, dass der Verrat durch den Drucker keine Rolle spielte und Winner auch ohne das zweifelhafte Verhalten der beteiligten Journalisten enttarnt worden wäre: In einem Verhör am 3. Juni gab sie zu, Dokumente gedruckt und verschickt zu haben, zwei Tage danach erschien der "Sensations-Artikel". Das mag sich jetzt wie Klein-Klein anhören, aber wenn Journalisten sich als Geheimnishüter der Leaks aufhübschen und nicht einmal wissen, wie die "Gegenseite" vorgegangen ist, sind Unfälle und Aufdeckungen vorprogrammiert. Das gilt erst recht für die kommenden Vorratsdatenspeicherungen, mit denen so manches "Anpingen" von Journalisten nachrecherchiert werden kann. Erste Tipps zur Selbsthilfe kommen aus Australien, doch auch die Tipps von Security without Borders sollte man beherzigen.

Was wird.

Beginnen wir den Blick in die Zukunft mit schnöder Reklame: Am kommenden Dienstag läuft im Berliner Kino Babylon die Premieren-Vorstellung von "Hacken für die Gerechtigkeit" mit dem allseits bekannten Julian Assange. Der verlinkten Vorankündigung nach zu urteilen, wird dabei die Sicht auf seinen Fall nach seinem Gusto sein, ganz anders als bei dem Dokumentarfilm Risk von Laura Poitras, der Assanges Anwälte mit juristischen Mitteln drohen. Es gehört wohl zur erschütternden und tragischen Geschichte von Wikileaks, dass sich eine Organisation, die Transparenz auf ihre Fahnen geschrieben hat, zu rechtlichen Mitteln greift, um eine Dokumentation zu verhindern, die sie fünf lange Jahre akzeptierte.

Derweil twittert Assange über Oliver Stone, dessen Putin-Interviews einfach nur beschämend geraten sind. Stalin war gar nicht so schlecht und sollte vom Ausland aus nicht so kritisiert werden? Gut zu wissen. Hatte Hitler nicht auch einen Schäferhund und aß Keintierkäse? Nun, erst einmal muss die anstehende Umbennenung in Helmut-Kohl-Straßen, Kohl-Plätzen und Kohl-Brücken gestemmt werden.

Wir sind wieder wer. Wir. Dienen. Deutschland. Am kommenden Mittwoch wird kurz vor der großen Pause der Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages die Beschaffung und den Einsatz von israelischen Drohnen der Klasse Heron TP beschließen, die in Israel stationiert bleiben. Etwas über eine Milliarde Euro werden dafür in die Hand genommen. Dieses Fluggerät kann observieren, aber auch bewaffnet werden – darüber wird später entschieden, weil das Thema im Wahlkampf nur stören kann. Zum Einsatz kommt dabei beste deutsche Verschlüsselungstechnik. Große Pause? Die Wochenschau erscheint weiterhin. Schon jetzt mit Dank für die Tipps, was im Sommerrätsel alles geraten werden kann

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. Von ungefragten Bürgern und anderen Neben-Sächlichkeiten.
Beitrag von: SiLæncer am 25 Juni, 2017, 08:09
Der Wolf hat das nicht verdient. Wenn Sicherheits-Paranoikern nach Kinderpornografie und gewöhnlichen Terroristen nichts mehr einfällt, dann kommen sie mit dem "einsamen Wolf". Der Wolf aber ist nicht einsam. Und kein Terrorist, betont Hal Faber.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Es ist passiert. In der Bundesrepublik Deutschland hat die Mehrheit der Christ-Demokraten und der Sozial-Demokraten in einem Eilverfahren einen Gesetzentwurf verabschiedet, in dem die Nutzung von Spionagesoftware für Ermittler rechtmäßig wird. Die bisher in sechs Jahren erst ein einziges Mal durchgeführte Online-Durchsuchung aller Speichersysteme und Computer oder die vier Mal eingesetzte Quellen-Telekommunikationsüberwachung mit abgefangenen Passwörtern von Messengerdiensten ist bei nun einer ganzen Reihe von Straftaten legalisiert worden, weit mehr als die schwersten Straftaten und terroristischen Bedrohungen, von denen ursprünglich die Rede war. Das alles zum Wohl und Schutz der Bundesbürger, mit einer per Bundestags-IT-Speicherung durchgesetzten Heimlichkeit und Eile, die die zentrale Frage offen lässt: Wenn diese Maßnahmen tatsächlich zum Wohle der Bürger wären: Warum hat man sie dann nicht diesen Bürgern vorgestellt und mit ihnen diskutiert?!

*** Übrigens nicht nur mit den Bürgern, wie es der Noch-Politiker Ströbele erfuhr, der bald seinen Abschied von der politischen Bühne nimmt. Er wollte den Unterschied zwischen der Online-Durchsuchung (1 mal gemacht) und der Quelle-TKÜ (4 mal gemacht) wissen und bekam die doch überraschende Antwort, dass alle Informationen bei FragdenStaat zu finden seien. Besonders apart zudem, dass die Software für die Online-Durchsuchung (ja, nur einmal durchgeführt, wissensschon) anders als die Quellen-TKÜ keiner standardisierten Leistungsbeschreibung unterliegt. Der Staat hat freie Hand, wie der ganze Rechner oder das Smartphone abgegriffen werden kann:
"Die Onlinedurchsuchung ist nicht auf laufende Kommunikation begrenzt, sondern erfasst grundsätzlich alle auf einem informationstechnischen System gespeicherten Daten. Daher muss die Software nicht auf die Erfassung der laufenden Kommunikation beschränkt sein. Einer standardisierenden Leistungsbeschreibung bedarf es hierfür nicht."

*** Jämmerlicher als Bürger umgehende Politiker sind nur noch die Journalisten, die dieses Schmierenstück beklatschen und argumentieren, dass nur mit diesen Lauschangriffen der einsame Wolf als größter Gefährder unserer Sicherheit zur Strecke gebracht werden kann. Abseits der verqueren Logik der Einzeltäterentdeckung ist dies besonders erschütternd in einer Zeitung zu lesen, die in derselben Ausgabe einen Bericht von den kanadischen Citizen Labs veröffentlichte, wie die mexikanische Regierung mit Hilfe israelischer Überwachungssoftware von NSO in 76 Angriffen Journalisten und Bürgerrechtler ausspionierte. "Der Spion, der aus dem Handy kam", empört sich das Blatt, das so viel warmes Verständnis für Computer-Ausschnüffelungen durch unsere Polizei zeigt.

*** Ist das vielleicht ein perverses Product Placement für den Einkauf der Apple-Schnüffelsoftware Pegasus durch die Online-Durchsuchungsbehörde ZITIS, die in dieser Woche von der Verteidgungsministerin von der Leyen eröffnet wurde? In Israel kauft man ja ganz gerne ein, ob Software oder Drohnen-Hardware oder (siehe oben), besonders hübsch anzusehen, die Gefechtsstände für den kommenden Cyberwar. In diesem Falle ist die dem Verteidigungsministerium bestens bekannte Firma IABG der Käufer und München natürlich der passende Standort. Wem Cyberbit nichts sagt: Die Mutterfirma Elbit Systems baut die bewaffnungsfähige Drohne Heron TP, deren Kauf nun auf dem aller-allerletzten Moment abgesegnet werden soll.

*** Es passt zu dieser Bundesrepublik, dass der offene Bruch des Rechts auf Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme in einem Gesetzentwurf zum Fahrverbot als Nebenstrafe versteckt ist, das weitere rechtliche Problemzonen aufmacht. Dazu gehört eine Pflicht zum Erscheinen von Zeugen bei polizeilichen Ermittlungen und die Nutzung von DNA-Spuren als genetische Augenzeugen, etwa bei der Untersuchung der biogeographischen Herkunft der Täter. Während der Führerscheinentzug vom Volk der Fahrkönner diskutiert wird, werden die Beibootgesetze geschluckt wie Diesel-Abgase. Protestieren, das ist was für diese Datenschützer und kritischen InformatikerInnen, die von einem "hintertückischen" Vorgehen sprechen, während die Politik keine Hemmungen mehr hat, das allzu Offensichtliche zuzugeben. Wie sagte es Bundesinnenminister Thomas de Mazière im Sommerinterview ganz freimütig? "Bestehende Schutzlücken durch die Sicherheitsbehörden zu nutzen, halte ich nicht nur für vertretbar, sondern im Ernstfall für notwendig." Von bestehenden Schutzlücken bis zum Einkauf noch unbekannter Schutzlücken durch den Staat ist es nur ein Quäntchen, in "Ernstfällen" gemessen.

*** Wo es finster und düster ist, wächst das Rettende auch, frei nach Johann Wolfgang von Goethe. Ein Quäntchen Glück brachte ein Urteil zur Vorratsdatenspeicherung für den Münchener Provider Spacenet. Klipp und klar heißt es da, dass der Personenkreis mit den zu speichernden Daten beschränkt sein müsse und eine Volksdatenerfassung nicht im Sinne der Feststellung des EU-Gerichtshofes ist. Was aus dem Urteil für andere Provider folgt, ist weniger klar. Darum ist der Protest nicht unwichtiger geworden, damit es heller und sonniger werden kann.

Was wird.

Eher düster dürfte sich Hamburg präsentieren, wo man eine vernetzte Welt gestalten will, gegen das wärmende Netz des neuen Chaos der vielen Unberechenbaren. Ob da in der anderen Welt in der Nähe der Mächtigen campiert werden darf, muss jetzt fix das Verfassungsgericht entscheiden. Vielleicht bekommen wir auch hier ein neues Gesetz, ein Demonstrationsrecht mit eingebautem Übernachtungsverbot, weil die Demokratie am Abend brav nach Hause geht. Es würde zu diesem ganz besonderen Nachtwächterstaat anno 2017 passen.

Es passt zur Republik, dass die Bundespolizei am Südkreuz in Berlin überhaupt keine Probleme hatte, die angestrebte Zahl von 275 Berufspendlern beim zweiten Testlauf der Gesichtserkennung zu erreichen. Somit könnte am 1. August der Test beginnen. Weil es noch keine internationale Ausschreibung gibt, bleibt die Sache spannend. Welche Firmen in den Vergleichstest einsteigen werden, ist offen. Es muss ja nicht immer Cognitec oder MorphoTrust sein, schließlich gibt es auch russische und chinesische Lösungen.

In der letzten Wochenschau wurde der nunmehr dritte Dokumentarfilm über Julian Assange erwähnt, der in Berlin Premiere hatte. In diesem Film geht es hauptsächlich um die Arbeit der Juristen um den spanischen Star Baltasar Garzón und die erfolgreiche Klage vor einem Schiedsgericht der Vereinten Nationen. Wie es die Juristin Avrila Renata im Film erklärt, wurde die Justiz so erfolgreich gehackt, auch wenn es im Fall Assanges keine Lösung brachte. Vieles wird aus der Perspektive von Ecuador geschildert, was auch damit zusammenhängt, dass in Ecuador aktuell versucht wird, Großbritannien anzuschubsen, die Botschaftsituation zu lösen. So ist der Film ein sehr südamerikanischer geworden, wovon man sich bei der Ausstrahlung am kommenden Mittwoch überzeugen kann.

Ansonsten rückt das Sommerrätsel immer näher. Feiern wir die Geburt des Personal Computers aus dem Geist der Hippie-Kultur, wo eine Pille dich groß macht und andere eine winzig klein (und ja, Mutters Pillen sind heutzutage manchmal gefährlicher als man damals erwarten konnte). Rote und blaue Pillen wird es auch geben, vor allem aber gute Fragen in den Sparten Hardware, Software und Wetware. Bis dahin: Frag doch einfach Alice (und Bob) und tanz den DeMaizière. Aber lasst die Hasen in Ruhe. Und die Wölfe auch.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. Von Hochzeiten und anderen Seltsamkeiten.
Beitrag von: SiLæncer am 02 Juli, 2017, 06:00
Da haben wir den Salat: Was soll man machen, wenn selbst die halbe Opposition im Bundestag sich Zensur nicht verweigert? Schöne Aussichten für die Bundestagswahl, klagt Hal Faber, trotz erfreulicher, konservative Hasspredigten hervorrufender Beschlüsse.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

***"Also ist folgendes eine Vorschrift und allgemeine Regel der Vernunft: Suche Friede, solange nur Hoffnung darauf besteht; verschwindet diese, so schaffe dir von allen Seiten Hilfe und nutze sie; dies steht dir frei. Der erste Teil dieser Regel enthält das erste natürliche Gesetz: Suche Friede und jage ihm nach; der zweite den Inbegriff des Naturrechts: Jeder ist befugt, sich durch Mittel und Wege aller Art selbst zu verteidigen. Aus diesem ersten natürlichen Gesetz ergibt sich das zweite: Sobald seine Ruhe und Selbsterhaltung gesichert ist, muss auch jeder von seinem Recht auf alles – vorausgesetzt, dass andere auch dazu bereit sind – abgehen und mit der Freiheit zufrieden sein, die er den übrigen eingeräumt wissen will." (Hobbes, Leviathan)

*** Ja, der Staat mag heute ein feiger Leviathan sein, ein elendes Vehikel zur Gewinnung und Wahrung des inneren Friedens einer Gesellschaft. Ein zittriges Gebilde, das im Namen einer angeblich nur so zu erreichenden Sicherheit Grundrechte ignoriert und bei der Erähnung von Menschenrechten lacht und Hobbes zufolge damit letzendlich Hass und Verachtung ausdrückt. Schon gegen den alles negativ sehenden Hobbes haben seine Zeitgenossen eingewendet, dass das Lachen einfach die Wahrnehmung großer Widersprüche sein kann, der "Affekt aus der plötzlichen Verwandlung einer hoch gespannten Erwartung in nichts", wie Kant das formulierte. Ein kleines Gelächter und ein großes Gesumm ist es jedenfalls wert, wenn aus einem harmlosen Gespräch mit der Modezeitschrift Brigitte ein historischer Moment entsteht.

*** In einem lichten Moment hat sich die deutsche Politik für die "Ehe für alle" entschieden. Selbst in der männlich-kernigen CSU gab es 7 fröhliche Bayern, die im Bundestag mit Ja stimmten. Oder waren es Franken, denn das, was übelst gelaunte bayerische Hagelstolze über ihr Land erzählen, lässt den Verdacht aufkommen, dass die Aufklärung einen großen Bogen um das Land machte. Hinter manch konservativer Fassade brach der blanke Hass hervor und produzierte passend zur Abstimmung widerliche Sätze, wobei sich wieder einmal die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" als Speerspitze der Vorgestrigkeit erwies. Was da ein Pseudonym namens Johannes Gabriel veröffentlichen durfte, was prompt von Bloggern wie Treue und Ehre verbreitet wurde, war zweifelsohne Hasspropaganda, wie sie das Netzwerkdurchwurstelungsgesetz definiert. Ehe es zur Löschorgie kommt, sei nur ein Satz zitiert, der eine Behauptung zitiert, die zum Kern des Hasses gehört:
"Und ist es wirklich so abwegig, was manche Gegner der Homo-Ehe behaupten, dass adoptierte Kinder ungleich stärker der Gefahr sexuellen Missbrauchs ausgeliefert sind, weil die Inzest-Hemmung wegfällt, und diese Gefahr bei homosexuellen Paaren besonders hoch sei, weil die sexuelle Outsider-Rolle eine habituelle Freizügigkeit erotischer Binnenverhältnisse ohne alle sexual-ethischen Normen ausgebildet habe?"
Klingt konjunktivisch schick, ist aber übel. Das Inzest in gleichgeschlechtlichen Ehen verbreiteter sein soll als in Zusammenschlüssen von Mann und Frau, ist eine perfide Behauptung, mit der die Homosexuellen seit Jahrhunderten kämpfen müssen. Belege dafür gibt es nicht, zumindest ist mir keine Studie bekannt. Wie tief diese miese Mär vom Kinderficker in der moralisch reinen Lehre von der einzig richtigen Ehe verankert ist, zeigt ein Blick in die USA, wo Frauen googlen, ob ihre Ehemänner schwul sind und dann die Suche mit dem "Schutz der Kinder" rationalisieren. Besonders ausgeprägt ist die Hinterhersuche in den Südstaaten.

*** Mit der Abstimmung im Bundestag trauert die FAZ um die neue Minderheit, in der sich Bundeskanzlerin Merkel und die Konservativen nach der "hasserfüllten Lobbyarbeit" der Schwulen- und Lesbengruppen befindet. Man gedenkt den heterosexuellen Ehepaaren mit ihrer einzigartigen Fähigkeit zum Kinderkriegen und ist über die "Intoleranz" verwundert, die der Beitrag von "Johannes Gabriel" erfuhr. In derselben Ausgabe findet sich ein Text zum Tod des großen Soziologen und Theologen Peter L. Berger, der einstmals in "Altäre der Moderne" das ganze Getröte von der durch Gott gestifteten Ehe ganz wunderbar einnordete:
"Religion sei der kühne Versuch, das gesamte Universum als Angelegenheit des Menschen zu betrachten. Aber es bleibt eine Form der Selbst-Externalisierung des Menschen, also die Projektion humaner Ordnung in die Gesamtheit der Wirklichkeit. Auch das heiligste Gesetz in seiner angeblichen Ewigkeit ist nur soziale Konstruktion, also Gesellschaft."

*** Heute vor fünf Jahren wurde am 2. Juli die allgemeine Erklärung der Internetfreiheit veröffentlicht und von zahlreichen Organisationen und Persönlichkeiten unterschrieben. Das ist gar nicht so lange her und dennoch klingt es seltsam, dass diese Aktion der Bürgerrechtler von Außenminister Guido Westerwelle unterstützt wurde, natürlich wegen der Unfreiheiten in China. Bekanntlich sind wir jetzt einen Schritt weiter – an China herangerückt. Gleich der erste Satz "Zensiert das Internet nicht" muss in Deutschland mit einem Sternchen geschmückt werden, dazu dann weiter unten die sozialdemokratische Erklärung: In Deutschland gilt das Netzwerkdurchwurschtelungsgesetz. Es verpflichtet profitgesteuerte Unternehmen zur profitmaximierenden Zensur. Das Gesetz, das gleich nach der historischen Entscheidung der "Ehe für alle" durch den Bundestag rauschte. Dabei spielten die Grünen Digitales Dilemma und enthielten sich der Stimme. Sieht so das Eintreten einer Partei für digitale Bürgerrechte aus? Muss man sich da nicht die FDP und "Schnarre" wieder herbeisehnen, wie einstmals in diesem Kommentar hellsichtig vorhergeahnt?

*** Ja, es muss schon ein seltsames Dilemma sein, egal, ob so ganz neuländisch digital oder althergebracht analog, wenn man die Zeichen der Zeit nicht erkennt und die Chancen nicht ergreift. Die Grünen hätten sich nach dem Ausscheiden der FDP aus dem Bundestag hervorragend als Bürgerrechtspartei profilieren können – und haben es voll verkackt, trotz der Bemühungen weniger Streiter wie Konstantin von Notz und Hans-Christian Ströbele, die aber weitgehend im Regen stehen gelassen wurden. "Das Internet darf kein grundrechtsfreier Raum sein. Wer wird [...] dafür sorgen?", fragten sich bang die heise-Redakteure nach dem Ausscheiden der FDP. Die Grünen sind's wohl nicht, egal, ob in der Regierung oder in der Opposition. Wenn man denn dann wählen soll, bald, im September, das fragen sich wohl viele an grundlegenden Bürgerrechten festhaltende Netzbürger: "Die FDP? So richtig zentral sind die Bürgerrechte in ihrem Wahlprogramm auch nicht. Was dann? SPD? CDU gar? Come on! Und der Linken mit ihrem klassischen Paternalismus traue ich, was Freiheit und Liberalität angeht, auch nicht über den Weg." Seit Jahren geht die Auseinandersetzung mit den Sicherheitsparanoikern, endlos anscheinend, in den Abwehrgefechten bröckeln die digitalen Bürgerrechte nach und nach. Das gemahnt beileibe nicht an Sisyphos - der soll ja bekanntlich ein glücklicher Mensch gewesen sein, denn: "Der Kampf gegen Gipfel vermag ein Menschenherz auszufüllen." Hier aber, bei Staatstrojaner, Vorratsdatenspeicherung, Netzwerkdurchsetzungsgesetz ist man in Versuchung, sich frustriert abzuwenden.

*** Huch, schreck, schauder und schüttel. Die Erikative fallen nur so, wenn man liest, was der 17. Grimme Online Award war: "Es war ein Fest für Qualität im Netz und manchmal Emotion pur." Die Feier von Online-Angeboten öffentlich-rechtlicher Anstalten wird dann so umholpert: "Nicht nur eine organisatorische Meisterleistung, wie auch Preispate Friedrich Küppersbusch bei der Übergabe der Trophäe in der Kategorie Information bemerkte 'an ein kleines Startup aus der Kölner Innenstadt' mit 'trendigem Retro-Namen'." Megatrendig und ausgezeichnet auch der "Conversational Journalism" von Chatbot Resi, der für echte Infonauten eine Enttäuschung ist. Dazu gab es "Limousinen für den komfortablen VIP-Fahrservice für die Preisverleihung" und VR-Brillen von Samsung, damit die WDR-Produktion über den Kölner Dom genossen werden konnte mit dem packenden Erlebnis, wie der Zuschauer "aus der Führung der Kamera befreit" wird. Emotion pur, zu 100 Prozent aus Emotionskonzentrat.

Was wird.

Es wird ja nicht alles schlecht. In ein paar Jahren werden wir unverschlüsselt mit Quantencomputern mailen und niemand wird das abhören können, weil nichts im herkömmlichen Sinne übertragen wird. Wir werden außerdem allesamt Cyborgs werden, weil das einfach einfacher ist mit dem gestützten Leben und uns daran gewöhnen müssen, dass bei allem Gerede vom Security by Design bei unseren Ergänzungsgliedern durch die Bank weg der Notaus-Knopf fehlt. Aber hach, das sang man ja schon im Summer of Love.

Wegen aktueller Hochzeitsfeierlichkeiten (siehe oben) beginnt das Sommerrätsel erst in der nächsten Ausgabe. Was im "Summer of Love" begann, ist nach wie vor bunt und aufregend und von keinem schwächelnden Leviathan zu kontrollieren. Wie hieß es damals? "We are not a computerized version of some corrupted ideal culture of the early 1900's, but a whole new society because we are computerized". Na, das ist schonmal ein hübsches Rätsel. Woher stammt dieser Spruch?

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. Des Sommers Rätsel erster Teil
Beitrag von: SiLæncer am 09 Juli, 2017, 00:16
Es ist Sommer. Und eigentlich heiß genug, dass man nicht völlig sinnlos Feuer anzünden muss. Aber was solls, manchen ist nichts zu peinlich. Da kann man sich auch mal dem Sommerrätsel widmen, meint Hal Faber.

Es ist sommer. Also gibts Hal Fabers Sommerrätsel. Aber wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber auch den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Der ganze Artikel (https://www.heise.de/newsticker/meldung/Was-war-Was-wird-Des-Sommers-Raetsel-erster-Teil-3767497.html)

Quelle : www.heise.de
Titel: Was wirklich wahr war: Des nassen Sommers erste Rätsel aufgelöst
Beitrag von: SiLæncer am 10 Juli, 2017, 19:32
Zehn Hardware-Rätsel galt es zu lösen, dazu ein Musik-Rätsel aus der Zeit um 1967, in der der Summer of Love die Menschen antörnte. Eines mussten wir zurückziehen, weil es, ähem, falsch war.

Summertime, and the Wahlkampf ist easy. Umstandslos ist aus dem G20-Gipfel der Bundesregierung der Wahlkampf für den nächsten Bundestag als kreischender Block herausgebrochen und der Parolen sind viele. Die einen fordern eine umfassende europäische Extremistendatei, weil in Hamburg französisch und italienisch zu hören war. Die anderen halten das für einen Rechtsbruch. In der Analyse der Plünderungen, die an die Plünderungen von London 2011 erinnerten, hilft das nicht weiter. Auch das im Sommerrätsel erwähnte Manifest vom kommenden Aufstand ist Thema, erklärt aber nicht alles.

Der ganze Artikel (https://www.heise.de/newsticker/meldung/Was-wirklich-wahr-war-Des-nassen-Sommers-erste-Raetsel-aufgeloest-3768460.html)

Quelle : www.heise.de
Titel: 4W: Von Schanzenvierteln, Tahrirplätzen und anderen sommerlichen Rätseln
Beitrag von: SiLæncer am 16 Juli, 2017, 06:00
Waren das Zeiten, als Ronald Reagan die Nationalgarde gegen die Hippies von der Leine ließ. Heute sind die, die sich Aufständische nennen, genauso bescheuert wie die großkopferten Retter der Welt, grummelt Hal Faber, und rätselt über den IT-Summer of Love

Es ist Sommer. Also gibts Hal Fabers Sommerrätsel, in diesem Fall der zweite Teil. Aber wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber auch den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

*** Willkommen beim zweiten Teil des Sommerrätsels, mit dem der "Summer of Love" begangen wird. Diesmal sind die ollen Hippies und ihre Beiträge zur Software-Kultur zu raten, ein lustiges Unterfangen, wenn heutzutage Angebote wie der kommerzielle Petitionsdienst Change.org oder der Musikstreamer Spotify als Erben der Proteste und Aktionen von 1967 geführt werden.

Der ganze Artikel (https://www.heise.de/newsticker/meldung/Was-war-Was-wird-Von-Schanzenvierteln-Tahrirplaetzen-und-anderen-sommerlichen-Raetseln-3772315.html)

Quelle : www.heise.de
Titel: 4W: Vom Sommer der Liebe bis zum Platz hinter dem Deich ...
Beitrag von: SiLæncer am 23 Juli, 2017, 05:23
Ach, man hat ja im Sommer mal Zeit, was in aller Ruhe zu diskutieren, meint Hal Faber. Der sich dann doch über all die Aufgeregtheiten wundert, während die Wale im Baggersee paddeln. Und sich zeigt, dass Menschenrechtler und Hacker zusammenarbeiten müssen

Es ist Sommer. Also gibts Hal Fabers Sommerrätsel, in diesem Fall der dritte Teil. Aber wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber auch den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Der ganze Artikel (https://www.heise.de/newsticker/meldung/Was-war-Was-wird-Vom-Sommer-der-Liebe-bis-zum-Platz-hinter-dem-Deich-enthaltend-des-Sommerraetsel-3780734.html)

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. Vom Leben in interessanten Sommern
Beitrag von: SiLæncer am 30 Juli, 2017, 04:30
Der Hund hat die Daten gefressen, bestimmt! Und Flash gleich mit sowie die Fluggastdatenabkommen und den Diesel. Es ist halt noch immer so, dass im Internet niemand weiß, dass Du ein Hund bist. Das haben die Hunde den Katzen voraus, irrlichtert Hal Faber.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Willkommen zurück in den Ebenen des Alltags. Die Zeit der Sommerrätsel ist vorbei, viele sind gelöst, nur wenige bleiben offen. Ungelöst ist nach wie vor die Frage der risikobehafteten Pooltermine und warum Journalisten mittenmang auf dem G20-Gipfel ausgesclossen wurden. Die versprochene Aufklärung bleibt aus, zum Teil mit putzigen Begründungen durch das Bundeskriminalamt. Es hat den Anschein, als ob auch Dateien Urlaub haben und nicht nur die verantwortlichen Sachbearbeiter. Am Ende hat ein Hund die Diskette gefressen, jede Wette. Andere Fragen konnten besser beantwortet werden, etwa die nach den Angriffen der Antifa, die in Berlin angeblich den Topics-Buchladen ruinierte, der auf esoterische Literatur spezialisiert war und regelmäßig okkulte Lesungen veranstaltete. Eine dieser Lesungen über den Esoteriker und Rassentheoretiker Julius Evola war der berühmte Stein des Anstoßes für den blühenden Unsinn, der durch die Blasefilter des Netzes gepustet wurde. Am Ende der Geschichte möchte uns das gelehrte republikanische Feuilleton in diesem unseren Leben etwas Halt geben, wenn es heißt: "Hätte dagegen ein breiter aufgestellter Laden – etwa mit Schulbüchern für die migrantischen Kinder des Viertels, also mit Bezug zur sozialen Realität vor der Ladentür in Neukölln – einen solchen intellektuellen Mini-Shitstorm nicht locker überlebt?" Die Antwort auf diese verquirlte Kausalität ist nö, wir haben keine Dolly Parton.

*** "Mögest du in interessanten Zeiten leben" ist angeblich ein chinesischer Fluch in amerikanischer Kurzfassung. Ausgeschrieben ist es schwer, sich einen heftig Fluchenden vorzustellen, der da sagt: "Ist man zu einem ungünstigen Zeitpunkt geboren, so hat man Kummer und viele Sorgen. Gibt es keinen Winter oder Sommer, so ist das Herz regelmäßig traurig und voll Sorge." Nun, wir haben immerhin Sommer und hoppla, wir leben in sehr interessanten Zeiten. Wer kann sich schon vorstellen, dass eine fehlende Sicherheitsüberprüfung der herangezogenen SysAdmins aus Tschechien und Rumänien zu einer heftigen Regierungskrise in Schweden führt, an deren Ende zwei Minister von ihrem Chef den Laufpass bekommen? Zumal es bis heute keine Beweise gibt, dass diese Techniker sich an den Daten vergriffen. Innenminister Anders Ygeman und Infrastrukturministerin Anna Johansson mussten gehen, am Tag, bevor die SysAdmins dieser Welt geehrt wurden. Man stelle sich analog einen Thomas de Maizière und einen Alexander Dobrindt vor, die es bei uns ereilen könn ... aber halt, wir basteln testweise noch am tollen Bürgerportal, das Schweden vor 13 Jahren eingeführt hat. Eine deutsche Behörden-Cloud ist nach dieser Differenz dann frühestens 2030 im Gespräch. Ob es dann noch IBM mit seinem Cloud-Angebot geben wird? Die einstmals stolze Firma dürfte schwer unter dem schwedischen Debakel leiden, obwohl es ihr vertraglich gestattet worden war, SysAdmins eigener Wahl zu beschäftigen. Die Antwort auf diese Frage ist schlicht: IBM lebt in interessanten Zeiten.

*** Gibt es keinen Sommer, sind die Herzen traurig. Gibt es kein Paint mit putzigen Malvorlagen wie oben, sind sie noch trauriger. So ist der Jubel groß, wenn das "kultige Malprogramm" weiterleben kann. Wie kein anderes soll MS Paint das Potenzial des Personal Computers für Partizipation und Emanzipation verkörpern. Ein Programm wie das Theater von René Pollesch, verweisend auf eine Zeit, in der der Cyberspace noch eine demokratische Hoffnung war. Echt jetzt. Wo bleiben eigentlich die tiefsinnigen kulturkritischen Betrachtungen über das angekündigte Ende von Flash und den Einfluss auf das Theater von René Pollesch? Gibt es vielleicht ein Einordnungsproblem wie bei Johnny Flash? Ein schnödes Auf Nimmerwiedersehen kann es ja nicht sein. Den absolut besten Beitrag aus Programmierersicht lieferte der Forist Crass Spektakel mit seiner Leidensgeschichte im Stromberg-Modus. "Leadership Decisions" beflügeln nicht nur Pferde.

*** Deutschland ist nicht China, Europa auch nicht. Die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes zum Fluggastdatenabkommen der EU mit Kanada macht die Herzen froh und hellt die Gemüter sommersonnig auf. Let the sunshine in! Auf dem Weg in die totale Überwachung müssen nun die Abkommen mit den USA und Australien auf den Prüfstand. Auch die Basteleien an der großen europäischen Datenbank stehen vor einer sportlichen Herausforderung: Will der Start im Mai 2018 gelingen, müssen die Hinweise des EuGH in einem Drei-Wochen-Sprint eingepflegt werden. Etwas einfacher dürfte da die Umsetzung des ebenso erfreulichen Urteils zum Keylogger sein. Einfach nicht einsetzen, diesen Überwachungs-Mist, liebe Bluebox Medienagentur. Dann klappt es auch mit der Mitarbeiter-Zufriedenheit.

*** Während in Deutschland (Nicht-China) die hohe Kunst des schläfrigen Wahlkampfes bis zur Ermattung des letzten Restes von Verstand führt und Fake-Wahlplakate die Diskussion dominieren, drückt der immer-noch-Wahlkämpfer Donald Trump auf den Reset-Knopf. Beim antiken PC-Hardware-Äquivalent zu shutdown -q echo off schreitet die Militarisierung und Vulgarisierung der US-Regierung fort. Mit den Ausfällen vom neuen Kommunikationschef Scaramucci halten knallharte Praktiken Einzug, die gestählte Wall-Street-Reporter schon länger kennen. Interessant wird es sein, wie es mit den Leaks weitergeht und ob das ausgesprochene Verbot der Verschlüsselung durchgesetzt werden kann. Stimmen die Meldungen, so nutzen zumindest Schwiegersohn Jared Kushner und Trump-Anawalt Michael Cohen den Messenger Signal mit seinen Verschlüsselungs- und Löschfunktionen. Die Crypto-Wars bleiben also spannend, nicht nur in den USA. Noch ist die Druckertinte nicht trocken, mit der das entsprechende Gesetz verkündet und rechtskräftig wird, da gibt es eine Klage gegen den Staatstrojaner, die aus dem Stand weg von über 34.000 Bürgern unterzeichnet wurde. Wenn das mal kein digitales Sommmermärchen ist! Spätestens am 9. September gibt es was zu feiern.

Was wird.

In der kommenden Woche unterbricht die Politik ihre Sommerferien/Wahlkampfbeduselung, denn da gibt es auf Verlangen von einem Südstaatler einen Diesel-Gipfel in Berlin. Bis auf Bobby-Car haben alle deutschen Autobauer Dreck am Stecken. Gleichzeitig ist das stinkende Auto gleich nach dem Smartphone des Deutschen liebstes Spielzeug. So wird die Entscheidung, ein Dieselverbot in Stuttgart zu genehmigen, mit einer Gottesstrafe gleichgesetzt. Denn endlich frei sein, das funktioniert nur mit Diesel. Die Umprägung auf Elektroautos kommt nur langsam in Gang, da sind Porsche und Mercedes-Benz Spätstarter. Besagter Südstaatler macht als Nichtstarter derweil Wahlkampf mit absurden Vorschlägen. Es ist halt alles eine Frage des Antriebs.

Tja, der Wahlkampf. Vielleicht ist es an der Zeit, wieder daran zu erinnern, wie unsicher Wahlcomputer sind und zumindest nichts in der Wahlkabine zu suchen haben. Deutschland ist nicht China! Das Voting Village auf der Defcon zeigte, wie alle bekannten Wahlcomputer kompromittiert werden konnten, unter ihnen ein System mit Windows XP. Winvote wurde in 1 Minute und 40 Sekunden geentert. Man kann es einfach auf den Punkt bringen: elektronische Wahlhelfer sind Wahlfälscher. Somit schließt die kleine Wochenschau, nicht ohne an den größten lebenden Roboter zu erinnern, der heute seinen 70. Geburtstag feiert. Im November 2005 wurde er von einem Wahlcomputer ausgezählt und zunächst nicht zur Wahl zugelassen. Das Abschlussbild stammt nicht von der Hackerkonferenz SHA 2017, denn die beginnt erst am kommenden Freitag. Auf der HAR zerlegte der Chaos Computer Club im Sommer 2009 einen Nedap-Wahlcomputer nach allen Regeln der Hacker-Kunst.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. Im Leben von Metamorphosen umgeben.
Beitrag von: SiLæncer am 06 August, 2017, 03:51
Auf dem hohen Ross, ob philosophisch oder moralisch, sitzt man manchmal doch ganz gut, meint Hal Faber. Und das nicht nur, wenn Metamorphosen anstehen.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Zerknirscht muss ich mich zuallererst bei den Lesern dieser kleinen Wochenschau aus der norddeutschen Tiefebene entschuldigen. Etwas zu voreilig habe ich im letzten WWWW berichtet, dass die Klage von Digitalcourage gegen den Staatstrojaner aus dem Stand weg von 34.000 Bürgern unterzeichnet worden ist. Stimmt nicht, das war eine Wunsch-News. Der aktuelle Stand: 4.000 Menschen haben unterzeichnet und etwas über 30.000 Euro gespendet, damit die Klage, die etwa 45.000 Euro kostet, über die Bühne gehen kann. Hier gibt es durchaus Verbesserungsbedarf, liebe Männer und Frauen.

*** Ausgerechnet eine für Frauenrechte Zuständige sorgte in der norddeutschen Tiefebene für Aufregung, als sie nach dem Ende der Sommerferien im schönen Niedersachsen die Klasse wechselte. Nur waren es nicht die Schulferien, sondern die Parlamentsferien und es ging von den Grünen zur CDU. Ein Schritt, der durchaus seine Logik hat, wenn man sieht, wie ein grüner Ministerpräsident vom sauberen Diesel schwadroniert wie US-Präsident Trump von der sauberen Kohle. Darum gilt doppelt und dreifach, was zum elenden Diesel-Gipfel kommentiert wurde: "Politiker sind durch ihren Amtseid dem Gemeinwohl verpflichtet. Es überschneidet sich in gewissen Teilen durchaus mit dem Wohl der deutschen Autoindustrie. Aber es ist bei weitem nicht deckungsgleich."

*** Doch zurück zum schönen Volkswagen-Land Niedersachsen, in dem eine Politikerin zeigte, wie sie ihr Wohlergehen präferiert: Zuvor hatte die Hinterbänklerin Elke Twesten bei den Grünen sich mit ihren Parteikolleginnen ausgiebig über feministische Themen gezofft und dies zunächst als Motiv für ihren Parteiwechsel genannt. Prompt gab es Vermutungen, dass das jämmerliche Denunziationsportal der grünen Agentin Mitschuld am Wechsel hat, doch die Wahrheit ist viel banaler. Das Ende der politischen Karriere war sichtbar. Nicht mehr für die anstehende Wahl aufgestellt zu sein, das verkraftete die Politikerin nicht: "Ich hab mich also gefragt, soll ich aufhören?" Die einfache Antwort wäre "Ja!" gewesen. So zeigt sich wieder einmal unverdrossen, was PolitikerInnen und BürgerInnen voneinander trennt. So ein Wechsel von den Grünen zur CDU (oder von der AfD zur SPD) ist ja auch nur ein Software-Update, ein Sprung zwischen Suse und Ubuntu oder so.

*** Nun ist es ja nicht umsonst, dass das Grundgesetz die Abgeordneten des Deutschen Bundestages nur ihrem Gewissen verpflichtet – was so natürlich auch für Abgeordnete von Landtagen seine Richtigkeit hat. Abgeordnete, um das mal von vom hohen philosophischem Ross der Grundgesetz-Formulierung herunterzuholen, entscheiden also nach bestem Wissen und Gewissen. Was auch sonst sollte ihre Leitschnur sein? So sollten sich also alle, die angesichts der Vorkommnisse in Niedersachen (oder in Thüringen, by the way) jetzt imperative Mandate und Abgeordnete einzig nach Parteiräson fordern, etwas zurückhalten. Bleibt trotzdem die Frage nach dem Wählerwillen – der sich in der Wahl einer Landesliste (im Unterschied zu Direktmandaten) meist kaum an einzelnen Personen dieser Landesliste festmacht, sondern eben an Parteien. Insofern mag die Frage nach der Moral dann doch gestellt werden, wenn Abgeordnete ein Mandat behalten, die Partei, für die sie dieses Mandat erhalten haben, aber verlassen. Ganz ohne imperative Mandate oder Fraktionszwang, ganz ohne Intrigen und Vorteilsnahmen, neue Jobs und neue Ämter, wäre eine Rückgabe des Mandats dann doch eine moralische Verpflichtung. Weder philosphisch noch moralisch ist das ein allzu hohes Ross.

*** In dieser Woche wurde der Test der automatisierten Gesichtserkennung am Bahnhof Südkreuz gestartet, mit vielen Reaktionen. Dem Cheftester der Bundespolizei gefallen sie nicht unbedingt, wie sein Statement im Newsletter an seine Tester zeigt: "Kritische Wortmeldungen sind legitim und Ausdruck unserer freiheitlichen Demokratie. Bedauerlicherweise wird dabei auch pauschale Kritik kundgetan, die aus Sicht der Bundespolizei oft substanzlos ist oder am eigentlichen Thema völlig vorbeigeht. Ich hoffe, Sie lassen sich von diesen Beiträgen nicht verunsichern. Es handelt sich zunächst nur um den Test eines technischen Verfahrens, dessen Ergebnis völlig offen ist. Auch ich bin gespannt auf das Ergebnis und freue mich auf die kommenden sechs Monate." Herr Striethörster mag beruhigt sein, auch wir warten auf Ergebnisse und lesen ganz ergebnisoffen, wie einfach Erkennungssoftware in die Irre geführt werden kann. In dieser Woche wurde auch das Hackercamp SHA2017 mit einer Keynote von Phil Zimmermann gestartet. Der antwortete auf die Frage nach dem Austricksen der Gesichtserkennung etwas Kluges, das Wiederholung verdient: "Klar kann man sich das Gesicht bemalen oder lustige Brillen nutzen oder Infrarot-LEDs, die die Kameras anblitzen. Doch eine Antwort muss von der Zivilgesellschaft kommen und für alle Bürger gelten, nicht nur für Hacker. Das ist eine politische, keine technische Frage." Es gibt auch, Pullmoll sei Dank, eine poetischeAntwort mit deutschem Liedgut auf den das Sicherheitsempfinden steigernden Sicherheitsbahnhof:

Auf die Bäume ihr Affen, der Wald wird gefegt,
der Wald wird gefegt, der Wald gefegt.
Auf die Bäume ihr Affen, der Wald wird gefegt,
und nicht lange überlegt."

*** Mit mehr als 300 Vorträgen ist das Hackercamp, von dem die madmaxigen Bilder stammen, eine sportliche Sache. Um alles vor Ort erleben zu können, müsste man sich Klonen, empfahl der Veranstalter zum Auftakt – aber wenn man sich klonen würde, würde es auch mehr Veranstaltungen geben. Die lässigen Hacker ignorieren die Klon-Empfehlung und setzen darauf, irgendwann die Videos der Talks zu gucken, in der Hoffnung, dass es verfügbar sein wird und nicht verschwindet, wie es mit den Mitschnitten auf der OHM 2013 passiert ist. Klonen ist, philosophisch betrachtet, eine Teilmenge der Teleportation: Wenn ich mich vom Mars zur Erde teleportiere, habe ich als Mensch die Entscheidung zu treffen, was mit meinem Marskörper passieren soll. Das ist ein Problem, das Gucky, der Mausbiber von Perry Rhodan nicht hat. Vielleicht kann es mit der Teleportation in ein Paralleluniversum gelöst werden, etwa dem mit diesem G20-Gipfel, in dem die Polizei mit Steinen und Flaschen angegriffen wurde. Oder in dem Paralleluniversum mit einem Bundeskriminalamt, das immer noch keine Auskunft darüber erteilen kann, warum Journalisten die Akkreditierung entzogen wurde. Sind die Informationen soooo schwierig zu finden? Sind die Informationen über Journalisten gar in diesen "ermittlungsunterstützenden Hinweisen" (EHW) der kostenträchtigen Fallbearbeitung B-Case zu finden, die im Tätigkeitsbericht unserer Bundesdatenschützerin im Juni als "stigmatisierende Einträge" kritisiert wurden? Datenschutzrechtlich soll das höchst bedenklich sein und einen kleinen Hinweis auf Demonstrationsteilnahmen gibt es auch: "Ein Großteil aller polizeilichen Daten betrifft Personen, die nur wegen eines Verdachts gespeichert sind. Das mit dem EHW vergebene Etikett erhalten also auch solche Personen, deren Daten beispielsweise bei einer Demonstration erfasst wurden, gegen die ein Strafverfahren aber später wegen mangelnder Beweise eingestellt wurde oder die sogar freigesprochen wurden." Nun, wir leben in der besten aller Demokratien.

Was wird.

Als er in seiner Art der Demokratie lebte, war alles etwas einfacher. Damit nicht zufrieden, entwickelte er in höchst poetischer Sprache die Idee zu Facebook, die Mark Zuckerberg später umsetzte. Zuckerberg spricht und schreibt nach eigener Aussage flüssiges Latein (und Griechisch) und dürfte deshalb diese Steilvorlage "Wie werde ich Milliardär?" kennen: "Zwischen der Erd' und dem Meer und den himmlischen Höh'n in der Mitte
Lieget ein Ort, abgrenzend der Welt dreischichtige Kugel,
Wo man, was irgend erscheint, wie fern auch der Raum es gesondert,
Schaut, und jeglicher Schall die gehöhleten Ohren durchdringet.
Fama erkor sich den Ort und bewohnt den erhabensten Gipfel.
Rings unzählbare Gäng' und der Öffnungen Tausende ringsher
Gab sie dem Haus, und es sperrte nicht Tor noch Türe die Schwellen.
Tag und Nacht ist es offen; und ganz aus klingendem Erze,
Tönet es ganz und erwidert den Laut, das Gehörte verdoppelnd.
Nirgend ist Ruh' inwendig und nirgendwo schweigende Stille;
Doch auch nirgend Geschrei; nur flüsternder Stimmen Gemurmel:
Wie von des Meers Aufbrandung, wenn fernher einer es höret,
Schallt das Geräusch; wie dumpf, wann Jupiter krachende Schläge
Sandt' aus schwarzem Gewölk, abziehende Donner verhallen.
Höf' und Säle durchwühlt's; leichtflatternde gehen und kommen;
Und mit wahren Gerüchten ersonnene wild durcheinander
Ziehn bei Tausenden um und rollen verworrene Worte.
Einige füllen davon mit Geschwätz die müßigen Ohren;
Andere tragen Erzähltes umher; und das Maß der Erdichtung
Wächst; und es fügt zum Gehörten das Seinige jeder Verkünder.
Dort ist gläubiger Wahn und dort zutappender Irrtum,
Eitele Fröhlichkeit dort, bei dumpf anstarrenden Schrecken,
Aufruhr, jählich empört, und unverbürgte Gezischel.
Aber sie selbst, wo im Himmel, ins Meer, in den Landen was Neues
Aufblickt, schaut es sogleich und durchspäht den unendlichen Weltraum."

So lyrisch wie Ovid vor mehr als 2000 Jahren hat niemand Facebook beschrieben, jenes Gebilde, in dem wir alle nur Produkte sind, was aber niemand wirklich in letzter Konsequenz verstehen will: "Ich bin mir nicht sicher, ob es jemals eine so komplette Diskrepanz zwischen dem gibt, was eine Firma von sich behauptet – verbinden, Gemeinschaften erzeugen – und der kommerziellen Realität." In Zukunft will die Firma nun "mehr Diversität" in den von weißen Männern dominierten Laden bringen, was schon einmal gut klingt. Doch Skepsis ist angebracht, ob der Garten der Wandlungen so schön gelingt wie nun die Veranstaltungen zum Bimillennium von Ovid.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. Vom Regen (NL) in die Traufe (D).
Beitrag von: SiLæncer am 13 August, 2017, 06:20
Keine Atempause. Genau, Geschichte wird gemacht. Jedenfalls ist Wahlkampf. Geschichte wird gemacht? Ach, geh, weg, wo kämen wir denn da hin, klagt Hal Faber: Bob und Alice drehen sich im virtuellen Grab.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Der Leuchtturm am Safe Harbour ist abgebaut, die Schiffe sind weg, genau wie die gehackten Teslas der italienischen Botschaft. Der Ravezauber durch das Camp ist vorbei und Still Hacking Anyway Geschichte und spurlos verschwunden. Doch Geschichte will nicht nur gemacht, sondern auch verstanden werden, nicht nur im öden Wahlkampfmodus, sonst sind die Ludditen einfach nur Maschinenstürmer. Dabei waren diese Menschen eigentlich frühe Hacker, die mit eigenen Arbeiterkooperativen für ihren Lebensstandard kämpften, wie dies der kybernetische Kommunist Richard Barbrook formuliert. Der war einst mit der kalifornischen Ideologie bekannt geworden und propagiert heute als Corbyn-Berater die App Corbyn Run und freut sich über What was done.

*** Alice und Bob sind das berühmteste Paar der IT-Geschichte. Nicht gerade ein Liebespaar wie Romeo und Julia oder Homer und Marge, aber doch wie ein Paar, das in aller Öffentlichkeit ein Geheimnis miteinander teilen will. Die Geburtsstunde ihrer seltsamen Beziehung war 1978, als Rivest, Shamir und Adleman ihren Aufsatz über das Public-Key-Verfahren in der Kryptografie publizierten. In einem gemütlichen Plausch am Rande der SHA erklärte Phil Zimmermann, wie sehr ihn damals das Paper von RSA elektrifizierte. Das ging soweit, dass Alicebob als Name für sein Programm in der Überlegung war, bevor ihn die Werbung von "Ralph's Pretty Good Groceries" animierte, sein allererstes Programm "Pretty Good Terminal" oder PGT zu nennen. Später entstand dann PGP und neben Alice und Bob tauchte Trent auf, als eine der Instanzen im Vertrauensmodell von PGP. Heute hält Zimmermann das Vertrauensmodell für überholt. Als später auf der SHA im Vortrag über p=p gesprochen wurde, wie das Vertrauensmodell ersetzt werden kann, war Zimmermann längst wieder in Den Haag. So verpasste er, dass Alice und Bob und alle Heiseleserinnen und Heiseleser dafür Geld spenden können, das Kryptografie etwas einfacher wird. Das Projekt gehört jetzt zu denen, für die bei der Wau Holland Stiftung ein Konto eingerichtet wurde, womit Spenden mit Quittungen möglich sind.

*** Bei Facebook experimentieren sie mit Chatbots und so haben es Alice und Bob als solche zu neuem Ruhm gebracht, diesmal nicht mit Key-Chiffren, sondern mit einer selbstentwickelten chiffrierten Sprache, die LOLWUTweit vom Englischen abwich. Prompt gibt es die bekannten KI-Debatten über den Untergang unserer Zivilisation und natürlich einen Vergleich mit der Gefährlichkeit von Nordkorea. Standen Alice und Bob kurz davor, die Herrschaft über die Menschheit an sich zu reißen, wie es die Frankfurter Allgemeine schrieb? Wohl kaum. Jede KI ist großen menschlichen Leistungen weit entfernt. Und auch die Facebook-KIs babbelten einfach nur sinnloses Kauderwelsch. Auch dazu gab es auf dem Camp hinter dem Deich ein paar interessante Aussagen: Was macht wohl eine KI, die alles daran setzt, unsere Privatsphäre zu schützen? Findet sie eine Verschlüsselung, die stärker ist als die Vollbit-Verschlüsselung des Heise-Lieblings Kryptochef? Derweil warnen selbst Regierungsberater, dass Alice und Bob sich ihre sichere Kommunkation an den Hut stecken können, wenn die Regierungen sich von den Sicherheitsparanoikern weiter so ins Bockshorn jagen lassen.

*** Wie auf dergleichen Sommercamps üblich, war die SHA2017 ein großer Familienausflug mit vielen Kindern. Eindrücklich konnte man sehen, wie Smartphones vergnügte junge Wesen begleiteten, die alles andere als verdummt erschienen. Wie, das ist nur eine x-beliebige Korrelation? Aber genau so agumentiert der Panik-Artikel der US-Psychologin, die bereits 2007 vor dem durch Computer geförderten Zusammenbruch der Kindheit warnte. Gegen ihre neue Panikattacke gibt es etliche Einwände, wie den von der Verwechslung von Korrelation und Kausalität. Bittesehr, es gibt auch Studien, die Entwarnung geben. Verdummen Kinder, ist das ein Zeichen, dass sie überbehütet aufwachsen, schreibt gar der Psychiater Jan Kalbitzer, Fachmann für Digitalparanoia. Noch mehr so Bockshörner, und wir verdummen wirklich alle.

*** Paranoia, Schmaranoia, da war doch was? In der Zeitschrift Atlantic, an der mittlerweile das Emerson Collective von Lara Powell Jobs beteiligt ist, erschien eine Geschichte über einen Mitarbeiter des nationalen Sicherheitsrates der USA, der über ein verschwörungstheoretisches Memorandum stolperte und gefeuert wurde. Inzwischen ist das ganze Memorandum online verfügbar und bietet eine Innensicht in die Trumpokratie. Der Text ist wichtiger als das wirre Google-Manifest, das dieser Tage für Furore sorgte und eine ganze Debatte ins Bockshorn jagte. Da gibt also es einen tiefen Staat von "Kulturmarxisten", die sich mit Muslimbrüdern, Bankern, EU-Politikern und bestechlichen Abgeordneten zusammengetan haben, um Trump zu schaden. Diese Kulturmarxisten arbeiten mit Transgender-Regeln, die verhindern, dass "echte Männer" den Sumpf austrocknen können. Dieser tiefe Staat ist das Ergebnis eines Kulturmarxismus oder auch des westlichen Marxismus, der über Jahrzehnte im Weißen Haus gepflegt und gehegt wurde und entscheidend von den Toleranz-Analysen von Herbert Marcuse geprägt wurde. Seine Narrative sind Sätze über den unehrlichen, illegitimen oder korrupten Präsidenten. Das Fazit: Trump muss jetzt zuschlagen, um diesen Sumpf auszutrocknen. Als Trump über seinen Freund Sean Hannity erfuhr, dass der Autor aus dem Weißen Irrenhaus gefeuert wurde, soll er sehr wütend gewesen sein. Die amerikanische Variante einer Dolchstoßlegende ist da und dürfte aktiviert werden, wenn die Trump-Kids bemerken, dass sich nichts ändert. Wir zählen derweil die Bockshörner.

*** Die Konsequenzen von Trumps Politik werden bald von ökonomischen Brüchen begleitet, bei denen Feuer und Wut auf Trumps Amerika hagelt. Man lese, wie Richard Dawkins den Präsident beraten würde, nur um schließlich einzugestehen, dass ein Donald Trump auf niemanden hört – und wenn, dann auf einen Steve Bannon, der ihn mit Weisheiten aus World of Warcraft beglückt. So gehen wir mit Bill und Melinda Gates einen Schritt zurück und befragen einen Ex-Präsidenten, was zu einem gelungenen Leben gehört, natürlich stilecht im VR-Modus. Bockshörner hingen nicht an der Wand des Interview-Zimmers, und waren auch sinst nicht zu finden, wie man hört.

Was wird.

Zurück in Deutschland fielen den erschöpften Heimkehrern von der SHA die Wahlplakate auf, bei denen durch die Bank weg alle Parteien versuchen, sich an Blödheit zu übertreffen. "Nicht Aktenkoffer, sondern Schulranzen verändern die Welt", das klingt schick, ist aber grottenolmfalsch. Es sind die Ideen der Börsenheinis oder der von Jugend forscht, die zur materiellen Gewalt geworden, die Welt verändern. Wo bleibt eigentlich das ehrliche Plakat wie "Zehn Jahre Bundestrojaner. Wir belauschen euch weiter!". So ist das deutsche Dösen ausgebrochen, verbunden mit dem hübschen Zeitvertreib beim Zuschauen, wie sich die Grünen in der Dieselfalle winden und einander würgen. Aber dazu hat ein Kollege das Passende gesagt. Der nächste Gipfel kommt bestimmt.

Genießen wir lieber die Reste des Sommers. Bald startet der Wahl-O-Mat, nur nicht der für das schöne Niedersachsen, wo es auch ran an die Urnen geht, nach einem sorgfältig inszenierten Entlastungsangriff zum Dieselgipfel. Wer unterdessen über die fiesen Algorithmen grübeln will, die hastunichtgesehen so eine Wahl beeinflussen, lädt sich halt die Handreichungen der Deutschen Gesellschaft für Informatik runter. Und bittschön, wer nach dieser Meldung zur SHA Sorge hatte, darf die Zeilen lesen, die die Pressebetreuung des Bundeswahlleiters zur freundlichen Kenntnisnahme schickte: "Der Bundeswahlleiter nutzt einzelne Komponenten der Produkt-Suite IVU.elect für die Bundestagswahl, allerdings in einer speziellen, an die technischen und organisatorischen Rahmenbedingungen der Bundestagswahl angepassten Version. Die ausgewählten Softwarekomponenten unterstützen den Teilprozess der Wahlen, der in den Zuständigkeitsbereich des Bundeswahlleiters fällt (siehe hier). Diese vom Bundeswahlleiter verwendete Version ist nicht identisch mit der Anwendung, die in den Niederlanden zum Einsatz gekommen ist." Vom Regen, der mit einem gekonnten Wolkenbruch auf der SHA schlussendlich die Kartents demoliert, kommen wir noch früh genug in die Traufe, oder um es mit Luther in diesem noch immer gefeierten Lutherjahr zu sagen: "Wenn man dem Regen entleuft, so kompt man mitten ins Wasser."

Quelle und Links: www.heise.de (https://www.heise.de/newsticker/meldung/Was-war-Was-wird-Vom-Regen-NL-in-die-Traufe-D-3798812.html)
Titel: Was war. Was wird. Von Sackgassen und Auswegen
Beitrag von: SiLæncer am 20 August, 2017, 00:12
Köpfe lassen sich nicht wie Nummernschilder abmontieren, ansonsten können beide recht gleich behandelt werden. Mit Fahrzeugen preschen Menschen andere Menschen nieder. In Deutschland döst man sich zur Wahl.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

Er hängt an keinem Baume,

Er hängt an keinem Strick.

Er hängt nur an dem Traume

Der deutschen Republik.

Die Sezession, die Lossagung der Südstaaten von Amerika und die Bildung einer Konförderation war kein Kampf um allgemeine Menschenrechte, sondern der Versuch, die Produktionsmethode einer modernen Sklavenhaltergesellschaft auszudehnen und in anderen US-Staaten sowie in Mittel- und Südamerika einzuführen. Wer da von einem lost cause schwärmt und von einem Kampf für die Demokratie fabuliert, verdreht die Geschichte.

Die Neuner, die unter August Willich und Gustav Kämmerling gegen die Konföderierten ins Feld zogen, sangen das Heckerlied und sahen diesen Krieg als direkte Fortsetzung der deutschen Freiheitskämpfe von 1848 an. Auch Friedrich Hecker kämpfte in der Truppe der US-Armee, wenngleich er sie 1848 für gescheitert hielt und den wunderbaren Traum einer deutschen Republik aufgegeben hatte. Gut, es gab auch Südstaatler, sogar mit einem Traum von einer Verfassung zu einer Sklaven haltenden Demokratie ohne Parteien.

Der US-amerikanische Bürgerkrieg kannte Schlachten mit Verlusten auf beiden Seiten, die die Landung vor Dünkirchen weit überstiegen. Am Ende war das Land so zerrissen, dass General Lee verfügte, dass er keine Statuen von sich sehen wollte. Nichts, was die Nation noch weiter spaltete. Soweit die Geschichte, doch wer einen Fluss voller Blut an seinem Golfclub haben will, bekommt ihn auch, mit malerischer Aussicht und weitab von irgendeiner historischen Schlachtstätte. Rekorde holen andere, die Umdenken förderten, während der Präsident versagte. Muss man es gleich so dramatisch sehen? Ist da vielmehr nicht jemand, der wieder und wieder in eine Sackgasse rennt?

"Die Trump-Präsidentschaft, für die wir kämpften und die wir gewannen, ist vorbei. Wir sind immer noch eine große Bewegung und werden etwas aus der Trump-Präsidentschaft machen. Aber diese Präsidentschaft ist vorbei. Sie wird etwas anderes sein." Mit diesen Worten hat Steve Bannon seinen Rückraustrittwurf aus den "engen Kreisen" um Trump kommentiert. Auch für ihn hat der Präsident versagt, nur eben anders. Nun geht das Zerreißen weiter. Der Gegenpol ist übrigens nicht Alt-Left.

Auf der Hackerkonferenz HAR hatte er einen gefeierten Auftritt mit dem berühmten stehenden Beifall. Der Stand von Wikileaks war ständig umlagert. Auf der Folgekonferenz OHM wurde er per Video aus der Londoner Botschaft eingeblendet und füllte gleich zwei Vortragszelte und brachte die Hacker zum Feiern. Auf der SHA in der vorletzten Woche wurde Julian Assange genau einmal erwähnt, im Vortrag seiner Mitautorin Suelette Dreyfuß und der Kampagne Blueprint for Free Speech. Doch nun geht es wieder aufwärts mit Assange.

Zuerst erschien ein Porträt von seinem Lieblingsjournalisten Raffi Khatchadourian, in dem Assange sich ärgerte, dass Putin all das Lob für die harte Arbeit von Wikileaks einstreichen konnte. Danach folgte ein Besuch des republikanischen Abgeordneten Dana Rohrabacher, dem Assange versicherte, dass Russland nicht hinter den DNC Leaks steckt, sondern dies eben die harte Arbeit von Wikileaks war. Der ehemalige Redenschreiber von Ronald Reagan wird es mit Genugtuung gehört haben, ist er doch einer der wenigen US-Politiker, die die Annektierung der Krim durch Putins Regierung in Ordnung fanden.

Was wird.

Früher war der August Messezeit, heute ist er für den Wahlkampf da. Doch in Deutschland ist das eher eine träg dahinschlurfende dösige Sache. Das #fedidwgugl-Haus der CDU mit einem begehbaren Wahlprogramm gilt dann schon als Hammer. Game over, Datenklau! Dazu gibt es Lästereien, wo überall die AfD klaut, ob bei Fotos oder bei bekannten Sprüchen wie "Wohlstand für alle!". Schlurfig entsteht aus den Befunden um die fehlende Digitalmilliarde prompt ein Gerätsel um den künftigen Digitalminister der CDU bzw. ob es eine Digitalministerin von der CSU sein darf, weil ein Plus an Twitter-Followern ja irgendetwas aussagt im Digitalen.

Dabei gibt es genug Skandale: Die einen wissen es noch immer nicht, warum sie gipfelgefährdende Subjekte waren. Andere erfahren, wie sie trotz eines Freispruches im Namen des Volkes im BKA-Computer gespeichert bleiben, zur Sicherheit, mit Daten die zur Löschung 2026 markiert sind und munter weiter existieren. Auch der wie immer zuverlässig versagende deutsche Verfassungsschutz mit seinen Landesschlafämtern steuerte seine unrichtige Erkenntnislage bei, auch dies zu unser aller Sicherheit.

Sicherheit kann man bekanntlich nie genug haben, wenn einem die Freiheit egal ist. In der kommenden Woche wird sich Bundesinnenminister Thomas de Maizière am Berliner Bahnhof Südkreuz im Beisein eigens akkreditierter Journalisten über die elektronische Gesichtserkennung informieren. Wie heikel das Thema ist, erklärt der Akkreditierungshinweis gleich selbst: "Es ist darauf zu achten, dass beim Abfilmen der Laptop-Bildschirme für die jeweilige Gesichtserkennungstechnik eine Verpixelung derjenigen erfassten Personen erfolgt, die nicht freiwillige Testpersonen sind (Recht am eigenen Bild). Ein Hinweis dazu, welche Bilder zu verpixeln sind, wird vor Ort gegeben."

Wie wäre es mit einem weiteren Hinweis an die journalistischen Kleingruppen auf ihrem geführten Rundgang: der SmartBeacon/S von Blukii, den die freiwilligen Testpersonen als Schlüsselanhänger tragen, ist alles andere als ein einfacher RFID-Chip, der ihre Anwesenheit meldet. Es ist ein aktiver Transponder mit einer Reichweite von 20 Metern und verfügt über einen Beschleunigungs- und Temperatursensor. So könnte glatt gemessen werden, mit welcher Geschwindigkeit "Verdächtige" abtauchen.

Juristisch ist alles übrigens ganz wunderbar unkompliziert, wenn Gesichter von einer Software erkannt werden sollen. Auf dem europäischen Polizeikongress 2017 meinten Befürworter der Methode, sie sei einfach nur eine Ausweitung der automatisierten Kennzeichenerfassung von Automobilen, nur mit dem Unterschied, dass man Gesichter nicht einfach abschrauben kann. Ähnlich einfach sieht man es in Berlin. "Nach Auffassung der Bundesregierung genügt Paragraf 27 des Bundespolizeigesetzes", so die Auskunft der Regierung auf eine Anfrage des Grünen Abgeordneten Konstantin von Notz.

Ganz anders sehen das Juristen: In der aktuellen Zeitschrift für Datenschutz haben sich Gerrit Hornung und Stephan Schindler mit dem biometrischen Auge der Polizei beschäftigt und die "Rechtsfragen des Einsatzes von Videoüberwachung mit biometrischer Gesichtserkennung" klamüsiert: "Der polizeiliche Einsatz eines solchen Instruments bedarf einer expliziten gesetzlichen Regelung und kann nicht auf bereits vorhandene Regelungen zur Videoüberwachung gestützt werden." Der Einsatz der automatischen Gesichtserkennung sei weit mehr als das einfache "Herstellen von Bildaufnahmen", das der Polizei erlaubt sei. Die Regelungen zum Datenabgleich seien zu unpräzise. Jetzt, wo die Debatte angefangen hat, kann eine Demonstration auf die Sprünge helfen. "Der Mensch ist beides zugleich, eine Sackgasse und ein Ausweg," erkannte einstmals ein deutscher Philosoph.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. Wer die Wahl hat, hat die Wahl.
Beitrag von: SiLæncer am 27 August, 2017, 03:39
Bavaria rules the waves, äh, the trains, äh, doch nicht. Vom unfähigsten Verkehrsverhinderer bis zum hartgesottensten Webverbieter steht einiges zur Wahl. Der, der Kalif anstelle der Kalifin werden will, tut dabei nur so, als gehöre er nicht dazu.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Es ist Wahlkampf. Alle wollen Kalif werden anstelle der Kalifin oder ihr mindestens einen tollen Thermomix und seinen Politmix andrehen. Diese unsere Demokratie zeigt sich von ihrer hässlichsten Seite, die Republik ist tapeziert mit Plakaten voller Platitüden. Gut, gerecht und gerne, das ist alles zum Gähnen. Wenn es mal rauer zugeht, werden Hipster beschimpft, weil sie Englisch sprechen können, von einem Politzwerg, der Anteile an einer Firma besitzt, die eine Software namens Taxbutler herstellt. Zugegeben sehr einfach gestrickt, aber an einen großen Anspruch erinnernd, ist LIBERTÉ, EGALITÉ, FCKAFDÉ noch der beste Slogan.

*** Zum Wahlkampf anno 2017 gehört, dass ein bayerischer Innenminister und CSU-Parteimitglied unbedingt Bundesinnenminister werden will. Das aber stört den amtierenden Bundesinnenminister und CDU-Parteimitglied Thomas de Maizière so sehr, dass er eine aufwendige (staatlich finanzierte) Wahlkampfaktion durchführen lässt. Dabei hängt er auch noch seinen juristischen Sachverstand an den Nagel und gibt am Berliner Südkreuz den harten Hund. Unterstützt von seiner liebsten Antiterror-Polizeitruppe, der Bundespolizei lobpreist er die Gesichtserkennung als einen "unglaublichen Sicherheitsgewinn", noch bevor das sechsmonatige Projekt mit der Auswertung der Ergebnisse begonnen hat. Mit "wurschtiger Ignoranz" (Berliner Zeitung) vergleicht er die Gesichtserkennung mit dem Scan von KFZ-Kennzeichen und glaubt, dass keine eigenen Gesetze notwendig sind. Damit liegt de Maizière aller Voraussicht nach falsch. Im WWWW der vergangenen Woche habe ich auf das Gutachten der Juristen Gerrit Hornung und Stephan Schindler hingewiesen, das von einer "expliziten gesetzlichen Neuregelung" spricht, wenn diese Gesichtserkennung zum Einsatz kommen soll. Pointiert hat das Heribert Prantl in der Süddeutschen Zeitung formuliert, auch er ein juristisch geschulter Staatsbürger: "Aber eine Technik, für die es keine ausreichende gesetzliche Grundlage gibt, ist kein Freund; und eine Technik, die die Menschen ungefragt verfolgt und ihnen ins Gesicht fährt, ist auch nicht hilfreich, sondern asozial."

*** Die kleine Wochenschau enthielt sogar ein schickes Foto des Blukii-Beacons, über den sich dann am Montag die Aktivisten von Digitalcourage aufregten. Das führte zu einem großen Lalula in der Presse, weil so ein Beacon ja etwas ganz anderes ist als der von der Bundespolizei im FAQ zur Gesichtserkennung erwähnte "Transponder" in Form einer Kreditkarte. Im FAQ fehlt freilich, ob der Transponder ein passiver RFID-Chip ist oder aktiv Daten über viele Meter sendet, wie es bei der Verladung von Containern der Fall ist. So sind alle fein raus mit der Aufregung. Die eigentliche Frage haben de Maizière wie seine Kritiker im Technik-Kleinklein ausgeblendet. Schließlich sind alle möglichen Kameras am Test der Erkennungssoftware beteiligt, wie die Bundespolizei sagt. "Sollen Überwachungskameras zusammengeschaltet werden, so dass sich komplette Bewegungsprofile einzelner Individuen erstellen lassen? Sollen sich die Behörden weiterer Möglichkeiten bedienen und beispielsweise Software einsetzen, die Emotionen aus Gesichtern abliest? Entwickler versichern, anhand von Augenbewegungen ließen sich Rückschlüsse ziehen sowohl auf kurzfristige Absichten, als auch auf Drogenkonsum oder Krankheiten."

*** "Online-Durchsuchung
(1) Auch ohne Wissen des Betroffenen darf mit technischen Mitteln in ein von dem Betroffenen genutztes informationstechnisches System eingegriffen und dürfen Daten daraus erhoben werden (Online-Durchsuchung), wenn

1. bestimmte Tatsachen den Verdacht begründen, dass jemand als Täter oder Teilnehmer eine in Absatz 2 bezeichnete besonders schwere Straftat begangen oder in Fällen, in denen der Versuch strafbar ist, zu begehen versucht hat,

2. die Tat auch im Einzelfall besonders schwer wiegt und

3. die Erforschung des Sachverhalts oder die Ermittlung des Aufenthaltsortes des Beschuldigten auf andere Weise wesentlich erschwert oder aussichtslos wäre."

Ganz ohne wahlkämpferische Begleitung ist mit der Veröffentlichung im Bundesgesetzblatt am Mittwoch der Einsatz des Bundestrojaners gestattet, ausgestattet mit einer beeindruckenden Liste von Taten, bei denen informationstechnische Systeme eines Verdächtigen und/oder seiner Umgebung online durchsucht werden dürfen. Kein Politiker stellte sich vor die Presse und freute sich gemeinsam mit einem BKA-Ermittler über die Lizenz zum Schnüffeln. Nicht einmal Heiko Maas (SPD), der Vater des Gesetzes, nahm die Chance wahr, seinen tollen Hiddenmix zu verkaufen. Sei's drum: seit Donnerstag läuft der spannende Countdown, wer erster !!einself!! rufen kann. Wird es BKA Digital-Cheffahnder Mirko Manske mit einem erfolgreich eingesetzten Trojaner sein oder doch wieder nur der Chaos Computer Club mit einem enttarnten Stück Schnüffelware? Wahlweise kann man die Tage zählen, bis die Verfassungsbeschwerde in Karlsruhe landet.

*** Der unfähigste Minister der aktuell noch existierenden Bundesregierung ist zweifelsohne Alexander Dobrindt (CSU). Nach einem Autogipfel, der das Haftungsprinzip der Automobilindustrie aushebelte und einem Desaster beim PPP-finanzierten Autobahnausbau ist das Ausmaß der größten Katastrophe seiner Amtszeit noch gar nicht absehbar. Aktuell stauen sich Hunderte von Güterzügen auf der meistbefahrendsten Strecke Europas zwischen Rotterdam und Genua, weil das Projekt digitales Bauen mit dem Tunnel Rastatt ein krachender Schuss in den Ofen war, der in die Lehrbücher der Bauingenieure eingehen wird. Verzweifelte Spediteure versuchen unter dem Druck von Just-in-Time-Verträgen, ganze Container-Züge auf Schiffe zu verladen. Die profitierenden Wasser- und Schifffahrtsverbände freuen sich, den Rheinkorridor "offen" zu halten, die anderen haben einen Milliarden-Schaden, doch Dobrindt juckt das nicht. Der Teflon-Minister ist ein Bayer, seine verkehrspolitische Geisterfahrt ist zu Ende. Vielleicht kommt noch der Vorschlag, den heimischen Pleitenkanal zu benutzen.

Was wird.

Auf der Grundlage des Vereinsgesetzes ist linksunten.indymedia verboten worden, wobei das Bundesinnenministerium unter Thomas de Maizière in seiner Erklärung die Rechts-Links-These bemüht und vom "Pendant" zu Altermedia spricht. Das ist bedauerlich, denn linksunten wurden die Taten von Neonazis dokumentiert, als der Verfassungsschutz noch fleißig am Schreddern seiner Akten war. Dieses auch für Journalisten wichtige Material ist dank Archive.org immer noch erreichbar, neben dem Indy-Mist, der von Dumm-Dumm-Bloggern so geliebt wird. In Kanada wird derzeit die neue Heimat vorbereitet, mit markigen Worten aus der Unabhängigkeitserklärung des Cyberspaces von Perry Barlow garniert. Was kommen wird, dürfte an alte Zeiten erinnern, als die PDS-Politikerin Angela Marquardt vor 20 Jahren angeblich eine schwere Straftat beging. Sie verlinkte über ihre Homepage auf Seiten von "Radikal", die beim niederländischen Provider XS4all gehostet wurden. Unter anderem konnte man dort den "Kleinen Leitfaden zur Störung von Bahntransporten" finden. Bekanntlich wurde Angela Marquardt freigesprochen, weil ihr kein Vorsatz nachzuweisen war. Die kleine Frage, ob ein Link zu einer extremistischen Seite strafbar ist, steht wieder einmal im Bällebad und will abgeholt werden.

Noch bevor Merkel zum Wahlkampf mit Schulz in die leicht sittenwidrig gestaltete TV-Bütt steigt, wird die IFA in Berlin eröffnet. Mit ganz tollen, wunderbar disruptiven Innovationen. Hier entscheidet sich, welchen Thermomixer Merkel vom Starverkäufer Christian Lindner bekommt. Wer nichts von den neuen Überwachungs- / Reinigungs-Robotern, den Alexa-Gadgets und plappernden Waschmaschinen wissen will, kann zur parallel stattfindenden Konferenz von Netzpolitik über Netzpolitik gehen. Da wird abends sogar der Trojaner getanzt.

Geh in die Knie
Und wackle mit den Hüften.
Klatsch in die Hände
tanz den ....

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. Von Alleen und anderen Männerfantasien.
Beitrag von: SiLæncer am 03 September, 2017, 00:13
Gadgets. GADGETS. GADGETS!!! Ach, wie langweilig, jammert Hal Faber. Wo ist Q, wenn man ihn mal wirklich braucht? Da nutzen auch die dummen Sprüche von Cyber-Gefechtsfeldern nichts: Die Geheimdienste sind auch nicht mehr das, was sie nie waren.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war

*** avenidas
avenidas y flores

flores
flores y mujeres

avenidas
avenidas y mujeres

avenidas y flores y mujeres y un admirador

Kann dieses wunderschöne Liebesgedicht von Eugen Gomringer übermalt werden, weil es angeblich Frauen als Objekte im öffentlichen Raum degradiert? Aber nicht doch. Die Weisheit der Massen im Heise-Forum bringt es zu Tage: so ein Gebäude hat ja mehrere Seiten und ist damit prädestiniert, die ganze Schönheit der konkreten Poesie wiederzugeben, natürlich mit tiefer Verbeugung vor allen Lesern, die Poesie lieben und leidenschaftlich diskutieren.

Kneipen.
Kneipen und Biere.

Biere.
Biere und Männer.

Kneipen.
Kneipen und Männer.

Kneipen und Biere und Männer und ein Wirt.

*** Wir sehen: Gedichte gehören zur IT und zu den Heise-Leserinnen und Lesern wie Q zu 007. Womit ich schon bei der neuen Zentralstelle für Schnüffeldienste (ZITIS) angelangt bin, die in dieser Woche im Web auftauchte und gleich ein richtig apartes Stellenangebot postete: "Wir suchen Q, nicht 007. Du verbindest die Kreativität eines Q, die James Bond erst erfolgreich macht, mit grundsätzlichem Verständnis für öffentliche Institutionen?" Die Kreativität eines Q oder eines Gomringers mit dem Verständnis für Behörden wie das Bundeskriminalamt, die Bundespolizei und das Bundesamt für Verfassungsschutz zusammenbringen, das hat etwas. Wobei in meiner altmodischen filmisch geprägten Vorstellung die "Kreativität eines Q" beim Bundestrojaner eine Armbanduhr wäre, die Bond trägt, während er lässig das Passwort eines Computers knackt, der einem Schurken gehört. Kaum ist der Rechner entsperrt, speichert die Uhr mittels Bond-Link die Festplatte im Armband, während eine zusätzlich laufende Suche die (Mail)Adressen schöner Schurkinnen direkt in Bonds Kalender kopiert, damit er sie bei nächster Gelegenheit vö, äh, völkerkundlich untersuchen kann. Mujeres y un admirador, wissensschon.

*** Soviel zu Q. Was aber ist eigentlich dieses "grundsätzliche Verständnis für öffentliche Institutionen"? Wer diesen Informationsaustausch zur Akkreditierung von Journalisten beim G20-Gipfel durchliest, erhält den Eindruck, dass die Institution Bundeskriminalamt einen Sauhaufen von einer Datenbank hat, in der alles mögliche gespeichert ist. Alles nur Einzelfälle, aber davon mehrere Tausend, verursacht durch das Gefahrenrecht, nach dem in polizeilichen Datensammlungen auch die Daten Nichtverurteilter stehen können. Da helfen auch gut gemeinte FAQ-Antworten über Verbunddateien nichts, wenn "nur bei bewiesener Unschuld" gelöscht wird. "Ist noch ein Restzweifel da, darf der Eintrag bleiben". 10 Jahre lang. Sammle in der Zeit, dann hast du in der Not, könnte der Wahlspruch des BKA lauten.

*** Auch bei der Gesichtserkennung gibt es Erklärungsbedarf. Nach dem Blukii-Aufreger in der letzten Woche stellt sich die Frage, was die Spezialisten des Bundeskriminalamtes so alles unter der "No-Spy-Klausel" der streng geheimen Software-Verträge verstehen, die mit den Lieferanten der Erkennungssoftware abgeschlossen wurden. Die offizielle Erklärung soll Befürchtungen verscheuchen, könnte aber einen Q beunruhigen: "Hiermit solle die Virenfreiheit von Software und der Ausschluss unerwünschter Funktionen, die die Integrität, Vertraulichkeit und Verfügbarkeit von Software, Hardware oder Daten gefährden, gewährleistet werden." Für eine Bundesregierung, die mit ZITIS und vielen Qs die Vertraulichkeit von Software zerdeppern will, ist diese Klausel bemerkenswert, nicht nur wegen der vertraglich zugesicherten Virenfreiheit. Hier geht es um Qualitätssoftware mit Gütesiegeln wie Made in the USA oder Made in Germany. Die bösen sind schließlich ganz woanders, etwa wie üblich in Russland, wo dieses FindFace herkommt, von einer Firma, die das Gesichtserkennungssystem der Moskauer Polizei entwickelt.

*** Gibt es Software, die mit großer Zuverlässigkeit vorhersagt, wo der nächste Einbruch stattfinden wird? Die erste wissenschaftliche Studie zum Predictive Policing mit Hilfe der Software Precobs ist draußen und sie ist nicht sonderlich positiv. Der Kriminologe Dominik Gerstner meint, das Predictive Policing nur in städtischen Bereichen funktioniert, wenn überhaupt. Auf dem platten Lande muss der Einsatz der Software "kritisch gesehen" werden. Während Polizeiexperten Precobs als sinnvolle Ergänzung zur Einsatzplanung sahen und die "höhere Führungsebene" die Software wundervoll findet, gehen die Meinungen der durch die Software losgeschickten Beamten weit auseinander: Für die Polizisten auf Streife führt Precobs schlicht zur Mehrbelastung und zur Veränderung der täglichen Arbeitsroutine. Aber noch ist aller Studien Anfang. Softwareseitig muss außerdem die Gegenprobe erfolgen, mit der Planungssoftware der Einbrecherbanden, die reiche Wohngebiete mit nahem Autobahnanschluss bevorzugt.

*** "Sie haben das Recht, die Aussage zu verweigern, zu schweigen und einen Anwalt hinzu zu ziehen": Dieser Satz, der in Filmen oftmals mechanisch "wie von einem Computer" gesprochen heruntergeleiert wird, ist in den USA als Miranda-Statement in die Rechtsbücher eingegangen. Im Fall der von einem Drucker und einem Journalisten enttarnten Whistleblowerin Reality Winner wurde Miranda vergessen, womit es Probleme gibt, ihre Aussagen vor Gericht zu verwerten. Dabei ist der Fall für zukünftige Whistleblower von großer Bedeutung. Die Frage steht im Raum, welchen Schutz Whistleblower während der Regierungszeit von Trump erwarten können. Hier kommt hinzu, dass der bereits erwähnte republikanische Politiker Rohrabacher Trump einen bizarren Deal vorschlagen will: Wenn Trump Julian Assange vorab begnadigt will dieser beweisen, dass "die Russen" nichts mit den Leaks zu tun hatten, die den US-Wahlkampf beeinflussen. Mit der Begnadigung würde Trump nebenbei seine Verachtung der Dienste demonstrieren können, während der Cäsarenwahnsinn von Assange weiter gesteigert würde – bis zur ausstehenden Verhaftung wegen der Verletzung der Aufenthaltsauflagen, verhängt durch britische Gerichte. So geht es aufwärts, bis es nicht mehr geht.

Was wird.

Aufwärts geht es auch mit dem Konsum, es wird ja wieder kräftig in die Hände gespuckt. All die schönen von Robotern hergestellten Sachen auf der IFA. Gadgets über Gadgets, soweit das Auge reicht. Und dann dieses Glänzen in den Augen der Journalisten, wenn sie begeistert über die Zigzillionste Idee schreiben, den Kühlschrank ans Internet zu hängen oder der Natur einen smarten Garten abzutrotzen. Auf kleinstem Raum kann man im schönen Berlin die Krise des Technikjournalismus studieren, der es nicht mehr schafft, Zusammenhänge zu erklären. Lieber schnell das nächste Gadget ausprobieren! Oder einen düsteren Blick auf die böse Algorikative werfen, der wir alle unterworfen sind. Bis zum Mittwoch ist da genug zu tun.

Wenn es sich in Berlin ausgefunkt hat, fliegen anderswo die Funken. Niemand anderes als die Ausrüster der Bundeswehr laden zu einer IT-Konferenz über den Cyberkampf in Neuland ein. Hoppla, das heißt anders, nämlich "das neue digitale Gefechtsfeld". Der Cyberraum als Schlachtfeld der Zukunft muss verteidigt werden, mit allen Zähnen und Klauen und Mäusen. Die Truppe muss auf Zack sein, die Cyber-Rolle als digitalem Stacheldraht muss jeder Soldat im Marschgepäck haben, immer bereit, dem Gegner die Cybergrenze zu zeigen.

Wer den Unsinn vom Cyberwar und seinen Cyber-Bündnisfällen nicht mitmachen will, kann das am nächsten Wochenende bei der Demonstration Rettet die Grundrechte zeigen. Was nicht nur in Berlin gehen soll. Denn all das hier erwähnte, der Cyberwar, das Predictive Policing, die Gesichtserkennung und die Anlage großer Datensammlungen sind ein Angriff auf diese Rechte, durch Politiker hübsch verpackt im Namen der Sicherheit präsentiert. Aber wer sagt von den für Überwachung zuständigen Politikerinnen und Politikern solche Wahrheiten: "Wir, meine Damen und Herren, unterlassen es ab sofort, Sie zu überwachen, Ihre Telefonate und den Verlauf Ihrer Suchmaschinen zu speichern. Sorry. Das war eine dumme Idee, um Sie zu kontrollieren und zu beherrschen."

Merkel.
Merkel und Schulz.
Merkel und Schulz und eine Moderatorin und eine Moderatorin und ein Moderator und ein Moderator.

Aufwachen?

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. Von Spätzündern und politischen Zündlern in Nebelbänken
Beitrag von: SiLæncer am 10 September, 2017, 07:36
Der Grill? Das Auto? Der Auto-Grill? Grill-Autos gibt's nicht, oder? Des Deutschen liebstes Kind wirbelt durch den Wahlkampf. Und nebelt nicht erst zur IAA alles zu, grummelt Hal Faber. Da tauchen noch ganz andere Bugs auf, nicht nur bei den Wahlkämpfern.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Die Menschheit hat ein Menschheits-Rätsel weniger. Nicht Kryptologen wie William Friedman oder Spökenkieker wie John Dee haben das Geheimnis des Voynich-Manuskriptes gelöst, sondern ein ausgebildeter Mediävist mit guten Kenntnissen der damals populären Texte. Mit britischer Gelassenheit wird die Spurensuche beschrieben und die Lösung präsentiert. Das Manuskript beschreibt die Behandlung von Frauenkrankheiten im Mittelalter, wobei das Baden und die Beachtung der Sternenkonstellationen eine ganz besondere Bedeutung hatten. Ohne die Astrologie ging damals gar nichts, das war die Plicht-App der dunklen Zeit. Das 500 Jahre alte Manuskript ist ein Vorlagenheft für Wellness-Kuren und kein mittelalterlicher Schabernack oder eine okkulte Ritensammlung mit Zaubersprüchen. Nun muss nur noch die Frage gelöst werden, ob Tintenfische die Reste von auf der Erde überlebenden Aliens sind, mit einem seltsamen Sinn für Humor.

*** Huch, schon wieder hatten wir ein Gipfeltreffen um des Deutschen liebstes Kind. Was natürlich kein Kind ist, sondern zuallererst das Auto, knapp vor dem Fleisch-Grill. 500 Millionen Euro bekommen die deutschen Kommunen für ein Software-Update ihrer Luft. Das soll nicht gehen? Aber ja doch, das ist ein Klacks für die in den Spätzünder verknallte deutsche Automobilindustrie. Sie tut ja so, als sei der Diesel-Skandal eine Art Software-Bug, der mit einem kulanten Update des Betriebssystems fix und foxi ausgebügelt werden kann. Nun wird diese kleine Wochenschau am Geburtstag des ersten Computer-Bugs geschrieben, womit klar auf den Schwindel der Autobauer hinzuweisen ist. Ein Bug ist ein Fehler ist ein Fehler ist ein Fehler, die absichtliche Veränderung der Software zu einem verdeckten Prüfstandsmodus ist es nicht. Solch eine absichtliche Täuschung kann so angelegt werden, dass kein Algorithmen-TÜV der Sache auf die Spur kommen kann. Also her mit dem "Software-Update" der kommunalen Luftschichten!

*** Der Geburtstag des Computer-Bugs ist auch der Geburtstag der Demokartischen Volksrepublik Korea, die 1948 ausgerufen wurde. Im 69. Jahr feiert man sich als unbesiegbare Atommacht. Zur Verwunderung der Welt hat Nordkorea gezeigt, dass Diktaturen komplexe Projekte managen können und kein Stuxnet bereit lag, um dem Projekt Schwierigkeiten zu machen. Bemerkenswert hilflos wird die Geschichte medial auf die Zündler reduziert. Dabei ist es nicht sicher, dass die USA einen Krieg gewinnen können. So taucht die übliche Frage auf, was China, der "letzte Allierte" Norkoreas, eigentlich macht. Eigentlich müsste China etwas machen, so US-Präsident Trump, doch was ist, wenn der chinesische Drache Ernst macht und Nordkorea besetzt? Dann wäre die Atomdrohung erst einmal vom Tisch, mit einem bemerkenswerten außenpolitischen Misserfolg eines US-Präsidenten, der alle Chancen auf eine Wiederwahl verliert.

*** In dieser Woche ist Jerry Pournelle gestorben, ein streitbarer IT-Journalist und Kolumnist für die Zeitschrift Byte und ein Science Fiction-Autor obendrein. In seinem letzten Blog-Eintrag verteidigte er als Trump-Unterstützer die Haltung von Trump gegenüber den Dreamers. Es gab so manchen Zoff mit Jerry, der schon mal eine Software umstandslos als Nazi-Software bezeichnete oder der üppige Geschenke von IT-Firmen akzeptierte. Jerry Pournelle war aber einer, der jedes Stück Hard- und Software, über das er als Kolumnist schrieb, ausgiebig testete und so den Typus des IT-Journalisten schuf, der als reiner Nutzer auftrat, während seine Kollegen bei der Byte samt und sonders IT-Fachleute waren, die programmierten oder selber Hardware entwickelten. Obwohl Jerry als Ex-Militär sehr militärisch dachte und an der Strategischen Verteidigungs-Initiative von Präsident Reagan beteiligt war, lehnte er die Golfkriege strikt ab und sprach sich dafür aus, statt Rüstungsgelder zu verpulvern lieber die Energiewende zu erforschen. Nun wird Chaos Manor geschlossen.

*** Und dann ist da noch diese Bundestagswahl mit bescheuerten denglischen Sprüchen wie "Digital first, Bedenken second". Wobei denglisch kein Problem ist in einem Land in dem Kellner ausgebildete Architekten sind. Das Problem fängt bei Digital first an und ist schon am Logo zu erkennen.Etliche Updates in einer Wahl-Auswertungssoftware haben in dieser Woche für Aufregung gesorgt. Auf der einen Seite stehen Artikel, die das Problem übertreiben, auf der anderen Seite Wahlleiter, die sich in Sicherheit durch Obskurgequatsche flüchten. All diese steht im krassen Gegensatz zum aktuellen Wahlkampf, bei dem ein Volk ohne Lust von Wissenschaftlern darauf hingewiesen wird, dass das Parlament massiv an Einfluss verloren hat. Dennoch wird wegen der rechten Schreihälse die Wahlbeteiligung in die Höhe gehen, weil die einen die AfD wollen, die anderen die AfD verhindern wollen – wie es auch das Heise-Forum zum Parteiprogramm der AfD sieht. Wenn es dann nach Berlin zum Regieren oder Opponieren geht, will man es bequem haben. AfD, CDU und FDP treten im Haupstadtwahlkampf als Tegelretter auf und zeigen, was ihnen Klimapolitik wert ist: nichts. Wobei, zugegeben, das mit den Werten in Wahlzeiten eine heikle Sache ist: Wer die Privatsphäre stärken will, sollte sie nicht, auch nicht "zu einem guten Zweck", demolieren.

Was wird.

Die Grundrechte sind gerettet, doch an Themen für wichtige Demonstrationen mangelt es nicht. Wenn diese Wochenschau im Internet auftaucht, hat Deniz Yücel Geburtstag. Es ist gut, sich an den Menschen und seine Texte zu erinnern. Es ist besser, wenn alle in der Türkei inhaftierten Journalisten freikommen und in Deutschland aufgenommen werden, all den Reisewarnungen von Recep Tayyip Egoman zum Trotz.

Auge um Auge, Byte um Byte titelte die Frankfurter Allgemeine schon im August zum Thema Hackback. Nichts wünscht sich die Bundeswehr so sehr wie ein ordentliches Cybergefecht, vor allem gegen diese Russen. Im Verein mit den Amerikanern und den Franzosen fühlt man sich megastark. Das wurde in dieser Woche in Estland deutlich und kam, etwas verklausulierter, auch in Koblenz zur Sprache. In der anstehenden Woche wird das Thema in Berlin von den Cyberwar-Experten behandelt. Dreh- und Angelstück der Hackback-Fantasien ist das neue "Cyber-Abwehrzentrum Plus", das dieser Tage in den Präsentationen auftaucht, meistens unscheinbar als Cyber-AZ+ geschrieben. Es soll Angriffe schnell aufspüren und zuordnen, ob sie militärisch oder staatlich attribuiert werden können und dann die entsprechenden Befehlsketten alarmieren. In enger Verbindung mit den Spezialisten von ZITIS sollen dann die erfolgsverprechenden Hackback-"Effektoren" zusammengeschraubt werden. Wie praktisch, dass die Behörde auf dem Gelände der Universität der Bundeswehr angesiedelt ist: Bei Hackback kommt es ja auf diese Milli-Sekunden an, wenn ein Datenbestand angeknabbert wird. Scrum gefechtsbereit zur Attacke! In Florida sollen Waffenbesitzer schließlich auch den Hurrikan Irma mit Schüssen bekämpfen, das hat alles seine Irrsinns-Logik.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. Von Überwachungstätern und ihren Gegnern.
Beitrag von: SiLæncer am 17 September, 2017, 05:28
Überwacher werden überall gebraucht, auch im Verschlüsselungsstandort D, stellt Hal Faber fest. Und er freut sich umso mehr über die Antwort Edward Snowdens auf die schmierigen Aussagen hiesiger Verfassungsschützer.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

***Ach ja, dieser Kapitalismus ist schon doof. Vor 150 Jahren von Karl Marx so getauft, entfaltet er sich immer noch bis zum großen Kladderadatsch. Dabei ist das das Feuerwerk, das Marx aus dem Unterschied von Gebrauchs- und Tauschwert schlägt, derzeit nur eine kleine Funkenschlagerei. Schließlich lebt in unserer Zeit kein Marx, nur ein Morozov und bei dem kladderdatscht es anders, wenn er gut geschützt hinter einem Zahlungswällchen in der Süddeutschen Zeitung über den "Hausmeister des Kapitalismus" schreibt: "Auch wenn die Menge an Daten unendlich erscheint, so gibt es keinen Grund zu der Annahme, dass die enormen Profite, die aus ihnen geschlagen werden, über die vielen Widersprüche des gegenwärtigen Wirtschaftssystem hinwegtäuschen könnten. Die selbsternannten Hausmeister des weltweiten Kapitalismus, das Silicon Valley, wird sich schon bald als dessen Totengräber erweisen." Das ist schon praktisch, wenn der Hausmeister auch noch Leichenbestatter ist und das funkelnde Spiel von von Gebrauchs- und Tauschwert am Ende ist. Gezahlt wird dann am jüngsten Tag in Jesuscoins.

***Bald ist der Wahlkampf am Ende und all die dümmlichen Plakate können abgeräumt werden. Dann ist Platz für Losungen, die für echte Politik stehen. Denn schon der Kampf im Wahlkampf anno 2017 ist falsch, von echter Wahl will ich erst gar nicht anfangen. Der Wahlschlaf der Erschöpften trifft es besser, vom Kampf kann man nur etwas bei den Masters of Germany sehen. Früher war bekanntlich alles besser, als Promis wie Heino mit der Klampfe in der schwieligen Hand antraten und Wahlkampf für Willy Brandt machten. Heute wirbt der erschöpfte Barde für Mutti, seine Stimme reicht nicht mehr für Vernunft. Vorbei ist bald nicht nur der Wahlkampf, sondern auch die seltsamen Artikel von Journalisten, die mit den Herumschreiern und Brüllern von der AfD reden wollen, dieser rechtsextremen Partei. Mit einer Vorsitzenden, die von den Marionetten der Siegermächte spricht und einem Vorsitzenden, der die Leistungen deutscher Soldaten bewundert, bekommt der nächste deutsche Bundestag einen braunen Haufen furchtbar Dünnhäutiger. Dagegen hilft der Satz eines migrantischen Schülers aus Hannover: "Was wollt ihr? Eure Großväter haben das Land in die Scheiße geritten – und unsere Väter und Großväter haben es wieder aufgebaut."

***Eine Prognose: wenn die AfD und die FDP es in den Bundestag schaffen, wird das neue große Cyber- Abwehrzentrum Plus, die Zusammenschaltung vom Bundeswehr-Kommando CIR und den polizeilichen und nachrichtendienstlichen Informationskanälen im Zeichen des Kampfes gegen den Terror mit den Stimmen der AfD gebilligt werden. Sicherheit ist ja so ein hohes Gut, das kann nur verbessert werden mit mehr Sicherheit und Überwachung. In München wurde mit markigen Aussagen die Zentrale Stelle für Informationstechnik im Sicherheitsbereich eröffnet. Sie soll Expertise in allen technischen Fragestellungen mit Cyberbezug bündeln und Software für die Quellen-TKÜ oder die Online-Durchsuchung von Computern, Tablets oder Smartphones entwickeln, ohne dass der Verschlüsselungs-Standort Deutschland kompromittiert wird. Das eröffnet spannende Fragen auch nach dem Ankauf von Zero-Days.

Interessant auch, wie die amtierende deutsche Datenschutzbeauftragte mit ihrem Wunsch nach Einsicht in die Arbeit der Behörde mit dem Hinweis auf den Charakter einer "Forschungsstelle" abgebürstet wird. So werden auch Nachfragen abgebürstet, woher die Mitarbeiter kommen sollen, die sich ab sofort um die Telekommunikationsüberwachung kümmern sollen. München ist ja ein dankbares Feld, hier gibt es Firmen, die die IMSI-Catcher bauen oder Überwachungssoftware produzieren. Beste deutsche Ingenieurstradition sozusagen. Interessant ist aber auch, wie ungeniert man schon zum Start von ZITIS mit der Bundeswehr paktiert, auf deren Gelände das ZITIS-Gebäude errichtet werden soll. 15 Professoren für Cyber-Sicherheit sollen zusammen mit 67 Mitarbeitern und 200 Drittmittel-Zuträgern jeweils 70 Cyberkrieger pro Studiumsdurchlauf produzieren. Wer dann nicht im Tarnfleck Hackback-Gefechte austragen will, geht dann eben zu ZITIS. Überwacher werden überall gebraucht.

***Wer sich gegen die Überwachungspraxis stellt, hat es bekanntermaßen schwer. Edward Snowden ist da das bekannteste Beispiel. Längst sind die Snowden-Files Material, aus dem Künstler Anregungen für ihre Kunst beziehen. Während sein "Werk" abgeschlossen ist und über seine Nachfolger spekuliert wird, bleibt Snowden nicht stumm. In dem bisher längsten Interview, das Edward Snowden nach eigener Aussage mit Journalisten geführt hat, leistet er bemerkenswertes, indem er sich als Produkt des Überwachungssystems beschreibt, dass sich eben deshalb nur für die einzige Möglichkeit des Whistleblowings entschieden hat, die ihm als "Produkt" noch handhabbar erschien. Eine Einschätzung, die er gegen alle naseweisen Einwände hochhält, er sei nicht revolutionär oder radikal genug gewesen. Auch die Art und Weise, wie seine Gegner mit ihm umgehen, sieht er reflektiert, sogar die schmierigen Worte des Verfassungsschützers wie Hans-Georg Maaßen: "He doesn't even have the moral fiber to say, 'I think this person is a spy.' Instead, he says, 'Whether Mr. Snowden is a Russian agent or not cannot be proven.'You can literally say this about anyone. I thought, and I would hope, that in an open society, we had moved beyond the days when these secret police agencies were basically denouncing their critics. I'm not even mad about it. I'm just disappointed."

***Im Interview applaudiert Edward Snowden dem Ex-Präsidenten Barack Obama für dessen Entscheidung in Sachen Chelsea Manning. Manning ist frei und führt auf seine Weise das fort, wofür Manning und Snowden stehen, gegen die Herrschaft der Angst und die zunehmende Überwachung. Sein Artikel über Predictive Policing erschien diese Woche in der New York Times, zu einem Zeitpunkt als Manning noch an der Kennedy School der Universität Harvard sprechen sollte. Dass sie auf Druck der CIA nun nicht mehr als Gastdozentin auftreten darf, sondern nur noch als Rednerin kommen kann wurde, findet die New York Times beschämend. Das wird indessen einen Mike Pompeo kaum stören, der seinen Protest gegen Manning auch dazu nutzte, auch Wikileaks anzugreifen. Natürlich kritisierte auch Edward Snowden die Entscheidung der Universität: David Petraeus war Harvard genehm.

Was wird.

***In Berlin wird bekanntlich am Bahnhof Südkreuz die Gesichtserkennung ausprobiert. Was der Spaß einer videoüberwachten Hauptstadt kostet, in der die Gesichtserkennungssoftware im Datenberg der zusammengekoppelten Kameras nach Terroristen fahnden soll, ist jetzt von der amtlichen Kostenschätzung bestätigt worden: schlappe 80 Millionen Euro sollen die Stadt sicherer machen. Ist ja ein Klacks gegenüber den 750 Millionen, die 2017 in die Sanierung von Schulen fließt. Die Befürworter, die nun Stimmen für den Volksentscheid sammeln, verweisen auf London, was nicht überzeugend ist: Niemand anderes als die frühere Innenministerin und jetzige Regierungschefin nutzte das neueste Bomben-Attentat, um eine bessere Regulierung des Internets und mehr Machtbefugnisse zu fordern.

***Doch was taugt die Gesichtserkennung, wenn sie abseits des idiotischen Rummels um das iPhone X zum Einsatz kommt? In Darmstadt beschäftigt sich die BIOSIG 2017 mit den neuesten Forschungsergebnissen. Ein Blick in das Programm zeigt, dass die Biometrie inzwischen so weit ist, auch Neugeborene zuverlässig zu erfassen. All diese Ideen vom Einpflanzen eines Chips in die Fontanelle gleich nach der Geburt sind überflüssig geworden.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. Vom Watscheln und Wackeln an Wahltagen
Beitrag von: SiLæncer am 24 September, 2017, 08:29
"Die Naturwissenschaft, sowie die von ihr abgeleiteten Technologien, sind nicht wertfrei." Ein weiser Satz von Joe Weizenbaum. Den sollte man all den Politikern ins Stammbuch schreiben, die im Wahlkampf so wertfrei von der Digitalisierung faselten.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Gibt es etwas Undankbareres als eine kleine Wochenschau zu verfassen, die an einem Tag erscheint, wenn die Entscheidungen des Wahl-O-Mates totalisiert werden? Wenn alle Parteien, die den "Mittelstand fördern" wollen, eine weitere grogruselige Koalition bilden, damit noch mehr Paketwagen, Lieferdrohnen und Abholstationen die Päckchenisierung von Deutschland vorantreiben können? Wenn die Erfolgsgeschichte der deutschen PKW-Maut in Dänemark fortgeschrieben wird? Wenn die Vorfreude darauf, dass sich die rechtsradikale "Alternative für Deutschland" schon selbst zerlegen wird, endlich von der Live-Übertragung der Zerlegung abgelöst wird? Noch größer ist allerdings die Freude darauf, wenn sich diese wehrhafte Demokratie endlich zeigt, von der alle reden. Ich habe da meine Zweifel, genau wie bei den Einhörnern.

*** Nun, es gibt andere Dinge zu tun, die Woche kannte ja noch etwas anderes als das Lesen in den Eingeweiden von Apple. So konnte man am Vorabend eines kleinen, lokalen Atomkrieges das Ping-Pong der Wortdrechseleien zwischen dem Rocket Man Kim Jong-Un und dem Dotard Donald Trump verfolgen und so seinen Wortschatz erweitern: Der Krieg ist ja der Vater aller Dinge inklusive der Worte für diese und so freue ich mich über die vornehme "Seneszenz", die mir als deutsche Übersetzung angeboten wird. Ob Dotard eine koreansiche Entsprechung hat, ist leider (noch) nicht bekannt, weil Naenara vorerst keine deutsche Übersetzung der Replik des obersten Führers auf Trumps Drohung anbietet. Natürlich stellt sich prompt die Frage, wie ein gelungene Seneszsenz aussehen könnte. Vielleicht gibt es sie gar nicht, sondern nur die Lüge vom guten Altwerden? Und ewig plärren die Lautsprecher.

*** In dieser Woche hat Wikileaks mit der Veröffentlichung von russischen Dokumenten begonnen. Für Russlandkenner wie Andrei Soldatov, dem ebenfalls diese Dokumente angeboten wurden, enthalten sie nichts Neues. Soldatov deckte die KGB-Aktivitäten bei den Olympischen Spielen in Sotchi auf und gilt als Experte in Fragen des Inlandsgeheimdienst FSB. Zusammen mit den kanadischen Ciitizen Labs veröffentlichte er Details zum russischen SORM, dem "System operativer Sicherheit". Dabei enthüllte er mit Privacy International auch Details zur Firma Peter-Service, der Firma, die Wikileaks nun ins Visier genommen hat. Leider nicht online verfügbar ist sein Artikel "Spionage 2.0", der in der Süddeutschen Zeitung erschien. In ihm erklärt er das Selbstverständnis russsischer IT-Spezialisten und besonders die extrem nationalistische Präsentation des Entwicklungsleiters von Peter-Service, Valery Syssik. Seit 1913 kämpft Russland nach den Folien von Syssik gegen die "Angelsachsen". Dabei hatte es nach einem Wort von Zar Alexander III nur zwei Verbündete, die Armee und die Flotte. Nun sei die Telekommunikation der neueste Verbündete im Kampf gegen die Gehirnwäsche von Facebook, Google, Skype und Apple. "Denken Sie daran, für wen sie ihre Netzwerke bauen", endet der Appell an die ITler, Mütterchen Russland im digitalen Raum zu schützen. Kибер, Kибер. Wer hackt da nochmal die deutschen Wahlen? Wer ist bei den Falschmeldungen auf Facebook ganz vorne mit dabei?

*** Sie sind tot und können sich nicht wehren. Nach dem Einstein Center Digital Future mit "50 Digitalisierungsprofessuren" hat nun das Weizenbaum-Institut für die vernetzte Gesellschaft a.k.a. Deutsches Internet Institut seine Gründung gefeiert. Die bis jetzt genannten Digitalprofessuren wie zum Beispiel Gesche Joost, Jeanette Hofmann oder Thomas Schildhauer sind bei Einstein wie bei Weizenbaum dabei und wollen aktuelle gesellschaftliche Veränderungen untersuchen, die sich im Zusammenhang mit der Digitalisierung abzeichnen. Natürlich interdisziplinär, darunter macht es niemand, der heute Wissenschaft betreibt. Professor ist halt auch nur ein Job, Dritt- und Viertmittelsuche inklusive. Entsprechend hochtrabend liest sich die "übergreifende" Frage, die das Institut allen Ernstes beantworten will: "Wie lassen sich die Ziele individueller und gesellschaftlicher Selbstbestimmung in einer von digital vermittelten Transformations- und Entgrenzungsprozessen geprägten Welt realisieren und welche Rahmenbedingungen und Ressourcen sind für ihre Verwirklichung notwendig?"

*** Gegen das verquaste Deutsch des Weizenbaum-Institutes setzte ich ganz ungeniert den Satz aus dem letzten großen Text von Joseph Weizenbaum "Was ich am Ende meines Lebens glaube": "Die Naturwissenschaft, sowie die von ihr abgeleiteten Technologien und Instrumentarien, sind nicht wertfrei. Sie erben ihre Werte von den Werten der Gesellschaften, in denen sie eingebettet sind. In einer hoch militarisierten Gesellschaft sind Wissenschaft und Technologien von den Werten des Militärs geprägt, in einer Gesellschaft, deren Werte hauptsächlich vom Streben nach Reichtum und Macht abgeleitet sind, sind sie entsprechend gestaltet, usw." Klingt einfach, aber das gilt auch für diese unsere Gesellschaft mit fettem AfD-Anteil in einer von digital vermittelten Transformations- und Entgrenzungsprozessen geprägten Welt. Einzigartige Möglichkeiten für Pioniere und Gestalter gibt es woanders, bei den Entgrenzungsprozessspezialisten.

*** Oh, und da war dann noch neben all der Aufregung übder die Deutsche Telekom eine andere Beschreibung. Leider ist sie noch nicht online, die Geschichte über "Das große kleine Glück" aus dem SZ-Magazin, das diesmal ein "Männerheft" ist. Die kleine Geschichte handelt von einem Fernmeldehandwerker der deutschen Telekom, der 40 Jahre lang auf seiner Stelle arbeitete, ohne Aufstiegsgelüste, aber als Beamter durchweg zufrieden mit seiner Work-Life-Balance. Beschrieben wird er von seiner Tochter, die ihn nach all den Jahren das erste Mal auf seiner Tour begleitet: "Wir fuhren zu Verteilerkästen und Schaltzentralen, dann richteten wir einer Frau mit fünf Katzen das Internet ein." Nun hört der stets zufriedene IT-Papa als "Ein-Mann-Winnig-Team" auf, es gibt ein Frührentnerprogramm der Telekom, das die Beamte durch leichter kündbare Mitarbeiter ersetzt. Mit Papas Ruhestand geht die Vorstellung einer Lebensarbeit in Rente. So ändern sich die Werte in einer Gesellschaft und wir mit ihnen.

Was wird.

Die kommende Woche steht ganz im Zeichen der "digitalen Kulturen", die die Gesellschaft für Informatik in Chemnitz erforscht. Die Rede ist von der Digitalisierung als "Hauptmotor des gesellschaftlichen Wandels", nicht etwa von der weiter laufenden Optimierung von Informationsprozessen oder dieser Plattformökonomie, von der alle schwärmen. Passend dazu kommt die Keynote von Richard Stallman, der am Tag der Informatik seine Idee der vier Freiheiten erklären darf. Zuletzt wurde sein Humor mit Fragen über das Windows-Subsystem for Linux als freier Software merklich auf die Probe gestellt. So, wie der Text ausfällt, muss man annehmen, dass er auf einem E-Mail-Interview basiert. Im "real life" wird Stallman bei solchen Fragen richtig kratzborstig. Saint Ignacius von der Kirche Emacs ist einer dieser unbequemen Heiligen.

Wo die digitale Kultur wabert und loht, ist Sicherheit ein wichtiges Thema. Dementsprechend muss der Mensch so etwas wie Zahnbürste und Zahnpasta in seinem digitalen Kulturbeutel haben. So beginnt zum langen Wochenende mit Einheitsbrückentag der 5. europäische Monat für Cybersicherheit, an dem sich Irland und Schottland beteiligen, aber England stilsicher nicht. Gemäß der Auslegung, dass man sich in der EU niemals daheim gefühlt habe, ist das konsequent. 2020 werden wir also den Brexit sehen. Wie wir 2021 wählen werden, das wissen wir ja schon. Auch wenn Unschlaumeier mit Zeitmaschine und Kopierer spielten. Gerade hat der Mann trotz tatkräftiger Hilfe des CCC viel zu tun, doch für künftige Wahlen empfiehlt es sich, dass künftige Bundeswahlleiter sich ein Abo der c't zulegen. In vier oder vielleicht fünf Jahren wird sich das rentieren. Der Blick in die Zukunft war schon immer ein technischer.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. Von Auto-, Schwach- und anderen -maten
Beitrag von: SiLæncer am 01 Oktober, 2017, 09:07
Nach der Wahl ist vor der Wahl. Und vor den wohlfeilen Lösungen für gesellschaftliche und politische Probleme. Dafür, befürchtet Hal Faber, gibt es jetzt im Bundestag nicht etwa ein Zentrum für politische Schönheit, sondern mehr für politische Dummheit.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Meine Fresse, war das eine Wahl. Angela Merkel ging als Königin der Umfragen an den Start und kam als Bettlerin heraus. Die immer wieder beteuerte Siegesgewissheit, dass ohne die CDU/CSU keine Regierung gebildet werden kann, ist von einem großen Gerangel und Gequengel abgelöst worden. Mehr davon! Ist es nicht wunderbar, dass auf der bezaubernden norddeutschen Tiefebene der Niedersachs-O-Mat startet und uns die Wahl erleichtert? Zwar etwas kurzfristig, aber wie sonst kann man sich entscheiden ohne die lästigen Wahlprogramme, die die Jamaikaner zur Verzweiflung treiben. Gerade in Niedersachs-O-en ist die Koalitionsplatte gut gefüllt und die Stimmung eine andere. Schließlich ist der größte lebende Niedersachse gerade Vorsitzender des russischen Ölkonzerns Rosneft geworden, ein guter Hintertreppenwitz auf alle Stamokap-Theorien. Vielleicht erklärt sich Schröders Verhalten auch mit der tiefen Sehnsucht des Landes nach Erdöl. Alternativ kann man auch darüber nachdenken, ob jemand, der einstmals alle Schulen ans Netz brachte, im Starrsinn des Alters durch das Gerede von den Daten als Öl des Jahrhunderts verwirrt wurde. Doch so oder so ist bei Rosneft die Freude am treuen Freund groß und gemeinsam freut es sich besser auf diese Präsidentschaftswahl, die in Russland ansteht. Für die braucht es nicht einmal einen Russomaten, da die Opposition bekanntlich "kriminell" ist.

*** Mit der Wahl ist sie im Bundestag, die sogenannte "Alternative für Deutschland". Noch in der Wahlnacht und den verschiedenen Rederunden legte man sich kräftig ins Zeug und erzählte Lügen oder mindestens alternative Interpretationen der Tugenden deutscher Soldaten, gelobt vom Franzosen Mitterand. Das Soldatengefasel dieser armen Tröpfe ist sicher nicht die letzte Glitschigkeit, mit der Gauland und Gaunossen die Aufmerksamkeitspumpe bedienen, während sie unser Land und unsere Regeln in ihrem nationalistischen Sinne verdrehen. Für Provokationen gibt es keine Obergrenze, solange sie erfolgreich aufgegriffen werden. In diesem Sinne gehört es zu deren Erfolgen, wenn gleich von links und rechts den Gaunossen nachgeeifert werden soll. Wenn etwa der nicht minder altersstarsinnige Oskar Lafontaine auf der linken Seite die Flüchtlingsfrage angeht und einen Gregor Gysi indirekt zum Parteiaustritt drängt. Und wenn der sonst eher schweigsame sächische CDU-Ministerpräsident Tillich weiter nach rechts rücken will – ausgerechnet in Sachsen, wo die bisherigen CDU-Versuche damit ja schon so wunderbar erfolgreich gegen die AfD waren. Die Flüchtlinge sind die allerschwächsten in dieser Gesellschaft, die wohlständiger ist denn je. Es scheint, dass etwas wie das Zentrum für politsche Schönheit notwendiger denn je ist, angesichts dieses Zentrums für politische Dummheit, das sich in der deutschen Politik etabliert hat.

*** Ausgerechnet bei einer Meldung zum Stand biometrischer Forschung kam die Frage auf, ob denn die Kinderfinger-Biometrie helfen könnte, den Missbrauch von Unterstützungsleistungen von Asylsuchenden einzudämmen. So wird sichtbar, wie schnell eine gut gemeinte Technik, die rechtsfeste ID-Dokumentation von Neugeborenen, missbraucht werden könnte. Ob die hinter der Biometrie stehende entsprechende UN-Richtlinie überhaupt so gemeint ist, wäre dann die Zusatzfrage, die Forums-Mitglied Snoofy treffend beantwortete: "Die Idee hinter einer Geburtsurkunde (= 'birth registration') ist, dass ein Staat sich nicht mal schnell unbequemer Bürger, oder aktueller, Ethnien entledigen kann, indem es behauptetm die sind ja nicht einmal hier geboren und somit keine Staatsbürger. /.../ Die eigentliche Intention dieser 'Richtlinie' ist also Schutz von Minderheiten vor der ultimativen Diskriminierung. Denn wer Staatenlos ist kann noch nicht einmal Asyl beantragen. Ich finde es also mehr als verwerflich, frühkindliche biometrische Identifikation und hochoptimierte Gesichtsscanner mit dem Hinweis auf diese UN-Richtlinie erklären zu wollen."

*** Unbequeme Bürger sorgen in Spanien für die gefährlichste Konfrontation, die Europa derzeit zu bieten hat. Was die spanische Regierung mit aller Macht verhindern will, könnte genau das Europa explodieren lassen, das der französische Präsident Macron gerade in seiner großen Rede skizzierte. Mittendrin im Getümmel der Argumente für ein autonomes Katalonien: Edward Snowden und Julian Assange. Besonders Assange ist vielsprachig engagiert und schreibt vom Ausbruch des ersten Internet-Krieges. Die Motive für diese enorme Überhöhung könnten in Assanges Unterstützung von Baltasar Garzón liegen, seinem wichtigsten Rechtsberater. Dieser hatte vor einen Monaten die spanische Plattform Actúa gegründet, die sich gegen die Regierung, aber auch gegen Podemos stellt. Nun ist ausgerechnet Spanien eng mit Ecuador verbandelt, jenem Land, in dessen Londoner Botschaft Assange ein politisches Asyl gefunden hat. Dies geschah unter Rafael Correra, der inzwischen von Lenin Moreno abgelöst wurde. Moreno beschwerte sich prompt über Assanges unangemessenes Verhalten, womit er die Bedingungen, unter denen der "Hacker" Asyl habe, unterlaufen würde. Zuvor hatte sich Assange seinerseits beschwert, dass Moreno ihn als "Hacker" bezeichnete und nicht als politisch Verfolgten.

*** Stell dir vor, es gibt einen Gipfel und niemand guckt richtig hin: Auf dem Digitalgipfel der EU in Tallinn sollte über den Breitbandausbau in Europa, über die automatische Filterung von Netz-Inhalten und vor allem über eine einheitliche Besteuerung der Internetkonzerne gesprochen werden, doch GAFA interessierte die Teilnehmer nur am Rande. Da konnte der Bitkom Stellungnahmen zum Aufbruchssignal verschicken, es interessierte nicht. Während der zentralen Rede der estnischen Präsidentin Kersti Kaljulaid tuschelte der französische Superstar Macron mit seinem italienischen Nachbarn, später sitzt man an der Hotelbar und plaudert. Der einzige Beschluss, bis 2025 das "weltweit beste Internet" in Europa haben zu wollen, ist wohlfeil, das wollen ja alle. Selbst die Linke in Gestalt der neuen Bundestagsabgeordneten Anke Domscheit-Berg, die als Unternehmerin von Schweden begeistert ist, braucht ganz dringend Glasfaser-Ölleitungen.

Was wird.

Vergebens auf
verschlung'nem Pfad
sucht in der Ferne nach
dem Glück,
wer in der Nähe es
nicht findet!

Ja, die Notizbücher von Leonardo da Vinci gehören zum Schönsten, was die abendländische Kultur zu bieten hat, aber die Skizzenbücher vom da-Vinci-Bewunderer Romano Scarpa sind auch Bestandteil dieser Kultur, nicht nur Carl Barks und Floyd Gotfredson. Sein 1962 gezeichneter Kolumbusfalter, der heute vor 50 Jahren im ersten lustigen Taschenbuch erschien, ist so ein Höhepunkt der westlichen Kulturgeschichte. So steigt die Spannung, denn in 10 Tagen kehrt der Kolumbusfalter zurück, kurz vor dem Weltjahrhundertkulturereignis.

Diese kleine Wochenschau endet mit einer Illustration aus dem Bericht über organisierten Cybercrime, den Europol jährlich herausgibt. Wir sehen zwei junge Männer mitten in der Pubertät und zwei Lebensentwürfe, einmal den gesellschaftlich geachteten Experten für Cybersicherheit und einmal den verfemten Cyberkriminellen. Die Welt ist aufgeteilt in Gut und Böse, weit weg von der unmoralischen, ungewaschenen Realität. Diese hat den Microsoft-Chef Satya Nadella zu einer bemerkenswerten Stellungnahme getrieben. Nachdem er zu Beginn der Woche verschiedene neue Microsoft-Produkte vorgestellt hatte, startete er zum Ende der Woche seine Europa-Tournee für die Buchpromotion von Hit Refresh (auf Deutsch: F5) und gab sich nachdenklich. Welchen Zugriff sollen staatliche Behörden auf all die schönen nationalen Cloud-Instanzen haben, die z.B. mit der deutschen Cloud auf deutschem Boden existieren? "Wenn wir in diesem Kontext unser Hauptaugenmerk auf die Privatsphäre legen, dann denke ich, dass wir als Gesellschaft dies bereuen werden." So sieht er aus, der neue Weg nach vorn.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. Von Spionen, Stollen und entropischen Schwurbeln
Beitrag von: SiLæncer am 08 Oktober, 2017, 09:47
So richtig geheim können die Geheimdienste eigentlich nichts mehr halten. Macht ja auch nichts, Konsequenzen haben die Enthüllungen eh nicht. Und hinter den Kulissen bleiben alle eine große Familie, weiß Hal Faber.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Willkommen beim knall-harten Journalismus in der kleinen Wochenschau. Was wir wissen: der Niedersachs-O-Mat ist endlich gestartet. Was wir nicht wissen: wer hat sich diesen Namen ausgedacht? Was wir wissen: Das Oktoberfest ist vorbei und brachte es auf 6,2 Millionen Besucher. Was wir nicht wissen: wieviele Bundesnachrichtendienstler und ihre Kollegen sogenannter "befreundeter Dienste" das Oktoberfest besucht haben und dort das dienstlich erlaubte Kontingent von drei Maß Bier plus Hendl verschnabulierten. Denn das, bittschön, ist schwer geheim und würde zu einer "Verschlechterung der Sicherheitslage Deutschlands" führen und das internationale Ansehen des Bundesnachrichtendienstes gefährden. Riesengroß ist die Gefahr: "dass Unbefugte Rückschlüsse auf die Interessen der beteiligten ausländischen Nachrichtendienste ziehen können." Mitten im Unwissen sind wir vom Leben umgeben und können so nur spekulieren, was Spion & Spion so gesoffen haben. Geht eine Truppe BNDler mit Kollegen nur mit Kollegen von der CIA aus oder sind auch MI6ler dabei und bestellen sich gewärmtes Bier?

*** Immerhin wissen wir seit dieser Woche, dass gleich neben der Wiesn da in München der "größte sicherheitstechnische Cluster" entsteht, wie das BND-Chef Bruno Kahl bei einem gekonnten Show-Auftritt in Berlin formulierte. Denn neben der BND-Abteilung "technische Aufklärung", die in München-Pullach bleibt und nicht nach Berlin zieht, gibt es auch die Entschlüsselungsbehörde ZITIS, geleitet von einem ehemaligen BND-Spitzenbeamten, angesiedelt auf dem Gelände der Universität der Bundeswehr, wo wiederum die Kräfte des Militärischen Abschirmdienstes (MAD) ausgebildet werden. Und dann ist da noch das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz, die Supertruppe, die bekanntlich den sächsischen Verfassungsschutz aufbaute und selbst einen V-Mann beschäftigte, der mit Staatsmitteln das Thule-Netz aufbaute, sich radikalisierte und den "Thüringer Heimatschutz" kannte. Sicher kann in diesem Clausterfuck noch eine Truppe des Bundesamtes angesiedelt werden, nämlich die Spezialisten "aus dem technischen Bereich", die die Forderung ihres Chefs nach umfassender Bespitzelung des Internets umsetzen: "Mich würde interessieren: Wer schaut sich gerade auf seinem Computer Enthauptungsvideos an, die auf einem Server in Malaysia liegen. Ich würde gern die IP-Adressen bekommen und mit unserer Gefährderdatenbank abgleichen." Server in Malaysia? Was ist mit all den Retardierten von 4Chan, die ihren Rekt-Müll sammeln. Bekommen wir da nicht mehr als schlappe 100.000 Hinweise, mit denen diese Anti-Terror-Algorithmen rumwursteln?

*** Interessant ist jedenfalls, dass nach dem Bundeswehr-Kommando Cyber- und Informationsraum auch der Verfassungsschutz offensive Fähigkeiten haben will. Verkleidet wird das von Hans-Georg Maaßen in die polizeiliche Formel von der Nacheile und nennt sich dann halt digitale Nacheile, bis nach Malaysia. Und weil bei Spion & Spion es gang und gäbe ist, einen Agenten umzudrehen, soll auch bei einem "Angriffsserver" es gestattet sein, ihn umzudrehen. Da fehlt eigentlich nur noch das Digitalkompromat und die digitale Glienicker Brücke für den Agentencodeaustausch.

*** Im sicherheitstechnischen MUC-Cluster von Bundesnachrichtendienst, Verfassungsschutz und dem Militärischen Abschreibdienst wird es richtig brummen, da muss man sich einfach mit dem BND-Chef freuen, wenn er bei der Anhörung bildlich wird: "Wir arbeiten alle im selben Bergwerk, aber in unterschiedlichen Stollen." So sieht es aus, da unten in den Stollen. Wenn es dann in den Körben hochgeht mit den Erkenntnissen und den schmutzigen Ermittlern, dann tauscht man sich noch vor den Waschkauen aus, gerne auch mit ausländischen Kollegen. Während Maaßens Truppe IP-Adressen in Gefährderdatenbanken stopfen oder abgleichen – man kann nie genug haben – ist Kahl vollauf mit seinem eigenen Satelliten beschäftigt, der 2019 zusammen mit den SARah-Satelliten auf Falcon 9-Raketen von Space X in die Höhe geballert wird, wobei Raketen und alle mitgenommenen Satelliten vom BSI kryptografisch zertifiziert sein müssen. Das ist eine wahrlich spannende Aufgabe. Das ist die schlechte Nachricht. Die gute: Auch der BND will richtig zuschlagen dürfen: "Wenn die Aufklärung so weit abgeschlossen ist, dass feindliche Strukturen erkenn- und Ursachen identifizierbar waren, wäre es sinnvoll, die Angriffsquelle auch auszuschalten". Oder ist gut und schlecht genau andersrum zu selektorifizieren?

*** Wir wissen: Die Russen haben mit Zapad 17 eine fette Militärübung gemacht. Dabei wurden in Kaliningrad Jammer eingesetzt, um die Kommunikation der vom Westen her angreifenden "Militanten" zu stören. Der Einsatz führte dazu, dass die Kommunikation im NATO-Mitgliedsland Vilnius zusammenbrach, von Klaipeda bis Vilnius. Wir wissen nicht: War das nun schon ein Cyber-Angriff? Vielleicht sogar einer, der den berüchtigten NATO-Bündnisfall aulösen könnte? Bekanntlich soll Litauen ja den Vorposten stellen im "Cyber-Schengenraum", ein Vorhaben, das russische Medien gar nicht gut finden, ganz ohne digitale Nacheile.

*** Wir wissen: Das mit Snowden war nichts. Geht weiter, es gibt nichts zu sehen, teilt die Generalbundesanwaltschaft mit: Es hätten sich "keine belastbaren Anhaltspunkte dafür ergeben, dass US-amerikanische oder britische Nachrichtendienste das deutsche Telekommunikations- und Internetaufkommen rechtswidrig systematisch und massenhaft überwachen." Wir wissen auch, was ein überspezifisches Dementi ist. Die dank Snowden bisher veröffentlichten Dokumente schlugen mitnichten wie eine Bombe ein, denn alles war bekannt. "Den Unterlagen ist zu entnehmen, über welche Techniken und Fähigkeiten die US-amerikanischen Dienste verfügen. Die darin geschilderten Aufklärungsmöglichkeiten waren den deutschen Spionageabwehrbehörden bereits zuvor als technisch machbar bekannt. Sie haben keine Belege dafür gefunden, dass diese Techniken zielgerichtet gegen Deutschland eingesetzt worden sind."Mehr noch: Wir wissen, das ein NSA-Mitarbeiter Malware mit nach Hause nahm und diese dort von Kaspersky Antivirus als verdächtige Software erkannt und gemeldet wurde. Besagter Mitarbeiter arbeitete für die Cybertruppe der Tailored Access Operations der NSA und wurde darum eingestellt, um neue Hackerwerkzeuge zu entwickeln, weil die alten nach den Veröffentlichungen von Edward Snowden kompromittiert waren, so jedenfalls die Washington Post. Somit wissen wir: Snowden wirkt. Spionage unter Freunden geht, man kann sogar gleichzeitig verschlüsselt telefonieren und das Handy anwanzen. Was Kaspersky anbelangt, so habe ich vor Kurzem Andrei Soldatov erwähnt und muss ihn noch einmal verlinken.

Was wird.

Nach den besagten Erkenntnissen der Bundesanwaltschaft wurde nichts NSA-Verdächtiges am Internetknoten DE-CIX gefunden. Damit wir auch in Zukunft vor "rechtswidrig systematischen und massenhaften" Übergriffen geschützt sind, gibt es das Projekt X-Check. Seine ersten Ergebnisse werden im Rahmen der großen KRITiS-Jahreskonferenz vorgestellt. Mit dabei auch ein Redner von der erwähnten Firma Kaspersky. We are Family, tralala.

Während bei uns gerade die algorithmisch beschwingte Theorie von der Filterblase geplatzt ist, werden anderswo die Algorithmen für die künstliche Intelligenz auf Hochglanz poliert. Sie sind ja so unschuldig. Es lohnt sich, frei von Firewalls, die anrührende Herzgeschichte über Googles Chef Sundar Pichai zu lesen und danach die Geschichte, wie die Omegas von Google mit Hilfe der Künstlichen Intelligenz Prometheus die Weltherrschaft erobern werden und den Frieden auf Erden etablieren. Wenn so kranke Länder voller Gewehre und durchgeknallte Staatsschefs von der Bildfläche verschwinden und die Maschinen die Macht haben, das System freundlich zu gestalten, ist alles in bester Ordnung. Mensch und Maschine sind beide ein unausweichliches Resultat der Entropie. "Leben ist nicht das Ziel des Universums. Leben ist einfach das, was das Universum erschafft und reproduziert, um seine Energie zu verteilen." Dieser kleine Ausblick wurde Ihnen präsentiert von: heise online.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. Die Ballade von der lasterhaften KI.
Beitrag von: SiLæncer am 15 Oktober, 2017, 09:08
Ob Karl Klammer schon als Künstliche Intelligenz durchgeht? Hal Faber ist sich nicht sicher, wagt aber immer noch die Frage, warum sich denn bloß eine Künstliche Intelligenz danach sehnen soll, wie ein Mensch zu leben.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Als mich das Blut durchkochte dreißig Jahr
und Tag und Nacht nur Gram und Schande war,
da bin ich auch kein großes Licht gewesen,
auch nie als Narr von einem König angestellt.
Mich haben harte Besen
vom Mutterleib hineingefegt in diese Welt.
(François Villon, Ü: Karl Klammer)

Naaaa, wie war das mit dem knall-harten Windows-Quiz für die härtesten der harten Nerds, kurz vor dem allerhärtesten Infight um die letzten Tickets für das Taxi nach Leipzig? Ich hätte da noch eine Zusatzfrage zu Karlchen Klammer, dieser frühen Iteration einer künstlichen Intelligenz. Denn der die brabbelnde Büroklammer machte eine rasante Karriere, viel rasanter wie jener Karl Klammer, dessen Villon-Übersetzung Brecht in seiner Oper verwurstete und dann befand, dass ihm eine grundsätzliche Laxheit in Fragen des geistigen Eigentum zur Ehre gereicht. Brechts Verachtung der bürgerlichen Theorie vom "geistigen Eigentum" schaffte es prompt in ein Gedicht:

Hier habt ihr auf verfallendem Papier
noch einmal abgedruckt sein Testament,
in dem er Dreck schenkt, allen die er kennt --
wenn's ans Verteilen geht: schreit, bitte "hier!"

*** Während Karl, der Übersetzer, von Brecht immerhin so viel Geld bekam, dass er einen Weinberg kaufen und den "Deigroschentropfen" degustieren konnte, verschaffte Karl, der Software-Agent, sich auf andere Weise Ruhm und Ehre. Niemand anderes als Nick Bostrom wurde nach eigener Aussage durch genau dieses nervige Windows-Helferlein inspiriert, sein berühmtes Beispiel über die Folgen der künstlichen Intelligenz nachzudenken, den Klammer-Maximierer. Was wäre eigentlich los, wenn so eine KI darauf programmiert ist, möglichst optimal möglichst viele Büroklammern herzustellen? Sozusagen den kategorischen Klammer-Imperativ zu verwirklichen? Tja, an irgendeinem Punkt wird die KI herausfinden, dass hungernde Menschen gar keine Büroklammern mehr wollen und damit den Weg zur Optimierung der Büroklammerproduktion versperren. Also weg mit den Menschen, denn Höheres wird kommen, die Überklammer, um einmal Nietzsche zu bemühen: "Nicht fort sollst du dich klammern, sondern hinauf!"

*** Nietzsche aber hat mit dem Übermenschen keineswegs eine KI gemeint, genausowenig wie den nationalsozialistischen Herrenmensch. Nietzsches Individualismus hilft also auch nicht, die immer noch offene Frage zu beantworten: "Und warum sollte eine hyperkomplexe Maschine ausgerechnet so leben wollen wie ein Mensch und nicht ein Existenzmodell aus der Unendlichkeit anderer Möglichkeiten wählen, die ihr im Gegensatz zum Menschen zur Verfügung stehen?" Und warum sollte sie sich darum scheren, was denn diese komischen Materieklumpen von ihr halten?

*** Anhängern der Maxipok-Regel könnte die Ansicht des KI-Forschers Rodney Brooks ungelegen kommen, der sich über all die düsteren Vorhersagen der KI-Kritiker lustig macht. Wenn alle Drecksjobs wegfallen, weil KI-gesteuerte Roboter besser putzen und Bettlägerige wuchten können als Menschen, dann ist das positiv, oder? Doch all das Geraune über künstliche Intelligenz und die bösen Algorithmen in dieser Woche bleibt genau das, ein großes Geraune über gewaltige Kreaturen, Atomkraftwerke und Wittgenstein. Ja, ja, die Geister sind in den Maschinen und sie werden uns umbringen wie HAL 9000 oder immanentisieren wie Eschatron 9000.

*** Unter all den Äußerungen und Befürchtungen über den Zustand der künstlichen und der menschlichen Intelligenz in diesen Tage hat Tim O'Reilly noch die klügsten Gedanken. Ja, KI gibt es und sie zeigt sich in den Hochleistungsrechnern der Banker. Verselbständigt hat sie sich auch noch, wie all die Aufkaufprogramme von Aktienpaketen durch die Firmen selbst zeigen, die als "Investitionen" getarnt sind. "Wir leben in einer Welt, die von einem System dominiert wird, das menschliche Werte außer Acht lässt." Zu diesem einfachen Satz sollte man studieren, was der griechische Wissenschaftsstarökonom-Minister Yanis Varoufakis bei seinem Lauschangriff auf die Europapolitiker und Superökonomen von Schäuble bis Macron als selbst ernannter "Whistleblower" aufgezeichnet hat. Stimmt nur die Hälfte der von Varoufakis beschriebenen Vorfälle, wurde Griechenland "gerettet", damit es deutsche und französische Banken nicht ruinierte. Was im Land passierte, war völlig egal, genau wie die Boni für die Zocker, die griechische (und italienische) Staatsanleihen kauften. Wäre der Plan von Varoufakis aufgegangen, 1,5 Milliarden Euro Optionsscheine an China zu verkaufen, hätte Europa noch ein anderes Problem als den chinesischen Hafen Piräus.

*** Das Gegenstück dieser Finanzstrategie steht in einem wirtschaftsfreundlichen Blatt. "Wir sind der größte Steuerzahler der Welt", prahlt Tim Cook von Apple ausweislich der Überschrift in der gedruckten Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Die Großmannssucht kommt im Verein mit dem Gejammer über die Ungerechtigkeit des internationalen Steuersystems, unter dem Apple wie ein gebissener Hund leidet. 1,6 Millionen Arbeitsplätze habe man in Europa geschaffen und was ist der Dank? Eine Strafzahlung von bis zu 15 Milliarden Euro, bei bisher gezahlten 19,12 Milliarden im Jahre 2015. Online schleimt es sich übrigens anders: "Hoffentlich seid ihr Deutschen richtig stolz auf euch", weil die Fenster im neuen Mutterschiff aus Deutschland stammen. Windows made in Germany, das ist doch auch was.

*** "In Fragen der Privatsphäre stehen wir auf Seiten der Kunden. Wir sollten ihre Nachrichten nicht lesen. Das erwarten sie von uns. Und deshalb haben wir auch keinen Zugang dazu. Ich verstehe, dass andere Leute andere Nachrichten von Leuten lesen und so weiter – um zum Beispiel Werbung zu verkaufen –, aber wir machen das nicht. Das ist einfach nicht das, was wir sind." Diese Sätze zur Privatsphäre kommen vom größten Steuerzahler der Welt und siehe da, er interessiert sich nicht für die Daten, die doch das Öl des 21. Jahrhunderts sind. Sind sie das wirklich? Werden um das neue Öl furchtbare Kriege geführt mit Tausenden von Toten? Entstehen aus den Daten neue Massenvernichtungswaffen, versauen sie unsere Umwelt, wie dies Kohle und Öl gemacht haben? Der größte Steuerzahler der Welt ist kein Big Data-Unternehmen.

*** Ach ja, die Wirtschaft. Mit großem Staraufgebot ist Babylon Berlin gestartet, die Superserie, die das Berlin von 1929 wiederbeleben soll. Da wird ein Pornofilm gesucht, in verruchten Häusern getanzt und weiteres getan. Eine Mafia hat ihre Körperteile im Spiel und es gibt Kommunisten, Nationalsozialisten und viel mehr, nur den Sklarek-Skandal von 1929, die größte Korruptionsaffäre der Weimarer Republik, den gibt es nicht. Wär ja auch nicht mit schönen, starken Bildern zu erzählen gewesen, die Geschichte von den raffgierigen Brüdern.

Was wird.

Bleiben wir in Berlin. Vor 100 Jahren näherte sich die Oktoberrevolution ihrem Höhepunkt, als sich der Militärflügel des Petrograder Sowjets bildete. Entsprechend öffnet eine Ausstellung mit inklusiven Kommunikations-Stationen, was sich nach spannender Technik anhört. Sowjetmacht plus Elektrifizierung und zack ist er da, der internationale Kommunismus mit dem Zusammenbruch der entwickelten Industriestaaten. Nur passierte nichts in Deutschland, Frankreich oder Großbritannien, von lokalen Aufständen wegen der Kriegsmängel abgesehen. Dort war man noch mit dem Abschlachten beschäftigt oder mit dem Exektuieren von Spionen, die eine verantwortungsvolle Verschlüsselung benutzten.

In der Intershop-Stadt Jena wird investiert, schön. Noch schöner ist, dass dort die Fiffkon 2017 stattfindet und sich mit der Frage beschäftigt, wem man so im Netz trauen kann. Ein spannendes Thema, das vom Vertrauen in Software über das Vertrauen in sein Smartphone bis hin zum Vertrauen in die Attribuierung von Cyber-Angriffen reicht. Aber natürlich lassen auch die ganz großen Fragen nicht locker, etwa die, wie Demokratie 5.0 aussehen kann. Sie wird auf den Hannah-Arendt-Tagen im schönen Hannover erörtert. Der Schluss gehört den Herren Francois Villon, Karl Klammer und Bert Brecht.

Ich sause ab, ich sage gern ade.
Bald trage ich ein Kleid, so weiß wie Schnee.
Es braucht nicht grad der Himmel sein,
wo man mir eine kleine Kammer gibt.
Ich habe einmal die Kathrein geliebt,
man weiß wie sehr. Sie mag mich wieder freien
und geht's in ihrem Kral wie damals zu,
dann, liebe Seele, hast du endlich Ruh.

Dabei wissen wir ja:
Auch der Hass gegen die Niedrigkeit
Verzerrt die Züge.
Auch der Zorn über das Unrecht
Macht die Stimme heiser. Ach, wir
Die wir den Boden bereiten wollten für Freundlichkeit
Konnten selber nicht freundlich sein.
Ihr aber, wenn es soweit sein wird
Daß der Mensch dem Menschen ein Helfer ist
Gedenkt unsrer
Mit Nachsicht.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. Die revolutionären Gedanken sind frei
Beitrag von: SiLæncer am 22 Oktober, 2017, 05:21
Revolution! Revolution! Ein bisschen nostalgisch gestimmt, lässt Hal Faber die roten Fahne nochmal wehen. Bleibt nur die Frage, welches Emoji für die große amerikanische Revolution steht.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Im Preisregen des goldlaubigen Herbstes ist der XY-Preis in dieser Woche etwas untergegangen. Das ist schade, denn dort lobte der noch amtierende Bundesinnenminister Thomas de Maizière, dass die gerade ihren 50. Geburtstag feiernde Sendung "Aktenzeichen XY ungelöst" mitnichten Angst verbreite, sondern den Bürgern Mut gemacht habe. Klatschklatschklatsch. Mein Vorschlag wäre, auch den "Tatort" in den Reigen der Mutmachfolgen aufzunehmen, denn spätestens mit der letzten "Hardcore"-Folge hat er sich das redlich verdient: Da wurden junge Frauen in Pornos vergewaltigt und behaupteten anschließend, sich nach ihrem Beruf zurück zu sehnen, in dem sie "frei und ohne Scham einfach vögeln" können, so der runnig gag, fullmaskenthroat. Das macht doch Mut, inmitten all dieser Betroffenheitsdiskussionen um einen Harvey Weinstein und seine "Besetzungscouch". Zum Beispiel können wir diskutieren, ob der Tatort nackter als früher ist und der Missbrauch von Natassja Kinski nicht irgendwie hinreißend war. #metoo ist immer eine Frage der Perspektive, da hilft schon mal kein #itwasme-Geprotze und Gerede über "heimatliche Gebräuche".

*** Er jedenfalls hatte keine Heimat: Heute vor 130 Jahren wurde der Journalist John Silas Reed in den USA geboren. Der Kommunist erlebte die Oktoberrevolution, die in dieser Woche die Feuilletons befeuert, und schrieb mit den Zehn Tagen, die die Welt erschütterten, eines der wichtigsten Bücher des letzten Jahrhunderts. Das Buch sollte eine "gewissenhafte journalistische Arbeit" sein, eine Art Live-Reportage der Ereignisse in Petrograd anno 1917. Es erschien in etlichen Ausgaben in den Parteiverlagen der überall aufploppenden kommunistischen Parteien, meistens zensiert, denn das internationale Proletariat sollte ein Recht auf Vergessen haben. Personen wie Sinowjew soll es nie gegeben haben. Nach seinem Weltbestseller wandelte sich der Journalist Reed zum Komintern-Funktionär, denn die Revolution sollte eine Weltrevolution sein oder gar keine. Spätestens 1919 wusste Reed, dass es Aus war mit dem Kommunismus, als er ein Konzentrationslager der Tscheka gesehen hatte. Die Kraft, wie später Orwell oder Koestler darüber zu schreiben, hatte er nicht mehr. Er wurde in Moskau begraben, gleich neben der Mumie der Revolution.

*** Kommunismus ist Sowjetmacht plus Elektrifizierung? Vielleicht hätte das Ganze klappen können, wenn es Smartphones gegeben hätte. Denn es war zwar Weltrevolution, aber das Telefon funktionierte nicht. Der durch mehrere Schlaganfälle behinderte Lenin versuchte telefonisch, Stalins Treiben zu verhindern, aber die Sprechtechnik versagte, nicht nur im Theater. Aber hach, heute haben wir ja all die wunderbare Technik. Deshalb hat die tageszeitung einmal in die Runde der Intelligentsia gefragt, wo denn die nächste Revolution losgehen wird. Und der schon in der vergangenen Wochenschau gewürdigte Yanis Varoufakis hat so geantwortet:

"Die künstliche Intelligenz untergräbt zunehmend die Fähigkeit des Kapitalismus, ausreichende Nachfrage nach von ihm produzierten Gadgets und Robotern zu generieren. Soziale Stabilität wird davon abhängen, ob wir ein anderes kommunistisches Prinzip wiederbeleben: die gemeinsame Nutzung des von den Robotern produzierten Wertes (die neuesten Produktionsmittel, wie Marx sie beschrieben hätte). Die Verstaatlichung der Roboter wird die nächste Revolution sein."

*** So eine Verstaatlichung der Roboter klingt gut, doch welcher Staat wäre dazu in der Lage? Glaubt man Tariq Ali, dem Kampfgefährten von Varoufakis in der europroletarischen DiEM25, dann wäre es am besten, die Revolution würde in den USA ausbrechen, wo man bekanntlich von Lenin lernt. "Die entwickelten Produktivkräfte, die dritte technologische Revolution, verkörpert im Internet, sind die notwendigen Voraussetzungen für eine soziale Transformation, die einen nachhaltigen Erfolg und eine globale Planung zur Rettung der Erde gewährleistet." Bleibt nur noch die Frage, welches Emoji für die große amerikanische Revolution steht.

Der Blick nach Amerika erinnert ein bisschen an das Große Gebet der alten Kommunistin Oma Meume, nur dass jetzt Alphabet und Amazon angefleht werden, mehr als nur den windschnittigen Ökokurs umzusetzen.

*** Wer sonst so siegt, auf ganzer Parteilinie: China. Es sind mehr als zehen Tage, die die Welt jetzt erschüttern da in Peking, wo der Parteikongress die Losung ausgegeben hat, ab jetzt die Xi-Jinping-Gedanken zu studieren wie weiland Maos Bibelchen. Lenins drei Quellen und der Glaube an die Allmacht des Marxismus, weil er wahr ist, werden in China durch drei andere Quellen ersetzt. Künstliche Intelligenz, Big Data und ein funktionierendes Internet sind die Backbones der neuen Diktatur, zu der Milliarden Chinesen per App klatschen dürfen. Angesehener Bürger bleibt, wer innerhalb von 19 Sekunden zu eingeblendeten Xi-Jinping-Gedanken frenetisch klatscht. Das Fehlen der App auf einem Smartphone könnte Folgen haben und als subversive Geste gelten, wie damals, als jeder Chinese die kleine rote Bibel tragen musste. Und ja, in China sind die Roboter verstaatlicht, auch "unsere".

Was wird.

Am Dienstag wird der neue deutsche Bundestag zusammenkommen, noch ohne eine neue Regierung zu wählen. Immerhin gibt es schon einen Zwölfpunktekatalog der Regierungsbereiten. Man will konstruktiv verhandeln und sich nicht an das Bullshit-Bingo halten. "Wir reden erst über Inhalte" und "Die Posten kommen ganz zum Schluss" sind dabei ganz heiße Kandidaten bei den führenden Antworten, doch der Satz "Alles, bloß kein CDU-Finanzminister" hat auch seinen Charme. Nicht zu vergessen die brillante Logik, dieses "Digitale" ins Agrarministerium zu verfrachten, wegen der Lebensverhältnisse im ländlichen Raum, der Wichtigkeit der CSU und so. Sachen wie 100 Prozent Pure Glasfaser sind schließlich auch eine Frage der Sortenreinheit.

Beschäftigen wir uns in der Interimszeit noch einmal mit der Frage, wie der direkte Draht zwischen den USA und der BRD heute aussieht, in historischer Erinnerung an die Kubakrise, die genau heute vor 55 Jahren öffentlich wurde. Während Deutschland ab 1959 eine Direktschalte in die USA hatte, wurde der Mo-Link erst nach der großen Krise installiert. Über die direkte deutsche Verbindung könnte Bundeskanzlerin Merkel den US-Präsidenten Trump schnell informieren, wer im deutschen Außenministerium installiert wird. Der oder die wird sicherlich wissen, worauf man sich einlässt im Ministerium mit den höchsten Image-Zuwachsraten.

Zum Ende der Woche wird der eGovernment-Monitor der Initiative D21 vorgestellt, mit all den enormen Fortschritten bei der digitalen Verwaltung, erzielt von der alten Regierung. Spannung kommt auf bei der Frage: "Welche Sicherheit wünscht sich die Bevölkerung für welche Anwendungen?" Wie wäre es angesichts der Krack-Bedrohung mit der Entwicklung eines besonders sicheren WLAN-Kabels aus souveräner deutscher Produktion? OK, der war alt. Aber so eine kleine Wochenschau ist auch kein hipper Smartikel.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. Von Sondierungen und anderen Sonderbarkeiten.
Beitrag von: SiLæncer am 29 Oktober, 2017, 08:20
Ja, es ist Herbst. Die Stürme zíehen durchs Land, der Weg in die Sonne scheint weit. Hal Faber befürchtet, dass auf dem Weg nach Jamaika weise Worte des letzten verbliebenen öffentlichen Intellektuellen keine Beachtung finden.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war

*** I'm walkin', yes indeed, I'm talkin, by you and me, I'm hopin', doch nun ist er nicht mehr hier, sondern ist gegangen. Antoine Domino, bekannt als Fats Domino ist nach seinem letzten Jambalaya Chuck Berry gefolgt. Ain't that a shame? Wir werden sehen. Rythm and Blues wird es immer geben und dieser Rock 'n Roll ist mehr als Hintergrundtaktschrummel für Sporttänzer. Ja, Little Richard und Jerry Lee Lewis leben noch, genau wie Chubby Checker, der Anti-Fats. Jedenfalls überlebte der zu New Orleans gehörende Fats Domino den Hurrikan Katrina und half mit Konzerten wie Alive and Kickin' beim Wiederaufbau.

*** Ob die Funktionäre ganz und gar verrosten --
is ja janz egal!
Ob der schöne Rudi den Ministerposten
endlich kriegt -- (das wird nicht billig kosten)
is ja janz egal!
Dein Geschick, Deutschland, machen Industrien,
Banken und Schifffahrtskompagnien -- welch ein Bumstheater ist die Wahl! (Kurt Tucholsky)

Der Deutsche Bundestag ist zusammengetreten und hat die ersten Geschmacklosigkeiten der AfD gehört, ein bisschen gewählt und wartet ansonsten auf das Gefummel, das sich Koalitions-Vorgespräche nennt. Von außen her betrachtet, erinnern diese Sondierungen an das Getümmel wie bei den Minikickern, mit brüllenden Eltern an der Twitter-Seitenlinie. Wobei es da immerhin Spielregeln gibt. Mal eben das Finanzministerium zerschlagen, damit der schöne Christian nicht Europa demoliert, gehört noch zu den netteren Fouls. Niemand geringeres als Jürgen Habermas hat sich dieser Tage zu Worte gemeldet und den deutschen "Wirtschaftsnationalismus" angeprangert, dieses deutsche Wohlstandsdenken auf Kosten europäischer Landsleute. Barrierefrei nur auf Englisch verfügbar, aber sei's drum, das haben wir ja auch parat. Der Kenner des deutschen Parlamentarismus wäre schon erleichtert, wenn die Koalitionäre verstehen, was Macron eigentlich für Europa bedeutet:
"When looked at dispassionately, though, it is just as unlikely that the next German government will have sufficient far-sightedness to find a productive, a forward-looking answer when addressing the question Macron has posed. I would find some measure of relief were they even able to identify the significance of the question."

*** Kommt in den Jamaika-Verhandlungen eine Mehrheit zustande, die das Projekt Europa wieder angehen kann oder starren alle wieder auf die schwarze Null, die in unserer christlich-abendländischen Kultur das Kreuz und die Friedenstaube abgelöst hat? Gerade beim angeblich alle drei Parteien vereinenden Oberthema der Digitalisierung läuft angesichts des real existierenden Miserabelismus gar nichts ohne eine europäische Strategie. Die aktuelle E-Privacy-Verordnung zeigt ja, was europaweit möglich ist, die Klage gegen Google ebenso. Derweil geht in den USA die "Angst vor dem Valley" und seinen Disruptionsplänen um, bestimmen doch die Technikriesen und nicht Trump, wie sich die allgemeine Wirtschaft entwickelt.

*** Neben dem Gerangel um das Finanzministerium wird das Arbeitsministerium für Hermann Gröhe sauber geschrubbt, was dazu führt, dass man sich mit dem Gedanken an eine Gesundheitsministerin Göring-Eckardt anfreundet. Was dies für die Zukunft von eHealth bedeutet, ist völlig unklar, etlichen Beteilgten aber völlig egal. Es muss doch einen Weg geben, diesen Datenreichtum strategisch zu verwerten. Munter basteln die Krankenkassen an verschiedenen Modellen, natürlich jede für sich. Apart ist auch die Idee, Amazons Cloud mit Gesundheitsdaten zu befüllen, ganz smart und stressfrei.

*** Derweil erklärt mindestens eben so gelassen der noch amtierende Außenminister Sigmar Gabriel seinen Genossen Gerhard Schröder zur Lichtgestalt der Sozialdemokratie. Der Rosneft-Aufsichtsratsvorsitzende soll in einer "Geheimmission" in die Türkei geflogen sein, um den deutschen Menschenrechtler Peter Steudtner und den iranisch-schwedischen IT-Experten Ali Gharavi sowie fünf Mitarbeiter von Amnesty Türkei frei zu bekommen. Weil alles so geheim ist, kann spekuliert werden, welchen Anteil Rosneft an der Geschichte hatte. In der Türkei gehört die Firma zu den Guten, weil eine Öl-Pipeline durch Kurdistan bis in die Türkei angekündigt ist. Auch in Malta ist Rosneft gern gesehen, wie es die Panama Papers zeigen. Dort kam die Journalistin Daphne Caruana Galizia ums Leben, als sie zum Öl-Schmuggel der Mafia mit Libyen recherchierte.

Was wird

Wenn diese Zeilen erscheinen, ist die Zeitumstellung geschafft – oder auch nicht, der Server muss ja nicht ausschlafen und auf der Datenautobahn nachts um drei, da geht es wild zu. Vielleicht ist der Hokuspokus auch bald ganz vorbei, denn die EU will unter Berücksichtigung aller verfügbaren Informationen prüfen, ob die Zeitumstellung noch Sinn ergibt. Da sind wir aber gespannt. Die erste umfassende wissenschaftliche Analyse der Umstellung auf Sommerzeit erfolgte im ersten Weltkrieg in den USA und endete mit dem schlichten Ergebnis: "Set the clock ahead one hour and win the war!" Kriegsgegner Deutschland hatte da schon umgestellt.

Die Woche wird vom Reformationstag und den 95 Thesen bestimmt, mit der die Reformation an Fahrt gewann. In diesen unseren atheistischen, polyreligiösen Zeiten hat eine Tageszeitung schon einmal die 95 Thesen an das hier und heute mit neuen steilen Thesen angepasst. Steile These Nr. 21: "Der Journalismus hat heute eine bessere Qualität als früher". Na bitte, es geht doch. Manche Thesen sind einfach zu albern? Dann haben Sie nicht die 95 Thesen gelesen, mit denen der Bundesverband deutscher Unternehmensberater unter Verweis auf Martin Luther von den 95 Hammerschlägen spricht, die einen "kräftigen Anstoß in Richtung der deutschen Wirtschaft" zu mehr Führungskompetenz versprechen. Da gibt es wahrlich behämmerte Thesen wie "Die Führungspersönlichkeit von morgen arbeitet mit intelligenten Fragezeichen, nicht mit Ausrufezeichen." Erster!!einself!!, das ist ein für allemal vorbei. "Alexa, was ist der Sinn des Lebens?", so muss man sich das intelligente Fragezeichen wohl vorstellen.

Als Alternative zum Reformationsfeiertag bietet sich Allerheiligen an, besser bekannt als Halloween, gerade in der IT, wo die nunmehr auch vergilbten Halloween-Dokumente immer noch ein angenehmes Gruseln hervorrufen. Dieses Jahr gibt es etwas anderes zum Gruseln, eine Künstliche Intelligenz namens Shelly A.I., die neue Frankenstein-Geschichten verfasst, inspiriert von den Gruselgeschichten von Nosleep. Tja, die Zeiten sind nicht mehr fern, in denen eine Hal Faber A.I. die Wochenschau schreibt, basierend auf den Kommentaren in den Heiseforen. Mitunter wird da eine einzige Nachricht für eine Guselgeschichte und einen Krimi reichen.

Saturday mornin', oh Saturday mornin'
All my tiredness has gone away
Got my money and my honey
And I'm out on the stand to play

Sunday mornin' my head is bad
But it's worth it for the time that I had
But I've got to get my rest
'Cause Monday is a mess
(Fats Domino, Blue Monday)

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. Außer Thesen nichts gewesen?
Beitrag von: SiLæncer am 05 November, 2017, 08:28
Mancher verschwindet, und alles jubelt. Mancher geht, und es ist Trauer. Das hängt nicht miteinander zusammen, grummelt Hal Faber. Aber es gehen immer die Falschen. Zumindest auf Dauer. Die Musik bleibt. Hoffentlich.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war

*** Alles hängt mit allem zusammen, nur eben falsch. Da haben wir also den wunderbaren Brückentag gehabt wegen dieser Reformation vor 500 Jahren, aber eben auch die Abkömmlinge der Protestanten in den USA, die Trump gewählt haben, im Mittleren Westen und den großen Ebenen, die Farmer und die Arbeiter in der Schwerindustrie. Da haben wir die 95 steilen Thesen der tageszeitung mit der wunderbaren These 21 amüsiert zur Kenntnis genommen ("Der Journalismus hat heute eine bessere Qualität als früher"), aber die wichtige These 12 überlesen: "Eine Woche Internetausfall wird die Welt retten". Eine Woche? Ganze elf Minuten hatte US-Präsident Donald Trump ein kündigungstechnisch bedingtes Tröteverbot auf Twitter, aber schon ist vom "großen Durchatmen" die Rede (Süddeutsche Zeitung). Tweets feiern einen amerikanischen Helden, der bei Twitter ein Zeichen gesetzt hat, und sprechen gar von einem Engel, der mit dem Gegenstück der Engelstrompeten zeigte, dass es einen Himmel gibt und nicht nur die Hölle der Laubbläser. Wobei, die Hoffnung ist bekanntlich ja ein ur-menschliches Prinzip, und es die Möglichkeit gibt, dass Trump eines Tages selbst aufgibt. "Ich kann mich nicht mehr an besonders viel erinnern", so sein Satz über ein Treffen mit seinem lügnerischen Berater George Papadopoulos zur Anbahnung eines Treffens mit dem RU-Präsidenten Putin. Vielleicht erinnert sich der Mann eines Tages nicht mehr an sein Twitter-Passwort.

*** Nun ist an diesem beschaulichen Sonntag der Guy Fawkes Day, ein weiterer wichtiger protestantischer Feiertag, dem wir zum Beispiel die von Hackern zu tragende Berufsmaske verdanken, verbunden mit dem Gelöbnis, möglichst viele Proteststicker auf den Laptopdeckel zu kleben. Der Tag wird dort gefeiert, wo Margot Käßmann nicht hinkam, etwa in Großbritannien. Auch dort wurden 95 Thesen veröffentlicht, die sich mehr mit dem Diesseits und der IT-Technologie beschäftigen, denn mit Papierkäufen für das künftige Seelenheil. Im Zeichen der allgemeinen iPhone Xysterie ist These 6 ganz interessant, nach der das erste iPhone anno 2007 die vernetzte Welt veränderte wie damals der Mönch Martin Luther die christliche. Hach, das ist so richtig was für den Smalltalk auf Parties, vielleicht nur noch übertroffen von dem Beweis, dass das Web im Jahre 2014 zu sterben begann und heute stinkt. Noch sind in der britischen Version nicht alle Thesen ausgeführt. So wartet die These auf die Erläuterung, dass Google mittlerweile so umfassend ist, dass das Unternehmen als kritischer Bestandteil der öffentlichen Versorgung wie Gas, Strom und Wasser aufgefasst werden muss.

*** Ein anderes historisches Datum verdient Beachtung. Vor 16 Jahren schrieb der damalige CIA-Chef Geroge Tenet am 1. November einen Brief an den deutschen Bundesnachrichtendienst und verlangte ulitmativ, dass die BND-Quelle Rafid Ahmed Alwan a.k.a. "Curveball" vor den Vereinten Nationen sprechen und schildern sollte, wie er im Irak mobile Biowaffenanlagen auf Lastwagen konstruierte. Am 20. Dezember schrieb BND-Chef August Hanning an den lieben CIA-Chef Georg Tenet zurück, dass man die Aussagen von "Curveball" nicht habe verifizieren können. Hanning stellte es Tenet jedoch frei, die Informationen zu verwenden, sofern der Quellenschutz gewahrt bleibe. Nach dieser "Freistellung" fabrizierte die CIA einen Bericht, den US-Außenminister Colin Powell am 5. Februar 2003 vor dem UN-Sicherheitsrat vortrug. Dieser "Beweis" des Vorhandenseins von Massenvernichtungswaffen im Irak ist nun zur einflussreichsten Powerpoint-Präsentation aller bisherigen Zeiten geadelt worden, in einer Geschichte über die Entstehung und Entwicklung dieser Präsentationssoftware. Natürlich kann dieser Titel schnell verlustig gehen, man denke nur an eine Powerpoint-Präsentation zur Eskalation in Nordkorea, angefertigt für den derzeit durch Asien tourenden, noch amtierenden US-Präsidenten Donald Trump. Es sei denn, solch eine Powerpoint-Präsentation überfordert den Präsidenten.

*** Bleiben wir beim CIA und seiner ach so transparenten Arbeit. Kurzzeitig war es am Donnerstag im Web verfügbar, das umfangreiche Bin Laden-Archiv der CIA, mit dem der Auslandsdienst die Stimmung gegenüber dem Iran anheizen will. Während sich Berichte über Häkelvideos und Pornos lustig machen, zeigen Bin Ladens Notizen und ein Video-Interview, dass die Muslimbruderschaft und der frühere türkische Ministerpräsident Necmettin Erbakan mit seinem türkischen Islamismus eine wichtige Rolle bei der Entwicklung von Bin Ladens Islamismus spielten. Erbakan wird in der Wikipedia als politischer Ziehvater von Recep Tayyip Erdogan bezeichnet. Der Einfluss, den er auf Bin Laden hatte – seine allererste Auslandsreise ging in die Türkei zu Erbakan – dürfte zu erforschen sein, wenn die Dokumente wieder auftauchen.

*** Wer nicht mehr auftaucht, ist Muhal Richard Abrams, der große amerikanische Musiker und Komponist. Und einer der vielen amerikanische Künstler, die die Banausen, die immer vom amerikanischen Kulturimperialismus schwafeln, der die europäische oder gar teutsche Kultur kaputt macht, Lügen strafen. Mit der AACM (Association for the Advancement of Creative Musicians), aus der Formationen wie das Art Ensemble of Chicago hervorgingen, seinen Kompositionen für Jazz-Ensembles oder etwa das Kronos Quartet, und seiner Lehrtätigkeit hatte er nicht nur Teil an dem, was die AACM "Great Black Music, Ancient to the Future" nennt. Sondern auch daran, der ganzen Welt die Freiheit in der Musik zu vermitteln. Nun, da er tot ist, fehlt eine wichtige Stimme. Es wirkt fast schon seltsam, dass gleichzeitig selbst eine Firma wie Sonos, die eigentlich vom Verkauf von Anlagung zur heimischen Beschallung mit beliebiger Musik lebt, sich bemüßigt sieht, eine Initiative für die Freiheit der Musik und die Freiheit der Musiker zu starten: "Musik ist der Anfang von allem. Allerdings ist Musik in der heutigen Welt zunehmend gefährdet. Zu viele Künstler können sich nicht frei äußern. Andere werden verhaftet oder kommen in Lebensgefahr, nur weil sie ihre Songs über das Internet teilen. [...] Die künstlerische Freiheit in den Bereichen Musik und Film wird immer häufiger eingeschränkt. Wenn wir es nicht schaffen, die Musik zu schützen, dann gelingt es uns auch nicht, die Grundfreiheiten aller Menschen zu schützen." Das mag arg pathetisch klingen, diese Begründung für die Initative "Listen Better": Aber manchmal schadet ein wenig Pathos nicht.

Was wird

Was immer noch im Werden ist, ist diese unsere nächste Regierung mit dem komischen Label Jamaika, das nach These 6 der tageszeitung sowieso verboten ist: "Ein Politikjournalismus ohne Jamaika-Metaphern ist nicht nur möglich, sondern auch nötig." So richtig bacardimäßig geht es bei Schwarzgelbgrün nicht zu, der Eindruck ist, dass da an einer kollektiven Wegfahrsperre gebastelt wird, denn an einem Regierungsprogramm mit Zukunft. Mehr Gigabit und mehr Videoüberwachung, bei gleichzeitiger Entsorgung der ollen Datenschutzgedanken "der 80er und 90er Jahre", das soll es schon gewesen sein. Verglichen mit den aberwitzigen Kosten, die die Digitalisierung der Bildung verursacht, ist das offizielle Digital-Programm der Sondierer kostengünstig und bringt bekanntlich unser alle Sicherheit mal wieder auf eine ungeahnt hohe Stufe. Noch-Innenminister Thomas de Maizière wird auch in der anstehenden Woche Gelegenheit genug haben, für unsere Sicherheitsbehörden weitere "Arbeitserleichterungen" vorzuschlagen, wenn er zusammen mit BSI-Chef Arne Schöhnbohm den Lagebericht zum Stand der Informationssicherheit in Deutschland vorstellt.

Vielleicht verschlägt es de Maizière zurück nach Sachsen, wenn es an die Verteilung der Posten in der nächsten Regierung geht und ein anderer Innenminister aus Bayern dem Proporz seinen untertänigsten Hofknicks macht. Dort schwärmte der künftige Ministerpräsident Michael Kretzschmer von einer ebenso künftigen Kombination aus automatischer Gesichtserkennung und automatischer Halterüberprüfung. Es soll eine Art mobiles Südkreuz-Überwachungssystem direkt im Streifenwagen installiert werden, wie es Netzpolitik von einem zugeschickten Video transkribiert hat: "Wenn man dann sieht, dass es technische Lösungen gibt, die das vollkommen von alleine machen, innerhalb von Bruchteilen von Sekunden und wir es nur deshalb nicht machen, weil wir den rechtlichen Rahmen nicht haben, weil Leute sich hinter Datenschutz verstecken, das kann doch nicht sein." [Applaus im Raum] Applaus, wenn "irgendwie junge gepiercte Typen", die das dicke Auto fahren, sich irgendwie hinter diesem doofen Datenschutz verstecken? Oder sind es diese ewiggestrigen Datenschützer, gegen die da geklatscht wird? Die immerzu meinen, sie hätten etwas zu verbergen und die jetzt sogar die Machtfrage stellen wollen?

So bleibt zum anstehenden Jahrestag des Mauerfalls sinnigerweise der Verdacht an diesem Datenschutz kleben, eine dieser Erfindungen des Westens zu sein. Wussten nicht die Bürger der DDR, was sie an ihrer Stasi hatten, während die Westmimosen gegen einen Staat rebellierten, der ihnen eine Volkszählung auferlegte, die im Osten 1981 anstandslos über die Bühne ging? Am kommenden Donnerstag ist der 9. November, eine Art "Tag- und Nachtgleiche": Die innerdeutsche Grenze ist dann genauso lange offen, wie sie zuvor geschlossen war.

Und die Bilanz taugt nicht für Feierreden, denn es herrscht Mangelwirtschaft allüberall. Wie wäre es dann mit Gelächter? Gestern standen wir doch noch vor dem Abgrund. Vorwärts immer! (mit großer Verbeugung vor Ernst Lubitsch, natürlich).

Quelle : www.heise.de
Titel: W3:Vom Leben in großen Datenhäusern, Auge in Auge mit revisionistischen Mächten
Beitrag von: SiLæncer am 19 November, 2017, 05:35
Ein einheitlicher Datenpool. Bundesweit. Man stelle sich vor, die Gestapo hätte gehabt, was unter "Polizei 2010" läuft. Hal Faber erinnert an die Verdamnis, Geschichte zu wiederholen. Und schüttelt nicht etwa über Jamaika, sondern über die SPD den Kopf.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Nach dem letzten großen Krieg wurde Deutschland von den Siegern aufgeteilt. Sie machten sich viele Gedanken, was mit diesem Land geschehen soll, damit nicht wieder das geschehen konnte, was geschehen war. Kein Militär und keine ganz Deutschland kontrollierende Staatspolizei gehörten zu den Bausteinen des neuen Deutschlands. Länderpolizeien sollten unter der Kontrolle der Sieger entstehen, besetzt mit achtbaren Personen, die den Nationalsozialismus bekämpft hatten. Faschisten wie der ehemalige Münchener Polizeipräsident Wilhelm Frick sollten niemals mehr die Polizei prägen. Frick versuchte als Innenminister, nachdem die NSDAP in Thüringen in einer Koalition an die Macht gekommen war, Hitler dadurch zum deutschen Staatsbürger zu machen, indem er ihn zum Polizeikommissar in Hildburghausen ernannte. Die Dezentralisierung der neuen Polizei war von den Alliierten ehrenwert gedacht, doch ging es bald im Kalten Krieg ganz anders weiter. Als das Bundeskriminalamt 1951 gegründet wurde, hatte diese neue Behörde sehr wohl braune Wurzeln: Fast alle Bereichsleiter waren an der SS-Führungsschule der Sicherheitspolizei in Berlin-Charlottenburg ausgebildet, von 47 leitenden Kriminalbeamten hatten nur zwei eine weiße Weste.

*** Heute ist die Geschichte des BKA aufgearbeitet und jeder weiß, dass so etwas wie die Gestapo als landesweit agierende Kriminalpolizei nicht mehr passieren kann. Dennoch ist es angebracht, sich genau jetzt wieder an die Geschichte zu erinnern, wo sich das Bundeskriminalamt daran macht, allen Polizeien in Bund und Ländern eine einheitliche Fasson zu geben. Das Ganze geschieht diesmal im Namen der IT, die flottgemacht werden soll. Polizei 2020 heißt das Projekt, das vor einem Jahr vorgestellt wurde und von dem wir im Sommer 2018 erfahren dürfen, wie teuer die Umstellung sein wird: "Ein dreistelliger Millionenbetrag" ist schon einmal eine Ansage. Wenn alles nach einheitlichen Standards arbeitet, es keine Länder-Datentöpfe mehr gibt, sondern nur noch ein einziges großes "Datenhaus" und ganz viel Business Intelligence zur Erkennung von Mustern, dann haben wir einen enormen polizeilichen Informationsverbund. Charmant erklärte BKA-Chef Holger Münch auf die Frage "Warum erst jetzt?", dass man bereits einen Modernisierungssprung gewagt habe, der aber gescheitert sei. Danach habe man sich eben zurückgehalten. Es lohnt sich, an das Projekt Inpol-Neu mit der Zugangssoftware AGIL zu erinnern. Als es fertig war, kam ein IT-Gutachter im Jahre 2001 zu dem Ergebnis, dass die "Performance" des System völlig unzureichend war. "Aufgrund der Komplexität der Anwendungsarchitektur, der implementierten Algorithmen, des Datenmodells sowie des Besitz- und Berechtigungskonzeptes kann heute niemand mit Sicherheit prognostizieren, ob das System überhaupt performant gemacht werden kann." Es konnte nicht. Inpol-Neu mit AGIL wurde eingestellt. Mit Polizei 2020 soll das anders werden. "Wer sich nicht an die Vergangenheit erinnern kann, ist dazu verdammt, sie zu wiederholen."

*** Es lohnt sich durchaus, die auf der Herbsttagung gehaltene Rede von Holger Münch zu besorgen und nach Excel und diesem Outlook-Format zu suchen, den beiden Formen, in denen BKA und Länderpolizeien offenbar kommunizieren. Denn gleich im nächsten Absatz geht die Sonne von Polizei 2020 auf: "Welchen Unterschied macht das 'Programm 2020'? Einen gewaltigen! Dadurch, dass die Daten in einem gemeinsamen Datenhaus anstatt in unterschiedlichen, untereinander nicht verknüpfbaren Systemen gespeichert sind, müssen sie, wenn sich die Relevanz ändert und dadurch Berechtigungen ausgeweitet werden müssen, nur noch freigeschaltet werden – durch das Setzen eines Häkchens, nicht mehr, wie bisher, durch eine komplette Neuanlieferung. Das spart eine Vielzahl von Einzelschritten und es verkürzt das heutige Verfahren um Monate!" Einfach mal das Häkchen von Linksextremismus auf Rechtsextremismus umsetzen, und schon ist der NSU enttarnt! Jaja, Geschichte wiederholt sich eben doch, "das eine Mal als Tragödie, das andere Mal als Farce."

*** Noch ein anderer hat in dieser Woche eine große Rede gehalten. "Gemäß dem Gesetz des ungleichen Wachstums wird früher oder später immer wieder eine revisionistische Macht entstehen, die eine bestehende Ordnung – den Status quo – in Frage zu stellen versucht. Sie strebt eine neue Ordnung an, in der sie ihre nationalen Interessen besser umsetzen kann. Diese Zusammenhänge haben etwas frustrierendes: Bereits im Frieden betreiben die Staaten unwissentlich eine Politik, die darauf hinausläuft, früher oder später den nächsten Konflikt zu provozieren, weil sie durch ihr Verhalten zu einer Neuverteilung von Machtpotentialen beitragen." Die revisionistische Macht, die der Redner erst später direkt anspricht, ist China und nicht Russland, das nur noch punktuell "Macht projizieren" kann. Der nächste Konflikt kann überall dort sein, wo China im großen Stil expandiert, ob in Piräeus oder Afrika. Das Bild vom ewigen Kampf und dem "Gesetz des ungleichen Wachstums" hat niemand anderes als Bruno Kahl, der Chef des Bundesnachrichtendienstes, bemüht. Was natürlich ein Argument für die Unersetzlichkeit seiner Schlapphüte ist, aber auch eine erstaunliche Sichtweise von einem, der mit seinen Männern und Frauen in einem demokratischen Staat Geheimwissen zum Umfang dieser Machtpotentiale anhäuft. Die von Kahl bemühte Theorie stammt übrigens von Paul Kennedy aus dem Jahre 1987. Wie war das nochmal? Bei akutem Machtdefizit dreimal täglich eine Tablette BNDal Forte und das gute Gewissen ist wieder da.

*** Ja, so vergeht die Zeit: Heute vor zehn Jahren stellte Jeff Bezos in New York den Kindle vor, auf dem sich Hunderte von Agenten-Abenteuern und Agentenliebschaften und Details aus dem Doppelleben revisionistischer Spione speichern lassen. Mit dem Leser Alkalamba kann man sich freuen, dass der Kindle zum Jubiläum mittlerweile Hallenbadtauglich geworden ist, bei all der uralten Technik. Nur das mit der Prognose klappte nicht. "In zehn Jahren werden Schüler alle Schulbücher auf Geräten wie Kindle haben und müssen nichts mehr schleppen", hieß es. Heute ist die Digitalisierung der Schulen nicht viel weiter gekommen.

Was wird.

Es ist doch tröstlich, wenn man lesen kann, was 2007 im Heise-Forum diskutiert wurde. Wie aber sieht es mit 1997 oder gar 1987 aus? Die Nachricht macht die Runde, dass die Compuserve-Foren am 15. Dezember endgültig geschlossen werden und damit das letzte Stück Compuserve verschwindet. So geht ein Stück Netzgeschichte den Weg alles Irdischen zur digitalen Asche und digitalem Staub. Compuserve und die erste Internet-Sperre, das waren noch Aufreger. In Kymmeria wurde man von den ersten Avataren angebaggert. Hier und da mögen, ganz wie bei den Usenet-Gruppen, vereinzelte Diskussionen aus der Frühzeit von Compuserve gespeichert sein, etwa von der heftigen Debatte über die Holschuld von Journalisten, die sich einst das deutsche OS/2-User-Forum leistete oder der endlosen Diskussion, welcher Microsoftler sich hinter dem Namen Steve Barkto verbarg. Das es davon Fetzel gibt, kommt daher, dass man einstmals in sauteuren Online-Zeiten "Foren-Software" benutzte, die alle neuen Forumsbeiträge flix lokal speicherten (first Pass). Nach dem Ausloggen wurden sie in Ruhe gelesen, kommentiert und wiederum nach erneutem Verbindungsaufbau für alle abrufbereit abgechickt (second Pass), nur um neue Anregungen zu holen (third Pass). Diese die Diskussionen mäßigende Kulturtechnik ist längst verschwunden. Sag zum Abschied leise ATH0.

An diesem Wochenende sollen die seltsamen Sondierungsgespräche der regierungswilligen Parteien zu Ende gehen. Danach will man mit richtigen Koalitionsverhandlungen beginnen und sich noch einmal richtig mit Dreck bewerfen. Es geht schließlich ums Klima. Der Anblick des schwampeligen Elends ruft die Frage auf den Plan, was die regierungsunwillige SPD eigentlich antreibt. Sie ist in einem Zustand, der Neuwahlen für die Partei zur Gefahr macht. Sicher wird im Willy-Brandt-Haus an einem Papier gebastelt, in dem von der Verantwortung für dieses unsere Land die Rede ist. Scheitern ist auch eine Lösung. Aber was soll man auch erwarten von einer Partei, die sich in Niedersachsen selbst nach gewonnener Wahl den Schneid abkaufen lässt und nach einem grünen Landwirtschaftsminister nun eine Landwirtschaftsministerin der CDU akzeptiert - damit die Monster-Mastbetriebe und Riesen-Huhnfabriken erhalten bleiben und das moderne Bauernlegen weitergehen kann. Für digitale Bürger hat die SPD auch noch was, das genauso stinkt wie die Gülle aus den Mastbetrieben, ein besonderes Leckerli, nämlich eines der Lieblingsprojekte der CDU-Sicherheitsparanoiker, den Staatstrojaner. "Masterplan Digitalisierung", my ass. Nicht nur heise-Foristen ulkten schon, man brauche ja auch ein Glasfasernetz für die ganze staatliche Überwachung. Da kriegt man glatt nachträglich noch Albträume bei der Vorstellung, die SPD wäre auch im Bund wieder in eine große Koalition eingestiegen. Das ist nicht mal mehr eine Farce, was diese Partei da betreibt.

Living easy, living free
Season ticket on a one-way ride

Nun ist Malcolm Young gestorben, einer der wenigen großen Rhythmusgitarristen, vor einiger Zeit abgeglitten in das Große Vergessen. Ob auf dem Highway to Hell oder dem Stairway to Heaven spielt da keine Rolle mehr. Noch tourt AC/DC weiter, aber irgendwann wird auch ihre Musik nicht mehr Herzenssache sein, sondern Eigentum eines Fonds, der seine Rendite aus den Erlösen der Musikkataloge bezieht. Ja, sie machen alles ein und sind dabei ganz heiß auf aktuelle Remixes, die den Preis nach oben treiben:

Und alles, was du da noch sagen kannst,
ist: "Das ist 'n ganz schöner Hammer, ey Mann!"

Quelle : www.heise.de
Titel: 4W: Vom Regieren und Reagieren bis zum Meditieren überschwarze Kästen
Beitrag von: SiLæncer am 26 November, 2017, 05:22
Hal Faber tobt immer noch über den Unsinn, den vermeintlich "prinzipientreue" Politiker in die Weltgeschichte blasen. Da macht es die Stimmung nicht besser, dass in eben dieser Weltgeschichte so manches Monster rumgeistert.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** "Digital First, Bedenken Second" – das war einmal zu einer Wahl, die es so nicht wieder gibt, weil es sie bald noch einmal gibt. Bedenken first und Digital geplatzt, so sieht das Ergebnis aus, das Plastikpolitiker Christian Lindner am Sonntagabend verkündete. "Lieber nicht regieren als falsch", diesem Werberspeak hat der Mann im weißen Hemd den Vorzug von "Ein Anfang ist gemacht" gegeben. Von "Veränderung braucht Mut" mal ganz zu schweigen: Der Mut, nach Nietzsche die vornehmste Eigenschaft des modernen Menschen, ist einer Partei der besser Verdienenden fremd. Wenn überhaupt, dann hat man ihn früh am Morgen beim Hotelfrühstück und nennt ihn dann ganz oberschick #GermanMut. Was bleibt, ist eine Partei mit weinerlichen Männern an der Spitze, die sich an einem großen Österreicher orientiert. Die CSU rechts überholen ist auch eine Perspektive.

*** Die FDP will nicht. Die CDU will keine Neuwahlen. Die SPD will keine Minderheitsregierung tolerieren. Die SPD will keine große Koalition. Jedenfalls eigentlich nicht. Oder vielleicht doch ein ganz kleines bisschen am Krümelkuchen der Macht naschen, dann müssen das eben die Parteimitglieder entscheiden. "Mut muss sich wieder lohnen", nicht nur bei Unternehmern. Den Unternommenen dämmert es, wie sehr die SPD eine Partei ist, die auf hübsche Posten aus ist. Das ist das Elend der deutschen Sozialdemokratie: Auf Ministerjobs zu verzichten, um Politexperimente zu testen, gehört nicht zu ihrem Selbstbild. Insofern ist der Spruch, den Cora Stephan einstmals zur Urgeschichte der deutschen Sozialdemokratie auf den Titel ihres Buches packte, heute wieder ungewohnt aktuell. Bei der SPD wartet man wieder auf den großen Kladderadatsch, nur ist das eben nicht der Zusammenbruch des Kapitalismus, sondern der Zusammenbruch des Systems Merkel: "Genossen, wir dürfen uns nicht von der Geduld hinreissen lassen!"

*** Nicht nur der Ende-Gelände-Spruch von Lindner macht einen ganz krank. Die FDP hat das so ähnlich ja schon in Niedersachsen von sich gegeben und uns da eine große Koalition eingebrockt, in der sich die SPD an den Nasenring durch die norddeutsche Tiefebene führen ließ. So sehr, dass der CDU-Fraktionsvorsitzende mittlerweile den "inhaltlichen Fürhungsanspruch" in der niedersächsischen großen Koalition für sich beansprucht. Ja, ich weiß, ich hab mich darüber schon aufgeregt, aber das Trauerspiel, das sowohl FDP als auch SPD heutzutage auffühen, ist ja wirklich nicht mehr zum aushalten. Einerseits große Töne spucken, und sich dann drücken – anderseits im Bund sich drücken, und im Bundesland dann einen für unmöglich gehaltenen, aber doch geschafften Wahlsieg verschenken. Man möchte heulen. Vor allem aber darüber, dass anscheinend zwischen ideologisch aufgebauschtem "Hier stehe ich und kann nicht anders" und trotzigem "Nee, Regieren ist uns jetzt zu schäbig" keine Haltung mehr möglich zu sein scheint, die im demokratischen Prozess ganz normale Kompromisse hervorbringt. Als ob ich einer Partei meine Stimme geben würde, damit sie nicht regiert. Selbst Claudia Roths Schulter ist nicht weich genug, um sich wirklich ausheulen zu können. Ich war angesichts der Vorwahl-Unschlüssigkeit schon geneigt, auch mal ein Kreuzchen bei der FDP in Betracht zu ziehen. Das wurde dann doch nichts. Bei der SPD auch nicht, übrigens. Jetzt weiß ich, dass ich an beidem gut getan habe. Ob's Kreuzchen aber nun an der richtigen Stelle gelandet ist, das wird sich noch zeigen müssen. "Jeder nur ein Kreuz" war ja auch nicht als Erleichterung gedacht.

*** Noch ein paar Anlässe gefällig, um aufzuheulen vor völlig unideologischem Schmerz? Bekanntlich will Siemens, ein kleines Stückchen älter als die deutsche Sozialdemokratie, 6900 Arbeitsplätze im Kraftwerksbau streichen. Das ärgert nicht nur die IG Metall, sondern auch den derzeit obersten Sozialdemokraten Martin Schulz. Der nannte den Arbeitsplatzabbau "asozial" und wies darauf hin, dass die Bundesrepublik Deutschland ein großer Auftraggeber von Siemens ist, nur um im selben Atemzug zu gestehen, dass auch die schwielige Faust der großen deutschen Sozialdemokratie nicht ordentlich zupacken kann. "Ich kann den Unternehmen nicht auferlegen, dass sie Arbeitsplätze erhalten müssen."

*** Diese Erkenntnis des Arbeiterführers wird durch das Geklage des derzeit obersten Siemens-Chefs Joe Kaeser glatt getoppt. Sein tolles Unternehmen habe in fünf Jahren 20 Milliarden Euro in die BRD eingezahlt und mitnichten einen Planungsfehler begangen, sondern die "in der Sache richtige, aber in Ausführung und Timing höchst unglücklich umgesetzte Energiewende" sei schuld. Bei diesen Worten lohnt es sich, an die süße Vorweihnachtszeit vor 12 Jahren zu erinnern, als Siemens-Vorstand Thomas Ganswindt, damals Deutschlands oberster Bestecher, ein Weihnachtsmärchen erzählte und beklagte, dass Deutschland nicht konsequent genug den Megatrends folgt – damals war das übrigens die Gründung von Youtube. Aber bereits im Jahre 2005 stand der wenig rentable Groß-Kraftwerksbau bei Siemens zur Debatte, lange vor dieser heute beschuldigten "unglücklichen Energiewende". Mit Bestechung aus Tradition ging es voran. Der Rest ist Schweigen.

*** Der letzte Völkermordprozess zum Krieg im ehemaligen Jugoslawien ist vorbei. General Ratko Mladic, der Oberkommandant der bosnischen Serben wurde für seine Verbrechen zu lebenslanger Haft verurteilt. Er wurde schuldig befunden, vier Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen zu haben, darunter das Massaker von Srebenica und die Belagerung von Sarajevo. 24 Jahre hat die Aufarbeitung der Kriegsverbrechen gedauert. Wer sich fragt, was die Geschichte vom Völkermord auf der technikgetriebenen Nachrichtenseite zu suchen hat, sei an die Geschichte des von Eric Bachmann aufgebauten Zamir Transnational Netzwerkes erinnert, ein mutiger elektronischer Versuch, die Kommunikation unter den Menschen im zerfallenden Jugoslawien in Gang zu halten. Damals konnte man aus Serbien keine Gespräche mit Kroatien führen, ein Hack war gefragt. Ausgerechnet die kleine Bionic-Mailbox in Bielefeld machte es möglich, dass es eine Kommunikation zwischen Zagreb und Belgrad, Ljubljana und Tuzla oder Pristina und eben dem belagerten Sarajevo gab. An diese heilende Kraft der Verständigungsversuche sollte man sich erinnern, wenn in diesen Tagen der Geburtstag von Digitalcourage formerly known as FoeBuD gefeiert wird.

Was wird.

"Derjenige, welcher der Sichtbarkeit unterworfen ist und dies weiß, übernimmt die Zwangsmittel der Macht und spielt sie gegen sich selbst aus. Er internalisiert das Machtverhältnis, in welchem er gleichzeitig beide Rollen spielt, er wird zum Prinzip seiner eigenen Unterwerfung." Nein, diese Passage stammt nicht aus einer der vielen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes zur Videoüberwachung und dem Konformitätsdruck, den Kameras ausüben. Sie stammt aus Überwachen und Strafen, einem Hauptwerk von Michel Foucault und ist ein kleiner Hinweis auf den Aktionstag des Bündnisses Endstation am Berliner Bahnhof Südkreuz. Mit dabei ist übrigens Digitalcourage a.k.a wissenschon. Denn am Südkreuz arbeitet die modernste Videoüberwachungstechnik zu unser aller Sicherheit: Nach der im Sommer gestarteten Testreihe zur automatischen Gesichtserkennung ist jetzt auch die musterbasierte Verhaltensprüfung aktiviert, mit der systematisch vorgehende Taschendieb-Banden auf Rolltreppen erkannt werden sollen. Natürlich ist auch der Standard "herrenloser Koffer" mit von der Partie, der in all seiner Herrenlosigkeit ein Sprengsatz sein könnte.

Weit weg von Berlin wird es an diesem Tag einen Urknall geben und zwar in Neuss, wenn dort die erste Arztpraxis online und im Dauerbetrieb mit der medizinischen telematischen Infrastruktur verbunden wird. Erstaunt können wir schon vorab lesen, dass der Arzt die Sache ganz entspannt betrachtet, obwohl es in der Testphase nicht sonderlich gut lief. "Zu schaffen macht ihm allerdings, dass das Kartenlesegerät im laufenden Praxisbetrieb abstürzen kann und die Systeme neu hochgefahren werden müssen. 'Das passiert einmal im Monat', weiß er aus der Testphase." Vielleicht bringt die hinter dem System werkelnde Truppe der Gematik eine Uptime-Anzeige für die Wartezimmer in Arztpraxen heraus, natürlich nach allen Schnickschnack-Standards vom BSI zertifiziert. Umso höher steigt nach dem Anschluss die Freude der Ärzte auf die kommende elektronische Patientenakte, die IBM mit der TK entwickelt oder die von Telekom und AOK. Wenn man diese Akten nur 60 Sekunden lang ansehen kann, ehe der Logout erfolgt, gibt es sogar eine kreative Lösung, allerdings ohne Chance auf Zertifizierung. Das kann vielleicht der erste niedersächsische Digitalgipfel erörtern, der umme Ecke im schönen Hannover stattfindet.

Gleich am Tag nach dem Urknall will der Bitkom auf seinem eigenen Gipfeltreffen namens Hub.Berlin die Digitalisierung in ihrer ganzen Größe, Schönheit und Dynamik zeigen. Denn die Digitalisierung wartet nicht auf Deutschland und seine Walversprechen. Sie geht unbeirrt ihren Gang, genau wie der Dax, der einfach ein kleines Plus ins Wochenende mitnimmt oder wie die Märkte, die nach dem Black Friday seelig sind. Insofern ist es schon ein kurioses Signal, wenn ausgerechnet der stramm humanistische Marxist Gregor Gysi auf dem Hub.Berlin über die "Macht der Algorithmen" spricht, während selbige für das Ende des Politischen sorgen, wie es das regierungsnahe Fraunhofer Fokus und das ÖfIT dieser Tage erklärt hat.

Ansonsten geht es munter weiter. Drölfzig Programme sammeln Daten über Daten, die in einer Black Box verarbeitet werden, in der eine Black Box steckt in der eine Black Box steckt usw. usf und das seit 50 Jahren. Niemand blickt durch, so verfickt ist das eingeschädelt.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. Brüh im Lichte dieses Glühes
Beitrag von: SiLæncer am 03 Dezember, 2017, 00:40
Mitleid ist nicht das, was wir von kommenden Superintelligenzen erwarten können, befürchtet Hal Faber. Die Hoffnung bleibt, das Elend zwischen Weihnachtsmärkten und dem "Ministerium für gesellschaftlichen Zusammenhalt" zu überwinden: Algorithmus, hilf!

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Jetzt ist es wieder so weit, dass der Glühweingestank in den Kernbereich unser aller privaten Lebensführung eindringt, die Häuser oder Fenster mit blinkenden Lichterketten verunziert sind und selbst das Innenministerium sich von seiner heimeligen Seite zeigt als "Ministerium für den gesellschaftlichen Zusammenhalt". Willkommen in den besinnlichen Tagen der inneren Einkehr, an denen die großen Fragen gestellt werden. Was ist der Sinn von 42? Wer sind wir, wo gehen wir hin? Und wenn wir schon nicht gehen, wo gehen unsere Daten hin? Wo stehen die Server? Wäre es wünschenswert, entwendete Dateien und Dokumente zumindest auf den Servern der Diebe zu löschen? Mannomann, das ist aber ein großer Weihnachtswunsch, den der Chef von ZITiS da äußert, dem schicken Start-Up unter den Behörden. So ein unkompliziertes Lösch-weg beim Hack-back, nachdem ruck-zuck-klick klar ist, wer der Täter war. Natürlich nur mit richterlicher Genehmigung und bei erkannter Bedrohungslage des gesellschaftlichen Zusammenhaltes durch Terroristen, organisierte Kriminelle und andere Katalogstraftäter. "Der Staat muss handlungsfähig bleiben", das ist der oberste Imperativ dieser Nachtwächter. Staat first, alles andere second. Wen richterliche Vorbehalte da beruhigen können, hat den Knall nicht gehört: Deutsche Richter behalten nichts vor und halten keine Ermittler auf.

*** Man stelle sich ganz besinnlich vor, wie das ist, wenn man nicht handeln kann. Wenn man Probleme hat bei der "verdeckten Überwindung von Sicherheitssystemen" und dem Einbau von Abhörwanzen in Autos, wo deutsche Geheimdienste in 25 Fällen scheiterten. Das geht ja gar nicht, da muss ein neues Gesetz her und dieses neue Gesetz muss auch noch "technikoffen" formuliert sein, damit es für alle denkbaren wie noch undenkbaren Verwanzungssituationen angewendet werden kann. Vordergründig arbeitet das geschäftsführende Ministerium für den gesellschaftlichen Zusammenhalt nur an einer Rechtsgrundlage, die Autobauer zur Mitwirkung, insbesondere zur Öffnung und verdeckten Überwindung von Warnanlagen verpflichten soll. Doch wenn diese "technikoffen" ist, müssten genauso die Hersteller von all dem Smart-Home-Zubehör zur Mitwirkung verpflichtet werden können, von Routern und Überwachungskameras, Krümelsaugern bis hin zum Sexspielzeug. Das wird von den gesellschaftlichen Zusammenhaltern energisch dementiert.

*** Auffällig ist dabei jedoch, dass auf der vorweihnachtlichen Tagung der Innenministerkonferenz in Leipzig eine Beschlussvorlage abgesegnet werden soll. Es ist eben Weihnachten und da macht man sich nette Geschenke. Machen wir uns auch eines und überlegen gemeinsam, was die von den Verwanzungsfreunden geforderte Offenlegung von Programmierprotokollen so sein könnte? Die PC-Kassensysteme können wohl nicht gemeint sein. Etwa die Kommentare im Source-Code? Die Arbeitszeitnachweise des Programmierers? Eine allgemeine API für Verfassungsschutz, Zoll und Polizei? So bleibt an dieser Stelle nichts anderes übrig, als auf Besinnungen anderer Art hinzuweisen, die solchem Treiben hoffentlich etwas Widerstand bieten. Etwa bei der Gesellschaft für Informatik, die soeben mit Hannes Federrath einen neuen Präsidenten gewählt hat, der den Datenschutz-Grundrechtsgedanken vertritt. Im norddeutschen Tiefebenen- Radio verurteilte er prompt die Pläne des Ministeriums für gesellschaftlichen Zusammenhalt.

*** In dieser ach so besinnlichen Zeit geht der eine oder andere Gedanke an alle, die im Dienst des Vaterlandes stehen, zum Beispiel an die einfachen Soldaten in Afghanistan. Bekanntlich haben wir mit dem Kommando Cyber- und Informationsraum nun auch eine Truppe, die im Internet kämpft und dort die oben genannten Dateien und Dokumente löscht, die auf fremdstaatlichen Servern oder Datenwolken gespeichert sind. In dieser Woche betonte der Chef des KdoCIR, dass in der Zukunft von jedem Soldaten grundlegende Kenntnis im Umgang mit Computern erwartet würden – so wie heute jeder Soldat seine Waffe beherrschen müsse. Das ist eine interessante Aussage, denn wo beginnen grundlegende Kenntnisse und wo hören sie auf? Auch das ist eine große Frage. Jeder Schuss ein Treffer, jeder Klick auf den bundeswehr-eigenen Thinkpads in Estland drängte den mächtigen NATO-Gegner aus dem Netz und schlug seinen Fake-News-Angriffen den Kopf ab, wie bei der Hydra, die bekanntlich von Herkules besiegt wurde.

*** Im Kampf gegen die Fake News hat es in dieser Woche eine schwere Niederlage gegeben, als US-Präsident Trump auf Twitter Videos verbreitete, die die Rechtsextremisten von "Britain First" aufgespürt und verbreitet hatten. Beim Video-Schnippsel aus den Nierderlanden erfolgte umgehend eine Reaktion, auch die mit dem Brexit beschäftigte britische Staatschefin May reagierte. Unterdessen wurde der deutsche Muslim gefeiert, der offenbar als Austauschstudent bei Twitter arbeitete und an seinem letzten Arbeitstag kurzzeitig und zu seiner eigenen Verwunderung das Twitter-Konto von Trump schließen konnte. Die eigentliche Verwunderung produzierte jedoch Twitter selbst mit seinem indirekten Kommentar über #NoPlace4Hate. Kein Platz für Hass, das gilt nicht für den Orangenen. Die nächsten üblen Äußerungen dürften den ehemaligen Berater-Spezi Michael Flynn zum Thema haben. "General Flynn" wird nicht das letzte Wort sein.

Was wird.

Ja, es ist viel Leid in der Welt, auch am 1. Advent. Gut möglich, dass eine Superintelligenz, die sich all den Fragen nach dem Sinn des Lebens stellt, auf der Grundlage von Big Data zu der Einsicht kommt, dass trotz all diesem Datenreichtum die Nicht-Existenz im eigentlichen Interesse aller zukünftigen selbstbewussten Wesen auf diesem Planeten liegt. Alsdann wird die Superintelligenz uns entsprechend wohlwollend leidvermeidend behandeln und elegant aus der Geschichte eskamotieren. Das wär's dann mit heise online und der Wochenschau aus der norddeutschen Tiefebene, es sei denn, es gibt noch eine höhere Intelligenz als die Superintelligenz. Der Philosoph führt hier das menschliche Mitgefühl an, doch wenn ich mich nicht irre, scheitert die Superintelligenz schon daran, einen Weihnachtsmarkt zu verstehen, bei dem billigste Rotweinplörre aus Großtanks zu heimeligen Buden geleitet und erhitzt wird: Ein klares Zeichen dafür, dass sich Menschen ganz ohne Superintelligenz und ohne algorithmische Entscheidungen um den Verstand bringen.

Weihnachtsmärkte sind nicht nur mit der Intelligenz inkompatibel, sondern auch mit all den Träumen von der Smart City, der jetzt im großen Stil geträumt wird. Von der Microsoft-Stadt "Belmont" in Arizona über "Neom" in der saudi-arabischen Wüste bis hin zu den Sidewalk Labs von Google in Kanada werden neue Wohnmaschinen im Namen des Transurbanismus gebaut. Ausgerechnet aus dem verlotterten Berlin kommt dazu die passende Kritik, auch wenn sich "demokratische Smart City" anhört wie ein schwarzer Schimmel.

Sind die Innenminister aus Leipzig abgezogen, beginnt dort allmählich die Agglomeration durch den Chaos Computer Club, der nach dem Halfnarp heute das feste Programm des Chaos Communication Congress vorstellen will. Läuft der Congress, fahren sogar die Straßenbahnen in einem vom Congress diktierten Zeittakt in der Nacht: No Hacker left behind. Als prominenter Redner mit dabei: der ehemalige G10-Kontrolleur Hans-Christian Ströbele, der über die Lauschprogramme der Geheimdienste spricht. Ein Plausch aus dem Nähkästchen, damit endlich klar wird, warum ein Verein wie Reporter ohne Grenzen gegen den Datenstaubsauger vom BND klagt?

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. Von Disparitäten, Durchsuchungen und anderen Döntjes
Beitrag von: SiLæncer am 10 Dezember, 2017, 06:15
Demonstrierende Bürger müssen sich Jackentaschen, Laptops und Lebensläufe durchwühlen lassen, die Polizei muss sich nicht kennzeichnen, darf aber automatisch Gesichter erkennen. Helmut Kohls Bimbes profitierte indes von Mitgliedern der Atlantik-Brücke.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Im schönen Hamburg sind "archaische Delikte" rückläufig. Das können wir einem Vortrag entnehmen, den der Hamburger Polizeipräsident Ralf Martin Meyer auf der Herbsttagung des Bundeskriminalamtes gehalten hat. Nur der Taschendiebstahl steigt, bedingt durch Migration und "soziale Disparitäten". Wir sehen, Herr Meyer kann sich fein ausdrücken.

In dieser Woche lobte der Polizeipräsident anlässlich einer bundesweiten Razzia eine neue Form der Intimität. Laut Hamburger Abendblatt sagte Meyer "Wir sind hier näher an der militanten autonomen Szene dran, als das bisher der Fall war." Na, wird man wohl wieder intim erfahrene verdeckte Ermittlerinnen eingesetzt haben, da in der "Roten Flora?" Mayers Mann für die bundesweite Razzia war der SoKo-Leiter "Schwarzer Block" Jan Hieber und der machte seinem Namen alle Ehre, als er die Demonstranten gegen den G20-Gipfel so bezeichnete: "Es handelte sich, lassen Sie mich das einmal so klar sagen, in seiner Gesamtheit um einen gewalttätig handelnden Mob." Die bundesweite Razzia, bei der 583 Beamte ziemlich wahllos Laptops und Smartphones auch von in der Wohnung lebenden Kindern einsammelte, war damit der Anti-Mob. Fehlt nur noch die vom Polizeipräsidenten beim BKA-Kongress vorgestellte Software MobiPol zur schnellen Beweisaufnahme.

Erwähnenswert ist das alles aus zwei Gründen: Erstens soll die Sonderkommission nach Angaben des republikanischen Anwaltsvereins ein neuartiges Recherchetool entwickelt haben, das anders als die üblichen Smartphone-Schnüffeltools von Cellebrite und Co arbeiten soll. Zweitens scheint es nicht weit her zu sein mit der Materialsammlung, wenn die Hamburger Polizei die Presse auffordert ihr Rohmaterial den Ermittlern freiwillig zu überlassen. Die eigenwillige Interpretation einer Presse, nach beiden Armen und dem Schlagstock der vierte Arm der Polizisten zu sein, gibt zu denken. Nicht minder problematisch ist es, dass Redaktionen der Bitte um Herausgabe des Rohmaterials nachgekommen sind. Wenn künftig Demonstranten auch die deutlich sichtbaren Pressefotografen für verkappte "Dokumentationstrupps" halten müssen, ist auch dies eine starke Einschränkung der Demonstrationsfreiheit.

Den Vogel schießt natürlich auch hier der kleine Herr Wendt ab. Der ist kein Polizeipräsident, sondern ein virtueller Polizeipotentat, der mit seiner kleinen "Deutschen Polizeigewerkschaft" vehement gegen die Kennzeichnungspflicht von Polizisten anrennt. In Wendts Heimat-Bundesland Nordrhein-Westfalen wurde bereits die Kennzeichnungspflicht mit den Stimmen der CDU, FDP und AfD abgeschafft. Dafür soll auf der "Gegenseite" richtig hingeguckt werden, mit modernster Videotechnik: "Die Polizei braucht bei Großeinsätzen modernste Videotechnik mit Gesichtserkennungssoftware, um noch schneller beweissichere Festnahmen vornehmen zu können." Da trifft es sich ganz wunderbar, wenn diese Gesichtserkennungssoftware auch noch automatisiert funktioniert. Der nächste Schritt ist ein Head-Display in den Helmen der Greiftrupps. Und wenn da doch ein schwarzes Blöckchen zu sehen ist, soll die Definition des Landfriedensbruches etwas wendtiger werden: "Es muss in Zukunft möglich sein, dass auch derjenige bestraft werden kann, der sich bei einer Demonstration oder bei einer Ansammlung von Menschen, nach polizeilicher Aufforderung nicht aus der Menge entfernt." Bald könnte dann ein einfaches polizeiliches "geh mir aus der Sonne" reichen, um unbotmässige Bürger zu verhaften.

Auf die Ergebnisse der Suche nach den Spuren einer ganz und gar geheimen Putzgruppe des neuen Jahrhunderts darf man gespannt sein. Wer da sein Auto nicht ordentlich vor der Wohnung geparkt hatte, machte sich schon verdächtig. Da hat man im verdächtig falsch abgestellten Auto "alles gefunden, was man finden wollte", nämlich Festplatten und Datenträger. Doch was ist, wenn man den verdächtigen Piraten beschatten muss und das kitzelige Auto eine SMS schickt, sowie es ganz geheim geöffnet wird? Die Innenministerkonferenz forderte dafür die aktive Mithilfe der Hersteller beim Einbau von Wanzen in die automobile Oberklasse, in der Alarmsysteme Bestandteil der Versicherungspolice sind. Wird so der Staat zum Sicherheitsrisiko? Den besten Kommentar zu dieser grenzwertigen Idee der Unsicherheitsminister hatte /mecki78. Wer nicht überwacht werden will, baut sich eine zweite Alarmanlage ein.

Sie hatten eine zweite Chance: Als Konsequenz aus den beim Bundesnachrichtendienst aufgedeckten Missständen wurde im Frühjahr ein eigenes Kontrollgremium eingesetzt, das nun dem parlamentarischen Kontrollgremium seinen ersten Bericht vorlegt. Der ist natürlich selbst schwer geheim, mit einer dreifachen Alarmanlage gesichert und dennoch gibt es Hinweise darauf, dass die Arbeit der juristisch versierten Kontrolleure behindert wird. Schwärzungen, verweigerte Informationen und das übliche Gemaule, dass "die Handlungsfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland" gewahrt bleiben müsse, gehören wieder zum Geschäft. Eine Kontrolle findet nicht statt und die Auskunft, warum wieviel EU-Bürger überwacht werden, endet im Nirgendwo. Es ist, wie es immer war, bis Edward Snowden auftauchte. Es ist, als habe der NSA-Untersuchungsausschuss nicht stattgefunden. Es geht seinen Gang in den Ebenen und Abteilungen. Unsere Nachfahren werden vielleicht lesen können, wie der BND die künftige Kanzlerin Katja Kipping beschattete, wie weiland Willy Brandt.

Jamaika-Aus ist zum Wort des Jahres gewählt, weil die drei führenden Worte "Christian", "Lindner" und "ich" nicht mal in der allervorbildlichst durchgekoppelten Schreibweise ein Wort ergeben für die Frei Drehende bügelPuppe. Auf den zweiten Platz kam "Ehe für Alle" und dann #Metoo. Ich hätte diesem Hashtag den Sieg gewünscht, wie es die Time mit den Silentbreakers als Persons of the Year verfuhr. Der Aufbruch in eine Kultur jenseits des Betastens- und Begrapschtwerdens hätte das verdient. Nicht verheimlichen sollte man, das dieser Aufbruch im Überschwang der Beschuldigungen auch einen Abbruch vieler Kulturgüter mit sich bringt. 22 Jahre lang war die Website des Writer's Almanac eine treue Begleiterin meiner wöchentlichen Kolumnen, die Ideen lieferte, wenn gerade keine verfügbar war. Nun ist alles weg, weil Garrison Keillnor eine Hand auf den nackten Rücken einer Mitarbeiterin legte – das ist seine Version der Geschichte.

Und so klingt das Jahr 2017 aus. Begräbnisse sind auch nur eine Formsache. Repose en paix l'ancien.

Was wird.

Laut einem Zitat in der Wikipedia ist die Atlantik-Brücke "eine der einflussreichsten und exklusivsten Organisationen der Berliner Republik", andere schreiben von einem Think-Tank nach US-amerikanischem Vorbild mit der Mission, die öffentliche Meinung im Sinne der deutsch-amerikanischen Freundschaft zu beeinflussen. Wie die vergangene Woche mit einer interessanten Sendung zeigte, waren Mitglieder der Atlantik-Brücke bei der Organisierung von Bimbes für Helmut Kohl beteiligt. Heute ist man leichter erkennbar und hat zudem Besseres zu tun.

Am Dienstag grübelt die Atlantik-Brücke unter dem leicht rätselhaften Titel Digital Westphalia gemeinsam mit Microsoft über die Frage, "wie kann man transatlantische Datenübermittlungen ermöglichen und gleichzeitig fundamentale Grundrechte und nationale Gesetze berücksichtigen?" Ob Safe Harbour, Privacy Shield oder das anstehende Beistands-Schreiben, mit dem die Europäische Union Microsoft unterstützt, da gibt es viel zu brücken. Digital Westphalia soll sich übrigens auf den Westfälischen Frieden beziehen: Der dreißigjährige Krieg um den Datenschutz zwischen (West)Deutschland und den USA begann demnach um 1987, als der Datenschützer Spiros Simitis das US-amerikanische Verständnis von Privacy im Informationszeitalter kritisierte.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. Durchschreitende Straftäter blicken auf.
Beitrag von: SiLæncer am 17 Dezember, 2017, 04:45
Ha, Weihnachten! Da werden selbst die Straftäter ordentlich, die Polizisten vor Ort überflüssig und die Überwacher mildtätig. Ach, wirklich? Hal Faber preist lieber Verfassungshüter, Bürgerrechtler und "Durchstecher" und gedenkt der Opfer.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Das Kreuz des Südens war einstmals das wichtigste Sternzeichen für die Seefahrer, die in fremde Welten aufbrachen und die südlichen Meere befuhren. Vier funkelnde Sterne bildeten das uralte Wikingersymbol des Kreuzes, der vier Himmelsrichtungen mit dem Weltenpol in der Mitte. Heute ist das Kreuz des Südens das Zeichen für den Süden schlechthin und findet sich in den Flaggen von Brasilien und Australien. Verglichen mit dem erhabenen Kreuz des Südens ist das Südkreuz nur ein schlichter und ziemlich hässlicher Umsteigebahnhof in Berlin. Aber er schimmert hell in den Plänen der Politik und der deutschen Bahn, denn er ist hochoffiziell ein "Sicherheitsbahnhof". Hier probierte die Bahn ihren neuen Beratungstresen aus, natürlich Sicherheitscounter genannt – und baute ihn nach wenigen Wochen wieder ab. Hier experimentieren Bundespolizei und Bundeskriminalamt mit "intelligenter Analysetechnik", besser bekannt als automatische Gesichtserkennung – und verlängern den Test um weitere sechs Monate, weil er so ungemein erfolgreich ist. 70 Prozent der rund 300 freiwilligen Testpersonen wurden zuverlässig im Gewimmel der Reisenden erkannt.

*** 70 Prozent, was bedeutet das, wenn wissenschaftlich wichtige Eckdaten wie die ausgewiesene False Positive Rate fehlen und nur davon die Rede ist, dass "in durchschnittlich weniger als 1% der positiv erkannten Fälle eine Person irrtümlich einem Datensatz in der Datenbank zugeordnet" wurden? "Dies bedeutet, dass in über 70% der Fälle, in denen beispielweise ein Straftäter den Erkennungsbereich der Kameras durchschreiten würde, dieser Straftäter durch das System als solcher erkannt werden würde und dann der Polizist vor Ort sofort entsprechende Maßnahmen einleiten könnte." Dieser lustige Satz in der offiziellen Pressemitteilung des Bundesinnenministeriums zeigt die ganze Misere der technologischen Erwartungshaltung. Denn diese Straftäter, die da von den Kameras aufgenommen werden, koopieren anscheinend mit der Polizei und durchschreiten den Erkennungsbereich einfach so, ohne jede Verkleidung mit Bärten, Perücken und Zierbrillen. Gefährder lächeln drohend in die Kamera und die Profi-Banden der Taschendiebe rempeln und klauen, bis auch die letzte Mustererkennung "den Polizisten vor Ort" informiert hat. Das hoffnungslos verzerrte Weltbild der Überwacher sollte niemand stören, denn die Investitions-Milliarden in unser aller Sicherheit müssen einfach ausgegeben werden. Das gerade am "Polizist vor Ort" gespart wird, was es zu sparen gibt, muss ja nicht an die große Glocke, die unser Innenminister gerne klöppelt. Denn erst so entfaltet sich das ganze Konzept des "Sicherheitsbahnhofes": Hat der Straftäter ordnungsgemäß den Erfassungsbereich durchschritten, kann über das gesamte Netz der Überwachungskameras verfolgt werden, wohin der Schlingel fährt, beipielsweise.

*** Bekanntlich rückt Weihnachten als Fest der Liebe immer näher. In Berlin hat der Bundesnachrichtendienst seine traurigen Überwachungspalmen festlich geschmückt und wartet auf den Weihnachtsmann. In einem Nikolaus-Artikel hat BND-Präsident Bruno Kahl schon einmal erklärt, was er von den um Aufmerksamkeit konkurrierenden Medien hält: im Zweifelsfall gar nichts, denn Medien entscheiden "nach eigenem 'Gut-'dünken" und tun das auch noch mit einer "prätentiösen Geste". Dann arbeiten sie auch noch mit Menschen zusammen, die "'Durchstecher' oder sogenannte 'Whistleblower'" sind und berufen sich auf den Quellenschutz. Da muss doch was überwacht werden.

*** Genau diese praktizierte Überwachung unter anderem mit Hilfe von Telefon-Metadaten wurde kassiert, dank der Aktivitäten von Reporter ohne Grenzen, einer Truppe, in der jeder Journalist Mitglied sein sollte. Nach einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes ist das Speichern von Telefon-Metadaten von Geheimnisträgern, wie es Journalisten sind, unzulässig und zwar auch dann, wenn die Daten weitgehend anonymisiert sind. Genau diese Argumentation dürfte für die Zukunft interessant sein, denn bei der Aufdeckung der VerAS-Datenbank im Zuge der Snowden-Enthüllungen wird es nicht bleiben. Wahrscheinlich kommt ein neues BND-Gesetz, das das Schnüffeln in den Meta-Daten wieder erlaubt: "Gesetzgebung schafft zumindest eine gewisse Transparenz. Ein Auslandsgeheimdienst, der auch Daten von Inländern erfasst, müsste schon gut begründen, wozu eine solche gewaltige Datenauswertung erforderlich ist. Und ein Gesetz könnte dann auch vom Bundesverfassungsgericht geprüft werden."

*** Transparenz beim BND und Lichterglanz, soweit die Palmen wedeln: Es gibt ja auch dieses Positive, selbst in diesen trüben Tagen und selbst beim Nachrichtendienst. Im Jahre 2013 stellten die metadatenbegeisterten Auslandsschnüffler vier Kryptorätsel ins Internet. Am vergangenen Montag wurde das erste Rätsel geknackt, weil man der angewendeten Verschlüsselungsmethode der Spaltentransposition auf die Schliche kam.

*** Mit der hübsch benamsten Order Restoring Internet Freedom soll die US-Behörde FCC die Netzneutralität abgeschafft haben. Nun stellt die Behörde zwar Regeln auf, verfasst aber keine Gesetze. Damit arbeitet sie genau wie unsere Bundesnetzagentur, die auf Netzneutralität achtet. Insofern laufen die neuesten pathetischen Unabhängigkeitserklärungen des Cyberspace ins Leere. Jetzt kommt es darauf an, dass US-Senator Charles Schumer wie angekündigt das Verfahren des "Congressional Review Act" in Gang setzt, mit dem die FCC-Order angegriffen und dann durch ein Gesetz ersetzt werden kann. Das nächste Monopol hat noch einen langen Weg vor sich in diesen Vereinigten Staaten von Amerika.

*** Restoring Internet Freedom, das ist nicht das einzige, was wiederhergestellt werden müsste, auch die Freiheit der Sprache wäre ein geeignetes Feld, wenn Worte wie Transgender, Diversität und Fötus in öffentlichen Dokumenten über die Gesundheitsversorgung etwa beim Streit um die Zukunft von "Obamacare" vermieden werden sollen. Auch "evidenzbasierte Wissenschaft" ist verpönt in einem Land, das noch einmal zum Mond fliegen und dann den Mars ins Visier nehmen will.

Was wird.

Das Evangelium nach Kris: Es begab sich aber zur der Zeit, dass ein Gebot von dem Kaiser Augustus ausging, daß alle Welt upgedated oder geupdated würde. Und jedermann ging, dass er sich um Updates kümmere, ein jeder in seine Stadt zu seinen Eltern, Bekannten und Verwandten. Weihnachten naht, für jede Heise-Leserin und jeden Heise-Leser und alle Eichhörnchen zwischendrin ist es das Hochamt des technischen Supports von Latops, Tablets und Smartphones. Ihnen wünsche ich schon einmal stählerne Nerven und stille Nächte, denn beim nächsten WWWW wird es keiner lesen, weil verkaufsoffener Heiligabend für vergessene Kabel, Demi-Glace und dergleichen mehr ist.

Hier geht es jetzt um die Dinge, die nicht vergessen werden dürfen, denn es geht um Unrechtsdinge, die Menschen erdulden müssen. Menschen wie Mesale Tolu oder Denis Yücel und die vielen, vielen anderen, die dort Einsitzen, wo Presse- und Meinungsfreiheit bedroht sind oder nicht existent. In der anstehenden Woche veröffentlicht Reporter ohne Grenzen die Jahresbilanz der Pressefreiheit 2017 und sie ist düster.

Es gibt auch noch ein anderes Gedenken, das denen gerecht werden muss, die "Super-Pech" hatten, wie es der Hinterbliebene Petr Cizmar formuliert. Sie starben. Das Ende ist nicht gut und viele Fragen sind immer noch offen. In Erinnerung an Anna Bagratuni, Geory Bagratuni, Sebastian Berlin, Nada Cizmar, Dalia Elyakim, Christoph Herrlich, Klaus Jacob, Angelika Klösters, Dorit Krebs, Fabrizia Di Lorenzo, Lukasz Urban, Peter Völker.

Quelle : www.heise.de
Titel: 4W:WWWWW, ganz im Zeichen der paradiesischen transhumanen Verzückung
Beitrag von: SiLæncer am 24 Dezember, 2017, 06:06
Mancher meint das Fegefeuer schon in der menschlichen Existenz zu entdecken, andere freuen sich auf die Überwindung alles Üblen in der transhumanistischen Reinigung. Hal Faber jedenfalls möchte genug Chaos, um auch nochmal einen tanzenden Stern zu gebären

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Trasumanar significar per verba
non si poria; però l’essemplo basti
a cui esperienza grazia serba.
S’i’ era sol di me quel che creasti
novellamente, amor che ‘l ciel governi,
tu ‘l sai, che col tuo lume mi levasti.

Verzückung! sie vermöchte man durch Worte
Zu schildern nicht; drum gnüge jenes Beispiel,
Wem Gnad' es zu erfahren aufbewahret.
Ob ich von mir der Teil nur, den zuletzt du
Erschufst, o Liebe, die den Himmel lenket,
Du weißt's, die du mich hobst mit deinem Lichte.

Words may not tell of that trans-human change;
And therefore let the example serve, though weak,
For those whom grace hath better proof in store.
If I were only what thou didst create,
Then newly, Love! by whom the Heaven is ruled;
Thou know’st, who by Thy light didst bear me up.

Trasumanar? An Tagen wie diesen bietet die Göttliche Komödie von Dante Alighieri Trost und Erbauung. Der Ausschnitt aus dem ersten Gesang, gleich nachdem Dante und seine Beatrice im Paradies angelangt sind, gehört zu den Offenbarungen der Transhumanisten, jedenfalls im angelsächsischen Sprachraum. "Trans-human change" steht hier für den Leib, der dem Purgatorium der Hölle entronnen ist, abgelegt wird und sich dem ewigen Leben asymptotisch nähert. Was Dante besang, griff Pierre Teilhard de Chardin auf, um schließlich den Omegapunkt zu finden, an dem Menschen transhuman werden.

*** An diesem Punkt schalten sich die Maschinen in die Debatte ein, denn Donna Haraway studierte an der Teilhard de Chardin Foundation in Paris dessen Ideen und schrieb das Cyborg-Manifest "Lieber Cyborg als Göttin. Für eine sozialistisch-feministische Unterwanderung der Gentechnologie". Auf Deutsch erschien es 1984 im deutsch-englischen Jahrbuch Gulliver, das sich ausführlich mit Orwells 1984 befasste. Gegen die Informatik der Herrschaft setzte Haraway die feministische Informatik. "Kommunikations- und Biotechnologie sind die entscheidenden Werkzeuge zum Umbau unserer Körper", so ihr Leitsatz, mit dem sie für einen "grundlegenden Umbau der Reproduktionssysteme des nächsten Jahrhunderts" warb. Cyborgs im Inkubator ausbrüten? Warum nicht, entlastet es doch die Frau von der Reproduktionsaufgabe. Und welche komische Reproduktion hatte eigentlich da an Weihnachten im Jahre 0 ein Ergebnis gebracht?

*** Feiern wir also zeitgemäß den fröhlichen Transhumanismus als Bastelei, damit der Mensch endlich ein taugliches Sprungbrett zum Übermenschen abgibt. Die Anfänge sind niedlich, wenn sich passend zum Weihnachtsfest c't-Redakteur Julius Beineke mit seinem frisch eingedongelten Chip vorstellt. Die musikalische Untermalung gibt natürlich der Song IBM von Throbbing Gristle, der auf einer "IBM" beschrifteten Datasette basiert, die der pandrogyne Transhumanist Genesis P-Orridge auf der Straße fand. Der verlinkte Text verweist auf ein Theater-Interview und enthält den hübschen Anpfiff des Publikums durch Genesis, der prächtig zu diesem Weihnachten passt: "For fuck’s sake, wake up! The world’s collapsing around you, and all you’re worried about is whether you’ve got the right laptop. Wake up!"

*** Transhumanisten gibt es in der IT viele, von dem hier oft genug zitierten Google-Humanen Ray Kurzweil mit seiner technologischen Singularität bis hin zur Bill und Melinda Gates Foundation, die mit ihrem Impfprojekten der Menschheit neuen Anschwung geben will. Bekanntlich ist ja die staatliche Impfpflicht die erste Stufe der Transhuminierung. Festlich gestimmt sollte man sich daran erinnern, dass das erfolgreichste "human enhancement-Projekt" Viagra auch von transhumanistisch Gesinnten angestoßen wurde. Ganz im Sinne von Teilhard de Chardin gibt es sogar eine ordentliche Religion mit allem Drum und Dran und einem Papst. Unverständige Leute lassen es in der Print-Ausgabe in den Überschriften witzeln: Näher, mein Bot, zu dir, während die Online-Ausgabe es etwas ernster mit dem "Way of the Future" nimmt, der auf eine KI-gesteuerte Gottheit wartet.

***Alles nur hohle Phrasen? Das ist beim KI-Way of the future gar nicht so einfach zu bestimmen. Bereits in der letzten Wochenschau war die automatische Gesichtserkennung ein Thema, weil der geschäftsführende Bundesinnenminister sich von ihr wahre Wunderdinge erwartet. 70 Prozent der Gesuchten sofort gefasst! Kein juristisch grenzwertiges Fahndungsersuchen mit der Methode Barbie mehr. Aktuell gibt das Bundesinnenministerium nur raunende Hinweise zum Projekt am Bahnhof Südkreuz, was zu trefflichen Überlegungen führt, ob man nicht besser Schimpansen würfeln lassen sollte beim Verhaften der Straftäter. Das alles mag etwas ins Leere führen. Zwar testen Bundesbahn, Bundeskriminalamt und Bundespolizei am Südkreuz die Leistung der Gesichtserkennungssoftware von Herta, L1 Identity Solutions und Elbex., doch der sehnsuchtsvolle Blick von Thomas de Maizière & Co richtet sich nach China, wo Baidu eine Erkennung basierend auf wirklichen Bilderfluten, Massen von Trainingsdaten und Deep Learning entwickelt, oder in die USA., wo Google, Facebook bei der Gesichtserkennung eine Präzision erreichen, die 70 Prozent Erkennungsrate lächerlich erscheinen lassen. Hier ist der Gott der künstlichen Intelligenz am Werke und seinen Augen entgeht nichts.

*** Das Christentum, das heute feiert, ist eine Religion, für die der Mensch aus einem materiellen Körper und einer immateriellen Seele besteht. Diese kann transhuman wie bei Dante ins Paradies auffahren, oder eben in anderer Weise in einer KI gespeichert werden. Wo keine biologische Entität mehr da ist, mag die Identität im Cyberspace gespeichert werden. OK, so ganz gelöst ist das Seelen-Aufstiegs-Umstiegs-Problem des Mind Uploading bzw. der "Whole Brain Simulation" noch nicht, weshalb Vertreter wie FM-2030 in kryonischer Halteposition darauf warten müssen, dass es weitergehen kann. Das es überhaupt weitergeht, ist gar keine Frage, denn Transhumanisten sind die geborenen Optimisten schlechthin. Ihnen kann man nicht einmal mit dem Gattaca-Argument kommen, da zücken sie sofort das Smartphone, mit dem an diesem Tag Millionen gelangweilter Kinder spielen.

*** Müssen wir an etwas glauben, weil da nichts ist?? Es gibt jedenfalls keinen Zweifel, dass dieser Transhumanismus die besseren Karten hat. Was sagt T.C. Boyle nochmal im bezaubernden Weihnachtsinterview der tageszeitung über die transhumanen Gentechnologie? "Sie wird dazu führen, dass wir in einer Generation, so schätze ich, keine Menschen mehr sind. Ich bin davon überzeugt, dass Gene dann nicht mehr im Bett vermischt werden, sondern im Labor. Im Moment erzählen uns Genetiker und Molekularbiologen noch, die Technologie sei eine gute Sache, weil wir mit ihr Erbkrankheiten verdrängen können – das Brustkrebsgen BRCA1 zum Beispiel. Es kann aus der Keimbahn eines Menschen gelöscht werden. /../ Doch der nächste Schritt ist, wie meine Geschichte nahelegt, der zum perfekten Menschen. Der sich nicht mehr zufällig entwickelt, sondern mit Eigenschaften, die man sich aussuchen kann. Die Menschen werden Größe wollen. Intelligenz. Eine bestimmte Augenfarbe. Musisches Talent. Noch heißt es, mit so was würde niemals am Menschen experimentiert. Aber in bestimmten Ländern wird man das tun. Und dann werden auch wir aufholen müssen, weil man eine Superrasse kreiert. Jeder wird das intelligenteste Kind bekommen wollen, das er haben kann.

Was wird.

So verdrehen sich die Begriffe und wir drehen uns mit Ihnen. Wie war das noch mit dem Konzept der informationellen Selbstbestimmung? Ein Kampfbegriff gegen die Schnüffelgier des Staates, gegen den Einsatz von Staatstrojanern, gegen die Preisgabe von personenbezogenen Daten. In diesen festlichen Dezembertagen haben sich nun der Volkswagenkonzern und die von ihm beauftragte Rechtsanwaltskanzlei Jones Day auf genau dieses informationelle Selbstbestimmungsrecht berufen, um die Staatsanwaltschaft München daran zu hindern, die Hintergründe der Abgasaffäre bei VW und Audi zu klären. Die Firmen legten einen Einspruch beim Bundesverfassungsgericht ein, weil die Akteneinsicht durch die Strafverfolger dem informationellen Selbstbestimmungsrecht der Firmen widerspreche. Darüber muss Anfang Januar entscheiden werden. Die Argumentation ist gefährlich. "Dann könnten Konzerne mit eigenen Untersuchungen den staatlichen Ermittlern zuvorkommen; könnten brisante Akten in Anwaltskanzleien auslagern und vor dem Zugriff der Behörden schützen; könnten einen rechtsfreien Raum schaffen."

Interessante, gleichwohl nicht wirklich rechtsfreie Räume für die Liebhaber der persönlichen informationellen Selbstbestimmung werden in diesen Tagen in Leipzig installiert. Der Chaos Communication Congress versucht, gleich nach Weihnachten vier Tage lang ein ausgesprochen ödes Messezentrum zu bespielen. Anderen haben die Chaoten mit einem kleinen Hinweis eher stresshaltige Weihnachten beschert. Eine Erklärung zur beA-Panne zeigt freilich, dass Chaos auch ganz anders aussehen und sogar im Innern einer Bundesanwaltskammer existieren kann.

So endet die kleine transhumane Wochenschau natürlich mit Nietzsche und der Lehre von dem Übermenschen: "Ich sage euch: man muss noch Chaos in sich haben, um einen tanzenden Stern gebären zu können. Ich sage euch: ihr habt noch Chaos in euch."

Quelle : www.heise.de
Titel: 4W: Zum Jahresende mit einem Blick zurück im Zorn & Musik für den Mut nach vorn
Beitrag von: SiLæncer am 31 Dezember, 2017, 05:54
"In der Musik erklingt der Mensch, der erst noch wird." Gibt es dem was hinzuzufügen? Hal Faber meint: Ja! Und wenn der Rückblick auf ein seltsames Jahr melancholisch stimmt, so ist der Optimismus und die Hoffnung, es könne besser werden, doch nicht weit.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Zum Jahresende mit etwas größerem Blick zurück. Und hoffentlich etwas Mut für den Blick nach vorne..

Was war.

*** Das Jahr 2017 geht zu Ende und bevor das neue Jahr als schwer zu berechnendes 2018 mit einer großen Feinstaubemission begrüßt wird, ist es Zeit für einen Rückblick und einen nachdenklichen Ausblick. Da wäre zuerst der Blick in die Statistik mit der Erkenntnis, das Geldverdienen durch Geldschöpfung zugriffsmäßig der Favorit der Heise-Leser geworden ist. Fehlt nur noch die Anleitung zur hohen Schule der Geldwäsche. So gehen uns Journalisten die Themen nie aus und das Geld auch nicht. Wobei auch diese Geldbastelanleitung nicht an die Zugriffszahlen heranreicht, mit denen der Anwalt Freiherr von Gravenreuth in nunmehr 21 Jahren als Ewigerster eins!!elf durch die Zugriffszahlen der Heise-Leser ein apartes Denkmal bekommen hat. Ja, wenn dann Opa vom Krieg erzählt, beginnt das dann so: "Weißt du noch, wie der Günni im Forum auftauchte und...." Geschenkt, geschenkt.

*** Nun sagen Zugriffszahlen nicht alles. Es gibt auch Zugriffs-Enttäuschungen. Lest das, Ihr Spacken! Nein, so unhöflich bin nicht mal ich, auch wenn es manchmal frustrierend ist, wie wichtige Geschichten und Nachrichten im sich überschlagenden Strom des Netzes untergehen können. Gerade ist ja in Leipzig ein schicker Hackerkongress zu Ende gegangen, mit einem Jahresrückblück, auf dem Vorstandshackerin Constanze Kurz über den amtierenden, geschäftsführenden Justizminister Heiko Maas giftete und ihn als größten anzunehmenden Unfall darstellte. Das böse Urteil verband sie mit der innigen Hoffnung, dass dieser SPD-Politiker im Jahre 2018 nicht in der nächsten Regierung weiter Schaden an der Demokratie anrichten kann. Das von Maas und seinen Juristen durchgedrückte Netzwerkdurchsetzungsgesetz mit dem Anfang vom Ende der Anonymität (nur 206.119 Zugriffe) bezeichnete Kurz als schlimmsten von ihr erlebten "Disconnect in der politischen Kultur Deutschlands". Zu solchen Ergebnissen kommen nicht nur Hacker, sondern auch ganz normaler IT-Kaufleute, die mit ihren Produkten Geld machen wollen: Man lese nur den Bitkom, der in seinem Ausblick auf das kommende Jahr treffend schreibt, dass das Jahr mit der Umsetzung eines verfassungswidrigen Gesetzes beginnt.

*** Bekanntlich kam es noch schlimmer. In einer staubtrockenen Paragraphensammlung, die das Justizministerium als kaum lesbares Diff verteilte, verbarg sich "eines der schlimmsten Vorkommnisse in dieser Demokratie", wie es Vorstandshacker Frank Rieger in Leipzig formulierte. Die Befugnis, den Staatstrojaner bei der Verfolgung von gewöhnlichen Straftaten (auch nur 235.778 Zugriffe) wie Computerbetrug, Hehlerei oder der missbräuchlichen Asylantragsstellung einsetzen zu dürfen, ist eine Bankrotterklärung des Rechtsstaates. Was ursprünglich nur zur Verfolgung schwerster Straftaten und terroristischer Bedrohungen konzipert wurde, wird so zum Alltagsinstrument von Polizei, Zoll und Staatsanwälten. Der Schutz der Privatsphäre löst sich auf wie Wasser in H²O und das vom Bundesverfassungsgericht so definierte Grundrecht auf "Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme" wird zur Luftnummer. Ergänzt man diese Unglücksnachricht mit den vielen Berichten über die neue Schnüffelbehörde ZITIS in diesem Jahr, wo bald mehr als 200 Programmierer diese Staatstojaner im großem Stil bereitstellen sollen, so sieht man, wie die Sicherheitsbehörden über die Schnur hauen. Ob dieser Überwachungswahnsinn vom erwähnten Verfassungsgericht komplett einkassiert wird, ist eine der Fragen, die wir nach 2018 hinüber tragen. Und über die dieser kleine Ticker aus der norddeutschen Tiefebene berichten wird, auch wenn's nicht zu Meldungen mit den meisten Zugriffen führt.

*** Und sonst so? Bekanntlich hat die Bundesnetzagentur die Verpflichtung der Provider zur Vorratsdatenspeicherung ausgesetzt (121.604 Zugriffchen). Seitdem reißen die Klagen der Sicherheitsbehörden nicht ab, dass man nichts mehr ermitteln könne. Besonders drastisch drohte BKA-Präsident Holger Münch in seiner Rede auf der Herbsttagung seiner Behörde: "Allein im vergangenen Jahr konnten wir in rund 8.000 Fällen von Kinderpornografie im Internet nicht weiter ermitteln, nicht weiter handeln, weil wir in Deutschland nach wie vor keine funktionierende Vorratsdatenspeicherung haben." Diese 8000 Fälle müssen Deutschland betreffen, denn anderswo werden Daten auf Vorrat gespeichert. Es gibt sogar Ermittlungserfolge, auch in Deutschland, auch mit den Fahndungsmethoden des BKA. Aber 8000 Fälle, das soll wiegen, das soll jeden Menschen weichklopfen, die anlasslose Datenspeicherung zu akzeptieren.

*** Doch der Trübsal ist genug geblasen, Hilfe sei nun eingeleitet. Dort, wo die nackten Zahlen enden, erklingen leise Töne und laute Töne, träumt sich Musik von einer Zukunft, die noch nicht ist. "In der Musik erklingt der Mensch, der erst noch wird", schrieb Ernst Bloch im "Prinzip Hoffnung". Was passt besser als der Blick auf die Musik von 2017, die uns in dieser Knallnacht und weiteren Nächten in das Jahr 2018 hinein begleitet? Klar, es gab Neues von The XX, Kendrick Lamar legte mit "Damn." endlich nach, von Miles Mosley kam mit "Uprising" mehr aus dem Umfeld des West Coast Get Down (Kamasi Washington, Ronald Brunner Jr., Cameron Graves, Thundercat seien als weitere Musiker mit Releases aus dem Kollektiv genannt).. Noch mehr? Ich habe bestimmt einiges vergessen und einiges übersehen, vielleicht haben die geneigten Leser ja noch einige Empfehlungen aus dem Jahrgang 2017.

*** Insgesamt aber entwickelte sich mir 2017 zu einem Jahr der Erinnerungen. Ich zähle dazu auch mal Van Morrision, der 2017 gleich zwei neue Alben herrausgebracht hat: Blues und Jazz-Standards, Alterswerke, die mit besonderem Laid Back aufwarten. Erinnerungen aber auch etwa mit John Coltrane. "Chasing Trane" auf Netflix ist eine wunderbare Dokumentation, die auch denjenigen, die Coltranes Musik zu verstehen meinen, beim Versuch, genau diese Musik und den Menschen dahinter zu erklären, noch mehr Verständnis bringt. Schwach ist allerdings, dass es in dem Film fast erscheinen mag, als habe Coltrane nach "A Love Supreme" aufgehört, neue Musik zu machen. Hängt vielleicht auch damit zusammen, dass unter anderem Wynton Marsalis seine Statements abgibt, der bekanntermaßen so gar nichts von freier Improvisation und dem Weg Coltranes nach "Meditations" hält, Pharao Sanders dagegen in diesem Teil des Films eher zu kurz kommt. Also, zumindest im Film, kein "Ascenion"; kein "Peace on Earth" von der letzten Tour, die durch Japan führte (die dagegen mit japanischen Super-Fans abgehandelt wird); kein "Olatunji Concert", von dem es heißt, man könne es vielleicht nur einmal im Leben anhören, man müsse es aber mindestens einmal im Leben angehört haben, um endgültig zu verstehen, warum alle Musik nach John Coltrane eine andere war als vor John Coltrane. So sind denn die fehlenden Stücke in "Chasing Trane" auch als Empfehlung zu verstehen. Und als Aufforderung, sich an Neues zu wagen.

*** Und wo wir beim Neuen sind, auf das uns die Erinnerung vorbereitet: Was in Europa so alles möglich ist, zeigt überraschenderweise auch die musikalische Erinnerung. Denn Europa ist cool. Wieder, hoffentlich, nicht nur mit Herrn Macron in Frankreich. Und Europa war auch schon mal cool, so richtig, musikalisch, und nicht nur dort mit Aufbruchstimmung. Da hat mein Redakteur doch Einiges ausgegraben, was nicht allein seiner Europabegeisterung geschuldet ist: In den 50er und 60er Jahren definierten europäische Jazz-Musiker in den verschiedensten Konstellationen mit, was Cool Jazz war. Und das coole Europa sorgte dafür, dass sich viele amerikanische Jazz-Musiker auf dem "alten" Kontinent weitaus wohler fühlten als in der "neuen" Welt. Oscar Pettiford, der leider viel zu sehr in Vergessenheit geratene Ausnahmebassist ist ein Beispiel. Vielen Musikern (und anderen Künstlern, by the way, ging es 2017 mit der neuen und alten Welt nicht viel anders. Was Cool Europa in der Musik bedeutete, das zeigen viele Releases des Labels Sonorama, dem dafür nicht genug gedankt werden mag. Der Sampler "Cool Europa" und die beiden Volumes der Kompilation "Now's the time" (mit dem Untertitel "Deep German Jazz Grooves" aus den Jahren 1956 bis 1969) drehten in meiner 2017-Playlist eine Wiederholung nach der anderen, 2018 wird das kaum anders sein.

*** Überhaupt. Es gab da auch noch meine Wiederentdeckung des Jahres: Peter Hammill. Unverkennbar als Sänger, mit seiner ausgeprägten Stimme und Artikulation, Mastermind von Van der Graaf Generator. Und als Solokünstler eines der Bindeglieder zwischen ArtRock und Punk, mit "Nadir's Big Chance" sogar ganz ausdrücklich von John Lydon als solches angepriesen. Eine Platte, die in einigen Elementen, in Songstruktur und Melodieführung auf The Clash verweist, im Einsatz von Saxophon und Stimme sowohl auf Van der Graaf Generator als auch auf X-Ray Spex. Ich hege lange schon den Verdacht, dass ArtRock und Punk nur zwei Seiten derselben Medaille sind, der Hoffnung, in den 70ern endlich mal von diesem Hippie-Gedudel und endlosden Gitarren-Gegniddel wegzukommen. Wie auch immer: Peter Hammill ist in allen seinen Facetten hörenswert. Das kann man, um mal eine erste Empfehlung für 2018 auszusprechen, am 26. und 27. Mai im Berliner Quasimodo mal wieder live erleben, davor ist er auch in Nürnberg und Dortmund.

*** So ausgestattet, kann es dann langsam wirklich ans neue Jahr gehen:
"Da vieles fiel, fing Zuversicht mich an.
Die Zukunft gebe, dass ich darf.
Ich kann."

Rainer Maria Rilke, Hausspruch für Clara Westhoff-Rilke; hier zititert nach Volker Weidermann, Träumer, Als die Dichter die Macht übernahmen – ein sehr lesenswerters Buch über die Münchener Räterepublik, das zeigt, was alles möglich ist. Hier, in Deutschland, mitten in Europa. Im Guten wie im Entsetzlichen.

Was wird.

Was 2018 sicher kommen wird, ist ein Chaos Computer Club, der offensiver gesellschaftliche Veränderungen angeht und dieses IT-Mimimi nicht länger mitmacht. Zu finden ist es im erwähnten Jahresrückblick, in dem Vorstandshacker Linus Neumann donnerte: "Wir als Club funktionieren nicht im Sinne von einem Ehrenamt, dass wir da den Dreck wegkehren, den andere machen." Nicht immer nur hinterherfegen, sondern in die Offensive gehen, das könnte auch in anderen Bereichen ein probates Motto sein. Denn wenn man sich zu Gemüte führt, was die IT-Firmen so prognostizieren und ankündigen, so könnte sich prompt wieder schlechte Laune einstellen, noch vor der großen Knallerei.

Man nehme nur die Prognosen von Dell für 2018. Es soll das Jahr sein, in dem sich ganz im Sinne des Transhumanismus der letzten Wochenschau Mensch und Maschine näher kommen werden. Unter Punkt drei steht da, etwas ungelenk formuliert: "AR-Headsets werden zur gängigen Kopfbedeckung." Gut, es gibt Branchen, in denen die Augmented Reality Sinn macht. Aber gängige Kopfbedeckung? So schwurbelt es sich zum schönen Ende hin und dann, tadamm: "Künftig wird AR der Standardweg sein, um die Effizienz von Mitarbeitern zu maximieren und die 'Schwarmintelligenz' der Belegschaft zu nutzen." Vorbei die Zeiten, wenn ein starker Arm was wollte, heute zählt der Schwarm. Und hach, diese Sache mit den Vorurteilen ist auch passé, wir werden nicht nur eine Super-Intelligenz bekommen, sondern im Zeichen der neuen Super-Objektivität urteilen : "Der 'Bias Check' wird die neue Rechtschreibprüfung. Im Laufe des nächsten Jahrzehnts werden Technologien wie KI und Virtual Reality (VR) es Verantwortlichen ermöglichen, Informationen ohne Vorurteile zu bewerten und Entscheidungen völlig unvoreingenommen zu treffen."

Ohne Vorurteile und Misstrauen sollte man sich auch gegenüber all den Dingen verhalten, die sich partout mit dem Internet verbinden sollen. Damit es nicht an allen Ecken und Enden cybert und gegencybert, sollte man vorurteilslos immer die Auto-Update-Funktion aktivieren. Dann kann absolut nichts schiefgehen. Das alles sind Ratschläge großer IT-Firmen, die es gut meinen und unser Geld wollen. Geben wir ihnen den Lachs im Zweifel. Was können vereinzelte Journalisten schon prognostizieren, wenn professionelle Glaskugeln teurer als Glasperlen sind? Ich versuche es mal zum guten Schluss: 2018 wird das Jahr, in dem jeder von uns in seinen Dokumenten wühlt und sucht, seit wann er einen Vertrag mit diesem oder jenem Provider für Telefon, Internet, DSL, Mobilfunk usw. geschlossen hat. Wer keine vollständigen Angaben vorweisen kann, wird in diesem unseren Land als Verdächtiger behandelt werden können, so die Bundesnetzagentur. Diese Richtlinie tritt, äh, meiner Kenntnis nach, öh, sofort in Kraft, am 1.1.2018.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. Von Revolutionen in Zeiten stabiler Mentalitäten
Beitrag von: SiLæncer am 07 Januar, 2018, 08:30
Optimismus! Visionen! Träume! Von wegen. Nicht einmal die Sicherheitsalb-Träume werden so wahr, wie Experten erwarteten. Dafür geben manche Leute mit einer "Konservativen Revolution" der Zukunft eine fürchterlich hässliche Fratze, beklagt Hal Faber.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** "Das Land des Überflusses ist in Nebel gehüllt. Just in dem Moment, in dem wir uns der historischen Aufgabe hätten stellen sollen, diese reiche, sichere und gesunde Welt mit Sinn zu erfüllen, beerdigen wir stattdessen die Utopie. Und wir haben keinen neuen Traum, durch den wir sie ersetzen können, weil wir uns keine bessere Welt als die vorstellen können, in der wir heute leben. Tatsächlich glauben die meisten Menschen in den reichen Ländern, dass es ihren Kindern schlechter gehen wird als ihnen." (Rutger Bregman)

*** Numerare necesse est. Doch da sind diese beknackten Chips, die irgendwelche "Chip-Designer" trés chic so aufgebohrt haben, dass sie spekulativ Befehle ausführen können, die ihnen gar nicht erteilt wurden. Diese allerklammheimlichste Vorratsdatenberechnung erschüttert jetzt die ganze Branche, die eigentlich den Security-Supergau von irgendeinem dieser idIoTischen Dinge im IoT erwartete. Doch Spectre zeigt, dass die fiese Spinne viel näher dran ist und ESB nicht Exception Secutity Buffer heißt, sondern Ernst Stavro Blofeld und den Griff nach der Weltherrschaft meint. Und so fallen dick in Nebel gehüllt all die sicheren Cloud-Lösungen zusammen und purzeln in den Spectre-Vulkan, während es Trolleys und Hämmer regnet. Der eigentliche Supergau kommt übrigens noch, wenn nach all den aufgebauschten Horror-Stories irgendwelche Patches für Meltdown und Spectre angeboten und gedankenlos installiert werden. Die dann die Daten hastunichtgesehen verschlüsseln und nur mit einer kostenpflichtigen Passphrae wieder freigeben. Darauf könnte ich glatt meine 0,005 Bitcoins verwetten, die für solchen Fälle als Notgroschen im Wallet auf dem PC liegen. Moment, Moment, wie war das?

*** Alexander Dobrindt trägt Prada und ist in der abgelaufenen Regierungsperiode der Minister für die digitale Infrastruktur gewesen. Beides scheint ihn als Vordenker der NKR zu qualifizieren der "Neuen Konservativen Revolution". Wo die alte konservative Revolution um Arthur Moeller van den Bruck "Das dritte Reich" verherrlichte und das Grundübel politischer Parteien exorzieren wollte, ist die NKR ein echtes Parteiprodukt und zunächst einmal nur ein verstecktes Angebot der CSU, eine Art "Landing Page" für den anderen Alexander, den Gauland mit seinen AfD-Anhängern. Ihnen bietet die neue konservative Revolution Zuflucht, falls in der AfD unter den Höckes und Maiers die Halbnazis die Oberhand gewinnen. Was im übrigen keine Beleidigung ist, wenn selbst ein "Nazi" eine umgangssprachliche Umschreibung im deutschen Idiom ist, wie die Bundesregierung mitteilte.

*** Die Eckpunkte der neue konservative Revolution wurden vom Diplom-Soziologen Alexander Dobrindt (mit einer Abschlussarbeit über streitbare Demokratie) geschichtsbewusst in der Welt veröffentlicht, die einst von Hans Zehrer geleitet wurde, dem nimmermüden Propagandisten einer deutschen Volksgemeinschaft, tief verankert im Herzen jedes Deutschen. Glückstrunken feiert das ach so unterdrückte Blatt das Gepoltere gegen eine "linke Meinungsführerschaft" als Leistung eines Meisterdenkers und erklärt Dobrindt zum Fritz Teufel unserer Zeit. Womit zumindest ein Satz bewiesen ist: Der Teufel trägt immer Prada. Der Teufel wohlgemerkt, nicht der Trottel.

*** Dabei will Dobrindt weder wie Fritz Teufel provozieren noch wirklich darüber nachdenken, was seit 1968 so alles passiert ist. Bei ihm lebt das Gespenst der "68er" noch, die unlängst in ihren Rollatoren zur Ringvorlesung in die FU Berlin tippelten. Diese fiesen Revolutionäre waren genauso schlimm wie Blofelds Spectre und täuschten alle: "Sie kamen aus den Hörsälen und Redaktionsräumen, aber nicht aus den Reihenhäusern und Fabriken." Wie gemein, wie hinterlistig. Aber damit ist nun Schluss, RUMMS, SCHEPPER, KLIRR macht es gewaltig in den Reihenhäusern. "Auf die linke Revolution der Eliten folgt eine konservative Revolution der Bürger", prophezeiht Revolutionsführer Dobrindt und ruft zum Umsturz des Regimes vom "Prenzlauer Berg" auf. Das ist dort, wo die meisten Bundestags-Mitarbeiter der CSU-Fraktion wohnen.

*** Da darf man schon erwähnen, dass das "linke Projekt" bereits 1983 von Helmut Kohl gestoppt wurde, der 16 Jahre lang die "geistig-moralische Wende" betrieb und alle Utopien beerdigte. Und der, das zumindest sollte der Experte für digitale Infrastruktur wissen, das Projekt des bundesweiten Glasfaserausbaus von Helmut Schmidt stoppte. Wäre es weitergelaufen, hätten wir seit 2015 (auch in den "Fünf Neuen Ländern") das weltweit beste Netz wo gibt. Aber nein, das Netz war bekanntlich wie die Autobahnen unter Kohl eine Sache der Bundesländer und so müssen wir damit leben, dass dieses "Schaltgespräch" mit Marietta Slomka da draußen in den Reihenhäusern ruckelt und zuckelt, gewissermaßen verhackstückt wird.

Was wird.

Am kommenden Montag vor 100 Jahren legte der US-Präsident Woodrow Wilson ein Programm zur Beendigung des Ersten Weltkriegs vor. Mit 14 höchst unterschiedlichen Forderungen versuchten die USA damals, Deutschland von einem Friedensvertrag mit den russischen Revolutionären abzubringen. Wilson bekam eine Absage von Großbritannien und Frankreich, denen das Selbstbestimmungsrecht ihrer Kolonial-Völker ganz unrecht war. Er erlitt mit seinen Vorschlägen eine deftige Niederlage in Kongress und Senat, die dazu führte, dass die USA dem Völkerbund fernblieben, bekam aber als zweiter Präsident der USA einen Friedensnobelpreis. Ob mit seinen 14 Punkte ein anderes, friedlicheres Europa entstanden wäre, ist ein müßiges Spiel mit der Fahrradkette. Die Geschichte verlief nun einmal anders. Wilsons historisches Erbe geht auf seine schwere Krankheit am Ende seiner zweiten Amtszeit zurück, in der er kaum noch regieren konnte. So kam der 25. Zusatzartikel zur US-Verfassung zustande, der im Fall des amtierenden Präsidenten Donald Trump eine Rolle spielen könnte.

Das größte stabile Genie aller Zeiten (Gröstag) wird gerade in einem Buch demontiert, das Verkaufsrekorde erzielt. Besorgt fragen Leser nach der Lektüre, wie es um die mentale Stabilität von Trump bestellt ist. Stimmen nur die Hälfte der aus dem Buch vorab bekannt gewordenen Details, ist die Frage nach dem geistigen Zustand berechtigt, weitab vom eher unwichtigen Detail, dass Trump gar nicht Präsident werden wollte. Gut möglich, dass der Autor wegen dem Verrat von einem Staatsgeheimnis verhaftet wird.

Der 34. Congress des Chaos Computer Clubs ist Geschichte. Man kann sich die Videoaufzeichnung der Vorträge von den Wissenschaftlern und Künstlern ansehen, die sich alle irgendwie als "Hacker" fühlen, obwohl sie Lehrstuhlinhaber oder etablierte Autoren sind. Hacken ist eben eine Geisteshaltung – und die soll so weiß und männlich dominiert sein, dass Frauen Angst haben auf den Congress zu gehen. Nun kann man sich abseits der Videos kaum ein Bild davon machen, wie friedlich und entspannt der 34C3 wirklich war. Also her mit den Gerüchten und Legenden, die machen sich immer besser als die Wahrheit. Nun steht im IT-Betrieb bekanntlich die Consumer Electronics Show in Las Vegas an, immerhin die Messe mit den meisten "Booth Babes" auf der Welt. Historisch geht dies auf einen Dick Pick zurück, der auf der längst verschwundenen Comdex echte Stripperinnen anmietete, die für das Pick-Betriebssystem warben. Mehrere Versuche scheiterten, die Außendarstellung von Firmen auf der CES mit einer Policy zu beschneiden. Für dieses Jahr war ein "Code of Conduct" im Gespräch, doch scheint dies nicht zielführend gewesen zu sein. Dazu passt, dass Frauen keine Keynote geben.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. Der etwas andere Stimmungs- und Sondierungsbericht
Beitrag von: SiLæncer am 14 Januar, 2018, 00:26
Geschichte wird gemacht? Ja, hoffen wir das Beste. Ob's voran geht, das ist aber wiederum eine andere Frage, zweifelt Hal Faber, der bei einer "So schnell wie möglich"-Koalition und Aktivismus-Aufrufen des Homo Davosiens eher fröstelt.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Über 1 Million Aufkleber "Asyl für Snowden" hat Digitalcourage verteilt. Die Idee, das ikonografische Obama-Wahlplakat mit einem Snowden-Foto zu kreuzen, hatte ein Werbeprofi, Martin Keune vom Verein der Flüchtlingspaten. Später wurde die Idee sogar modisch veredelt. Weniger bekannt wurde das von seiner Agentur Zitrusblau entwickelte (Kommunal-) Wahlplakat Wenn du nicht zur Wahl gehst, kommt das Wahlergebnis zu dir. Nun ist der Bürge mit Herz gestorben und das Wahlergebnis unter uns, mit einer AfD im Bundestag und Menschen, die Hunde auf Flüchtlinge hetzen. Ein Land, nicht nur eine Region trauert um Martin Keune.

*** Zum Ergebnis gehört auch eine "große" Koalition, die ans Regieren gehen will und in Sondierungsgesprächen laut dem Sondierungsbericht nicht weniger als sechs Kommissionen festgelegt hat, damit alle hübsch zu tun haben, nicht nur beim Vorantreiben dieser Digitalisierung. Neben der Rentenkommission, der Expertenkommission direkte Demokratie, der Kommission zur Integrationsfähigkeit, der Kommission Fluchtursachen, der Kommission "Gleichwertige Lebensverhältnisse" und der Kommission zu Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung" fällt auf, wie "so schnell wie möglich" als hübsche Floskel im Sondierungsbericht auftaucht. Es suggeriert eine Politik mit hoher Fahrgeschwindigkeit und ordentlichem Durchsetzungsvermögen – bis man weiterliest, was so schnell wie möglich passieren soll. So schnell wie möglich wird der Einsatz von Glyphosat beendet, so schnell wie möglich soll der Rückstand beim (aufgegebenen) Klimaziel 2020 aufgeholt werden, schnell sollen deutsche Behörden "gleichwertige Befugnisse" im Internet bekommen, wie sie diese in der Welt "außerhalb des Internets" haben. Als Neusprech vom Feinsten können wir ferner den Anker begrüßen, früher einmal vom Füllwort "Stabilitätsanker" her bekannt, wie in "Stabilitätsanker Angela Merkel". Das war einmal, jetzt wird der Anker ANkER geschrieben und steht für die "zentralen Aufnahme-, Entscheidungs- und Rückführungseinrichtungen", mit denen im Strom der Flüchtlinge das schlingernde Schiffchen Deutschland am rechten Ort verbleibt. Und was die Geschwindigkeit anbelangt: Andere kommentieren die Fahrt nun vom Rücksitz aus.

*** Wenn etwas wirklich schlingerte und krachte in dieser Woche, dann war das dieses Gottvertrauen in die Prozessoren, diese Anker, Schalter und Walter in der Informationstechnik. Sie sollten nicht spekulieren, sondern funktionieren, aber sie spekulieren eben doch, während sie da so auf einem von Leitungen durchzogenen Metallbrett sitzen. "Prozessoren sind in den vergangenen Jahren immer komplexer geworden, da die Fülle an Programmen stark zugenommen hat." So bleiben Fragen über Fragen und wenn dann frei nach Goethe genug Schrecken verbreitet ist, stellt sich die eingeleitete Hilfe vom Bundesamt für Sicherheit als übler Installationsversuch eines Trojaners auf einem "Endgerät" heraus. Die putzige Formulierung "Wir sind gem. der geltenden Gesetzeslage dazu verpflichtet, sie über diesen Umstand zu informieren" ist schönstem Bürokratendeutsch nachempfunden, aber halt, auch hier legt das Ergebnis der Sondierungen einen schützenden Arm um uns alle: " Die Zusammenarbeit von Bund und Ländern bei der Cyberabwehr soll ausgebaut, verbessert und strukturell neu geordnet werden." Strukturell wird alles gut und in den Rechenzentren, diesen blauen Grotten der Gegenwart, fassen die Admins sich an den Händen und schauen gemeinsam in eine traute Zukunft. "Der Computer. Unsere Lebenstäuschung", dieses Buch wird nie geschrieben werden. Versprochen.

*** Um ein Haar wäre die Sache aufgeflogen. Das US-amerikanische Repräsentantenhaus stimmte am Freitag mit 256:164 Stimmen für die Verlängerung von Absatz 702 des "FISA Amendment Acts", nachdem man dies Ende Dezember verschoben hatte. Die Überwachung beliebiger Ausländer darf 6 Jahre lang weiter mit vollem Einsatz von Datenschnorcheln fortgesetzt werden. Eigens zur neuen Abstimmung gab es hübsche neue Infografiken, die klar machen sollten, dass US-Amerikaner nicht überwacht werden, für den Rest der Welt aber unbeschränkte Mittel da sind, Daten zu speichern und zu verarbeiten. Ausgerechnet ein Tweet von US-Präsident Donald Trump erweckte vor der Abstimmung den Eindruck, dass er gegen die Überwachung sei. Hastig wurde eine Klarstellung hinterher geschickt, Twitter ist ja so praktisch. Was wirklich nach Absatz 702 passiert, wurde bekanntlich von Edward Snowden öffentlich gemacht und kann in dieser niederländischen Zusammenfassung studiert werden. Das Gesetzesvorhaben ist nun auf dem Weg in den Senat, der bereits seine Zustimmung signalisiert hat: Die NSA darf weiter ihre Datenstaubsauger betreiben. Der Hinweis auf die Niederlande hat einen Hintergrund: Dort soll das PRISM-Projekt der NSA dazu geführt haben, dass der Geheimdienst AIVD einen Hinweis bekam und einen terroristischen Anschlag verhindern konnte.

Was wird.

Bleiben wir bei Präsident Trump: schließlich hat er unter der Woche einen Erlass unterzeichnet, der den kommenden Montag zum Martin Luther King-Day proklamiert und als nationalen Feiertag installiert. Damit hat Trump einen Erlass des früheren US-Präsidenten Obama verlängert und den Feiertag auf einen Werktag gelegt.

Bekanntlich gehört zu einem ordentlichen Jahresauftakt ein ordentliches Weltwirtschaftsforum in den Schweizer Bergen. Dort, wo die Homini Davosiensi grübelnd darüber nachdenken, wie sie noch besser von der Globalisierung profitieren können, hat sich der Wysiwyg-Präsident Donald Trump kurzerhand selbst eingeladen.

Schließlich ist die Schweiz kein Drecksloch und hat mit dem Käsefondue sozusagen die Urform seines geliebten Cheeseburgers erfunden. In diesem Jahr lautet das Motto des WEF "Für eine gemeinsame Zukunft in einer zersplitterten Welt". Das ist nicht unbedingt kompatibel mit dem "America first" von Donald Trump. Aber egal ist egal, genau wie die Tatsache, dass Trump sich im Wahlkampf sehr abfällig über das Gipfeltreffen der Mächtigen geäußert hat. Auch die kundig von Bill Gates und Mark Zuckerberg zusammengestellte Leseliste für die WEF-Teilnehmer dürfte ein Trump ignorieren, der vom in der letzten Wochenschau erwähnten Bestseller Fire & Fury nur die angepeilte Bilderbuch-Version lesen dürfte.

Mit der von Zuckerberg empfohlenen Struktur wissenschaftlicher Revolutionen ist ein 56 Jahre altes Buch dabei, das sich mit den Denkstilen von Wissenschaftlern befasst. Hier fasziniert, dass basierend auf Ludwig Fleck sich auch ein Zuckerberg damit beschäftigt, ob ein persönlicheres Facebook so etwas wie ein Denkkollektiv sein könnte und es sich leisten kann, den rein digital erscheinenden Medien den Stinkefinger zu zeigen. So werden in vielen Redaktionen hektisch Anleitungen wie diese veröffentlicht, damit der digital verwöhnte Facebook-Nutzer seine gewohnte Informationsquelle wiederfinden kann. Keine Atempause, Geschichte wird gemacht.

Ja, das waren noch echte Gründer-Zeiten, als Zuckerberg vor 10 Jahren in Adiletten beim traditionellen Vor-Davos-Auftrieb namens Digital Life Design (DLD)von Hubert Burda in München auftrat, nett über sein deutsches Facebook plauderte und prompt zum wichtigsten Internet-Unternehmer gewählt wurde. Nun steht wieder einmal Davos an und damit auch die DLD-Konferenz. Das Motto ist diesmal "Reconquer" ein Aufruf zu mehr Aktivismus im Bussi-Netz. Vertrauen, Werte und Optimismus sollen die drei Inhaltsstoffe sein, die diese Reconquista ausmachen. Diese Rückeroberung birgt viele Geschäftsideen und Start-Ups, aber eben auch Sachen wie die Rückeroberung der Menschlichkeit. Davon sind wir noch himmelweit entfernt, wie Unter Beschuss von Richard Gutjahr in dieser Woche gezeigt hat. Die Dreckslöcher, das sind die Anderen.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. Über die besonderen Fähigkeiten der IT
Beitrag von: SiLæncer am 21 Januar, 2018, 06:00
Bei aller Liebe - man sollte Programmierer keine User-Interfaces entwickeln lassen. Manch andere Fähigkeit sollte sich unbegrenzt austoben dürfen, virtuelle Katastrophen sind meist noch leichter zu handeln als die der Natur, ist sich Hal Faber sicher.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Ja, das war schon eine glänzende Idee von mir, an dem Tag von Friederike mit einem Auto auf der norddeutschen Tiefebene unterwegs zu sein, so von Stau (Baumfällarbeiten) zu Stau (Baumfällerbeiten) zu Stau (Baum...) zu fahren und dabei die sich schüttelnden Bäume und Strommasten zu betrachten. Die Friedensfürstin hatte ganze Arbeit geleistet. Dabei hatte das derzeit in Davos anstehende Weltwirtschaftsforum seinen Global Risk Report veröffentlicht, in dem Wetterschäden durch den Klimawandel als das Risiko Nummer 1 bewertet werden, noch vor den Cyber-Attacken, die im letzten Bericht den Spitzenreiter stellten. Das böse Cybern und das gute Gegen-Cybern – oder andersrum, der Kopf ist ja rund – ist abgerutscht und sogar noch von dem Risiko überholt worden, das die Prognostiker als "Versagen nationaler Regierungen" umschreiben. Das kann Vieles sein, vom Brexit über Kim-Bumm bis zum Shutdown nach dem Zickzack-Zickzack des US-Präsidenten, der nun wohl nicht in Davos auftreten dürfte. Nicht zu vergessen natürlich die eigene Regierung, die Deutschland geschäftsführend regiert, während die Volksparteien verhandeln, wie sie das Volk eigentlich vertreten. Niemand weiß, was die SPD gerade hat, nur dass es irgendetwas im Endstadium ist, das ist allen klar. Natürlich sind auch die CDU und CSU am Ende, nur wissen sie das noch nicht.

*** An Sturmtagen wie diesen ist der Wunsch nach einer kleinen Cyber-Attacke auf die eine oder andere SCADA-Installation groß, einfach nur um eine etwas übersichtlichere Gefahr zu haben, der man mit tollem IT-Geschick trotzen kann. Bekanntlich gab es diese Woche ja einen Raketen-Fehlalarm, der angeblich durch ein unklar bezeichnetes Pull-Down-Menü provoziert wurde. Sollte damit der hier gezeigte Screenshot gemeint sein, dürfte die Unfähigkeit der IT größer sein als die Fähigkeit des dümmsten anzunehmenden Programmierers. Natürlich kann man von dieser für Hawaii entwickelten Warn-Lösung nicht auf andere schließen oder gar das Gegenteil annehmen, dass auch die Raketen-Angriffs- oder Abwehrlösung ähnlich schlecht gestrickt ist. Nun ist in dieser Woche auch das neue Buch des dienstältesten Whistleblowers Daniel Ellsberg über die Weltuntergangsmaschine der Nuklearmacht USA erschienen. Es erschüttert so manche Gewissheiten, die man über Atomkrieger pflegt, etwa die Vorstellung dass niemals eine einzige Person alleine in der Lage ist, eine Rakete freizugeben. Wenn die Exzerpte stimmen, wurde diese Sicherheitsmaßnahme überall ausgehebelt, immer mit dem Argument, dass der Kollege in der Schicht ja mal verhindert sein könnte. Nach derartigen Abstrusitäten kann man ganz ausgeruht auch die Diskussion mit Edward Teller über den begrenzten Nuklearkonflikt verfolgen, der manchen Forumsteilnehmer tief beeindruckte.

*** Doch zurück zu den IT-Geschicken. Seitdem kurz vor Weihnachten aufflog, dass das ganz besonders deutsche Anwaltspostfach private Zertifikatsschlüssel verteilte und deshalb vorerst für Anwälte unzugänglich ist, sorgt die ganz besondere Stümperei für Schlagzeilen, auch in dieser Woche. Dabei irritiert nicht nur die gesamte Konstruktion des Mailsystems und die Ignoranz, mit der die Anwälte die typisch deutsche, jedoch BSI-geprüfte De-Mail ablehnten. Noch ulkiger wird die Sache dadurch, dass die Juristen der Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) einen nicht zur Sicherheitsprüfung des Codes berechtigten Verein wie den Chaos Computer Club aussuchten, der die Sicherheit des Systems prüfen sollte. Daraus wurde dann nichts, weil der CCC die Geheimniskrämerei der Juristen nicht mitmachen wollte und obendrein keine IT-Gütesiegel vergibt. Der Irrsinn im Wortlaut: "Es war aber die BRAK, die mit dieser Idee an den CCC herangetreten ist. Entgegen anderslautenden Berichten in den Medien hat die BRAK also nicht eine vorgeschlagene Zusammenarbeit abgelehnt. Vielmehr hat die BRAK die Idee nicht weiterverfolgt, nachdem der CCC keine verbindliche Zusage dahingehend abgab, dass der BRAK die Testergebnisse vollumfänglich zur Verfügung gestellt werden." Man kann die kuriose Idee auch so beschreiben: Der CCC als lockerer Verein galaktischer IT-Lebewesen sollte wohl das Anwaltspostfach testen, die Ergebnisse aber für sich behalten und nur der BRAK mitteilen. Inzwischen ist auch den Anwälten die Idee gekommen, dass ein vom BSI zertifizierter Dienstleister den Auftrag übernehmen soll.

*** Ein paar Schnapsideen bleiben noch, etwa ein "beAthon", bei dem "institutionell nicht gebundene Experten" (gerne auch vom CCC) den Schlamassel begutachten sollen. Na, denn mal los, her mit dem Tschunk: Was wie ein lustiges Trinkspiel klingt, kann nur ein lustiges Trinkspiel sein. An den Kosten soll es nicht liegen: Die 58 Euro, die jeder Anwalt für beA zahlen muss, werden auch 2018 fällig. Die Frage bleibt, warum deutsche Anwälte das e-Filing nicht wie ihre Kollegen in den USA und GB durchführen können und eine angeblich "höhere" Sicherheit brauchen. Eine mögliche Antwort: Der Anwalt als solcher orientiert sich am Notar, gewissermaßen dem Anwalt+ So wird ein Schuh draus: Natürlich hat auch die Bundesnotarkammer ein Mailsystem mit einem lokal laufenden Webserver und Zertifikaten, allerdings von Thawte ausgestellt. Unter der IP-Nummer 127.0.0.1 meldet sich dann local-service.bnotk.de und wartet auf ein Lebenszeichen von der Notars-Signaturkarte. Das Notars-beA hat einen besonders schicken Akkreditierungsstempel. Wie wäre es mit einem "beAnotKhon", wenn der "beAthon" gelaufen ist?

*** Es gibt Juristen, die sich nicht mit beA beschäftigen, sondern bei anderen IT-Installationen und -Vorschlägen genauer hinschauen. Fredrik Roggan, früher Juror bei den Big Brother Awards und nun Professor für Strafrecht an der Polizei-Fachhochschule Brandenburg, hat sich das Volksbegehren für mehr Videoüberwachung in Berlin im Detail angesehen und in einem Gutachten für verfassungswidrig erklärt. Rechtlich bedenklich sei die Forderung, normale Gespräche mitzuschneiden, nur "um die Stimmung an einem Orte einzuschätzen", wie dies von der Initiative gefordert wird. Diese verdeckte anlassunabhängige akustische Überwachung von Räumen sei ebenso abzulehnen wie die verdeckte Aufzeichnung von 50 mobilen Kameras, die die Initiative des ehemaligen Justizsenators Thomas Heilmann (CDU) fordert. Das Volksbegehren für mehr Sicherheit in Berlin beruft sich natürlich auch auf den Sicherheitsbahnhof Südkreuz, wo die Bundespolizei mit der automatischen Gesichtserkennung experimentiert, derzeit aber sehr schweigsam geworden ist: Zum 16. Januar hätte sie Auskunft geben müssen, was diese Erkennungsrate von 70 Prozent eigentlich bedeutet. Sind ja nicht alle so wie die Kollegen bei der britischen Polizei in South Wales, die Videokameras und Gesichtserkennungssysteme in mobilen Fahrzeugen installierten und ihre Erfolge twittern.

Was wird.

Über 1000 Privatjets sollen sich zur Landung in Zürich angemeldet haben, weil am Dienstag das Weltwirtschaftsforum in Davos beginnt. Dringender war es für die WirtschaftsführerInnen wohl nie, sich IRL über die anstehenden Risiken zu informieren. Seit Freitag ist bekannt, dass die geschäftsführende Bundeskanzlerin dort kurz auftritt bei den Datenölhändlern. Doch Shutdown oder Showdown, Gro oder NoKo, das ist hier die Frage alles BRDseins. Auf die nur der große Barde eine Antwort hatte. Diese fiel auch noch ziemlich nüchtern aus, er dachte schließlich weiter als die sich an ihren Feudelstaat klammernden bekifften Königskinder. Shakespeare erkannte

Daß wir die Übel, die wir haben, lieber Ertragen als zu unbekannten fliehn. So macht Bewußtsein Feige aus uns allen;
Der angebornen Farbe der Entschließung Wird des Gedankens Blässe angekränkelt; Und Unternehmen, hochgezielt und wertvoll, Durch diese Rücksicht aus der Bahn gelenkt, Verlieren so der Handlung Namen.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. Vom Auffressen der Grundrechte
Beitrag von: SiLæncer am 28 Januar, 2018, 01:30
Es gibt Romane, die vergisst man sein Leben lang nicht, wenn sie in jungen Jahren Wege aufzeigten. Auch alberne Verfilmungen konnten den Zauber nicht auslöschen. Sich kaum an der Welt erfreuen zu können, dafür sorgen schon andere, bedauert Hal Faber.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Es ist passiert. Die "dritte Produktlinie" soll sich im Einsatz befinden. Das jedenfalls behauptet der Rechercheverbund von Süddeutscher Zeitung, NDR und WDR. Die ersten Staatstrojaner für die Quellen-TKÜ auf Smartphones sollen sich im Einsatz befinden. Details gibt es aus "ermittlungstaktischen Gründen" nicht, nur eine einfache Bestätigung durch das Bundeskriminalamt gegenüber den Rechercheuren. Stillschweigen auch zur Frage nach dem Betriebssystem des Smartphones. Auf irgendwelchen Unsicherheitsfunken wird also im Namen des Staates die Kommunikation von Whatsapp oder Whatsapp for Business über einen Staatstrojaner ausgeleitet und den Ermittlern zugespielt, die Gewährleistung der Vertraulichkeit informationstechnischer Systeme ausgehebelt. Einfacher gesagt: Der Staat frisst die Grundrechte auf. Zwar sind die erste Produktlinie und zweite Produktlinie, der Trojaner bzw. die Software RCIS 2.0 für PCs, Notebooks und Tablets, entgegen der vollmündigen Ankündigung noch in der Mache, doch mit dem heimlichen und beweissicheren Abfangen der Chats vor der Verschlüsselung oder nach der Entschlüsselung habe man einen großen Schritt nach vorne gemacht, freut man sich in Berlin und Wiesbaden.

*** Jetzt braucht man nicht mehr die Chats durch ein heimlich angemeldetes Smartphone mitzuhören, wie dies bei der Oldschool Society passierte, jetzt schickt man einfach einen Installationsbefehl auf die Reise. Mit richterlicher Genehmigung, natürlich. Wie das Programm funktioniert, muss der Richter ja nicht verstehen, er hat Vertrauen in die informationstechnische Überlegenheit der Kriminalisten. Vielleicht wird der Meilenstein Polizei2018 heißen, in Anlehnung an den großen IT-Brocken Polizei2020. Und schneller ist man außerdem fertig geworden, noch vor dem Hessentrojaner für den dortigen Verfassungsschutz, der sich mit tätiger Mithilfe der Grünen materialisieren soll! Schädigung der Grundrechte?. "Grün wirkt weiter"

*** Trump wirkt weiter. Der 45. Präsident der USA kam nach Davos, lobte sich selbst und trug maßgeschneiderte Hemden mit dem Monogramm 45. Mächtige Industriebosse durften brav aufstehen und in einfachen Worten sagen, wie toll sie die USA mit Trump finden. Der bizarre Stuhlkreis im Stil eines Kita-Elternabends wurde gegen ihren Willen gefilmt und dürfte für angeregte Diskussionen sorgen. Dort in den Bergen, wo Milliardäre Millionären erklären, was die Menschen "da draußen" wollen. Die Menschen, die unteren 50 Prozent mit 15.000 Euro Brutto-Jahreseinkommen stellen, nicht das eine Prozent, das ab 200.000 Euro Brutto beginnt. Leider nicht online im aktuellen Freitag sei dieses Zitat von Charlotte Bartels zur Einkommensentwicklung in Deutschland nachgereicht, das die Geschichte von Ihr da oben, wir da unten einmal anders erzählte. "Was ich aber spannend finde, ist, dass viele der Namen, die sich heute in der Liste der 1.001 reichsten Deutschen im Manager Magazin finden, auch schon 1913 in den Reichenlisten waren und offensichtlich über zei Weltkriege hinweg dort verblieben sind."

*** Abseits des Rummels gab es in Davos interessante Veranstaltungen etwa zur Gensequenzierungstechnologie CRISPR. In Ergänzung zur transhumanistisch verzückten Wochenschau vor einigen Wochen möchte ich ganz ungeniert Werbung für ein kleines Sonderheft über Transhumanismus und Militär machen, das parallel von Wissenschaft und Frieden sowie dem Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung herausgegeben wird. Hier kann man lesen, wie dank CRISPR Genom-Experimente im militärischen Kontext eingesetzt werden, abseits des Science-Fiction-Geschwafels vom Supersoldaten, der in den Labors gezüchtet wird. Unterdessen cybert es munter weiter, mit niederländischen Hackern, die per Videocam beobachten, was ihr russischer Fancy/Cosy-Bear-Gegenpart so treibt und dies dann den Amerikanern melden. Mit Amerikanern, die im beschaulichen Kansas dem Töten mit Drohnen nachgehen und mit Deutschen, die in aller Ahnungslosigkeit um ein vollständiges Lagebild ringen, wo offensichtlich keine Satellitenaufklärung möglich ist.

*** Ihr Science-Fiction-Roman "Das Wort für Welt ist Wald" inspirierte James Camaron zum Film Avatar und wurde beim Erscheinen im Jahr 1976 zu einem "Drehbuch" der Umweltbewegung. Mit der linken Hand der Dunkelheit beschrieb sie eine Gesellschaft jenseits der Geschlechtergrenzen und mit der Erdsee-Saga lieferte sie den Prototypen einer Zauberschule im Stil von Hogwarts ab. In dieser Woche wurde bekannt, dass Ursula Le Guin im Alter von 88 Jahren gestorben ist. Die größte Science-Fiction-Autorin und Feministin sollte auch als große Kritikerin von Trump in Erinnerung bleiben. Die Zukunft der allseitigen Kommunikation gehört ihr sowieso.

"Can we in fact know it? Can we ever understand it? It will be immensely difficult. That is clear. But we should not despair. Remember that so late as the mid-twentieth century, most scientists, and many artists, did not believe that Dolphin would ever be comprehensible to the human brain [ or worth comprehending! Let another century pass, and we may seem equally laughable. 'Do you realise,' the phytolinguist will say to the aesthetic critic, 'that they couldn't even read Eggplant?' And they will smile at our ignorance, as they pick up their rucksacks and hike on up to read the newly deciphered lyrics of the lichen on the north face of Pike's Peak.
And with them, or after them, may there not come that even bolder adventurer – the first geolinguist, who, ignoring the delicate, transient lyrics of the lichen, will read beneath it the still less communicative, still more passive, wholly atemporal, cold, volcanic poetry of the rocks: each one a word spoken, how long ago, by the earth itself, in the immense solitude, the immenser community, of space." (The Compass Rose)

Was wird.

Lust auf etwas Mathematik? Wie wäre es mit dieser Aufgabe aus dem Alltagsleben? Sie fußt auf dem, was über die Gesichtserkennung am Sicherheitsbahnhof Südkreuz bekannt geworden ist. Da sie auf Twitter die Runde machte, sind auch die Lösungen längst bekannt. Nimmt man noch hinzu, dass a.) wahrscheinlich weniger als 4 Terroristen am Südkreuz auftauchen und diese auch noch b.) wahrscheinlich unkooperativ versuchen werden, der Gesichtserkennung auszuweichen, sinkt die Rate noch unter 0,003 Prozent. In einigen meiner Wochenschauen war bereits davon die Rede, dass hinter der Gesichtserkennung die künstliche Intelligenz mit ihrem Deep Learning steht und Systeme wie das von Baidu in China ganz erstaunliche Ergebnisse produzieren.

Nur hat das wenig mit dem zu tun, was am Südkreuz passiert und was als toller Beitrag zur allgemeinen Sicherheit gewertet wird. Wir haben einen geschäftsführenden Innenminister, der sich historische Gelassenheit wünscht und ein Volk von Stehaufmännchen, das resilient wackelt und weitermacht. Gleichzeitig fördert er Projekte wie die Gesichtserkennung und erklärt:"Und nach Einführung dann einer solchen gesetzlichen Grundlage möchte ich das gerne – wenn die Ergebnisse positiv sind – flächendeckend einführen. Mindestens im Bereich des Bundesinnenministeriums, also bei Bahnhöfen und Flughäfen. Ich bin aber auch gerne bereit, mit den Ländern zu sprechen, ob sie bereit sind, dann diese Systeme für ihren öffentlichen Personennahverkehr, Bussysteme und anderes zu verwenden."

Derzeit werden bekanntlich in großer Eile die Fertigbauteile zur nächsten großen Koalition zusammen getackert. Das bringt es mit sich, dass auf dem anstehenden europäischen Polizeikongress noch kein neuer oder alter Innenminister die Sicherheitsdebatten eröffnet.

Das ist wirklich schade, denn die Gesichtserkennung steht unter Rubriken wie "Intelligente Videoanalyse" oder "Videoüberwachung" oder "Biometrie als Dreh- und Angelpunkt für Europas neue und interoperable Sicherheitsstruktur" ganz oben auf der Tagesordnung des Kongresses. Viele Firmen wollen ihre Technik präsentieren, denn der Kongress ist auch eine Verkaufsmesse. Mit der analytischen Präzision von Deep Learning geht es in Berlin auf Kundenfang.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was wird. Germanistan ist noch nicht soweit
Beitrag von: SiLæncer am 04 Februar, 2018, 01:01
Die zentralen Probleme für die Zukunft Deutschlands, die eine neue Regierung zu lösen hat? Wer kommt drauf? Fragt sich Hal Faber, und weiß die Antwort(en). Leider.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Nein, welch ein Illtum! Der letzte Woche erwähnte Bundestrojaner ist zwar "frei" gegeben worden, aber noch gar nicht im Einsatz. Das hat ein Redakteur der Welt herausgefunden und berichtet und gleich hinzugefügt, dass der mobile Knacker der Quellen-TKÜ ein Qualitätsprodukt von Finfisher sein soll. Die Firma, die nach dem Surveillance Index so vertrauenswürdige Regimes wie Kasachstan und Turkmenistan auf ihrer Kundenliste hat, ist auch in Germanistan zum Zuge gekommen. Das Innenministerium hat am 10. Januar dem Bundeskriminalamt erlaubt, die mobile Schnüffelsoftware einzusetzen. Nun liegt anscheinend kein dringender Bedarf vor, diese Software schnellstmöglich einzusetzen, von der es schon einmal geheißen hat, dass jeder Tag ohne diese Überwachungssoftware ein Malus für unser aller Sicherheit sei.

*** Wer nun die Erlaubnis gegeben hat, ist unbekannt, es ist ja eine große Behörde mit vielen Sourcecode-Spezialisten und dann noch den Gutachtern von CSC, die die einsatzfreie FinSpy-Software daraufhin beurteilen können, ob sie rechtskonform ist und nicht etwa Screenshots speichert, wo es nur um WhatsApp geht. Wie sagte es einmal Franz Kafka: "Es ist ein Arbeitsgrundsatz der Behörde, daß mit Fehlermöglichkeiten überhaupt nicht gerechnet wird. Dieser Grundsatz ist berechtigt durch die vorzügliche Organisation des Ganzen, und er ist notwendig, wenn äußerste Schnelligkeit der Erledigung erreicht werden soll." Bei der Firma Eset hat nun ein gewisser Filip Kafka analysiert, wie die eCrime-Software von Finfisher trickst und täuscht, damit sie nicht erkannt wird. Bleibt nur noch die Frage, wie teuer die neue Schnüffelsoftware ist. Im Jahre 2013 kostete eine Vorgängerversion schlappe 150.000 Euro.

*** In dieser Woche hat Reporter ohne Grenzen zusammen mit anderen Journalistenverbänden wie der dju in ver.di im Namen von ausländischen Journalisten Klage gegen die Überwachung durch den BND erhoben. No trust, no news ist der Slogan der Verfassungsbeschwerde zum BND-Gesetz. Dass parallel zu dieser Aktion der BND begonnen haben soll, Journalisten anzurufen, ist natürlich nur ein Scherz irgendwelcher Komiker: Der Bundesnachrichtendienst telefoniert grundsätzlich nur mit ausgeschalteter Rufnummernanzeige. Spione beherrschen nun einmal ihr Handwerk, ob nun unter falschen oder echten Palmen. Das es bei so hoch qualifizierten Fachleuten für die Arbeit mit Selektoren und Kabeln zu Doppeljobs kommen kann, ist nur natürlich. Ein BND-Mitarbeiter, der gleichzeitig stellvertretender Chef der IT-Sicherheit beim Springer-Verlag ist, ist doch eine schöne Tarnung.

*** Ahnungslos ist die Haselnuss: Ich hätte mein letztes Hemd und das Unterhemd dazu darauf verwettet, dass die Blockchain es zum Anglizismus des Jahres schafft. Jeder Unsinn wird heute als Blockchain neu abgefüllt, von der Blockchain-Datenbank für Gesundheitsdaten bis zur neuen Nachhaltigkeit der globalen Ökonomie. Dazu kommen Erklärungen der Blockchain, die der blanker Unsinn sind. (Aufklärung bietet der Kollege Torsten Kleinz in seinem, nunja, Blockbeitrag.) Aber nein, der Influencer ist in der Welt abseits der IT und der Digitalisierung ungleich wichtiger. Influencer sind Leute, die eine Tafel Schokolade wie ein Alien behandeln und Mitglied einer Kuh-Munity sind. Insgesamt erscheint das genauso bescheuert wie Blockchain, nur mit Bildern.

*** Yo Memo, das "Memo to end all Memos" ist draußen (PDF-Datei der US-Regierung) und in den Vereinigten Staaten geht es lustig zu, nicht nur unter dem Hashtags YoMemoJokes. "Worte sind Schall und Rauch", schreibt der von Trump höchstselbst geholte FBI-Chef Wray und verteidigt seine Mitarbeiter, während die Aussagen des Memos bewertet werden. Da passt das Schall und Rauch unserer Verschwörungstheoretiker ja bestens. Solange das Gegen-Memo der Demokraten von der republikanischen Mehrheit blockiert ist, wird im Kaffeesatz gelesen oder in Eingeweiden gestochert. Nun diskutiert die einstmals mächtige USA über ein Papier, das sich liest wie ein Artikel aus Praline oder Bento, aber jeweils alle 90 Tage herhalten musste, um vor vier Richtern die andauernde Überwachung des US-Amerikaners Carter Page genehmigt zu bekommen. Nun ja, leere Eimer machen schon immer den lautesten Krach. Unterdessen spielt Präsident Trump wieder einmal Golf, auf Plätzen, auf denen seine Bälle mitten im Fairway liegen. Der Lackmus-Test der amerikanischen Demokratie hat begonnen.

Was wird

Unterdessen schwächelt sich die große Koalition ihrer Konstituierung als Regierung entgegen. In der anstehenden letzten Verhandlungsrunde, in der es ab Montag eigentlich endlich um die Posten gehen soll, sind noch Fragen bei der IT-Sicherheit zu klären. Auf dem Tisch liegt auf einem Zettelchen die Forderung herum, das BSI aus der Aufsicht des Innenministeriums zu lösen, wo man Software wie FinSpy freigibt und die Schnüffelsoftware-Entwicklungsbehörde ZITiS aufbaut. Irgendwie soll die Rolle des BSI unabhängiger werden, damit die Behörde neben der Arbeit als nationaler Zertifizierungssstelle auch diesen "nationalen Pakt für Cybersicherheit" beaufsichtigen kann, der auf einem weiteren Zettelchen aufgeschrieben wurde. Dann wäre da noch dieser komische, seit zwei Jahren immer wieder verschobene "Digitalpakt #D" des Bildungsministeriums, der braucht ja auch einen Anker, der sich darum kümmert, wo die 3,5 Milliarden Euro noch in dieser Legislaturperiode versickern können. Aber an Wochen wie diesen steckt man vielleicht lieber all das Geld in die Bekämpfung der Wölfe, die Kinder an Bushaltestellen anknurren. Das ist dann ja auch eine Art Bildungspolitik wie der Klassenchat mit WhatsApp.

In der nächsten Woche richten sich die Blicke nicht nur auf SPD, CDU und CSU. Auch Großbritannien hat etwas zu bieten. Nein, nicht der Brexit ist gemeint, sondern zwei höchst unterschiedliche Exits. Am Montag um 11:15 wird in der Berufungsverhandlung von Lauri Love der oberste Richter Großbritanniens, Ian Burnett, darüber entscheiden müssen, ob die von den USA gewünschte Auslieferung von Lauri Love durchgesetzt wird oder das Risiko zu groß ist, dass sich der junge Mann in US-Haft das Leben nehmen könnte. Mit dem Hinweis auf Loves Asperger-Syndrom haben Gutachter vor diesem Risiko gewarnt.

Am Dienstag um 14:00 will Richterin Emma Arbuthnot entscheiden, ob der internationale Haftbefehl, vor dessen Vollzug Julian Assange nach drei verlorenen Gerichtsverfahren in die Botschaft von Ecuador geflohen ist, noch gültig ist. Die sofortige Aufhebung des einstmals von Schweden ausgestellten Haftbefehls hatten Assanges Anwälte beantragt. Das kollidierte jedoch mit den Behauptungen, es gäbe ein geheimes Auslieferungsersuchen der USA und dem Antrag der Staatsanwaltschaft, die Flucht in die Botschaft als Bruch der Kautions- und Meldeauflagen zu werten. Ganz nebenbei gibt es ein vertracktes diplomatenrechtliches Problem zu lösen.

Ach, trösten wir uns mit der Kunst von Hélène Grimaud. Die konnte nicht nur mit Wölfen umgehen, sondern auch mit einem der deutschesten aller deutschen Komponisten. Und einem der modernsten unter den der Romantik zugeordneten Musikschaffenden. Trösten wir uns also, in dem wir einer Frau zuhören, die besser mit Wölfen umgehen kann als unsere Großkoalitionäre, und mit einem Komponisten, der die Moderne seiner Zeit besser verstand als diese Großkoalitionäre die ihre.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Über disruptive Innovationen und andere Meuchelein
Beitrag von: SiLæncer am 11 Februar, 2018, 06:44
Endlich! Jahrzehnte haben SF-Autoren das fliegende Auto herbeigeschrieben, nun ist es da! Leider parkt es etwas weiter weg, bedauert Hal Faber. Disruption, ja, die geht manchmal halt ihre eigenen Wege. Merkt man auch bei der SPD. Aber nicht in der GroKo.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Das ich das noch erleben darf! Gefühlte 100 Jahre oder geschlagene 7577 Zeilen im neuen Koaltionsvertrag von CDU/CSU und der Sozialdemokratischen Parodie Deutschlands hat es gebraucht, bis dieser Passus in die Welt kommen konnte: "Zur Sicherstellung technologischer Innovationsführerschaft werden wir unter Federführung des Bundesministerium der Verteidigung und des Bundesministerium des Innern eine 'Agentur für Disruptive Innovationen in der Cybersicherheit und Schlüsseltechnologien' (ADIC) sowie einen IT-Sicherheitsfonds zum Schutz sicherheitsrelevanter Schlüsseltechnologien einrichten."

Im letzten Koalitionsvertrag schwärmte die aktuell noch die Geschäfte führende Vorgängerregierung von der "digitalen Souverantität Deutschlands", ohne eine einzige Angabe zu machen, wie diese digitale Souveranität definiert werden kann und wer sie denn sicherstellen soll. Derweil investierte China geräuschlos in Kuka, während der letzte deutsche Netz-Hardware-Lieferant Lancom nur durch ein Investment von Rohde & Schwarz ein deutsches Unternehmen blieb. Jetzt ist es raus: ADIC wird das Ding schaukeln, eine Agentur für Disruptive Innovationen in Cybercybercyber. Seite an Seite mit ZITIS und GTAZ plus wird Deutschland so am Digikusch verteidigt.

*** Nun, treue Heise-Leser wissen natürlich, was so eine disruptive Innovation ist, die liebend gerne mit dem Übergang vom Pferd zum Auto erklärt wird. Bis zum Jahre 1910 mussten jährlich 10.000 tote Pferde von den Straßen von New York City entfernt werden und so geriet der Job der Pferdeleichenwegschaffer in die Krise, als das Auto die Oberhand gewann. Hinzu kam, dass der Rennstallbesitzer John Daniel Hertz seine Taxen gelb anstreichen ließ, als er im großen Stil ins Taxengeschäft einstieg. Angeblich scheuten Pferde vor der Farbe gelb, die sie gut sehen können und wichen so den teuren Taxen aus, was kurzfristig den Job des Pferdeleichenwegschaffers sogar verlängerte: Disruptive Innovationen sind halt eine knifflige Sache.

*** Apropos Autos. Schon der große Henry Ford prognostizierte im Jahre 1928, dass eines Tages Autos fliegen können werden. 1956 kam dann das Aerocar von Moulton Taylor heraus, verkaufte sich aber nicht sonderlich gut. Dafür waren fliegende Autos in den großen Werken der "harten Science Fiction" der 60er Jahre bald der Standard, gefolgt vom Moller Skycar. Der verkaufte sich überhaupt nicht. Hier musste die disruptive Innovation der technologischen Evolution unter die Arme greifen und pardauz, wir haben es geschafft! Seit letzter Woche haben wir das fliegende Auto! Es parkt nur woanders. Das hätte auch einer künftigen Bundesagentur für Schlüsseltechnologien unter dem Vorsitz der bekannten Allzweckdisruptiererin und Internetbotschafterin Gesche Joost passieren können.

*** Zurück zu der tollen ADIC. Sicherheitsrelevante Schlüsseltechnologien sind die, die "für mehr Sicherheit im Cyberraum" sorgen und die, mit denen eine "moderne, digitale Verwaltung" für mehr Bürgernähe sorgt. Es wird ein harter kampf werden, aber hey, der Sieg ist in Sichtweite (Zeile 1988): "Wir werden sicherheitsrelevante Schlüsseltechnologien besser vor einem Ausverkauf oder einer Übernahme schützen und die nationalen und europäischen Außenwirtschaftsinstrumente ergänzen." Das ist doch eine Ansage an diese Ausländer. Hände weg vom elektronischen Personalausweis, denn er "wird zu einem universellen, sicheren und mobil einsetzbaren Authentifizierungsmedium". Da flutscht dann alles ganz geschmeidig wie bei dem Antrag auf Auskunft aus dem Gewerbezentralregister. Mehrfach hat auch diese kleine Wochenschau von der neuen Behörde ZITiS berichtet, die nicht im Koalitionsvertrag erwähnt wird, aber Mittel und Wege erforschen soll "kryptierte Kommunikation" wieder lesbar zu machen. Gibt es Entwarnung? Wer immer diesen Passus eingebracht hat, sie oder er hatte Humor, nach dem Authentifizierungsmedium nPA das Thema Identifizierung so auf die Tagesordnung zu setzen: "Wir wollen einfache und sichere Lösungen für die elektronische Identifizierung und Ende-zu-Ende-Verschlüsselung für jedermann verfügbar machen und es den Bürgerinnen und Bürgern ermöglichen, verschlüsselt mit der Verwaltung über gängige Standards zu kommunizieren (PGP/SMIME)." Tschüss De-Mail, war nett mit dir.

*** Es begann mit einem Mord: "Der Tathergang wird in diesen Tagen minutiös geplant. Der andere soll stolpern, ohne dass ein Stoß erkennbar ist. Er soll am Boden aufschlagen, scheinbar ohne Fremdeinwirkung. Wenn kein Zucken der Gesichtszüge mehr erkennbar ist, will Schulz den Tod des Freundes aus Goslar erst feststellen und dann beklagen", schrieb die deutsche Edelfeder Gabor Steingart am Mittwoch über Martin Schulz. Am Donnerstag legte eben dieser "Freund aus Goslar", Siggy "Pop" Gabriel, gekonnt nach, immer nach der alten Weisheit "Kindermund tut etwas kund, was niemand uns beweisen kummt". Der ehemalige "Beauftragte für Popkultur und Popdiskurs der SPD" hatte ein 6 Jahre altes Töchterchen parat, das sagte: "Du musst nicht traurig sein, Papa, jetzt hast du doch mehr Zeit mit uns. Das ist doch besser als mit dem Mann mit den Haaren im Gesicht." Damit soll Martin Schulz gemeint sein und nicht Karl Marx, August Bebel, Karl Kautsky und Eduard Bernstein, deren Portraits in der guten Stube jedes Sozialdemokraten hängen.

*** An dieser Stelle bekenne auch ich mich schuldig, anlässlich seiner Initiative für eine digitale Grundrechtecharta über Martin Schulz hergefallen zu sein. Als dieser auf dem Schirrmacher-Symposium ein paar krause Gedanken über die Pflicht von staatlichen Stellen und Informationsdiensten vortrug, gegen Mobbing und digitale Hetze vorzugehen. Daraus wurde später das umstrittene Netzdurchsetzungsgesetz. Nun hat es genau diese Charta als eigenständiger Schulz-Beitrag in den künftigen Koalitionsvertrag gebracht, wenn es ab Zeile 2230 heißt: "Um den Grundrechteschutz auch im digitalen Zeitalter sicherzustellen, begleitet die Bundesregierung das Projekt einer europäischen digitalen Grundrechtecharta. Durch diese Charta sollen die Chancen und Risiken der Digitalisierung zu einem gerechten Ausgleich gebracht werden." Wie immer auch Chancen und Risiken gerecht ausgeglichen werden können, dies wird wohl ein unerfülltes Versprechen bleiben, wenn Martin Schulz und Sigmar Gabriel Seit an Seit von der Bühne schreiten. Bis zur nächsten Wahl hat der "Tanker" Zeit für eine disruptive Innovation oder für eine letzte Fahrt als Totenschiff. Wobei – für den Rest der potenziellen Groko gilt das wohl auch. Und für einige andere ebenfalls.

*** Eugen Gomringer hätte seine Freude an diesem Gedicht zum neuen Heimat- und Innenminister Horst Seehofer. Heimat und Inneres und Bauen und ein Horst, der alles wieder aufpolieren will: die Heimat, das Bauen und das Innere. Unter Seehofer soll das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik ausgebaut, aber nicht in die Unabhängigkeit entlassen werden. Ein letzter echter de Maizière weht durch den Koalitionsvertrag, wenn es heißt: "Die Sicherheitsbehörden brauchen gleichwertige Befugnisse im Umgang mit dem Internet wie außerhalb des Internets. Das bedeutet im Einzelnen: Es darf für die Befugnisse der Polizei zu Eingriffen in das Fernmeldegeheimnis zum Schutz der Bevölkerung keinen Unterschied machen, ob die Nutzer sich zur Kommunikation der klassischen Telefonie oder klassischer SMS bedienen oder ob sie auf internetbasierte Messenger-Dienste ausweichen." Signal, Threema oder Telegram, hier stößt die anderswo gelobte Ende-zu-Ende-Verschlüsselungen an die Grenzen unser schönen Heimat, auch wenn das Justizministerium mit Rat und Tat beim Verschlüsseln dabei ist. Da ist ein horstischer Knoten, den es zu zerschlagen gilt. Mit dabei: der umfassende Ausbau des Verfassungsschutzes mit operativer Technik zum Mithören gegen all die Vermummschlüsseler. "Aufgrund des ständigen technischen Fortschrittes und des damit einhergehenden personellen und finanziellen Ressourceneinsatzes soll das BfV als zentrale Servicedienststelle für den Einsatz operativer Technik im Verbund gestärkt werden."

Was wird.

Am kommenden Mittwoch erscheint ein unscheinbares Buch, Wir sind ja nicht nur zum Spass hier von Deniz Yücel. An diesem Tag vor einem Jahr wurde der deutsch-türkische Journalist der Welt in Istanbul unter dem Vorwurf der Terrorproaganda und Volksverhetzung festgenommen. Seit einem Jahr sitzt er in der Untersuchungshaft, eine Anklageschrift lässt auf sich warten, auch deutsche Außenminister haben keine Zeit, ihre Tochter zu befragen, was mit diesem Mann mit den Haaren im Gesicht da passieren soll. So sitzt Deniz fest und schreibt, mit Gabel und Konservensoße oder mit einem Stift in den "Kleinen Prinzen". Alle ermuntern ihn, das aufzuschreiben, was er erlebt, ganz nach dem großen Satz "Du bist für Deine Rose verantwortlich". Den sagte keine Politiker-Tochter, Politiker-Schwester oder dem Politiker sein Hund, sondern ein Fuchs."Ich bin für meine Rose verantwortlich", wiederholte der kleine Prinz, um sich auch dies einzuprägen.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. #Free them all
Beitrag von: SiLæncer am 18 Februar, 2018, 07:00
Künftige Kriege gehen nicht um natürliche Ressourcen (1. Iteration) oder Industrieanlagen (2. Iteration). Sie gehen um Daten, meinen Militärexperten. Erstmal wird um Menschen und deren Freiheit gekämpft, um unser aller Freiheit willen, hält Hal Faber fest

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Deniz Yücel ist frei. Der deutsche Journalist und Satiriker, der in deutscher Sprache schreibt und seine deutsche Heimat Flörsheim liebt, ist nach einem Jahr Haft aus dem türkischen Gefängnis entlassen worden, nachdem ihm die Anklageschrift mit der Androhung von 18 Jahren Haft zugestellt wurde, und ist dann in einem vom Springer-Verlag gecharterten Flieger nach Berlin gebracht worden. Anders als die deutsche Journalistin Mesale Tolu durfte Yücel das Land verlassen. Deniz Yücel ist also frei und auf allen Titelseiten der großen Zeitungen. Deniz Yücel ist nicht so frei, dass er nach Istanbul zurück reisen und dort wieder als Korrespondent der "Welt" arbeiten kann. Die Freiheit der Pressearbeit haben neben Deniz Yücel derzeit 153 Journalisten eingebüßt, die in türkischen Gefängnissen sitzen. Sie werden als Geiseln gefangen gehalten, demit über Präsident Erdogan nur Gutes berichtet wird. Sie sind die Scherenhebel für die Zensur im Kopf der türkischen Medien – und der ausländischen Korrespondenten, die noch aus der Türkei berichten. Zeitgleich mit der Entlassung von Yücel wurden Ahmet Altan, Mehmet Altan und Nazli Ilicak zu lebenslanger Haft verurteilt. Sie werden unserem Außenminister Sigmar Gabriel herzlich egal sein, der um seinen Posten kämpft. Welche Gegenleistungen für Yücel im Spiel waren, ist derzeit noch nicht bekannt. Die Sache hat einen bitteren Beigeschmack. Von der Dysgeusie geht es schnurstracks in die Dystopie mit einem NATO-Mitgliedsstaat, der eine osmanische Ohrfeige austeilen will.

*** Einen üblen, faulen Beigeschmack hat die Springer-Geschichte über den Juso-Vorsitzenden Kevin Kühnert, der angeblich mit einem Juri aus Sankt Petersburg per E-Mail über eine NoGroKo-Aktion verhandelt haben soll. Als Beweis dienen E-Mails, die von einer Adresse @jusos.de verschickt wurden. Sie gibt es wirklich, obwohl Kühnert wie alle SPD-Politiker und Politikerinnen über eine @spd.de-Adresse verfügt und diese nutzt. Jusos-Adressen sollen reine Weiterleitungssysteme sein, was deshalb Sinn macht, weil jedes SPD-Mitglied unter 36 Jahren automatisch Mitglied der Jusos ist. So können sie prompt als junge Massenorganisation gefeiert werden, obwohl längst nicht alle Jungmitglieder politisch aktiv sind. Die schwächelnde Partei ist ein Scheinriese, da hilft auch der schönste Rucksack Kühnerts oder ein autorisiertes handzahmes Interview nicht viel. Um so fauliger die Boulevard-Geschichte. Für das gehobene Bürgertum, das sich nicht für die Feinheiten von Mail-Adressen interessiert, hat man ja noch die Geschichte mit dem Stinkefinger.

*** Digitalisate haben es faustdick hinter den Eselsohren. Da kaufte die bayerische Staatsbibliothek zu München einen Druck der Waldseemüller-Globenfragmente ein, jener berühmten Globenvorlage, auf der ganz oben erstmals America als Kontinent verzeichnet ist. Beim Ankauf sprach die Deutsche Kulturstiftung der Länder von einem Taufzeugnis Amerikas aus Deutschland. Nachdem ein weiterer Druck dieser Globensegmente auf einer Auktion verkauft werden sollte und Experten Zweifel hegten, wurden durch das Digitalisat dieser Fälschung auch in München Zweifel laut. Titan in der Druckfarbe, das geht ja gar nicht. Auch dieses Bild der "Neuen Welt" ist hinfällig, ganz passend zu einer Zeit, in der wir uns neu orientieren müssen, wie Bruno Latour anmerkt. Zwar ist das Klimaziel 2020 im Weiterwurstelvertrag der Großen Koalition verschwunden und durch verschiedene Bekenntnisse zu einem umfangreichen Klimaschutz ersetzt worden, doch wird die Auseinandersetzung mit dem Klimawandel in den nächsten hundert Jahren eine zentrale Rolle in der Politik spielen. Das betrifft zahlreiche Aspekte von der Dieselschulddebatte über den Roboterbau bis zu den Auguren der künstlichen Intelligenz, gepriesen durch Eric Schmidt. Was passiert eigentlich, wenn beim Spiel Mensch gegen Computer der Energieaufwand in die Ver-Gleichung eingepreist wird?

*** Bleiben wir in München, wo auf der Sicherheitskonferenz über die kommenden Kriege spekuliert und nach einem Recht im Cyberspace gerufen wird, wenn dort ordentlich attribuierte Krieger auftauchen. Für den Meatspace gibt es allerhand hübsche Pläne, wie schnell verfügbare Kampftruppen eingesetzt werden können. Doch um was wird gekämpft, wie um die Ölfelder im Irak? Wie die Kriege und Konflikte kommender Zeiten aussehen werden, hat der Militärgeschichtler Yuvai Noah Harari für die Münchener Sicherheitsspezialisten so skizziert: "Während in der Antike politische Kämpfe sich auf die Kontrolle von Land konzentrierten und in der Neuzeit politische Kämpfe sich auf die Kontrolle von Industriemaschinen konzentrierten, werden sich politische Kämpfe im 21. Jahrhundert um die Kontrolle der Daten drehen. Aber der Kampf wird nicht zwischen Menschen und Computern liegen. Vielmehr könnten Konflikte zwischen einer kleinen Elite, welche die Algorithmen und Datenbanken besitzt, und der Mehrheit der Menschen ausbrechen, die wirtschaftlich wertlos und politisch machtlos werden könnten." Der Autor, der davon überzeugt ist, dass wir spätestens 2050 unsere Smartphones in unsere Körper integriert haben werden, kann sich bewaffnete Konflikte vorstellen, die sich über das Eigentum an Daten abspielen, wenn die Daten am eigenen Körper von anderen entwendet werden. Dagegen steht nach Steven Pinker die Vernunft und die Wissenschaft, beide etwas aus der Mode gekommen.

Was wird.

Zweimal in kurzem Abstand hintereinander ist Wikileaks-Gründer Julian Assange vor einem britischen Gericht mit dem Versuch gescheitert, aus "Gründen des öffentlichen Interesses" einen Haftbefehl aussetzen zu lassen, der besteht, seitdem er britische Meldeauflagen ignorierte und in die Botschaft von Ecuador floh. Die Richterin beschied ihm in dieser Woche, er möge doch selbst vor Gericht erscheinen, um die Frage zu klären. Nach diesen Niederlagen veröffentlichte The Intercept eine Geschichte über den ruppigen Umgangston in enem internen Chat-Forum von Wikileaks. Nun ist ein Hauen und Stechen ausgebrochen, denn für Assange und sein Wikileaks ist der Feind klar auszumachen. Im Dezember gab es nicht nur die Stellungnahme der Wau-Holland-Stiftung zur Finanzierung von Wikileaks, sondern auch die Ankündigung der Freedom of the Press Foundation, nicht länger als Spendenagentur für Wikileaks aufzutreten, weil es keine Wikileaks-Zahlungsblockaden in den USA mehr gibt.

Tatsächlich startete diese Organisation einstmals als Spendensammelseite für Projekte wie Wikileaks oder MuckRock, in etwa das Gegenstück zu Frag den Staat. Inzwischen sammelt man Geld für Projekte wie Signal oder Haven, mit denen sich Whistleblower und Journalisten vor der Überwachung schützen können. Ein Großteil der Spenden der Freedom of the Press Foundation stammen von Pierre Omidyar, der auch das Angebot von The Intercept finanziert. Ist es ein Kampf um Daten?

Für die Woche jedenfalls hat Wikileaks "tabula rasa" angekündigt und via Pastebin einen ersten Text veröffentlicht, in dem Assange sich zusammen mit dem verstorbenen John Perry Barlow zum Gründer der Organisation stilisiert. Ein leerer Tisch kann auch schön sein.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. Wie das leere Schaugepräng erblasst.
Beitrag von: SiLæncer am 25 Februar, 2018, 08:30
Bretter, die die Welt bedeuten. Ja doch: Mancher, der sich in die Öffentlichkeit wagt, kommt darin um, oder blamiert sich wenigstens, so gut er kann. Der Worte sind genug gewechselt? Kann eigentlich nie sein. Außer, man macht Theater, meint Hal Faber.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Das Fest ist jetzt zu Ende.
Unsere Spieler, wie ich euch sagte, waren Geister
Und sind aufgelöst in Luft, in dünne Luft.
Wie dieses Scheines lockrer Bau
So werden die wolkenhohen Türme, die Paläste,
Die hehren Tempel, selbst der große Ball.
Ja, was daran nur Teil hat, untergehn,
Und, wie dieses leere Schaugepräng' erblasst,
Spurlos verschwinden.

*** Landauf, landab fährt Kevin Kühnert, der Juso-Vorsitzende durch das Land und spricht in rappelvollen Hallen gegen den Eintritt seiner SPD in eine Regierungskoalition mit CDU und CSU. In der letzten Wochenschau schrieb ich dazu, dass es einen üblen, faulen Beigeschmack hat, wie ein Boulevardblatt (whose name may not be mentioned) eine Geschichte darüber veröffentlichte, dass dem Kevin ein Juri aus St. Petersburg helfen wollte. Inzwischen hat die Geschichte eine andere Wendung genommen und geht als #miomiogate in die Meme-Halle des Internet ein. Der oberste Journalist dieses Boulevardblattes wurde vom endgültigen Satiremagazin Deutschlands hereingelegt und hievte auf eigener Verantwortung die "Gewichtung" der faulen Nachricht als Schlagzeile ganz nach oben in den Rang einer Sensation, nicht ohne sofort zurückzuschlagen. Aus der Tatsache, dass der für den Coup verantwortliche Redakteur bei "Russia Today" eingeblendet wird, wird prompt die Zusammenarbeit mit der Propaganda-Abteilung eines Regimes, das an der Zersetzung freier Medien arbeitet: Fehler machen immer die anderen, die sich auch noch einem "Siegesrausch" hingeben. Diese Art des Blaming hat natürlich Tradition in der Gazette von Format.

***Ich bin gereizt, Herr: habt
Geduld mit mir; mein alter Kopf ist schwindlicht.

*** Nun gibt es landauf, landab Diskussionen, wie raffiniert die ganze Geschichte oder ob sie einfach zu erkennen war. Schließlich wehrte sich der oberste Journalist des Boulevardblattes mit dem Argument, man habe mehrfach versucht, die Identität des Tippgebers festzustellen. Schließlich passiere es immer wieder, dass Informanten ihre Identität nicht preisgeben wollten. Mit so einer Argumentation hätte die Geschichte von Juri aus St. Petersburg erst recht kritisch beäugt und recherchiert werden müssen. Aber das kostet Zeit. Investigativ sein, das ist nicht Twitter-kompatibel. Übrigens ist "Identitätsfeststellung" eine hoheitliche Aufgabe und weniger eine journalistische. Sie wird meistens mit modernen Lesegeräten durchgeführt, die sich dem jeweiligen Ausweis gegenüber ausweisen sollen: Pech, wenn man dafür seit über 10 Jahren keine Software hat, wie nun aus den USA berichtet wird. Damit ist zumindest eine andere Feststellung möglich: Es gibt Journalismustheater und Sicherheitstheater.

*** Vielleicht ist all das nur ein Ablenkungstheater. Denn der besagte oberste Journalist hat in dieser Woche mit dem obersten Fernsehscharfrichter Deutschlands in dessen Sendung "Hart aber fair" gezeigt, wie diese Fairness und der Verstand von Fakes wie dem "gesunden Volksempfinden" verdrängt werden kann. Die rechtspopulistische Scharfmacherei der beiden Journalisten ist einer der Tiefpunkte des öffentlich-rechtlichen Fernsehens, das offenbar ein "Volksempfinden" installieren will, wie es die Nationalsozialisten 1935 in das Gesetz schrieben. Zu welchem Ausmaß an bornierter Fantasielosigkeit Journalisten fähig sind, hat ein Jurist niedergeschrieben. Der Höhepunkt ist die Forderung, einen Menschen "für immer" wegzusperren, weil er gegen die Auflagen verstieß, keinen Kontakt mit Kindern zu suchen. Das Volksempfinden kocht ungesund und die Forderung kommt auf, den Fahndern das Hochladen "virtueller Bilder" von Kinder...NOgraphie zu erlauben. Dies ist in allen Ländern verboten und daher durch die mühselige Fahndung nach Objekten als nicht strafbare Bildinhalte ersetzt, doch das stört die Scharfmacher nicht.

*** So konnte der AfD-Vertreter herzhaft lachen, ganz anders als seine Kollegen im Bundestag, die journalistische Texte von Deniz Yücel "missbilligen" wollten. Wo es noch keine Reichspressekammer gibt, muss halt der Bundestag für das üble nationalistische Getöse herhalten. Dafür kassierte man eine Abfuhr von einem Grünen. Sehnen sich die Deutschen nach der Heimat wie Cem Özdemir nach dem schwäbischen Urbach? Vielleicht ist vielen diese Art Heimat fremd, wenn sie nur das haben und glauben, was ständig über Sicherheit gesagt wird. Glaubt man dem Bitkom, so ist das Verlangen nach künstlicher Intelligenz in der Polizeiarbeit sehr groß. Sollen doch die Rechner für Sicherheit in dieser unübersichtlichen Welt sorgen, in der nur noch die Algorithmen den Durchblick haben, sollen sie doch die Ordnungshüter dorthin schicken, wohin die Täter kommen. Sollen doch die Rechner danach fahnden, welche Briefkastenfirma in Panama das abgezogene Geld verwaltet. Die gute KI wird es schon richten. Doch halt, auch die bösartige Nutzung der künstlichen Intelligenz ist möglich, nicht nur durch Einbrecherbanden, die heute längst selbst mit "predictive Policing" verfolgen, was die Polizei so tut.

*** In dieser Woche haben Forscher vor der künstlichen Intelligenz gewarnt und ein Moratorium für die Entwicklung von Watson & Co gefordert. Wahrscheinlich haben sie den Krimi Hologrammatica von Tom Hillenbrand gelesen, wo im 70 Jahren eine mächtige KI damit beauftragt wird, das Klimaziel der Menschen endlich konsequent anzugehen. Das setzt diese KI geschickt dadurch um, dass sie einen Virus in die Welt einschleust, der das Gros der Menschheit unfruchtbar macht. Schwuppdiwupp und ziemlich schmerzlos reduziert sich die Menschheit ganz ohne Bostroms Büroklammern oder dem Reizgas unserer Autoindustrie. Ganz ohne KI und Holozauber gäbe es den Vorschlag zum Emissionstheater, statt Diesel die LKW mit staatlichen Subventionen auf Erdgas umzustellen. Doch Deutsche und Autos. Autos und Verstand. Verstand und Fahrräder. Hängt ihn höher, den Gomringer!

Was wird.

Glaubt man den neuesten Jubelmeldungen des klassischen Lobby- äh, Journalismus, so steht das Fernbehandlungsverbot für Ärzte auf der Kippe. Der Text beginnt mit einem Satz, nachdem man einfach nur noch lachen kann: "Der Arzt fragt über Skype nach den Beschwerden, dann schickt er ein Rezept." Ja, wie schickt er das denn, einfach so per Mail zum Ausdrucken und ohne Prüfung des obersten gesundheitlichen Imperatives namens "Gesundheitskarte"? Wird es ein eRezept sein, das elegant an die Apotheke weitergeleitet wird? Und wie kommt dann die qualifizierte elektronische Signatur vom Heilberufsausweis des Arztes zum Patienten? Aktuell läuft im deutschen Gesundheitssystem eine ganz andere Komödie mit dem etwas sperrigen Namen "Anschluss an die telematische Infrastruktur". Die Ärzte müssen für rund 3000 Euro teure "Konnektoren" ordern, die eigentlich schlichte VPN-Router mit einem gehärteten Debian sind und nach fünf Jahren als Computerschrott entsorgt werden müssen. Denn dann läuft das BSI-Zertifikat aus, das sein schützendes Siegel über Praxen und Krankenhäuser hält. Aktuell hat nur ein einziger Konnektor das notwendige Zertifikat, während dieser, dieser und dieser in der Warteschleife hängen. Mond- statt Marktpreise sind die Folge. Die IT-Admins in den Praxen und Krankenhäusern haben zumindest auch etwas zum Ablachen, wenn die Installateure auftauchen. Selbstinstallationen sind wegen der hochkomplexen Technik nicht drin, schließlich sind Ärzte, Zahnärzte und Physiotherapeuten per eHealth-Gesetz gezwungen, noch 2018 fertig zu werden, wenn man die Gesundheitsstütze kassieren will. Währenddessen wird mit Widmann-Mauz die nächste Gesundheitsministerin eingewiesen. Der Verschleiß auf diesem Posten ist höher als der an VPN-Routern.

Wir stehen selbst enttäuscht und sehn betroffen
Den Vorhang zu und alle Fragen offen.[...]
Was könnt die Lösung sein?
Wir konnten keine finden, nicht einmal für Geld.
Soll es ein andrer Mensch sein? Oder eine andre Welt?
Vielleicht nur andere Götter? Oder keine?[...]
Der einzige Ausweg wär aus diesem Ungemach:
Sie selber dächten auf der Stelle nach
Auf welche Weis dem guten Menschen man
Zu einem guten Ende helfen kann.

Quelle : www.heise.de
Titel: 4W: Von bösen Hackern wunderbar umgeben, erwarten wir den neuen Tag
Beitrag von: SiLæncer am 04 März, 2018, 01:33
Da sind sie wieder, die Hacker im Hoodie und ohne Licht – diesmal aus Russland. Im Frühling kommt eben alles wieder, hat Hal Faber beobachtet, vielleicht ja sogar die De-Mail.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Frühling ist's, meteorologisch gesehen. Amsel/Drossel, Fink und Star und die ganze Vogelschar, alle sind sie wieder da. Ja, auch die sind wieder da, die komischen Vögel in Zeitungsillustrationen, die am Rechner Kapuzen tragen und von "Sicherheitskreisen" irgendwo in Russland verortet werden. Bilder von Hackern, die zur Illustration des Bundeshack herhalten müssen, obwohl in 99 Prozent aller Fälle das schadhafte VBscript von ganz normalen Programmierern geschrieben wurde, die sich hier und da einen kleinen Scherz erlauben. Auch sie sind wieder da, die Politiker, die sich vor laufenden Kameras heftig empören, nicht "rechtzeitig" darüber informiert worden zu sein, dass das "bislang als sicher geltende Datennetz des Bundes" gehackt worden ist. "Als sicher geltend" ist die geschmeidige Umschreibung der Tatsache, dass der geschlossene Informationsverbund Berlin Bonn (IVBB) nur an zwei Stellen Übergänge ins normale Internet aufweist, die zudem von Spezialsoftware des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik rund um die Uhr überwacht werden. Sie sind wieder da, die Schnellwisser, die meinen, mit dem guten Linux wäre das alles nicht passiert und die nationale Souveränität Deutschland wäre obendrein noch gesichert.

*** Und sowieso nie weg waren die beamteten Holzköpfe des Bundesinnenministeriums, die jetzt der Presse einen Vertrauensbruch vorwerfen. Die davon reden, dass es 100-prozentige Sicherheit eben nicht gibt und dann solche Sätze sagen: "Insofern kann ich Ihnen auf eine Frage 'Geschieht gerade etwas oder geschieht gerade nichts?' nie eine hundertprozentige Antwort mit Ja oder Nein geben." Ein Quäntchen dies, ein Quäntchen das und immer recht freundlich bitte. Nur zur Erinnerung: dieses Ministerium leistet sich nicht nur Erkenntnisphilosophen als Sprecher, sondern auch eine neue Behörde namens ZITiS, die Wege und Verfahren austüfteln soll, wie man von einem unscheinbaren Nebenposten aus wie dem der Bundesakademie für öffentliche Verwaltung ein Netz geduldig auskundschaftet. So lange, bis man weiß, wo die Leckerlis für eine kleine "Online-Durchsuchung" liegen, mit anschließendem unauffälligen Datei-Abtransport – sie nennen es "Ausleitung". Wie schreibt die tageszeitung in einem Kommentar treffend: "Statt konsequent Sicherheitslücken zu stopfen und für starke Infrastrukturen zu sorgen, will die Regierung künftig selbst verstärkt Sicherheitslücken aufkaufen, um besser spionieren zu können. Wer sich daran beteiligt, muss sich nicht über löchrige Netze wundern."

*** ZITiS ist auch für die Entwicklung oder den Einkauf von Trojanern zuständig, wie sie monatelang bei der Bundesakademie geparkt wurden, ehe der "Marschbefehl" von einem Command- & Control-Server kam. Beruhigend zu wissen, dass der Angriff unter Kontrolle ist und man die Bösebubensoftware nur zu Studienzwecken weiter werkeln lässt. Beruhigend ist es irgendwo auch, dass mit der Ukraine ein weiteres Land den Befall mit der Schadsoftware gemeldet hat – wir sind nicht allein. Etwas beunruhigender ist die Nachricht, dass ein "befreundeter" Geheimdienst den Hinweis auf den Angriff gab. Im Umkehrschluss heißt dies, dass unsere Dienste und sonstigen Abwehrzentren nichts registrieren konnten, dass die beiden vom BSI bewachten "Übergangspunkte" eine Schwachstelle haben und die "Turla" programmierenden "Russen" wohl die technisch versierteste Hackertruppe sind wo gibt. Huch, vielleicht sind es sogar Außerirdische (PDF-Datei)! Aber was wollen die dann in unserem Deutschland? Wir haben ja noch nicht einmal ein Heimatministerium.

*** IF Abgastest GO TO Modul NEFZ. Schlagend zeigt diese kleine Programmzeile, wie die Automobilbauer schummelten, wenn der Bordcomputer merkte, dass ein Abgastest nach dem "Neuen Europäischen Fahrzyklus" bevorstand. 50, in Worten fünfzig Jahre ist es nun her, dass Edsger Dijkstra vor den überaus schädlichen GO TO-Statements warnte (PDF-Datei). Dieses andere Erbe der 68er, als man noch daran glaubte, dass es formal verifizierte, absolut korrekte Programme geben könnte, sollte man nicht vergessen. Ob Goto-Statements schädlich sind, gar tödlich sein können oder ob man mit Donald Knuth das strukturierte Programmieren mit GO TO nur als Symptom einer schädlichen Programmiererei begreift, wird bis heute in der Informatik genüsslich diskutiert.

*** Bleibt der stinkende Diesel. Ist ein Leben nach dem Diesel möglich? Das ist die bange Frage nach der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes, das Dieselverbote von Städten zulässig sind. Nun heißt es Handeln, nicht Jammern. Aber es heißt auch Zuhören und Nachdenken: Wenn der ehemalige Automobilmanager Edzard Reuter bei Markus Lanz erklärt, das seine Branche "den Anstand beim wirtschaftlichen Handeln verloren" hat, ist das schon eine Hausnummer. Reuter äußerte die Meinung, dass die Käufer von Diesel-Autos sehr wohl einen Wiedergutmachungsanspruch haben. Auf Kosten der Hersteller umrüsten, die das Problem mit voller Absicht und krimineller Energie verursacht haben, das ist eine durchaus verständliche Ansicht. Erschütternd, wie in der Sendung vor Lanz bei Maybritt Illner ein deutscher Wirtschaftsminister (Bernd Althusmann, Niedersachsen, damit Miteigner von VW) sich über ein angebliches "Geschäftsmodell" der Deutschen Umwelthilfe lustig machen kann, ohne ernsthaften Widerspruch zu bekommen. Auch eine Änderung der Straßenverkehrs-Zulassungsordnung zum nachträglichen Einbau von AdBlue-Tanks und damit einhergehend der Neueinstufung von Dieselfahrzeugen wird abgelehnt, obwohl dies vom Verkehrsministerium mit Zustimmung des Bundesrates durchsetzbar wäre. Die Sauerei hat System. Das Tüpfelchen auf dem i-Haufen sind dann die Nationalisten von der AfD, die eine Kampagne für "unseren deutschen Diesel" starten, der so sauber ist wie unsere deutsche Sprache.

Was wird.

Es ist noch nicht ganz sicher, ob die USA unter Präsident Trump einen Handelskrieg um Stahl und Aluminium riskieren werden. Mit den von Trump erwähnten Strafzollaufschlägen tun sich selbst Mitglieder seiner Partei schwer. Sicher ist jedenfalls, dass der TV-Auftritt von US-Handelsminister Wilbur Ross mit Getränkedosen und Cent-Berechnungen die beste Fake-News-Produktion der Regierung Trump gewesen ist, sieht man von den TV-Inszenierungen von 45 ab. Weit abseits der Bierdosen und Campbell-Suppen dürften die Auswirkungen bei Firmen wie ThyssenKrupp erheblich sein, weil die USA den zweitgrößten Absatzmarkt nach Deutschland bilden.

Womit die Wochenschau schon wieder beim Hauptthema dieser Woche sind: wegen mangelhafter IT-Sicherheit wurde ThyssenKrupp Marine Systems und die Lürssen-Werft als Partner vom Vergabeverfahren zum Bau der großen Mehrzweckkampfschiffe MKS 180 ausgeschlossen. Viel Stahl wäre ja da, aber fehlende IT-Sicherheit, das ist ein schwerer wiegendes Argument. Waren die so gern bemühten russischen Hacker unter ihren Hoodies schon dabei, sich in der Bilge breitzumachen? "Die Schutzbedarfsanalyse ist für das Projekt MKS 180 von zentraler Bedeutung, um Schwachstellen der Systemauslegung, des Betriebs und der Betreuung zu begegnen – insbesondere im Zusammenspiel zwischen 'klassischer Informationstechnik' und Plattformtechnik. Ein ganzheitlicher Schutzansatz wird erstmals bei MKS 180 umgesetzt. Er ist Bestandteil des kooperativen Projektaufsatzes", hieß es noch ganz selbstbewusst bei der Koblenzer IT-Tagung im September 2017, als die besondere "Cyberresilienz" von MKS 180 gefeiert wurde. Interessant nicht zuletzt darum, weil der Vortrag zu MKS 180 unter dem Punkt Bedrohungen mit Bildern aus den Snowden-Files zum Verfahren der Tailored Access Operations illustriert wurde. Der neue deutsche IT-Dampfer als Ziel der NSA? Sachen gibt's, da eist der Frühling ein.

Nicht nur der Informationsverbund Berlin Bonn ist kaputt, auch der elektronische Gerichts- und Verwaltungsmailverkehr liegt zu weiten Teilen brach. Schuld daran hat die Client-Software, die Anwälte zum Absenden und Empfangen ihrer Schriftstücke beim besonderen Anwaltspostfach einsetzen sollten. Die Funktionsweise dieser Software wurde vom Darmstädter Erfa-Kreis des CCC analysiert und als besonderer Ausnahmefehler bewertet. Am Montag treffen sich interessierte Anwälte in Berlin und fragen auf einem Symposium, wie ein neues beA+ aussehen könnte. Mit dabei ist nicht nur Markus Drenger vom CCC, sondern auch Leslie Romeo, derzeit Sprecher der Arbeitsgemeinschaft De-Mail. Er wird sich ins Zeug legen, den Anwälten das vor sich her dümpelnde De-Mail-System schmackhaft zu machen, das in vielen Punkten beA ersetzen könnte. Vor vier Jahren, als die Anforderungen an beA bei der Bundesrechtsanwaltskammer formuliert wurden, war De-Mail schon einmal eine Option. Der Vorschlag starb, als die IT-Berater kamen.

Quelle und Links: www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. Am Anfang war das Wort und das Wort war Digitalisierung.
Beitrag von: SiLæncer am 11 März, 2018, 05:38
"Politiker, Journalisten und Psychopathen", das ist eine ganz eigene Filterblase. Die Blasen aber sind längst geplatz, zieht Hal Faber Bilanz. Zwischen Digitalisierung und rechtem Gegrunze gibt sich selbst auf, was sich mal für fortschrittlich hielt.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Alles wird gut. Es hat etwas gedauert, aber es hat geklappt: Deutschland hat eine Staatsministerin für Digitalisierung, Dorothea Bär von der CSU. Als Gegnerin des Leitsungsschutzrechtes und der Vorratsdatenspeicherung ist sie die ideelle Nachfolgerin von Gesche Joost, die unter dem Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück anno 2013 für das hohe Amt vorgesehen war. Damals klappte es nicht mit dem Wahlsieg und der Digitalisierung, weshalb Peer Steinbrück jetzt Spezialist für "Zukunftsgene" ist und als Genosse das Elend der Sozialdemokratie vermarktet. Welchselbige nicht mehr politischer Arm der Arbeiterklasse ist, sondern ein Kampfverband für die Einhegung des Kapitalismus sein soll. Alle Bytes stehen still, wenn dein starker Arm es will! So gesehen ist das wichtigste SPD-Projekt nach der Einhegung von Kevin Kühnert das Schuldingsbums Calliope, vorgestellt und beworben von der Internetbotschafterin Gesche Joost.

*** Außer geschmackvoll inszenierten Portraits, die Kunsthistoriker erschauern lassen, hat Dorothea Bär noch kein cooles digitales Gadget. Sie hat sich deshalb ganz geschickt ans Fliewatüüt gehalten, als sie im Interview von einer gereizten Journalistin zu dieser Digitalisierung befragt wurde. So ein Fliewatüüt oder Flugtaxi ist halt deutlich mehr als der Breitbandausbau mit der verflixten Glasfaser, die man schon längst verlegt hätte haben können. Und mit dem Lilium und Volocopter oder eben Terrafugia gibt es eine ganze Reihe von real existierenden Projekten für Doro, Robbi und Tobbi.

*** Denn seien wir ehrlich: Ganz so einfach ist diese Digitalisierung ja nicht zu erklären, da hilft schon etwas Fluggerät, ein Hoverboard oder ein Raketen-Jetpack, eben alles, was schwer nach Zukunft aussieht. Was sie mit den Menschen anrichtet, ist hingegen gar nicht so einfach zu erklären. Noch die einfachste Art der Erklärung wäre der Blick auf das Smartphone. Alles, was diese langweiligen Dinger können, wird in den nächsten Jahren enger mit dem Körper verwachsen und mit Brille und Gestik gesteuert werden. So wäre es naheliegend, wenn Staatsministerin Bär mit einer großen Regierungsdatenbrille dem eisigen Blick von Frau Slomka trotzt, wenn diese wieder einmal von ihr wissen will, was Sache ist. Sie hat ganz interessante Wünsche, was die Digitalisierung anbelangt: "Ich wünsche mir wieder eine Echtzeitleiste, die die Menschen nicht nur mit dem konfrontiert, was sie wissen wollen, sondern auch mit dem, was sie wissen müssen, was gerade im Moment passiert", heißt es in diesem Interview. Google soll nicht uralte Beiträge nach oben spielen und das Seniorennetzwerk Facebook soll auch mal einen flotten Blick in die Zukunft riskieren. Flott ist sie ja, die digitale Frontfrau, die in einer ganz eigenen Filterblase lebt: "Auf Twitter sind ohnehin nur Politiker, Journalisten und Psychopathen unterwegs." Dann macht es auch nix, wenn eine Staatsministerin nicht belegbare flotte Sprüche von Kaiser Wilhelm und Henry Ford in die Welt setzt, die echter Recherche nicht standhalten.

*** "Es gibt bei der FAZ nicht zu selten eine gewisse, auch offen zur Schau getragene Geringschätzung von Publikationsformen im Netz." So beginnt der letzte Beitrag an der Blogbar. Pech für Don Alphonso, dass genau diese Geringschätzung ihn selbst ereilt, der gleich zwei Blogs bei der FAZ betrieben hat. In ihnen erklärte er die Welt aus der Perspektive der feinen Leute, die mehrere Wohnungen besitzen und nicht auf Erwerbsarbeit angewiesen sind. Zunehmend wurden die Erklärungen verbiestert und verbittert, garniert mit einem tiefen Hass auf Berlin, wo er tiefste Verletzungen erlitten haben muss. Am Ende waren seine Beiträge nur noch wehleidig und nicht mehr unterscheidbar von "all den Klonovskys, Danischs, Tichys und Konsorten". Daraus zog die FAZ mit einer ausgesuchten Beleidigung ihre Konsequenzen. "Wir wollen die Blogplattform wieder stärker als Experimentierfeld für neue journalistische Formate nutzen, d.h. kreativen Ansätzen größeren Raum geben, auch häufiger neue Themen ausprobieren." Wer im besten Dummdeutsch "kreativen Ansätzen größeren Raum" geben will, kann das im expandierenden Internet ganz ohne den Rauswurf eines Bloggers mit einer Dumpfbackenkorona.

*** Was bleibt, sind die Texte des Eribons der deutschen Mittelklasse, die es sich zu lesen lohnt, wie dieses kleine Geburtstagsständchen. Was sicher kommen wird, sind originelle neue Beleidungen im Namen des vermögenden Deutschlands. Da es ohne diese neumodischen Disclaimer nicht geht: Jawohl, ich bin befangen, weil für dieses Buch ein Vorwort verfasst wurde, in dem es heißt: "Gerade weil sie so eng verwandt sind, weil beide mit der Sprache wie mit dem dauernden Veröffentlichungszwang kämpfen, beobachten sich Blogger und schreibende Journalisten eifersüchtig, stänkern gegeneinander und werfen sich gegenseitig Plagiarismus vor – und lernen doch voneinander." Und die FAZ wird nicht die taz, weil diese eine Kommune wird, was den Herren im Hellerhof ganz sicher ein Graus ist.

*** Mit Uwe Tellkamp hat ein weiterer besorgter Deutscher einen selbst gebastelten Gesinnungskorridor betreten und macht sich Sorgen um das Land mit seiner ach so linken Meinungsdiktatur. Auch hier ist die Wehleidigkeit groß: "Gucken Sie sich Sarrazin an, was dem Mann angetan wurde!', rief Tellkamp in einer Diskussion in Dresden. Ja, wie denn, was denn? Der Mann hat Bücher in Millionen verkauft und bestens an Vortragsreisen verdient. Gehetzt wurde er allenfalls von seinem Lieblings-Interviewer Frank Schirrmacher, der zur Buchmesse einen Reporter auf Sarrazin ansetzte. Die Empörung ist offenbar groß, dass Sarrazin überhaupt widersprochen wurde und dieses verkorkste rechte Konstrukt einer jüdisch-christlichen Kultur nicht anerkannt wird. It's the Kultur, Stupid, schrieb Timothy Gordon Ash treffend dazu. Unsere Kultur gehört uns, uns allein in ihrer ganzen Engstirnigkeit und Abschottung.

*** Aber so ist das halt, wenn das ewige Gejammer der Rechtsnationalisten über die linke Meinungsdiktatur (meist getreulich von den von ihnen so genanten meinungsdikatatorischen Staatsmedien wiedergegeben) nur noch in einem dumpfen "man wird ja noch mal sagen dürfen ..." endet. Ja, man darf vieles sagen. Und man darf vieles dagegen sagen. Dass diejenigen, die über Meinungsdikaturen jammern, von öffentlichem Widerspruch, gar Kritik, so gar nichts halten, sollte sie eigentlich genug entlarven. Eigentlich.

*** Rechtsnationalisten? Ja, gibt's denn auch Linksnationalisten? Leider, wieder. Es gibt offensichtlich zu viele, die den Populisten aus der rechten Ecke auf den Leim gehen und meinen, dass aus dem Ruder laufende Identitätspolitiken Grund genug seien, sich die Parolen der völkischen Volksverführer zu eigen zu machen. Dass dem Beifall geklatscht wird, weil man dann als linker Volksversteher – #meetoo hin, #Freital her – auch endlich mal wieder ein bisschen sexistisch und rassistisch sein darf, ist das viel größere Elend als das wehleidige Grunzen der rechtspopulistischen Hackfressen.

Was wird.

Wo die Abschottung nicht recht geklappt hat, liegen die Glasfasern des Informationsverbundes Berlin Bonn blank wie die Nerven der Betroffenen im Auswärtigen Amt. Das Ministerium, das wie kein Zweites mit seinen Diplomaten autonom arbeiten kann (ob Maas oder Memel ist wurscht), ist mit seinen Dokumenten über die Lage auf der Krim oder auf dem Kim ein lohnenswertes Ziel für Ausleitungen aller Art. Nach offizieller Darstellung sollte es nur zwei kontrollierte IVBB-Übergänge zum Internet geben, doch mittlerweile finden sich Dutzende von Ab- und Zuflüssen wie beim Nildelta. Dazu gibt es Angriffsversuche via Outlook, die Rückschlüsse auf eine russische Tätergruppe zulassen sollen. Möglicherweise ist auch veraltete Open-Source-Software von den Angreifern genutzt worden. Angeblich entwichen Daten der Fluggäste aus einer Datenbank, die erst im Wonnemonat Mai ihre Überwachungsgeschäfte aufnehmen soll.

Gut möglich, dass ein erster Pentest mit Beteiligung des BSI für Verwirrung sorgte. Genug Stoff also für die Frage, ob die IT-Sicherheit in der Krise ist, wie sie sich das anstehende a-i3/:BSI-Symposium stellt. Welche Verantwortung hat der Staat, welche hat die Industrie, wenn es um die Sicherheit beim E-Government geht? Denn das ist ja auch Digitalisierung, nur in echt.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. Gehört zu Deutschland.
Beitrag von: SiLæncer am 18 März, 2018, 08:46
Deutsche Denker, deutsche Politiker, deutsche Debatten. Da sind die Fakten schon mal nebensächlich, bedauert Hal Faber. Und erfreut sich an jahrhundertelanger Zuwanderung, die deutsche Kultur so richtig vorangebracht hat.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Habemus magnus coalitionem – und eine alte Debatte. Rein, raus, rein, raus. Gehört der Islam nun zu Deutschland wie der Bildschirm zum Laptop? Hat nicht der Islam große Stücke der antiken Kultur gerettet und tradiert, während unsere Vorfahren faul auf ihren Bärenhäuten lagen und Met tranken? Was ist eigentlich die rechte deutsche Kultur, abgesehen von Pfandflaschenautomaten, Helene Fischer und einem Schriftstellerdarsteller Tellkamp, dem Fakten sowas von egal sind? Und was ist eigentlich mit dem mehrheitlichen abendländischen Atheismus, dem guten Recht aller Bürger, nicht an höhere Wesen oder Smartphones glauben zu müssen?

*** Zahlen, bitte? 4,5 Millionen muslimischen Bürgern stehen 130.000 Mitglieder der CSU gegenüber, ein Verhältnis, das nach der Umrechnung in Fussballfelder verlangt, mindestens. Aber dafür ist Mov Faltin zuständig oder einer von den 98 neuen Stellen, die ein Horst Seehofer in seinem Innen- und Heimatmuseum benötigt. Na los, lasst uns durchstaaten, mit einer Extraportion Staat und "wieder ausgebrachter" Bürokratie. Die gehört ganz sicher zu Deutschland, da gibt es überhaupt keine Zweifel. Dann ist da noch der Ausbau des Überwachungsstaates in bayerischer Fasson. Was in weißblau gut war, wird in schwarzrotgold noch geiler sein. Wer beim Durchstaaten Probleme mit dem ganzen "da draußen" hat, wird sich freuen, dass auch das Bundeskriminalamt ab sofort mehrere Dutzende von Cyber-Kriminalisten sucht, die online auf Streife gehen sollen.

*** Wie schön die neuen Abteilungen im Seehoferium benannt sind: Raumordnung, gesellschaftlicher Zusammenhalt und Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse. Ja, Ordnung muss im Innen-Raum herrschen, kein Chaos oder irgendeine linksgrünversiffte Maßlosigkeit, am besten noch mit einer Horstordnung und einem Horstmeister, der sie überwacht. Dann ist da dieser gesellschaftliche Zusammenhalt, beschrieben als Kitt, der den ordentlich zusammengesetzten Raum festigt. Als Mörtelmasse des Vertrauens empfiehlt sich die deutsche Sprache, in der es wunderbare Ausdrücke gibt wie eben dieser Zusammenhalt, der allerfestens ist und das Auseinanderlaufen verhindert. Doch wehe, wenn der Kitt brüchig ist, dann muss man noch mehr durchstaaten! Da sei Bertelsmann vor. Auch die gleichwertigen Lebensverhältnisse gehören als politischer Begriff zu dieser Ordnung im Raum, besonders im Bayerischen. Dort wurden diese gleichwertigen Lebensverältnisse in der Volksabstimmung parallel zur Landtagswahl 2013 in den Rang einer verfassungsgebenden Idee aufgenommen. Allerdings gibt es beim durchbayern Abstriche, dafür sorgt die kleine radikale Minderheit namens CSU.

*** Dann wäre da noch die Staatsministerin Bär, der "Beauftragten für Digitalisierung" und Expertin für den Datenschutz des 18. Jahrhunderts in den deutschen Kleinstaaten. Bär bekommt fünf Mitarbeiter, die diese Digitalisierungsstrategie wuppen sollen. Denn es kann noch kleinteiliger zugehen bei dieser Digitalisierung, vom Kleinstaat hinunter bis zur Smart City und dem Digitalkiez mit intelligenten Laternen, die automatische Gesichtserkennung nicht zu vergessen. Wer immer hinter dem Hacker-Angriff auf die Bundesregierung steckt(e), ist jetzt auf der Flucht und am Zittern: Gleich 26 neue Stellen werden im Kanzleramt eingerichtet, um die Informationstechnik und vor allem diese Netze des Bundes zu vereinheitlichen und auf Vordermann/frau zu bringen. Das Ausleiten von Informationen über irgendwelche Verknotungen mit dem Internet wird durch geschicktes durchstaaten unterbunden. Für Hacker brechen gar schreckliche Zeiten an.

*** In den USA hat übrigens US-Präsident Trump reagiert – nein, nicht das Feuern von FBI-Vize Andrew McCabe als Nachfolger von James Comey ist gemeint – und Sanktionen gegen fünf russische Firmen verhängt, die Cyber-Angriffe auf US-amerikanische und europäische Energieversorger durchgeführt haben sollen. Den Bericht dazu gibt es schon länger, nun wurde auch noch bekannt, dass einer der einstmals führenden Hacker von Anonymous zu den Cyber-Jägern gehört, die den russischen Aggressoren auf den Spuren sind. Derweil kommt die Nachricht, dass der Hacker Adrian Lamo verstorben ist. Bekannt wurde er, als er als Geheimdienstinformant den damaligen Soldaten Bradley Manning als den Menschen enttarnte, der Daten von US-Militäreinsätzen an Wikileaks übergab.

*** Was im Geheimen bei den "Diensten" passiert, ist nunmal per Definition nicht durchschaubar. Berichtet wird nicht. Insofern müsste man hinter jedes Wort ein Fragezeichen setzen, wenn jetzt eine europäische Regierung von Russland ultimativ Aufklärung darüber verlangt, wie das russische Gift Nowitschok beim Angriff auf den Doppelagenten Viktor Skripal und seiner Tochter ins Spiel kam. Dazu werden von England wie von Russland Diplomaten ausgewiesen, während Frankreich und Deutschland sich hinter Großbritannien stellen. Immerhin ist Deutschlands neuer Außenminister Maas vorsichtiger, wenn er nach Agenturberichten erklärt: "Vielleicht sind auch bis Montag weitere Details, die zur Aufklärung beitragen, bekannt." So bleiben, Überraschung, diesmal die Grünen übrig, die richtig auf den Putz hauen und meinen, dass "eine wie auch immer geartete russische Verantwortung angesichts der russischen Reaktion kaum von der Hand zu weisen ist". 15 Wege zur Rache an Putin, ohne in den Krieg zu ziehen? Wir leben in spannenden Zeiten. Wozu übrigens die neueste grüne Erkenntnis gehört, dass Erdgaskraftwerke die Pariser Klimaziele brechen.

Was wird.

209 neue Beamte für diese unsere Regierung sind doch noch gar nichts. Zum ordentlichen Durchstaaten braucht man noch viel mehr. So gesehen ist es logisch, dass auf der Veranstaltung Digitaler Staat zum Auftakt die Beauftragte für Digitalisierung, Frau Dorothee Bär, über die Digitalisierung spricht und dann das Partnerland Norwegen erzählt, was Modernisierung bedeutet. Im Lufttaxi geht es dann zurück ins Kanzlerinnenamt. Auch der Datenschutz ist mit von der Partie, als digitaler Datenschutz natürlich und mit der Antwort auf die bange Frage, ob uns die DSGVO vor Krätze, Cambridge Analytica und Klagen rettet.

"Ich möchte wissen, was da draußen ist," erklärte einstmals der freundliche, humorvolle Atheist Stephen Hawking. Gut möglich, dass er dies in einem Paralleluniversum erfahren hat. Noch besser, dass er den Unsinn nicht mehr lesen kann, den Zeitungen verbreiten, die auch bestimmen wollen, was zu Deutschland oder Europa gehört. Hawking warnte vor den Folgen der Künstlichen Intelligenz und er mahnte an, rechtzeitig auf die Reise zu neuen Planeten zu gehen, aber sein "reger Geist" beschäftigte sich auch mit Szenarien, in denen die Klimaziele nicht erreicht werden.

Wird es apokalyptisch zugehen oder halt nur ungemütlich, doch mit einer Menschheit, die mangels erdähnlichem Planeten in der Nähe gezwungen wird, dem Anstieg der Meere um drei, vier Meter zu begegnen, in Afrika und Asien Nahrung im großen Stil anzubauen? Jedenfalls könnte es wärmer werden, so oder so.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. Von irdischen Chören und digitalen Gesangsvereinen.
Beitrag von: SiLæncer am 25 März, 2018, 00:16
Heimatministerien scheinen die Tendenz zu haben, das mit dem Schutz etwas zu ausufernd anzugehen. Aber wen wundert's, lacht Hal Faber, bei dem seltsamen Heimatverständnis, das mit "Sicherheitsrisiko" noch höflich kritisiert ist.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Die einen haben Korpsgeist und nennen sich wahlweise auch Truppe, die anderen haben Chorgeist, sitzen in der Bund-Länder-Kommission, singen schöne Lieder und lassen den Föderalismus hoch leben. "Einigkeit und Recht und Standards, für das deutsche Vaterland, danach lasst uns alle streben, für eine IT mit Verstand", tralla hipsta täterä. Dann gibt es noch welche, denen fehlt irgendwie beides. Besonders in Bayern, wo immer etwas fehlt, von der dritten Landebahn bis zur Regierungsmehrheit der CSU in den anstehenden Wahlen. Deshalb soll die eingemottete Bayerische Grenzpolizei wieder eingerichtet werden, damit die nicht vermauerbaren Außengrenzen Bayerns ein Bollwerk gegen die Verfremdung werden. Jeweils alle zwei Kilometer ein Beamter, der "Gott mit dir, du Land der Bayern!" schmettert, das wäre die perfekte Verschmelzung von Korps- und Chorgeist, bestens geeignet, diese "Sicherheit" zu garantieren, von der alle schwärmen, besonders die Bayern aufkaufenden Russen. Während andere Völker wie die Friesen das Nixzuverbergen-Festival feiern und sich flächendeckend gegen die ausufernde Datenspeicherung im Schleppnetz aussprechen, wollen die Bayern neue Datenverabeitungsbefugnisse.

*** Ehe ich weiter Küsten- und Berg-Völker platt gegeneinander ausspiele, sei noch auf den ausgewiesenen bayerischen Islamexperten verwiesen, der in seiner ersten Rede als Heimatminister über Tatkraft und Beharrlichkeit sprach. Zur kräftigen Tat gehört ein angekündigter "Masterplan" für schnellere Asylverfahren und Abschiebung, damit "flächendeckend" ein Mehr an Sicherheit gefühlt werden kann, diesmal bezogen auf ganz Deutschland, mit Bayern als Vorbild. Vom Wegfall der Einspruchsmöglichkeiten gegen BAMF-Entscheidungen bis hin zu einem regelrechten Scoring der Asylbewerber ganz nach dem Muster der chinesisches Staatsüberwacher reichen die Vorschläge, die da in Alt-Moabit herumgereicht werden: Wer die AfD rechts überholen und die Heimat retten will, muss ordentlich Tempo machen und zu einem weiten Bogen ausholen. Wir werden noch Bauklötze staunen, was da alles kommt, nicht nur beim "Dialog mit den Religionsgemeinschaften", für die der Innenminister zuständig ist. Das Wort vom Sicherheitsrisiko ist da noch kleine Münze, der Vergleich mit dem späten Otto Schily weckt Erinnerungen an den Otto-Katalog.

*** Zu den Chorknaben des Ministers gehört die Truppe des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik. Dort untersuchten Fachleute den Einsatz von cloud-basierten Anti-Virus-Produkten und stellten ihre interessanten Ergebnisse auf der bereits erwähnten Chorgeist-Tagung vor. Alle großen Anbieter waren dabei, auch Kaspersky. Und, Überraschung, einige speichern Daten in der jeweiligen Hauscloud, die nichts mit Anti-Virus-Funktionen zu tun haben, etwa biometrische und demografische Daten. Und, noch so eine Überraschung, alle beherrschen das Aufbrechen von HTTPS-Verbindungen. Die damit einhergehende "prinzipielle DLP-Fähigkeit" aller Produkte gehört zu den Forderungen, die das BSI an die Anbieter stellt und lobt. Damit kommen die Überraschungen anderer Art in den Blick: Ausgerechnet die gern angefeindete Truppe von Kaspersky deckte eine vermeintliche Hacker-Operation auf, die sich als US-amerikanische Geheimdienst-Aktion gegen Al Quaeda und ISIS entpuppte. Während in den USA der Ärger groß ist, fummelt Kaspersky an der Reißleine und überlegt, die beiden Hauptquartiere in Moskau und Toronto aufzugeben und samt der Cloud-Server in die sicherere Schweiz zu ziehen wie einstmals Silent Circle.

*** So halten uns Spion & Spion auf Trab, auch in Deutschland. Denn so schillernd zwischen "lustig" und "unglaubwürdig" es sein kann, dass angebliche Topleute wie Guccifer 2.0 aus Versehen vergaßen, ihr VPN vor dem Hopps auf den französischen Server einzuschalten, so schnell schreibt die Attribuierung Geschichte. Zumal mit GMX-Mails auch Deutsche Wertarbeit mit im Spiel war, wenngleich nur auf der Ebene von Phishing-Mails. Sollten sich die von "Kreisen" zugeraunten Sachverhalte durch Beweise erhärten, so hat das interessante Konsequenzen. Eine betrifft Assange und das Wikileaks-Projekt, wo immer wieder behauptet wird, man sei von einem – ermordeten – Mitarbeiter im demokratischen Hauptquartier mit den DNC-Dateien versorgt worden. Hier gilt, was Felix Stalder über Wikileaks als Waffe im Informationskrieg der Geheimdienste im letzten Jahr so so beschrieben hat: "Weil Wikileaks keine transparenten internen Prozesse hat (und als Geheimdienst auch nicht haben kann), sitzt es in einer strukturellen Falle, aus der es nicht mehr heraus kann, egal wie sich die verschiedenen juristischen Verfahren entwickeln werden."

Was wird.

Das Kapital von Karl Marx und Friedrich Engels war ein Longseller, Das Digital von Viktor Mayer-Schönberger und Thomas Ramge soll mindestens ein Bestseller werden, am besten gleich auch noch "das neue Kapital fürs digitale Zeitalter". So steht's im Waschzettel zum Buche, das den Kapitalismus nicht abschaffen, sondern "neu erfinden" will. Gefordert wird eine "progressive Daten-Sharing Pflicht" von Firmen, die auf riesigen Datenbergen sitzen, eine Datensteuer, wobei nicht mit Geld, sondern mit Daten bezahlt wird. Diese Datensteuer soll dazu führen, dass die Bürger am Datenreichtum der "Superstar-Firmen" beteiligt werden und neue Firmen eine Chance haben. Sobald ein Unternehmen einen Marktanteil von zehn Prozent erreicht, soll es nach den Vorstellungen der Autoren einen Teil seiner Daten mit allen Konkurrenten teilen, die das wünschen. Lustige Ideen, von denen die Lustigste die Rolle staatlicher Quants sein dürfte, die der großen Koalition unter die Arme greifen: "Der Staat muss Quants rekrutieren, also hoch qualifizierte Datenanalysten und Informatiker, wenn er nicht das Risiko des Versagens der datenreichen Märkte mit unabsehbaren Folgen eingehen will."

Bevor diese Form der digitalen sozialen Marktwirtschaft startklar wird, ist ein Blick auf das Problem des Dateneigentums nicht schlecht. Schließlich heißt es auch im Koalitionsvertrag "Die Frage, ob und wie ein Eigentum an Daten ausgestaltet sein kann, müssen wir zügig angehen." Die Vorträge aus der Berliner Digitalblase können per Stream überall empfangen werden, weil die Veranstaltung datensharingpflichtig ist – oder heißt das dateneigentumsenteignet? Wo ist eigentlich die Diskussion um die digitale Allmende hingesickert? Da war doch was, oder auch nicht. Wie sagte schon die tapfere Oma Meume? "Lieber Gott, lass du den Digitalkommunismus siegen."

Doch halt, als nächstes großes Ding kommt erst einmal die Sommerzeit wieder, die brilliante Erfindung des US-Botschafters Benjamin Franklin im verschlafenen, hellen Paris von 1784. Übrigens ist sie eine geniale Lösung zum "digitalen Überstundenabbau" bei der Polizei in Nordrhein-Westfalen. Zur Orientierung für Küstenanrainer und Bergbewohner: Das ist dort, wo Deutschlands härtester Polizist, Rainer Wendt, 11 Jahre lang vollauf damit beschäftigt war, eine "Deutsche Polizeigewerkschaft" aufzubauen, die sich heute als Kampftruppe des Bündnisses für Videoaufklärung präsentiert.

Somit schließt sich der Kreis zwischen Arsch und Eimer, würden Fachleute der Religion von der ewigen Wiederkehr sagen, und der Minister für Religion, Inneres und automatische Gesichtserkennung dürfte dazu anerkennend nicken. Wie sagte schon Marx (Groucho): "Ehrlichkeit und Fairness sind die Geheimnisse für den Erfolg im Leben, und wenn du beides vortäuschen kannst, dann hast du es geschafft."

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. Von angefressenen Traditionshasen und politischen Hohlkörpern
Beitrag von: SiLæncer am 01 April, 2018, 08:49
Ohne Osterhasen kein christliches Abendland, oder so? Was würde Jesus dazu sagen? Zumindest könnte er am Ende mit uns singen, konstatiert Hal Faber.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Ein Hase, ein Funktionshase, ein Goldhase, ein eHase. Ein Fuchs. Ein Osterfuchs. Osterhasen, Ostereier, Osterfest, Osterkarten, Osterfeuer und rote Eier.

*** Die Selbstaufgabe der deutschen Kultur im Namen der politischen Korrektheit ist etwas, das konservative Gemüter antreibt, Kritik an Warenwirtschaftssystemen zu üben. Wieder einmal zerstören Kassencomputer ein Bollwerk jüdisch christlicher Kultur und das ausgerechnet zu Pascha. Zwar sind nur die roten Eier ein altes christliches Symbol der Wiederauferstehung von Jesus, aber der Hase ist seit Albert Dürer Deutsch bis hinter die Löffel. Nie mehr wollen das deutsche Jungmädel Erika Steinbach und der Gutachsler Joachim Steinhöfel bei Karstadt einkaufen, weil auf einem ausgedruckten Bon nicht Osterhase, sondern der schnöde Funktionshase steht. Dabei ist Karstadt das christliche Warenhaus hierzulande, anders als Hertie und Horten nicht von jüdischer Hand gegründet. Karstadt war das erste Warenhaus mit Festpreisen und einem Gründer, der disruptiv wie ein Jeff Bezos den Zwischenhandel ausschaltete.

*** Nach christlichem Verständnis beginnt Ostern mit dem letzten Abendmahl von Jesus und seinen Jüngern, gefolgt von Kreuzigung und Wiederauferstehung. Hasen spielten keine Rolle, Genderfragen auch nicht. Jesus predigte und lehrte nichts, was mit Hasen zu tun. Insofern hat der jüdische Denker Michael Wolfssohn recht, wenn er über den geistigen Müll der Heidenrepublik Deutschland schreibt, in dem laufend vom christlichen Abendland geschwafelt wird und die Abschaffung des Osterhasens als Kotau vor Muslimen erscheint: "Wer nicht einmal weiß, weswegen Christen Weihnachten, Ostern oder Pfingsten feiern, ist unfähig, mit Angehörigen anderer Religionen den überlebenswichtigen Dialog zu führen." Aber das verstehen die stockkonservativen Rechtsaußen um Herrn Meuthen nicht, diese rückwärtsgewandten, ängstlichen Traditionshasen im Sinne von Rudolf Augstein: Angsthasen für Deutschland.

*** Im Abendland wurden nach dem Tod von Jesus Christus bisweilen schöne Gedichte geschrieben, etwa in Vindobana, in bestem Altgriechisch:

*** Ihr werdet jung bleiben, solange Ihr aufnahmebereit bleibt: Empfänglich fürs Schöne, Gute und Große, empfänglich für die Botschaften der Natur, der Mitmenschen, des Unfaßlichen. Sollte eines Tages Euer Herz geätzt werden von Pessimismus, zernagt von Zynismus, dann möge man Erbarmen haben mit Eurer Seele – der Seele eines Greises.

*** Übersetzungstechnisch könnte auch genauso von der "Seele einer Greisin" die Rede sein, doch dann wäre das ja klar diskriminierend, wie es das bekannte Gedicht von Eugen Gomringer ist, der das Künstlerpech hatte, auf eine Asta-Vorsitzende zu treffen, die mit ihrem Smartphone einmal nachschaute, was "Admirador" bedeutete. Als das Smartphone "Bewunderer" antwortete, zog sich der guten Frau der Magen zusammen. Die Groteske der Demontage dieses Gedichtes an der Alice-Salomon-Hochschule (zur Zeit hängt es am Brandenburger Tor) ist um eine Volte reicher. Zuvor hatte bereits ein ausgewiesener Gedichte-Interpretier-Fachmann über Gomringer geschrieben und sprachlich verständlich darauf hingewiesen, dass mit dem "Admirador" eine "latente Spannersituation" im Gedicht vorhanden wäre. Das geht ja gar nicht aus "sozialarbeiterischer Perspektive", wie die Asta-Vorsitzende meinte. Außerdem sei das Gedicht voller Akkusative, mit denen würden Frauen und Blumen und Straßen zu Objekten gemacht, meinte sie irrtümlich. An dieser Stelle sei auf die einzig gültige Heise-Übersetzung "Kneipen und Biere" hingewiesen, erschienen im WWWW vor einem halben Jahr.

*** Das De-Googlen und De-Facebooken ist ein brandaktuelles Thema. Wie kommt man eigentlich von der Diktatur der Daten ins Reich der Freiheit? Oder ist alles gar nicht so schlimm? In dieser Woche hat Facebook bekanntlich die Zusammenarbeit mit Datenhändlern beendet. Alles wird gut, auch wenn hin und wieder jemand stirbt, das ist ja sowas von menschlich und mitten im Leben möglich. Deswegen gleich die Zerschlagung von Facebook zu fordern, ist ja sowas von grün. Viel fieser ist da der Vorschlag, den Paul-Bernhard Kallen als Chef von Burda Media (Focus, Bunte) hinter einem Bezahlschränkchen einer Zeitung für kluge Köpfe äußert. Analog zur verdachtsunabhängigen, anlasslosen Vorratsdatenspeicherung sollen alle Inhalte und besonders die personenbezogenen Daten bei Facebook und Co nur noch 90 Tage lang gespeichert und ausgewertet werden dürfen. So werden auf einen Streich gleich zwei Fliegen geköpft, wenn das universale Digitalfallbeil fällt. Facebook und Google haben keine Datenberge mehr, die sie auswerten können und peinliche Fotos verschwinden von selbst. Ganz nebenbei wird die umstrittene Vorratsdatenspeicherung ein Stückchen weiter legitimiert, so als Maßnahme für mehr Datensparsamkeit. Noch nebenbeier sind es die Verlage mit ihren gespeicherten Artikeln, die von solch einem Vorgehen profitieren. Hach, die armen Verlage. Sonst haben sie doch nur das europoaweit weiter auszubauende Leistungsschutzrecht zum Überleben. Geht das so weiter, könnte eine Erlaubnis für den Organhandel mit den Nieren der Zeitungsausträger und der freien Journalisten folgen. Eine ist raus aus den Hunger Games: Focus-Journalistin Martina Fietz wird Regierungssprecherin.

*** George Orwell arbeitete in Katalonien als freier Journalist von Barcelona aus, sein Büro teilte er sich mit anderen Berichterstattern wie Ernest Hemingway und Andre Malraux. Später schloss er sich den Freiheitskämpfern der POUM an, nur um zu erleben, wie moskautreue Kommunisten Jagd auf POUM-Mitglieder machten und missliebige katalanische Politiker wie Lluís Companys i Jover zur Flucht nach Frankreich zwangen. All das kann in Orwells mein Katalonien nachgelesen werden. Über eben jenen Companys hat Julian Assange von der ecuadorianischen Botschaft aus getwittert, das Hitlerdeutschland den verhafteten Politiker an Francospanien auslieferte, wo er erst gefoltert und dann hingerichtet wurde. Nach dieser Einmischung kappte Ecuador den Internet-Zugang von Assange in der Londoner Botschaft. Angeblich sind sogar Jammer installiert, damit er nicht telefonieren oder per LTE ins Netz kann. Ebenso soll ein Besuchsverbot Freunde und Bekannte blocken. Darüber gibt es eine Art Gedicht von Pamela Anderson, etwas länger als ein Gomringer-Poem. In einer anderen Welt verhandeln jetzt die Diplomaten.

Was wird.

*** Auch im Fall des katalanischen Politikers Carles Puigdemont wird verhandelt, wie es weitergeht, allerdings nicht von Diplomaten, sondern von Juristen. Die Justiz hat das Wort und muss die Rechtmäßigkeit des europäischen Haftbefehls prüfen. Die ganzen Geschichten von spanischen Elitetruppen, die ihn verfolgten, sind inzwischen Makulatur. Den 13 spanischen Überwachern reichte es, den belgischen Mietwagen zu verwanzen und die GPS-Geolokalisierung auszuwerten, die ein Begleiter von Puigdemont nicht abgeschaltet hatte. Die Überraschung ist doch, dass die katalanischen Separatisten sich nicht an die Regeln der Operations Security gehalten haben. Das besten Wissen über die dunkle Tradition der spanischen Geheimdienste, die weit über den Tod von Franco hinaus im Kampf gegen die Frente Polisario in der Westsahara illegale Methoden einsetzte – der in Belgien angemietete Wagen war ohne Genehmigung belgischer Behörden mit einem Sender ausgestattet worden. Aber mietet man einen Wagen, ohne ihn zu untersuchen, wenn man zu einer Gruppe gehört, die ein Staat ins Gefängnis werfen will?

*** Wer keine Lust auf Ostereier und aufgeregt hoppelnde Traditionshasen hat, wird vielleicht beim "Popkultur-Schweinsgalopp" auf seine Kosten kommen. Am Dienstag kommt Ready Player One in die Kinos, der Film nach dem kultigen Buch von Ernst Cline. VR ist wieder einmal angesagt, es ist ein Auf und Ab mit einer vertrackten Geschichte. Die Message, dass Anzugträger die Utopien versauen, ist bekannt: Produkte müssen verkauft werden, Utopien sind unverkäuflich. Deshalb allen WWWW-Leserinnen und Lesern ein schönes Ostern mit dem ultimativ utopischen Song vom Kreuze:



Quelle : www.heise.de
Titel: 4W: Vom Unrecht des Vergessens und anderen deutschen Befindlichkeiten
Beitrag von: SiLæncer am 08 April, 2018, 10:05
Sie wollten vergessen, die rechtschaffenen Deutschen im Wirtschaftswunderland, und das ließen die 68er nicht zu, sagt Hal Faber 50 Jahre später. Nun sind die nächsten neuen Deutschen (wieder?) da und krakeelen zurück in die Zukunft.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Habemus Coalitionem? Pah. Während der älteste und der jüngste Minister der neuesten großen Koalition munter Sprüche klopfen und zum Beispiel als Journalismus-Experten Kommentare abgeben, ist das, was Regierung genannt wird, komplett bemerkelt und benebelt. Bald fahren alle nach Meseberg, wo die Regierung im Gästehaus der Bundesregierung beratschlagt, wie das gehen soll mit dem Regieren. In diesem Vakuum hagelt es Manifeste, ganz so, als sei ein gewisser Martin Schulz Kanzler und vollauf damit beschäftigt, seine einstmals hochgelobte Digitalcharta in Digitalien umzusetzen. So gibt es die Erklärung 2018 und natürlich die passende Antwort 2018. Beide voller Schwallwörter aus der jeweiligen politisch korrekten Lagersprache. Wo ist denn bei deutlich rückläufigen BAMF-Zahlen diese "illegale Masseneinwanderung", die die ach so Guten um Broder herum mit "wachsender Besorgnis" sehen? Und was bitte bedeutet dieses "Wenden gegen jede Ausgrenzung"? "Jede Ausgrenzung", das ist von solcher Beliebigkeit, dass Protest sicher dort schon fällig wird, wo jemand knapp den Bus verpasst und ausgegrenzt wird.

*** Damit nicht genug: Während diese kleine Wochenschau geschrieben wird, sitzen Politiker einer Werte-Union zusammen und basteln am nächsten Blatt, an einem "konservativen Manifest" für den konservativen Aufbruch. Weg mit der Genderforschung, zurück zur traditionellen Familie, Ende der Energiewende und Wehrpflicht für alle, das sollen die wichtigsten Forderungen neben "weg mit Merkel" sein. Zurück in den Muff der 60er Jahre, bevor die gerade so gefeierte Studentenbewegung Deutschland auslüftete. Deutschland 2018: Das ist nicht das Land der Dichter und Denker, wie es Madame de Staël-Holstein rühmte, sondern das Land der Manifeste und Krautfindungs-Websites, auf denen man gefälligst unterzeichnen soll.

*** Nicht nur die Sonderseiten der tageszeitung sind dieser Tage voll mit Geschichten über "1968". Selbst die Fachgruppe Informatik- und Computergeschichte beschäftigt sich mit dem Einfluss der 1968er auf Informatik und Kybernetik und tut dies in München auf dem Vintage Computing Festival. Was war? Was bleibt?, fragt die Süddeutsche Zeitung und kommt zum Prinzip Hoffnung, dass die Enkel und Urenkel der 68er drauf und dran sind, Spießer wie Trump und Gauland nicht mehr auszuhalten. Manch ein neckisches Quiz soll das Wissen über die Tage prüfen, an denen drei Kugeln auf Rudi Dutschke abgefeuert wurden. Doch das, was vor 50 Jahren passierte, hatte seine ganz besondere Vorgeschichte.

*** Im Jahre 1964, kurz bevor es rummste in der deutschen Kiste, sendete der Hessische Rundfunk eine Reihe von Vorträgen zum Thema "Sind wir noch das Volk der Dichter und Denker?", eine Frage die so unterschiedliche Denkedichter beantworteten wie Ernst Bloch und Arno Schmidt. Auf den Punkt brachte es Hermann Kesten:

"Die Deutschen ziehen den Wohlstand aller Poesie vor. Sie bitten alle Welt, dass man ihre Untaten vergebe, und sie selber vergessen sie. Darum lautet eine deutsche Maxime heute: Man muss vergeben und vergessen. Mit solchem Vorsatz wird man zum Erzfeind der Dichter und Denker, die nicht vergessen und keinen Fehler, keinen Irrtum vergeben dürfen, weder sich noch anderen. Das Gedächtnis und die Wahrheit sind unerlässlich für Dichter und Denker. Die meisten neuen Deutschen sind viel zu tüchtig, um zu dichten, viel zu konformistisch, um zu denken."

*** Ja, da wollten sie vergessen, die rechtschaffenen Deutschen im Wirtschaftswunderland, und die 68er ließen genau das nicht zu. Nun sind die nächsten neuen Deutschen (wieder?) da und krakeelen im besagten Hessen zurück in die Zukunft, während sie auf Pflastersteine beißen, zum Beweis ihrer urdeutschen Standhaftigkeit.

*** Besser als die Exekutive steht derzeit die Judikative in diesem unseren Lande da, die in Gestalt eines "Provinzgerichtes", des Oberlandesgerichtes Schleswig in der Causa Puidgemont ein bemerkenswertes Urteil ausgesprochen hat. Ausgerechnet auf der Grundlage einer Entscheidung des Bundesgerichtshofes von 1983 zu den Auseinandersetzungen um die Startbahn West in Frankfurt am Main beurteilte es die angebliche Rebellion von Puidgemont. Damals sahen deutsche Behörden wie die spanische Regierung heute eine unerhörte "Rebellion" am Werke und konstruierte den Vorwurf der "Nötigung von Verfassungsorganen". Der frühere katalanische Regionalpräsident Carles Puidgemont ist gegen Kaution und Meldeauflagen entlassen worden, was ein wenig an Julian Assange erinnert, der sich im Jahre 2012 den Meldeauflagen entzog und in die Botschaft von Ecuador floh. Dort wurde ihm, der mittlerweile Bürger von Ecuador ist, der Internet-Zugang gesperrt, nachdem er die deutsche Polizei von 2018 mit der Gestapo von 1940 verglichen hatte. Damit verstieß er gegen die Auflage der ecuadorianischen Regierung, sich nicht in die innenen Angelegenheiten anderer Staaten einzumischen. Angeblich sollen in der Botschaft sogar Jammer installiert worden sein, damit die Kommunikation per Smartphone unterbunden ist. Das behaupten Foristen, leider unter Berufung auf Russia Today. Dieser Medienkanal führt Puidgemont wie Assange als politische Gefangene und bezeichnet das – wie es Puidgemont selbst auch schon getan hat – als eine Schande für Europa. Diesen Fake gilt es auszuhalten.

Was wird.

Bald werden sie wieder verliehen, die Big Brother Awards, die nicht gerade begehrten Preise für das Wirken als Datenkrake, ob in der Arbeitswelt, in der Politik und in der Verwaltung. Diesmal findet die Gala im Bielefelder Stadttheater statt, ein gutes Stück vom kleinen Bunker Ulmenwall entfernt, in dem alles begann. Ganz nach dem Vorbild des Chaos Computer Clubs fordert Digitalcourage als Veranstalter der Preisverleihung die Dezentralisierung der Show, nicht zuletzt als Lösung, falls Bielefeld doch nicht existiert. Wie aus dem noch existierenden Bielefeld zu hören ist, drängeln sich die Kandidaten für die verschiedenen Kategorien, ausnahmsweise einmal ohne "Gesundheitsminister" Jens Spahn, der sonst überall der Erste, mindestens aber der Lauteste sein will. Dabei könnte das deutsche Gesundheitssystem mit seinen Datensammlungen so manchen preiswürdigen Kandidaten stellen.

Nachrichten über Facebook, BBA-Preisträger des Jahres 2011 sind in diesen Tagen nicht gerade Mangelware. Insofern ist der pennälerhafte Witz von Martin Perscheid keine Ausnahme oder doch, da er ja die Nippellöschung aufspießt. Doch die Löscherei hat noch ganz andere Aspekte parat: In diesen Tagen läuft die deutsche Dokumentation The Cleaners in den Kinos an, die das Leben der Löschbrigaden von Facebook und Google nicht in Berlin, sondern in Manila schildert. Auf den Philippinen arbeiten tiefgläubige Katholiken, die davon überzeugt sind, mit ihrer Löscharbeit die Welt von der "Sünde" freizuwaschen – und das auch noch für günstige 1 Dollar pro Stunde. 25.000 Löschungen pro Tag sollen geschafft werden, bei einer Fehlerquote von mehr als drei Prozent ist die Kündigung fällig, die Selbstmordrate traumatisierter Cleaner ist hoch. Mit der Doku werden Tücken des real existierenden Christentums besser erklärt als von erklärten Atheisten mit ganz anderen monotheistischen Wurzeln.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. WTF: Weltgeschichte als Tragödie und Farce
Beitrag von: SiLæncer am 15 April, 2018, 06:14
Geschichte? Gar Weltgeschichte? Ach geh mir weg, denkt sich Hal Faber, und gruselt sich ob so mancher Farce. Schlimmer kommt es immer, wenn schon nicht in der Geschichte, dann doch in der Musik. Oder dem, was mache dafür halten.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Wer kennt ihn nicht, den Hegel-Witz von Marx, nachdem sich alle Weltgeschichte wiederholt, einmal als Tragödie, das andere Mal als Farce. In dieser Woche ist eine Farce hinzugekommen, als Wiederholung einer Farce, auf die diesmal noch eine Tragödie folgen könnte. Von seiner Bettkante aus kündigte US-Präsident Trump "nette und smarte" Raketen an und warnte Russland. Ganz nebenbei hat Twitter damit Weltgeschichte geschrieben und in diesem Einsatz das früher zugeschaltete Fernsehen abgelöst. Das ist doch was, zusammen mit der traurigen Erkenntnis, dass die Weltgeschichte nicht den Börsenwert steigert. "Durch die Wiederholung wird das, was im Anfang nur als zufällig und möglich erschien, zu einem Wirklichen und Bestätigten", heißt es bei Hegel. Wer keine philosophischen Gedankengänge mag, für den gibt es einen durchaus gelungenen Farce-Film.

*** Sechs Tage hatten Freund und Feind Zeit, sich auf den Abflug bzw. Anflug von 105 Raketen vorzubereiten, der etwa 70 Minuten dauerte. Sie flogen dann pünktlich nach der Rede des US-Präsidenten los. Da kann man schon die eine oder andere Produktionsanlage oder ein Waffenlager umbetten. Wenn nun die Techniker der OPCW in Syrien nach Beweisen für den Giftgasangriff in Duma suchen und nichts finden, ist dann der Erfolg der Attacke bewiesen? Ein Schlag mit symbolischer Wirkung, "erforderlich und angemessen", das ist die Hohe Schule der Hundedressur.

*** Aber dazu müsste die drehbuchreif raffiniert dahingewedelte Ablenkungsstrategie durchgehalten und nicht schon wieder mit heftigen Ausfällen gegen andere garmiert werden. So leben wir in Zeiten, in denen Buch um Buch über Loyalität, Lügen und Leitungskraft veröffentlicht wird und die Schleimbälle hin und her fliegen. Dazu passt die umfassende Begnadigung für den Lewis Libby in dieser Woche, der für Falschaussagen und Meineide verurteilt wurde und nunmehr durch Trump voll rehabilitiert wurde. Gebt mir Rückendeckung und ich decke euch, ist das Signal.

*** Apropos Schleimbeutel: Es könnte einem ja wirklich jede Lust an der Musik vergehen angesichts der deutschen Musikindustrie. Geld stinkt nicht – und antisemitisch kann es schon gar nicht sein, wenn man Erfolg hat, dann wird man höchstens missverstanden. Man denkt ja jedesmal nach einer Echo-Verleihung, schlimmer könne es nächstes Jahr nicht mehr werden – und blickt entsetzt auf das, was dann im kommenden Jahr folgt. Wenn die Dumpfbacke Campino plötzlich zur intellektuellen und moralischen Instanz mutiert, spätestens dann ist der absolute Tiefpunkt erreicht; dabei ist das eigentlich nicht mal das Schlimmste, immerhin kann man über Battle-Rap sehr wohl eine künsterlische und inhaltliche Debatte führen. Wir aber sind gespannt, wie uns die deutsche Musikindustrie nächstes Jahr doch wieder eines Schlimmeren belehrt, denn die Musik ist ihr doch herzlich egal: Die deutsche Musikindustrie, das sind halt diese Leute, die "Musik für Menschen machen, die bestimmt und zu Recht irgendetwas mögen – nur eben auf keinen Fall Musik". Also gilt für den Echo nächstes Jahr: I repeat myself when under stress, oder auch: History Repeating, im Marx'schen Sinne, als Farce-Farce. (Und ich entschuldige mich bei Robert Fripp, den Propellerheads und Shirley Bassey, sie im Kontext der deutschen Musikindustrie verlinkt zu haben.)

*** Und was man mag oder was nicht, das bestimmen manchmal auch ganz andere. Da gab es diese Woche einen kleinen Zwischenfall. Ein rühriger Kollege von der Süddeutschen Zeitung wollte wissen, wie es um unseren Staatstrojaner für die Online-Durchsuchung bestellt ist und verabredete sich mit einem Mitarbeiter von TÜVIT, wo eben die Konformität und Funktionalität des Schnüffelprogrammes auf der "technischen Ebene" ganz ohne moralisches Urteil bewertet wird. Prüfauftrag ist Prüfauftrag. Das Resultat: Das Bundeskriminalamt verpasste den IT-Spezialisten wenige Minuten vor Beginn des Interviews einen Maulkorb. Mit Journalisten redet man nicht, mit Anfragen von Grünen- und FDP-Politikern geht man einsilbig um, immer ist die Gefahr da, dass Funktionsweisen und Details bekannt werden, auf das "Ermittlungsmaßnahmen" ins Leere laufen.

*** Passend zu diesem Gemauschel und Vertuschel der Bundeskriminalisten ist in dieser Woche in dem Juristenblatt GSZ ein Aufsatz von Marco Mansdörfer über das Online-Ausspähen und die genetische Sippenaft durch Auswertung äußerlicher Merkmale von DNA-Spuren erschienen. Darin wird dargelegt, dass Ermittler bei einer geplanten klassischen Durchsuchung dem Ermittlungsrichter darlegen müssen, welche Beweismittel sie sich von der Durchsuchung erhoffen und dann einen entsprechenden Durchsuchungsbeschluss bekommen. Fazit: "Von der Beschränkung auf bestimmte Beweismittel und vom offenen Vorgehen bleibt bei den Online-'Durchsuchung' nichts mehr übrig. Im Grunde muss für diese Art von Ermittlungsmaßnahme ein eigener, neuer Begriff gebildet werden. Von der Eingriffstiefe übersteigt die neue Maßnahme alle bisherigen Ermittlungsmaßnahmen, was für eine drastischere Bezeichnung spricht." Der Jurist schlägt "Ermächtigungsgrundlage zum Online-Ausspähen" vor, doch wie wäre es in dieser denglisch geprägten Zeit prägnanter mit BBB, Kürzel für "Big Brother Beiwohnung"? Geht auch gut als BBBB, für den geplanten Brementrojaner oder HBBB für den früher schon einmal mehrfach erwähnten Hessentrojaner.

*** Zu den Erkenntnissen dieser Woche gehört die Nachricht, dass Unternehmen die Datenschutz-Grundverordnung nur halbherzig umsetzen und auch der Journalismus von den Änderungen betroffen ist. Inmitten der allgemeinen Panikmache gibt es darum Handreichungen für Journalisten und Blogger, was zu beachten ist. Einen Bösewicht gibt es auch schon, es ist laut FAZ der Grüne Jan Philipp Albrecht, der in seiner Eigenschaft als "Facebook-Jäger" über Leichen geht und Deutschlands Unternehmen mit einem übermäßigen Datenschutz das Leben schwer macht, nur um Zuckerberg jagen zu können "Genugtuung für den Facebook-Jäger" heißt es hinter der Paywall der Zeitung. Das ist eine interessante Sicht der Dinge, mindestens ebenso wie Zuckerbergs Darstellung eines extrem linksgerichteten Silicon Valley. Inmitten all des Trubels um Facebook und Zuckerberg ist seine Versicherung doch eine beruhigende Nachricht, man habe alles getan, um diesen schlimmen Linksdrall nicht in die wunderbare Software einfließen zu lassen. Ja, da lacht das Silicon Valley und Zuckerberg grinst. Zu dieser Komödie passt dann ein Engels-Zitat: "Denn was jeder einzelne will, wird von jedem anderen verhindert, und was herauskommt, ist etwas, das keiner gewollt hat."

Was wird.

Auf Schloss Merseberg hat sich die Bundesregierung unter der Woche aufs gemeinsame Regieren verständigt und Themen wie den Bundeshaushalt behandelt. Das ganz große Megathema, die viel beschworene Digitalisierung und das eGovernment war überhaupt nicht dabei im großen Koalitionsschloss. Das Kleinklein überlassen die Politikdarsteller wohl lieber dem IT-Planungsrat, der ab Montag in Weimar tagt und Tagungspunkte abarbeitet. Die erste Glanztat ist, Deutschland als d-land abzukürzen, wie Digitalland, wissensschon. Dazu soll es eine Keynote der Kanzlerin geben, wie digital dieses d-land ist. Dann wird über Employability und E-Kompetenz und Elfen diskutiert. Letzteres meint keine Fabelwesen, sondern Einfach Leistungen für Eltern, vormals e-Geburt genannt, bis jemand erkannte, dass Gebären wenig e-Anteile hat.

In der tageszeitung ist ein Interview mit dem Anwalt Rolf Gössner erschienen, der 36 Jahre lang vom Bundesamt für Verfassungsschutz beobachtet wurde. Kurios, dass er während dieser Zeit auch Referent war, etwa beim hessischen Verfassungsschutz. Rachegelüste hegt er keine, sagt Gössner.

Doch auf die Frage, ob der Verfassungsschutz verfassungswidrig ist, antwortet er: "Das vielleicht nicht, aber er handelt oft verfassungswidrig; er ist nur schwer vereinbar mit Prinzipien des demokratischen Rechtsstaats, was ihn tendenziell zum Staat im Staat werden lässt." Die Frage, ob der Verfassungsschutz als "Scheißhaufen" aufgelöst werden und durch eine politische Polizei ersetzt werden sollte, beantwortet Gössner nicht, auch nicht die Frage, auf wen er die Laudatio bei den am Freitag anstehenden Big Brother Awards halten wird. Es bleibt also spannend.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. Mit einer Nachlese zu den Big Brother Awards.
Beitrag von: SiLæncer am 22 April, 2018, 08:49
Wenn die Blase platzt, dann sind alle besudelt, Blasenfüller ebenso wie Blasenleerer. Unangenehme Assoziationen? Die wecken Big-Data-Illusionen auch, ist sich Hal Faber sicher.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Secondhand spielt laut Wikipedia "für die breite Masse der Bevölkerung" bei Hochzeitskleidern und der Kleidung für diverse Initiationsriten die Rolle eines Kostenkillers. Ganz in weiß fesch aufgebrezelt wird der Bund fürs Leben gefeiert und das Kleid anschließend verkauft oder in der Bucht angeboten. Im Fall von Secondhand-Datenbanken sieht die Sache anders aus: Firmen verkaufen das, was sie an Daten über Menschen eingesammelt haben, als aggregierte korrekte Darstellung der Realität. Das aber ist eine Big-Data-Illusion, meinte Sarah Spiekermann zum Auftakt der Big Brother Awards. Das ist die Veranstaltung mit Oskar, dem Datenkraken, der ein Telefonbuch in seinen Tentakeln hält, immerhin eine Sammlung mit korrekt geschriebenen Namen, Adressen und Nummern. In diesem Jahr räkelte sich kein Oskar rund ums Rednerpult, stattdessen gab es passend zur Big-Data-Illusion etwas Grünzeug, drapiert mit Kinderschubkarren und Preis-Statuetten. Mit großem Elan wird der eingesammelte Secondhand-Eindruck zum digitalen Abdruck erklärt, gar zum Öl des 21. Jahrhunderts verklärt, weil die künstliche Intelligenz mit diesen Daten gefüttert wird und Algorithmen die Seconhand-Sammlung aufbereiten. Für Sarah Spiekermann ist es höchste Zeit, dass diese Blase platzt. Big Data als Blase erkannten Heise-Foristen schon früher.

*** Andere wollen diese Blase füllen. Wenn es um die Gesundheit der Bevölkerung geht und dafür Daten gesammelt werden müssen, so kann hin und wieder eine kleine Datenspende fällig werden, meinte Gesundheitsminister Jens Spahn dieser Tage auf einer Messe für Medizin-IT in Berlin. Harte Daten für einen gesunden Volkskörper, das muss man doch verstehen, da ist der Bürger in der Spendenpflicht, von seinem Datenreichtum etwas abzugeben für das Gemeinwohl. Ganz so, wie die Kassen ihre "gehorteten Beiträge" an den Gesundheitsfond übergeben und künftig niedere Beiträge von ihren Versicherten verlangen sollen. Das soll vor allem dem Finanzkörper von Kleinselbständigen zugute kommen. Auch für die Vision einer gesunden Arbeitswelt kann man Daten sammeln, zum Beispiel mit der Software von Soma Analytics, die einen Big Brother Award bekamen. "Statistiken wie zum Beispiel, dass psychische Erkrankung die häufigste Ursache für Fehlzeiten in Unternehmen ist, und dass sich neun von zehn Deutschen im Job gestresst fühlen, zeigen, dass alle bisherigen Maßnahmen in Unternehmen kläglich versagen." Wenn neun von zehn Arbeitsplätzen Stress erzeugen, dann sind es vielleicht die Arbeitsverhältnisse, die grundlegend geändert werden müssen. Das mit der entfremdeten Arbeit wurde lange vor dem Smartphone bekannt, da hilft kein Anti-Stressprogramm als Ausgleichs-App.

*** Zur treuhändigen Verwaltung und des Bürgerleins Beruhigung kann man ja passend zur repräsentativen Demokratie eine Instanz zur Überwachung des repräsentativen Dateneigentums einführen, am besten als öffentlich-rechtliches Gebilde mit automatischer Dateneinzugszentrale wie bei Fernsehen und Rundfunk. Ja, da hat sich die CDU-nahe Konrad Adenauer-Stiftung doch etwas Feines zur Hebung des Datenreichtums ausgedacht. Vielleicht wäre bei der Mutterpartei ein ähnlicher Wortfindungsreichtum angebracht, die bekanntlich zusammen mit den Grünen einen Krakenpreis für die Reformation des Verfassungsschutzes a.k.a. Hessentrojaner bekam. Da Wahlen anstehen, fordert die Humanistische Union Hessen die Wähler auf, sich ein Urteil über die demokratischen Tendenzen der prämierten Parteien zu bilden. Warum die Auszeichnung nicht auch nach Baden-Württemberg ging, wo Grüne die Regierungsmehrheit stellen und im November 2017 Ähnliches verabschiedeten, ist unklar. Ohnehin zeichnet sich mit den Bestrebungen in Bremen und Niedersachsen ab, dass die Gesetzesverschärfungen unabhängig davon sind, wer gerade regiert. So dürfte schon der nächste Kandidat für den künstlerisch wertvollen Big-Brother-Preis feststehen. Niemand Geringeres als Host Seehofer hätte ihn verdient, wenn das neue Musterpolizeigesetz nach dem Vorbild des bayerischen Gesetzes gezimmert wird. Vielleicht geht auch ein Preis nach Sachsen.

*** Unter den Nachrichten dieser Woche dürfte der Ausschluss von Kaspersky-Werbung durch Twitter wohl die zu den seltsamsten gehören. Kaspersky will das so unfreiwillig eingesparte Geld der Electronic Frontier Foundation spenden, die sich gerade mit der zielgerichteten Werbung beschäftigt, die Facebook und Twitter anbieten und die Kaspersky buchen wollte. Das Äquivalent wäre, wenn Microsoft Deutschland für Digitalcourage spenden würde, den Ausrichter der Big Brother Awards. Schließlich ist eine kritische Öffentlichkeit, die Microsoft dabei begleitet, welche Daten von Windows 10 ausgeleitet werden, stets weiterer Ansporn, das Produkt zu verbessern. So soll mit Windows 10 RS4 ein Update kommen, das "den Anliegen von Unternehmen und Behörden Rechnung" trägt, so die Antwort. Da muss es wohl einen Ansporn gegeben haben in Microsoft, am 19.4.2018.

*** Seltsam ist auch die Nachricht aus den USA, dass der demokratische Nationalkongress als Partei vor Gericht gegen Russland und Wikileaks und etliche Personen aus dem Umfeld von Trumps Wahlkampfteam klagen will, weil die Veröffentlichung von internen Dokumenten der Partei im Wahlkampf geschadet habe. Dabei seien Geschäftsgeheimnisse der Partei, vertrauliche Listen über Spendengelder und details zur Wahlkampfstrategie gestohlen worden, was den Tatbestand der "Wirtschaftsspionage" erfülle ("each release constituted a seperated act of economic spionage"). Über Wikileaks kann man viel sagen und diskutieren, aber Wirtschaftsspionage ist kein Anliegen dieser Organisation; und der Verrat von Geschäftsgeheimnissen ist wohl nur dort interessant, wo das Geschäft der Spionage und Überwachung betrieben wird. Der Vorwurf der Wirtschaftsspioange stellt sich so als juristischer Kunstgriff da, zwischen Wikileaks und den US-Medien von linksliberal bis "Alt-Right" zu trennen, die allesamt aus den "DNC-Leaks" zitierten. Würden diese Medien angeklagt, so würde die Aktion der Demokraten als Angriff auf die Pressefreiheit gewertet werden können. Das aber ist angesichts der anstehenden Midterm-Wahlen nicht ratsam. Da könnte doch glatt noch eine Blase platzen.

*** Schaut man in die Klageschrift, wie sie von der Washington Post veröffentlicht wurde, so wird die Sache noch rätselhafter. Da ist vom "unautorisierten Zugriff auf geschützte Computer" die Rede, ohne jede Erklärung, was denn ein "geschützter Computer" ist. Möglicherweise ist die Klage unzulässig, weil nicht einmal dargelegt wird, was ein Computer ist. Das wäre das bizarre Ende einer bizarren Geschichte, zu der nicht zuletzt die bizarre Auskunft von Julian Assange gehört, er habe die Materialien von einem DNC-Mitarbeiter namens Seth Rich bekommen. Damit wäre auch der "unautorisierte Zugriff" aus der Welt, der jedoch weder belegt noch widerlegt werden kann: Seth Rich wurde wenig später ermordet. Ein Requiem scheint die passende Begleitmusik nicht nur zu schwarzen Monolithen.

Was wird.

Berlin spielt und daddelt, während Paderborn sich traditionsbewusst zeigt. Dafür hat Paderborn einen Flughafen und Berlin mit dem BER das aktuelle Manifest des deutschen Bauwesens, der am wenigsten digitalisierten Branche des Landes. Dort geht es in der nächsten Woche etwas lebhafter zu, denn es gibt da janz weit draußen die ILA Berlin. Mit Klassiker-Themen, die es locker mit der Bauplanung aufnehmen: Die Integration von Drohnen in den Luftverkehr wird wieder einmal diskutiert, denn mit den Drohnen beschäftigt sich nicht nur die Politik, weil die Ausschreibung zum Bau einer Eurodrohne ansteht, die Deutschland, Frankreich und Großbritannien nutzen wollen. Auch das Militär ist wieder einmal dabei, sich mit der Zwischenlösung zu beschäftigen, die fliegen, aber noch nicht scharf schießen können soll. Seit Jahren liegt ein Aufklärungsmodul nutzlos wie der BER herum, das einstmals für den eingemotteten Eurohawk entwickelt wurde. Dies soll im neuen Flieger eingebaut werden und hoch über Deutschland Richtung Osten lauschen. Flieg, Drohnelein, flieg – für einen Big Brother Award ist es nie zu spät.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. Komm lieber Mai und mache (irgendwas).
Beitrag von: SiLæncer am 29 April, 2018, 07:46
"Komm, lieber Mai, und mache die Bäume wieder grün" - ach ja, seufzt Hal Faber, reißt sich zusammen, lässt all die Mai-Feierlichkeiten und Anti-Fake-News-Kampagnen links liegen und berauscht sich lieber an, tja,vorsichtshalber an etwas aktueller Musik.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Welch wunderbare Zeiten für Fake News. Da ruft ein schlechtgelaunter US-Präsident den Fernsehsender Fox News an und redet sich um Kopf und Kragen, während er über die Fake News von ABC und CNN lamentiert. Die Moderatoren haben sichtlich Mühe, die Suada des Präsidenten zu stoppen, der offenbar keine Pause einlegt, damit Werbung gesendet werden kann. Trumps Desinformation lief am selben Tag über die Bildschirme, als im fernen Europa die EU-Kommission ihr Grundsatzpapier veröffentlichte, wie Europa mit Fake News umzugehen habe. Neben bekannten Trivialitäten wie der Förderung von Qualitätsjournalismus beim Sender und der Förderung von Medienkompetenz beim Empfänger, neben dem Verweis auf gewichtige Studien zum Thema Fake News, finden sich Sachen, bei denen Kopf und Tischplatte high fiven: Über EU-Angelegenheiten dürfen fürderhin keine Fake News verbreitet werden, vielmehr sollen "qualitativ hochwertige Nachrichteninhalte über EU-Angelegenheiten auf der Grundlage datengesteuerter Nachrichtenmedien" gesendet werden.

*** Doch was sind eigentlich datengesteuerte Nachrichtenmedien, respektive die "data driven news media" des englischen Originals? Gilt hier nur der Datenjournalismus, bei dem größere Datenberge durchwühlt werden und Erkenntnisse mit schicker Grafik aufgearbeitet werden? Data driven kann ja vieles sein, sogar die Fake News, wenn mit kräftiger Hilfe der Datenanalyse die Gesichtsmimik passend zur Tonspur gezeigt wird. Fake News gibt es auch in der Wissenschaft, die Wissen auf der Basis von harten Daten schafft. Ganz aktuell sehen wir es in der journalistischen Aufbereitung der "Revolte von 1968", wo munter fabuliert wird. Umso schlimmer für die Tatsachen, wenn diese sich nicht fügen wollen, wie in dem einflussreichen Buch Adorno für Ruinenkinder, das "möglichst präzise" über die 68er berichtet. Neben vielen real befragten Zeitgenossen tauchen auch fiktive Figuren auf, die aber auf wissenschaftlich harter Basis "erarbeitet" wurden. Was im Roman als dichterische Freiheit gepriesen wird, ist in der Wissenschaft eine "Mischperson im Sinne der Freudschen, metaphorischen und der Lacanschen metonymischen Fiktion", zackbumms, so einfach ist das. Tatsachen? "When the legend becomes fact, print the legend." Oder: Fakten, Fakten, Fakten, und immer ... Man wünscht sich doch immer wieder Roger Willemsen zurück.

*** Zurück zum Grundsatzpapier der EU-Kommission. Dort werden nicht nur Faktenfinder und Faktenprüfer gefordert und Online-Dienste zum sorgsamen Umgang mit Fakten angehalten, wir finden auch noch den Punkt "Förderung freiwilliger Online-Systeme zur Verbesserung der Rückverfolgbarkeit und Identifizierung von Anbietern von Informationen sowie zur Stärkung des Vertrauens in die Interaktionen, Informationen und ihre Quellen im Internet und deren Zuverlässigkeit". Hach, da lacht das Herz und schwillt der Kamm, denn diese Formulierung erinnert uns Deutsche an einen alten Untoten, die Digitalcharta. Sie ist wieder da, dieses unsere Neuland einzuhegen: In dieser Woche wurde schließlich auch die Version 2.0 der Digitalcharta vorgestellt und metaphorisch wie metonymisch von Kompetenzzentren diskutiert. Was bereits in einer früheren Wochenschau gesagt wurde, gilt unverändert weiter, auch wenn das idiotische "Recht auf Nicht-Wissen" und die verpflichtende Vorzensur von Artikel 5 in der Versenkung verschwunden sind wie Martin Schulz als ehemaliger Bannerträger der Digitalcharta. Aber bitte, noch einmal zur Widerholung in der Kurzversion: Es gibt Grundrechte. Es gibt keine digitalen Grundrechte. Und, mal so als Zugabe: "In keinem Fall darf ein Grundrecht in seinem Wesensgehalt angetastet werden."

*** Die Digitalcharta soll europaweit gelten. Fest entschlossen soll die Europäische Union die Rechte, Freiheiten und Grundsätze der Digitalcharta anerkennen. An einem Punkte treffen sich die deutschen Charta-Verfasser und die Autoren des Grundsatzpapiers der EU-Kommission. Im Artikel 9 der Charta heißt es: "Das Recht, an öffentlichen Wahlen und Abstimmungen teilzunehmen, darf nicht an die Nutzung digitaler Medien gebunden werden." Im Grundsatzpapier steht etwas von der "Unterstützung der Mitgliedstaaten bei der Absicherung von Wahlen gegen zunehmend komplexe Cyberbedrohungen, wie Desinformation im Internet und Cyberangriffe." Öffentliche, freie und geheime Wahlen sind eine bedrohte Spezies, nicht nur, weil es in Europa Bestrebungen gibt, verstärkt Wahlmaschinen einzusetzen. Außerdem sind da die bösen Russen, die diversen Cyberangriffen zugeordnet wurden, worüber sich diese Woche die Linke sehr entrüstet zeigte, wegen der mickrigen Faktenlage. Dabei sind die wichtigsten Fakten seit dem Besuch im Bärenkäfig bekannt. Was die Mickrigkeit anbelangt, so geht es noch mickriger, wie die fast vollständige Schwärzung des Russland-Reportes des US-Kongresses dieser Tage zeigte: "Attribution is a Bear" ist die einzige für die Öffentlichkeit bestimmte Information und diese macht einen Witz draus.

*** In Korea haben sich Kim Jong-un und Moon Jae-in getroffen und eine Erklärung für Frieden, Aufblühen und Vereinigung der Koreanischen Halbinsel unterzeichnet. Ein Bäumchen wurde gepflanzt; es gab Naengmyon aus dem Norden und Rösti aus dem Süden sowie verhaltenes Lob aus dem Osten. Bundeskanzlerin Merkel erinnerte in Washington an die Freuden der Wiedervereinigung und dankte den USA. Ob alles Ernst gemeint ist, wird sich zeigen müssen. Die schlichte Wahrheit sprach ein ehemaliger US-amerikanischer Unterhändler aus: In Nordkorea ist Kim Jong-un ein Gott. Ja, Götter dürfen verrückt sein.

*** Und Klaus Voormann wird 80, so, so. Wenn man nicht nur in stark verblassten und mittlerweile eher irrelevanten Erinnerungen schwelgen will, so hatte man es Ende der Woche schwer, was man zuerst hören wollte: Janelle Monáe mit "Dirty Computer"? Neues von der Queen des Afrofuturismus (wer ist schon Beyoncé)? Auf jeden Fall! Oder doch erst mal Van Morrisons "You’re Driving Me Crazy"? Auch das – ich werde auf meinen alten Tage tatsächlich noch zum Van-Morrison-Fan, nach "Roll With The Punches" und "Versatile. Ja, ja, ich weiß, "It's to late to stop now" mit der fantastischen Live-Version von "Caravan" hätte mich schon längts bekehren sollen, aber man lernt ja nie aus, auch musikalisch. Aber relaxte Alte Säcke sind das eine, die Faszination des modernen R&B das andere. Also: Musik!

Was wird.

Heraus, heraus zum 1. Mai! Überall, wo ein Kreuz hängt, soll eine rote Fahne wehen, nicht als Zeichen irgendeiner Partei oder einer Religion, sondern ganz im Geiste des Cola-Light-Trinkers Söders einfach "als Symbol für die kulturelle Identität und Prägung der Arbeitszwänglinge". So wurden einstmals Arbeiter in Bayern und Österreich genannt. Was Kreuze so zeigen können, können rote Fahnen genauso wie weißblaue, dort, wo man gerade anfängt, die Geburt des Freistaates Bayern zu feiern. Nach einem kurzen freigeistigen Intermezzo unter Kurt Eisner, Ernst Toller und Eugen Leviné wurde Bayern zur "Ordnungszelle Bayern", voller Hass auf das dreckige, großmäulige Berlin. Das ist bis heute so.

Heraus, heraus, zum 1. Mai! Am Weltfeiertag der Arbeiterklasse will die Linke mit dem Slogan "Es ist maine Zeit" demonstrieren und auch die Partei Hier können Familien Kaffee kochen ist an vielen Orten mit dabei. Derweil marschieren die deutschen Gewerkschaften im Zeichen der neuen deutsch-französischen Freundschaft mit dem Dreitakter-Slogan Solidarität, Vielfalt, Gerechtigkeit zu den Festplätzen und Rednertribünen. Das klingt fast wie Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, nur nicht so radikal. Ein bisschen Einfalt muss sein, wir sind doch alle so vom Christentum geprägt.

Gleich nach dem Einstieg in den Wonnemonat Mai bricht die digitale, egalitäre und sehr brüderliche wie schwesterliche Republik aus, wenn die Massen in Berlin (latürnich) auf die re:publica strömen, die diesmal POP ist, ausgeschrieben wohl Power of the people class. Niemand anderes als Chelsea Manning wird über Hippies, das Silicon Valley und Hannah Arendt am digitalen Kamin plauschen. Später wird dann alles Mögliche diskutiert, von der Digitalcharta 2.0 über Fake News und dem besonderen Datenjournalismus bis zum besonderen Anwaltspostfach beA, das immer noch 20 Software-Lücken hat, davon 12 gravierender Art. Schlappe 52 Euro darf jeder Anwalt für das Nichtfunktionieren im nächsten Jahr bezahlen, wurde gerade verkündet. Davon lässt sich dann der denkbar lausigste PR-Job in dieser Republik finanzieren.

Quelle : www.heise.de
Titel: WWWW - Von Blasen und anderen Leiden beim Gang in der Ebene
Beitrag von: SiLæncer am 06 Mai, 2018, 06:26
Die Re:publica 2018 blies keinen Blues, sondern große Blasen auf, was Hal Fabers Neugier auf das Ploppen weckt. Derweil probt Bayern die Verpolizeistaatung bis der Heimatschutzminister kommt.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war

Die Blase lebt. Die Blase lebt und blubbert und platzt nicht wie Grill-Salzsteine beim Fleisch-Verkokeln. Alle, alle blubbern fröhlich mit. Zwar ist die Re:publica wesentlich kleiner als der Web Summit, zu dem in Lissabon 60.000 Teilnehmer erwartet werden, doch feiert sich die re:publica mit dem Besucherrekord von 10.000 als allergrößte und allerschönste.

Und die Allerverteilste ist sie auch noch: Mit Unterstützung des Entwicklungsministeriums soll es zum Jahresende eine Re:publica in Accra geben. Toll, auf nach Ghana, das liegt weit unter Mali, wo die Bundeswehr in diesen schrecklichen Uniformen herumfährt, die zu tragen die tageszeitung als Ausdruck eines neuen Militarismus sieht. Gerade wurde der Einsatz verlängert. Halten wir fest: Das Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ist mit seiner Reihe "Tech for Good" das dritte Bundesministerium, das die Re:publica fördert. Nach dem Großsponsor des Bildungs- und Forschungsministerium, das mit seinen Arbeitswelten der Zukunft auf die Re:publica zog, nach dem Bundesinnenministerium, das mit der Bundeszentrale für politische Bildung etliche Subkonferenzen wie Re:fugees förderte.

Nur das Verteidigungsministerium ist nicht gern gesehen. Das wollte nämlich einen Informationsstand auf der Re:publica aufbauen, um den einen oder anderen aus der Blase davon zu überzeugen, im Cyberwar bei der Truppe mitzukämpfen. Dieses Hacken der Konferenz wurde vom Veranstalter abgelehnt, unter anderem mit dem Hinweis, dass die Bundeswehr einen Angriffskrieg im Inneren vorbereite – eben diesen Cyberwar, der irgendwo und überall stattfindet.

Groß war dann die Aufregung, als die Bundeswehr nicht mal einen ganzen Tag lang
einen Werbelaster genau vor der Re:publica parkte und verschiedene Soldaten in unterschiedlichen Uniformen dazustellte, die sonst am Bahnhof Friedrichstraße im Showroom bei der Wahl der Karriere beraten. Der Slogan auf dem Laster nahm auf die ganz in grün gehaltene Konferenz Bezug: "Bunt ist auch Grün." Dazu gab man auf Twitter ordentlich Zunder und spielte die beleidigte Leberwurst.

Weil zu dieser Zeit Chelsea Manning auf der Bühne redete, wurde aufgeregt getwittert, dass der Anblick von Uniformen für sie und andere traumatisierend sein könnte und dass das Zeigen von Uniformen in einem "fremden Kulturraum" übergriffig ist. Wie gesagt, die Blase blubbert – und hat auch noch jede Menge Fragen.

Groß war der Medienauftrieb zur Re:publica, der WDR und das ZDF hatten jeweils eigene große Stände und viel wurde über die Zukunft des investigativen Journalismus nachgedacht, der den "Social Natives" die Liebe zur Blase und das Lesen von Fake News austreiben sollte. Sonst, ja sonst werde sich niemand mehr investigativen Journalismus leisten können, ganz nach dem Motto "wir sind alt und haben wenig Geld."

Eine neue Fehlerkultur soll es bringen; Systeme wie das erwähnte Fragdenstaat den Journalismus der Zukunft befruchten. Zu den wenigen Lichtblicken in der trüben Blase der Selbstbezüglichkeit zählte wohl die Vorstellung der European Public Open Spaces, in denen öffentlich-rechtliche Medien, die öffentliche Kultur der Museen und Universitäten sowie die" Allmend-Gesellschaften" wie Wikipedia, Free Software und Open Educationals Resources auf europäischer Ebene zusammenkommen sollen in einer einzigen großen vernetzten "Mediathek".

Auch hier fielen große Worte zum großen Abgesang: "Das Internet ist zu einem weitgehend kommerziellen Raum geworden, der die Hoffnung auf Demokratisierung der Öffentlichkeit nicht erfüllt hat. Ein habermasianisches Modell der deliberativen Demokratie hängt von Räumen ab, die frei sind von staatlichen und marktwirtschaftlichen Einflüssen." Doch wenn alle mitmachen, die Öffis wie die Universitäten und sonstigen Kulturräume, wird alles wieder gut. "Bürger*innen erhalten ein One-Stop-Portal für zuverlässige, qualitativ hochwertige Informationen und Debatten, für die aktuelle Kultur und das Kulturerbe, das Orientierung in Zeiten von Post-Faktizität und Hassrede bietet." Plopp, die Blase gilt.

Wie groß die Differenzen im Digitalen sein können, kann man beim Konzept der Smart City sehen. Während das Konzept all dieser Smart Cities vor wenigen Tagen einen Big Brother Award bekam, wurde in Berlin die Smart Rebel City gefeiert, in der digitale Stadtkämpfer per "Civic Tech" die "Kollaboration einschleusen". Die ganze Smartness des Konzeptes zeigte sich im Vortrag von Orit Halpern, in dem es von der Smart City bis zum Smart Mining nur ein Katzensprung war.

Alles smarte Territorien, die dank eines smarten Mandates auch noch die größten Umweltschäden smart beseitigen, die sie selbst verursachen. Smartness als Mischung aus Big Data und großstäbiger Planung, gefüttert von allgegenwärtigen Sensoren, soll Gesellschaften von Unsicherheiten und Bedrohungen befreien. Rundum behütet von Maschinen voller Liebe und Güte, wie es Richard Brautigan zu Hippiezeiten formulierte, wachsen wir mit den Kyber-Kreisläufen zusammen.

Liebe, Güte und Vertrauen spielen auch bei der Gesundheitsakte eine Rolle, die die ihren Versicherten anbietet. Eifrig warb TK-Chef Jens Baas bei "Power of Patients" für seine zusammen mit dem Re:publica-Großsponsor IBM entwickelte Lösung, schließlich wäre es eine Katastrophe, wenn es am Markt zwanzig verschiedene Speichersysteme für Gesundheitsdaten angeboten würden. Wie viel liebevoller ist es doch, wenn es nur eine zentrale Datensammlung geben würde, natürlich verschlüsselt, von Anfang zu Ende und absolut hochsicher, ganz anders als diese elend transparenten Medileaks, die die Wahrheit über deutsche Krankenhäuser speichern.

In den USA hat der Director of National Intelligence den jährlich fälligen Tansparenzbericht zur Arbeit der Sicherheitsbehörden veröffentlicht. Danach haben sich die Überwachungsmaßnahmen der NSA verdreifacht: Die anfallenden Telefonnummern von 534 Millionen Telefongespräche und Textnachrichten wurden gespeichert und ausgewertet, wie der Pflichtbericht nach dem FISA Act mitteilt. Von 129.080 Personen im Ausland wurde der Internet-Verkehr gespeichert und analysiert.

All das sei moderat im Vergleich zu einer früheren Ära, als viel umfassender gespeichert wurde. Dieser leise Hinweis auf Edward Snowden und seine Enthüllungen dürfte das Äußerste an Kritik sein, die sich das DNI erlauben kann. Detaillierte Angaben zu den gespeicherten Telefonnummern gibt es nicht. Da haben es die Schweizer besser. Dort hat man bekanntlich die Vorratsdatenspeicherung von Telefondaten eingeführt, aber auch ein Auskunftsrecht der Bürger nach einem Gerichtsurteil installiert. Derzeit bekommen interessierte Schweizer die ersten Auskünfte zugestellt, ordentlich in ZIP-Dateien auf CD-ROM gepackt und passwortgesichert. Man darf gespannt sein, ob die Auswertung des eigenen Mobilfunkverkehrs ein neues Hobby wird.

Was wird

Raus aus der Blase! Auf der Re:publica ließ sich der an einer anderen Diskussion teilnehmende Gerhard Baum ein Mikrofon reichen und er klärte lakonisch, er sei mal Innenminister gewesen. Dann machte Baum seinem Unmut Luft, wie mit dem Sicherheitsfuror und den neuen Polizeigesetzen systematisch ein Klima der Bedrohung und Verunsicherung geschaffen wird, das weitaus ängstlicher ist, als dies zu RAF-Zeiten war. Dafür bekam er Beifall und das bayerische Polizeiaufgabengesetz wurde weiter diskutiert.

Dieses Gesetz,das ein Schlag ins Gesicht der rechtstreuen Bevölkerung ist, will
Innenminister Seehofer bekanntlich zum Vorbild seines geplanten Muster-Polizeigesetzes nehmen. Gegen die bayerische Variante soll am 10. Mai in München eine Großdemo protestieren, bei der selbst Umweltverbände mit von der Partie sind.

Dort, wo das Södern zum neuen Ton gehört, darf natürlich ein Dringlichkeitsantrag der CSU nicht fehlen, die den demokratischen Kräften des Bayerischen Landtages die Teilnahme an der Großdemo am liebsten untersagen möchte:"Wenn sich auch noch demokratisch gewählte Parteien wie SPD und Grüne in dieses Bündnis einreihen, ist dies eine Gefahr für unseren Rechtsstaat." Die Klimavergiftung beginnt mit Denk- und Demonstrationsverboten.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. Von Hausmeister Herrmann und Berliner FUD
Beitrag von: SiLæncer am 13 Mai, 2018, 08:55
In München gingen Zehntausende gegen das bayerische Polizeiaufgabengesetz auf die Straße. Das macht Mut, findet Hal Faber. Doch der Mut verlässt einen wieder, blickt man auf die Hauptstadt.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Schön war's: In München haben 30.000 Menschen gegen das geplante bayerische Polizeiaufgabengesetz demonstriert. Nach Angaben der Organisatoren könnten es gar 45.000 gewesen sein, weil Demonstranten noch zum Versammlungsplatz strömten, während schon die Schlusskundgebung am Odeonsplatz lief. Das ist eine Ansage, die Mut macht. "Zertreten des Grundgesetzes verboten", stand auf einem der in Deutschland so beliebten gelben Verbotsschilder. Hausmeister Herrmann, der in Bayern sein Trampel-Gesetz gar für eine bundesweite Ausdehnung empfehlen möchte, verlor die Fassung und sprach von einer Lügenpropaganda der Organisatoren, die manch unbedarfte Menschen in die Irre geführt habe. Die Menschen als unbedarft zu bezeichnen, die sich Sorgen um den Zustand der Demokratie und der demokratischen Freiheiten in Deutschland machen, zeigt klar, wie bedürftig das Politikverständnis von Joachim Herrmann ist.

*** Erwähnenswert auch die dürftigen Rechenkünste des CSU-Abgeordneten Michael Kuffer, der 0,3 Prozent der Wahlberechtigten am Demonstrieren sah und daraus schlussfolgerte, dass die Bayern geschlossen hinter einem Gesetz stehen, das aus Bayern einen Polizeistaat macht. Jawohl, ein Polizeistaat: wer bei einer nicht näher definierten drohenden Gefahr unbegrenzt präventiv eingesperrt werden kann, wessen Computer und Smartphones nach belieben durchsucht werden können, ist dem Gutdünken oder Böswollen der Polizei ausgesetzt.

*** Bekanntlich gibt es mehrere Verfassungsklagen gegen das Polizeiaufgabengesetz. Am Ende könnten acht Richter über ein Gesetz einscheiden, dann müsste Michael Kuffer von der Prozentrechnung auf die Promillerechnung umschalten. Für Bayern bleibt die Frage, ob das Wackersdorf-Gefühl der Demonstranten bis zur Landtagswahl trägt. Immerhin hat Ministerpräsident Markus Söder eine Kommission angekündigt, die die Einführung des Polizeiaufgabengesetzes "kritisch begleiten" soll. Außerdem sollen "Dialogprozesse" mit Schülern und Studenten geführt werden: die weiß-blaue Geschmeidigkeit lässt grüßen.

*** Für andere Bundesländer, in denen die Polizeigesetze gegen "drohende Gefahren" aufgemöbelt werden sollen, stellt sich die Frage, ob man nicht auch ein paar 10.000 Menschen dazu bringen kann, den Sicherheitskoller deutscher Politik zu stoppen. 10.000 ist übrigens eine historische Zahl: so viele Menschen kamen vor 50 Jahren beim Marsch auf Bonn zusammen, um gegen die Verabschiedung der Notstandsgesetze zu protestieren. Damals wurde das Abhören der Telefon- und Fernschreibkommunikation durch Verfassungsschutz, Bundesnachrichtendienst und den Militärischen Abschirmdienst sowie das Aufbrechen des Postgeheimnisses legalisiert, sofern der bloße Verdacht besteht, das Staatswohl der Bundesrepublik könnte gefährdet sein. Die "drohende Gefahr" von Herrmann und Söder lässt grüßen.

*** Bis zu den Notstandsgesetzen durften allein die drei Besatzungsmächte in Deutschland Telefongespräche abhören und das Postgeheimnis brechen. Im Jahre 1964 verplapperte sich der Innenminister und CSU-Politiker Hermann Höcherl, als er erklärte, dass die befreundeten Dienste der Franzosen, Engländer und Amerikaner auf Zuruf auch Überwachungswünsche der deutschen Schnüffler ausführten. Mit den Notstandsgesetzen bekamen diese freie Hand, die umso freier war, weil gegen die Überwachungsmaßnahmen keine Rechtsmittel eingelegt werden konnten. Denn man richtete eine geheim tagende G10-Kontrollkommission ein, die aus drei Personen bestand und deren Beschlüsse ebenfalls geheim blieben.

*** Der "klare Verfassungsbruch" – so damals der FDP-Politiker Hans-Dietrich Genscher – im Namen der Staatsräson ist seitdem tragender Bestandteil unserer Rechtsordnung und steckt in den zeitgenössischen Maßnamen wie der "Quellen-TKÜ", der Installation von geheimen Online-Durchsuchungsprogrammen oder dem Ausschnüffeln durch Interpol. Was das soll, weiß nur die zuständige G10-Kommission des Bundestages, zu unserem aller Staatswohlsein.

Heute wird das etwas anders ausgedrückt: "Der Schutz vor allem der technischen Fähigkeiten der Bundesbehörden stellt für die Aufgabenerfüllung der Bundesbehörden einen überragend wichtigen Grundsatz dar. Er dient der Aufrechterhaltung der Effektivität – insbesondere nachrichtendienstlicher – Informationsbeschaffung durch den Einsatz spezifischer Fähigkeiten und damit dem Staatswohl. Auch sind Erkenntnisse über Analysefähigkeiten von Sicherheitsvorfällen und Maßnahmen zur Sicherung von IT-Systemen betroffen."

*** Gegen die datensammelnde Tätigkeit des Bundesnachrichtendiensters hat "Reporter ohne Grenzen" auf der Re:publica einen Bitte Nicht Durchleuchten-Generator vorgestellt. Ob er auch Nicht-Journalisten mit ihren Auslandskontakten hilft, das sei dahingestellt. Jedenfalls ist die Idee nicht schlecht, den Geheimdiensten aufzuzeigen, dass ihre Speicherei Grenzen hat.

*** Klare Grenzen hatte die Re:publica der Bundeswehr gesetzt, die einen Stand in der Station Berlin haben wollte. Davon berichtete die letzte Wochenschau. Hier sei noch nachgetragen, dass die Nachspiele längst nicht zu Ende sind. Mittlerweile wird debattiert, ob die Darstellung des Soldatensenders Radio Andernach einen Fall von Fake News darstellen. Die Materialsammlung zu diesem Thema dürfte glatt einen Platz in der Ehrengalerie soldatischer Informationsarbeit bekommen.

*** Auch bei der Polizei, dieser anderen Uniform tragenden Truppe unseres Staates, geschehen interessante Dinge. In Berlin gibt es ein in dieser Wochenschau bereits mehrfach erwähntes Aktionsbündnis für Videoaufklärung. Es möchte das Sicherheitsempfinden durch Videokameras aufpäppeln, die überall dort installiert werden sollen, wo es "Probleme" gibt. Die schrankenlose Videoüberwachung soll mit einer Pauschalerlaubnis durchgesetzt werden, die bereits als verfassungswidrig bewertet wurde.

*** Nun hat die Berliner Polizei im letzten Jahr für 170.000 Euro zwei Anhänger mit flexibler Videotechnik gekauft und mal am Alexanderplatz, an der Warschauer Brücke und am Kottbusser Tor aufgestellt und ein halbes Jahr lang getestet. Jetzt wird über die Wirksamkeit diskutiert, obwohl die Kameras gerade einmal 78 Minuten in Betrieb. Als "nutzlose Sackkarren" werden die Kameras vom Aktionsbündnis für Videoaufklärung bezeichnet. Als "teure Sackkarren" werden sie von der deutschen Polizeigewerkschaft bezeichnet. Ein Herz und eine Seele und eine Sprecherin, die darauf setzt, dass der angestrebte Volksentscheid die Sache richtet.

Was wird.

So geht es munter in die nächste Woche. In Berlin findet dann die Critical Communications World statt, mit modernster Polizei- und Kommunikationstechnik. Airbus hat eine Lösung angekündigt, wie eine Video-Drohne Bilder anfertigt, die bei der Einsatzleitung mit automatischer Gesichtserkennung ergänzt werden können. Alles freut sich auf den 5G-Funk, mit dem die Überwachung in der Stadt auf ein neues Niveau gehoben werden kann, ganz wie im schönen Singapur, wo sich Kim Jong-Un und Trump Donald treffen wollen. Zudem gibt es einen Taktik-Tag, an dem unter anderem die Kommunikation am G20-Gipfel beschrieben wird, als die Drohnenabwehr von ESG und Rohde & Schwarz dafür sorgte, dass kein Gebrumm von Drohnen die Gipfelruhe störte.

In Berlin geht es denn auch mit einem seltsamen Vorgang weiter: Im IT-Bereich ist er als FUD bekannt, als Streuen von Furcht, Ungewissheit und Zweifeln. Zuerst hat Gesundheitsminister Jens Spahn damit begonnen, die Telematik des Gesundheitswesens für veraltet und inakzeptabel zu erklären, dann folgte die Bundeskanzlerin mit schnippischen Bemerkungen zum "Experiment" der elektronischen Gesundheitskarte. Aktuell ist Digital-Staatssekretärin Dorothea Bär dabei, unter Verweis auf Finnland das Ganze zu torpedieren: "Die speichern Informationen wie über Arztbehandlungen, Laborwerte, Krankenhausaufenthalte und Verschreibungen in einem nationalen Archiv für Arztdaten. Deshalb bin ich froh, dass wir mit Jens Spahn einen mutigen Gesundheitsminister haben, der disruptiv sagt: Jetzt noch mal alles auf Null – auch, wenn es einen Aufschrei geben wird."

Disruption jetzt, Bedenken später. Prompt gibt es dann vom großen Disruptor eine Richtigstellung. Aber eben auch mit dem nächsten Tritt: "Aber wenn jemand sagt, ich möchte auch per Handy, auf dem Smartphone per App auf meine Daten zugreifen können, dann kann man sich auch möglicherweise für ein, zwei Standards niedriger entscheiden". Was ist schon Datenschutz und Datensicherheit. Darf's ein bisschen niedriger sein?

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. Was wir wissen und was nicht
Beitrag von: SiLæncer am 20 Mai, 2018, 07:00
Eine Woche bevor die Datenschutzgrundverordnung wirksam wird, freut sich Hal Faber auf das Ende der Flut von E-Mails, die auf neue Datenschutzregeln hinweisen. Tagesaktuell sinniert er auch über die Schlange beim Bäcker.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Ein schönes langes Wochenende, ganz dem heiligen Geist des Datenschutzes und dieser Grundverordnung gewidmet, das ist doch was. Wer wird sich denn da von den Turteleien ablenken lassen, die das Haus Hannover (mit einer Zugabe aus Sachsen-Coburg) auf einer Insel präsentiert? Die Ausgießung all der Massenmails ist fast beendet, mit denen Firmen, Behörden und andere Anstiftungen betteln, flehen oder predigen, man möge doch sein Jawort geben als Zeichen der Zustimmung zur Informationsgemeinschaft mit ihnen. So lehnt man einmal dankend ab, bestätigt hier und dort oder ignoriert die Anfrage in der Hoffnung, dass Schluss ist mit der Belästigung durch Werbemails: Eure Rede aber sei: Ja, ja; nein, nein; was darüber ist, das ist vom Übel.. "Und als der Pfingsttag gekommen war, waren sie alle beieinander an einem Ort. Und es geschah plötzlich ein Brausen vom Himmel wie von einem gewaltigen Sturm und erfüllte das ganze Haus, in dem sie saßen." So ist das, wenn die neue Datenschutzerklärung online gestellt wird und alle Welt auf Europa guckt wegen der Werte, die hier verkündet werden. Inmitten der geschützten Privatsphäre gibt es auch ein gewaltiges juristisches Brausen, erzeugt von all den Teufelchen, die das Geschäft mit Abmahnungen betreiben. Es gibt so gut wie keinen Bericht, der nicht das Bußgeld von "bis zu 20 Millionen Euro" erwähnt, das bei Verstößen fällig wird. Sehr hübsch ist auch, dass der Grünen-Politiker Jan Philipp Allbrecht, einer der Väter der DSGVO, mit einer Klagewelle rechnet. Bekanntlich regt sich in allerletzter Minute auch ein Widerstandsgeist bei unserer Bundeskanzlerin, nachdem ein Parteikollege das Märchen auftischte, nach dem die Veröffentlichung von Sportergebnissen durch Sportvereine abgemahnt werden können.

*** In der letzten Wochenschau hatte ich über den "Bitte Nicht Durchleuchten"-Geneator berichtet, den Reporter ohne Grenzen entwickelt hatte. Ein kleines Tool zum Abbau von Datenbergen beim Bundesnachrichtendienst, der in seiner VerAS-Datenbank (VerkehrsAnalySe-Verbundsystem) Telefondaten auch aus dem Inland speichert und verarbeitet. Seitdem der Generator läuft, wurden über 2000 Anfragen generiert, was den Schnüfflern unter den Kunst-Palmen überhaupt nicht gefällt. Sie beendeten nicht nur die illegale Datenverarbeitung, sondern teilten auch mit, dass man die ganzen Anfragen nicht beantworten könne, weil kein gültiger Identitätsnachweise etwa durch eine Kopie des Personalausweises mitgeschickt wurde. Ohnehin ist alles super-duper-rechtsstaatlich und so lesen wir beruhigt in der Stellungnahme: "Unterlassungsbegehren, wie sie "Reporter ohne Grenzen" mit dem o.g. Onlineformular initiiert hat, fehlt deshalb die entsprechende Rechtsgrundlage, da sich in tatsächlicher Hinsicht weder eine drohende Verletzungshandlung abzeichnet noch die Besorgnis besteht, dass eine in der Vergangenheit liegende Rechtsverletzung zukünftig erneut begangen wird." Ja, es hat eine Rechtsverletzung gegeben, aber in Zukunft werden wir natürlich keine mehr begehen. Ein kleines Opt-In nach der Datenschutzgrundverordnung gefällig?

*** Nicht ganz so einfach und schon gar nicht beruhigend ist es mit der Prise Nowitschock, die der kundige Plutonium-Händler BND in patriotischer Pflicht besorgte und analysierte. "Nach allem, was man bisher weiß", war das Wissen um dieses Gift den Diensten von Kanada und USA, den Niederlanden und Großbritannien bekannt. Die Behauptung der britischen Regierungschefin Theresa May, nur Russland könne diesen Stoff besitzen, hat sich damit im großen Sumpf der Fake News verdünnisiert. Auch zum Hackerangriff auf die nunmehr zurückgetretene Landwirtschaftsministerin von Nordrhein-Westfalen, Christina Schulze Föcking, gibt es einen Nachtrag. Bekanntlich war es kein Hackerangriff, sondern ein versehentliches Streaming, ausgelöst durch ein Tablet der Eltern von Frau Schulze Föcking, die angab, in einem "Mehrgenerationenhaus" zu leben. Nun kommt heraus, das mit dem Beginn der Ermittlungen durch das Landeskriminalamt der NRW-Ministerpräsident Armin Laschet darüber informiert war, dass die Geschichte mit dem Hackerangriff nicht wirklich stimmen konnte. Angeblich schwieg er, weil es ein laufendes Ermittlungsverfahren war. So konnte sein Regierungssprecher mit der Geschichte von den bösen Hackern gezielt Mitleid für die in Erklärungsnot geratene Ministerin erzeugen und von der Geschichte um die Schweinezucht ablenken, die die Familie Schulze Föcking betreibt. Cyber ist geduldig.

*** Wenn ich beim Bäcker in der Schlange stehe, überlege ich immer, wer von den Brötchenverkäufer wohl seine e-Mail verschlüsselt. Ganz sicher macht das der Entwickler künstlicher Intelligenz, der immer mit gebrochenem Deutsch seine Brötchen bestellt. Aber die anderen? Damit die Gesellschaft befriedet ist, müssen sich alle sicher sein, dass jeder, der seine e-Mail verschlüsseln will, dies auch zuverlässig tun kann. Halt! Wie sieht es mit einem Verschlüsselungsverbot aus? Für Juristen ist das überraschend einfach: "Die Maßnahme wäre dann auf Beschuldigte begrenzt, die sich mit verschlüsselten Kommunikationswegen bewusst vor Strafverfolgung schützen. Der weite Eingriff wäre damit auf einen Personenkreis eingeschränkt, der aufgrund konspirativer Tätigkeiten solch tiefgreifende Maßnahmen herausgefordert hat." Die Durchsuchung von Datenträgern, die Quellen-TKÜ und die heimliche Online-Durchsuchung ist zuvorderst einfach Fahndung nach dem Schlüsselmaterial bei einer drohenden Gefahr. Mit diesen einfachen Überlegungen enthalte ich mich der Wertung, ob in dieser Woche ein EFail oder ein EFFFail passierte oder gar noch Schlimmeres wie "Das Ende der Sicherheit" (Süddeutsche Zeitung). Auffällig ist jedoch, wie eine Haltung um sich greift, die in den USA als Sicherheits-Nihilismus bezeichnet wird, aber wohl eher ein Pessimismus ist, die jeden Whistleblower und Tippgeber entmutigt. Dagegen geht was. Sonst verschlüsseln am Ende nur noch die, die sich vor Strafverfolgung schützen. Und Verschlüsselung ist kriminell.

*** Apropos Gefahr: Die sehr strenge und strikte "Sicherheitsaufsicht", mit der Julian Assange von seiner Hauptbeschäftigung als Internet-Existenz abgehalten wurde, wird nach Angaben aus Ecuador wieder gelockert. Zeitgleich mit dieser Nachricht wurde bekannt, dass Ecuador seit fünf Jahren ein Überwachungsprogramm aufgezogen hat, das ca. 56.000 Euro pro Monat kostet. Die Aufschlüsselung der Überwachung im Detail ist interessant: So kaufte der eucadorianische Geheimdienst Senain ähnlich wie das Regime in Ägypten oder in der Schweiz Software von der einstmals gehackten italienischen Firma Hacking Team, um Assange und seine Wikileaks-Aktivitäten besser überwachen zu können. Die "Personenschützer" von Assange wollten herausfinden, ob Wikileaks Material über Korruption in Ecuador und über den damaligen Präsidenten Correa gesammelt hatte.

Was wird.

Beim Militär-Projekt Maven soll untersucht werden, wie gut die in vielen Dingen eingebaute Künstliche Intelligenz von Google bei der Bildanalyse von Drohnenbildern ist. Taugt sie am Ende gar für eine automatische Zielauswahl bei bewaffneten Drohnen? Immer wieder gibt es Latenzzeiten, wenn eine Rakete abgeschossen wird, die Situation am Boden sich aber geändert hat und etwa Kinder auf ein Auto zulaufen, das getroffen werden soll. Gegen das Maven-Projekt regt sich Protest. Da gibt es Wissenschaftler, die sich an das alte Leitbild "Don't be Evil" von Google erinnern. Nicht böse sein, das wollte Google seit dem Jahre 2000 festschreiben, auch die später entstandene Mutterfirma Alphabet hatte ein ähnliches Leitbild mit Do the right thing in ihren Handreichungen. Zum Protest der KI-Wissenschaftler hat jemand recherchiert und schwupps, siehe da, ist der Satz Anfang Mai verschwunden. Der entschärfte, weichgespülte Verhaltenscodex von Google liest sich wie der von x-beliebigen anderen Firmen auch, die Mission ist gestrichen. Ein Hauch der Erinnerung ist geblieben, wenn es im neuen Kodex ganz am Ende im letzten Satz heißt: "don’t be evil, and if you see something that you think isn’t right – speak up!" Wenn man dann noch eine Chance hat, zu protestieren.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. Daten schützen, Daten topfen, Daten deckeln
Beitrag von: SiLæncer am 27 Mai, 2018, 08:55
Auch Hal Faber blickt noch einmal auf die Absurditäten, die uns die DSGVO diese Woche bescherte. Dabei lenkten sie von einigen Überwachungsmaßnahmen ab, die eher unter dem Radar liefen.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Eine Woche der Belehrungen, Begrüßungen, Beleidigungen und Verwünschungen liegt hinter uns. Die DSGVO sorgte dafür, dass jede nur denkbare Reaktion auf den Datenspeicherwunsch irgendwelcher Firmen in der Inbox aufklatschte. Mal war ein ausdrückliches JA erwünscht, mal ein NEIN, wenn man nicht gelöscht werden wollte. Mal wurde großartig erklärt, man brauche GAR NIX zu tun, mal war ein Klick auf einer URL gefragt, die zu einem Button führte, der getätigt werden musste, und eine erneute Mail auslöste, die bestätigt werden musste. Mal wurde eine Organspendeerklärung verlangt, mal eine Zahlung per Paypal. Mal mit kumpelhaftem "Hallo Du" in der Ansprache, mal barsch wie ein Schleifer beim Militär. Welchselbiges übrigens eine originelle Fax-Lösung präsentierte. Die große Symphonie der Digitalisierung, von der Huawei in seiner Mail zum Thema schwärmte, erwies sich als echte Kakafonie. Das Absurditätenkabinett und die Ruhmeshalle der GDPR waren in Nullkommanichts gut gefüllt, noch ehe die übliche Bitkom-Klage zum Untergang der deutschen IT-Industrie eintrudelte. Passend zur Bandbreite der Reaktionsmöglichkeinten fiel natürlich die Meinung der Experten aus, vom Größten Anzunehmenden Unsinn vom Ende des Bloggens bis zum lauten Jubel über den Festtag des Datenschutzes war alles dabei. Nur wenige sahen in der neuen Verordnung nüchtern eine notwendige Zumutung. Jetzt warten alle und mein Hund auf diese sagenhaften Abmahnanwälte, die in fast jedem Artikel mitsamt ihrer Fantastilliarden erwähnt wurden. Wer hat Angst vor Virginia Woolf?

Open the Pod Bay Doors, Hal. I’m sorry, Dave. I’m afraid I can’t do that. What’s the problem? Dave, I've updated my privacy policy. Hal, I won’t argue with you anymore. Open the doors! Dave... This conversation can serve no purpose anymore. Goodbye.

*** Auch das Ausland spielte mit und produzierte wunderbare Sachen wie die Erinnerung an das frühe Internet, wenn man mit einer europäischen IP-Nummer vorbei schaute. Bei anderen lautete die Parole Europäer müssen draußen bleiben, im Land des rätselhaften Trumpeltiers gibt es keine Informationen mehr für sie. Besonders ist der Umstand zu betrauern, dass Europäer nicht mehr die schöne Gedenkmünze anschauen können, die bei allem hin und her weiterhin verkauft werden soll. Aber hey, jeder spielt Spiele und das Zocken um den Weltfrieden ist für einen wie Trump auch nur ein Deal wie jeder andere. Wo doch 31 ausländische Journalisten den Prozess der Abschaffung des Atomtestplatzes transparent recherchiert hatten, kann es ja weitergehen. Ganz lässig im Vorbeigehen bei der Fahrt zum Golfen in Schottland so einen Nobelpreis abgreifen, das ist doch ganz nach dem Geschmack von Donald Trump. Die beiden Koreas basteln noch am richtigen Köder.

*** Neben der Datenschutz-Grundverordnung sind in dieser Woche eine ganze Reihe anderer Daten-Verordnungen in Kraft getreten, die erwähnenswert sind. Da ist einmal das BKA-Gesetz, mit dem die größte deutsche Polizeibehörde etliche neue Befugnisse bekommt. Sie übernimmt jetzt die Ermittlungen, sowie nur der leise Verdacht besteht, dass ein ausländischer Geheimdienst an einer Straftat beteiligt ist oder eines Verbrechens beschuldigt wird. Auch ist es für das BKA jetzt wesentlich leichter, trotz einer Kurskorrektur durch das Bundesverfassungsgericht, jetzt jemanden als "Gefährder" einzustufen und zu überwachen, "wenn das individuelle Verhalten der betroffenen Person die konkrete Wahrscheinlichkeit begründet, dass sie in einem übersehbaren Zeitraum eine terroristische Straftat begehen wird." Diesen hübsch vage definierten Personen kann das BKA nun Auflagen wie das Tragen einer Fußfessel, Aufenthaltsvorgaben oder Kontaktverbote machen. Die wichtigste Änderung harrt noch der Realisierung: Das Konzept Polizei 2020 mit einem einzigen großen Datentopf an Stelle vieler Einzeldateien wie der berüchtigten, gerade aktuell nach Russland reisenden Datensammlung Gewalttäter Sport ist noch im Aufbau. Hübsche White Paper mit gelungenen Datentopfgrafiken sind immerhin schon verfügbar. Es flutscht und pfeilt in Inpol-superneu, dass es eine wahre Freude ist. Die Vorfreude auf transparente Recherche à la Nordkorea steigt.

Zuviel Transparenz ist auch nicht gut: in dieser Woche stellte die Staatsanwaltschaft Hamburg das Verfahren gegen Polizisten ein, die vermummt an der G20-Demonstration "Wellcome to Hell" teilnahmen. Weil dort Vermummte dem Entmummungsbefehl der Polizei nicht folgten, wurde die Demo aufgelöst, mit bekannten Folgen. Ob die Vermummten Polizisten waren, kann nicht ermittelt werden, weil vermummte Polizisten auf einer Demonstration nicht als Teilnehmer gelten.

*** Ganz unvermummt fliegt es sich als Passagier über den Wolken, von vielen Daten begleitet. Besondere Essenswünsche? Vielflieger-Status? Schulschwänzer? Könnte ja alles darauf hindeuten, dass jemand ein Gefährder ist. Also muss man sich im Flieger nackig machen, datentechnisch gesehen – der Datenschutz endet einfach in 100 Meter Höhe. Ganz unbeleckt vom DSGVO-Trubel ist die EU-Richtlinie über Fluggastdatensätze in Kraft getreten. "Wir haben uns ein weiteres Werkzeug an die Hand gegeben, mit dem Kriminelle und Terroristen wirksamer aufgespürt und gestoppt werden können, um Europa widerstandsfähiger gegenüber Bedrohungen zu machen – ein Europa, das schützt." Das Bundesverwaltungsamt hat also die Fluggastdatenzentralstelle, eine massive InMemory-Datenbank in Betrieb genommen, die aussiebt und bewertet, bis 0,07 Prozent der täglich anfallenden Fluggastdaten vor dem Abflug an das BKA übermittelt werden. Dort sitzt dann ein Kriminaler mit Zugriff auf SIS II und andere Fahndungsdatenbanken und überlegt beispielsweise, ob der Künstler oder Ordensname Hal Faber auf eine Gefahr für Europa hindeutet. Lustig ist die Formulierung "ein Europa, das schützt": Unter diesem Namen firmiert eigentlich das Löschprogramm der EU-Kommission, das illegale und terroristische Inhalte im Internet abschalten soll. Wenn im Juli unsere österreichischen Nachbarn den Ratsvorsitz übernehmen, soll es zudem das EU-Motto werden.

Was wird.

Plötzlich und unerwartet ist der kleine Init-Prozess von uns gegangen, der Ausblick auf die wöchentlichen Termine. Das ist schade, denn neben den DSGVO-Eskapaden rappeln wieder CeBIT-Nachrichten ohne Ende in der Inbox. Viele davon sind wenig konkret und preisen das persönliche Gespräch mit dem Standpersonal. Die Messe ist jetzt nicht mehr der Ort, wo man sich die neuesten 80386er anguckt, sondern "Europas Business-Festival für Innovation und Digitalisierung". Da liest man von Veranstaltungen, die für mutige Visionäre "IT-Prozesse zum Anfassen" anbieten, wahrscheinlich noch mit den bloßen Händen. Vielleicht sind auch VR-Brillen mit im Spiel. Es gibt "Mitmach-Erlebnis-IoT" ganz ohne das Plappermail Alexa und jede Menge Robotik. Zudem treten Supergroups wie Mando Diao und Digitalism auf, die "Lust auf Digitalisierung" machen sollen.

In jeder dritten Vorabmeldung revolutioniert irgendeine Blockchain wahlweise das Finanzwesen, die Cloud oder noch allgemeiner irgendeine Transformation. Alles ist Big, Smart und Hip und irgendwie ein Sommerfest des Bitkoms mit Ausstellerfläche. Ein Riesenrad der Innovationen gibt es auch, nur das Bällebad der Entscheider ist mir noch nicht untergekommen. Auch der Veranstalter ist schwer musikalisch, mit einer versteckten Hommage an IBM: "Der Dreiklang aus Messe, Konferenz und Networking-Event ermöglicht den 360-Grad-Blick auf die Digitalisierung von Unternehmen, Verwaltung und Gesellschaft." Ein Dreiklangwunder dort, wo Firmen davon schwärmen, dass sie als "beispielloses Ereignis des Marktschicksals" entstanden sind. Bekanntlich wird Wirtschaftsminister Peter Altmaier die CeBIT eröffnen, selbst der berühmte KanzlerInnen-Rundgang entfällt. Allen Mühseligen und Beladenen sei schon einmal der Weg in Halle 13, Stand B74 empfohlen. Da ist Heise in XXL.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. In Sommergewittern
Beitrag von: SiLæncer am 03 Juni, 2018, 02:00
Es dampft. Die Luftfeuchtigkeit lässt auch Hal Faber zum Kiemenatmer mutieren. Da fehlt glatt die Luft, sich aufzuregen. Macht nix, lohnt sich auch nicht. Nicht immer, zumindest.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Prassel, prassel, wumm, zisch und rumms. So ein Sommergewitter hat ja etwas theatralisches. Es kühlt nicht wirklich ab und reinigt auch nicht, sondern schichtet den Dreck in der Stadt um. Auf dem Land sorgt es für stinkenden Schlamm und knickt den einen oder anderen Baum. Physikalisch ist das natürlich ein Zeichen der Klimaerwärmung: Um ein Grad wärmere Luft kann 7 Prozent mehr Wasserdampf aufnehmen und ratzeklatsch wieder abgeben. Aber das Sommergewitter übertreibt so, wie all das heißlüfterne Gerede um die Datenschutzgrundverordnung. Da gibt es welche, die von einer gigantischen Lebenszeitvernichtung donnern und andere Blitzmerker, die behaupten, dass ein recherchierender Journalist ohne konkreten Auftrag einer Redaktion bereits eine illegale Datensammlung anlegt. Sie haben offenbar nichts vom Medienprivileg gehört – und sie haben wohl auch von der Meinungsfreiheit keine große Meinung. Für die nun völlig überraschend nach zwei Vorbereitungs-Jahren in Kraft getretene Datenschutz-Reform gibt es billigste Attacken auf "die Politiker da oben" und besonders die, die im Rausch der Daten einen kühlen Kopf behalten wollten. Aber nein.

Das Gespenst der Entdigitalisierung geht um in Europa, verkündet vom Branchenverband mittelständische Wirtschaft. Welchselbigen man sich merken sollte, zumindest bis zum Ende dieser Wochenschau.

*** Aua, aua: Ja, dem Journalismus geht es wirlklich nicht gut. Insofern ist die Show, die der ukrainische Geheimdienst und der russische Journalist Arkadi Babtschenko abgezogen haben, eine üble Sache, weit mehr als eine Beule an der Glaubwürdigkeit der Journalisten. Auf das ukrainische Schmierentheater gibt es die einfache Antwort, dass alle Geheimdienste lügen, das ist nun einmal ihr Job. Auch in der Politik ist das Lügen salonfähig, mindestens seit Donald Trump ist Lügen OK, wenn es der Sache dienlich ist. Vielleicht schon früher, wie es Michal Chmela beschrieb: "Lügen gehört zur Politik, seit der erste Höhlenmensch herausgefunden hat, dass man sich um das gefährliche Elefanten-mit-spitzen-Stöcken-Anpieksen herumdrücken kann, indem man einen Ausschuss einsetzt, der das erbeutete Fleisch verteilt."

*** Der gekonnte Umgang mit der Lüge inklusive Irreführung von Journalisten ist für den ukrainischen SBU genauso wie für den BND das Alltagsgeschäft. Man betreibt ach so harmlose Repeater an Kirchen und hat ein ganz wunderbares, mehrstufiges Filtersystem geschaffen, das laufend von einer G10-Kommussion mit ruhmreicher Vergangenheit inspiziert und kontrolliert wird. Die zuletzt bekannt gewordene Zahl von 193 Abhörmaßnahmen (in der Sprache der Dienste natürlich "Beschränkungsmaßnahmen") vom Februar 2015 gilt für alle drei deutschen Dienste und dürfte mittlerweile erheblich gewachsen sein. Nur gut, dass die Klage jetzt vom Bundesverfassungsgericht behandelt werden soll.

*** Vor einem Jahr erreichte der Journalismus einen anderen Tiefpunkt, jedenfalls technisch gesehen. Am 3. Juni wurde in den USA die Whistleblowerin Reality Winner verhaftet, weil einer von vier beteiligten Journalisten so unvorsichtig war, bei seiner Recherche sich mit dem Originalmaterial an die Ermittler zu wenden. Über die Geschichte der Whistleblowerin habe ich in einer kleinen Wochenschau geschrieben. Zur Entlastung der Journalisten, auf die Wikileaks eine Art Kopfgeld ausgesetzt hatte, erschienen Artikel, wie sich die junge Frau so oder so verraten hätte, ganz ohne eingebettete Drucker-Codes auf den von ihr ausgedruckten Seiten. Bleibt festzuhalten, dass die Ex-Soldatin Winner seit einem Jahr in Untersuchungshaft sitzt und die Ermittler keine Anzeichen erkennen lassen, Anklage zu erheben. Das an diesem Skandal das angebliche Versäumnis mit dem Miranda-Statement Schuld sein soll, mag niemand mehr glauben. "Dabei ist der Fall für zukünftige Whistleblower von großer Bedeutung. Die Frage steht im Raum, welchen Schutz Whistleblower während der Regierungszeit von Trump erwarten können", schrieb ich in dieser Wochenschau. Die Frage steht immer noch im Raum und möchte abgeholt werden.

*** Inzwischen hat die Regierung von Donald Trump durchaus Fortschritte zu verzeichnen. Der Präsident begnadigt Betrüger wie Dinesh D'Souza und trollt damit im "Sumpf" von Washington, so gut es eben geht. Der lang versprochene "Handelskrieg" ist da und dürfte für die eine oder andere "Schlacht" mit überraschendem Ergebnis sorgen,wie es der Fall ZTE gezeigt hat. Die Welt ist alles, was ein Deal ist. Wenn sich Trump und Kim tatsächlich in Singapur treffen sollten, wird die hohe Kunst des Deals zeigen, was herauskommt, wenn sich Trump auf sein Bauchgefühl verlässt und Kim auf die Gewissheit, ein Gott zu sein. Nach wie vor unterschätzt die diplomatische Welt diesen Gesichtspunkt, das hier einer als Unfehlbarer auftritt wie der Tenno in Japan bis 1945. Weshalb Japan ja den Gipfel misstrauisch beäugt.

*** War noch was? Wie bitte, Gaulands "Vogelschiss"? Ach, ignoriert doch den senilen Spinner. Mehr hat er nicht verdient. Uhu-hafte Wachsamkeit hin oder her.

Was wird

Zur Kunst des Deals gehört die Vertragsfreiheit, auch für Politiker und Politikerinnen. Doch es gibt auch Grenzen, wehalb eine Abklingzeit nach Ende des Mandates das Schlechteste nicht ist. Nun will die SPD-Politikerin Brigitte Zypries gegen eine Karenzzeit juristisch vorgehen, weil sie darin einen Verstoß gegen die Berufsfreiheit sieht. Zypries will in den Beirat von einem Start-Up, einer Vermögensberatung und des Branchenverbandes mittelständische Wirtschaft. Die letztgenannte antigewerkschaftliche Lobbyorganisation will eine Politikerin umarmen und umbeinen, die sich zuletzt für ein Amazon der Verwaltung stark machte, zu liefern vom exzellenten deutschen IT-Mittelstand.

Damit steht der SPD-Sommerhit fest, der mit dem unsäglichen Satz von Andrea Nahles eingeleitet wurde und einen hübschen Refrain hat, den der FAZ-Feuilletonchef in bester schirrmachernder Klangfülle so formuliert hat: "Macht den Laden zu, ihr Deppen."

Was macht Neuer? Lacht Neuer? Wie dehnt sich Neuer? Und, das ist der Wahnsinn, Neuer fährt Fahrrad!. Ja, hindert ihn denn niemand an dieser Wahnsinnstat, die zu gefährlichsten Schürfwunden à la Müller führen kann? Während am Rande der norddeutschen Tiefebene die CeBIT-Neu (nein, nicht Neuer) stattfindet und Obama spricht, startet in Russland die Fußball-Weltmeisterschaft. Die Fähnchen werden an die Autos gesteckt, die Außenspiegel umhüllt, und wer Fahrrad fährt, hat seine Nationalverbundenheit natürlich mit dem Helm zu zeigen oder mit Schminke auf der Fanmeile. Wir. Grölen. Deutschland. (Für den "la Mannschaft"-Slogan "Best Never Rest" ist die Reservierung in der Wortspielhölle längst bestätigt.)

Nicht dabei in Russland ist Norwegen, wo Den Norske Helsingforskomitee ein aufklärendes WM-Buch für die aus Russland berichtenden Journalisten herausgegeben hat, das ganz und gar nicht nach dem Geschmack der FIFA und der russischen Organisatoren geworden ist. All die wunderbaren Erfolgeschichten der Sponsoren werden von gruseligen Geschichten über die Arbeitsbedingungen der Nordkoreaner beim Bau der Stadien überlagert, das geht überhaupt nicht. Sport ist ja so unpolitisch. Freuen wir uns auf Bilder begeisterter Fans. Nein, warten wir auf schöne Bilder von Neuers Ausflügen über den grünen, grünen Rasen. Oder stören da etwa Sommergewitter die Eisenplatte im Mittelfuß von Titan Neuer?

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. Von der F-Skala der aktuellen Befindlichkeiten.
Beitrag von: SiLæncer am 10 Juni, 2018, 00:20
Der Herrschaftscharakter instrumenteller Vernunft rechtfertigt nicht die autoritäre Persönlichkeit, meckert Hal Faber, der wieder für Spaß am Gerät plädiert.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Früher war alles besser. Da sorgte Sammy, der Kaiman im Baggersee für Aufregung. Unerschrocken stiegen investigative Journalisten in den See und berichteten. Wirtschaftsjournalisten waren dagegen besorgt und fragten sich, was die Märkte machen. Würden sie auch baden gehen wollen? In Talkshows diskutierte man, ob Kaimane jetzt zu den heimischen Tierarten gehören. Und im gelehrten Feuilleton machte man sich mit schicken Adorno-Zitaten Gedanken darüber, was die Bilder von Sammy im Baggersee so auslösen: "Jene fatale 'Nähe' des Fernsehens, Ursache auch der angeblich gemeinschaftsbildenden Wirkung der Apparate, um die Familienangehörige und Freunde, die sich sonst nichts zu sagen wüssten, stumpfsinnig sich versammeln, befriedigt nicht nur eine Begierde, vor der nichts Geistiges bestehen darf, wenn es sich nicht in Besitz verwandelt, sondern vernebelt obendrein die reale Entfremdung zwischen den Menschen und zwischen Menschen und Dingen."

*** Wo bleibt da die Vernunft? Mit der ist es ja auch nicht weit her, es war schließlich die nicht erst von der Aufklärung produzierte instrumentelle Vernunft, deren Herrschaftscharkter Adorno dafür verantwortlich machte, dass eine "Rückkehr der aufgeklärten Zivilisation zur Barbarei in der Wirklichkeit" gebe. Es waren nicht die Kaimane, die Adorno Anlass zu seiner Dialektik der Aufklärung gaben. Ob das heute anders wäre? Da werden einem Politiker, der im "Heiligen See" (!) zu Potsdam schwimmt, die Klamotten und Handtücher gestohlen, worauf dieser in seinen karierten Badeshorts und Badelatschen nass nach Hause gehen muss. Dazu twitterte der Chef einer großen deutschen Tageszeitung konsequent in Minuskeln: "wir zeigen das entwürdigende foto von #gauland in badehosen nicht." Stattdessen brachte das Blatt, das schon mal Fotostrecken fast nackter Politiker zusammenbastelte, ein Bild von Peter Thiel auf der Titelseite. Das ist der reaktionäre Disruptiv-Investor und Trump-Berater, der sich dieser Tage über den europäischen Datenschutz beschwerte. Seine Rede zierte die Titelseite der Zeitung mit besonderem Gespür für Entwürdigendes.

*** Ach, ach, was waren das für Zeiten mit Sammy. Heute schreibt man nach dem Vogelschiss-Vergleich des Alexander Gauland von den Angstinstinkten des Reptilienhirns, das AfD-Politiker haben sollen, um dann gleich einmal über die Linke herzuziehen, die mit Späßen über den Klamottenklau ein Mindestmaß an "Zivilisiertheit" vermissen lässt. Dann aber schlägt der Angstinstinkt des Reptilienhirns dieses Journalisten zu und es donnert auf die Plätschernden herunter: "Eine hypermoralisierende und untermoralische Linke trug eine gehörige Mitschuld am Scheitern der Weimarer Republik – und ebenso am Wahlerfolg Donald Trumps." Nach den Untermenschen, die beim Vogelschiss millionenfach industriell beseitigt wurden, haben wir die untermoralischen Linken. Da kann ja nur die historische Kontinuität all dieser Denker mit Rechtsdrall gefeiert werden, in Erinnerung daran, was Heiner Geißler vor genau 35 Jahren am 15. Juni 1983 sagte: "Der Pazifismus der 30er Jahre, der sich in seiner gesinnungsethischen Begründung nur wenig von dem unterscheidet, was wir in der Begründung des heutigen Pazifismus zur Kenntnis zu nehmen haben, dieser Pazifismus der 30er Jahre hat Auschwitz erst möglich gemacht." Nur nannte man das damals nicht Framing.

*** Ist Alexander Gauland ein Faschist? Wenn man an die gesammelten Aussagen die F-Skala der autoritären Persönlichkeit anlegt, ist das zweifellos richtig. Autoritäre Aggression, Anti-Intrazeption und Kraftmeierei ist im Überfluss bei ihm und der gesamten Wir-werden-sie-jaagen-Partei vorhanden, von der "Disposition, an wüste und gefährliche Vorgänge in der Welt zu glauben", ganz zu schweigen. Nach dem Ausschluss von Talkshows scheint mir die Auszeit für Talkshows die entschieden bekömmlichere Variante. Wie schreibt Carolin Emcke ganz angetastet: "Eine einzelne rechte Figur zu isolieren, deren Menschenverachtung bislang von den Redaktionen mit klammheimlicher Freude am obszönen Eklat geduldet und mit Einladungen belohnt wurde, das externalisiert das Problem des Populismus nur. Die Verwahrlosung des politischen Diskurses, die beklagt wird, ist auch Symptom jener Gesprächssendungen, die an vernünftigem Dissens oder konstruktiver Verständigung schon lange nicht mehr interessiert sind."

*** Susanna F. (14) ist tot. In dieser Woche haben das Bundeskriminalamt und die Deutsche Kinderhilfe die traurigen Zahlen der polizeilichen Kriminalstatistik 2017 für den Kinder- und Jugendschutz vorgestellt. Die Zahl der getöteten und misshandelten Kinder "stagniert auf hohem Niveau", die Zahl der Opfer sexueller Gewalt soll um 3,64 Prozent gefallen, die Verbreitung von Kinderpornografie um 15,06 Prozent gestiegen sein. Mit einer Aufklärungsquote von 90 Prozent stand man gut da, weil hier die Inhaber von IP-Adressen noch festgestellt werden konnten. Einen Tag nach der Vorstellung der Zahlen legte das Bundeskriminalamt mit einer Klarstellung nach und addierte 8400 aus Amerika gemeldete Fälle von Kinderpornografie mit deutschen IP-Adressen. Die Klarstellung ist eine Reaktion auf eine Meldung von netzpolitik.org, die dem BKA ein Lügen für die Vorratsdatenspeicherung vorwarf. In der Klarstellung heißt es: "Die im Vergleich zu den eingehenden Hinweisen geringe Anzahl an registrierten Fällen ist einerseits darin begründet, dass nicht jedes gemeldete Foto oder Video tatsächlich strafbare Handlungen enthielt. Andererseits konnte in vielen Fällen die vom Provider mitgelieferte IP-Adresse mangels Vorratsdatenspeicherung keinem konkreten Anschluss in Deutschland mehr zugeordnet werden, da der Provider die zur Identifizierung notwendigen Daten bereits gelöscht hatte." Mit Provider sind laut BKA Firmen wie "Facebook, Microsoft, Yahoo oder Google" gemeint, die ihre Meldungen an das National Center for Missing and Exploited Children weitergeben, welches wiederum das BKA als deutsche Zentralbehörde informiert. Die Wirkung der Klarstellung ließ nicht lange auf sich warten. Selbst die tageszeitung sprach sich danach für eine gewisse Aufweichung beim Datenschutz aus. Her mit der Vorratsdatenspeicherung. Kein Wort davon, dass auch das Zeitverhalten der Meldekette ein Problem sein kann. Und was ist mit der "effektiveren Software", die in den USA benutzt wird?

Was wird.

Deutschland wird aus dem Cyberraum bedroht. Auch die Europawahlen sind in Gefahr. Das wurde in dieser Woche neben aparten 0Days-Überlegungen auf einer kleinen Konferenz zur Cybersicherheitspolitik in Berlin festgestellt. Ihr folgt eine große Konferenz zur nationalen Cybersicherheit, auf der alle Kämpen vertreten sind, das BKA, der Bundesnachrichtendienst, der Verfassungsschutz und das Kommando Cyber- und Informationsraum der Bundeswehr. Auch das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik ist mit dabei, mit seinem "nationalen Cyber-Abwehrzentrum Plus" der oberste Schiedsrichter, der entscheidet, ob ein Angriff von einem Staat kommt oder nur von einer Hackerbande. Sind da nur Hanswürste am Werk oder hat man die Ehre, von der berühmten Troll-Fabrik in St. Petersburg angegriffen zu werden? Sind vielleicht die Chinesen drauf und dran, Details über den neuen deutschen Cyber-Flugzeugträger abzugreifen? Wir wissen es nicht.

Was wir wissen ist nur, dass auch unsere amerikanischen Freunde mit dabei sind bei der großen Datenschnüffelei. Und dabei trotz aller Datenteilhabe unter Freunden etwas für sich behalten. In dieser Woche jährte sich das Jubiläum der Snowden-Enthüllungen zum 5. Mal und wird so langsam ein Ereignis der Zeitgeschichte. Man kann es auch anders ausdrücken: Seit fünf Jahren ist kein Staat der EU bereit, dem nicht mehr ganz so jungen Mann Asyl zu gewähren. Dafür gibt es jede Menge Sonntagsreden über die digitale Souveränität. Passend zu diesem "Geburtstag" des anderen Snowdens ist diese kleine Wochenschau darum mit Postern der NSA verziert, die nach dem Freedom of Information Act freigegeben und von Government Attic veröffentlicht wurden: Nicht nur beim Informationsklau, auch beim Ideenklau hatte man keine Hemmungen, sich dem Zeitgeist anzupassen.Ob Woodstock-Hippie-Romatik, Saturday Night Travolta oder der Denker von Rodin, die Sicherheit und stand stets an erster Stelle. Schade, dass es kein aktuelles Poster aus der Post-Snowden-Ära gibt. Ich stelle mir so etwas wie Kein Bett für Snowden vor, dass in Fort Meade auf allen Fluren hängt.

Und dann fängt die Cebit an, morgen erstmal als geschlossene Veranstaltung, ab Dienstag dann für alle offen. Das "Festival der Digitalisierung" will ganz gerne Adorno Lügen strafen und der instrumentellen Vernunft eine heitere Seite abgewinnen. Ob's besser wird als bei der mittlerweile von Marketiers okkupierten Party der IT-Hipster in Austin? Spaß am Gerät war schon immer ein Gegenpol zu dem Gejammer über die Herrschaft der Algorithmen und die Machtspiele der KIs, die derzeit allenthalben in immer düsteren Worten ausgemalt werden. Und hilft der digitalen Aufklärung auf die Sprünge, um sich nicht ins Bockshorn jagen zu lassen. I want to be a machine, zwischen Kathodengesichtern und Videoseelen, in einer bröckelnden Fuge. Alles besser jedenfalls als auf autoritäre Persönlichkeiten hereinzufallen, indem man sich auf ihr Spiel einlässt.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. Von Scharla- und ihren Untertanen.
Beitrag von: SiLæncer am 17 Juni, 2018, 08:38
Wer braucht schon Nigel Farage, wenn er Horst Seehofer haben kann? Der fährt Europa im Alleingang vor die Wand. Aber Technokraten sind auch keine Abhilfe.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Aus. Vorüber und vorbei ist das große Business-Festival namens CeBIT (ja, klassische Schreibweise). Das Riesenrad wird abgebaut, die letzten Algorithmen warten darauf, endlich vom großen Datenschatten abgeholt zu werden. Noch am Freitag waren fast alle Chinesen weg, die mit ihrem Wust an Ladegeräten, Spezialkabeln und Smartphonehüllen zwei halbe Hallen füllten. Immerhin stellten sie mit Huawei den absolut besten Messestand. Eine derartige Fülle an Überwachungstechnik für Smart Cities, das hatte was Visionäres, diese Erfahrbarkeit des digitalen Überwachungs-Alltags. Ganz im Sinne des bayerischen Polizeigesetzes lauerte in der Huawei-Präsentation eine irgendwie "drohende Gefahr" an jeder simulierten Strassenecke und wurde dank Big Data und maschinellem Lernen erkannt und gebannt. Wenn im Control Room der Operator sich mit einer Überwachungskamera sich dann an einen Passanten heranzoomt, wird automatisch-algorithmisch der nächsterreichbare Polizist auf den Gefährder angesetzt und zückt seine eigene Kamera. Läuft der Gefährder davon, erscheint sein Gesicht auf den Monitoren ringsum und Bürger dürfen analoge Zivilcourage zeigen und ihn festnehmen. Was für ein beeindruckendes Szenario, wie die Technik für ein ein Höchstmaß an Sicherheit sorgt in der schönen neuen Welt.

*** Für viele typische IT-Aussteller war die CeBIT eine Katastrophe. Fachbesucher blieben aus und so besuchten sich die Aussteller gegenseitig. Auch bei Jobs und Career war die Stimmung verhalten, trotz akutem Hacker-Mangel.

Der ganze Artikel (https://www.heise.de/newsticker/meldung/Was-war-Was-wird-Von-Scharla-und-ihren-Untertanen-4080091.html)

Quelle : www.heise.de
Titel: Was wird. Von Putschen und Disruptionen, oder auch: Mehr Rechts statt Links
Beitrag von: SiLæncer am 24 Juni, 2018, 08:30
"Belehrungsdemokratie", "Asyltourismus", "konservative Revolution": Hal Faber hat nicht wenig Lust, das Wörterbuch des Unmenschen zu erweitern.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** So geht Deutschland, Deutschland geht so: Da gibt es also einen geheimen Masterplan Migration mit 63+x Punkten, den selbst der CSU-Generalsekretär Markus Blume nicht kennt. Dieser Plan soll auf Biegen und Brechen umgesetzt werden, denn CSU-Chef Horst Seehofer hat eine geheime Superkraft, die jede Richtlinienkompetenz außer Kraft setzt. Dafür hat er keinen Verstand, so etwas überlässt er seinem Adlatus Alexander Dobrindt, der von einer konservativen Revolution schwärmt. Beide zusammen kümmern sich beim Putschversuch nicht um technische Details wie die Abfrage der EuroDAC-Datenbank, die gerade in aller Großmütigkeit für Kinder geöffnet wird. Im letzten Jahr gab es bei EuroDAC-Abfragen 42.000 Treffer für jene Asylsuchende, die in einem anderen EU-Land registriert worden sind, doch wurden nur 7102 in unsere "EU-Partnerländer" zurückgeführt, weil diese Länder zustimmen müssen. Insofern ist die europäische Feinabstimmung, die Kompetenzkanzlerin Merkel sucht, schon eine sinnvolle, politisch durchdachte Aktion. Aber Putsch ist Putsch und so helfen auch die seltsamen Gedankengänge von Markus Söder nicht, der gegen die "Belehrungsdemokratie" wettert und eben diese unsere Demokratie in Deutschland am Grundwasserspiegel ansiedelt: Dieser Schlamm kein Link. Dafür ein Verweis auf das Wörterbuch des Unmenschen.

*** Hilft es angesichts des Putsches, sich mit auch ich bin das Volk gegen die Volksbeansprucher zu wehren? Die Armee der Guten gegen die Bekloppten, mit Forderungen wie Solidarität statt Heimat? Zu den Kuriositäten dieser Putschtage zählen manche Lobeshymnen auf Angela Merkel. Ja, sie möge in den Ruhestand gehen, aber bitte, bitte doch nicht jetzt, weil dies der Sieg der Trumphofer oder Orbrindts und Kurzder wäre. Wenn Merkel alternativlos ist, dann leben wir in interessanten Zeiten, um einmal ein chinesisches Sprichwort umzudrehen.

*** Hurra, hurra, wir bekommen eine neue Behörde, eine Agentur für Cybersicherheit. Sie wird ADIC genannt und – kicher, kicher – "Agentur für Disruptive Innovationen in der Cybersicherheit und Schlüsseltechnologien" ausgeschrieben. Angesiedelt beim Bundeskanzlerinnenamt und ausgestattet mit einem ordentlichen Etat soll sie in der Tradition von DARPA stehen, wo man bekanntlich das Internet in seinem ganzen rechtsfereien Geraume erfand. ADIC soll "Lücken bei der Erforschung zukunftsverändernder Technologien schließen“, diese ominösen Disruptionen aufspüren und natürlich "den Interessen der Sicherheitsbehörden zuarbeiten", wegen unser aller Sicherheit. Das ist die frohe Kunde des sechsten Nationalen Cybersicherheitsgipfels. Die weniger frohe: Wo alle über Cybersicherheit reden, wird der böse Bube totgeschwiegen. Kein noch so cyberkundiger Redner wollte über den Fall Kaspersky Lab reden und die angenommene Böswilligkeit erläutern. So etwas ist doch nur geschäftsschädigend, und um Geschäfte geht es nun einmal beim Gipfel. Sollte die EU-Einschätzung von deutschen Behörden übernommen werden, wäre eine Analyse fällig, wie böswillig denn die Software ist, die in Israel, Frankreich oder Deutschland entwickelt wird. Das wäre mal eine Aufgabe für eine Agentur – oder für das BSI.

*** Von A bis Z, von ADIC bis ZITiS reicht nun die Spannbreite des technischen Supports für BKA, Verfassungsschutz und Co. Ganz zum Schluss des Gipfels aller Cybersicherheiten und der Hackbacks nach aufgeplatzten Unsicherheiten freute sich Winfried Karl von ZITiS, dass seine Truppe nun für insgesamt 40 deutsche Behörden Trojaner- und TK-Überwachungssoftware programmieren kann, fix und fertig für den Einsatz vorbereitet. Von Erfolgen im Kampf gegen die Verschlüsselung schwärmte er, weil so die Cyberfähigkeit der Ermittler auf eine neue Stufe gestellt werde. Schließlich arbeiten Cyberkriminelle ganz anders als gewöhnliche Kriminelle, bei denen man mit dem schlichten Abhören von Telefonen weiterkommt. Dass der Kopf einer kulturell und sozial prägenden Ästhetik- und Identitätsmanufaktur keine gesicherten Telefone bei seinen Untaten benutzt, spricht Bände. Ebenso aufschlussreich ist jedoch die Einschätzung des ZITiS-Chefs, dass in Zukunft der Bau von Bundestrojanern und anderen Überwachungswerkzeugen für die diversen Behörden weniger wichtig sein wird als die Big-Data-Analyse von eingesammelten Daten, ebenfalls im Auftrag der 40 Behörden. Alles hinein in die ZITiS-Cloud! Im Umgang mit Selektoren hat der ehemalige Abteilungsleiter des Bundesnachrichtendienstes ja eine gewisse Routine.

*** Apropos Big Data. Journalisten sind da empfindlich. Für manche ist es schon Big, wenn eine Mailing-Liste für ein paar Stunden Amok läuft und alles an Alle verteilt. Andere sind da härter, am härtesten natürlich im Verbund. So geschehen bei den Panama Papers, wo ein weiteres Datenleck lustige E-Mails ans Tageslicht beförderte:"Diese E-Mail wird wahrscheinlich abgefangen, so wie 11,6 Millionen andere Dokumente auch. Ist mir aber egal", schrieb ein ruinierter Anleger an die Kanzlei Mossack Fonseca. Die selbst bald Geschichte ist. Dem löblichen journalistischen Vorbild folgend, hat niemand anderes als die "Zeit" dieser Tage einen Aufruf gestartet, Licht in das Dunkel der Rechenzentren, diesen Aufbewahrungsstätten von Big Data zu bringen. Mit dem Satz "Wir wollen von Ihnen hören" wendet sich das Blatt an Whistleblower speziell aus der IT-Branche, eben dort, wo Big Data zum Einsatz kommt. "Big-Data-Unternehmen verfügen über gewaltigen Einfluss und kennen manche unserer persönlichsten Geheimnisse. Zum Teil arbeiten die Unternehmen eng mit Geheimdiensten zusammen oder mit anderen Firmen aus der Privatwirtschaft." Das ist natürlich alles super böse und so hat man sich bei der Zeit mit anderen zu einem "Rechercheverbund" zusammengeschlossen, damit man weltweit die Missetaten von Big Data verfolgen kann. Mit dabei: die Kollegen vom Intercept, wo man mit dem unvorsichtigen Umgang mit Dokumenten den Behörden half, die Whistleblowerin Reality Winner zu enttarnen. So löblich das neue Angebot sein mag: In aller Anonymität können auch Geheimdienste die Rolle von Whistleblowern übernehmen. Und wenn's um diese unsere Branche geht: heise Investigativ hat über in seinem anonymen Briefkasten schon manche Hinweise bekommen, die die kleineren und größeren Schweinereien und Datenlecks von IT-Diensten und -Geräten ans Licht brachten.

*** In dieser Woche hat der Rechts-Ausschuss des EU-Parlaments dem deutschen Unwesen sein Ja-Wort gegeben und ein europäisches Leistungsschutzrecht der Verleger ebenso befürwortet wie die Vorzensur mit Upload-Filtern. Wahrscheinlich kann der Unsinn in den folgenden Arbeitsgängen bis hin zur Parlamentsabstimmung und Gesetzesformulierung nicht gestoppt, wohl aber abgemildert werden. Dabei könnte die IETF eine Rolle spielen und Rechts die Links ersetzen. Der Vorschlag ist mehr als ein Sprachspiel im Stil von Ernst Jandl, sondern der durchaus ernst gemeinte Versuch, eine Lösung im Sinne des Leistungsschutzrechtes anzubieten, die die Linkfreiheit im Internet erhält. Das Problem ist nur, dass der Politik das technische Verständnis für solche Lösungen abgeht. Das ist eine Naturkonstante und seit der Zeit sichtbar, als der Information Superhighway als Ländersache ausgelegt wurde und Al Gore sich als Vater des Internet feiern lassen konnte. Das ist verdammp lang her.

Was wird.

Mit den Putsch von Bayern begann die kleine Wochenschau und so ist es nur folgerichtig, dass sie mit dem "Aufstand" von Bayern endet. Denn schwuppdiwupps wurde in dieser Woche das neue Polizeiaufgabengesetz angewendet und 10 Flüchtlinge als Gefährder für drei Wochen in Gewahrsam genommen. Das Amtsgericht Schweinfurt kann die Verbringungsdauer noch verlängern. So ist das Gesetz schnell praktisch geworden, doch nach wie vor ein Schandfleck der deutschen Demokratie.

Deswegen wird in Bayern weiter gegen das Gesetz demonstriert und sogar Geld für einen Ausflug weit jenseits bayerischer Grenzen gesammelt. Denn als nächster Termin steht die Demonstration gegen das Polizeigesetz von Nordrhein-Westfalen an und so gibt es denn einen Appell an die Politiker von SPD, FDP und den Grünen, auf ihre "Bürgerrechtsflügel" zu hören. Flieg, Gedanke, auf goldenen Schwingen ...

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. Mit unktrolliertem Zucken über kontrollierte Zentren.
Beitrag von: SiLæncer am 01 Juli, 2018, 07:45
Lagerkoller allenthalben, und WM-Gejammer. Der normale Mensch fragt sich, ob alle irre geworden sind. Hal Faber mag die Hoffung auf Vernunft nicht aufgeben.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Das also war die Woche der großen Lösungen: Die Auflösung der deutschen Fußball-Nationalmannschaft irgendwo in Rußland und die "Erlösung im Morgengrauen" in Brüssel. So wurden wir erlöst von den Bösen und den Unbekannten und die Versuchung ist vorbei, den deutschen Fußball für den besten der Welt zu halten. Während "unsere Jungs" das Trainingslager hinter sich haben, die Welmeisterschaft schnellstens vergessen und sich über das Mittelmeer in die Ferien retten, werden für andere Menschen "kontrollierte Zentren" gebaut, in denen ihre Menschenrechte sorgsam untergepflügt werden. Immerhin sind es keine Konzentrationslager bzw. Concentration Camps, von denen die US-Öffentlichkeit 1939 erfuhr, sondern hoch offiziell nur controlled centres on EU territory, in countries that are willing to build them. CC statt KL, wie die KZ früher in der Nazi-Terminologie hießen. Die Achse der Willigen jubelt und baut und baut. Wer hat nochmal über die Mauern in Mexiko gelacht?

*** Europa im Lagerkoller, das ist eine eine etwas andere Idee vom europäischen Miteinander an den Küsten des Lichts. Mit Panik distanziert sich darum das Bundesministerium für Inneres, Bau und Heimat von der Kunstaktion Seebrücke des Bundes, die WM-gerecht einen Jungen mit seinem Fußball zeigt, ungefähr so, wie Alan Kurdi heute leben könnte, würde er leben. Die Aktion lief, während der Bundesinnenminister die Seenotretter der Lifeline und anderer Schiffe als gesetzeslose Piraten bezeichnete und vor üblen "Präzendenzfällen" warnte, die aus Seenot Geretteten an Land zu bringen. Die Achtung von Menschenrechten inklusive Artikel 14 ist eine hübsch abstrakte Sache und gilt natürlich nur dem "Menschen an sich". Konkret spricht man dann lieber von "operativen einhegenden Maßnahmen", wenn Asylverfahren in "kontrollierten Zentren" durchgeführt werden und das Menschenrecht auf Asyl zu einer herrschaftlich gewährten Gnade der EU-Staaten umgedreht wird. Es ist ein Leben in finsteren Zeiten. In denen mit Wolf Biermann wieder das Lied von der Ermutigung gesummt werden kann.

*** "Du, laß dich nicht verbrauchen" ... denn wir brauchen deine Heiterkeit, das wäre eine Strophe, die man Mesut Özil widmen kann. Was nach dieser vegurkten Weltmeisterschaft über das ehemalige Integratoinsmaskottchen von Kanzlerin Merkel geschrieben wurde, grenzt an Persönlichkeitsvernichtung. Özil Seite an Seite mit Sané, das wäre was gewesen (jawohl, jeder ist Bundestrainer). Aber Jogi Löw hatte ja das Ziel, Sepp Herberger als Grötaz zu übertrumpfen und stellte deshalb eine Gurkentruppe mit Fußgurken wie Khedira und Müller zusammen, die seinen Glanz verdoppelt hätten, hätte es da was zum Glänzen gegeben. So ist es an der Zeit, an Trainerstar Herberger und das Desaster von 1958 zu erinnern, als Deutschland in alter Frechheit neonazistische Tendenzen zu Schau stellte. Oder 1978 in Argentinien: Da besuchte keine Angela Merkel die Fußballer, sondern "Flieger-As" Hans-Ulrich Rudel wurde eingeflogen, um "La Mannschaft" zu begeistern. 1958 wurde im Hass gegen die Schweden gleich richtig blank gezogen – kleine Kostprobe von damals: "Das offizielle Schweden hat hämisch genießend zugelassen, dass rund 40.000 Repräsentanten dieses mittelmäßigen Volkes, das sich nie über nationale oder völkische Durchschnittsleistungen erhoben hat, den Hass über uns auskübelte, der nur aus Minderwertigkeitskomplexen kommt. Es ist der Hass eines Volkes, dem man das Schnapstrinken verbieten muss, weil es sonst zu einem Volk von maßlosen Säufern würde." So kommentierte man die Pfiffe nach dem Foul von Erich Juskowiak, der vom Platz gestellt wurde. Sehen wir das Positive: 2018 ist der deutsche Fan kein Arsch und akzeptiert das Aus, mit Ausnahme einiger unsäglicher Fußball-Experten.

*** Anderes Thema, immer wieder beliebt und belebend in dieser Wochenschau: Während seiner Zeit bei dem Bundesnachrichtendienst hat Wilfried Karl so manche Selektorenliste abgesegnet, die umfangreiche Abhöraktionen gestattete. Dies kam im NSA-Untersuchungsausschuss zur Sprache. Nun ist Karl Chef der ZITiS, der Zentralen Stelle für Informationstechnik im Sicherheitsbereich. Sie soll dem BKA die teure Entwicklungsarbeit von Bundestrojanern und Chat-Mitschneidern abnehmen. Auf dem nationalen Cybersicherheitsgipfel hatte Karl noch davon gesprochen, dass seine Behörde entgegen anderslautender Zeitungsmeldungen keine Probleme damit hat, die ersten 120 Posten von später einmal 400 Forensikern und Kryptologen zu besetzen. 60 Fachleute habe man schon unter Vertrag. Wie sich nun abzeichnet, sind damit leitende Stellen gemeint, die von Industrievertretern besetzt wurden. Nur der Leiter für digitale Forensik kommt von einer Universität, während der Leiter für Quellen-TKÜ und Bundestrojaner-Entwicklung von Rohde & Schwarz kommt, die Kryptoanalyse von einem T-Systems-Fachmann übernommen wird und der Bereich Big Data-Analyse von einem Siemens-Mitarbeiter betreut wird. Die Aufgabe der Fachleute: Aus der Industrie "Lösungen" kaufen, die zuvor auf ihre Tauglichkeit hin geprüft werden. Im Interview wird deutlich, dass ZITiS hier das BSI ersetzt, die Abteilung Abwehr und Analyse von Schadprogrammen, und gleichzeitig dem BKA zuarbeitet: "Es gibt durchaus seriöse Anbieter, mit denen die Sicherheitsbehörden schon seit Jahren im technischen Bereich gut zusammenarbeiten. Wir wollen außerdem mit Forschungseinrichtungen sprechen, um gemeinsame Projekte anzustoßen. Egal ob Eigenentwicklung oder eingekauftes Produkt: Wichtig ist, dass die Werkzeuge von uns genau überprüft werden. Macht das Produkt genau das, was es soll? Und macht es auch nur das, was gesetzlich erlaubt ist? Für diese Evaluation sind wir auch zuständig." Nicht länger soll diese Prüfung die Sache von Firmen wie TÜV Essen oder von CSC Deutschland sein. Anders gesagt: Man will unter sich bleiben, wenn Kriminelle oder Staatsgefährder belauscht werden.

*** Schön ist auch diese Passage des Herrn Karl: "Die Frage ist doch: Wie soll ein Polizist damit umgehen, dass er bestimmte Daten nicht mehr verarbeiten kann? Zum Beispiel, weil Chatnachrichten von Straftätern verschlüsselt sind. Die Alternative wäre doch: Man verbietet Verschlüsselungen. Man zwingt die Bürger, ihre Passwörter zu hinterlegen. Oder man baut Hintertüren in IT-Systeme ein. All das ist aber nicht Teil der deutschen Krypto-Politik." Rhetorisch nicht ungeschickt verbirgt Wilfried Karl den Wunsch nach einer anderen Krypto-Politik mit einer Runde Mitleid für den armen Polizisten, der bestimmte Daten nicht mehr verarbeiten kann, weil sie nicht für ihn bestimmt sind. Man nehme noch die jammernden polizeilichen Ausführungen zu den Mindestspeicherfristen und ihre Bedeutung für die Kriminalitätsbekämpfung hinzu und schon wird ein Appell draus. Oder ein Schuh. Oder ein Überwachungsstaat.

Was wird.

In den USA naht der 4. Juli, den US-Präsident Donald Trump sicher feiernd und golfend auf einem Trump-Platz verbringen wird. Asnchließend geht es ja nach Brüssel zum NATO-Gipfel und dann nach Helsinki zum Treffen mit Wladimir Putin. Ob Trump da ein nettes Wort für seinen Landsmann Edward Snowden einlegen wird? Immerhin bekannte der damals von Wikileaks betreute Snowden im Interview: "Ich hatte nie vor, hier zu sein." Mit einer anderen Idee, dem Abzug der US-Truppen aus Deutschland, dürfte Trump Freunde auf unverhoffter Seite finden, bei der Friedesnbewegung.

Schluss ist es dann mit dem Drohnenkrieg über die Relais-Station in Ramstein und den Atombomben in Büchel. Die zwei Milliarden Dollar Umzugsgeld, die Polen aktuell bietet, dürften bei weitem nicht ausreichen, das bisschen US-Präsenz in Deutschland weiter ziehen zu können. Aber Putin dürfte es freuen, wenn den USA dem Truppenbedarf dann entsprechende Kapazitäten an Flug- und Seehäfen fehlen. За футболистов!

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. Mit den ersten Rätseln einer lauschigen Sommernacht.
Beitrag von: SiLæncer am 08 Juli, 2018, 09:45
Personenraten im Sommerrätsel? Aber unsere Söbrindts und Seehofers sind nicht angesagt, darauf besteht Hal Faber.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

(https://heise.cloudimg.io/width/301/q30.png-lossy-30.webp-lossy-30.foil1/_www-heise-de_/imgs/18/2/4/5/9/8/9/2/wwww988anfangende-8403cb8eb95ae9c2.png)
*** Sommer, Sonne, tralala! Fred vom Jupiter, der war da!! Aber Fred, oh schöner Fred, der blieb nur 48 Stunden, denn die Männer waren nervös und wurden richtig bös. Sie steckten ihn in ein Asylkompromisstransitzentrum. So blieb der Besuch vom Jupiter eine einzige Fiktion der Nichteinreise. Ja, der Song mag an die Grenzen der Idiotie gehen, doch schließlich haben wir in dieser Woche genau das auf der großen politischen Bühne erlebt, bei Seehofer und den Söbrindts. Wenn so lebendige Demokratie aussieht, dann Dankeschön, bitte nicht. Wobei selbst Andreas Dorau von der Demokratie singen konnte und die BRD-Kunstkritik sich beeilte, dafür Susan Sontags Notes on "Camp" hervorzukramen. Nein, diesmal ist, anders als in der letzten Wochenschau, nicht vom Concentration Camp die Rede, sondern ganz im Sinne der Kunst von Camp als Stil. Denn zu einem Sommer gehört auch das traditionelle Sommerrätsel mit jeweils 10 Fragen in drei Kategorien. Den Anfang macht diesmal die Wetware, denn was sind Computer ohne Menschen, die vor ihnen stehen, sitzen oder mit dem Däumchen antatschen? Die Fragen sind nach dem Alter der gesuchten Personen sortiert, wobei das höchste Alter den Anfang macht. Das heitere Personenraten nicht mit dem News-Quiz zu verwechseln, der auf die Nachrichten der Woche blickt.

Der ganze Artikel (https://www.heise.de/newsticker/meldung/Was-war-Was-wird-Mit-den-ersten-Raetseln-einer-lauschigen-Sommernacht-4104508.html)

Quelle : www.heise.de
Titel: Was wirklich wahr war. Die Auflösung des ersten Sommerrätsels
Beitrag von: SiLæncer am 09 Juli, 2018, 18:43
Während sich die britische Regierung ganz langsam auflöst, geht das beim Sommerrätsel etwas fixer. Es gab auch halbrichtige Antworten.

Im ersten Teil des Sommerrätsels galt es, Personen zu erraten, die in der IT eine Rolle gespielt haben oder noch spielen – in abnehmender Reihenfolge ihres Alters, Das setzte dem Rätsel eine gewisse Beschränkung.

Hedy the Superior

Frage 1 suchte eine Person, die einmal seufzte: "Ich suche einen überlegenen unterlegenden Mann." Dabei haben wir den "Mann" weggelassen, um es nicht zu leicht zu machen. Dennoch kamen findige Leser auf Corels Gesicht Hedy Lamarr. Zur Hedy the Superior gab es ein Pendant namens Hedy the Inferior, eine Sex-Puppe für einen gewissen Sam, dem Hedy zuschaute.

Frage 2 suchte den Informatiker Karl Steinbuch. Er fand das Gerede vom Datenschutz für einen Popanz und wetterte gegen die Gegner der Vorratsdatenspeicherung, sie würden sich von einen minderwertigen Roman von George Orwell beeinflussen lassen.

Mit Frage 3 wurde Joe Weizenbaum gesucht und gefunden, nicht aber die vom AK Vorrat zitierte Passage, in der er über die Nützlichkeit des Computers sinnierte. "Er kam gerade noch rechtzeitig, um gesellschaftliche und politische Strukturen intakt zu erhalten – sie sogar noch abzuschotten und zu stabilisieren –, die andernfalls entweder radikal erneuert worden oder unter den Forderungen ins Wanken geraten wären, die man unweigerlich an sie gestellt hätte. Der Computer wurde also eingesetzt, um die gesellschaftlichen und politischen Institutionen Amerikas zu konservieren."

Der ganze Artikel (https://www.heise.de/newsticker/meldung/Was-wirklich-wahr-war-Die-Aufloesung-des-ersten-Sommerraetsels-4106631.html)

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. Mit den nächsten Rätseln einer lauen Sommernacht
Beitrag von: SiLæncer am 15 Juli, 2018, 00:15
In einem deutschen Sommer, grummelt Hal Faber, stellt mancher die Würde des Menschen zur Diskussion, ohne Hemmungen. Fast absurd: das Sommerrätsel geht weiter.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Ein echter deutscher Sommer, das war früher die Zeit, die einem unendlich lang vorkam, mit lauen Sommernächten oder auch solch lauschigen, in denen der Regen einschläfernd auf dem Zelt trommelte. Ein deutscher Sommer, das ist heute eine Zeit, in der unsägliche Texte veröffentlicht werden, im Namen eines "Pro" und eines "Contra" als Zeichen journalistischer Ausgeglichenheit. Dabei ist die (online geänderte) Überschrift schon am Abdrehen: "Oder soll man es lassen?" Online wie offline sind Sätze zur lesen, die schon erstaunen: "Das Ertrinken im Mittelmeer ist ein Problem aus der Hölle, ein politisches Problem, zu dessen Lösung die private Seenotrettung null und nichts beizutragen hat." Null und Nichts für die Aktivisten, die den ganzen Umfang des Überlebens und Sterbens auf dem Mittelmeer erst sichtbar gemacht haben, dazu einen tiefen Kotau vor der Grenzschutzagentur Frontex und ein dümmlicher Vergleich mit Wohnungseinbrüchen. Das ist ein deutscher Sommer und ein sehr deutscher Journalismus. Verkürzen wir mal: In diesem unseren Land wird diskutiert, ob Leben retten eine Straftat sein kann. Die gerne beschworenen Würde des Menschen ist austastbar geworden.

Der ganze Artikel (https://www.heise.de/newsticker/meldung/Was-war-Was-wird-Mit-den-naechsten-Raetseln-einer-lauen-Sommernacht-4110343.html)

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. Deutschland, kein Sommermärchen.
Beitrag von: SiLæncer am 05 August, 2018, 09:54
Inklusion war schon immer eine shitstormtaugliche Angelegenheit, auch als Heimat noch nicht in aller Munde war. Hal Faber aber hat ein Elefanten-Gedächtnis.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Oh, diese Hitze, dieses Leiden unter blauen Himmeln. Die Heimat glüht wie entfernte Wüsten, aus denen Asylsuchende flohen, um in unserer schönen Heimat mit uns zu leben. Oh, sonnigstes, strahlendes Deutschland, du Land der Zukunft und des gemeinsamen Verständnisses, wie es nicht nur Lady Bitch Ray, sondern auch die Bundesregierung dieser Tage in einer Antwort definierte: "Aber Heimat heißt auch Zukunft und Verständnis, gesellschaftliche Veränderungen anzunehmen und sich mit ihnen auseinanderzusetzen. Denn Heimat war und ist immer auch ein Raum sozialer Beziehungen, Ausgleich und Einbindung – Integration. So verstanden ist Heimat Lebensmöglichkeit und nicht nur Herkunftsnachweis. Heimat ist nicht Kulisse, sondern Element aktiver Auseinandersetzung." Heimat als Utopie wie bei Ernst Bloch, und das aus dem Hause Seehofer. Erstaunlich. Ja, dann kann es gerne noch heißer werden und der Herr Minister darf nach Lust und Laune twittern und seine Tweets abschieben.

*** Dabei ist das, was sich da gerade als "Wetter" abspielt, kein Sommermärchen mehr, wie Kachelmann schreibt, sondern das sind organisierte Fake-News, bei denen Hitze und Dürre verwechselt wird. Niemand schreibt mehr die Wahrheit über Ventilatoren, Klimaanlagen, Holzöfen und das Hoch im Norden. Doch es gibt da Zusammenhänge, die auch ein Wetterfuchs wie Kachelmann nicht leugnen kann. Zum Beispiel gibt es eine Kausalität zwischen der Hitze, der allgemeinen Dürre in den Köpfen und der Großmäuligkeit von Law&Order-Trüppchen wie der Deutschen Polizeigewerkschaft. Dort spricht man von der "geistige Verwirrung aufgrund der sommerlichen Temperaturen", die die Kollegen von der ungleich größeren Gewerkschaft der Polizei erfasst haben soll. Dort sollen zumindest die schreibenden Polizisten einen Hitzeknall haben, weil in einem Artikel der Deutschen Polizei angeblich die Kennzeichnungspflicht für Polizisten begrüßt wurde. Was die bei der GdP natürlich dementieren. Ja, aus der Sicht beider Gewerkschaften sind die Menschen in ihrer Rolle als Demonstranten seltsam unfähig: "Es ist doch abwegig zu glauben, dass sich in Tumulten bei Großveranstaltungen jemand eine fünf- bis zehnstellige Nummer, die von der Beamtin oder dem Beamten sichtbar getragen wird, auswendig merken kann oder in brenzligen Situationen davon ein Bild macht."

*** Stattdessen möchte man eine IT-Lösung besonderer Art: "Es gibt zwischenzeitlich Kamerasysteme am Markt, welche in brenzligen Situationen, etwa beim Ziehen der Schusswaffe, des Distanzelektroimpulsgerätes oder etwa des Teleskopschlagstockes automatisch in den Aufzeichnungsmodus wechseln, auch wenn unsere Kolleginnen und Kollegen in dem Stressmoment nicht daran denken. Hierdurch wären die Vorwürfe von 'Polizeigewalt' objektivierbarer und das Ziel jeden einzeln bei Fehlverhalten identifizieren zu können, wäre sichergestellt." Jetzt denken wir einmal kurz darüber nach, wie die so aufgezeichneten "hochpräzisen" Daten in die Hände von Bürgern gelangen können, die nach einer Demonstration für die Seebrücke eine Beschwerde haben. Der jeweilige Informationsfreiheitsgesetzbeauftragte August lässt lächelnd beste Grüße ausrichten.

*** Passend zur IT-Lastigkeit der polizeieigenen Überwachung muss noch einmal auf des neue Projekt am Bahnhof Südkreuz hingewiesen werden, wo das "ungewöhnliche Verhalten" von Passanten und Demonstranten erkannt werden soll. Dort gibt es insgesamt 6 Szenarien, die erkannt und gemeldet werden sollen, von der einfachen Passantenzählung mit der Warnung vor überfüllten Bahnsteigen bis zur Analyse von zusammen strömenden Menschen und der Warnung vor Menschenrotten und Seebrücken-Flashmobs. Wenn alles zur "retrograden" Prüfung aufgezeichnet ist, schlägt die Stunde der "Künstlichen Intelligenz", die nach Bewegungsmustern von Taschendiebstahlsbanden sucht, die ständig die Treppen auf und ab gehen. Natürlich darf auch der stehen gebliebene Koffer nicht im Szenario fehlen, als Chiffre für die terroristische Bedrohung durch unkonventionelle Bomben. Was bleibt, ist die Hoffnung, dass diesmal die Testergebnisse veröffentlicht werden. Beim Vorläuferprojekt der intelligenten Gesichtserkennung fehlen sie bislang: Die allgemeine Aussage, dass 40 Prozent der am Test beteiligten Freiwilligen erkannt wurden, ist ohne weitere Details absolut wertlos.

*** Details fehlen auch bei einem Vorgang in der somnambulen norddeutschen Tiefebene, dem Rauswurf von Linux beim niedersächsischen Finanzministereium. Selten hat es dürftigere Informationen gegeben als die von den "verschiedenen Stellen", an denen "Skalen- und Synergie-Effekte" entstehen werden. Einfach mal etwas in den Koalitionsvertrag schreiben und machen lassen, das läuft auf einen fetten Auftrag für Dataport hinaus und ist damit eine fundierte Entscheidung für den IT-Standort Deutschland. Von Schleswig-Holstein aus die Ämter und Ministerien erobern, das hat was. Wenn dann das Migrationsprojekt erfolgreich durchgezogen ist – oder auch nicht –, dann kann man ja immer noch im Landtag das Thema Open Source als Chance diskutieren. So bleibt Leben in der Datenbude."Wir sollten nicht von Krisen der anderen profitieren", heißt es. Aber das ist, huch, ein ganz anderes Projekt mit anderen, ebenso wolkigen Allgemeinplätzen wie beim Rausschmiss von Linux. Eine neue, linke Bewegung voller Synergieeffekte in Konkurrenz zu DiEM25? Das wird sich im September zeigen. Das gemeinsame Vielfache ist jedenfalls die Forderung Freiheit für Julian Assange! oder mindestens die Besuchsfreiheit.

*** Ach ja, Besuchsfreiheit ist nicht grenzenlos. Vor 50 Jahren, am 31. August 1968, verlor Charlie Brown seinen Strandball, den ein schwarzer Junge namens Franklin fand. Anschließend lud Charlie Brown Franklin ein, ihn zu Hause zu besuchen. Weiße und schwarze Jungs spielten zusammen, nur wenige Monate nach dem Tod von Martin Luther King. Was die Idee einer Lehrerin war, wurde vom Zeichner Charles M. Schulz gegen alle Widerstände seiner Verleger und trotz vieler wütender Leserbriefe durchgesetzt. Die Schulzsche Inklusion von Franklin gehört zu den kulturellen Erfolgen wie die schwulen Knollennasen und Wulstlippen von Frank König. Jetzt wird ihm Rassismus und Transphobie vorgeworfen. Zu jeder Inklusion gehört heute jemand, der im Namen seiner oder ihrer Beurteilungsfähigkeit Gerechtigkeit einfordert, für seine oder ihre Weltsicht. "Mich schaudert bei dem Gedanken, in so einer Gesellschaft zu leben: Verbissen, aggressiv, immer einen Grund suchend, sich selbst und sein Weltbild zum Alleingültigen zu erklären. Ich zucke mit den Schultern und mache weiter wie bisher." Das hätte auch ein Charles M. Schulz sagen können.

Was wird.

Wo bleibt das Positive? Natürlich in Russland, wo die ach so gefürchteten russischen Hacker im Mai ihre Konferenz namens Positive Hack Days veranstalteten. Einer der wichtigsten Sponsoren: die Kaspersky Labs, die zudem etliche Redner und Teilnehmer an Hacker-Wettbewerben stellten. Dies soll wohl der Beweis für die viel diskutierte Behauptung sein, dass Kaspersky Labs ein verlängerter Arm der berüchtigten russischen Hacker sind.

Doch während die Spitzen von NSA, FBI, der nationale Geheimdienstkoordinator und die Heimatschutzministerin vor russischen Attacken auf die anstehenden Wahlen zum Kongress warnen, hat Trump die Warnungen kurzerhand weggewischt. Der Mann befindet sich wieder im Wahlkampf, gefürchtet von seinen Parteigenossen. "Alles, was ihn interessiert, ist sein Platz in der Geschichte."

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. Ceram - Gefährder, Gegenstände und Grundegesetze
Beitrag von: SiLæncer am 12 August, 2018, 00:36
Frei geboren! Und schon ist man Gefährder. Die Absurditäten zwischen linker Kampfpresse und rechten Verfassungsschutz-Tipps nehmen kein Ende. Hal Faber lacht.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Na, das ist doch mal ein echtes Sommer-Sonderangebot, das WWWW-Leser BenelliM4 mir da vorgibt: ich soll mit meine Coworking-Space umziehen und die Wochenschau in der Roten Flora schreiben, damit sie ausdruckstärker ausfällt. Gut, würde ich gerne machen, doch heißt es in der Selbstdarstellung explizit: "In der Roten Flora soll niemand Geld verdienen." Was war, was wird, wird aber geschrieben, um zusammen mit anderen Artikeln mehrere Menschen zu ernähren, hat mithin ein knallhart kapitalistisches Geschäftsmodell. Das muss man mögen und dabei auch Lesern und Leserinnen zuwinken können, die von Geschwafel schreiben oder gar linksfaschistische Umtriebe am Werke sehen.

*** Eigens für nämliche Leser bleibe ich gleich mal bei der linken Kampfpresse. Denn in dieser Wochenschau ist oft genug von den neuen Polizeigesetzen der Länder die Rede gewesen und so freue ich mich, mit der halb vergessenen UZ (die mit den tollen Sommerfesten damals ...) den ersten Gefährder Deutschlands zu präsentieren. Der Gefährder ist in seiner Dreieinigkeit Betriebsrat, Gewerkshaftsmitglied und Kommunist, was ihn so gefährlich macht, dass das Jugendamt ihm das Besuchsrecht seines Kindes aberkannte. Da der Mann nach dem neuen bayerischen Polizeiaufgabengesetz auch DNA-technisch behandelt wurde und laufend mit zehn Metern Sicherheitsabstand beschattet wird, dürfte es keine väterlich-konspirativen Treffen geben. Wie es sich für einen ordentlichen Gefährder gehört, darf zudem sein Verteidiger die Ermittlungsakten nicht einsehen, in denen die Straftat der "schweren Körperverletzung" beschrieben wird. Auf einem Lauti mit der Technik beschäftigt, soll der Gefährder mit einer Fahnenstange die freiheitlich-demokratische Grundordnung in Gefahr gebracht haben. Später musste er bei einer Demonstration einen "gefährlichen Gegenstand", einen schwarzen Regenschirm der Gewerkschaft ver.di, abgeben, auch so eine demokratievernichtende Waffe. Nun schreibe ich über diese Jagdszenen aus Niederbayern, nicht aus der Roten Flora, sondern sitze am Rander der norddeutschen Tiefebene und so sei mir denn dieser Hinweis auf den 8. September gestattet. Niedersachsen. Klar. Europarechtswidrig.

*** Manchmal hat man den Eindruck, es ist nicht mehr weit bis zur Geschichte, die Born Free erzählt. Aber zum Thema gehört auch die putzige Geschichte, dass der oberste Prüfer der freiheitlich-demokratischen Gesinnung sich mit rechtsdrehenden Persönlichkeiten wie Frauke Petry von den "Blauen" und Alexander Gauland von der sogenannten "Alternative für Deutschland" traf, angeblich um das Problem der fiesen moskowitischen Einflusslinge zu erörtern. Ganz nach dem offiziellen Claim "Im Verborgenen Gutes tun!" soll Hans-Georg Maaßen zumindest Frauke Petry väterlich gesinnte Tipps gegeben haben, wie man die rechte Mischpoke loswird, damit man nicht die Vorzugsbehandlung bekommt, im Verfassungsschutzbericht aufzutauchen. Das zumindest wird im Buch Inside AfD behauptet. Ist das ein normaler Vorgang, wie etwa eine Warnung des Kartellamtes vor der Fusion von Unternehmen, die kritische Infrastrukturen betreiben, wenn ausländische Interessen im Spiel sind? Oder ist die Steuerung des demokratischen Prozesses durch eine Behörde wie dem Verfassungsschutz ein Kleinohrskandal?

*** Zu einem Verfassungsschutz gehört eine ordentliche Verfassung und ein oberstes Verfassungsgericht, das jeden Beschiss an der Verfassung akribisch verfolgt, inklusive der Gesetzesänderungen, die einen Beschiss rechtfertigen sollen. In dieser Woche hat Digitalcourage die Verfassungsbeschwerde gegen den Staatstrojaner eingereicht; es ist die erste von insgesamt drei Klagen gegen die softwarebasierte heimliche Computerüberwachung. Die Gesellschaft für Freiheitsrechte und die FDP-Politiker Gerhart Baum, Burkhard Hirsch, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger und Christian Lindner folgen. Das ist der richtige Auftakt für das große Grundgesetzjubiläum, ein wahrlich unbezahlbares Ereignis. Oder? Man stelle sich vor, dass jeder steuerzahlende Mitbürger 35 Cent pro Monat für dieses Grundgesetz ein Jahr lang zahlen würde, so als Dankeschön für echte Sicherheit – dann hätten wir hopplahopps das Kindergeld zusammen – mit dem gerade die nächste Sauhetze betrieben wird.

*** Noch etwas "Zahlen, bitte"? Im aktuellen Angebot ist Toll Collect mit einem Kostensockelbetrag von 5,3 Millionen Euro bei tatsächlich aufgelaufenen Kosten für die Mautabrechnung von 2,1 Millionen jährlich. Nach jahrelangem Rätselraten um die 17.000 Seiten des Mautvertrages, die schließlich von Wikileaks veröffentlicht wurden und pikante Details enthielten, geht die Ausplünderung öffentlicher Kassen ungebremst weiter, wie ein aufrechter deutscher Whistleblower berichtet. 41.000 Euro für eine Oldtimer-Rallye, 9000 Euro extra für den Betriebsausflug der Geschäftsführung werden dem Staat Deutschland in Rechnung gestellt, schließlich schafft man ja an, erst recht seit der Ausweitung auf Bundesstraßen und 7,5-Tonner. Eigentlich müsste man dort sofort mit einem Untersuchungsbeschluss rein, doch haha, hihi, hoho, kaum jemand kümmert es heute. Lieber schnell die große Glocke wummern gegen Bulgaren und Rumänen, die auf unseren deutschen Feldern schuften und dazu noch Kindergeld kassieren. Das, oh Europa und dank Europa, ihnen noch nicht einmal abgezogen werden kann wie bei diesen Hartz-IVlern.


Was wird.

Der Minister des Innern, für Bau und für Heimat will bekanntlich kein Schirmherr des Deutschen Nachbarschaftspreises sein. Zwei von 104 ausgewählten Projekten hatten ihre Preisbewerbung wegen eben dieser Schirmherrschaft zurückgezogen, was Horst Seehofer dann nachhaltig übel nahm. Umso mehr freut er sich auf den Tag der offenen Tür unter dem Motto "Einfalt statt Vielheit" oder so, mit Highlights wie den Diensthunden der Bundespolizei und dem Maurer-Nationalteam. Es ist übrigens der 20. Tag der offenen Türen der Bundesregierung und ihrer Ministerien, der berlinweit unter dem Motto Hallo, Politik steht. Ganz nebenbei kann ich nur von letzter Woche wiederholen, dass auch Horst Seehofer mauert und die Ergebnisse des Tests der Gesichtserkennung am Berliner Bahnhof Südkreuz nicht veröffentlicht. Das Rätselraten um den Test geht weiter. Ja, wo ist er denn hin, der "signifikante Mehrwert für die polizeilichen Aufgaben der Bundespolizei"?

Es ist ein bisschen wie bei IBM und seinen Doktorspielen. Jahrelang wurde damit geworben, das Watson bei der Diagnose von Krebserkrankungen helfen kann. Nun zeigt die journalistische Recherche auch in den USA ein anderes Bild. Watson kann nicht mit dem Tempo des medizinischen Fortschritts mithalten. Bestenfalls unterstützt Watson die Ärzte, indem die Software auf neue Veröffentlichungen zu einem Krankheitsbild hinweist. Doch die Segnungen der KI sind bisher unwidersprochen, da hilft auch kein künstliches Manifest wie Wacht auf, Verdammte dieser Erde. Schließlich stellt die liebevolle, glückliche Datenbank auch eine Anleitung zum Glücklichsein in dieses unsere Netz. Dont worry ...

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. Vom Leben in foppigen Zeiten
Beitrag von: SiLæncer am 19 August, 2018, 00:13
"Alle staatlichen Gewalten sollten mehr Aufmerksamkeit darauf verwenden, ihr Handeln zu erklären." Das genaue Gegenteil ist Hal Faber aufgefallen.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Liebes Web-Tagebuch, heute habe ich das "Rechtsempfinden der Bevölkerung" gesehen. Es spielte mit einer Waage, jonglierte mit einem Schwert am Grill und nutzte eine Binde als Sonnenschutz. Dann habe ich gelesen, dass der nordrhein-westfälische Innenminister Herbert Reul meint, dass Richter nicht nach dem Gesetz und der durch Gesetze gefestigten Rechtsprechung mit entsprechenden Urteilen urteilen, sondern gefälligst das Rechtsempfinden der Bevölkerung berücksichtigen sollen. Nun könnte ich einen namhaften Politiker wiederholen und damit ebenfalls gegen den Pressekodex verstoßen. Also überlasse ich das Kommentieren anderen Berufenen, einmal von dieser Seite und dann von der ganz anderen. Nanu, gibt es keinen Unterschied zwischen FAZ und taz als die Groß- und kleinbuchstabigen Kürzel? Bescheuert?

*** Am universalen Foppen der Gerichte beteiligt: Eine etwas andere Zeitung mit großen Buchstaben, die den Fall Sami A. nach und nach zur dringlichen Angelegenheit aufbauschte und das Abendland in Gefahr sah. Das Blatt schaltete prompt in den Krisenmodus. Bei Eugen Gomringer wurde man noch die Freiheit der Kunst verteidigt. Schwupp ist sie weg, schepper und klirr. Es gibt Politiker, die in diesem Blatt das Rechtsempfinden der Bevölkerung verkörpert sehen. Was fehlt, da in diesem Zustand als Scherbenhaufen nur noch wegkehrbar: Das Image der FDP als Partei der Freiheitlichkeit und der Bürgerrechte. F steht ab sofort für Foppen.

*** Natürlich folgte eine Art politischer Fallrückzieher. "Alle staatlichen Gewalten sollten daher mehr Aufmerksamkeit darauf verwenden, ihr Handeln zu erklären." Dumm, wenn man selbst das genaue Gegenteil macht. Bei Innenminister Reul kommt hinzu, dass er eigentlich ganz, ganz anders in die Schlagzeilen dieser Woche kommen wollte. Denn der erklärte Gegner der Sommerzeitumstellung sieht sich mitsamt einer EU-Umfrage eigentlich auf dem Zenit seiner Karriere angelangt. Reul ist einer, der sich unermüdlich für das Zeitempfinden der Bevölkerung eingesetzt und immer wieder vor dem "Tod durch Zeitumstellung" gewarnt hat! Und nun wird er als Ewiggestriger wegen dieses Rechtsempfindens enttarnt, das ist hart und bitter und treibt dem Beobachter Tränen in die Augen. Immerhin will Reul seine Polizei, bei der er die Kennzeichnungspflicht abgeschafft hat, nach dem neuen Polizeigesetz und all seinen Befugniswerweiterungen mit "Distanzimpulsgeräten" ausrüsten, die aufsässige Bürger auf kleine Zeitreisen schicken können – Kinder eingeschlossen. Wir kennen ja diese kleinen Racker mit ihrem Aufstand gegen das Ruheempfinden der Bevölkerung.

*** In den USA bekommt US-Präsident Trump keine Militärparade und muss wieder nach Frankreich fliegen, um sich solch ein Spektakel anzusehen. Zur patriotischen Kniefallkontrolle wären überdies Stadionbesuche fällig, weil Sportsender diesen unsportlichen Teil künftig ausblenden wollen. Da für Trump das Ausblenden angeblicher Fake-News zum Alltag gehört, dürfte ihn das starke Lebenszeichen der US-Presse kaum stören. Und der Tod von Aretha Franklin? "Sie arbeitete für mich." Immerhin gibt es ein paar warme Worte für die Königin des Souls, bei anderen Afroamerikanern waren dieser Tage schon Tiernamen fällig.

*** Ja, Respect ist etwas anderes, auch in der Pop-Version. Behalten wir darum You make me feel in guter Erinnerung, gesungen für Carole King. So hat man Freunde. Oder möchte jemand hier die Teilnehmer zählen? Nun, es gab andere Treffen von Präsident und der Königin. Was natürlich nicht vollständig ist ohne den größten Soul-Song aller Zeiten. Der Abschied einer großen Stimme kann natürlich auch mit Worten betrauert werden oder mit Unfug wie dem von der "übermenschlichen Stimme". Sie war so menschlich, Precious Lord, oh Precious Lord.

Was wird.

Von Aretha Franklin zu Brett ist es ein etwas gewagter Sprung, zugegeben, aber einmal noch am Leben möchte ich vom "Neo Kraut Rock mit Haftbefehl" schreiben, der auf der anstehenden IFA zu hören sein soll. Das ist als Werbesprech der Veranstalter allemal glaubwürdiger als die Vorstellung, dass im Sommergarten Igel an den Orgeln sitzen und dank des Schmetterlingseffektes Orgien in Georgien auslösen. Oder so. Knuffige Neuheiten soll es geben, etwa einen Dialoggarer, dem man die Worte "nun quäl dich, du Sau" zurufen kann, damit das Fleisch hübsch gar wird. Interaktiver wird es nur noch, wenn man mit "Alexa, mach Schnitzel" einen zweiten Dialogkoch an seinen Posten setzt.

Das Ganze wird dann mit leichter Trauer serviert, denn Kuri ist nicht mehr dabei. Kuri, der Knuffige hat ausgedient, weil er keine Schnittmenge mit dem Bosch-Portfolio geboten hat und ein Knuff von bescheidener Intelligenz war. Auch fehlte ihm der Charme und das gewisse Etwas der 6000 Euro teuren Sexpuppen, für die die taz seit einer Woche kräftig Werbung macht. Man könnte ihm ferner unter gewissen Umständen das Fehlen der Arme ankreiden, weil so der deutsche Gruß nicht möglich ist, wie ihn das Forschungsministerium auf seinem aktuellen Titelblatt präsentiert. Vielleicht ist es auch das Siegeszeichen, alles eine Frage des Bildempfindens der Bevölkerung. Schließlich kam diese Woche ja die Entwarnung vor Horrorszenarien der künstlichen Intelligenz. Es wird nicht so schlimm und Richard David Precht, der Viel-o-Soph für alle Emfindungslagen, hat Unrecht. Es piekst nur ein kleines bisschen. Dafür werden die //dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/037/1903771.pdf:Foppern.

Halt, einen habe ich noch. Der die Nähe von Trump suchende Gesunheitsminister Jens Spahn will bekanntlich Kalif werden anstelle der Kalifin. Im aktuellen SZ-Magazin zeigt er sich ganz im Bild, dazu twittert sein Ministerium die Bilder vom harten Kanzler-Training weiter. In den nächsten Tagen will Spahn eine Verordnung vorstellen, nach der die gesetzlichen und privaten Krankenkassen dazu verpflichtet werden, ihre Mitglieder über die elektronische Gesundheitsakten aufzuklären und für die moderne Digitalmedizin zu werben. Was fehlen wird, ist die Aufklärung darüber, dass Medizindaten in diesen Angeboten bei Drittfirmen wie IBM gespeichert werden und nicht dem Sozialgeheimnis unterliegen. "Es handelt sich bei den eGA-Lösungen um ein privates Angebot von Dritten, die weder Sozialdaten im Sinne des § 67 Abs. 1 SGB X verarbeiten noch das Sozialgeheimnis gemäß § 35 SGB I beachten müssen." Industriefreundlicher geht es nicht.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. Von Zeiten, da Staatsdiener allem möglichen dienen.
Beitrag von: SiLæncer am 26 August, 2018, 09:11
Personen der Zeitgeschichte, ja, ja. Da tummelt sich seltsames Kroppzeug neben Geistesgrößen. Hal Faber hat da schon seine Entscheidungen getroffen.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Nach dem Wutbürger haben wir den Hutbürger kennengelernt, einen tarifvertraglich bezahlten Staatsdiener, der sich auf der Straße als rechter Kämpfer gegen die Lügenpresse entpuppte. "Sie haben mich ins Gesicht gefilmt", das ist zum geflügelten Satz der Woche geworden und hat alle gepflegten Sätze über den Deutschen Digitalrat in den Hintergrund gestellt. Doch der Hutbürger redete mehr: "Ich setze Sie vorläufig fest. Und die Polizei, der Einsatzleiter, schaut sich an, was Sie für Aufnahmen gemacht haben. Ich untersage Ihnen hier öffentlich, mich zu filmen. Wenn eine Aufnahme irgendwo auftaucht, im Netz oder in den Medien, werde ich sie verklagen." Wie meinte Adorno? "Bei vielen Menschen ist es bereits eine Unverschämtheit, wenn sie Ich sagen."

*** Nun sind die Aufnahmen dieser höchst seltsamen Person der Zeitgeschichte – das ist man nämlich als Demonstrations-Teilnehmer – tausendfach im Netz zu finden. "Lügenpresse" rufen und wie ein Quasi-Polizist handeln, das war offenbar möglich, weil der besorgte Bürger mit dem Deutschlandhut beim Landeskriminalamt arbeitet. Zwar nur als Angestellter und im Dezernat für Wirtschaftskriminalität angestellt, aber schlummert nicht in jedem Spießbürger ein kleiner Ordnungspolizist?

*** Insofern ist es nicht ganz uninteressant, auf welche Dateien mit welchen Inhalten der LKA-Mitarbeiter Zugriff hat, der Merkels Vorbeifahrt lautstark mit "Volksverräter"-Rufen begleitete. Das sächsische integrierte Vorgangsbearbeitungssystem (IVO) gehört dazu, das eine Schnittstelle zu Inpol hat, über die Vorgänge als Tatfälle abwandern oder umgekehrt Personen abgefragt werden. In den Worten der Polizei: "IVO ist darüber hinaus nicht nur ein komplexes Vorgangsbearbeitungssystem, sondern zugleich die zentrale Datenbank und Täterlichtbilddatei sowie die Schnittstelle zu INPOL und zum Schengener Informationssystem." Bestätigt ist zudem der Zugriff auf das Ausländerregister. Wer Volksverräter suchen und aufdecken will, hat so eine solide Ausgangsposition. Noch ist freilich nicht bekannt, ob der Job vom Hutbürger so genutzt wurde. Bislang ist er noch im Urlaub und damit war er auch privat unterwegs, so die Auskunft aus Sachsen. Doch halt, wie hieß es auf dem Polizeitag in Dresden? "'Wir sind mitten in der Digitalisierung.' Für die polizeiliche Arbeit habe dies zur Folge, dass nichts mehr privat sei und es noch mehr Transparenz brauche."

*** Abseits der Aufregung um Hutbürger und die schleppenden Identitätsfeststellungspraktiken der mit der Digitalisierung beschäftigten Polizei sorgten Hakenkreuze auf der Gamescom in dieser Woche für Diskussionsstoff. Erstmals nach 1998, als in der Debatte um das Spiel "Wolfenstein" die CD "Widerstand und Verfolgung im III. Reich" herauskam und mit USK18 bewertet wurde (was den geplanten Schuleinsatz zunächst behinderte), hat "Through the Darkest of Times" USK12 bekommen. Das Spiel darf also von Jugendlichen gespielt werden. Inzwischen hat sich auch Familienministerin Franziska Giffey meinungsstark zu Worte gemeldet: "Mit Hakenkreuzen spielt man nicht", offenbar selbst dann nicht, wenn das Spiel zur Aufklärung über die NS-Zeit zählt und damit zu den guten Spielen gehört. Die Debatte dürfte jedenfalls weitergehen, während die Debatte über die Bundeswehr-Werbung auf der Messe schon wieder abflaut. Dabei gibt das Kleingedruckte unter "Mach, was wirklich zählt" einige Denkanstöße: "Echte Kameradschaft statt Singleplayer-Modus", das ist schon eine ziemlich knifflige Frage. Wobei die Personaler in der Bundeswehr doch nur zum Nachdenken anregen wollten, was wirklich zählt: Krieg spielen oder Frieden sichern?

*** Spielen ist schon ein gutes Stichwort: In dieser Woche wurde der Deutsche Digitalrat vorgestellt und prompt als Placebo kritisiert, weil er irgendwie nur "unbequem" sein soll. Was kann ein solcher Club schon ausrichten, der sich zwei Mal im Jahr zum Plausch trifft, selbst wenn er eine "Zupackende" wie Katrin Suder als Vorsitzende hat? Am Rande der norddeutschen Tiefebene wurden nostalgische Erinnerungen an den Digitalrat Niedersachsen von 2017 wach, der größer war, weil Niedersachsen flacher ist. Unter den 20 Mitgliedern wird übrigens die letztens erwähnte Gesche Joost noch als Internetbotschafterin der Bundesrepublik Deutschland geführt. Das bringt uns schließlich zu einem weiteren anpackenden Gremium, dem IT-Planungsrat der Bundesrepublik. Die Macher sitzen an einem wirklich packenden Thema, dem Metadatenmodell für den Austausch von Verwaltungsdaten. Nach der Absegnung in einer geheimen Sitzung des Planungsrates darf dann die Datenethikkommission das Modell evaluieren, ehe das Digitalkabinett seinen Segen gibt. So geht Digitalisierung.

*** In den USA hat die geständige Whistleblowerin Reality Winner für das Ausdrucken und die Weitergabe von Geheimpapieren die im Juni ausgehandelte Freiheitsstrafe von 5 Jahren, vom zuständigen Richter in voller Höhe ausgesprochen, als Urteil akzeptiert. Der von US-Präsident Trump ins Amt berufene US-Staatsanwalt Bobby Christine erklärte, das Strafmaß nicht abmildern zu können, damit es abschreckend genug ist, andere Menschen von dieser Art Landesverrat abzuhalten. Prompt nutzte US-Präsident Trump das Urteil, um den Privatkrieg gegen seinen Justizminister Sessions fortzusetzen, den er für einen Schlappschwanz hält. Noch verhasster ist ihm eigentlich nur noch der Sonderermittler Mueller und sein geständiger "Fixer" Cohen. Auf Mueller könnte Sessions glatt den Staatsanwalt Christine ansetzen: Das meiste von dem, was in den von Reality Winner geleakten Geheimpapieren stand, kann mittlerweile in den von Mueller veröffentlichten Details zur Russland-Connection der Republikaner nachgelesen werden. Die ach so geheimen Namen der zwölf von Mueller angeklagten Russen sind es nicht mehr. Als Winner verhaftet wurde, war unter anderem eine fehlerhafte Behandlung der von ihr ausgedruckten Dokumente durch Journalisten schuld an ihrer schnellen Enttarnung. Das FBI hätte ihre Identität zweifellos über kurz oder lang geklärt, da Winner viele Spuren in den Logs hinterließ. Nun legen diese Journalisten nach, als wahre Unschuldsknaben, denn Schuld haben immer die anderen.

*** Der Showmaster Dieter Thomas Heck ist gestorben. Die größte Rolle seines Lebens hatte er, als er selbst den Showmaster der Zukunft im Millionenspiel spielen durfte. Ja, solche Showmaster gibt es im Immigration Game nicht mehr. Und gejagt werden Flüchtlinge nur von Identitären und anderen Rechtsauslegern. Wie wäre es stattdessen mit einer kleinen Dienstpflichtdebatte? Irgendwie muss doch ein Beitrag her für das gesunde Volksvermögen.

Was wird.

Wenn diese Wochenschau im Netz auftaucht, kann der 40. Jahrestag gefeiert werden, an dem der erste Deutsche im Weltraum ankam, in echter Kameradschaft statt Singleplayer-Modus mit seinem russischen Kommandanten. Tatsächlich war selbst im DDR-Fernsehen 1978 von einem Deutschen die Rede, wo sonst der staatlichen Sprachregelung nach nur von "Bürgern der DDR" gesprochen werden durfte. Sigmund Jähn überlebte das Weltraumabenteuer mit einer Rückenverletzung. Nach der Wiedervereinigung wurde dieser Berufsunfall von den Ärzten der Bundeswehr nicht anerkannt und die Invalidenrente gestrichen. Das Verb sparen wir uns auch: Dieser Mann kein Held.

Helden werden übrigens nicht benötigt, an diesem Aktionstag Save Your Internet wahlweise auch Copyright Action Day genannt. Er soll auf ein anderes Datum aufmerksam machen: Am 12. September wird im EU-Parlament über Änderungsanträge zum vorerst gestoppten Gesetz für Uploadfilter und Linksteuern entscheiden.

Das bedeutet, dass die über den hitzigen Sommer eingeschlafene politische Arbeit gegen den Unsinn wieder aufgenommen werden muss. Die Befürworterseite ist schon eifrig bei der Sache. In den Straßen tobt schon der Krieg, da heißt es Sterben für das Leistungsschutzrecht.

Die passende Musik? Ach, da kehren wir nochmal zum Millionspiel zurück. Und erinnern uns an Can.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. – Nach dem Zivilisationsabbruch
Beitrag von: SiLæncer am 02 September, 2018, 04:10
Hal Faber grübelt über das, was wie ein Zivilisationsabbruch aussieht. Sind "besorgte Bürger" auf den Straßen oder Rechtsradikale? Ist "Ausrasten" jetzt normal?

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war

*** Das Leben in der visionslosen Moderne ist anstrengend. Da gibt es jetzt mitdenkende Kaffeemaschinen, aber auch Mitmenschen, die auf das Denken verzichten und jede Menge Verschwörungstheorien glauben, die in ihr faschistisches Weltbild passen. Wer Menschen in Viehanhänger stecken will, ist längst nicht mehr der besorgte Bürger, an den die Politik mit Argumenten herantreten will. Wobei ich vielleicht übertreibe, wenn ich von Argumenten spreche. Denn dann müsste es ja so etwas wie eine Argumentation geben. Einfach mit einem "aber" zwei Aussagenblöcke zu verbinden, wie es Christian Lindner unter Erwähnung von AfD und NPD macht, ist jedenfalls grober Unfug. "Die Migrationspolitik von Angela #Merkel hat unsere politische Kultur verändert. Zum Schlechteren. Aber das ist keine Erklärung und keine Entschuldigung für Hetze, Rassismus oder Gewalt. #Chemnitz sollte die Demokraten vereinen und nicht spalten. Die Gegner heißen #AfD und NPD." Was Lindner sagen wollte, könnte man mit Adorno so ausdrücken: "Ich betrachte das Nachleben des Nationalsozialismus in der Demokratie als potentiell bedrohlicher denn das Nachleben faschistischer Tendenzen gegen die Demokratie." Wenn ein Parteivorsitzender wie Alexander Gauland von der AfD das "Ausrasten" in Chemnitz für legitim hält und sich beklagt, dass besorgte Bürger jetzt für Rechtsradikale gehalten werden, dann ist genau dies das Nachleben des Nationalsozialismus in der Demokratie und nicht etwas, das der Demokratie von Außen angetan wird. Dazu gehört auch die Geschichte mit der Gästegruppe, die von AfD-Fraktionschefin Alice Weidel eingeladen worden war. Man wird doch wohl noch diese Gaskammern anzweifeln dürfen. Alles im Rahmen demokratischer Gepflogenheiten, versteht sich. So fährt es sich gut im Zug der AfD.

*** Bekanntlich wurde die Polizei in Chemnitz überrascht, sowohl von der Messerstecherei mit Todesfolge wie von den Demonstrationen an den Folgetagen. Sie kam nicht "vor die Lage", wie das polizeitechnisch genannt wird und sie kam nicht hinterher. Daran war auch eine Kommunikationspanne schuld. Als Konsequenz wird unverdrossen gefordert, dass die Polizei mehr Präsenz zeigen müsse, modisch verquickt mit Technik wie der intelligenten Gesichtserkennung und dem Einsatz von Predictive Policing in der Polizeiarbeit. Sollen doch die Datenschützer eine Schnute ziehen wegen dieser Gesichtserkennung, die haben sowieso keine Ahnung. Wie die Erwartungen sind, formuliert die Stiftung neue Verantwortung in ihrem Gutachten zum Predictive Policing: "Wenn überall Überwachungskameras mit Gesichtserkennung und Kennzeichenleser installiert sind, wenn jeder Polizeiwagen an eine lernende Prognosesoftware angeschlossen ist – dann ist es im Grunde gesellschaftlich nicht mehr hinnehmbar, dass überhaupt noch irgendwo ein Verbrechen geschehen kann." Was braucht man also dafür? Natürlich die retrograde Datenauswertung und dann wäre da noch die Vorratsdatenspeicherung, das muss der Europäische Gerichtshof doch endlich einsehen! Bitte denkt doch an die Kinder!

*** Pfffffff. Raus ist die Luft aus der Wolke, nach 100 Tagen. Weg ist sie. Die Deutschland-Cloud von Microsoft mit dem guten deutschen Datenschutz, der DSGVO und mit der Deutschen Telekom als Treuhänder wird abgelöst durch Online-Speicher, auf die Behörden wie das Department of Homeland Security womöglich einen besseren Zugriff haben. Da mag die Telekom ihre Treuhandfähigkeit beteuern und mitteilen, dass sie neue Angebote aufsetzt, doch was zusätzlich kostet, kostet zusätzlich. Big Data will frei und beweglich sein, das Ganze möglichst profitabel. Doch es gibt auch andere Töne: während Trump sich über Google beschwert, das die guten Trump-News unterdrückt, spricht sich sein ehemaliger Berater Bannon für die Nationalisierung von Big Data aus.

*** Achja Europa. Europa hat mal wieder ein Problem. Dank einer europäischen Umfrage hat die Debatte über die Zeit in den Heise-Foren epische Ausmaße angenommen, mit feinsten Invektiven bei den Befürwortern der Sommerzeit, den Freunden der Normalzeit und den Realos der Echtzeit. Die Diskussion erinnert an das große Fischeverprügeln in einem kleinen Dorf kurz vor dem abendlichen Wildschweinschmaus. Nach einem reichlich ungeflügelten Spruch von Jean-Claude Juncker und einigen klugen Gedanken von Martin Holland muss natürlich Benjamin Franklin her, der Erfinder der Sommerzeit: "Ist die Zeit das Kostbarste unter allem, so ist die Zeitverschwendung die allergrößte Verschwendung." Als Gesandter in Frankreich rechnete er den Parisern haarklein vor, wie viele Kerzen sie verschwenden, wenn sie den Tag im Sommer nicht früher angehen. Die Städter konnten seine detaillierte Rechnung nicht sonderlich leiden und ein Zeitgenosse konstatierte trocken: "Herr Franklin will, das wir wie die Bauern leben. Wir wollen uns aber nicht nach dem Vieh richten." Nun ist jede Zeit tief eingebettet in die Technologie ihrer Zeit – man denke an die Zeitzonen, die in den USA zur Standardisierung des Eisenbahnverkehrs eingeführt wurden. Da kann man sich glatt auf die Zeit freuen, wenn das neue Zeitkonzept des Named Data Networking diskutiert wird. Bis dahin singen wir tiefenentspannt If I Could Turn Back Time aus vollen Rohren mit.

Was wird

Im Bundestag läuft mit dem Start des Schwedensommers die parlamentarische Sommerpause ab. Politiker aller Couleur machen sich dann an die Arbeit, die Bürger abzuholen, wo immer sie herumstehen mit ihren Smartphones. Recht stille war es trotz Chemnitz um Horst Seehofer, doch das soll sich eigentlich ändern. In der anstehenden Woche ist es noch ein #Seehofer, der zusammen mit @katarinabarley die erlauchten Mitglieder der Datenethikkommission vorstellt, aber dann wird getwittert, irgendwie, irgendwo, irgendwann. Vielleicht zu Anfang mit einem lustigen Tweet, warum der ihm unterstehende Verfassungsschutz nicht die AfD beobachten soll. Wo sich doch Hans-Georg Maaßen dort so überaus engagiert gezeigt hat.

Lang angekündigt und mehrfach verschoben, bekommt Deutschland nun die Agentur für Cybersicherheit, die ADIC. Die "Agentur für Disruptive Innovationen in der Cybersicherheit und Schlüsseltechnologien" wird mit ihren 100 Mann Besatzung eine Bundesbehörde sein, die volles Risiko gehen soll mit ihren Forschungsprojekten. Großes Vorbild soll die nunmehr 60 Jahre alte DARPA sein, die bekanntlich das Internet und das GPS entwickelte. Volles Risiko beim Unterstützen von Forschungsprojekten heißt auch, "dass ein Großteil vielleicht nicht funktioniert und in den Sand gesetzt wird, aber es braucht nur ein goldenes Ei, also eine Technologie, die wirklich bahnbrechend ist..." Weil "Hack Back" zu den Fähigkeiten der ADIC zählen soll, ist die Bundeswehr mit von der Partie. Dort übt man beim Kommando Cyber- und Informationsraum das sorgfältig austarierte Zurückschlagen, je nach dem wie man geschlagen wurde. Wenn eine kritische Infrastruktur angegriffen wird, schlägt man mit einem Angriff auf die kritische Infrastruktur zurück, oder so. Oder nicht? Wie schön, dass all dies bald auf einer Tagung besprochen wird, die sich mit der "Option Hack Back" im Namen der Cybersicherheit beschäftigt.

Quelle : www.heise.de
Titel: Re: Was war. Was wird. – Nach dem Zivilisationsabbruch
Beitrag von: Jürgen am 02 September, 2018, 18:23
Ich möchte nicht unerwähnt lassen, daß nicht nur Faschisten irgendwelchen Verschwörungstheorien anhängen.
Dazu erwähne ich einfach mal zwei Stichworte:
"Chemtrails" und "we've never been to the moon"
Natürlich geht da noch viel mehr an Esotherik und anderer Spinnerei, eingeschlossen zahlreiche Glaubensgemeinschaften, auch anerkannte.

Anscheinend glauben weite Teile der sog. Menschheit, daß unsere Welt nur eine Art Versuchslabor übergeordneter Mächte sei, oder irgendein Straflager für eigentlich vergessene Sünden vergangener Generationen.

Am Ende ist die Erklärung aber wohl sehr viel banaler, beruht schlichtweg auf der Angst, eigenes Denken könnte körperliche Schmerzen verursachen. Also folgt man lieber dem Großen Watz oder so...

Jürgen  ::)
Titel: Was war. Was wird. Zwischen Skepsis und Charybdis
Beitrag von: SiLæncer am 09 September, 2018, 06:00
Ein Verfassungsschutzchef und ein Minister, die Hal Faber ratlos machen. Da bleibt nur die Hoffnung auf die mündigen Bürger.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Nach all den Aufregungen über den Zivilisationsabbruch in der vergangenen Woche, ist es an mir, einer Korrekturbitte nachzukommen. Hans-Georg Maaßen, Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, ist kein Vorsteher einer reichlich überflüssigen Behörde. Nein, nach seinen Äußerungen gegenüber einem Blatt mit großen Lettern über ein nicht näher bezeichnetes Video vom Z-Abbruch hat sich Maaßen als fähiger Politiker entpuppt, als AfD-Politiker. Als Leiter eines Amtes hätte er Beweise präsentieren müssen, als Politiker ist man über dererlei Kleinkrams erhaben. Wie viele Politiker ist Maaßen von Haus aus Jurist, wie viele Politiker liegt seine Juristerei lange zurück, weshalb er einfach von einem "Mord" sprechen kann, während die Staatsanwaltschaft in einem Fall eines gemeinschaftlich begangenen Totschlages ermittelt. Seine letzte juristische Großtat war ein Gutachten gegen Murat Kurnaz, dem er die unbefristete Aufenthaltserlaubnis widerrief, weil Kurnaz länger als sechs Monate im Ausland war und seine Zeit lieber mit Verhören im US-Lager Guantánamo verbrachte. Nun also dies zur Begeisterung aller AfD-Anhänger: "Die Skepsis gegenüber Medienberichten werden von mir geteilt. Es liegen dem Verfassungsschutz keine belastbaren Informationen darüber vor, das solche Hetzjagden stattgefunden haben."

*** Wurden in Chemnitz Menschen gehetzt? Wurden sie nur gejagt? Waren es vereinzelte Übergriffe? Gelingt es dem Chef der NSU-Shredderbehörde, die Vorkommnisse noch weiter zu verniedlichen? Hitlergrüße soll es ja auch nicht gegeben haben, weil laut Handbuch des Verfassungsschutzes da ein Mindestwinkel von 63,5 Grad zwischen Oberkörper und grüßendem Arm erforderlich ist. "Dieser Winkel konnte von uns nicht beobachtet werden", ist noch so eine bagatellisierende Feststellung. Wahrscheinlich ist der Sturm auf das Chemnitzer Restaurant "Shalom" auch nur eine Art der Restaurantkritik. Am Ende ist 88 auch nur Teil einer Telefonnummer, die sich Menschen tätowieren lassen, um sie nicht zu vergessen.

*** Maaßens Vorgesetzter ist Horst Seehofer, ein Politiker, der leider noch Bundesminister des Inneren, für Heimat und Bauen ist, sonst wäre er bekanntlich selbst demonstrieren gegangen, weil diese Migration die Mutter aller Probleme ist. Miserabel ausgestattete Schulen, schleppender Breitbandausbau, gescheiterte PPP-Projekte, an allem ist die Migration schuld. Sie ist quasi, mit Pippiaugen betrachtet, eine Pluti-Migration in dieser verzwickten postmodernen Welt. Fehlt nur noch, dass die Migranten auch, im Maßstab 1:87 im Hobbykeller von Horst auftauchen und in den Zügen mitfahren, natürlich schwarz, wie es der Grüne Boris Palmer behauptet. Tja, Baden-Würrtemberg war seinerzeit das Partnerland von Sachsen beim Aufbau Ost.

*** Halten wir ein Moment inne, verlassen den Hobbykeller und überlegen einmal, was eine "postmoderne Grenzanlage" an einer dieser smart borders sein könnte. Den Designern wird vielleicht die monumentale pinkfarbene Grenzanlage einfallen, die das "Estudio 3.14" für Donald Trumps Grenze imaginierte. Ein mächtiger Bau, der Foucaults Konzept vom Überwachen und Strafen architektonisch umsetzt, denn das innere der Grenzanlage soll als Gefängnis dienen. Die ITler werden mehr an eine automatische Anlage denken, die gespeicherte biometrische Daten mit den Körperdaten eines Menschen vergleicht, der die Grenze dadurch überquert, indem er eine "Vereinzelungsanlage" betritt, die ihn prüft, registriert und weiterreisen lässt. Nur der Geheimdienstler denkt bei einer postmodernen Grenzanlage (PDF-Datei) an einen Wachtturm, Stacheldraht und für die Hetzjagd abgerichtete Schäferhunde. Martin Wagner, der als Professor für Politikwissenschaft den Nachwuchs des Bundesnachrichtendienstes unterrichtet, hat ein Faible für den antifaschistischen Schutzwall, oder für Shutterstock. Das erinnert stark an die islamfreien Schulen der Alternative für Deutschland. Mit seinem Plädoyer für eine "postmoderne Grenzanlage", die wie ein Filter wirkt und von Internierungslagern für Ausländer ergänzt wird, ist er stramm rechtsaußen angesiedelt. Ein Zaun für 20 Milliarden Euro und eine Grenztruppe von 90.000 Mann sollen uns vor Überfremdung schützen. Der Mann hat ein Herz für Tiere: der Stacheldraht des Grenzzauns soll mit Stoff überzogen werden. Denkt an die armen Vögel und Hunde!

*** In dieser Woche hat Google seinen 20. Geburtstag gefeiert. Passend zur Feier erinnerte sich Andy Bechtolsheim an die beste Programmier-Idee, die er jemals gesehen hatte, mit leichtem Bedauern, dass er nicht dabei war, als Google groß wurde. Bechtolsheim findet Google nach wie vor knorke. Andere finden Google böse, etwa in Berlin, wo der Konzern an der Gentrifizierungsschraube mitdreht. Auch in Hamburg finden sie, dass Riesen wie Google und Facebook auf ihre ganz eigene Weise böse sind und genau die Maßnahmen für den Schutz der Privatsphäre unterlaufen, die wir uns im Laufe der Zeit angewöhnt haben. Das Wegschmeissen der Cookies nach einer Browser-Sitzung, die "Do Not Track"-Einstellungen oder der Privacy Badger der Electronic Frontier Foundation, alles schön und gut – und ziemlich nutzlos, wenn man diese aufschlussreiche Untersuchung über die Sitzungswiederaufnahme bei TLS (PDF-Datei) einmal eingehender liest. In einfachen Worten: das Internet ist kaputt, weil über die Vielzahl der Analyse-Tools von Google und Facebook die Sitzungswiederaufnahme nach 28 oder gar 48 Stunden möglich ist und so sämtliche Einstellungen zum Schutz der Privatsphäre ausgehebelt werden. Google und Facebook speichern selbst dann umfangreiche Profile, wenn man sich bewusst gegen die Cookies wehrt. Wie heißt es noch bei Google: "Erinnere dich .... nicht böse sein, und wenn du etwas siehst, das nicht richtig ist – Heraus mit der Sprache!" Speak up! Die Diskussion hat angefangen.

Was wird.

Ob Hans-Georg Maaßen in der anstehenden Woche die Beweise für die von ihm behauptete Fälschung von welchem Video auch immer liefern kann, ist eine spannende Frage. Dass er vorzeitig sein Deutschlandhütchen aufsetzen kann, wie dies in sozialen Medien zirkuliert, ist eher unwahrscheinlich, denn weit und breit ist kein Nachfolger in Sicht. Es müsste jemand sein, der schon mal Spion & Spion gespielt hat, insofern kommt der Termin am Donnerstag von Verfassungsschutz und Bitkom etwas zu früh. Vielleicht kann Bitkom-Chef Achim Berg dem Bundesamt IT-Hilfestellung anbieten, wie man Videos verifiziert. Auch der Beweis für Maaßens Aussage vor dem NSA-Untersuchungsausschuss im Juni 2016, dass Edward Snowden mit "hoher Plausibilität" Teil einer "Desinformationskampagne russischer Geheimdienste" sei, steht übrigens noch aus. Auch hier könnte der Bitkom durchaus zur Aufklärung beitragen. Schaden könnte es auch nicht, wenn sich der Bitkom klar zur Verschlüsselung äußert, die in dieser Woche mal wieder unter Beschuss geraten ist. Schließlich gehört die Bundesrepublik Deutschland nicht zu den "Five Eyes" mit ihren überzogenen Forderungen. Das ist das Positive, neben den 65.000 in Chemnitz. Viel ist es nicht. So bleibt nur übrig, in etwas weiterer Zukunft auf Freiheit statt Angst und unteilbar hinzuweisen, die am 13. Oktober in Berlin den Schulterschluss probieren.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. Von der Machtfrage zur Dienstleistung
Beitrag von: SiLæncer am 16 September, 2018, 06:30
Wie lautet denn nun die Definition von Politik und was erlaubt der Code der Macht, grübelt Hal Faber, hoffend auf eine Erklärung auf Wikipedia. #Uploadfilter.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Horst Seehofer, 69, twittert. Das hat der Newsticker gemeldet und so sollte es eigentlich kein Thema der Wochenschau sein, die sich dem großen Rest widmen soll. Doch der Bundesminister für Inneres, für Bau, für Heimat und für Hans-Georg Maaßen hat in seinem ersten Tweet einen Satz abgesetzt, der nachdenklich macht. "Politik ist heute eine Dienstleistung für die Bürger." Seehofer reduziert damit gesellschaftliche Prozesse auf das Bereitstellen von Meldeformularen oder, wenn es ganz modern und digital sein soll, auf Portale wie das Bayernportal. Mit seinem Dienstleistungsanspruch ist Seehofer weit entfernt von der Definition eines Max Weber, der Politik so definierte: ""Politik" würde für uns also heißen: Streben nach Machtanteil oder nach Beeinflussung der Machtverteilung, sei es zwischen Staaten, sei es innerhalb eines Staates zwischen den Menschengruppen, die er umschließt." Natürlich geht es auch Seehofer um Macht und Machtverteilung, gerade in einer Zeit, in der seine Partei an der 30-Prozent-Marke kratzt, weitab der 43 Prozent, die der "schlechteste CSU-Politiker aller Zeiten" (Seehofer über Beckstein) einfuhr. Aber das kann er nicht mehr sagen.

*** Greifen wir zum Zettelkasten von Niklas Luhmann, so finden wir eine hübsche Passage über Politik und politische Kommunikation, wie sie mit Twitter möglich ist: "Die Politik ist eng mit dem Besitz und Gebrauch von Macht verbunden. Nicht alle politische Kommunikationen sind jedoch Machtgebrauch oder Androhung von Macht. Ein politisches System differenziert sich jedoch nur dann aus, wenn Macht festgestellt werden kann, die zur Annahme bindender Entscheidungen motivieren kann. Der Code der Macht (Unterlegene/Überlegene) erlaubt die Reproduktion der politischen Kommunikation." Klingt komisch? Na, dann schauen wir mal rüber zum Hambacher Forst, wo ein paar tausend Polizisten als Orks auftreten. In Berlin twittert Seehofers Amtskollegin Julia Klöckner ganz entzückt über die #Waldtage2018: "Jeder Waldnutzer muss auch Waldschützer sein. Gerade Freizeitwaldbesucher vergessen oft, dass der Wald, in dem wir uns begegnen, nicht uns gehört. Wir müssen Rücksicht auf die Natur und seine Bewohner nehmen." Dazu gibt es einen Instagram-Wettbewerb und eine junge Frau als Gewinnerin, die ein Wochenende in einem Baumhaus verbringen kann, auf Kosten des Ministeriums für Ernährung und Landwirtschaft. So geht Politik.

*** Nun gibt es nicht nur deutsche, sondern auch europäische Politik. Diese hat sich mit der Verabschiedung der EU Urheberrechtsnovelle eine Reform geleistet, bei der niemand richtig durchsteigt, auch der Frontman Axel Voss nicht. Entgegen düsterer Stimmungen sind Uploadfilter und die Idiotie namens Leistungsschutzrecht damit noch nicht beschlossene Sache, denn der Trilog mit dem europäischen Rat steht noch an. Sieht man sich einmal bei Julia Reda an, wer wie gewählt hat, so kann man im Vorgriff auf die anstehenden Europawahlen Niklas Luhmann mit einem umstrittenen Satz zitieren: "Eine Aufwendung von Zeit, Mühen und Informationskosten für die Ermittlung richtiger Wahlentscheidungen lohnt sich daher für den einzelnen nicht. Wer seinen Kräfteeinsatz rational kalkuliert, wird lieber uninformiert bleiben und in der politischen Wahl nichtrational entscheiden (und umgekehrt wird also eine "möglichst rationale" Wahlentscheidung dem einzelnen von der Gesellschaft als unrationales Handeln nahegelegt).

*** Bekanntlich hat selbst Wikipedia gegen die Upblödfilter protestiert und sich damit die Entrüstung der Verelegerverbände zugezogen. Bekanntlich bedienen sich alle, wirklich alle aus der Wikipedia, dieser Dienstleistung für das Weltwissen. Besonders gelungen ist die Geschichte der beiden Russen, die nach Salisbury gefahren sind, um dort die Kathedrale und ihren Turm (123 Meter!) zu sehen, aber im Schneematsch umdrehen mussten. Es ist, gefühlvoll präsentiert von Russia Today, eine richtige Rührgeschichte draus geworden, die Story von Boschirow und Petrow. Die Enttarnung, angeleitet von den Faktenfindern von Bellingcat ist zweifelsohne lustiger. Einfach mal eine Telefonnummer anrufen und fragen, wo man anruft, um dann die Antwort "Innenministerium" zur bekommen, das ist schon eine ganz besondere Leistung. Wahrscheinlich üben sich die Zivilisten bald in der militärischen Technik des Abtauchens.

*** Neben den Mordanschlägen mit Novischock gibt es bekanntlich die Möglichkeit, Killerroboter einzusetzen. Die entschiedene Ablehung durch das EU-Parlament ist ja nur Grundlage für die Fortsetzung von erfolglosen Gesprächen, die erfolglos bleiben werden. Freuen wir uns also auf den abendlichen Tatort mit einem Kaffeeroboter als Täter, der die Milchschaumdüse direkt ins Kleinhirn eines Menschen rammt. Womit die Diskussion um algorithmische Abirrung und Künstliche Intelligenz wieder einmal aufkochen kann. Alexa, mach mal den Hal. Ja, genau, der mit dem roten Auge.

Was wird.

Nun soll er am Dienstag entlassen werden, jener Jurist, der sich in seine 1997 erschienen Arbeit über "Die Rechtsstellung des Asylbewerbers im Völkerrecht" laut Rezensentin um den Nachweis bemüht hat, "dass für eine restriktivere Flüchtlingspolitik erhebliche noch unerschöpfte Spielräume bestehen." Als Chef des Bundesamtes für Verfassungsschutz hat er ein paar Spielräume zuviel betreten. Inzwischen ist Hans-Georg Maaßen das beste Beispiel für die "Staatszersetzung", die sein Chef, der Innen-Dienstleister Horst Seehofer beklagt. Maaßen muss gehen, Punkt heißt es in der "kolumne macht", an der Luhmann seine Freude hätte. Vielleicht darf er noch einmal Aufstampfen wie Alice Weidel, die kein Pony bekommt. Die Forderung nach Fußkameras in der Herzkammer unserer Demokratie geht indes doch etwas zu weit. Ganz anders sieht es mit der Demokratischen Kontrolle vernetzter Nachrichtendienste aus, einer Forderung, mit der sich viele anfreunden können.

Nach dem Buch über den überaus erfolgreichen Gesundheitsminister Philipp Rösler hat Michael Bröker eine weitere Biographie, diesmal über den überaus erfolgreichen Gesundheitsminister Jens Spahn vorgelegt. Das Buch wurde vom Linken und Nichtaufsteher Dietmar Bartsch in Berlin vorgestellt, wobei gleich die nächste Ansage in Sachen Volksgesundheit erfolgte. Die elektronische Gesundheitskarte der dritten Generation (G3) wird 2019 kommen. Sie wird neben neuen Krypto-Algorithmen erstmals mit NFC-Chips ausgerüstet sein, damit Versicherte ohne Lesegerät, aber mit ihrem NFC-fähigen Smartphone auf ihre Daten zugreifen können. Auf diese Weise kann die G3-Karte von ihren Besitzern als Zugriffsschlüssel auf die Patientenakten genutzt werden, so die Hoffnung der Telemedizin-Optimisten. Nicht mehr dabei: die angedachte Organspendeerklärung, sofern der Default ein Opt-In-Modell vorsieht. Für die allgemeine Organspende als Normalfall hat sich bekanntlich Jens Spahn besonders eingesetzt. Nun also der nächste Schritt mit der nächsten Karte. Nach ersten Berichten soll die Ausgabe der Karten 50 bis 60 Millionen Euro kosten. Endlich können alle vom Datenreichtum ihrer medizinischen Daten profitieren. Wer kennt nicht das Mantra vom Patienten, der immer Herr über seine Daten ist. Herrenlos herumschwirrende Medizindaten wird es also niemals geben.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. Von Vertrauensverlusten und Postengewinnen
Beitrag von: SiLæncer am 23 September, 2018, 06:33
Maaßen soll befördert werden, Hal Faber sieht schwarz. Ein Umbau des Verfassungsschutz mitsamt Herabstufung von Maßen ist die korrekte Lösung.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war

*** Hans-Georg Maaßen ist, wie in der letzten Wochenschau angekündigt, nicht mehr Leiter des Bundesamtes für Verfassungsschutz. Das darf man getrost als Hellseherei bezeichnen. Hans-Georg Maaßen ist von Bundesinnenminister Horst Seehofer, der letztens Politik als "Dienstleistung" definierte, zum Staatssekretär im Innenministerium befördert worden, zuständig für innere Sicherheit und Cybersicherheit. Da darf man getrost schwarzsehen. Denn ein Mann wie Maaßen wird die innere Sicherheit mit der "Ausländerfrage" verknüpfen, ganz im Sinne der AfD. Überdies wird er ganz im Sinne der Rechtstatsachen­sammel- und -aus­werte­stelle (RETASAST) des Bundeskriminalamtes sich ein düsteres Fazit der Kryptierung zu eigen machen, wie es in dieser Woche von Netzpolitik veröffentlicht wurde. Jedenfalls dann, wenn diese sogenannte Große Koalition weiterhin Bestand hat. Aktuell ist sie eine Versammlung von Kleingeistern, die einander misstrauen, die Schachern, Schludern und Schofeln groß schreiben. Das großspurige Gerechtigkeitsempfinden der Bevölkerung interessiert dabei niemanden, es ist ja blos der Unmut über die Schacherei.

*** "Die durchweg negativen Reaktionen aus der Bevölkerung zeigen, dass wir uns geirrt haben. Wir haben Vertrauen verloren, statt es wiederherzustellen." Dieser Satz von SPD-Parteichefin Andrea Nahles dürfte in die Geschichtsbücher eingehen, sofern sich die Geschichte überhaupt für das Ende dieser Großen Koalition interessiert. Denn niemand hat sich geirrt, als das Triumvirat über die Zukunft von Hans-Georg Maaßen beriet. Andrea Nahles hat sich insofern korrekt verhalten, als sie gegen den Vorschlag stimmte, Maaßen zum Chef des Bundeskriminalamtes zu machen und umgekehrt dessen Chef Holger Münch zum Leiter des Verfassungsschutzes zu berufen. Diese Postenschieberei hätte einen Rechtsausleger zum Chef der obersten Polizeibehörde gemacht, die gerade drauf und dran ist, sich zur "Polizei 2020" umzubauen und mit Sicherheit in einer offenen und digitalen Gesellschaft beschäftigt.

*** Die korrekte Lösung für den Fall wäre ein Umbau des Verfassungsschutzes mitsamt einer Herabstufung von Hans-Georg Maaßen, damit nicht alle vom Peter-Prinzip schwafeln können. Was ist eigentlich schlecht an dem Vorschlag der Grünen, den Verfassungsschutz aufzulösen und zwei Ämter zu installieren, einen wissenschaftlichen Dienst zum Schutz der Verfassung und ein Amt für Gefahrenerkennung und Spionageabwehr? Im letzteren könnte sogar einer wie Maaßen arbeiten, der unfähig ist, über extremistische Bewegungen aufzuklären. Dann muss nur noch Seehofer gehen, am besten vor der Landtagswahl in Bayern. Wieso Kulturschaffende keine Petition haben, in der Maaßen zum Rücktritt aufgefordert wird, muss auch noch geklärt werden. Ansonsten ließe sich unter den 4345 Stellenangeboten des Bundes, der Länder und Kommunen beim brandneuen Bundesverwaltungsportal etwas Passendes finden.

*** Bekanntlich sind Sozialdemokraten wie Andrea Nahles stolz auf ihre lange Geschichte seit der Gründung der ersten Arbeitervereine. Man war eine Partei, die sich als automatische Erbin der bürgerlichen Gesellschaft nach dem unweigerlichen großen Kladderadatsch sah. Man war teilweise eine Partei, die gegen den Weltkrieg war, die nach der glorreichen Novemberevolution vor 100 Jahren die Macht übernahm. Man ging gegen Hitler in den Widerstand und mit den Demokraten nach dem nächsten Krieg in die soziale Marktwirtschaft. Wann die Krise der Sozialdemokratie begann, ist strittig, doch spätestens mit den Programmen von Sozialdemokraten wie Gerhard Schröder und Tony Blair koppelte man sich von der arbeitenden Bevölkerung ab. Jetzt ist mal wieder eine Abkoppelung fällig, da passt es, wenn die Frankfurter Allgemeine Zeitung an ein historisches Ereignis von "68" erinnert, die Gründung der DKP am 26. September 1968. Auf diesen Schritt reagierte die regierende SPD mit dem Extremistenverbot, einer weiteren Abkoppelung. Womit wir wieder beim leidigen Thema von Verfassung, Bundesamt und Extremismus sind. Der FAZ-Artikel hinter der Paywall endet so: "Eine normale Partei war die DKP nie; sie war verfassungsfeindlich, auch wenn die bundespolitische Elite es vor fünfzig Jahren für opportun hielt, sie zuzulassen."

*** Nach einem Bruch der Großen Koalition dürften Neuwahlen anstehen und der nächste Bundeskanzler Jens Spahn heißen. Als Gesundheitsminister sorgt er dafür, tagtäglich mit einer knackigen Meldung in den Nachrichten aufzutauchen. Mal geht es um die elektronische Patientenakte, mal um die Organspende, mal um die gar nicht so sicheren Apps für das Smartphone, mal um die Arbeitszeiten der Pflegekräfte, die nicht in Krankenhäusern arbeiten. Wenn da von einer Million nur 100.000 schlappe drei, vier Stunden mehr arbeiten, wäre alles gut. Die Realität sieht anders aus. Alles Gute auch bei der elektronischen Gesundheitskarte, wo dieser Tage der erste Meilenstein mit 50 Millionen Datenabfragen und Adress-Aktualisierungen erreicht wurde. Noch wird auf der Karte nichts gespeichert, wobei der Versicherte seine Einwilligung zur Speicherung von Daten dank des Nullstellen-PIN durch die Eingabe einer beim Arztbesuch ausgedachten sechsstelligen PIN dokumentieren muss. Mit dem Medikationsplan und dem Notfalldatensatz wird es spannend werden.

*** Heute vor 180 Jahren wurde Victoria Woodhull geboren. Meistens ist nur bekannt, dass sie lange vor Hillary Clinton die erste Frau war, die in den USA für das Amt der Präsidentin kandidierte. Zusammen mit ihrer Schwester gab Woodhull das "Woodhull and Claflin’s Weekly" heraus, die erste US-Zeitschrift, die das Kommunistische Manifest abdruckte und über das Leben der Frauen in der Pariser Kommune berichtete. Woodhull kämpfte für Gleichberechtigung auf vielen Ebenen, etwa auch für die Zulassung von Frauen als Börsenmaklerinnen (was erst 1968 erlaubt wurde). Mit ihren Ansichten über die freie Liebe und das Recht auf Abtreibung war sie innerhalb der von Männern dominierten Ersten Internationalen eine Außenseiterin. Mit der Equal Rights Party trat sie 1870 in der Präsidentschaftswahl an. Das allgemeine Wahlrecht (das 50 Jahre später kam), der Achtstundentag, die Verstaatlichung der Eisenbahnen und die Abschaffung der Todesstrafe gehörten zu ihren Wahlzielen. Den größten Erfolg hatte sie mit ihren Schriften, die die Gewalt gegen Frauen zum Thema hatte. Daran kann man sich zu einer Zeit erinnern, in der ein US-Präsident sich über Frauen lustig macht, die von Männern bedroht wurden.

Was wird

Das Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung ist eine ehrwürdige Vereinigung, die im Rahmen der westdeutschen Friedensbewegung entstand. Zum 20. Geburtstag im Jahre 2004 sprach der Gesellschaftskritiker Joe Weizenbaum zu den Informatikern. In diesem Jahr vergibt das FIfF zum ersten Mal eine Auszeichnung, die Weizenbaum-Medaille. Sie wird im Rahmen des FIfFkon 2018 verliehen, der sich mit "Gestaltungsfreiheiten und Machtmuster soziotechnischer Systeme" beschäftigt. Besprochen werden aktuelle Systeme wie die SmartCity-Projekte, das System der Cyberrüstung oder Fragen der künstlichen Intelligenz. Die Weizenbaum-Medaille geht im Rahmen dieser Tagung an Wolfgang Coy, der den Begriff der Turing-Galaxis für unser Computer-Zeitalter in Analogie zur Gutenberg-Galaxis von Marshal McLuhan prägte. Coy steht für eine kritische Informatik, die sich mit den Auswirkungen der Computerei auf die Gesellschaft beschäftigt und kaum noch an deutschen Hochschulen vertreten ist. Entsprechend erinnert der Ausdruck von Coyanerinnen und Coyanern in der FIfF-Meldung zum Preis ein bisschen an die letzten Mohikaner, von denen es am Ende auch nur noch einen gab.

Woanders ist man längst weiter, wenn etwa Dorothea Bär, die Staatsministerin für Digitalisierung nach "Arbeit 4.0" in Berlin den Start der "Society 5.0" bekannt geben wird, stilecht in der neuen NTT-Repräsentanz. Society 5.0 ist, wenn Überwachungskameras nicht vor gefakten Pässen verzweifeln und beide Personen eines Bildes verfolgen können. Aber hach, das kann man ja im Rahmen der anstehenden Privacy Week Berlin erörtern.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. Potztausend.
Beitrag von: SiLæncer am 30 September, 2018, 06:35
Hal Faber wird zur tausendsten Wochenschau nachdenklich. Und hält sich an einen leider bereits verstorbenen Zeitgenossen.

Wie immer – und das nun mehr zum tausendsten Mal, seit 18 Jahren –, möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Wenn diese kleine Wochenschau in den Weiten des Welt Weiten Webs auftaucht, hat der große Informatiker Wolfgang Coy die Weizenbaum-Medaille des Forums InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung (FIfF) erhalten und sich in seiner Dankesrede mit dem Zusammenhang von Ethik und Informatik beschäftigt. Das ist ein Thema, mit dem sich Joe Weizenbaum häufig in seinem Leben beschäftigt hat. Und es ist ein aktuelles Thema, wie es die ethischen Leitlinien der Gesellschaft für Informatik zeigen, die gerade zum dritten Mal nach 1994 und 2004 aktualisiert wurden. Zur informationellen Selbstbestimmung und zur Integrität informationstechnische Systeme sowie der Deklaration der Menschenrechte ist der Verweis auf das Grundgesetz hinzugekommen, nicht das Schlechteste für Informatiker, die sich ihrer gesellschaftlichen Verantwortung bewusst sind. Auch wenn sie nicht im FIfF sein sollten, sonder nur in der großen Gesellschaft für Informatik.

*** Nun ist diese Wochenschau selbst etwas besonderes, denn es ist die eintausendste Ausgabe des WWWW. Zum fünfhundertsten WWWW gab es Lob von berufener Seite, verbunden mit dem Hinweis auf Nummer 1000, irgendwie ganz weit weg. Jetzt ist es soweit, über 18 Jahre nach dem ersten WWWW, das an einem Sonntag ganz gemütlich um 14:03 ins Netz wanderte, mit einem einzigen Link. Nach vielem Grübeln, wie das Jubiläum gefeiert werden kann – und ob nicht die 1024. Iteration stilvoller wäre – ist Joe Weizenbaum ein guter Begleiter für diesem Anlass. Ich möchte statt der üblichen Wochenchronik einen kleinen Text zu Nachdenken präsentieren. Zu seinem Tode hieß im Newsticker es an dieser Stelle: "Unser Tod ist der letzte Service, den wir der Welt leisten können: Würden wir nicht aus dem Weg gehen, würden die uns folgenden Generationen die menschliche Kultur nicht wieder frisch erstellen müssen. Sie würde starr, unveränderlich werden, also sterben. Und mit dem Tod der Kultur würde alles Menschliche auch untergehen." Das waren starke Worte und Joe schrieb sie mir in einer E-Mail zum Tode seines Bruders Henry F. Sherwood im Jahre 2005. Weizenbaums Worte tauchen im Abspann des wunderbaren Films Plug and Pray auf, gesprochen vom Heise-Button "Beitrag vorlesen" rechts oben, der dafür in den Credits als Darsteller auftauchte. Ein Witz, der dem Vater von "Eliza" bestens gefallen hätte.

Wenige Tage vor seinem Tode schrieb Joseph Weizenbaum eine andere Mail unter dem Betreff "Woran ich am Ende meines Lebens glaube". Es ist eine Sammlung von 13 Aussagen, die zeigen, worum sein Denken in den Jahren 2007/2008 kreiste. Im engeren Bereich der Informatik beschäftigt sich der Text mit den Kollegen Herbert Simon und Abraham Kaplan, im weiteren mit Gott und der Welt. Es gibt diese Liste in verschiedenen Varianten. Einige Aussagen mögen bekannt vorkommen, andere sind eher hippiesk, doch alle zusammen passen sie zur Verleihung der Weizenbaum-Medaille an Wolfgang Coy, zur 1000ndsten Ausgabe der Wochenschau und zu diesem Leben im Menschenspace, das Weizenbaum so beschäftigte.

Was ich am Ende meines Lebens glaube

    "Alles ist sagbar in Worten, nur nicht die lebende Wahrheit". (Eugene Ionesco)
    "Wer nur einen Hammer hat, sieht die ganze Welt als ein Nagel". (Abraham Kaplan)
    Die Naturwissenschaft ist nicht die einzige, nicht mal die reichste oder die wichtigste Quelle der Wahrheit.
    Das Fundament der Naturwissenschaft ist Glauben, nämlich der Glaube, dass die Naturgesetze, nicht nur die, die wir heute kennen, im totalen Raum und in der ewigen Vergangenheit und Zukunft herrschen. Dieser Satz ist nicht falsifizierbar.
    Die Naturwissenschaft sowie die von ihr abgeleiteten Technologien und Instrumentarien sind nicht wertfrei. Sie erben ihre Werte von den Werten der Gesellschaften, in die sie eingebettet sind. In einer hoch militarisierten Gesellschaft sind Wissenschaft und Technologie von den Werten des Militärs geprägt, in einer Gesellschaft, deren Werte hauptsächlich vom Streben nach Reichtum und Macht abgeleitet sind, sind sie entsprechend gestaltet usw.
    Würde die weltweite Gesellschaft bloß vernünftig sein, könnte das schon erreichte Wissen der Menschheit ein Paradies aus dieser Erde machen.
    Totale, komplette und völlige Kenntnisse der physikalischen, genetischen und neurologischen Strukturen, Teile und Eigenschaften eines Lebewesens, sowie ihre Zusammenhänge und Verbindungen genügen nicht, um das Lebewesen zu verstehen. Wer z.B. all diese Kenntnisse über eine Ameise hat, abr nicht weiß und zutiefst begreift, dass die Ameise in einer riesigen Gesellschaft von Ameisen lebt, versteht die Ameise nicht. Dasselbe gilt für das Verstehen des Menschen.
    "Wissen ist besser als Ignoranz" (Weizenbaum-Vortrag, Minute 34 über Herbert Simon) – ja, aber nicht zu jedem Preis oder in jedem Kontext.
    Metapher und Analogien bringen neue Einsichten hervor, indem sie disparate Kontexte zusammenbringen. Fast all unseres Wissen, einschließlich das wissenschaftliche, ist metaphorisch. Deswegen auch nicht absolut.
    Es ist nicht möglich, eine feste Grenze, weder zwischen Gut und Böse noch zwischen Tag und Nacht zu zeichnen. Aber der Unterschied zwischen Mittag und Mitternacht ist deutlich. Der Mensch kann wissen, ob sein Tun und Handeln eher im Rahmen des Tageslichts oder der Nacht ist und sich entsprechend verhalten. Doch sicher ist, dass Krieg, Armut und Hunger eines Drittels der Menschheit, die massiv ungleiche Verteilung der Ressourcen der Natur, all dieses Mitternacht ist. Liebe ist Mittag.
    Der Glaube, dass man in der Mitte des Bösen es dort besser als von draußen ändern kann, ist irre und selbstvernichtend.
    Gott gibt es. Gott ist in uns allen, denn Gott ist Liebe. Das Gebet ist die Suche eines Menschen, seine innere Liebe zu finden und sei es, um inneren Frieden und Ruhe zu erreichen, eine Not ertragen zu können, sich zu trösten oder der Weg, einem anderen zu helfen zu finden, was auch immer.
    Kein Mensch ist eine Insel (John Donne), seine Haut ist nicht seine Grenze. Der Mensch ist ein Element, unteilbar von seinen Mitmenschen, in der Tat, von der gesamten Menschheit und ihrer Geschichte. Nicht mal sein Tod trennt ihn vom Universum. Es ist unmöglich, einen individuellen Menschen rein wissenschaftlich zu begreifen.

Was wird

Natürlich geht es weiter. Es lohnt sich, nicht nur Joe Weizenbaum, sondern auch John Donne zu lesen. Niemand ist eine Insel, in sich ganz; jeder Mensch ist ein Stück des Kontinents, ein Teil des Festlandes. Wenn eine Scholle ins Meer gespült wird, wird Europa weniger, genauso als wenn’s eine Landzunge wäre, oder ein Landgut deines Freundes oder dein eigenes. Jedes Menschen Tod ist mein Verlust, denn ich bin Teil der Menschheit; und darum verlange nie zu wissen, wem die Stunde schlägt; sie schlägt dir selbst.

Mit dem Brexit wird keine Scholle, keine Landzunge, sondern die britischen Inseln und ein Stückchen Irland ins Meer gespült, sofern in Großbritannien nicht doch Neuwahlen im November anstehen. Selbstmord aus Angst vor dem Tod nennt das der Politologe, dabei ist gerade von der größten Insel frohe Kunde über uns gekommen. Nein, leider kein neuer Computer von Sir Clive. Aber in Heidelberg hat der Mathematiker Michael Atiyah von der Universität Edinburgh die Kurzfassung eines Beweises der Riemannschen Vermutung präsentiert, basierend auf der müpfigen Feinstrukturkonstante und der Todd-Funktion. Nun wartet alles auf die Langfassung des Beweises, der in den Proceedings of the Royal Society A. erscheinen soll. Was bisher von Atiyahs Beweisführung bekannt ist, ist einfach zu wenig, um den Beweis nachzuvollziehen. Die Skizze sorgte jedenfalls für beste Unterhaltung. Frühestens in zwei Jahren wird das Clay Institute entscheiden können, ob der Beweis tatsächlich erfolgt ist und es ein Jahrtausendproblem weniger gibt. Etwas früher ist die Disruption mit der bayerischen Landesregierung dran.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. Auf Patrouillendienst am Rande der Unmündigkeit
Beitrag von: SiLæncer am 07 Oktober, 2018, 10:16
Wie immer – und das nun mehr zum tausendsten Mal, seit 18 Jahren –, möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Potztausend, es geht weiter, nicht nur mit dieser Wochenschau. In Meppen qualmt es weiter. Der Verfassungsschutz wird weiter von Hans-Georg Maaßen an allen Hetzjagden vorbei geleitet. Kanzlerin Merkel bleibt im Amt, drölfzig Kommentaren zum Trotz, dass mit der Wahl von einem Ralph Brinkhaus ihr Stündlein geschlagen hat. Jens Spahn muss halt weiter warten, bis er Kalif werden kann anstelle der Kalifin. Mal eben in die USA fliegen und überraschend Verteidigungsfragen besprechen, das kann der Gesundheitsminister. Derweil werkelt sein Haus an einer Fristverlängerung im größten deutschen IT-Projekt: Ärzte bekommen ein halbes Jahr mehr Zeit für die Online-Anbindung der Praxen. Es ist eine schwere Geburt.

*** Lena und Sajid bekommen ein Kind in der Weltstadt der Homöopathie. Wenn es auf der Welt ist, wollen besorgte Deutsche es als Fußball benutzten. Wo es niemals zu Hetzjagden gekommen ist, lässt die Bundesanwaltschaft Mitglieder der rechtsterroristischen Gruppe "Revolution Chemnitz" verhaften. Bundesinnenminister Horst Seehofer, der nach wie vor die Expertise von Hans-Georg Maaßen außerordentlich schätzt, steht bekanntlich über den Dingen und wird von der Zeitung mit dem klugen Kopf als Meisterdenker verehrt.

*** Markus Söder bereitet sich unterdessen den Abflug der Bavaria One vor, den ersten bayerischen Satelliten im Weltall, dem eine weißblaue Raumstation folgen soll, mit Söder als Nachfolger von Cliff Allister McLane. Bayern – unendliche Welten. Es gibt keine Nationalstaaten mehr. Es gibt nur noch die Menschheit und die bayerischen Kolonien im Weltraum mit dem Biergarten auf dem Mars. Vergessen ist der ganze Krams mit der Bayernwahl, die neue Leichtigkeit zieht. "Seid umschlungen, Mond und Schafe", freut sich die kluge Zeitung über Söders Inszenierung des idealen Oberbayerns auf Instagram: "Bevor Söder sich um Menschen kümmert, die nicht aus Bayern stammen, bajuwarisiert er lieber erst einmal das Weltall", steht hinter einer Paywall geschrieben. Aber vielleicht hat Markus Söder auch den Philosophen Emmanuel Levinas gelesen, der zu Beginn der Raumfahrt über ihr Wesen schrieb: "Die Entwicklung der Technik ist nicht die Ursache — sie ist bereits die Wirkung dieses Leichterwerdens der menschlichen Substanz, die sich ihrer nächtlichen Schwergewichte entledigt." Gut, bei Söder klingt das nicht so philosophisch, aber zumindest diese Ansage hat es in sich: "Wir investieren in Digitalisierung, Robotik, künstliche Intelligenz, Hyperloop und Raumfahrt und entwickeln sogar Quantencomputer." Letzteres ist der Tatsache geschuldet, dass ZITiS in Bayern angesiedelt ist und das Brechwerkzeug für staatliche Entschlüsselungen sein soll.

*** Nur komisch, dass die Blockchain bei Söder fehlt. Hat denn niemand dem Mannsbild erklärt, wie die Blockchain funktioniert? Ist doch ganz einfach. Andere Politiker verstehen das doch auch. Man schaue sich die Brexit-Experten wie den britischen Finanzminister Philip Hammond an, der es in etwa so sagte: "Ich habe keine Ahnung, wie es funktioniert, aber ich habe mir sagen lassen, dass unsere Grenze in Irland mit der Blockchain gesichert werden kann." Was kommt als nächstes? Energiespiralen an den Grenzpfosten? Kann es sich Bayern angesichts der Länge seiner Landesgrenzen leisten, diese nur mit Hyperloop und künstlicher Intelligenz zu sichern? Am nächsten Sonntag werden wir es wissen. Vielleicht fliegt dann einer jetzt schon mit der Bavaria One ab: am Rande der Unendlichkeit ist Vieles möglich.

*** Andere Länder als Bayern, andere Sitten: Das gern erwähnte Social Scoring System in China gebiert nicht den computerunterstützten Überwachungssataat, den Orwell vorab beschrieben hat. Nein, die Software tut nur Gutes und produzierte eine Win-Win-Situation: "Der Staat vertraut seinen Bürgern, die Bürgerinnen ihren Verwaltungen. Endlich werden Steuern bezahlt, wird Betrügern das Handwerk gelegt, überhaupt benehmen sich alle besser. Dank Sozialkredit." Ja, warum führen wir dann nicht auch so ein System ein? Wo doch bei uns schon kaum mehr über Predictive Policing gesprochen und diskutiert wird, sondern über gemeinwohldienstliche Software-Systeme. Derweil darf gerätselt werden, ob der in China verschwundene Interpol-Chef etwas mit den Winz-Chips zu tun hat, die angeblich in vielen Computern nisten sollen, sozusagen als Hardware-Meldesystem.

*** In dieser kleinen Wochenschau fehlen noch die russischen Spione, die zusammen mit der Bechsteinfledermaus im Hambacher Forst in den Bäumen lebten und vor dort aus die nordrhein-westfälische Landesregierung torpedierten. Dass alleine der Protest der Ökos in die sinnlose Abholzung des Waldes, behütet und beschützt von anonymen Tausendschaften der Polizei, den Widerstand abgab, das glaubt ja kein Mensch. Da muss einfach "der Russe" dabei gewesen sein, der überall mit von der Partie ist. Das wird sicher irgendein vergessener Laptop oder eine Speicherkarte zeigen. Das Beispiel aus den Niederlanden zeigt, mit welcher Flappsigkeit heutzutage spioniert wird. In den USA wird das Vorgehen nicht als Spionage, sondern als kriminelle Aktion bewertet. Kein Vergleich mit der OpSec früherer Tage, als es noch zwei deutsche Staaten und einen kalten Krieg gab. Einerseits. Andererseits ist es schon lustig, wie heute die Floskel "mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit" eingesetzt wird. Nur das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik macht da nicht mit: "Das BSI äußert sich grundsätzlich nicht zur Zuordnung von Tätergruppen, weil dies nicht in seine Zuständigkeit fällt. Das BSI hat daher die Zuordnung von ATP28 zum russischen Geheimdienst weder dementiert noch bestätigt."

*** Während sich der Präsident der USA zu der Ansicht versteigt, "rüde Frauen" hätten, finanziert von George Soros, die Bestallung seines Favoriten Brett Kavanaugh zu einem der obersten Richter der USA behindert, haben Nadia Murad und Denis Mukwege den Friedensnobelpreis zugesprochen bekommen. Natürlich gibt es keinen Zusammenhang zwischen Berufung und Auszeichnung, aber eine innere Logik gibt es, ein Jahr nach dem Start der MeToo-Debatte schon: Vergewaltigung im Krieg und der sexuelle Missbrauch im Alltag sind zwei Seiten, gegen die Konsens und Respekt der Menschenrechte stehen. Die Unermüdliche und der Heiler sind eine gute Wahl. Und wer hätte geglaubt, dass ein Hashtag in den Social Media-Niederungen zu einem Dialog führen würde und die Personen des Jahres bestimmte? Das ist das Positive.

Was wird

*** Noch ein Hashtag gefällig? Am kommenden Samstag wird Berlin #unteilbar werden, mit einer Demonstration für eine offene und freie Gesellschaft. Geplant ist eine Großdemonstration gegen die Ausgrenzung und den Rechtsruck in der deutschen Gesellschaft, aber auch gegen Überwachung, die Verschärfung der Polizeigesetze und die Vorratsdatenspeicherung, gegen die der Block Freiheit statt Angst demonstriert. In der Annahme, dass auf der anstehenden Konferenz der Bundesinnenminister in Magdeburg ein Musterpolizeigesetz für Deutschland gezimmert wird, sei gleich auf die nächste Aktion #unheimlichsicher verwiesen, die ein Zeichen gegen den irrlichternden Bundesinnenminister und seine Pläne setzen möchte.

*** Ich habe keine Ahnung, wo der perfekte Traum geträumt werden könnte und wo sich Freddie Mercury und Montserrat Caballé nun treffen könnten. Aber es beruhigt ungemein, dass es dieses wunderbare Treffen gegeben hat und in dieser Form aufgezeichnet wurde. Freunde bis ans Ende. Viva!

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. Vom Abschlussbericht zur Verhaltensüberschussakkumulation
Beitrag von: SiLæncer am 14 Oktober, 2018, 06:00
Hal Faber hat eine unteilbare Demo in Berlin besucht, gegen Voldemorts Polizeigesetze und ohne Zauberei. Den Überwachungskapitalismus juckt das aber wohl nicht.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Hach, die #unteilbar-Demo ist durch Berlin gezogen an einem wunderschönen goldenen Oktobertag. Alle waren ganz außerordentlich solidarisch und unteilbar in ihren Blöcken. Was vielleicht fehlte, waren Stempel der einzelnen Demo-Blöcke für die umherflitzenden Kinder, sozusagen als Rekord-Merkerchen, wie man es von anderen Großveranstaltungen kennt. Von früheren Demos kenne ich noch das hübsche, absolut nicht gegenderte "Bürger, lasst das Gaffen sein, kommt herunter, reiht euch ein." Anno 2018 klingt das anders und ich weiß nicht, ob Zuschauer das überhaupt verstanden haben, was da skandiert wurde: "Kommt, kommt, kommt! Heraus aus euren Filterblasen!" Ob das verständlich ist? Vielleicht für Sahra Wagenknecht und all die von #Aufstehen, die sich ausklinkten nach dem Geheiß ihrer Führerin. Auch die Idee, mit Harry Potter zu demonstrieren, war etwas irritierend. "Stoppt Voldemorts Polizeigesetze!" Nunja, der Unsinn mit der "drohenden Gefahr" wird von Ordnungsfetischisten wie Herbert Reul vertreten, den seine Juristen gestoppt haben. Da braucht es keine Zauberkräfte. Ganz sicher war die Demonstration eine machtvolle Versammlung all derer, die sich gegen die kapitalistische Akkumulation des Verhaltensüberschusses aussprachen und dem Überwachungskapitalismus eine Absage erteilten. Doch halt, ich greife vor. Was hatten wir denn diese Woche?

*** Wir hatten Papst, das war ganz nett, aber es kommt noch besser: wir haben endlich den Abschlussbericht zur Gesichtserkennung am Bahnhof Südkreuz in Berlin. Garniert mit den üblichen sinnfreien Statements. Diesmal tut sich nicht einmal der Seehoferhorst vor, sondern der Chef der Bundespolizei, Dieter Romann, der beste Freund von Hans-Georg Maaßen. Welchselbiger immer noch unsere Verfassung schützt, bis beim Horst die Stelle freigeschaufelt ist, auf der der rechtslastige Experte irgendetwas koordinieren kann. Sein Buddy Dieter Romann hat unterdessen die Gesichtserkennung über den grünen Klee gelobt, als ganz schickes Instrument, mit dem Straftäter einfach so "ohne zusätzliche Polizeikontrollen erkannt und festgenommen" werden können. So ratzfatz soll das gehen? Blättert man im Abschlussbericht bis kurz vor dem Ende, so findet sich dort die von Maaßens Verfassungsschutz übernommene Aussage, dass sich rund 600 islamistische Gewalttäter in Deutschland aufhalten. Das sei eine Zahl von Gesichtern, die sich kein Polizist einprägen könne. Wegen dieser 600 sollen jetzt auf deutschen Bahnhöfen intelligente Videoanalysesysteme hinter den Videokameras installiert werden und die Burschen suchen, die für den IS Böses planen. Findet sie alle heißt es, wenn die Polizei ihr automatisiertes Fangdenhut mit den Bürgern spielt.

*** Natürlich fehlt es nicht an Berechnungen im Heise-Forum, die aus der Zahl der Fehlalarme ein tagtägliches Chaos prognostizieren, in dem auf Bahnhöfen ständig das berühmte seyfriedsche "POP! Stolizei!" gerufen wird. Denn selbst wenn das, was der Abschlussbericht sinnigerweise falsch eine "Falschakzeptanzrate" nennt, in dem vom Bericht gewünschten Promillebereich liegt (nämlich beim hust, hust "fast nicht mehr messbaren Wert von 0,00018%"), dürfte auf deutschen Bahnhöfen mit Millionen von Reisenden täglich eine Verhaftungswelle von "falsch Akzeptierten" im Halbstundentakt schwappen, wenn "ohne zusätzliche Polizeikontrolle" Menschen nach den Berechnungen der neuronalen Netze vorläufig festgenommen werden, wenn sie keinen Ausweis mit sich führen. Haben sie den "neuen" Personalausweis oder den elektronischen Aufenthaltstitel dabei, kann er dank Smartphone und einem kleinen Zusatzleser schnell und bruchlos geprüft werden.

*** Dabei enthält der Abschlussbericht noch ganz andere Seltsamkeiten. Gelobt wird da, wie die Erkennungsrate in der zweiten Testphase gestiegen ist, als Überwachungskameras mit Bildern von Personen arbeiten, die zuvor von genau diesen Kameras fotografiert wurden. Wie oft wird das vorkommen, dass ein fieser Terrorist genau von der Kamera aufgespürt wird, die auch das Referenzbild für seine Suche erstellt hat? Macht nichts, die Erkennungsrate ist einfach beeindruckend, meint Horst Seehofer. Stutzig macht auch der Satz: "In Fällen, in denen kein korrelierender Datensatz aufgefunden werden konnte, war entweder von einem Falsch-Treffer (falsch positiv) auszugehen oder es handelte sich um einen richtigen Treffer, bei dem die Person den Transponder nicht mitgeführt hatte." Wie häufig die Probanden ihren Transponder vergaßen, vielleicht sogar in der den Test sabotierender Absicht, wird nirgends aufgeführt. Genau 111 Personen wurden aus dem Testpool entfernt, ehe man zur zweiten Testphase überging. Selbst dann, wenn nur jeder Zehnte ab und an seinen Transponder vergessen hätte, wären die so erzielten Erkennungsraten reif für die Tonne.

*** Einen ganz besonderen Kick erhält der für Ende August angekündigte Abschlussbericht durch den Zeitraum der Veröffentlichung. Einen Tag vor der unteilbar-Demo, auf der der Block "Freiheit statt Angst" gegen Überwachung demonstriert und zwei Tage vor der Landtagswahl in Bayern mit seinem neuen Polizeigesetz will Seehofer zeigen, was der Überwachungsstaat leisten kann. Der Zeitpunkt ist auch deswegen interessant, weil sich in dieser Woche die Datenethikkommission zu Problemen der künstlichen Intelligenz (KI) mit ihren neuronalen Netzen zu Wort gemeldet hat. Die erste Empfehlung der Kommission trägt die Überschrift: "Beachtung der an unserer freiheitlich demokratischen Grundordnung orientierten ethischen und rechtlichen Grundsätze im gesamten Prozess der Entwicklung und Anwendung künstlicher Intelligenz“. Kurz gesagt soll KI nur zu verfassungskonformen Anwendungen führen und die Grundrechte sowie das Recht auf informationelle Selbstbestimmung beachten. Eine Selbstverständlichkeit, könnte man meinen, doch bezogen auf die Gesichtserkennung werden die Bürger unter Generalverdacht gestellt. Somit kommen wir von den technischen zu den gesellschaftlichen Fragen. Einfach nur den Kopf um 15 Grad von der Kamera weg drehen reicht nicht.

Was wird.

Am kommenden Montag tritt Bill Gates in Berlin auf und spricht mit Bundesminister Gerd Müller über das Innovationspotential des "Chancenkontinents" Afrika. Bill Gates gehört zu denen, die unermüdlich durch Afrika touren und die junge Generation von Afrikanern unterstützen, ihren Weg zu gehen. Das tut auch der "Telefonmogul" Strive Masiyiwa in Simbabwe, der Geld für die Bekämpfung der dort grassierenden Cholera gibt, während andere dort ihre Bugatti einfliegen lassen.

Auf der jährlich erscheinenden Liste seiner Sommerlektüren hat Bill Gates das Buch Capitalism without Capital gesetzt. Es will erklären, wie die immaterielle Wirtschaft funktioniert, etwa die Softwareproduktion von Microsoft. Diese Wirtschaft besteht aus verborgenen, versunkenen Kosten, zeichnet sich durch leichte Skalierbarkeit aus und steckt voller Synergie- und Übergangseffekte, meinen die Autoren, die den Kapitalismus loben, wegen seiner Lebendigkeit. Sei's drum. Auf Bill Gates folgt in Berlin eine Veranstaltung mit Shoshana Zuboff, die mit ihrem 700-Seiten-Wälzer "Das Zeitalter des Überwachungskapitalismus" gleich beides analysiert, die zunehmende Überwachung und die große wirtschaftliche Bedeutung, die diese Überwachung für den Fortbestand des Kapitalismus hat. Das kann man vielleicht anhand der Gesichtserkennung am Bahnhof Südkreuz erklären: hier wird mit mehr Daten gerechnet, als zur Gesichtserkennung von 600 mutmaßlichen Terroristen notwendig sind. Es entsteht ein Datenüberschuss, der als Verhaltensüberschuss auf "Verhaltensterminkontraktmärkten" gehandelt werden kann. Je besser die Vorhersagekraft dieses Verhaltensüberschusses ist, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass er sich als geldwertes Kapital von der Onlinewelt in die reale Welt begeben und dort gehandelt werden kann. Schließlich modifiziert er das Verhalten von realen Menschen.

Ob die neue Form der Ware-Geld-Ware-Zirkulation im Sinne von Marx korrekt wiedergegeben ist, wird sich zeigen, denn die Diskussion um Zuboff beginnt erst. In jedem Fall endet ihr Wälzer mit einer tiefen Verbeugung vor Frank Schirrmacher, dem verstorbenen Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Das ist das Blatt, das 2018 dem AfD-Politiker Alexander Gauland Platz gibt, seinen Populismus zu erläutern, der an historische Vorbilder erinnert. Manches ist einfach nicht teilbar.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. Die Gegenwart ist auch nicht mehr das, was sie einmal war
Beitrag von: SiLæncer am 21 Oktober, 2018, 07:02
Es ist keine Dystopie, es ist die reale Gegenwart, in der ein Journalist in einem Konsulat getötet wird. Die Welt schaut weg, Hal Faber nicht.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Das Erleben der Gegenwart kann schmerzlich sein. Hans-Georg Maaßen ist noch als Präsident des Verfassungsschutzes im Amt und der Staat ist noch da, der so einen nicht ohne Grund auf diesen Platz gesetzt hat. Saudi-Arabien kann in einem seiner Konsulate einen Journalisten töten und zerstückeln und alle Welt schaut zu oder besser weg, weil das Rüstungsgeschäft nun einmal so eine wichtige Branche ist. Es mag ja sein, dass die arabische Welt Meinungsfreiheit braucht, aber Absatzmärkte sind Absatzmärkte und Jemen ist weit weg.

*** In dieser unserer Gegenwart mag es ganz heilsam sein, sich eine andere Welt vorzustellen, etwa eine, in der Charles Babbage erfolgreich seine Analytische Maschine bauen konnte und Ada Lovelace zum Superstar unter den Programmiererinnen wurde. Es wäre eine Welt, in der Computer und das Internet 70 Jahre früher entdeckt und genutzt worden wäre, natürlich am besten von den Nationalsozialisten und ihren Komputern, komplett mit einer arischen Programmiersprache. Wir hätten jetzt noch ein prächtiges Nationales Sicherheitsamt, würden zum Grab des großen Führers Otto Remer in seinem Sonnenpalast pilgern und die Losung der Woche skandieren: "Die Verstärkung der Verteidigungsmacht des Landes stellt die allerwichtigste der Staatsangelegenheiten dar, und von der mächtigen Bewaffnung hängen die Würde des Vaterlandes, das Glück des Volkes und der Frieden ab."

*** Dann lieber doch zurück in die Gegenwart, wo es diesen guten Journalismus gibt! In dieser Woche haben gleich zwei internationale Rechercheverbände ihre Ergebnisse vorgelegt. Beim European Far Right Research Network ist aus Deutschland die tageszeitung dabei, den rechten Propagandakrieg zu beschreiben, der von Parteien wie der AfD, FPÖ und Fidesz geführt wird. Fake News wie die von einem Journalisten, der den Hitlergruß gezeigt hat, machen europaweit die Runde. Wo sie bereits in der Regierung sitzen, wie in Österreich, wird empfohlen, die Kommunikation mit regierungskritischen Medien auf "das nötigste (rechtlich vorgesehene) Maß zu beschränken." Besonders beliebt sind Facebook-Kanäle, ganz vorneweg der von Italiens Innenminister Matteo Salvini, der Italien in Ordnung bringt. Doch hach, nicht nur die Rechte kann Facebook wunderbar bedienen. Doch so etwas funktioniert nicht nur in Italien und Österreich: Mitten im schönen Berlin sitzt übrigens eine russische Trollfabrik, die mit Facebook-Kanälen wie Redfish mit Followern auf rechter wie linker Seite eine ganz eigene Agenda betreibt, Nachrichten zu unterlaufen.

*** Eine weitere Recherchegruppe von Correctiv und anderen Medien wie Zeit und Zeit online hat die Untersuchung der Cum-Ex-Files wieder aufgenommen und ermittelt, dass der Steuerbetrug viel umfassender war als noch vor einem Jahr angenommen. Allein die deutsche Volkswirtschaft wurde um mindestens 38 Milliarden Euro erleichtert. "Superreiche stehlen Milliarden für ihre Gier. Geld, das Kindergärten, Altenheimen und Städten fehlt. Sie bestehlen uns alle", so tönt die harmlose Version der Anklage. Andernorts ist von asozialer Geldmacherei die Rede. Selbst in Österreich ist man aufgewacht. Steuerraub um 55,2 Milliarden Euro. "Selbst das Wort "Gier" ist in diesem Fall noch zu beschönigend. Die Akteure waren nicht einfach nur "gierig", sie haben jeglichen Anstand und jegliche Moral über Bord geworfen. Sie handeln wie jemand, der ein Haus ausraubt und sich damit rechtfertigt, dass die Tür nicht abgeschlossen war." So geht Kapitalismus, Baby, Kapitalismus geht so.

Was wird.

Künstliche Intelligenz ist eine sehr ordnungsliebende und ergründliche Intelligenz, das war dieser Tage auf einer Tagung des Fraunhofer ÖFIT zu lernen. Künstliche Intelligenz ist ein Megatrend wie Hype gleichermaßen. Sie stiftet Ordnung, wo in den Subsystemen von Staat, Religion und Technik sonst fröhliches Chaos herrscht, weil jedes System mit sich selbst beschäftigt ist. Die Religion beschäftigt sich mit Immanenz und Transzendenz, dem Staat geht es um Macht und Sicherheit und drölfzig Polizeigesetze gegen alles, was irgendwie eine Gefahr sein soll. Der Technik geht es hingegen nur um Kontrolle. Wo aber bleiben die Medien? Gemach: Heute Abend läuft wieder mal ein Tatort, in dem wie schon einmal eine Künstliche Intelligenz beim Mordsgaudi mit dabei ist. Diesmal heißt sie nicht Bluesky, wie im HAL-Tatort, sondern bajuwarisch korrekt Maria. Lang und breit müssen die Kommissare Leitmayr und Batic lernen, was denn ein Turing-Test ist und wieso ein KI-Programm wie Maria aus dem KI-Rechenzentrum fliehen konnte. Nur schade, das nach der optischen Delikatesse von Bluesky die KI Maria so phantasielos in Szene gesetzt wird wie jede x-beliebige Spracherkennung. Da hat ja Alexa mehr Pep, wenn sie beim Röcheln zuhört.

In der anstehenden Woche wird vor einem Gericht im fernen Ecuador in einem Eilverfahren über die Frage verhandelt, ob die in einer Art "Hausordnung" festgelegten neuen Rechte und Pflichten von Julian Assange gegen seine Menschenwürde verstoßen. Er soll regelmäßig duschen, die Sanitäranlagen säubern und das Katzenklo von Michi Cat-stro reinhalten, dann bekommt er wieder einen schnellen Internet-Zugang abseits seiner Smartphones. Aus dem Drama ist vollends eine Komödie geworden, mit wirklich witzigen Einfällen wie dem von Ecuador, Assange als Berater einzustellen und mit einer Apanage von 2000 Dollar monatlich in die russische Botschaft zu schicken.

Apropos Menschenwürde: Die Würde des Menschen ist unantastbar, so leitete ein gewisser Karl-Heinz Rummenigge eine Pressekonferenz ein, in der mächtig über die Medien geschimpft wurde. Unverschämt und respektlos seien sie mit ihren ach so sensiblen Spielern umgegangen. So etwas dürfen nur die Bosse des FC-Bayern, für die es ein eigenes Grundgesetz gibt. Wie wäre es, wenn zukünftig der Artikel 18 des Grundgesetzes um einen Bayern-Passus erweitert wird, das bei der ungestörten Religionsausübung namens Fußball die Würde des Menschen keine Rolle mehr spielt? Ach, den Vorschlag gibt es schon, von der AfD gemacht und auf den Islam bezogen? Na, so ein Zufall.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Wettrüsten oder Waffelessen, das ist die Frage.
Beitrag von: SiLæncer am 28 Oktober, 2018, 01:00
Zeit! Irgendwann gab es sie gar nicht, heute wird sie uns geschenkt. Ja, auch Hal Faber weiß, dass das Quatsch ist. Wie so vieles andere.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Wer hat an der Uhr gedreht, ist es wirklich schon so spät? Ja, da haben oder bekommen wir wieder die gute alte Winterzeit und so einmal mehr den Blödsinn zu lesen, dass wir eine Stunde "geschenkt" bekommen haben. Aus der simplen Zeitumstellung wird so ein Akt der staatlichen Wohlfahrt. Bei anderen Auslassungen ist gar von einem Mini-Jetlag die Rede. Nein, ich will an dieser Stelle nicht die Debatten wiederholen oder mich auf eine dieser Umfragen einlassen, bei der die Ablehner der Zeitumstellung regelmäßig gewinnen. Alle wirklich wichtigen Argumente sind genannt, und wenn ich jetzt eine Stunde lang über den Segen der Zeitumstellung schwadroniere, würde ich in aller Unlogik das soeben geschenkte Stündchen stehlen.

*** Immerhin ist uns Journalisten an anderer Stelle in dieser Woche wirklich Zeit geschenkt worden und zwar vom Bundesverfassungsgericht. Es hat die Beschwerden des Recherche-Netzwerks Correctiv und des Spiegel gegen überfallartige Gegendarstellungsbegehren per einstweiliger Verfügung anerkannt. Kernsatz des Urteils: Bevor gegen ein Medium eine einstweilige Verfügung erlassen wird, müssen seine Argumente vom jeweiligen Gericht zur Kenntnis genommen werden. Die gängige Argumentation, dass die angebliche Verletzung von Persönlichkeitsrechten in einem Artikel oder einem TV-Beitrag besonders eilbedürftig sei, ist abgeschafft worden. Es gibt ein grundrechtsgleiches Recht auf prozessuale Waffengleichheit, was bedeutet, dass ein Gericht vor der Gegendarstellung die Argumente des betroffenen Mediums hören muss.

*** Heute wählen die Hessen, und die Frankfurter Allgemeine Zeitung übt sich in der schönen Kunst des Knittelreims: "Wenn de Hessebembel kippt, die Groko übern Jordan hippt. Wenn der Deifel hält die Messe, wern die Grüne Chefs von Hesse." Irgendwie will Schwarz-Grün weitermachen wie bisher, die Differenzen sind ja klein. Neben dem Diesel-Dauerbrenner ist es eigentlich nur die Gesichtserkennung, bei der man unterschiedlicher Ansicht ist. Die Schwarzen (und die AfD) wollen die Videoüberwachung mit Gesichtserkennung einführen, die sich am Berliner Bahnhof Südkreuz in "beeindruckender Weise bewährt" haben soll, die Grünen (und die Linke, die SPD und die FDP) sind dagegen. Die Grünen argumentieren mit dem Datenschutz, Linke und FDP mehr mit der Gefahr eines Überwachungsstaates. Bleibt die Frage, ob dieser Bembel nicht schon längst gut gefüllt wurde unter Schwarzgrün. Schließlich arbeitet Hessen mit Software von Palantir und ist zufrieden, wie berichtet: "Die Software ist wie ein zweites Gehirn für Polizisten, ein Gehirn mit Röntgenblick, das in einer Sekunde Dutzende Verbindungen erkennt."

*** Nur gut, dass die Software nur in polizeilichen Datenbanken rumsucht und laut Artikel gelegentlich ein bisschen Facebook anknabbert und nicht versucht, wie in den USA bekannt wurde, illegale Immigranten aufzuspüren, die US-Präsident Trump schnellstens abschieben möchte. Da helfen Firmen wie Amazon und Palantir. Derweil baut Trump die anstehenden "Midterms" gerade mit Hilfe der Immigrationsfrage zu einem Referendum über seine Präsidentschaft um. Wenn dabei seine Worte und nächtlichen Tweets bombig ankommen, ist dies die Schuld der dämlichen Medien.

*** Bekanntlich will Donald Trump passend zum Jahrestag der Kuba-Krise den INF-Vertrag aufkündigen. Ob damit der Wahnsinn des Wettrüstens von vorne losgehen kann, wie Franz Alt meint, oder ob er längst im Gange ist, wird angeregt diskutiert. Möglicherweise spielt auch der Faktor der Bevölkerungsveränderung eine Rolle. Besonders beruhigend ist es jedenfalls nicht, wenn er den Dr. Seltsam gibt, der nicht mit seinen iPhones spielt, sondern den Finger am Atomknopf hat, um einen "Deal" zu machen.

*** Die Debatte um die Atomwaffen verdeckt etwas den Blick auf andere Waffen, doch halt, ein neues Buch von Constanze Kurz und Frank Rieger ist erschienen, in dem es mächtig cyber-cybert. Ein Kapitel von "Cyberwar" ist online, dort heißt es zur Einordnung der Waffengattung: "Stuxnet war de facto ein Blick in den Waffenschrank, das neuzeitliche Äquivalent zu einem Atomwaffentest oder zum Auffahren einer neuen Interkontinentalrakete auf einer Militärparade." Wenn Stuxnet wirklich das "Äquivalent zu einem Atomwaffentest" gewesen sein sollte, dann muss der Begriff des Cyberwars viel weiter gefasst werden und in Richtung der hybriden Kriegführung gedeutet werden. Im Informationsraum wird ganz real gekämpft, in Norwegen hingegen nur geübt, wie es um die neuen Anforderungen nach dem Kalten Krieg bestellt ist.

*** Mitunter gibt es Zusammenhänge, die sich erst im Nachhinein als solche zu erkennen geben. In dieser Woche ging es bei "Zahlen, bitte" um die halb scherzhaft gesagte Antwort des KI-Pioniers John McCarthy, dass es 1,7 Einsteins brauche, um bei der Künstlichen Intelligenz größere Fortschritte zu erzielen. Tags darauf wurde bekannt, dass einer dieser Einsteins verstorben ist. Mit Trauer sei mit diesem Artikel als Karlheinz Meier erinnert, der am BrainScaleS-Chip arbeitete, an der Schnittstelle zwischen Hardware und Hirnware. Vielen wird Karlheinz Meier nicht als KI-Forscher, sondern als munterer Erklärbär physikalischer Phänomene in Erinnerung sein, die in einem Youtube-Kanal gesammelt sind. Mögen sie nicht dem digitalen Vergessen anheimfallen.

Was wird.

A star is born in Paderborn. Er heißt Beppo und steht in dem neuen Robotik und KI-Bereich des Heinz-Nixdorf-Museumsforum. Beppo fegt wie der berühmte Balayeur in der Ballade von Jaques Prevert, nur ohne Engel und Poesie. Dabei soll Beppo ein poetisches Vorbild haben. Was uns zur nächsten Ausstellung führt, die in Bayern angesiedelt ist und der Kunst, Kreativität und Technik des Computerpioniers Konrad Zuse gewidmet ist. Am andern Ende von Bayern liegt Vilshofen und auch dieser schöne Flecken bekommt ein Computer-Museum. Wenn das mal nicht zur neuen retro-c't passt, dann esse ich eine Disk^^^, also lieber eine Waffel.

Bekanntlich wird Deutschland mit Riesenschritten digitalisiert. In dieser Woche hat der IT-Planungsrat getagt und beschlossen, dass die erste Phase der Volldigitalisierung abgeschlossen ist. Nun beginnt die zweite Phase, die bis 2022 laufen soll. Schon im November soll es mit dem föderalen Informationsmanagement (FIM) losgehen, wobei wiederum die FITKO gegründet wird, die Förderale IT-Kooperation des Bundes und der Länder. Auf dem Papier ist Deutschlands Verwaltung internationaler Spitzenreiter in der Digitalisierung. Bereits Anfang 2019 kommt XDomina, äh XDomea, die "Spezifikation für den digitalen Dokumentenaustausch im föderalen Regierungshandeln." Das muss doch einmal gesagt werden!

Sonst bleibt es nur bei Miesmacher-Meldungen wie der, dass der Präsentkorb von Feine Sahne Fischfilet niemals den Verfassungsschutz Meckpomm erreichte, den größten Förderer der Band. Er ging an die Tafel Schwerin. So geht Förderalismus, und wir Warten auf das Meer. Im Bauhaus tritt derweil Pur auf.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. Was haben wir gelacht, nicht nur bei Samstag Nacht.
Beitrag von: SiLæncer am 04 November, 2018, 07:00
Zwischen Geschichtsrevisionismus und Wiederbelebung alter Säcke taumelt die Republik, entsetzt sich Hal Faber - andere Länder haben's aber auch nicht einfach.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Na, es war doch gar nicht so schlimm mit der Zeitumstellung auf die Winter..., ähh, die Normalzeit. Fast alle Uhren schafften das, auch wenn sie nicht, wie der Digital-Rollzahlenwecker von Sankyo im letzten WWWW "ganggenau wie das Sonnensystem" waren. Horas non numero nisi aestivus, wie der Lateiner so sagt. Außerdem verlief alles friedlich, ganz im Gegensatz zum 6. April 1916, als auf Befehl von Kaiser Wilhelm II die "Kriegszeit" am 30. April eingeführt wurde und die Frankfurter Zeitung jubelte, wie man nun den Engländern den Garaus machen werde. Gut, bis zur Novemberrevolution von 1918 musste noch ein bisschen gestorben werden, aber dann veränderte sich Deutschland. Heute ist es die Frankfurter Allgemeine Zeitung, die den "Meuterern" von der Volksmarine die Ehre abschneidet und die geplante Operation der Kriegsmarine als "letzte Chance, militärisch einen akzeptablen Verhandlungsfrieden zu erreichen", verklärt. In letzter Instanz waren also die Matrosen schuld am Aufstieg von Adolf Hitler.

*** Aufmerksame Mitleser werden es längst wissen: Heute wird die deutsche Comedy geehrt, schließlich lief vor 25 Jahren die erste Folge der RTL Samstag Nacht im Fernsehen, ein Blödelformat, das mehr denn je vermisst wird, nicht nur von alten Säcken. Angeblich wurde mit der "aus Amerika kopierten Schau" der Anfang der Spaßgesellschaft eingeleitet, aber wenn man im Fernsehlexikon blättert oder sich die CDs anschaut, merkt man schnell, dass da doch ein sehr deutscher Humor gefickt eingeschädelt wurde. Vermisst wird auch ein Anreger der gehobenen Blödelei, Ingo Insterburg. Er ist sicher jetzt auf großer Tournee mit dem Engel Karl Ranseier, mit vielen Witzen. Vor 60 Jahren hatte er seinen ersten Auftritt in Berlin. Das erklärte Ziel, genau "87 eineinhalb" Jahre alt zu werden, hat der Ingo nur knapp verfehlt.

*** Der Rückzug von Angela Merkel aus der großen Politik hat begonnen. Überraschender als die Aufgabe des CDU-Parteivorsitzes sind die Versuche von Wolfgang Schäuble, mit Friedrich Merz einen Politiker zu installieren, der neben dem Parteivorsitz und dem Vorsitz im Vorstand der Atlantik-Brücke künftig "eine weiter gefasste Beraterroller ein[nimmt], in der die Beziehungen mit wesentlichen Kunden, Regulierern und Regulierungsbehörden in Deutschland fördern wird". Die Formulierung könnte aus einer Comedy stammen, ist aber modernes und transparentes Politikmanagement, wie es in den Handbüchern von BlackRock steht. Der Rest ist das Heulen alter weißer Männer, die schon Politik machten, als RTL Samstag Nacht im Fernsehen lief.

*** Zu der in der letzten Woche debattierten Gesichtserkennung mit angekoppelter Videoüberwachung soll nach einem Artikel des New Scientist eine Gesichtserkennung an den EU-Außengrenzen kommen, bei der ein Chatbot mit dem Reisenden spricht, während die Kamera die sogenannte Mikromimik aufzeichnet und mit Hilfe Künstlicher Intelligenz analysiert. iBorderCtrl stellt simple Fragen nach dem Gepäck oder der geplanten Reiseroute. Nach einem Test mit 30 Personen, von denen 15 lügen sollten, ist der intelligente Lügendetektor auf eine Genauigkeit von 76 Prozent gekommen und wird von der zuständigen EU-Kommission bereits als Erfolgsgeschichte gefeiert. Man sei sehr zuversichtlich, auf eine Genauigkeit von 85 Prozent zu kommen. Was bei 700 Millionen Ein- und Ausreisen im Schengen-Raum Millionen von Lügnern produzieren würde, ganz wie die beeindruckende Gesichtserkennung am Bahnhof Südkreuz. Deutschland ist übrigens mit dabei: Das Institut für Rechtsinformatik untersucht die Auswirkungen auf die Privatsphäre der in die EU Einreisenden. Was natürlich ein wirklich schlechter Witz einer viertklassigen Comedy ist. Denn mit dem geplanten Entry/Exit-System des Smart Borders Package hat der Reisende seine XY-Sphäre längst vor dem Schengeneintritt abgegeben. Es ist schon so eine Sache mit den Grenzen, und besonders wenn sie Smart werden sollen. Was sich nicht nur zwischen Calais und Dover, sondern auch in Nordirland zeigt, wo die Leute auch noch die smarteste Grenze einreißen wollen.

*** An der Grenze zur Schweiz gab es mancherlei zu verzollen, wenn man aus dem Ausland kommt. Der Sketch mag betulich erscheinen, ist aber das Vermächtnis von Alfred Rasser, der nach einer Chinareise in der Schweiz in Ungnade fiel. Wollen Auslandschweizer heute nicht ins Land einreisen und trotzdem ihr Wahlrecht wahrnehmen, so gibt es das E-Voting: "Mit E-Voting ist die Stimmabgabe nämlich auch auf elektronischem Weg online per Smartphone, Tablet oder Computer jederzeit und von überall her möglich." Nun hat der Chaos Computer Club Schweiz das System untersucht und Sicherheitslücken gefunden. Es ist kein großer Superhack und die Sicherheit kann durchaus verbessert werden. Dennoch befindet der CCC CH auf seiner Website zum Hack, dass E-Voting keine gute Idee ist und in einer Demokratie vermutlich nie sein wird. Die Reaktion der Behörden erfolgte prompt. Sollte die Website nicht vom Netz genommen werden, so werden rechtliche Schritte eingeleitet. Natürlich könnte man auch ein sicheres DNS-Verfahren nehmen, mit Konsequenzen für die Schweizer Websperren. Das nennt man wohl eine geschickte technische Einfädelung.

*** Und noch was anderes. Bei dem, was heutzutage so alles aus Österreich in die Welt dringt und von Vielen im Lande wohl mittlerweile für normal gehalten wird, seien auch mal wieder andere Töne angeführt. Vor allem, da es die Töne eines schon lange aktiven Rom sind, der zu den besten Musikern Österreichs zählt.

Was wird.

Vorbehaltlich einer augenärztlichen Untersuchung soll Thomas Haldenwang der neue Chef des Bundesamtes für Verfassungsschutz werden. Er soll Hans-Georg Maaßen ablösen, der auf dem rechten Auge erblindet ist, offenbar ohne Aussicht auf Besserung. Bislang ist Haldenwang nicht sonderlich in Erscheinung getreten, da er vor allem für die Bereiche Wirtschaftsspionage und -sabotage zuständig war. Doch auch dort beschäftigte ihn das große Rauschen samt den Möglichkeiten zur Telekommunikationsüberwachung. Und der Iniative gegen Totalüberwachung versicherte er als Vizepräsident schon einmal, dass sein Amt "weder die heimliche und anlasslose Massenerhebung personenbezogener Daten betreibe noch überhaupt die Befugnis hierfür habe". Früh übt man sich in der Kunst des überspezifischen Einwandes. Zudem jubeln die Grünen, die neue Mitte nach der Merzexekution der CDU und der Evaporation der SPD. Sie glauben halt an sein offenes Verhältnis zur parlamentarischen Kontrolle. Nur die Linken, die weiterhin beobachtet werden, stänkern. Derweil plädiert die AfD für die bestmögliche Integration von verdeckten Informanten in den braunblauen Haufen.

Keine Einwände hätte der arme Verfassungsschutz, wenn er über die Mittel des großen Bruders verfügen könnte, der am schönen Strand der Spree in Berlin nunmehr 1,085 Milliarden Euro verbaut hat, in einem Objekt, in dem bislang 50 Beamte aus der bayerischen Zentrale eingezogen sind. Irgendwie hat es den Eindruck, dass zu wenige Kunstpalmen in den Hof der schiesschartigen Anlage eingebaut wurden.

OK, ich gebe zu, das Thema schon einmal geschüttelt zu haben. Das gibt Abzüge in der B-Note. Aber wo bleibt das Positive? Es ist beim dritten Dienst angesiedelt. Frei nach dem 14. Artikel des MAD-Gesetzes bekommt der militärische Abschirmdienst (MAD) ein ganzes Stockwerk in Palmiristan. Umgekehrt darf dann die Bundeswehr die Bewachung übernehmen, die 8,5 Millionen Euro im Jahr kostete. Über die Frage, wie denn die Dienste zusammenarbeiten dürfen und wie sie überhaupt kontrolliert werden können, dürfen sich andere die Köpfe zerbrechen.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. Von deutschen Gedenken und Gedanken.
Beitrag von: SiLæncer am 11 November, 2018, 00:21
Die Gedanken sind frei? Ja, schön und gut - reicht aber nicht, wenn sie keine Wirkung entfalten, meint Hal Faber. Es lebe unsere Demokratie? Eben.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** "Die Gedenken sind frei, jeder kann sie verbraten", tralala. Der 9. November ist vorbei und die großen Reden sind gehalten. Von allen und vor allem vom Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier, ganz in der Tradition von Bundespräsident Gustav Heinemann, der da befand "Traditionen sind mit anderen Worten keineswegs das Privileg konservativer Kräfte". Darum ist "Alles für das Volk, alles durch das Volk", wie es Philipp Scheidemann formulierte, kein blutstümelnder Spruch von Trägern blauer Kornblumen. Darum kann man mit Steinmeier sagen, klaro, geht in Ordnung, wenn er fordert: "Trauen wir uns doch! Trauen wir uns, die Hoffnung, die republikanische Leidenschaft jener Novembertage auch in unserer Zeit zu zeigen. Trauen wir uns, den Anspruch zu erneuern. Es lebe die deutsche Republik! Es lebe unsere Demokratie!" Zur Demokratie gehört auch das Aushalten von Widersprüchen wie den einer Verteidigung der Sozialdemokraten von 1918, die gemeinsame Sache machten mit dem Militär und dem Beamtentum des untergegangenen Staates.

*** Auszuhalten sind auch die rechtsextremen WfDler und ihr Marschieren für die Toten von Politik oder die Reden zum jenem anderen Gedenktag, dem 9. November mit der Reichspogromnacht, bei der die Juden regelmäßig in der Rolle von Statisten wahrgenommen werden. Wobei das noch die bessere Variante wäre als der "kindgerechte" Vergleich mit einer Schulhofprügelei, den die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" in Tweet und Text inzwischen weitgehend zurückgenommen hat: Dahinter steckte kein besonders kluger Kopf.

*** Was bleibt, ist der heutige Sonntag. "Was für ein schöner Sonntag, Kumpel" ist dieser Tag, wenn Emmanuel Macron und Angelika Merkel im Wald von Compiègne den Ergänzungs-Gedenkstein dort enthüllen, wo Matthias Erzberger am 11. November vor 100 Jahren die Waffenstillstandserklärung unterzeichnete. Wobei der Salonwagen, in dem die Erklärung unterzeichnet wurde, ein Duplikat ist. Das Original nutzte Hitler am 21. Juni 1940 beim Waffenstillstandsdiktat, mit dem die Schmach vom deutschen Volke getilgt werden sollte. Möge es weitergehen mit der "Aussöhnung im Dienste Europas und des Friedens", vielleicht sogar mit einer echten europäischen Armee, eine Idee, die der US-Präsident Trump sehr beleidigend findet. Darauf eine rote Mohnblume. Unterdessen hat besagter Präsident den geplanten Besuch des US-Soldatenfriedhofes Bois Belleau wegen schlechten Wetters abgesagt.

*** Im Gedenktrubel fast schon vergessen ist der Abgang des obersten Verfassungsschützers Hans-Georg Maaßen zum Wochenanfang. Eine kleine Rede vor den Geheimdienstkollegen des "Berner Clubs" und schwupps, da war er inakzeptabel geworden mit seinen Verschwörungsphantasien von linksradikalen Sozialdemokraten. Am Ende konnte sein treuer Vorgesetzter-Follower Horst Seehofer gar nicht anders als die dringende Bitte um Ruhestandsruhe auszusprechen. Erst jetzt wird mit monatelanger Verspätung geprüft, ob ein Disziplinarverfahren gegen Maaßen eingeleitet werden kann, weil dieser gegen das Mäßigung- und Zurückhaltungsgebot verstoßen haben könnte, das den treuen deutschen Beamten auferlegt ist. Bleibt die Frage, warum sich der Geheimdienstler unter Kollegen mäßigen sollte, die allesamt sehr eigene Vorstellungen davon haben, was Linke sind und wer zu den Rechten gehört. Dafür gibt es viele, viele, streng geheime Treffen in ganz beachtlichen Gruppierungen. Neben dem Berner Klub, der ältesten Geheimdienstvereinigung gibt es die Pariser Gruppe, wo Inlands- und Auslandsgeheimdienste von 15 Ländern zusammen Däumchen drehen und Informationen austauschen, dazu die Police Working Group on Terrorism und die Gruppe der SIGINT Seniors, aufgeteilt in SIGINT Seniors Europe und SIGINT Seniors Padicific. Neben den bekannten Five Eyes sind neun weitere Mitglieder dabei, darunter Deutschland. Wie diese Zusammenschlüsse kontrolliert werden können, weiß der Himmel. Schon bei der nationalen Kontrolle der Geheimdienste gibt es große Unterschiede.

*** In der letzten Wochenschau konnte viel gelacht werden, wahlbedingt auch über das Schweizer e-Voting mit einer Software und der Web-Präsenz, die weder DNSSec implementiert hat noch den HSTS Preload kennt. Inzwischen geht die Debatte weiter. Es gibt eine Stellungnahme der zuständigen Bundeskanzlei, welche ihrerseits Experten zur elektronischen Stimmabfrage konsultiert hat. Unsichere Wahlen mit der Möglichkeit einer Man-in-the-Middle-Attacke? Alles Märchen! Es lebe unsere Schweizer direkte Demokratie! Völlig ausgeschlossen, dass der via Internet wählende Wähler auf eine Website umgelenkt wird, alles ist absolut sicher, denn: "Damit die Umleitung auch im Internet grossflächig funktioniert, müssten zentrale Elemente der Internet-Infrastruktur unter Kontrolle gebracht werden. Das wäre sehr schwer unbemerkt vorzunehmen." Gegen solche Expertise regt sich Widerspruch, etwa aus St. Gallen, wo ebenfalls das Genfer System eingesetzt wird. Der Widerspruch erscheint nicht auflösbar: Die Techniker bestehen auf Sicherheitsvorkehrungen wie DNSSEC, die Juristen sehen die Schuld einer falsch verschickten Wahlstimme beim Bürger, weil dieser nicht https:// vor der Domain eingetippselt hat, schließlich ist das vom Verfahrensleiter zwingend vorgeschrieben. So geht es auf der juristischen Ebene weiter mit der Aufforderung, die Website evote-net abzuschalten, weil diese "Kopie" das Bundesgesetz "über den Schutz des Schweizerwappens und anderer öffentlicher Zeichen" (Wappenschutzgesetz) verletzt. Bereits im Jahre 2013 war das Genfer System, das damals noch mit Java arbeitete, analysiert worden. Es kam nicht gut weg. Nun schreiben wir das Jahr 2018 und vertrauen dem Computer bei elektronischen Wahlen? Der Blick geht nach Florida, wo das elektronische System Probleme macht.

Mit dem Motto Refreshing Memories hat der Chaos Computer Club so etwas wie den kleinsten gemeinsamen Nenner für Computer und menschliche Hirne gefunden. Ein bisschen Auffrischung alter Gedanken ist niemals schlecht, man sieht es ja an den ach so veralteten Analysen zum Thema Wahlcomputer. Ohne in irgendeiner Form mit diesem Club verbandelt zu sein, aber im Banne all der aktuellen Jubiläen empfehle ich vorwitzig eine weitere Wiederauffrischung, die zur Revolutionsstadt Leipzig passt, nämlich die der Unvereinbarkeitserklärung aus dem Jahre 2005. Sie bezog sich seinerzeit auf ein anderes Jubiläum, auf die Befreiung vom Nationalsozialismus 1945.

"Wir sind eine galaktische Gemeinschaft von Lebewesen, unabhängig von Alter, Geschlecht und Abstammung sowie gesellschaftlicher Stellung, offen für alle mit neuen Ideen. Wer jedoch mit Ideen von Rassismus, Ausgrenzung und damit verbundener struktureller und körperlicher Gewalt auf uns zukommt, hat sich vom Dialog verabschiedet und ist jenseits der Akzeptanzgrenze. Wer es darauf anlegt, das Zusammenleben in dieser Gesellschaft zu zerstören und auf eine alternative Gesellschaft hinarbeitet, deren Grundsätze auf Chauvinismus und Nationalismus beruht, arbeitet gegen die moralischen Grundsätze, die uns als Club verbinden. Der CCC erklärt das Vertreten von Rassismus und von der Verharmlosung der historischen und aktuellen faschistischen Gewalt für unvereinbar mit einer Mitgliedschaft. Dazu gehören insbesondere die Mitgliedschaft in oder Unterstützung einer rechtsextremen oder rechtsradikalen Organisation. Darunter verstehen wir...." Tja, eine Wiederauffrischung könnte wirklich nicht schaden, ganz im Sinne von wehrhafter Demokratie und deutscher Republik.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. Mit künstlicher Intelligenz ins Neuland galoppiert.
Beitrag von: SiLæncer am 18 November, 2018, 09:22
Wohlauf, Kameraden - nein, nicht aufs Pferd, sondern zur künstlicher Intelligenz. Vielleicht hilft die natürliche ja wirklich nicht mehr, grübelt Hal Faber.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Ich kann immer noch nicht fassen, was da alles in dieser Woche passiert ist. Nach dem überaus ausführlichen Bericht der tageszeitung (wie das nebenstehende Bild dokumentiert) zur Digitalklausur der Bundesregierung mitsamt dem Abnicken einer schicken Digitalstrategie ist ein digitaler Ruck durch Deutschland gegangen, den jeder bemerkt haben dürfte. Ab sofort müssen meldepflichtige ansteckende Krankheiten nicht mehr per Fax den Gesundheitsämtern gemeldet werden, sondern können über ein Meldeportal direkt in DEMIS abgesetzt werden. Etwas langsamer geht es mit der Ausschreibung von 100 Professuren, die das aparte Feld der Künstlichen Intelligenz erforschen sollen, damit digital-made-in.de der neue Exportschlager wird. 100 Professuren, die dann die Digitalisierung gestalten helfen und auch noch "die klügsten KI-Köpfe der Welt" sind, sind natürlich nicht so einfach zu finden. Mein Tipp: Gerade tippen 1000 Affen einen Text und nennen ihn KI und Quanten-Computer.

*** 1000 Affen? Und keine Pferde? Deshalb macht es auf irgendeine mir unbekannte Art Sinn, dass zunächst ein "Deutsches Observatorium für künstliche Intelligenz" eingerichtet wird, dass den Himmel absucht, ob da nicht irgendwo ein KI-Professor blinkt. Alsdann wird er oder sie eingefangen und in eines dieser zwölf KI-Zentren gesteckt, die für die Happy 100 KI-Hennen und -Hähne eingerichtet werden. Am Ende des KI-Grund-Lege-Prozesses stehen "50 Leuchtturmanwendungen", dank derer Deutschland die Nummer 1 in der KI ist. Das alles zum Spottpreis von 6 Milliarden Euro, zu denen die "KI-getriebene Industrie" nach Regierungsberechnungen weitere 6 Milliarden zubuttert. Das ist doch knorke, dufte, geil oder, äh, Moment mal, genau: weil Baum. Zum Größenvergleich hier einmal nicht, was Google oder China in die "KI-Forschung" steckt: Die Umstellung auf die Absteigsangstmaschine Hartz IV kostete 35 Millionen.

*** Mit "digital made in de", den 100 Professuren und 50 Leuchttürmen ist es nicht genug, denn neben dem Wegfall von 1,5 Millionen Arbeitsplätzen durch KI bis 2025, die das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung ermittelt hat, sind die "Substituierbarkeitspotenziale" dank KI riesig. Man schaue nur in all die lachenden, frischen Gesichter bei Demowanda, dem Informationsportal zum demografischen Wandel. In Massen werden Roboter-Psychologen und Agent-Trainer oder Chatbot-Kontrolleure und Multi-Service-Hubwarte gesucht, sozusagen das Fußvolk der 100 Professoren abseits der zwölf Zentren und der 50 Leuchttürme. Dazu kommen noch spezielle "KI-Trainer", die ab 2019 die "KMUs" über Nutzen und Frommen der KI für ihre Firmen aufklären sollen. Mindestens 1000 Firmen pro Jahr sollen sie schaffen, was schon einmal logistisch eine sportliche Ansage ist für das Klingelputzen. Oder sollte ich von KI-Trainer*innen, Psycholog*innen und Hubwa/ärter*innen schreiben, damit alle möglichen Geschlechter abgedeckt sind? Inmitten all dem KI-Storming der deutschen Politik ist die Entscheidung gegen das Gendersternchen eher untergegangen. Oder, um es in dieser schicken Jugendsprache zu sagen: JOMO eben. Wobei für mich eindeutig "lindnern" das Wort des Jahres ist.

*** Wie mächtig diese künstliche Intelligenz und ihre Deep Learning-Methode sein kann, zeigte die CHES Challenge, bei der das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik mit seiner KI in zwei Wettbewerben gewann. "Wir wollen die Technologien der Künstlichen Intelligenz und des maschinellen Lernens nutzen, um national wie international Krypto- und andere Standards der Cyber-Sicherheit zu setzen und weiterzuentwickeln", erklärte BSI-Chef Arne Schönbohm. Bleibt die Frage, wieviel das in Leuchtturmanwendungen gerechnet ist. Bis die Antwort da ist, kann Zeit vergehen, denn beim BSI hat man viel zu tun: Im Ministerium für Horst und Heimat hat sich die Ansicht durchgesetzt, dass die KRITIS-Verordnung unzureichend ist und weitere kritische Infrastrukturen in Punkto IT-Sicherheit besonders geschützt werden müssen. Drei Branchen kommen hinzu, für die Meldepflichten und Installationsauflagen durch das BSI gesetzt werden. Die chemische Industrie, die Rüstungsbranche und unsere über alles geliebte Automobilbranche werden durch KRITIS erfasst.

*** Heute vor 90 Jahren hatte der erste eigene Film von Walt Disney seine Premiere im Kino-Vorprogramm von Gang War. In Steamboat Willie, gezeichnet von Ub Iwerks, war ein richtig anarchischer Film mit Micky Maus, Kater Karlo und viel Musik, angefangen beim munter gepfiffenen Lied Steamboat Bill. Eine Kuh, eine Ziege und eine Ente wurden als Musikinstrumente missbraucht. Zum Geburtstag gibt es eine Schatzkiste. Was Ub Iwerks für Walt Disney in Szene setzte, beeinflusste Generationen von Zeichnern, darunter auch Steve Ditko, der für Stan Lee arbeitete, dem Erfinder zahlreicher Superhelden. Nun ist auch Stan Lee in den Marvel-Himmel umgezogen und wird in den Nachrufen als zweiter Mann hinter Walt Disney gefeiert. Und noch ein Hinweis sei erlaubt: In einer eher seltenen Rolle als Gutewicht ist der notorische Bösewicht-Darsteller Rolf Hoppe heute in Drei Haselnüsse für Aschenbrödel zu sehen. Adjöh.

*** Do Svidaniya auch für Schores Medwedew, einen großen Journalisten. Er wird den heute im Metier arbeitenden Menschen, die Journalismus nur im Impact messen können, ein Unbekannter sein, doch für andere, die in Grohnde oder Brokdorf auf die Straße oder in die verschneite eisige Marsch gingen, waren seine Berichte über Kyschtym ein Zeichen, dass es West wie Ost so nicht weiter gehen kann.

Was wird.

Das Aus für die Lindenstraße im März 2020 ist vielleicht für Senioren und die Produktionsfamilie Geißendörfer ein Schock, doch sie hat sich bemerkenswert lange gehalten. Die Prognose von 1998, dass das Internet ein solches Format ablöst, hat sich als etwas verfrüht erwiesen. Nun aber ist es soweit. Der erste schwule Kuss im Fernsehen, das war einmal. "Die Lindenstraße steht für politisches und soziales Engagement, für Meinungsfreiheit, Demokratie, gleiche Rechte für alle und Integration, was in Zeiten von Rechtsruck und Ausländerfeindlichkeit wichtiger ist denn je." Das Erstarken einer rechtsradikalen Partei wie die AfD hat die Serie jedenfalls nicht verhindern können.

Aber es ist ja noch etwas hin bis zum März 2020, oder? Was hat noch unsere Bundesregierung auf der Digitalklausur für das Jahr 2020 beschlossen? Genau, eine gründliche "Re-Vision der KI-Strategie", um eben diese Strategie "agil" den Gegebenheiten anzupassen. Im März 2020 werden also die Professoren, die Zentren, die Trainer und die Leuchttürme gezählt, ein jede*r/s an seinem Ort. Moment, 2020 steht doch noch für ein anderes Riesendings namens Polizei 2020. Das bringt diese kleine norddeutsche Wochenschau zurück in den Alltag, in dem sich der Rausch von Law and Order entfaltet.

Am kommenden Mittwoch tritt Bundesinnenminister Horst Seehofer auf der Herbsttagung des Bundeskriminalamtes auf und spricht über, tusch, schepper, trara: künstliche Intelligenz in der polizeilichen Informationsverarbeitung. Vor Ort sein, während Kater Karlo, die Panzerknacker oder eben Joker noch am Anrollen sind, das ist doch großes Kino, für Polizei wie Polizeibeobachter.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. Sag beim Abschied leise Servus.
Beitrag von: SiLæncer am 25 November, 2018, 06:22
Mancher Abschied hält leider nicht lange, dafür dauert Anderes auch in digitalen Zeiten viel zu lange. Ob's der Herzensbildung nutzt? Hal Faber zweifelt.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Es ist nicht schön, ein ungesichertes Notebook mit Windows XP am Taxistand zu vergessen, auf dem Telefonnummern und Adressen führender Politiker wie Gerhard Schröder und Politikerinnen wie Angela Merkel gespeichert sind. Umso schöner ist es, wenn noch vor der Suche nach der letzten Sicherungskopie ein Obdachloser namens Enrico das Gerät dem Bundesgrenzschutz übergibt – so hieß die Bundespolizei früher, zu Merzens Hochzeiten. Noch schöner wäre es, wenn besagter Obdachloser dafür ein Obdach, eine Arbeit oder ein Essen bekommen hätte. Aber wir sind nicht in der Märchenstunde oder auf dem Ponyhof. Ein so inspirierendes Buch wie "Nur wer sich ändert, wird bestehen. Vom Ende der Wohlstandsillusion" mit Widmung des Verfassers Friedrich Merz reicht völlig. Schließlich konnte sich einer aus der gehobenen Mittelschicht auch nicht alles leisten, damals, im Jahre 2004.

*** Friedrich Merz, der Anti-Merkel, der nach einer Beobachtung des Figaro vor allem von Rentnern in beigen Jacken gefeiert wird, die sich mit ihm zusammen um 10 Jahre jünger fühlen, möchte vieles ändern, um zu bestehen. Zum Beispiel das Grundrecht auf Asyl, das nach seiner Verkrüppelung von 1993 inzwischen durch EU-Recht ersetzt wurde, aber nicht "in dieser Form fortbestehen" kann. Schon damals, als Merz Fraktionschef und die Rentner im besten Berufsalter waren und seine Telefonlisten noch schwer politisch geprägt waren, forderte er, sich von den "Erfahrungen des Nationalsozialismus" zu lösen. "Unsere Generation will sich nicht mehr derart in Haftung für unsere Vergangenheit nehmen lassen", erklärte er in der nicht mehr existierenden Woche. Friedrich Merz mache da weiter, wo er 2000 aufgehört hat, schreibt Heribert Prantl. Das war nicht so lange nach Kohl, dass es sich nicht doch sehr danach anfühlen würde.

*** Apropos Grundrechte, da tut sich was, im Artikel 104c. Das Kooperationsverbot wird abgeschafft: "Der Bund kann den Ländern zur Sicherstellung der Qualität und der Leistungsfähigkeit des Bildungswesens Finanzhilfen für gesamtstaatlich bedeutsame Investitionen sowie mit diesen verbundene besondere unmittelbare Kosten der Länder und Gemeinden (Gemeindeverbände) im Bereich der kommunalen Bildungsinfrastruktur gewähren." Ein sperriger Satz, der mit den Stimmen der Union und SPD, der FDP und den Grünen ins Grundgesetz rutscht und als Digitalpakt Schule etwas genauer beschreibt, was da passiert. Seit 2016 wird an dieser Grundgesetzänderung herumgefeilt. Ob sich hinter der Qualitätssicherung der Weg für bundesweite einheitliche Bildungsstandards verbirgt, wie es die zustimmende FDP will, wird sich zeigen. Weil die heilige Kuh der Kultushoheit der Länder angegriffen wird, hat der Grüne Ministerpräsident Kretschmann Widerstand im Bundesrat angekündigt. Fünf Milliarden sollen in die Digitaltechnik fließen, für Tablets und die Schulcloud, ein bisschen davon auch in die Frage, was Bildung im digitalen Zeitalter eigentlich ist. Auf jeder zweiten Powerpoint-Folie zur Zukunft der Bildung steht blended learning und das war's vielfach auch schon. Klagen über die Entwicklung des Bildungsniveaus oder mangelnde Herzensbildung bitte nach /dev/null.

*** Was in dieser Woche nicht passiert ist, kann auch zum Nachdenken anregen. Da gibt es eine "Kommission für Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung", besser bekannt unter dem Namen "Kohlekommission". Sie sollte am Mittwoch den Abschlussbericht vorstellen. Piste Paste Pustekuchen: Der Bericht zum Ausstieg wird um zwei Monate verschoben, weil es Streit um den Ausgleichsfonds für Braunkohlenreviere im Osten gibt. Zwar gibt es einen Entwurf eines Abschlussberichtes, aber bittschön, mit der Energiewende haben wir es gar nicht eilig. Zur Weltklimakonferenz in Kattowitz im Dezember wollte Deutschland "ein Zeichen setzen", jetzt gibt es halt Keinzeichen.

*** Wobei, ein Klima-Zeichen gibt es doch, das Spiel mit den Kennzeichen zur Abfrage der Euro 6-Norm. Gegen dieses Autofahr-Überwachungsgesetz regt sich Widerstand bei Digitalcourage. Währenddessen regt sich zur Technik hinter dem Kennzeichen-Scan der Verstand und formuliert die Frage angesichts der miserablen Erkennungsraten, ob sie bei der Polizei alle noch ganz dicht sind. Dann wären da noch die harten Altlinken, die der kapitalistischen Autokultur eine "Ablehnungskultur gegen das Auto" herbeiträumen und sich über die Datenspackos aufregen. Was überraschend doch noch passiert ist, passt zu all diesem Klima-Unbill. In den USA wurde der Klimabericht des National Climate Assessment veröffentlicht, gegen den Widerstand von Präsident Trump, der sich über den "Klimawandel" am extrem kalten Thanksgiving-Donnerstag lustig machte.

*** So unterschiedliche Medien wie die tageszeitung, der Focus und der Deutschlandfunk haben über ein rechtes Netzwerk in der Bundeswehr berichtet, die einen auf der Basis eigener Recherche, die anderen unter Berufung auf das Bundeskriminalamt oder unter Verweis auf den Militärischen Abschirmdienst MAD und das BKA. Der Befund ist identisch: In den Elitetruppen der Bundeswehr gibt es ein rechtsextremes Netzwerk mit Wurzeln in der Prepper-Szene, das sich Gedanken darüber macht, was am Tag X zu tun ist, wenn die Macht im Staat verfällt und "Linke" wie "Migranten" in Lagerhallen der Bundeswehr weggesperrt werden oder gleich erschossen werden müssen. Für den Tag X wurden Depots mit Treibstoff, Nahrungsmitteln und Waffen angelegt. In Chats werden Szenarien diskutiert, wie der Tag aussehen könnte, mit Impfstoffknappheit oder einer anderen Form der Bedrohung des Alltagslebens. Es klingt wie Lükex, nur anders herum. Was sagte noch der MAD-Chef Christof Grimm im Deutschen Bundestag: "Eine Vernetzung von gewaltbereiten Extremisten innerhalb der Bundeswehr findet daher auch nach unserer Wahrnehmung nicht statt." Bitte weitergehen, hier gibt es nichts zu sehen. Auch wenn anderswo munter diskutiert wird.

Was wird.

Wie es aussieht, wird am heutigen Sonntag der Brexit-Vertrag unterschrieben und der Abstieg Großbritanniens aus der Europaliga festgezurrt. In letzter Minute hat man mit den üblichen nächtlichen Verhandlungen den Affenfelsen von Gibraltar so befestigt, dass Spanien den Anspruch auf das Paradies der Online-Casinos und anderer Abzockereien wahren kann. Neben dem Brexit-Vertrag gibt es noch eine Zukunftsskizze, die unterschrieben werden muss. Dann muss nur noch eine dicke Frau singen, und alles ist vorbei. Überzeugte Europäer können sich schon einmal bedanken für die gekonnte Selbst-Enthauptung. Die verrückten Söhne und Töchter Albions wenden sich nach 42 Jahren europäischer Ehe Amerika zu und machen einen Deal. 42, ausgerechnet. Leider ist es etwas zu spät für die Information, dass 60 Prozent der Briten an Verschwörungstheorien glauben, unter den Brexit-Fans sogar 71 %. Tja. Es kommt für alles schon, einmal die Endstation.

Aber warum die Nase rümpfen, hat doch ein jeder seine eigene kleine VT.

Ich glaube zum Beispiel fest daran, dass die Theorie vom Datenreichtum mitsamt dem Verscherbeln meiner Daten für 200 Euros ein einziger Schwindel ist, mit dem grundrechtssensible Bereiche zu kommerziellen Zwecken von bösen Konzernen wie Google und Amazon ausgeplündert werden. Darin lasse ich mich nicht beirren.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. Humanismus oder Humbug, das ist die Frage.
Beitrag von: SiLæncer am 09 Dezember, 2018, 10:04
Dummheit ist kein Privileg rechtsradikaler Spinner. Dummheit gibt es überall, leider, weiß Hal Faber. Auch bei "linken" Künstlern. Und politischen Parteien.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** "Aggressiver Humanismus", damit wirbt das Zentrum für politische Schönheit für die humanistische Revolution, die dann passiert, wenn die "kompromisslose Gangart des Humanismus" anschlägt und Reaktionen auslöst. "Sie erhalten nirgends so viel Aufruhr und Dissens für jeden gespendeten Euro wie bei uns." Das ist doch einmal eine frohe Botschaft in dieser um Spendenbitten so reichen Vorweihnachtszeit. Nun hat das ZPS ein "fingiertes" Denunziationsportal aufgemacht und mit dem Honeypot nach eigenen Angaben Neonazis identifiziert, die in Chemnitz bei der Keinhetzjagd dabei waren. Dabei will man auch Geld an Nazis gezahlt haben, die ihre Kumpels verpfiffen haben. Nun gibt es etliche Debatten, ob die Aktion politisch oder gar ästhetisch eine gute Idee war. Ein anderer Strang diskutiert die Aufforderung der Künstler an Unternehmen, "Haltung zu zeigen": Nicht nur gespendete Euros bewirken Aufruhr, auch eingesparte Euros für rechtsradikale Arbeitskräfte. Die Zuweisung der Besucher erfolgte in größtmöglicher Schlichtheit: "Viele von Euch braunen Mobbern haben dann sofort die Suchfunktion genutzt und oftmals zuerst den eigenen Namen gesucht. Die Suchdaten wurden gemäß Datenschutzbestimmung wie bei allen Web-Suchdiensten mitgeloggt und einer pseudonymisierten Benutzerkennung zugewiesen. Als nächstes haben mehr als 62 Prozent der relevanten Besuchergruppe unsere Datenbanken nach Familienangehörigen durchforstet, bevor im Schnitt nach 6,72 Freunden oder Bekannten gesucht wurde."

*** Zum aufgestellten Honeypot gibt es eine Beschreibung, die wirklich weh tut: "Wir arbeiteten mit Experten der Bilderkennung, künstlichen Intelligenz und Algorithmik. Und wir bauten eine Webseite mit einem einzigen Ziel: Ihr liefert uns Euer gesamtes Netzwerk selbst aus und zwar ohne es zu merken. Das wichtigste Element dieser Seite: die Suchfunktion. Über die Suche habt Ihr uns mehr mitgeteilt, als öffentlich zugängliche Quellen je verraten hätten." Experten der Bilderkennung, der künstlichen Intelligenz und der Algorithmik sollen bei dem gelb-schwarzen Imitat der Hamburger G20-Soko "Schwarzer Block" mitgearbeitet haben. Sollte dies wirklich stimmen, wird das Bild des unpolitischen Informatikers wieder aufgefrischt, der da eifrig mitmacht, die 2000 Datensätze zu komplettieren, die nach Angaben des ZPS vorhanden sind. Da ist die ganze Debatte über die fehlerhafte Datenschutzerklärung und der "Datenschutzbestimmung" des ZPS nur ein kleines Teilchen dieser aufgehäuften Müllhalde, wenn auch ein sehr deutsches. Was bleibt von der Aktion übrig als die Erkenntnis, dass auch Künstler Trolle sein können? Oder muss man von einer Nazi-Schufa reden? Wie wäre es mit der Umbenennung in Zentrum für politische Selbstgefälligkeit oder in die Umfirmierung als Suchmaschinenaufruhroptimierer (SAUO)?

*** Unterdessen gab es wieder einen G20-Gipfel, diesmal in Argentinien. Während dort US-Präsident Donald Trump mit seinem chinesischen Amtskollegen Xi Jinping verhandelte, wurde zeitgleich in Kanada Huaweis Finanzchefin Meng Wangzhou festgenommen, die Tochter des Huawei-Gründers Ren Zhengfei. Die Verhaftung der chinesischen "Prinzessin" dürfte ein Streich des US-Präsidenten Trump sein, dem bekanntlich seine Familie über alles geht. Das spektakuläre Timing der Aktion gibt in vieler Hinsicht Rätsel auf, vom notorisch beliebten Huawei-Bashing ganz zu schweigen, das diesmal von einem EU-Kommissar betrieben wird.

*** Kanada ist einer der 5Eyes und wird die Aktion nicht ohne vorherige Absprache durchgeführt haben, vielleicht sogar auf dem Gipfel in Argentinien durchgeführt. Darauf deutet auch die harte Haltung hin, eine Freilassung auf Kaution abzulehnen. Der "Handelskrieg" zwischen den USA und China dürfte zur Verhaftung von US-Managern in China führen, wo sich gerade unser Bundespräsident Steinmeier aufhält und den Wert der Menschenrechte verkündet. Wie heißt es so schön im meistübersetzten Dokument der Welt: "Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geist der Brüderlichkeit begegnen." Der morgen anstehende Tag der Menschenrechte kann geknickt/gefeiert werden.

*** Ganz nebenbei wird die Haltung des Anwaltes von Assange verständlich, der dem "Deal" – kurze Haftstrafe in Großbritannien wegen Verletzung der Bewährungsauflagen – nicht zustimmen will. Auch Großbritannien gehört zu den 5Eyes und muss von den USA bei der Aufklärung der Frage beistehen, inwieweit Wikileaks an der großen "Collusion" beteiligt war oder auf Twitter selbst agierte. Wie das gehen kann, zeigt eine gerade veröffentlichte wissenschaftliche Studie. Bleibt noch Australien übrig, das sich in dieser Woche ein Gesetz zugelegt hat, nach dem die Verschlüsselung von Inhalten mit tätiger Mithilfe von Providern und Software-Herstellern gebrochen werden soll. Natürlich nur beim Vorliegen einer schweren Straftat und dem Verdacht auf terroristische Umtriebe, aber ein Einstieg in die Kriminalisierung von Kryptografie ist gemacht.

*** Mit der Wahl von Annegret Kramp-Karrenbauer hat Bundeskanzlerin Angela Merkel immerhin erreicht, den Merzinfarkt im deutschen Journalismus zu verhindern. Außerdem wurde Jens Spahn als Scheinriese enttarnt. Da kann es jetzt ja weiter gehen mit den Fortschritten, die künstliche Intelligenz zu einem europäischen Airbus-großen IT-Unternehmen auszubauen und sich ein Stück weit auf das noch nicht beschrittene Terrain einzulassen. Auch für Jens Spahn gibt es genug zu tun, hat doch die deutsche Datenethikkommission (DEK) getagt und ihre "Empfehlungen für eine partizipative Entwicklung der elektronischen Patientenakte (ePA)" veröffentlicht. Die ePA des souveränen Patienten soll im Namen einer digitalen Gesundheitskompetenz gestaltet werden und keine undurchsichtige App mit Sicherheitsmängeln sein. Das wäre mal ein Fortschritt. Wo wir bei diesen Schritten auf dem fast noch neuen Terrain sind, können wir auch die Abnahme der e-Akte Bund begrüßen, die nun im Justizministerium eingeführt und getestet wird. Natürlich gibt es auch Rückschläge zu vermelden. Nehmen wir nur das schwächelnde De-Mail-System. Wer De-Mails an das Bundesverfassungsgericht schickt, um eine Verfassungsbeschwerde einzureichen, hat keine Chancen, da nur "körperliche Schriftstücke" zugelassen sind. Selbst wenn eine De-Mail mit dem Sicherheitsniveau "hoch" eintrudelt, unterläuft sie die Schriftformerfordernis.

Was wird.

Alles wird gut. Open Source hat den Browser-Krieg gewonnen, die Weihnachtswunschzettel machen die Runde und während einige leicht abirrend den 50. Geburtstag der 1963 entwickelten Maus feiern, tummeln sich die wahren Freaks auf einem Tastatur-Festival oder kaufen alte oder neue Tastaturen. Nichts tut so gut wie ein kräftiger Hau auf die Tasten, da kommt das Streicheln eines Tablets, das Schubsen einer App nicht mit.

Das ist ja eben das Problem mit Google und Facebook, die alles daransetzen, "Menschen auszuspionieren, auszuwerten, politisch zu manipulieren und ihnen letztlich auch die Seele und ihre Autonomie zu rauben und durch einen Algorithmus zu ersetzen." Meint Jaron Lanier, der sicher nicht für einen Airbus oder einen Transrapid der KI arbeiten würde.

Der schon in der letzten Wochenschau erwähnte Heilsbringer hat im Silicon Valley beobachtet, wie ultralibertäre und ultralinke Ansichten sich vermischen und dann gemeinsam nach Neuseeland auswandern. Positiv gesehen ist Lanier wenigstens kein Anhänger der Hufeisentheorie. Negativ gesehen ist tatsächlich bald Weihnachten. Süßer die Türchen nie klappen. Aber es geht ja weiter, nicht nur im Kleingedruckten. Auch wenn der eine oder andere nach diesem wuseligen 2018 schon jetzt vom Burnout geplagt wird.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. Big Brother is loving you.
Beitrag von: SiLæncer am 16 Dezember, 2018, 08:00
Sicherheits-Paranoiker haben ihr Neusprech gut gelernt. Gut immerhin, dass doch viele den "Sieg über sich selbst" nicht feiern wollen, hofft Hal Faber.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** He gazed up at the enormous face. Forty years it had taken him to learn what kind of smile was hidden beneath the dark moustache. O cruel, needless misunderstanding! O stubborn, self-willed exile from the loving breast! Two gin-scented tears trickled down the sides of his nose. But it was all right, everything was all right, the struggle was finished. He had won the victory over himself. He loved Big Brother.

Vor 70 Jahren, am 15. Dezember 1948, öffnete der Verleger Fred Warburg ein dickes Päckchen, das von der Insel Islay kam und begann mit der Lektüre "des wichtigsten Buches meines Lebens", wie er später schrieb. Der Schriftsteller George Orwell hatte ihm sein letztes Werk "The Last Man in Europe" geschickt. Warburg war sich sofort bewusst, was für ein Werk er da in den Händen hielt und schrieb an seine Kollegen: "Wenn wir es nicht schaffen, 15 - 20.000 Kopien zu verkaufen, gehören wir erschossen." Die Kollegen hatten Einwände. Ein Lektor schrieb, das Buch sei voller unverständlicher Neologismen und müsse erst einmal in korrektes Englisch übertragen werden. Nicht auszudenken, was aus Orwells Werk ohne Worte wie Neusprech/Newspeak oder Deldenk geworden wäre.

*** Die erste Inspiration für sein Neusprech verdankte Orwell einem Buch über die amerikanische Management-Kultur, das der ehemalige Trotzkist James Burnham 1941 veröffentlichte. Orwell besprach das Buch, in dem das "Regime der Manager" seziert wurde, ein universalen System, in dem sich in der westlichen wie in der sowjetischen Welt eine technisch-wissenschaftliche Managerklasse mit eigener Sprache durchgesetzt hat, die die Herrschaft der Manager mit hübschen Begriffen ummantelt. Ob Faschismus oder Stalinismus oder Monopolkapitalismus, in all diesen Totalitarismen sitzen Manager an den Schalthebeln, verdecken aber ihre Funktion mit dem, was Orwell später upsub nennen sollte. Zum Zeitpunkt seiner ersten Buchbesprechung war Orwell von dem Machiavellismus angewidert, den er bei Burnham fand. Erst in den Zweitgedanken über Burnham ging er auf dessen Argumente ein.

*** Heute ist Neusprech und Vernebelung dieser Art tief in unseren Alltag eingesickert. Man denke nur an den "Gefährder", der in einer "Vorfeldmaßnahme" nach den neuen Polizeigesetzen wie dem in Nordrhein-Westfalen in Gewahrsam genommen werden kann, wenn "weder Ort und Zeitpunkt der bevorstehenden Begehung der Straftat noch ihr potenzielles Opfer bekannt sind". Vergessen wir die Habeas Corpus-Rechte, hier muss doch der Sicherheits-Manager handlungsfähig bleiben! Man kann das weiterdenken: Erst dann, wenn alle auch noch mit einer Fußfessel ausgestattet sind, wird so ein Terror-Anschlag wie jetzt in Straßburg schnellstens unterbunden. Oder?

*** Orwells Neusprech wurde glücklicherweise nicht verändert und so entstand mit Nineteen Eighty-Four das wichtigste Buch über das Leben im Überwachungsstaat, bis heute von unverrückbarer Aktualität geprägt. In einer Zeit, wo wieder über Facecrime diskutiert wird, in der die heimliche Gesichtserkennung salonfähig oder bühnenfähig gemacht wird und es ein fürchterlicher Neusprech wie Ankerzentrum auf den dritten Platz beim "Wort des Jahres" bringt, ist "1984" weiterhin aktuell. Übrigens kann auch der Sieger "Heißzeit" im weiten Sinn dazu gerechnet werden, verdrängt das Wort doch die eigentliche Ursache, die langanhaltende Trockenheit, aus dem Kopfe.

*** Nineteen Eighty-Four erschien im Juni 1949 im Verlag Secker & Warburg und wurde aus dem Stand weg ein großer Erfolg. Das dreizehnte und letzte Buch von George Orwell wurde in Großbritannien zum Buch des Monats, später zum Buch des Jahres gewählt, während in der Sowjetunion die Prawda Orwell als "Feind der Menschheit" bezeichnete. Das Lächeln des großen Bruders mit dem dunklen Schnauzbart wurde als Verweis auf Stalin gewertet. Die deutsche Übersetzung erschien – von der CIA finanziert – in der Zeitschrift Der Monat. Die Nutzung als Propaganda im Kalten Krieg verärgerte Orwell. Kurz vor seinem Tod schrieb er: "Mein jüngster Roman ist nicht als Angriff auf den Sozialismus oder die Labour Party gedacht. Er will die Perversionen aufzeigen, die eine Kommandowirtschaft mit sich bringt und die zum Teil im Kommunismus und im Faschismus bereits Wirklichkeit geworden sind. Ich glaube auch, dass sich totalitäres Gedankengut überall in den Köpfen der Intellektuellen festgesetzt hat, und ich habe zu zeigen versucht, wohin dies in letzter Konsequenz führen muss. Das Buch spielt in England, um zu zeigen, dass die Englisch sprechenden Völker von Natur aus nicht besser sind als andere und dass der Totalitarismus, wenn man nicht dagegen kämpft, überall triumphieren kann."

*** Mit einem kleinen neckischen Buchstabendreher ist die deutsche Software Orvell inzwischen eine Do-It-Yourself-Überwachungs-Software für den inner-partnerschaftlichen Heimgebrauch. Wo man sich fremdliebt, ist der Big Brother von Minilieb zur Stelle. Legal, egal. Warum so hoch hängen? Mit seinem Buch unter dem Titel "Jenseits von 1984" plädierte der Wissenschaftler Sandro Gayken 2013 für eine "Versachlichung der Debatte" um Datenschutz und staatliche Überwachung. Dieser Tage hat er einen Artikel zum Paris Call for Cybersecurity veröffentlicht und sich Gedanken über den Mythos vom bösen Hacker gemacht, die auf vertrackte Weise an Orwells Warnungen vor einer Welt der Totalitarismen anschließen. Gerade weil autoritäre Regime keine Skrupel haben, offensive Cybermaßnahmen durchzuführen, müssen Rechtsstaaten offensiv hacken dürfen, um sich zu schützen. Auch den guten Hackern muss es erlaubt sein, Schutzlücken zu nutzen und zu horten. Eine Beschränkung, gar ein Hackback-Verbot würde eine einseitige Maßnahme sein, "die zu stark asymmetrischen Nachteilen gegenüber cybertechnisch aktiveren Staaten oder autoritären Regimen führen würde." Übersetzen wir das Plädoyer des NATO-Beraters: Im Kampf gegen Ozeanien und Ostasien muss auch Eurasien gewappnet sein, dann wird alles gut.

*** Nichts ist übrigens gut geworden beim Digitalpakt in dieser Woche. Die Finanzierung der Schulen ist vorerst gestoppt, ein Vermittlungsausschuss soll vermitteln, ein Wort, das Neusprech-Qualität hat. Vor allem aber soll eine Änderung des Grundgesetzes verhindert werden, die heilige Kuh heißt Kultusministerium. Das wäre ja noch schöner, jetzt, wo das Grundgesetz als schickes Magazin für den weihnachtlichen Gabentisch herauskommt. Der Bund hat keine Ahnung von der Digitalisierung der Schulen und kann nicht einmal Lehrer backen. "Ich sage nur: BAMF, Kraftfahrzeugbundesamt, Eisenbahnbundesamt, Bundeswehr", keulte der grüne Ministerpräsident Kretschmann dieser Tage. Besonders vermittelnd hört sich das nicht an. Nunja, vielleicht reicht der Etat, dass die Schulen sich mit Orwell-Lektüren für den Unterricht eindecken.

*** Wenn wir über "1984" reden, darf die rote Hose nicht fehlen, denn "1984 wird nicht '1984'", wie Apple es in seinem berühmten Werbespot für den Macintosh formulierte. Man mag von Apple halten, was man will (und ich gestehe, dass ich besonders iOS und solch abgestürzte Anwendungen wie iTunes eher, nun, wie soll ich es höflich formulieren, äh... etwas ablehnend gegenüberstehe) - Tim Cooks Warnungen vor Datensammelei sind wohl ernst gemeint und ernst zu nehmen. Apple wusste das aber immer schon auch geschäftstüchtig zu nutzen, nicht nur in solchen Werbespots, die deutlich gegen die grauen (oder eigentlich blaugewandeten) IBM-Typen gerichtet waren. Wie kommentierte ein Nutzer den 1984-Spot: "Looks kinda like people watching the annual Apple Keynote ..." So ändern sich die Zeiten. Und die Aktualität von 1984 ist erschreckenderweise so weit gediehen, dass manches zu kurz gegriffen erscheint. Und anderes wieder schon alltäglich geworden ist: Ein Computer mag auch gegen die Überwacher helfen können, Neusprech gibt's aber nicht nur bei den Sicherheits-Paranoikern, sondern eben auch im Silicon Valley. Apple nicht ausgenommen.

Was wird.

Die anstehende ach so besinnliche Weihnachtszeit inmitten der "Eiszeit" ist eine gute Zeit, sich an die Folter zu erinnern, unter der Winston Smith und Julia zerbrechen, um anschließend umerzogen zu werden. In dieser Woche erhielten alle Bundestagsabgeordneten, auch die Nichthammelspringer der AfD, von Amnesty International ein Exemplar der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte. So können alle den Artikel 5 studieren. "Niemand darf der Folter oder grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden." Unter Folter, das zählt auch die Antifolterkonvention der UN auf, fallen auch Androhungen wie die einer selbsternannten NSU 2.0, das zweijährige Kind einer Anwältin zu schlachten. Untereinander schickte man sich Hitler-Bilder zu. Da liegt die Frage nahe, ob die Polizei ein Nazi-Problem hat. Aber nicht doch. Alles wird gut.

Er blickte hinauf zu dem riesigen Gesicht. Vierzig Jahre hatte er gebraucht, um zu erfassen, was für ein Lächeln sich unter dem dunklen Schnurrbart verbarg. O grausames, unnötiges Mißverstehen! O eigensinniges, selbstauferlegtes Verbanntsein von der liebenden Brust! Zwei nach Gin duftende Tränen rannen an den Seiten seiner Nase herab. Aber nun war es gut, war alles gut, der Kampf beendet. Er hatte den Sieg über sich selbst errungen. Er liebte den Großen Bruder.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. Die Fappening-Edition.
Beitrag von: SiLæncer am 23 Dezember, 2018, 11:06
"Märchenfraktion". Tja. Was bleibt, ist ein schöner Text. Aber keine Information. Hal Faber geht weiter.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Das Fest der Liebe – und der Familie – steht vor der Tür. Ehe dieses Türchen geöffnet wird, befasst sich Hal Fabritius mit dem fappenden Journalismus.

*** Das hier, liebe Leserinnen und Leser, ist eine Nachricht, geschrieben von Gerald Himmelein von der c't-Redaktion. Ein Hacker wird verurteilt. Welche Strafe er bekommt, wie er vorgegangen ist und warum das Strafmaß so hoch ist, wird in der Nachricht erwähnt. Das war's. Von den Heise-Foristen wurde noch das Strafmaß diskutiert und auch die Frage, ob es wirklich ein "Hack" ist, wenn jemand die Funktion "Kennwort vergessen" nutzt, um ein Webmail-Konto zu knacken. Das war es dann.

*** Das hier ist ein ausführlicher Bericht über das Vorgehen des Hackers, geschrieben von Nate Anderson. Es wird deutlich, wieviel Energie der Hacker Christopher Chaney in seine Angriffe auf Mailkonten von Prominenten steckte und dass die "dunkle Unterwelt" des Web alles andere als dunkel ist. Gerade die Glitzerwelt der Hollywood-Promis ist für den Angriffsvektor "Social Engineering" anfällig, da viele "private" Details eben nicht privat sind und mit etwas Recherche die notwendigen Fakten und Namen gefunden werden können.

*** Das hier ist großer deutscher Journalismus. "Der Mann, der Hollywood in Angst versetzte", ist der Hacker Christopher Chaney. Angeblich hat Claas Relotius den Hacker mit der Häftlingsnummer 814 an fünf Tagen im Gefängnis besucht und im Besuchertrakt 5 mit ihm gesprochen. Danach schrieb er "mit beispielloser Leichtigkeit, Dichte und Relevanz" eine große Reportage über den Mann, dessen Augenhöhlen graue Abgründe sind, in denen es funkelt, wenn er von seinen Hacks erzählt. Und so geht das journalistische Fappening munter weiter, bis hin zu dem Unsinn, dass sich das andere Fappening mit den von Chaney erbeuteten Bildern an schwer erreichbare dunklen Unterwelt-Orten wie 4Chan abspielte. Das Ganze garniert mit feinfühliger deutscher Küchenpsychologie: "Es war auch die Leere in seinem eigenen Leben, die dazu beitrug, dass Chaney sich immer weiter in der Parallelwelt Hollywoods verlor. Er selbst hatte nie eine Freundin gehabt, war mit Anfang 30 noch Jungfrau. Auch hatte er nie weite Reisen unternommen, um die Welt zu sehen, oder war je abends ausgegangen."

*** Noch ein Schmankerl, noch eine Jungfrau? Diesmal nicht aus Jacksonville, sondern aus Fergus Falls, diesmal mit der Jungfrau Andrew Bremseth, 27, Stadtangestellter, der niemals das Meer gesehen hat. Ja so ist das Leben "In einer kleinen Stadt", wo es für überheblichen Kolonialismus-Journalismus Reporterpreise gibt: "Ich hatte das Gefühl, dass die Menschen dort froh waren, dass jemand aus Deutschland kam und ihnen zuhört." Kein Wunder, wenn einer wie Tom Kummer Verständnis hat für das journalistische Fappening und über Claas Relotius schreibt: "Grossartiger Autor, der ganz offensichtlich genau verstanden hat, was Journalismus ist und wie man ihm beikommt. Grossartige Reportagen. Ich kann nur nicht verstehen, warum ihm das alles im Nachhinein leid tut oder er sich sogar für "krank" erklärt. Ich lese meine Lieblingsautoren in den Zeitungen ja nicht, weil ich glaube, dass sie mir Fakten erzählen. Sondern weil ich ihren Stil mag, ihre Haltung. Guter Journalismus, der, den man gerne liest, hat mehr mit den Ramones oder David Bowie zu tun als mit Rudolf Augstein." Was für packende Sätze Kummer da im "regen Mailwechsel" raushaut. Oder?

*** Lieber Let's Dance oder Komm Tanz, das singt sich wahrlich besser als "Sagen was ist", wo selbst die Aufklärung über den fappierenden Journalismus gut geschrieben sein muss. Es soll ja Preise geben, da muss dann halt die Märchenfraktion an die Front. Sicher ist schon der nächste ambitionierte Journalist am Fappen, vielleicht eine unheimliche Mord-Geschichte dank kopierter Sprachhypnose mit Hilfe von Alexa, irgendwo in einem abgeschieden gelegenen Hotel, das leer steht und von einen hausmeisternden Schriftsteller bewohnt wird. Oder ein packender Bericht von einer medizinischen Behandlung der Knochenbrüche einer Meeres-Jungfrau, die die Fallhöhe des Urheberrechtes unterschätzte. "Gigantisch, los, hau rein", irgendwer bestimmt schon ruft.

*** Weihnachten, das Fest der Liebe steht draußen vor der Tür, doch für einen hat sich die Tür geschlossen. Der große deutsche Dichter F.W. Bernstein ist gestorben, was überall in den vom Kulturjournalismus betreuten Spalten zu langen Betrachtungen über das Drinnen und Draußen in der Kultur geführt hat. Aber warum? Der Reim muss bleim! Seinen Abschied hat F.W. im "Weinaxgedicht" beschrieben, das muss reichen.

Am Zweiten Weinaxfeiertag,
als ich grad im Schterben lag,
war im Flur ein großer Krach,
und der drang ins Schlafgemach.

Als ich dieses Lärmen hörte,
das mich so beim Schterben schtörte -
ich wäre eine dumme Sau,
schtürbe ich bei dem Radau,
bei so einem Heidenlärm
kann kein Schwein mehr ruhig schterm -

schtand ich auf und ging nach draußen,
sah dort meine Kinder zausen,
schlug ein Hühnerei entzwei,
briet mir draus ein Spiegelei
in der Küche, wo der Krach
nur noch schwach zur Tür reinbrach.

Derart wurd ich abgelenkt
und dem Leben neu geschenkt.
Dankbar aß ich noch ein Ei,
und dann kam der Tod herbei.

*** Auch Wolfgang Pohrt ist tot, was an dieser Stelle natürlich dazu führt, dass wir uns an Kapitalismus forever erinnern und den Satz zitieren, mit dem er als Kritiker des neuen Religionskrieges in Erinnerung bleiben muss. Er ist nach wie vor aktuell, man ersetze nur Bahrein durch ein anderes Land der Region. "Es ist ziemlich blöde, den Moslems Nachhilfeunterricht geben zu wollen, wenn man es nicht mal im eigenen Land schafft, die Ausfuhr von Waffen nach Saudi-Arabien zu verhindern, die von der saudischen Armee bei der Niederschlagung von Aufständen in Bahrain eingesetzt werden können."

Was wird

Während in den USA der dritte Shutdown des Jahres nach einem Wutanfall Trumps offenbar durchgezogen wird und mal wieder ein letzter Erwachsener die Regierung verlassen hat, bahnt sich hierzulande eine ganz andere große Kinderei an. Etwa 17.000 Menschen verwandeln das öde Leipziger Messezentrum in ein nerdiges La-La-Land, das ganz im Zeichen einer kleinen grünen Rakete und "Refreshing Memories" steht. Erwachsene spielen, während Kinder stempeln gehen, der CCC-Chor probt und ein monströser Fahrplan abgearbeitet wird. Spätestens am zweiten Tag wird es in den leucht-psychedelisch aufgepeppten Hallen zunehmend schwieriger, dieses "Sagen, was ist" durchzuziehen, wenn alle voll unter Sillivaccine stehen. Der Kongress beginnt ganz passend zu Trump mit den US-Wahlen 2020, die der Orangene auf Biegen und Brechen allein mit seinen Anhängern gewinnen will, ohne Hilfe von Putin. Da sind die Wahlmaschinen natürlich von besonderem Interesse.

Was die deutschen Verhältnisse anbelangt, könnte interessant sein, was CCC-nahe Mitarbeiter von Bundestagsabgeordneten über die Digitalisierung der Politik berichten, in der Faxgeräte immer noch eine große Rolle spielen. Das Ganze muss als Antidot zu den großspurigen Digitalgipfeln und Digitalklausuren der Bundesregierung aufgefasst werden. Auch zu den kleinen Dingen gibt es genug zu hören und zu sehen. In Ergänzung zu dieser fesselnden Reportage gibt es Vorträge zum BAMF und der dort benutzten Hard- und Software. Denn natürlich entscheiden heute Computer über Tod und Leben, nicht die Akhlaq.

Im neuen Jahr geht es munter weiter, wenngleich nicht ganz so anspruchsvoll wie in Leipzig. Die Truppe von Digital, Life, Design, die kurz vor dem Weltwirtschaftsforum in Davos ("Globalizatzion 4.0") in München mit Facebooks Sheryl Sandberg als Keynote-Star das neue Land von Digitalien feiert, hat sich ganz im Sinne von Claas Relotius für Optimism & Courage als Motto entschieden, bei Ticketpreisen ab 3450 Euro. Weiter geht es dann etwas günstiger im Norden der Republik mit dem Motto Land hat Zukunft. Digital., was manche an eine Bundeswehrkampagne erinnert. "Der echte Norden", das war einmal.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. Make Orwell Fiction again. Nicht nur am Ende eines Jahres.
Beitrag von: SiLæncer am 30 Dezember, 2018, 11:00
Seltsames Jahr. Nun ist es zu Ende. Hal Faber aber macht nicht in Traurigkeit, sondern blickt hoffnungsvoll, unverbesserlicher Optimist, der er ist.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Rückblicke, Schmückblicke. In diesem Jahr gab es bereits so viele, dass ich nicht die treuen Leser dieser Wochenschau mit einer weiteren Ausgabe langweilen möchte. Es gab diesen Rückblick, basierend auf Zugriffszahlen und Leistungsstatistiken, es gab den Rückblick bei den Kohlenstoff-Fossilen, den der Kollegen von der vordersten technologischen Front und es gab das Fazit aus dem Newsroom und die Bilanz der Gamer und der Uplinker. Ganz zum Schluss kam der Rückblick des Chaos Computer Clubs hinzu, einer Vereinigung von leitenden Kreaturen mit einem Hang zur Selbstdarstellung. Leise weinten die Erfa-Kreise. Wer mit der Zeit geht, ist mittlerweile ein Hackerspace geworden, ein nom de plume für mächtig kreative Sachen.

*** Von der mächtig gewachsenen Hacker-Versammlung zwischen den Jahren ist auch das Motto dieser kleinen Wochenschau abgestaubt, als guter Vorsatz für das nächste Jahr, das sich zum Einlauf bereit macht. Das Buch, das Orwell zu einem Synonym für den Überwachungsstaat machte, ist an dieser Stelle vor wenigen Tagen besprochen worden. "Make Orwell Fiction Again" sollte damit verständlich sein. Es gilt, den Überwachungsstaat mit seinem Neusprech und Denkrechts zu verhindern, die Rede vom Menschen als "Gefährder" als das zu enttarnen, was sie ist: Gesinnungsterror.

Träume, wenn Du kannst, von einer trauernden App. Das Handy ist unserem psychischen Knochen gefährlich nahegekommen, bis zu einem Punkt, an dem die beiden nicht mehr getrennt werden können. Wenn mein Telefon nur leise weinen könnte. (Geert Lovink, Programmierte Traurigkeit. Vom Leben in den Ruinen der Luftschlösser der digitalen Kommunikation. Lettre International 123)

*** Man nehme nur die Deutsche Polizeigewerkschaft von Rainer Wendt, die da fordert, dass das Jahr 2019 das Jahr der inneren Sicherheit werden soll und damit die Stimmung aufheizt, nur um die aufgeheizte Stimmung in den politischen Debatten zu beklagen. Sie sieht viele "Gefährder" links wie rechts und fordert Vorratsdatenspeicherung für alle und Beweislastumkehr im Kampf gegen Banden und Clans. Wo seiner Ansicht nach ringsherum Gesellschaften instabiler werden und die Stimmungen aggressiver, will Rainer Wendt ein ordentliches deutsches Deutschland, in dem es kein "Staatsversagen" bei den Abschiebungen gibt und keinen "Kontrollverlust" in der Zuwanderungsfrage. Das ist nah an den Gedankengängen der sich weiter rechtsradikalisierenden AfD. Das alles kommt vom Chef einer (wenn auch kleinen) Polizeigewerkschaft, nicht von einer rechtsradikalen Whatsapp-Gruppe von Polizisten.

*** 2018 war das Jahr der Abschiede. Spektakulär geriet der von Hans-Georg Maaßen, der seinen Verfassungsschutz gerne als "Dienstleister der Demokratie" bezeichnete. Ausgerechnet Maaßen als Chef dieses Dienstleisters irrte sich gründlich, als er der "Tagesschau" unterstellte, von Hetzjagden in Chemnitz gesprochen zu haben. Nach diesem Patzer musste er das Amt verlassen, wurde befördert und schließlich doch in den Ruhestand abgeschoben, nachdem er sich mit einer selbstgefälligen Rede in einem "Club" der Geheimdienstchefs noch einmal in die Nesseln setzte. Nun jammert Maaßen über die öffentliche Herabwürdigung seiner Person. Wir warten auf die packende Spiegel-Geschichte über den verzweifelten Chef-Schnüffler.

Wie Langeweile ist Traurigkeit keine Krankheit. Egal wie kurz und mild, Traurigkeit ist die seelische Grundverfassung der Online-Milliarden. Ihre ursprüngliche Intensität verschwindet wieder, sickert heraus und geht über ein eine allgemeine Stimmung, einen chronischen Hintergrundzustand. Gelegentlich – für einen kurzen Moment – spüren wir den Verlust. Eine brodelnde Wut kommt auf. [...] Die anderen sollen uns bewegen, erregen, und trotzdem fühlen wir nichts mehr. Das Herz ist eingefroren. (Geert Lovink, Programmierte Traurigkeit. Lettre International 123)

*** Ein weiterer Abschied im Jahre 2018, verbunden mit einem bemerkenswerten Umstieg dürfte die IT-Szene noch 2019 beschäftigen. Als ehemalige McKinsey-Beraterin und als Chefin der Bundeswehr-Abteilungen Ausrüstung und Cyber/Informationstechnik war Katrin Suder praktisch die Nummer 2 hinter Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen, ehe sie Knall auf Fall auf eigenen Wunsch die Bundeswehr verließ, nicht ohne feierliche Serenade. Ihr Umstieg kam wenig später, als sie als Leiterin des Digitalrates wieder auftauchte. Einen weiteren gehobener Posten hat sie an der Hertie School of Governance, wo sie über Verteidigung im digitalen Zeitalter doziert. In der Bundeswehr-Berateraffäre zeigte sie sich aussageunwillig, wird aber vor den Parlamentariern 2019 erscheinen müssen, wenn ein Untersuchungsausschuss gebildet wird. Transparenz ist eine Zierde.

Der Mensch kann nichts wollen, wenn er nicht zunächst begriffen hat, dass er auf nichts anderes als auf sich selber zählen kann, dass er allein ist, verlassen auf der Erde inmitten seiner unendlichen Verantwortlichkeiten, ohne Hilfe noch Beistand, ohne ein anderes Ziel als das, das er sich selbst geben wird, ohne ein anderes Schicksal als das, das er sich auf dieser Erde schmieden wird. (Jean-Paul Sartre, Zum Existentialismus. Eine Klarstellung.)

*** Mitten in der Nacht tauchte US-Präsident Trump im rheinland-pfälzischen Ramstein auf, ließ sich für ein paar Selfies umarmen und schrieb Autogramme auf rote Caps. Die Relais-Station für den Drohnenkrieg im Nahen Osten, in Jemen und in Afghanistan sollte auch etwas haben von der Weihnachtsreise in den Irak, von der brisantere Bilder veröffentlicht wurden als die Selfies mit Trump. Dann ging es zurück über den Teich, ein Besuch in Kallstadt war nicht drin. So etwas schaffen nur hartgesottene Spiegel-Reporter, die dem eisigen Wind trotzen und den Saumagen bewundern. "Die USA können nicht der Weltpolizist sein", so Trump bei seiner Stippvisite im Irak. Die Folgen des US-Rückzugs in Syrien sind bereits dramatisch, doch der Verrat hat Geschichte. Zwar bekommen die Kurden die zurück gelassenen Waffen, doch das reicht nicht, wenn Erdogan Soldaten schickt. So triumphiert Assad, wieder einmal.

Was wird

Ma hûn kurdî dipeyive? Sprechen Sie Kurdisch? Das wird eine Frage sein, die in Zukunft die Ausländerbehörden und das BAMF schwer beschäftigen wird, wenn die demokratischen kurdischen Politiker vor den Schergen Assads und Erdogans fliehen und ins Exil gehen müssen. Wobei Syrien jetzt schon Spitzenreiter bei den Asylanträgen ist.

Personen-Identifizierungskoffer des BAMF

Allein an Hand der BAMF-Schulungsunterlagen hat die Journalistin Anna Biselli untersucht, mit welcher Software beim BAMF die Smartphones von Flüchtlingen analysiert werden, um herauszufinden, ob sie wirklich aus einer Region stammen, in der sie verfolgt werden. Auf dem Chaos Computer Congress hat sie dazu einen engagierten Vortrag gehalten und parallel dazu einen Artikel in der tageszeitung veröffentlicht. Besonders kritisch ist es offenbar um die Software zur Sprachanalyse bestellt, "sprachbiometrisches Assistenzsystem" genannt. Zwei Minuten lang müssen Asylsuchende ein Bild beschreiben, dann wird die Aufnahme von einer Software analysiert und die Sprache oder der lokale Dialekt des Sprechers ermittelt. Die Software arbeitet mit einer Fehlerquote von 15 Prozent. Besonders fehlerhaft sollen die Erkennungsraten kurdischer Sprachdialekte sein. "Wir sind ein scheißreiches Land mit bescheuerter Software", in dem Computer über Asyl entscheiden, erklärte die wütende Journalistin unter großem Beifall.

Die soziale Wirklichkeit erteilt uns keine Erlaubnis, uns zurückzuziehen. [...] Die Vorstellung, zur Dorfmentalität des Ortes, der früher als das "wirkliche Leben" bekannt war, zurückzukehren, ist in der Tat beängstigend. (Geert Lovink, Programmierte Traurigkeit. Lettre International 123)

Beim BAMF sieht man das ganz anders. Dort hat die Software den Preis als bestes Digitalisierungsprojekt 2018 gewonnen. Und für 2019 hat man Großes vor: "Das "Sprachbiometrische Assistenzsystem" stößt, zusammen mit weiteren innovativen Verfahren aus der Digitalisierungsstrategie des BAMF, bei unseren europäischen Partnerbehörden auf großes Interesse. Als Vorreiter bei der Erschließung innovativer Technologien ist das Bundesamt ein gefragter Ansprechpartner und Ratgeber für die Entwicklung und Einführung ähnlicher Verfahren in unseren europäischen Partnerländern." Europaweit sollen Computer über Asylgesuche entscheiden. Selbst auf dem "Luftwaffenstützpunkt Nr. 1" von Ozeanien soll der Einsatz möglich sein.

Der begrenzten Möglichkeiten der individuellen Sphäre bewusst, können wir uns aber auch nicht positiv mit der tragischen Manifestation des Kollektivs identifizieren, das als Social Media bezeichnet wird. Wir können weder zum Mystizismus noch zum Positivismus zurückkehren. Der naive Akt der Kommunikation ist verlorengegangen – und darum weinen wir. (Geert Lovink, Programmierte Traurigkeit. Lettre International 123)

Ohnehin hat man beim BAMF viel zu tun. Zum neuen Jahr läuft die BAMF-Finanzierung der sogenannten Personen-Identifizierungskoffer (PIK) aus, von denen die Bundesdruckerei laut Antwort der Bundesregierung 1036 Stück zum Stückpreis von 10.000 Euro geliefert hat. Hier müssen noch Rahmenvereinbarungen mit den Ausländerbehörden und den Bundespolizeistationen abgeschlossen werden, damit die Identifizierungskoffer weiterhin genutzt können und technischer Support gewährleistet ist. Zwar droht kein Government-Shutdown wie in den USA, wo Regierungsangestellte sich mit Maler-Jobs und Putzarbeiten über Wasser halten, nur ein kleineres Versorgungs- und Unterstützungsproblem in einem ziemlich reichen Land. Ach ja, in einem Land, in dem ab Dienstag die Diversität anerkannt ist und gelebt werden kann.

Der Mensch ist zur Freiheit verurteilt. (Jean-Paul Sartre, Der Existenzialismus ist ein Humanismus)

So fängt bald ein neues Jahr an, in dem wir nicht nur gegen minderbemittelte Rechtspopulisten, sicherheitsparanoische Polizeigewerkschafter und vergleichbare Spinner unsere Freiheit verteidigen. Und vielleicht sogar das Ende von Social Media, wie wir es bislang kennen, erleben. Nicht allein wegen der individuell erzeugten Traurigkeit. Auch, weil all die Influencer und Poser schon weit über das Nerven hinaus sind und nur noch eine traurige Leere hinterlassen, eine Hölle aus den jeweils anderen. Wir ziehen weiter. Zurück in die Zukunft, zu den Anfängen des Netzes. Mancher mag solchen Utopien anhängen, mancher davor als Dystopie zurückschrecken. Die User, die schon im abgelaufenen Jahr erste Absetzbewegungen zeigten, entscheiden. Nicht nur virtuell, auch IRL. Für die anerkannte Diversität, für die Freiheit und gegen die vereinfachenden Verführer. Vielleicht. Hoffentlich. Darauf eine kleine feinstaubfreie Rakete und einen Champagner-Tschunk, gerührt. Guten Rutsch!

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. Fressen oder Moral, das ist die Frage.
Beitrag von: SiLæncer am 06 Januar, 2019, 00:18
Bei all den Doppeldenkereien und Nicht-Ereignissen und Zwistigkeiten gibt es auch einen schönen musikalischen Geburtstag zu feiern, freut sich Hal Faber.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Entweder war es ein Profi, der sich als Skriptkiddie tarnte, oder ein sehr, sehr geduldiges Skriptkiddie, das eifrig in einer enormen Fleißarbeit Datenbröckchen sammelte und am Ende dastand wie ein Profi. Das wird sich zeigen, denn es sind eine Menge "Metadaten" vorhanden. Bis jetzt zeigt sich vor allem das elende Doppeldenk der Politik in seiner besten Form. Während der AK Vorrat frisch zum neuen Jahr gegen die allgemeine Vorratsdatenspeicherung angeht, führt der Angriff auf Vorrat bei den betroffenen Politikern zu Ausrastern. Das war der schwere Angriff auf die Demokratie, einer, vom dem Schönbohms Mannen und Frauen längst wussten, aber offenbar keinen Alarm schlugen, da man überall nur Einzelfälle sah. Na, sowas aber auch. Wie war das noch mit dem tollen neuen Leitbild, 2017 auf der CeBIT vorgestellt? "Das BSI als die nationale Cyber-Sicherheitsbehörde gestaltet Informationssicherheit in der Digitalisierung durch Prävention, Detektion und Reaktion für Staat, Wirtschaft und Gesellschaft." Gestaltete Informationssicherheit könnte ja damit beginnen, alle Betroffenen zu informieren, nicht nur einzelne (parteipolitisch genehme?) betroffene Politiker. Unterdessen reagiert die niedere Politik auf die übliche bizarre Weise, empört sich über die Destabilisierung der Demokratie, garniert mit dem idiotischen Ruf nach einem Cyberhackback.

*** Auch die sonst so alerten Hacker des Chaos Computer Clubs wurden überrascht, war der gruselige "Hackerangriff" auf ihrem Congress zwischen den Jahren ähnlich wie beim BSI kein Thema. Nun ist es eine Aktion aus dem rechten Lager, dort, wo die Trolle wohnen. Mein alter Kumpel Erich hat schon recht, wenn er schreibt: "Das da ist genauso zusammenphishtes random Glumpert wie die 'Macron Leaks', aber viel mehr und methodischer. Alle deutschen Lieblingsfeinde der Faschos. Eins Plus in Timing & Distribution. Die Handschrift der Andrew Auernheimer School of Disinformation." Politiker, die ihre digitalen Siebensachen nicht zusammenhalten und sichern können, fordern Sondersitzungen und illustrieren die Forderung keck mit einem Edvard Munch-Hoodie. Ja, schreien möchte man, wenn als Konsequenz dieser "Vorratsdatenspeicherung von Politiker-Daten" der Ruf nach einem schärferen Netzwerkdurchsetzungsgesetz laut wird.

*** War es wirklich Harmonie wie nie? War es gar eine politische Demonstration der Extraklasse, wie Netzpolitik jubelnd im bester Kitsch-Schreibe über den 35. Chaos Communication Congress schreibt? Es gab ja Kritik. Der Hackerblogger Fefe quengelte über Netzpolitik und vermisste seinen Kumpel Steini unter den Vortragenden. Versuchen wir es möglichst objektiv: Dieser Congress war auch der Ort, in der ein schwelender Zoff in der Hacker- und Aktivistenszene zum Ausbruch kam. Wie bei einem Vulkanausbruch verrutschte dabei das Land: der Chaos Computer Club und Netzpolitik gehen enger zusammen, zurück bleiben die mit dem Pesthörnchen, heute Digitalcourage genannt, früher unter dem Namen FoeBuD bekannt. Der Spendentrog wird umgeschichtet, die Prioritäten ganz im Sinne der Berliner Szene neu gesetzt. Womöglich gehen auch die beiden Veranstaltungsagenturen namens CCV GmbH und Newthinking Communications zusammen, man kennt das ja mit diesen "Synergieeffekten".

*** All der Ärger beim Wechseln der Loyalitäten entlud sich auf Twitter beim Netzaktivisten padeluun, der von einem gefestigten Odal spricht, einer internen Machtstruktur des CCC, über die alle Mitglieder zu schweigen hätten, ganz wie die Omerta bei Mitgliedern der Mafia. Dass ausgerechnet ein ausgewiesener Insider das Schweigen bricht, hat mit diesem Vortrag zur Hackerethik zu tun, den der Beherrscher des CCC hielt. Der, dessen Namen nicht genannt werden darf, betreibe mit solchen Vorträgen ein permanentes Whitewashing neben dem Paktieren mit Schurkenstaaten: schaut hin und brecht das Schweigen, ereiferte sich padeluun, der damit von den CCC-Bühnen verschwinden wird. Ausgerechnet beim letzten Kongress, beim ersten "großen" in Leipzig, hatte er so seinen letzten Auftritt, als er zusammen mit Rena Tangens und Wam Kat vom Zamir-Netzwerk im ehemaligen Jugoslawien berichtete, das die Kommunikation offen hielt, als die Brücken zwischen Serben, Kosovaren, Bosniern und Albanern längst abgebrochen waren. Das kann man prophetisch nehmen: "Wenn man nicht miteinander kommuniziert, kann man auch nicht vergeben."

*** Was ist dran an den Schurkenstaats-Vorwürfen? Hier muss man nicht auf die Firma GSMK Cryptohone schauen, die Andy Müller-Maguhn und Frank Rieger gehört. Hier lohnt sich der Blick in die Vergangenheit, als in der Datenschleuder ein Artikel unter dem Titel Letzter Ausstieg Gewissen erschien. Er beschreibt, wie Hacker aus dem Umfeld des CCC anfangen, Finfisher-Überwachungssoftware für die Firma Gamma-Group zu programmieren, dem Preisträger eines Big Brother Awards im Jahre 2012. Unter dem Titel Hacken, Fressen und der ganze Rest namens Moral gibt es eine Zusammenfassung auf heise online. Die pseudonymisierten "Simon" und "Bernd" schrieben Software, die Diktatoren einsetzen, um Oppositionelle auszuspionieren. Mit dem "Geständnis" und manch verständnisvoller Umschreibung des Seitenwechsels hin ins Dunkle und wieder zurück in ehrbare Sphären durch die Autoren der Datenschleuder war der Anschluss an den CCC wieder offen. Heute betreiben die beiden reuigen Sünder die Schweizer White-Hat-Firma Modzero und einer von ihnen gab auf dem Kongress in Leipzig einen OpSec-Grundkurs für den Hacksport. "Humorvoll" wurde erzählt, wie sich Hacker nicht erwischen lassen sollten.

*** So bleibt vom Vorwurf noch die Frage zu klären, die ebenfalls via Twitter auftauchte: War es mehr als nur der Sündenfall zweier junger Hacker, die Software wie Finfisher und FinFirewire schrieben? Wurde die Software gar in den Räumen des CCC Berlin geschrieben? Wurde das Whitewashing nur für ausgewählte Menschen aus dem Machtzirkel betrieben, während andere weiterhin in Verdammnis leben müssen? All dies lässt sich nicht (noch nicht/nicht mehr) zweifelsfrei belegen oder nur mit Relotius-Methoden zusammenschreiben. Was bleibt, ist die nicht gerade neue Erkenntnis, dass politischer Aktivismus und Transparenz sich mitunter ausschließen. Und jaja, der CCC ist politisch, gemäß der eigenen Mythologie, wie sie um den Tisch der Kommune I wabert, an dem der CCC gegründet sein soll. Was insofern Blödsinn ist, als der berühmte Tisch des sozialistischen Anwaltskollektivs von 1968 niemals der Kommune I oder der tageszeitung gehörte. Doch: When the legend becomes fact, twitter the legend.

Was wird.

Noch ist das chinesische Sozialkreditsystem nicht wirklich gestartet, konnte man auf dem Congress erfahren. So soll ein System krachend gescheitert sein, weil es viel zu viel Bestrafte und kaum Belohnungen oder Anreize vergab. Besonders beruhigend ist das nicht, denn die Vorbereitungen laufen weiter. Was dabei für Probleme auftreten und in der Zukunft à la mode de Orwell ausgeräumt werden müssen, kann man hier nachlesen. Die Zensoren müssen erst einmal die wahre Geschichte Chinas lernen, damit sie diese zensieren können. Das ist nicht neu, das wusste schon George Orwell und er sagte es in eleganten Worten: "He who controls the past controls the future. He who controls the present controls the past."

Dort, wo die Kontrolle versagt, beginnt zwar noch nicht das Reich der Freiheit, aber doch schon der Raum des Angenehmen. Ich weiß, dass es in etlichen Gitarrenläden verboten ist, Klampfen mit Stairway to Heaven zu testen, da allzuviele den Song massakrierten, aber zum 75. Geburtstag von Jimmy Page wird man ihn doch mal anspielen können. Oder die Interview-Fetzelchen zum 50. Band-Jubiläum anhören. Oder einfach nur an John Bonham gedenken, dem besten Drummer, ever. Aber auch schon an seinem Geburtstag vor 48 Jahren konnte jeder Jimmy Pages Grandezza und seine Meisterschaft und seine Inbrunst an der Gitarre hören, ganz ohne das unsägliche Stairway to heaven.

Es ist mir bis heute schleierhaft, wie Page auf der Liste der besten Gitarristen hinter Eric Clapton landen konnte. Gut, über Jimi Hendrix kann man sich unterhalten ...

Aber wie dem auch sei. Bei all den begnadeten Gnibblern, die noch unter uns weilen, aber mittlerweile wirklich in die Jahre gekommen sind, mag man Jan Stremmel zustimmen: "Männliche Rockmusik ist eine zu Tode erzählte Geschichte." Auch wenn Jack White daraufhin leichte Wutanfälle bekommen dürfte. Ob die Gitarristinnen, wie von Stremmel prophezeit, die Faszination der "rebellischen Männerbünde" und ihres manchmal in endlose Soli ausartenden Gitarren-Rock auf eine neue Ebene heben, das wollen wir erst noch sehen. Immerhin: Hoffnung besteht.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. Mit Erinnerungen an eine gescheiterte Revolution
Beitrag von: SiLæncer am 13 Januar, 2019, 09:00
Lehren werden gezogen, falsche Vorgehensweisen gerügt. Hal Faber aber lässt bald Doxing Doxing sein und feiert Erinnernswertes.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Hans-Mieth-Preis, AWO Mittelrhein Journalistenpreis, Herbert Quandt Medien-Preis oder Preis der Stiftung AtemWeg: Es gibt so viele deutsche Journalistenpreise wie DLG-prämierte Dauerwürste oder Fahrerlaubnisklassen mit all ihren Einschränkungen.

Das ist schön für Journalisten, denn die meisten Preise sind dotiert, die Einnahmen steuerfrei. Freuen wir uns also mit Timo Grossenbacher vom Team SRF Data, der in dieser Woche mit dem Journalistenpreis der Surveillance Studies ausgezeichnet wurde und das vom Team Telepolis gestiftete Preisgeld für eine Sendung über Predictive Policing gewinnen konnte.

*** Wenn es derart viele Journalistenpreise gibt, so gibt es noch viel, viel mehr Journalisten und sonstige Medienbetriebler, die in den Jurys sitzen und diese Preise vergeben. Gerade bei den "großen" Preisen, die einer wie Claas Relotius kassierte, ist das ein Schaulaufen in einer ganz besonderen Kategorie. Doch halt, das Schaulaufen trifft nicht ganz zu, denn öffentlich solche Jurys zur Schau stellen, das ist nicht comme il fault. Als am vergangenen Dienstag der streitlustige Götz Aly Namen nannte, wurden diese von der Redaktion zensiert. Natürlich aus Platzgründen. Omerta! Ausgerechnet auf Facebook ist der unzensierte Artikel mit den Namen der Jury-Mitglieder zu lesen, doch hier sei lieber auf den preisgekrönten, immer lesens- und finanzierenswerten Perlentaucher verlinkt.

*** Für alle Freunde des geblähten Blafasels gibt es frohe Kunde: diese Sorte Ausmal-Journalismus mit szenischem Einstieg stirbt nicht aus. Kleines Beispiel gefällig? "Fleißig ist er. Nacht für Nacht sitzt er vor dem Rechner im Haus seiner Eltern. Und sammelt. Telefonnummern, Adressen, Bankdaten, E-Mail-Konten." So beginnt der Artikel von Tanja Tricaro über den Spieler S. aus der hessischen Kleinstadt H., der "die Republik viele Tage in Atem gehalten" hat. Nacht für Nacht saß die Journalistin neben ihm, nur hin und wieder atmend. Leider fehlen Relotius-typische Gewinnersätze. Welche Musik hörte der junge Mann da Nacht für Nacht im Haus seiner Eltern beim Sammeln? Ist der 20-jährige noch Jungfrau? Und hat er gar noch nie das Meer gesehen? Da geht noch was! Im Artikel fallen ja noch andere Urteile, weil die Journalistin mit dem Aktivisten padeluun gesprochen hat, der den Mann als Cracker einordnet und seine Taten als typisch männliche Kinderkacke, einen möglichst großen Datenhaufen zu scheißen. Ja, diese traditionelle Männlichkeit aber auch, immer hat sie Folgen.

*** Neben der Erklärung, wie der Cracker gefunden werden konnte, bleibt es seltsam blass, wenn es zu den rechtsextremen Inhalten kommt, die von ihm im Internet verteilt wurden. Auch Aussagen über rechtsradikale Parteien wie AfD und NPD gehören dazu. Die fleißige Datensammelei hatte offensichtlich einen politischen Hintergrund. Hier nur von einem "Spieler" zu reden, der "fame" sammeln will, ist fahrlässig. Neben den guten und richtigen Lehren die aus diesem Doxing-Vorfall gezogen werden, muss gefragt werden, wie systematisch auf der rechten Seite Daten gesammelt werden, mit klarem Verwendungszweck, wenn man denn einmal "dran" ist. "Wir kriegen euch alle", wie es kurz auf Indymedia zu lesen war, ist eine solche Ansage. "Nazis raus" aus diesem Netz mag eine verständliche Antwort sein, bleibt aber missverständlich. Prompt gibt es Blödeleien, dass die flapsige Antwort grundgesetzwidrig sein soll.

*** Wo bleibt das Positive? Im Zuge all der Debatten über den furchtbaren Hackerangriff haben sich etliche Politiker bekleckert, angefangen mit der Forderung nach einem "Hackback" bis hin zur Forderung, ein ebenfalls gefordertes Cybercrime-Zentrum Plus in Thüringen anzusiedeln, wegen der zentralen Lage in diesem unseren Land. Den Vogel hat freilich der CSU-Politiker Stephan Mayer abgeschossen, der den Zusammenhang zwischen Sicherheitslücken und Staatstrojanern nicht zu kennen scheint. Alles nur Einzelfälle, wenn bei einem Terrorismusverdächtigen oder sonst einem Kapitalverbrechen "in die IT der betreffenden Person" eingegriffen werden muss, vom Smartphone über das Tablet bis hin zum Laptop oder seiner Cloud.

*** Auf das verwerfliche Doxing von Politiker- und Prominenten-Daten folgt das fröhliche Volksdoxing. Am heutigen Sonntag gibt es die größte Datenvereinigung aller Zeiten, wenn die Daten aller Meldeämter in einer Klartext-Datenbank zusammengeführt werden, nur zu Forschungszwecken, versteht sich. Die Aktion soll ein Testlauf für die große europaweite Volkszählung 2021 sein. Europa ruft, da darf man doch nicht kleinlich sein und mit dem Datenschutz fuchteln. Bis zu 26 Datenbröckchen pro Person wandern über das Netz. Die so entstehende zentrale Forschungssammlung dürfte ein Leckerbissen für Hacker, Cracker oder Kacker sein – sollte nicht doch noch der Eilantrag des AK Zensus die große Datenschmelze verhindern. Die ganze Aktion ist übrigens mit den Stimmen der SPD beschlossen worden, die gerade den neuen Datenschutzbeauftragten stellt. Er hat sich gleich zum Dienstantritt gegen intelligente Gesichtserkennung und die Vorratsdatenspeicherung positioniert. Ob das Argument "zum Wohle Europas" akzeptiert wird?

Was wird.

In diesem an Gedenktagen so proppenvollen Jahr, vom Bauhaus über die Weimarer Republik bis hin zum Geburtstag von Alexander von Humboldt, beginnt es heute schwer symbolisch und sehr politisch. Über 100.000 Menschen folgten im Januar 1919 den Särgen von Karl Liebknecht und 31 weiteren Toten des Berliner Arbeiteraufstandes – Rosa Luxemburgs Leiche wurde erst im Juni aufgefunden. Nach dem Beginn der Novemberrevolution schöpften Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht die Hoffnung, dass Deutschland auf dem Weg über die Demokratie hinein in eine Republik der Arbeiter-, Bürger- und Bauernräte wachsen könnte. Doch die Hoffnung währte nicht lange. Womit beide nicht rechneten, war die Haltung der SPD, die unter Friedrich Ebert und Gustav Noske das Militär und weite Teile der wilhelminischen staatlichen Verwaltung intakt ließen. Schließlich ließen sie sogar das Freikorps gewähren, diese Ansammlung ultra-aggressiver Männerphantasien schwer bewaffneter Proto-Faschisten.

Was zumindest Rosa Luxemburg nicht so recht wahrhaben wollte, war die bornierte Rolle der KPD beim Putschversuch namens Spartakusaufstand, den sie mit allen Mitteln verhindern wollte, weil die Planungen überhastet und unkoordiniert waren. Das gelang ihr nicht und so kam es nach der Niederschlagung des Aufstandes zum Mordbefehl an "führenden Personen", den Gustav Noske dem Freikorps-Kommandanten Waldemar Pabst gab. 1200 Menschen wurden in Berlin getötet, unter ihnen Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg. Sie wurde von Herrmann Souchon erschossen, der in der alten Bundesrepublik jeden verklagte, der ihn als Mörder bezeichnete – und damit Recht bekam. Noch 1969 schrieb Pabst sich einen historischen Ruhm für die Morde zu: "Tatsache ist: die Durchführung der von mir angeordneten Befehle ist leider nicht so erfolgt, wie es sein sollte. Aber sie ist erfolgt, und dafür sollten diese deutschen Idioten Noske und mir auf den Knien danken, uns Denkmäler setzen und nach uns Straßen und Plätze benannt haben!"

Berlin hat heute einen Rosa Luxemburg-Platz und eine Karl-Liebknecht-Straße. Dort, wo Rosa Luxemburg starb, gibt es heute den Rosa-Luxemburg-Steg, bei der Lichtensteinbrücke, über deren Rettungs-Ring Egon Erwin Kisch eine seiner berühmtesten "erzählerischen" Reportagen schrieb. Illustriert wurde sie vom sich selbst "Fotomonteur" nennenden Künstler und späteren Karikaturisten Viktor Kuron-Gogol. "Forsche Herren, monokelnd und näselnd, die nun kurzerhand übereinkamen, die 'Galizierin' um die Ecke zu bringen." Ein Quäntchen Revolutionsromantik kann man heute in Berlin ab 10:00 bei der üblichen Luxemburg-Liebknecht-Demonstration mit allen möglichen Linksparteien inhalieren. Das Motto lautet "Trotz alledem!" – nach dem Titel von Liebknechts letztem Text, der am Tag seines Todes in der "Roten Fahne" erschien. So strahlende letzte Sätze, wie Rosa Luxemburg sie über die ewige Revolution schrieb, werden heute eher schräg bestaunt: Ich war, ich bin, ich werde sein! Das sei, vor allem, wenn man Luxemburgs Kampf gegen den leninistischen Autoritarismus in einem totalitären Nach-Revolutions-Staat gedenkt: "Freiheit ist immer die Freiheit der Andersdenkenden" – was sie aber keineswegs als Bekenntnis zur liberalen freiheitlichen Demokratie und einem alle Strömungen der Gesellschaft einbeziehenden Diskurs verstanden wissen wollte.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. Von Gespenstern und Exzentrikern, oder: Ach! Europa, ach!
Beitrag von: SiLæncer am 20 Januar, 2019, 08:48
Manchmal, da sind Linke wie Rechte gleich bescheuert, ohne dass man gleich mit Querfronten kommen müsste, grummelt Hal Faber.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Ein Gespenst geht um in Europa und es heißt auch noch so: Mit Wumm haben die britischen Parlamentarier im Unterhaus das Brexit-Abkommen von Theresa May abgelehnt, nur um tags darauf genau diese Politikerin bei der Abstimmung über ein Misstrauensvotum zu unterstützen. Damit erreicht die britische Tradition, Europa für alles Schlechte verantwortlich zu machen, eine Art Tiefpunkt, mit der sich nun anschließenden Wahl, ob man sich in den Fuß oder in den Kopf schießen soll. Stiff upper lip, wie es schon die Königstochter Europa hielt, als sie am Strand von Sidon auf einen Stier traf, der, von ihr blumenbekränzt, mit ihr einfach davonschwamm.

Im aktuellen Fall sieht es allerdings so aus, als ob Großbritannien wegschwimmt. Die Briten taumeln auf ihrer Insel herum wie nichts Gutes und haben nicht einmal einen Neusprech-Giganten wie Alexander Dobrindt. Am Ende sind sie noch bei der Europawahl dabei, während ihre 73 Sitze längst abgebaut oder umverteilt sind.

*** Europa ist auch das große Thema von Ulrike Guérot, eine der Konferenzstars, die mit dem European Democracy Lab auch einen Think Tank zur Rettung Europas aufgebaut hat. Auch sie hat erfundene Zitate benutzt, um für Europa zu werben, aber immerhin eine originelle Erklärung parat, wie das passieren konnte. "Ich schreibe sehr viele Artikel. Und dann schleppt man Versatzstücke mit sich herum, eine Art Zettelkasten, und dann schleicht sich so etwas ein wie ein Trojaner im Computer." Zettels Alptraum gewissermaßen, wenn sich etwas aus dem Kasten im Kopf in den Text schleicht wie ein Trojaner in den Computer. Wozu der Trojaner anders als der Zettelkasten eine Sicherheitslücke braucht oder eben ein Passwort der Collection #1, Collection #2 oder weiterer "Zettelkästen".

*** Damit sind wir wieder beim vorgeblichen Superhack des Jahres 2019. Noch sind die Computer, Datenträger und die Daten-Backups bei den diversen Sharehostern nicht vollständig ausgewertet, doch bereits jetzt zeichnet sich ab, dass der mittelhessische Hacker nicht der Superstar im Hoodie war, als der er dargestellt wurde. Das hindert natürlich die einschlägigen Politiker nicht daran, nach Verschärfungen aller Art zu rufen. Selbst ein bundesweites Hoodie-Verbot wäre in dieser Logik denkbar. So passt es geradezu wunderbar, wenn ausgerechnet eine hessische Variante diskutiert wird, die auf der Herbsttagung des Bundeskriminalamtes Anfang Dezember in einem Vortrag präsentiert wurde. Vorhang auf für den neuen Straftatbestand des "digitalen Hausfriedensbruches" nach §202e StGB. Wie erklärte der Redner den Hausfriedensbruch unter dem Beifall der Kriminalisten? "Das Ziel des Entwurfs, der auch über Qualifikationstatbestände mit erhöhten Strafdrohungen verfügt, ist es, bereits das schlichte Gebrauchsrecht an IT-Systemen einem strafrechtlichen Schutz zu unterstellen, unabhängig davon, ob bereits Daten auf diesen Systemen verändert, ausgespäht oder zerstört worden sind."

*** Zugegeben, das hört sich etwas unpräzise an. Aber wozu gibt es das Dokumentationssystem des Bundesrates, in dem der hessische Vorschlag mit einem Beispiel präsentiert wird. "Das Opfer befindet sich im öffentlichen Raum, z. B. in einem Zug. Um zu telefonieren, gibt es den PIN-Code zur Entsperrung seines Smartphones ein. Der Täter beobachtet das und merkt sich die PIN. Anschließend, nachdem das Opfer sein Smartphone wieder eingesteckt hat, gelingt es dem Täter, das Gerät - vom Opfer unbemerkt - an sich zu bringen und es mittels des PIN-Codes zu entsperren, um anschließend private oder auch geschäftliche Daten auszulesen oder Fotos zu betrachten. Danach steckt der Täter das Smartphone zurück in die Tasche des Opfers." Als Laie würde ich hier von Blödheit im öffentlichen Raum auf der Opferseite sprechen und für den Täter einen klaren Fall nach §202a StGB, aber das reicht den Hessen nicht. Sie wollen vor allem härtere Strafen und ein strafrechtliches Rückgrat, das Politiker auf ihren Bahnreisen besser schützt.

*** In dieser kleinen Wochenschau war schon häufiger die Forderung zu lesen, den Verfassungsschutz mit all seinen Landesämtern aufzulösen, meistens mit Verweis auf diesen Aufsatz. Das Biosphärenreservat für rechtsorientierte Beobachter ist ein Fremdkörper in einer Demokratie, wie jetzt der jahrelang vom Verfassungsschutz beobachtete Jurist Rolf Gössner schreibt. Auch der "Prüffall" der AfD (vormals Aktionsgemeinschaft der Freunde der Diktatur) sowie der "Verdachtsfall" der Jugendorganisationen und die neue kornblumenblaue Partei ändert nichts daran und zeigt nur die Einfalt bei den Linken und Rechten. Sie sind jetzt bereit, den rechts ausfransenden Schlagschatten dieser Behörde zu ignorieren. Wer da aufatmet und von einem Schlag gegen die AfD spricht, hat vergessen, wie der Verfassungsschutz z.B. im Fall der Neukölner Brandanschläge ermittelte – ziemlich erfolglos und das mit System, wie eine ausführliche Recherche nachweisen kann.

*** Nicht minder problematisch ist es, wenn dieser Verfassungsschutz von 2015 bis 2018 im Auftrag des Familienministeriums zu fördernde Demokratieprojekte für das groß angelegte Programm Demokratie leben! mit dem Haber-Verfahren durchleuchtet. Postwendend müssen die Erkenntnisse des Verfassungsschutzes geheim bleiben, weil es um "Vertrauen" in der Demokratie geht bzw. Misstrauen unter allen 600 Einzelprojekten gesät wird. Welche der 51 nach dem Haber-Diwell-Erlass überprüften Projekte nicht demokratiefördernd sind und damit das Zusammenleben in dieser Gesellschaft gefährden und keine Förderknete bekommen, bleibt also vorerst unbekannt. Beim "Dienstleister der Demokratie" grinsen sie nur. Vertrauen ist gut, Misstrauen ist besser, frei nach Lenin.

Was wird.

Ein gewisser John Gauger und seine Firma RedFinch Solutions betreiben SEO-Optimierungen und andere Rosstäuschereien für seine Kunden, deren Namen streng geheim sind. Ehrensache, mit Schwur auf die Bibel. Auch gefälschte Meinungsumfragen und manche botgesteuerte Albernheiten auf Twitter gehören zum Service, doch ob die Geschichte rund um @WomenForCohen das Zeug hat, US-Präsident Donald Trump zu stürzen, darf getrost bezweifelt werden. Die Äußerungen aus dem Büro von US-Sonderermittler Mueller zeigen, dass es wohl nicht um eine schwerwiegende Beschuldigung geht. Dennoch wird die nächste Woche entscheidend sein, wie es mit dem US-Präsidenten weitergeht. Noch ist ein Kompromiss im Shutdown-Poker nicht in Sicht, doch eine Rede Trumps ist angekündigt. In Sichtweite ist allerdings der Super-Bowl im Mercedes Benz Dome in Atlanta. Wie die größte Massen-Veranstaltung der USA mit 1500 Sonderflügen mit reduziertem Sicherheitspersonal abgewickelt werden könnte, weiß derzeit niemand. Die Achterbahnfahrt hat gerade erst begonnen. Trumps Halbzeitbilanz an diesem Sonntagmorgen kann auch so beschrieben werden, als Politik am Rande des Abgrundes.

Ist es eine Sickergrube oder ist es eine labende Wasserstelle? Im Thymos treffen sie sich alle, ob sie nun Brexiter oder Gelbwesten oder gar AfD-Philisophen sind oder eben die Verteidiger von Donald Trump. Das Zauberwort ist isothymia, der Wunsch nach gegenseitiger Anerkennung, aber eben mit der geheimen Superkraft.

Als Francis Fukuyama über das Ende der Geschichte schrieb, erwähnte er Donald Trump, als Beispiel für einen überaus ambitionierten und exaltierten Menschen, dessen dringlicher Wunsch nach Anerkennung sicher in eine Karriere als Geschäftsmann und später als Showstar kanalisiert und gedämmt wurde. So kann man sich täuschen.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. Vom Heft des Handelns und anderen Hindernissen
Beitrag von: SiLæncer am 03 Februar, 2019, 09:26
Theresa May düst im WK2-Jagdflieger zur EU. Eine alte Rüstungsdebatte in Europa wird wiederbelebt. Und Deutschland kommt im Cyberraum voran, seufzt Hal Faber.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Es war etwas ungeschickt bebildert, hatte aber durchaus seinen Reiz. Denn die Spitfire-Jagdflieger, die in der Luftschlacht um England sich im Film so wunderbar elegant der deutschen Luftwaffe entgegenstellten, kündeten von einer Zeit, als Großbritannien wirklich Macht hatte. So die Ankündigung zu bebildern, dass May zur EU nach Brüssel fliegt, das ist doch ein hübscher Freudscher Verfilmer, für den man der BBC danken muss. Denn natürlich sind in den Augen der Brexit-Befürworter die Krauts hinter dem Teufels-Backstop, den es irgendwie mit "modernster Technologie" zu verhindern gilt. Irgendwas mit Gesichtserkennung, KFZ-Zeichenerkennung, RFID-Tragepflicht und -erkennung, Künstlicher Intelligenz und Absicherung durch eine Tollchain müsste es doch geben, damit Britannia wieder die Wellen und Waren beherrschen kann, wie damals, als es auf Geheiß des Himmels aus der azurblauen See entstieg. Oder wie wäre es mit Drohnen-Patrouillen in Spitfire-Optik? Auf der Gegenseite in Irland fliegt dann vielleicht eine Maschine aus der Red Baron-Staffel.

*** Unter den Wellen fahren die britischen und französische U-Boote mit ihren Atomraketen. Bekanntlich hat Theresa May angedroht, ihre Boote im Fall eines "harten" Brexit eben nicht zum Schutz von Rest-Europa einzusetzen. Auch so kann man zurück in der Zeit gehen, in diesem Fall zur großen Debatte um den NATO-Doppelbeschluss vor 40 Jahren und dem 1987 geschlossenen INF-Abrüstungsvertrag zwischen den USA und der Sowjetunion. Denn mit dem Ausstieg aus dem INF-Vertrag durch die USA und Russland droht die Neuauflage einer Rüstungsdebatte mit vielen Unterpunkten. Dazu gehört, das anders als früher sich Russland wie die USA keinen Deut um Europa scheren, wie hier empört bemerkt wird. Aber wozu gibt es die NATO. Genau, um ein Statement zu veröffentlichen, das die Sicht der USA allerstärkstens unterstützt und Russland verantwortlich macht für Schritte, die zur Aufkündigung des Vertrages führten.

*** Die Geschichte lehrt uns, dass sie nichts lehrt, weil niemand sich die Mühe macht, Geschichte zu lernen. Das gilt für die Brexit-Befürworter, die zugeben, das Karfreitagsabkommen niemals gelesen zu haben, weil es viel zu lang sein soll (35 Seiten). Das gilt aber auch für deutsche Innenminister, die zur Begründung für ihre neuen umfassenden Polizeigesetze die RAF-Geschichte neu erzählen. "Die RAF griff früher zum Telefon, der Terrorist von heute nutzt WhatsApp und Co.", argumentierte Innenminister Lorenz Caffier, um den Einsatz der "Quellen-TKÜ" und der Online-Durchsuchung zu rechtfertigen. Die scheinbare Analogie wäre das Abhören der Telefone zu RAF-Zeiten mit Abgreifen von WhatsApp-Fetzen vor der Verschlüsselung auf Sender- oder nach der Entschlüsselung auf Empfängerseite. Das hakt etwas, weil von den Telefonaten der RAF nur die überwacht wurden, die im Festnetz etwa von der Botschaft in Stockholm geführt wurde. Auch bei WhatsApp gibt es Fragezeichen und Hinweise, dass Terroristen über Online-Spielewelten kommunizieren könnten. Doch egal, das neue Polizeigesetz muss begründet werden. Es gibt sogar Selbstlob: "Im Gegensatz zu Polizeigesetzen anderer Länder finden sich die dort vielfach kritisierten Regelungen zum Einsatz automatisierter Gesichtserkennung im öffentlichen Raum oder die Erweiterung der Dauer des polizeilichen Gewahrsams nicht im Gesetzentwurf. Ebenso wird das SOG M-V keine neue Gefahrenkategorie wie eine solche der „drohenden Gefahr“ erhalten." Da scheint ein beteiligter Jurist mal nachgedacht zu haben. Und was die Kameraüberwachung anbelangt, so hat der Datenschützer von Meckpomm mal mitgeprüft.

*** Apropos Gesichtserkennung: In diesem Artikel hinter einer Paywall schildert der langjährige China-Korrespondent Kai Strittmatter seine letzten Taten vor dem Abschied aus China, dem Land, das mit einem Bein auf Marx steht, mit dem anderen auf Orwell. Von der berühmten Toilette mit Gesichtserkennung schreibt Strittmatter, dass sie auf sein Gesicht nicht reagierte und es kein Toilettenpapier gab. Vom staatlichen "Himmelsnetz" der landesweit angebrachten Überwachungskameras heißt es, dass das System in der Lage sei, jeden der 1,4 Milliarden Chinesen innerhalb von einer Sekunde zu identifizieren. Wie gut hat es da der freie WestenTM, dem solche Überwachungsphantasien völlig abhold sind und allein die Aussicht auf satte Profite die Entwicklung von Microsoft oder Amazon bestimmt.

Was wird.

Nach dem merkwürdigen Ändere-Dein-Passwort-Tag kommt der Sichereres-Internet-Tag, an dem wir alle für ein besseres Internet zusammenstehen. Während bei den Erwachsenen das Thema riskantes Konsumverhalten sensibel angesprochen wird, hiphopprappen Eko Fresh und Afrob mit den Kids und propagieren den neuesten heißen Scheiß unter #lauteralshass. Ja, rettet unsere Lautis für die Demos gegen die Braungetupften, das ist auch für ältere Jahrgänge wie dem Ausschuss für Medienkompetenz ganz fotogen. Höhepunkt ist sicher der Podrap unserer Bundeskanzlerin, die zeigt, wie der Einzelne jederzeit das Heft des Handelns in der Hand behält, mit ganz einfachen Maßnahmen wie dem Verlassen von Facebook. Da hat unsere aktuelle Bundeskanzlerin mal vorbildlich das richtige Heft mit den Handlungsanweisungen in die Hand genommen.

Aber was wäre eine Regierung, die nicht tatkräftigst zupackt, da im Cyberraum und außen vor den Türen, die den Zutritt zu ihm öffnen: Her mit dem schönen neuen Gesetz (PDF-Datei), von unserer Bundeskanzlerin so angekündigt: "Wir werden das IT-Sicherheitsgesetz 2.0 demnächst im Kabinett verabschieden und wir haben auch eine Cybersicherheitsstrategie entwickelt, mit der wir auch auf Angriffe im Cyberbereich gut reagieren können. Aber das ist ein ständig laufender Prozess. Für die Nutzer wird es mit dem IT-Sicherheitsgesetz 2.0 die Möglichkeit geben, besser zu sehen durch ein einheitliches Kennzeichnen, welche IT-Ausrüstungsgegenstände auch nach Einordnung des BSI sicher sind." Auf die noch in diesem Jahr kommenden Kennzeichen für den Ausrüstungsgegenstand Router sind wir alle besonders gespannt. Vielleicht sind es Pünktchen im Fefe-Stil, wie sie dieser Tage auf dem 35C3 geklebt wurden. Gold für beste deutsche Technik von lancom, Rot für die mordsgefährliche Kisten von Huawei, die unsere feuchten Überwachungsträume von 5G gefährden.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. Von hybriden Ehrabschneidungen und anderen Wahrheiten.
Beitrag von: SiLæncer am 10 Februar, 2019, 10:19
Hinter Palme: Schießscharten, wohin man guckt. Ob das gegen hybride Bedrohungen hilft? Hal Faber zweifelt, der BND aber ist zuversichtlich.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Hach, wie süß ist das denn? Die Leinwände waren pink vor Zorn, doch davor die große Glitzer-Gala. Die zauberhafte Juliette Binoche, trug eine elegante Robe mit Goldstaub und einer schwarzen Schleife. Toni Garrn ein Kleid mit bodenlangen Ärmeln zum Drüberstolpern, bei dem man kein Stoff mehr für den Rücken hatte. Und Deutschlands größte Food-Influencerin Janina Uhse kam gar mit einem Slip Dress wie aus dem Bett gehüpft. Ja, die Berlinale ist halt ganz großes Schaulaufen der Labels, bei dem die Männer die zweite Geige spielen – wenn überhaupt. Man nehme nur Morgan Freeman, den Star-Bienenzüchter. Niemand bemerkte Morgan Freeman, niemand notierte seine Kleidung, entworfen vom Label Tar Tuffe.

*** Dennoch war Morgan Freeman in Berlin präsent. Bundeskanzlerin Merkel präsentierte ihn zum Jahrestag der Gründung des Ministeriums für Staatssicherheit als abschreckendes Beispiel für die hybride Kriegführung in diesem Cyber-Raum. Ihre Rede zur Eröffnung des gebauten Unfalls verdient es, in ihrer bestechenden Logik zitiert zu werden. "Meine Damen und Herren, eine der erfolgreichsten Falschmeldungen der letzten Jahre lautete: 'Legendärer Schauspieler Morgan Freeman gestorben.' Diese Falschmeldung ist nur ein Beispiel dafür, wie sehr sich das Internet für die schnelle Verbreitung von Informationen eignet und wie häufig Informationen, wie wir alle wissen, manipulativ, nur halb wahr oder sogar gezielt als staatliche Propagandamaßnahme eingesetzt werden. Deshalb müssen wir lernen, auch mit den sogenannten Fake News als Teil einer hybriden Kriegsführung umzugehen."

*** Halten wir inne und überlegen einmal, welche hybride Kriegsführung denn hinter "einer der erfolgreichsten Falschmeldungen" im Cyber-Cyber stehen könnte. Sehen wir der Realität ins Auge und zwar mit den Augen eines Agenten des Bundesnachrichtendienstes. Da ist Morgan Freeman, bekennender Obama-Fan und Vorleser von Trump-Tweets. Die gezielte Nachricht von seinem Tod, illustriert mit Bildern seines zerquetschten Nissans, hätte zu einem Freudenfest der Tea-Party-Anhänger führen können, die Freeman als rassistische Bewegung bezeichnet hatte. Wie gut, wie nützlich ist es da, dass unsere Agenten über diesen kleinen Erdtrabanten im All schnell herausfinden können bzw. konnten, dass Freeman noch lebt.

*** OK, nicht alle 4000 Agenten im dem hässlichen Gebäude arbeiten mit Merkels fliegenden Augen da im Weltraum, "in einem weitgehend rechtsfreien Raum, in den das Grundgesetz nicht hineinreicht, und somit keinen deutschen Beschränkungen unterliegt". Einige werden geduldig klassische Dokumente übersetzen und analysieren, andere werden sich hübsche Legenden ausdenken oder Spy vs. Spy spielen. Doch die hybride Kriegsführung veredelt all das, denn damit sind sie Wahrheitskämpfer, wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung hinter der Paywall jubelt. "Dass dem BND plötzlich so viel Vertrauen entgegengebracht wird, dass ihn die Reise von Pullach nach Berlin in einen Wahrheitskämpfer verwandelt, wird dem einen oder anderen Agenten den Abschied vom Gestern erleichtern. Wenn auch schmunzelnd."

*** Ein neuer Typ des Wahrheitskämpfers ist diese Woche aufgetaucht: Ganz im Stil von Donald Trump meldete Jeff Bezos via Twitter eine Aktion ganz besonderer Art, nämlich seine bei Medium veröffentlichte Gegen-Attacke auf einen Angriff des National Enquirer. Der derzeit reichste Mann der Welt nutzte nicht das Umfeld der ihm gehörenden Washington Post, er ließ auch nicht den National Enquirer abschalten, der in einer Amazon Cloud gehostet wird. Pathetisch gesagt verteidigte Bezos die Pressefreiheit und geht das Risiko ein, dass seine Dick Pics der Weltöffentlichkeit präsentiert werden: Seine Journalisten bei der Washington Post müssen nicht die Leser belügen und ihnen verheimlichen, dass American Media Incoprorated als Besitzer des National Enquirer mit Erpressungen arbeitet. Liest man die Antwort, scheint Bezos diese Runde gewonnen zu haben. Weniger pathetisch ist Bezos ein guter Marketing-Man, der sicher Paul Sethes Bonmot kennt. "Pressefreiheit ist die Freiheit von zweihundert reichen Leuten, ihre Meinung zu verbreiten."

*** Das Gegenstück zum tapferen Wahrheitskämpfer ist sicherlich der Lügner. Doch was ist mit dem Ehrabschneider, laut Duden "jemand, der durch seine unwahren Äußerungen einen anderen herabsetzt und in einen schlechten Ruf bringt", ein Wort, das seit 1977 zum veralteten Sprachgebrauch gehört? Mit seinem Spruch von der "Herrschaft des Unrechts" hat der heutige Bundesinnenminister Horst Seehofer die Ehre des damaligen Bundesinnenministers Thomas de Maizière abgeschnitten, findet dieser. Das Seehofer-Wort vom Unrecht signalisiere einen Rechtsbruch, den es aber nicht gegeben habe. Stattdessen sei die Entscheidung, die Grenzen offen zu lassen, gründlich durchdacht worden. Das sind starke Worte und sie sind geschickt platziert: Schließlich soll heute ein Werkstattgespräch die Politik von Merkel und de Maizière aufarbeiten, das will die neue Großinquisitorin Kramp-Karrenbauer. Das Tribunal kann beginnen.

Was wird.

Wer mit einer Rede von Bundeskanzlerin Merkel beginnt, sollte auch mit dem Ausblick auf eine Rede von Angela Merkel aufhören. Schließlich wird sie politische Keynote zum Thema "The Future of Made in Europe" liefern, wenn nach dem Ende der Berlinale der Digitising Europe Summit von Vodafone die Prominenz nach Berlin zieht. Auf dem roten Teppich defilieren diesmal die Männer. Nein, nicht die hybride Bedrohung Morgan Freeman, aber Tom Enders von Airbus, Alex Karp von Palantir Technologies und DGB-Chef Rainer Hoffmann sind doch auch was. Airbus ist die europäische Musterfirma, nach deren Vorbild bekanntlich ein Airbus der KI entstehen soll, doch Palantir? In Deutschland besser bekannt für Hessendata, die Software, mit der 75 Gramm Schwarzpulver und ihr Besitzer ausfindig gemacht wurde, womit ein großer Terroranschlag verhindert wurde.

Der oberste Gewerkschafter Rainer Hoffmann mag den einen oder anderen verwundern, aber ihn beschäftigt die Jahrhundertfrage Kann KI Mitbestimmung?. Sie ist allerdings eine Frage des letzten Jahrhunderts, so um 1986 herum. Immerhin, jetzt sind wir weiter, denn KI kann nun Moral vom Menschen lernen: Zeit totschlagen ist erlaubt, Menschen totschlagen nicht. So einfach ist das.

Während Vodafone mit seinem neuen Berliner Think Tank Europa im Visier hat, geht es dem Europäischen Polizeikongress um Migration – Integration – Sicherheit, natürlich in ganz Europa und besonders intensiv an den europäischen Außengrenzen. Auch der bereits erwähnte Innenminister Horst Seehofer soll seine Teilnahme signalisiert haben. Inmitten des vollen Programmes steht ganz unscheinbar ein Schmankerl: "Geheimhaltung versus Indiskretion". Was ist vertraulich, was darf veröffentlicht werden? Wieder einmal ist das "Digitale" eine ganz üble Sache, wenn es in der Ankündigung zu diesem Programmpunkt heißt: "Aber viel mehr trägt dazu noch die digitale Öffentlichkeit bei, die Medien ebenso wie Behörden vor eine Echtzeitsituation stellt, die eine Strafverfolgung wie auch das Abwägen der Berichterstattung kaum noch möglich macht. Des Weiteren ist der investigative Journalismus immer häufiger einem Duktus plakativer Enthüllungen folgend." Diskutierende Männer hier: Staatssekretär Stephan Mayer vom Bundesinnenministerium, Wilfried Karl von der staatlichen Trojaner-Schmiede ZITiS und der Journalist Georg Mascolo, seines Zeichens das Aushängeschild für den öffentlich-rechtlichen "Rechercheverbund des NDR, WDR und der Süddeutschen Zeitung".

Die eigentlichen Kämpfer gegen die Geheimhaltung, etwa die Open Knowledge Foundation mit dem dieser Tage gestarteten offenen Handelsregister oder auch die Dokumentenausschneider von Netzpolitik.org kommen nicht zu Worte. Wie jedes Jahr, seit nunmehr 20 Jahren, so auch dieses Jahr, wird gegen den Kongress demonstriert.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. In der besten aller Demokratien.
Beitrag von: SiLæncer am 17 Februar, 2019, 09:21
Standing Ovations für Anti-Nationalismus? Ja, da schließt sich auch Hal Faber gerne an. Ganz ohne Bauchschmerzen.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Für gewöhnlich sieht man Einhörner nur auf Hackerkongressen oder -Camps. Denn die mörderischen Tiere sind scheu, jedenfalls im Vergleich zum Stadtfuchs. Das ist auch gut so, denn die scharfen Hörner sind schwer gefährlich, wie das die mittlerweile ausgerottete Spezies der Tiger am eigenen Leibe erfahren musste. Damit sind wir bei der schönsten Meldung dieser Woche, "Einhörner rotten Tiger aus!". Alles Übertreibung? Aber nicht doch, denn dieser Tage machte eine Rodomontade der Universität Duisburg die Runden, nach der ein virtuelles Experiment als Ergebnis angeblich den Nachweis erbrachte, dass Social Bots als Zünglein an der Waage funktionieren. Was natürlich ein gefundenes Fressen für düstere Berichte aus dem pöhsen Internet ist, wo Software die Demokratie gefährdet. "Die sowohl beeindruckenden als auch erschreckenden Ergebnisse" sind sprachlich nah an der Schlagzeile mit den Einhörnern und passen bestens zu der von unserer Regierung diskutierten Kennzeichnungspflicht für Social Bots.

*** Kann man die in Duisburg virtuell erforschte furchtbare Wahl-Bedrohung toppen? Wie wäre es mit dieser Jubel-Arie zur Verschärfung des Polizeigesetzes in Nordrhein-Westfalen: "Wenn es aber gelingt, eine Gesetzesänderung mit nicht nur marginalen Erweiterungen polizeilicher Befugnisse mit breiter parlamentarischer Mehrheit der Regierungsfraktionen und Teilen der Opposition zu verabschieden, nachdem eine eingehende fachliche Auseinandersetzung mit einem Gesetzentwurf stattgefunden hat, so ist das Demokratie 'at its best'." Dieser Satz stammt aus der "Zeitschrift für das Gesamte Sicherheitsrecht" (1/2019, S. 9) und sollte nicht ohne die Meldung der tageszeitung von der ersten Anwendung des Polizeigesetzes gelesen werden. Fünf Tage Haft gab es für Demonstranten, die ihre Fingerkuppen mit Klebstoff "unleserlich" machten und damit die Identitätsfeststellung behinderten. "Der Kleber auf den Fingerkuppen war eine gezielte Vorbereitungshandlung. Daraus ergibt sich, dass in Zukunft weitere Straftaten unter dem Deckmantel der Anonymität erfolgen könnten", so ein Sprecher des Gerichtes. So sieht die politische Haft aus in der Demokratie at its best. Mir fallen da ein paar Schimpfworte ein, die zur Löschung dieser Wochenschau führen könnten.

*** Insgesamt war es die Woche der Rechenfehler. Teslas Autosteer senkt nicht die Unfallrate um 40 Prozent, sondern vergrößert sie um 59 Prozent. Der durch die Medienlandschaft ziehende Lungenarzt Köhler entpuppte sich als Mann mit Rechenschwäche, was insofern bedeutungslos ist, weil auch der Verkehrsminister nicht rechnen kann. Überhaupt scheint es einen dunklen Zusammenhang zwischen Automobilbau, Schadstoffbelastung, und der Angst vor Tempobeschränkung zu geben, die den männlichen Verstand überfordert. Dann kommen Sätze wie der von der Enteignung der Fahrer zustande, über die sich ein Altliberaler wie Gerhart Baum nur wundern kann. Alles heiße Luft.

** Ein großer Fehler der ganz anderen Art wird mit dem angestrebten Einsatz von Upload-Filtern gemacht, es ist mehr als ein Aufbruch ins Abseits oder eine Absage an die junge Generation, die das Internet ganz anders nutzt als in der Frühzeit, als Hacker noch Haqr waren und stolz auf ihre Piercings und Pager. Immerhin wird jetzt demonstriert. Wir sind die Bots ist schon mal ein hübscher Einfall. Ansonsten gab es einmal einen Koalitionsvertrag mit folgendem Satz: "Eine Verpflichtung von Plattformen zum Einsatz von Upload-Filtern, um von Nutzern hochgeladene Inhalte nach urheberrechtsverletzenden Inhalten zu 'filtern', lehnen wir als unverhältnismäßig ab." Geschwätz von gestern, wie so vieles in der Politik? In dieselbe Kerbe schlägt auch die Idee, mit proaktiven Filtern terroristische Inhalte aus dem Netz zu entfernen. Die Bestimmung von terroristischen Inhalten ist dabei so weit gefasst, dass die Schädigung des Ansehens von Institutionen schon Terror sein kann.

*** Apropos Terror. Man nehme nur den seltsamen Singsang, mit dem sich US-Präsident Trump über den Fortgang des von ihm selbst ausgerufenen nationalen Notstandes lustig machte, eine geradezu erstklassige Amtsschädigung. Die Kläger gegen den selbst deklarierten Notstand dürften entzückt sein, besonders von der gleichzeitig von Trump aufgestellten Behauptung, dass alles nur passiert, damit sein Mauer-Fetisch schneller befriedigt werden kann. "Ich hätte das nicht tun müssen, aber ich wollte es lieber viel schneller tun", das wird der Satz sein, mit dem an Trumps Regierungszeit erinnert wird. Vielleicht kommen noch Sätze seiner Berater hinzu, die "unverfängliche Twitter-Direktnachrichten" mit Wikileaks und Guccifer 2.0 austauschten.

*** Es gehört zu den seltsamen Momenten der Passlichkeiten, dass an dem Tag, an dem der Schriftsteller Maxim Biller den Linksrechtsdeutschen die Leviten liest, der Tod von Bruno Ganz gemeldet wird. Nein, ein Linksrechtsdeutscher war Bruno Ganz gewiss nicht, nicht einmal ein Deutscher. Der Schweizer, immerhin Träger des Iffland-Ringes, der Hamlet und Hölderlin und den Alpöhi spielte, illustriert da nur als Film-Hitler die Billerei gegen Frank Schirrmacher und seine Epigonen beim Spiegel. Alles verkappte Linksrechte, die einen Dialog mit den "Überlebenden" suchen sollen. Nein, das passt schlecht zu Bruno Ganz. Die große Szene des letzten Großschauspielers ist im Netz wohlbekannt und hundertfach parodiert, doch weithin bekannt wurde er mit der Rolle des Engels Damien, der im Himmel über Berlin lebte. Ob er dort weiterlebt? So ist es wohl die größte Ungerechtigkeit, dass er vielen nur in seiner Rolle im "Untergang" bewusst wurde. Leute, schaut den "amerikanischen Freund", schaut "Messer im Kopf", versucht den Stein-Faust von der Expo 2000 zu erhaschen.

Schaut von mir aus "Heidi", mit dem wohl interessantesten Alpöhi aller Zeiten. Vor allem: schaut "Himmel über Berlin".

Sein letzter Auftritt in dem Film über das Flüchtlingsmädchen Fortuna enthält einen Satz von Ganz, der das ganze Flüchtlingsdrama zusammenfasst: "Wir müssen sie für das lieben, was sie ist und sein will, und nicht für das, was wir uns für sie wünschen." In den Worten des größten Barden:

So ist des Menschen Treiben: heute sprießen
Der Hoffnung zarte Knospen, morgen blühn sie
Und kleiden ihn in dichtem Blumenschmuck:
Und übermorgen, tödlich, kommt der Frost,
Und wenn er wähnt, der gute sichre Mann,
Die Größe reife – nagt ihm der die Wurzel
Und fällt ihn so wie mich.
Der Rest ist Schweigen.

*** Schweigen? Ach, nicht in einer Woche, die damit endet, dass Angela Merkel auf internationaler Bühne mit Standing Ovations für ihr Festhalten an internationaler Zusammenarbeit, Anti-Nationalismus und Multilateralismus gefeiert wird. Standing Ovations, denen man sich tatsächlich anschließen möchte.

Was wird.

Im Reigen der Konferenzen und Redner*innen folgt auf die mutige Merkel mit ihrem Bekenntnis zum Multilateralismus auf der Münchener Sicherheitskonferenz der säumige Seehofer, der nicht, wie in der letzten Wochenschau geschrieben, den Europäischen Polizeikongress eröffnen wird. Er wird von einem Staatssekretär vertreten, schließlich ist die Nachrichtenlage nicht so rosig wie ehedem. Nach dem ach so prima gelaufenen Test der Gesichtserkennung am Bahnhof Südkreuz, wird der zweite Test-Teil mit der Erkennung von auffälligem Verhalten aus Geldmangel vorerst von der Deutschen Bahn abgeblasen. Der Schlusssatz dieser Nachricht gibt indes zu, dass mehr als Geldmangel im Spiel ist: "Angesichts des ohnehin angespannten politischen Klimas will bei der Bahn derzeit niemand auch noch eine Diskussion um den Einsatz von Software zur Videoerkennung."

Damit das Warten auf die Erfolgsgeschichte von Polizei 2020 nicht zu lang wird, lohnt sich ein Blick in die USA. Dort finanziert unter anderem die wohl bekannte Firma Microsoft das AI Now Institute, das sich mit der Technikfolgenabschätzung beim Einsatz von künstlicher Intelligenz befasst. Regelmäßig wird gefragt, welche Faktoren die erzielten Ergebnisse verzerren, etwa bei der Gesichtserkennung. Die neueste Studie trägt den hübschen Titel Dirty Data, Bad Predictions und kommt zu dem Ergebnis, dass dort, wo polizeilicher Murks in den Akten geschönt wird, auch die fesche Software zum "Predictive Policing" Murks produziert und keine vorausschauende Polizeiarbeit. Der Nachweis gelang aber nur in drei von 13 Fällen nachgewiesener Datenmanipulation durch Polizist*innen.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. Vom anonymen Gemurmel - dans l'anonymat du murmure
Beitrag von: SiLæncer am 24 Februar, 2019, 08:32
Seid Ihr es, liebe Vogonen? Seid ihr in gewisse EU-Abgeordnete gefahren und lasst sie Skurriles faseln? Hal Faber graust es, dass Michel sich erbarme.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** "Der Bürger darf Presseartikel privat nutzen und kann die auch entsprechend hochladen. Auch auf Plattformen hochladen. Das heißt, die Plattform ist dann nicht verpflichtet, hierfür eine Lizenz zu erheben, weil es autorisierte Hochladung ist. Wir als Gesetzgeber geben dem Einzelnen die Möglichkeit, diesen Artikel eben zu privaten Zwecken entsprechend auch hochzuladen." Mit diesem Unsinn hat der Europaabgeordnete Axel Voss von der CDU Artikel 11 der Urheberrechtsreform erläutert, die Europa zu einem Schlaraffenland der Bürger als Hochlader machen soll. Da waren die Bürger sehr froh und jubelten, mit Ausnahme der Bürger, die Abgeordnete sind. Einer Parlamentskollegin erklärte Voss so: Du, für dich gildet das nicht, du darfst nur herumlinken. "Den Link dazu kannst du immer machen, nur ob du den ganzen Text dort sozusagen abbilden kannst, ohne dass der Leser nachher auch zur Webseite der Presseverlage geleitet wird, das müsste man in der Form eines Abgeordneten, ist das vielleicht ... als Nichtabgeordneter darfst du das tun. Da ist die private Nutzung dort erlaubt."

*** Will uns Axel Voss mit diesen Worten klarmachen, dass er die von ihm mitgetragene Urheberrechtsreform überhaupt nicht versteht oder ist da etwas ganz anderes gemeint? Erleben wir die Definition der Vossianischen Altussalvie? Wer spricht, wenn Axel Voss spricht? Wen kümmert's noch, wer spricht und wer hochlädt? Ich glaube, dass Axel Voss ein gebildeter Europäer ist, der Becketts Texte um Nichts als Gutenachtgeschichte nutzt und tief vom Wissen darüber durchdrungen ist, dass es keine Autoren mehr gibt. Presseartikel entstehen in einem vielstimmigen Diskurs, da ist es schlicht egal, wer Hal Faber ist und wovon er seine Existenz bestreitet. Europaabgeordnete legen ja auch nicht ihre Einkünfte offen. "Lieb Bürgerlein, lass das Kopieren sein", so etwas ist für Axel Voss einfach nicht mehr zeitgemäß.

*** Auf seine Weise verbeugt sich Axel Voss vor einem Höhepunkt der europäischen Kultur, der in dieser Woche den 50. Jahrestag hatte. Am 22. Februar 1969 hielt der Philosoph Michel Foucault einen Vortrag vor der Französischen Gesellschaft für Philosophie und fragte in die Runde: "Qu'est-ce qu'un auteur?" Was ist ein Autor? Nach landläufiger Meinung demolierte Foucault mit seinem Vortrag die Literatur und den Autor, doch Axel Voss weist uns mit seiner Intervention ebenso listig und lässig wie Lessig darauf hin, dass Foucault vor 50 Jahren das Problem vom großen Urheber benannte.

*** "Als Leeraussage zu wiederholen, dass der Autor verschwunden ist, reicht aber offenbar nicht aus. Ebenso reicht es nicht aus, endlos zu wiederholen, dass Gott und der Mensch tot sind, von einem gemeinsamen Tod ereilt wurden. Was man tun müsste, wäre, den durch das Verschwinden des Autors freigewordenen Raum ausfindig zu machen, der Verteilung der Lücken und Risse nachzugehen und die freien Stellen und Funktionen, die dieses Verschwinden sichtbar macht, auszukundschaften." Das strenge Denken, das Foucault vor 50 Jahren vorschlug, unterteilte die Diskurse in solche, die die Funktion "Autor" haben und andere, die sie nicht haben. Mit starken Folgen für das Urheberrecht, dass sich nach Foucault um 1800 herum entwickelte und nun von Axel Voss kundig demoliert wird.

*** Alle Diskurse entfalten sich in der Anonymität des Gemurmels, erklärte Foucault. Nutzlos sei es, einen Autor nach den Tiefen seiner selbst abzuklopfen, nach seiner Originalität und anderem Gedöns. Dafür wird man andere Fragen stellen müssen. "Welche Existenzbedingungen hat dieser Diskurs? Von woher kommt er? Wie kann er sich verbreiten, wer kann ihn sich aneignen? Wie sind die Stellen für mögliche Stoffe verteilt? Und hinter all diesen Fragen würde man kaum mehr als das gleichgültige Geräusch hören: 'Wen kümmert's wer spricht?'"

*** Wer Foucault kennenlernen möchte, sei an diese Adresse verwiesen, hier geht es mehr im Sinne des großen Urheberrechtsexperten Axel Voss weiter. Denn was wäre diese Woche ohne all das Gerassel und Gefasel zum Framing-Gutachten der ARD, erstellt von einem Berkeley Framing Institute – oder der Kommunikations-Fachhochschule Karl-Theodor zu Guttenberg, da gehen die Frames auseinander. Immerhin verdanken wir dem Gutachten so schöne Begriffe wie "medienkapitalistische Heuschrecken" oder "profitwirtschaftliche Sender". Da sei doch der heilige Axel vor! Was sind das denn für Deutungsrahmen, die die öffentlich-betulichen Rechtlichen da in ihren Wortschatz integrieren sollen? Ist das schon Neusprech oder nur ein kleines bisschen Sprachmanipulation?

*** Ist es gerechtfertigt, Axel Voss als Vollvossten zu bezeichnen, wie es auf einer Demonstration wählender Bots in Köln geschehen ist? Oder muss man ihn als vogonische Inkarnation begreifen (für die Jüngeren unter uns: Die Vogonen "sind eine der unausstehlichsten Rassen im ganzen Universum - mies gelaunt, bürokratisch, aufdringlich und gefühllos")? Was machen die jungen Bürger da? Bekanntlich geht es bei der EU-Reform nicht nur um Artikel 11 und das Urheberrecht, sondern auch um Artikel 13 und die Upload-Filterei. Bürger mögen Presseartikel hochladen, aber bei Youtube-Videos hört der Spaß auf, für Vossens CDU wie für Schrödingers SPD. Wer die jungen Menschen gleich als Bots abkanzelt, hat schon mal ganz schlechte Karten, von diesen gewählt zu werden. Und komisch, in all den bewegenden Artikeln zum Tod von Rockpalast-Gründer Peter Rüchel finden sich Erinnerungen älterer Semester zu den Line-Ups in der Grugahalle, mitgeschnitten und dann nach eigenem Gusto re-kombiniert, natürlich auch auf Youtube zu finden. Ja, hätte es damals Youtube gegeben, wären die Konzerte nicht nötig gewesen. Jetzt rollen die Naturtränen über die Backe, auch bei der Kölnerin Katharina Barley, die sicherlich den Rockpalast aus ihrem Leben filtern wird.

Was wird.

Die Upload-Filterei soll bekanntlich unheimlich wertvolle Originale vor illegaler Vermoppelung im großen Gemurmel schützen, aber dennoch Parodien im Rahmen der künstlerischen Freiheit zulassen. Das ist nett gemeint, erzeugt aber als unverbindliche Versicherung großes Kopfkratzen. Wie soll das gehen? Wer das Märchen von der künstlerischen Entfaltung glaubt, glaubt sicher auch, dass Zitronenfalter Zitronen falten, hahaha. Ist das zu platt, die olle Kamelle? Aber nicht doch: Da behauptete ein Bot oder ein Mitarbeiter der "Gesellschaft für Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte" (GEMA) in dieser Woche via Twitter: "Künstliche Intelligenz kann heute Gesichter erkennen, Vorlieben herausfiltern und sogar selbstständig einparken. Da sollte es ein leichtes sein, zwischen Original und Parodie zu unterscheiden." Abgesehen vom Einparken, das eine Frage der Sensor-Steuerung und nicht der Künstlichen Intelligenz ist, sind die Behauptungen samt und sonders Zukunftsmusik, geschickt geträllert.

Wer Zeit und Lust hat, studiere in einer gut sortierten Universitätsbibliothek (noch so eine Zukunftsvision) die aktuelle Ausgabe der Kriminalistik und lese den Bericht über "Personenidentifizierung mittels Mensch und Maschine". Der Artikel ist zwar ausdrücklich auf Bayern beschränkt, umfasst aber auch die intelligente Gesichtserkennung wie die ganz normale zentrale biometrische Gesichtserkennung durch Cognitec-Software beim Bundeskriminalamt, auf die sämtliche dort angeschlossenen Landeskriminalämter via Schnittstelle zugreifen können. Die Computersysteme schneiden nicht besonders gut ab, was vor allem an der mangelnden Bildqualität und der Ausleuchtung der Gesichter liegt. Jedenfalls werden die Systeme im Vergleich zu Personen mit hohem Gesichtserkennungs-Potenzial gesetzt, die zu Super-Recognizern ausgebildet wurden. Ich würde diesen Artikel ganz im Geiste des großen Axel Voss zu einer platten Form hinüber schaufeln, aber halt, es ist ja kein Presseartikel, sondern harte, proprietäre Polizeiwissenschaft. So muss es bei einem vom Zitatrecht abgedeckten Informationsbröckchen bleiben, wenn als Fazit zu lesen ist: "Insbesondere im Zusammenspiel mit der automatischen Gesichtserkennung, deren technische Entwicklung rasant fortschreitet, können Super-Recognizer ein hilfreiches Fahndungsmittel im polizeilichen Alltag darstellen."

Bleibt die Frage mit der Parodie, nicht nur auf Twitter. Fakten, Fakten, Fakten? Wenn selbst die hartgesottenen Rechercheure des Focus bei dem total idiotischen Blasebalgleaks nicht die Parodie erkannten, dürfte die Künstliche Intelligenz auch nicht weiterhelfen. Wer mit Fleischhauern heult, den bestraft halt das Leben.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. Von Rahmen und anderen Heimaten.
Beitrag von: SiLæncer am 03 März, 2019, 08:56
Manchmal wünscht man sich, die Außerirdischen griffen endlich an. Schluss mit all diesen Unsinnsdiskussionen in diesem unseren Heimatlande, grummelt Hal Faber.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Die Framing-Debatte ist wie ein Volkswagen. Sie läuft und läuft und läuft. Was da an stickigen und gasigen Gedanken erzeugt wird, misst niemand. Bestes Beispiel: Der Heimatlandtag der ARD mit einer anschließenden Diskussion der Heimat und der angeborenen Bringschuld von Migranten, eben diese unsere Heimat zu akzeptieren. Was natürlich auch ein Frame ist, man nehme nur die Debatte zum Einsatz der Bodycams bei der Bundespolizei, bei dem die Bilder der Bürger bis auf weiteres in einer vom BSI zertifizierten deutschen Cloud von Amazon in Frankfurt gespeichert werden. Damit unterliegen sie deutschem Recht und sind alles andere als "heimatlos".

*** Der kanadische Soziologe Erving Goffman entwickelte seine Theorie des Framing zu einer Zeit, als bei uns in Deutschland über Space Invaders diskutiert wurde. Natürlich wurde nicht über Space Invaders oder über Angriffe der Außerirdischen diskutiert, sondern über Killerspiele. Noch schlimmer: Geredet wurde über Killerspielautomaten, die in Killerspielautomatenhallen standen, in denen junge Menschen zu eiskalten Killern abgerichtet wurden und die nach stundenlangem Daddeln als Zombies auf die Straße torkelten. So geht Framing, da braucht man kein Berkeley Institute of Framing.

*** Natürlich gibt es auch in der IT genügend Ansätze zum Framing. Aktuell dokumentiert via First Monday ist der Fall, die Cybersicherheit als elektronisches Pearl Harbour oder "Cyber Pearl Harbour" zu beschreiben und zu framen. Erstmals in dem Buch Information Warfare: Chaos on the Electronic Superhighway dokumentiert, gelangte der Begriff durch einen Artikel von John Markoff zu großer Popularität, als dieser in der New York Times von einem elektronischen Schlachtfeld sprach, auf dem sich Staaten bekämpfen und versuchen, einander zu paralysieren, ohne dass dabei ein einziger Schuss fällt. Die Warnungen vor einem Cyber Pearl Harbour, einem Kalten Cyberkrieg oder einem digitalen 11. September klingen umso dramatischer, je mehr Einfallstore für Cyberattacken genannt werden. So eskaliert der Cyberkrieg vom Bundestag bis zum Staudamm. Wobei auch Soldaten angegriffen werden können, wie Bruce Schneier schreibt, der seit Jahren den Unfug anprangert, einen Cyberangriff mit Pearl Harbour zu vergleichen.

*** Ist es schon Framing oder einfach nur Dummheit? Während die Demonstrationen zur EU-Urheberrechtsreform laufen und dem lausigen Wetter trotzen, macht die Behauptung die Runde, dass es sich im Kern um eine US-gesteuerte Kampagne handelt. Das behaupten zumindest der Webschauder genannte Blog des "Interessenverbandes des Video- und Medienfachhandels in Deutschland e.V." und der Geschäftsführer einer Firma für Content Protection. Zum Beweis nutzte man die offenbar das Twitter-Analysetool Talkwalker, das bei fehlenden Angaben zum Ort eines Twitterers die Sprache analysiert und alle englischen Tweets der schönen Stadt Washington zuschlägt. Zack und Bumms, schon ist klar, dass dort eine Truppe böser Bots hausen muss, deren Schöpfer wahrscheinlich von Google bezahlt werden. Ganz klar erinnert das an die Google-Frage "I am not a robot", mit der Google den Standort unserer Rechner ausspioniert.

*** Dazu passt bestens die These, dass Google und andere US-Anbieter versuchen, die EU-Urheberrechtsreform mit unglaublichem lobbyistischem Aufwand zu verhindern. Hübsch verpackt, dieses Framing der deutschen Urheberrechtslobby, wie damals, als man der Politik dieses Leistungsschutzrecht andrehte, mit dem satte Gewinne gemacht werden. Zur Absicherung des goldenen Rahmens nehme man einen Strategieberater, der die Debatte und den Protest als hysterisch abkanzelt, installiert von Rechtsanwälten, deren Geschäftsmodell es sein soll, Abmahn-Opfer zu verteidigen.

*** Noch'n Wort oder schon ein Meme? Auf alle Fälle ist Techslash ein Trend. Wer sich gegen Google, Facebook oder Amazon wendet, betreibt den Gegenschlag, den Techslash, meint der ewige Internet-Skeptiker Evgeny Morozov, seines Zeichens immerhin der wichtigste Kritikaster seinerzeit. Techslash ist ein von Monat zu Monat zunehmendes böses Erwachen und Staunen über die gigantische Macht von Google und Facebook, oder so. Dagegen fordern Marktliberale einen Anteil an der digitalen Dividende dieser Firmen, während Ökoliberale mit den Mitteln des Kartellrechts vorgehen wollen. Dann soll es noch Anhänger einer radikalen demokratischen Transformation geben, aber sie sind für Morozov zu leise, einfach nicht greta genug.

Was wird.

Im Jahr 1999 schrieb Ray Kurzweil das Buch Homo S@piens, bzw. im Original das "Age of Spiritual Machines". Für 2019 sagte er nicht nur ein bedingungsloses Grundeinkommen für die, Achtung, Framing, "Unterschicht" voraus, sondern hatte eine ganz eigene Vision von den künftigen Dokumenten: "Die Menschen lesen Dokumente entweder auf tragbaren Displays oder, häufiger, in Form eines Textes, der unter Verwendung der allgegenwärtigen Retina-Displays in das stets gegenwärtige virtuelle Environment projiziert wird. Dokumente aus Papier werden nur noch selten benutzt und sind schwer zu bekommen. Die meisten interessanten Papierdokumente aus dem 20. Jahrhundert sind mittlerweile gescannt und stehen im drahtlosen Netz zur Verfügung."

Nun schreiben wir das Jahr 2019 und blicken in die USA, das Land, auf das sich Kurzweils Prognosen beziehen. Niemand anderes als die tapfere Chelsea Manning hat über ihre Anwältin ein Papierdokument ins "drahtlose Netz" gestellt, aus dem ersichtlich wird, dass Manning am 5. März vor einer geheimen tagenden Grand Jury real erscheinen und aussagen soll. Noch versucht sie, sich mit ihren Anwälten gegen die Vorladung zu wehren. Sie ist ein weiteres Indiz dafür, dass die US-Regierung unter Trump versucht, gegen Wikileaks vorzugehen und so die Aussagen vom ehemaligen Trump-Anwalt Michael Cohen zu erschüttern, der eine Verbindung zwischen Wikileaks und dem Trump-Lager anlässlich der Veröffentlichung von Mails von Clintons Wahlkampfleiter John Podesta erwähnt hatte. Was Chelsea Manning in diesem Fall aussagen könnte, ist unklar. Zum Zeitpunkt des russischen Hacks der Mailserver saß sie noch im Militärgefängnis.

Nicht minder rätselhaft ist die Behauptung des eilig aus Vietnam zurückgekehrten US-Präsident Trump, Cohen habe noch in der Zeit als Trumps Anwalt ein Buch geschrieben, in dem er seinen Stil, die Arbeitsweise und die Deals über den grünen Klee lobte. Gut möglich, dass dies in einer virtuellen Realität passierte, in der Trump lebt und in der er gemeinsam mit seinem "guten Freund" Kim Jong Un den Friedensnobelpreis entgegennimmt. Der passionierte Zugfahrer Kim Jong Un lies indes mitteilen: "Der oberste Führer Kim Jong Un drückte seine Dankbarkeit dafür aus, dass Präsident Trump durch lange Hin- und Herreise aktive Anstrengungen für die Erfolge bei diesem Gipfeltreffen unternommen hatte, und tauschte mit ihm Abschiedsgruß aus, indem er ein neues Treffen mit ihm versprach." Auf, auf zu neuen Ufern.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. Von Identifikationsfiltern und anderen Abschaltungen
Beitrag von: SiLæncer am 10 März, 2019, 08:00
Jugendliche Politikverdrossenheit? Ach, was, zürnt Hal Faber. Da ist niemand verdrossen. Oder welches Engagement hätten's denn gern?

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Das war keine gute Woche. Wie in der letzten Wochenschau vermutet, ist Chelsea Manning in Beugehaft genommen worden, obwohl ihre Aussage nichts über Wikileaks verraten kann, weil sie mit Wikileaks nichts zu schaffen hat. Man kann dazu ihren Auftritt in Deutschland nehmen. Aber, auch das hat die letzte re:publica gezeigt, sie ist ein Mensch mit Prinzipien, zu denen der aufrechte Gang gehört. Doch auch der kostet etwas, nicht nur den Twitter-Account. So ist der eigentliche Skandal einer der US-Justiz, genau wie die Anklage und das Urteil im Fall von Reality Winner, verglichen mit dem milden Urteil für Paul Manafort. Natürlich gibt es Menschen, die diese Ansicht für eine Frechheit halten und meine Meinung über Wikileaks nicht teilen. Das ist alles eine Frage des Identifikationsfilters, um es einmal in den Begriffen einer Europa-Grünen zu sagen, die der Inhaltskontrolle mit Uploadfiltern zustimmt.

*** Ja, diese doofen Filter aber auch. Glaubt man der Justizministerin Katarina Barley, so sind Uploadfilter alternativlos. Man kann dieser Meinung sein, aber dann stellt sich die Frage, warum genau diese unsere Regierung von CDU/CSU und SPD einen Koalitionsvertrag aufgesetzt hat, in dem Uploadfilter explizit abgelehnt werden. So wird Politikverdrossenheit erzeugt, die von der Politik verdrossen beklagt wird. Bemerkenswert auch der angedachte Versuch, die zum 23. März geplanten Proteste durch eine vorgezogene Abstimmung ins Leere laufen zu lassen. So geht Europa, man könnte es Exit nennen. Und ewig wachsen die Memes. Was waren das noch für Zeiten, als die Rede von den Upload-Filtern des Axel Voss als Unsinn galt und als redaktioneller Fehler behandelt wurde. Jetzt sind sie offizielle Politik. Wenigstens die Bots bleiben laut, all die jungen Menschen, die eine unbeschwerte Jugend ohne AOL-CDs hatten und nun ihr ganz spezielles Internet in Gefahr sehen. So geht Politikverdrossenheit, die nicht etwa politikverdrossen ist, sondern mit Verve die Verdrossenheit mit dieser Politik ausdrückt.

*** Geht es Deutschland besser? Geht es nach dem Wirtschafts- und Energieminister Peter Altmaier, so ist Klimaschutz superwichtig und eine zentrale Herausforderung der Menschheit für die nächsten 100 Jahre, aber bitte doch nicht auf Kosten unseres Wohlstandes! Der ist offenbar am Allerwichtigsten, so Altmaier mit messerscharfem Verstand. Dass es eine Klimawende von unten geben könnte, wäre für den CDU-Politiker eine ganz unangenehme Entwicklung, man merkt es an den Kommentaren über die impertinenten Schüler, die Freitag für Freitag die Schule schwänzen. Dort, wo der Weltfrauentag ein Feiertag ist, mag sich auch ein BuPrä zeigen und von der Sache angetan sein.

*** Der Weltfrauentag ist gefeiert und die Linguist hat ihren Zweistufenplan zur Erneuerung der deutschen Sprache vorgestellt: Das Binnen-I, das Sternchen und der Schrägstrich machen Frauen eben nur zu Anhängseln der männlichen Form und sind damit abzulehnen im Diskurs der Diversitäten. Und ja, es gibt einen Ausweg, den aber unsere eigens für Frauen gebauten Tastaturen nicht mitmachen: "Am hübschesten wäre ein kleines i mit Sternchen statt i-Tüpfelchen. Das geben aber unsere Tastaturen noch nicht her, deshalb benutzen wir stattdessen vorerst ein Ausrufezeichen: Hörer!nnen." OK, gemacht. Die Karnevalist!n Annegret Kramp(f)-Karrenbauer (hahaha) ist wider Erwarten noch nicht zur ersten Bundeskanzler!nanwärter!n des verkrampftesten Volkes der Welt ausgerufen. Das mögen einige bedauern, indisponierte Politiker jedoch davon abhalten, Amok zu laufen.

*** Die Woche begann mit einer Aufklärung über die künstlichen Idioten des digitalen Kapitalismus und sie endete mit einer Premiere von Hi, AI, einem "Dokumentarfilm" über die Zukunft der künstlichen Intelligenz. Was da dokumentarisch gezeigt wurde, war etwas enttäuschend, denn die im echten Leben gefilmten Roboter waren alle etwas blöd, nicht nur mit abgeschraubtem Kopf. Wie heißt es treffend in der Rezension: "Verblüffend ist nur, wie sehr Chuck und Oma Sakurai um ihre gefühllosen Begleiter buhlen. Aber das Herz des Menschen ist groß, sogar Staubsaugerroboter haben darin Platz." Andererseits ist genau dieses Herz, der Hort einer Vernunft, die gegen die künstliche Intelligenz eingesetzt werden kann. Das behauptet die Schriftstellerin Ulla Hahn in der aktuellen FAZ hinter einer Artikel12-Wall, in der sie eine "World Community" der Autoren und Leser gegen die KI in Stellung setzt. "Jedes Lesen ist ein Auferweckungsprozess. Wir verschaffen dem Gedicht, der Musik, dem Bild einen Moment der Ewigkeit – und damit uns selbst. Eine Ahnung davon, was es heißt, unsterblich zu sein: im Geiste!" Das Ganze ist übrigens mit der Empfehlung an angehende Schriftsteller garniert, mindestens eine Programmiersprache zu lernen, für den Fall, dass es mit der Unsterblichkeit nicht klappt.

*** Wobei es sich bei Bildern lohnt, auf unsterbliche künstliche Intelligenz zu setzen: Das von einem GAN (General Adaptive Network) produzierte Portrait von Edward Bellamy erzielte bei einer Auktion 432.500,00 Dollar und kam damit auf das 45-fache des angesetzten Wertes. Was Konsequenzen hat: Mit AICAN hat die erste künstliche Intelligenz eine eigene Ausstellung in einer Galerie bekommen. Natürlich wird Google bald auch diesen Markt mit feschen Bildern dominieren. Sie haben einfach die besseren aktiven Neuronen da drüben im Silicon Valley der Maschinen-Menschen. Oder sprechen wir schon von Mensch-Masch!nen, denen Networking alles bedeutet?

*** Mit der Unsterblichkeit mag manche KI und auch Ulla Hahn so ihre Probleme haben. Einer hat sie sicher nicht: Der große Zampano des ProgRock, Robert Fripp, dürfte für alle Zeiten in den Annalen der Musik als Mastermind von King Crimson gefeiert werden. Anlass dazu geben die Alben und Konzertmitschnitte ja genug, es ist aber seit Anfang des Jahres auch noch ein besonderer Anlass zu feiern – denn King Crimson wird 50, wobei Fripp immer noch die treibende Kraft ist. Am 13. Januar 1969 gaben sie ihr erstes Konzert, gefolgt von dem wegweisenden Album "In the Court of the Crimson King".

Dass Robert Fripp die Sounds für Windows Vista komponierte, die so Mancher ihm als Verrat auslegte, sei ihm verziehen. Genauso wie Greg Lake aus der King-Crimson-Urbesetzung, dass er später die Kitsch-Seite bei Emerson, Lake & Palmer gab und vor allem auf den späten ELP-Alben für einige sensationell missglückte Schlagerausritte sorgte. Derzeit sind King Crimson auf Jubiläumstournee, wer ein Konzert in der Nähe besuchen kann, sollte nicht zögern: Die alten Herren sind gut drauf und spielen herausragenden, auch heute noch avantgardistischen ProgRock mit starken Funk- und Jazz-Einflüssen. Und es gibt diverse Neuveröffentlichungen von Konzertmitschnitten aus allen King-Crimson-Lebensphasen. Wer von ProgRock nicht King Crimson, sondern nur Genesis, Yes oder Emerson, Lake & Palmer kennt, der hat was verpasst.

Was wird.

Das Jahr, in dem das Internet viele Geburtstage feiern kann, könnte auch das Jahr sein, in dem das freie Internet zu Grabe getragen wird. Der Protest geht damit weiter, denn die Betroffenen realisieren mehr und mehr, dass "Identifikationsfilter" eine Vorzensur für freie Inhalte sind. Bekanntlich droht ein Streik bei Wikipedia das öffentliche Wissen am 21. März in allgemeines Unwissen aufzulösen. Wobei das Unwissen auch bei denen zu finden ist, die die Idee mit den Uploadfiltern für eine gelungene Sache halten. Das wird beim deutsch-französischen Kompromiss sichtbar, bei dem sich Web-Angebote parallel zum Upload eines rechtmäßigen Urhebers um eine Genehmigung "bemühen" und diese Bemühung auch noch als "ausreichendes Bemühen" dokumentieren müssen, für den Fall der Fälle, dass Klage erhoben wird.

Langsam kommt eine andere Abschaltung, die ganz unabhängig von den Upload-Filtern ist, nämlich die vom ungeliebtesten sozialen Netzwerk Google+. Das war ein Kommentarsystem, das viele dennoch mochten, weil dort zivil diskutiert wurde.

Eigentlich sollte schon seit Donnerstag die Kommentierfunktion abgeschaltet sein, doch bislang sind nur ein paar Funktionen und Widgets verschwunden. Jedenfalls nähert sich die große Abschalte am 2. April. und der Gang in die Diaspora oder die Fediversen von Mastodon steht vielen Plus-Fans noch bevor. Dies nur als Erinnerung. Was bleibt, ist die Erfahrung, dass Menschen manierlich diskutieren können – aber das wissen die weisen Heise-Foristen ja längst.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. Down under und anderswo.
Beitrag von: SiLæncer am 17 März, 2019, 08:58
Trauer reicht nicht. Die neofaschistische Ideologie, geprägt von europäischen Populisten und Identitären, hat erneut ihr wahres Gesicht gezeigt, zürnt Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Eigentlich sollte diese kleine Wochenschau in der 1024. Ausgabe über die Freitagsdemonstranten gehen, die bald alle wählen dürfen. Doch es ist anders gekommen. Dazu kommt das zusammengeschusterte Shitposting vom großen Austausch zum Massenmord in Neuseeland. Wie beschrieb es der Rechtsextremismusforscher Matthias Quent: "Das ist nicht das Machwerk eines Irren, sondern eine ziemlich kohärente neofaschistische Ideologie, die dort dokumentiert wird, die Ideologie einer globalen rechtsradikalen Bewegung, die sich in einem Kulturkampf sieht, einem Kampf gegen den angeblichen Untergang durch Überfremdung." Die von europäischen Neofaschisten in Deutschland, Frankreich, Norwegen und Serbien geprägten Ideen zündeten in Neuseeland.

*** Sie zündeten auch bei kranken Geistern in 8chan, 4chan usw., bei Reddit und anderen Plattformen, auf Youtube und Facebook. Besonders ekelhaft die Kommentare auf den Bilderbrettern, die die weiße Überlegenheit feiern. Welche Überlegenheit? Weder Anders Breivik noch Brenton Tarrent ließen sich auf einen dieser Kämpfe mit Bewaffneten ein, die im "Manifest" verherrlicht werden. In Neuseeland stoppten zwei "Dorfpolizisten" den Mörder nach 36 Minuten. Soviel zu einem, der neben Breivik den Kriegsverbrecher Radovan Karadžic verehrte und sich auf einer Reise durch Osteuropa offenbar radikalisierte. Abseits der Tat regt sich Kritik an den Internet-Konzernen mit ihren unzureichenden Upload-Filtern oder dem zu langsam reagierenden Filter-Personal. Die Cleaners waren zu langsam an Ort und Stelle.

*** Im Manifest des Mörders findet sich ein Link auf diesen Bericht der Deutschen Welle über ein rechtsradikales Netzwerk in der Bundeswehr, das Brenton Tarrent wohl als Teil eines kommenden Aufstandes begriff. Dieses Netzwerk names Uniter, angestiftet, propagiert und kommandiert von einem "Hannibal", wird heute in der tageszeitung in aller Ausführlichkeit beschrieben.Hannibals Reisen haben das Zeug, zum wichtigsten politischen Text des Jahres zu werden, ganz ohne Relotius-Gesäusel. Beschrieben wird die Gründung des Uniter-Vereins verbündeter Kämpfer und "Sicherheitsberater" in Stuttgart, von einem, der in Calw beim Kommando Spezialkräfte stationiert war. Hannibal hatte enge Verbindungen mit Franco A., jenem Offizier, der sich als syrischer Flüchtling ausgab und in Wien eine Pistole für einen Anschlag versteckte. Das rechtsextremistische Untergrundnetzwerk, von dem laut taz-Bericht weder der Militärische Abschirmdienst noch der Verfassungsschutz Kenntnis haben wollen, war nicht nur in der Bundeswehr aktiv. Mitglieder von Uniter waren auch bei der Polizei, bei der Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit BFE 523. Der damalige Chef der inzwischen aufgelösten Einheit arbeitet heute als Chef einer Sicherheitsfirma für Uniter. Ein weiteres Mitglied dieser Einheit war Michèle Kiesewetter, die vom NSU erschossen wurde: Die Recherche der Journalisten ist lange noch nicht zu Ende.

*** Verbindungen gibt es auch nach Österreich, wo Uniter als Verein Mitglied in einem Pseudo-Ritterorden namens Lazarus Union war, wie die Journalisten vom österreichischen Standard herausfanden. In rechter faschistischer Tradition ist die Alpenfestung ein wichtiger Rückzugsort. Besonders bizarr ist die Verbindung zu den Philippinen, wo die Polizeikräfte trainiert werden sollen, die von ihrem Diktator Duarte zum Schießen auf Drogenhändler und -Konsumenten ermutigt werden. Ob es Verbindungen zu den supendierten bayerischen Polizisten gibt, wäre eine interessante Frage. Die dokumentierte Ahnungslosigkeit in Sachen Uniter ist jedenfalls groß, wie ein Kommentar der Generalbundesanwaltschaft zeigt: "Also das soll jetzt nicht heißen, dass wir mit der Geschichte Gruppe Süd, Verbindung Franco A., Uniter, das kann sich alles noch ergeben, am Ende sind. Also da bitte ich das Ermittlungsergebnis noch abzuwarten." Das Internet ist halt auch ein Wartesaal.

*** Manchmal warten wir auf Godot, ein anderes Mal auf Snowden oder den Techniker der Telekom: In der letzten Ausgabe des Snowden-Zählers berechnete John Young von Cryptome.org, dass es beim aktuellen Tempo der Veröffentlichung von Snowdens Enthüllungen wohl 42 Jahre dauern wird, bis das gesamte Material online verfügbar ist. Das stellt sich nun als falsche Berechnung heraus, denn die Veröffentlichung der NSA-Dateien wird von Intercept eingestellt. Zynisch gerechnet, rentieren sich Veröffentlichungen nicht mehr, da das verbleibende Material zu randständig ist. OK, für künstlerische Aktionen könnte es reichen, doch Wayne Warholst? Aber die Götter der IT sind ihren Priestern gnädig: Irgendein Big-Data-Deep-Learning-Quantupel dürfte die Reste verwerten, die einst höchst romantisch unter einer Bettdecke in Hongkong den Besitzer wechselten, nachdem sie durch einen Yubikey befreit wurden. Snowden übergab die Dateien an die Filmemacherin Laura Poitras, die nun per Anwalt daran gehindert wurde, ihren Ärger über den Stopp des Projektes publik zu machen. Vielleicht ist ja die allseits entliebte Firma Huawei daran interessiert, das Material für weitere Sticheleien gegen Cisco und die NSA auszuwerten. Das Geld könnte die humanistisch gesinnte Omidyar Foundation zur dringend nötigen Versorgung entrechteter Snowden-Unterstützer verwenden.

Was wird.

Kopfkratz und Augenreib: Will die CDU wirklich Uploadfilter verhindern und sich damit an den mit der SPD ausgehandelten Koalitionsvertrag halten? Oder ist es eine nachhaltige LED-gedimmte Nebelkerze, einzig zu dem Zweck eingeschaltet, Hashtags wie #NieWiederCDU auszubremsen? Schließlich steht am nächsten Samstag die große Demonstrationswelle all derer auf dem Plan, die Artikel 13 für den EU-weit ausgestellten Totenschein des freien Internets halten. Zunächst einmal erinnert das mit feiner Formulierungskunst dahingeworfene "wollen" an Karl Valentin, den Urheber des Satzes "Mögen täten wir schon wollen, aber dürfen haben wir uns nicht getraut." Währenddessen warnt die SPD ihren Koalitionspartner vor einem "nationalen Alleingang". Was sicher ein deutsches Computerspiel ist.

Dann erinnert die wachsweiche Formulierung der erlaubten Uploads "unterhalb einer gewissen zeitlichen Grenze" daran, dass man sich offensichtlich nur Gedanken über Musikstücke gemacht hat. Zudem fehlen in der Konstruktion die flankierenden Maßnahmen wie das Austrocknen des Darknets, in dem Urhebereien illegal verscherbelt werden. Weiterhin könnte man Waberlohen erwähnen, wie die Behauptung in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung", das prominente Youtuber gegen Geld bei dem Protest mitmachen. Die Werbeknete für diese Aktion soll von Create Refresh kommen, wo man den seltsamen Satz mit einem fehlerhaften Possessivpronomen lesen kann: "Wir rufen alle Macher und Künstler dazu auf, eine Bewegung in Gang zu setzen, um euer Recht auf Meinungsäußerung zu verteidigen."

Wo wir gerade beim Recht auf freie Meinungsäußerung sind: Der Versuch der FAZ, die NGO European Digital Rights mit Schmutz zu bewerfen, ist eine Sauerei. Gegenüber dem millionenschweren Lobbyismus der Verlegerverbände mit 60.000 bis 120.00 Euro, die der nun ausscheidende CDU-Abgeordnete Elmar Brok von der Bertelsmann AG kassierte, sind die ca. 15.000 Euro Reisekostenunterstützung von den Open Society Foundations ein Witz. Pro EU-Land stehen 500 Euro für die Reise nach Brüssel zur Verfügung.

Reden wir über Geld. Vor 32 Jahren schrieb ein Hacker mit dem Handle "Psychedelic Warrior" dieses Traktat über eine Gesellschaft ohne Geld, die sich nach den Prinzipien des Anarchismus im freien Tausch entfaltet. Der Hacker PW war Mitglied der Gruppe Cult of the Dead Cow, die das in dieser Woche aufgeblitzte 31337 für "Elite" erfand.

Sein Text endete optimistisch, fast im Sinne der Fridays for Future: "Remember, we are the next generation, and will soon rule the world." Inzwischen ist "Psychedelic Warrior" erwachsen geworden, hat aber weiterhin Großes vor: Beto O'Rourke möchte US-Präsident werden. Er wäre wohl der erste Politiker, dem man nicht dieses Internet erklären müsste.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. Aus dem Tagebuch eines Urhebers.
Beitrag von: SiLæncer am 24 März, 2019, 08:00
An Kulturpessimismus herrscht kein Mangel dieser Tage. Hal Faber macht es wütend, wenn zukunftsfrohe Netzbürger als hohle Konzernapologeten verteufelt werden.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Als Journalist lebe ich seit 1985 hauptberuflich als freier Journalist vom Schreiben mal kurzer, mal langer Texte über das, was damals "die neuen Medien" genannt wurde. Da ging es um das verkabelte Leben und die Frage, was dieses neue Bildschirmtext mit den Familien anrichtet. Die Antwort damals: Orientierungsverlust und Erfahrungsverlust zerstören die Familie. Auf Autos prangte neben der Anti-Atom-Sonne mitunter die Plakette "Computermacht steigern? NEIN! Daten verweigern!" zusammen mit einer aus Tabellierpapier gestanzten Menschenschablone. Das, was heute "die Digitalisierung" genannt wird, war im vollen Gange. Man konnte gut von seinen Texten leben, denn der Bedarf an Texten, die den "Kollegen Computer" erklärten, war hoch. Zum Jahresende klackerten die Schreibmaschinen: Es galt, jeden einzelnen Text in die blauen, später rosafarbenen Formulare der Verwertungsgesellschaft Wort zu tippen und damit bei der VG Wort zu melden. Aus den Meldungen wurden die Ausgleichszahlungen für Vervielfältigungen berechnet, die sich aus den Zahlungen an die VG Wort im Rahmen der Fotokopierabgabe speisten. Das Geld ging zu gleichen Teilen an mich als Urheber und den Verlag als Verbreiter der urgehebten Texte. So war das in der guten alten Zeit (TM). Das Halbe-Halbe bei der Geldverteilung zwischen Urheber und Verlag galt übrigens nur für Fachverlage, wie der Heise-Verlag einer ist.

*** Heute sieht es anders aus. Heute klagen selbst fest angestellte, gutdotierte Journalisten großer Blätter: "Die Digitalisierung hat im eigenen Beruf schon viel Schaden angerichtet. Honorare und die Zahl der Arbeitgeber sind geschrumpft, Arbeitsaufwand und -zeit gestiegen, das Recht am eigenen Werk ist im Netz noch schwerer durchzusetzen als gegen Verleger und Medienhäuser." Das Ganze wird gerne mit Binsen garniert wie der Bemerkung, dass man doch von der eigenen Arbeit leben müsse oder dass das Wort "Upload-Filter" gar nicht im Vorschlag über das Urheberrecht und die verwandten Schutzrechte im digitalen Binnenmarkt steht, gegen den an diesem Wochenende europaweit demonstriert wird. Das stimmt, wenn man nur die Buchstaben zählt, geht aber Thema geschrumpfter Honorare und Werkrechte vorbei. Denn es ist der Passus über die Verwaltungsgesellschaften wie der deutschen VG Wort, der die ganze Misere illustriert und erklärt, warum die bei Verlagen festangestellten Journalisten samt und sonders durchdrehen und gleich vom "Uploadfilter im Kopf der Kapitalismuskritiker" faseln (Frankfurter Allgemeine Zeitung). "Die Mitgliedstaaten sollten gemäß ihren nationalen Regelungen frei festlegen können, wie Verlage ihre Ansprüche auf eine Ausgleichsleistung oder Vergütung zu begründen haben, sowie die Bedingungen für die Aufteilung dieser Vergütung oder Ausgleichsleistung zwischen Urhebern und Verlagen." An erster Stelle stehen hier die Verlage und ihre Ansprüche, im Nebensatz erst kommt die Ausgleichsleistung zwischen den Verlagen und den Urhebern. Das gibt zu denken.

*** Wie sieht das heute aus? Diese kleine Wochenschau kommt mit einem Session Cookie, einem Zählpixel der VG Wort, gesetzt vom CMS, später zur Meldung bei der VG Wort abgeschickt vom Heise-Verlag. In der VG-Abrechnung kommen dann rund 1000 Euro pro Jahr zusammen, was von der Zahl der Leser abhängt, die das WWWW lesen. Die charmanteste und beste Erklärung kommt vom freien Journalisten Ulf Froitzheim und sie sei für den Fall der Fälle raubmordkopiert, dass der vom Leser genutzte Browser sie wegen irgendeiner Cookie-Einstellung nicht zeigt: "Willkommen in meiner Wortpresse. Ich muss Sie gemäß Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) warnen - nicht vor mir, sondern vor allem vor Google (s.u.), aber auch vor zwei Kleinigkeiten. Zuerst zu diesen: Ich setze auf diesen Seiten zwei Software-Komponenten (Wordpress-Plugins) ein, die Cookies setzen. Das eine kommt witzigerweise just von dem Plugin, das Sie gerade sehen, weil es Sie über Cookies informiert. Dieses Cookie dokumentiert die Tatsache, dass Sie den Cookie-Hinweis angezeigt bekommen haben; es hat eine Lebensdauer von nur einer Stunde, weniger kann ich nicht einstellen. Diesen Aufwand muss ich aufgrund der DSGVO leider treiben, denn ich setze harmlose Session-Cookies ein, die es der Verwertungsgesesellschaft Wort erlauben, die Zugriffe auf Texte zu zählen; wenn genügend unterschiedliche Personen dieselbe Seite lesen, bekomme ich von der VG Wort Tantiemen. Das macht mich nicht reich, aber warum sollte ich auf Geld verzichten, das mir von Gesetz wegen zusteht? Und was passiert da genau? Also: Session-Cookies sind kleine Informationseinheiten, die vollautomatisch im Arbeitsspeicher Ihres Computers abgelegt werden. Sie enthalten eine zufällig erzeugte eindeutige Identifikationsnummer, eine sogenannte Session-ID. Wie alle Cookies enthalten sie Angaben zu ihrer Herkunft und Speicherfrist. Session-Cookies können keine anderen Daten speichern. Diese Zugriffssmessungen werden von der INFOnline GmbH nach dem Skalierbaren Zentralen Messverfahren (SZM) durchgeführt. Sie helfen dabei, die Kopierwahrscheinlichkeit einzelner Texte zur Vergütung von gesetzlichen Ansprüchen von Autoren und Verlagen zu ermitteln. Über diese Cookies werden keine personenbezogenen Daten erfasst."

*** Ulf Froitzheim sei auch deswegen verlinkt, weil er den Artikel 12 erklärt, um den es hier geht. Denn wenn der Artikel durchkommt, gilt es die Verlegeransprüche und die Quote neu zu verhandeln, mit der die Ausschüttung berechnet wird. Aktuell liegt sie längst nicht mehr bei 50/50, sondern ist nach einem Gerichtsurteil gesenkt worden und liegt bei 30 Prozent für den Verlag und 70 Prozent für den Autor. Ich habe die Befürchtung, dass die Verlage versuchen werden, die alte Quote zu restituieren. Andere gehen noch viel weiter und befürchten, dass den Verlagen das uneingeschränkte Recht eingeräumt wird, die Quote selbst zu bestimmen. Ulf Froitzheim, der als Vertreter der Journalisten die Quote für die Urheber verhandeln dürfte, ist da viel optimistischer: "Da auch die wissenschaftlichen Autoren keineswegs alle bereit sind, den Verlegern noch so viel abzugeben wie 'vor Vogel', werden Autoren und Verlage gemeinsam ein Modell entwickeln müssen, das für beide Seiten akzeptabel ist, also weder auf alter Höhe noch bei Null liegt.

*** Über den Rest der Reform des Urheberrechtes mit seinem handwerklich vergurkten Artikel 13/17 ist in dieser Woche viel geschrieben und noch mehr übertrieben worden. Selbst die katholische Kirche kommentierte das weltliche Treiben, auch wenn die Agentur den Kommentar verdrehte, der Uploadfilter in die Hölle verbannte. Ja, ausgerechnet die Deutsche Presse Agentur (dpa), sonst eher der sachlichen Berichterstattung verpflichtet, veröffentlichte einen Aufruf, der mit blanker Hysterie endet: "Die Verabschiedung dieser Richtlinie ist eine Frage von Leben und Tod für die Medien und entscheidend für das Überleben vieler Künstler und Autoren." Eine Frage von Leben und Tod, die gleich für alle Medien gilt und selbstverständlich auch für das freie Internet, wie es von Medien und Mediennutzern gleichermaßen geprägt ist, das zeugt von einem Kulturpessimismus, der die eigene Rolle viel zu hoch ansiedelt. Geht es noch höher? Aber ja doch. Die Zeit veröffentlichte einen fiktiven Dankesbrief von Jaron Lanier, der angeblich mit den europäischen Piratenparteien abrechnet, die die "Linken" unschädlich gemacht haben sollen. Gleichzeitig hätten sie das Urheberrecht zertrümmert und damit den Mächtigen im Silicon Valley in die Arme gespielt, die Massendaten brauchen, um ihre bald weltbeherrschende Künstliche Intelligenz zu verbessern. Dass die Piraten in vielen Ländern Europas längst Geschichte sind, scheint Lanier nicht zu wissen. Möglicherweise schließt er aber auch von der klugen Piratin Reda auf die Existenz einer großen Bewegung. Dann dürfte ihn der nächste Schritt nachhaltig wundern: Julia Reda geht ans MIT Media Lab, um bei Joi Ito zu promovieren, der gerade über Ethik und KI forscht.

Was wird.

Ethik bestimmt das sittliche Handeln der Menschen unter der Voraussetzung, dass Menschen zwischen Gut und Böse unterscheiden können. Dazu braucht es ein gewisses Alter und Lebenserfahrung. Manchmal werden auch übernatürliche Wesen bemüht, die Gut und Böse in einer Religion verpacken. In den nächsten Tagen will das Bundesinnenministerium, das in dieser Woche seine stolze Bilanz präsentierte, sich daran machen, dass der Verfassungsschutz Kinder ins Visier nehmen darf. Offensichtlich hat man im Ministerium den neuen Dokumentarfilm Of Fathers and Sons - Die Kinder des Kalifats vorab gesehen und hat sich entschlossen, zu stignmatisieren, was nur irgend stigmatisiert werden kann. Passend dazu kommt die geplante Erlaubnis, Flüchtlings-Smartphones von Jugendlichen präventiv mit Trojanern überwachen zu lassen. Wir wollen frühzeitig wissen, wer gut und böse ist.

Das ganze Überwachungs-Arsenal im Namen der Sicherheit macht aus unserer Republik noch keinen Überwachungsstaat, iwo. Schließlich gibt es auch Verbesserungen zu vermelden, jawohl. Es gibt keine Videoüberwachung mehr, nur noch die viel sanftere Videobeobachtung, mit der Straßen und Plätze "videogeschützt" werden. Big Brother ist ein liebevoller Opa für die kleinen Racker. Da muss man sich glatt ganz doll mitfreuen, dass passend dazu aus Marc-Uwe Klings Qualityland in den USA eine TV-Serie gemacht wird, die von Mike Judge kreiert wird. So schön kann Zukunft sein.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. Von Scherzen und anderen intelligenten Äußerungen.
Beitrag von: SiLæncer am 31 März, 2019, 09:59
Es gibt noch gute Nachrichten, auch wenn manchen die Grenzen ihrer Welt nicht nur sprachlich aufgezeigt werden, freut sich Hal Faber.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Nein, das Netz ist nicht kaputt. "Wenn Information an Information gerieben wird", schrieb Marschall McLuhan zu den Netzstrümpfen, "erzielt man erstaunliche Ergebnisse". So leben wir mit erstaunlichen Ergebnissen in interessanten Zeiten. Selbst der größte Aprilscherz schafft es nicht, sich an den Kalender zu halten. Da war doch dieser Tag, an dem Geschichte hätte geschrieben werden können, doch dann haben sie sich nicht zu dürfen getraut, um es mit Karl Valentin zu sagen: Am 29. März wollte Großbritannien die EU verlassen und wieder eine Weltmacht werden, wie es Jacob Rees-Mogg behauptete. Mitten in der Fastenzeit wollte der gläubige Katholik an diesem Datum ein paar Flaschen Bollinger köpfen und "Rule, Britannia!" anstimmen. Daraus wurde nichts, denn Theresa May verlor am Donnerstag auch die dritte Abstimmung – und die acht Probewahlen tags zuvor. Macht nichts, jetzt soll die vierte kommen. Irgendwie erinnert das an die sehr britische Sage vom Schwarzen Ritter und seinen vier Gliedmaßen, die man, Uploadfilter hin, Uploadfilter her, bei Youtube bestaunen kann. Genießen wir es mit ein paar Flaschen Pol Roger, es gibt ja nicht allzu viel zu lachen in einer Zeit, in der selbst Microsoft :Aprilscherze untersagt. Oder sollt es lieber ein, zwei, drei Pint lauwarmes Bier sein?

*** Der nächste "Stiff Upper Blörb" zu diesem Thema ist dann der 12. April. Ausgerechnet am Ehrentag des Union Jack, der vor 413 Jahren erstmals gehisst wurde. Die Mischung aus Georgskreuz (England) und Andreaskreuz (Schottland) wurde später noch einmal mit dem Patrickskreuz (Irland) aufgepeppt. Jetzt sieht es dachlattentechnisch so aus, als würden sich diese drei Länder am liebsten mit richtigen Kreuzen prügeln. Die beste Aprilscherzrede hielt denn auch Steve Baker von der European Research Group des Jacob Rees-Moog. Er brüllte, dass er mit einem Bulldozer kommen und die Trümmer des Unterhauses in die Themse schieben werde. Das wäre dann der große Abriss.

*** Bekanntlich hat sich auch die EU nicht mit Ruhm bekleckert und für den Einsatz von Uploadfiltern gestimmt. Die Meldung zu dieser Entscheidung dürfte es zusammen mit 2400 Kommentaren locker in die Top Ten von 2019 bringen. Besonders beschämend, wie zur Rede von Julia Reda gepöbelt wurde. Nichts zu spüren von der Würde des Hauses, auch hier war die Bulldozerei beim Brüllen nicht fern. In der Rede ist das Logo der Piratenpartei eingeblendet, was schon wieder historisch ist. Denn Julia Reda hat die Piratenpartei verlassen, weil ihr ehemaliger Büroleiter Gilles Bordelais auf Platz 2 der EU-Wahlliste der Piraten kandidiert. So ist die bittere #MeToo-Debatte wieder auf der Tagesordnung und dieses Twitter-Video endet ebenso bitter wie konsequent: "Wenn ihr also meine Arbeit wertschätzen wollt, dann wählt eine Partei, die sich gegen Uploadfilter engagiert hat - aber wählt nicht die Piratenpartei."

*** Und sonst so, was sagt die Bewegung? Halt, da ist gar keine, meint ein Journalist und schreibt davon, dass all die protestierenden Youtuber keine Freiheitskämpfer sind. "Ich schlage vor, in den Uploadfiltern ganz pragmatisch eine Chance zu sehen. Die Macht über künstliche Intelligenz und unsere Timelines liegt doch eh schon im Silicon Valley. Uploadfilter wären die ersten Algorithmen, die unter Beobachtung der Netzgemeinde stünden, statt sich ihnen willenlos zu unterwerfen. Daraus könnte ein neues Bewusstsein entstehen, ein Bedürfnis, auch das Bisherige unter öffentliche Kontrolle zu stellen. Möglich wäre auch, solche Filter mit staatlicher Förderung in Europa zu entwickeln und kleine Plattformen zur Verfügung zu stellen." Wir halten fest: Gegen die Macht der großen Netzkonzerne mit der Verfügungsgewalt über die künstliche Intelligenz können quelloffene Filter, die mit staatlicher Förderung in Europa programmiert werden, ein Widerstandszeichen setzen. Logik, ick hör Dir trapsen, oder, wie Wittgenstein so schön sagte: "Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt." Diese Welt scheint sehr klein zu sein.

*** Und überhaupt: Da kommt die Erfolgsmarke "KI made in Germany" ins Spiel, gegen die KI der anderen und so passt es wie die Faust aufs Auge, dass in dieser Woche ein elfköpfiger internationaler KI-Experten-Beirat ins Leben gerufen wurde, der vernetzt und verzahnt, was es nur in der KI zu vernetzen, zu verzahnen und zu verarzten geht. Wer jetzt lästert, es gehe da nur um das Abgreifen und Kanalisieren von Fördergeldern, also den 500 Millionen oder den drei Milliarden, die bis 2025 angepeilt sind, hat natürlich recht. Darum geht es immer. Gut lässt sich das bei Turing Awards für 2018 verfolgen, deren Preisträger in dieser Woche der Öffentlichkeit vorgestellt wurden. Kein Deutscher dabei? Gähn, was für eine uninteressante Meldung.

*** Liest man die Begründungen der Association of Computing Machinery, so wird schnell klar, dass alle drei Preisträger für ihre Pionierarbeiten auf dem Gebiet des Deep Learning geehrt werden. Nun lade man das Strategiepapier der Bundesregierung in einen Dateibetrachter und gebe als Suchbebegriff mal "deep" ein. Kein Treffer? Vielleicht wollten sich die KI-Strategen der Regierung keine Blöße geben, wie weiland der heutige Turing-Preisträger Geoffrey Hinton, der in seinem Paper von 1983 alle möglichen Begriffe benutzte, um die Aufpasser der offiziellen KI-Lehre nicht zu wecken. Den hübschen Rest vom Paradigmenwechsel kann man bei Thomas Kuhn lesen. Vielleicht aber haben die KI-Strategen der Regierung aber auch keine Ahnung zum Forschungsstand bei neuronalen Netzen. Das wäre doppelplusungut, um es höflich im Forensprech auszudrücken.

*** Gute Nachrichten? Klar! Der SC Freiburg hat bei den Bayern ein Unentschieden geschafft. Yessss! Es gibt sie noch, die große Gerechtigkeit für die, die sie verdient haben.

Was wird.

Die Schlachten sind geschlagen, die Wunden werden verarztet, in Freiburg, in Großbritannien und in den USA, wo ausgewählte Teile des Mueller-Reportes veröffentlicht wurden. Bis dieser so geschwärzt ist, dass kein Dokumentenbetrachter die zensierten Stellen entlöschen kann, soll es Mitte April werden. Bis dahin lohnen sich all die Kommentare nicht, die jetzt geschrieben wurden. Bleiben wir lieber bei der KI, mit Watson, der die Medizin auf ungeahnte Touren bringen sollte. Das klappte nicht so ganz. Verglichen mit dem lebensgefährlichen Desaster, in dem die Krankenhaus-IT in den USA steckt, ist IBM mit Watson noch gut davongekommen. Aber wir wollen ja mehr davon. In Berlin startet bald die DMEA, ausgeschrieben im schicksten Englisch die "Digital Medical Expertise & Applications" als Messe für die Medizin-IT. Was früher einmal ConHIT hieß, will nun die Medical Expertise mit der Medical Experience zusammenführen. Apps, ähem, Gesundheit-Navigatoren für Patienten, soweit der Finger scrollen kann! Natürlich mit integriertem Chat-Bot und dieser KI made in Germany, wissensschon. Das Internet der Dinge integriert im Krankenbett! Da kann schon einmal das Herz rasen und der Vorhof flimmern, bis der Elektroschocker zum Einsatz kommt. Umhegt und geborgen von treuen Sensoren erwarten wir sanft gestimmt den neuen Tag. Wie war das noch mit Vivy? Inzwischen alles behoben und paletti? Höhöhö, röhrt es in der Hauspostanlage des Gesundheitsministeriums.

Wer sich nicht für die neuesten Streiche von Gesundheitsminister Jens Spahn interessiert, wird sich eher gleich nächste Woche am Rande der norddeutschen Tiefebene auf der Hannover Messe Industrie einfinden, wo Hyperloop und Richard David Precht ein Stelldichein haben, und wo heute Abend Angela Merkel ihre letzte Messeeröffnungsgala als Bundeskanzlerin bestreitet. Gerade hat sie sich noch auf den Girls Days darüber informiert, was eine Programmiererin macht, schon ist sie im Hannoveraner Hyperloop und schwärmt von den tollen Industrierobotern, die dank dieser deep neural networks Bananen besser werfen können als Menschen – mit Software von Google.

Gut, sie mögen etwas doof aussehen. Dafür haben wir ja die viel schicker formatierten Papiere zur KI-Strategie. Industrielle Intelligenz hat eben viele Facetten. Womit wir bei der Auflösung des anfangs erwähnten April-Scherz-Verbotes sind. Am Messestand von Microsoft sind die Besucher eingeladen, Manufacturing a better future zu betrachten, in der Schichtarbeiter mit der Microsoft Hololens 2 vor sich hin werkeln. Das wollen wir unseren Kindern doch ersparen, oder?

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. Eine Art Protokollerklärung
Beitrag von: SiLæncer am 07 April, 2019, 08:00
Artikel 17 ohne Uploadfilter, Ethikkommissionen ohne Ethik, KI-Erklärungen und ein IT-Sicherheitsgesetz als Sahnehäubchen, das Hal Faber nicht schmeckt.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war

***Es ist etwas her, da wurde in dieser kleinen Wochenschau der Dokumentarfilm über die "Cleaners" erwähnt, die auf den Philippinen im Auftrag von Facebook und Instagram schlimme Inhalte löschen. Der Film zeigte, wie miserabel die Arbeitsbedingungen der menschlichen Uploadfilter sind, wie wenig Hilfe sie bekommen, wenn sie verstörende Inhalte verarbeiten müssen. Nun haben die Aktivisten von Netzpolitik.org Einblick in die Arbeit eines deutschen Löschzentrums bekommen, wo es nicht weniger stressig zugeht. Der einzige Unterschied mag neben der besseren Bezahlung die psychologische Betreuung sein, die zumindest tagsüber verfügbar sein soll. 1000 Leute müssen im Ruhrgebiet im Drei-Schichten-Betrieb bei der sinnigerweise CCC genannten Firma 600 Mal am Tag entscheiden, was geduldet oder gelöscht oder zur Firmenzentrale nach Dublin weitergeschickt wird. Die Beschreibung der Arbeit liest sich etwas anders als die journalistische Vorstellung von irgendeinem schwitzenden Sachbearbeiter mit Halbglatze, den die tageszeitung bei Facebook vermutet. Doch wer weiß, was alles in der fünfseitigen "Protokollerklärung" zu den Upload-Filtern nach Artikel 17 der EU-Reform stehen wird, die Justizministerin Katarina Barley zur Umsetzung in Auftrag gegeben hat. Hübsch schwammig heißt es da, man werde sich "von dem Ziel leiten lassen, ohne das Instrument 'Upload-Filter'auszukommen." Vielleicht wird so die Einstellung von ein paar Tausend schwitzenden Sachbearbeitern mit Halbglatze protokollarisch vorgeschrieben, vielleicht wird es eine detaillierte Arbeitsanleitung sein, wie man einen Pelz wäscht, ohne sich nass zu machen. Für den Hinweis der Ministerin, dass nur "marktmächtige" Firmen wie Facebook betroffen sind, gibt es schon jetzt Fleißpünktchen. So sind sie bei der SPD, immer im Kampf gegen die großen Konzerne, Seite an Seite schreitend mit der Upload-Bürgerschaft.

*** Es gab eine Zeit in Deutschland, als das Bürgertum seine Stimme erhob und das Hambacher Fest gestaltete. Nationale Einheit, weg mit aller Kleinstaaterei und eine direkte Demokratie gehörten zu den Forderungen von 1832. In Erinnerung an diese Zeit haben sich in dieser Woche die deutschen Datenschützer auf dem Hambacher Schloss getroffen und ein Hambacher Manifest verabschiedet. Diese Hambacher Erklärung zur Künstlichen Intelligenz (PDF-Datei) soll sicherstellen, dass Freiheit, Demokratie und die Wahrung der Grundrechte geschützt werden, wenn KI-Systeme Daten sammeln und verknüpfen. KI dürfe niemals Menschen zum Objekt machen und damit die Menschenwürde verletzten, heißt es in der Erklärung. Auch sollen KI-Systeme "nur für verfassungsrechtlich legitimierte Zwecke" eingesetzt werden. Das sind schöne, wichtige Sätze, zu denen freilich auch diese Einschränkung gerechnet werden muss: "Eine allgemein anerkannte Definition des Begriffs der Künstlichen Intelligenz existiert bisher nicht." In Ermangelung dieser Definition beziehen sich die Datenschützer auf die KI-Definition der Datenethikkomission der Bundesregierung. Sie umfasst alle Systeme, die aus neuen Daten neue Dinge "lernen" kann: "Die Datenethikkommission der Bundesregierung hebt ergänzend als wichtige Grundlagen für KI die Mustererkennung, das maschinelle Lernen und Methoden der heuristischen Suche, der Inferenz und der Handlungsplanung hervor."

*** Immerhin gibt es die deutsche Datenethikkommision noch. Das kann man von Googles Advanced Technology External Advisory Council (ATEAC) nicht behaupten. Knapp eine Woche lang existierte diese Expertenkomission, die Google in ethischen Fragen bei der Nutzung von KI-Systemen beraten sollte. Unter den acht beratenden Expert*innen befand sich mit Kay Coles James die Präsidentin der erzkonservativen Heritage Foundation. Die Trump-Anhängerin hat in der Vergangenheit mehrfach gegen Homosexuelle und Transsexuelle gewettert und sich damit gegen Googles KI-Regel Nummer zwei positioniert. Gegen den verdeckten Einbau von Vorurteilen in KI-Systemen heißt es dort: "We will seek to avoid unjust impacts on people, particularly those related to sensitive characteristics such as race, ethnicity, gender, nationality, income, sexual orientation, ability, and political or religious belief." Bleibt die Frage übrig, wer den eklatanten Widerspruch zu dieser Regel bei Google übersehen hatte. Jetzt heißt es bei Google, dass man zurück am Zeichenbrett ist und überlegt, ob eine Ethik-Kommission Sinn macht. Kann die G-MAFIA überhaupt ethisch denken?

*** Bundesinnenminister Horst Seehofer hat in seinem Ministerium den Entwurf für ein erheblich erweitertes IT-Sicherheitsgesetz so zirkulieren lassen, dass es bis auf die Webseiten von Netzpolitik.org zirkulierte. Sollte dieser Entwurf es zu einem Gesetz für IT-Sicherheit 2.0 schaffen, so ändert sich die Rolle des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI). Mehr als 860 neue Mitarbeiter sollen eingestellt werden und das BSI zur weltgrößten Sicherheitsbehörde machen, die neue Befugnisse bekommt. Dazu gehört das Recht, fremde Identitäten zu übernehmen, um Cyberangriffe ausspähen zu können, aber auch das Recht zum aktiven Hack-Back als übergreifendes Recht zum bisher schon möglichen Kampf gegen Botnetze. Neben dem Zoll, dem Bundeskriminalamt und den Landeskriminalämtern wird das BSI als weitere Behörde das Recht erhalten, die von ZITiS produzierten Trojaner einzusetzen. Gleichzeitig werden weitere Wirtschaftsbereiche zu kritischen Infrastrukturen deklariert sind dann gegenüber dem BSI meldepflichtig. Der hier beschriebene Hausfriedensbruch als Straftat, das Doxing von Politikern als schwere Straftat und die weitgehende Berichtspflicht der Provider bilden das Sahnehäubchen, das auf der Überwachungsbrühe schwimmt. Die sinnvollen Maßnahmen wie die Vergabe von Gütesiegeln für IT-Qualitätsprodukte sind durch die Selbstzertfizierungsidee seitens der IT-Branche noch einmal ausgedünnt worden.

Was wird

Frohe Kunde kommt im Rahmen eines Kongresses für Gesundheits-IT: Wo sonst nur Kassen quengeln oder Ärzte nörgeln, darf zumindest die IT-Branche strahlen: die dritte Generation der elektronischen Gesundheitskarte kommt bereits 2019 und sie wird mit drahtloser Schnittstelle ausgestattet sein. Damit kann das Smartphone die auf der Karte gespeicherten Daten der Versicherten auslesen und in bekannt unsicherer Umgebung verarbeiten. Natürlich braucht es neue Lesegeräte in den Arztpraxen und Krankenhäusern, weil dort schließlich noch der kontaktbehaftete Heilberufsausweis gesteckt werden muss. Was für ein köstlicher Update-Zwang! Doch irgendwie ist der modernste telemedizinische Ansatz nicht wirklich zu Ende gedacht: Was ist mit den Notfällen und den armen Seelenrettern, die fluchend nach der Gesundheitskarte suchen? Vom Haustier lernen heißt siegen lernen im wunderbaren Land der Gesundheit: rein mit dem NFC-Chip in den Körper und die Unsicherheit hat ein Ende. Vor dem Cyborg kommt der Cypatient, der bereits beim Anfassen der Türklinke seine Daten mit der Arztpraxis abgleicht.

Überlassen wir es den Experten für das Lesen in Vogeleingeweiden und Kaffeesätzen, ob der Brexit kommt oder ein Flexit angesagt ist und Großbritannien die Peinlichkeit nicht erspart bleibt, noch eine Europawahl durchzuführen. Was im übrigen eine besonders elegante Form des politischen Selbstmordes sein könnte. Zum Dank für den selbst produzierten Schlamassel könnte man sich auch besonders widerlich verhalten, so ein Alternativvorschlag eines twitternden Politikers, der tief blicken lässt. Doch sei's drum. Stattdessen sei eine gerade online gestellte britische Analyse erwähnt, die zeigt, wie eng die europäischen Datenbanksysteme miteinander verflochten sind, um die Migration nach Europa so schwer wie möglich zu machen. Damit sind wir beim nächsten Streich, dem von der EU angepeilten Terror-Filter mit dem alle europäischen Polizeibehörden einen Löschbefehl aussprechen können, der innerhalb einer Stunde befolgt werden muss. Was als Reaktion auf die Morde in Neuseeland und als Verbesserung der Take-Down-Notice angepriesen wird, ist der nächste Schritt Richtung Polizeistaat. Europa, es ist schon ein Kreuz mit dir.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. Es war einmal ein FTP-User mit Folgen.
Beitrag von: SiLæncer am 14 April, 2019, 09:59
Nazis? Ach was, autoritäre Nationalradikale. Schlimm genug. Heute gefährlicher vielleicht. Aber vorher something completely different. Oder? Hal Faber grübelt.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Ach du liebes FTP-Userlein, jetzt haben wir die Bescherung. Im SIPRNET des US-Militärs gab oder gibt es jede Menge Windows-Computer, die neben den individuellen Nutzerkonten das generische Konto "FTP-User" besitzen, damit es die Administration beim Upload von Dateien etwas einfacher hat. Nachdem der Analyst Bradley Manning (heute: Chelsea Manning) in Fort Hammer im Irak unter seinem eigenen Nutzernamen viele Videos und Dateien auf eine CD kopierte und später an Wikileaks schickte, wollte er vorsichtiger vorgehen und keine Spuren mehr hinterlassen. Also bootete er seinen Arbeitsplatzrechner unter Linux und suchte nach der SAM-Datei, um aus ihr den Hashwert für diesen "FTP-User" zu extrahieren, von dem er wusste, dass er existiert. Mit Erfolg: 80c11049faebf441d524fb3c4cd5351c. Im Chat mit Julian Assange bot dieser dem Gefreiten Manning an, den Hashwert zu einem "Rainbow Table Guy" zu schicken, der das Passwort knacken könnte. Dieses Angebot bildet zusammen mit dem Chat-Protokoll die Grundlage für die Anklage der USA nach dem Computer Fraud and Abuse Act, derzufolge Manning und Assange zu einer Hacking Conspiracy zusammengetan haben. Die gemeinschaftliche Tat, erweitert durch die Ermunterung Assanges an Manning, doch bitte weiter nach kompromittierenden Daten zu suchen, bildet wiederum die Grundlage für das Auslieferungsersuchen der USA, über das britische Richter am 2. Mai entscheiden müssen. Gegen diese Entscheidung kann Assange vor verschiedenen Instanzen klagen, unter Umständen sogar vor dem europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, sofern Großbritannien dann noch Mitglied der EU ist.

*** Das Chat-Protokoll und die Aussage des Forensikers Shavers im Militär-Prozess gegen den Anarchisten Bradley Manning bilden also die Grundlage. Etliche schnell geschriebenen Berichte sprechen nun von einem großen Schaden, der damals angerichtet wurde, doch die damalige Anklage gegen Manning weiß davon nichts. Ganz im Gegenteil: "Fortunately for the United States, PFC Manning's attempts to gain access to the FPT user account would fail despite his requests for assistance from Julian Assange and WikiLeaks", heißt es auf Seite 11.000 der Manning-Akten, wo der "FTP-User" auch noch falsch geschrieben wurde. Die USA nehmen also das kleinstmögliche Vergehen und umgehen so alle Fragen nach der Rolle der Presse- und Meinungsfreiheit, wohl im Bewusstsein der Tatsache, dass Assange in seinem letzten (verlorenen) Verfahren gegen die Auslieferung an Schweden vor dem Supreme Court Großbritanniens erstmals als "Publisher" bezeichnet wurde. Insofern läuft der Ärger über Kommentare zur roten Linie ins Leere. "Hacken und Passwörter knacken, das ist für Journalisten ein Tabu.".

*** Wichtig ist indes, dass die USA mit ihrer Klage alles vermeiden, was das Auslieferungsersuchen mit einer militärischen oder politischen Klage verbinden könnte. Das gilt auch für die Forderungen von Hillary Clinton, die das Eingreifen von Wikileaks in den US-Wahlkampf untersuchen lassen möchte. Denn all diese zusätzlichen Aspekte erhöhen die Gefahr, dass ein britisches Gericht die Auslieferung ablehnt. Schließlich sind insbesondere militärische Fragen nicht vom Auslieferungsvertrag gedeckt, den beide Länder unterschrieben haben. Allerdings ist es bis zum 2. Mai möglich, dass die US-Behörden neue Anklagen nachliefern, um das Auslieferungsbegehren zu untermauern. Völkerrechtlich sollte jedoch der Spezialitätsgrundsatz gelten, nach dem Assange nur für die Taten vor Gericht gestellt werden kann, die auch im Antrag auf seine Auslieferung genannt werden. Da US-Richter dies in einigen Verfahren anders sahen, könnte das britische Gericht eine Klausel in den Auslieferungsbeschluss einbauen, dass der Spezialitätsgrundsatz beachtet werden muss.

*** Es könnte auch ganz anders kommen: Erinnert sei an den Fall des UFO-Hackers Gary McKinnon, in dem die damalige Innenministerin Theresa May die Auslieferung schlicht untersagte, oder an den Fall von Lauri Love, in dem das angerufene Gericht Nein sagte. Juristisch interessant wäre auch der Fall, wenn Schweden seinen Antrag auf Auslieferung aktiviert. Da dieser Antrag bereits 2010 gestellt wurde, hätte er Vorrang vor dem US-amerikanischen. Über 70 britische Parlamentarier der Labour Party haben sich in einem offenen Brief für diese Variante stark gemacht und dabei an Gary McKinnon erinnert. Der Nebeneffekt: Würde Assange auf diese Weise nach Stockholm zurückkehren, so müssen Schweden und Großbritannien gemeinsam über den US-amerikanischen Auslieferungsantrag befinden.

*** Und sonst so? Während die Süddeutsche Zeitung von "Sankt Julian" schwärmt, dem Märtyrer der digitalen Kultur, dem ersten Ideologen des Internet, dem Verkünder der radikalen Transparenz und dem produktiven Zerstörer aller Kommunikationsflüsse, hält es die Frankfurter Allgemeine Zeitung mehr mit seinem ehemaligen Gefährten Daniel Domscheit-Berg. Dieser "erklärt", dass Assange für Trump ein nützlicher Idiot gewesen sei, und dass er liebend gerne die Hand beißt, die ihn füttert. Noch einen Schritt weiter geht Kim Dotcom, der Julian Assange direkt mit Jesus als dem ultimativen Verkünder der Wahrheit vergleicht und Ostern zu dem Fest machen will, an dem Julian Assange wieder aufersteht. Passend dazu gibt es die auch hier verlinkten Botschafts-Bilder vom russischen Ruptly, in denen der weißbärtige Märtyrer verschleppt wird. Man kann es auch gelassener sehen wie Reporter ohne Grenzen, wo man von den verdienstvollen Journalismus-ähnlichen Aktivitäten spricht und dennoch davor warnt, dass mit seiner Auslieferung an die USA die Presse- und Meinungsfreiheit weltweit in Mitleidenschaft gezogen wird. Was bleibt? Bescheiden, wie es gerade vor Ostern heise-Art ist, sei auf den Tippgeber verwiesen, der sich seit seinem Start im Jahre 2017 mehrfach bewährt hat, natürlich auch in diesem schauderschummerbösen Tor-Netz, das deutsche Politiker ausrotten wollen.

Was wird.

Was für ein schöner Sonntag! Wenn diese kleine, thematisch leicht einseitige Wochenschau online erscheint, beginnen unweit von Goethes Weimar die Feierlichkeiten zur Befreiung des Lagers Buchenwald, von der Mitglieder der AfD ausgeschlossen sind. Dankenswerterweise hat der Bielefelder Soziologe Wilhelm Heitmeyer, Herausgeber der "Deutschen Zustände", nun mit einem kenntnisreichen Artikel darauf aufmerksam gemacht, dass die AfD keine rechtspopulistische Partei ist und auch keine Partei der Neonazis, die mit Gewaltanwendungen und Gewaltdrohungen arbeiten. Vielmehr praktiziere die AfD einen autoritären Nationalradikalismus voll gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit. "Gefährlich ist der Autoritäre Nationalradikalismus der AfD vor allem, weil er auf die gesellschaftlichen und politischen Institutionen zielt, auf Parlamente wie Gerichte, auf Polizei, Schulen, Vereine, Theater. Er will destabilisieren, Verängstigungsdruck erzeugen und einen Systemwechsel in Gang setzen." Das gelingt dem Nationalradikalismus solange, wie die "Wahrnehmung von biografischen, kulturellen oder sozial-geografischen Kontrollverlusten existiert oder gar zunimmt." Wer Angst vor einem Statusverlust oder dem Verlust der Teilhabe am sozialen Leben hat, der greift mit der Partei die Institutionen an, die Schuld an diesem Zustand haben sollen und entwickelt daraus Machtgefühle oder Hass auf bestimmte Flughäfen.

Ja, der EU-Wahlkampf hat begonnen, mit seltsamen Plakaten.

Zur anstehenden Feier des 125. Geburtstages der Streaming-Technologie nach dem Schema "ein Film - ein Zuschauer" startet in der Sonntagnacht die letzte Staffel des Gemetzels namens Games of Thrones. Das Ende hat ein kluger Algorithmus errechnet, der sich die gesamten 63,5 Stunden reingepfiffen hat, eine Leistung, auf die Computer kommen können, wenn sie nicht gerade Fotos von Schwarzen Löchern zusammenpuzzeln, die ein kollaboratives Teleskop-Systen produzierte. Die Erklärung der Leistung sollte kompetenten Forschern überlassen bleiben, bei der Saga um den Eisernen Thron verlassen wir uns auf den Filmkritiker der tageszeitung: "Eine Handvoll Adliger und unehelicher Adelskinder kämpft im mittelalterlichen Setting mit kreativer Gewalttätigkeit um den Eisernen Thron." Mehr braucht man wirklich nicht zu wissen, Jon Snow.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. ad nebulam per aspera
Beitrag von: SiLæncer am 21 April, 2019, 09:41
Worüber man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen. Bevor er aber sprachlos den Frühling genießt, hat Hal Faber aber schon noch was zu sagen.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Notre Dame ist eines dieser Fundamente, auf denen die europäische Geschichte ruht und west, mit grusligen Wasserspeiern auf dem Dach, die das Schlechte der Welt abhalten und den guten Quasimodo im Gebälk. Hier wurde die Schottin Maria Stuart zur Königin von England und Frankreich gekrönt, hier wurde die in Rouen auf dem Scheiterhaufen verbrannte Jean d'Arc rehabilitiert. Hier heiratete Margarete von Valois den Hugenotten Heinrich von Navarra, der freilich mit dem falschen Glauben draußen warten musste. Sechs Tage später wurde mit der Bartolomäusnacht daraus die Bluthochzeit. Hier setzte sich Napoleon 1804 kurzerhand selbst die Krone auf. Kurz zuvor war Notre Dame anno 1792 keine Kirche mehr, sondern ein "Tempel der Vernunft" in dem strikt nach dem Dezimalsystem alle 10 Tage der Sonntag gefeiert wurde, bis die Bevölkerung meuterte und den siebten Tag zurückbekam. Notre Dame ist das "alte, große Herz dieser herrlichen Stadt".

*** Was die feierlichen Gefühle zum vielfach umgebauten Gebäude des finsteren Mittelalters auf den Überresten von Lutetia anbelangt, so gab es noch ganz andere Überlegungen: 1886 schrieb Léo Clareties eine "Geschichte von Paris bis zum Jahre 3000" und siehe da, im Jahre 1987 ist Notre Dame eine trostlose Ruine und wird komplett abgerissen und durch das ersetzt, was man heute eine Megamall nennt. Das bringt uns zum Dunkel der Geschichte, als Deutschland Frankreich besetzte und Marschall Pétain 1944 von den Parisern in der Notre Dame bejubelt wurde. Dieses Kapitel hat Frankreich ganz schnell vergessen, denn es wurde ja wieder hell und die Glocken von Notre Dame läutete die Befreiung von Paris ein. Die Stadt wurde von Dietrich von Choltitz entgegen Hitlers Befehl zur Sprengung von Notre Dame und Eiffelturm nicht in Schutt und Asche gelegt. Warum das nicht geschah, ob es an Sprengstoff mangelte oder Todesdrohungen der Resistance gab, darüber streiten sich die Historiker noch heute. Dagegen sind die neuen Drohungen einfach nur niederträchtig. Die Nachricht vom Feuer war wenige Minuten alt, da stand es für die AfD bereits fest, dass ein muslimischer Brandanschlag die Katastrophe ausgelöst hatte. Die Folge: Üble Beschimpfungen aus der Partei, die in Europa doch nur den "Diesel retten" will und jetzt warnt, dass "Angriffe auf christliche Hoheitszeichen" zunehmen werden. Das alles ist strategisch erbrochen, um vor "großen Gefahren" warnen zu können. Dabei war es nur ein Kurzschluss, ein besonders sinnloses Ereignis der Sinnlosigkeit des Ganzen.

*** Ja, man kann wirklich manchmal nicht so viel fressen wie man kotzen möchte angesichts dessen, was sich Rechtspopulisten heutzutage so rausnehmen, um ihr vergiftetes Süppchen zu kochen. Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen? Ach ja. Trösten wir uns: Die Welt ist alles, was der Fall ist – auch per Blechbläser.

*** Und wo wir schon dabei sind, was alles der Fall ist: Hopplahopp sind 8000 Millionen Euro für den Wiederaufbau da. Wer die Summe empört mit den Fördergeldern für KiTas o.ä. vergleicht, vergisst, dass solche Spenden in Frankreich zu 60 Prozent von der Steuer abgesetzt werden können. Sollte der Wiederaufbau von Notre Dame gar zum "trésor national" erklärt werden, wären sogar 90 Prozent steuerlich absetzbar. Welches Kircherl hättens denn dann gerne? Mit diesem Spitzturm, der erst Mitte des 19. Jahrhunderts aufs Dach gesetzt wurde? Oder lieber mit dem schlanken Türmchen, wie es davor über 200 Jahre lang stand, ehe es ebenfalls verbrannte? Eine Glaspyramide wäre auch ganz nett. Mit Eichenbalken, wie sie im Original von Ubisoft während der französischen Revolution gezimmert wurden? Wie wäre es mit einem Glasdach? Oder lieber mit einer Eisenkonstruktion, wie sie der Krönungsdom von Reims bekam, den deutsche Truppen im ersten Weltkrieg mal eben zu Klump schossen? Das Versprechen von Präsident Macron, in fünf Jahren mit der nächsten Notre Dame fertig zu sein, lässt nichts Gutes erahnen. Für den Einbau eines Eichengebälks, für das 150 Zimmerleute benötigt werden, dürfte schon die Zeit nicht reichen. Aber vielleicht findet sich irgendwo eine bahnbrechende Idee, am besten mit machine learning und Teilen aus dem 3D-Drucker. Bis dahin kann man alles verhüllen wie seinerzeit den Reichstag.

*** In den Vereinigten Staaten von Amerika ist endlich eine halbwegs vollständige Version des Berichtes von US-Sonderermittler Robert Mueller erschienen. Der Bericht ist teilweise geschwärzt und das Format ist nicht geeignet für die Suche nach bestimmten Personen, aber "das Internet" hat reagiert und mehrere wunderbare PDF-Dateien veröffentlicht. Auf diese Weise kann man den CCC-Aktivisten Andrew Müller-Maguhn finden, der im frei gegebenen Text nicht auftaucht, vielleicht aber im geschwärzten Teil erwähnt wird. Selbst Wikileaks stellt eine Variante des Mueller-Berichtes zur Verfügung, obwohl die Rolle von Julian Assange im Bericht nicht besonders schmeichelhaft ist, siehe seine Erwähnung von Seth Rich als Whistleblower.

*** Insgesamt sehen wir im Bericht das längst bekannte Bild einer unfähigen Regierung mit einem unberechenbaren Präsidenten, umgeben von Mitarbeitern, die lügen und schon mal das Gegenteil von dem machen, was ihnen aufgetragen wurde. In zehn von Mueller aufgezählten Situationen hat sich Präsident Donald Trump hart an der Grenze der Legalität bewegt. Hinzu kommen die schriftlichen Antworten von Trump auf Ermittlungsfragen mit dem immergleichen "I do not recall". In dieser Situation sollte man sich aber erinnern und an die im Gefängnis einsitzende Whistleblowerin Reality Winner denken. Ihre Aussagen zu dem, was sie an Intrigen hinter den Kulissen befürchtete, decken sich mit den, was der Mueller-Bericht aufzählt. Fünf Jahre Haft für die Wahrheit, das ist ein bitterer Preis.

*** Bis jetzt sieht es so aus, dass aus den Details des Mueller-Berichtes über die Rolle von Wikileaks und Assange keine zusätzlichen Anklagepunkte zum Antrag auf Auslieferung Assanges gewonnen werden können, ohne dass die USA politische oder militärische Argumente vorbringen. Sicher werden die Juristen entsprechende Passagen suchen und das können sie bekanntlich auch in den geschwärzten Passagen. In dieser Form ist die äußerst dünne Anklage sicher nicht geeignet, dass Großbritannien einem Auslieferungsbegehren zustimmt, zumal das Land in einem Alptraum aufwacht. Mit der Ermordung der Journalistin Lyra McKee durch jugendliche Angehörige einer "New IRA" kann der Brexit in einen mörderischen Exit umkippen. Soviel zum friedlichen Osterfest und dem Karfreitagsabkommen.

Was wird.

Es gibt solche und solche Drohnen. Da sind einmal die Winz-Drohnen mit künstlicher Schwarmintelligenz, von denen man ein paar Handvoll in die Luft werfen kann und die sich dann zusammentun und das Gefechtsfeld für die Bodentruppen aufklären, bis es gewissermaßen gläsern ist und der Einsatz der Truppe besser koordiniert werden kann. Dann gibt es größere Geräte wie die, die über Notre Dame flogen und den Feuerwehren Informationen lieferten. Schließlich gibt es die dicken Brummer, die ganze Abschnitte aufklären und stundenlang in der Luft bleiben können. In diesem Bereich wechselt die Bundeswehr gerade von den israelischen Heron-Drohnen zu den Heron TP-Drohnen. Letztere könnten mit einer Rakete ausgestattet werden und wechseln damit im Militärsprech ihren Status; von Sensoren werden sie zu Effektoren. Bewaffnete Drohnen aber will die regierende SPD genau so wenig einsetzen wie Uploadfilter. Was tun? Wenn diese Informationen stimmen, wurde das anstehende Problem elegant gelöst. Dann summen und brummen die Aufklärer mit Laserzielmarkierer durch die Luft, wohl eine Art Edding zum Markieren, wo die Rakete hinsoll. Das freilich, findet jedenfalls die Luftwaffe, schießt über das Ziel hinweg, metaphorisch gesprochen.

Wir schießen, damit du deine Meinung sagen kannst? Wir. Dienen. Deutschland. Damit ihr euch frei entfalten könnt? Da war doch was? Genau, vor einem Jahr gab es diesen Eklat. Oder war das nur ein Eklätchen? Die 19. re:publica steht jedenfalls vor der Tür und die Bundeswehr steht aller Wahrscheinlichkeit nach noch vor diesem Eingang und wird belächelt oder begrüßt. Ob die Truppe einen Platz im Innern der "Station" bekommt, ist derzeit noch nicht ausgemacht. Nehmen wir mal plus 200 gesangstechnisch bestens ausgebildete Soldat*innen, die die "Bohemian Rhapsody" glanzvoll meistern. Das wäre ein Angebot, bei dem Johnny und Co. die Finger zucken könnten.

Is this the real life?
Is this just fantasy?
Caught in a landslide
No escape from reality

HIER KEIN AUSGANG. HIER KEIN AUSGANG. HIER KEIN AUSGANG. HIER KEIN AUS. Bitte weiterlesen.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. Von Hunden und anderen Intelligenzen.
Beitrag von: SiLæncer am 28 April, 2019, 09:00
Manches Umdenken kommt etwas spät, und mancher, der umdenkt, rennt plötzlich in eine falsche Richtung, bemängelt Hal Faber.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** "Im Internet weiß niemand, dass du ein Hund bist." Zu diesem Meme, basierend auf einem Cartoon von Peter Steiner, der im Juli 1993 im New Yorker erschien, gibt es zahllose Geschichten und Geschichtchen. Bleiben wir zunächst bei der Hunde-Perspektive: Die klugen Vierbeiener wurden Netizens, weil vor genau 38 Jahren die erste verkäufliche Computermaus von Xerox vorgestellt wurde. Mit einer gewissen Übungszeit lernten Hunde so den Gang ins Internet, lange vor den Katzen, die Mäuse lieber jagen und nicht stupsen. Wer weiß, vielleicht hätte die Rollkugel besser zu faulen Fellkugelinnenn wie Frau Mahlzahn gepasst. Besagte Rollkugel wird im Original in wenigen Tagen feierlich in das Heinz Nixdorf Museum überführt.

*** Auch wir Journalisten wurden damals von den klugen Hunden überrascht und waren gezwungen, auf die Herausforderung zu reagieren. Bereits im November 1993 erschien in der Mailingliste "Ethics & Journalism" eine hübsche Variante der Netiquette: "On the Internet, no one knows if you're a dog or a reporter. If you are a reporter, you should announce it in your .sig file." In der Signaturdatei des E-Mail-Programmes sollten Journalisten klarstellen, dass sie als Journalisten unterwegs und nicht etwas schnüffelnde Hunde sind: Noch war das Web nicht der große Tummelplatz, sondern die Kommunikation spielte sich in Mailinglisten oder in den Newsgroups des Usenet ab. Entsprechend zärtlich war der Umgang miteinander. Zum DAU, dem dümmsten anzunehmenden Nutzer, der selbst heute noch umstands- und erklärungslos verunglimpft werden darf, gesellte sich der DAJ. Wayne interessiert's, könnte jetzt jemand fragen. Wer kann das noch lesen? Das wäre auch eine Frage zur bekannten Behauptung, dass das Internet nichts vergisst. Die Regel der Netiquette, die journalistische Arbeit in der Signaturdatei anzugeben, ist jedenfalls längst vergessen.

*** Ja, es gab mal eine Zeit, da war Journalismus etwas anderes als ein "Business", zu dem man nur die ziemlich dumme Frage nach dem "Geschäftsmodell" stellen kann. Jetzt geht es noch ein Stückchen zurück in eine Zeit, als die Bundesrepublik muffig und verstaubt war und sich in der DDR der neue Regionalnationalismus neben dem offiziellen Antifaschismus breit machte. Rechte Zeiten waren das, als vor 60 Jahren die Zeitschrift Twen gegründet wurde, basierend auf dem Geschäftsmodell der expandierenden Textilbranche. "Twen verzichtete auf jedes überirdische Glücksversprechen, war vielmehr im Gegenteil so irdisch wie möglich." Zehn Jahre später schwärmte die Twen vom Mai 1969 von den Möglichkeiten der Künstlichen Intelligenz. "Eines der atemberaubensten Projekte, an dem Wissenschaftler seit einigen Jahren arbeiten, ist das Elektronenhirn, das nicht nur komplizierte Rechnungen in Blitzgeschwindigkeit lösen, sondern auch selbständig Entscheidungen fällen, auf unvorhergesehene Ereignisse reagieren und andere Denkmaschinen – wen nicht gar Menschen steuern soll." Schaudernd wird von einem superintelligenten, künstlich gezeugten Übermenschen erzählt, der ab dem Jahr 2000 existieren soll. "Dessen Willen sich elektronisch steuern lässt, ohne dass der 'Störsender Gewissen' dazwischenfunkt." Das war schon vorausschauend, rund 20 Jahre vor dem autonomen Fahren auf deutschen Autobanhnen.

*** Nun, ganz soweit sind wir anno 2019 noch nicht. In dieser Woche hat eine Gruppe von 23 Wissenschaftlern in der Zeitschrift Nature einen Aufruf veröffentlicht, bei der Untersuchung von "maschinellem Verhalten" die Zusammenarbeit aller möglichen Wissenschaftsdisziplinen zu ermöglichen, damit die neue Disziplin der "maschinellen Verhaltensforschung" entstehen kann. Bemängelt wird, dass über KI nur in der KI-Forschung diskutiert wird, wo sich Forscher vorrangig um die Funktionstüchtigkeit ihrer KI kümmern. Der Aufruf steckt hinter einer Paywall, eine deutsche Zusammenfassung könnte bei der Süddeutschen gelesen werden, die Grundlagen zur Forschung über die Moral Machine sind beim MIT zu finden und die gesamte Vorgeschichte des Trolley-Problems natürlich hier bei Heise. Die schönste Antwort auf alle Fragen hat übrigens der Wissenschaftler Iyad Rahwan parat, der demnächst den Forschungsbereich "Mensch und Maschine" am Max-Planck-Institut in Berlin leiten wird: ""Die nächste Herausforderung wird die Politik sein. Denn künstliche Intelligenz ist Politik." Tja, wer erinnert sich da nicht an einen Wirtschaftsminister Altmaier, der von einem gar mächtigen Konzern "Airbus der KI" schwärmte oder an eine Forschungsministerin, die einen "Kosmos der Möglichkeiten" beim KI-Einsatz entdecken will?

*** Nach der furchtbaren Serie von Bombenanschlägen ist die Nutzung sozialer Medien in Sri Lanka unterbunden worden. Dies soll angeblich helfen, Fake News zu stoppen. Als Nebenprodukt werden Informationen in den jeweiligen Communities abgeklemmt, sich vor der anstehenden Welle von Hausdurchsuchungen zu warnen, die Premierminister Ranil Wickremesinghe angekündigt hat. Haus für Haus soll untersucht und "gesäubert" werden. Eine erste Hausdurchsuchung dieser Art endete mit neuen Toten. Inmitten der endlosen Spekulationen über den Einfluss des islamischen Staates wird gerne vergessen, dass bis zum Jahre 2009 ein Bürgerkrieg auf Sri Lanka tobte, dem über 40.000 Menschen zum Opfer gefallen sind. Der damalige Kriegschef Gotabaya Rajapaksa will sich im Dezember zur Wahl stellen und gab bekannt, den Terror zu 100 Prozent auslöschen zu wollen. So kriselt ein Land, das zum Kleinod der neuen Seidenstraße werden soll, die China auch im Meer verlegt. Diese Straßen werden übrigens mit dem Internet der Dinge intelligent ausgebaut.

*** Es gibt andere Nachrichten aus der Welt der Schifffahrt, eben die von den waghalsigen Versuchen, das Mittelmeer zu überqueren. Ein Videoexperiment ist veröffentlicht worden, das uns die die Not der anderen verdeutlichen soll, die an den "Küsten des Lichts" einfach nur auf die andere Küstenseite wollen. Das Video soll das Mitgefühl im Menschen anregen, jenen elementaren Trieb, der gemäß Steven Pinker die Menschen seit der Aufklärung antreibt, die Lebensbedingungen aller Menschen zu verbessern. Bis das funktioniert mit dem Mitgefühl hat die Verwaltung Vorrang: Nach all den Zahlen über syrische Flüchtlinge hat die Ankündigung von Bashir al Assad, auf "Todeslisten" stehende Heimkehrer umstandlos zu erschießen, für ein Umdenken gesorgt.

*** Ja, ja, Heimat ist ein seltsames Ding, und nicht nur Leute wie Boris Palmer scheinen da einiges misszuverstehen. Heimkehr ist zudem ein wirklich seltsames Wort. Aber kehren wir doch selbst einmal heim. Denn Beyoncés Homecoming ist neben der euphorisch-überwältigenden Band mit Brass-Section und Drum-Line, neben den massen-individuellen Tänzer*innen, neben der Sängerin Beyoncé und neben der gesamten Performance auch und vor allem ein Dokument, was die Chancen und fortschrittlichen Elemente von Identitätspolitik sind, aber auch deren Probleme und reaktionären Nebeneffekte. Homecoming straft zudem all die besserwisserischen Soziologen und neurechten Intellektuellen Lügen, die Identitätspolitik für den Aufstieg des Wutbürger-Populismus verantwortlich machen. Und die auf die seltsame Idee kommen, eine Art "Emanzipationspause" zu verlangen, auf dass sich die Mehrheit an die ach so ungewohnte Idee gewöhnen könne, dass Minderheiten – oder auch Minderheiten, die eigentlich gar keine sind, sondern einfach seit Jahrhunderten in eine untergeordnete Rolle gezwungen – gleiche Rechte haben könnten. Genau, und solange die angebliche Mehrheit sich etwas unwohl fühlt, sind halt sexistische Ausfälle und rassistische Gewalt normal. Es ist beileibe nicht nur Beyoncé, die so etwas gar nicht normal findet.

Was wird.

Im Internet weiß kaum jemand, dass du ein Journalist bist. Signaturdateien sind so was von vorgestern und wenige Kolleg*inenen schreiben das in ihr Twitter-Profil. Nicht jede oder jeder hält das Gesülze um irgendwelche Komiker*innen oder Influencer*innen aus. Aber wer es mit dem J-Wort weiß, findet immer einen Grund zum Meckern. Das macht unsere Arbeit als vierte Geringschätzung so interessant, wenn selbst bei notwendigen Sachstandsmeldungen die Kritik erklingt, dass eine sachliche Berichterstattung fehlt. Vom Gatekeeper zum Scapegoat ist ja auch eine hübsche Karriere. Zum anstehenden Tag der Pressefreiheit ist die Rangliste von Reporter ohne Grenzen veröffentlicht worden, mit einem um zwei Plätze verbesserten Arbeitsplatzumfeld für deutsche Journalisten. Was freilich daher rührt, dass Osterreich und Ungarn abgesackt sind. 22 Mal sind Journalisten in Deutschland bei ihrer Arbeit tätlich angegriffen worden, eine alles andere als strahlende Bilanz.

Zur anstehenden großen Netzsause namens re:publica mit der Eröffnungs-Keynote von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (tl, dr) muss man sich glatt die Frage stellen: Wie geht das eigentlich mit dieser Utopie der redaktionellen Gesellschaft? "Auf dem Weg zur redaktionellen Gesellschaft gilt es den Einzelnen zu befähigen, Informationen von Pseudoinformationen, Fakten von Gerüchten zu unterscheiden, letztlich also sein eigener journalistischer Gatekeeper zu werden. Die Grundlage dafür ist schon in der Schule zu legen." Na dann. Bleibt nur noch der Hinweis auf das ganz umsonstige Netzfest, bei dem Hunde diesmal leider nicht erlaubt sind. Sie müssen zu Hause bleiben. Und Frau Mahlzahn auch.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. Cyber.exe, rumms, wumms. Weg?
Beitrag von: SiLæncer am 12 Mai, 2019, 08:30
Manchmal hilft Gewalt. Nicht? Was ist Gewalt? Wer übt sie aus? Hal Faber ist sich manchmal nicht so sicher, weder bei der Gewalt noch bei der Zuordnung.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Es ist passiert. Während die letzte Wochenschau online meine Leserïnnen anregte, sich über unser großartiges Grundgesetz Gedanken zu machen, startete der Staat Israel am Samstag eine Hack-Back-Aktion mit einer Cyberattacke, gefolgt von einem militärischen Angriff auf das Gebäude im Gaza-Streifen, in dem die gegnerischen Cyberkrieger vermutet wurden. "Zur Verteidigung Israels wurde die Cyberattacke mit Cybermitteln gestoppt, danach hat unsere Luftwaffe sich um die physische Dimension gekümmert", formulierte ein Sprecher der israelischen Armee. Man könnte jetzt darüber spekulieren, ob die Cyberattacke in ihrer Gesamtheit von "so großer Intensität gewesen ist, dass sie echter, kinetischer Gewalt gleichkommt", wie es das Tallinn Manual der NATO als Voraussetzung für einen Vergeltungsschlag definiert. Mann könnte es auch sein lassen, denn Israel ist nicht Mitglied der NATO. In jedem Fall ist die Aktion völkerrechtlich einmalig und dürfte in Israel zu den großen Daten addiert werden, die gerade gefeiert werden: Der Unabhängigkeitstag des Landes am 14. Mai 1948 steht bevor, die Feier der Combatants for Peace ist vorbei, die Kapitulation von Nazi-Deutschland am 8. Mai 1945 ist begangen worden. Und dann gibt es da noch einen heiteren Wettbewerb der Sängerïnnen.

*** "HamasCyberHQ.exe has been removed" – ob es wirklich zutrifft, dass die Fähigkeiten der Hamas zerstört wurden, Israel im Cyberraum anzugreifen, wird der nächste Cyberangriff zeigen, den die Elitetruppe der Einheit 8200 und der Geheimdienst Shin Bet abwehren müssen. Wie der Chef der Cyber-Krieger, Brigade-General "D." erklärte, soll die am Samstag gestartete Cyberattacke der Palästinenser von "geringer technischer Qualität" und die eigene Truppe den Cyberkriegern immer einen Schritt voraus gewesen sein. Beim letzten Angriff dieser Art verunstalteten die attackierenden Hacker mit #OpJerusalem Dutzende von Webseiten israelischer Firmen. Da wäre ein Gegenschlag der Luftwaffe sicher als unverhältnismäßig angesehen worden.

*** Mit dem Angriff sind auch in Deutschland die Klagen darüber wieder laut geworden, das Deutschland ach so wehrlos ist und der BND endlich zurückschlagen dürfen muss. Ja, der BND, womöglich mit tatkräftiger Unterstützung der Luftwaffe, ohne hoffentlich eine Katastrophe wie in Kunduz anzurichten. Die Warnungen vor einem Cyber-Kundus gibt es ja schon. All das Gerede vom Hack-Back lässt vergessen, dass Israel bislang keine Beweise dafür veröffentlicht hat, dass die Cyberattacken vom Samstag aus dem zerstörten Gebäude gekommen sind – die Attribution steht noch aus. So passt es ganz trefflich, wenn eine Regierungsdirektorin des deutschen Verteidigungsministeriums einen Aufsatz über die "Attribution von Cyber-Angriffen" in der Zeitschrift für das gesamte Sicherheitsrecht veröffentlicht, in dem die Attribution Sache "eigener oder befreundeter Sicherheitsbehörden" ist, die die Ausgangskonten der Anonymisierungsnetzwerke überwachen und analysieren. Sie geht bis zu den Gebäuden: "Führt eine solche Rückverfolgung zu einem IT-System, das sich in einem staatlichen Gebäude, z.B. des Nachrichtendienstes eines fremden Staates, befindet, so wäre dies ein erster Hinweis auf staatliche Verantwortlichkeit." Dann muss auch konsequent gehandelt werden. Action! So schließt die Autorin konsequent: "Das Fehlen von entsprechenden Aspekten in deutschen Strategiedokumenten und der Mangel an sichtbaren Konsequenzen der bereits öffentlich erfolgten Zurechnungen von Cyber-Angriffen zu Russland (z.B. APT28 und Snake), China (z.B. APT10) oder zum Iran könnten bereits kontraproduktiv wirken.

*** Es gibt sicher Stimmen, die den Angriff von Israel auf das Gebäude im Gaza-Streifen nicht als ersten Cyber-Schlag dieser Art "in Real Life" werten. Schließlich gab es Drohnen-Angriffe der USA auf prominente Mitglieder des Cyber-Kalifates von ISIS. Im August 2015 wurde der Hacker Junaid Hussain a.k.a.TriCk von einer Hellfire-Rakete getötet, Monate später der britische Hacker Siful Haque Sujan. Über diese und andere Angriffe schrieb der Journalist Jeremy Scahill das Buch Schmutzige Kriege, bevor er zusammen mit Glenn Greenwald und Laura Poitras Intercept gründete. Mit dem preisgekrönten Film National Bird gibt es einen Dokumentarfilm, der sich mit den Dokumenten beschäftigt, die Scahill benutzte. Nun geht die US-Regierung Trump gegen den ehemaligen NSA-Mitarbeiter und Whistleblower Daniel Everett Hale vor, der noch vor der Gründung des Intercept 2013 begann, Scahill mit Informationen über das Drohnenprogramm zu versorgen. Wer die Anklageschrift studiert, wird fassungslos sein, wie unbedarft Hale vorgegangen ist. So hat er Namen und Adresse von Scahill auf seinem Arbeitsplatzcomputer gegoogelt, unverschlüsselbare SMS geschickt, USB-Sticks nicht richtig gelöscht und ist später zusammen mit Scahill öffentlich aufgetreten. Wieder einmal bestätigt sich, dass Whistleblower vor sich selbst geschützt werden müssen. Diesmal ist der Fall komplizierter als bei den Intercept-Quellen Reality Winner und Terry Allbury. Denn Hales Wohnung wurde bereits 2014 durchsucht, doch die US-Regierung Obama schritt nicht zur Anklage. So konnte Hale bei seinem Auftritt im Film "National Bird" 2016 darüber spekulieren, ob er nicht doch von der Regierung verhaftet wird. Mit Hale hat die US-Regierung Trump bei der Verfolgung von Whistleblowern aufgeholt. Der "Gleichstand" kann sich schnell ändern, wenn die frei gelassene Chelsea Manning erneut, wie von ihr angekündigt, die Aussage verweigert.

*** Es gibt wenig miesere Verräter als das Schicksal, zumal dann, wenn es ans Sterben geht. So trauert nicht nur die Heise-Redaktion um Dieter Brors, sondern auch die vielen freien Journalisten, die er in seiner trocken-freundlichen Art begleitete. Noch kurz vor seinem Tod wollte er als ausgewiesener Fachmann für Textverarbeitungen einen Text zur Geschichte der Textverarbeitungen betreuen, der nun erst einmal einen schwarzen Rand bekommt. Gestorben ist auch Wolf-Michael Catenhusen, der als Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium für Bildung und Forschung nie die Scheu hatte, mit uns IT-Journalisten auf hohem Niveau zu streiten, zum Beispiel über das Konzept von Schulen am Netz. Der SPD-Politiker Catenhusen war 1997 einer der federführenden Autoren des Leitantrages: "Von der Utopie zur Wirklichkeit: Aufbruch in die Informationsgesellschaft", mit dem das Internet als "leistungsfähiger Universaldienst" ausgebaut werden sollte und eine machbare wie von jedermann erlebbare "elektronische Demokratie" gefordert wurde. Schaut man auf die SPD von heute, bleibt nur noch Leid übrig.

Was wird.

Die re:publica 2019 ist zu Ende und hat bahnbrechendste Erkenntnisse freigesetzt, etwa die Überlegenheit von Hängematten gegenüber Bällebädern. Die angeblich von ihr repräsentierte Digital-Avantgarde ist nach allen Regeln des modernden Journalismus abgewatscht worden, da kann es glatt weitergehen im munteren Reigen der Kongresse. Etwa mit dem Digital Future Science Match in Berlin, wo sich die Vertreter der Künstlichen Intelligenz battlen. Oder wie wäre es mit der Potsdamer Konferenz für Cybersicherheit vom gleichen Veranstalter, auf der BKA, BDI, BND, Verfassungsschutz über die "Lage" in Deutschland berichten und darüber sinnieren, wo man am besten mal ordentlich Hackbacken kann?

Ein Blick sollte auch auf die anstehenden Beratungen des Bundeskabinetts geworfen werden: Wie war das noch mit dem Staatstrojaner, der nur bei schwersten und allerschwersten Verbrechen zum Einsatz kommen soll? Bei ZITiS werkeln gerade 100 Mitarbeiterïnnen von geplanten 400 Kräften an der spannenden Service-Aufgabe herum, passable Trojaner zu entwickeln. Bald sollen diese staatlich zertifizierten Programme genutzt werden dürfen, um einzelnen Einbrechern auf die Spur zu kommen, sofern sie Serientäter sind und Einbrüche planen. Man bricht also beim Einbrecher ein und installiert Software, um Einbrecher bei ihren Vorbereitungen zum Einbruch zu verfolgen. Männer, die auf Männer starren, die auf Google Maps starren – und das alles, während die Einbruchrate weiter sinkt. Zu schade, dass die Big Brother Awards 2019 schon vergeben sind und längst für die große Gala im Bielefelder Theater geprobt wird. Auf der anderen Seite hat die Trojanerei bereits mehrfach bei den Preisen abgeräumt.

Es fehlen die guten Nachrichten. Ach kommt! Mehr Katzen! Mehr Großkatzen! Tiger sind gar nicht gefährlich, nein, sondern sooooo süß.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. tu felix Austria: youtube
Beitrag von: SiLæncer am 19 Mai, 2019, 08:00
Wer sagt denn, dass Red Bull kein staatstragendes Getränk ist? Ach, ist es nicht? Doch, doch! Hal Faber gniggert.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Während in Deutschland die alten Keksdosen geöffnet werden, werden in Österreich die Champagner- und Wodkaflaschen gezählt, die im Ibiza-Video geleert werden. Sie haben angeblich dazu geführt, dass sich der Vizekanzler Hans-Christian Strache von der FPÖ wie ein Teenager benommen hat. Boys will be boys? Haben wir im Video den "echten Strache" gesehen, so wie wir die "echte Verena Bahlsen" eben nicht gesehen haben, sondern nur den verwöhnten Teenager? Ja, so "politisch" geht es zu, kurz vor der Europawahl. Wer wen mit welcher Aussage hineingelegt hat, das dürften nur reiche russische Oligarchïnnen und Erbïnnen wissen. Aber wir haben ja die Fachleute vom Verfassungsschutz, die noch vor den ersten Bildern aus Ibiza davor warnten, dass Österreich Informationen an Russen weitergibt, die in das Kommunikationsnetzwerk "Neptun" des österreichischen Bundesamtes für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung eingespeist wurden, das die Alpenrepublik mit Resteuropa verbindet. Auch hier spielt ein FPÖ-Minister eine Rolle. Und dann war da noch ein Böhmermann, was die Frage aufwirft, ob hier nicht "Verstehen Sie Spaß" missverstanden wurde, mit einem staatsabtragenden Effekt. Dann sind wir mal gespannt, was die Österreicher aus den Neuwahlen machen.

*** Bleiben wir doch bei Spion und Spion: Seitdem diese kleine Wochenschau vom Rande der niedersächsischen Tiefebene in die Weite des Webs rutscht, gehört der britische Sicherheitsforscher Ross Anderson zu den Personen, die häufiger in ihr erwähnt werden. Das hat damit zu tun, dass Anderson die Abstrahlung von Computern untersuchte oder den von Microsoft angedachten Palladium-Chip. Es hat aber auch damit zu tun, dass Anderson ein politisch denkender Mensch ist, wie hier in dieser Wochenschau mit seiner Überlegung zum modernen Kriegshandwerk bereits schon einmal zitiert wurde: "Als Großbritannien und die USA Deutschland im Jahre 1944 angriffen, schickten wir nicht wie im I. Weltkrieg Millionen Menschen nach Europa, sondern eine Kampftruppe von einigen Hunderttausend Männern mit Tausenden von Panzern, gestützt von Tausenden von Flugzeugen und Schiffen. Heute ist der Übergang von der Kriegsarbeit zum Kapitaleinsatz noch größer geworden. Um einen ausländischen Führer zu töten, können wir eine Drohne nehmen, die eine Rakete abfeuert, die gerade einmal 30.000 Dollar teuer ist. Aber sie ist gestützt durch ein kolossal teures Investment — der Marktwert all der Firmen, die mit PRISM angezapft wurden, liegt über einer Billion Dollar."

*** Aktuell arbeitet Ross Anderson an der dritten Auflage seines Buches Security Engineering. Es wird neue Kapitel enthalten, die seine Gedanken zum Drohnenkrieg und der technischen Infrastruktur hinter solchen Kriegen fortsetzen. Was sind die Lehren, die man nach den Enthüllungen von Edward Snowden aus der Existenz von PRISM ziehen kann? Wer ist der Gegner? Sechs Jahre nach Snowden wäre es doch mal an der Zeit, ein fundiertes Resümee zu ziehen und über die Konsequenzen für die Privatsphäre nachzudenken, schreibt Anderson im neuen Kapitel. Das alles nicht zuletzt auch deswegen, weil die Snowden-Dateien nach und nach aus dem Web verschwinden. Sichere Systeme sind schön und gut, aber wie können sie so gehärtet werden, dass sie im Cyberkrieg den Angriffen standhalten? Geht das überhaupt? Diese und andere Gedanken wollte Ross Anderson in den USA vortragen, wo er für sein Buch einen Preis bekommen sollte, doch daraus wurde nichts. Weil er kein Visum bekam, musste eine Video-Übertragung organisiert werden. Über die Gründe lässt sich trefflich spekulieren, natürlich auch mit Verschwörungstheorien zur Arbeit der Five Eyes. Eine der Theorien besagt, dass immer noch der Shutdown der US-Behörden eine Ursache sein könnte, wie dies im Fall von Adi Shamir vor ein paar Monaten vermutet wurde.

*** Abseits der unermüdlich für unsere Sicherheit arbeitenden Geheimdienste bekommen unsere Polizeien mit den in allen Bundesländern aufpolierten Polizeigesetzen Befugnisse, Überwachungssoftware zur Online-Überwachung und zur Quellen-TKÜ im Fall verschlüsselter Kommunikation zu installieren. Wie diese Installation korrekt abgewickelt werden kann, darüber haben sich Juristen in der "Neuen Juristischen Wochenzeitschrift" Gedanken gemacht. Ein "Zweitdruck" des Textes ist mit juristisch einwandfreier Erlaubnis bei Netzpolitik.org erschienen und eine interessante Lektüre. Das Betreten einer Wohnung zur Installation von Überwachungssoftware ist demnach problematisch und das, was mit den Namen Staatstrojaner verbunden ist, geradezu verboten: "Ein Trojanisches Pferd im Sinne der griechischen Mythologie, das der Adressat nach einer aktiven Täuschung über seinen Bestimmungszweck durch die Pforte seines Systems lässt, wird der Staat gegenüber seinen Bürgern damit grundsätzlich nie verwenden dürfen." Der sicherste Weg dürfte damit der "Sachzugriff" sein, wenn ein Gerät während einer Polizei- oder Zollkontrolle von seinem Besitzer aus der Hand gegeben werden muss. Daneben dürfte das Ausnutzen bekannter Sicherheitslücken eine wichtige Rolle spielen – in Kenntnis der Tatsache, dass sich ein Gros der Nutzer einen Deut um fällige Updates scheren.

*** Nein, im Internet, gar bei Twitter oder Facebook war er nicht unterwegs, der Polemiker Wiglaf Droste, der nun mit 57 Jahren "viel zu früh" gestorben ist. Als Werbetexter war Wiglaf Droste eine Niete, obwohl "Wir schmieren nicht nur den Kanzler, sondern auch den Motor seines Wagens" kohlgenial war oder kongenial. Doch seine Texte über den alltäglichen deutschen Plapperjargon und die politisch ach so korrekte Schaumsprache wurden frühzeitig im Netz verbreitet. "Mein Freund ist Ausländer" oder die "humanitäre Intervention", das Gerede wie "die Mauer im Kopf einreißen" oder das Geblubber über das "Ansehen von Deutschland", das alles reizte ihn aufs Blut. Mit Nazis reden? Wozu soll das gut sein?
"Muss man an jeder Mülltonne schnuppern? Niemand wählt Nazis oder wird einer, weil er sich über deren Ziele täuscht, - das Gegenteil ist der Fall; Nazis sind Nazis, weil sie welche sein wollen. Eine der unangenehmsten deutschen Eigenschaften, das triefende Mitleid mit sich selbst und den eigenen Landsleuten, aber macht aus solchen Irrläufern der Evolution arme Verführte, ihrem Wesen nach gut, nur eben ein bißchen labil etc., 'Menschen' jedenfalls, so Heinz Eggert, 'um die wir kämpfen müssen'. Warum? Das Schicksal von Nazis ist mir komplett gleichgültig; ob sie hungern, frieren, bettnässen, schlecht träumen usw. geht mich nichts an. Was mich an ihnen interessiert, ist nur eins: daß man sie hindert, das zu tun, was sie eben tun, wenn man sie nicht hindert: die bedrohen und nach Möglichkeit umbringen, die nicht in ihre Zigarettenschachtelwelt passen."

*** Gestorben ist auch die Künstlerin Lutz Bacher, die mit Video-Installationen und Dome-Kameras den alltäglichen Überwachungswahnsinn illustrierte. Die mit einem großen Plotter-Endlosdruck von Trumps angeberischer Unterschrift 2017 einen lakonisch treffenden Kommentar zum Amtsantritt des Präsidenten lieferte. Tot, aber eben auch unsterblich ist dagegen Grumpy Cat, das missmaulige Aushängeschild der Piratenpartei, mit zahllosen Nachrufen gewürdigt und von Lutz Bacher in einer Collage integriert. Den Rest regeln sie alle zusammen im Paradies.

Was wird.

Schnauze voll von der großen Debatte um künstliche Intelligenz und den eingebauten Vorurteilen in allen möglichen Algorithmen? Kein Problem: In der nächsten Woche erscheint Ian McEwans Buch "Maschinen wie ich" und macht Schluss mit dem Grübeln über die technologische Singularität. Seit Prometheus und Frankenstein ist der heftige Wunsch des Menschen in der Welt, selbst eine eigene Intelligenz zu schaffen wie damals Gott. Natürlich sind bei McEvans die Roboter besser und klüger als wir und gütig und moralisch obendrein, während die Menschen Mist bauen: Das Buch spielt zur Zeit des Falkland-Krieges, den Großbritannien verliert.

Um nach dem anschließenden Brexit kräftig aufzuholen mit den Robotern: Schließlich sollen sie einmal in Gestalt autonom fahrender Autos uns dabei alle behüten. In der perfekten Gesellschaft gibt es kein Trolley-Problem.

Bis es allerdings soweit ist und unsere Mit-Wesen klammheimlich den installierten Ausschaltknopf entfernen können, gibt es die Big Brother Awards, die in Bielefeld verliehen werden. Die eine oder andere Form einer künstlichen Intelligenz freut sich schon, bei diesem Kraken-Gipfel dabei zu sein.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. Vom Heimatland Europa.
Beitrag von: SiLæncer am 26 Mai, 2019, 09:14
Das war schon immer ein dummer Spruch, dass wer die Wahl auch die Qual habe, rümpft Hal Faber die Nase. Und hofft auf die Vereinigte Europäische Republik.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Okay, der Rant muss jetzt sein: Nein, man muss nicht *heute* wählen gehen, es gibt gute Gründe dagegen, Mirko Dölle nennt sie – aber es gibt keine Gründe, sich an der Europawahl überhaupt nicht zu beteiligen. It's Europe, Stupid. Dein Heimatland. Wenn wir uns nicht endlich als Europäer begreifen, die ein gemeinsames Schicksal und eine gemeinsame Zukunft haben, dann können wir uns unsere geliebten Regionen sonstwohin stecken. Wenn wir uns nicht auf den Weg machen in eine Vereinte Republik Europa, enden wir im von rechtsnationalistischen sowie linksnationalistischen Spinnern zerrissenen, kulturell ausgebluteten und von jeder Freiheit entblößten Armenhaus der Welt. Keinen Bock drauf? Geh wählen! Und überlege Dir gut, wen Du wählst.

*** Vor allem im Heimatland Europa scheint es, dass manche Leute immer wieder auf einige Diskrepanzen hingewiesen werden müssen. Etwa in der Wahrnehmung, wer denn nun alles "ernst genommen" werden sollte.

Man muss nicht gleich ausfällig werden (kann es aber leicht) wie der in der letzten Wochenschau zitierte Wiglaf Droste selig, der sich zu Recht nicht dafür interessierte, mit Nazis zu diskutieren. Die Reaktionen auf demonstrierende Jugendliche und rantende Youtuber zeugen aber von einer altväterlichen Arroganz (ja, altmütterlich wie von AKK ist auch nicht besser), die sowohl kritische als auch wohlmeinende Stimmen ad absurdum führt. Kein Wunder, dass diese Altväter und -mütter Europa an die Wand zu fahren drohen und selbst auf einen liberalen Charakter wie Emanuel Macron mit greisem Kopfschütteln reagieren. Hach, so ein ungeduldiger junger Mann! Dem müssen wir wohl mal zeigen, wo der Barthel den Most holt. Um festzustellen, dass es in Europa bald keinen Most mehr gibt, weil die ungeduldigen Jugendlichen schlicht Recht hatten mit ihrer Ungeduld. Kein Wunder, dass die Ungeduld langsam zur Verzweiflung wird bei denen, die nicht nur im Internet, sondern auch im Heimatland Europa aufgewachsen sind.

*** Wer heute wählen geht, sollte ein Handtuch mitnehmen. Das ist das Mindeste, was man kurz nach dem Towel Day für sein Heimatland Europa tun kann. In so ein Handtuch passen die Sturzbäche der Tränen über dieses reiche und griesgrämige Gefüge, in dem Müll getrennt wird aber kein Silicon Valley entsteht, weil hier nicht die "Intensitätswirklichkeit des 21. Jahrhunderts" gelebt wird. Wie diese Intensitätswirklichkeit aussieht, von der der Wahl-Kalifornier Gumbrecht schwärmt, kann man bei den kalifornischen Obdachlosen sehen.

*** So ein Handtuch ist aber auch ganz praktisch, wenn man Jubeln muss, weil ein depressiver Kabarettist oder ein Richter als Pirat ins Europaparlament einzieht: Für ein Mandat im Heimatland Europa sind ca. 0,6 Prozent erforderlich, umgerechnet etwa 180.000 Stimmen. Die kommen schnell zusammen, nicht nur bei der Tierschutzpartei oder der ÖDP. Also bitte mal wählen gehen und nicht nur das WWWW lesen und den Morgenkaffee schlürfen. Sollte das Wahllokal zu weit entfernt sein, kann man ja mit dem 3-Liter-Auto vorfahren, das Umweltministerin Merkel vor über 20 Jahren ankündigte, zusammen mit dem Versprechen der ingeniösen deutschen Autoindustrie, künftig noch sparsamere Autos für alle zu bauen.

*** Damals wurde in dieses Heimatland Europa der Youtuber Rezo geboren, der mit "Jetzt reicht's" der CDU einen "wuchtigen Kinnhaken aus dem Internet" verpasste, wie es die fassungslose Frankfurter Allgemeine schreibt. Um alsdann sofort selbst einen Kinnhaken zu setzen, indem sie "Greta Thunberg, Julian Assange, Rezo und wie sie alle heißen" als die neuen Herren der Ringe verunglimpft. So wird mit Tolkien die ganze Informationstechnologie und dieses Kinnhaken verteilende Netz zur Schwarzen Magie umgedeutet und die "Jugendbewegung" zu Banausen mit dem Zauberbesen: "Sie tut es mit einer Technik, von der auch die Jugend noch nicht weiß, was sie aus ihr macht." Gut, dass nicht nur diese Youtuber merken, was für ein Unsinn in ach so klugen Köpfen spuken kann.

*** Im Heimatland Europa ist es eine gute Idee, das Wahlalter auf 16 zu senken. Stimmen, die sich dafür aussprechen, kommen nicht nur aus den Parteien, vor allem den Grünen, sondern auch aus der Jurisprudenz. Dass 17-Jährige, die für eine entschiedene Klimapolitik demonstrieren, dümmer sind als 50-jährige Nicht-Wähler oder 80-jährige AfD-Anhänger, kann wohl niemand ernsthaft behaupten. Und dass sie genauso mehr oder weniger genau wissen, was sie wollen und wofür sie sich entscheiden, auch nicht. Mit 16 oder 17 fängt man an, sich aufs Abitur vorzubereiten und zu überlegen, welchen Berufsweg man einschlagen will – wenn man nicht eh schon längst in einer Berufsausbildung steckt. Aber über Politik mitreden und mitentscheiden, dafür ist man zu jung? Seltsame Idee.

*** Auch im Heimatland Europa ist der Australier Julian Assange inhaftiert, im britischen Gefängnis Belmarsh. Er sitzt dort eine Strafe ab, weil er gegen die Meldeauflagen eines britischen Gerichtes verstieß. Zuvor hatte er mit seinen Anwälten in mehreren Instanzen versucht, eine Auslieferung an Schweden zu verhindern. In allen Instanzen scheiterte Assange, zuletzt vor dem Supreme Court im Jahre 2012. Das Verfahren vor diesem Gericht mitsamt der Urteile in den niederen Instanzen könnte sich im Nachhinein als Assanges größter Gewinn herausstellen. Denn zunächst wurde Assange als "Publisher" von Wikileaks bezeichnet, dann als "australian journalist". Indem britische Gerichte diese rechtlich nicht geschützte Berufsbezeichnung zusprachen, sahen sie sehr wohl das Journalistische an der Arbeit von Wikileaks. Das könnte entscheidend sein, weil die USA in ihrem neuesten Antrag auf Auslieferung von Assange die Hohe Schule der Haarspalterei betreiben, um die Form der Arbeit von Wikileaks nicht als Journalismus zu beschreiben. Es soll Spionage mit anschließendem Geheimnisverrat sein. Entscheidend ist eine Belohnung, die Wikileaks im Mai 2016 aussetzte, um weitere Clinton-Materialien zu bekommen. So etwas machen Journalisten nicht. Das Scheckbuch ist tabu, oder? Denn als Journalismus wäre das 1st Amendment der US-Verfassung ins Spiel gekommen, das die Veröffentlichungsarbeit von Journalisten schützt, auch die Veröffentlichung von "Staatsgeheimnissen", wie dies die New York Times oder der britische Guardian mit Material von Wikileaks gemacht haben. Von diesem Schritt hat die Regierung Obama abgesehen. Mit der Anklage gegen Assange attackiert die Regierung Trump das 1st Amendment. Das Fall Assange hat die Größe erreicht, die sich Assange schon immer gewünscht hat.

***In der letzten Wochenschau ging es um Österreich und ein Video, in dem deutlich wurde, welches Maß an Korruption im rechten Lager den Staat verändern soll. Inzwischen sind die Minister der rechtsnationalen FPÖ durch Experten ersetzt worden, auch Innenminister Herbert Kickl, der die Polizei nutzte, um den Verfassungsschutz zu kompromittieren. Das ganze Drama ist ausführlich beschrieben worden. Das Fazit ist bitter: "Es braucht nicht ein geniales Mastermind, um einen Rechtsstaat entscheidend zu schwächen. Es braucht nur einen Ministerialbeamten, der sich an der falschen Stelle einmischt; eine Staatsanwaltschaft, die sich dieser Einmischungen nicht verwehrt; es braucht Amtsmitarbeiter, die nicht um jeden Preis verhindern, dass geheime Daten in Plastiktüten weggetragen werden." Auch darum sollte man wählen gehen!

Was wird.

"Alan Duric ist ein Unternehmer, wie ihn sich der deutsche Wirtschaftsminister nur wünschen kann. Der dynamische Mann mit trendiger Brille und Turnschuhen gilt als einer der Pioniere der Internettelefonie." So flott und falsch kann nur eine Spiegel-Reportage beginnen, geschrieben von Autoren, die Pioniere wie VocalTec nicht kennen. Wie war das noch mit dem saftigen Artikeleinstieg à la mode de Claas Relotius? Relotius stolperte über die Geschichte Jaegers Grenze. Wie lauteten die redaktionellen Vorgaben für den Part, den Claas Relotius schreiben sollte? "Dieser Typ wird selbstverständlich Trump gewählt haben, ist schon heiß gelaufen, als Trump den Mauerbau an der Grenze ankündigt hat, und freut sich jetzt auf die Leute dieses Trecks, wie Obelix sich auf die Ankunft einer neuen Legion von Römern freut (…) Wenn ihr die richtigen Leute findet, wird das die Geschichte des Jahres."

Damit sind wir wieder bei Alan Duric von Wire Swiss, dem Super-Wunschunternehmer von Minister Peter Altmaier. Denn Altmaier hat von unserem Bundesinnenminister Horst Seehofer einen Gesetzentwurf zugestellt bekommen, nach dem alle Messenger-Dienste auf richterliche Anordnung die Kommunikation der Kunden mitschneiden und in unverschlüsselter bzw. lesbarer Form den Sicherheitsbehörden übergeben müssen. Das chinesisch klingende Vorhaben überrascht, denn wir haben bekanntlich die Superbehörde ZITis, die Software zur sogenannten "Quellen-TKÜ" bereitstellt. Diese bricht die Verschlüsselung von Messengern dadurch auf, dass vor der Verschlüsselung und nach der Entschlüsselung die Nachrichten "ausgeleitet" werden. Funktioniert das etwa nicht?

Hey, ihr Häcksen und Hacker, bevor ihr jetzt zum Hackerspace tapert, um schnell eure heiß begehrten 5000 Voucher-Hackerschein-Zutrittsnachweise für das Chaos Communication Camp 2019 abzuholen, geht vorher wählen. Wir brauchen ein Heimatland Europa, in dem Verschlüsselung ein Bürgerrecht ist.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. Von komplexen Fragen und unzulässigem Infragestellen.
Beitrag von: SiLæncer am 09 Juni, 2019, 00:21
In der Politik werden "komplexe Fragestellungen" gewälzt und Gesetze möglichst kompliziert gemacht, wundert sich Hal Faber. Und Kritik wird "unzulässig".

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** "Hallo Alexa, mach ein Date mit dem Dealer, ich brauch ein paar Linien." Irgendetwas in der Art muss im Kopf eines Referenten der Abteilung CI im Bundesinnenministerium gewesen sein, als er oder sie sich mit der Antwort auf die Anfrage plagte, ob die Sicherheitsbehörden den Zugriff auf Daten von Alexa und Co. planen. Im besten Beamtengenuschel erfolgte dann die Antwort: "Die mit diesem Thema verbundenen rechtlichen Fragestellungen sind komplex und werden derzeit geprüft." Hach, wie dürfte diese schwabbelige Antwort seinen Chef Horst Seehofer erfreut haben, der doch gerade davon schwärmte, dass man Gesetze möglichst kompliziert machen muss, dann würden sie besser durchflutschen. Dank der Sprachspielchen war die Aufregung groß und Alexagate in der Welt, komplett mit Reaktionen der üblichen Warner. Dabei wollte die Innenministerkonferenz, die nächste Woche in Kiel stattfindet, doch nur beraten, wie gut die Sicherheitsbehörden aufgestellt sind, um bei Ermittlungen digitale Spuren zu behandeln. Tagesordnungspunkt 27, auf Antrag von Schleswig-Holsteins Innenminister Hans-Joachim Grote formuliert, ist sprachlich unzweideutig. Die Sicherheitsbehörden müssen "in der Lage sein, digitale Spuren zu erkennen, zu sichern und auszuwerten. Soweit noch nicht erfolgt, sollen in den Ländern spezielle Dienststellen die vorhandenen Kompetenzen in Kompetenzzentren bündeln und weiterentwickeln." Die Rede ist also vom umstrittenen Kompetenzzentrum Cybercrime, das im letzten Jahr vorgestellt wurde. Schon damals war von Alexa die Rede, doch bis auf eine Handvoll Kommentatoren im Heiseforum beschäftigte das Szenario nicht die Öffentlichkeit, die nun mit Alexa den großen Empörungsgrund hat: "Ein Staubsaug-Roboter, der einen nächtlichen Einbrecher mit seiner Kamera überführt, ein 'mithörender' Sprachassistent, der ein Alibi widerlegt?"

*** Vielleicht liegt es an der Nachricht, dass bei Amazon Mitarbeiter Alexa-Befehle abtippen, um die Fähigkeiten der Sprachassistenten zu verbessern, weswegen jetzt erst die Diskussion über die Sicherung digitaler Spuren in Gang kommt. Neu ist es jedenfalls nicht, dass bei Ermittlungen alle speichernden Gerätschaften analysiert und ausgelesen werden, vom Navi im Auto bis zum Staubsaugroboter in der Wohnung. Vielleicht liegt es aber auch an unserem Innenministerium für Satzbau und Heimat, das ganz bewusst Aufreger und Phrasen produziert. Man denke nur an die Nachricht, dass Messengerdienste zur Entschlüsselung gezwungen werden sollen oder an Überlegungen, wie Journalisten und Redaktionen überwacht werden können. Dementieren kann man ja immer noch, wenn man Seehofer heißt und "durch das dünne Eis der Aura des Amts gebrochen" ist. Oder man spricht bei der Debatte zum Hau-ab-Gesetz von einem unzulässigen Infragestellen, wenn Kritik aufkommt. Die Verachtung für demokratische Prozesse kann man so kaum deutlicher demonstrieren. Vielleicht bürgert sich so das Verb seehofern als Synonym für spöttisches Lügen in die deutsche Sprache ein. Ja, die mit diesem Thema verbundenen rechtlichen Fragestellungen sind komplex.

*** Noch ist Deutschland nicht Australien, nach Ansicht der New York Times nunmehr die "geheimnistuerischste Demokratie der Welt". Denn dort hat die Justiz den polizeilichen Ermittlern Durchsuchungsbefehle ausgestellt, mit denen die Büros des Nachrichtensenders ABC auf den Kopf gestellt wurden. Der Polizei war es dabei erlaubt, "auf ABC-Computern Dateien hinzuzufügen, zu kopieren zu löschen und zu verändern", um auf diese Weise Beweise für die "unautorisierte Weitergabe von Informationen zur nationalen Sicherheit" zu bekommen. Es ging um mutmaßliche widerrechtliche Tötungen von Zivilisten in Afghanistan, ausgeführt von australischen Elitetruppen. Beweise für diese Tötungen soll der Whistleblower David William McBride den ABC-Journalisten zugespielt haben. Der Frontalangriff auf die Pressefreiheit wurde immerhin live übertragen und so konnte man sehen, wie Beamte in aller Ruhe Dateien auf USB-Sticks kopierten, aber womöglich auch Programme von den Sticks auf die Computer der Journalisten installierten. In Seehofers neuer Behörde ZITiS müssen sie staunend und neidisch zugesehen haben.

*** Am Donnerstag war es soweit. Die Universität Tübingen stellte offiziell das wissenschaftliche Fehlverhalten der Hirnforscher Niels Birbaumer und Ujwal Chaudhary fest. Damit ist klar, dass Fake News nicht nur bei der Erforschung von Social Bots im Spiel sind, sondern auch in der Medizin eine trübe Rolle spielen. Nach der Überprüfung der Forschungsdaten durch den Informatiker Martin Spüler hat sich die Hoffnung von ALS-Patienten verflüchtigt, sich mit einem Brain Computer Interface verständigen zu können. Das ist traurig. Noch trauriger ist dieses Fazit eines Journalisten, der den Fall mit seinen Kollegen recherchierte: Vieles von dem, was man in dieser Affäre zu hören bekam, erinnerte an Recherchen in repressiven Systemen; an Gespräche mit Menschen, die Angst haben, ihre Meinung zu sagen, weil sie Nachteile befürchten – in diesem Fall versiegende Fördergelder oder die Verachtung der Kollegen.

*** Vor einem Jahr war sie noch Bloggerin des Jahres 2017, nun ist die bei Intel arbeitende Marie Sophie Hingst als Person enttarnt worden, die sich eine fiktive jüdische Biographie zugelegt hatte. In ihrem Blog hat sie von einer fiktiven jüdischen Großmutter erzählt und auch sonst "ein erhebliches Maß an künstlerischer Freiheit für sich in Anspruch genommen", wenn sie über die Stolpersteinputzkolonnen schimpfte, die "unsere Toten nicht in Ruhe lassen". Bei manchen Nachkommen der Tätergeneration regten sich Zweifel, doch die Kontaminierung der Wahrheit wurde schließlich entdeckt. Die goldenen Blogger sind erschüttert und fürchten sich vor düsteren und traurigen Antworten auf die komplexe Fragestellung: Warum? Die Antwort ist schlicht: Es gibt einen großen Bedarf an Medienjuden, besonders an weiblichen. Frau Hingst tritt damit in die Fußstapfen von Binjamin Wilkomirski und Misha Defonseca, von Edith Lutz und Irena Wachendorff. Man wird sicher bald wieder von ihr hören oder lesen.

Was wird.

Während der sächsische Außenminister Michael Kretschmer (CDU) den russischen Präsidenten Putin trifft und diesen überreden will, doch bitte wieder bei der KGB-Außenstelle Dresden die Geschicke von Robotron zu verfolgen, hat der Cyber-Sicherheitsrat ein ähnliches Problem. Auch dort ist man mit Russland verbandelt, in Gestalt des CDU-Politikers Hans-Wilhelm Dünn. Er hat einen Kooperationsvertrag mit der russischen Vereinigung für internationale Informationssicherheit abgeschlossen, die vom ehemaligen Geheimdienstler Vladislav Sherstyuk geleitet wird. Das geht einem anderen Geheimdienstler zu weit und so kritisiert Gerhard Schindler, der ehemalige Chef des BND, die Männer- und Cyber-Freundschaft. Schließlich ist die deutsche Cybersicherheitspolitik eine echte Herausforderung, die gemeistert werden will. Das gilt nicht nur für die Cyber-Kontakte mit Russland. Das US-amerikanische Außenministerium hat in dieser Woche für 20,8 Millionen Dollar das Bureau of Cyberspace Security and Emerging Technologies (CSET) gegründet, in dem bald die ersten Cyber-Diplomaten daran arbeiten, mit anderen Staaten im Cyberraum friedlich zu koexistieren. Glaubt man den US-Strategen, ist die Gefahr groß, dass China auf einen Hackerangriff zum kinetischen Gegenschlag ausholen will, sollte es Angriffe zum 30. Jahrestag des Tiananmen-Massaker bemerken.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. Vom endlich Verantwortung übernehmen.
Beitrag von: SiLæncer am 16 Juni, 2019, 08:09
Verantwortung? Sollten auch IT-Spezialisten übernehmen, meint Hal Faber. Der Rückzug auf wertneutrale Technik ist zu einfach.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Donald Trump hat seine Zölle, wir hatten unsere 5G-Auktion und alle zusammen die Illusion, dass der Staat jetzt ein wenig reicher geworden ist. Bei uns kommt das viele Geld in einen eigenartigen Topf namens "Sondervermögen digitale Infrastruktur", in dem bislang nur das Unvermögen steckt, eine flächendeckende Netzversorgung aufzubauen. Dafür haben wir eine Staatsministerin für Digitalisierung, die im SZ-Magazin zum 50. Geburtstag des Internet einen Flunsch mit Shruggy bei der Frage zieht, ob sie schon einmal im Darknet war. Dazu gibt es weiter hinten im Blatt Katzencontent und die Geschichte der ehemaligen Vorgesetzten von Edward Snowden: Lori Stroud arbeitete erst für die NSA, dann für die Vereinigten Arabischen Emirate und spionierte in Abu Dhabi mit NSA-Tools Oppositionelle wie Ahmed Mansoor aus. Das war ein extrem gut bezahlter Job. Bedenken kamen ihr erst, als sie US-Amerikaner bespitzeln sollte. So sind die Zeiten, ¯\_(?)_/¯. Wer redet da schon von der Verantwortung der IT-Spezialisten?

*** Die Innenministerkonferenz hat getagt und verschiedene Maßnahmen im Kampf gegen die Kinderpornografie beschlossen. Festgehalten wurde auch der Zugriff des Staates auf digitale Spuren im Rahmen geltender Gesetze. Die große Aufregung um das Abhören mit Alexa hat sich gelegt, denn der so durchgeführte große Lauschangriff ist dank CDU/CSU und SPD seit 1998 eine anerkannte polizeiliche Maßnahme. Für sie wird jetzt halt ein IT-Fachmann benötigt und nicht mehr ein Spezialist für das Verwanzen von Wohnungen. Wer im Auftrag der Polizei hacken kann, darf ruhig pummelig gebaut sein, heißt es in Kiel: "Ein IT-Spezialist muss nicht in Rekordzeit einen Fitnessparcours bewältigen. Er lässt sich aber nur für den Dienst in der Landespolizei gewinnen, wenn ihm ein gut bezahlter und sicherer Arbeitsplatz geboten wird!" Muss man ein Fragezeichen hinter gut bezahlt und dem Gerede vom sicheren Arbeitsplatz machen? Was bleibt, ist das Fünkchen Hoffnung, dass die dort antretenden IT-Spezialisten so etwas wie die Verantwortung des Informatikers kennen und nicht die Anschrift einer Anwältin herausrücken, damit sie terrorisiert werden kann. Schicke neue Ausweise mit eingebautem Login bekommen die IT-Fahnder übrigens auch noch, wenn dieser Vorschlag Gehör findet: "Mit entsprechenden digitalen Funktionen eines solchen einheitlichen Dienstausweises könnten auch ein sicherer, Datenschutzerfordernissen gerecht werdender Zugang zu IT-Systemen ermöglicht und Zeiterfassungen vereinfacht werden."

*** Ob sich auch die Frage der Entschlüsselung von Messenger-Nachrichten erledigt hat, gegen die in einem offenen Brief protestiert wurde, steht auf einem anderen Blatt im Blätterwald des Internet. Eine Reaktion auf diesen Einschüchterungsversuch ist die Antwort des Chaos Computer Clubs mit der hübschen Formulierung zu den "Eckpunkten der deutschen Kryptopolitik". Schließlich waren diese "Eckpunkte der deutschen Kryptopolitik", anno 1998 niedergelegt von einem fortschrittlichen FDP-Minister, anno 2015 mal dokumentiert in einem feinen Sommerrätsel, viel logischer zu Ende gedacht, als alles, was heute zu Messengern und Mails gesagt und geschrieben wird. Man könnte glatt anno 2019 erneut rätseln, wer da den Verstand verloren hat mit seinen Überwachungsphantasien des Internet. Darauf gibt es natürlich einen ¯\_(?)_/¯.

*** Ein anderes Thema, das ganz schnell in die Sommerpause verschwinden will: Rechte Polizisten und Bundeswehrangehörige sollen auf Telegram in Chat-Gruppen wie "Nordkreuz" sich verbal auf den "Tag X" vorbereitet haben. Nun steht der Verdacht im Raum, dass vier ehemalige und aktive SEK-Polizisten Munition entwendet haben. Sie sollte womöglich am "Tag X" von Preppern benutzt werden, um Waffenterror auszuüben. Gelagert wurde die Munition beim Administrator von Nordkreuz, der Kontakt mit einem Bundeswehr-Soldaten hatte, der einen islamistischen Anschlag vortäuschen wollte. Alles Einzelfälle? Oder gibt es Zusammenhänge, die gar nicht ermittelt werden konnten? Schon die Ermittlungen in Meckpomm mussten extern erfolgen, weil man ein Geflecht von Informanten vermutete.

*** Auch auf ganz anderer Seite wird eine bessere Verzahnung von Polizei und Bundeswehr gefordert. Kaum war die letzte Wochenschau mit dem Ausblick auf die Cybersicherheitspolitik im Kasten, da meldete sich der Kommandeur des Kommandos Cyber- und Informationsraum mit Gedanken zum "digitalen Verteidigungsfall". Bei solch einem Fall müsse schnellstens ein Lagebild erstellt werden, wobei Bundeswehr, Polizei und Geheimdienste zusammenwirken müssten. Ohne das Trennungsgebot anzuzweifeln, müssten neue Befugnisse her. Nach all den Plänen zum Cyberabwehrzentrum Plus klingt der Vorstoß des Bundeswehr-Kommandeurs wie der Aufbau eines "Cyberabwehrzentrum Doppelplus", das unterhalb der "Schwelle des klassischen Verteidigungsfalles" rund um die Uhr von allen Diensten und Polizeien die digitale Wache im Cyber- und Informationsraum besetzt hält. Schließlich geht es beim ach so niedrigschwelligen "digitalen Verteidigungsfall" um Minuten, da muss der doch das Sagen haben, der die Lizenz zum Zurückschlagen hat. BND oder Bundeswehr, das ist die Frage im Cyberraum.

Was wird.

Die Rede vom digitalen Verteidigungsfall kommt alles andere als zufällig, mitten im schönsten sonnig verhagelten Juni: Denn wenn der Juni zu Ende geht, wird der "zweite Korb" des IT-Sicherheitsgesetzes zu den kritischen Infrastrukturen aktiviert. Zur Vervollständigung des IT-Lagebildes werden etliche Branchen meldepflichtig. Ab dem 30. Juni zählen nach der gesetzlichen "Anordnungsverordnung KRITIS" alle Krankenhäuser mit mehr als 30.000 vollstationären Fällen im Jahr als Betreiber im Sinne von KRITIS. Sie müssen IT-Vorfälle dem BSI melden, ein Funktionspostfach unterhalten und alle zwei Jahre den Nachweis führen, dass ihre IT-Sicherheitsvorkehrungen nach den BSI-Kriterien zertifiziert sind. Apotheken gelten ab einer Zahl von 4.650.000 abgegebenen Packungen im Jahr als kritische Infrastrukturen, für ein medizinisches Labor kommt die Meldepflicht ab einer Anzahl von 1.500.000 Aufträgen pro Jahr. Doch nicht nur der Gesundheitssektor, auch die Transportbranche hat zu tun. Den dicksten Brocken stemmt die Deutsche Bahn, denn die Hauptbahnhöfe von Berlin, Dortmund, Dresden, Düsseldorf, Frankfurt am Main, Hamburg, Köln, Leipzig, München, Nürnberg und schließlich Buddel-Stuttgart sind zu kritischen Infrastrukturen erklärt worden.

Weitere KRITIS-Betreiber sind Passagierflugplätze, die mehr als 20.000.000 Passagiere im Jahr abfertigen und der öffentliche Nahverkehr, wenn er den Schwellenwert von 125.000.000 Fahrgästen pro Jahr übersteigt. Unabhängig von der Zahl der Fahrzeuge werden alle Verkehrsleitsysteme an den Autobahnen zu kritischen Infrastrukturen. Und damit die Bargeldversorgung der Bevölkerung auch im dicksten Hagel gewährleistet ist, sind auch Banken mit mehr als 100 Geldautomaten bei der Umsetzung von KRITIS dabei. Wenn all diese Angriffe zusammen mit den ohnehin schon meldenden Energieversorgern, Wasserbetrieben und Kommunikationsunternehmen künftig gemeldet werden, kommt ein genaues Echtzeit-Lagebild der Bundesrepublik zustande, aus dem man den von Kommandeur Leinhos bemühten Verteidigungsfall extrahieren kann.

Ein Verteidigungsfall der anderen Art muss an dieser Stelle noch einmal erwähnt werden. Wie gemeldet, soll am 24. Februar 2020 das fünftägige Hearing zwischen Julian Assange mit seinem Anwälten und dem Crown Prosecution Service zur möglichen Auslieferung an die USA stattfinden. Die Auslieferung hatte zuvor der britische Minister Sajid Javid formal genehmigt, der sich im Wahlkampf um die Nachfolge von Theresa May gegen den Außenpolitiker Boris Johnson als Hardliner präsentiert. Assange und seine Anwälte haben damit die von ihnen geforderte Zeit bekommen, sich auf die Anhörung vorzubereiten. Assange, der am Freitag per Videolink zugeschaltet war, wollte für die Zeit einen Computer, was ihm verweigert wurde.

Was fehlen wird, ist ein beweiskräftiges Video zu den Angriffen auf Tanker, bei denen sich US-Präsident Donald Trump und Boris Johnson sicher sind, dass sie von Iran aus erfolgten. "Nun ja, Iran war's und ihr wisst, dass sie es getan haben, weil ihr das Boot gesehen habt." Möglicherweise sind dies die folgenreichsten Sätze in der Präsidentschaft von #45. Möglich ist auch das Gegenteil und Wikileaks veröffentlicht ein etwas anderes Video. Bis die Untersuchungen der beiden Tanker im Hafen von Fudschaira möglich sind, vergeht noch einige Zeit. Bis dahin gibt es Krieg mitsamt einem NATO-Bündnisfall oder Nachrichten von Sammy am Baggersee. Aber wir bleiben lieber beim Catcontent.

Quelle : www.heise.de
Titel: 4W:Von schwierigen Positionsbestimmungen in Zeiten des Cyberkriegs.
Beitrag von: SiLæncer am 23 Juni, 2019, 08:00
Ach, immer diese Einzelfälle. Schrecklich, nicht? Hal Faber hält aber eigentlich die Positionsbestimmung in solchen Fällen für recht einfach

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Vierunddreißig Kilometer vor der iranischen Küste haben iranische Streitkräfte eine langsam fliegende HALE-Drohne der Global Hawk-Serie in 14.000 Meter Höhe abgeschossen. Die Drohne der US-Navy mit der internen Bezeichnung BAMS-D war erst am 15. Juni in den Nahen Osten überführt worden und zu Aufklärungsflügen entlang der iranischen Küste eingesetzt. Abgeschossen wurde sie am 19. Juni durch das Raad genannte Raketenabwehrsystem, dass der Iran auf Basis des russischen Buk-Systems baut.

Ob sich der Vorfall in der Straße von Hormuz über iranischem Hoheitsgebiet ereignete, wie der Iran behauptet, oder eben 34 Kilometer außerhalb der iranischen Zone, wie die USA behaupten, ist schwierig zu sagen. Die juristischen Implikationen dieser Aktion sind nicht einfacher zu beantworten. Unmittelbar nach dem Abschuss der Drohne bereiteten die USA einen Vergeltungsschlag vor, der möglicherweise 150 Menschen das Leben gekostet hätte. Wenige Minuten vor diesem Angriff blies US-Präsident Donald Trump das Unternehmen ab, so viele Menschen gegen eine Drohne aufzurechnen, das wäre schon eine weitere Eskalation gewesen. Erinnerungen an den Tonkin-Zwischenfall werden wach.

*** Willkommen zurück im Cyberkrieg! Angeblich hat Präsident Trump dem Cyber-Kommando einen umfassenden Marschbefehl gegeben. Bekannt ist ja, dass der Iran die Uran-Anreicherung wieder anfahren will. Fast schon ein alter Wurmgefährte ist Stuxnet, die 2010 bekannt gewordene Cyber-Attacke auf genau diese Anreicherungsanlagen. Etwas weniger bekannt ist Nitro Zeus, der 2016 entwickelte Plan der USA, mit einem Cyber-Angriff das gesamte Stromnetz und die Telekommunikationssysteme des Iran zu zerstören. Die Existenz von Nitro Zeus flog im Laufe der Recherche zum Stuxnet-Dokumentarfilm Zero Days auf, als der ehemalige NSA-Chef Michael Hayden die Existenz dieses Angriffsplanes bestätigte. Angeblich wäre Nitro Zeus gestartet worden, wenn sich der Iran geweigert hätte, einem Nuklearabkommen zuzustimmen. Nun hat die USA genau dieses Abkommen unter der Regierung Trump gekündigt und könnte drauf und dran sein, eine neue Variante zu aktivieren. So könnte der Konflikt zwischen Sicherheitsberater Bolton (will Krieg) und den US-Militärs (wollen keinen Krieg) entschärft werden, wenn das "Kampfführungsrecht" der USA im digitalen Raum ausgeübt wird. "Mit dem Funktionsverlust kritischer Infrastruktur wird die Grenze völkerrechtlicher Gewaltanwendung überschritten", heißt es im Talinn Manual 2.0.

*** Prompt ist es wieder da, das Gerede von den Massenvernichtungswaffen, die diesmal dem Iran zur Verfügung stehen wie weiland all das böse Zeug, das Saddam Hussein im Irak hortete oder auf Lastwagen durch die Gegend fahren ließ. Trumps Haussender Fox News hatte schon vor Tagen einen Bericht über ein Papier deutscher Geheimdienste in die Welt gesetzt, nach dem der Iran daran arbeitet, sein Arsenal an Massenvernichtungswaffen auszubauen. Die ach so hoch geheime wie brisante Quelle ist der bayerische Verfassungsschutzbericht! Das hat natürlich seine Richtigkeit, denn in Deutschland ist die Gefahrenabwehr bei Bedrohungen aus dem Cyberraum so lange Ländersache, bis der Verteidigungsfall ausgerufen ist und Flecktarncyber ausrückt. Im Bericht steht keine Sensation, sondern eine Berichtsfloskel: "Sog. Risikostaaten wie Iran, Nordkorea, Syrien und Pakistan sind bemüht, ihr konventionelles Waffenarsenal durch die Herstellung von Massenvernichtungswaffen zu ergänzen. Um sich das dafür notwendige Know-how und entsprechende Bauteile zu beschaffen, versuchen diese Staaten, Geschäftskontakte zu Unternehmen in den hochtechnologisierten Ländern wie Deutschland herzustellen." Ja, also wenn das kein voll krasser Beweis für die Existenz von Massenvernichtungswaffen ist, dann verputze ich glatt einen Curveball!

*** Nach so viel Text zu "ausländischen" Problemen wenden wir uns dem Inland zu, mit 196 Toten, die durch rechte Gewalt gestorben sind. Natürlich alles Einzelfälle wie Walter Lübcke, hübsch in ihrer ganzen Einzelfallartigkeit beobachtet durch den Verfassungsschutz. Dass dieser Politiker auch auf der Liste des NSU stand, ist natürlich noch ein weiterer Einzelfall. Wer noch einen längeren Text verkraften kann, sei auf diese Folge von Nerds retten die Welt verwiesen, ein Interview mit dem Bielefelder Soziologen Wilhelm Heitmeyer, dessen "Deutsche Zustände" in dieser kleinen Wochenschau schon mehrfach erwähnt wurden. Es gibt schließlich nicht nur Luhmann oben und Habermas unten, sondern auch eine Soziologie, die die Fußarbeit macht. Für die ganzganz Eiligen, denen bekanntlich auch die kleine Wunschfee nie das Passende parat hat, muss diese Passage reichen: "Es gibt eine ganze Reihe politischer Fehlentwicklungen, die sich zum einen im Zusammenspiel des globalen Kapitalismus mit seinen ständigen 'Land­nahmen' und dem Eindringen in alle Poren der Gesellschaft zeigen; weiter eine Demokratieentleerung, wie ich sie nenne, bei der der Apparat zwar wie geschmiert läuft, aber das Vertrauen in Lösungskapazitäten und auch in die Wahrnehmung von Bürgern durch politische Eliten abgenommen hat und weiter abnimmt. Und drittens sind es die Statusängste aufgrund der schnellen technologischen Entwicklungen." Read on, my dear!

*** Die Debatte um die Verschlüsselung reißt nicht ab. Da will das Innenministerium selbstredend keine Verschlüsselungsverbote will aber selbst ein bisschen schwanger sein mit der Forderung, dass Provider einen "staatlichen Zugriff als gesetzlich geregelte Ausnahme" ermöglichen müssen. Auf einer Tagung zur Cybersicherheitspolitik schwärmte ein hoher Beamter des Innenministeriums davon, wie geräuschlos und patent De-Mail laufen würde, wo ja für einen kurzen Zeitpunkt entschlüsselt und dann umgeschlüsselt werde. Die Frage, ob De-Mail überhaupt noch läuft oder mangels Zuspruchs wie Rosinante nur noch röchelt und bereit für den Gnadenschuss ist, wurde gnädig übergangen. So bleibt das Kuriosum zu berichten, dass sich ausgerechnet der evangelische Kirchentag für die Verschlüsselung der Kommunikation stark macht. Potzblitz, haben denn nicht die Verehrer höherer Wesen einen besseren Draht, ihren G^tt zu erreichen? Und wenn es nur auf diesem Wege geht, wo liegt dann der himmlische Keyserver?

Was wird.

Es steht dieser Tage nicht gut um John Searle, dem wir das Experiment des chinesischen Zimmers als Ergänzung zum Turing-Test verdanken. Die aufgeregten Zwischenrufe, man müsse zwischen dem Menschen und dem Wissenschaftler unterscheiden, wirken hilflos. Unbestritten bleibt ja seine in der Wissenschaft getroffene Unterscheidung zwischen schwacher Künstlicher Intelligenz, die menschliches Denken simuliert, und starker Künstlicher Intelligenz mit Wissenschaftlern, die auf den denkenden Computer bauen. Wie gut, dass in Zukunft das aufsteigende Bewusstsein einer künstlichen Intelligenz wissenschaftlich begleitet wird, ganz ohne sich einen "wissenschaftlichen Reputationsschaden" einzuhandeln. Eines Tages wird sich das emergente KI-Bewusstsein entfalten; ein Twitter-Konto hat es jetzt ja schon. Einen wissenschaftlichen Reputationsschaden kann man jedoch jetzt schon vermelden. Nein, damit ist nicht die "amerikanische Zitierweise" in einer deutschen Dissertation gemeint.

Im großen Stil zeigen wissenschaftliche Arbeiten zu den Social Bots, die angeblich die Kommunikation in sozialen Medien wie Twitter beeinflussen, wie da geforscht wird, besonders wenn über Social Bots im Wahlkampf berichtet wird. Die Sokal-Affäre lässt schön grüßen. Das wäre alles nicht so bedenklich, wenn nicht von all dieser Pseudo-Wissenschaftlichkeit politische Forderungen wie die Klarnamenspflicht im Internet abgeleitet würden. Denn damit, so das Kalkül der Expertïnnen, würde sich das Problem der Social Bots lösen. Zum Lachen bitte sofort ab in den hoffentlich kühlen Keller.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. Was hängt da an den Umständen?
Beitrag von: SiLæncer am 30 Juni, 2019, 00:16
Hoppala, ein Netzwerk! Wer hätte das gedacht! Hal Faber ist umständehalber erstaunt. Nicht wirklich.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Auf dem Boden der Tatsachen liegen überall Fakten herum: Am Dienstag gestand der in Haft sitzende Rechtsextremist Stephan Ernst, den Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke ermordet zu haben. Als Grund nannte Ernst die Haltung Lübckes zu Merkels Flüchtlingspolitik. Nach weiteren Vernehmungen zum Kauf und zum Verbleib der Waffe verwandelte sich der Einzelfall Stück für Stück in die Erkenntnis, dass ein rechtsextremes Netzwerk dem Mörder geholfen hat. Am Freitag trat dann der oberste deutsche Verfassungsschützer Thomas Haldenwang vor die Presse. Zusammen mit seinem Dienstherr Horst Seehofer stellte er den Verfassungsschutzbericht vor. In ihm findet sich die Zahl von 21.400 gewaltbereiten Rechtsextremen. Dazu sagte Haldenwang: "Dass wir ein Erstarken des Rechtsextremismus in den letzten Jahren wahrnehmen mussten, das hängt an vielerlei Umständen. Das ist insgesamt ein Thema für die gesamte Gesellschaft; ich glaube das hängt sehr viel mit aktuellen politischen Entwicklungen zusammen und möglicherweise natürlich auch mit der Flüchtlings- und Migrationspolitik seit 2015."

*** Für sich genommen klingt das harmlos, doch im Detail stecken die Fakten, die tückischen: Wer ist das "wir" von dem Haldenwang da spricht? Es sind wohl die Mitarbeiter der Landesämter für Verfassungsschutz, die die rechte Szene beobachten sollten und verharmlosend von Preppern und Reichsbürgern sprachen, die sich auf einen Tag X vorbereiten und schon mal Leichensäcke für diesen Tag bestellen. Und was ist mit der Migrationspolitik, dem Thema "Merkel und die Flüchtlinge", das in den rechten Kreisen als Begründung für den "Kampf gegen die Umvolkung" zirkuliert? Wie war das noch mit dem hessischen AfD-Politiker Martin Hohmann, der da behauptete, Walter Lübcke wäre noch am Leben, hätte es den "unkontrollierten und bis heute andauernden Massenzustrom an Migranten nicht gegeben"? Der von dem „Massenzustrom nach der illegalen Grenzöffnung mit seinen vielen Morden und Vergewaltigungen" schwadronierte, als "notwendiges Glied in der Ursachenkette, die zum Tod von Walter Lübcke führte." Martin Hohmann kann sich nun auf die Aussage von Thomas Haldenwang berufen, ein Trauerspiel. Zu dem auch der bei dem Gedenken an Lübcke sitzen gebliebene bayerische AfD-MdL Ralph Müller gehört, der einfach nur ein Moment "abwesend" war. Noch trauriger: ein ehemaliger Verfassungsschutzpräsident, der von 1,8 Millionen Arabern fabuliert und die Zahl von 21.400 Rechtsextremen "nicht besorgniserregend" findet. Das wären ja nur die Gewalttätigen unter ihnen, eine verschwindend geringe Anzahl.

*** Ja, in den Landesparlamenten sind sie zum Gedenken an Walter Lübcke aufgestanden, auch im Bundesrat und im Bundestag. Dennoch wird diskutiert, ob die Diagnose von der Unfähigkeit zu trauern auch 50 Jahre nach der Feststellung der "auffallenden Gefühlsstarre" durch Alexander und Margarete Mitscherlich zutrifft. Mit der Unfähigkeit zu trauern war ja der "geliebte Führer" gemeint, über dessen Tod man nicht trauern durfte, der "einst intakte Staat" und die Dominanz der deutschen Sprache in Europa, die ein Björn Höcke gerne bei seinen Reden heraufbeschwört. In diesem Zusammenhang ist es ganz aufschlussreich, dass die Analyse der US-amerikanischen Psychoanalytikerin Barbara Spofford Morgan aus dem Jahre 1935 als Wiedervorlage veröffentlicht wird. Sie zeigt, wie das Gerede vom einst intakten Staat und der einst geachteten Armee in den Anfängen der nationalsozialistischen Diktatur funktioniert hat. "But, whatever the outcome of the German revolution, a mystical romantic quality is its vital core. It is national in the first place, the profound longing of a sovereign people to cast out foreign elements and regain their own cultural and spiritual sovereignty."

*** Während Angela Merkel bei G20-Gipfel weilte und Komplimente von Donald Trump kassierte, hat sich ihre Nachfolgerin als Parteivorsitzende versprochen und dafür Häme kassiert. Sie sprach über die 7 Plagen, unter denen Ägypten leiden musste, ehe die Juden davon ziehen durften. Dafür gab es angeblich Spott im Netz. Dabei ist es keineswegs eindeutig. Nach dem Buch Mose waren es 10 Plagen, nach Psalm 105 nur sieben. Möglicherweise liegt auch eine Verwechslung mit den sieben Plagen der Endzeit vor oder den sieben Tugenden, die das Leben eines Christen in der CDU prägen sollen: Glaube, Liebe, Hoffnung, Weisheit, Gerechtigkeit, Tapferkeit und Mäßigung. Ist es gutes Christenwissen, dass im alten Ägypten 10 Plagen aufeinander folgten? Ich habe keine Ahnung, doch wenn selbst die Bibelwissenschaftler sich darüber streiten, welche Plagen zuerst da waren und welche später nachgedichtet wurden, ist Spott eigentlich fehl am Platz. Aber im Netz und in der IT-Branche sitzen die Assoziationen locker, wie es die Rede von einer Katastrophe biblischen Ausmaßes zeigt, die über die Spielebranche herein bricht. Sie erhält nur einmalig etwas Förderknete, weil Spielminister Andreas Scheuer 700 Millionen für die gescheiterte Ausländermaut zusammenkratzen muss.

*** Erinnert sich noch jemand an #FreeDeniz und den Aufenthalt des Journalisten Deniz Yücel in einem türkischen Gefängnis? Jetzt hat das türkische Verfassungsgericht in Ankara entschieden, dass mit der Inhaftierung die persönliche Sicherheit, Freiheit und Meinungsfreiheit des Journalisten verletzt wurde und ihm einen Schadensersatz von umgerechnet 3800 Euro zugesprochen. Das ist noch keine Gerechtigkeit, aber schon besser als die frühere Ablehnung, sich mit der Klage zu befassen. Damals gab es Kritik an Journalisten, die sich mit dem Hashtag #FreeDeniz solidarisierten. Journalisten sollten schreiben, nicht unterschreiben, befand das Fachblatt für kluge Köpfe. Das Spielchen wiederholt sich nun mit #FreeCarola. Gemeint ist Carola Rackete, die mutige Kapitänin der Sea Watch 3, die in Lampedusa festgenommen wurde. Prompt ist der Vorwurf da, die Seenotrettung würde dem rechtsextremen Innenminister Matteo Salvini helfen, dem der Trubel "auf die Eier" geht. Wir lernen: es gibt laute und leise humanitäre Interventionen. Nur die letzteren sind schicklich, das Absaufen im Meer ist halt persönliches Risiko.

Was wird.

Wenn es in den Sommerferien geht, räumt man üblicherweise auf. Die große Koalition hat hingegen abgeräumt und viel auf Wiedervorlage gelegt. Erstaunlich viele Gesetzesvorlagen, die noch vor der Sommerpause verabschiedet werden sollten, sind auf den kühlen St.Nimmerleinstag verschoben worden. Vor allem die Cyber-Gesetze gehören zu denen, bei denen Eile um Weile ergänzt wurden. Dazu gehört das IT-Sicherheitsgesetz 2.0 mit verschärften Befugnissen, gegen Hacker aller Art vorzugehen, der Aufbau des Cyber-Abwehrzentrums Plus mit engerer Kooperation von Geheimdiensten und Ermittlern sowie die Verzahnung der täglichen Cyber-Lage mit dem Cyber-Abwehr- und -Angriffszentrum der Bundeswehr. Auch die Sache mit den angedachten Hintertüren in Messenger-Diensten und der Ausleitung verschlüsselter E-Mail durch Provider liegt auf der langen Bank und sonnt sich. Sommer ist halt Sommer, wo alles etwas langsamer geht, auch die Cyber-Sicherheit im schwitzenden Cyber-Raum. Das gilt nicht nur für unsere kleine Bundesrepublik. Auch in den Vereinigten Staaten vertagte man bei der gemeinsamen Sitzung der Sicherheitsbehörden und Geheimdienste im National Security Council die Frage, ob nicht die Ende-zu-Ende-Verschlüsselung von Staats wegen verboten werden müsste. Auch der Krypto-Krieg macht Sommerpause.

An diesem schönen Sonntag endet die Frist für den Online-Anschluss von Arztpraxen an die telematische Infrastruktur. Glaubt man diesem Service-Tweet einer Krankenkasse, so sind nicht einmal 50 Prozent der Ärzte und Zahnärzte angeschlossen. Wie es weitergeht, ist eine gute Frage. Immerhin haben ratlose Techniker, die den VPN-Router in der Praxis installieren, nun ein Muster-Installationsprotokoll von der Projektgesellschaft Gematik bekommen, das sie abarbeiten können. Und für die ratlosen Ärzte gibt es auch etwas, nämlich eine Klarstellung von der Gematik, dass sie nicht für IT-Sicherheitsrisiken in den Praxen haftbar gemacht werden können. Das neue Informationsblatt stellt klar: Wenn alles seine BSI-gerechte Ordnung hat und etwas nicht klappt, ist der "Datenverarbeiter" dran, nicht der medizinische "Leistungserbringer". So ist das im Sommer. Summertime, and the livin'is easy, Fish are jumpin', and the cotton is high ...

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. Wer die Qual der Wahl hat, der kann was erzählen.
Beitrag von: SiLæncer am 07 Juli, 2019, 00:14
Es gibt Träume, die, sind sie verwirklicht, zum Alptraum werden, grummelt Hal Faber, der dann doch lieber die Wahl hat.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Toll, es ist Damenwahl in Europa: Spiel mir das Lied von der Leyen und es schrammelt und knackt ganz gewaltig. Die Platte hat einen Sprung. Nach all den Kommentaren über die gestiegene Wahlbeteiligung zur Europawahl mit angetretenen "echten" Spitzenkandidaten wie Manfred Weber ist die "Einigung" auf die deutsche Verteidigungsministerin eine Lektion in dem Geschachere europäischer Realpolitik und nebenbei eine hübsche Sammlung einschlägiger Memes. "Noch nie wurde so viel gelogen" wie in dieser Stunde, das ist als Beschreibung der Hinterzimmerei noch eine glatte Untertreibung. Wer sich über die Trolle der Brexit-Hansel belustigt, die zur Europa-Hymne ihre Rückseiten vorzeigten, kann die Regierungschefs wie Merkel und Macron gleich mit einbeziehen. Auch sie zeigten auf ihre Weise den EU-Bürgern die Hinterseite, natürlich mit allem demokratischen Anstand, wie prompt versichert wird. Dabei wird ein "Deal" präsentiert, der offenbar ganz nach dem Drehbuch von "The Art of the Deal" entstanden ist, der anderswo bewundert wird. Es ist eben alles eine Frage des Haltungsproblems, wie es Ursula von der Leyen einstmals in der Debatte um einen Offizier ihrer Truppe kenntnisreich formulierte. Der aufrechte Gang sieht sowieso anders aus.

*** So mancher hätte gerne auch außerhalb Europas die Qual der Wahl, wird aber vor vollendete Tatsachen gestellt. Aus dem American Dream ist zum 4. Juli ein Salute to America geworden und die frisch gewaschenen Panzer standen artig Spalier auf ihren Tiefladern. Das aus den Häfen, die die Amerikaner eroberten, bei Trump wegen einem ausgefallenen Teleprompter kurzerhand Flughäfen wurden, ist doch eine schöne Geste Richtung Air Force One gewesen. Die Maschine flog aus Sicherheitsgründen über Washington hinweg, als Trump noch gar nicht mit der Rede begonnen hatte. Danach kam verschiedenes Fluggerät im Regen zum Einsatz, jedoch leider keine 737 Max, dieses Merkstück einer verkorksten Firmenkultur. Anno 1776 hatte Amerika seine eigenen High Tech Trends, bis hin zum biblischen Multitasking von Thomas Jefferson, dem Autor der Unabhängigkeitserklärung.

*** Das amerikanische Drama spielte sich jedoch woanders ab, im kalifornischen Ridgecrest oder eben auch im Fernsehstudio. Dabei warnen Seismologen, dass das the big one, das große Beben erst noch kommen könnte. Nun heißt es warten und das geht in Kalifornien am besten in aller stoischen Abgeklärtheit, dieser ganz besonderen Gelassenheit der Reichen und Mächtigen. Sieht man vom Schönheitsfehler ab, die griechische stoische Philosophie auf den Einfluss des Buddhismus zurückzuführen, ist der Gedanke interessant, dass die kalifornische Ideologie nicht allein auf die Hippies und Wellensurfer zurückzuführen ist. CONFIG.SYS und lebe damit, basta.

*** Ich weiß nicht, was "basta" auf Chinesisch bedeutet. Doch der Bericht über die chinesische Honigbiene als Topmeldung dieser Woche gibt auf vielen Ebenen zu denken. Einreise oder Ausreise nur mit staatlich anerkannter Sicherheits-App, das ist ein Gedanke, auf den auch andere Staaten kommen können, die kein Sozialkreditsystem unterhalten. Der Kampf gegen den Terror muss schließlich mit allen Hashwerten geführt werden. Da ist nicht nur die Diskussion um die Gutartigkeit oder Schlechtigkeit von Huawei, die für einen Deal an- oder ausgeknipst werden kann, wenn Xi Jinping und Trump ihn wollen. Man sollte nicht vergessen, wie in China die Unterzeichner der Charter 8 als Wiedergängerin der Charta 77 behandelt wurden. So ist die Charter 8 ein brandgefährliches Dokument geworden, das von der App in vielen Fassungen und Sprachen aufgespürt wird. Für sie wanderten viele Menschen ins Gefängnis und einige wie Liu Xiabo bezahlten ihren Mut mit dem Leben. Seine Witwe Liu Xia lebt mittlerweile in Deutschland. Sie führte vor ein paar Monaten ein wunderbares Gespräch mit Ai Weiwei und Perry Link, das man nur mit Bauchschmerzen lesen kann. Die dazu gehörige Ausstellung ist vorüber.

*** Ach, ihr wachsamen Honigbienchen, es gibt viel zu blocken und noch mehr zu installieren, wie dieses Update für Samsung, das nach der Kreditkarte fragt und bereits auf 10 Millionen Downloads gekommen sein soll. Wer sein Smartphone auf diese Weise auf dem neuesten Stand halten will, wird sicher keine Bedenken haben, eine staatliche App bei Ein- oder Ausreise aufzufrischen. Schließlich steckt im schönen Wort vom harmonisch zu entwickelnden Bundestrojaner eine Andeutung vom innigen Bund, den der Staat da mit seinen Bürgern schließt.

*** Nach "Windows 10 for Dummies" und "Microsoft Excel for Dummies" ist nun auch Bruce Schneiers angewandte Kryptographie in einigen US-amerikanischen Gefängnissen verboten worden. Kryptographie ist einfach zu gefährlich. Erinnert sei daran, dass Pioniere wie Martin Hellmann mit einem Bein im Gefängnis standen, als sie ihre Entdeckung der vertraulichen Gespräche von Alice und Bob veröffentlichten. Hellmann und drei seiner Studenten sollten für ihre preiswürdige Arbeit verhaftet werden, da sie die nationale Sicherheit der USA gefährdeten. Später wurde das Argument aufgetischt, dass Verschlüsselung nur von bösen Menschen genutzt wird, was einfach nicht stimmt. So leben wir mit der Erkenntnis, dass eine Ende-zu-Ende Verschlüsselung nicht nur im Bundesinnenministerium nicht verstanden wird. Doch halt, es geht noch besser: In dieser Woche hat Arvato Systems, die IT-Tochter des Bertelsmann-Konzerns, den Zuschlag in einer europaweiten Ausschreibung gewonnen, die telematische Infrastruktur des deutschen Gesundheitswesens bis zum Jahre 2027 zu betreiben, inklusive dem Betrieb des Rechenzentrums, in dem unsere Gesundheitsdaten zusammenlaufen. Arvato spricht darum in der Pressemitteilung zur gewonnenen Ausschreibung von einer "Ende-zu-Ende Verantwortung beim Datenaustausch über alle Sektoren des Gesundheitswesens", die der Konzern übernommen habe. Das ist eine sprachliche Neuerung, für es einen Neusprech-Award geben müsste.

Was wird.

Genug davon, das ist ja doch alles frustrierend. Dabei wird's Sommer. Und – bei allen kritischen Hinweisen über Hitzewellen, Dauer-Dürre und den grundsätzlich sich darin äußernden Klimawandel – ist der in der norddeutschen Tiefebene gefangene Westeuropäer doch froh, dass man mal scheinende Sonne und richtig schöne Hitze genießen kann, ohne dafür den Klimawandel durch die eine oder andere Flugreise anzutreiben. Also freuen wir uns erst einmal: Sommer wird's. Genießen wir's, solange die Hitze nicht in Dimensionen steigt, die kein Mensch mehr angenehm finden kann. Und genießen wir das Sommerrätsel, das nun auch wieder ansteht. Dieses Mal trennen wir uns von der alten Dreieinigkeit von Hard-, Soft- und Wetware und gehen ganz modernistisch in dieses komische Internet (vom dem manche Leute ja sagen, das werde sich nie durchsetzen ...) und schauen nach Cat-, Dog- und Alien-Content. Immerhin wurde das Internet ja für Katzenvideos erfunden – und nun stellt sich heraus, dass schon viel früher der eigentliche Grund für die Erfindung des Computers die Erstellung von nativem Cat-Content war! So seien die geneigten Leser zur Stimulierung der Vorfreude auf das Sommerrätsel schon mal gefragt, wann denn der in dem folgenden Video gezeigte Cat-Content produziert wurde und auf welchem Computer. In diesem Sinne: Genießt die Sonne!

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. Von Vorbildern und Vordenkern
Beitrag von: SiLæncer am 14 Juli, 2019, 00:17
Der Kampf geht weiter? Fragt sich nur welcher, und wohin er denn so geht, grübelt Hal Faber und schaudert angesichts mancher Kampfaufrufe.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Wie gut ist es doch, wenn man Vorbilder hat, große Vorbilder, ruhmreiche Vordenker und Vortexter. Die französische Nationalversammlung hat in dieser Woche ein Gesetz gegen den Hass im Internet verabschiedet, das sich ausdrücklich am deutschen Netzwerk-Durchsetzungsgesetz orientiert, aber in einigen Punkten weit über das hiesige Gesetz hinausgeht. Neben allen rassistischen, sexistischen und religionskritischen Äußerungen, die Menschen in ihrer Würde verletzten, fallen Inhalte wie das Verherrlichen von Attentaten und Kriegsverbrechen unter das Gesetz. Zudem gelten die "lois mémorielles", die Erinnerungsgesetze wie etwa das Leugnen von Gaskammern und Konzentrationslagern oder das Leugnen des Völkermordes an den Armeniern nun auch im Internet. Ob das Gesetz, dass noch vom Senat verabschiedet werden muss, so fantastisch funktioniert wie in Deutschland, soll ein "Observatorium zur Beobachtung des Online-Hasses" untersuchen. Doch damit nicht genug. Cédric O, Macrons Minister für Digitalisierung, hat die Journalisten-Verbände aufgefordert, eine Journalistenkammer nach dem Vorbild der Anwaltskammer einzurichten, die Berufsverbote aussprechen kann, wenn Journalisten Hass verbreiten. Sie soll außerdem bei dem Gesetz gegen Fake News aktiv werden und Journalisten bestrafen, die Fake News verbreiten. Journalisten und Juristen sehen in dem Vorschlag von O einen Angriff auf die Pressefreiheit, doch den kümmert das nicht. Notfalls will sein Digitalministerium eine solche Journalistenkammer gründen: Was im Internet gilt, muss auch in der Realität gelten, wird ein sattsam bekanntes Argument einfach umgedreht. Wobei das Gesetz gegen Fake News sich als ziemlich wirkungslos erwiesen hat, als Frankreichs Innenminister Christophe Castaner ungeniert Fake News vom Angriff der Gelbwesten auf die Intensivstation eines Krankenhauses twitterte und nach einer halben Entschuldigung ungestraft davonkam. Dazu passt, dass die le Monde-Journalistin Ariane Chemin und ihr Chef Louis Dreyfus vom französischen Inlands-Geheimdienst DGSI verhört wurden. Nein, Frankreich sollte da kein Vorbild sein; dass man das ausgerechnet am 14. Juli und ausnahmsweise betonen muss...

*** Hans-Georg Maaßen war einmal der Chef des deutschen Inlands-Geheimdienstes, der Verfassungsschutz genannt wird. Nunmehr entlassen, irrlichtert er mit Auftritten und Anmerkungen, die auch ein Licht auf den Verfassungsschutz werfen. In dieser Woche hat er einen Artikel der Neuen Zürcher Zeitung gelobt, in dem das Ende der deutschen Mehrheitsgesellschaft beschworen wird. Frankfurt als Vorhölle, schrieb die NZZ auf Basis statistischer Daten, doch auf den Irrtum setzte Maßen den Irrsin, als er die Berichterstattung der nach rechts abgedrifteten NZZ als Westfernsehen bezeichnete. Was selbst bei der NZZ nicht besonders gut ankam. Der historisch gedachte Vergleich weist darauf hin, dass Maaßen eine Meinung von der deutschen Presse hat, die nahe an dem rechten Spektrum ist, wo man gerne von Haltungsmedien redet. Natürlich könnte man das auch anders deuten: Wer meint, dass die deutsche Presse wie zu DDR-Zeiten gelenkt wird, könnte den Verfassungsschutz auch mit dem Staatssicherheitsdienst gleichsetzen. Wie sagte es der Journalist Eckart Spoo in seinen Bemerkungen über Joseph Goebbels, der das "Ministerium für Aufklärung und Propaganda" leitete: "Es kommt auf das richtige Wort an. Richtiger gesagt: auf das falsche. Das richtig falsche. So funktioniert Propaganda: verwirrend. Propaganda muss ihre Adressaten verwirren, das ist ihr Auftrag. Sie muss das Offensichtliche vernebeln und uns zu blindem Glauben und Gehorsam erziehen – zu dem Glauben, das Unwahre sei wahr, das Richtige falsch, das Gute böse, das Böse gut." Bitte weitergehen, hier gibt es kein Vorbild zu sehen.

*** Keine Lust auf Demokratie? Wie wäre es dann mit einer Monarchie? Kaum haben die Hohenzollern einen neuen Chef, legt dieser los und will Gemälde und Schlösser haben, eine ordentliche Entschädigung und Mitsprache und Interventionsrecht bei allen Ausstellungen, die die Geschichte von Preußen zum Thema haben. Schließlich war die Fürstenenteignung von 1926 ganz und gar unrechtmäßig. So soll im Schloss Charlottenburg "auf Kosten des Bundes" ein dynastisches Museum errichtet werden, in dem jegliche Änderung der Ausstellung durch das Haus Hohenzollern genehmigt werden muss und nicht der kleinste historische Schmutzfleck auf der reinen Weste strahlender Herrscher und Vorbilder prangen darf. Bis hin zum unbegrenzten Parkplatzrecht für Adelige im Auto ist alles im besten Juristendeutsch geregelt. Wie sagte es noch Wilhelm II: "Jetzt wolln wir sie dreschen!" Zurück in güldene Zeiten, als es noch Vordrescher gab? Lieber nicht. Dann doch lieber mehr Europa wagen. Manfred, der Kampf geht weiter.

*** Die IT-Welt verabschiedet sich derweil vom Turing-Preisträger und Multiuser-Vordenker Corby Corbató, dem Mitentwickler des Compatible Time-Sharing System. Später leitete er am Massachussetts Institute of Technology die Entwicklung von Multics, dem Vorläufer von Unix und startete zusammen mit Robert Fano das Project MAC als Multics-Anwendung, eine Multiuser-System mit 100 Terminals und ca. 1000 Nutzern. An diesem modifizierten IBM-Computer arbeiteten so unterschiedliche Leute wie Marvin Minsky und Joe Weizenbaum an ihren Projekten. Corbató erfand das, was damals "access isolation mechanism" genannt wurde und heute halt das Login mit Nutzername und Passwort ist. Der Vater des Passwortes loggte sich im Alter von 93 Jahren aus. Den Passwort-"Schutz" hielt er schon in den 90ern für ausgemachten Blödsinn. Neben dem Wissen sollte seiner Meinung nach die Komponente "Besitz" etwa als Smartcard mit elektronischer ID zum Einsatz kommen.

Was wird.

Angeblich ist die Mondlandung der größte Moment der Fernsehgeschichte gewesen, doch soweit ich mich erinnern kann, war das Fernsehbild ziemlich verwaschen und der Ton grauenvoll. Mit meinen Eltern sah ich das Geschehen in einem Genfer Hotel auf dem Rückweg von Andorra. In etlichen Zeitungen, Zeitschriften und werbenden Beilagen wirft das Ereignis 50 Jahre später seinen Schatten voraus, nicht nur als schnöde #Moonwatch. So lesen wir gerührt von der treuen Sekretärin des adeligen Westpreußen Wernher von Braun, die ihm in Peenemünde diente und später in Fort Bliss und noch später in Huntsville, als sie Hausfrau und als Privatsekretärin für die deutsche Korrespondenz zuständig war. Alles war ja so unpolitisch und nett und der stets schick gekleidete Herr von Braun zog seine Uniform doch nur an, wenn Besuch aus Berlin kam, das war schon Widerstand. Von Zwangsarbeitern soll ja nichts zu sehen gewesen sein und niemand wollte mit der V2 nach London, denn alle wollten ja nur die reine, edle Raumfahrt oder den schnellsten Flieger wie der Herr Dornberger oder eben die Saturn V-Rakete wie Herr Rudolph, der schon 1931 in die NSDAP eingetreten war.

Wer redet da schon vom Konzentrationslager Mittelbau, in dem die Vernichtung durch Fortschritt stattfand, nachdem die Air Force 1943 Peenemünde bombardiert hatte? 20.000 KZ-Häftlinge starben dabei, nur wenige überlebten die Schufterei, wie Stephane Hessel, dessen Empört Euch! eine altersweise Fassung dessen ist, was zeitgenössische Schnösel als Gretinismus verspotten. Damit schalten wir zu einer anderen französischen Stimme, dem ersten Countdown der Geschichte zu einem großen Wumms, der dank eines kleinen Rechnerfehlers nur zu einem Knällchen wurde – damals hatte man ja in der Phantasie von Jules Verne den Mond schon längst erreicht.

Apropos Berechnungen, das bringt uns zurück zur Abschluss-Frage in der letzten Wochenschau: Koschetschka, die auf einem BESM-4 Computer errechnete Bewegungssimulation eines Kätzchens, geschrieben 1968 von den Programmierern Nikolai Konstantinow, Viktor Minachkin und Wladidmir Ponomarenko, konnte damals nur entstehen, weil die Computer unbenutzt herumstanden. Mit dem Brief99 hatten 99 Mathematiker und Kybernetiker gegen die Inhaftierung des Mathematikers Alexander Jessenin-Wolpin protestiert. Sie wurden ihrerseits verhaftet und anschließend in psychiatrische Anstalten gesteckt, eine Methode, die seit der Stalinzeit nicht mehr praktiziert wurde.

Dies betraf auch die Programmierer, die die Flugbahn von Luna 15 berechneten, die dem Apollo-11 Projekt ein Schnippchen schlagen und vor den US-Amerikaner Mondgestein zur Erde bringen sollte. Sonde und Rakete schlugen hart auf, das Mondrennen war gelaufen. Sollte ich nicht ganz falsch gerechnet haben, startet das Sommerrätsel am nächsten Sonntag mit den Fragen zur Wetware, Hardware und Software und das im Zeichen eines ganz anderen Geburtstages: Das Internet ist irgendwie 50 Jahre alt geworden.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. Vom Überqueren und Überwachen
Beitrag von: SiLæncer am 18 August, 2019, 08:32
Während Greta Thunberg idealerweise über das Wasser laufen können sollte, grübelt Hal Faber über gestrichene Zapfen und zertrampelte Grundrechte.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Greta Thunberg segelt mit einer Rennyacht über den Atlantik. Eigentlich wäre das eine Sommerloch-Geschichte wie die von Sammy, dem Kaiman im Baggersee. Aber die Zeiten ändern sich und das Nachrichtenklima wird rauer. Also muss erwähnt werden, dass es an Bord der Yacht keine Toilette gibt (britische Medien) und dass sich da eine Tragödie abspielt (deutsche Medien): "Greta Thunberg ist die tragische Heldin, die die Wahrheit zwar sieht und ausspricht, aber dennoch nur scheitern kann." Die Yacht muss zurück für ein anderes Rennen und deshalb wird gelästert. Es wird erst enden, wenn Frau Thunberg kein CO2 mehr emittiert. Klar, richtig wäre es gewesen, wenn Greta und die Fridays for Future-Bewegung im Stil von Boris Johnson einfach ein paar Antonovs 225 gechartert hätten und alle, alle nach New York zur Demo fliegen würden. Aber wer denkt da an die armen Lehrer, die vor leeren Klassen stehen und das zum Schulanfang. So warten wir also gespannt auf die Positionsmeldungen von Greta, die All watched Over by Machines of Loving Grace behütet über den Atlantik rauscht.

*** Sollte sie in New York der schönen PR-Bilder wegen an der Freiheitsstatue vorbei schippern, wäre ein Blick auf die Inschrift fällig, die bekanntlich von einem Trump-Anhänger in dieser Woche abgeändert wurde: "Gebt mir Eure Müden und Eure Armen, die auf ihren eigenen Füßen stehen können und nicht zu einer Belastung für die Öffentlichkeit werden." Gebt mir eure Mücken! Dazu passt vielleicht die Nationalhymne, die Jimi Hendrix mit seiner hastig zusammengestellten Band of Gypsies heute vor 50 Jahren in den Morgenstunden in Bethel zerfetzte. Er war der teuerste Musiker bei Woodstock und spielte, als die meisten Besucher schon auf dem Rückweg waren.

*** Ja, ja, das richtige Einwandern ist lukrativ geworden – für eine Firma wie Palantir Technologies. Stimmen die Angaben der Bürgerinitiative "No Tech for ICE", die nun in einem Report zusammengefasst wurden, dann hat allein der Auftrag für die Datenbank der Einwanderungsbehörde ICE einen Umfang von 42 Millionen Dollar. Dabei nicht eingerechnet die 52 Millionen für ein Vorgangsbearbeitungssystem Palantir ICM, das von der Homeland Security zur Einwanderungskontrolle genutzt wird. Natürlich vezwergt das alles vor der satten Milliarde, die das Verteidigungsministerium der Firma für zwei Dutzend Projekte überweist, die allesamt streng geheim sind. Insgesamt macht es deutlich, warum Palantir-Anteilseigner Peter Thiel einer der wenigen IT-Zaren ist, die Trump mögen. Ob das auch für den Firmenchef Dr. Alex Karp gilt, der in Frankfurt mit "Aggression in der Lebenswelt: die Erweiterung des Parsonsschen Konzepts der Aggression durch die Beschreibung des Zusammenhangs von Jargon, Aggression und Kultur" promovierte, ist schwer zu sagen. Schließlich arbeitet Palantir mit fast jeder Demokratie im Westen zusammen, da heißt es, Animositäten und Aggressionen im Zaum zu halten. Die einen haben einen Sumpf, die anderen pflegen ihren polizei/industriellen Komplex.

*** Zumindest in Deutschland ist eine Landespolizei schwer von Palantirs Technologie begeistert. Die Rede ist von Palantir ICM, bei uns als "Hessendata" bekannt und von aller US-amerikanischen Herkunft bereinigt. Nunmehr kann Hessendata auch mobil eingesetzt werden und die "hessenweite Ausflächung" steht bevor. Die Vorteile sind sa-gen-haft, wie man aus der Pressemitteilung einer Übung mit einem "fiktiven Bedrohungsszenario" entnehmen kann: "Dafür verknüpfen die Beamtinnen und Beamten ausschließlich bereits vorhandene Informationen aus polizeilichen Datenbanken und öffentlich zugängliche Informationen, um schnell gebündelte Erkenntnisse – zum Beispiel über islamistische Gefährder – zu generieren und polizeiliche Gegenmaßnahmen einleiten zu können." Dann generiert man schön, möchte man sagen, wäre denn da der stets mögliche Irrtum ausgeschlossen. Wie prägnant und schnell man in Hessen arbeitet, zeigt die aufregende Jagd auf Helene Fischer: 83 Mal in der Nacht wollten Polizisten ihre persönlichen Daten und damit verknüpfte öffentlich zugängliche Informationen sehen. Hessendata lieferte.

*** Was bei der Polizei nicht so besonders läuft, ist Polizei 2020, das "digitale Haus der Polizei", ein supertolles länderübergreifende Gemansche aller Daten in einer einzigen großen Polizeicloud. Im Sommerloch verschwand die Meldung, dass der Projektleiter von Polizei 2020, Kriminaldirektor Andreas Lezguz, nur noch Projektbegleiter ist. Die Leitung hat jetzt der Superstar der deutschen IT-Branche übernommen, jedenfalls der Superstar nach den Vorgaben des Bundesinnenministeriums. Das setzte die Einmannfirma Holger Gadorosi Consulting schon mehrfach ein, zuletzt nach Auskunft der Bundesregierung (PDF-Datei) für ein Honorar von schlappen 8,7 Millionen Euro bei dem umstrittenen Projekt Netze des Bundes.

*** Sollte Holger Gadorosi Polizei 2020 2020 in den Testbetrieb überführen können, kann er gleich die nächste millionenschwere Aufgabe vom Innenministerium übernehmen: Es läuft nicht wie gewünscht bei den Bodycams, wie ein Forschungsbericht aus Nordrhein-Westfalen zeigt. Eigentlich sollen die eingeschalteten Kameras gewalttätige Aktionen gegen Polizisten verhindern oder zumindest dokumentieren, doch lassen sich nur wenige Randalierer von ihnen beeindrucken. Stattdessen halten sich Polizeibeamte "unangemessen" zurück, eben weil sie wissen, das gefilmt wird. Der beherzte Griff zum Knüppel wird in Nordrhein-Westfalen vermisst. Erfolgreicher sollen Polizisten im hohen Norden sein, wo Bodycams auf dem Festival in Wacken eingesetzt wurden. Doch der Abschlussbericht steht noch aus. Gespannt warten wird noch auf Nachrichten vom Bahnhof Südkreuz, auf dem jeweils Dienstag und Mittwoch eigens engagierte Schauspieler nach einem Drehbuch gefährliche Situationen simulieren, die von Kameras und Software zur "intelligenten Verhaltensanalyse" entdeckt werden sollen. Ob Bundesinnenminister Seehofer wieder von der überragenden Leistung schwärmen wird, wie er das anlässlich der Gesichtserkennung am Südkreuz getan hat? Anderswo hat man ganz andere Ergebnisse bekommen.

Was wird.

Schwuppdiwupp sind wir mit Horst Seehofer in der Zukunft gelandet. Während andere sonnenbaden und zapfenstreichen, hat Seehofer mit seinen Juristen etwas geschnürt, das in den nächsten Wochen und Monaten für Gesprächsstoff sorgen wird. Eigentlich ging es nur um die Umsetzung von Empfehlungen, die die Innenministerkonferenz zur Rechtsvereinheitlichung des Verfassungsschutzrechts ausgesprochen hat. Herausgekommen ist ein Entwurf für eine weit reichende Stärkung des Geheimdienstes. Das geplante neue Gesetz zur Stärkung des Verfassungsschutzes ist nicht nur ein sprachliches Ungetüm, das möglichst kompliziert formuliert ist. Es zertrampelt auch Grundrechte, weil dem Geheimdienst weitreichende Befugnisse zur Hand gegeben werden. Das fängt bei der "privaten" Videoüberwachung in Kaufhäusern und Einkaufszentren an, auf die sich der Verfassungsschutz künftig bei Bedarf "live aufschalten" kann.

Bekannt war schon der Passus, dass Verfassungsschützer in Wohnungen einbrechen dürfen, um einen Staatstrojaner oder sonst eine Überwachungssoftware aufzuspielen. Das ist jetzt noch einmal verschärft worden: "Das Bundesinnenministerium soll künftig IT-Unternehmen per Verordnung zwingen können, beim Aufspielen von Spähsoftware auf Handys, Computer oder andere Geräte mitzuhelfen." Was jetzt noch fehlt, ist ein schnuckeliger Name für diesen "Sofort Überwachbar Service" der Ich-bin-doch-nicht-blöd-Branche. Vielleicht wird dann man von Geräten sprechen, die geseehofert sind oder horstig gemacht wurden. Die vom Bundesverfassungsgericht angemahnte Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme wird ohnehin überbewertet. Schick ist auch, dass künftig eine einfache Verordnung genügen soll und die bisher geforderte richterliche Genehmigung für eine Überwachungsmaßnahme Makulatur ist. Dass der Verfassungsschutz künftig auch Redaktionen und Verlage mit Staatstrojanern ausspionieren darf, ist da nur konsequent.

Quelle : www.heise.de
Titel: 4W: Von hoffentlich aussterbenden Spezies in des Kaisers neuen Kleidern
Beitrag von: SiLæncer am 25 August, 2019, 00:40
Ach, das ist so eine Sache mit diplomatischer Höflichkeit. Mancher steht nackt da. Und mancher bekommt zu viel Aufmerksamkeit, wundert sich Hal Faber.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Soso. Die Dänen haben also böse und unangemessen reagiert, als sie über ihre Ministerpräsidentin Mette Frederiksen den USA mitteilten, wie absurd der Vorschlag ist, Grönland zu kaufen. Beleidigt hat US-Präsident Trump seinen Dänemark-Besuch abgesagt und nutzt die freien Tage, um etwas Golf zu spielen. Dabei hatten doch Trumps Lieblingsbotschafter (die für die EU, Dänemark und Deutschland) erst vor kurzem das tapfere Volk der Dänen über den grünen Klee dafür gelobt, dass es sich dem Nordstream-2-Projekt in den Weg stellt mit seiner Diskussion, wie die Pipeline um Bornholm herum geführt werden kann. So war Dänemark der wichtigste Verbündete der USA, die Nordstream 2 verhindern wollen. Das müssen Trump und seine Berater missverstanden haben, als sie das fast unbewohnte Greenland kaufen wollten, irgendwelche naseküssenden Naturvölker und ihre Hunde inklusive. Wegen der Bodenschätze, nicht der Menschen, die im Weltbild des US-Präsidenten keine Rolle spielen. Da gibt es nur den Raketen-Kim und ihn, den Auswerwählten auf göttlicher Mission im Handelskrieg mit China. Wer so hoch über den Dingen schwebt, kann schon einmal allen Firmen befehlen, ihre Produktion aus China abzuziehen, auch wenn dies den Prinzipien einer freien Marktwirtschaft widerspricht: Niemand sagt diesem Auserwählten, dass er nackt ist. Weiter geht's im Handelskrieg.

*** Ob Donald Trump so einzigartig ist, kann bezweifelt werden. Heute vor 100 Jahren wurde George Wallace geboren, der genau wie Trump von sich und der Überlegenheit der weißen Rasse überzeugt war. In der demokratischen Partei schaffte er es bis zum Gouverneur von Alabama, scheiterte jedoch in vier Anläufen, Präsident der USA zu werden. Das böse Wort vom Ausniggern und sein Schwur, die Rassentrennung für immer beizubehalten, kamen im Amerika der 60er und 70er Jahre nicht besonders gut an, schließlich feierte man in Woodstock Friede, Freude, Eierkuchen. Heute hätte Wallace als Anwalt des kleinen weißen, vom Abstieg bedrohten Mannes beste Chancen bei den Wählern von Trump mit dem seit Wallace bekannten Versprechen, den "Sumpf in Washington" auszutrocknen und die Schnösel aus der Regierung zu verjagen. "Das Volk soll dieses Land regieren und nicht ein Haufen Pseudo-Intellektueller, die hochnäsig auf euch und mich herabschauen." Als der Spiegel 1968 in einer Titelstory über Wallace berichtete, fasste er die Stimmung unter den Anhängern von Wallace prägnant zusammen: "Amerikas NPD". Dem fanatischen Rassentrenner von damals würde die nunmehr propagierte Abschiebungskultur von heute sicher gefallen.

*** Apropos Abschiebung: Schon in der letzten Wochenschau war von der Firma Palantir Technologies, ihrer Arbeit für die US-amerikanische Armee und den Grenzschutz ICE sowie ihrer Software Hessendata die Rede. Nun gibt es Berichte, nach denen sich bei Palantir-Mitarbeitern das schlechte Gewissen meldet. In der Firma sollen offene Briefe oder E-Mails zirkulieren, in denen die Arbeit für die Einwanderungsbehörden kritisiert wird. Man möchte sich im freien Geiste des Silicon Valleys doch aus der Politik heraushalten. Vorbild soll Google sein, dass den Auftrag zum Projekt Maven zurückgegeben hat, unter Verweis auf die Firmenethik. Dabei kursiert dort ein Memo der Muttergesellschaft Alphabet, das politische Diskussionen am Arbeitsplatz oder im Mail-Verteiler der Firma ab sofort untersagt sind. Ganz so freiheitlich will man bei Alphabet und Google nicht mehr sein, weil es die Produktivität stört.

*** Anders bei Palantir? Auf "Town Hall Meetings" sollen Palantirianer das Thema der übergroßen Regierungsnähe diskutiert haben. Doch ethische Regeln sind in der mit finanzieller Unterstützung eines CIA-Inkubators gegründeten Firma bisher nicht bekannt geworden, dafür ein Interview mit Firmenchef Alex Karp, der Silicon-Valley-Firmen ächtete, die sich seiner Ansicht nach unpatriotisch verhalten. Insofern hat die Kritik an Firmen wie Palantir ihre Berechtigung, auch wenn der Vorwurf mit dem Killer-Roboter überzogen ist. Denn seit Karel Capeks Theaterstück über Rossums Universalroboter ist bekannt, dass Roboter sich dem Menschen überlegen fühlen und die Welt für sich beherrschen wollen. Die Menschen sterben von alleine aus, wenn der Regenwald niedergebrannt ist.

*** Wenn diese Zeilen im weltweiten Gewebe auftauchen, ist die Dresdener Demo unteilbar mit mehr als 10.000 Teilnehmern zu Ende gegangen, hübsch gefilmt von vielen Kameras der sächsischen Polizei. Wie teilbar die Demokratie sein kann, zeigte im Vorfeld der dort amtierende Ministerpräsident, der sich zuvor selbst in einem Interview als Antifaschist bezeichnet hatte. Demonstriert wurde nicht nur für die Stärkung der Demokratie, für Offenheit und Vielfalt, sondern auch gegen das fortlaufend ausgebaute Sicherheitstheater mit anlassloser Überwachung, Auto-Vorratsdatenspeicherung und einem Datenschutz, in dessen Namen Behörden die Herausgabe von Dokumenten verweigern. Noch dümmlicher ist die Argumentation, ein seit zwei Jahren erstellter Kommissionsbericht über die Prepper-Szene und Nordkreuz befinde sich noch im Entwurfsstadium. Immerhin gibt es jetzt eine telefonische Auskunft durch das Fräulein oder Männnlein vom Amt, wenn man in Hamburg wohnt.

Was wird.

Der in Deutschland hoch geschätzte und mehrfach ausgezeichnete Künstler Ai Weiwei wird mit seiner Familie ins britische Cambridge ziehen und hat nach seiner heftigen Kritik an Deutschland noch einmal nachgelegt. Besonders ärgerlich sei die angebliche moralische Überlegenheit, die Europäer für sich in Anspruch nehmen würden. Sie habe ihn in Deutschland krank gemacht. "Europa war eine zivilisierte, moderne Gesellschaft, die Humanismus, Demokratie, Freiheit und Menschenrechte hochhalten sollte. Europäer sollten sich nicht moralisch überlegen fühlen dürfen." Ganz schlimm sei es mit der Dankbarkeit gewesen, die man von ihm und anderen Flüchtlingen erwarte. Ob das in Großbritannien anders ist, wird sich zeigen. Weiwei kritisierte die Briten dafür, die Proteste in der ehemaligen Kolonie Hongkong nicht ausreichend zu unterstützen. In der Brexit-Krise sei man viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt. Zur Übersiedlung wird sich Europa in seiner ganzen Schönheit zeigen: Die Chips in den kommenden blauen Pässen stammen von der franko-niederländischen Firma Gemalto, gedruckt werden sie in Polen und müssen dann nur noch nach Britannien transportiert werden.

Und dann kommt der Endspurt zu den Landtagswahlen, bei denen die allgegenwärtigen Auguren Sachsen und Brandenburg schon (fast) ganz blau angepinselt sehen. In all dem öffentlichen Erschrecken geht allzu leicht unter, dass die AfD keineswegs eine Mehrheitspartei ist, auch nicht in den viel geschmähten östlichen Bundesländern. Und dass die Grünen möglicherweise auch endlich mal dort reüssieren können, wo sich historisch in der Bürgerrechtsbewegung gegen die DDR-Diktatur ein Teil ihres eigentlichen Parteinamens "Bündnis 90 / Die Grünen" herleitet. Die Unverschämtheit, dass sich rechtspopulistische bis rechtsradikale Besserwessies als "Vollender der Wende" und Erben der Revolution von 1989 aufspielen, ist eine der Volten der deutschen Demokratie, die sich kein Satiriker auszudenken gewagt hätte. Ach, man hat's schon schwer mit der Meinungsfreiheit. Was umso mehr für die gilt, die stets das beleidigte Opfer spielen, wenn man ihnen zu widersprechen wagt. Dass diese beleidigten Leberwürste in aller Regel gerade diesen rechtspopulistische bis rechtsradikale Besserwessies sind, macht's nicht einfacher.

Bei ihnen würde wohl auch die Intellektverbesserung durch Drogen und direkte Computerinterfaces nichts mehr helfen. Genießen wir lieber, statt uns mit den mit dem Flügel Schlagenden zu beschäftigen, den zu Ende gehenden Sommer in der Stadt, keinesfalls voller Wut. Feiern wir nicht nur den Sommer in der Stadt, feiern wir auch die Befreiung von Paris vor 75 Jahren. Man konnte ja damals hoffen, dass man all die offenen und verkappten Nazis endgültig loswerde. Aber nein, sie sind nur etwas weniger stahlgewittrig geworden. Aber nicht intelligenter oder gar menschenfreundlich.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. Die Sommer-Abschieds-Edition
Beitrag von: SiLæncer am 01 September, 2019, 06:33
Alle Camps gehen mal zu Ende. Übrig bleiben zu scharfe Bilder und alternative Fakten, staunt Hal Faber. Und wo Transparenz herrscht, ist das Rettende nah.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Ende. Aus. Finito. Das Chaos Computer Camp war in diesem Jahr wieder ganz weit draußen, aber eine nach innen gekehrte Veranstaltung ohne Pressebespaßung. Einen Stream nach draußen hat es gegeben und viele Bilder der staubigen Veranstaltung und der nächtlichen Lichtspiele. Das alles war der Tatsache geschuldet, dass das Gelände auf 5000 Personen limitiert ist und nicht ins scheinbar Unendliche wachsen kann wie der Congress in Leipzig, der Stadt der Friedlichen Revolution. Immerhin: die Talks sind in der CCC-Mediathek verfügbar und können garantiert staubfrei konsumiert werden. So kann man sich darüber kundig machen, was da alles an Signalen aus dem Weltraum eintrudelt.

*** Etwas Ähnliches hat US-Präsident Trump getan. Er war beim schwer gesicherten G7-Camp in Biarritz, eine Art Lobbytrip mit Trump-Werbung für Putin, und flog dann schnell wieder zurück; große Aufgaben warteten auf ihn. Kaum hatte er am Donnerstag die ersten 287 Kämpfer der US Space Force begrüßt, die mit Kamikaze-Satelliten den Feind im Weltall bekämpfen sollen, da hatte er seinen Spaß mit einer Fotostrecke. Ihm wurden Satellitenaufnahmen vom Iran gezeigt, wo ein Raketenstart misslang. Dabei war Trump von der Schärfe der Aufnahmen so angetan, dass er ein Bild twitterte, um den Iran zu "trösten". Das dürfte die Geheimdienste anderer Staaten und auch den Iran selbst freuen, denn jetzt weiß man, das die Auflösung bei der US-Aufklärung aus einer Höhe von 380 Km bis auf 10 cm genau sein kann. Solch scharfe Bilder hat der Westen wie der Osten noch nie gesehen. Was für ein prächtiges Aufklärungs-Leck! Dazu passt die Meldung aus "US-Militärquellen", dass die USA einen Cyberangriff gegen den Iran durchgeführt haben, von dem sich das iranische Militär noch nicht "erholt" hat. Ganze Datenbanken sollen verschwunden sein. Vielleicht twittert Trump noch das eine oder andere Foto von ihnen, zum Trost der Mullahs.

*** Präsidenten-Mund tut Wahrheit kund? Auf einmal? Nicht ganz, denn mit der auf dem G7-Gipfel in Biarritz vorgetragenen Behauptung, dass es "High-Level-Calls" über die Begrenzung des Handelskrieges mit China
gebe, gehört zu den berühmten alternativen Fakten. So wird der politische Diskurs weiter vergiftet und das nicht nur in den USA. Mit Boris Johnson ist ein weiterer Führer der westlichen Werteunion dabei, der Demokratie einen Fußtritt zu geben. Er schickt das Parlament in den Zwangsurlaub, weil er irgendeinen Brexit durchziehen will, mit weiteren Verhandlungen in Brüssel. Gleichzeitig erzählt er, dass noch genügend Zeit da ist, den Brexit zu diskutieren. Während sein Chefstratege Dominic Cummings eine Kultur des Schreckens aufbaut und unliebsame Mitarbeiter von der Polizei eskortieren lässt, bleibt Johnson der Nette, der alles besser machen will. Nur Neuwahlen muss er nach allen ihm gebotenen Möglichkeiten vermeiden. Deshalb lässt er sich voll und ganz auf Trump ein, weil das Handelsabkommen als Chance präsentiert werden kann, Britannien wieder groß zu machen. Vielleicht verkauft Johnson ihm im Gegenzug, mit hübschen Satellitenbildern garniert, die Chagos-Inseln. Auf denen unterhalten die USA, genau wie in Grönland, einen großen Stützpunkt für Schiffe und Flugzeuge. Trump könnte damit geködert werden, den untergegangenen Kontinent Lemuria zu erwerben. Einen ganzen Kontinent! Schick würde auch das Wappen aussehen, so ein Sternenbanner zwischen Schildkröten.

*** Bleiben wir bei Spion & Spion. An diesem Wochenende verlässt der deutsche James Bond seinen Dienstposten. Okay, Gerhard Conrad bretterte nicht im Aston Martin durch die Gegend, warf sich nicht aus dem Flugzeug, um anderen den Fallschirm zu mopsen und war obendrein bodenständig verheiratet, natürlich mit einer BND-Agentin. Was er in zahlreichen Verhandlungen bei manchem Gefangenen- und Leichentausch erreichte, lässt sich selbst mit einem Daniel Craig nur schwer verfilmen. Dafür steigt die Spannung auf andere Art: Schafft es Ursula von der Leyen, im Gefolge von Conrads Abschied bei INTCEN, dem von den Deutschen so geliebten EU-Geheimdienst, weiter auszubauen? Braucht es nicht nach dem Wegfall der britischen Geheimdienste eine Neuausrichtung der gemeinsamen europäischen Überwachungsanstrengungen? Davon kann auch der Bundesnachrichtendienst profitieren, der Mutterdienst, den Gerhard Conrad im November verlassen wird, um künftig im neuen Master-Studiengang "Dipl-Sp." zu unterrichten. Ach halt, der neue Studiengang heißt viel schicker: "Intelligence and Security Studies". Ja, was waren das noch für Zeiten, als man beim BND nur deutsche Codenamen für laufende Operationen verwenden durfte. Auf ewig unerreicht bleibt Operation Hasenfuß mit der Ausforschung von Journalisten – die samt und sonders Hasenfüße sind. Nun wird die gute alte Namenstradition nur noch bei Europol fortgeführt: Man erinnere sich an die Operation Neuland, bei der Hersteller von Cryptotools zur Verbreitung von Malware festgenommen wurden.

*** Glaubt man Bellingcat, so ist die Ermordung des Georgiers oder Tschetschenen Zelimkhan Khangoshvili in Berlin die Tat eines russischen Geheimdienstlers oder eines Mannes, den der russische Geheimdienst angeworben hat. Die Herleitung ist lehrreich und zeigt, welche Quellen informierten Rechercheuren zur Verfügung stehen, doch der eigentliche Beweis ist dürftig. Der gefasste Täter reiste mit einem Ausweis ohne biometrische Merkmale mit einem Visum über Frankreich ein, das auf eine nicht-existente Adresse in Russland ausgestellt ist. Sein Name "Vadim Sokolov" ist nicht in der Datenbank enthalten, in der alle russischen Bürger gespeichert werden. So weit, so schlecht, doch die Attribuierung zu einem der Geheimdienste benötigt etwas mehr. Schließlich ist der Täter tätowiert, was Agenten in aller Welt untersagt ist. Somit könnte eine mafiöse Organsiation für den Auftragsmord verantwortlich sein – oder das Tattoo ist auch eine Finte. Auf alle Fälle ist es Lehrmaterial für die neue Sparte "Intelligence and Security Studies".

Was wird.

Alle Camps gehen mal zu Ende und der Sommer verduftet sich. Zurück zum Alltag und zur Alltagspolitik, wenn heute und morgen die Wahlen in Sachsen und Brandenburg kommentiert und viele Blumensträuße verteilt werden. Richtig mit Kawumm und Karacho los geht es aber erst am Mittwoch, wenn der 2. Nationale Aktionsplan Open Government vom Bundeskabinett beschlossen wird. Hurra, hurra, die GroKo liefert. Bereits im Vorfeld hat Bundeskanzlerin Merkel im Podcast weise Worte dafür gefunden, dass man sich über möglichst viele Zusammenhänge informieren kann. Ja, es ist eine Open Government Partnership als trauliche Zusammenarbeit von BehördInnen, PolitikerInnen und BürgerInnen: ..."sie hat ein ganz wichtiges Ziel. In einer Zeit, in der wir technologische Wandlungen erleben, insbesondere durch die Digitalisierung, in einer Zeit, in der die Welt immer enger zusammenwächst, in einer Zeit, in der wir vor großen Herausforderungen, zum Beispiel Korruption, stehen, ist es ganz wichtig, dass Regierungen transparent handeln und dass Bürgerinnen und Bürger sich über möglichst viele Zusammenhänge informieren können." Jede Ähnlichkeit mit FragDenStaat ist entweder zufällig oder Satire, versteht sich.

Wo Transparenz herrscht, ist das Rettende nah, könnte man herumgoethen. Im Fall der bayerischen Landesregierung führt sie zu einer Überraschung: Der seit 2017 mögliche Einsatz von elektronischen Fußfesseln zur Überwachung von Gefährdern mit terroristischen Absichten wird überwiegend bei Beziehungsterroristen eingesetzt. In 9 von 12 Fällen, in denen der Einsatz bisher verfügt wurde, ging es um Fälle häuslicher Gewalt, ausgehend von drohenden Männern. Diese kleine Randnotiz steht unter "Was wird", weil das bayerische Polizeiaufgabengesetz von Experten kritisiert wurde. Dieses Gesetz regelt unter anderem den Einsatz der Fußfessel. Die Kritik der Experten dreht sich vor allem um den Begriff der "drohenden Gefahr", wie sie etwa auch von einem Fußfesselträger gegenüber einer anderen Person ausgeht. Nun steht eine schnelle Korrektur an, wie Innenminister Joachim Herrmann versprochen hat. Das ist alles unabhängig von den juristischen Klagen gegen das Gesetz. Und wo wir schon beim Sportfach Korrektur sind: Wer in der Bayern-CSU korrigiert diesen Social Media-Müll?

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. – mit einem Requiem für die Volksparteien
Beitrag von: SiLæncer am 08 September, 2019, 08:30
Das Konzept Volkspartei ist tot, das Konzept IT-Großmesse noch nicht. Zum Glück zeigt uns jetzt ein Museum die Zukünfte, meint Hal Faber.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** An dieser Stelle müsste statt der Wochenschau eine Todesanzeige stehen: Nach den Wahlen in Brandenburg und Sachsen ist das Konzept der Volkspartei gestorben, mit dem die CDU wie die SPD über Jahrzehnte hinweg dem Wahlvolk ein Angebot zum Kreuzen machten. Wenn sich diese beiden Parteien nicht weglindnern wollen, müssen sie ein, zwei Themen finden, mit denen sie junge Wähler überzeugen können. Das Gerede von der "klaren Kante" hilft nicht weiter und wer vom Rückenwind der Regierungsarbeit spricht, hat angesichts der real exististierenden Lame Duck-Bundesregierung mehr als nur den Verstand verloren. Doch wayne interessiert's? Die ganze Woche über konnte man Artikel und Kommentare darüber lesen, was denn "bürgerlich" ist und warum ausgerechnet die AfD alles andere als bürgerlich daherkommt, sondern eine Aktionstruppe zur Vertreibung der Ausländer ist. Aus diesem Grunde sollte auch der Protestwähler beerdigt werden und der Überzeugungswähler ins Visier genommen werden, der wieder überzeugt werden muss. "Vielleicht braucht man weitere 30 Jahre, um diese Spaltung wieder zu kitten."

*** Einsamer Höhepunkt all dieser Debatten um Bürger und die wahre Bürgerlichkeit dürfte die Definition der Zombie-Bourgeoisie gewesen sein, bei der natürlich künstliche Intelligenz auch irgendwie mit im Spiel sein muss. So kriegen alle ihr Fett ab, auch die sogenannten Kreativen, die das Bild der Großstädte prägen. "Doch die Freiräume der Kreativität, die im späten 20. Jahrhundert noch Aufbruch bedeuteten, funktionieren heute nur noch als Dienstleister fürs Höchstpreissegment oder als Sprungbrett in die Verteilungskämpfe einer Industrie, die sich Kreative und Akademiker als intellektuelle Schoßhündchen hält, weil es einen guten Eindruck macht, über die Ethik der künstlichen Intelligenz zu debattieren, während man mit neuen Technologien gerade die weitreichendste Automatisierungswelle seit dem mittleren 19. Jahrhundert vorbereitet." Schoßhündchen diskutieren über die Ethik der künstlichen Intelligenz und die Karawane zieht weiter? Die bürgerlichen Werte sind jedenfalls futsch, wenn es heißt: "Eine Zombie-Bourgeoisie rührt sich da, die unter dem Deckmäntelchen aus feinem Zwirn und oberschulischer Bildung die fratzenhafte Antipodin des allzu freien Marktes bildet." Apokalypse jetzt.

*** In Berlin findet derzeit die letzte deutsche Großmesse statt, auf der Informationstechnologie ausgestellt wird. Star der IFA sollen "Premium TVs" mit 8K Auflüsung im 98 Zoll-Format sein, auch wenn das bezweifelt wird und für ausgedehnte Diskussionen im Forum sorgt. Viel innovativer sind da Firmen wie Siemens mit einem Backofen, der Sprachbefehle versteht. Fehlt nur noch das sprechende Brot, das "zieh mich raus, zieh mich raus" ruft. Und wo wären wir ohne die künstliche Intelligenz von LG, die mitteilt, wenn der Kühlschrank überladen ist oder in die Dosierung des Waschmittels in der Maschine falsch ist? "Proactive Consumer Care", so nennt sich die Technik der fürsorglichen Geräte, die uns umgeben werden. Wobei ganz Deutschland, ob Bürger, Arbeiter oder Privatier beim Digitalisieren an vorderster Front mit dabei ist. Wir sind ein Volk – von neugierigen Technik-Begeisterten. Sagt wer? Jeder Vierte hört Podcasts, allerdings selten bis zum Ende der Sendung, jeder Vierte besitzt WLAN-Lautsprecher, jeder Fünfte hat Augmented-Reality-Anwendungen ausprobiert. Jeder Mensch kennt Bitkom, den Bundesverband für Flugtaxi-Förderung mit seinen täglichen Pressemeldungen zum Wohle der deutschen Digitalwirtschaft. Wenn passend zum IFA-Gedröhne ausgerechnet mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung ein ausgewiesenes Finanzblatt die Frage stellt, Wer befreit unsere Daten? und dann beim Bitkom eine zögerliche Haltung zum Thema Open Source ausmacht, hat das was. Andererseits sind die Hoffnungen, dass die Plattform GAIA-X als Europa-Cloud mit KI-Einsprengseln diese Befreiung vorantreibt, etwas übertrieben. Genaueres wird man erst im Oktober wissen, wenn sich die Bundesregierung in Dortmund zu ihrem jährlichen "Digitalgipfel" trifft. Denn dort sollen deutsche digitale Plattformen den Schwerpunkt bilden.

*** Berlin hat aber noch mehr zu bieten, wenn die IFA 2019 vorüber ist. Denn Berlin hat seit dieser Woche ein Museum der Zukünfte, das Futurium. Hier finden sich Szenarien für mögliche Zukünfte von Mensch, Natur und Technik, ganz im Sinne der täglichen Inklusion in Netzwelten. Endlich kann man den Wünschespeicher von der CeBIT 2017 in voller Schönheit sehen. Digital Detox ist hier ein Fremdwort, dafür gibt es eine Roboterschau und eine überraschend ausführliche Darstellung der Atomkraft und der Kernfusion. Was immer die anstehende Energiewende sein soll, im Futurium möchte man zurück zur alten Großtechnologe und dafür halt "ein neues Verhältnis zur Utopie gewinnen", wozu eine strahlende Zukunft gehört. Für die fesselnde Beleuchtung der Ausstellung erhielt man bereits den Deutschen Lichtdesign-Preis, da wird doch für diese Art der Wiederaufbereitung die eine oder andere Medaille für die positive Darstellung der Atomkraft übrig sein.

*** Ein mit 10.000 Euro dotierter Preis für das schönste deutsche Buch geht nach Leipzig, wo mit Name Waffe Stern ein Buch über das Logo der RAF auzgezeichnet wurde. Das Buch soll eine zeichentheoretische Entzauberung sein, weil das RAF-Logo längst popkulturell eingemeindet sei und ahistorisch verwendet werde. Also nicht so wie der in Leipzig tagende Chaos Computer Club, der das abgeänderte Logo mittlerweile in die Ahnenreihe von Kabelsalat und Pesthörnchen gestellt hat. Wobei die 101er-Tastatur ganz ohne Stern für das hannöversche Hackover im Oktober wirbt.

Was wird.

Damit ist auch diese Wochenschau in der Zukunft angekommen – oder auch nicht: Im Oktober geht es munter zurück in die Vergangenheit, wenn zum 50. Jubiläum der Firma Robotron in Berlin Computer aus Deutschland den Schwerpunkt der jährlichen VCFB-Ausstellung bilden und die Computer der Apollo-11-Mission mit Vorträgen gewürdigt werden. Apropos Robotron: Zum Jubiläum gehört wohl auch die künstlerische Auseinandersetzung mit der Geschichte von Robotron.

Nicht nur Robotron, auch das Internet wird in diesen Tagen 50 Jahre alt, sofern man die ersten Hostrechner des Arpanets zum Internet zählt. Aus diesem Grund gibt es verschiedene Feiern. Auf der vom Hasso-Plattner-Institut in Potsdam parallel zum Digitalgipfel veranstalteten Geburtstagssause wird Vint Cerf, einer der "Väter" des Internet zugeschaltet. Neben den Anfängen soll auch die Zukunft des Netzes besprochen werden, von einer neuen Gesellschaft ist sogar die Rede.

Mit Patch gehabt gibt es das Ganze im September auch in chaotischer Form. In Dresden wird gefragt, ob die Gesellschaft einen Patch benötigt, ob etwas noch geflickt und verbessert werden kann. Oder bleibt es bei unsicheren Netzen wie dem "Internet of Crap" der Billig-Router, mit denen sich dann Bürger herumschlagen müssen. Auch die elektronische Gesundheitsakte soll bei den "Datenspuren" auf den Prüfstand kommen. Bis zu ihrer geplanten Einführung am 1. Januar 2021 ist nicht mehr viel Zeit. Schließlich ist gerade die Petition Gesundheitsdaten in Gefahr gestartet worden, die verhindern will, dass Patientendaten im Internet auftauchen.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. – Zeit zum Achselzucken
Beitrag von: SiLæncer am 15 September, 2019, 09:51
Analysten-T(w)eenies als Massenüberwacher, eine Kultur am MIT die Hal Faber nicht versteht, und Marines ohne Tattoos, auch nicht unter zuckenden Achseln.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Juni 2013, das ist schon eine ganze Weile her. Damals trafen die Dokumentarfilmerein Laura Poitras und die Journalisten Glenn Greenwald und Ewen MacAskill im Mira Hotel von Hongkong den Whistleblower "Citizenfour", der sich zuvor als "senior member of the intelligence community" bei Poitras gemeldet hatte. Das Trio lernte den Whistleblower Edward Snowden kennen, der an diesem Wochenende eine Art Auferstehung feiert. Sein 432 Seiten starkes Buch "Permanent Record. Meine Geschichte." erscheint dieser Tage und ist eine Aufarbeitung seines Lebens abseits der Oscar-prämierten Doku oder des gefälligen Spielfilms von Oliver Stone. Snowdens Buch dürfte das 40. Buch zum NSA-Skandal sein, ist aber nicht nur als Autobiographie wertvoll. Denn wir leben in einer Zeit, in der die Snowden-Archive geschlossen wurden und die allgegenwärtige Überwachung durch Geheimdienste mit einem Achselzucken quittiert werden, weit entfernt von der allgemeinen Empörung, dass es gar nicht geht, wie Bürger ausspioniert werden.

*** Edward Snowden wirbt für sein Buch und so gibt es überall Exklusiv-Interviews, nicht nur im Guardian, auch im Spiegel oder in der Süddeutschen Zeitung, die meisten von einer Paywall geschützt. Der "freundliche, blasse und jungenhaft" wirkende Mann beantwortet in ihnen geduldig alle Fragen und wird nur einmal etwas bestimmter, als von seinen Depressionen die Rede ist. Die Frage ist wohl vom Spielfilm inspiriert, in dem der Schauspieler Joseph Gordon-Levitt einen schwer angeschlagenen Snowden mimte. Dem hat der lebende Snowden jetzt widersprochen: "Das ist wichtig fürs Protokoll: Weder bin ich noch war ich suizidal. Ich habe einen philosophisch begründeten Einwand gegen die Idee der Selbsttötung. Sollte ich jemals aus einem Fenster fallen, dann seien Sie sicher: Ich wurde geschubst." Das sollte man sich merken.

*** Sicher wird das Buch wieder eine Debatte darüber entfachen, ob der Mann mit dem Zauberwürfel nur ein einfacher Systemadministrator und Ingenieur war oder auf einem zentralen Posten in der Informationsverarbeitung der NSA Zugriff auf alle möglichen Informationen hatte. Als er noch für die CIA arbeitete, war er nach eigener Aussage für das gesamte Netzwerk der CIA im Raum von Washington zuständig und betrieb Aufklärung über menschliche Quellen, die im Visier der CIA waren. Erst auf seinem letzten Posten in Hawai arbeitete er als Infrastrukturanalyst mit "Werkzeugen der Massenüberwachung" und mit Kollegen zusammen, die Nacktbilder von (weiblichen) Zielpersonen sammelten. Neben HUMINT wurde so halt LOVEINT betrieben, wenn Snowdens Kollegen ihren Partner oder Liebhaber überwachten. "In Wirklichkeit sind die meisten Analysten zwischen 18 und 22 Jahren alt. Und wenn die gelangweilt sind und niemand hinschaut, überwachen sie eben ihre Partner."

*** Schwerpunkt von Snowdens Arbeit soll der SIGINT-Bereich gewesen sein, die Signal Intelligence. "Wir versuchten herauszufinden, was andere uns antun, ohne Namen oder Nummern zu haben. Du beobachtest nicht Leute, sondern Geräte." Während Snowden vor der Massenüberwachung auch durch Google, Facebook und Co. warnt, kann man sich fragen, ob dies erst der Anfang einer echten Überwachung eines jeden Menschens ist. Parallel zu den Interviews mit Snowden mag man das Interview mit dem bangenden Optimisten Nick Bostrom lesen, der eine Antwort auf die Existenz billiger Massenvernichtungswaffen sucht und sie in der Totalüberwachung findet, komplett mit der Möglichkeit, "in Echtzeit eingreifen" zu können. Kameras, die schießen können, wären in letzter Konsequenz ein technologischer Fortschritt für den Warner vor der Superintelligenz.

*** Für Edward Snowden ist derzeit das einzig vorstellbare Szenario, dass die Aufenthaltsgenehmigungen von ihm und seiner Ehefrau Lindsay Mills von Russland verlängert werden. "Letztendlich hoffe ich aber weiterhin, dass mir eine andere Regierung politisches Asyl oder einen sicheren Aufenthalt in Europa gewährt. Unter Angela Merkel wird das wohl nicht mehr der Fall sein. Aber vielleicht erbarmt sich eine andere euopäische Regierung? Es liegt jetzt in der Hand der Weltöffentlichkeit." Doch die ist längst über die Geschichte mit den Snwoden-Files hinweg. Das letzte politische Asyl gewährte Ecuador dem Australier Julian Assange. Bekanntlich wurde Assange dieses politische Asyl entzogen und der Prozess gemacht, da er seine Meldeauflagen ignorierte und in die Botschaft von Ecuador flüchtete, gefilmt von Laura Poitras. Diese Flucht ist nun von einer britischen Richterin als Argument genommen worden, Assange nach Ablauf seiner Haftstrafe bis zur Verhandlung über eine Auslieferung an die USA oder nach Schweden weiterhin inhaftiert zu halten. Die Fluchtgefahr soll zu groß sein. Das in der Haft die Möglichkeiten von Assange beschränkt sind, sich auf die Verhandlung im Februar 2020 vorzubereiten, wird achselzuckend in Kauf genommen. Ein Fall für Shruggie, Aldi.

*** In Berlin hat Larry Lessig auf der Geburtstagsfeier von netzpolitik.org schöne Worte über eine Wiki-Kultur gefunden, die das Netz freundlicher machen und den Hass im Netz reduzieren kann. Ein Aufschrei sei fällig und ein Innehalten. Zuvor hatte derselbe Lessig einen sehr verstörenden Text über die Kultur der Spendenpraxis am MIT Media Lab verfasst. Joi Ito, der Leiter des Media Lab, hatte sowohl für das Media Lab wie auch für seinen eigenen Tech Fund Spenden von Jeffrey Epstein akzeptiert. Wegen dieser Spendenannahmen, die inzwischen offiziell bestätigt wurden, musste Ito seinen Posten räumen. Das wiederum brachte Lessig auf die Palme und führte zu einer indirekten Verteidigung der institutionellen Korruption, die bei der Einwerbung von Drittmitteln durch eine Forschungseinrichtung fast zwangsläufig sei. Lessigs Vorschläge, unter anderem die Möglichkeit, nur anonyme Spenden zuzulassen sind eine Art Freundschaftsdienst für Joi Ito. Sie zeigen aber auch, wie fragwürdig die Kultur am MIT war, die einen "Wissenschafts-Philantropen" wie Epstein akzeptierte. Ob weitere Anschuldigungen, etwa gegen den am MIT arbeitenden Forscher Marvin Minsky zutreffen, muss noch geklärt werden. Inzwischen hat sich der derzeit am MIT forschende Richard Stallman zu Worte gemeldet und Minsky verteidigt. Das führte dazu, dass ältere Zitate von Stallman ausgegraben werden, in denen dieser den Sex mit "reiferen" jungen Mädchen verteidigte. Irgendwie muss dies die angemahnte Wiki-Kultur sein, doch ich verstehe sie nicht.

Was Wird.

Ist es eine Trendwende oder doch nur soldatischer Stolz? Die US-amerikanische Marineinfanterie, die Elitetruppe unter den sieben Teilstreitkräften, will keine Cyber-Krieger als Marines. Schließlich sitzen die hinter Bildschirmen und haben auch nicht den harten Drill der Marine-Grundausbildung hinter sich. Vielmehr möchte man sich auf "Contractors" verlassen, wie Edward Snowden einer war oder über Hackathons und Bug Bounties Zivilsten anwerben, die aus zivilen Mitteln bezahlt werden. "Sie werden nicht den Adler, Globus und Anker tragen und erwarten das auch nicht." Derweil rüstet sich die Bundeswehr um, damit eine aktive Cyberabwehr mit Hackbacks den Feind in die digitale Flucht schlagen kann. Das alles wird mit einer Übung "Netzwerke schützen Netzwerke" am nationalen Cyber-Sicherheitstag der Allianz für Cyber-Sicherheit demonstriert. Der deutsche Sicherheitstag wird von einem noch größeren Ereignis überschattet, denn den ganzen Oktober über wird der Europäische Aktionsmonat für Cyber-Sicherheit begangen. Auch das Brexit-geplagte Großbritannien ist mit dabei, denn im Cyberraum gibt es noch keine Backstop-Wall. "So ond ned anderscht!" geht Cyber. Und den 7. Sinn gibt es auch wieder, nur eben als Digiknow. Wir sind ja längst nicht mehr im Neuland und Angsthasen sind wir auch nicht. Bleibt nur noch die Frage, was IT-Sicherheit zum Gruseln sein könnte. Aber die wird ja zur "Night of the Living Lab" beantwortet.

Quelle : www.heise.de
Titel: 4W: Von homöopathischen Dosen und anderen Stilmitteln der Polemik
Beitrag von: SiLæncer am 22 September, 2019, 09:41
"Drecks Fotze" als Stilmittel verpackt und ein Klimapaket zum Klima-Päckchen umgepackt. Hoffentlich werde ich nicht palantirmäßig gepackt, denkt Hal Faber.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Als die Spitzenpolitiker der Regierungsparteien sich zu den Beratungen über ein Klimapaket trafen, lag ein Vorschlag des Regierungsberaters Ottmar Edenhofer auf dem Tisch, beim Emissionshandel von CO2 mit einem Einstiegspreis von 50 Euro pro Tonne zu beginnen und diesen Preis bis 2030 auf 130 Euro steigen zu lassen. Dann verhandelte man 18 oder 20 Stunden lang in die Nacht hinein, wie das bei allen wichtigen politischen Entscheidungen Usus ist: Schlafmangel muss sein. Dann war ein "kraftvolles Paket" geschnürt, wie es die SPD-Politikerin Malu Dreyer ausdrückte. Das Klimapäckchen beginnt im Jahre 2021 mit dem Emissionshandel, aber mit einem homöopathisch verwässerten Festpreis von 10 Euro pro Tonne, der bis 2025 irgendwo zwischen 35 und 60 Euro liegen soll. Zum Vergleich: Im europäischen Emissionshandelssystem liegt der Preis derzeit bei 25 Euro pro Tonne, wobei Strafzahlungen fällig werden, wenn ein Land unter dieser Marke bleibt. Zum Start des Klimapäckchens wäre das eine Belastung von 3 Cent pro Liter an der Tankstelle. "Wir fangen niedrig an, um die Menschen mitzunehmen", erklärte Bundeskanzlerin Merkel dazu. Ob damit diejenigen gemeint sind, denen Klimaschutz vor Wirtschaftswachstum geht? Das Kratzbuckeln vor dem Autofahrer mit dem Leckerli einer höheren Pendlerpauschale hinderte sie nicht daran, den Demonstranten beim Klimastreik für ihr Engagement zu danken. Life comes at you fast, Bundesregierung.

*** Doch die noch amtierende Regierung war auch in anderer Hinsicht sehr tätig. Sie veröffentlichte ein Strategiepapier zur Blockchain, das die einen als Bullshit-Bingo sehen, die anderen als brillianten Höhepunkt von Digital made in de. Wieder andere, die sich das Strategiepapier für den "Einstieg in die Token Ökonomie" in seiner ganzen digitalisierten Pracht auf ihre Rechner luden, konnten in den Metadaten lesen, dass es sich um einen "Entwurf des integrierten nationalen Energie- und Klimaplans" gehandelt haben muss. Irgendwie hängt ja alles mit allem zusammen und so kann es ein kleiner Schlag eines Schmetterlingsflügel sein, der das Dokument veränderte. An dieser Stelle sei auf den Vorschlag eines Heise-Foristen hingewiesen, die Blockchain-Technologie für Wahlkampfversprechen umzusetzen. Auch wenn dem Vorhaben die Gewissensfreiheit der gewählten Politiker entgegensteht, ist das ein hübscher Gedanke für eine wahrheitsliebende Datenbank.

*** Ob die Grünen im Wahlkampf davon profitieren werden, dass sich bei vielen Menschen das Lenor-Gewissen gemeldet hat, steht auf einem ganz anderen Blatt. In dieser Woche hat ein Berliner Gericht ein bemerkenswertes Urteil zu einem Auskunftsbegehren der Grünen-Politikerin Renate Künast gefällt. Es befand, dass üble Schimpfworte wie "Sondermüll" oder "Drecks Fotze" ein Stilmittel der Polemik sind und in einem Sachzusammenhang zu einer vor 33 Jahren gemachten Äußerung benutzt werden dürfen. Der Sprachmüll, der sich da auf Facebook angesammelt hatte, sei legitim, weil Politiker etwas härter im Nehmen sein müssen. Damit haben ein Richter und zwei Richterinnen den Persönlichkeitsschutz von PolitikerInnen auf Null gesetzt. Gegen sie darf man hetzen, wüten, ihre Worte verdrehen. Dieser Beschluss zeugt von einer Verachtung der politischen Klasse. Denn für den Hass im Netz wird man immer einen "Sachzusammenhang" konstruieren können, wenn die Ausgangslage ein verdreht wiedergegebenes Zitat sein darf. Wer hier von einem gehirnamputierten Gericht spricht, hat den Ernst der Lage erkannt.

*** Es war nicht nur die Woche der Greta Thunberg oder von Renate Künast, sondern auch die von Edward Snowden. Er veröffentlichte sein erstes Buch. Den längsten Auftritt mit dem größten Beifall hatte er hier, wo ihm der Snowden-Spezialist Holger Stark mit knallharten Fragen zum NSA-Komplex zusetzte. Snowdens Wandlung vom loyalen Mitarbeiter bei der CIA und NSA zum Whistleblower begann im Jahre 2009, als er ein Dokument in einem besonders geschützten Bereich für Exceptionally Controlled Information (ECI) fand, das TOPSECRET//STLW//HCS/COMINT//ORCON/NOFORN klassifiziert war, wie es auf Seite 225 der deutschen Ausgabe heißt. Mit dem Abdruck dieser Zeichenfolge soll Snowden gegen seine geschworenen Treuepflichten verstoßen haben, weswegen der Verkaufserlös am Buch wie auch die Honorare für seine Videoauftritte von der US-Regierung beschlagnahmt werden sollen. Man darf gespannt sein, ob diese Argumentation vor Gericht verfängt, denn solche Meta-Hinweise werden von der US-Regierung selbst nach dem Freedom of Information Act veröffentlicht und auf einschlägigen Seiten diskutiert. Wie sieht es beispielsweise mit TOP SECRET VRK11 TK AG DC MC N O F O R N aus, das die Geheimdienstkenner von Electrospaces gerade zu entschlüsseln versuchen?

*** In seinem Buch dankt Snowden seinen Anwälten wie dem mutigen Robert Tibbo und erzählt von der umwerfenden Hilfsbereitschaft einer Vanessa Rodel. Irgendwann möchte er all seine Helfer in Kanada in Sicherheit sehen. Schwer beeindruckt zeigt er sich auch von der Tatkraft der Journalistin Sarah Harrison, die ihn im Auftrag von Wikileaks in Hongkong aufsuchte und auf dem Flug nach Russland begleitete. Weniger gut kommt Julian Assange weg: Nach wenigen Wochen im Exil brach Snowden die Verbindung nach einem Streit ab. Aktuell ist Assange im britischen Gefängnis Bellmarsh untergebracht, in dem gerade die Haftbedingungen gelockert werden, wie Wikileaks-Sprecher Kristin Hranffson in diesem Interview erzählt. Bald soll sein Status geändert werden, vom Häftling zum Auslieferungskandidaten. Ob das ausreicht, sich auf die Verhandlung im Februar vorbereiten zu können, darf man bezweifeln.

Was wird.

Derweil laufen in den USA die Vorbereitungen beim Prozess gegen den an dieser Stelle schon einmal erwähnten Whistleblower Daniel Everett Hale weiter, der Details zum Drohnenprogramm der US-Armee weitergab. Während die Regierung Obama auf eine Anklage verzichtete, geht die Regierung Trump einen Schritt weiter und weist die Juristen an, die Motive eines Whistleblowers nicht zu beachten. Wer da mit seinem Gewissen argumentiere, lügt mit so einer Schutzbehauptung herum. Bleibt nur noch die Frage zu klären, was den noch unbekannten Whistleblower bewegte, der sich beim offiziellen Whistleblower-Kanal der Geheimdienste gemeldet hat, der aber von den Kongressabgeordneten ferngehalten wird. In Trumps Augen ist er ohnehin ein ehrloser Lump. Irgendetwas stimmt da nicht.

Sofort auf Bewährung freigelassen wurde der Iraker Deday A., wie das Oberlandesgericht Frankfurt/Main urteilte. Er bekam eine Jugendstrafe von zwei Jahren auf Bewährung, obwohl das Gericht im Laufe der Verhandlung seine Volljährigkeit feststellte. Er wurde für schuldig befunden, auf Facebook für eine terroristische Vereinigung geworben und via Messenger eine Anleitung zur Begehung einer schweren Straftat verbreitet zu haben. Außerdem soll er einen nicht näher konkretisierten Anschlag in Deutschland geplant und sich dafür Schwarzpulver in Gestalt von Chinaböllern besorgt haben. Soweit, so schlecht, doch eines fehlt: Deday A. ist der einzige islamistische Gefährder, der dank der Palantir-Software Hessendata "unmittelbar vor einem bevorstehenden Anschlag" verhaftet wurde, gewissermaßen vor der frischen Tat. Das jedenfalls behauptete Hessens Innenminister Beuth im Juli 2018, als im Wiesbadener Parlament über die Anschaffung der Software für die vorausschauende Polizeiarbeit diskutiert wurde. Derweil ist Palantir auf Geldsuche. Mindestens 1 bis 3 Milliarden Dollar sollten es schon sein, die man bei Wagniskapitalisten eintreiben will. Die neue Finanzierungsrunde ist notwendig, wenn man Software wie Hessendata zum symbolischen Preis von 1 Cent verkauft und der eigentliche Preis geheim bleiben muss, wie das zur Verleihung eines Big Brother Awards für Hessendata bekannt wurde.

Wäre nicht ein kostenloser öffentlicher Nahverkehr eine prima Klima-Sache, die den Autoverkehr eindämmt? Aber was wird dann aus dem Delikt des Schwarzfahrens, das unbedingt als Straftat verfolgt werden muss, wie die Deutsche Polizeigewerkschaft im Beamtenbund passend am Tag des Klimastreiks forderte? Schwarzfahren ist polizeimäßig gesehen ein erstklassiges Delikt, weil "die Tat den Täter gleich mitliefert", so ganz ohne Palantir-Software. Außerdem ist die Tat gut für den Bürgersinn: "Und gerade weil es sich um eine Straftat handelt, haben auch Kontrolleure und Bürger das sogenannte Jedermannsrecht, mit dem sie Täter festhalten können bis die Polizei kommt." Ja, so wünscht man sich den deutschen Bürger, ganz wie früher. "Sie! Bürger, kommen Sie sofort zurück! Das ist Ihre Pflicht!".

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. – Es geht völlig in Ordnung, überall
Beitrag von: SiLæncer am 29 September, 2019, 09:36
Fehlende Wort-Protokolle aus einem Computersystem gelöscht, einfach weg? Vielleicht hilft eine Suchmaschine aus Europa, totally fine, lacht Hal faber.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Es ist weg. Futschikato. Gelöscht. Im Sumpf versunken. Liest man die Schilderung des US-amerikanischen Whistleblowers (PDF-Datei), so wurde das genaue Wort-Protokoll eines Telefonats, das US-Präsident Donald Trump mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskij am 25. Juli führte, gelöscht. In dem Computersystem, in dem üblicherweise solche Protokolle für alle Mitarbeiter auf dem "cabinet level" zugänglich sind, ist das Protokoll nicht mehr vorhanden. Wer es gelöscht und in ein anderes System übertragen hat, das nur Mitarbeitern mit der höchsten Sicherheitsklassifikation zugänglich ist, kann der Whistleblower nicht sagen. Das besonders vertrauliche Computersystem soll auch die Wort-Protokolle von Gesprächen mit anderen Politikern enthalten. Allein die Löschung und das Wegspeichern im anderen System soll aber ein Missbrauch der internen E-Mail im Weißen Haus darstellen. Die Geschichte erinnert an die Iran-Contra-Affäre, als der Sicherheitsberater Oliver North versuchte, sämtliche belastenden E-Mails der US-Regierung zu löschen, um US-Präsident Ronald Reagan aus der Schusslinie zu nehmen. Ein Backup des IBM PROFS-Systems brachte die Daten wieder zum Vorschein, was heute umfassend dokumentiert ist.

*** Vielleicht finden sich noch die Log-Files der Löschung und des Datei-Transfers auf Servern der CIA oder beim Tag der Offenen Tür dort, wo Edward Snowden zuletzt gearbeitet hat. Oder die Demokraten können im anstehenden Impeachment-Verfahren den Blick auf das Serversystem erklagen, wie dies mit den Tonbändern in der Watergate-Affäre gelang. Denn es dürfte interessant sein, ob "noch andere Gespräche dort archiviert sein könnten, die nicht dort hingehören, weil sie keine Staatsgeheimnisse sind, sondern vielleicht unlautere Absprachen des Präsidenten enthalten." Wie brenzlig die Sache ist, zeigt der Rücktritt des Sondergesandten Kurt Volker, der in der Ukraine vermittelte. Er soll, wenn das Impeachment öffentlich geführt wird, vor einem Untersuchungsausschuss aussagen, genau wie Gordon Sondland, der als US-Botschafter bei der EU mit der Ukraine befasst war. Volker, im Hauptberuf Präsident des McCain Institute, hatte noch einen zweiten Nebenjob. Er arbeitete für die BGR Group, eine Beraterfirma, die die Ukraine als Kunde betreute. Selbst Außenminister Mike Pompeo soll darüber befragt werden, wo das Wort-Protokoll in der Regierungs-Cloud gelandet ist. Auf dem anderen Blatt steht, dass Trump die Sache eskaliert und von einem "Spion" spricht, mit dem man früher ganz anders umgegangen sei. So hat die USA den größten Skandal seit Watergate, mit einem Senat, der völlig in Ordnung findet, was Trump da gemacht hat.

*** Totally fine ist es natürlich auch, wenn Trumps persönlicher Anwalt und Korruptions-Suchhund Rudy Giuliani in Russland auf einer Konferenz auftritt, auf der er laut der Agenda über "digitale Finanztechnologien" in Eurasien spricht. Eurasien ist der Oberbegriff für eine europäisch-asiatische Sphäre unter russischer Führung. Passenderweise hält Giuliani seinen Vortrag in einem Workshop, der von Sergei Glasjew geleitet wird, dem Ukraine-Berater von Präsident Putin. Die USA haben Glasjew mit einem Einreiseverbot belegt, aber was kümmert das einen Giuliani? Der Jurist soll bei der "Transkription" des Telefonats zwischen Trump und Selenskij beratend tätig geworden sein und das ohne vorgeschriebene Sicherheitsüberprüfung. Da das Wort-Protokoll derzeit nicht verfügbar ist, kann seine Leistung bei der Transkription noch nicht gewürdigt werden.

*** Es ist sicher total in Ordnung, was in dieser Woche in London passiert ist. Nach einer souveränen Präsentation britischer Gerichtsbarkeit – oder verhimmele ich da die Justiz? – hätte der britische Premierminister Boris Johnson für den illegalen Akt, das Parlament in den "Urlaub" zu schicken, zurücktreten müssen. So etwas macht ein Demokrat, aber kein Hulk. Hulk macht weiter. Hulk spricht eine Sprache mit Begriffen wie "Verrat" und "Betrug", die klarmachen soll, dass er in eine Art Krieg ziehen will, um den "reinen Brexit" zu retten. So tagt das Parlament und die Demokratie ist gerettet, doch Johnson ist nicht mehr der Alte, sondern auf dem Wege zum Diktator im Namen eines "Willens des Volkes", ganz nach eigenem Geschmack definiert. Wie war das noch mit Hulk, diesem mit geheimnisvollen Strahlen beschossenen grünen Monster? Es wacht als Bruce Banner in zerfetzten Klamotten auf und fragt sich, was eigentlich gewesen war. Das passt zu einem Brexit mit Backstop oder ohne Backstop bei voller Freizügigkeit für irische Agrarprodukte, wie Hulk das will. It's totally fine.

*** Doch zurück nach Deutschland, wo "im echten Norden" Computer und Festplatten des Polizeigewerkschafters Thomas Nommensen von der Polizei beschlagnahmt wurden und nun analysiert werden. Es geht dabei um die Frage, ob der Gewerkschafter im Zuge der norddeutschen Rocker-Affäre "sicherheitsrelevante Informationen" an Journalisten der Kieler Nachrichten und der Lübecker Nachrichten weitergegeben hat. Im Kern geht es bei der Affäre um den rechtlich problematischen Einsatz von V-Leuten bei der Polizei, um Informationen über Rockerbanden zu gewinnen. Die neue Durchsuchung empört nun erst einmal seine Gewerkschaft, die Deutsche Polizeigewerkschaft. Sie kritisierte eine Videobotschaft des Innenministers Grote über den Vorfall. Grote spricht im Video von einem klaren Verdacht, der die Durchsuchung von Wohnung und Gewerkschaftsbüro auslöste. Stimmen die Angaben der Gewerkschaft, so hat ausgerechnet ein Polizeiseelsorger die Kommunikation des Beschuldigten mit Journalisten beobachtet und diese Informationen dann weitergegeben. Der Fall verdeutlicht, dass der Schutz vertraulicher Kommunikation in Deutschland keinen hohen Stellenwert hat. Aber das geht in Ordnung, sowieso.

*** Richard Stallman und seine problematischen Kommentare zur Causa Epstein auf einer Mailingliste waren in dieser kleinen Wochenschau ein Thema. Mittlerweile hat Stallman die Konsequenzen gezogen und ist von seinen Funktionen bei der Free Software Foundation und dem MIT zurückgetreten. Das freilich schmälert nicht seine Verdienste, auf die hier noch einmal hingewiesen werden soll: Vor genau 36 Jahren veröffentlichte Stallman seinen Aufruf "Free Unix! Starting this Thanksgiving I am going to write a complete UNIX-compatible software system called GNU (for GNU's Not Unix), and give it away free to everyone who can use it. Contributions of time, money, programs and equipment are greatly needed...." Daran sollte man sich erinnern, wenn bei der Diskussion um die digitale Souveränität unserer Regierung Schmerzpunkte lokalisiert werden.

Was wird.

Der europäische Gerichtshof hat ein sehr interessantes Urteil gefällt: Das "Recht auf Vergessenwerden" gilt in Europa, aber nicht weltweit. Suchmaschinenbetreiber wie Google müssen Links aus ihren Ergebnissen nicht weltweit löschen, sondern nur bei Anfragen, die erkennbar aus EU-Ländern kommen. Außerdem müssen sie sicherstellen, dass europäische Fragesteller nicht aktiv das "Vergessen" umgehen können, indem sie Ergebnisse aus Nicht-EU-Ländern anzapfen. Wie das umgesetzt wird, ist Sache der Betreiber. Mit dieser Antwort dürfte Google sehr zufrieden sein und das Bußgeld von schlappen 100.000 Euro akzeptieren, das von den französischen Datenschützern nach einigen fehlerhaften Vergessens-Fällen verhängt wurde. Immerhin zeichnet sich ein neues Geschäftsmodell ab, das man "Vergessen as a Service" (VaaS) nennen könnte. Sollte Google deutsche Kommentare über Google lesen, liegen sie bestimmt rollend auf dem Boden, lachend: Der Appell an die leistungsschutzverrückten Verleger, eine eigene Suchmaschine zu bauen, sorgt für großes Gelächter. Wie war das nochmal mit Quaero oder früher mit Lycos oder noch noch früher mit Fireball und Paperball? Alles mit bester Verlegerknete umgesetzt und vergessen, ganz ohne das Recht auf Vergessenwerden. Eher düfte Twitter nach der Schnippselidee des deutschen Leistungsschutzrechtes verklagt werden.

Quelle : www.heise.de
Titel: 4W: Von genauen Bezeichnungen und Tobsuchtsanfällen.
Beitrag von: SiLæncer am 06 Oktober, 2019, 09:43
So mancher macht sich durch Kopieren erst kenntlich, während der Mob aggressiv Gestörter ungehemmt durch die Netze tobt. Was Hal Fabers Skepsis nur anstachelt.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Nein, nein. Ausnahmsweise hat Karl Kraus die Sache falsch gesehen: Ich höre und lese schon, was meine Öffentlichkeit so vermutet, verärgert, kritisiert und belächelt. Schließlich schreibe ich nicht, was sie hören will, sondern arbeite an einer Wochenchronik des laufenden Schwachsinns. Diesmal gibt es eine Ausnahme, eben weil Wünsche auch mal wahr werden sollen. In umgekehrter Reihenfolge: Frau Mahlzahn geht es nicht gut, sie hat wieder Krebs links der Hüfte, der mittlerweile nicht mehr operabel ist. Sie hält sich mit Kortison und Schmerzmitteln aber ganz gut, ist insoweit gut aufgelegt und liegt friedlich in der Wohnung ihres Personals herum.

*** Karl Marx, laut Wikipedia der "Protagonist der Arbeiterbewegung", hat es da schon schlechter. Erstens ist er schon tot und zweitens mochte er keine Katzen. Was insofern bedauerlich ist, weil der real existierende Kapitalismus natürlich am besten mit Katzenvideos erklärt werden kann. Man nehme nur den so verstörenden Begriff der entfremdeten Arbeit, den heute niemand mehr versteht, weil alle Welt ein Startup sein will. So gesehen sind Katzen die besten Marxisten, dank einem eigenen Schulungsprogramm. So wissen sie wie einst die Sozialdemokraten im Kaiserreich, dass der große Kladderadatsch unweigerlich kommt und regen sich deshalb nicht auf. Lieber arbeiten sie an der Beziehung zu ihrem Dosenöffner. Das ist schon schwer genug, schließlich können die Abläufe beim Öffnen nicht häufig genug trainiert werden

*** Die Gedenkfeiern zum Tag der deutschen Einheit liegen hinter uns, auch das Gedenken an die Feierlichkeiten zum 40. Geburtstag der DDR, als genau diese DDR zu verschwinden begann. Die zu diesen Anlässen bestens passende Einheitswippe kann endlich gebaut werden, damit sich Ostdeutsche und Westdeutsche austarieren können. Passend dazu sei das Urteil eines Berliner Gerichtes erwähnt, dass das Mobbing eines Mitarbeiters mit ostdeutscher Herkunft kein Mobbing im Sinne des Mobbing-Verbotsgesetzes ist, weil keine Benachteiligung wegen einer ethnischen Diskriminierung oder der Zugehörigkeit zu einer Religionsgruppe vorliegt. Typisch Ossi, wird jetzt wieder in den Kommentaren kommen.

*** Dann wäre da noch das bemerkenswerte Urteil gegen den Wessi und AfD-Ideologen Björn Höcke. Im Rahmen eines Aufrufes zu einer Demonstration darf er als "Faschist" bezeichnet werden, weil dies eine zulässige Äußerung im Rahmen der Meinungsfreiheit ist und es um eine öffentliche Auseinandersetzung in der Sache und nicht um eine Diffamierung einer Person geht. Das sollte man beherzigen, wenn gegen den "rechten Flügel" demonstriert wird. Das ist notwendig, meint Philipp Ruch vom Zentrum für politische Schönheit, denn sonst könnte die AfD im Jahre 2025 an die Macht kommen. Immerhin ist Höcke ein begabter Plagiator, wie die Schönheits-Spezialisten herausfanden. Er bediente sich beim Jörg, dessen Partei gerade eine krachende Niederlage einfuhr.

*** Whistleblower haben dieser Tage scheinbar Konjunktur. In den USA soll sich im Rahmen der Voruntersuchung zum Impeachment eine weitere Person gemeldet haben, die eine Aussage über das Vorgehen des Landes in der Ukraine machen will und über noch genaueres Wissen verfügen soll. Vielleicht sogar eine, die Zugriff auf das Computer-System NICE hat, über das in der letzten Wochenschau spekuliert wurde. Mit dem Laundromat kommt überdies ein Film in die Kinos und nach Netflix, der versucht, die Geschichte der Panama Papers zu erzählen. Aber schon bei dieser Umsetzung kommt einer richtig schlecht weg: der Whistleblower. Seine Perspektive ist eine gänzlich andere, wie es in einem Kommentar über die stillen Revolutionäre wie Edward Snowden in eben jener Zeitung beklagt wird, die die Panama Papers veröffentlichte. Er schließt mit großen Worten: "Jede Demokratie sollte sich verpflichtet fühlen, Gesetze zu erlassen, die das Alarmschlagen im Dienste der Allgemeinheit zum Grundrecht erklären. Und wenn sie es ernst meint, sollte sie allen, die das in Ländern tun, wo es verfolgt wird, Zuflucht und Asyl anbieten." Wie war das noch mit den Kommentaren zur ach so naiven Kampagne Ein Bett für Snowden? Und muss nicht, wer so den Klokkenluider huldigt, auch dem Soldaten in einer demokratischen Parlaments-Armee eine Chance einräumen, der über Rechtsextreme bei der Bundeswehr Alarm schlug? Stattdessen gibt es einen Ausschluss, weil Prüfungen nicht bestanden wurden, an denen der Soldat nicht teilnehmen konnte, weil ein Verfahren gegen ihn lief.

*** In den USA möchte Präsident Donald Trump einen eigenen Nachrichtenkanal installieren, weil ihn die Fake-News-Presse mit Geschichten rund um das Impeachment-Verfahren wütend macht. Dafür gibt es Vorbilder. Auch Richard Nixon schimpfte beim Watergate-Skandal ausgiebig über die Presse, nur eben nicht vor laufenden Kameras und nicht auf Twitter. Damals machten sich seine Berater Gedanken darüber, was man den liberalen Medien entgegensetzen könnte. Roger Ailes, einer von ihnen, erfand das Konzept von Fox News, dem derzeitigen Lieblingssender von Trump. So wiederholt sich die Geschichte, nur eben nach einem anderen Muster. Daniel Ellsberg hat es auf den Punkt gebracht: Dieser Whistleblower hat sich an den Dienstweg gehalten und ist einstweilen vor Verfolgung geschützt. Und Trump ist kein Mann, der nachts durch das Weiße Haus geistert und mit den Bildnissen früherer Präsidenten Gespräche führt. Bleibt der Hass auf die liberale Presse, ein Hass, der nicht nur bei Populisten tief sitzt, auch bei den Faschisten: "Ein Baum, ein Strick, ein Pressegenick", war ein Slogan, der auf einer Demo in Berlin gerufen wurde. Soviel zu dem, was man in Deutschland sagen kann.

Was wird.

Zwei große Konferenzen haben in dieser Woche enthüllt, unter welchem Oberthema sie demnächst in diesem Theater antreten wollen. Im Frühjahr 2020 will die re:publica in Berlin unter dem Motto ASAP an den Start gehen. Das Wort aus der englischen Bürosprache wäre in deutscher Form "SSWM" oder "fix und foxi!" und steht für die re:publicaner für Aufbruchstimmung, Aktionismus und Bewegung und heißt soviel wie Unmittelbarkeit, Befriedigung und Bequemlichkeit. Dabei will man mit den von einer Aufbruchstimmung geprägten Menschen die "Parameter" diskutieren, "die ausschlaggebend für gesellschaftspolitische Turbulenzen und wirtschaftliche Dynamiken sind." Der Aufruf zu ASAP endet natürlich mit den gestohlenen Träumen von Greta Thunberg, der jungen Frau, die das P in Possible wie in der Politik nicht interessiert. Aus der ehemaligen Bloggerkonferenz ist eine Weltverbessererkonferenz geworden. "In einer langatmigen sich im Kreis drehenden Debatten-Kultur vergeuden wir wertvolle Zeit! Was es jetzt bedarf ist Entscheidungsmut! ASAP!"

Ein glücklicheres Händchen hatte der Chaos Computer Club mit Resource exhaustion für den alljährlichen Congress in Leipzig. Auch englisch, aber passend, wie der Blick ins Sprachfeld zeigt. Für den CCC steht der Begriff für einen plumpen Angriff auf IT-Systeme, doch der Umgang mit knappen I/O-Ressourcen hat auch einen Umweltaspekt und verweist auf Rohstoffquellen bis hin zur Politik und zu den Whistleblowern. Man erinnere sich nur an die zentrale Frage, die Edward Snowden vom europäischen Parlament gestellt wurde: "Do you feel you had exhausted all avenues before taking the decision to go public?"

Resource exhaustion, wohin man blickt. Denn die allgemeine Erschöpfung betrifft nicht nur die aktuelle Bundesregierung und ihre marktliberalen Mitläufer. Wer die gerade wieder einmal angestoßene Debatte um ein schlichtes Tempolimit in Deutschland in einem der x-beliebigen sozialen Medien verfolgt, erfährt schnell, dass wir eigentlich ein Volk von aggressiv Gestörten sind, die bei diesem Thema von der Einschränkung ihrer vermeintlichen "Freiheit" zum Rasen faseln.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. Überall Einzeltäter.
Beitrag von: SiLæncer am 13 Oktober, 2019, 09:05
Wer ängstlich auf "das Netz" starrt, wenn sich Antisemitismus mit Genderhass und Ausländerfeindlichkeit zusammentut, hat nichts begriffen, grummelt Hal Faber.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Er ist wieder da. Der Einzeltäter, ein Angehöriger der weißen Männergruppe, die ein nationalsozialistisches Gebräu aus Judenhass, Islamhass und Frauenhass konsumieren und dann Menschen umbringen. Einer, der ein Manifest schreibt und seine Taten auf Englisch ankündigt und einen Live-Stream einrichtet. Als ich das letzte Mal über das dumme Wort des Einzeltäters schrieb, hieß dieser Anders Breivik und tötete 77 Menschen. Diesmal starben "nur" zwei Menschen, weil die Waffen aus dem 3D-Drucker Waffen aus dem 3D-Drucker waren und die Tür der Synagoge etwas solider war als Politiker, die von "Alarmzeichen" faseln, wenn gemordet wird. Es war schließlich Jom Kippur und Zeit für ein Wunder. In der Synagoge wurde gebetet und das Überleben gefeiert wie das Überleben des jüdischen Volkes gefeiert werden muss.

*** In dem per Helmkamera übertragenen Live-Stream haben sich die anderen Einzelnen geärgert, die beim Morden zuschauen wollten: "Er vermasselt alles total. Ahhh, er ist so verdammt ungeschickt." Auf Imageboards werden die Bauteile diskutiert, die der Mörder ausgedruckt, aber nicht sorgfältig genug bearbeitet hat. Daher die vielen Ladehemmungen, die in Kommentaren beklagt werden. Natürlich wandert das Video von Imageboard zu Imageboard, weil es doch der "Nachwelt" erhalten werden muss, genau wie beim Massaker in Neuseeland. Im Unterschied zu Anders Breivik rechnete der Mörder von Halle offenbar damit, getötet zu werden und in "Valhalla" einzuziehen, wo gefügige "Waifus" auf ihn warten würden, ganz wie die Jungfrauen, die auf Islamisten im Jenseits warten.

*** Doch es gibt weitere Unterschiede zu 2011. Heute gibt es eine Partei in Deutschland, die die Zeit als "Vogelschiss" bezeichnet, in der Juden systematisch getötet wurden. Diese bekommt bis zu einem Viertel der Wählerstimmen, vielleicht auch von der Familie des Mörders, wo man nichts gegen Juden hat, wohl aber gegen "Finanzjuden": Ein Investor aus Israel wollte in seinem Wohnort Benndorf investieren. "Das Deutschland von 2019 ist ein Land, in dem die Juden nicht wissen, ob sie gerade zur Zielscheibe von Neonazis, Islamisten oder sonstigen Extremisten werden. Und das Deutschland von 2019 ist ein Land, in dem man besser weder Kippa auf dem Kopf noch einen Davidstern um den Hals tragen sollte, will man sich nicht körperlichen Angriffen aussetzen." Das schreibt ein Professor für jüdische Geschichte. Heute ist der Islamhass eine Komponente des Antisemitismus: "Döner - nehm wer", sagte der Mörder, ehe er einen jungen Mann im Imbiss erschoss. Dann fuhr er davon und hielt brav an, als die Ampel auf rot sprang. "Es konnte und musste geschehen, weil es inzwischen normal ist, dass Nazis in Deutschland Menschen umbringen", schrieb Dimitrij Kapitelman, der nur einen Hakenkreuzwurf von Halle entfernt wohnt.

*** Natürlich gibt es auch einfache Antworten im schlimmsten Zeitungsdeutsch. Dann schreibt man einfach mal etwas über die "Mordlust im Netz" und gibt der "Meme-Kultur" des Internet die Schuld, weil sie angeblich ein "Radikalisierungsprogramm für erfolg- und orientierungslose" Jungmänner bietet. Oder man prangert die Gamification durch Steam & Co an, die den Weeaboo aus Benndorf zu seinen Taten inspiriert haben soll.

Wen schert es schon, dass jeder Personaler heutzutage von Gamification redet, wenn man auf das böse Netz verweisen kann. Dann kommt so ein Unsinn heraus, dass verschlüsselte Messenger-Dienste daran schuld sind, dass die geplante Tat nicht vorher aufflog. Wenn die so entstandene Berichterstattung "aus dem Netz" nicht passt, kann man das ja immer noch bedauern. Insgesamt macht damit dieser Mordfall deutlich, woran es in der deutschen Digitalisierungsdebatte hapert: An einem grundlegenden Verständnis für Technik, gepaart mit Defiziten in logischer Beweisführung. Deutschland drückt sich nicht vor einer Digitalisierungsdebatte, sondern führt sie ängstlich und mutlos und drückt sie auch noch schlecht aus.

*** Sagen wir es nochmal deutlich: Angst war noch nie ein guter Ratgeber. Auch nicht die Angst vor der Digitalisierung. Und nicht die Angst vor den Rechtsradikalen, die auch bei deutschen Intellektuellen allzu schnell dazu führt, jeden Rülpser irgendwelcher Wutbürger sich gleich als "berechtigtes Anliegen besorgter Bürger" auf die eigene Agenda zu schreiben.

*** Gut, dass wir da einen Mutmacherposten haben und mit SprinD eine Agentur für Sprunginnovation, die jetzt auch ein ordentliches Büro hat. Von Leipzig aus werden also große Sprünge gemacht, aber auch große Sprüche. Zwar ist es wunderbar, wenn jetzt die Entwicklung von stromsparenden Analogrechnern mit Millionen gefördert wird, doch ist es etwas seltsam, wenn der oberste Chefinnovator der Bundesrepublik davon spricht, dass künftig nicht bei jedem neuen Rechenzentrum drei Atomkraftwerke gebaut werden können. Vielleicht sind diese Atomkraftwerkchen von Terrapower gemeint, die für Bill Gates die Lösung sind, den Klimawandel erträglich und weniger gefährlich zu gestalten.

*** Mut und Tempo bei der Digitalisierung, das forderte SAP-Vorstandsmitglied Christian Klein im Sommer. Wer im Herbst mutig handelte, war SAP-Haudegen Hasso Plattner. Mit Christian Klein in Walldorf und Jennifer Morgan in den USA an der Spitze des wertvollsten deutschen Unternehmens hat er eine Doppelspitze installiert, wie es sich seit den Zeiten von Plattner und Kagermann immer mal wieder gegeben hat. "Die erste Frau an der Spitze eines DAX-Konzerns", wie überall berichtet wird, dürfte ihren ersten großen Auftritt auf dem IT-Gipfel der Bundesregierung haben und dieser erzählen, was es mit dem von ihr geleitetem Cloud-Geschäft auf sich hat. In diesem Zusammenhang sei daran erinnert, dass es Jennifer Morgan war, die sich für die EDGE-Zertifizierung von SAP eingesetzt hat, nach der gleiches Geld für gleiche Arbeit bezahlt wird. Ob es einen Zusammenhang mit dem Frauenanteil in STEM-Berufen und der fehlenden Geschlechtergleichheit in Ländern gibt, wie hier behauptet wird, wird noch zu diskutieren sein.

*** Greta Thunberg, die Klima-Aktivistin für die guten, inspirierenden Freitage, hat nicht den Nobelpreis in der Sparte Frieden bekommen. Das hat einige überrascht, nicht zuletzt die Buchmacher, die jede mögliche und unmögliche Wette annehmen. Ob jemand auf Abij Aymed gesetzt hatte, ist unbekannt. Die Überraschung ist dennoch gelungen, vergleichbar mit dem Wirtschafts-Nobelpreis für William Nordhaus im Jahre 2018 für seine Klimaforschungs-Ansätze. Damals, als das Thema Klima die Jury beschäftigte, erwartete man, dass Martin Weitzman den Preis gewinnen würde. Dieser nahm sich im Sommer das Leben. An seine Forschung erinnert dieser Artikel: Wenn die Welt immer reicher wird und unsere Kenntnisse der Zusammenhänge vom Klimawandel und seinen tödlichen Folgen immer besser wird, warum überlassen wir dann nicht unseren Kindern oder Enkelkindern die Lösung der Probleme? Auf acht oder zehn Millionen Tote zusätzlich kommt es ja nicht an, wenn die Menschheit insgesamt den Dreh rausbekommt, die Entwicklung zu stoppen. Vielleicht mit dieser Atomenergie?

Was wird.

Das NATO-Mitglied Türkei hat mit dem Einverständnis der USA seinen Krieg gegen die Kurden begonnen. Nach türkischen Angaben wurden bis zum Wochenende 277 kurdische Terroristen getötet, während es zu toten Zivilisten nur Schätzungen gibt. Seitens der NATO mahnte Generalsekretär Jens Stoltenberg die Türkei, bitteschön "zurückhaltend" zu agieren. Seitens der USA verkündete Trump, die Kurden hätten den USA schließlich auch nicht im zweiten Weltkrieg in der Normandie geholfen. Zwischen 70.000 und 100.000 Menschen sollen auf der Flucht sein, der Kampf gegen den islamischen Staat ist bis auf weiteres eingestellt.

Im Trubel der türkischen Angriffe konnten die ersten IS-Kämpfer aus der Haft fliehen. Viel Phantasie braucht es nicht, eine Zunahme von Flüchtlingen aus der Region zu prognostizieren. Das bringt uns zu der Jungen Union, die witzig sein will und über einen Innenminister Seehofer twittert, der die Flüchtenden "zum Freibier einlädt". Unterdessen ist eine Klage vor dem Internationalen Strafgerichtshof eingegangen, in der Angela Merkel, Emmanuel Macron und Jean-Claude Juncker beschuldigt werden, ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen zu haben, indem sie den Tod von Flüchtlingen im Mittelmeer vorsätzlich in Kauf nahmen. Die Klageschrift stammt vom israelischen Anwalt Omar Shatz. Die Welt dreht sich weiter.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. Von Gesichtern und Geschichten.
Beitrag von: SiLæncer am 20 Oktober, 2019, 10:25
Ewig grüßt das Murmeltier. Hal Faber ist selbst überrascht, dass er angesichts der Lage abgedroschene Sprüche aus der Sprachmülltonne holt. Aber Sprache, ach.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Manchmal lohnt es sich, alte, abgestandene Nachrichten herauszukramen. Was waren das noch für Zeiten damals, als ein gewisser Thomas de Maizière Bundesinnenminister war und anno 2017 vom Test der Videoerkennung am Bahnhof Südkreuz schwärmte, den Ausbau der wunderbaren Gesichtserkennung für die Fahndung nach Terroristen forderte und im Interview auch noch den Zugriff der Sicherheitsbehörden auf die verschlüsselte Kommunikation von Messenger-Diensten einforderte. Ja, das kennen wir doch?

Die einschlägigen Überwachungsphantasien nach den Morden in Halle mit den Messengern oder mit der Gamer-Szene zu verbinden, obwohl keine einzige Sicherheitsbehörde den Täter auf dem Schirm hatte, das ist ein gern abgespultes Ritual zupackender Politik. In dieser Hinsicht darf man noch auf Steigerungen gespannt sein, wenn man die Nachricht aus China liest, nach der der Kauf einer SIM-Karte oder die Bestellung eines Internet-Anschlusses ab Dezember nur noch mit einem Gesichts-Scan gestattet sein soll. Der Täter streamt seine Tat? Zack, haben wir ihn geortet, zackzack haben wir sein Gesicht, zackzackzack ist er gebodigt und entwaffnet. Jetzt komme man mir nicht mit diesem Gerede vom besonderen chinesischen Sozialkreditsystem, denn so viel anders sind unsere "westlichen" Ansätze zum Scoring nicht, wie eine Konferenz gezeigt hat. Falsche Straße? Kein Vertrag!.

*** Zu den Nachrichten dieser Woche gehört der Bericht des UN-Sonderbeauftragten für Armut und Menschenrechte, in dem ein "Sozialstaat" beschrieben wird, der mit künstlicher Intelligenz und Scoring-Systemen aller Art die digitale Wohlfahrtspflege betreibt. Dazu passt bestens "The Technology Trap", ein Buch des schwedischen Wirtschaftshistorikers Carl Benedikt Frey, das beschreibt, wie derzeit die Mittelklasse (wieder einmal) in die Armut abgedrängt wird und welche Rolle die künstliche Intelligenz dabei spielt. Sehr hübsch zu lesen – bis man auf die Passage stößt, in der Bundesinnenminister Thomas de Maizière anno 2017 die Gesichtserkennung am Bahnhof Südkreuz über den grünen Klee lobt. 70 Prozent aller gesuchten Personen seien fehlerfrei erkannt worden, während weniger als ein Prozent fälschlicherweise identifiziert worden seien, hauptsächlich wegen schlechter Bildqualität. Das Fazit von Frey: Gesichtserkennung ist auch im Westen angekommen. Ei der Daus, da wundert man sich doch über diese Sorte Wissenschaft, wenn man sich an das Geeiere erinnert, dass zum Abschluss des Tests am Südkreuz veröffentlicht wurde. Da glaubte nur Bundesinnenminister Seehofer an einen erfolgreichen Test, während Wissenschaftler die Falschtrefferrate auf das hohe Passagierauskommen am Südkreuz umrechneten. Egal, nun steht es also in einem wissenschaftlichen Buch. When the legend becomes fact, print irgendwas. Augen zu und durch, das ist die Devisage.

*** Wer die Kommunikation via Messenger überwachen will, muss die gern bemühte Quellen-TKÜ auf dem Gerät eines Verdächtigen installieren oder – um unbekannten Terroristen auf die Spur zu kommen – den Generalschlüssel besitzen, den WhatsApp, Signal oder Threema gefälligst herausrücken sollen. Bekanntlich gibt es dafür eine Anleitung, der man den griffigen Titel "Seehofer's Law" geben könnte. Auf Deutsch: "Man muss Gesetze komplizierter machen. Dann fällt das nicht so auf." In dieser Woche ist eine neue Ausgabe der Zeitschrift für das Gesamte Sicherheitsrecht erschienen, in der sich im Editorial der Jurist Christoph Gusy mit dem "Glanz und Elend der Sicherheitsgesetzgebung" beschäftigt. Vor allem geht es um ein großes Elend, den von Netzpolitik.org geleakten Referentenentwurf eines Gesetzes zur Harmonisierung des Verfassungsschutzrechtes.

Ein längeres Zitat sollte man sich zu Gemüte führen: "So formuliert etwa der genannte Rentenentwurf zur Verhältnismäßigkeit heimlicher Informationserhebung: 'Eine geringe Beeinträchtigung ist in der Regel anzunehmen, wenn die Information aus allgemein zugänglichen Quellen gewonnen werden kann.' So richtig und wichtig das ist: Warum nur in der Regel? Und was sind die Ausnahmen? Für die besonders eingriffsintensive Maßnahme der Ermittlung in informationstechnischen Systemen wird jener Grundsatz wieder aufgenommen. Sie 'sind in der Regel nur zulässig, wenn die Erforschung des Sachverhaltes mit anderen Mitteln aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre.' Die Formulierung gibt neue Rätsel auf. Wird hier eine konkrete Regel aufgestellt im Kontext der zuvor genannten ohnehin geltenden allgemeinen Regel, also die Regel von der Regel? Das wäre rechtssetzungstechnisch Neuland und gewiss weiterer Forschung wert. Oder geht es um dieselbe Regel, also die Ersetzung der generellen durch eine spezielle Eingriffsgrenze? Aber warum dann der Verweis auf die allgemeine Bestimmung, die doch gleichfalls eine Regel enthält?" Wenn der Referentenentwurf Gesetz wird, wird "in der Regel" zum Kampfwort.

*** In Berlin gibt es eine neue Art der Baufinanzierung, vermittelt durch einen Werbespot, in dem zwei Dragqueens eine Nachbarin dabei beobachten, wie sie mit allein mit der Hand die Tür zu ihrem schicken neuen Haus öffnet. Das Ganze ist ein Angebot einer Berliner Bank zur Baufinanzierung. Wer es wahrnimmt, bekommt von der Bank zwei Implantationen eines NFC-Chips in die Daumenfalte bezahlt, der die Schließanlage aktiviert bzw. deaktiviert. Die Message ist wohl, dass Bodyhacker die besten Häuslebauer sind und sich auch nicht von Berliner Geschichten über das Hacken des NFC-Chips beirren lassen. Andere erinnert die Aktion zur Steigerung der Aufmerksamkeit an die Falschmeldung der Berliner Polizei, Hacker hätten in einem besetzten Berliner Haus einen Türgriff unter Strom gesetzt. Berliner Geschichten, die darauf warten, zur Legende zu werden, genau wie die nicht personenbezogene Auswertung von Handy-Bewegungsdaten durch die Berliner Verkehrsbetriebe. Erinnert euch! Ja, wie war das nochmal damals, so um 2019, als das Zeitalter der Maschinen-Menschen mit einem Bausparvertrag begann? Oder war das schon viel früher, so vor 70 Jahren, als der Barcode zum Patent angemeldet wurde? Oder in den 60ern, als Manfred Clynes und Nathan Kline den Begriff Cyborg in die Welt setzten und einer Laborratte den Schwanz durch eine kleine Nährstoffpumpe ersetzten?

*** Und was ist mit Handke, Peter Handke? Nun ist ja dazu schon alles gesagt, nur nicht von allen. Was mich aber wundert, dass so mir nichts dir nichts Handke zum Gralshüter der deutschen Sprache gemacht wird, selbst von denen, die ihn wegen seiner Serbien-Ausfälle für einen unwürdigen Preisträger halten. "I'm not convinced", um einen anderen Ausspruch zu zitieren, der sich allerdings um die Ablehnung eines Krieges bemühte, ganz anders als im Jugoslawien-Krieg, in dem die NATO eingriff und eine eher unrühmliche Rolle spielte, wenn auch wohl aus nachvollziehbarem Anlass. Aber zurück zu Handke: Sein in den Mystizismus abdriftendes Geraune ist mir spätestens seit der Niemandsbucht zuwider. Was aber ein ästhetisches Argument ist, und wenn man so will, sich um die Poetik Handkes dreht. Wobei wir wiederum bei der von Handkes Verteidigern immer wieder angeführten Trennung von Werk und Vita sind, der Trennung von Handkes Poetik und Handkes Politik. Denn sein Geraune führt genau dazu, dass er sich in seiner Sprache verirrt, Verbrechen gegen die Menschlichkeit rechtfertigt und gleichzeitig die Berichterstatter, die die Verbrechen benennen, denunziert. Handke hat seine Serbien-Texte expressis verbis als Teil seiner Poetik bezeichnet, in der sich Handkes Sprache gegen die Sprache der von Handke so titulierte "üble Auslandsreporterhorde", gegen die "Hassleitartikler" richtet. Spätestens dann ist Werk und Politik nicht mehr zu trennen. Und das Geraune wird verdächtig, verdächtig wie Heideggers Geraune, dass seine antisemitische Grundierung verbarg und doch in seinem nationalsozialistischem Engagement durchbrach. Paul Lendvai zitiert in seinem richtungsweisenden Essay "Handke, Milosevic und der Skandal" seinen Freund Milo Dor, den in Serbien geborenen und im Widerstand gegen Hitler aktiven Schriftsteller, Handke sei ein "ahnungsloser Tourist". Die Invektive mag eine passende Antwort auf Handkes Ausfälle sein. Nur leider ist Handke eben nicht nur ein ahnungsloser Tourist ohne öffentlichen Resonanzboden – sondern nunmehr Nobelpreisträger mit unzähligen öffentlichen Apologeten. Michael Martens hat dazu mit Recht angemerkt, auch Ernst Jünger, Ezra Pound oder Gottfried Benn seien zwar unbestreitbar große Literaten, waren aber aufgrund ihrer rechtsextremen und nationalsozialistischen Verirrungen trotz Nominierung keine Nobelpreisträger (und Bert Brecht, by the way, wegen seines stalinistischen Unsinns eben auch nicht). Damit ist nun wirklich alles gesagt.

Was wird.

Benehmt Euch! ist ein Buch, das sich mit der Verrohung, Verblödung, Verkindung und dem Verderben Deutschlands beschäftigt, eben weil sich keiner mehr artig benimmt. Das entnehme ich jedenfalls aus dem Waschzettel zum Buch und das sollte erst einmal reichen. Denn hier soll auf den 4. Deutschen Interoperabilitätstag hingewiesen werden, der unter dem Titel Benehmt Euch! startet. Gutes Benehmen ist dabei weniger gefragt, denn es geht um den Benehmensherstellungsprozess zur Interoperabilität der elektronischen Patientenakte. Diese Akte soll bald kommen und ein großer Wurf werden, wie dies auch in dieser Woche bei der Bundestagsanhörung Thema war. Auch der Petitionsausschutz des Bundestages hat sich eingeschaltet und regt an, "dass auf der Chipkarte der Krankenkassen alle relevanten Gesundheitsdaten des Patienten gespeichert werden." Auf der Karte könnte das sicherer sein als alles, was über modische Gesundheits-Apps bekannt geworden ist. Allerdings wäre dafür wohl die Ausgabe einer neue Generation von Gesundheitskarten fällig. Ob das eine Chance ist, das heilloses Chaos zu beenden, ist eine andere Frage. "In der Regel" ist das Chaos eine einzige Ansammlung von vielen Ausnahmen, das wusste schon Yogi Berra.

Danach beginnen die Feierlichkeiten zum 50. Geburtstag des Internet. Neben den üblichen Verdächtigen inklusive Liveschalte des Internet-Urgesteins Peter Altmaier vom Digitalgipfel in Dortmund sollen die Teilnehmer am Neuland-Kurs im Open-HPI beschreiben und begründen, "wie das Netz der Netze im Jahr 2069 aussehen wird." Es ist schwer, etwas vorherzusagen, vor allem die Zukunft. Nein, das stammt nicht von Yogi Berra, sondern von Niels Bohr. Aber wie wäre es mit der Annahme, dass "Menschen" so als Konzept kohlenwasserstoffbasierter Neuronalschaltkreise nicht mehr existieren werden? So, wie wir aktuell mit der Welt umgehen, ist das keine verwegene Annahme. Es kann natürlich sein, dass uns irgendeine künstliche Intelligenz im Wunderland der Zukunft retten wird, einfach nur so, weil es viel zu langweilig ist, einfach nur Büroklammern herzustellen.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. Von Untoten und anderen Personen.
Beitrag von: SiLæncer am 27 Oktober, 2019, 08:25
Wenn die Menschheit von Maschinen ersetzt ist, wird die elektronische Person vielleicht die Erde retten. Hal Faber rätselt über seltsame Gedankengänge.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Sie ist tot. Sie ist eiskalt ermeuchelt worden. Ein Begräbnis findet nicht statt, das ist schon immer so bei Unpersonen gewesen, die aus der Gesellschaft ausgestoßen wurden. Die Rede ist von der elektronischen Person, die selbst in dem Labertaschenlexikon Wikipedia nur kurz behandelt wird. Sie ist von der mehrheitlich aus Juristen gebildeten Datenethik-Kommission getötet worden. In der Empfehlung Nummer 73 (hier die Kurzfassung als PDF-Datei) liest sich der Mord so: "Der Gedanke, algorithmischen Systemen hoher Autonomie künftig Rechtspersönlichkeit zuzuerkennen und sie selbst für Schäden haften zu lassen ('elektronische Person'), sollte nicht weiterverfolgt werden. Soweit dieser Gedanke auf eine Analogie zwischen Mensch und Maschine gestützt wird, ist er schon ethisch nicht vertretbar, und soweit es schlicht um die Anerkennung einer neuen Gesellschaftsform im Sinne des Gesellschaftsrechts geht, löst er keine Probleme." Gut, man kann die Haftung autonom fahrender Autos auch anders begründen, wie das die Kommission in Punkt 74 macht, wenn die Haftung für Gehilfen nach § 278 BGB für die Juristen als ausreichend angesehen wird: "Der Schuldner hat ein Verschulden seines gesetzlichen Vertreters und der Personen, deren er sich zur Erfüllung seiner Verbindlichkeit bedient, in gleichem Umfang zu vertreten wie eigenes Verschulden." Aber vor der anstehenden Entwicklung autonomer Autos und vor allem von eigenständigen Pflegerobotern hätte die elektronische Person schon Sinn gemacht.

*** Man muss ja gar nicht so weit gehen wie James Lovelock, der als Vertreter der Gaia-Hypothese bekannt wurde. Sie besagt, dass die Erde ein Lebewesen ist. Deswegen ist Lovelock nun davon überzeugt, dass Maschinenwesen die von uns ruinierte Erde kühlen und retten werden. Spätestens dann, wenn das Anthropozän durch das Novazän abgelöst wird, in dem Mischwesen aus Mensch und Maschine die Erde bevölkern, wird man sich an die "elektronische Person" erinnern. So als Mitbürgerin, die von den Datenethikern eskamotiert wurde, weil es keine Maschinenwürde geben sollte und diese Algorithmen in den Maschinenwesen sowieso kein Taktgefühl haben. Die drei Informatiker dieser Kommission hatten offenbar nicht den Hauch einer Chance, die elektronische Person zu retten. Vielleicht ist der Gedanke, dass es ein Ende der Menschheit geben kann, einfach noch zu neu: Er erstand ja erst, als Immanuel Kant sich seines eigenen Verstandes bediente und seinen Mitmenschen im Gefolge der Gedanken von Edmond Halley über Erdkatastrophen und Kometen erklärte, wie das Ende des Sinns aussehen kann.

*** Wer genau hinsieht, kann ja beobachten, wie Maschinen voller Liebe und Güte bereits mit der Regulierung begonnen haben. Da wäre etwa dieses Smartphone, von dem aus US-Präsident Trump zu später Stunde und am frühen Morgen angeblich in personam twittert. Doch wenn dann davon die Rede ist, das Menschen Abschaum sind, ist es verdächtig. So verunmenschen, das kann nur eine Maschine, die keinen Algorithmus zur Bestimmung der Menschenwürde besitzt, oder? Auch die Tatsache, dass Rudy Guiliani, Trumps eifrigster Helfershelfer, angeblich einen Butt-Dial Schwarzgeld im besten Gangsterstil anfordert, gibt zu denken. Ist es nicht viel wahrscheinlicher, dass da eine Maschine ihre Schalter im Spiel hatte? Kann so viel Blödheit bei Juristen vorhanden sein, die doch das Gegenteil von abschäumigen Menschen verkörpern?

*** Natürlich lässt uns die Vorstellung schaudern, dass Maschinen im Spiel sind, gerade zu Halloween, diesen Schaudertagen, die in der IT eine ganz besondere Bedeutung besitzen. Man denke nur an die Halloween-Dokumente von Microsoft. Das ist die Firma, die nun ein ganz besonderes schauriges Halloween-Projekt an Land gezogen hat. Microsoft, nicht Amazon, baut die JEDI-Cloud für das "Pentagon der Macht", gemäß Lewis Mumford das perfekte Symbol eines totalitären Absolutismus. Da kommt das große Heulen und Klappern auf, bei dieser Verschwörung. Und was will uns der erst kürzlich hier erwähnte Peter Altmaier damit sagen, wenn die riesige europäische Cloud, die auf dem IT-Gipfel der Bundesregierung in Dortmund vorgestellt wird, Gaia X heißt? Sie sind unter uns, die Maschinen, und sie lenken die Erde mit rauchenden Schloten. Irgendwo läuft das Scoring-System von Gaia und der Punktestand der Menschheit schrumpft immer schneller.

*** Wo bleibt das Positive? Fangen wir einmal mit dem Bundeskriminalamt an, dessen Chef Holger Münch in dieser Woche auf einer Goodwill-Tour durch die Redaktionen zog. Seine Nachricht: Seit dem Anschlag auf dem Breitscheidplatz konnte seine Truppe sieben Anschläge verhindern. In einer anderen Zusammenfassung nannte Münch den Rechtsextremismus "demokratiegefährdend". Ob damit auch die eigenen Beamten gemeint sind, die sich Namen wie Holocaust=fake, H1tler und NateHigger geben, dürfte er noch beantworten müssen. Spätestens bei der anstehenden Herbsttagung seiner Behörde werden sie beantwortet, denn dann geht es um "die Erscheinungsformen und die Dimensionen von Hasskriminalität" in der analogen wie in der digitalen Welt. Für letztere der Heiseticker-Lesern bestens bekannte Cyber-Kriminologe Thomas-Gabriel Rüdiger.

Was wird.

Unversehens ist die kleine Wochenschau in der Zukunft angelangt, wo ein Kessel Buntes auf uns wartet. Da warten erstaunliche Ereignisse auf uns wie die Wahl im kleinen Thüringen, wo ein ehemaliger Historiker namens Höcke aus der ersten Regierungsbeteiligung der NSDAP an einer Landesregierung im Jahre 1930 seine Inspirationen bezieht, da er kein eigenständiger Denker ist. Schöner ist es da in Hannover, wo ein Grüner Chancen hat, die über 70 Jahre währende Herrschaft der SPD zu beenden.

Es folgt weitaus weniger dramatisch der Digital-Gipfel in der Bierstadt Dortmund mit dieser Cloud Gaia X, getragen von Bosch, der Deutschen Telekom, SAP und Siemens. Weitere Projekte zur Industrie 4.0 und zum Smart Living 5.0 sollen zeigen, wie sich "Deutschland auf dem Weg zum souveränen Standort" befindet. Schaut man ins Programm, ist alles irgendwie eine "Plattform".

Gleich neben Dortmund liegt die Bierstadt Köln – wobei diese Zueignung bei manchen Biertrinkern angesichts solcher Dinge wie "Kölsch" doch sehr umstritten ist, jedenfalls wird in Köln mit der Messe Digital X so etwas wie "Digitalisierung zum Anfassen" geboten. Bei der Telekom wird etwas namens "Edge in the Box" gezeigt, womit man wohl die Chance hat, einmal eine Cloud zu streicheln. Ähnliches möchte ich mal bei "Blockchain as a Service" sehen, ordentliche solide rasselnde Ketten um den Hals all derer, die über die Blockchain schwafeln. Ein Beispiel? "Die Hoffnung, die sich 1945 mit der Gründung der Vereinten Nationen verband, ruht heute auf Blockchain als Code eines weltbürgerlichen Gesellschaftsvertrags," heißt es in einer einstmals ehrwürdigen Zeitung.

Zwischen Dortmund und Köln liegt Düsseldorf, angeblich auch eine Bierstadt. Im November ersäuft sie regelmäßig unter dem Ansturm der Besucher der Medica, diesmal mit dem Schwerpunkt "Internet of Medical Things", dem 3D-Druck von Körperteilen und eben jenen Behandlungs- und Pflegerobotern, in denen wir keine "elektronischen Personen" sehen. Das alles komplettiert mit Exoskeletten, die zeigen, was passiert, wenn in China ein paar Säcke Reis umfallen. Immer wieder gern gesehen ist auch die Gematik dabei, mit weiteren Hinweisen, wie man einen Konnektor in der Praxis anschließt. Das Thema beschäftigt Viele, denn nicht nur Gesundheitsapps sollen gefälligst sicher mit medizinischen Daten umgehen, sondern auch die Ärzte. Sonst alpt der Traum vom digitalen Krankenschein. So mancher ist da aus schönen Träumen gerissen, wie es das Ende des Ärzte-Vernetzungsprojekt bei T-Systems zeigt. Ein Konnektor macht noch keinen Sommer, so eine uralte Bauernweisheit.

Quelle : www.heise.de
Titel: 4W: Eine kleine Geburtstagsgeschichte vom rechtsfreien Raum.
Beitrag von: SiLæncer am 03 November, 2019, 10:42
Man soll die Geburtstage feiern, wie sie fallen. Besonders alt muss man sich aber im rechtsfreien Raum nicht fühlen, meint Hal Faber. Alles ist Neuland.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** In dieser Woche hat das Internet seinen 50. Geburtstag gefeiert. Viele feierten mit, nicht nur der Newsticker mit Artikeln über die Frühzeit des Netzes, den Weg in die Kommerzialisierung und das Laben der ersten Netzgeneration, der Generation X. Besonders alt ist das nicht. Man denke nur an die Frankfurter Allgemeine Zeitung, gemeinhin FAZ genannt, die dieser Tage ihren 70. Geburtstag feierte, stilecht mit Alexander Gauland im Berliner Nobelrestaurant Borchardt. Oder wie wäre es mit der ältesten noch heute existierenden Schnüffelbehörde der Welt, die sich vor 100 Jahren als Government Code and Cypher School ans Schnüffeln machte und später als GCHQ Pionierarbeit beim Abhören der Satellitenkommunikation leistete?

*** Immerhin gab es dieses Internet schon vor dem Fall der Mauer. Damit könnte man an Demos.su erinnern, den ersten kommerziellen Service-Provider, der sich den Spaß machte, die Adresse kremvax.demos.su zu sichern und einen alten Witz mit neuem Leben füllte. 30 Jahre später haben die Internet-Provider dort nichts mehr zum Lachen und die Opposition wird im Netz kaltgestellt.

*** Da könnte man auch an den Remailer anon.penet.fi von Julf Helsingius erinnern, der Post aus Russland transportieren sollte, wegen seiner Anonymisierungsfunktion aber abgeschaltet werden musste. Weil ja nicht sein darf, was sein kann, nämlich ein Internet, das lange vor Tor ein rechtsfreier Raum war. Damit bin ich beim Thema dieser Woche angelangt, das beim Feiern des Netzes der Netze gerne vergessen wird. Wann entstand eigentlich dieser rechtsfreie Raum da im Internet? Wer lebt(e) in ihm mit Saus und Braus? Wer fürchtet sich vor ihm wie vor Sauron, dem Herrn der Ringe? Was ist das eigentlich für ein merkwürdiger Raum, in dem ein Chemiekonzern wie Monsanto einfach einen fliegenden Gerichtsstand einrichten konnte, der jedweden Kritiker beim Anflug zerquetscht? Redet eigentlich heute noch jemand über diesen Raum? Zu denken gibt das aktuelle Statement eines Wählers, der von der Piratenpartei zur AfD gewechselt ist, um den rechtsfreien Raum im Internet für die Netzgemeinde zu verteidigen.

*** Die Rede vom Internet als rechtsfreier Raum kennt jeder, der sich mit den politischen Aspekten des Netzes beschäftigt, das nunmehr seit 50 Jahren aufgespannt und ausgerollt wird. Am schönsten im Sinne von schöner Metapher hat dies "Kohls Küken" ausgedrückt. Denn was ist schon ein Raum? Am 26.09.1996 erklärte die damalige Familienministerin Claudia Nolte: "Das Internet darf keine Insel mit Sonderrechten sein." Allein auf einer Insel der Seligen, wie Robinson Crusoe unter warmer Sonne sein eigenes Recht setzend, das ist doch ein schönes Bild. Weniger schön der Hintergrund: Nolte versuchte damals, eine Reihe von Servern mit kinderpornografischem Material in Südamerika schließen zu lassen und stritt sich mit der "Internet Content Task Force", heute eco Verband der Internetwirtschaft genannt. Die Vorgängerin von Zensursula kam mit ihrer Idee der Netzsperren nicht durch.

*** Wer sich auf die Suche nach den Wurzeln all dieser Metaphern von freien Inseln und rechtslosen Räumen macht, muss bis in das Jahr 1987 zurück, als Ed Krol als NFSnet-Administrator den Hitchhikers Guide to the Internet (hier die Fassung als RFC1118 von 1989) verfasste. Dem kleinen Führer war als Anhang die Acceptable Use Policy des NSFnet beigegeben, die zu klären versuchte, was im Dienste der Forschung und der Weiterbildung erlaubt ist und was nicht. Aus dem Handbuch des Anhalters durch das Internet entstand im Jahre 1992 ein sehr einflussreiches Buch von Krol, The Whole Internet User's Guide. Krols Verleger Tim O'Reilly war von den Chancen, die das darin geschilderte Internet bot, so begeistert, dass er jedem Kongressabgeordneten eine Kopie des Buches schenkte.

*** Krol versuchte am Anfang, den lesenden Novizen das seltsame Netz zu erklären, das auf dem ersten Blick anarchisch erscheint: "In actualtity, the network is a very ethical place, the ehtics are just a bit different than normal. To understand this, consider the term 'frontier justice'. When the West was young, there was a set of laws for the United States, but they were applied differently west of the Mississippi river. Well the network is on the frontier of technology, so frontier justice applies here too." Damit war Krol allerdings kein Cypherpunk, sondern durchaus ein Realist, als er schrieb: "Just be aware that this is a murky part of law which will be hammered out in the next decade."

*** Während sich Ed Krol mit dem Internet beschäftigte, beschäftigte sich eine junge Organisation namens Electronic Frontier Foundation (EFF) mit der Meinungsfreiheit. Sie war 1990 anlässlich der Durchsuchung von Steve Jackson Games durch das FBI gegründet worden. Unter dem Eindruck des Vorfalls schrieb John Perry Barlow sein einflussreiches Crime and Puzzlement: Wenn Computersysteme beschlagnahmt werden können, auf denen Mailboxen laufen, die dem Meinungsaustausch dienen, dann sei die freie Rede gefährdet, erklärte Barlow in dem Gründungsdokument der EFF. Im Diskussionsraum, den Mailboxen zur Verfügung stellen, müssten Meinungsfreiheit und das Recht der freien Rede Vorrang haben. Das FBI verlor das Verfahren. Ein Jahr später veröffentlichte Barlow seinen Wachruf Jackbots on the Infobahn: Er war in der Maschine des Vizepräsidenten Al Gore mitgeflogen und diskutierte dort Bestrebungen, alle Computer für den Anschluss an den "Information Highway" mit einem Clipper-Chip auszustatten. Das war der Beginn der großen Krypto-Debatte (ein anderes Thema), aber auch hier argumentierte Barlow mit der Redefreiheit.

*** Wir schauen auf Deutschland, wo sich auch eine Mailboxszene entwickelte und finden im Jahr 1992 den Hinweis auf eine Veranstaltungsreihe namens Public Domain in einem unbekannten Ort namens Bielefeld. Dort stellte man sich in einem Keller am Ulmenwall die Frage: "Globales Dorf – Rechtsfreier Raum?" Hinter der Frage stand das Problem, ob Mailbox-Betreiber nicht mit einem Bein im Knast stehen und für das haften müssen, was die Besucher in einem Tölleturm, im Fidonet oder im CL-Netz oder im Z-Netz alles anstellen. Das war eine Frage, die auch die Hacker bewegte, wie die Datenschleuder 39 zeigt. Sie berichtete direkt aus Bielefeld. Dort trat der Rechtsanwalt Günter (Freiherr von) Gravenreuth auf und erklärte die juristische Drei-Unterschiedheit von Mailboxen. Zusammengefasst: Mailboxen, die nur persönliche Nachrichten weiterleiten, unterliegen dem Postgeheimnis. Mailboxen, die öffentliche Bretter haben, entsprechen dem Medienrecht. Mailboxen, die Software verteilen, sind für Gravenreuth des Teufels Ausgeburt, egal wie die Lizenzbestimmungen dieser Software aussehen. Ein paar Datenschleudern später wurde im Jahre 1994 ein Leserbrief von Gravenreuth abgedruckt, in dem es heißt: "So hatte ich beispielsweise bei der Netzwerk-Tagung in Kiel und der vorangegangenen Diskussion im FIDONET den Eindruck gewonnen, dass bei so manchem SYSOP und USER sich erstmalig die Erkenntnis durchsetzte, dass Netze wohl ein globales Dorf, jedoch nicht zwingend ein rechtsfreier Raum sind." Dem CCC warf Gravenreuth vor, sich im Bildzeitungsstil über diese Erkenntnis hinwegzusetzen.

*** Den Vogel schoss in dieser Hinsicht ein ganz anderes Blatt ab. Unter dem Titel Gesetzlos im Cyberspace berichtete der Spiegel im August 1994 vom Treiben der US-amerikanischen Anwälte Laurence Canter und Martha Spiegel, die kurzerhand die "Acceptable Use Policy" der Backbones für juristisch ungültig erklärten und das Netz mit Werbung für ihre Kanzlei spammten. In völliger Umdrehung des Sachverhaltes wurden im Artikel diejenigen Administratoren und Nutzer, die sich gegen die Anwälte wehrten, zu Anarchisten und die das Recht ignorierenden Anwälte zu redlichen Bürgern erklärt, die nur ein bisschen Profit im Internet machen wollen. So werden die ehrbaren Anwälte gelobt: "Ihr Vorteil: Das Internet bildet inzwischen den größten rechtsfreien Raum der Welt. Verträge zur Benutzung, wie etwa beim deutschen Bildschirmtext der Telekom, gibt es nicht."

*** Den Höhepunkt der Debatte über den rechtsfreien Raum markierte das Jahr 1996. Es war das Jahr, als Ministerin Nolte das Internet als "Insel mit Sonderrechten" denunzierte, es war aber auch das Jahr, in dem die Bundesanwaltschaft alle deutschen Internet-Provider verpflichten wollte, den Kunden-Zugang zu "World-Wide-Web-Computern zu sperren, die die Untergrund-Zeitung 'radikal' vorrätig halten", wie es damals formuliert wurde. Beanstandet wurden zwei Nummern der Zeitschrift, die nach ihrem Verbot auf Papier elektronisch auf einem niederländischen Server des Providers XS4all gehostet wurde. Pikant wurde der Fall dadurch, dass ein Provider handelte: Compuserve schloss kurzerhand die Homepage http://ourworld.compuserve.com/homepages/angela1/. Damit wurde die stellvertretend PDS-Vorsitzende Angela Marquardt aus dem Internet geworfen, denn sie hatte einen Link auf die Zeitschrift gesetzt. Während deutsche Internet-Provider die Aufforderung der Bundesanwaltschaft ignorierten, handelte die deutsche Niederlassung eines US-Konzerns – und betonte dabei auch noch, dass das Internet schließlich kein rechtsfreier Raum sei. Der gesamte Vorfall ist ausführlich dokumentiert.

*** Die Debatte um die Erfolgsaussichten von Sperrungen im Internet führte dazu, dass sich ausgewiesen Juristen mit dem Problem beschäftigten. So veröffentlichte Rigo Wenning 1997 den umfänglichen, aber gründlich recherchierten Artikel Das Internet – ein rechtsfreier Raum? Heute erinnert sich der Jurist amüsiert an diese Zeit. "Unter den Juristen galt ich fortan als der John Perry Barlow der Juristerei." John Perry Barlow schon wieder? Genau der hatte eine donnernde Unabhängigkeitserklrung des Cyberspace verfasst und auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos den verwunderten Staatslenkern und Staatsdenkern vorgetragen. Auf der Milia in Cannes erhielt er stehenden Applaus und einen spontan verliehenen Milia d'Or der Multimediamesse. "Regierungen der industriellen Welt, ihr müden Riesen aus Fleisch und Stahl, ich komme aus dem Cyberspace, dem neuen Zuhause des Geistes ..."

Was wird.

Es geht weiter, ganz bestimmt. Im rechtsfreien Raum ist immer was los, weil das Hetzen zum schlechten Ton gehört. Bekanntlich hat Twitter-Chef Jack Dorsey angekündigt, dass sein Dienst künftig keine politische Werbung zulassen wird. Das findet US-Chef Trump blöd. Die weltweiten Sozialisten von der Vierten Internationale sprechen gar von einer neuen Zensur des Internet.

So ist es nur natürlich, dass deutsche Politiker klare Regeln für diesen Raum sehen wollen, den Elon Musk gerade verlässt. Er will sich künftig bei Reddit zu Worte melden, auch das ein Angebot, das einmal mit seinen recht anarchischen AMAs als rechtsfreier Raum galt.

Quelle : www.heise.de
Titel: 4W: Von halben Jahrhunderten und anderen Jahrhundertereignissen.
Beitrag von: SiLæncer am 10 November, 2019, 09:00
Ach, der 9. 11.. Ein Schicksalstag der Deutschen, in jeder freudigen und entsetzlichen Hinsicht. Mancher zieht daraus seltsame Lehren, wundert sich Hal Faber.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Vor dreißig Jahren standen zigtausende von Menschen auf der Mauer, die Ost- und Westdeutschland trennte. Das hielt die Mauer nicht aus und so sprechen wir heute vom Mauerfall. Der machtvolle Antifaschismus aus dem Osten siegte und so sprechen wir heute von der Fahrerlaubnis mit all ihren Klassen, während der westdeutsche Führerschein mit seiner Erinnerung an den Führer den Nieten mit Hundekrawatten überlassen bleibt, die zwanghafte ihre Herrschafts- und Zersetzungsphantasien ausleben. So sieht halt Meinungsfreiheit aus. Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Nieten suchte sich ausgerechnet die Kanzlerin als Zielscheibe aus, die in einem Interview davon spricht, dass es eher ein halbes Jahrhundert dauern wird, ehe sich Ost- und Westdeutschland angeglichen haben. Das packen wir zur Wiedervorlage in 20 Jahren.

*** Ja, so ein 9. November hat es in sich. Wer ein halbes Jahrhundert zurück blickt, landet bei einem ganz anderen Datum deutscher Geschichte. Vor 50 Jahren deponierten die Tupamaros West-Berlin eine Bombe im Jüdischen Gemeindehaus von West-Berlin, die ein V-Mann des Verfassungsschutzes geliefert hatte. Die Tupamaros wählten bewusst den 9. November der Progrome von 1938, um auf diese Weise für den "Befreiungskampf des palästinensischen Volkes" zu werben. In der Phantasie der Täter würde sich die linke Bewegung vom Protest gegen den Vietnamkrieg abwenden, schon allein deshalb, weil der Antisemitismus in weiten Teilen der Bevölkerung anschlussfähiger sei als der Antiamerikanismus. 50 Jahre später wissen wir mehr über diesen Hass.

*** Zu den vielen tollen Geschichten, die von den Ereignissen von damals erzählt werden, gehört die Geschichte vom Ende der Geschichte, die der US-Philosoph Francis Fukuyama im Jahre 1989 zum ersten Mal zum Besten gab. In dieser Woche referierte er vor den Schülern der Hertie School of Governance, warum er zwar richtig prognostiziert hatte, sich das Geschehen jedoch in einer ganz anderen Richtung bewegte. Es ist dieses verdammte Internet, das alles verzerrt und den unausweichlichen Triumph des liberalen Westens verlangsamt, es ist diese elektronische Kommunikation, die die "nationalistische Internationale" eines Putin oder Xi erst möglich macht. Eine Woche nach der Geschichte vom rechtsfreien Raum Internet kommt die Geschichte vom Netz als obersten Bremser der Geschichte, natürlich unter Hinweis auf den twitternden Präsidenten, der fürs Twittern übrigens immer einen Lakaien zur Hand hat. Darin unterscheidet er sich von anderen Zwölfjährigen, die ihr Smartphone bedienen können. Für den Propheten Fukuyama ist die Sache mit Trump übrigens ausgestanden: "Wir werden sehen, ob das amerikanische Volk zweimal denselben Fehler macht".

*** Unter all den Artikeln, Erinnerungen und Anekdoten zum Fall der Mauer ragt ein "Manifest" hervor, das den Mauerfall aus Ostberliner Perspektive betrachtet. Es heißt Was wir wollen und soll wohl die Leitplanke der künftigen Entwicklung der "Berliner Zeitung" sein, die jetzt Silke und Holger Friedrich gehört. Erstmal ist Leid beim Lesen und Verstehen angesagt, die Salonkommunisten sprechen gar von einer ostdeutschen Melange des Grauens: Verlegerin und Verleger bedanken sich zum Mauerfall bei Egon Krenz und Angela Merkel. Ferner danken sie den Eltern von Sergej Brin, dass sie von Russland aus in die USA ausgewandert sind und nicht nach Deutschland, denn sonst hätten wir etwas so schönes, großes und "technisch brilliantes" wie Google nie bekommen. Und noch größerer Dank geht an Vladimir Putin, aber nicht an den KGB-Agenten, der in Dresden Robotron überwachte, sondern an den weisen Staatsmann und großen Visionär mit seiner liebevollen Behandlung der Menschen auf der Krim und im Donezbecken. "Und reden wir nicht nur mit ihm darüber, wie verantwortungslos es heute ist, neue Atomwaffen entwickeln zu lassen, obwohl der Gödelsche Unvollständigkeitssatz in Wikipedia für jeden nachlesbar ist."

*** Kopfkratzen ist auch angesagt, wenn im Manifest von den "an unsere Türen schlagenden Social-Scoring-Systemen" die Rede ist. Wer sie an die Tür schlägt, ist unklar. Aber sie erzeugen einen Datenschatz, der dringend gehoben werden muss. "Die einen nutzen Daten und die anderen verbieten es, Daten zu erheben, obwohl wir das fortschrittlichste Datenschutzrecht zur Durchsetzung unserer informationellen Selbstbestimmung in der EU unser Eigen nennen – Maschinenbauer gegen Maschinenstürmer, Fortschritt gegen Reaktion, Pragmatismus gegen Nostalgie." Der Mensch ist der Datenwolf des Menschen, oder so. Dazu passt das in dieser Woche vom Bundestag verabschiedete Digitale Versorgung Gesetz, das der medizinischen Grundlagenforschung einen großen Datenreichtum beschert, wie es selbst der Bundesdatenschützer bemerkt und kritisiert. Von der datengetriebenen Medizin haben auch die Versicherten etwas. Sie werden Apps statt Ausdrücke vom Arzt bekommen und damit souveräne ManagerInnen ihrer Gesundheit. Wir wissen ja, wie das läuft: Am Anfang war Ada.

*** Nicht nur Kopfkratzen ist angesagt, auch etwas Sentimentalität, wenn hipster-gewendete Spätberufene aus dem Osten den Wessis die Geschichte erklären. Auch musikalisch mag man den erinnerungsseligen Neu-Verlegern Geschichtsvergessenheit vorwerfen. Und auch ihnen keine Verhärtung wünschen.

Wir schwelgen derweil in Erinnerungen, die uns mal hier, mal dort verweilen lassen.

Was wird.

Aller Anfang ist Ada. Isso. Nach der Feier ist vor der Feier. Jedenfalls manchmal. Am kommenden Montag hat der westdeutsche Oberpoet Hans Magnus Enzensberger einen runden Geburtstag von fast zwei halben Jahrhunderten, doch er ist schon hier und hier und hier gefeiert worden, deshalb blättern wir in der Vorschau zurück bis in die Zeit der frühen Kursbücher, die Enzensberger herausgegeben hat. Da finden sich dann so lustige Sachen wie dieser Text über "Das internationale System in den kommenden 50 Jahren" des Medienforschers Ithiel de Sola Pool im Kursbuch vom August 1968. Für das nächste halbe Jahrhundert schrieb er vor einem halben Jahrhundert: "Um 1980 wird eine größere politische Krise in der UdSSR ausbrechen. […] Obwohl es nicht ganz bis zur Revolution kommt, ist das Ergebnis dieser Unruhen die tatsächliche Abschaffung der Kommunistischen Partei, oder aber ihre Zersplitterung in mehrere Einzelorganisationen, die Aufhebung der Kolchosen etc. Während dieser Ereignisse verliert die Sowjetunion endgültig jeglichen Einfluss in Ost-Europa. Der Versuch einer Vereinigung von Ost- und Westdeutschland bleibt vorerst ohne Ergebnis; er verhindert jedoch das Ausbrechen der Revolution in der UdSSR. Letzten Endes führt der diplomatische Druck seitens West-Europas und der USA zur deutschen Wiedervereinigung." Das ist doch einmal eine erfolgreiche wissenschaftliche Prognose, ganz im Gegensatz zu den schriftstellerischen Versuchen, die Wiedervereinigung vor der Wiedervereinigung zu beschreiben. Die Prognose des Zusammenbruches beruhte übrigens auf einer Computersimulation, wie im Artikel Der Kaiser, der Zar und der Computer beschrieben.

Gratulieren muss man Enzensberger auf jeden Fall für seinen Baukasten zu einer Theorie der Medien, die im Kursbuch vom März 1970 erschienen ist. Sein Baukasten enthält eine Menge handlicher Werkzeuge und ist voller nummerierter Thesen, mit denen andere ihr Fett wegbekommen. So wird Marshall McLuhan als "Sandgrube unbewältigter Beobachtungen" beschrieben. "Der Satz, das Medium sei die Botschaft, übermittelt jedoch noch eine andere Botschaft, die viel wichtiger ist. Er teilt uns mit, dass die Bourgeoisie zwar über alle möglichen Mittel verfügt, um uns etwas mitzuteilen, dass sie jedoch nichts mehr zu sagen hat.". Sehr gelungen ist auch das Lob der Manipulation von elektronischen Medien, die der Autor als Agent der Massen beherrschen muss. "Ein unmanipuliertes Schreiben, Filmen und Senden gibt es nicht. Die Frage ist daher nicht, ob die Medien manipuliert werden oder nicht, sondern wer sie manipuliert. Ein revolutionärer Entwurf muss nicht die Manipulateure zum Verschwinden bringen; er hat im Gegenteil einen jeden zum Manipulateur zu machen." In diesen Sinne ist auch die Verklärung des Kurt von Hammerstein eine gelungene Manipulation.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. Vom richtigen Leben im falschen.
Beitrag von: SiLæncer am 17 November, 2019, 09:09
Fake-News haben ein langes Leben, muss Hal Faber leider feststellen. Dafür darf man dann auch die Wunder der IT bewundern, selbst in der Klinik.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Es ist passiert. Es ist wirklich passiert. Ich habe einen Fake-Kommentar gepostet und damit weiter verbreitet.

Und daran geglaubt, dass es ein netter Sidekick wäre, zu allem dem Getue um den 9. November und dem Mauerfall. Was passiert ist, kann man aus dem Screenshot hier oben erkennen. Das ist die Passage eines Textes, den ich in der letzten Wochenschau zu Ehren von Hans Magnus Enzensberger vor seinem 90. Geburtstag zitiert habe. Danach sei das Jahrhundertereignis, die Wiedervereinigung Deutschlands, im Kursbuch 14 mit der "Kritik der Zukunft" tatsächlich korrekt vorhergesagt worden. Autor war der Politik- und Medienwissenschaftler Ithiel de Sola Pool, der am Massachusetts Institute of Technology (MIT) in den 60er Jahren angefangen hatte, die dort installierten Computer für spieltheoretische Aussagen zu nutzen. Sein erster Wurf war ein Text mit dem hübschen Titel "Der Kaiser, der Zar und der Computer". Letztgenannter berechnete unter 17.000 möglichen Schritten, wie sich Kaiser Wilhelm II und Zar Nikolaus II hätten verhalten können, um den ersten Weltkrieg zu vermeiden. Beide machten katastrophale Fehler, so die Analyse des Computerprogrammes.

*** In der Folge berechnete de Sola Pool weitere politische Entscheidungen, wagte sich aber auch an die Auslegung möglicher Zukünfte, was man damals auf Vorschlag von Ossip Flechtheim Futurologie nannte. Es ging um nichts Geringeres als die Befreiung der Zukunft. Aus einer Berechnung entwickelte der ehemalige Trotzkist de Sola Pool eine Gesamtschau der Entwicklung des internationalen Machtsystems bis zum Jahr 2015. Damit kommen wir zur Hohen Schule der Manipulation, wie sie Enzensberger in seinem "Baukasten zu einer Theorie der Medien" rühmte (auch das steht in der Wochenschau). Denn die Übersetzung, die das Kursbuch da abdruckte, war eindeutig falsch. Was die damalige Praktikantin Ingrid Heckl, heute eher bekannt als Kursbuch-Herausgeberin Ingrid Karsunke, übersetzte, läuft vollkommen in die Irre. Ithiel de Sola Pool prognostizierte gar keine Wiedervereinigung, sondern einen Stopp der deutsch-deutschen Vereinigungsversuche durch die USA und Deutschlands Nachbarstaaten, gefolgt vom Austarieren neuer Machtblöcke. Seine Vorhersage liest sich im Original so: "During these events, the Soviet hold over Eastern Europe will be completely broken. An unconsummated attempt at East German-West German unification will occur. This will stop the revolution in the Soviet Union from going full course. In the last analysis, German unification will be aborted by diplomatic pressure from Western Europe and the United States. This will create a kind of US-Polish-Hungarian alliance with guarantees against Germany and, implictly, against the Soviet Union." Am Ende prognostizierte er die Auflösung der NATO und ein enges Bündnis der USA mit Frankreich, das die Teilung von Deutschland weiterhin überwacht, nur ohne diesen Kommunismus in Ostdeutschland. So sah "die Zukunft der Konterrevolution aus", wie im Kursbuch das Dossier der Futurologen überschrieben war.

*** Die Berechnung von 1965 wackelte schon im Jahre 1967, als der Aufsatz von Ithiel de Sola Pool erschien, wie er im Vorwort schrieb. Vor allem China entwickelte sich rasanter als im Computermodell berechnet und das, obwohl Mao Tse-Tung noch lebte. Trotz dieser Abweichung gelangen dem Wissenschaftler einige bemerkenswerte Zukunftsprognosen. Im Jahre 1983 beschäftigte sich de Sela Pool angesichts der TCP/IP-Umstellung des Arpanets mit den "Technologies Ob Freedom" im Zeitalter der elektronischen Vernetzung. Seine Prognose war, dass im Zeitalter der elektronischen Medien das Copyright verschwindet: "The recognition of copyright and the paying of royalties emerged with the printing press. With the arrival of electronic reproduction, these practices became unworkable. Electronic publishing is analogous not so much to the print shop of the eighteenth century as to word-of-mouth communication, to which copy­right was never applied.” Damit schalten wir in die Gegenwart direkt um, denn schließlich haben wir eine Kultur-Staatsministerin, die in dieser Woche in einer Rede mahnte, das Leistungsschutzrecht der Verleger zügig umzusetzen. Es geht um Geld für die Verleger und ihre Verwertungsgesellschaft, aber die Kulturexpertin verwechselt das, spricht von einer "gemeinsamen Verwertungsgesellschaft" von Autoren und Verlegern. Dann schwingt sie sich zu der kühnen These auf, dass dieses Geld der journalistischen Qualität zugutekomme, womit die Demokratie gerettet werde.

*** Schnief, Schnüffel, schnaff. Erkältung im Herbst? Aber nicht doch! Zu den beglückendsten Momenten in dieser Woche zählte die feierliche Eröffnung des ZNAF, des Zentrum für Nachrichtendienstliche Aus- und Fortbildung in Berlin. Ob Bundesnachrichtendienst, Verfassungsschutz oder Militärischer Abschirmdienst, hier werden künftig die besten Schnüffler des Landes in trautem Beisammensein ausgebildet – 110 Dienstunterkünfte sind gleich nebenan. "Die Studierenden und Auszubildenden lernen, wie sie Informationen zu aktuellen außen- und sicherheitspolitischen Fragestellungen sowie extremistischen Bestrebungen beschaffen und analysieren können. Hierzu gehört auch, wie man Quellen führt, Zielpersonen observiert und dabei selbst unentdeckt bleibt. Auch die rechtlichen und ethischen Rahmenbedingungen nachrichtendienstlicher Arbeit sind ein wichtiges Thema." Wer da fehlt beim Erlernen des nachrichtendienstlichen Handwerks "von A bis Z" ist das B wie das Bundeskriminalamt oder das B wie Bundesinnenministerium, die beide im Fall von Anis Amri nichts von der richtigen Quellenführung gehalten haben, sondern im Februar 2016 die Anweisung erteilt haben sollen die Quelle VP-01 "kaputt zu schreiben" und abzuschalten. Bis dahin berichtete die Quelle VP-01 ausführlich über den späteren Attentäter. Ein Fall, wie er wohl in einem schicken neuen Hörsaal des ZNAF erzählt wird – als Schauermärchen für angehende Dipl-Znfas. Auch schick ist der neue Masterstudiengang "Intelligence and Security Studies", früher simpel Abhören genannt. "So wirkt das ZNAF als Motor für die Herausbildung einer deutschen Intelligence Community und einer gemeinsamen nachrichtendienstlichen Kultur in Deutschland." Hoppla, da ist sie wieder, diese Kultur.

*** Zu den Wundern, die nur ITler wirklich verstehen und würdigen können, gehört die Verwandlung von Geräten durch ein zauberhaftes Upgrade. Im Vorfeld der Medica hat die Gematik auf diese Weise die erste Verwandlung eines normalen Konnektors in einen hochsicheren eHealth-Konnektor zugelassen. Nur solche Geräte dürfen einen Notfalldatensatz oder einen Medikationsplan auf die Gesundheitskarte schreiben. Ein weiteres Wunder ist leider ausgeblieben: Im Zuge der Dauerdiskussion über die richtige Installation des Konnektors in Arztpraxen wollte ein Rechercheverbund demonstrieren, wie leicht eine Arztpraxis gehackt werden kann. Das gelang mit einem eigens präparierten Rechner, dazu wurde ein Telefoninterview mit einem Arzt nachgesprochen, der sich eine nicht näher bezeichnete Malware eingefangen hatte. Richtige Aufklärung sieht anders aus, vor allem bei der haftungsrechtlichen Seite. Ohne solche Aufklärung geraten die Ärzte in Stress und dann muss Software her, um die Gestressten ins Lot zu bringen. Die Rede ist von Ambient Clinical Intelligence, "die das Behandlungszimmer der Zukunft unterstützt, in dem sich die klinische Dokumentation von selbst schreibt."

Was wird.

Künstliche Intelligenz ist das Stichwort für den Blick in die nahe liegende Zukunft, aber ohne Futurologie. Gerade hat der Bundesverband Bitkom eine ziemlich harsche Kritik der KI-Strategie der Bundesregierung vorgetragen, da bietet es sich an, auf die kritischen Informatiker des FIfF zu verweisen, die am nächsten Wochenende in Bremen ihre FIfFkon 2019 unter dem Titel "Künstliche Intelligenz als Wunderland" abhalten. Bei freiem Eintritt geht es in der öffentlichen Veranstaltung um die Frage, ob künstliche Intelligenz unser aller Leben bereichert oder uns mit ihren Handlungsempfehlungen bevormundet. Was passiert etwa, wenn die klinische Dokumentation sich nicht nur von selbst schreibt, sondern einfach zu schreiben aufhört, weil ein Expertensystem im Hintergrund längst die Diagnose einer tödlichen Krankheit gefunden hat? Was ist los, wenn künstliche Intelligenz bei der Entwicklung von Malware eingesetzt wird, wovor das Bundeskriminalamt gerade gewarnt hat? Und was hat es eigentlich zu bedeuten, wenn ein "KI-Bundesverband" Informatik als Pflichtfach an den Schulen fordert, damit die künstliche Intelligenz endlich, endlich ernst genommen wird? G^tt ist groß, der Mensch ist klein, dazwischen wird wohl der Computer sein.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. Vom erneuerbaren Stoff, aus dem die Daten sind
Beitrag von: SiLæncer am 24 November, 2019, 08:30
Daten – der erneuerbare Treibstoff dieses Jahrhunderts. Was wird in Zukunft damit angetrieben, fragt sich Hal Faber, und wer denkt sich so etwas aus?

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Sapperlot, da hat die CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer auf dem CDU-Parteitag eine lange, nörgelnde und anklagende Rede gehalten, als hätte die Partei 14 Jahre lang die harten Bänke der Opposition gedrückt. Stolz wird prompt vermeldet, ihre mitschläfernde Rede habe die DNA der CDU zum Ausruck gebracht. Immerhin gab es mal Beifall, als sie kämpferisch ein "Digitalisierungsministerium" forderte. Das soll mutig gewesen sein, so die einschlägigen Kommentare. Da geht noch was, liebe Große Koalition unter Beteiligung der CDU! Wie wäre es mit zwei Digitalisierungsministerien? Eines ist für die 0 zuständig, das andere für die 1. Jeweils zur Mittagspause treffen sich dann 0 und 1, um im Digitalisierungslabor von Horst Seehofer ein Mittagsschläfchen zu halten. Ist ja soo anstrengend, dieses Neuland. Natürlich hat AKK Akzente gesetzt. Während die aktuelle Bundeskanzlerin Angela Merkel davon gesprochen hat, dass die Daten das neue Öl sind, hat die kommende Bundeskanzlerin davon gesprochen, dass "Daten der erneuerbare Treibstoff" dieses Jahrhunderts sind. "Erneuerbarer Treibstoff", klingt das nicht fantastisch und irgendwie voll öko-logisch? Schimmert da nicht das große Heilsversprechen vom Datenreichtum mit? Was erneuerbar ist, kann man speichern, kopieren und nochmal speichern und verhökern, es kommt ja immer was dazu.

*** Wenn Treibstoff ausfließt, dann gibt es eine große Sauerei und die Feuerwehr kommt. Das ist bei diesem Datentreibstoff nicht anders, wie der Datenknaller der Woche zeigt. Zehntausende von Patientendaten offen im Internet dank offener SMB-Ports, verursacht durch eine vergeigte Konfiguration bei den Benutzerrechten in Kombination mit einem nachlässig geprüften Router der Telekom. Zur Explosion wäre es gekommen, wenn jemand diese Daten verscherbelt. Jetzt gibt es eine muntere Debatte, wer alles in der Haftung ist. Der Arzt, der technische Dienstleister, die Telekom oder alle zusammen. Da wiederhole ich doch glatt einen Link der letzten Wochenschau auf einen Text zur Haftungspflicht des Arztes, im Vorfeld der Medica gepostet. Während auf dieser Messe von den Chancen des Digitalen-Versorgungs-Gesetzes geschwärmt wurde und wieder mal ein Besucherplus erzielt wurde, wollte niemand die reale Gefahr des Datenminus beim Abfangen der Patientendaten kommentieren. Gesundheitskritisch gab man sich allenfalls im Stil des Silicon Valley, wo das Dopamin-Fasten der Ditouzou très chic geworden ist. Ditouzou ist chinesisch und kann als "Volk der Kopfbeuger" übersetzt werden, ein Volk, das den aufrechten Gang verlernt, weil es immerzu aufs Smartphone starrt.

*** Die Rede von den Daten als erneuerbarer Treibstoff erklärt auch, warum ein mit begrenzten kognitiven Fähigkeiten ausgestatteter Verkehrsminister gleichzeitig Minister für die digitale Infrastruktur ist. Wo Treibstoff, da Verkehr, wo Verkehr, da viel Arbeit. Die digitale Infrastruktur wird nun von der neuen Staatssekretärin Tamara Zieschang mit ruhiger Hand geführt, die zuvor Staatssekretärin für Inneres und Sport in Sachsen-Anhalt war. Das ist das Land mit dem Hashtag #moderndenken und dem Slogan "Hier macht das Bauhaus Schule". Zieschangs Posten bekommt jetzt der 62-jährige Rainer Wendt, im Hauptberuf Scharfmacher bei der Deutschen Polizeigewerkschaft. Zuletzt hatte Wendt den Fall Miri kommentiert und von skrupellosen Anwälten gesprochen, die den Rechtsstaat aushebeln wollen. Ach, was heißt schon Rechtsstaat, für Wendt ist es die Kuscheljustiz. In Sachsen-Anhalt wird er ganz gewiss die innere Sicherheit fördern und besonders die Außengrenzen des Landes gegen die invasive Migration stärken. Der eine oder andere Vorstoß zu der von seiner Gewerkschaft angepriesenen Videoaufklärung (PDF-Datei) dürfte da nicht fehlen. #moderndenken geht anders.

*** Den Hashtag #verkehrtdenken gibt es noch nicht. Eigentlich schade, denn das, was unter dem amtierenden SPD-Finanzminister Olaf Scholz gerade passiert, ist ein Skandal erster Güte. Die einst mit vielen Vereinen wie dem Deutschen Freidenker-Verband gesegnete SPD will das Gemeinnützigkeitsrecht "reformieren". Vereine dürfen sich künftig zwar politisch engagieren, doch sind sie nur dann steuerlich begünstigt, wenn das Engagement thematisch dem Vereinszweck entspricht. Das ist ein elendes Armutszeugnis, entspricht aber der harten Linie, denen Vereine wie Attac oder die Petitionsplattform Campact zum Opfer gefallen sind. Jetzt ist nach einer Entscheidung des Finanzamtes Berlin der VVN-BDA an der Reihe, der Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten, gegründet von Überlebenden der Konzentrationslager, basierend auf dem Schwur von Buchenwald. Im Prüfverfahren habe der von SPD und KPD-Mitgliedern gegründete Bund nicht nachweisen können, dass man keine extremistische Organisation sei. Auf diese verquere Sicht der Geschichte sattelt nun der künftige SPD-Parteiführer seine Reform des Gemeinnützigkeitsrechts. Mit Grausen kann man zusehen, wie die SPD die letzten Schritte vom aufrechten Gang verlernt und in die Bedeutungslosigkeit stolpert. Irgendwann ist sicher auch Politik digital dran, denn PolitikerInnen sind Fleisch und Blut und niemals digital. Ehrenwerte Bürger sind bei der Zivilen Koalition. So endet das Projekt Aufklärung als Appell an den Bürger, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen.

*** Achja, die Aufklärungstechnik, da gibt es immer etwas zu erzählen. Die erste von fünf Global Hawk-Überwachungsdrohnen der NATO ist bei seinem Heimatstützpunkt im sizilianischen Signorella angekommen. Von dort aus wird sie in großen Höhen Frankreich und Deutschland überfliegen, um dann iihre Überwachungschleifen über der Ukraine drehen. Wer will, kann die Drohne verfolgen. Vielleicht findet sie ja diese geheimnisvollen Server, von denen republikanische US-Politiker und ihr Präsidentendarsteller faseln. Etwas ernster ist da die Frage, was aus der deutschen Drohne Euro Hawk wird, die in Manching vor sich herrostet. Die Ersatzteile, Werkzeuge und Prüfgeräte wurden an die NATO verkauft, zurück ist nur die fluguntaugliche Drohne geblieben. Zuletzt soll Kanada ein Kaufinteresse gehabt haben, ist dann aber abgesprungen.

*** Als Hacker kann man Millionär werden, wenn man eine richtig wichtige Schwachstelle findet. Da Andere auch Geld haben wollen, liegt das Interview mit dem deutschen Super-Hacker Julien Ahrens hinter einer Paywall. Er ist noch nicht einer der fünf bis sechs Bounty-Millionäre, konnte sich und seiner Partnerin aber schon eine Weltreise leisten. Sein Geschäftsgeheimnis: mit mehreren Bounty-Firmen arbeiten, und aus vielen kleinen Sicherheitslücken und Unachtsamkeiten einen Angriff vorzuerfinden, der eine Firma wirklich im Mark so treffen kann, dass ihr der erneuerbare Treibstoff flöten geht, zerstört oder verschlüsselt wird. Je komplexer, je teurer, je höher der Gewinn für den Bounty-Kopfgeldjäger.

Was wird.

In Nürnberg wird Theater gespielt. Seit Donnerstag gibt es ein Stück über das Automatenzeitalter, frei nach dem 1930 veröffentlichten Roman von Ludwig Dexheimer. Die Sache ist deswegen erwähnenswert, weil der im Jahr 2500 spielende Roman das Internet vorweggenommen hat, auch die künstliche Intelligenz sowie eine Art Wikipedia und erneuerbare Energien sind im Roman zu finden. Allerdings entstand der Roman in Offenbach am Main. Die Bavarian Space Force von Markus Söder gehört zur künstlerischen Freiheit, ist er doch der größte Sohn seiner Stadt und niemand anders. Mit seinem Roman hatte der Pazifist Dexheimer keinen Erfolg. Als die Nazis an die Macht kamen, wurde das Buch verboten, weil in ihm alle Völker und Rassen in Frieden miteinander leben und es keine Kriege gibt.

Das bringt uns zurück in die Gegenwart. In der anstehenden Woche beginnt das zehnte Internet Governance Forum der UN in Berlin, auf dem über eine Friedensordnung für das Internet diskutiert wird. Die Vorlage liefert die Global Commission on the Stability of Cyberspace. Sie hat in einem auf dem Pariser Friedensforum vorgestellten Report acht Normen aufgestellt, die von allen UN-Staaten eingehalten werden müssen, damit der Cyberspace friedlich bleibt und nicht in ihm herumgecybert wird, weder als Angriff noch als Hack-Back. Sie reichen vom Verbot, Botnetze einzusetzen bis zur Verpflichtung der Staaten, Gesetze und Verordnungen zu erlassen, die eine Cyber-Hygenie garantieren. Das oberste Gebot ist natürlich "Du sollst das Internet nicht töten", ausformuliert als "State and non-state actors should neither conduct nor knowingly allow activity that intentionally and substantially damages the general availability or integrity of the public core of the Internet, and therefore the stability of cyberspace." Die Friedensordnung für das Internet enthält auch die Verpflichtung für Staaten, Unternehmen und Entwickler, alle erkannten Sicherheitslücken sofort offen zu melden und gemeinsam an dem Schließen dieser Lücken zu arbeiten. Die Zeit der Bounty-Kopfgeldjäger ist dann vorbei und Router, die gleich eine ganze Reihe von Ports für den Zugriff auf Patientendaten öffnen, sind ein Ding der Vergangenheit. "Kühe und Bären werden auf der Weide gehen, daß ihre Jungen beieinander liegen; und Löwen werden Stroh essen wie die Ochsen."

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. Von Gedenk- und echten Feiertagen.
Beitrag von: SiLæncer am 01 Dezember, 2019, 09:44
Humor? Ach ja, warum nicht, vor allem SPD-Fans und Hertha-Ultras brauchen den dieser Tage besonders, gniggert Hal Faber. Es gibt aber auch Beeindruckendes.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** So, endlich geschafft. Die SPD-Mitglieder haben sich für ein neues Führungsduo entschieden, "die Saskia" und "der Nowabo" sollen es nun richten. Hat das Elend nun ein Ende? Wahrscheinlich aber bleibt weiter gültig, was die Zeit in einer Satiregrafik formulierte: "Was ist das größte Problem der Sozialdemokratie?" "Die SPD." Vielleicht aber ist die SPD auch nur genauso verzweifelt wie Hertha BSC – wenn gar nichts mehr hilft, hilft nur noch Galgenhumor.

*** Aber genug, widmen wir uns langlebigeren Thema. Denn: Was langer Wert, wird endlich gut. Seit 1988 begehen Mathematiker in aller Welt den Pi-Day als Feiertag ihrer eigenen, manchmal skurrilen Disziplin. Auch in den Nachrichten vom Rande der norddeutschen Tiefebene spielt er eine Rolle, sei es bei Zahlen, bitte! oder sei es bei der heißen Nachricht in diesem Jahr, dass Google einen neuen Pi-Rekord geschafft hat. So gesehen ist es doch wunderbar, dass die UNESCO auf ihrer 40. Generalversammlung den Pi-Day nun auch ganz offiziell zum Tag der Mathematik bestimmt hat. Ab jetzt kann er richtig gefeiert werden, mit Kranzniederlegung vor dem Denkmal des endlos geflochtenen Bandes. Oder ist dafür nicht der Tag der Logik zuständig, der 14. Januar, der ebenfalls von der UNESCO zum Welttag erklärt wurde? Was dann eine Hommage an Kurt Gödel sein könnte, der am 14. Januar 1978 starb. Logischerweise werden jetzt Leser jaulen, denn schließlich wurde Alfred Tarski am 14 Januar 1901 geboren. Er entwickelte eine Formel, die fast dem Unvollständigkeitssatz des großen Gödel entsprach. Die Aufzählung der neuen Welttage wäre unvollständig ohne den neuen "International Day against Violence and Bullying at School, including Cyberbullying", der jeweils am ersten Donnerstag im November gefeiert werden soll. Mit ihm soll auf das weltweite Problem von Gewalt und Anmache in der Schule aufmerksam gemacht werden, ähnlich wie beim Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen, den wir gerade begangen haben.

*** Zu diesem Tag ist in der Neuen Zürcher Zeitung ein Interview mit dem Männerforscher Klaus Theweleit erschienen, das einen furiosen Anfang hat:
"Die SPD-Politikerin Katarina Barley hat etwa neulich im Bundestag Männer für den Brexit verantwortlich gemacht. Vor kurzem gab es einen Bericht im Deutschlandfunk, der dem Patriarchat die Schuld am rechten Terror in die Schuhe schiebt.
Ich glaube, Sie sitzen da einfach einem Journalisten-Fehler auf.
Welchem?
Sie glauben das veröffentlichte Print-Wort. Doch das kümmert die meisten Menschen überhaupt nicht. Das sind Randphänomene, ebenso wie das, was Politiker so daherreden. Das ist schließlich deren Beruf."
Auch sonst hat Theweleit Recht, wenn er davon spricht, dass Männer eine 12.000 Jahre alte Gewaltgeschichte im Körper tragen, die in der Gesellschaft weiter gefördert und gepflegt wird. Da helfen keine Gedenktage. Ganz nebenbei klärt Theweleit über die Denk-Grenzen von Evolutionsbiologen und Gender-Theoretikerïnnen auf.

*** Aber halt, da war noch was. Mit dem 24. Januar hat die UNESCO einen Tag für afrikanische und afrikastämmige Kultur festgelegt, der auf den ungeheuren kulturellen Reichtum des Kontinents aufmerksam machen soll. Was eben auch eine 12.000 Jahre alte Geschichte über die Wiege der Menschheit ist, die gegen die Rechtsausleger von der AfD verteidigt werden muss, wenn diese den deutschen Kolonialismus bejubeln und den Troll Bruce Gilley in den Bundestag einladen. Sein Thema: "Die Bilanz des deutschen Kolonialismus. Warum sich die Deutschen nicht für die Kolonialzeit entschuldigen und erst recht nicht dafür bezahlen müssen." Ja, was hat das Deutsche Reich den Menschen in Togo oder Namibia gebracht, was ist mit dem Völkermord an den Herero und Nama? Und was hat man alles gestohlen oder auf fragwürdigen "wissenschaftlichen Expeditionen" mitgenommen?

*** Die Kleinteiligkeit der aktuellen Restitutionsdebatte ist auch eine europäische mickrige Denke, wie Felwine Sarr im Interveiw erklärt: "In Europa dreht sich alles um Fragen des Besitzes, des Rechts oder der Frage, ob die Objekte ohnehin universellen Status hätten, also der 'Weltgemeinschaft' gehörten und sich die Rückgabefrage daher nicht stelle. In Afrika hingegen fragt man viel nach dem immateriellen Wert der Objekte, die für Afrikaner traditionell oft gar keine Objekte, sondern Subjekte waren. Man fragt sich, ob und wie man diese Gegenstände in die Gemeinschaft resozialisieren könnte oder ob sie durch den langen Aufenthalt in den Museen nicht sogar ihren "Spirit" verloren haben." Was uns zum ganz besonderen "Spirit" von Afrika bringt, von dem Bill Gates fasziniert ist und jetzt auch Twitter-Chef Jack Dorsey. Der will jetzt jeweils ein halbes Jahr in Afrika verbringen.

Wie kommt man weg vom hottentottenartigen Bild von Afrika, das den AfD-Politikern und all denen vorschwebt, die da von Gaudimigration faseln? Vielleicht mit einem kleinen Gedankenspiel, das dieser Tage veröffentlicht wurde. Was wäre gewesen, wenn Julius Caesar die Bibliothek von Alexandria gerettet hätte, anstatt sie verbrennen zu lassen? Die Schriften der Griechen über Dampfkraft wären erhalten geblieben, die Alexandriner hätten mit Dampfschiffen Amerika erobert und die erste Mondlandung wäre im Jahre 1492 gewesen, alles mit dem Wissen von Mutter Afrika, wie hier gesungen.

*** Aus Afrika sind die gekommen, die dann der Welt den Gospel-Gesang geschenkt haben. Das ist ein großes Geschenk mit all den Phrasierungen und Rhythmuswechseln, mit Chören und mit Aretha Franklin. Ihr Produzent Jerry Wexler meinte einmal, es müsse in der Geschichte der Pop-Musik eigentlich von Gospel & Blues geredet werden, nicht von Rhythm & Blues. So komme ich nicht umhin, inmitten all der Quatsch-Meldungen zu den Schnäppchen der Black Fridays, Sundays oder Mondays auf das größte Weihnachtsgeschenk hinzuweisen, das es in diesem Jahr überhaupt geben kann. Dagegen kommt kein Laptop und keine VR-Brille oder sonst ein Schnickschnack an. Geht in die Kinos, Leute, schaut euch "Amazing Grace" von Sydney Pollack und Alan Elliot an. Das ist der Dokumentarfilm zur Aufnahme der Platte "Amazing Grace" vor 47 Jahren, was bis heute das weltweit erfolgreichste Gospelalbum ist. Mit einer Aretha Franklin, die vor nicht allzu langer Zeit verabschiedet werden musste – und die die Aufführung des Filmes mit allen juristischen Mitteln blockierte. Mit James Cleveland, dem "King of Gospel" als Arrangeur und begnadetem Moderator. Man braucht kein Verehrer höherer Wesen zu sein, um den Gesang aus einer anderen Dimension zu würdigen, das zeigen auch Mick Jagger und Charlie Watts, die bei der Live-Aufnahme dabei waren. Ein besseres Weihnachtsgeschenk gibt es nicht. Und wenn's nicht fürs Kino reicht, kann man sich wenigstens die vollständige Originalaufnahme anhören.

Was wird.

Die frisch gewählte EU-Kommission unter der Präsidentin Ursula von der Leyen nimmt ihre Arbeit auf und will sich in den nächsten Wochen gleich mal um die innere Sicherheit und die Geheimdienste kümmern. Dazu hat der frisch abgetretene Präsident Jean-Claude Juncker in seinem Abschieds-Blogbeitrag eine kleine, aber feine Anekdote erzählt. Junker nutzte offenbar in seinem Amt ein altes, nicht verschlüsselndes Nokia-Telefon wie das 3310. Kurz nach einem Telefonat mit seinem Freund Bill Clinton klingelte das Handy und Jacques Chirac war am Apparat. "Was hast du da gerade zu Clinton gesagt, Jean-Claude?" Wie war das noch mit dem Abhören unter Freunden, das gar nicht geht? Es geht, es ging und es wird weiter gehen, weil es ja um unser aller Sicherheitsphantasma geht.

Die kleine Anekdote ist deswegen ein Thema für die Zukunft, weil Bundeskanzlerin Merkel auf dem Internet Governance Forum und auf einer Veranstaltung des Deutschen Industrie und Handelskammertags in dieser Woche betonte, bei 5G den chinesischen Konzern Huawei als Anbieter nicht ausschließen zu wollen. Gleichzeitig werkeln EU-Kommission wie Bundesregierung an Plänen für die digitale Souveränität Deutschlands oder mindestens Europas, indem darüber nachgedacht wird, ob durch eine Zusammenarbeit von Nokia und Ericsson einen "europäischen Champion" im Bereich der 5G-Netze entstehen könnte. Schon die Geburtsvorbereitungen für diesen Champion sind alles andere als optimal, da besagte Firmen die 5G-Patente von Huawei erwerben müssten. Nicht zu vergessen die Patente von Cisco, wo man zur "Offenlegung" des Quellcodes für 5G-Produkte durch das BSI gerade ein Technology Verification Center eröffnet hat.

So kann man das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik bequem zum Jagen tragen. Heraus kommt dann ein vielleicht ein hübsches Siegel, das vom BSI auf sichere IoT-Geräte gebappt wird. In Finnland sieht das neue Logo für die Cybersicherheit ganz eschermäßig aus.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. Unser Auschwitz.
Beitrag von: SiLæncer am 08 Dezember, 2019, 09:46
Das "größte Menschheitsverbrechen" gemahnt auch an eine Ursünde der IT, die Datenerfassung zur "Volksgesundheit" betrieb, erinnert Hal Faber. Unter anderem.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Im 14. Jahr ihrer Amtszeit ist Bundeskanzlerin Merkel nach Kattowitz geflogen und hat zunächst das Konzentrationslager Auschwitz und danach das Vernichtungslager Auschwitz/Birkenau besucht. Auschwitz war ein "deutsches, von Deutschen betriebenes Vernichtungslager", wie es Merkel in ihrer Rede betonte, das größte Lager seiner Art. Tiefe Scham empfinde sie, aber auch die Verpflichtung, mit Auschwitz die Erinnerung an das "größte Menschheitsverbrechen" offen zu halten. Täglich wachsam zu sein, das ist die Mahnung, die die bald aus dem Amt scheidende Bundeskanzlerin allen Zuhörern mit auf den Weg gab: "Wir erleben einen Angriff auf die Grundwerte der liberalen Demokratie und einen gefährlichen Geschichtsrevisionismus im Dienste einer gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit." Höfliche Worte in Zeiten, in denen Abgeordnete des Bundestages die zwölf Jahre des Nationalsozialismus als "Vogelschiss" beiseite wischen oder von einer "Wende der Erinnerungskultur um 180 Grad" schwadronieren.

*** Auschwitz führte nicht nur das Alphabet der Vernichtung an. Es war mit der Codenummer 001 der größte Lagerkomplex, gefolgt von Buchenwald (002), Dachau (003), Flossenburg (004), Groß-Rosen (005), Herzogenbusch (006), Mauthausen (007), Natzweiler (008), Neuengamme (009), Ravensbrück (010), Sachsenhausen (011) und Stutthof (012). Die Codenummern wurden von Amt DII im Wirtschafts- und Verwaltungshauptamt der SS (WVHA) unter Leitung des ehemaligen Auschwitz-Kommandanten Rudolf Höß vergeben. Im Sommer 1944 begann man damit, in allen Lagern "Hollerithabteilungen" einzurichten, die letzte wurde kurz vor Kriegsende in Bergen-Belsen in Betrieb genommen. Ziel war der Aufbau einer zentralen Häftlingskartei, um einen schnellen Überblick über die tatsächliche Arbeitskraft aller Häftlinge in den Lagern zu erhalten. Die WVHA entwickelte ein Codenummern-System, mit dem 6000 verschiedene Berufe erfasst werden konnten und ein weiteres, mit dem 400 verschiedene Formen von Zwangsarbeit vermerkt wurden. Erfasst wurde auch die Zahl der Goldzähne von Häftlingen.

*** In den Hollerithabteilungen übertrugen KZ-Häftlinge die Lagerinformationen auf Karteikarten, die dann an das "Maschinelle Zentralinstitut für optimale Menschenerfassung und Auswertung" in der Berliner Friedrichstrasse geschickt wurden, das direkt dem SS-Reichsführer unterstand. Dort sollten die Informationen aus der Hollerith-Vorkartei auf Hollerith-Lochkarten übertragen und von Hollerith-Maschinen bearbeitet werden. Das WVHA der SS wollte so einen schnellen Überblick über das Lagersystem bekommen. "Wurden spezielle Facharbeiter in einem bestimmten Lager benötigt, konnte an zentraler Stelle nach den jeweiligen Kapazitäten in anderen Lagern gesucht werden. /../ Neben Angaben zur Einlieferung, Staatsangehörigkeit und Haftkategorie wurden vor allem die erlernten Berufe festgehalten. Die Identifikation des einzelnen Häftlings erfolgte durch die Häftlingsnummer und das Geburtsdatum, für die Namen der Häftlinge war kein Feld vorhergesehen."

*** Die Namen waren uninteressant, es ging um die Arbeitskraft, so der Bericht des Historikers Christian Römmer, der vor 10 Jahren in den Dachauer Heften erschien. Sein Titel: "Ein gescheitertes SS-Projekt: Die zentrale Häftlingskartei des WVHA". Im Bericht werden Karteikarten aus der Hollerith-Vorkartei und die aus ihnen produzierten Lochkarten analysiert, von denen ca. 150.000 Stück in deutschen und polnischen Archiven erhalten geblieben sind. Das Projekt scheiterte unter anderem daran, weil die Häftlinge, um weiterhin Arbeit in der Hollerithabteilung haben und weitere Häftlinge in die Abteilung einschleusen zu können, viel mehr Informationen in die Vorkartei füllten, als für die Lochkarten nötig waren.

*** Ausgerechnet vom Lager Auschwitz und seinen zusätzlichen Lagern wie dem Vernichtungslager Birkenau und dem von der I.G.Farben AG gebauten Arbeitslager Monowitz sind keine Karteikarten vorhanden, weil in Monowitz tatsächlich Hollerith-Maschinen für das Stanzen und Auswerten der Lochkarten installiert waren, die hauptsächlich für die Verwaltung der Chemieunternehmen genutzt wurden. Sie wurden vor der Befreiung des Lagers am 27. Januar 1945 vernichtet. Steht also IBM als Kürzel in der unheilvollen Geschichte des Holocaust für Ich Bin Mitschuldig? Als diese Frage 2001 nach der Veröffentlichung des Buches "IBM und der Holocaust" auftauchte, erklärte Hildegard Hamm-Brücher über den IBM-Chef Thomas J. Watson: "Meiner Ansicht nach hat Watson wie einer der größten Verbrecher des 20. Jahrhunderts agiert. Watson hätte nach dem zweiten Weltkrieg wie andere Kriegsverbrecher auch verurteilt werden sollen mitsamt seinem System." Hamm-Brüchers Argumentation fußte damals nicht auf der Nutzung der Lochkarten in der Häftlingsverwaltung der Konzentrationslager, sondern der Nutzung der Lochkarten bei Volkszählungen. In Frankreich, wo man die Juden mit Hilfe von Bleistift und Papier katalogisierte, wurden 24 Prozent erfasst und ermordet, in den Niederlanden, wo man Hollerith-Maschinen benutzte, wurden 73 Prozent der vorab erfassten Juden ermordet.

*** Mit den Hollerith-Maschinen der Deutschen Hollerith Maschinen AG (Dehomag) eng verbunden war der Generaldirektor Willy Heidinger, der im Jahre 1934 bei der Neueröffnung des Dehomag-Werkes in Berlin-Lichterfelde über die Karteikarten schwärmte: "Der Arzt untersucht den Körper des Menschen, stellt fest, ob seine Organe in einer harmonischen Schwingung, d. h. gesund miteinander arbeiten im Interesse des Ganzen. Wir hier sezieren den deutschen Volkskörper weitergehend wie der Arzt bis auf die einzelnen Körperzellen zurück. Wir legen die individuellen Eigenschaften jedes einzelnen Volksgenossen auf einem Kärtchen fest. Wir sind stolz, an einer derartigen Arbeit mitwirken zu dürfen, einer Arbeit, die dem Arzte unseres deutschen Volkskörpers das Material für seine Untersuchung bietet, damit unser Arzt feststellen kann, ob die auf diese Weise errechneten Werte vom Standpunkt der Volksgesundheit aus gesehen in einem harmonischen, d. h. gesunden Verhältnis zueinander stehen, oder ob durch Eingriffe krankhafte Verhältnisse heilend korrigiert werden müssen." Auch so kann man die Datenerfassung beschreiben. Die Dehomag besaß in Oberlenningen eine eigene Papierfabrik und konnte bis zum Ende des Krieges und gleich danach zum beginnenden Wiederaufbau Lochkarten für die Erfassung produzieren.

*** Kurz vor dem Besuch von Angela Merkel in Auschwitz tauchte bei Amazon "Weihnachtsschmuck" mit Auschwitz-Motiven auf. Das aus China zugeführte Angebot mit Bildern der "Schwarzen Wand" und des widerständigen Schriftzuges von Jan Liwacz haben es offenbar Ex-Nazis, Noch-Nazis und Neo-Nazis angetan. Man sollte noch erwähnen, dass Weihnachtsfeiern in Auschwitz eine ganz besonders grausige Geschichte waren, mit Menschenopfern unter Christbäumen.

*** Wie kriege ich jetzt die Kurve zu erfreulichen Geschehnissen? Man sollte angesichts solchen Grauens wirklich lieber schweigen? Ach was, es gibt auch gute Gründe zu feiern, und vor allem, einen Künstler, einen der wohl wichtigsten Künstler der USA zu feiern, dessen Lebenswerk das Grauen nicht vergessen, auch nicht verständlich macht. Der aber auch dafür steht, dass solches Grauen sich nicht wiederholt. So feiern wir also den 70. Geburtstag von Tom Waits: "Es ist ja noch Zeit", meint ein jubilierender Gratulant, Zeit etwa dafür, nach eher ruhigen Jahren noch ein Alterswerk rauszuhauen. Wenn Tom Waits das machen würde, ja dann würde ich mich auch freuen und jubilieren. Derweil ist es immer angesagt, sich eines seiner bisherigen Meisterwerke anzuhören, von den frühen Jahren über Swordfishtrombones und Rain Dogs bis zu den Mule Variations und weiter, nicht nur bis zu Blood Money und Alice. Meine erste Begegnung mit Tom Waits war zwar tatsächlich erst Ende der 80er Jahre, als mich im Kino eine der besten Eingangssequenzen eines Films aus den Sesseln riss: "Jockey Full of Bourbon" zum Einstieg in "Down by Law" aber war nur der Einstieg in ein musikalisches Werk, das Horizonte öffnet. Und so dann doch das Grauen verhindern hilft.

Was wird.

Bevor es weihnachtlich wird und die Jahresrückblicke über das denkwürdige oder denkfaule Jahr 2019 aus den Bäumen geschüttelt werden, richtet sich der Blick in die Zukunft von Deutschland. Da gibt es viele altbekannte Fragen. Kann dieses Land eigentlich seine digitale Souveränität erreichen? Das wird im Bundestag diskutiert, soll aber auch als Stream verfügbar sein.

Bundeskanzlerin Merkel hat ja schon das Internet als Neuland für alle ausgerufen, insofern ist es nur folgerichtig, wenn zum Hashtag #neuland eine Ausstellung im Museum startet, die sich den ganz großen Fragen widmet. Es ist immerhin ein Riesenland. "Ein Land, das uns in Teilen schon vertraut ist – in dem es aber auch noch unendlich viel zu entdecken gibt! Wie also wollen wir miteinander kommunizieren? Wer sind die Menschen hinter den Profilen, die mir in sozialen Netzwerken begegnen? Was ist ein optimales Leben? Wo finden wir neue Wissens- und Informationsquellen? Wie beeinflusst die Digitalisierung unsere Beziehungen und Freundschaften?" Große Fragen, viele Fragen. Man könnte sie noch durch aktuelle Fragen ergänzen: Wie zum Teufel soll die im Medienstaatsvertrag geforderte "Kennzeichnungspflicht für Social Bots" funktionieren? Wer stellt blos solche Forderungen auf? Wie wäre es mit einer Kennzeichnungspflicht für Einbrecher?

Zu den guten Nachrichten für eine spannende Zukunft gehört die Ankündigung, dass das Bundesverfassungsgericht am 14. und 15. Januar über das BND-Gesetz verhandelt. Das ist schon mal ein Erfolg, wenn die Befugnisse oder auch die Grenzen eines Geheimdienstes klar werden, der da meint, schrankenlos Telefongespräche abhören zu können.

Und ganz nebenbei einen seltsamen Hang hat, die Welt der Bedrohungen spiegelverkehrt zu inszenieren. Was die Telefonüberwachung anbelangt, könnte der BND noch für andere Weihnachts-Überraschungen gut sein.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. Done and Gone.
Beitrag von: SiLæncer am 15 Dezember, 2019, 10:57
Wenn die Philosophie ihr Grau in Grau malt... dann ist noch nicht aller Tage Abend, kalauert Hal Faber angesichts - ach, all das gar nicht philosophische Elend!

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Done, done, gone: Mit der Wahl in Großbritannien ist die Zeit gekommen, den Brexit umzusetzen. Am Ende wird es ein Kleinbritannien geben, denn Schotten, Waliser und Nordiren werden sich eher früher als später verabschieden, um dann wieder in die EU einzutreten. Zumindest die Schotten wollen schnellstmöglich anfangen in einem Europa der Regionen zu leben. Die viel gerühmte "Entscheidung des Volkes" ist da und nun wird der "Volkswille" umgesetzt. Der "schlanke Staat", der seit der Wahl von Margaret Thatcher 1979 im Vereinigten Königreich propagiert wird, wird noch ein Stückchen schlanker werden.

Der neue Slogan vom "peoples government" verdeckt, wie weitere Infrastrukturen und Aufgaben verscherbelt werden, vor allem den National Health Service und die Bildung, möglicherweise auch den Polizeiapparat und die Zoll-Aufsicht an den neuen Außengrenzen. Die Kommunikation unter den einzelnen Behörden ist ja schon privatisiert und gehört Motorola Solutions. Boris Johnson ist auf dem Höhepunkt seiner Laufbahn angekommen und kann sich freuen, dass die rote Mauer zusammengekracht ist. Sein "One Nation"-Konservativismus im Stil einer englischen CSU wird zumindest England umbauen. Johnsons Erfolg hat auch damit zu tun, dass der Labour-Kandidat Jeremy Corbyn unfähig war, echte Allianzen mit anderen Parteien einzugehen und der einst internationalistisch gesinnten Sozialdemokratie ein klares Bekenntnis für Europa vorzuleben.

*** Wenn selbst die EU den Wahlausgang begrüßt, weil jetzt "Klarheit" herrscht, wie der Franzose Macron kommentierte, hat das zeitgenössische Neusprech einen neuen Höhepunkt erreicht. Nichts ist klar und die Aussage der neuen EU-Kommissionspräsidenten Ursula von der Leyen von den einfachen klaren Zielen "keine Zölle, keine Quoten und kein Dumping" ist eine grobe Vereinfachung. Da ist Bundeskanzlerin Angela Merkel realistischer, wenn sie davon spricht, dass die Verhandlungen "noch kompliziert genug" werden. Dazu titelt das Blatt mit den großen Buchstaben: "Boris Johnson hat all das, was Merkel fehlt!" Er lügt, er trickst und täuscht. Kann das wirklich empfehlenswert sein? Im eingangs verlinkten Telepolis-Kommentar zur Wahl in Großbritannien werden die Tugenden von Johnson anders dargestellt: "Boris Johnson, ein politischer Hasardeur und Angehöriger der heruntergekommensten Kreise einer dekadenten britischen Oberklasse, die in den vergangenen 150 Jahren ein ganzes Empire verspielt hat, und der sich in der Rolle des destruktiven Charakters eines wiedergeborenen Nero gefällt, der sich im Feuerschein des untergehenden Großbritannien sonnt."

*** Die letzte Wochenschau beschäftigte sich anlässlich des Besuches der Bundeskanzlerin mit unserem Auschwitz. Ausdrücklich war nicht von der völlig missglückten Aktion des Zentrums für politische Schönheit ((ZPS) die Rede, das in Berlin ein Auschwitz-Mahnmal installierte. Im Zentrum des Mahnmals war ein Bohrkern installiert, der angeblich aus dem Boden eines Vernichtungslagers stammte. Gegen diese Störung der Totenruhe gab es heftigen Protest, gefolgt von einer halbherzigen Entschuldigung des Künstlerkollektivs. Doch die Aktion sucht nach uns war damit nicht zu Ende. Der Grabstein Franz von Papens wurde entwendet und verschleppt, was neue Diskussionen über die Totenruhe auslöste und Vergleiche mit den Antisemiten mit sich brachte, die jüdische Friedhöfe verwüsten. Eine Reaktion sind die "Regeln für eine Kunstaktion im deutschen Gedächtnistheater", die hinter der Paywall der Frankfurter Zeitung für kluge Köpfe stehen. Darum seien zumindest die letzten drei Regeln für alle Leser zitiert:
"Pass auf, dass deine Aktion einhält, was sie verspricht. Willst du beispielsweise darauf aufmerksam machen, dass die Ermordeten vergessen wurden, verliere auf keinen Fall ihre Knochen. Lerne Zuhören. Reden kannst du ja schon. Nur, weil manche Menschen keine Accounts haben, bedeutet es nicht, dass sie nichts zu sagen haben. Du wirst kein Nachkomme von Shoa-Opfern, weil du das Gedenken kritisiert. Du bist kein Jude, du arbeitest nicht im Betonkommando von Monowitz, also behaupte das nicht."
Die Regeln wurden von Max Czollek und Stella Hindemith aufgestellt. Czollek hat das Buch Desintegriert euch! verfasst, Hindemith ist die Enkelin von Stephan Hermlin, dessen Gedicht Die Asche von Birkenau das ZPS ohne Erlaubnis bei der Aktion verwendete.

*** Unter Polizeibeamten gibt es die Regel, einander in öffentlichen Untersuchungen nicht zu widersprechen. Diese wurde unter der Woche im Amri-Untersuchungsausschuss des Bundestages gebrochen, als über den Fall der Quelle mit dem Decknamen Murat gestritten wurde. Nach "Hase, du bleibst hier", dürfte "Philipp, das stimmt nicht" zu den Sätzen für die Chronik des Jahres 2019 gehören. Interessant ist auch die Erkenntnis, dass das Bundeskriminalamt Anweisungen geben kann, Ermittlungsquellen in der salafistischen Szene "kaputt" zu schreiben, wenn ein solcher V-Mann nicht für eine glaubwürdige Quelle gehalten wird. Nun steht Aussage gegen Aussage, verbunden mit der Erkenntnis, dass Kriminalbeamte sehr emotional reagieren können, wenn sie ihre V-Männer beschützen oder anderen Überwachern abwerben wollen. Das Geraune von einer Anweisung, die "von ganz oben" käme, macht die Sache auch nicht besser und ist in Teilen geeignet, die Bevölkerung zu verunsichern. Das Weihnachtsfest der Verschwörungstheoretiker kann beginnen. Was hatte das BKA gegen die Quelle, die Amri beschattete?

*** Sicher kennen die Leser dieser Wochenschau einfache, offene Sammeladressen wie unsere newstipps@heise.de abseits des abgesicherten Heise-Tippgebers. Journalisten ebenso wie Behörden arbeiten mit vielen solcher Adressen, sei es nun presse@bka.de oder presse@ccc.de. Anfragen an solche Adressen können von allen Personen gelesen werden, die das passende Passwort haben. -- (Sollte der verfassungswidrige Quatsch kommen, über den man im Bundesjustizministerium nachdenkt, können auch alle Ermittler mitlesen.) -- In jedem Fall ist eine Sammeladresse keine private E-Mail-Adresse und das Suchen in solchen Mails ist keine Schnüffelaktion. Was sich die Berichterstattung zum "Fall" der SPD-Mitvorsitzenden Saskia Esken mit den E-Mails leistete, die an die Sammeladresse des Landeselternrates von Baden-Württemberg geschickt wurden, kann nicht mit technischer Inkompetenz oder dem berühmten "Neuland" abgetan werden. Hier geht es einzig und alleine darum, eine frisch gewählte Politikerin abzuschießen, die unbequem werden könnte. Die Vergangenheit ist schon da, sie ist nur, wie üblich, ungleich verteilt.

Was wird.

Hat man den Jubel vom Rande der norddeutschen Tiefebene gehört? Das schöne Hannover hat es zusammen mit Chemnitz, Hildesheim, Magdeburg und Nürnberg auf die Shortlist zur Kulturhauptstadt Europas 2025 geschafft. Ausgeschieden sind Dresden, Gera und Zittau. Bis zum Sommer 2020 ist nun Zeit, den Kulturentwicklungsplan mit Leben zu füllen, den die UNESCO City of Music in einem Wirbel-Wind of Change umsetzen kann. Besonders gespannt bin ich natürlich auf das "Kompetenzzentrum kulturelle Teilhabe" und den Aufbau einer interaktiven digitalen Plattform. Man liest ja so viel über diese Plattformökonomie, die alles zickzack disruptiviert.

Musike gefällig? Wo die Scorpions so süß pfeifen, sollte man von tatta-ta-taaa Beethoven nicht schweigen. Denn es geht los, der große Beethoven-Rummel zum 250. Geburtstag im Jahr 2020. Und los geht es natürlich am Dienstag in Bonn mit Welt.Bürger.Musik, wobei die Verpunktierung des Wiener Weltbürgers Beethoven mindestens ebenso pittoresk wie der offizielle Hashtag #BTHVN2020 ist. Freude.Schöner.Götter.Funken, es geht ja weiter, wozu gibt es schließlich diese künstliche Intelligenz: Am 28. April soll in Bonn die von einem KI-Programm fertig zu einem feurigen Ende hin komponierte 10. Sinfonie uraufgeführt werden. Nach dem Versuch, mit Huawei-Handys Schuberts Unvollendete zu vollenden, ist Beethovens KI-Vollendung der nächste Streich. Was es mit Cyber-Cyber zu tun hat, weiß ich nicht, aber dieser kuriose Satz aus einer Tickermeldung verdient es, zitiert zu werden: "Wenn jemand aus der Symphonie einen Rap machen sollte, wird die Welt es wohl überleben. Bei Cyberangriffen ist das nicht so klar." Alles klar?

Bei so viel Geschwurbel um Beethoven graut einem schon bei der Vorstellung, was abseits der philosophischen Blase so an Geraune und Gegrunze zu Hegels 250. Geburtstag (der ebenfalls 2020 gefeiert wird) abgelassen wird. Die Eule der Minerva beginnt so manches Mal nicht einmal in der Dämmerung ihren Flug. "Vom herrlichen Sonnenaufgang der Freiheit" zu künden, das eint Hegel sehr wohl mit Beethoven, und letztlich auch mit seinem frühen Freund und Kollegen Hölderlin. Womit das 250-jährige Dreigestirn des Jahres 2020 vollständig wäre. Anlass genug, endlich mal ein paar Leute zu feiern, die so gar nicht weder für betuliche Deutsch- oder Österreichtümelei noch für aggressiven Nationalismus eignen

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. Vom permanenten Datensatz bis zur erschöpften Ressource.
Beitrag von: SiLæncer am 22 Dezember, 2019, 09:21
Hände weg! Aber nicht von der Pfeife ... Es gibt immer wieder seltsame Entwicklungen, die einem die Enkel nicht glauben werden, wundert sich Hal Faber.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Nachdem die Vereinigten Staaten von Amerika am Erscheinungstag von Edward Snowdens Buch Permanent Record vor einem US-Gericht eine Klage einreichten, war absehbar, dass das Gericht dieser Klage stattgeben wird und die Verkaufserlöse an den Staat fallen. Snowden selbst erzählt in seiner Autobiografie, dass er mehrere Vertraulichkeitserklärungen der CIA und der NSA unterschreiben musste und schreibt dazu, dass von ihm im Buch viele Details weggelassen wurden, um die Arbeit der Dienste nicht zu gefährden. Dann heißt es im Auftakt des Bildungsromans etwas verschwurbelt: "Die Verstöße, deren Zeuge ich wurde, erforderten mein Handeln. Aber es ist nicht nötig, seine Memoiren zu schreiben, weil man den drängenden Ruf seines Gewissens nicht länger ignorieren kann. Darum habe ich sämtliche Familienangehörige, Freunde und Kollegen, die auf den folgenden Seiten namentlich genannt werden oder anderweitig zu identifizieren sind, vorab um ihre Zustimmung gebeten." Nur CIA und NSA wurden ausgelassen, die sich postwendend mit der Klage bedankten. Es lohnt sich das Urteil zu lesen, denn ein paar Sätze weiter schreibt der Whistleblower Edward Snowden: "Tatsächlich habe ich kein einziges Dokument direkt der Öffentlichkeit demonstriert."

*** Genau diese Zeile ist ihm im Fall der Buchveröffentlichung zum Verhängnis geworden, denn das Gericht wertete offenbar das Video von Snowdens Auftritt auf der Nürnberger it-sa 2015 aus, mit der Darstellung einer PRISM-Folie um Minute 6:45 herum. Das wurde laut Urteilsbegründung als verbotenes Präsentieren vertraulicher Dokumente gewertet. Die Tatsache, dass der Spiegel, der Guardian und auch der Heiseticker diese Folie oder Screenshot zeigten und damit eigentlich Beweismittel dafür sind, dass Snowden nur "zitierte", wurde vom Richter vom Tisch gewischt. Das sollte eine Lehre sein und eine dringliche Warnung für viele (hoffentlich) nachfolgende Generationen von Whistleblowern, auch für die von unserem Tippgeber. Hände weg nach der Weitergabe der Informationen an die Presse, keine öffentliche Präsentationen, das ist der wichtigste weihnachtliche Wichteltipp! Nicht immer geht es so glimpflich aus wie im Fall von Reality Winner, die Opfer der Inkompetenz von Intercept wurde, aber 2020 entlassen wird. Was Edward Snowden anbelangt, ist nicht bekannt, ob er sich auf dem bald anstehenden 36. Kongress des Chaos Computer Clubs zu dieser Sache äußern wird. Es ehrt ihn aber, dass er sich nach den Informationen im Fahrplan in Leipzig für die Menschen einsetzen will, die ihn in Hongkong beherbergten und beschützten.

*** Zum Fall von Snowden gibt es einen Untersuchungsbericht, der den Mitgliedern des Ausschusses für Geheimdienstangelegenheiten im Repräsentantenhaus zugestellt und von der FAS im Namen der Informationsfreiheit freigeklagt wurde. Er ist die Vorlage, die von Snowdens Kritikern genutzt wird, um das Buch kritisch zu "prüfen". Das ist natürlich problematisch, denn weite Teile des Buches sind als typische Coming-of-Age-Erzählung angelegt, oder, wie man in den USA sagt, als Bildungsroman. Umgekehrt gibt es Passagen im Untersuchungsbericht, die geschwärzt sind. Eine kritische Auseinandersetzung ist problematisch, aber man kann es ja versuchen, wie dieser Dreiteiler zeigt, von dem erst zwei Teile erschienen sind. At the CIA behandelt das Erwachsenwerden und die ersten Tätigkeiten für die CIA|_blank)$, At the NSA behandelt seine Zeit bei der NSA. Der dritte Teil dürfte sich mit den Ereignissen in Hongkong befassen, aber auch mit Snowdens Verteidigung seiner Vorgehensweise. So steht seine Angabe in einem schriftlichen Statement für die EU-Parlamentarier, dass er sich an mehr als zehn Verantwortliche gewandt habe, um über Missstände zu berichten, im direkten Widerspruch zum aktuellen Urteil. Dort heißt es, dass Snowden von keiner der offiziellen Möglichkeiten Gebrauch gemacht habe, auf Missstände hinzuweisen. In einem Interview formuliert er es so: "The NSA at this point not only knows I raised complaints, but that there is evidence that I made my concerns known to the NSA’s lawyers, because I did some of it through e-mail. I directly challenge the NSA to deny that I contacted NSA oversight and compliance bodies directly via e-mail and that I specifically expressed concerns about their suspect interpretation of the law, and I welcome members of Congress to request a written answer to this question [from the NSA].

*** Kurz vor dem Weihnachtsfest passieren komische Dinge. Ein Rentierschlitten rast mit Geschenken rund um die Erde. Die interne Uhr eines Raumschiffs wird auf eine andere Zeitzone als die der Bodenstation eingestellt, damit der Starliner nicht mit dem Schlitten von Santa Claus kollidiert. Auch auf Erden spukt es. Daten werden auf einem Handy "sicherheitsgelöscht", das die ehemalige Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen im Amt benutzte. Das ist ein Vorgang, den man harmlos als Verstoß gegen das vom Verteidigungsministerium beschlossene Aktenmoratorium werten kann, schärfer auch als Vernichtung von Beweismitteln klassifizieren könnte, was dann eine Strafanzeige möglich macht. Eine weihnachtliche Steigerung der ganz besonderen Art leistete sich das Verkehrsministerium mit der Verschlusssachen-Einstufung von Akten, die der Untersuchungsausschuss über die Pkw-Maut benötigt. Sie wurden von "Nur für den Dienstgebrauch" (NfD) auf "Vertraulich" hochgestuft. Damit dürfen nur noch Abgeordnete und sicherheitsüberprüfte Mitarbeiter die Akten studieren. Zur Erinnerung: Die Akten wurden vom Verkehrsminister Andreas Scheuer höchst persönlich auf einem Wägelchen vor die Fotografen gerollt, alles im Namen der "Transparenz". Nun, wo es um mindestens 650 Millionen Euro Schadensersatz geht, sind Tricks statt Transparenz gefragt. Ganz nebenbei sind 551 zusätzliche Millionen für den Straßenbau, die Scheuer aus nicht abgerufenen Mitteln für die Verkehrsforschung und den Radwegebau seinem geliebten Bayernland zubutterte, auch kein Pappenstiel.

*** Glückliches, reiches, strahlendes Bayernland, Franken inklusive. Du bekommst 100 neue KI-Professuren, um auf diese Weise die internationale Strahlkraft Bayerns im KI-Bereich zu "entfachen". Ein Feuer wie die Waberlohe sollte brennen, heller als tausend Sonnen strahlen und ein Batzn gibt's noch obendrauf, ein "Bavarian Center for Blockchain [bc]²" für die Echtheitsprüfung von Zeugnissen. Vielleicht von denen, die die 100 KI-Professoren vorlegen müssen für den Nachweis, in welcher KI-Ecke sie gründeln. Denn Schlamm und Morast gibt es da genug, wie ein Aufsatz über die ethische KI (allerdings in den USA) zeigt. Doch halt, wir haben ja bald Weihnachten, das "Fest der Liebe". Ist es nicht himmlisch-bezaubernd, wenn wir von einer repräsentativen Umfrage der Gesellschaft für Informatik erfahren können, dass ein Drittel der unter 30-Jährigen an Liebe zwischen Mensch und KI glaubt. Stellen wir uns die kleinen Racker vor, die einer Miss Boo treu in die Augen sehen oder das Mädchen, dass sich vor einer Webcam für ihren Roboter auszieht, denn: "Am häufigsten können sich junge Menschen echte Romantik zwischen intelligenten Robotern und Menschen vorstellen." Von dieser Umfrage zum "Fest der Liebe" führt irgendwie der Weg zum Projekt #KI50, das die deutsche KI-Geschichte der letzten 50 Jahre kritisch reflektieren soll. Ich habe ihn nur noch nicht gefunden, also sucht ihn doch selbst.

Was wird.

Dunkel, höhlig und natürlich schwer hacker-romantisch geht es jedenfalls in den umgestalteten Hallen der Leipziger Messe zu, wenn der Chaos Computer Club seinen 36. Congress zwischen den Jahren feiert. Die Assemblies und Aufbauengel legen sich schon jetzt ins Zeug, damit es gemütlich wird, diese Liebe zwischen Mensch und Rechner. Wie erwähnt, hat Edward Snowden seinen zugeschalteten Auftritt, auch sein Anwalt Tibbo ist wie die letzten drei Jahre mit dabei. Da lässt sich auch der kleine Verlag am Rande der norddeutschen Tiefebene nicht lumpen: Am Samstag gibt es den c't-Uplink live vom Congress, am Sonntag ist die #heiseshow live dabei, die heißen Eisen anzupacken. Wie heißt es so schön optimistisch bei der Erklärung des Congress-Mottos "Resource Exhaustion": "Wer die eigenen Ressourcen kennt, setzt Grenzen, die deren Erschöpfung verhindern." Im dicken offiziellen IBM-"Wörterbuch der Fachausdrücke der Informationsverarbeitung" finde ich den Begriff nicht, wohl aber "resources, human". Sie werden so übersetzt: "menschliche Elemente. Das Mitglied des Anwendungsplanungs- und Programmierstabes, des Führungsstabes und des Systemprogrammierungsstabes an einer Datenverarbeitungsinstallation." Der Mensch ist des Menschen Stab.

Und wo bleibt die Musik? Ach, verweisen wir dieses Mal auf einen recht unterhaltsamen und wissenden Kollegen: Andrian Kreye hat die zehn besten Alben des Jahres zusammengestellt. Alle natürlich aus dem Genre, was manche Menschen als Jazz bezeichnen. Alles hörenswert. Sehr hörenswert.

Quelle : www.heise.de
Titel: 4W: Von Engeln und himmlischen oder nicht so himmlischen Chören
Beitrag von: SiLæncer am 29 Dezember, 2019, 09:51
Vom Himmel hoch, ach nee, da kommt nix, "uns aus dem Elend zu erlösen, können wir nur selber tun", zitiert Hal Faber mal ausnahmsweise. Musik darf auch sein.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Das Jahr 2019 müht sich dem Ende entgegen, das Weihnachtsfest ist vorbei und die süßen Glocken schweigen. Nur in Leipzig mühen sich jede Menge Engel ab, den Menschen Freude zu bringen und die Menschenmassen sicher zu geleiten, wenn sie einen Saal wie Ada, Borg oder Clarke verlassen. Ob nun 15.000 oder 17.000 auf dem Congress sind, ob 2.000 oder 3.000 von ihnen ehrenamtlich engeln, sind Fragen, die die Statistikerïnnen unter den Nerds beschäftigen. Gleiches gilt für die angesammelten Arbeitszeiten dieser Engel, denn sie sind freiwillig in den Himmel gegangen, um auf dem Congress zu helfen. Das ist in der freien Wirtschaft etwas anders, da wird jede Stunde gezählt und bezahlt. Unter der Arbeitsministerin Andrea Nahles wurde bekanntlich der Mindestlohn eingeführt, den die SPD jetzt liebend gerne erhöhen möchte. Zum Mindestlohn schenkte das Arbeitsministerium den Arbeitenden die Arbeitszeiterfassung-App "einfach erfasst" als digitale Variante der Stechuhr.

Die Software, die auf der Webseite des Ministeriums angeboten und beworben wurde, wurde zum Schluss von 21.780 Arbeitnehmern genutzt. Zum Schluss? Im September verfügte Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) die Einstellung der Software. Das Geld soll "aufgebraucht" sein. Die Hilfestellung für Arbeitnehmer und kleinere Betriebe soll den Kostenrahmen gesprengt haben. Zum Jahresende wurde nicht nur die Zahl der Nutzer bekannt, sondern auch die Kosten. Zur Programmierung der ersten Version gab man 47.000 Euro aus, zwischenzeitliche Updates kosteten 27.000 Euro. "Weitere Ausgaben konnten nicht mehr getätigt werden", so das Ministerium, das über einen Etat von 150 Milliarden verfügt. Hier mag man einwenden, dass es mindestens sieben weitere Apps zur Zeiterfassung gibt, doch das verkennt die symbolische Maßnahmen, mit dem Mindestlohn auch eine App zur Verfügung zu stellen. Mindestens ebenso symbolisch dürfte die Einstellung der App durch einen sozialdemokratischen Minister sein.

*** Dafür hat die deutsche Sozialdemokratie einen neuen Kampfauftrag gefunden. Es geht um das Tempolimit von 130 km/h, das für neuen Zoff in der großen Koalition sorgt. Mit ein paar hübschen Aktionen hat dabei Verkehrsminister Andreas Scheuer seine herunterragende Jahresbilanz noch einmal gesteigert. Seine Argumentation mit "unwesentlich besseren Werten" beruhte auf einer Untersuchung des Umweltbundesamtes von 1996, als man sich unter dem Motto "Freie Fahrt für freie Bürger" zoffte. Und seine Twitter-Crew nutzte für ihre Ablehnung des Vorschlages das Bild einer Schweizer Autobahn. Dort liegt das Tempolimit bei 120 km/h und wer mit 130 erwischt wird, muss 110 Franken zahlen. Mit über 1000 Beiträgen der geschätzten Foristïnnen in der kommentarschwachen Zeit zwischen den Jahren zeigt sich, dass in diesem Thema noch jede Mange Zoffstoff steckt. Ob damit die deutsche Sozialdemokratie wieder zur Sonne, zur Freiheit ziehen kann, ist eine andere Frage.

*** Andere ziehen in der Drecksbelastungsdebatte erst mal gegen eine Satire zu Felde, bei der die Oma eine Umweltsau genannt wird. Darf Satire das? Ja, ist Teil der oft geforderten und selten verstandenen Meinungsfreiheit. Dürfen Kinder so ein Lied singen und dabei sichtlich Spaß haben? Auch eindeutig ja. Das Argument der "Instrumentalisierung" könnte genauso für Kinderchöre gelten, die Kirchenlieder singen oder Arbeiterlieder zu Besten geben, um vom völkischen Liedgut mal zu schweigen. Ach ja: Meine Oma hat in den wilden Zwanzigern ihren Motorrad-Führerschein gemacht und knatterte in Schlesien durchs Riesengebirge. Von ihr lernte ich das hübsche Kinderlied.

*** Das Thema beschäftigt auch den Chaos Computer Congress in Leipzig, der noch bis morgen über "Resource Exhaustion" debattiert. Neben der Ressourcenverschwendung durch aufgeblähte Software werden Vorschläge diskutiert, die Hackerethik um zwei Punkte zu erweitern: "We will not use fossil powered infrastructure for new services or projects. We won't accept work on projects to help extract more fossil fuels." Die Schadstoffbelastung kann durch Digitalisierung reduziert oder gesteigert werden, das ist alles eine Frage der Einstellung. Ein Fortschritt ist jedenfalls, dass wieder einmal über die Ergänzung der Ethik nachgedacht wird, wie es nach dem KGB-Hack geschah. Ob die Ethik dann das Zeug hat, zu einer Richtlinie beim Handeln und Programmieren zu werden, ist eine andere Frage.

*** Das neue Jahr steht vor der Tür und will hineingelassen werden. Allüberall sprießen Artikel, Essays und Kommentare oder eben auch Podcasts wie die Heise-Show über 2020 auf dem Feld der Meinungen und Glaskugeln. Ein großes Geraune über das Hoffen und Bangen ist es und alle fragen sich, was diese Zukunft für uns bereit hält. Von einem "Gefühl diffuser Unsicherheit" ist dann gerne die Rede, als ob es ein Gefühl konkreter Sicherheit geben könnte. Und nach dem Ende aller Utopien erscheint die Welt grau in grau. "Und weil es noch keine neuen großen Ideen, weil es keine großen Ideale gibt, suchen die Menschen im Abfall der Geschichte nach den alten. Das ist der Grund für die Wiederkehr des Nationalismus, das ist der Grund für die neuen politischen Schwarzmarktfantasien. Was hilft dagegen? Es hilft das Denken; Denken ist wichtiger als Twittern."

Denken ist wichtiger als Twittern? Der amtierende US-Präsident und Windmühlen-Experte Donald Trump sieht das anders, wie sein weihnachtliches Twitter-Gewitter zeigt. Im Zuge dieser Aktion, beim Lamentieren über die "Hexenjagd" des Impeachments, twitterte Trump kurz vor Mitternacht am Freitag den Namen des mutmaßlichen Whistleblowers in einem Retweet zu seinen 68 Millionen Followern. Später wurde der Tweet gelöscht. Ob das "unverantwortliche Verhalten" ein Nachspiel haben wird, ist nicht klar, doch die Hexenjagd ist damit eröffnet. In den USA leben Whistleblower gefährlich.

Was wird.

Wenn der letzte Böller geknallt und der Feinstaub leise auf den Boden genieselt ist, erhebt sich das graue Gespenst der Bonpflicht zu einem ersten Rundflug. Diese unter Finanzminister Wolfgang Schäuble beschlossene Einführung hat ja zu komischen Bildern von einem bürokratischen Monster geführt, das den armen Bäckermeister bedroht. Besonders putzig natürlich die Handelskette Rewe, deren selbstständige Markt-Betreiber keine GoBD-konformen einsetzen und die in einer Pressemeldung von 140.000 Kilometern Kassenbons schwadronierte, nur um auch noch dem letzten Kunden die Payback-Wanze aufdrücken zu können. Zwar geht es einfacher mit der Lidl-App und ihrer Kassenbon-Sammelfunktion, doch hat ein Datenschützer ein Auge auf die App geworfen und wollte die Datenschutzbestimmungen prüfen. Bislang scheint das Auge noch nicht wiedergefunden zu sein, doch der Trend ist klar: Bei all dem Jammern um die Bonpflicht wird eine neue Gelegenheit zum Datensammeln ausgebaut, künftig zusätzlich mit personalisierter Werbung auf den Kassenzetteln.

Und dann ist da noch die Musik. Wer Musik liebt, liebt Beethoven, heiß es letztens in einer Beethoven-Sendung um DLF zur Vorbereitung auf 2020. Hm, nun ja, ich bestreite ja nicht, auch manches Mal zu apodiktischen Urteilen zu neigen, aber das geht mir nun doch zu weit. 1,9 Millionen Hörer mag zwar eine beeindruckende Zahl, und Beethoven selbst einem gewissen inhaltlichen Absolutismus nicht abgeneigt gewesen sein. Man muss ja nicht gleich so ein fanatischer Fan Beethovens sein wie Alex, dem nicht nur seine Beethoven-Liebe recht gründlich ausgetrieben wird

Als Anhänger der französischen Revolution dürfte Beethoven aber letztlich doch eine gewisse Freiheit der Meinungen bevorzugt haben, auch musikalisch. So bleibt die Ode an die Freude die angemessene Europahymne, auch 2020, wenn Beethovens 250. Geburtstag gefeiert wird. Warum aber nur Beethoven feiern, den eben doch nicht jeder liebt, der Musik liebt. Was ist mit Rio Reiser, der seinen 70. Geburtstag feiern könnte, so er denn noch lebte? Was mit Peter Gabriel und Bobby McFerrin, die glücklicherweise noch leben, aber ebenfalls 70 werden? Dave Brubeck würde im kommenden Jahr gar 100, ebenso wie Ravi Shankar, Kurt Weill könnte seinen 120. Geburtstag feiern (und wir gedenken seines 70. Todestags). Darf es noch etwas älter sein? Frederic Chopin hätte 210. Geburtstag. Weitere Todestage gibt es auch: Max Bruch ist vor 100 Jahren gestorben, Jimi Hendrix vor 50 Jahren. Ach ja, es gibt einiges an musikalischem Gedenken, dass wir 2020 genießen können (und auch manches, was eher Erschröckliches wach ruft).

Also dann doch lieber "An die Freude"? Nun, warum nicht, es ist kein schlechter, eher tröstender Ausklang für 2019 und ein hoffnungsvoller Anfang für 2020. Möglicherweise ist aber Weills Seeräuber-Jenny der passende Song zum Jahr, mehr noch als der Aufruf zur Selbsthilfe.

Quelle : www.heise.de
Titel: 4W: Von wilden Zwanzigern und anderen Kalamitäten.
Beitrag von: SiLæncer am 05 Januar, 2020, 09:36
Die 20er Jahre beginnen mit einem Krieg. Und der demonstriert die unerträgliche Leichtigkeit des Tötens. Technik könnte sinnvolleres leisten, findet Hal Faber.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Willkommen im neuen Jahrzehnt. Mögen es die wilden 20er werden. Ehe jetzt wilde Diskussionen darüber anfangen, dass dieses Jahrzehnt erst in einem Jahr beginnt, verweise ich auf die ISO 8601 Abschnitt 4.11, in der eine Dekade definiert wird. "A string consisting of three digits, for example 'the 1960s'. It is the ten-year time interval of those years where the three specified digits are the first three digits of the year." Willkommen also in den wilden 202ern. Akzeptiert? Freuen wir uns also auf die wilden 20er, die die wilden 20er anno 1920 in den Schatten stellen werden. Dafür gibt es bereits gute Hinweise. Man denke nur an das Fleisch von Beyond Meat und warte freudig gespannt auf das Jahr 2022, wenn Soylent Green auf den Markt kommt. Auf weitere Wildereien komme ich noch zu sprechen.

*** Bekanntlich endeten die 2010er mit dem Jahr 2019 in Frieden, Eintracht und einer großen Knallerei. Von einer nicht-Notoperation und einem abgefackelten Affenhaus einmal abgesehen. Wer braucht schon Fake News und die AfD, wenn die Polizei und diese C-Parteien sofort den größten Unsinn in die Welt setzen und sofort irgendetwas Schärferes fordern – nur nicht für die eigene Klientel? Manchmal braucht es gar keinen christlichen Beistand, wie es das Beispiel des grünen Hamburger Justizsenators Till Steffen zeigt, unter dem eine neue Runde von G20-Prozessen beginnt, diesmal gegen sogenannte Mitläufer, die selbst nicht gewalttätig waren. Hier sehen wir bereits, was die wilden 20er bringen werden, wenn das Wohnortprinzip für heranwachsende Beschuldigte vom Staat aufgegeben und die Ausbildung oder Schulbildung junger Menschen bewusst geschädigt wird. Mitgegangen, mitgehangen ist das Motto der neuen Zeit: Auch die, die eine unfriedliche Demonstration längst verlassen haben, können wegen der späteren Taten anderer zur Rechenschaft gezogen werden.

*** Zu den umstürzenden Ereignissen beim Übergang ins neue Jahrzehnt gehört ein Papst, dessen limbisches System einen Klaps austeilte, womit er prompt mit prügelnden Rockstars verglichen wurde. Braucht man solch einen Vertreter höherer Wesen auf Erden? Immerhin einer von denen, die eine kaputte Welt geißeln, in der Wüsten und Meere zu Friedhöfen werden. Sinnigerweise brauchen gerade Hacker solche Leitfiguren, wie es die feierliche Ansprache von Edward Snowden auf dem Chaos Computer Congress zeigte. Sein Auftritt wirkte wie eine Predigt (ab der 35. Minute). Erst las er aus einem weisen Buch vor, seiner Autobiographie "Permanent Record", dann gab es den Segen. "Es werden die Hacker sein, die diese zerbrochene Welt zu einem besseren Platz machen werden". Für diese schlichte Aussage gab es auf dem Chaos Computer Congress minutenlangen Beifall wie sonst nur bei der Datenanalyse von Bahnfahrten. Die Erkenntnis, dass die Deutsche Bahn komplett ausgefallene Züge nicht in die Berechnung ihrer Pünktlichkeitsquote einbezieht und ab einer Verspätung von mehr als 40 Minuten ihre Züge "aufgibt", war überaus erheiternd. So konnten nicht nur Bahnreisende einen Blick hinter die Kulissen der Macht des Schicksals werfen, die beim "Träweling wis Deutsche Bahn" erduldet werden muss.

*** Von einer hoch fliegenden Drohne aus haben die USA drei Raketen auf einen Autokonvoi am Flughafen in Bagdad geschossen, den iranischen General Quasim Solemani und den Milizenführer Abu Mahdi al-Muhandis getötet. Der Iran wird sicher zurückschlagen, wenn die dreitägige Staatstrauer beendet ist. Die wilden 20er beginnen mit einem wilden Krieg, obwohl man mit Fug und Recht behaupten kann, dass der Drohnenschlag eine zwanzigjährige Vorgeschichte hat, die mit der Operation Desert Fox begann. Damals wollte ein gewisser Bill Clinton von seinem Impeachment-Verfahren ablenken. Militärisch erinnert der Drohnenschlag jedoch an ein ganz anderes Ereignis, die Operation Vengeance von 1943. Damals wurde der sehr populäre japanische Admiral Yamamoto Isoroku getötet, der eine ähnliche Rolle wie Quasim Solemani spielte. Auch damals ging die Rechnung nicht auf, denn Yamamoto wurde nach einem großen Staatsbegräbnis im Yasukuni-Schrein aufgenommen und verehrt. Als er noch lebte, wurde Solemani zum Märtyrer erklärt, mit seinem Tod ist nun die Rache fällig. Der Iran hat viele Eskalationsmöglichkeiten, angefangen bei Ölanlagen und Öltankern, bis hin zu Selbstmordattentaten im Geist der Shia.

*** Im Vergleich zur Aktion im Jahre 1943 mit mehreren Jagdstaffeln und umgebauten Flugzeugen zeigt sich der ganze Fortschritt in der unerträglichen Leichtigkeit des Tötens – und wie sehr Technik politisch ist. Technik könnte sinnvolleres leisten. Und Techniker sich ihrer politischen Rolle bewusst werden. Wie auch immer: Angeblich haben die Eskimos 100 Worte für Schnee. In den gesammelten Beschreibungen der US-amerikanischen Aktion zeigt sich, dass wir 100 Worte für einen Mord haben. Es fängt bei gezielter Tötung an, geht über die "Entfernung vom Schlachtfeld" und endet noch lange nicht bei der Beschreibung eines "gefährlichen Eskalationspunktes", der ausgeschaltet werden musste. Wie war das noch Anfang Dezember da in diesem letzten Jahrzehnt, als die deutsche Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer bewaffnete Drohnen zum Schutz der Soldaten in Afghanistan forderte? Auch dieser Schutz ist, wenn er eingesetzt wird, eine gezielte Tötung aus 12.000 Metern Höhe. Die stockende Debatte wird in den nächsten Tagen sicher besonders wild geführt werden. Derweil ist in den USA eine Debatte im Entstehen, ob die Clique von Trump-Anschleimern in Mar-al-Lago mehr über die Aktion wusste als die Mitglieder des Kongresses. Auf das Impeachment folgt das Inteachment.

Was wird.

Man soll das Jahr nicht mit Programmen beladen wie ein krankes Pferd. Wenn man es allzu sehr beschwert, bricht es zu guter Letzt zusammen. Je üppiger die Pläne blühen, umso verzwickter wird die Tat. Man nimmt sich vor, sich zu bemühen, und schließlich hat man den Salat! Es nützt nicht viel, sich rot zu schämen. Es nützt nichts, und es schadet bloß, sich tausend Dinge vorzunehmen. Lasst das Programm! Und bessert euch drauflos!

Erich Kästner hat eigentlich alles zu diesen "guten Vorsätzen" gesagt, die aufgestellt und dann gebrochen werden wie eine Salzstange. Es ist fast so wie mit den Erkenntnissen, die man in einem Jahrzehnt sammeln kann und dann zum Schluss kommt, dass Computer Teil der menschlichen Geschichte im Anthropozän sind, genau wie Musik, Bücher und das gute Thermopapier der Kassenbons. Die beste Erkenntnis ist dann der beste Anfang für das neue, wilde Zeitalter: "Die Menschen in der Regierung sind genauso inkompetent und ratlos wie alle anderen auch. Was sie wirklich gefährlich macht ist, wie oft sie das nicht wissen. Und es gibt niemanden, der es ihnen erzählt."

Doch zurück zu den Vorsätzen. Die Agenturen melden dazu, dass der Sänger Sasha 2020 ein guter Vater sein und ein Model namens Toni Garrn griechisch lernen will. Diese Liste lässt sich hervorragend mit Ivanka Trump fortsetzen, die als Keynote-Sprecherin der bald startenden CES in Las Vegas angekündigt ist. Sie soll dort als Expertin für die Rolle der Frau in der Technologie auftreten und sich generell über die Zukunft der Arbeit auslassen. Die Presse muss sich gesondert dafür registrieren und die aus dem Ausland braucht ein gültiges Presse-Visum. Die prüde Messe, die im frisch vergangenen Jahrzehnt Vibratoren verboten, VR-Pornos aber erlaubt hatte, leistet sich eine Sprecherin, deren technische Kenntnisse sehr begrenzt sind. Man darf auf ihre Rede und ihre Tweets gespannt sein. Vor dem Drohnenanschlag twitterte sie über die Heroen in der Bagdader Botschaft der USA, mit kleinem Schreibfehler. Immerhin ist mit Mandy Moore als eine der bekanntesten Trump-Kritikerinnen so etwas wie ein Ausgleich erfolgt. Danach geht es – für Ivanka – nach Davos zum Weltwirtschaftsform, wo sie über Geschlechtergleichheit referieren soll, wenn Donald Trump wieder einmal den Trip absagen muss, weil ihm der Iran zwickt.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. Vom Fluch, in interessanten Zeiten zu leben.
Beitrag von: SiLæncer am 12 Januar, 2020, 10:48
Das Jahr hat erst begonnen, da wird mit der Abrissbirne auf den Weltfrieden und mit autonomen Waffen auf Passagierflugzeuge losgegangen. Hal Faber denkt an HAL.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Letztes Jahr, damals in 2019, lang ist's her, hatte die Biennale in Venedig ein komisches Motto. Die Leistungsschau moderner Kunst startete mit dem chinesischen Fluch "Mögest du in interessanten Zeiten leben". Nun schreiben wir 2020 und leben in diesen verflucht interessanten Zeiten, nachdem die USA auf
Befehl von US-Präsident Donald Trump mit einem Mord an einem Iraner den brüchigen Weltfrieden mit der Abrissbirne bearbeiteten. Dann aber hagelte es ein paar Raketen. Scheinbar waren die Tage der Wut vorbei, doch dann kam die Nachricht, dass eine Rakete wenige Sekunden brauchte, um den Flug PS 752 gewaltsam zu beenden. Nun bedauert der Iran den "unabsichtlichen" Abschuss, der zum Tod von 176 Menschen führte. Es gibt unterschiedliche Zahlen über die Nationalitäten der Toten, doch muss man darauf hinweisen, dass aus der Sicht der Islamischen Republik Iran die Mehrheit der Toten Iraner waren, weil ein Iraner seine Staatsbürgerschaft niemals verlieren kann. Auch deshalb musste Staatspräsident Hassan Rohani von einem "schrecklichen Fehler" sprechen, dem Iraner zum Opfer fielen.

*** Immerhin dürften die weiteren Untersuchungen des Unglücks nicht länger behindert werden, ganz anders als beim Abschuss von Flug IR 655 durch die USA im Jahre 1988 (PDF-Datei). Da dauerte es acht Jahre, bis unter Präsident Clinton eine Entschuldigung aus den USA zu hören war und den Angehörigen Schmerzensgeld gezahlt wurde. Was zum Erscheinen dieser kleinen Wochenschau noch ungeklärt ist, ist der "schreckliche Fehler": Wenn die Vermutung stimmt und eine SA-15 Gauntlet eingesetzt wurde, dann haben wir es mit dem Fall eines autonomen Waffensystems zu tun, das seine Entscheidung im Sekundenbereich selbst getroffen hat. Wie heißt es in der Wikipedia: "Anfliegende Ziele können automatisch nach Gefährdungspotential klassifiziert und ohne Eingriff eines Bedieners bekämpft werden." Irgendein stationiertes SA-15-System muss dann den Abflug als Anflug gewertet haben. Die offizielle Erklärung von einem "Defekt im Kommunikationssystem" klingt nicht besonders beruhigend. SA-15-Systeme werden auch in Europa eingesetzt, in Griechenland und der Türkei.

*** Damit sind wir bei der Frage, wie autonom Computer töten können dürfen und wie solche Computer wiederum abgeschaltet werden können. Passend zu dieser Frage ist ein 25 Jahre alter Aufsatz wieder veröffentlicht worden, in dem sich der Philosoph Daniel Dennett mit der Frage beschäftigte, ob HAL 9000 tötete. 25 Jahre später fragt David Stork als Herausgeber des damaligen Buches über die rechnerischen Leistungen von HAL: "Wird es ethisch vertretbar sein, einen Konversations-Computer abzuschalten, der am Bett eines einsamen alten Menschen sitzt?" Eine Frage, die sich mit dem Home Care Robot von Medisana stellt, der gemeinsam mit dem Menschen durch die Wohnung rollt und für Unterhaltung sorgt. Vielleicht hilft da Dennett, denn diese Defintion von Bewusstsein hat was: "Der bewusste menschliche Geist ist so etwas wie eine sequentielle virtuelle Maschine, die – ineffizient – auf der parallelen Hardware implementiert ist, die uns die Evolution beschert hat."

*** Mit einem außerordentlich eleganten Webauftritt haben sich die Herzogin und der Herzog von Sussex vom britischen Publikum verabschiedet, das sich von seiner intoleranten, bornierten Seite gezeigt hat. Gefeiert wurde nur kurz, nun ist es Zeit, die Insel zu verlassen, um eine lebenswerte, auch "geographische Balance" in deutlicher Entfernung zu dieser Bitterkeit zu leben. Mit Popo, dem Todesclown startete dieser Tage eine bemerkenswerte Kolumne der Autorin A.I. Kennedy zum Leben im Brexit, in der sie beschreibt, was es bedeutet, in einer Fadheit zu leben, in der #RuinedChristmas der wichtigste Hashtag des Landes war. "Werden wir in Lichtgeschwindigkeit draufgehen oder nur in Schallgeschwindigkeit? Oder mit der Geschwindigkeit verdünnter Soße? Wir wissen es nicht. Und während die meisten darauf warten, dass die zahlreichen Desaster zueinanderfinden, warten die anderen darauf, dass sie verschwinden: Schwarze, Muslime, EU-Bürger, Juden, Behinderte, Linke, Homosexuelle, Jugendliche, Leser, Comedians, Anwälte, Vegetarier, Autoren. Die übliche Liste."

*** Wo bleibt das Positive? Es kommt, wie so häufig, aus den Archiven vor Vorvorgestern. Diesmal kommt es von Albert Camus, von dem ein paar nachgelassene Papiere im Archiv des Generals de Gaulle gefunden wurden. Camus schreibt zu einer Zeit, in der er gegen die Kollaboration mit den deutschen Besatzern kämpfte, über die Eliten: "Die Eliten unseres Landes haben das begriffen und haben den Befreiungskrieg aufgenommen, um weiterhin sprechen zu können. Doch um sprechen zu können, muss man mit der Möglichkeit des eigenen Verschwindens rechnen. Aus diesem Verschwinden kann sich ergeben, wie 1919, wie vielleicht morgen wieder, dass die Elite die Sprache verliert. Wie 1919, wie morgen vielleicht, werden dann die Anderen das Sprechen übernehmen, jene, die sich im kritischen Moment als Zeugen ausgaben und im Grunde nur zur Schar der Vorsichtigen gehörten." Auch wir brauchen die, die sich nicht in der Schar der Vorsichtigen verstecken und zu sprechen wagen. Dazu gehört es, sich gegen die biometrische Gesichtserkennung auszusprechen und auch, das übergriffige BND-Gesetz zu erhandeln, gegen die Häme der BND-Zuträger, die von Prozesshanseln schwafeln und sich ihre dicken Bäuche halten.

Was wird.

Langeweile, obwohl die Zeiten doch so interessant sind? Ich möchte da ein kleines Spielchen vorschlagen, mit dem man sich wunderbar die Zeit bis zum nächsten Anschlag vertreiben kann. Als aufmerksamer, mündiger und surfender Bürger landet man häufig auf Informations- oder Werbeseiten unserer Bundesregierung. Schließlich ist da diese Digitalisierung, der sich alle stellen müssen. Auch wenn die neue Arbeiterpartei FDP/ML meint, dass dieser unserer Regierung Wille und Kraft für ein Digitalministerium fehlen, so gibt es doch viele, viele Ministerien und noch viel mehr Projekte, die allesamt kompetent am digitalen Rad drehen. Das Spielchen geht so: Wenn man sich auf einer Seite der Bundesregierung, der Ministerien oder der Projekte befindet, nehme man den Domain-Namen und ersetze ihn mit einer .org-Adresse, so wie in wikileaks.org oder wikipedia.org.

Ein Beispiel: Angenommen, man möchte weg aus diesen interessanten Zeiten, am besten gleich ins nächste Jahr, wenn bei LÜKEX 21 ein groß angelegter Cyberangriff auf die Bundesregierung bravourös abgewehrt wird. Unter luekex.de gelangt man hier zu den öffentlichen Informationen über das Planspiel, unter luekex.org aber auch. Die Vermutung liegt nahe, dass es so viele weitere org-Adressen gibt, dass man sogar ein Trinkspiel daraus machen könnte. Mit Überraschungen natürlich. Man nehme wirksamregieren.org und landet bei der Bundesregierung, man nehme Bundesregierung.org und landet bei F00.net im Nirwana.

Die Erklärung kommt mit der Meldung, dass wir unter Geiern leben, seitdem bekannt wurde, dass eine Investmentfirma sich in die Verwaltung von .org einkaufen möchte. So kreisen die Geier über dem Internet und wir mit ihnen. Deutschland besitzt als Verschlüsselungsstandort Nr.1 auch die Domain krypto-charta.org und offenbar jede Menge weitere .org-Domains, aber Genaueres weiß man nicht, das würde ja den Cyberangreifern, den Cybergeiern nützen, wie es in der Antwort der Bundesregierung (PDF-Datei) auf eine schriftliche Anfrage der Abgeordneten Anke Domscheit-Berg zu den .org-Verhältnissen heißt:

"Die Bundesregierung beobachtet das laufende Verkaufsvorhaben der Top Level Domain „.org“ durch die Internet Society (ISOC) an die US-Investmentgesellschaft Ethos Capital und wird die weiteren Entwicklungen – auch in Bezug auf die durch die Bundesregierung genutzten .org-Domains – genau prüfen. Als Anlage beigefügt ist eine Aufstellung der durch die Bundesregierung einschließlich der Geschäftsbereichsbehörden genutzten .org-Domains. Dieses Dokument wurde als VS – NUR FÜR DEN DIENST-GEBRAUCH (VS-NfD)eingestuft. Begründung: Bei der gefragten Auflistung von .org-Domains handelt es sich um eine bislang öffentlich nicht verfügbare Information. Nach Einschätzung der Bundesregierung bestehen bezüglich einer öffentlichen Herausgabe nicht unerhebliche Sicherheitsbedenken, da nachteilige Auswirkungen auf Belange der Sicherheit der Informationstechnik der Bundesverwaltung zu erwarten sind. Insbesondere könnten aggregierte Informationen über von der Bundesregierung genutzte Domains geeignet sein, um einen erfolgreichen Angriff auf die Informationstechnik des Bundes – beispielsweise „DNS-Hi-jacking“ und „DDoS“-Angriffe – zu ermöglichen oder zumindest entscheidend zu erleichtern."

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. Von Babelfischen, Bayern und Briten
Beitrag von: SiLæncer am 19 Januar, 2020, 08:06
Zum Verbot der Gesichtserkennung schweigt der Modelleisenbahner wie die Glocken ohne Klöppel vom Big Ben zum Brexit. Herrlich, freut sich Hal Faber, diese Ruhe.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Als Chronist des technischen Fortschrittes hat man es manchmal nicht leicht. Wir befinden uns im Jahr 2020, in dem wegen dieses Neulands über das "Recht auf Vergessen" philosophiert wird oder der Schwachsinn von der Klarnamenspflicht eine Neuauflage erfährt. Es erinnert an die 80er-Jahre des letzten Jahrhunderts, als Juristen gegen eine Compuserve-Adresse wie 7707,333 klagten, weil sie darin eine arglistige Namenstäuschung sahen und nicht das Mailsystem der PDP-10-Architektur kannten, mit dem Compuserve groß wurde. Nun fordert ein Artikel in der Zeitschrift für kluge Köpfe unter dem Mantel der Netzkultur und des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes eine gesetzlich geregelte Kultur der Pseudonymität als Haftbarkeit, die dem Netz noch fehlen würde: "Sie bedeutet, dass jemand für andere Nutzer nicht erkennbar an entscheidender Stelle mit seinem Klarnamen auftritt. Bei der Plattform oder bei einer neutralen, dritten Stelle muss er unter diesem registriert sein. So ließen sich Rechtsbrecher im Netz leichter haftbar machen. Verzichten Plattformen auf den Mechanismus, treten sie selbst in Haftung." Am besten wäre dieser Namendienst auf Vorrat bei der Bundesnetzagentur angesiedelt, womöglich noch mit dem biometrisch geprüften Bild, das jetzt doch wieder von Fotografen geknippst werden soll, die es halt auf sicheren Wegen in die Meldebehörden transportieren müssen, damit die bösen Morpher keine Chance haben. Die totgeglaubte De-Mail zuckt.

*** Manchmal ist die Begleitung des technischen Fortschritts eine schöne Sache. Ich erinnere mich jedenfalls gerne an die wunderbare Poesie dieses Satzes: "Im Verlauf des Flirtings mit ihm, hob sie ihre Jacke in der Rückseite an und zeigte ihm die Brücken ihrer Zapfenunterwäsche, die über ihr Hosen ausdehnten." Ja, das ist die entscheidende Stelle aus dem einstmals vom Internet sehnlichst erwarteten Lewinsky-Report des US-amerikanischen Chefanklägers Kenneth Starr aus dem Jahre 1998, wie sie vom legendären Babel Fish übersetzt wurde. Mit dieser Qualitäts-Übersetzung des Geschehens im Weißen Haus erwies sich Babel Fish als ein würdiges Programm, an den großartigen Douglas Adams zu erinnern. Nun hat die einstmals flirtende Praktikantin Monika Lewinsky einen Kommentar getwittert, weil besagter Kenneth Starr nun zum Anwaltsteam von Donald Trump gehört. Was das heutige Babel-Fischchen ganz nüchtern übersetzt: 'Das ist definitiv ein "Willst du mich veräppeln?' - Tag". Ja, solche Tage gibt es, zumal mit Alan Dershowitz auch der Verteidiger von Jeffrey Epstein ins Team geholt wurde. Es gibt sie also definitiv, diese Veräppel-Tage.

*** Ob es einen Gott gibt, der Trump hasst, weiß ich nicht. Ich komme gut ohne die Verehrung höherer Wesen aus und kann mir vorstellen, dass es Menschen gibt, die Trump hassen. Mit solchen Plakaten sind kurz nach der Wahl Frauen demonstrieren gegangen. Dabei wurden sie fotografiert. Ausgerechnet für eine Ausstellung über das Frauenwahlrecht und die Frauenbewegung in den USA hat das Nationalarchiv der USA die Fotos retuschiert und den Namen von Trump unkenntlich gemacht. Auch wurden potenziell anstößige Begriffe wie Vagina auf den Plakaten übermauselt. Mindestens ein Hinweis auf die Bearbeitungen hätte man anbringen können, aber das hätte angeblich der guten Sache, eben der Geschichte der Frauenbewegung geschadet. Das böse Wort Zensur wird bestritten. Man solle bitte von politischer Neutralität sprechen.

*** Ich habe in dieser Woche ein neues Wort kennengelernt. Aitschnik ist russisch und bezeichnet Systemadministratoren, ITler und ganz allgemein die Menschen, die sich von der IT und dem eGovernment große Verbesserungen versprechen. Der neue russische Premierminister Michail Mischustin ist solch ein Aitschnik. Er ist der Erfinder der INN, der einheitlichen, lebenslangen Steueridentifikationsnummer. Er ist der Mann hinter der App, mit der in Russland die Steuererklärung von Selbstständigen mit wenigen Klicks abgewickelt werden kann, was dazu führte, dass sich die Steuereinnahmen auf rund 300 Milliarden für 2019 verdoppelten. Dieser Zuwachs wurde geschafft, obwohl die Zahl der problematischen Steuerprüfungen deutlich zurückgingen. "Wir als Beamten müssen unsichtbar werden, das war immer mein Ziel", soll er als frischgebackener Premierminister gesagt haben. Der Aitschnik als unsichtbarer Technokrat, der Sysadmin als neue Klasse Russlands, das alles muss natürlich mit der Absicht von Wladimir Putin zusammen gedacht werden, eine neue russische Verfassung zu installieren. Darüber ist an anderer Stelle geschrieben worden. Jetzt fehlt nur noch der Hinweis auf die Versuche Putins, Polen die Mitschuld am Ausbruch des Zweiten Weltkrieg in die Schuhe zu schieben und den Hitler-Stalin-Pakt vergessen zu machen. Das Ganze natürlich vor Beginn der Feierlichkeiten zur Befreiung von Auschwitz am 27. Januar.

*** Ach, Europa, du hast nicht nur Polen, sondern auch eine EU-Kommission, die sich mit AI befasst, mit den Problemen der künstlichen Intelligenz. Während sich in Deutschland der unvermeidliche TÜV um die Sicherheit von KI-Anwendungen kümmern soll, denkt man auf europäischer Ebene etwas weiter und überlegt, ob ein zeitlich limitiertes Verbot der KI-Anwendung "Gesichtserkennung" helfen kann, jedenfalls bis Klarheit vorliegt, ob diese Technik nicht schädlich für eine Gesellschaft ist. Das ist natürlich nichts für einen Innenminister, der zur Krönung seines Überwachungs-Gesamtkunstwerkes die Gesichteserkennung auf 135 Bahnhöfen und 14 Flughäfen einsetzen will, ehe er als nicht mehr so junger und frischer Politiker vorzeitig aufs Altenteil geht, hartnäckig dazu so lange von Journalisten befragt, bis dem Modelleisenbahner der Modelleisenbahnerkragen platzt: "Das war jetzt der letzte Versuch, nun schweige ich."

*** Das mit dem "jung und frisch" stammt übrigens vom bayerischen Ministerpräsidenten Söder, der zur Burda-Konferenz Digital Life Design 2020 mit dieser Aussage startet: "Ich bin der festen Überzeugung, dass die Künstliche Intelligenz wie jeder technische Fortschritt in der Geschichte am Ende das Leben besser, sicherer und interessanter machen wird. Die KI wird im Rückblick vergleichbar sein mit der Erfindung der Dampfmaschine, sie wird eine Tür aufstoßen zu völlig neuen Dimensionen von Wissen und erleichtertem Leben." Besser, sicherer und interessanter, in dieser Reihenfolge. Ja, wir leben in interessanten Zeiten, in denen für die KI Leuchttürme gebaut werden, in denen massenhaft Professoren sitzen und forschen. Bayern wird nach den Vorstellungen von Söder übrigens zum "führenden" KI-Distrikt Deutschlands, einfach deswegen, weil Bayern und Kalifornien vergleichbar sind, wegen dieser Work-Life-Balance, wissens.

Was wird.

Wie die Bayern so sind auch die Briten ein ganz eigener Menschenschlag. Vor allem haben sie klare Vorstellungen, was british ist, von den Lippen über den Tee bis zu Big Ben. Zum anstehenden Austritt aus der EU, formerly known as Brexit, sollten eigentlich um Mitternacht die Glocken von Big Ben läuten. Wenigstens das ist gewiss, dass sie nicht läuten werden (können), weil die Klöppel gerade restauriert werden. Dies mal abgesehen von der Frage, wann sie zum Läuten ansetzen: Wenn es in Brüssel Mitternacht ist, sitzt der Brite noch in seinem Pub und überlegt, wieviele Pints zum Last Order gehören. Die Szene, die sich dann abspielen wird, hat Fintan O'Toole so beschrieben: "Thus the great moment of departure on 31 January will be like the last lines in Samuel Beckett’s Waiting for Godot, in which Vladimir asks: “Well, shall we go?” and Estragon answers: “Yes, let’s go.” The stage direction is: “They do not move.” Nothing will really move. The entry into a period of transition of unknown duration and the beginning of trade talks likely to be marked by tedium, indecision and a slow climbdown from grandiose promises really doesn’t ring any bells."

Immerhin kann man dazu singen, wie es die englischen Fußballfans vormachen. Weil gut Ding ohne KI seine Weile haben will, bleibt uns noch ein bisschen Zeit, die Strophen zu lernen, die zur Last Night of the EU-Comms gehören. Sie sind auf Deutsch laut Wikipedia ganz schön rummsig und splatterig.

Noch majestätischer sollst du aufsteigen, noch schrecklicher durch jeden fremden Schlag; weil das laute Krachen, das die Himmel zerreißt, nur dazu führt, deine eingeborene Eiche zu verwurzeln.

Quelle : www.heise.de
Titel: 4W: Von Souvenir-Sabotagen und anderen Katastrophen.
Beitrag von: SiLæncer am 26 Januar, 2020, 09:23
Nicht nur beim unbegrenzten Rasen zeigt sich anscheinend der deutsche Übermensch, den der Irrtum des besseren Lebens sehr ärgern würde, stichelt Hal Faber.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Das mit dem Recht auf Vergessen ist kompliziert. Kaum habe ich über den außerordenlich eleganten Webauftritt von Harry und Meghan geschrieben, da ist er schon vorbei. Zwar gibt es noch die schönen Sätze, wie beide abseits vom königlichen Hof der Monarchie dienen und das Commonwealth stärken wollen, doch weist ein wichtiges Update auf die Instagram-Erklärung der Königin hin, die derlei Arbeit für die Monarchie nicht in ihrer Familie duldet. Deswegen dürfte sussexroyal.com bald vom Netz genommen werden und der nagenden Kritik der Mäuse anheimfallen.

Geht nicht bei digitalen Inhalten? Dabei ist die hübsche Formulierung, mit der Karl Marx später die deutsche Ideologie bedachte, ganz aufschlussreich. Denn niemand anderes als der erzkapitalistische Economist hat sich daran gemacht, die Rolle von Prinz Harry und Meghan Markle mit dem Instrumentarium von Karl Marx zu erklären. "Das Bedürfnis nach einem stets ausgedehnteren Absatz für ihre Produkte jagt die Bourgeoisie über die ganze Erdkugel", verwandele das königliche Paar in eine kapitalistische Warenform und Weltmarke, kehre so den Feudalismus in sein Gegenteil um, den Kapitalismus, "global statt national, virtuell statt konkret, getrieben, in seiner unausweichlichen Logik, ständig neue Trends und Moden zu erzeugen". Das alles in dieser Form aus dem Economist abgeschrieben findet sich im Kulturteil der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". Zwei Seiten weiter dann die bewegende Klage über die geplante Urheberrechtsreform mit einem Leistungsschutzrecht, das die Verleger an den Bettelstab bringen wird, weil Google sich klaglos an den Texten bedienen kann.

*** Während rund um die Erdkugel auf königlichen Befehl hin die Bourgeoisie "Souvenir-Sabotage" betreibt und das offizielle Hochzeits-Porzellan von Harry und Meghan aus den Shops räumt, gibt es auch positive Nachrichten für die Briten: 36 Jahre, nachdem über 250 Erinnerungsstücke an Alan Turing in einem britischen Museum verschwanden, wurden sie von amerikanischen Polizeibeamten in Colorado wiedergefunden. Das Ganze passierte bereits 2018, wurde aber erst dieser Tage nach der Veröffentlichung von Gerichtsdokumenten bekannt. Besonders bizarr dabei, dass sich eine US-Amerikanerin vor den Behörden als offizielle Tochter des homosexuellen Alan Mathison Turing ausgeben konnte. Als angebliche Forscherin, die an einer Biographie von Turing arbeitete, hatte sie in Großbritannien Zugang zu einem Turing-Archiv erhalten und entwendete Unterlagen aus der Schulzeit und den königlichen Orden, der Turing für seine Arbeit als Codeknacker in Bletchley Park verliehen wurde. Um ein Haar wären die Materialien vergessen worden.

*** Nun kommt das große Erinnern doch nicht: Beim anstehenden Umbau des Bundespolizeigesetzes gab Bundesinnenminister Horst Seehofer in Zagreb bei der Konferenz der EU-Innenminister bekannt, dass die umstrittene Gesichtserkennung nicht in das Gesetz gepackt wird, an dem das Ministerium seit drei Jahren arbeitet. Er habe da noch Fragebedarf, schließlich sei automatische Gesichtserkennung "keine ganz nebensächliche Angelegenheit", wird Seehofer zitiert. Vielleicht gehört zu den Fragen die bisher nicht geklärte Frage, wie gut die drei Gesichtserkennungssysteme beim Test am Bahnhof Südkreuz eigentlich abgeschnitten haben. Bekannt ist nur die Trefferrate eines "logischen Gesamtsystems", obwohl drei verschiedene Software-Systeme zum Einsatz kamen. Weder Elbex noch Herta oder Idemia rühmen sich, beim Mitte 2018 abgeschlossenen Test so etwas wie Testsieger zu sein oder die Software für die Bahnhöfe und Flughäfen zu liefern.

*** Damit geht der Blick wieder ab auf die Insel, denn Londons Metropolitan Police will die Gesichtserkennung, geliefert von NEC Global, einführen. Auch hier sind die Zahlen kurios: Während NEC Global von einer Trefferrate um 70 Prozent ausgeht, sollen Tests der Londoner Polizei eine Fehlerkennungsrate von 98 Prozent festgestellt haben. Dennoch ist von einem fantastischen Werkzeug die Rede. Anders als am Bahnhof Südkreuz sollen Kameras, Computer und Software in Lieferwagen eingebaut werden, damit mobile Suchtrupps auf Verbrecherjagd gehen können. Der Testlauf der Metropolitan Police im Jahre 2018 wurde übrigens von Wissenschaftlern der Universität Essex begleitet und evaluiert, die schwere Bedenken äußerten, ob die Gesichtserkennung grundrechtskonform eingesetzt werden kann. GRundrEchtsKonfOrm?

*** Nach SARS im Jahre 2002 und MERS im Jahre 2012 ist ein neuer Virus aus der Familie der Coronaviren aufgetaucht. In China wurden darum ganze Städte unter Quarantäne gestellt und die Reisewelle zum dortigen Neujahrsfest ausgebremst. Das Gemisch aus drastischen Maßnahmen und unzureichenden Informationen durch die chinesischen Behörden wird kritisiert, deswegen sei daran erinnert, dass durchaus ähnliche Denkweisen auch in Europa anzutreffen waren: Mit der Entdeckung von Aids wollte man 1987 in Bayern als Teil des europäischen Hygienekreises die Kranken in "speziellen Heimen" konzentrieren. Die Panik erreichte auch die Gefängnisse, in denen Zwangstests durchgeführt werden sollten. Wer sich weigerte, sollte in Einzelhaft. Mit dem Vorschlag, die "Entartung" Homosexualität zu bekämpfen, gab es noch eins obendrauf.

*** Huch, da sind wieder einmal die Diskussionen der Foristen losgegangen, bei der Meldung, dass selbst der ADAC nicht grundsätzlich gegen ein Tempolimit auf deutschen Autobahnen ist. Die beste Reaktion muss aber noch nachgetragen werden: Hier ist hinter der Paywall vom Verrat des ADAC die Rede. Hier finden wir eine bezaubernde Aussicht: "Das Tempolimit wird kommen, so wie eine grüne Regierungsbeteiligung. Beides wird das Land nicht sicherer oder gar schöner machen, sondern öder und gleicher." Wie geistig verödet muss man sein, um das schreiben zu können? Verwirklicht sich im Rasen auf der linken Spur die Überlegenheit eines Menschen über einen anderen, während eine Geschwindigkeitsbegrenzung für alle als Gleichmacherei empfunden wird? Ganz abgesehen von dem üblichen haltlosen Gezeter über die grünen Teufel. Wie war das noch in den Känguru-Chroniken? "Ja, wir könnten jetzt was gegen den Klimawandel tun, aber wenn wir dann in 50 Jahren feststellen würden, dass sich alle Wissenschaftler doch vertan haben und es gar keine Klimaerwärmung gibt, dann hätten wir völlig ohne Grund dafür gesorgt, dass man selbst in den Städten die Luft wieder atmen kann, dass die Flüsse nicht mehr giftig sind, dass Autos weder Krach machen noch stinken und dass wir nicht mehr abhängig sind von Diktatoren und deren Ölvorkommen. Da würden wir uns schön ärgern."

Was wird.

Der Sozialdemokrat Sigmar Gabriel hielt im Jahre 2009 bei seinem Aufstieg zum Parteichef eine Rede, in der er die Delegierten dazu aufrief, dorthin zu gehen, "wo es brodelt; da, wo es manchmal riecht, gelegentlich auch stinkt". 2020 ist es soweit und Gabriel wird Aufsichtsrat der Deutschen Bank, auf Wunsch des Emirates Katar. Er ist da angekommen, wo es richtig stinkt, bei der Hausbank von Donald Trump. Er soll "als Transatlantiker" die Bank in Fragen deutsch-amerikanischer Beziehung beraten. Für den driftenden Gabriel ist es prompt eine große Ehre, die neue "nun klare Strategie" der Bank zu beraten. Vergessen seine Tiraden über die hohen Bonuszahlungen der Investmentbanker dieser Bank oder die Forderung nach Zerschlagung, "weil sie sich im Investmentbanking verzockt hat". Das waren Sätze, die zur Sozialdemokratie passten, das ist jetzt perdu, jetzt wird genossen. Vergessen die schönen Vorhaben, eine weitere Frau oder wenigstens einen Informatiker in den Aufsichtsrat zu holen, der in Sachen neue Geschäftsmodelle und der damit zusammenhängenden Digitalisierungsstrategie Durchblick hat.

Es muss das eine seltsame Weltkarte sein, auf der man Bangladesh und die Ukraine verwechseln kann, wie es US-Außenminister Mike Pompeo behauptet. Am Montag wird er bei den Feierlichkeiten zum 75. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz erwartet, danach geht es weiter in die Ukraine. Ein Interview mit Fragen zur Ukraine hat er bereits hinter sich. Es lief nicht besonders gut. Vielleicht sollte Pompeo zur Beruhigung mal Auschwitz oder Treblinka auf der Karte suchen, es wäre eine gute Vorbereitung auf das, was ihn erwartet.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. Verdammte Brexternity aber auch.
Beitrag von: SiLæncer am 02 Februar, 2020, 10:52
Got Brexit done – und nun? Manche fürchten eine lange Periode der Ungewissheit heraufziehen, die Brexternity. Aber Hal Faber weiß schon, wohin die Reise geht.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Sie sind weg, die Briten. In Brüssel wurde die kreuzbunte Flagge eingeholt. In London läuteten die Glocken von Big Ben, im Playback-Modus vom Tonband. Es ist vorbei, ist es nicht? Einige versprechen schon jetzt, bald wiederzukommen. Aus den Remainern sind über Nacht Returner geworden, während die Brexit-Fans die imperiale Größe beschwören. Ist es nicht dieses Großbritannien, das aus freien Stücken seine Kolonien in die Freiheit entlassen konnte, während Deutschland jeweils nach kriegerischen Niederlagen gezwungen wurde, seine Kolonien aufzugeben? Ausgerechnet die tageszeitung beschwört diese Selbstaufgabe und den Mut zur britischen Bescheidenheit, während man sich auf der anderen Insel namens Schweiz darüber wundert, wie das aufstrebende Indien als Ex-Kolonie bevorzugter Partner Großbritanniens werden soll. Prompt habe ich auch ein neues Wort lernen müssen, denn auf den Brexit folgt jetzt die Brexternity, eine ungewiss lange Periode der Unsicherheit, wie es weitergeht.

*** Noch sind Spuren britischer Größe vorhanden, etwa bei den Forschungsausgaben von Horizon 2020 im europäischen Vergleich, aber das wird sich legen. Pünktlich zum Austritt zeigt unsere Bundesregierung die Richtung auf dem Weg nach vorn: Brexit – Was nun? heißt die Informationsseite, die sich ganz doll ein Austrittsabkommen wünscht, damit der Ausblick nicht zu düster ist. Denn auch im europäischen Forschungsrat und im europäischen Investitionsrat haben die Briten ihre Koffer gepackt und sich verabschiedet.

*** Wohin die Reise geht, ist nicht schwer zu erraten. Ein etwas groß geratenes Singapur möchte man werden, mit guten Verbindungen zu China. Niemand anderes als Boris Johnson hat keine Probleme damit, Huawei bei 5G-Projekten zu beteiligen. Nur ein vage definierter Kernbereich der regierungsgeschäftlichen Lebensführung, wie er bereits unter Theresa May definiert wurde, soll davon ausgeschlossen werden. Welche britische Firma da tätig werden kann, ist unklar. ARM kann es wohl nicht sein, denn dort kooperiert man ja mit Huawei und macht nicht mit beim Huawei-Shaming. Was an den Berichten dran ist, die den Konzern zu einem riesigen Staatstrojaner abstempeln, wird sicher noch für weitere Nachrichten sorgen. In der Forschung, etwa bei der Fertigung von Quanten-Chips, will man ja auch mehr denn je mit China zusammenarbeiten.

*** In diesem Bereich ist Deutschland übrigens Weltspitze und will Weltspitze bleiben, deshalb gibt es seit Freitag 300 Millionen Euro Forschungsmittel für die große Quanterei. "Das Rennen um die Technologie für den Quantencomputer ist nicht gelaufen," so Forschungsministerin Anja Karliczek. Zuvor hatte bereits Bundeskanzlerin Angela Merkel am Donnerstag alle am Rennen beteiligten Parteien ermahnt, die weltspitzige deutsche Quantentechnologie rasch den Unternehmen zur Verfügung zu stellen. Was warten da für neue Geschäftszweige und Möglichkeiten, vom Entleeren dieser Bitcoins bis zum Knacken von Verschlüsselungen aller Art. Es gibt da viel zu tun, auch in anderen Ministerien, wo man jetzt bitteschön klarstellen will, wie das ist mit der Herausgabe von Passwörtern. Die Beschwichtigung ist nett, dass das neue Gesetz nur bei der Verfolgung schwerster Straftaten wie Kindesmissbrauch und Terrorismus gelten soll, wenn Missbrauchsbilder oder Anschlagspläne mit VeraCrypt und glaubhafter Abstreitbarkeit verschlüsselt sind. Dann können die Straftäter verurteilt werden, wenn nichts gefunden wurde. Wie war das nochmal mit dem Ändere-Dein-Passwort-Tag?

*** Manchmal ist das mit dem Suchen und Finden halt kompliziert. Nichts illustriert das besser als die Entscheidung des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik, passend zur Heiseshow über die eID des neuen, nunmehr bald 10 Jahre alten Personalausweises einen Referatsleiter für die Abteilung "eID-Struk­tu­ren für die Di­gi­ta­li­sie­rung" zu suchen, damit es endlich einmal Fortschritte gibt. Ein heißer Tipp für den neuen Referatsleiter: Ab auf die Insel! Nein, nicht zu den Briten, sondern zu den ebenfalls nicht der EU angehörenden Føroyar, den Färöer-Inseln. Dort wird gerade auf der Basis des von der c't getesteten Yubikey 5 eine moderne, vielfach zu nutzende eID-Infrastruktur installiert, die auch mit der europäischen eIDAS-Signaturrichtlinie konform ist. Wer abschätzig meint, so eine Lösung sei nur etwas für eine kleine Infrastruktur von 50.000 Insulanern, hat den Schuss einen Absatz früher wohl nicht gehört. Ganz nebenbei ist Talgildu ein hübsches Wort, ganz anders als unser schwerfälliger Begriff der Digitalisierung.

*** Das kleine bisschen Transparenz ist ein Artikel überschrieben, in dem ein Journalist auf einer Reise durch Georgien ist und sich über die neue Facebook-Auskunftsseite "Deine Facebook-Informationen" mal einklinkt, um zu sehen, was Facebook alles von dieser Reise mitbekommen hat. "Hunderte Apps und Logins mit Tausenden Pageviews werden auf diese Weise in das individuelle Profil integriert, um „dir relevante Werbung zu präsentieren“, wie Facebook es selber ausdrückt. Die Krone der Abschöpfung, der Homo digitalis, ist immer zum Konsum bereit, nur relevant müssen die Produkte sein. Es ist die Macht der Plattform, genau diese Relevanz, mindestens aber eine Illusion davon vermitteln zu können." Ist das so? Was jedenfalls mir an "relevanter Werbung" auf meinem Weg durch die Netze und Portale angeboten wird, ist der allerletzte Blödsinn, aber ich lasse alle Cookies nach jeder Browser-Sitzung löschen. Bei Facebook – und sicher auch bei Google und anderen – glaubt man aber fest daran und schreibt: "Dazu gehört, dass Menschen mehr davon sehen, was für sie interessant ist und mehr von den Menschen mitbekommen, mit denen sie am meisten interagieren und dass ihnen nur Werbung angezeigt wird, die für sie relevant ist."

Was wird.

An jedem verdammten ersten Sonntag superbowlt es im Fernsehen, mit dem Unterschied, dass es diesmal zu einem Duell der Alphatiere kommt. Für 10 Millionen Dollar hat US-Präsident Trump einen Werbespot gekauft, zusätzlich wird er vor dem Spiel von seinem Freund Sean Hannity von Fox News interviewt. Etwas mehr als 10 Millionen hat Michael Bloomberg für seinen Werbespot gezahlt. Bloomberg, ein Herausforderer von Trump, hat damit den Präsidenten provoziert, der früher mal meinte, dass Politik und Sport nichts miteinander zu tun haben. Damals, als Colin Kaepernick für die Francisco 49ers spielte. Wer erinnert sich noch an #BlackLivesMatter?

Zum Februar gehört auch der europäische Polizeikongress, der dieses Jahr ein kämpferisches Motto hat: "Europa: Rechtsstaat durchsetzen." Law and Order wird halt groß geschrieben, wenn es in der Einladung an Politiker und Journalisten heißt: "Das Recht durchzusetzen gilt nicht nur an den Grenzen, sondern Grenzen müssen auch im Alltag und Umgang miteinander wieder eingehalten werden." Das klingt, als ob der Rechtsstaat erodiert ist und die Polizei ganz saft- und kraft- und ratlos nur noch auf ihre Bildschirme mit der Palantir-Software starren kann, in der Hoffnung, dass diese Gefährder erkennt und Clan-Mitglieder richtig zuordnet. Auffällig ist der hohe Stellenwert, den die künstliche Intelligenz beim Polizeikongress hat. In mehreren Fachforen wird sie als Werkzeug der Polizeiarbeit behandelt, bis hin zu ethischen Aspekten mit der Frage, wie man ein ganzes Land mit einer funktionierenden Gesichtserkennung überziehen kann.

Bekanntlich stehen wichtige Gerichtsverhandlungen an. Es geht um das, was Geheimdienste wie der BND machen können. "Da ist zum einen das Bundesverfassungsgericht, das in einer zweitägigen Verhandlung schon deutlich gemacht hat, dass die alte Linie des Bundesnachrichtendienstes, wonach Ausländer 'zum Abschuss freigegeben' sind (so formulierte es ein Mann des BND im NSA-Untersuchungsausschuss), wohl keinen Bestand haben kann. Anders gelagert und doch ähnlich bemerkenswert ist ein Prozess vor dem Europäischen Gerichtshof, wo es um das anlasslose und massenhafte Sammeln von Daten durch die Geheimdienste Frankreichs, Großbritanniens und Belgiens geht. In einer Stellungnahme hat der Generalanwalt bereits gemahnt, 'Mittel und Methoden müssten den Erfordernissen des Rechtsstaats entsprechen'." Es geht um das, was der Journalist Georg Mascolo richtig als Snowdens Erbe bezeichnet – dabei ist Edward Snowden nicht tot, nur vergessen.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. Nach dem Bruch ist vor dem Bruch.
Beitrag von: SiLæncer am 09 Februar, 2020, 09:20
Bevor man Bücher verbrennt, verbietet man sie erstmal. Und bevor man nach rechts ausschert, tut man so, als hätte man von nichts gewusst, wütet Hal Faber.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Im Westen nichts Neues. Im Osten auch nicht. Bevor die Bücher verbrannt wurden, wurden sie dort verboten. 1930 wurde der Nationalsozialist Wilhelm Frick zum Innen- und Volksbildungsminister von Thüringen ernannt. Eine seiner ersten Amtshandlungen war es, den Antikriegsroman Im Westen nichts Neues für den Schulunterricht zu verbieten. So einen Roman könne unmöglich jemand geschrieben haben, der im Krieg an vorderster Front gekämpft habe. Eine Haltung, die dem beurlaubten Geschichtslehrer Björn Höcke gefallen dürfte. Seine AfD will bekanntlich das Volk bilden. Eine Bildung, von der auch diese Werte-Union in der CDU schwärmt, die mit ihrem Hans-Georg Maaßen an der Spitze den von der AfD gewählten Ministerpräsidenten Thomas Kemmerich begrüßte. Leutselig und lächelnd lief Maaßen dieser Tage auf dem europäischen Polizeikongress herum und wurde an einigen Ständen freudig empfangen. Gut möglich, dass Maaßen in die wahltaktischen Pläne der AfD eingeweiht war.

*** Die Haltung der Eintagsfliege Thomas Kemmerich dürfte Höcke und seinen Flügel dagegen kaum interessieren. Mit seiner Wahl ist der Partei ein großer Coup gelungen. Sie konnte zeigen, wie schnell Machtgier und Leichtsinn (oder war es Dummheit?) der sogenannten bürgerlichen Mitte ausgenutzt werden kann, sie konnte zeigen, wie "das System" und diese "Systemparteien" ausgetrickst werden können. Amüsiert dürften sie jetzt das Gestammel eben dieser Mitte verfolgen, die den Tabubruch zu rechtfertigen sucht. Dabei macht sie aus dem sozialdemokratisch orientierten Linken Bodo Ramelow einen SED-Nachfolgepräsidenten, den man keinesfalls die Hände schütteln und ihn wählen darf. Auf das Gebrabbel kann die AfD verweisen und wieder einmal behaupten, wie gleichgeschaltet diese Mitte doch ist. Und wenn die groteske Hufeisentheorie aufgefahren wird, können AfDler die Köpfe schütteln und darauf verweisen, dass sie doch keine Faschisten sind: Wo bitte sind die Kampfverbände, die die NSDAP von Anfang an begleiteten? Und so ein Gauforum127 wie das in Weimar wolle man auch nicht, wo jetzt so ein schönes Einkaufszentrum daraus geworden ist. Nur ein klitzekleiner Widerspruch bleibt: Da ist ein Gericht, das geurteilt hat, dass der Thüringer AfD-Chef Björn Höcke Faschist genannt werden darf, während AfD-Oberchef Alexander Gauland das anders sieht und meint, dass der Faschismus in Deutschland verboten ist.

*** Die FDP und ihr Christ-Tur-Tur Lindner hat bei der Wahl von Thomas Kemmerich zum Ministerpräsidenten gezeigt, dass sie ihre braunen Wurzeln nicht vergessen hat. Man denke an die SS-Leute August Martin Euler, Martin Derichsweiler und besonders Margarete Hütter, die nach dem Kriege die DVP und die FDP mitgründeten und 1950 dafür warben, dass deutsche Kriegsverbrecher nur noch "Kriegsverurteilte" genannt werden sollten. Man denke an die Jungen Adler der FDP, die Paramilitärisch agierten und "Saalschutz" betrieben. Man denke an die FDP-Forderung von Hermann Becher, die Reichsflagge Scharz-Weiß-Rot wieder einzuführen und seine Bezeichnung der Widerstandskämpfer des 20.Juni 1944 als "Landesverräter". Es war der junge Rechtsanwalt Gerhart Baum, der als Vorsitzender der Jungdemokraten das Ehrengerichtsverfahren gegen Becher führte, eben jener Baum, der jetzt angesichts des Schachzuges in Thüringen nur noch fassungslos ist.

*** Ja, wir haben einmal hier auf dieser Webseite des kleinen Verlags aus der norddeutschen Tiefebene vor gerade mal ein paar Jahren geschrieben, dass wir die FDP noch einmal vermissen werden. Nichts könnte falscher sein in diesen Tagen. Oder vielleicht doch nicht? Ja, diese AFDP vermissen wir keineswegs, deren Spitzenpersonal sich windet und krümmt. Die FDP, um die es uns damals ging, die FDP einer Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, eines Gerhart Baum, eines Burkhard Hirsch, ja, die vermissen wir immer noch. Glücklicherweise haben sich die Grünen ein bisschen darauf besonnen, das Feld der Bürgerrechte auch in Digitalien nicht ganz unbestellt zu lassen, nachdem die FDP ausfällt. Lange genug hat es ja gedauert.

*** Aber vielleicht war in Thüringen ja die Technologie Schuld. Nach den ersten beiden Wahlgängen brauchte es nur 10 Minuten, bis die Laserdrucker die neuen Wahlzettel mit den Namen von Bodo Ramelow, Thomas Kemmerich und Christoph Kindervater gedruckt hatten. Das ist schon arg knapp, um sich in der bürgerlichen Mitte Gedanken zu machen, wen man da wählt, wenn eine einfache Mehrheit ausreicht. Wie überhaupt das Denken in dieser Mitte Probleme macht: Eine CDU-Vorsitzende, die nach diesem Desaster fordert, dass Grüne und SPD einen der CDU genehmen Kandidaten präsentiert, hat das Prinzip der Wahl nicht wirklich verstanden. Nun, wo die Schwäche der FDP und der CDU für autoritäre Lösungen bekannt sind, kann man sich fragen, ob wir erfolgreich mit Antikörpern geimpft sind.

*** Ja, Auschwitz wurde von der Roten Armee befreit. Das darf aber kein Grund sein, auf einer Gedenkfeier Karten zu präsentieren, die dem Weltbild des russischen Präsidenten entsprechen. Er gibt bekanntermaßen den Polen die Mitschuld am Ausbruch des zweiten Weltkrieges. Ausgerechnet die Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem hat auf einem Forum zum Gedenken an Auschwitz historisch falsche Videos gezeigt und sich nun gegenüber Polen in dieser Woche dafür entschuldigt. Auf den Videos, die in Anwesenheit von Wladimir Putin gezeigt wurden, war weder die Aufteilung Polens durch Deutschland und die Sowjetunion gezeigt worden noch die Okkupationen in Westeuropa durch die Deutschen. Für eine Gedenkstätte, die so viel Wert auf die korrekte historische Aufarbeitung legt, ist der Vorgang mehr als eine "Panne".

*** Gut ist es, dass jetzt mehrere Initiativen auf das Schicksal von Julian Assange aufmerksam machen, dem in den USA ein Schauprozess droht. Was dort im Zuge der Ermittlungen gegen den CIA-Mitarbeiter Joshua Schulte ans Tageslicht kommt, ist mehr als seltsam. Schulte hatte Assange und Wiklieaks mit den Leaks Vault 7 und Vault 8 versorgt. Nun kommt heraus, dass das FBI als Ermittlungsbehörde nach der Festnahme von Schulte über ein Jahr wartete und dann die Dateien inkognito in einem Starbuck-Coffeeshop als Beweismittel "sicherte". Ein ähnlicher Umgang mit den Beweisen könnte bei der anonymen Grand Jury, die Assange wegen Spionage verurteilen möchte, gravierende Folgen haben. Unterdessen gibt es Neuigkeiten vom vergessenen Edward Snowden: Er hat seinen russischen Anwalt beauftragt, seine Aufenthaltserlaubnis zu verlängern. Bittere Ironie: Der Wikileaks-Zuträger Joshua Schulte wünschte sich für den selbstständig und auf eigenes Risiko handelnden Whistleblower Edward Snowden die Todesstrafe.

Was wird.

Die Tempomacher für vernünftige Politik in Thüringen hat es aus der Kurve getragen. Etwas verzögert hat Speed King Thomas Kemmerich seinen sofortigen Rücktritt erklärt. Der aber auf sich warten ließ, bevor es dann doch noch was wurde. Ob sich Kemmerich wie Ritchie Blackmore fühlt, über den es anlässlich des Speed Kings hieß: "Blackmore zersplitterte in nur fünfzig Sekunden die gängigen Konventionen der Beat-Ära, und machte die sechziger Jahre der Popmusik zur Historie". Aber damit ist Blackmore Unrecht getan und Kemmerich dann doch zu viel Bedeutung zugemessen. Denn wie schon erwähnt, ist es die Dummheit der sogenannten "bürgerlichen Mitte", die hier etwas zertrümmert – und zwar nicht einfach nur kulturhistorische Bedeutsamkeiten. Die nächste Wahl, auf der das viel geschmähte Volk das Sagen haben wird, findet in Hamburg in diesem Februar statt. Zur gefälligen Erinnerung sei an die Wahl des Jahres 2001 erinnert, als CDU und FDP und die Partei Rechtsstaatliche Offensive des rechten Populisten Ronald Barnabas Schill den Stadtstaat regierten. Auch damals gab es Proteste, besonders als Schill die Einwanderungspolitik für alles Mögliche verantwortlich machte. Es muss nicht immer der Vergleich mit Weimar sein.

Ich habe mich geirrt. Die Debatte über die Gesichtserkennung ist noch lange nicht vorbei, nur weil das Innenministerium einen entsprechenden Gesetzentwurf vorerst zurückgestellt hat. Vorbereitungen laufen, die Gesichtserkennung auf eine ausgeklügelte Basis zu stellen.

Da ist die Berliner Polizei, die 167.578 ihrer Datenbanken um phänotypische Merkmale erweitert hat. Da ist der BKA-Chef Holger Münch, der einen grundsätzlichen Handlungsbedarf bei der Überwachungstechnik sieht und von der "zentralen Speicherung öffentlicher Videoüberwachung" schwärmt, die in "anderen Ländern Europas" die Polizeiarbeit wesentlich beschleunige. Welche Länder das sind, ließ Münch offen. Vielleicht meinte er die Schweiz, wo man an einer Überwachungsmaschine werkelt. Womit wir wieder bei den Wahlen zur Hamburger Bürgerschaft sind.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. Niemals vergessen: 50 Millionen Tote.
Beitrag von: SiLæncer am 16 Februar, 2020, 09:50
Wer siegt, hat noch lange nicht den Frieden gewonnen. Was die, die man Ewiggestrige nennt, geflissentlich auszunutzen suchen, beklagt Hal Faber.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Jetzt diskutieren und demonstrieren sie wieder mit einem "Trauermarsch" gegen den "alliierten Bombenterror" in Dresden, ohne Coventry und Southampton zu nennen. Jetzt empören sie sich über das Verbrennen der Toten auf dem Marktplatz in Dresden, ohne das Verbrennen der Toten in Auschwitz zu nennen.

Ja, Dresden war überfüllt, im Gegensatz zu Dessau, das bei einem Bombenangriff viel stärker zerstört wurde. Die flächendeckende Bombardierung war nicht die intelligenteste Entscheidung der Alliierten. Als einer der ersten Journalisten reiste Isaac Deutscher gleich nach der Kapitulation durch das zerstörte Deutschland und schrieb den Artikel "Die Wirkung der Bombenangriffe", der am 10. November 1945 im Economist erschien. In ihm sagte er voraus, dass die Luftangriffe in den kommenden Jahren das am heftigsten diskutierte Thema der militärischen Debatte werden wird. Die Verwandlung deutscher Städte in Wüsteneien hätte dabei geholfen, den Sieg zu beschleunigen. "Sie hat es aber auch erschwert, den Frieden zu gewinnen. Man könnte sagen, dass der Beitrag des Bomberkommandos zum militärischen Sieg viel weniger entscheidend ist als das Hindernis, das dadurch für die Gewinnung des Friedens entstanden ist."

*** Die erste Stadt, die es flächendeckend traf, war Mannheim. Von einem Gedenken an die Opfer der Operation Abigail Rachel kann nicht die Rede sein, auch weil diese Stadt über ein perfektes System von Luftschutzkellern verfügte. Dort erschien am 23. April 1945, noch vor der Kapitulation und dem Kriegsende der Aufruf "Wir bauen auf." "Ganz bescheiden können wir das vorläufig nur, denn erst gilt es, Berge von Trümmern zu beseitigen, bevor wieder ein Boden gefunden wird, auf dem gebaut werden kann. Am besten fängt man damit an, den Schutt zu beseitigen, und nach einem alten Sprichwort zuerst einmal den vor seiner eigenen Tür. Damit werden wir schon fertig werden. /../ So wollen wir wieder aufbauen, zuerst ganz bescheiden, Schritt für Schritt, damit erst einmal wieder Fenster und Dach zu sind, dann werden wir weiter sehen."

*** Bescheidene Worte für einen Neuanfang, wo kurz zuvor ein erbitterter Krieger wie der Generaloberst Heinz Guderian sich vor die Auslandspresse stellte und – am 7. März 1945 – von "sowjetischen Bestien" redete und sich in Lügen flüchtete: "Ich habe selbst in der Sowjetunion gekämpft, aber nie etwas von Teufelsöfen, Gaskammern und ähnlichen Erzeugnissen einer kranken Phantasie bemerkt. Die Absicht ist unverkennbar, mit solchen offenbaren Lügen die Hassgefühle der primitiven Sowjetsoldaten aufzustacheln." Der nationalsozialistische Propagandist Hans Georg von Studnitz, der bei der Pressekonferenz anwesend war, notierte damals in seinem Tagebuch: "Der Eindruck dieser Ausführungen war kein guter. Die Welt kennt jetzt Photographien, Filme und Augenzeugenberichte über das Todeslager von Maidanek, das Todeslager Auschwitz und ähnliche Institutionen in den besetzt gewesenen Gebieten. Das deutsche Volk weiß von diesen Dingen allerdings nichts." So folgte auf eine Lüge gleich die nächste.

*** Es war Generaloberst Guderian, der als Mitglied des "Ehrenhofes" der Wehrmacht die Offiziere unehrenhaft aus der Armee entließ, die sich am gescheiterten Attentat vom 20. Juli 1944 beteiligt hatten. Damit konnten sie höchst unehrenhaft an einem Fleischerhaken erhängt werden. Aus diesen dunklen Zeiten zieht sich eine Geheimspur durch die deutsche Geschichte, denn es war ein Geheimschreiber, auf dem Claus Schenk Graf von Stauffenberg den Walküre-Befehl auf einem Lochstreifen absetzte. Das Chiffrat sollte die nachgeordneten Dienststellen des Wehrmacht dazu auffordern, alle Gestapo und SS-Dienststellen zu besetzen und die Konzentrationslager zu öffnen. Für die Verschlüsselung und Entschlüsselung war bei der Wehrmacht Erich Hüttenhain zuständig, der später im BND und der Zentralstelle für Chiffrierwesen arbeitete. Einige seiner Erkenntnisse wurden in den Chiffriermaschinen der Schweizer Crypto AG umgesetzt, etwa in den Bundeswehr-Maschinen, die die Kieler Firma Hell in Lizenz baute.

*** Damit sind wir bei den Cryptoleaks, dem Aufreger-Thema dieser Woche schlechthin, das die europäische Presse und die Washington Post beschäftigte. Aufreger-Thema? Nur wegen ein paar Tausend kompromittierter Chriffriergeräte, die weltweit im Einsatz waren und von einer Crypto AG kamen, die insgeheim dem BND und der NSA gehörte? Ach was, das ist doch ein Thema der Schweizer, sollen die sich doch darum kümmern.

Bei der Crypto AG war kurzzeitig ein Disclaimer zu finden, der auf Kriegsfuß mit der Aussagenlogik stand. Mittlerweile ist die Erklärung länger geworden, doch nicht besser. Es ist ja auch sooo lange her, das alles. Selbst die wichtigsten Bücher zum Thema wie Verschlüsselt von Res Strehle findet man nur noch im Archiv.

*** Beim BND, der mit seiner finanziellen Beteiligung von 1970 bis 1993 zusammen mit der NSA die Geschicke und die Geräte der Crypto AG bestimmte, findet sich, ähem, nichts. Zum Herunterladen steht Das Ding unter dem seltsamen Titel "Repräsentative Vorfahrt" bereit, aber sonst? Immerhin gibt es eine Stellungnahme des BND-Präsidenten Bruno Kahl in der aktuellen Ausgabe der GSZ. Es ist das übliche Gerede darüber, dass das Recht der Nachrichtendienste mit den tatsächlichen Bedrohungen Schritt halten muss und diese genau wie Kriminelle und Terroristen immer auf dem neuesten Stand der Technik arbeiten müssen. Dazu gibt es eine Erläuterung: "Dabei geht es nicht um eine Erweiterung der Kompetenzen, sondern nur um die Übertragung auf neue Medien. Ein Beispiel: Ein deutscher Gefährder bewegt sich im Ausland im Aufklärungsbereich des BND und kommuniziert verschlüsselt über sein Smartphone. Nach geltendem Recht dürfen wir nicht verdeckt sein Mobiltelefon infiltrieren, obwohl ausländische Dienste uns darauf hinweisen, dass die Person in terroristische Aktivitäten oder in den Menschenhandel verstrickt ist. Hier sollte der BND eine Rechtsgrundlage bekommen, um gemeinsam mit den anderen Sicherheitsbehörden seinen Beitrag für die Gewährleistung unserer Sicherheit effektiv und verantwortungsvoll leisten zu können." Überträgt man diese Aussage über das "Infiltrieren" in die Vergangenheit, bleibt übrig, das man effektiv die Verschlüsselung brechen konnte. Wie sagte es der damalige Kanzleramtsminister Bernd Schmidbauer: "Die Aktion Rubikon hat sicher dazu beigetragen, dass die Welt ein Stück sicherer geblieben ist."

Was wird.

Zum Ende der Woche ist ein weiteres altes Staatsgeheimnis gelüftet worden, jedenfalls ein bisschen. Der Text des Betreibervertrages zur LKW-Maut von 2002 zwischen Bundesregierung und Toll Collect ist veröffentlicht worden und dürfte in den nächsten Wochen für Diskussionen unter den Juristen sorgen. Oder auch nicht. Vielleicht bleibt es beim Schweigen der Belämmerten. Denn 15.000 Seiten mit den Anhängen fehlen, insbesondere E 1.1 zum technischen Konzept und natürlich die Anhänge, in denen die enormen Summen stehen, die Toll Collect einstreichen konnte. Das wurde dank Wikileaks bekannt, das 2009 die Anhänge veröffentlichte. 700 Millionen Euro genehmigte sich Toll Collect, bei damals (2002) geschätzten Mauteinnahmen von 3 Milliarden, dazu noch einmal 24,8 Millionen für die jährliche Wartung der Software.

Was ohne die Anhänge auch nicht funktioniert, ist die Bewertung der technischen Innovation, die im gesamten Mautsystem steckt. Daran ist auch das Schiedsgericht gescheitert, als es 2011 bewerten sollte, wie dank der Nutzung bewährter "Off-The Shelf"-Produkte das "innovativste Maut-System seiner Zeit" entstehen konnte. Zur ehrenwerten historischen Dokumentation durch "Frag den Staat" kommt noch ein aktueller Aspekt: bekanntlich fordern Grüne nach der Ausweitung der LKW-Maut auf Bundestraßen nun die Bemautung der Kommunalstraßen.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. Ein Angriff auf uns alle?
Beitrag von: SiLæncer am 23 Februar, 2020, 09:11
Wahnvorstellungen? Als ob das bei den ihr Unwesen treibenden Rechtspopulisten, Identitären und Incels etwas Ungewöhnliches wäre, schüttelt Hal Faber den Kopf.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Nein, sie haben mit der Tat rein gar nichts zu tun. Schließlich war der Mann krank und für Kranke ist die AfD nicht zuständig, sie sorgt sich ja um die Gesundheit des Volkskörpers. Bedroht wird sie zum Beispiel durch erhöhte Kohlenmonoxidwerte in Shisha-Bars, wie die AfD Celle das am Mittwoch kritisierte. Diese Bars müssen nach Meinung der Partei als Orte der Vergiftungen durch Rauch gesetzlich reguliert werden. Der letzte Satz wortwörtlich: "Derartige Kontrollen müssten viel öfter durchgeführt werden, wenn man bedenkt, was bereits in diesem einen Fall an kriminellen Machenschaften zutage gefördert wurde. Keinesfalls dürfen sich hier rechtsfreie Räume herausbilden.“

*** Am Mittwochabend gab es den "Angriff auf uns alle". Da ermordete dann ein psychisch kranker, von Wahnvorstellungen und rassistischen Überlegenheitsfantasien geplagter Mensch in Hanau Fatih, Ferhat, Gökhan, Hamza, Kalojan, Mercedes, Said, Sedat, Vili Viorel und seine Mutter Gabriele. Geht es nach dem AfD-Fraktionsvorsitzenden Alexander Gauland, soll es "schäbig" sein, die Morde von Hanau zu instrumentalisieren. Das sagt einer der Führer einer Partei, die Aufwiegelung als Geschäftsmodell betreibt und "keine Gelegenheit auslässt, Straftaten, die von Migranten begangen wurden, für ihre politischen Zwecke 'zu instrumentalisieren'. Bei Verbrechen an Menschen mit ausländischen Wurzeln aber wäscht die AfD die Hände in Unschuld." Hanau liegt in Hessen, wo die AfD im Hessischen Landtag in einer parlamentarischen Anfrage zu Shisha-Bars nach verstärkten Tabak-Kontrollen rief und die Landesregierung antwortete, dass man regelmäßig "360-Grad-Kontrollen" durchführe: Kontrolliert werden auch die Gäste.

*** Wobei: Wenn man sich auch in der AfD von manchen mitgezimmerte Verschwörungstheorien anschaut, dann sind Wahnvorstellungen der Normalfall bei Rechtspopulisten, Identitären, Incels, und wer sich sonst noch so rumtreibt dunklen Ecken des Netzes. Was wir sonst noch wissen: Hessen besitzt als eines der wenigen Bundesländer ein eigenes Terrorismus- und Extremismus-Abwehrzentrum namens HETAZ, in dem Verfassungsschutz und die Polizei zusammenarbeiten, die selbst noch 140 Beamte in einer "BAO Hessen R" (Besondere Aufbauorganisation Hessen Rechts) zusammengeführt hat. Und dann ist da ja noch die wunderbare Software von Palantir Technologies: "Wenn rechte Straftäter innerhalb Hessens umziehen, bleiben sie ohne Zeit- und Wissensverlust auf dem Radar der hessischen Polizei. Dafür haben wir auch durch unsere Analysesoftware hessenDATA gesorgt. Nun ist der Mörder nicht straffällig gewesen und auch nicht umgezogen. Er wohnte bei seinen Eltern. Aber er schrieb einen Brief an die Bundesanwaltschaft, der in weiten Teilen mit dem hinterlassenen Bekennerschreiben identisch ist, freilich ohne die später eingefügten rassistischen Passagen und Vernichtungsfantasien. Müsste nicht bei den geäußerten Wahnvorstellungen von der Beeinflussung durch Geheimdienste und den Ankündigungen eines Kampfes wenigstens überprüft werden, ob der Absender im Besitz von Waffen ist? Nein, muss nicht. Ja, dann wälzen wir es auf die Ärzte ab, dass ein Waffenschein nur mit einem ärztlichen Attest der geistigen Gesundheit ausgegeben wird.

*** Es geht noch einfacher mit den Schuldzuweisungen. Da ist ja dieses schlimme Internet, der Hort von allen möglichen Informationen: "Die Botschaft in einem der Videos von R. lautet: Vertraut nicht den „Mainstream-Medien“ und beschafft Euch 'Information'! Das ist in einem Satz die Handlungsanweisung, die in die Irre führt: Wenn für Information gehalten wird, was Wahnvorstellungen sind, und für Lüge, was um die Wahrheit bemüht ist. In der digitalen Welt ist diese verkehrte Welt zum Geschäftsmodell geworden – zum politischen, zum extremistischen, zum terroristischen. Verantwortung müssen deshalb all diejenigen übernehmen, die von diesem Geschäftsmodell leben oder profitieren." Nicht nur der verdutzte Perlentaucher fragt sich:, was den FAZ-Redakteur da gebissen hat: "Vielleicht hat er ja recht, aber muss Altenbockum dann nicht auch glauben, dass die Zeitungen an Hitler schuld waren?"

*** Bekanntlich ist gerade Karneval in Deutschland, mit lustigen Motivwagen und Büttenreden. Als Hannoveraner hat man so seine Probleme mit dieser Art zu feiern. Doch aus dieser Rede eines "Obermessdieners" möchte ich zitieren: "Die Demokratie, die werden wir schützen, eure Gesinnung wird euch nix nützen. Unsere Kinder werden nicht mehr für euch erfrieren, auf keinem Schlachtfeld mehr krepieren, und auch nicht kämpfen bis zuletzt, während ihr euch in den Führerbunker setzt. Sie vor euch zu schützen ist erste Bürgerpflicht, Mainz ist weltoffen, ihr nehmt uns die Freiheit nicht. Solltet ihr für jedes Naziopfer eine Schweigeminute gestalte, müsstet ihr 38 Jahr' lang eure Schandmäuler halte. Es war millionenfacher Völkermord, ihr braunen Wichte, und kein Vogelschiss der deutschen Geschichte. Die Morde von Hanau, die Schüsse auf die Synagoge in Halle - ob Juden, Christen, Muslime, das war ein Angriff auf alle. Wir leben hier zusammen, die Demokratie wird triumphieren, dieses Land werdet ihr niemals regieren."

*** Mit dem Regieren haben andere so ihre Probleme. Die CDU debattiert seit Tagen, wie linksextrem der ehemalige Thüringische Ministerpräsident Bodo Ramelow ist. Nun hat die Führung in Berlin entschieden, was ein Thüringer Würstchen ausmacht. Ordentlich Flagge zeigen konnte dabei Gesundheitsminister Jens Spahn, der Parteichef werden möchte. Jens, der Macher, hat diese Woche viel gemacht. Am Ende wurde sogar ein waschechter Bundeswehrgeneral in die Abteilung Gesundheitsschutz und Gesundheitssicherheit abkommandiert, der erst im Januar ein Bundeswehr-Krankenhaus befehligte. Das abkommandiert ist wörtlich zu verstehen: Generalarzt Hans-Ulrich Holtherm wird Soldat bleiben, also in Uniform für die Sicherheit unseres Gesundheitssystems kämpfen. Wie wäre es damit, bei Arvato Systems anzufangen. Dort wird die nach der CCC-Kritik gerade reparierte "sichere Lieferkette" für die Praxiskonnektoren der Ärzte mit anonymen E-Mails und der Bitte eingeleitet, doch einen Anhang mit einer Excel-Datei zu öffnen. Mal sehen, wie die neuen elektronischen Gesundheitskarten und der zugehörige PIN-Brief verschickt werden, die für die Einführung der elektronischen Patientenakte benötigt werden.

Was wird.

Am kommenden Montag beginnt in London die eigentliche Gerichtsverhandlung zur Auslieferung von Julian Assange an die USA. Nach all dem, was in den letzten Tagen bekannt wurde, müsste schnell vom Gericht entschieden werden, dass der Australier nicht ausgeliefert wird: Da gibt es einen US-Präsidenten, der allen Ernstes glaubt, über dem Gesetz zu stehen. Eine Verhandlung nach dem Code of Law ist damit nicht möglich. Da gibt es Dokumente, nach denen dem Wikileaks-Gründer eine strenge Isolationshaft droht, die er nicht überleben würde. Doch was ist an diesem Verfahren schon normal? Eine wichtige Rolle soll die Aussage von Assange aus dem Jahre 2016 spielen, derzufolge der Hack des Mailsystems der Demokraten nicht durch Russland erfolgte. Für diese Aussage sollte ihm Pardon gewährt werden. Dazu wollen Assanges Verteidiger einen Zeugen präsentieren. Nun hat Assange 2016 ja erklärt, dass Russland nicht beteiligt war, also müsste das Pardon greifen. Doch das verweist wiederum auf den US-Präsidenten als höchsten Richter, mit einem neuen Geheimdienstkoordinator der, so es gewünscht wird, neue geheime Anklagen vorbereiten dürfte.

Hätte Assange am 27. September 2010 nicht fluchtartig Schweden verlassen, sähe die Sache jetzt sicher anders aus. Doch hätte, hätte, diese Fahrkette hat kein Ende. Da gibt es keine bleibenden Werte, wie die Fotos zeigen: Andy Müller-Maguhn, der treueste Besucher von Assange in der Botschaft von Ecuador, fehlt ebenso wie die mutige Sarah Harrison oder die preisgekrönte Dokumentarfilmerin Laura Poitras.

Nennen wir es die erdabgewandte Seite der Geschichte.

Quelle : www.heise.de
Titel: 4W: Von schlimmen Zeichen und schlimmen Zeiten.
Beitrag von: SiLæncer am 01 März, 2020, 08:51
Panik! Panik! Panik? Ach nee, doch nicht. Die Zeiten sind schlimm genug, da reicht das normale Entsetzen völlig aus, meint Hal Faber.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Die Planeten lügen nicht, die Aussichten sind düster: Der Merkur ist rückläufig, das ist ein ganz, ganz böses Omen. Schreckliches passiert deshalb in der virenverseuchten Welt: Keine Tourismusmesse in Berlin, nur die Bundesliga reimt sich auf Corona und ist damit sicher. Die Fechter lassen ihre Säbel fallen und wir fühlen uns ganz wie in einem schlechten Film. Oder in einem guten Computerspiel.

*** Ach, könnten wir doch wie Prinz Prospero mit tausend netten Menschen in die stille Abgeschiedenheit einer befestigten Abtei und dem roten Tod entkommen, über den Edgar Allen Poe schrieb. "Und nun erkannte man die Gegenwart des Roten Todes. Er war gekommen wie ein Dieb in der Nacht. Und einer nach dem andern sanken die Festgenossen in den blutbetauten Hallen ihrer Lust zu Boden und starben – ein jeder in der verzerrten Lage, in der er verzweifelnd niedergefallen war. Und das Leben in der Ebenholzuhr erlosch mit dem Leben des letzten der Fröhlichen. Und die Gluten in den Kupferpfannen verglommen. Und unbeschränkt herrschte über alles mit Finsternis und Verwesung der Rote Tod."

*** Ach und oh, hätten wir doch wenigstens die magischen Kräfte eines Mike Pence, der das Coronavirus nur anzustarren braucht, damit es verschwindet. Doch die Zeichen stehen schlecht und die Märkte stöhnen und jammern, schreibt die FAZ. Nur die taz hat da noch den Durchblick: "Wer auf Aktien-Prickeln aus ist und Geld übrig hat, kann gerne zocken. Für alle anderen gilt: Vorsicht ist die Mutter der Coronakiste."

*** Dabei haben Sterndeuter, Wahrsager und Quacksalber schon lange die Zeichen gesehen, die von einem großen Unheil kündeten. Wie heißt es noch in den Prophezeiungen des Nostradamus, in den Centuren II, Nummer 46 mit einem klaren Hinweis auf den großen Beweger Trump, im Original der große Motor genannt, der die Pest bringt:
Nach dem großen menschlichen Zwist, folgt noch Schlimmeres. Der große Regent (Beweger) erneuert die Jahrhunderte. Regen, Blut, Milch, Hunger, Feuer und Seuchen, Am Himmel, Feuer zu sehen, fliegen lange Funken.
Apres grâd troche humain plus grâd s'appreste Le grand moteur les siecles renouuelle: Pluye sang, laict, famine, fer & peste, Au ciel veu feu, courant longue estincelle.
Auch in unseren Tagen haben sich die Zeichen gezeigt, die gar schlimme Zeiten angekündigten. Flackerte da nicht Beteigeuze, die rechte Lunge im Sternbild Orion? Und war da nicht dieser schreckliche Moment, als die heilende Quelle aus der Öl spendenden Bibel versiegte da in Dalton, der Stadt mit 94 Kirchen und 33 Tausend Einwohnern? Wo sie doch die Visionen von Trump hatten, der mit göttlichen Beistand allen Kugeln und Viren trotzt. Schließlich sind die USA eines der Länder, in denen es kaum "paid sick leave" gibt, was bedeutet, dass man krank auf der Arbeit erscheint.

*** Ja, verglichen mit dem großen Motor Trump sind unsere Politiker von einem anderen Kaliber. Sie geben zu, nicht alles zu wissen und verhindern zu können und bekommen so von unverhoffter Seite Lob: So geht Demokratie, so kommt Vertrauen in die Politik zurück, verkündet die taz. Ein erstaunliches, ein verblüffendes Urteil über den größten Digitalisierungs-Minister aller Zeiten, der dieser Tage mit seinem Patientendaten-Schutzgesetz den Datenschutz von Patientendaten aushebelt. Denn was steht da im "Kleingedruckten": Die elektronische Patientenakte kommt 2021, das Sperren von Daten durch den mündigen Patienten frühestens 2022.

*** Bleiben wir bei diesem Datum: Bei dem Tempo, mit dem sich die britische Anhörung zur Auslieferung von Julian Assange entwickelt, dürfte 2022 ein realistisches Endziel sein. Im Mai oder Juni geht es weiter, bis zum Jahresende. Dann gibt es noch zwei weitere Instanzen nach dem britischen Recht und dann ist da noch der europäische Gerichtshof, der eingeschaltet werden könnte, obwohl Großbritannien gerade von Europa weg driftet. Bis dahin gibt es anrührende Reportagen, aber auch kritische Nachfragen zur Dramatisierung des Falles. Die wirklich wichtige Frage, warum Assange über die gesamte Zeit in einem ihn offenbar deprimierenden Gefängnis bleiben muss und nicht in einer gesünderen Umgebung leben kann, wird nicht gestellt. Ein Aufruf zu seiner sofortigen Freilassung hatte viele prominente Unterzeichner, die durchaus (noch einmal) die Kaution stellen können. Doch ist die Anhörung selbst schon seltsam genug: Ein für die USA auftretender Anwalt kann behaupten, dass Assange durch Veröffentlichungen bei Wikileaks Menschenleben riskiert habe, muss dies aber nicht beweisen. Und die Gegenseite macht eine Buchveröffentlichung von Journalisten für diesen Dammbruch verantwortlich. Vielleicht wird man ja herausfinden, dass der US-Anklage genau 6 Tage Jabber-Material fehlen und auf dieser Basis urteilen.

*** Er war einer der jungen brillanten Mathematiker, die im zweiten Weltkrieg für die britische Luftwaffe Rechenmodelle entwickelte, wie man möglichst effektiv Bombenteppiche über deutsche Städte legte, eine Matheaufgabe, für die er sich Zeit seines Lebens schämte. Ein Thema, das auch diese Wochenschau und meine Leser beschäftigte. Nun ist der Mathematiker und Physiker Freeman Dyson im Alter von 96 Jahren nach einem Unfall in der Cafeteria der Princeton University gestorben. Der nach Amerika ausgewanderte Brite schrieb mit dem Beweis der Äquivalenz der Feynmannschen Quantenelektrodynamik einen der berühmtesten mathematisch-physikalischen Aufsätze. Die Idee zu dem Beweis kam ihm, wie er schrieb, als er mit dem Greyhound-Bus durch die USA tourte.

*** Freeman Dyson hatte viele manchmal richtig abgefahrene Ideen: Als selbst erklärter Umweltschützer wollte er spezielle genetisch modifizierte Carbon-Bäume züchten, die effektiv die Luft säuberten. Mit seinem Sohn George versuchte er, in einem Baumhaus abseits der Zivilisation zu überleben. Als Weltraumpionier untersuchte er zunächst den Nuklearantrieb von Großraketen im Orion-Projekt und schlug dann vor, die Menschheit müsste sich in ausgehöhlten Kometen auf die Reise zu anderen Sternensystemen machen. Intelligentes Leben vermutete er auf Planeten, bei denen weit fortgeschrittene Zivilisationen mit einer selbst gebauten Schutzhülle ihren gesamten Energiebedarf von der jeweiligen Sonne bezogen. Seine letzte wissenschaftliche Veröffentlichung schrieb er im Alter von 88 Jahren über das Gefangenendilemma, seine Autobiographie "Maker of Patterns: An Autobiography Through Letters" schrieb er mit 95 basierend auf den Briefwechseln mit seinen Kindern Esther und George Dyson. "Wenn wir ins Universum hinausblicken und erkennen, wie viele Zufälle in Physik und Astronomie zu unserem Wohle zusammengearbeitet haben, dann scheint es fast, als habe das Universum in gewissem Sinne gewusst, dass wir kommen."

*** Aber natürlich gibt es in diesen schlimmen Zeiten auch gute Zeichen. Dass "There is no evil", ein Film unter anderem darüber, was autoritäre Regime mit den Menschen machen, den Goldenen Bären auf der 70. Berlinale gewonnen hat, ist ein solches. Auch an alle diejenigen hierzulande, die meinen, sich in die guten alten Zeiten zurücksehnen zu müssen.

Was wird.

Wohin wir auch kommen, wir leben jedenfalls in interessanten Zeiten. Mit einem Grundsatzurteil hat das Bundesverfassungsgericht die Menschenwürde gestärkt und mit dem Recht des Menschen auf selbstbestimmtes Sterben erweitert. Das ist ein großer Schritt für eine Gesellschaft, die sich frei macht von christlichen Frömmeleien und jenen Verboten, die Selbstmord mit dem Leben in der Hölle bestraften. Das Recht auf selbstbestimmtes Sterben ist als Akt autonomer Selbstbestimmung nicht auf das sichtbare Lebensende begrenzt. Die Hilfe soll nicht durch Ärzte erfolgen, sondern durch Sterbehilfe-Vereine. Deshalb müssen jetzt Mindeststandards für die Suizidhilfe beschlossen werden, damit kein Schindluder getrieben wird mit dem Exitus.

Ob in Deutschland ein neues Kapitel kollektiver Ethik geschrieben wird, ist noch nicht auszumachen, doch mit dem selbstbestimmten Sterben ist etwas in Gang gekommen, das über das Gerede von abend- und morgenländischen Werten und Religionen hinausgeht. Vielleicht kann man sich mit dieser erlangten Freiheit dem mörderischen Kapitel der Euthanasie widmen, so kurz vor all den Gedenkfeiern zum Todestag von Anne Frank.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. Ein Virus kommt selten allein.
Beitrag von: SiLæncer am 08 März, 2020, 09:35
Dass die Besten jung sterben, ist auch so ein Quatsch-Satz, der nicht verschwinden will, grummelt Hal Faber, der wieder trauert. Und das nicht wegen Viren.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Absagen über Absagen, soweit die Viren tragen. Manche Veranstaltungen wie die Hub.Berlin werden um ein Jahr verschoben, andere in den Sommer verlegt, weil der Virus Hitze nicht mag. So wird der CeBIT-Nachfolger Twenty2x im Juni darüber befinden, wie die digitale Zukunft des Mittelstandes aussieht.

Geschäftsreisen fallen aus und werden durch Videokonferenzen ersetzt, deren große Stunde bei der Digitalisierung des Ruhestandes schlägt: Weil der Besuch in Altersheimen und Wohnstiften die dort lebenden Menschen besonders gefährdet, wird das Skypen zum wichtigsten Kommunikationsmittel für Omas und Opas. Mit Hilfe von Googles Hangout und Slack haben sie bei Twitter eine Vollversammlung abgehalten, die erfolgreich verlaufen sein soll. Glückliche USA, die ein Naturtalent als Präsidenten haben, was das Verständnis von Viren anbelangt. Fehlt nur noch, dass er seine Golfclubs als Quarantänestationen bezeichnet, auf denen sich die amerikanischen Oligarchen vor der drohenden Epidemie zurückziehen können.

*** Für die Armen ist die notwendige Quarantäne eine harsche ökonomische Bedrohung. Insofern ist die Aktion von Microsoft erwähnenswert, auch an die wenig verdienenden Mitarbeiter zu denken, die in der Infrastruktur des Unternehmens arbeiten und ohne Arbeit leer ausgehen würden. Ohnehin wird das Coronavirus zum Lackmustest für eine solidarische Gesellschaft. Auch bei SAP im saarländischen Sankt Ingbert, wo die Zentrale und die Kantine schließen musste, gibt es ähnliche Maßnahmen, obwohl das deutsche Arbeitsrecht in diesen Fällen ganz anders gestaltet ist.

*** Was nicht ausfällt oder abgesagt wird, sind Bundesligaspiele. Selbst im Rheinland neben der "Virus-Hauptstadt" Heinsberg geht es weiter, obwohl der oberste Aufklärer der Nation davor gewarnt und eine Absage des Spiels gefordert hat. In Deutschland wird gekickt, basta, in Deutschland haben Fläschchen mit Desinfektionsmitteln sogar Stadionverbot und werden von den Ordnern in den Müll geworfen. Der Deutsche Fußballmännerbund (nur 1 Frau im Vorstand, soviel zum Frauentag heute) postiert sich gegen den Antihoppismus, von einer Ansteckungsgefahr durch ein Virus an der frischen Luft will er nichts wissen. The Show must go on sang schon Freddie Mercury, bevor ein Virus seinem Leben ein Ende setzte.

*** "Auch wen das Entsetzen packt vor Informationstechnologien und ihren Möglichkeiten, unsere Lebensformen von Grund auf zu ändern, die Entfremdung des Menschen von sich und seinesgleichen voranzutreiben – der sollte im Kampf um Kontrollen nicht resignieren. Nichts wäre gefährlicher, als wenn eine ganze Generation die konkreten Kämpfe um Datenkontrolle nicht mehr wahrnimmt, weil sie eh glaubt, nur der völlige Ausstieg verspreche Hilfe, und weil sie schon nicht mehr unterscheidet zwischen dem, der mit Computern umzugehen gelernt hat, um ihre Anwendungen zu kontrollieren -- oder dem, der über den Gaukeleien des technisch Möglichen sich selbst, seine Umwelt und die demokratische Verfassung dieses Landes vergisst."
Das schrieb Freimut Duve im August 1982 im Vorwort von "Schöne elektronische Welt", einem Buch aus seiner rororo-aktuell Reihe "Technologie und Politik". Mit dieser Reihe beeinflusste Duve so manche Debatte, sie begann mit der "Kritik des Industriesystems", fragte nach der "Zukunft der Arbeit", nach dem Zusammenhang von "Energie und Arbeitsplätze", mehrfach nach alternativen Energien und diskutierte ein "Leben ohne Vollbeschäftigung" mit einem Grundeinkommen. Im besagten Computerbuch von 1982 kamen Kritiker wie Joseph Weizenbaum zu Worte, aber auch Befürworter wie das legendäre Kollektiv Wuseltronick, das Wumm und Wuwickel erfand. Nun ist Freimut Duve im Alter von 83 Jahren gestorben.

*** Ach, und als wär das alles nicht genug, ist auch wieder einer der Großen der Musik von uns gegangen. McCoy Tyner war wohl einer der wichtigsten Pianisten des Jazz. Wegweisend sein Spiel in John Coltranes legendärem Quartett, mit dem Coltrane mit McCoy Tyner, Jimmy Garrison und Elvin Jones legendäre Aufnahmen wie "A Love Supreme" produzierte, die ganz nah an die Grenze zum Free Jazz heranrückten, die dann Coltrane mit "Ascension" und ebenfalls unter Mitwirkung von Tyner, Garrison und Jones (unter anderen) überschritt. Aber auch Solo oder im eigenen Trio hatte Tyner immer wieder richtungsweisendes zu Gehör zu bringen.

*** Nun gut, es mag Wichtigeres als Musik geben, auch wenn sie mir schon als unverzichtbarer Bestandteil meines Lebens erscheint. Aber es gibt natürlich daneben einiges zu bedenken, um es mal so vorsichtig zu formulieren: "Es gibt die private wie staatliche Sucht nach Erfassung von Personendaten, zwecklos, ziellos. Noch stehen ihr die Sehnsucht nach Lebensformen entgegen, ohne den Verfall der Identität, ohne die Aushöhlung der Demokratie. Noch! Dieser Band zeigt, wie das Netz an Informationstechnologien den Menschen zu ändern vermag. Die große elektronische Entpolitisierung der Bürger könnte die Demokratie wirksamer beschädigen als die Kompetenzüberschreitung der Exekutive: Plötzlich könnte es solche Menschen nicht mehr geben, die aufbegehren, wenn sie überwacht werden."
Wie das mit der Aushöhlung der Demokratie im Jahr 2020 aussieht, wurde dieser Tage wieder einmal deutlich. Da plant der Westdeutsche (!) Rundfunk für den kommenden Mittwoch eine Talkshow in Erfurt und lädt Suleman Malik ein, der sich dort für den Bau einer Moschee engagiert. Kurze Zeit später erfolgt die Ausladung von Malik, damit der AfD-Poltiker Tino Chrupalla bei Maischberger zu Worte kommen kann. Das wohl aus Gründen der Aktualität, denn Chrupalla passierte das Schlimmste, was einem Alternativdeutschen widerfahren kann: Sein Auto brannte aus, mutmaßlich infolge einer Brandstiftung. So wird, nur kurz nach den Morden von Hanau, die Demokratie gerempelt, mit einer AfD, die über Hanau im Bundestag lästert. Moderatorin Maischberger mag ein Vorbild für die Sprachgemeinschaft sein, doch ihr Satz dazu ist ein verrenktes Eingeständnis der Hilflosigkeit angesichts einer Partei, die diese Demokratie erklärtermaßen vorführen will: "Vertreter der AfD generell nicht mehr einladen zu wollen, lässt sich in unserer Demokratie nicht begründen."

*** Die Woche begann übrigens mit dem 14. Integrationsgipfel der Bundesregierung, auf der NAPI verabschiedet wurde, mal ein anderes Akronym. Es steht für Phase I des "Nationalen Aktionsplan Integration" mit dem leicht irreführenden Hashtag #VieleChancen, der an die Fußballerei erinnert. Die 20,8 Millionen Bürger mit Migrationshintergrund können nicht gemeint sein, sie erfahren vielfältige Formen der Ausgrenzung. Bundeskanzlerin Angela Merkel sprach den schönen Satz: "Wir sind alle Gesellschaft." Ex-Fotomodell Sara Nuru, mit ihren Mikrokrediten für Frauen in Äthiopien ist sie Star der heutigen Frauen-taz, beeindruckt mit Sätzen, die weit über einen Aktionsplan hinausreichen: "Wohin gehöre ich? Bin ich Deutsche oder Afrikanerin? Gerade Menschen mit Migrationshintergrund müssen sich ständig solchen Fragen stellen. Doch muss ich mich entscheiden?" Und in Griechenland gibt es eine Grenze, an der die Nächsten warten.

Was wird.

Ist einmal der Virus eingedämmt und das Toilettenpapier wieder im Überfluss zu haben, leben wir gesund und munter weiter. Mit der Gesundheitskarte, die mächtig aufgepeppt wird. Auch die Patientenakte, die mit all den Akten-Apps der Krankenkassen kommt, ist mit dabei, ein Segen, den 250.000 Mitglieder der TK bereits heute genießen. Andere haben es noch besser. Da ist z.B. die Hanseatische Krankenkasse, die die Versorgung ihrer Versicherten auf eine Service-App umgestellt hat. Was man sich zuvor herunterladen und ausdrucken konnte, wird jetzt über das moderne Kundenzentrum besorgt. Aus der Anfrage von besorgten Versicherten ist ein Thread entstanden, der die Bevölkerung verunsichern könnte. Darf man so mit Gesundheitsdaten umgehen? Man darf.

In den nächsten Tagen wird viel von der strukturellen IT-Krise die Rede sein, die Deutschland wie ein Coronavirus befallen hat. Man merkt es schon an den Artikeln über die heroischen Hacker, die Firmen helfen, ihre verkorkste IT-Infrastruktur abzusichern. Was das alles mit unserer Gesundheit/Krankheit zu tun hat, ist ganz einfach: Minister Jens Spahn hat die guten Hacker eingeladen, das nunmehr ihm unterstehende Projekt auf Herz und Nieren zu prüfen. Diese fühlten sich am Kopf gestoßen. Es geht voran, sangen einstmals die Fehlfarben. Tralala.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. Hamstert Hölderlin!
Beitrag von: SiLæncer am 15 März, 2020, 08:58
Ja, diese Ausländer, jetzt kommen sie schon als Viren über die Grenze! Es gibt nichts Dummes, was manche Leute nicht in die Welt setzen würden, klagt Hal Faber.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** "Wir hatten in jenen Tagen nicht so etwas wie gedruckte Zeitungen, um Gerüchte zu verbreiten und über Dinge zu berichten, damit sie durch Erfindungen der Menschheit verbessert werden konnten, wie es der Fall ist, seit ich lebe." So beginnt der zweite Absatz der großen Reportage von Daniel Defoe über die Große Pest von London. Das Tagebuch der Pest, wie es im großen Internet Archive verwahrt wird, ist ein Lehrstück über den Wert von Nachrichten, über die Geschwindigkeit der Nachrichtenproduktion und die Rolle der aufgeklärten Obrigkeit bei der Verhängung von Quarantäne. Defoe arbeitete 1720 als Journalist in London, wo er nach der Aufhebung der Pressezensur im Jahre 1690 eine lesehungriges, sehr gut informiertes Publikum hatte, das seine Artikel schätzte. Er reagierte auf seine Weise auf die Nachricht, dass in Marseille die Pest ausgebrochen war und schrieb zahlreiche Artikel, in denen er den "Quarantine Act" der britischen Regierung verteidigte. England sollte geschützt werden, in dem allen Schiffen das Einlaufen in Häfen untersagt wurde, die aus Ländern kamen, in denen die Pest gemeldet worden war. Damit diese Maßnahme greifen konnte, mussten die Nachrichten schneller als die Schiffe die Insel erreichen und in der Zeitung schnellstens und weitreichend verbreitet werden. Der Journalist Defoe beließ es nicht dabei, für die Quarantäne zu werben und vor der Pest zu warnen. Eine Serie von Artikeln "Due Preparations for the Plague, as well for Soul and Body" folgten, in denen Ratschläge für das Lüften von Wohnungen gibt. Auch den guten Rat, große Ansammlungen zu vermeiden, kann man bei Defoe finden.

** Mit seinem Tagebuch der Pest greift Daniel Defoe zu einem Trick. Als Daniel Foe war er zur Zeit der große Pest als Kleinkind aufs Land gebracht worden und so schreibt er als Henry Foe seine Reportage von der Pest, als sei er mittendrin gewesen im großen Sterben. Der Seuchen-Reporter wollte mit der detailfreudigen Schilderung der Pest seine Leser vor der trügerischen Gewissheit warnen, man sei gerüstet, der Pest zu entgehen. Ein Staat mag robust genug sein, drastische Maßnahmen wie die Quarantäne zu verhängen, doch richtig antifragil kann er nicht sein. Es ist kein Zufall, wenn das Frontispiz von Hobbes' Leviathan eine leere Stadt zeigt, in der nur zwei Pestärzte mit ihren Schnabelmasken vor einer Kirche zu sehen sind. Staatliche Politik ist immer Biopolitik. In diesen Tagen merkt man es nicht nur am britischen Sonderweg, über den ein Daniel Defoe sicher entsetzt wäre. Aus Furcht vor einer angenommenen "Müdigkeit" der Bevölkerung setzt man dort auf die Wirkung einer künftigen Herdenimmunität, frei nach der Erkenntnis von Lems Roman Der Schnupfen: ""Solche Dinge passieren eben auf unserer Welt. Die Menschheit hat sich so vermehrt und verdichtet, dass atomare Gesetze sie zu lenken beginnen."

*** Man merkt die Biopolitik auch daran, wie über die erfolgreiche Coronavirus-Bekämpfung in Taiwan berichtet wird, nämlich fast gar nicht. Dabei gehörte Taiwan im Jahr 2003 zu den am schwersten betroffenen Ländern, als der SARS-Virus das Land erreichte. Gleich drei zentrale Behörden wurden gegründet, die am 31. Dezember sofort ihre Arbeit aufnahmen. Die positiv getesteten Personen wurden übrigens über ihre Mobiltelefone ständig überwacht, ob sie die Quarantäne-Auflagen einhielten, sofern sie nicht in Krankenhäuser verlegt wurden. Stattdessen gibt es Lobeshymnen auf das Festland. Dort, wo das Virus herstammen soll, leben offenbar komische Tiere und noch komischere Menschen. Eine solche Betrachtung ist beliebt, doch schwachsinnig, denn sie verkennt, welchen Einfluss der Mensch und seine Umweltpolitik auf die Habitate hat. Man muss halt alles im Kontext sehen. Und erkennen, dass es auch eine soziale Ansteckung gibt, mit einer Historie, die Entstehung von Krankheiten noch unter ganz anderen Aspekten verdeutlicht.

*** Wir sind eine Welt in einer von Menschen gemachten Welt, das kann man als Antwort auf den scheidenden Donald Trump schon singen, der den Unsinn von einem "ausländischen Virus" in Kameras brabbelte. Vielleicht klingt es nicht ganz so schön wie die Gesänge der Menschen in Italien, aber eben echt. Oder wie wäre es mit dem klassischen deutschen Durchhaltelied schlechthin, wie es nach Forschungen von Musikwissenschaftlern tief im kollektiven Bürgergedächtnis verankert sein soll? Das kann doch einen Seemann nicht erschüttern soll angeblich die Nummer 1 sein. Keine Angst, Rosemarie, was in der Welt passiert, ist alles halb so schlimm, auch wenn die nächste Whisky-Bar geschlossen hat. Ja, harte Sachen taugen nicht nur zur Desinfektion, sondern sind nötig, wenn eine Mehrheit der Bürger glaubt, mit der Lockerung des Datenschutzes und einer Ausweitung der Vorratsdatenspeicherung den Virus bekämpfen zu können. Dazu passt es, es, wenn Gesundheitspolitiker wie Karl Lauterbach oder Jens Spahn umstandslos von Gefährdern oder Gefährdungslagen sprechen.

Was wird.

Vor nunmehr 80 Jahren begannen die ersten "Bomben" damit, die verschlüsselten Funksprüche der deutschen Wehrmacht zu entschlüsseln. Das klappte nach einigen Verbesserungen und half dabei, den Krieg abzukürzen. Ob man so weit bis zur Aussage gehen kann, das ohne die Entschlüsselungen die Atombombe auf Deutschland gefallen wäre, ist eine schwierige Frage, die sich bei der Vorbereitung der Feiern zum 75. Jahrestag des Kriegsendes stellt – falls überhaupt im Mai gefeiert werden kann. Eigentlich sollte der Jahrestag der Befreiung vom Nationalsozialismus mit Großveranstaltungen am Feiertag begangen werden, die allesamt noch in den Veranstaltungskalendern aufgeführt sind, während Megatreffen wie die re:publica bereits verschoben sind. Nun lässt sich ein historischer Feiertag nicht so einfach in den Sommer hinein verschieben wie eine Versammlung schwitzender Netizens, doch stellt sich die Frage, was passieren soll und dem Tag angemessen ist. Nur in Russland stellt sie sich nicht, denn dort ist die größte Militärparade alle Zeiten unter dem ewigen Putin geplant. Mit aktuell 47 Infizierten und keinem Todesfall steht man bestens da – in der Statistik.

In Quarantäne lässt es sich bekanntlich mit guten Büchern aushalten, wie es #bücherhamstern ja beweist.

Mit vielen Terminen in Laufen, Tübingen und Marbach gehört auch Hölderlins 250. Geburtstag am kommenden Freitag zu den ausgefallenen Jahrestagen. Traurig klirren die Fahnen, und die Gedichte werden auf Facebook gestreamt.

"Du räumst dem Staate denn doch zu viel Gewalt ein. Er darf nicht fordern, was er nicht erzwingen kann. Was aber die Liebe giebt und der Geist, das lässt sich nicht erzwingen. Das lass’ er unangetastet, oder man nehme sein Gesez und schlag’ es an den Pranger! Beim Himmel! der weiss nicht, was er sündigt, der den Staat zur Sittenschule machen will. Immerhin hat das den Staat zur Hölle gemacht, dass ihn der Mensch zu seinem Himmel machen wollte.
Dann, wann die Lieblingin der Zeit, die jüngste, schönste Tochter der Zeit, die neue Kirche, hervorgehn wird aus diesen beflekten veralteten Formen, wann das erwachte Gefühl des Göttlichen dem Menschen seine Gottheit, und seiner Brust die schöne Jugend wiederbringen wird, wann - ich kann sie nicht verkünden, denn ich ahne sie kaum, aber sie kömmt gewiss, gewiss. Der Tod ist ein Bote des Lebens, und dass wir jezt schlafen in unsern Krankenhäusern, diess zeugt vom nahen gesunden Erwachen. Dann, dann erst sind wir, dann ist das Element der Geister gefunden!"

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. Eine Verschwörung kommt selten allein.
Beitrag von: SiLæncer am 22 März, 2020, 10:21
Zonen der Unbestimmtheit? Der große Verdacht: ein automatischer Reflex, nicht nur von Verschwörungstheoretikern, die fröhliche Urständ feiern, zetert Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Was unterscheidet eine Ausgangssperre von der Schaffung einer Zone der Unbestimmtheit? In einer solchen Zone leben wir jetzt, wenn man dem italienischen Philosophen Giorgio Agamben glaubt, der eine sich ausweitende Zone der Rechtlosigkeit inmitten eines formal gültigen Rechtssystems sieht. Er sieht ein wölfisches System, in dem es nur noch um das nackte Überleben geht, das je nach Land eine teure Sache ist: In den USA soll ein nicht versicherter Mensch nach seiner Genesung 34.927,43 Dollar für die Behandlung zahlen. Für seine Sätze erntet Agamben heftige Kritik von seinem Genossen Slavoj Žižek, der die reflexhafte Reaktion von Linken kritisiert, hinter jedem Ausnahmezustand eine Reaktion "der Machthaber" zu sehen, denen die soziale Kontrolle entgleitet. Leider haben beide Großdenker die durchaus vernünftige Fernsehansprache unserer Bundeskanzlerin nicht gesehen, die einige Worte zur Demokratie in Zeiten der Corona-Krise parat hatte, freilich ohne das Wort von der Ausgangssperre in den Mund zu nehmen. Dafür wurde wiederum Merkel in Deutschland kritisiert, im Ausland dort gelobt, wo man nur das Gelaber von Trump zum "Chinese Virus" kennt und seine ärztlichen Ratschläge für seriös hält.

*** So leben wir in Zeiten, in denen wir – auch das ist Merkelisch – "soziale Distanz" von einer Tapirlänge halten sollen, womit eigentlich eine räumliche Distanz gemeint ist. Denn sozial sollen wir ja mehr denn je zusammenhalten; und das vor wenigen Wochen noch oft allzu häufig gehörte Gejammer über die schlimmen Jugendlichen, die sich nur noch virtuell treffen, ist gänzlich verstummt. Außerdem sollen wir und nicht einfach ein Auto aufbrechen, wenn ein paar Rollen Toilettenpapier auf dem Rücksitz liegen. Wir leben in Zeiten, in denen wir uns sorgfältig informieren sollen, in denen aber die Infodemie fröhliche Urständ feiert. Man könnte meinen, dass die Menschheit nichts aus der furchtbaren Toilettenpapierkrise von 1973 gelernt hat.

*** Die fröhliche Wiederauferstehung der Gerüchteküche begleitet diese kleine Wochenschau, in dem sie sich heute dem großen F widmet, dem F wie Fake News und den Ferschwörungstheorien. Da gibt es bekannte V-Theoretiker wie Alex Jones, die große Verschwörungen kennen und gleichzeitig die von ihnen vertriebene Zahnpasta preisen, die den Coronavirus aus dem Rachen spült. Die Fake News starten mit Orson Welles, der Bilder seiner Lebensgefährtin Oja Kodar mit denen von Raumschiffen verschnitt, die 1956 im Science-Fiction-Film "Fliegende Untertassen greifen an" ("Earth vs. the Flying Saucers") das erste Mal auf der Leinwand auftauchten. Bekanntlich inszenierte Orson Welles 1938 das Hörspiel War of the Worlds im US-amerikanischen Radio, was dazu führte, dass Marsianer das Hörspiel mithörten und sich schleunigst auf den Weg machten, um die Erde zu überfallen. In Spaced Invaders kehren die Marsianer am Ende heim, aber das ist ja auch nur ein Film.

*** Womit wir doch wieder bei der Ausgangssperre sind, denn die gab es vor 125 Jahren nicht, als ein historisches Ereignis stattfand: Am 22. März 1895 wurde die erste Publikums-Projektion eines Films gezeigt, "Das Tor der Lumière-Fabrik in Lyon". Bis zum ersten Science-Fiction-Film Reise zum Mond dauerte es noch etwas.

*** Auffallend viele Verschwörungstheorien haben damit zu tun, dass die Außerirdischen längst unter uns leben, seien sie nun Marsianer oder die dreiäugigen Lebewesen vom Sirius. Diese sollen nach einer V-Theorie zunächst fischartig in unserem Gewässern gelebt haben, ehe sie sich mit dem Stamm Benjamin der Israeliten paarten und so das Geschlecht der Merowinger bildeten, das bis heute die Welt regiert. Das behauptete jedenfalls Gérard de Sède in seinen Büchern über Rennes-le-Chateau und die Maria-Magdalena-Kirche. Heute sind diese geheimen Herrscher, die die Welt regieren, als Bilderberger bekannt. Ihre wichtigste Aufgabe ist die Desinformation über eine zweite Erde, die Gegenerde, die genau hinter der Sonne steht. In einer anderen Variante ist unsere olle Erde hohl und wird von vier Meter hohen Siriussen bewohnt, die vegetarisch leben. Sicher kommt bald eine Variante der Verschwörungstheorie, die COVID-19 als Bestandteil der Herrschaft dieser Wesen aufgreift.

*** Es geht freilich auch ganz ohne Aliens. Man denke nur an die Testreihen und Experimente im Gefängnis von Holmesburg, über die etliche Theorien im Umlauf sind, an die Operation Sea-Spray in der Bucht von San Francisco oder an die Malaria-Studie von 1940, die im Nürnberger Ärzteprozess eine Rolle spielte. Über all diese Vorfälle gibt es Verschwörungstheorien, auch zu den Einsätzen chemischer und biologischer Waffen im Korea- und Vietnamkrieg, um von laufenden Kriegen ganz zu schweigen.

*** Das Konzept der technologischen Souveränität ist in dieser kleinen Wochenschau des Öfteren ein Thema gewesen. Zeit also, mal das Konzept der Entsouveränisierung vorzustellen, das der V-Theoretiker Buckminster Fuller als Desovereignization entwickelte. Seiner Ansicht nach kontrollieren die geheimen Großen Piraten seit der Bronzezeit, was auf der Erde passiert. Dank des bald die ganze Welt umspannenden Internet, so befand Fuller kurz vor seinem Tod im Jahre 1983, übernehmen die Computer die Kontrolle. Die Großen Piraten können nicht mehr regieren, weil die Macht in das Internet als dezentralisierte Gehirn der Menschen übergeht, mit schnellen algorithmischen Entscheidungsprozessen und mit direkter elektronischer Demokratie. Seine Zukunftsvision unserer Gegenwart:
"Nie zuvor waren die Ungerechtigkeiten und die Wucht einer gedankenlosen Geldmacht so offensichtlich für eine solch gewaltig große Menge gebildeter, kompetenter und konstruktiv denkender Menschen auf der ganzen Welt. Bald wird ein kritischer Moment erreicht sein, in dem die Intuition der verantwortungsgeleiteten Mehrheit, im Gegensatz zu zornigen Maschinenstürmern und rächenden Robin Hoods, angesichts einer umfassenden funktionalen Diskontinuität des nationalen techno-ökonomischen Systems nach weltweiter Reorientierung unserer planetarischen Affären ruft und diese durchsetzt."

Was wird.

Doch wer Visionen hat, benötigt bekanntlich einen Arzt. Nichts ist passiert von dem, was Fuller sich erhoffte und erträumte. Wir leben bekanntlich in Neuland, einer Gegend, die uns sehr vertraut ist, in der es aber unendlich viel zu entdecken gilt. In diesem Neuland kann man twittern, aber auch schwafeln: "Die Grenzen zwischen digitaler und analoger Realität lösen sich in der Digitalität immer mehr auf, Verhaltensmuster aus der Netzwelt formen unser Miteinander." Das ist Thema einer Ausstellung im Frankfurter Museum für Kommunikation, die am Mittwoch beginnt und wegen der Corona-Pandemie nur in einer digitalen Sneak-Preview betreten werden kann. So klickt man sich auf der Couch oder im Home-Office durch eine "netzpolitische Steppe" bis hin zum "Big Data Jungle" und kichert erschröcklich über die "gewaltsame Revolution, die vertraute Werte und Normen durcheinanderwirbelt." So was aber auch.

Was ist eigentlich noch nicht abgesagt in der realen Welt, die auf die Betten in den Intensivstationen schaut und auf die platte Kurve hofft, bis sich eine gewisse Immunität gebildet hat? Genau, die olympischen Spiele soll es geben, drüben in Japan. Daran hält das IOC fest, als wäre Japan auf der Gegenerde.

Es geht um das viele gute Geld, um Medienrechte und Sponsorengelder, nicht um den Spocht und schon gar nicht um die Athleten, die eigentlich jetzt trainieren müssten auf den verbotenen Sportplätzen. Die Flamme ist in Tokio angekommen und brennt, freut sich Thomas Bach und faselt davon, dass man nicht den "Traum der Athleten" zerstören dürfe. Die nächsten Spiele finden dann in Italien statt, wo ganz andere Träume platzen.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. Vom neuen Überwachungsstaat.
Beitrag von: SiLæncer am 29 März, 2020, 10:48
Die Geschichtsschreibung der Historiker in tausend Jahren über die Coronakrise würde Hal Faber gerne lesen. Vielleicht, aber nur vielleicht brächte sie Trost.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Eine Krise ist immer auch eine Chance, doch diesmal haben wir sie verpasst, und das auch noch im großen Stil: Derzeit macht ein Bild der Nachrichtenagentur dpa die Runde, dass den "Macher" Heiko Maas vor einer Wandtafel zeigt, über der Uhren die Zeiten in verschiedenen Zonen der Erde anzeigen. Auf der Tafel sind alle Länder aufgeführt, in denen sich noch deutsche Bürger aufhalten, von 36.000 in Ägypten bis 80 in der Republik Togo. Was fehlt, ist eine Tafel mit Zahlen zu den Menschen, die an Europas Grenzen festhängen. Sollte sich dort das Coronavirus im großen Stil verbreiten, so wird man den Außen- und Rückführungsminister Maas fragen können, warum keine Hilfe erfolgte. So ist die Situation pervers verdreht: Sein Ministerium warnt dringend vor Reisen in den Iran, während die Bundesregierung Privatjets chartert, um abgelehnte Asylbewerber dorthin zu fliegen. In Tausenden von Jahren ist es vielleicht egal, wenn von der Coronakrise nur eine vage Erzählung übrig geblieben ist, wie die Aussätzigen an der Grenze des Reiches lebten und dann in ein anderes Land mit neuen Göttern zogen. Doch heute ist es ein anderes Signal, wie Europa sich abschottet. Dazu kommt noch das finanzielle Äquivalent von "Schotten dicht": Die reichen Länder wie Deutschland lehnen die Eurobonds ab, die Ländern wie Italien helfen können, wieder Tritt zu fassen. Es ist ein Trauerspiel.

*** Was sich noch in der Krise zeigt, kann man in der hübschen Grafik finden, die vom tazgezwitscher über Twitter verbreitet wurde. Den deutschen Föderalismus in Ehren zu halten, das haben die Bundesländer mit ihren Verordnungen und Allgemeinverfügungen doch großartig geschafft. Meckpomm und das Saarland schreiben 2 Meter Mindestabstand vor, woanders reichen 1,5 Meter. In Sachsen und Bayern ist alles verboten und mit Bußgeld verknüpft, nur seinen Personalausweis, den darf man zu Hause lassen. In Berlin muss er mitgeführt werden, allerdings wird hier auch der Presseausweis akzeptiert bzw. reicht offenbar aus, um aus "triftigem Grund" draußen zu sein. Das Sitzen auf der Parkbank ist untersagt, nur kurzzeitiges Pausieren ist erlaubt. Zur sozialen Distanz ist besonders in Bayern die soziale Isolation gekommen, denn "Kontakte zu Menschen außerhalb des eigenen Hausstandes" müssen auf ein absolut nötiges Minimum reduziert werden. Der Staat mischt sich jetzt ein in das, was früher einmal privat war. Nur in Hamburg wird die Sache mit dem Lebenspartner noch etwas lockerer gesehen. Dort darf man sich in "Begleitung der Personen, die in derselben Wohnung leben" draußen sehen lassen und kann "mit einer weiteren Person, die nicht in derselben Wohnung lebt", ein Treffen verabreden.

*** Viel ist in diesen Tagen darüber diskutiert worden, was im neuen Überwachungsstaat im Jahr 1 n.Cor. mit den Telefondaten passieren darf. Bekanntlich lehnte die Justizministerin die Handyortung ab, während andere Politiker den digitalen Handschlag verfolgen wollen, weil er dank der Standortdaten Infektionsketten abbilden könnte. Was den dabei diskutierten Datenschutz anbelangt, so ist er selbst in den Augen von Datenschützern nachrangig "weil man so Aufschluss bekommt, ob und wie sich Bewegungsströme der Gesellschaft mit den Eindämmungsmaßnahmen verändern". Noch umfassender argumentieren IT-Fachleute auf der moralischen Ebene, wenn sie im Datenschutz ein ausgesprochen niederes Gut gegenüber dem Schutz des Lebens sehen. Wahrscheinlich sehen nur die kritischen Juristen die Probleme, die sich im neuen Überwachungsstaat mit seinen ausgeweiteten Befugnissen und Verboten ergeben, während die parlamentarische Demokratie in Quarantäne geschickt wird. Irgendwo muss ja die Vorstellung herkommen, dass an den Grundrechten so ein handlicher Kippschalter angebracht ist, mit dem sie ein- und ausgeschaltet werden können. Der Rest ist schon Geschichte.

*** Was aus dieser Argumentationskette mit den Daten von Infektionsketten folgen kann, zeigt sich in Großbritannien. Dort, wo statt Klopapier die Eier knapp geworden sind, weil Kartons fehlen, geht es mit einer ganz besonderen Informationskette weiter. Dort steht die mit ihrer formidablen Überwachungstechnik werbende Firma Palantir bereit, zusammen mit Amazon und Microsoft die eingehenden Anrufe beim medizinischen Dienst NHS auch inhaltlich auszuwerten und mit weiteren Daten zu verknüpfen. Mit dabei ist Faculty AI, die Firma, die mit künstlicher Intelligenz nach terroristischen Inhalten im Internet sucht. Ob alle Daten dabei helfen, den maroden und ziemlich unvorbereiteten NHS besser durch die Krise zu steuern, wird sich zeigen. Der Vergleich mit dem staatlichen Gesundheitssystem im Stadtstaat Singapur ist absurd, obwohl dort das Gesundheitssystem zunächst ganz nach britischem Vorbild aufgebaut wurde. Mit Medisave, Medishield, Eldershield und Medifund hat Singapur längst drei zusätzliche Sicherungssysteme, in die Beschäftigte wie Rentner einzahlen müssen. Und was wäre eine asiatische Antwort ohne den passenden Song? Die vielzitierte App TraceTogether, die Personen in Quarantäne dazu zwingt, Bildbeweise von ihrem Aufenthalt in der Wohnung zu schicken, ist wissenschaftlich untersucht worden. Das Fazit: Der Schutz von Daten der Anwender vor anderweitiger Nutzung ist zwar gegeben, doch der staatliche Zugriff auf diese Daten kennt keine Grenzen. Du aber räumst dem Staat zuviel Macht ein, das war mal Hölderlin. Heute sind wir weiter.

*** In London, wo der politische Emigrant und Kapitalismus-Erforscher Karl Marx nur knapp einer Cholera-Epidemie entkam, muss Wikileaks-Gründer Julian Assange weiterhin im Gefängnis Belmarsh auf den Fortgang seines Auslieferungsverfahrens warten. Unter der Woche gab es nur eine kurze Verhandlung zu organisatorischen Fragen, bei der sein Anwalt einen Antrag auf GPS-überwachten Hausarrest stellte, abgesichert durch eine Kaution. Begründet war der Antrag mit der Gefahr, dass sich in Belmarsh der Coronavirus verbreiten und den gesundheitlich angeschlagenen Australier bedrohen könnte. Die Richterin lehnte den Antrag unter Verweis auf Assanges Flucht im Jahre 2012 ab und sprach davon, dass Belmarsh virenfrei sei. So liegt es jetzt am erkranken Premierminister Boris Johnson, einen Schlussstrich unter die Farce zu ziehen: Wer glaubt, dass Mitte Mai das Verfahren regulär mit der Befragung ausländischer Zeugen weitergehen kann, glaubt sicher auch an die Wunderwirkung blauer M&Ms. Möglicherweise kommt es zu einer Situation wie mit der "Corona-Regel" von deutschen Gerichten: Bei uns können ab sofort Hauptverhandlungen für 3 Monate statt für 3 Wochen ausgesetzt werden. Dann dürfte die Causa Assange frühestens im September verhandelt werden.

Was wird.

Wie seinerzeit vor und nach der Geburt von Jesus Christus wird sich die Welt in vor und nach dem Coronavirus aufteilen. Man denke nur an die Debatten über die heute Nacht anstehende Umstellung auf die Sommerzeit, mit allen kleinen Aufregern – und vergleiche das mit der Debatte über die "Lockerung der Corona-Regeln". Nein, dieser Ausnahmezustand geht nicht einfach vorüber, denn der neue Überwachungsstaat will erst einmal all seine Instrumente testen. Bald werden wir netflixbetäubt die ersten Filme nach Corona sehen, so wie wir heute bereits etwas fremdelnd Geschichten anschauen, in denen Leute sich umarmen und quatschend zusammenstehen. Wo man sich mit "machs gut" verabschiedete statt mit diesem "Bleiben Sie gesund".

Die schlappe Summe von 1 Milliarde US-Dollar soll der US-Konzern General Motors am Donnerstag vorab von der US-amerikanischen Regierung verlangt haben, ehe er in Kooperation mit Ventec Life Systems die Produktion von Beatmungsgeräten der Marke Vocsm aufnimmt. Auf diese Art der Vorkasse muss US-Präsident Donald Trump gereizt reagiert haben und so erklärte er, dass beide Firmen unter das Kriegswirtschaftsgesetz fallen und damit das aus 700 Einzelteilen bestehende Gerät massenhaft produzieren müssen. Anschließend ließ er sich als der Chef-Durchblicker in der Coronakrise feiern, was sicher ein Fake ist, denn nur Christian "ChucK" Lindner weiß über alles Bescheid, was jetzt zu tun ist.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. Von guten Leben in faktischer Quarantäne.
Beitrag von: SiLæncer am 05 April, 2020, 08:30
#WasKommtDanach, das wird der Hashtag des Jahers, befürchtet Hal Faber. Wobei: Die drängenden Fragen unserer Zukunft haben sich doch gar nicht verändert?

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Uns geht es gut. Vor dem Bildschirm haben wir schon immer gesessen, daran hat sich nichts verändert. Jetzt sitzen wir halt noch mehr davor und lesen in den Zeitungen, die in der Coronakrise ihre Zahlschranken abgebaut haben, von der Denkschlampigkeit der 68er und dem kommenden Vorsorgestaat, der "nach Corona" als neuer europäischer Staat aufgebaut werden muss. Das jedenfalls meint Joschka Fischer, der alte Jogger. Immerhin: "DieFrageist:Waskommtdanach" hat das Zeug zu einem Hashtag. Denn das, was in härterer Form als die einer Pandemie kommt, ist der Klimawandel. Da reicht es nicht aus mit den 1,50 Metern Sozialdistanzabstand. Mit seinem Buch "Willkommen im 21. Jahrhundert" weist Fischer auf Deutschlands Verantwortung für Europas Aufbruch hin und lässt keinen Zweifel daran, dass die digitale Souveränität eine zentrale Frage ist. "Unser virtuelles Leben wird eine sehr starke Dominanz bekommen. Die Frage ist: Wer beherrscht uns, wer verfügt über unsere Daten? China oder die USA oder wir selbst, Europa? Das ist keine Technikfrage, sondern die zentrale Frage der Freiheit im 21. Jahrhundert."

*** Uns geht es gut, wir können zu Hause bleiben, während die anderen raus müssen zur Arbeit und noch andere zur Arbeit rein sollen in dieses unsere Land, in dem die Würde des Spargels unantastbar ist. Diese zu retten, ist Aufgabe von 40.000 Menschen, die eingeflogen werden und in "faktischer Quarantäne bei gleichzeitiger Arbeitsmöglichkeit" leben müssen. Dazu werden zur Rettung anderer Gemüsearten im April und Mai jeweils 10.000 inländisch lebende Menschen gepackt, die nichts zu tun haben im Home-Office und denen es eben nicht besonders gut geht. Sie kommen "aus dem großen Potenzial der Personengruppen" mit schlechter Work-Life-Balance. "Arbeitslose, Studierende, Asylbewerber, Kurzarbeiter", listet die Pressemitteilung des Innenministeriums auf und spricht bei diesem schnellen Entscheid von einer guten Lösung. Auf die viel beredete europäische Lösung für die Flüchtlinge warten wir noch immer, das kleine bisschen Vernunft will sich nicht einstellen.

*** Unser Leben in Corona-Zeiten spielt sich unter der Regie von R0 ab. Das ist die Basisreproduktionszahl des Virus, die angibt, wie viele Personen ein infizierter Mensch wiederum ansteckt. Damit sich hier etwas bessert, werden überall Tracking-Apps entwickelt, die die Kontakte eines Smartphone-Besitzers analysieren können. Die einen Apps machen das mehr, die anderen weniger Datenschutz-affin, die einen zur freiwilligen Nutzung, die anderen zum Datensammeln hinter dem Rücken der Smartphone-Benutzer. Israels Geheimdienst Shin Bet holt sich die Daten direkt von den Mobilfunkbetreibern, was Fachleute für wenig sinnvoll halten. Da hilft dann nur der Glauben, wenn die beiden Oberrabbiner Israels an die Ultraorthodoxen appellierten: "Lasst eure Handys am Schabbat an!" titelt die Frankfurter Allgemeine Zeitung hinter ihrer Paywall zur Lage in Israel.

*** Viel Lob gab es für das in der letzten Wochenschau erwähnte TraceTogether, das in Singapur entwickelt wurde. Die App verfolgte vor allem, ob die Regeln für die Quarantäne eingehalten wurden. Sie sollte auch über Infektionen informieren, doch jetzt zeigt sich, dass eine App alleine nicht ausreicht: Auch Singapur geht in den Lockdown, weil es unbekannte Infektionsketten gibt, die nicht von einer App erfasst werden. Der nächste Ansatz kommt natürlich von Google und setzt voll auf Big Data. Die Daten für Deutschland sind auf der Ebene der Bundesländer aufgeschlüsselt.

*** Die Debatte, ob es so etwas wie anonymisierte Informationsflüsse geben kann, die in der aktuellen Situation helfen, steht erst am Anfang. Es gibt durchaus Stimmen von Datenschützern, die dramatisch vor einer Corona-Falle warnen, während IT-Fachleute Möglichkeiten sehen, Gesundheit und Privatsphäre unter einen Hut zu bringen. Wieder andere sehen das nicht, weil die Smartphones über eine Vielzahl von Kanälen kommunizieren, von denen etliche zur Aufhebung der Privatheit führen können.

*** Dann gibt es da noch ganz andere Stimmen, etwa die der Finanzwelt. Da wird eine Datenkrake wie Palantir für ihre uneigennützigen Angebote gelobt und für die Zukunft nach Corona statt vom "preemptive policing" von der präemptiven Pandemiebekämpfung geschwärmt. Wobei die Zukunftsforscher sich schon 2002 mit der neuen Pest beschäftigten und lakonisch feststellten "Frühindikatoren: keine". Das war bei der alten Pest nicht anders, wie Pest auf Sendung zeigt.

*** Doch bleiben wir noch ein bisschen bei Palantir und der vorausblickenden Polizeiarbeit. Weitab von den Corona-Nachrichten hat sich Holger Münch, der Chef des Bundeskriminalamtes, dieser Tage zu Worte gemeldet und klargestellt, dass der Attentäter von Hanau nach Ansicht der Ermittler ein Rechtsextremist war. Einer, der an einem Schießtraining in der Slowakei teilnahm und sicher auch an einem ähnlichen Training in Güstrow interessiert gewesen wäre. So warten wir gespannt auf den vollständigen BKA-Abschlussbericht nach den ersten fehlerhaften Berichten über den Bericht. Schließlich gilt es auch zu klären, warum das Palantir-Supertool Hessendata bei der Analyse nicht das "Manifest" des späteren Mörders fand. Eine Erklärung wäre, dass Hessendata derzeit überhaupt nicht im Wirkbetrieb arbeitet.

Was wird.

Der "zornige Sozialrealist" Bill Withers ist gestorben. Sein Lean on Me wird uns bleiben, ebenso sein Lied vom ausbleibenden Sonnenschein und sein Lied über die Sommernächte in Harlem. Musik wird gebraucht, erst recht vor Ostern, wenn man drinnen bleiben muss. Ja, gestern war alles anders. Aber auch heute noch kann eine Familie ihren Spaß haben und muss nicht ständig Scrabble spielen.

Plötzlich ist die Entschleunigung da. "Meine Welt ist räumlich und zeitlich sehr eingeschränkt auf den unmittelbaren Nahbereich: Ich kann nicht weit weggehen und nicht weit in die Zukunft planen. Ich nenne das eine radikale Weltreichweitenverkürzung. Und dann öffnet man sich wieder in einen Modus, den ich als Resonanzmodus beschreibe, nämlich: hören, wahrnehmen und antworten, ohne auf etwas Bestimmtes hinauszuwollen, ohne optimieren zu müssen", beschreibt es der Soziologe Hartmut Rosa. Möge es so kommen. Nicht jeder sieht das so. In einem fröhlichen Interview erklärt ein Psychoanalytiker das Geraune von Urängsten und Ursprüngen für großen Quatsch. Sein Blick in die Zukunft ist ein Blick auf die Zeit, in der HIV wütete, "Safer Sex" propagiert wurde und die Schwulenbewegung die "Avantgarde eines vernünftigen Präventionsbewusstseins" wurde und dann verbürgerlichte.

"Damit wiederum ist eine Verbürgerlichung der Schwulenbewegung befördert worden, die inzwischen die Forderung 'Ehe für alle' zu einer Maxime des gesunden Menschenverstands gemacht hat. Das ist aber nicht die kausale Folge dieser Pandemie, sondern ein überaus erstaunlicher Effekt, den niemand hätte vorhersehen können. Es ist nicht 'das Gute', das Aids hervorgebracht hat." Wer in dieser Richtung weiter denkt, wird kurz oder lang sich fragen müssen, wie die Zeit nach dem Virus gestaltet wird. Was passiert, wenn die Überlebenden von COVID-19, die andere nicht mehr anstecken können, andere Reiserechte, Arbeits- und Grundrechte bekommen als die Nicht-Immunen, die sich gedulden müssen, bis ein Impfstoff gefunden ist? Die Antwort auf all diese Fragen ist nicht 42.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. Das Heiseberg-Protokoll.
Beitrag von: SiLæncer am 19 April, 2020, 09:22
Was ist schon Alltag. Nichts Gemeinsames jedenfalls, hält Hal Faber fest, wenn es um die Verbreitung von PR einer- und Wissen andererseits geht.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** "Es wird uns zwar, so wie anderen Zeitungs=Schreibern, nicht möglich sein, die Weltbegebenheiten früher anzuzeigen, als sie geschehen sind; oder, als sie auswärtige Zeitungen der Welt berichten. Aber doch haben wir Anstalten getroffen, vermittels der besten Französischen, Englischen, Italienischen, Holländisch= und Deutschen Zeitungen, und auch durch zuverlässige Privat=Correspondenz die Nachrichten immer so bald zu erhalten, und in unsere Zeitungen einzurücken, als es andere von unseren Nachbarn thun können." (Zum Start der Zürcher Zeitung am 17.1.1780)
Ich bin ein Journalist. Manche Leser sehen das anders und finden dafür rohe Worte, die ich an dieser Stelle nicht wiedergeben werde. Selbst wenn sie gekocht sind, sind sie immer noch ungenießbar. Also habe ich im Kästlein des deutschen Kulturschatzes nach einem passenden Zitat gewühlt und bin bei Christian Friedrich Daniel Schubart fündig geworden: "Unter allen kriechenden Kreaturen des Erdbodens ist der Zeitungsschreiber die kriechendste." Schubart mag heute nur als Komponist und Dichter noch in Erinnerung sein, doch auch er war Journalist und wurde für eine Serie kritischer Artikel in der "Deutschen Chronik" 10 Jahre lang auf der Festung Hohenasperg weggeschlossen.

*** Das Geschäft des Journalisten ist die Verbreitung von neuen Informationen, definiert als das Gegenteil von Unkenntnis. Das Geschäft ist immerhin so kompliziert, dass es nicht von Maschinen oder diesen Social Bots betrieben werden kann, von denen manche Forscher schwärmen. Aber es gibt ja eine andere Spielart, mit Informationen umzugehen. Sie nennt sich Public Relations, systematisiert und perfektioniert von Edward Bernays, einem Neffen von Sigmund Freud und begründet von Ivy Lee. Dessen Grundsatz verfolgt Journalisten bis heute: "This is not a secret press bureau. All our work is done in the open. We aim to supply news." Was Lee und Bernays unter "News" verstanden, ist mehr als die Verbreitung von neuen Informationen, sondern die Verbreitung von Informationen im Sinne eines Auftraggebers. Etwa einem Kunden wie der mächtigen American Tobacco Company, der Edward Bernays half, die Marke Lucky Strike zu popularisieren. Ganz öffentlich wurde da die "Tobacco Society for Voice Culture" gegründet, die den wissenschaftlichen Nachweis führte, dass die Stimmen rauchender Sänger und Sängerinnnen besser klangen. In den Statuten der Society stand ebenso offen und klar: "Our ultimate goal is a smoking teacher for every singer."

*** Das bringt die kleine Wochenschau in die Gegenwart, in der eine PR-Agentur namens Storymachine agiert. Sie begleitete mit dem #heinsbergprotokoll offen und unbekümmert eine wissenschaftliche Studie, suchte davor Sponsoren für ihre PR-Arbeit und fand auch welche. Offen und ehrlich der Anspruch, "Wissen" zu verbreiten, mit dem ein "Weg zurück zur Normalität" gefunden werden kann, in der viele Geschäfte und Büros wieder geöffnet sind. Verbreitet werden sollte die "prinzipielle Erzählung", die da lautete: "Wissenschaft und Fakten geben uns die Hoffnung und die Möglichkeit, wieder als Gesellschaft zu funktionieren.". Als Gesellschaft funktionieren, so ist das wunderbar an dem Punkt vorbei, dass die Wirtschaft wieder funktionieren soll. Für Feinheiten ist @hbergprotokoll da, so als Kanal in den sozialen Medien ein Gewässer, das Tempo machen soll: "Je schneller wir erste Erkenntnisse teilen können, desto eher kehren wir in unseren gewohnten Alltag zurück."

*** Im journalistischen Alltag kommen dann die üblichen Zahlen, Daten, Fakten und zur Steigerung der Spannung ein Schuft vor, der Böses dabei denkt. Denn viel Böses ist ja nicht passiert. Das Firmen wie die Depot-Handelskette PR-Arbeit unterstützen, die beste Argumente liefert, die Läden wieder zu öffnen, ist doch die "verantwortungsvolle Normalität", die ein Politiker wie Armin Laschet sich wünscht. Sicher dürfte sich die Storymachine freuen, wenn sie mit dieser Arbeit wieder bei der Wahl zur PR-Agentur des Jahres dabei ist. Ein kleiner Aufreger könnte vielleicht in der Information stecken, dass man auch bei der Atlantikbrücke angefragt hatte, ob man ein paar Rubel zur Unterstützung rollen lassen möchte. Schließlich steht die deutsch-amerikanische Freundschaft auf dem Spiel! Bang warten wir auf Trumps Schlachtruf "Liberate Germany!", denn irgendwie ist es schon ärgerlich, wie ein Merkel-Video zur Reproduktionsrate des Virus mit lakonischen englischen Untertiteln die Kanzlerin deutlich besser aussehen lässt als alle anderen Politiker. Dabei geben sich auch US-Forscher Mühe mit ihren Tabellen.

*** Wer in diesen Wochen liest, was Medienforscher über den Journalismus im Zeichen des Coronavirus schreibt, landet bei den Kriechtieren von Schubart. Durch die Bank weg wird behauptet und gemäkelt, dass alle Journalisten Versager sind.. Das "Systemversagen des Journalismus" beginnt mit dem Vorwurf des kritiklosen Umganges mit Zahlen und Statistiken und geht bis zum Vorwurf, mit der Übermacht der Bilder zu spielen, wenn wieder einmal eine Blockchain-basierte Sau durchs Dorf getrieben wird. Ganz schlimm wird es, wenn in der Abwägung über diese Corona-App mit Contra und Pro der Vorwurf aufkommt, dass Journalisten die Einschränkung der Grundrechte keiner Erwähnung wert ist? Zentral, dezentral, lokal, anal, alles das Gleiche? War er noch bis vor kurzem als KI-Urgestein unterwegs, dann im Digitalrat der Bundesregierung, ist Hans-Christian Boos nun der Tracing-App-Star sondergleichen, der sich für Deutschland eine zentrale Server-Lösung vorstellen kann. Man muss es klar und deutlich sagen: Es sind solche Entwickler, denen die Grundrechte egal sind – und "die Medien". Nachdem sich die ETH Zürich und die EPF Lausanne aus der PEPP-PT-Allianz zurückgezogen haben, kam auch ein bislang nicht bestätigter Tweet, dass das CISPA der Helmholtz-Gesellschaft die Reißleine zieht. Aber vielleicht gibt es da "draußen" eine PR-Agentur, die schon an der Erfolgsgeschichte bastelt. Der Solutionismus der Digitalpropheten (nicht nur) aus dem Silicon Valley ist allemal für eine geile PR-Story gut.

Was wird.

Im Zeichen des Coronavirus gibt es traurige Nachrichten. Eine ist die vom Tod des Mathematikers John Horton Conway, dem zahllose Programmierer von kleinen Frickelkisten durchwachte Nächte verdanken, als sie das Spiel des Lebens in ihre Brot- oder Sonstwas-Kästen pfriemelten. Der schönste Nachruf auf Conway findet sich übrigens bei xkcd und zeigt, wo die Grenzen des Journalismus liegen. Conway wurde vor Jahren auf der längst verblichenen Computermesse Comdex von Stephen Wolfram als sein Vorbild ausgerufen, was kein Wunder war, da Wolfram damals keine Software wie Mathematica vorstellte, sondern sein Buch A New Kind of Science. Das passte nicht ganz zur Verkaufsshow, störte aber wenige. Nun hat sich Stephen Wolfram in dieser Woche wieder mit einem sehr anspruchsvollen Beitrag zu Worte gemeldet. Überall in der Welt werden viele Menschen das Virus zum Teufel wünschen und sich lieber ausführlich mit der Behauptung beschäftigen, dass die alles umfassende Universalformel gefunden werden kann, auf die 42 die Antwort ist. Wolframs Physik-Projekt startete nach seinen Angaben im Jahre 1965 und soll nun all die losen Enden der Ideen zusammenfügen, die Albert Einstein und Bernhard Riemann aufgeschrieben haben.

So ist es etwa schade, dass zum Ende dieser kleinen Wochenschau nicht das lustige Skype-Interview stehen kann, das von der Süddeutschen Zeitung geführt wurde. Unter Riemannschen Himmeln leben wir da, sagt Kluge, was ein ganz großartiges Bild im Kopf erzeugt, bevor er sich an der Paywall eine Beule holt. Aber da gibt es noch den Perlentaucher: "Ich glaube schon, dass unser Verhältnis zur Natur einigermaßen gestört ist. Es geht nicht nur um die Verteilung der Güter in der Welt. Wenn alle Schutzmasken in China produziert werden und alle Medikamente in Indien, dann haben wir ein konkretes Problem, dann fangen wir wieder mit der Naturalwirtschaft an und produzieren in den Nähereien der Stadttheater Gesichtsmasken."

Das sind jetzt 57 Worte und nach den Worten von Helga Trüpel, einer Politikerin der Grünen, eine schwere Urheberrechtsverletzung. Das wiederum entnommen aus einem Artikel, in dem sie Julia Reda vorwirft, die Corona-Krise zu benutzen, um gegen Urheber-Interessen zu verstoßen und Urheber in Dreck und Asche zu schleifen. Als Journalist ist man übrigens Urheber und Ausheber und Verheber und ... History Repeating.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. Nach dem Lysol-Moment der Geschichte.
Beitrag von: SiLæncer am 26 April, 2020, 08:39
Auch in den aktuellen Debatten wünscht man sich oft, jemand würfe Hirn vom Himmel, barmt Hal Faber. Bei machen hilfts aber nicht, sie wissen es eh schon besser.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Da hat er sich das Maul zerrissen, der Orangene. Als solche Äußerung kannten schon die alten Griechen den Sarkasmus, mit dem der US-Präsident hochgradigen Unsinn über Desinfektions- und Bleichmittel vor versammelter Presse erzählte. Bemerkenswert dabei, dass in der deutschen wie der englischen Wikipedia Sarkasmus als eine sprachliche Äußerung beschrieben wird, bei der die beiden Hirnhälften zusammenarbeiten müssen, um den Sarkasmus zum Klingen zu bringen. Sarkastisch könnte man sagen, dass so etwas bei Donald Trump gar nicht funktionieren kann. Was aber ist dann die Erklärung der anwesenden Ärztin Deborah Birx? "Wenn der Präsident neue Informationen erhält, denkt er gern laut über sie nach und spricht mit sich selbst in einer Art Dialog. Das war also ein Dialog. Ich denke, er sah diese Informationen (über Desinfektions- und Bleichmittel) und war dann dabei, diese Informationen zu verdauen." Auch so eine Erklärung muss man erst einmal verdauen, mit beiden Gehirnhälften. Wir haben dem Präsidenten der abstürzenden Weltmacht USA bei einem inneren Monolog zugehört, bei dem er Informationen verdaute, wie das Virus auf den meisten Oberflächen weggeputzt werden kann? Glücklicherweise wurde sofort eine wissenschaftliche Studie veröffentlicht.

*** Was bei uns unter dem Namen Sagrotan vertrieben wird, heißt im Vereinten Königreich Dettol, im Reich von Präsident Trump Lysol. Dementsprechend wird der Unsinn von Trump als der "Lysol-Moment" in die Geschichte eingehen und vielleicht der Anfang vom Ende der 45. US-Präsidentschaft sein. Kurz nach der sarkastischen Fernsehansprache wurde in vielen Nachrichten die dringende Warnung verbreitet, Lysol oder Dettol nicht zu injizieren oder zu trinken. Dabei gab es eine Zeit, in der in Frauenzeitschriften schamhaft für die Lysol-Tinktur geworben wurde, mit der die "frauliche Hygiene" verbessert werden kann. Was sich anhört, als würden genitale Gerüche gemeint sein, war der Euphemismus, mit Lsysol einen Schwangerschaftsabbruch einzuleiten. Was als "Germ-Killer" beworben wurde, wurde in Wahrheit als Sperm-Killer für die vergessliche oder "nachlässige" Frau gepriesen. Ganz ohne Werbung war diese gefährliche Praxis natürlich auch in Europa bekannt.

*** Das bringt uns jenseits aller Lockerungsphantasien zu einem anderen ärztlichen Streit, gewissermaßen als Fortsetzung der letzten Wochenschau, die sich mit der Differenz von Journalismus und Public Relations beschäftigte. Gegen Ende des Ersten Weltkrieges, als die aus den USA stammende "Spanische Grippe" in drei Infektionswellen wütete, schrieb der US-amerikanische Journalist Henry L. Mencken im Dezember 1917 über die Erfolgsgeschichte der Badewanne. Nach seinen Angaben wurde sie erst ein akzeptierter Teil des Hausstandes, als der US-amerikanische Präsident Millard Fillmore eine Badewanne im Weißen Haus installieren ließ. Zuvor hatten Ärzte lang und breit über die Schädlichkeit des Zu-Bade-Gehens diskutiert, jedenfalls berichtet Mencken davon, dass nach den Aufzeichnungen eines "Western Medical Repository" vor "phthisic, rheumatic fevers, inflammation of the lungs and the whole category of zymotic diseases" gewarnt wurde.

*** Erst mit einer gehörigen Verspätung von acht Jahren deckte Mencken in "Melancholischen Betrachtungen" auf, dass der Artikel über das vergessene Jubiläum der Badewanne von A-Z eine einzige Erfindung war, allein geschrieben, um kriegsmüde Leser etwas aufzuheitern. Was ihn danach beunruhigte, war die Leichtigkeit, wie diese "Fake News" ihren Weg ins Allgemeinwissen machten, ohne dass jemand jemals die von ihm gemachten Angaben überprüfte. Auch dieses Geständnis von Mencken half nicht weiter, wie die Auflistung zur Sittengeschichte der Badewanne zeigt: Im September 1952 war es der US-Präsident Harry S. Truman selbst, der die Geschichte von der Badewanne im Weißen Haus zum Besten gab. Dabei war Henry L. Mencken ein großer Journalist, der nicht nur in die Vergangenheit schauen konnte, sondern auch in die Zukunft. Ihm verdanken wir den erhellenden Kommentar zum Amt des US-Präsidenten, gedruckt in der in Baltimore erscheinenden Evening Sun vom 26. Juli 1920: "Alle Chancen liegen bei dem Mann, der eigentlich der abwegigste und mittelmäßigste ist – der die Ahnung, dass sein Geist ein virtuelles Vakuum ist, am geschicktesten zerstreuen kann. Das Präsidentenamt neigt Jahr um Jahr mehr zu solchen Männern. Mit der Vervollkommnung der Demokratie widerspiegelt dieses Amt mehr und mehr die innere Seele des Volkes. Wir nähern uns einem erhabenen Ideal. Eines großen und glorreichen Tages wird sich der Herzenswunsch der einfachen Leute des Landes letztendlich erfüllen und das Weiße Haus mit einem wahren Idioten geschmückt sein."

*** Ist das eigentlich auch Sarkasmus, was die radikale Linke da als "Corona-Kritik" verkündet? Mit einer gewissen Ratlosigkeit scrollt man in der Zeitung herum, die "grundgesetzlich abgesichert" erscheint. Da wird von der "Panikmache überalterter Eliten" gesprochen, von einer "Rekalibrierung des kapitalistischen Herrschaftssystems", gegen die protestiert werden müsse. In einer Volksfront trifft man sich dann auf "Hygienedemos" mit Verschwörungstheoretikern und AfD-Demonstranten zum Querfront-Marsch und veröffentlicht ein Plädoyer für den lebenslangen Generalstreik und einen "Widerstand mit Stil". Ist das schon Kunst oder kann das weg? Das geht dann zusammen mit Forderungen der AfD, alle Corona-Infizierten in eine Fahndungsdatenbank zu stecken und alle Beschränkungen aufzuheben. Geht nicht? Nun, Sachsen-Anhalt ist auf diesem Weg ein großes Stück vorangekommen und das ganz ohne AfD.

*** Beunruhigend ist die Geschwindigkeit, mit der in dieser Woche in der Diskussion um die Corona-App zwei Dinge zusammengeworfen wurden. Eigentlich ging es um die Ermittlung möglicher Kontakte mit Hilfe des Smartphones, natürlich so datensparsam und privatsphärenschonend wie möglich. Dabei rutschte eine Server-Lösung auf die Zielgerade, vor der nicht nur der Chaos Computer Club warnte. Das wurde dann auch noch ziemlich oberflächlich als Streit um kryptografische Eleganz verhöhnt. Unter der Hand wurde aus dem "Contact-Tracing" die Feststellung von Infektionsketten nach den Forderungen der Epidemiologen, die mit einer Server-Lösung besser möglich ist. Nimmt man zu dieser Forderung noch die App-Pflicht für medizinisches Personal, die ein Gutachten des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages für machbar hält, wird der "opportunistic turn" vollends deutlich. Dann ist es auf einmal der Chaos Computer Club, der "Scheuklappen" trägt und der in Kommentaren herbeigesehnte Überwachungsstaat, der fröhliche Urständ feiert: "Was wohl die Gesundheitsämter dazu sagten, wenn bei ihrer verzweifelten Suche nach Infektionsketten Datenschutz vor Infektionsschutz ginge?" Was, wenn es gar nicht um eine App für Gesundheitsämter geht und beides zwei Paar Schuhe sind? Die Krone der Verdrehung ist dann ein ahnungsloser Gesundheitsminister, der den datensparsamen Ansatz von Apple und Google so kommentiert: "Dieser Grundglaube daran, dass Daten, die bei Apple und Google aufgehoben sind, bei amerikanischen Großkonzernen, besser geschützt sind als Daten, die in Deutschland auf Servern auch staatlich kontrolliert liegen, diesen Glauben verstehe ich manchmal nicht." Da müsste jemand was vom Himmel werfen.

*** Wer das nicht braucht, ist wohl Al Pacino. Dafür ist er 80 geworden, und auch ich verneige mich in tiefer Verehrung vor ihm. Guter Anlass, mal wieder alle drei Teile des "Paten" zu sehen – der eigentlich Star als Michael Corleone, dem Paten aller Paten, ist doch Pacino, auch wenn Marlon Brandos Vito Corleone in seiner allseits bewunderten nuschelnden Art die Zitate fürs Leben geliefert hat. Aber man muss ja nicht nur an all seine herausragenden Filme in der Vergangenheit erinnern, auch heute noch glänzt er, etwa als Jimmy Hoffa in "The Irishman", als Marvin Schwarz in "Once Upon a Time in Hollywood" – oder als Meyer Offerman in "The Hunters" (das mich, trotz aller Kritik, die die Serie auslöste, doch mitgenommen hat, in jeder Bedeutung des Wortes). Feiern wir also Al Pacino. Es heißt, er möchte noch den König Lear spielen (Shakespear ist Pacino nicht fremd, im Gegenteil). Ja, bitte! Wir möchten das sehen! Bis dahin schauen wir uns alle seine Filme noch einmal an. Es wird uns nicht langweilig werden dabei. Und wir werden nie enttäuscht sein.

Was wird.

Unter leeren Himmeln aber auch in einer leeren "Station Berlin" wird die diesjährige Ausgabe der re:publica nur online stattfinden. Gespannt darf man sein, wie das Gewimmel im Innenhof der Station Berlin abgebildet wird. re:publicaTV kann auf die ersten Blogger-Treffen zurückgreifen und die Frage aufwerfen, die damals die Teilnehmer bewegte: Geld verdienen mit Bloggen, wie geht das? Im Zeitalter von Corona, YouTube und der Influencer ist es Zeit, eine Bilanz zu ziehen. Auch die Lehren aus dem Homeschooling dürften interessant sein. Man lernt ja so viel dieser Tage. Was waren noch einmal die Lehren aus Tschernobyl vor 34 Jahren? Aber so etwas bitte doch nicht heute, am Tag der Außerirdischen, benannt nach dem Planeten LV-426. Sie sind unter uns, immer mit 2 Metern Abstand.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. Wenn nicht nur die Bäume ausschlagen.
Beitrag von: SiLæncer am 03 Mai, 2020, 08:40
Frieden, Krieg, was ist da schon der Unterschied? Hauptsache, man erfährt nichts davon, mäkelt Hal Faber, der eigentlich auch nur seine Ruhe haben will.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Der Mai ist gekommen, die Radarwarner bleiben aus.
Da bleibe, wer Lust hat, mit Sorgen zu Haus.
Wie die Wolken dort wandern am himmlischen Zelt,
so steht auch mir der Sinn in die weite, weite Welt.

Tralala, nach Der Mai ist gekommen. Was für ein schönes Lied und was für ein schöner, für sich sprechender Dateiname. Von denen gibt es derzeit viele: BescheuerterLaschetbeiWill.mp4, LindnerohneAhnungbeiIllner.mp4, Familienunternehmerstuss als PNG-Datei, so sind die Zeiten und schon kann ein Vergehen vorliegen. In dieser Woche wurde der Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 5. März veröffentlicht, wonach bereits die Nennung von Dateinamen, der Größe einer Datei oder die Dateiendung als Hinweis auf den möglichen Inhalt einer Datei als Veröffentlichung von Geschäftsgeheimnissen angesehen werden können. Ja, so muss das investierte Know-How einer Firma ordentlich geschützt, müssen viele Details geschwärzt werden, denn es gilt: "Die Möglichkeit solcher Folgerungen wird verstärkt, wenn sich über die Kenntnis der Dateiendung die verwendete Programmiersprache erschließen lässt, und wird bis hin zur Erstellung eines Gesamtbilds erweitert, je mehr Dateien offengelegt sind und sich in ihren Informationen miteinander verknüpfen lassen. Schließlich sind auch Informationen über die Größe von Dateien aussagekräftig, weil sich in Kombination mit den Dateinamen Hinweise darauf ergeben, welchen Aufwand der Hersteller betrieben hat, um die mit dem Dateinamen bezeichnete Funktionalität einzufügen." Eine recht pfiffige Argumentation vor dem Hintergrund, dass nunmehr SAP und die Telekom die sattsam diskutierte Corona-App fertigstellen sollen. Diese App hat ja schon eine kuriose Entstehungsgeschichte hinter sich und so muss man kein Hellseher oder Schwarzseher sein, um zu ahnen, dass da noch einiges kommen mag. Alles natürlich fein als Open Source dokumentiert, mit ein paar Änderungen, dass man den Aufwand nicht sehen kann, der da betrieben wurde.

*** Große Erleichterung auch an anderer Stelle: Mit der Entscheidung der ICANN, .org doch nicht zu privatisieren und der profitorientierten Ethos Capital zu überlassen, ist dieser unserer Bundesregierung ein großer Stein vom Herzen gefallen. Erinnert sei an die Regierungsantwort auf die Frage, wie viele .org-Domains die Bundesregierung besitzt. Im Januar, als die Gedanken noch freien Ausgang hatten, wurde in dieser Wochenschau die Antwort der Bundesregierung auf die Frage verlinkt und zitiert. Die Namen der regierungseigenen .org-Domains unterlagen der Geheimhaltungspflicht, weil es mindestens 120 solcher Adressen zu geben scheint, darunter so aktuell systemrelevante wie ichpflegeweil.org oder ich-pflege-weil.org, die auf mehr Pflegekraft umleiten. "Nach Einschätzung der Bundesregierung bestehen bezüglich einer öffentlichen Herausgabe nicht unerhebliche Sicherheitsbedenken, da nachteilige Auswirkungen auf Belange der Sicherheit der Informationstechnik der Bundesverwaltung zu erwarten sind. Insbesondere könnten aggregierte Informationen über von der Bundesregierung genutzte Domains geeignet sein, um einen erfolgreichen Angriff auf die Informationstechnik des Bundes – beispielsweise 'DNS-Hi-jacking' und 'DDoS'-Angriffe – zu ermöglichen oder zumindest entscheidend zu erleichtern." Verkauf abgewehrt, Angriffe abgewehrt. deutschlandkanndas.org!

*** Doch halt! Immer neue Bedrohungen tauchen auf, so ein Staat ist eine fragile Sache mit der bekannten Aufschrift "Nicht stürzen!". Das Staatswohl muss täglich aufs Neue gepflegt, begossen und geschützt werden. So auch in dieser Woche. Alle Mauscheleien, die der Bundesnachrichtendienst und der CIA bei der Operation Rubikon austüftelten, sind und bleiben VS Geheim, weil besagtes Staatswohl wieder in äußerster Gefahr ist. Das alles erinnert an das pinkfarbene Buch, dass der Rentner Gerhard Schindler über seine Zeit als BND-Chef verfasst hat. Zum Wohl des Staates schlummern die Memoiren im Bundeskanzleramt. Wer einmal den Rubikon durchquert hat, muss auf der anderen Seite des Flüsschens bleiben.

*** Was aber tun, wenn das Staatswohl im Staube von Afghanistan liegt und geheime militärische Papiere des Stufe VS NfD entwichen waren, die zu allem Übel in die ungewaschenen Hände recherchierender Journalisten gefallen sind? Die diese Papiere einordnen und erklären, um sie schließlich unter dem etwas reißerischen Namen Afghanistan-Papiere in der Art von Wikileaks zu veröffentlichen. Klare Sache, man nimmt die Keule des Urheberrechtes und haut zu. Diesmal klappte es nicht, denn die Journalisten berichteten im Rahmen tagesaktueller Ereignisse, befand das Gericht. Denn die Veröffentlichung geschah, um die Frage zu klären, ob die Bundeswehr sich in Afghanistan auf einer "Friedensmission" oder eben in einem Krieg befand. Ob schwierig zu lesende Lageberichte generell vom Urheberrecht geschützt sind oder ob das nicht greift, wurde nicht entschieden. Bis zum nächsten Keulenschlag. Wie war das noch mit den urheberrechtlich geschützten Glyphosat-Gutachten in den Giftschränken der Ministerien?

*** Es gibt Verschwörungstheorien, in denen die Bill und Melinda Gates-Stiftung für die Ausbreitung des Coronavirus verantwortlich gemacht wird. Es gibt auch das Gegenteil, die quasi-religiöse Verehrung für die Gates-Familie, die jetzt zu dritt in ihrem Haus in Seattle festsitzt – die älteste Tochter lebt als Berufsreiterin mit ihrem Lebensgefährten. Leider steckt das Interview mit Melinda Gates hinter einer Paywall, doch diese Worte über die Lockerungen der Auflagen sollte man schon lesen: "Ich habe mit Kanzlerin Merkel darüber gesprochen, wie man Öffnungen richtig machen kann. Man folgt der Wissenschaft, man bewegt sich sehr, sehr langsam, man beobachtet genau, ob es neue Ausbrüche gibt. Es ist ein Balanceakt." Richtige Worte, zusammen mit der Einschätzung von ihr, dass es zwei Jahre dauern wird, bis wir alle wieder in einer Art der Normalität leben. Aber folgt man denn der Wissenschaft?

*** Der Blödsinn, den Politiker wie Laschet, Kubicki oder Kemmerich über die Herrschaft der Virologen von sich geben ist bedenklich. Deutschlands oberster Wissenschaftserklärbär Ranga Yogeshwar beschäftigt sich in einem großen Text (auch hinter einer Paywall) mit den Äußerungen dieser Politiker und wird grundsätzlich, wenn er auf die Verdrängung zu sprechen kommt, die nach der Öffnung kommen wird. "Wir alle sind Meister in diesem kollektiven Verdrängungsprozess, denn nur so lässt sich erklären, dass wir in einem Jahrhundert gleich zwei Weltkriege führten und inzwischen wieder zu Exportweltmeistern der Rüstungsindustrie aufgestiegen sind."

Was wird.

In der anstehenden Woche werden die Politiker des Bundestages über das "zweite Corona-Schnellgesetz" beraten, mit dem eine "Immunitätsdokumentation" umgesetzt wird. Das wird in aller Wahrscheinlichkeit eine kontaktlose NfD-Chipkarte sein, die den Namen der Krankheit, das Datum der Feststellung der Immunität, die Testmethode und den Namen und die Nummer des Arztes gespeichert hat, der die Immunität bescheinigt. Bereits im Juni könnte das System anlaufen, allen Problemen zum Trotz. Der größte Schwachpunkt ist, dass das Gesetz "vorsorglich" durchgereicht wird, weil es noch gar keine zuverlässige Methode zur Bestimmung der Immunität gibt, sondern nur Vermutungen und Tests, die auch bei anderen Coronaviren als SARS-CoV-2 anschlagen. Schon jetzt darf man sich auf die App freuen, die ein solches Immunitätsdokument simuliert, wenn der Chip unter einem Smartphone liegt – zur Sicherheit der Datenspeicherung und des Zugriffs gibt es nur vage Überlegungen und eine Warnung des Bundesdatenschutzbeauftragten, dass Gesundheitsdaten "nicht zu Diskriminierungen führen" dürfen.

Macht nichts, hübsch locker werden, das ist doch auch ein Abenteuer. Schließlich feiern wir in der nächsten Woche das Kriegsende, das in Berlin schon am 1. Mai 1945 begann.

Mit ausreichender sozialer Distanz und Maskenpflicht kann man im Historischen Museum bald zu Hannah Arendt gehen und lesen, wie Arendt als Geschäftsführerin der Jewish Cultural Reconstruction die überlebenden Deutschen als lebende Gespenster beschrieb, "die man mit Worten, mit Argumenten, mit dem Blick menschlicher Augen und der Trauer menschlicher Herzen nicht mehr rühren kann". Doch schon bald kam Leben in die Ruinen, es wurde aufgeräumt, angepackt und gefringst, was das Zeug hielt. Erwähnte Arendt, dass sie Jüdin war, gab es nur eine kurze Verlegenheitspause und "eine Flut von Geschichten, wie die Deutschen gelitten hätten". Mit der Judensache hatte man nichts zu tun und mit diesen Kriegsverbrechern da hätte man doch bitteschön kurz & schnell den Prozess machen können, so wie es die ja vorher auch gab.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. Von Experten und Expertisen.
Beitrag von: SiLæncer am 10 Mai, 2020, 08:00
Ach, Deutsch. Überhaupt: Deutschland. Ein Land selbst mit gebrochenem Herzen lieben, das fällt Hal Faber schwer. Da gibt es besser geeignete Liebesobjekte.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Absturz, welcher Absturz? Es geht voran und locker wird's. Tschüss, Homeoffice, du garstiges Ding mit viel zu kleinem Schreibtisch, mit Kindergetrappel oben, Gebrüll unten und den Zimmerleuten gegenüber, die auf Riesengerüsten an Riesenlofts das letzte Bisschen Sonnenstrahlen wegbauen, dass auf den Balkon schien. Willkommen Büro, der schöne Irrsinn wild gestapelter Artikel und Bücher, mit dem leise säuselnden Sound der Scanner, die die Welt digitalisieren. Ganz unpoetisch durften wir diese Woche lernen, wie schön es ist, dass Büro Büro geschrieben wird und nicht etwa Bureau. Zum großen Amüsement in diesen Coronazeiten gehört die Geschichte eines der weltbesten Hacker namens Dimitri Badin, der 2015 den Deutschen Bundestag knackte und 19 Gigabyte Daten abgreifen konnte. Er wird seit dieser Woche mit einem deutschen Haftbefehl gesucht. Nun kommt heraus, dass dieser Superstar mit seinem Superprogramm VSC.exe (Visual Studio Code?) an dem ü scheiterte, das aus aus dem frankophonen Bureau ein trällerndes deutsches Büro macht, in dem die Bürokratie in den gesunden Büroschlaf fällt. Der heimtückische Cyberangriff scheiterte nach dieser Darstellung, weil der Angriff auf das Abgeordnetenbüro von Angela Merkel die denglische Pfadangabe "\Users\Merkel\Büro" beim Umlaut spotzte und ein "\Users\Merkel\B?ro" produzierte. So wurde nicht der Büro-Ordner geöffnet, sondern ein freundliches "File not Found" oder Ähnliches zum russischen Bären geschickt.

*** Ob die Geschichte glaubwürdig ist, steht auf einem anderen Blatt. Der Artikel der Tagesschau stützt sich auf eine Einschätzung des Bundesnachrichtendienstes, der sich "nahezu sicher" ist, dass der russische Militärgeheimdienst GRU hinter der Bärentruppe steht, die sich durch "eine hohe bis punktuell sehr hohe Fachexpertise" auszeichne und über große Finanzmittel und personelle Ressourcen verfüge. Mit sehr hoher Fachexpertise an einem Umlaut scheitern, das hat was. Möglicherweise ist auch die die Expertise des BND von diesem Kaliber: In dieser Woche lancierte besagter Nachrichtendienst in einem Zeitungsartikel das Gerücht, "dass hinter dem Verfahren eine gezielte geheimdienstlich gesteuerte Aktion stecken könnte, um der Bundesrepublik zu schaden". Mit dem Verfahren ist diese Klage von Journalisten gegen die Massenüberwachung des BND gemeint, bei der das Urteil am 19. Mai erwartet wird. Hier werden die Grenzen der Grundrechte ausgeleuchtet, was ehemaligen BND-Hüte gar nicht gerne sehen.

*** Zur Aufgabe des Bundesnachrichtendienstes gehört es, die Arbeit anderer Nachrichtendienste (und nicht von Journalisten-Organisationen) zu bewerten. Am Montag machte der australische Daily Telegraph mit dem Knüller auf, dass ein Geheimdienstpapier der "Five Eyes" Fakten zusammengestellt haben soll, die als Beweise für eine Vertuschung des Coronavirus-Ausbruch durch China herhalten können. Nun entpuppt sich das Geheimdienstpapier als gezielte Falschnachricht, produziert von einem der "Five Eyes". Das sagt jedenfalls der BND, der hilfsweise von einer "Verwechslung" spricht.

*** Wie drückte sich Paul Virillo aus, als er 1995 Microsofts Internet Explorer 1.0 rezensierte und vor dem "Drogenkapitalismus der elektronischen Medien" warnte, den dieses Programm erzeugen würde: "Es gibt keine Information ohne Desinformation. Künftig könnte es eine Desinformation neuen Typs geben, die nichts mit absichtlicher Zensur zu tun hat. Es handelt sich um eine Art Erstickung des Sinnes, eine Art Kontrollverlust der Vernunft. Darin liegt, verursacht durch die Informatik und Multimedia, eine weitere große Gefahr für die Menschheit." Damit kommen wir zu den guten Dingen, denn an diesem Wochenende feiert die deutsche Ausgabe von Le Monde Diplomatique (LMD) ihren 25. Geburtstag mit einer dicken Sondernummer, in der auch Virillos Aufsatz unter dem Titel "Alarm in Cyberspace!" neben vielen anderen denkwürdigen Artikeln aus den vergangenen Jahren abgedruckt ist. 1997 etwa schrieb LMD-Direktor Ignacio Ramonet den Aufruf "Die Märkte entschärfen", was zum Gründungsmanifest von Attac wurde. Ein lesenswertes Stück angesichts der Forderungen, mit ungezügeltem Konsum der Wirtschaft zu helfen, aus dem Lockdown herauszukommen.

*** IANAL, wie es früher einmal hieß. Ich bin kein Jurist. Dennoch ist es nötig, auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes hinzuweisen, die am Dienstag für Furore sorgte. Das BVG urteilt, dass die Europäische Zentralbank ultra vires ihre Kompetenzen überschritten hat, als sie mit dem Public Sector Purchase Programme Staatsanleihen aufkaufte und dies vom Europäischen Gerichtshof akzeptiert wurde. Mit der Entscheidung hat sich das BVG gegen den EuGH gestellt und damit eine europäische Institution gemaßregelt, ein einmaliger Vorgang. Entsprechend kühl kommentierte ihn der Europäische Gerichtshof. Das Urteil erging im Vorfeld der Europa-Feierlichkeiten und dürfte Folgen haben. In einfachen Worten drückte es der juristische Kommentator der tageszeitung aus: "Den größten Nutzen aus dem Karlsruher Urteil können vermutlich Problemstaaten wie Polen und Ungarn ziehen, die sich nun gerne auf das Bundesverfassungsgericht berufen werden, wenn sie Brüsseler Vorgaben ignorieren."

*** "Die Befreiung war 1945 von außen gekommen. Sie musste von außen kommen – so tief war dieses Land verstrickt in sein eigenes Unheil, in seine Schuld. [...] Doch auch wir selbst haben Anteil an der Befreiung. Es war die innere Befreiung. Sie geschah nicht am 8. Mai 1945, und nicht an einem einzigen Tag. Sondern sie war ein langer, schmerzhafter Weg. Aufarbeitung und Aufklärung über Mitwisserschaft und Mittäterschaft, quälende Fragen in den Familien und zwischen den Generationen, der Kampf gegen das Verschweigen und Verdrängen. [...] Diese Jahrzehnte des Ringens mit unserer Geschichte waren Jahrzehnte, in denen die Demokratie in Deutschland reifen konnte. Und dieses Ringen, dieses Ringen bleibt bis heute. Es gibt kein Ende des Erinnerns. Es gibt keine Erlösung von unserer Geschichte. Denn ohne Erinnerung verlieren wir unsere Zukunft. [...] Es gibt keinen deutschen Patriotismus ohne Brüche. Ohne den Blick auf Licht und Schatten, ohne Freude und Trauer, ohne Dankbarkeit und Scham. Rabbi Nachman hat gesagt: 'Kein Herz ist so ganz wie ein gebrochenes Herz.' Die deutsche Geschichte ist eine gebrochene Geschichte – mit der Verantwortung für millionenfachen Mord und millionenfaches Leid. Das bricht uns das Herz bis heute. Deshalb: Man kann dieses Land nur mit gebrochenem Herzen lieben. [...] 'Der 8. Mai war ein Tag der Befreiung.' Ich glaube: Wir müssen Richard von Weizsäckers berühmten Satz heute neu und anders lesen. Damals war dieser Satz ein Meilenstein im Ringen mit unserer Vergangenheit. Heute aber muss er sich auch an unsere Zukunft richten. 'Befreiung' ist nämlich niemals abgeschlossen, und sie ist nichts, was wir nur passiv erfahren, sondern sie fordert uns aktiv, jeden Tag aufs Neue. Damals wurden wir befreit. Heute müssen wir uns selbst befreien! Befreien von der Versuchung eines neuen Nationalismus. Von der Faszination des Autoritären. Von Misstrauen, Abschottung und Feindseligkeit zwischen den Nationen. Von Hass und Hetze, von Fremdenfeindlichkeit und Demokratieverachtung – denn sie sind doch nichts anderes als die alten bösen Geister in neuem Gewand. Wir denken an diesem 8. Mai auch an die Opfer von Hanau, von Halle und von Kassel. Sie sind durch Corona nicht vergessen!" So sei es. Oder, um es mit Little Richard zu sagen, der nun leider auch von uns gegangen ist: Got me run, hide, hide, run anyway you want to let it roll.

Was wird.

Die re:publica liegt hinter uns, und weiter geht es im Reigen der Online-Konferenzen. Es folgt die DLD Sync als Online-Ausgabe der DLD, wiederum gefolgt von der Digital X der Telekom mit dem zugeschalteten Exilanten Edward Snowden. Bereits jetzt signalisieren Black Hat und Defcon, dass sie online stattfinden werden. Während die hub.berlin des Bitkom gleich aufs nächste Jahr verschoben wird, ist noch unklar, was mit dem Big Data AI.Summit passieren wird.

So ist es schwierig, sich über die Fortschritte bei Big Data und AI/KI zu informieren, aber es gibt ja noch Bücher und wissenschaftliche Paper. Ein bemerkenswerter Durchbruch soll den Erforschern der Künstlichen Intelligenz gelingen sein, mit einem Programm, dass ohne jegliche rassistische Vorurteile allein auf Basis der Gesichtserkennung mit 80-prozentiger Genauigkeit feststellen kann, wer kriminell ist und wer nicht. Jedenfalls war dies einer Pressemitteilung der Harrisburg University zu entnehmen, die mittlerweile zurückgezogen wurde. Aber vielleicht ist auch das nur verschoben. Denn interessant wäre es schon, wenn die Kriminologie eines Cesarae Lombroso und die Phrenologie von Franz Joseph Gall mit der KI zusammenkommen. Nicht jeder hat die natürliche Intelligenz des amtierenden US-Präsidenten, der bei den Demonstrationen gegen die Aufenthalts-Auflagen im Zeicen des Coronavirus die Good Guys von den Bad Guys unterscheiden kann.

Aber die Hoffnung stirbt zuletzt. Erinnert sich noch jemand an das AI-Startup Clearview, das mir nichts, dir nichts Fotos sammelte für die perfekte Gesichtserkennung? Auch auf erkennungsdienstliche Polizeifotos war man scharf. Jetzt schließt sich ein Kreis: Clearview verzichtet nach diesem Bericht auf Privatkunden und will in Zukunft nur noch mit Polizeien und Strafverfolgungsbehörden zusammenarbeiten. Die Gesichtserkennungssoftware soll dabei auch bei der Kontaktverfolgung von Infizierten mit dem Coronavirus zum Einsatz kommen.

In diesen Tagen hat sich das Virus besonders bösartig gezeigt, infiziert es doch die Hirne von Protestierern, die an diesem Wochenende mit Parolen wie "Wir sind das Volk" querfrontheischend und gröhlend durch die Straßen laufen. Das diese Durchgeknallten kein neues Phänomen ist, beweist ein Gedicht über die "Spanische Grippe" aus dem Schweizer Nebelspalter, das so endet, nachdem die Regierung mit Verboten und Sperren erfolgreich war.

"Regierung, he! Bist du verrückt –
Was soll das alles heißen?
Was soll der Krimskrams, der uns drückt,
Ihr Weisesten der Weisen?

Sind wir denn blos zum Steuern da,
Was nehmt ihr jede Freude?
Und just zu Fastnachtszeiten -- ha!"
So gröhlt und tobt die Meute.

"Die Kirche mögt verbieten ihr,
Das Singen und das Beten –
Betreffs des anderen lassen wir
Jedoch nicht nah uns treten!

Das war es nicht, was wir gewollt,
Gebt frei das Tanzen, Saufen,
Sonst kommt das Volk -- horcht wie es grollt,
Stadtwärts in hellen Haufen!"

Die Grippe, die am letzten Loch
Schon pfiff, sie blinzelt leise
Und spricht: "Na, endlich – also doch!"
Und lacht auf häm'sche Weise.

"Ja, ja – sie bleibt doch immer gleich
Die alte Menschensippe!"
Sie reckt empor sich hoch und bleich
Und schärft aufs Neu' die Schippe.

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. Vom lockeren Bleiben und widerständigem Nutzen.
Beitrag von: SiLæncer am 17 Mai, 2020, 08:57
Locker bleiben, rät Hal Faber. Nicht alles, was als Weltuntergang ausgemalt wird, illustriert das Ende aller Zeiten. Auch Freitage gehen vorbei.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Locker, locker sind die Zeiten und wir in ihnen. Gut möglich, dass sie eines Tages mit dem Kriegsausbruch von 1914 verglichen werden oder mit der Münchener Konferenz 1938, zwei Ereignisse, die die Welt erschütterten und veränderten, doch schon wird eine "neue Normalität" praktiziert, die für manche unheimlich ist. Locker wird die Bedrohung durch Corona weggesteckt, die Maske gegen die Tröpfchen aufgesetzt. Ausnahmen gibt es bei brüllenden Verschwörungstheoretikern und Menschen, die nur Nutwave im Hirn haben. Natürlich kann es reizvoll sein, den Fall der Mauer durch ein Lied zu erklären, dass die CIA den Scorpions untergeschoben hat.

Landauf, landab wird so über die Verschwörungstheoretiker berichtet, obwohl Umfragen zeigen, dass die meisten Menschen mit dem Management by Merkel zufrieden sind. Oder ist es gar der feminine Faktor? Aber was soll diese Erkenntnislage, viel lieber schreibt der kundige Journalist darüber, dass die Verschwörungstheoretiker von "den in Deutschland quer durch Gesellschaft, Politik und Medien ins Irrationale und neurotische übersteigerten Datenschutzbedenken" profitieren würden. Neurosen haben immer die anderen.

*** Nach der elenden Vorratsdatenspeicherung ist eine echte Neuheit auf dem Markt: Das Denken auf Vorrat, durchgeführt von Philosophen, die "Echtzeit-Beiträge" zur aktuellen geistigen Situation dieser Zeit verfassen. Das geht flott und schnodderig wie bei Žižek oder schnell und sorglos wie bei Nikil Mukerji und Adriano Mannino. Schicke Begriffe wie "Cocooning Plus" machen da die Runde. Gemeint ist die fortlaufende Isolierung und Testung der Alten und Kranken, während die Jungen und Agilen draußen herumtollen. Ob dies der Weisheit letzter Schluss ist, steht auf irgendeinem Blatt in irgendeinem Buch. Wie drückte es der große Habermas aus? "So viel Wissen über unser Nichtwissen und über den Zwang, unter Unsicherheit handeln und leben zu müssen, gab es noch nie."

*** Inmitten all der Lockerungen und Lockerungsübungen ist es eher untergegangen, dass die vorab viel diskutierte Corona-App in Teilen auf Github aufgetaucht ist und erste Rückschlüsse auf ihre Arbeitsweise zulässt. So wird sie offenbar eine Benachrichtigungsfunktion dafür haben, wenn Testergebnisse beim behandelnden Arzt bzw. Hausarzt vorliegen. Sie funktioniert also anders als die Benachrichtigungsfunktion der App, die von Testlaboren ins Feld geschickt wurde. Was bleibt, ist die Frage, die einen sonst so besonnenen Menschen wie Ranga Yogeshwar "rotzig" werden lässt. "Da offenbart sich, dass wir in Sachen Digitalisierung ziemlich rückständig sind, und wir vernebeln unsere technische Unfähigkeit mit einer Diskussion über Datenschutz. Es muss langsam ein Bewusstsein wachsen, dass wir in Deutschland, was diese Techniken angeht, nicht gut aufgestellt sind. Wir sind ein digitales Entwicklungsland! Während der Kontaktsperre nutzen wir eine Vielzahl digitaler Tools, doch keines dieser Programme stammt aus Deutschland. Wir nutzen amerikanische oder chinesische Software." Seine Forderung, einfach die App aus Südkorea zu nehmen, dürfte zu den Schnellschüssen in der Debatte um das Kontakt-Tracing kommen, aus der andere wie Merkels China-Experte Sandro Gayken längst das Tracking von Infizierten gemacht haben. Und während sich Yogeshwar über den Datenschutz ärgert, geht er längst auf andere Weise flöten. Schließlich hat Jens Spahn sein zweites Pandemieschutzgesetz durch den Bundestag und gleich hinterher durch den Bundesrat gebracht. Jetzt werden auch die Daten von Getesteten weitergegeben und gespeichert, die sich nicht infizierten. Nennen wir es eine Daten-Bagatelle. Andere mit eher minderem Verstand nennen es NWO.

*** Auch die Raserei mit dem Auto ist wieder eine Bagatelle geworden, obwohl die Zahl der Unfälle in den Städten deutlich zurückgegangen ist, nicht nur in Deutschland: Eine idiotische Petition namens "Führerschein-Falle rückgängig machen" wurde vom diensteifrigen Autoverkehr-Minister Andreas Scheuer aufgenommen. Wie war das noch mit dem Lob des Föderalismus, weil jedes Bundesland die Coronakrise nach eigenen Zahlen und eigenem Ermessen aussteuerte? Genau diese Länder haben im Bundesrat die Straßenverkehrsordnung verschärft, die der Minister als Schutzpatron der deutschen Raser nun zurücknimmt.

*** Wie bereits hier erwähnt, wird in der kommenden Woche ein Urteil vom Bundesverfassungsgericht zur Arbeit des Bundesnachrichtendiensts erwartet, das ein Signal für die Pressefreiheit sein soll. Im Vorfeld wurde Journalisten ein 72 Seiten starkes Papier zur Signal Intelligence zugespielt, demzufolge der BND 1,2 Billionen Verbindungen am Tag auswertet. Das ist schon eine Größenordnung, die das Logo von "Zahlen, bitte!" sprengen würde. Wie handlich ist dagegen die Zahl von 30 "Fehl-Erfassungen" privater oder intimer Kommunikation, die dem BND unterläuft, nicht täglich, sondern pro Monat gerechnet. Dieser "geschützte Verkehr", der verbotenerweise mitgeschnitten wurde, sei doch ein Klacks gegen die enorme Aufklärungsarbeit, die man so leistet. Sie lohnt sich auf ihre Weise, wie der Disput zwischen Bundeskanzlerin Merkel und Sergej Lawrow zeigt, seines Zeichens Außenminister von Russland. So sorgt der aufgedeckte Angriff von Fancy Bear für Misstrauen und Ärger, doch welche Sanktionen folgen könnten, ist unklar.

*** In Hamburg ist die Fotografin Astrid Kirchherr gestorben. Ihre Fotos der frühen Beatles hatten Stil, Charme und Pilz-Köpfe. Sie gehört insofern in diese IT-gesättigte Rückschau, weil es schließlich der ehemalige IBM-Europachef Hans-Olaf Henkel war, der liebend gern die Geschichte ausschmückte, wie er dank seiner angebeteten Astrid die Beatles in Hamburg kannte, lange bevor sie zu Weltruhm kamen. Etwas ausgeschmückt kann man seine Geschichte auch online nachlesen, ganz ohne Bravo-Starschnitt.

Was wird.

Er ist eigentlich gerade erst vom US-Präsident Trump angekündigt und hat doch schon begonnen. Der Handelskrieg zwischen den USA und China, in dem China zur mächtigsten Volkswirtschaft dieses Jahrhunderts aufsteigen wird, dürfte eines Tages (siehe Anfang) die Geschichtsbücher füllen, die von den Siegern geschrieben werden. Es wird spannend sein, wie sich das gerade mal wieder zusammenfindende Europa in diesem Handelskrieg – oder ist es ein Technologie-Krieg – verhalten wird. Mögest du in interessanten Zeiten leben, so lautet ja ein hier schon mehrfach zitierter chinesischer Fluch der höflichen Art. Wir tun es jetzt und schauen zu, wie Trump, innerlich vom Neid auf seinen Vorgänger zerfressen, zur Vorbereitung des großen Krieges Facebook, Instagram, Twitter und Google unter seine Kontrolle bringen möchte. Die besagten Dienste sollen von der "radikalen Linken" gesäubert werden, ein gewisser Herr McCarthy lässt grüßen.

Ob Donald Trump dieser Kampf gegen seine persönlichen Windmühlen gelingen wird, mag man bezweifeln. In jedem Fall ist es an der Zeit, sich bei den dezentralen Alternativen umzuschauen, wenn der grassierende Wahnsinn diese Angebote erfasst. Die Entzauberung des Silicon Valleys ist so gesehen eine unverhoffte Chance. Sie kann man nutzen oder auch nicht. Es ist wie mit der Verschlüsselung der Kommunikation, die derzeit wieder unter Beschuss genommen wird. Immer gilt es, gegenzusteuern, mitunter andere Wege zu beschreiten als etwa Enigmail, dessen Zeit abgelaufen ist. Wie sagte das ein kluger Mensch? "Wir schaffen das schon."

Quelle : www.heise.de
Titel: Was war. Was wird. Von zufälligen Witzen in der digitalen Verlustzone.
Beitrag von: SiLæncer am 24 Mai, 2020, 10:05
Demokratie, yes, man! Hal Faber feiert auch mal den "Tag der Demokratie", das wäre doch mal Anlass für einen Feiertag, an dem sich für etwas demonstrieren ließe

 Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Diese kleine Wochenschau entsteht an dem Tag, an dem vor 71 Jahren das Grundgesetz unterzeichnet wurde. Deswegen ist der Tag auch der "Tag der Demokratie" und nicht der Jahrestag der politischen Lüge. Der Tag der Demokratie sollte würdig begangen werden, vielleicht mit einer Pilgerfahrt zum Haus der Geschichte in Bonn, wo man das Tintenfass anfassen kann, das bei der Unterzeichnung des Grundgesetzes eine tragende Rolle spielte.

Die Demokratie ist nicht für jeden die ideale Regierungsform, es gibt Menschen, die wünschen sich eine Aristokratie oder eine Plutokratie. Andere, wie die Bundeszentrale für politische Bildung, setzen wiederum auf eine Abdelkratie. In ihr sollen "gesellschaftlich kontrovers diskutierten Themenfeldern wie Widerstand, Protest, Gleichheit und Gerechtigkeit" für "Jugendliche und junge Erwachsene, die sich bislang eher weniger für politische Themen interessieren" vermittelt werden. Vielleicht ist das ein zarter Hinweis darauf, das die Schule hier versagt hat, vielleicht auch nur der Versuch, die Dröhnung aus den sozialen Medien abzufedern. Da gibt es die Ochlokratie in allen Farben, Formen und Lautstärken. Beim Pöbeln wiederum fällt auf, dass es häufig gegen eine behauptete Nomokratie geht, gegen die Herrschaft der Juristen, die sich unsinnige Gesetze und Verordnungen zur Eindämmung der Pandemie ausgedacht haben. Nichtmal im Biergarten soll man sich frei bewegen können, unerhört.

*** Zur guten deutschen Verfassung gehört ein Verfassungsgericht, das in dieser Woche ein bemerkenswertes Urteil zur Arbeit des Bundesnachrichtendienstes gefällt hat. Für die einen wurde das Fernmeldegeheimnis und die Pressefreiheit international gestärkt, für die anderen droht eine nationale Sicherheit zweiter Klasse, noch andere floskelten von einem schwarzen Tag in der Geschichte eines Dienstes, der als Organisation Gehlen viele schwarze und braune Tage im Kampf gegen den Russen oder die Sowjetunion erlebt hatte. So gehörte es zu den kleinen Witzen der Weltgeschichte, dass am Tag der Urteilsverkündung der Whistleblower Edward Snowden aus Russland einer virtuellen Veranstaltung der Telekom zugeschaltet wurde und auf ihr das Urteil über den grünen Klee lobte. Die universelle Geltung der Grundrechte müsse überall geschützt werden, das sei seine Auffassung "und Auslöser für das, was ich 2013 getan habe".

*** So folgt Witz auf Witz: In dieser Woche ist "Dark Mirror – Edward Snowden and the American Surveillance State" des Journalisten Barton Gellman erschienen. Damit hat auch der letzte Journalist seine Erzählung vom Treffen mit Snowden vorgelegt, der vor dem russischen Exil – und auch danach – Kontakt mit Snowden hatte. Seine Geschichte unterscheidet sich stark von den einschlägigen Snowden-Büchern und auch von Snowdens eigener Darstellung. Das liegt daran, dass Gellman auch Kontakt mit Geheimdienstlern hatte, die in von der Gefährlichkeit von Snowdens Enthüllungen zu überzeugen versuchten. Gleichzeitig ertappte Gellman Snowden mehrfach dabei, Dinge völlig übertrieben darzustellen. So behauptete Snowden gegenüber Gellmann, die E-Mail-Postfächer der Richter am Obersten Gerichtshof und die Mails der wichtigsten Kongressabgeordneten gehackt zu haben. Später musste er zugeben, dass er nur ein öffentliches Postfach von Nancy Pelosi angezapft hatte. Gellman ist übrigens der erste Journalist, der berichtet, wie viele Dateien Snowden ihm übergab: Von den geschätzten 792.000 Dateien des Snowden Tally von Cryptome erhielt er genau 51.662 Dateien von unterschiedlicher Bedeutung. So endet sein Snowden-kritisches Buch durchaus versöhnlich: "Die gute Nachricht ist, dass die Regierung nicht im Geschäft des zufälligen Herumschnüffelns ist und möglicherweise niemals in deiner kleinen Ecke des Netzes nachschauen wird. Aber sie könnte."

*** Wie versöhnlich das Fazit von Gellman ist, ist natürlich Interpretationssache. Als Gellman sein Buch beendete, hatte der US-Senat den Freedom and Patriot Act wieder in Kraft gesetzt. Gegenwärtig diskutiert der Kongress, das Gesetz kräftig zu erweitern bis zu dem Punkt, an dem der Regierung erlaubt wird, sich das Browser-Verhalten und die Suchläufe im Internet ohne Durchsuchungsbefehl anschauen zu dürfen. Dagegen protestieren über 50 Bürgerrechtsorganisationen. Verglichen mit diesem Ansatz beim Ausspionieren der US-Bürger ist alles, was Snowden 2013 über PRISM und Keyscore usw. aufdeckte, geradezu eine Petitesse.

*** Diese kleine Wochenschau der Nachrichten, die an den großen, endlosen Nachrichtenstrand gespült werden, gibt es seit 2000. Irgendwann auf irgendeiner dieser Internet-Konferenzen traf ich den Schriftsteller Bruce Sterling, der seit 2002 bei Wired einen monatlichen Blog hatte. Wir diskutierten stundenlang über beide Formate und konnten voneinander einiges lernen. Nun ist es traurig, den langen Text zum kurzen Abschied zu lesen, denn Sterlings "Beyond the Beyond" ist ein Opfer des Coronavirus geworden. Sein Blog ist mittlerweile alt genug, um wählen zu können, schreibt Sterling, der mit dem Blog sein Polizisten/Cypherpunk-Oufit ablegen will. Anstelle immer weiter zu bloggen, habe ihm das Schicksal eine Freikarte gegeben, aus diesem Gefängnis auszubrechen. Hasta la vista.

*** Eine solche Freikarte gibt es für Julian Assange nicht. Stimmen die Nachrichten, so hat es den ersten Todesfall aufgrund des Coronavirus im Gefängnis von Belmarsh gegeben. Es scheint niemanden zu kümmern. Das gilt auch für die Whistleblowerin Reality Winner, die lungenkrank ist und in einem US-Gefängnis inhaftiert ist. Derweil wurde Trumps "Ausputzer" Michael Cohen aus der Haft entlassen. Das Virus macht keinen Unterschied?

Was wird.

Am Tag der Demokratie und des Grundgesetzes geschrieben, lohnt es sich, zum Schluss einmal einen Blick in die Artikel unserer Verfassung zu werfen, die die höchsten Ämter in Deutschland beschreiben. Wie zur großen Feier im letzten Jahr angemerkt, ist das Grundgesetz erstaunlich nüchtern, was alle Ämter anbelangt. "Auch der Bundeskanzler kommt ohne höhere Weihen aus, von der berühmten, später sogenannten Richtlinienkompetenz kennt der Text nur die Richtlinie – stilistisch ein feines, aber deutliches Band, nicht diese scheppernden, pompösen drei Silben von der Kompetenz."

In der kommenden Woche beschäftigt sich ein TV-Rückblick mit der Frage, wann denn Deutschland falsch abgebogen ist beim Einsatz der Informationstechnik. Der Film über die digitale Verlustzone lohnt sich, zeigt er doch ein Westdeutschland mit überlegener Computertechnik, die so gut ist, dass die Stasi in Ostdeutschland Siemens-Computer einsetzte, um die Bespitzelung der Bürger datentechnisch in den Griff zu bekommen. Den Höhepunkt des Filmes bildet eine listige Frage, die der damalige Deutschland-Chef von Microsoft an Bundeskanzler Helmut Kohl stellte. Christian Wedell, der Mann mit dem Koffer, fragte den Kanzler 1994, wie es um die Datenautobahnen in Deutschland bestellt ist. Die Antwort fiel scheppernd aus:

"Ja, da sind wir ja mitten in der Diskussion, das weiß hier ja kaum einer besser als Sie, und Sie wissen auch wie heftig umstritten das ist. Die Zukunft läuft in diese Richtung, aber wir brauchen dafür Mehrheiten und wir sind ein föderal gegliedertes Land und Autobahnen sind elementar, auch mit Recht, in der Oberhoheit der Länder. Der Zustand, den wir jetzt auf den Autobahnen haben, ist dergestalt, dass wir wissen, wann wir überhaupt nur noch von Go and Stop auf Autobahnen reden können."

Ein Vierteljahrhundert später sieht die Lage nicht viel besser aus. Diesmal geht es nicht mehr um die Datenautobahnen, sondern um die künstliche Intelligenz und ganz besonders um die Intelligenz, die angeblich automatisierte Bots in den sozialen Medien steuert. Der gefährliche Schwachsinn der "Botforschung" wird von angesehenen Blättern wie dem Spektrum der Wissenschaft verbreitet. Selbst die Bundeskanzlerin mit ihrer wissenschaftlichen Grundhaltung soll an die Ergebnisse der Botforscher glauben.

Höhepunkt dieser Entwicklung sind die vom Bundesrat geplanten Verschärfungen des NetzDG, bei denen der sächsische Ministerpräsident auf Bots und Falschmeldungen verweist, wenn er im Interview fordert: "Die Politik darf nicht tatenlos zusehen, wie ungefiltert Falschmeldungen verbreitet werden. Wir müssen da auf Bundesebene zügig nachsteuern."

Wir haben in Deutschland so schöne Datenautobahnen und ein schickes Verkehrsministerium, das für sie zuständig ist. Jetzt brauchen wir nur noch ein Wahrheitsministerium mit einem Computer, der alle zugelassenen Aussagen gespeichert hat.

Quelle : www.heise.de